Gesundheitliche Ungleichheit – Armut verursacht & verschlimmert Krankheiten

Aus dem Dossier Familie & Gesellschaft

Gesundheitliche Ungleichheit: kaum ein Faktor hängt so stark mit unserer Gesundheit zusammen, wie der sozioökonomische Status. Insbesondere bei den häufigsten Erkrankungen (Herz-Kreislauf, Depressionen, Diabetes) ist eine Verbindung zur Armut durch verschiedenste Studien belegt.

 

Soziale Ungleichheit und Gesundheit hängen zusammen

In Deutschland herrscht Gleichberechtigung, zumindest theoretisch. In der Realität sieht die Sache jedoch anders aus:

Je niedriger die sozioökonomische Position eines Menschen, desto höher ist sein Risiko für psychische und körperliche Erkrankungen.

Besser gestellte Personen suchen sich zwar eher Hilfe bei gesundheitlichen Problemen, aber die schlechter gestellten Menschen sind häufiger krank. Auch das ist Teil gesundheitlicher Ungleichheit.

Was heißt das jetzt?

Sind soziale Ungleichheiten also der entscheidende Einflussfaktor für die körperliche und psychische Gesundheit eines Menschen?

 

Gesundheitliche Ungleichheit
– Was ist das?

Gesundheitliche Ungleichheit beschreibt die soziale Ungleichheit beim Ausbruch & Verlauf von Krankheiten und Gesundheitsrisiken. Die gesundheitliche Ungerechtigkeit beruht auf sozialen Ungleichheiten, die sich durch massive Benachteiligungen in Bildung, Berufswahl, Einkommenshöhe und Vermögensbildung zeigen.

(Vgl. auch Bildungsexpansion – mehr Bildung ist nicht die Lösung)

Das Gesundheitsrisiko ist bei den Ärmsten am stärksten ausgeprägt und nimmt mit steigendem sozioökonomischen Status kontinuierlich ab:

„Die Erkrankungsrisiken sind bei jenen Individuen am höchsten, die bei allen drei Indikatoren Schulbildung, berufliche Position und Einkommen am stärksten benachteiligt sind.“ (5).

 

Muster gesundheitlicher Ungleichheit

  • Soziale Unterschiede sind heute weniger sichtbar, manifestieren sich aber nach wie vor in gesundheitlichen Unterschieden & Ausgrenzung nach Bildung, Beruf, Einkommen und Vermögen.

  • Internationale Experten sind sich einig: gesundheitliche Ungleichheiten laufen & entwickeln sich parallel zu sozialen Ungleichheiten (5).

  • Gesundheitliche und soziale Ungleichheiten treten nicht punktuell auf, sondern umfassen die gesamte Lebensspanne eines Menschen. Der Beginn liegt meist in der Kindheit (Familienarmut) und lässt sich selbst durch soziale Aufstiege sehr schwer kompensieren.

  • Ungleichheiten spielen bei fast allen körperlichen & psychischen Krankheiten eine Rolle. Insbesondere bei den häufigsten Erkrankungen: Herz-Kreislauf-Beschwerden, Diabetes, Magenkrebs, Lungenkrebs, Depressionen, Angststörungen und Zahnkrankheiten.

  • In allen Ländern gibt es gesundheitliche Ungleichheiten, die auf sozioökonomische Faktoren zurückgehen

  • Gesundheitliche Unterschiede nach Sozialstatus verstärken sich in Krisen und Zeiten des politisch-gesellschaftlichen Wandels (Umbruch)

 

Untere Berufsschichten sind besonders häufig von Krankheiten jeder Art betroffen

Geld allein macht nicht glücklich. Trotzdem gibt es eine Kausalität zwischen niedrigem sozioökonomischen Status und schlechter Gesundheit, die man nicht klein reden kann.

Neuere Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit & Gesundheit (8) belegen deutlich, dass viele Krankheiten bei Menschen mit niedrigem Einkommen und Berufsstand gehäuft auftreten.

