7 Fragen an... Julia Prasse

7 Fragen an... Julia Prasse

Julia Prasse ist Head of Marketing bei Ein guter Verlag, Autorin des Instagram-Kanals @einguterplan sowie Co-Autorin des SPIEGEL-Bestsellers Das große Buch der guten Gedanken. In ihren Texten hat sie eine ganz eigene Version von Selbstmitgefühl entwickelt: empathisch, inspirierend und mit einem tiefen Verständnis für die Herausforderungen unserer Zeit. Als neurodiverse Person und alleinerziehende Mutter kommen die Erkenntnisse nicht von ungefähr und lassen immer auch etwas Persönliches mitschwingen. 

Julias Ziel als Marketingchefin ist es, den größtmöglichen Mehrwert durch (Selbst-)Reflexion zu schaffen und sich dadurch zwischen den Zeilen gegen die Leistungsgesellschaft aufzulehnen. Der ganzheitliche Terminkalender Ein guter Plan sowie weitere Veröffentlichungen des Verlags haben bereits hunderttausende Menschen inspiriert, achtsamer zu leben und Selbstliebe und -reflexion zu etablieren – fernab von Kitsch und Klischees.

In Kürze erscheint das Nachfolgewerk zu ihrem Bestseller Das große Buch der guten Gedanken: Das große Buch der Selbstreflexion, geschrieben von den SPIEGEL-Bestseller Autor*innen Lena Kuhlmann und Jan Lenarz, wird Ende September veröffentlicht.

Danke für das inspirierende Interview und Deine wertvollen Perspektiven, liebe Julia.

1. Was bedeutet der Begriff »(Selbst-)Reflexion« für Dich?

Mit dem Begriff assoziiere ich das Innehalten und »Einchecken« in die innere Welt, die im regulären Alltag meist auf stumm geschaltet ist. Das hört sich jetzt sehr groß an, aber oft geht’s dabei erstmal »nur« um Grundbedürfnisse. Eine für mich typische Mini-Reflexions-Gedankenkette sieht beispielsweise so aus: »Wie geht es mir gerade? – Oh, so richtig fit fühle ich mich nicht, keine Ahnung, warum. – Hast du ausreichend Wasser getrunken? – Nur, wenn Kaffee zählt. – Hast du gut gegessen? – Naja, zwei Lakritz-Fischis und ‘ne Tütensuppe. – Achso.«

Damit habe ich also zumindest ein paar achtsame Sekunden verbracht, indem ich mich auf mein gegenwärtiges Gefühl konzentriert habe – und dabei gleich noch den Grund gefunden, warum nicht alle meine Ampeln auf Grün stehen. Selbstreflexion beginnt für mich bei den Grundbedürfnissen, weil diese erheblichen Einfluss auf unser Befinden haben. Das ist logisch, aber vielen Menschen gar nicht so richtig bewusst.

Weiter gedacht geht es für mich natürlich um noch viele andere Aspekte des Lebens, die man sich mit regelmäßiger Selbstreflexion und den Erkenntnissen daraus für sein eigenes Leben maßschneidern kann. Man erkennt ungesunde Muster im eigenen Verhalten, wichtige Bedürfnisse – und wenn man seine Selbstreflexion in Beziehungen ehrlich teilt, ist das ein Zugewinn für Nähe und Verbundenheit. Mit der Frage »Wie geht es mir denn heute?« fängt Vieles an. Ein tolles »Tool« fürs Leben, für das man lediglich ein Gehirn benötigt.

2. Welche Rolle spielt (Selbst-)Reflexion in Deiner (täglichen) Arbeit?

Alle unsere Produkte beinhalten einen Teil zur Reflexion, daher bin ich thematisch täglich sehr viel in das Thema involviert. Und auch im direkten Marketing erstellen wir oft Gratis PDFs für Reflexionen zu einem bestimmten Thema, aktuell ein Booklet für Studierende. Man könnte sagen, aus Reflexion entstehen unsere Ideen, und meist ist sie auch Teil der Umsetzung. Wir sind quasi Selbstreflexions-Ultras. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass wir das reflektierteste oder achtsamste Team der Welt sind. Obwohl das jetzt natürlich sehr reflektiert klingt.

3. Status Quo Analyse: Was glaubst Du, warum viele Menschen und Organisationen sich mit (Selbst-)Reflexion schwer tun?

Um wirklich reflektiert zu agieren, muss man offen dafür sein, sich sowohl verletzbar zu zeigen als auch Fehler einzugestehen – und vielleicht auch unbequeme Dinge und Gedankengänge zuzulassen bzw. auszusprechen. Das ist in unserer Gesellschaft nicht wirklich vorgesehen. Gerade in Organisationen wird selten hinterfragt, das lässt sich oft in zermürbenden Prozessen großer Konzerne beobachten. Dort wird jemand, der Fehler eingesteht und offen kommuniziert, oft als schwach und zu weich eingestuft. Da es auch genug Menschen gibt, die solche Situationen ausnutzen und Machtspielen den Vorrang geben, ist man in Bubbles und sozialen Umfeldern, in denen Selbstreflexion nicht so auf der Tagesordnung steht, natürlich eher gehemmt, diese zu etablieren. Das ist nachvollziehbar. Dabei bin ich der Überzeugung, dass durch Reflexion und deren Erkenntnisse sehr viel zum Guten gewandelt werden kann. Aber das funktioniert eben nicht, wenn man nicht bereit ist, sich auch andere Perspektiven und Realitäten anzuhören. 

