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Das Anti-Happy-Indie-Milieu um Bands wie Isolation Berlin und Der Ringer ist mehr denn je im Auftrieb. Da fragt man sich: Warum kommt die depressive Gefühlsmusik im hedonistischen Großstadtdschungel so gut an?

So zielsicher wie Isolation Berlin traf lange niemand mehr in die Welt der Gefühlsduseleien. Gleich zwei Alben legte die Band im letzten Jahr vor: „Aus den Wolken tropft die Zeit“ und „Protopop“ – ein Mix aus Jangles und schroffen Post-Punk-Riffs. Das Ergebnis: ausverkaufte Konzerthallen. Feuilleton und Musikpresse waren sich einig: Poetisch seien die depressiven Texte von Sänger Tobias Bamborschke. Das nächste große Ding. Post-Punk für wehleidige Großstadtkids. Ist dies also die Hoffnung des Deutschpop?

Alle leiden viel und oft

Bands, die dem Trend scheinbar folgen, gibt es viele: Man nehme die Stuttgarter von Die Nerven, die mit ihrem Noise-Rock den gesellschaftlichen Konsens anprangern. Oder Messer aus Münster: eine Post-Punk-Band, die mit Deutschland ein Problem hat. Trümmer aus Hamburg hingegen geben in ihren Indie-Songs die Generation-Y auf, während Die Heiterkeit vor lauter Spaßbefreitheit scheibar allem gleichgültig gegenüberstehen. Sieht man es rein musikalisch, wird das Rad nirgendwo neu erfunden. Neuartig ist höchstens, dass der Mangel an Innovation keinen von ihnen juckt.

Mir doch egal!

Allen voran Isolation Berlin. Unbeirrt bedient sie sich mit ihrem Klischeenamen bei konservierten Klängen: Ein bisschen The Jesus And the Mary Chain, Ton Steine Scherben, Hildegard Kneef, Pop, Punk und Rock. Wird Bamborschkes Stimme dann auch noch zum Geschrei, wirkt das schon fast peinlich überholt. Doch gerade die Missachtung aller gängigen Pop-Erwartungen findet Anklang. Gleichgültigkeit ist die neue Attitüde. Keinem Trend folgen, ist der neue Trend.

Nur die Ehrlichkeit zählt

»Ich hab’ endlich keine Träume mehr, ich hab’ keine Angst vorm Sterben«, singt Bamborschke voller Weltschmerz. Über Depressionen sprechen – das gilt eigentlich noch immer als Tabu. Isolation Berlin machen es wie selbstverständlich. Saufend in der Bar sitzen und heulend mit der U-Bahn nach Hause fahren – warum nicht? Da interessiert es auch nicht, dass Zeilen wie »Ich glaub, ich nehm‘ die nächste U-Bahn und fahr zum Bahnhof Zoo. Dann nehme ich mir einen Strick und häng‘ mich auf im Damenklo» mehr nach Schnaps als Poesie klingen. Hauptsache ehrlich. Und mit viel Gefühl.

Nichtinformation statt Intellektualität

Neu im Kommen bei den jungen Depressiven ist auch die Hamburger Band Der Ringer: eine Kitsch-Variante des Punk, fast schon Retro-Parodie, und Paradebeispiel für den unglücklichen Junggesellen, der zwischen dem digitalen und analogen Ich sich selbst sucht. New Romantics treffen auf poppigen 80er-Wave. Eine erschöpfte Stimme singt: »Ich bin traurig deinetwegen, Ich bin traurig euretwegen, Ich bin traurig meinetwegen» Das ist so wage, dass sich die Masse darin wiederfinden muss.

Und was ist jetzt das Problem?

Bleibt noch eine Frage offen: Was hat eine Jugend zu bemängeln, der es so gut geht wie nie – der alle Möglichkeiten offenstehen? Großstadtanonymität und Vereinsamung scheinen das Problem zu sein. Gefühle, die gerade Berliner kennen. Bands wie der Ringer docken daran erfolgreich an. Weil sich mit ihrem Welt- und Selbstschmerz ganz leicht Stellung beziehen lässt. Endlich wieder ein Kontra zur Posen-Euphorie aus den Clubs, in denen anpassungsbreite Karrierekinder dem Moment frönen. Und das mit nur einem Konzertgang.

Schluffi sein ist jetzt revolutionär

Pseudo-Probleme, mögen die einen sagen, authentisch die anderen. Klar, im Ausdruck der Befindlichkeiten wird das eigene Elend überhöht. Viel wichtiger scheint aber zu sein, dass eine Handvoll Bands wieder über gelebte Gefühle spricht. Das ist allemal besser als mit AnnenMayKantereit auferlegten Leistungszielen hinterherzurennen oder mit Casper den Lifestyle abzufeiern. Wenn man es so sehen will, dann steckt im Schluffidasein tatsächlich das neue Revoluzzertum. Und sei es nur, weil all den Adaptiven und Hedonisten endlich wieder etwas entgegensetzt wird.

Der Ringer live: FR 24.02. ab 20 Uhr im Acud Macht Neu

Titelbild: Der Ringer © Markus Alexander Voigt