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Wie Unternehmen das deutsche Lieferkettengesetz umsetzen

Menschenrechtsverletzungen überwachen und reduzieren
Wie Unternehmen das deutsche Lieferkettengesetz umsetzen

Wie Unternehmen das deutsche Lieferkettengesetz umsetzen
Die Herausforderungen, mit denen viele Unternehmen konfrontiert sind, beziehen sich auf die Komplexität der Datenerfassung und -verwaltung in ihren globalen Lieferketten. Bild: Uwe/stock.adobe.com
Von Konsumgütern über Mode bis hin zu „Big Food”, der internationalen Nahrungsmittelindustrie – viele globale Marken stehen plötzlich im Rampenlicht für etwas, mit dem keine Führungsebene in Verbindung gebracht werden möchte: Menschenrechtsverletzungen. Oftmals stehen diese Skandale in direktem Zusammenhang mit der Lieferkette des Unternehmens. Unter anderem geht es um unethische Einkaufspraktiken, Zwangsarbeit, überzogene Arbeitszeiten, niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen, geschlechtsspezifische und ethnische Diskriminierung und sexuellen Missbrauch.

Um das Risiko ebensolcher Verstöße zu reduzieren, sehen immer mehr Organisationen die Sorgfaltspflicht innerhalb der Lieferkette als Teil des Risikomanagements. Auch die Deutsche Bundesregierung hat entsprechend reagiert und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verabschiedet, das am 1. Januar 2023 offiziell in Kraft trat. Das Gesetz legt klare und umsetzbare Anforderungen für die Sorgfaltspflichten von Unternehmen fest und soll so Rechtssicherheit für Unternehmen und Betroffene schaffen. Ziel ist es, den Schutz der Menschenrechte in globalen Lieferketten zu verbessern. Unternehmen in Deutschland müssen gewährleisten, Risiken im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsarbeit, Kinderarbeit und moderner Sklaverei zu ermitteln, zu überwachen, zu beseitigen und darüber zu berichten.

Aber dies ist nicht nur ein Thema für deutsche Unternehmen. Das deutsche Lieferkettengesetz ist ein Vorbote dessen, was kommen wird, denn es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, dass weitere Märkte folgen und Gesetze zum Schutz der Menschenrechte von Arbeitnehmern verabschieden – mit regionalen und globalen Auswirkungen. Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Richtlinie zur Sorgfaltspflicht tritt voraussichtlich 2024 in Kraft und wird signifikante Auswirkungen auf globale Lieferketten haben. Prognosen gehen sogar davon aus, dass in den kommenden drei Jahren mehr als 50.000 Unternehmen in ganz Europa der Sorgfaltspflicht in der Lieferkette nicht nachkommen werden (Assent, 2022).

Nur wenige Organisationen sind vorbereitet

Weltweit stehen alle Unternehmen – unabhängig von Branche oder Region – in Sachen Lieferketten-Compliance vor den gleichen Herausforderungen. Aktuell sind nach Angaben des Business and Human Rights Resource Center gerade einmal 22 Prozent der deutschen Firmen in der Lage, die Anforderungen des Lieferkettengesetzes zu erfüllen.

Und auch der globale Vergleich zeigt ähnliche Tendenzen. Ein kürzlich veröffentlichtes Briefing von KnowtheChain, das globale Lieferketten überwacht und bewertet, belegt: Die weltweit größten Unternehmen aus den Branchen, die die größten Risiken in ihren Lieferketten bergen – etwa Informations- und Kommunikationstechnologie, Lebensmittel und Getränke oder Bekleidung und Schuhe – sind nicht in der Lage, rechtlich compliant zu agieren. Zum Beispiel:

  • 50 Prozent legen keine Risikobewertungen zu Menschenrechten offen.
  • 66 Prozent geben keine Auskunft über in ihren Lieferketten festgestellten Risiken der Zwangsarbeit.
  • 83 Prozent informieren nicht über Gegenmaßnahmen im Falle von Zwangsarbeit in ihrer Lieferkette.

Die Herausforderungen, mit denen viele Unternehmen konfrontiert sind, beziehen sich auf die Komplexität der Datenerfassung und -verwaltung in ihren globalen Lieferketten. Diese erstrecken sich oftmals über mehrere Märkte und damit auch Gesetzgebungen, darüber hinaus kommen häufig Zulieferer und „unsichtbare“ Subzulieferer hinzu. Ebenso variiert der Grad der erforderlichen Sorgfaltspflicht – wobei Hochrisikoprofile ein Follow-up rechtfertigen. Baumwolle aus Xinjiang hat beispielsweise ein anderes Risikoprofil als Stahl aus Norwegen. Daher müssen Unternehmen sorgfältig abwägen, welche Kennzahlen auf Risiken hinweisen, die für den jeweiligen Sektor, die Geografie, den Betrieb und die Transaktion spezifisch sind.

Der Lieferkettensorgfaltspflicht einen Schritt voraus

Die Menschenrechts- und Sorgfaltspflichten unterscheiden sich zwar im Detail, müssen aber dennoch in Bezug auf dieselben vier kritischen Schritte des Risikomanagements harmonisiert werden: Identifizierung von Risiken für Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette, Überwachung dieser Risiken, Gegenmaßnahmen bei festgestellten Verstößen und Transparenz gegenüber den Interessengruppen.

Im Folgenden finden sich vier einfache Schritte, die jedes Unternehmen befolgen kann, um eine solide Sorgfaltsprüfung der Menschenrechte durchzuführen:

1. Den aktuellen Prozess zur Risikobewertung analysieren. Bei der Überprüfung von Lieferanten sollten sich Organisationen folgende Fragen stellen: Umfasst das Screening eine Sorgfaltsprüfung der Menschenrechte? Wie lange dauert eine Bewertung? Welches sind die einzelnen Schritte? Wer ist dafür verantwortlich? Welche Daten werden gesammelt, und wie viele davon sind strukturiert? Wo liegen die Schwachstellen und Fehlerquellen? Wie viel Aufwand ist notwendig?

2. Sektor- und Regionenspezifische Frühindikatoren für Risiken verstehen. Die Risiken variieren von Sektor zu Sektor. Darüber hinaus ist es unwahrscheinlich, dass Lieferanten proaktiv über Verstöße informieren. Stattdessen müssen Unternehmen ein Verständnis für die Bedingungen bekommen, die zu einer hohen Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen führen. Die OECD und andere NGO stellen Übersichtskarten zur Verfügung, auf denen risikoreiche Gebiete und Produkte verzeichnet sind. Anhand dieser Karten sind Firmen in der Lage, einzuschätzen, wo ihre Bemühungen die größte Wirkung haben werden.

Diese Organisationen stellen darüber hinaus Referenzfragebögen zur Verfügung, mit deren Hilfe Indikatoren für Menschenrechtsverletzungen mit hohem Risiko ermittelt werden können. Die Informationen sollen es Unternehmen ermöglichen, eine einheitliche Datenstruktur aufzubauen, die für die Automatisierung des Prozesses von grundlegender Bedeutung ist.

Das Problem bei Freitextfragebögen besteht darin, dass einige Fragen – etwa wie viele Migranten eine Firma beschäftigt – in verschiedenen Formaten beantwortet werden können, beispielsweise als Prozentsatz, als Verhältnis oder als Gesamtzahl. Diese Daten zu konsolidieren und nutzbar zu machen, stellt einen signifikanten Aufwand dar. Eine einheitliche Datenstruktur ist der erste Schritt zur Lösung dieses Problems.

3. Identifizieren von Marken, Zertifizierungen oder Branchenverbänden, die helfen können. Die Reduzierung von Menschenrechtsverletzungen ist eine gemeinschaftliche Anstrengung. Unternehmen sollten mit Gleichgesinnten zusammenarbeiten, um „gute Akteure” auf die Whitelist und „schlechte” auf die Blacklist zu setzen.

4. Den Prozess automatisieren. Automatisierung ist der einzige Weg, um mit dynamischen Lieferketten Schritt zu halten. Organisationen sollten die vorhandenen Systeme zur Lieferantenüberprüfung und -kontrolle nutzen, um das direkte Lieferanten-Screening zu automatisieren. Diese Systeme können so erweitert werden, dass sie alle Lieferantenebenen einbeziehen. Auf diese Weise erhalten Unternehmen einen Rahmen für die reibungslose Erfassung relevanter Daten und die Automatisierung der Erstbewertung und des anschließenden Überwachungsprozesses.

Das Erfolgsrezept

Die Prüfung der Sorgfaltspflicht innerhalb der Lieferkette ist ein fortlaufender Prozess, der sich je nach Region, Sektor und Unternehmensgröße unterscheidet. Je nach Branche stehen möglicherweise Zertifizierungsstellen, Zertifikate oder verwaltete Whitelists zur Verfügung, bei denen es darum geht, die Gültigkeit dieser Zertifikate zu überprüfen.

In anderen Fällen muss das Unternehmen möglicherweise selbst Audits durchführen oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Validierung der gesammelten Informationen beauftragen. Auch Lieferketten sind dynamisch – Partnerschaften können ad-hoc oder dauerhaft sein.

Doch wenn Unternehmen jetzt Maßnahmen ergreifen, können sie den Anforderungen an die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette, die in den kommenden Monaten und Jahren unweigerlich auf sie zukommen werden, einen Schritt voraus sein und bleiben.


Bild: Cognizant

Maria Nikolaidou

ist Senior Business Consultant bei Cognizant.


Bild: Cognizant

Thijs van Krimpen

ist Industry 4.0 Architect bei Cognizant.

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