Höhere Lebenserwartung bei Progerie-Erkrankung

Es ist eine seltene genetische Krankheit. Wer an ihr leidet, hat nach heutigem Forschungsstand nur wenig Grund zur Hoffnung auf ein langes Leben. Betroffene des Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndroms (HGPS) zeigen schon im Kindesalter die typischen Anzeichen hohen Alters. Bereits als Kleinkinder leiden die Patienten unter Muskel- und Knochenschwund oder Haarausfall. Bald macht dann auch das Herz-Kreislauf-System Probleme. Bereits im Teenageralter verstopfen die Blutgefäße, die Atherosklerose nimmt überhand. Viele der Patienten sterben an einem Herzinfarkt, noch bevor sie das 20. Lebensjahr erreichen.

Internationale Forschung setzt neuen Fokus

Die genetischen Ursachen von Progerie sind gut bekannt. Bereits Anfang der 2000er-Jahre entdeckte man, dass ein Protein mit der Bezeichnung Lamin A dafür verantwortlich ist. Mutationen in jenem Gen, das dieses Protein kodiert, können zu einer Reihe von Erkrankungen führen – darunter auch Progerie. Bei den komplexen molekularen Mechanismen, die hinter dem Krankheitsverlauf stehen, tappen die Forschenden jedoch in vielen Fällen bis heute im Dunkeln. Bestehende Behandlungen bremsen den Krankheitsverlauf nur wenig, das mittlere Sterbealter liegt bei etwa 16 Jahren. Ein aktuell laufendes internationales Forschungsprojekt, das der Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des European Joint Programme on Rare Diseases (EJP RD) in Österreich fördert, könnte nun einen Fortschritt ermöglichen. Es fokussiert auf noch wenig bekannte Einflussgeber für den Verlauf der Krankheit – sogenannte nichtkodierende RNA.

Roland Foisner und sein Team am Zentrum für Medizinische Biochemie der Medizinischen Universität Wien und an den Max Perutz Labs Wien arbeiten mit Kollegen aus Schweden, Italien und Deutschland daran, die Bedeutung der microRNA bei Progerie zu untersuchen. Dass sie eine Rolle spielen könnten, wurde erst kürzlich in Studien herausgefunden – welche genau, ist allerdings weiterhin unklar. Die Wissenschaftler kooperieren in dem Projekt unter anderem mit der US-Patientenorganisation Progeria Research Foundation, die die einschlägige Forschung weltweit unterstützt.

Mehr Aufmerksamkeit für nichtkodierende RNA

Nichtkodierende microRNA ist im Gegensatz zum kodierenden Pendant nicht dazu da, Geninformation in Proteine zu übersetzen. Früher nahm man an, dass sie so etwas wie zellulärer Datenmüll sei. Die medizinische Forschung wird aber mehr und mehr auf ihre wichtigen regulatorischen Funktionen aufmerksam. Beispielsweise kann sie Gene „stummschalten“ und daran hindern, aktiv zu werden. Störungen in der Regulierung von microRNAs wurden bereits mit einer Reihe von Krankheiten, u. a. mit der Bildung von Tumoren, in Zusammenhang gebracht. „Wir sehen uns an, ob die Vorkommen von spezifischen Gruppen von nicht kodierenden RNAs bei Progeriepatient:innen verändert sind“, erklärt Foisner. „Gleichzeitig wollen wir den Grundstein für neue Therapieansätze liefern, die auf der Regulierung der micro-RNA basieren.“

Dazu haben Foisner und sein Team ein Mausmodell entwickelt, das die Krankheit in Teilen abbildet. „Bei einer genetischen Erkrankung produzieren alle Zellen das krankhaft mutierte Gen. Man weiß nicht, welche Konsequenz das in verschiedenen Zelltypen hat“, erklärt der Wissenschaftler. „In unserem Mausmodell konzentrieren wir uns auf einen Zelltyp – jenen, aus dem die Gefäßinnenhaut der Blutgefäße, das Endothel, besteht.“ Nachdem die kardiovaskulären Probleme oft die finale Todesursache der Erkrankung sind, war es für die Forscher naheliegend, diesen Zelltyp genauer zu untersuchen. Tatsächlich konnten bei den Mäusen mit der Progerie-Mutation in den Endothelzellen jene Krankheitsbilder beobachtet werden, die die Forschenden auch von menschlichen Patient:innen kennen.

MicroRNA hat Einfluss auf Zellalterung

Nun untersuchen die Wissenschaftler die molekularen Mechanismen, die mit der nichtkodierenden RNA in diesen Zellen in Verbindung stehen. „Eine Folge eines deregulierten Vorkommens von microRNA kann die Seneszenz sein. Der Anteil von seneszenten Zellen im Gewebe trägt zum gesamten Alterungsprozess des Organismus bei“, erklärt Foisner dazu. „Eine große Menge alternder und absterbender Zellen führt auch zu einer Vielzahl von Entzündungsreaktionen, die weitere Zellen schädigen und zu einem systemischen Problem werden können.“ Innerhalb der Zelle spielt nichtkodierende RNA etwa bei den Reparaturmechanismen der Chromosomen im Zellkern eine Rolle, die im Alter immer weniger effizient werden, wie Projektpartner:innen aus Italien herausgefunden haben. „Bei Progerie weiß man auch, dass viele Chromosomenänderungen vorliegen, was ein sekundärer Effekt der microRNA-Deregulierung sein könnte“, sagt der Wissenschaftler.

Erste Tests mit neuem Wirkstoff

Das Ziel ist nun, einen Wirkstoff zu entwickeln, der deregulierte microRNA im Blutkreislauf in Schach halten kann. So könnte die Zellalterung im Herz-Kreislauf-System gebremst und damit zumindest ein Teil der Symptomatik der Erkrankung unterdrückt werden. In einer vor Kurzem gestarteten Studie werden die Progerie-Mauszellen mit Substanzen versetzt, die die microRNA neutralisieren. Erste Ergebnisse sind vielversprechend: „Viele der krankhaften Veränderungen in den Zellen konnten teilweise wieder rückgängig gemacht werden“, erklärt Foisner. Um das Wirkprinzip zu verifizieren und näher zu untersuchen, müssen allerdings noch eine Reihe weiterer Studien an Tiermodellen erfolgen. Erst dann kann im Zuge einer klinischen Phase die Behandlungsmethode an Menschen erprobt werden. Eine vollständige Heilung ist mit Ansätzen dieser Art bei genetischen Erkrankungen nicht zu erwarten, betont Foisner. „In Kombination mit weiteren Therapien, die ebenfalls gerade in präklinischen Studien entwickelt werden, könnte die Unterdrückung bestimmter RNA-Gruppen die Lebenszeit der Progeriepatienten aber erheblich verlängern und ihre Lebensqualität verbessern.“

Über
Manakanatas C., Ghadge SK et al.: Endothelial and systemic upregulation of miR-34a-5p fine-tunes senescence in progeria. Aging (Albany NY) 2022;12;14(1):195–224.
Quelle
FWF - Der Wissenschaftsfonds
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