Hauptsache, die Stoffe fallen weich (und schaben gut ab). (Bild: Getty Images)

Hauptsache, die Stoffe fallen weich (und schaben gut ab). (Bild: Getty Images)

Bookcore

Von wegen Krise des Buchs! Jetzt ist sogar der sorgfältig abgeschabte Büchernarren-Look zurück

Joachim Bessing Mode
Warum plötzlich alle so aussehen wollen, als würden sie regelmässig altmodische Buchhandlungen frequentieren.

Um die Bücher, das liest man häufig, steht es nicht zum Besten. Diese Nachricht steht dann freilich nicht in Büchern, sondern im Internet, das sich eher in der noch älteren Tradition der Schriftrolle begreifen lässt, und so gesehen handelt es sich vielleicht um einen der ganz uralten Verdrängungskämpfe von Alt gegen Neu.

Umso erfreulicher also, wenn eben dort zur Abwechslung einmal keine Hiobsbotschaft zum Siechtum des Buches und dem Tod der Buchkultur zu finden ist, sondern eine Genesungsgeschichte: Die Buchkultur kommt nämlich fulminant zurück! Wenn auch nicht in Form von neuen Leserschaften oder gar besseren Schriftstellern, sondern an einem eigentlich zutiefst lesefeindlichen Ort, der Mode.

Bookcore wird der Trend genannt, von dem jetzt erste Modeblogger zu berichten wissen. Das tönt nicht nur ähnlich wie Mosscore, über den wir schon berichtet haben, auch zielt diese Mode in dieselbe Richtung, so dass man den ersten Schluss ziehen kann: Je mehr Zeit die Leute im Internet verbringen, desto ungemütlicher finden sie es dort. Denn noch stärker und breiter angelegt als bei der doch sehr speziellen Moosmode, geht es bei Bookcore um Behaglichkeit. Deshalb handelt es sich auch nicht um einen Trend, der von einem oder mehreren Designern der bekannten Labels erdacht und vermarktet wird, sondern um echte Avantgarde.

Bookcore ist ein Streetstyle, eine Mode, für die es mehr Kreativität braucht als Geld. Was dem Thema durchaus angemessen ist, denn Schriftsteller hatten ja auch noch nie viel Geld.

Analoger geht es nicht

Um Nostalgie geht es dabei aber nicht – Bookcore ist weder Retro noch ein Revival. Denn es gibt ja sehr wohl noch Bücher und auch Buchläden, darunter sogar auch noch schöne und sogar spektakuläre, die nicht so seelenlos und museumsshopverkitscht eingerichtet sind wie die Buchkaufhäuser Dussmann, Hugendubel oder Orell Füssli, aber natürlich stehen diese schönen, gemütlichen und auf eine malerische Weise etwas unsortiert wirkenden Buchläden der inhabergeführten, alten Art für eine versunkene Welt.

Bookcore-Mode in ihrer natürlichen Umgebung: Studentin in einer Buchhandlung der University of California in Berkeley, 1958. (Bild: Getty Images)

Bookcore-Mode in ihrer natürlichen Umgebung: Studentin in einer Buchhandlung der University of California in Berkeley, 1958. (Bild: Getty Images)

Genau die stellt sich die Bookcore-Mode als Kulisse vor – denn analoger geht es nicht. Und damit genau so stimmungsvoll knisternd und prasselnd wie das akustische Lagerfeuer einer Vinylschallplatte im Gegensatz zur aseptischen Präzision einer Musikdatei oder CD.

Bookcore ist also das genaue Gegenteil des Glamourösen. Die Kleidungsstücke sind eher beutelig geschnitten, die Farben entstammen der Skala der Bucheinbände in Leinen oder auch Leder und rangieren von sämtlichen Brauntönen über Elfenbein, Beige und Grau bis allenfalls Navy oder Olive. Nichtfarben wie Schwarz und Weiss sind zu krass, die extremen Kontraste erinnern an ­E-Reader und Bildschirmarbeit, die in der ästhetischen Welt des Bookcore natürlich überhaupt gar nicht vorkommt, weil in den Buchläden, von denen Bookcore erzählt, allenfalls Leselämpchen mit Messingfüssen und Schirmen aus grünem Glas Licht verbreiten.

Die Registrierkasse in solchen Höhlen für Bücherwürmer, Leseratten und zerstreute Professoren steht gut getarnt hinter Bücherstapeln und hat noch immer keinen Anschluss ans Internet.

