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Prozessionsstangen: Augenfälliges Zeugnis für die Religiosität und Kunstfertigkeit

Über die kirchliche Sphäre im Handwerk

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Regensburg, 11. Juli 2023

Bei der Fronleichnamsprozession zeigte sich über Jahrhunderte die ganze Gemeinde. Alle Gruppen präsentierten sich, auch die Zünfte und Bruderschaften. Sichtbarer Ausdruck dieses Bestrebens sind noch heute die in vielen Kirchen erhaltenen Stangen, die von den jeweiligen Gruppierungen bei Prozessionen mitgetragen wurden und die sich oft durch eine künstlerische Gestaltung auszeichnen.

Welche Zunft geht in der Reihe vorne, welche hinten?

Die Zünfte waren seit dem Mittelalter bis zur Einführung der Gewerbefreiheit im 19. Jahrhundert (in Bayern 1868) örtliche Zusammenschlüsse der einzelnen Handwerke. Diese Verbände, die berufliches und privates Leben streng regelten, hatten neben der ökonomischen, rechtlichen und sozialen aber auch eine kirchliche Sphäre; die religiösen Elemente hatten ihren festen Platz im Zunftleben: die gemeinsame Messfeier, das Andenken an verstorbene Zunftgenossen, an den Kirchen der großen Städte und Märkte unterhielten die Zünfte oft eigene Kapellen samt Altar. In den kirchlichen Prozessionen kam auch das soziale Gefüge der Gesellschaft sichtbar zum Ausdruck. Anhand mancherorts erhaltener Prozessionsordnungen lässt sich die Hierarchie innerhalb eines Gemeinwesens erkennen: Welche Zunft geht in der Reihe vorne, welche hinten?

Schildhaltende Engel an einer Kerzenstange; um 1500; Vilseck, Pfarrkirche St. Ägidius (Titelbild, sowie Foto 2 und 3). Bildnachweis: ©Bistum Regensburg, Abteilung Kunst und Denkmalpflege / Daniel Rimsl

Die „Stangerlsitzerheiligen“

Um in der langen Reihe einer Prozession sichtbar präsent zu sein, führten sie große Zunftkerzen oder Stangen mit, auf denen ihre Zunftzeichen angebracht; oft sitzt obenauf ein kerzenhaltender Engel oder eine Darstellung des Schutzheiligen der Zunft, weshalb sie auch als „Stangerlsitzerheilige“ bekannt sind. Seit dem späten 15. Jahrhundert sind Stangen erhalten, vor allem Kerzen- und Engelsstangen; besonderen Aufschwung hatte der Brauch in der Barockzeit, aber auch im 19. und 20. Jahrhundert wurden noch mit Skulpturen geschmückte Prozessionsstangen gefertigt.

Gebetsverbrüderungen und Andachtsbruderschaften

Zunft im wirtschaftlich-sozialen und Bruderschaft im religiösen Sinne waren im Mittelalter eng miteinander verbunden. Besonders ab dem 17. Jahrhundert, im Zuge der katholischen Reform, etablierten sich auch auf Betreiben der Jesuiten unabhängig vom Zunftwesen reine Gebetsverbrüderungen und Andachtsbruderschaften. Auch diese Vereinigungen ließen ihren Zusammenschluss bei der Prozession sichtbar werden. Die Bruderschaftsstäbe sind oft mit auf Blech gemalten oder geschnitzten Plaketten versehen, auf denen ihr spiritueller Gegenstand dargestellt ist: Das Herz Jesu, die Armen Seelen, der heilige Josef, die Rosenkranzgeheimnisse etc. Es finden sich aber ebenso große, geschnitzte Rosenkranzmadonnen an der Spitze der Stäbe.

Heilige Familie mit Zeichen der Bäcker, Mitte 18. Jahrhundert, Johann Peter Reber, Neustadt an der Waldnaab, Pfarrkirche St. Georg. Bildnachweis: ©Bistum Regensburg, Abteilung Kunst und Denkmalpflege / Philipp Meister.

Zunftstangen im Bistum Regensburg

Auch in vielen Kirchen des Bistums Regensburg haben sich Prozessionsstangen erhalten. Zu den ältesten bekannten Stücken gehören in Vilseck (Dekanat Amberg-Sulzbach) zwei spätgotische Konsolen einer Kerzenstange, die mit je drei schildhaltenden Engeln versehen sind; die Schilde zeigten wahrscheinlich ursprünglich die Zeichen der Zünfte. Zusammen mit 18 weiteren, großenteils barocken Stangen wurden sie kürzlich restauriert und sind nun in der Vilsecker Pfarrkirche St. Ägidius zu sehen. Die jüngsten Zunftstangen finden sich in der Weidener Sebastianskirche, die von 1994 bis 1997 geschaffen wurden. Als Beispiele aus dem reichen Schatz barockzeitlicher Prozessionsstangen sind hier einige der in der Pfarrkirche zu Neustadt an der Waldnaab (Dekanat Neustadt-Weiden) aufgestellten abgebildet.

Die Stangen haben ihre ursprüngliche Funktion meist abgelegt, aber sie sind weiterhin ein augenfälliges Zeugnis für die Religiosität und Kunstfertigkeit der Vorfahren.

Text: Dr. Daniel Rimsl, Fachstelle Inventarisierung, Abteilung Kunst und Denkmalpflege im Bistum Regensburg

Zunftstangen: Josef mit dem Zeichen der Sattler, Johann Peter Reber, Mitte 18. Jahrhundert; Neustadt an der Waldnaab, Pfarrkirche St. Georg. Bildnachweis: ©Bistum Regensburg, Abteilung Kunst und Denkmalpflege / Philipp Meister.



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