Bis 3 mal höher ist das Risiko zum Beispiel an Diabetes, Krebs oder Depressionen zu erkranken (10). Die Corona-Pandemie hat die gesundheitliche Ungleichheit übrigens auch gut dokumentiert:

“Schon in der ersten Jahreshälfte 2020 konnte Prof. Nico Dragano vom Institut für Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Düsseldorf im Rahmen einer Studie nachweisen, dass Langzeitarbeitslose ein 94 Prozent höheres Risiko aufweisen, mit einem schweren Coronaverlauf im Krankenhaus behandelt zu werden, als Menschen in einem regulären Beschäftigungsverhältnis” (10)

Vgl. auch: Fakten zu Kinderarmut 2023 – Überblick & zentrale Erkenntnisse

 

Aber nicht nur das gesundheitliche Risiko ist bei sozialer Benachteiligung viel höher. Auch:

  1. brechen Krankheiten früher aus,

  2. haben einen schwereren Verlauf

  3. und zeigen extremere Auswirkungen auf den Alltag & die soziale Teilhabe an der Gesellschaft (5).

 

Dafür gibt es mehrere Gründe, die mit dem sozioökonomischen Risikofaktoren zusammenhängen:

problematische Kindheit: schlechte Gesundheit durch unausgewogene Ernährung, dysfunktionale Erziehung, vermehrter Stress (11) etc.

  • schlechtes Gesundheitsverhalten (Genussmittel, Mangelernährung, Bewegungsmangel, keine Nutzung von Präventionsangeboten)

  • geringes Einkommen und darum wenig finanzielle Ressourcen zur Krisenbewältigung

  • geringe Lebensstandards durch materielle Deprivation (1)

  • psychosoziale Belastungen, wie zum Beispiel Zukunftssorgen, Ausgrenzung, gefühlte Armut (1)

 

Was bedeutet Armut in Deutschland?

Armut wird leider noch viel zu oft materiell definiert. Demnach sind diejenigen armutsgefährdet, die weniger als 60 % ihres Netto-Einkommens zum Leben zur Verfügung haben - was übrigens kaum für Miete, Haushalt, Essen, Strom, Kinder etc. reicht.

Oft wird Armut mit Arbeitslosigkeit oder Obdachlosigkeit gleichgesetzt. Doch das greift viel zu kurz. Denn auch atypische Arbeitsverhältnisse (Teilzeit, Leiharbeit, befristete Verträge, Solo-Selbstständigkeit) sind derart von sozioökonomischen Nachteilen geprägt, dass Betroffene an der Armutsgrenze kratzen.

Fachleute kritisieren an der konstruierten Armutsgrenze von 60% ihre Willkürlichkeit, weder Mindestbedarf noch Teilhabe-Chancen werden berücksichtigt.

Wie Depressionen auch, hat Armut verschiedene Gesichter & ist mehrdimensional. Und vor allem ist sie den wenigsten von Außen anzusehen. Armut heißt nicht, in zerschlissenen Klamotten herumlaufen und um Essen zu betteln.

Vgl. Absolute Armut – Jeder 10. Mensch auf der Welt von Existenzproblemen betroffen

Vgl. Kinderarmut Definition – relative Armut

 

Armut bedeutet:

  • schlechter Lebensstandard

  • mit gesundheitlichen Problemen

  • subtiler Stigmatisierung

  • weniger Bildungsmöglichkeiten

  • und fehlenden Perspektiven


 

Armut hat tief gehende psychische, emotionale und soziale Dimensionen, die das Leben Betroffener in vielfältiger Weise erschweren (11):


1) Armut heißt nicht einfach nur, wenig zu haben.

Relative Armut bedeutet langfristige Einschränkungen bei den ganz einfachen Dingen des Alltags: Ernährung, Bekleidung, medizinische Versorgung, soziale Sicherheit – das alles wirkt sich direkt auf die psychische Gesundheit von Kindern & Erwachsenen aus. Armut hat Einfluss auf das gesamte Leben eines Menschen.


2) Finanzielle Not erzeugt chronischen Stress

Armut geht mit finanzieller Not einher, die mit Stressbelastungen verbunden ist. Zukunftsängste & Sorgen sind in sozial benachteiligten Haushalten weit verbreitet und verursachen Dauerstress, der sich von den Eltern auf die Kinder überträgt.


3) Armut verhindert sozialen Austausch und Anerkennung

Fachleute sprechen vom Mangel an sozialer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Damit ist nicht gemeint, dass arme Menschen keine Freunde hätten und sich nie in Gruppen treffen.

Mangel an sozialer Teilhabe bedeutet, dass selbstverständliche Dinge einer Kultur wie Geburtstagsfeiern, Eis essen, Restaurant-Besuche, Urlaubsreisen, Theater oder Ausflüge für Menschen aus unteren Sozialschichten kaum möglich sind.

Während Mittel- und Oberschichten ihre Kinder mit absoluter Selbstverständlichkeit zur Nachhilfe, in den Sportverein, zu Klassenreisen, ins Kindertheater etc. schicken, sind Kids aus sozial benachteiligten Familien meist sich selbst überlassen. Einer der häufigsten Gründe: weil die Eltern viel arbeiten müssen, um den Lebensunterhalt zusammenzubekommen.

Evtl. auch interessant für dich: Positive Fehlerkultur für Kinder


4) Hohes Konfliktpotential in Armutsmilieus

Armut bringt auch häufiger Konflikte und psychische Belastungen mit sich, wie einige Untersuchungen zeigen konnten. Und das in allen relevanten Sozialbereichen: Familie, Nachbarschaft, Freundschaften, Partnerschaften sind vermehrt von Konflikten geprägt.

Vgl. auch: Soziale Armut – über Soziale Ungleichheit & Ausgrenzung


5) Armut führt zum Mangel persönlicher Ressourcen

Armut sorgt in Folge fehlender materieller und sozialer Ressourcen auch zum Mangel an persönlichen Ressourcen & Kompetenzen (kein Selbstwertgefühl, wenig Kohärenzsinn, fehlendes Zugehörigkeitsgefühl, Probleme bei der Selbstregulation & Selbstwirksamkeitserfahrung etc).


6) Armut fördert Krankheiten

Armut ist Ursache für ein erhöhtes Krankheitsrisiko durch vielfältige Belastungen: Fehlernährung, mehr Stress & Konflikte, finanzielle Unsicherheit, Bildungsbenachteiligung & ungesunder Lebensstil u.v.m.


 

Fazit:
Gesundheitliche Ungleichheit

Geld ist natürlich nicht mit Gesundheit gleichzusetzen. Nicht alle Menschen in prekären Verhältnissen haben Depressionen oder eine andere Krankheit. Und umgekehrt sind auch nicht alle Menschen aus wohlhabenden Verhältnissen kerngesund.

Aber es gibt deutliche Zusammenhänge, die nicht ignoriert werden dürfen. Die Armut in Deutschland hat sich in den letzten Jahren verfestigt (7).

 

Soziale Ungleichheiten ziehen einen Rattenschwanz an negativen Effekten mit sich, die sich auf verschiedenen Ebenen bis ins hohe Alter auswirken: Sozialleben, Arbeitsleben, Familienleben, Bildungskompetenz, Gesundheitsleben etc.

 

Hierzulande leben weit mehr Menschen in relativer Armut, als viele denken. Schließlich ist in Deutschland jedes 4. oder 5. Kind von Armut betroffen, bei den Erwachsenen ist ungefähr jeder 5. armutsgefährdet.

Das ist eine enorme Zahl. Und nicht mal die reale Zahl, wenn noch veraltete Armutsdefinitionen angesetzt werden.


Quellen:

1) Thomas Lampert, Claudia Schmidtke: Armut, soziale Ungleichheit und psychische Gesundheit (RKI Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring)
2) Psylex: Klinische Depression stark verbunden mit sozioökonomischen Bedingungen (Studie im BMC Medicine, August 2011)
3) Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Siegfried Geyer: Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit (doi:10.17623/BZGA:224-i109-1.0)
4) Statistisches Bundesamt: Datenreport 2021 – Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung (Auszug)
5) Deutsches Ärzteblatt: Epigenetik: Wie Armut auf Dauer psychisch krank macht (2016)
6) Neurologen und Psychiater im Netz: Armut - Risikofaktor für die psychische Gesundheit (2013)
7) Bundeszentrale für politische Bildung: Oben - Mitte – Unten. Zur Vermessung der Gesellschaft (APuZ-Edition)
8) Isabel Fannrich-Lautenschläger: Lebenserwartung – Wie Armut und Gesundheit zusammenhängen
9) Psylex: Kinderarmut verbunden mit Gehirnveränderungen (Studie 2016)
10) Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V.: Diskussionspapier zum Kongress Armut und Gesundheit 2022 (22. - 24. März 2022)
11) RKI Gesundheitliche Ungleichheit in verschiedenen Lebensphasen – Gesundheitsberichterstattung des Bundes gemeinsam getragen von RKI und Destatis (2017)

Tamara Niebler – Redaktion Deutsche Lebensbrücke

Tamara ist studierte Philosophin & freie Journalistin. Sie unterstützt unsere Redaktion mit jeder Menge Fachwissen & philosophischen Denkanstößen.

Tamaras Motto: “Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen” (Franz Kafka)

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