Die romantische Komödie «e-m@il für Dich» ist – das lässt sich vor allem an der seltsamen Schreibweise ihres Titels erkennen – beinahe 25 Jahre alt, erscheint aber für uns Nichtamerikaner gerade jetzt erst aktuell mit der Amour fou eines Buchkettenbarons und einer verträumten Buchhändlerin.

Auch stilistisch, modisch wurden uns die beiden damals als Bewohner unterschiedlicher Welten vorgeführt. Dass die stets in Pullovern und Strickjacken gekleidete Meg Ryan ihr von der Mutter geerbtes Buchgeschäft schliesslich für die Liebe opfert und auf die Seite des Anzug tragenden Geschäftsmannes mit Herz wechselt, entspricht damals, am Ende der neunziger Jahre, noch der Logik eines neoliberalen Wertesystems.

Aber ein Vierteljahrhundert später hat sich dieses Wertesystem samt Starbucks-Kultur als ziemlich ungemütlich und steril erwiesen – ungefähr so wie das Internet. Und auf eine vergleichbare Weise alternativlos (als man noch per E-Mail geflirtet hat und nicht per Tinder gedatet, hätte es «unausweichlich» geheissen).

Das Buch als Entscheidungshilfe

Bleiben die Träume. Bleibt Literatur. Bleibt vor allem die Mode, die von beidem ein wenig hat und die vor allem keine Einsamkeit kennt, sondern sogar dazu dient, andere auf sich aufmerksam zu machen. Denn der grösste Nachteil des Bücherlesens besteht vermutlich darin, dass es so verdammt lange dauert, den Inhalt der Seiten eines Buches ins Gehirn herunterzuladen – noch viel länger als einen Film! Und dass man, im Gegensatz zum Filme­schauen, nicht zusammen mit anderen lesen kann. Wer liest, droht zu vereinsamen. Zumindest aber unattraktiv zu werden.

Das liess sich in den Jahrzehnten vor Corona noch recht drastisch auf Autorenlesungen und bei Signierstunden in Buchhandlungen oder Literaturhäusern beobachten: Engagierten Lesern, also solchen Menschen, die sich freiwillig eine Dreiviertelstunde lang anhören, wie jemand, der das nicht besonders gut kann, aus seinen eigenen Texten vorliest, haftet etwas Freakiges an. Es sind nicht bloss die vergessenen Bart- und Haartrachten, die dann aus der Versenkung auftauchen wie Goethes schwankende Gestalten, es sind auch vergessene Klamotten. Aus ihnen besteht, kurz gesagt, im Wesentlichen der Bookcore:

Jacketts aus Harris-Tweed zu ausgebeulten Hosen in Cord oder Flanell. Hauptsache die Stoffe fallen weich, schaben gut ab und lassen sich im Schadensfall mit ovalen Flicken aus Velours oder Wildleder besetzen. Letztgenanntes ist übrigens auch als Material für die Schuhe erste Wahl.

Diese dürfen auf keinen Fall spitz oder länglich oder anderswie eitel geschnitten sein. Lesen und Schreiben sind Tätigkeiten für Sitzende. Der Schriftsteller Arno Schmidt brachte seinen Lifestyle auf den Punkt: «Er sass, ass und las.» Beim Schuhkauf sucht der Bücherfreund also vor allem nach Bequemlichkeit, dem A und O im Bookcore, sowie natürlich der Geschichtlichkeit, lies: Abgegriffenheit seiner Fusseinbände.

«Dead Poets Society»: Robin Williams im bauchigen Jackett. (Bild: Alamy)

«Dead Poets Society»: Robin Williams im bauchigen Jackett. (Bild: Alamy)

Sollten auch Frauen Bookcore tragen?

Als ästhetische Entscheidungshilfe kann im Bookcore übrigens stets das Buch selbst zu Rate gezogen werden, das bekanntlich auch nur immer schöner wird, je öfter man es zur Hand nimmt, je mehr seine Seiten gilben und noch schmiegsamer werden, je abgegriffener und glänzender und von der Sonne ausgebleichter sein Einband sich zeigt. Gilt freilich nur für handwerklich schön hergestellte Bücher.

Ein trashiges Paperback, ein lieblos geleimtes Hardcover im Pappband bleibt auch nach Jahren Trash und wird nie seine ideelle Wertsteigerung erfahren. Ein Äquivalent zur «Fast Fashion» à la Zara und H&M, für deren Teile es niemals einen Vintage-Marktplatz geben wird.

Bleibt die Frage, ob es sich bei diesem Trend um eine reine Männersache handelt, oder sollten auch Frauen Bookcore tragen? Für die Antwort lohnt abermals ein Blick ins Bücherregal: In der Literaturgeschichte war das Schreiben überwiegend eine Männerdomäne, was keineswegs daran gelegen haben wird, dass sie es besser können. Aber es ist halt ein einsames Geschäft, oftmals schlecht bezahlt, und nicht wenige Schriftsteller – darunter auch reichlich Frauen – haben für den ungesunden Lifestyle des Schreibers ihr Leben früher daran geben müssen. Aber für wen wird auch heute noch massgeblich geschrieben und publiziert? Für ein weibliches Publikum!

Emily Mortimer im Film Foto «The Bookshop», 2017. (Bild: Alamy)

Emily Mortimer im Film Foto «The Bookshop», 2017. (Bild: Alamy)

Und auch im Bookcore haben die Frauen die Nase vorn, wenn es um das ultimative Accessoire bei dieser Mode geht – das Buch. Hier hat die Pariser Handtaschenmanufaktur Olympia Le-Tan seit 1998 den ultimativen Hybriden für den Bookcore-Style zu bieten: Clutch-Bags, die kostbar von Hand bestickt und gestaltet werden wie berühmte Bücher. Die reizende Olympia Le-Tan, selbst Kind einer Verlegerfamilie, hat das von ihr gegründete Unternehmen zwar 2018 verkauft, aber die von ihr erfundenen Taschen in Buchform erscheinen nach wie vor unter ihrem Namen – zu den Modewochen wohlgemerkt, nicht auf der Buchmesse.

Da Bookcore als modischer Spiegel der Buchwelt ein konservativer Trend ist, sähe eine solche Buch-Clutch in der Hand eines männlichen Trägers fremdartig aus. Zu ungewöhnlich. Für ihn ist die Jutetasche gedacht, die schon seit Jahren das Strassenbild bestimmt. Es soll sogar Leute geben, die den «New Yorker» eigens deswegen abonniert haben, um dadurch in den Besitz der Abo-Prämie zu gelangen: eine mit dem Logo der berühmten Intellektuellenzeitschrift bedruckte Tote-Bag in naturfarbenem Leinen – Bookcore at its best!

Bookcore gegen Einsamkeit

Im Übrigen macht sich als Accessoire freilich ein Stift immer gut, den man allerdings tunlichst nicht zwischen Zeige- und Mittelfinger halten sollte wie einen Zigarettenersatz – das ist nicht Bookcore, sondern, im Gegenteil: TV. Daran erkennt man die Fernsehmoderatoren, die den symbolischen Kugelschreiber für sich als Zunftzeichen entdeckt haben, seitdem man ihre Mikrofone ins Mikroskopische geschrumpft hat.

Bleibt noch das Buch. Da es sich lediglich um ein Accessoire handeln wird, sollte es vor allem gut ausschauen. Oder mit seinem intellektuellen Gewicht für Aufsehen sorgen. Man könnte es im Internet besorgen, aber wo fängt man da an zu suchen? Peter ­Harrington in London ist einer der interessantesten Händler für moderne Klassiker. Erstausgaben von Nabokovs «Lolita», von «Alice im Wunderland» oder den «Feinen Unterschieden» von Pierre Bourdieu findet man am ehesten dort.

Allerdings verlangt Harrington auch dementsprechend Preise – vom Niveau her ist das eher schon Gucci und kann steigen bis Haute Couture. Aber wäre es ohnehin nicht viel interessanter, den letzten Baustein im persönlichen Bookcore eben dort zu suchen und vielleicht zu finden, wo auch andere Aficionados anzutreffen sind? In einem Buchladen.

Kann freilich gut sein, dass nicht alle, die man dort antrifft, derart top gestylt sein werden wie man selbst. Aber immerhin wird man auf Anhieb ein Thema haben, auf das sich aufbauen lässt: Bücher. Und Lesen. Das funktioniert, dafür gibt es eine Garantie, die schon länger währt als dieses Vierteljahrhundert, seitdem «em@il für Dich» in die Kinos kam. Wenn zwei sich in einem Buchladen finden, wird die das Lesen auch nie wieder einsam machen.