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Psychologie im Arbeitsleben

Beiträge mit dem Tag: Arbeitsplatzverlust

Nehmen uns Maschinen bald die Arbeitsplätze weg?

New York – Automatisierung als Bedrohung oder Bereicherung?

von Holzmeier, Blackert und Stroff (1. Semester Master Psychologie – Human Performance in Sociotechnical Systems, Technische Universität Dresden)

Der Begriff „New Work“ bezeichnet eine neue und vielseitige Strömung in der Arbeitswelt: Nach einer vorgenommenen Systematisierung durch Aroles et al. (2019) vereinen sich unter diesem Begriff innovative Arbeitsdesigns, die mit dem Voranschreiten der Technologien einhergehen, sowie Veränderungen in rechtlichen, ökonomischen, politischen, kulturellen und institutionellen Dimensionen. Als Beispiele anzuführen sind neue Formen der Arbeitsanstellungen, neue Konzepte der Arbeitszeiteinteilung und Arbeitsplatzgestaltung, neue Ansätze zu digitalem, kollaborativem Arbeiten und die einhergehende Vermischung von Privatleben und Beruf.  

In Verbindung mit “New Work” wird oft der Begriff der Automatisierung genutzt.

Automatisierung bezeichnet ein System, welches selbstständig Ziele bildet, Ziele verfolgt und sich im Zustand des Zielstadiums selbst aufrechterhält (Weller, 2009). 

Häufige Begriffe, die mit dem Konzept der Automatisierung einhergehen.

Nach Hacker (2016) fallen mit der Automatisierung von menschlichen Arbeitstätigkeiten nicht nur einfache motorische Arbeitsanforderungen weg; auch Teile der Wissens- und Denkarbeit können zukünftig von automatisierten Systemen übernommen werden. Daher verändern sich die Anforderungen an den/die menschlichen Arbeitnehmer*innen, wichtiger werden zum Beispiel die Identifikation und das Lösen von Problemen. Einhergehend ändern sich Modularität, (zeitlicher) Aufwand und Lokalität von Arbeitsleistungen.

Diese Überlegungen legen zwei zentrale Fragestellungen nah: 

  • Führt eine teilweise oder vollständig ausgeführte Automatisierung zum Verlust von Arbeitsplätzen in den Bereichen manueller und Wissens-, und Denkarbeit?
  • Finden wir in der Industrie 4.0 veränderte Kompetenzanforderungen an den Arbeitenden? 

Diese beiden Fragen sollen unter Zuhilfenahme der Literatur und einer Expertenstimme aus der Industrie betrachtet werden.

Dazu sprachen wir mit Stephan Götze, einem Sondermaschinenbauer und dem Leiter der Automation bei der Firma KRÖNING. Das sächsische Unternehmen, 1991 gegründet, spezialisiert sich auf die Projektierung und Herstellung von kompletten Automatisierungslinien in der Nahrungsmittelindustrie. Dies beinhaltet nicht nur die mechanische Konstruktion, sondern auch die Realisierung von sensorischer Vollüberwachung und Softwareentwicklung und somit die Lieferung einer vollständigen Prozesslinie an den Endkunden. Das Unternehmen beschäftigt aktuell 60 Mitarbeiter*innen und wird durch die stetig wachsende Auftragslage in den nächsten Jahren noch weiterwachsen (Götze, 2019).

Unsere erste Fragestellung bezieht sich auf den möglichen Verlust von Arbeitsplätzen in den Bereichen manueller und Wissens-, und Denkarbeit, durch eine teilweise oder vollständig ausgeführte Automatisierung.

Dass Maschinen die Arbeit der Menschen übernehmen könnten, ist keine neue Befürchtung: In den vergangenen zwei Jahrzehnten gab es immer wieder Aufschreie, dass vor allem die typischen Mittelklasse-Berufe ausgelöscht werden können. Ein besonders prägnantes Beispiel dafür ist der Luddismus, Anfang des 19. Jahrhunderts. Englische Textilarbeiter*innen zerstörten Maschinen, um gegen die Automation und den damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel zu protestieren (Horn, 2005). 

Heutzutage gibt es einige Theorien, die ähnliche Ängste ausdrücken: In dem viel diskutierten Buch “The Second Machine Age” (Brynjolfsson & McAfee, 2014) werden die negativen Auswirkungen der Automatisierung auf Arbeitsplätze beschrieben:  Die stark wachsende Digitalisierung führe dazu, dass Unternehmen bestimmte Arbeiten von Maschinen erledigen lassen können, Arbeitsplätze also wegfallen würden.

Autor argumentiert in seinem Paper “Why Are There Still So Many Jobs? The History and Future of Workplace Automation”, 2015, hingegen, dass es nie eine bessere Zeit für Fachkräfte gab: Mit den richtigen Kompetenzen kann man in Zusammenarbeit mit der Technologie Wert erschaffen und erhalten. Mit einer begrenzten oder fehlenden Ausbildung habe man jedoch weit weniger Chancen auf dem sich neu entwickelnden Arbeitsmarkt:

Automatisierte Systeme können diese Aufgaben übernehmen. 

Unterstützt wird Autors These durch die Tatsache, dass man in der Vergangenheit nicht beobachten konnte, wie Automatisierung dazu geführt hat, dass Arbeitsplätze weggefallen sind, ohne das andere, neue Stellen als Resultat der Automatisierung entstanden sind. Als Beispiel für diesen Effekt berichtet Jackson (1993) von dem Wandel auf den Straßen der vereinigten Staaten in der 1920ern: Während motorisierte Wagen zunehmend die Kutschen ersetzten, wuchs das Geschäft mit Motels und Fast-Food-Läden an Straßenrändern, die von den Autofahrern profitieren konnten.

Dadurch, dass die Automatisierung den Output steigert und den Arbeitsplatz um neue Funktionen erweitern kann, gibt es eher einen gesteigerten Bedarf an Arbeitskräften. Zudem führen Produktivitätssteigerungen in einem Arbeitsbereich zu einer Steigerung des wirtschaftlichen Wertes der dazugehörigen Arbeitsbereiche (Autor, 2015). 

Aufgaben, die nicht durch automatisierte Systeme ersetzt werden können, wie Kreativarbeit, werden durch sie ergänzt: Die meisten Arbeitsprozesse profitieren von menschlichem und maschinellem Input, wie technischem Können, aber auch Kreativität und Intuition. Von Regelwissen, aber auch von Inspiration, etc.. Diese verschiedenen Inputs sind alle wichtig und wenn es Verbesserungen in einem der Input-Bereiche gibt, sind die anderen Bereiche dadurch nicht obsolet (Autor, 2015). 

Nach Autor, 2015, werden regelbasierte, routinierte Arbeiten in der typischen manuellen, Wissens- und Denkarbeit sicherlich durch die Automatisierung wegfallen. Berufe, die eine Mischung aus vielfältigen Fähigkeiten erfordern, werden voraussichtlich jedoch nicht durch die Automatisierung überflüssig gemacht, sondern nur verändert. Berufe, die Routineaufgaben mit Nicht-Routineaufgaben kombinieren, werden von so genannten “new artisans” übernommen. Diese kombinieren flexibel technische und zwischenmenschliche Aufgaben (Friedman, 2010).  Diese positiveren Zukunftsvorhersagen stimmen mit den Aussagen von Herrn Götze (2019) überein: Viele Arbeitsplätze existieren bereits in Zusammenarbeit mit automatisierten

Systemen, wenig Arbeitsplätz fallen weg (Götze, 2019). Weiterhin gibt es einen Mangel an Arbeitskräften, die die Berufe ausführen wollen, die man jetzt automatisieren kann. Gründe dafür sind, dass die Arbeitstätigkeiten herkömmlicherweise eher monoton und weniger gut bezahlt sind (Götze, 2019). Durch die Implementierung von produktiveren Systemen können sich die Unternehmen am Markt beweisen und vielleicht sogar wachsen (Götze, 2019).  Und obwohl Herr Götze nicht wirklich einen Wegfall an Arbeitsplätzen beobachtet hat, bestätigt er eine Verschiebung des Tätigkeitsfelds.

Nun schließt sich die Frage an, ob und in welche Richtung sich Kompetenzprofile in der Industrie 4.0 verändert haben. 

Generell werden Kompetenzprofile der Industrie 4.0 in der Literatur noch nicht umfassend behandelt. In der Diskussion um Kompetenzveränderung und Mitarbeiter*innenqualifizierung werden in der Literatur verschiedene Entwicklungsszenarien prognostiziert:

Dabei scheint es einerseits einen Kompetenzverlust vor allem in weniger qualifizierten Berufen zu geben. Dieser folgt einer starken Segmentierung des Arbeitsmarktes, einer „Polarisierung“ (Hirsch-Kreinsen & ten Hompel, 2015), d.h. einem wachsenden Anteil an

Tätigkeiten auf hohem sowie niedrigem Qualifizierungsniveau, einer Erosion des mittleren Qualifizierungsniveaus. Hacker (2016) beschreibt hier bildlich: „aus Handwerkern […] werden Teileaustauscher“. Bei dem „Upgrading von Qualifikationen“ (Hirsch-Kreinsen & tenHompel, 2015) wird der Wegfall von weniger qualifizierten Tätigkeiten, sowie ein Kompetenzzugewinn für Beschäftigte mit höheren Qualifizierungsniveaus beschrieben. 

Im Gespräch mit dem Praktiker finden wir diese Tendenzen wieder: unqualifizierte Arbeitende fänden im Unternehmen andere niedrig qualifizierte Jobs. Weiter noch, Unternehmen würden gezielt Arbeitskräfte auf diesem Qualifizierungsniveau suchen, aber oft schwer besetzen können (Götze, 2019). So scheint es nicht nur in der Literatur angenommen zu werden (z.B. Hacker, 2016), sondern auch in der Praxis ersichtlich, dass sich eine Automatisierung in genannten Bereichen finanziell im Prinzip nicht lohnen würde. Götze schlussfolgert, Automatisierung sei somit „häufig kein Verdränger, sondern [..] oft genug die Lösung diese Arbeit überhaupt erledigt zu bekommen“ (Götze, 2019).

Neben einem Kompetenzverlust finden sich theoretisch auch Szenarien, welche eine Kompetenzverschiebung und Kompetenzerweiterung beschreiben. Hirsch-Kreinsen und tenHompel (2015) beschreiben ein „Upgrading“ als Prozess bezogen auf alle Beschäftigungsgruppen. Durch die Verbesserung von Jobprofilen ergäbe sich ein Netzwerk aus gleichberechtigt agierenden Beschäftigten, die Problem- und Situationsbezogen arbeiten würden, in der Literatur findet man den Begriff der „Schwarm-Organisation“ (HirschKreinsen & ten Hompel, 2015).

Konkrete Kompetenz-Modelle, wie sie bei Grzelczak, Kosacka und Werner-Lewandowska(2017) oder Prifti, Knigge, Kienegger und Krcmar (2017) zu finden sind, beschreiben Kompetenzprofile, v.a. neue Wertigkeit und Verknüpfungen von Kompetenzen auf höheren Qualifizierungsebenen, im Bereich des Unternehmertums oder der Führungsebenen. Dabei werden u.a. sowohl Kompetenzprofile, relevante technologie-bezogene Kompetenzen (wie Problemlösefähigkeit, lebenslanges Lernen, Kommunikation), personelle sowie interpersonelle Kompetenzen (wie Proaktivität, Adaptivität, Resilienz) diskutiert (Beckett & Daberkow, 2019). 

Auch auf der Ebene der Arbeitenden hat eine Verschiebung der Kompetenzanforderungen stattgefunden. Um eine gute Mensch-Maschine-Interaktion zu gewährleisten ist ein Fokus auf den Erwerb von technischem Know-How, Soft-Skills (z.B. Kommunikationsfähigkeit), Methodenkompetenz, Problemlösefähigkeit und Kreativität sei für die Arbeit in der Industrie 4.0 besonders relevant (Hermann et al., 2017). 

In unserem Gespräch mit Herrn Götze legten wir einen Fokus auf Kompetenzerwerb für den Operator durch Implementierung von Automatisierung. Die Praxiserfahrung zeigt dabei die Anforderung auf, komplexes Systemverständnis entwickeln zu müssen. Einerseits soll dies durch intuitiv bedienbare Maschinen erleichtert werden, andererseits aber auch durch unternehmensinternes Produkt- und Fachwissen zu einer guten Job-Performance führen.

Dies gelte auf allen Ebenen, sowohl in der Ausführung als auch in der Technik- sowie Produktkontrolle. Dieser Kompetenzerwerb sei, laut Götze, auf allen Ebenen wünschenswert. 

Dennoch bestehen Zweifel, inwieweit komplexes Systemverständnis auf Ebene des Operators entstehen und gefördert werden könne. Mitarbeiter*innen werden in den Unternehmen (von den Automatisierungstechnikern selbst) an den Systemen geschult, externe Mitarbeiter*innen würden sich sowohl finanziell als auch bezüglich der unternehmensinternen Expertise nicht lohnen (Götze, 2019). 

Weiterhin spricht Götze auch von unflexibler Personalpolitik: Personal anzupassen sei schwierig, Fachkräfte seien teuer und schwierig zu implementieren (Götze, 2019). Auch Abel und Wagner (2017) zufolge seien Unternehmen personalpolitisch nicht auf die veränderte Kompetenzanforderungen durch Industrie 4.0 vorbereitet. Zwar seien Instrumente zur Bedarfsermittlung vorhanden, nur würden sie ungenügend oder gar nicht eingesetzt (Abel & Wagner, 2017). 

Da mehr Automatisierung mehr Output und damit eine Wertsteigerung des Unternehmens, sowie neue Arbeitsplätze generiert, ist der Arbeitsplatzverlust bei weitem nicht so hoch, wie häufig befürchtet. Der größte Vorteil des Menschen gegenüber einer Maschine ist die menschliche Vielfältigkeit: Menschen sind fähig eine Routine einzuhalten, aber auch aus ihr auszubrechen, sie können Regeln und ihrer Intuition folgen und besitzen zwischenmenschliches Verständnis.  

Diese neu entstehenden Arbeitsplätze erfordern neue Kompetenzprofile. Neben technischem Wissen und Fähigkeiten werden Methodenkompetenz, Kreativität und Soft Skills immer wertvoller, um von technischen Systemen unterstützt und nicht ersetzt zu werden. 

Sowohl aus Literatur als auch Praxis geht jedoch hervor, dass ein begrenztes Verständnis der aktuellen Situation und Bedürfnisse, teure externe Fachkräfte und ein unflexibles Personalwesen den Prozess hin zu den nötigen Um- und Weiterbildungen aufhält. 

Gerade an diesem Punkt ist ein fehlender Plan leider besonders gefährlich. Menschen, deren Arbeitsplatz in der Tat bedingt durch Automatisierung weggefallen ist oder verändert wurde, müssen trotzdem noch die Möglichkeit haben weiterhin am Arbeitsmarkt teilnehmen zu können.  

Abschließend sollte auch beachtet werden, dass sich die Erfahrungen aus der Praxis hier auf größere Unternehmen beziehen. Die Fragen zu Substituierung von Arbeitsplätzen und Kompetenzerwerb sollten auch branchenspezifisch betrachtet werden: Treffen die genannten Überlegungen auch auf kleine und mittelständische Unternehmen zu? 

Referenzen:

Abel, J., & Wagner, P. S. (2017). Industrie 4.0: Mitarbeiterqualifizierung in KMU. WT Werkstattstechnik, 107(3), 134–140.

Aroles, J., Mitev, N., & de Vaujany, F. X. (2019). Mapping themes in the study of new work practices. New Technology, Work and Employment, 34(3), 285-299.

Autor, David H. (2015). Why are there still so many jobs? The history and future of workplace automation. Journal of economic perspectives, 29(3), 3-30.

Brynjolfsson, E., & McAfee, A. (2014). The second machine age: Work, progress, and prosperity in a time of brilliant technologies. WW Norton & Company.

Beckett, R., & Daberkow, T. (2019). Work 4 . 0 and the Identification of Complex Competence Sets Sets. In MWAIS 2019 Proceedings.

Friedman, T. L. (2010). The election that wasn’t. New York Times, 23.

Grzelczak, A., Kosacka, M., & Werner-Lewandowska, K. (2017). Employees Competences for Industry 4.0 in Poland– Preliminary Research Results. 24th International Conference on Production Research (ICPR), 139–144. https://doi.org/10.12783/dtetr/icpr2017/17598

Hacker, W. (2016). Vernetzte künstliche Intelligenz/Internet der Dinge am deregulierten Arbeitsmarkt: Psychische Arbeitsanforderungen. Journal Psychologie des Alltagshandelns, 9, 4-21.

Hermann, T., Hirschle, S., Kowol, D., Rapp, J., Resch, U., & Rothmann, J. (2017). Auswirkungen von Industrie 4.0 auf das Anforderugsprofil der Arbeitnehmer und die Folgen im Rahmen der Aus- und Weiterbildung. In V. P. Andelfinger & T. Hänisch (Eds.), Industrie

4.0, Wie cyber-physische Systeme die Arbeitswelt verändern (pp. 239–254). Wiesbaden:

Springer. https://doi.org/10.1093/rsq/1.1.1

Hirsch-Kreinsen, H., & ten Hompel, M. (2015). Digitalisierung industrieller Arbeit,

Entwicklungsperspektiven und Gestaltungsansätze. In B. Vogel-Heuser (Ed.), Handbuch

Industrie 4.0. Berlin, Heidelberg: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-45537-1

Horn, J. (2005). Machine-breaking in England and France during the Age of Revolution. Labour/Le Travail, 55, 143-166.

Jackson, K. (1993). The world’s first motel rests upon its memories. Seattle Times.

Prifti, L., Knigge, M., Kienegger, H., & Krcmar, H. (2017). A Competency Model for “Industrie

4.0” Employees. In J. M. Leimeister & W. Brenner (Eds.), Proceedings der 13. Interantionalen Tagung Wirtschaftsinformatik (pp. 46–60). St. Gallen. Retrieved from https://www.wi2017.ch/images/wi2017-0262.pdf

Weller, W. (2009). Automatisierungstechnik im Überblick: Was ist, was kann Automatisierungstechnik? Beuth Verlag.

Autor: s7228601 | 17. April 2020 | 15:56 Uhr

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