BAG: Kein uneingeschränktes "Recht auf Nichterreichbarkeit des Arbeitnehmers in der Freizeit" BAG, Urt. v. 23.8.2023, 5 AZR 349/22 Leitsatz: Ist dem Arbeitnehmer auf der Grundlage der betrieblichen Regelungen bekannt, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung für den darauffolgenden Tag in Bezug auf Uhrzeit und Ort konkretisieren wird, ist er verpflichtet, eine solche, per SMS mitgeteilte Weisung auch in seiner Freizeit zur Kenntnis zu nehmen. U.a. hat das BAG dazu ausgeführt: - Der Arbeitnehmer musste im Rahmen der geschuldeten Mitwirkungspflicht nicht ununterbrochen erreichbar sein. Es blieb ihm überlassen, wann und wo er von der SMS mit der Weisung Kenntnis nehmen wollte. Er war keineswegs verpflichtet, den gesamten Tag auf sein Mobiltelefon zu schauen und sich dienstbereit zu halten. - Bei der Kenntnisnahme der Weisung handelt es sich nicht um Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtliche Sinne. Der Arbeitnehmer kann frei wählen, zu welchem Zeitpunkt er die Weisung zur Kenntnis nimmt. Der eigentliche Moment der Kenntnisnahme der SMS stellt sich als zeitlich derart geringfügig dar, dass auch insoweit von einer ganz erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der freien Zeit nicht ausgegangen werden kann. Link zum frisch veröffentlichten Volltext des Urteils in den Kommentaren.
Danke fürs Teilen, Dr. Artur Kühnel. Die Entscheidung ist vor allem in Bezug auf die Frage, was über die Normalarbeit hinaus Arbeit im Sinne des ArbZG ist, sehr spannend. Das bloße Lesen einer SMS stellt also keine wesentliche Einschränkung der Freizeit (also ein „Freizeitopfer“) dar. Unabhängig vom Ergebnis ist es sehr erfreulich, dass es hierzu endlich eine höchstrichterliche Entscheidung gibt, zumal sich Vergleiche mit anderen Tätigkeiten (z.B. Lesen einer E-Mail nach Feierabend) aufdrängen.
M.E.n. ein wirklich sehr spezieller Fall, der hier entschieden wurde. Da ist aus rein objektiver Sicht die Frage, wie "dehnbar" das Ganze ist. Der nächste Fall wird sich dann wahrscheinlich mit einem Tatbestand beschäftigen. der über die reine Kenntnisnahme hinausgeht und z.B eine konkrete Aktion des AN (z.B. "mehrminütige" Formulierung einer Rückmeldung) mit sich zieht. Nach meiner Auffassung wird es dann schwierig, das vorliegende Urteil des BAG als Maßstab zu nehmen.
Den Zeitansatz als nicht wesentlich bezeichnen, aber beim "Diebstahl" von elektrischer Energie durch das Laden des privaten Smartphones kommt es nicht auf die 0,007 Cent an, sondern auf den Tatbestand. Ich halte die Gesetzgebung nicht für sehr konsistent.
Dr. Artur Kühnel Eine zaghafte „Öffnung“ durch das BAG wäre natürlich zu begrüßen, noch besser wäre aber eine grundlegende Reform des ArbZG. Ich denke darauf können wir uns alle verständigen 😉
Na, dann wissen wir das jetzt auch. 🤣 Hätte man sich allerdings auch denken können. So mit Menschenverstand. Aber immerhin "ein Aktenzeichen" zum Nachlesen und Verstehen, wie das Gericht das sieht. 👍
...auch aus Kundensicht (eines ambulanten Intensivpflegedienstes) erfreulich bezüglich ad hoc-Vertretungen im Krankheitsfall. Vielfach üblich ist, daß die Eltern der intensivpflegebedürftigen Kinder einspringen müssen. www.intensivkinder.de
Da atmen einige gerade aber auf.
Endlich mal wieder ein Urteil mit klarem Menschenverstand. 👍
Pragmatisch und lösungsorientiert. Sehr gut.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht - Experte für Ihre arbeitsrechtlichen Fragestellungen
5moLink zum Volltext: https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5-azr-349-22/