4. Blick in die Zukunft: Wie soll in fünf Jahren in Beruf und Alltag mit (Selbst-)Reflexion umgegangen werden – und was braucht es, um das zu erreichen?

Ich würde mir wünschen, dass ein gesunder Grundanspruch der Selbstreflexion geschaffen wurde und dieser in Bildung, Kommunikation, Arbeitswelt und sozialem Umgang in unserer Gesellschaft verankert ist. Aber ganz ehrlich, dann wären wir wahrscheinlich schnell nahe an einer Revolution.

Trotzdem denke ich, dass gerade in Bezug auf mentale Gesundheit wichtig wäre, im Bildungswesen anzufangen. Wenn Kindern Selbstreflexion selbstverständlich gemacht wird, kann ich mir vorstellen, dass ganz von allein ein Wandel angestoßen wird, der auf die Bedürfnisse von vielen einzahlt. In manchen Schulen gibt es bereits regelmäßige Reflexionsgespräche, allerdings sind diese vornehmlich auf Leistung bezogen. Ich denke, wenn man den Kindern Übungen und Werkzeuge für Selbstreflexion nahe bringt, wäre das ein großer Gewinn für Resilienz und mentale Gesundheit. 

5. Welche Verbindung siehst Du zwischen (Selbst-)Reflexion und Mindfulness?

Diese Dinge gehören für mich untrennbar zusammen. Man kann sich nun über Begrifflichkeiten streiten, ob in einem Moment »achtsam sein« gleich bedeutet, zu reflektieren, aber im Grunde ist Achtsamkeit ohne (Selbst-)Reflexion nicht möglich. Und wer reflektiert, ist nun mal achtsam in diesem Vorgang. Ob man nun möchte oder nicht. :)

6. Praktizierst du Mindfulness – wenn ja, in welcher Form?

Heimlich wäre ich gern ein Mensch, der jetzt eine durchdachte, knallharte Achtsamkeitsroutine zum Besten geben könnte, aber ich habe gelernt, dass ich eben nicht dieser Mensch bin. Jedoch: Ganz im gegenwärtigen Moment zu sein und eine Bestandsaufnahme von dem zu machen, was gerade so los ist, gehört zu meinem Leben wie Zähneputzen. Das hilft mir sehr, mich besser meinen eigenen Bedürfnissen zu nähern. Ganz bewusst als Aktion passiert das, indem ich mich immer mal wieder herausnehme und durchatme. Oder auch einen bewussten Spaziergang mache.

Teil meiner Arbeit ist es, sich achtsam mit diversen Aspekten des Lebens auseinanderzusetzen, beim Schreiben der Texte reflektiere ich automatisch sehr viel für mich gleich mit. Ich finde Meditation super, im ursprünglichen Sinne ist es aber für mich ein Kampf, sie umzusetzen. Also finde ich das Loslassen von Gedanken eher in anderen Beschäftigungen wie monotonen Handarbeiten oder Malen. Und manchmal eben auch im Staubsaugen. Ich denke, wenn man bereit ist, sich wertfrei auf den Moment einzulassen, kann man in sehr vielen Dingen Mindfulness und Achtsamkeit praktizieren. Was ich aber tatsächlich als regelmäßige Routine ausübe, ist Journaling. Um Gedanken zu sortieren und vor allem auch Dankbarkeit zu schulen. 

7. Inwiefern braucht es Deiner Meinung nach mehr Mindfulness in der (Arbeits-)Welt?

Gerade bezogen auf permanenten Leistungsdruck, der zurzeit an Unis und Schulen seine Konsequenzen auslässt, ist ein Umdenken dringend nötig. Diese »um jeden Preis erfolgreich«-Mentalität funktioniert nicht mehr. Die Zeiten, die Welt hat sich geändert und nach einer Erschütterung wie der Covid-Pandemie hat sich für sehr viele Menschen innerlich etwas gewandelt, ohne dass das Außen nachgezogen ist. Wir benötigen eine Veränderung im Arbeitsethos und mehr Sicherstellung der mentalen Gesundheit im Arbeits- und Bildungskontext.

Mindfulness bzw. Achtsamkeit ist ja kein Club, dem man beitreten muss, keine kulturelle Abspaltung oder Szene. Achtsamkeit ist einfach das Wahrnehmen von dem, was gerade ist.

Dafür braucht es kein Acht-Wochen-Achtsamkeitsretreat und Yogakurse, sondern Lernen zu normalisieren, dass Reflexionen und Bestandsaufnahmen Raum gegeben wird, Austausch passiert und ein gewisses Maß an Bewusstsein über das eigene Handeln und das Gestalten von Strukturen stattfindet. Gesundes Verständnis für das Individuum, Mildesein mit sich selbst und Anderen sowie das Respektieren und Wahren von Pausen. Damit wir und heranwachsende Generationen nicht in ein kollektives Burnout rauschen.

Elena Meger

Beraterin, Coach und Achtsamkeitstrainerin | Mitgründerin von Mindful Projects Consulting GmbH

8 Monate

Danke für deine inspirierenden, erfrischenden und zugänglichen Antworten – und deine wertvolle Arbeit zu diesem (individuell und kollektiv) wichtigen Thema, Julia Prasse 🙏🏼✨.

Hier könnt ihr euch zu unserem monatlich erscheinenden Newsletter anmelden: https://newsletter.mindful-projects.org/anmeldung 📧✨

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen