Wachstumsschwäche: Deutschland braucht handlungsfähigen Staat

Wachstumsschwäche: Deutschland braucht handlungsfähigen Staat

Von Professor Bert Rürup - 2. Juni 2023

In der letzten Zeit haben sich die Anzeichen gemehrt, dass die deutsche Wirtschaft keinen wirklichen Sommer- oder Herbstaufschwung erleben wird. Stattdessen dürfte die gesamtwirtschaftliche Leistung des Landes über das Jahr hinweggesehen abermals ein Stück weit schrumpfen. Von einem "Nachkriegsaufschwung" kann trotz der sich beruhigenden Energiepreise keine Rede sein.

Das Handelsblatt Research Institute hatte diesen leichten Rückgang bereits prognostiziert. Aber es macht nicht wirklich froh, wenn man bei solchen Voraussagen Recht behält. Noch schlimmer ist, dass ich nicht sehe, wie die Politik gegen diese Wirtschaftsschwäche angehen kann, da es sich eben nicht um eine Konjunkturschwäche handelt. Konjunkturen sind ja Schwankungen im Auslastungsgrad des Produktionspotentials. In allererster Linie sehe ich in Deutschland jedoch einen Verfall des Trendwachstums. Und dagegen helfen konjunkturpolitische Maßnahmen, die auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage abzielen, relativ wenig.

Im aktuellen Podcast aus der Serie "Economic Challenges" stimmte mir Michael Hüther zu. Seine Analyse lautete: "Mein Eindruck ist auch, dass was wir eine Verhärtung in der schwierigen konjunkturellen Lage sehen, die eigentlich Ausdruck struktureller Schwierigkeiten ist. Es ist am Ende egal, ob wir im Jahresdurchschnitt minus 0,2 oder plus 0,2 Prozent haben werden. Da tut sich nicht viel. Es bleibt der Befund, dass wir nach zwei schrumpfenden Quartalen nicht nur für uns genommen schwach sind, sondern dass wir im europäischen Vergleich mit das Schlusslicht tragen. In der Summe gilt: Die Volkswirtschaften um uns herum sind schon in diesem Jahr deutlich stärker, auch wenn sie nur mit einem halben Prozentpunkt wie Frankreich oder Spanien 0,8 Prozent oder 0,7 Prozent wie Italien expandieren. Nächstes Jahr ist für diese Ländergruppe im Schnitt plus ein Prozent zu erwarten, für Deutschland jedoch ein halbes Prozent. Das heißt also: Hier muss irgendwas tiefere Ursachen haben als nur die Schwankungen der Nachfrage."

Unsere Diagnose lautet: Wir haben eine Wachstumsschwäche in Deutschland. Wie man diese angehen kann, haben wir ausführlich diskutiert. Hier ein Auszug aus unserer Debatte:

Bert Rürup Die Angebotsseite unserer Wirtschaft: Wie kann man das Potenzialwachstum höher bringen?  

Michael Hüther: Erstens sind Regulierung und Verwaltungsdichte schon ein erhebliches Thema. Bei Existenzgründung sind wir wirklich nicht handlungsfähig attraktiv. Das zweite Thema ist die Handlungsfähigkeit des Staates. Wir behindern uns nur noch gegenseitig, die Dinge werden nicht beschleunigt. Der dritte Punkt: Wachstumspolitik muss auch finanzpolitisch richtig beantwortet werden. Die Aussage "Die Schuldenbremse gilt" ist keine gestalterische Finanzpolitik, auch angebotspolitisch nicht. Also: Welche Investitionen will ich tätigen? Wie will ich etwas entwickeln? Auch das muss mal geklärt werden. Wir brauchen in dieser Finanzpolitik auch einen Aufschlag in der Steuerreform. Die Unternehmensbesteuerung ist in der Belastung, in der Strukturwirkung einfach zu hoch.

Bert Rürup: Wir müssen die Abschreibungsbedingungen verändern? 

Michael Hüther: Ja, ich frage mich immer, wo die Superabschreibung bleibt. Die ist schon im Koalitionsvertrag angekündigt worden. Ich weiß jetzt nicht, in welchem Disput über welches Heizungsgesetz die nun abhanden gekommen ist. Bisher habe ich auch noch keinen Vorschlag aus dem Bundesfinanzministerium dazu gehört. Und das vierte ist natürlich, dass die Frage der Energiewende offenkundig doch nicht am Reißbrett vorbereitet werden kann. Das Bundeswirtschaftsministerium lernt gerade, dass man die Dinge mal wieder mit praktischem Leben befüllen muss. Ich glaube, dass man den Gesamtplan Energiewende, wenn man ihn denn im Kopf hat, auch mal benennen muss. Dann kann man auch sehr viel klüger die Rahmenbedingungen entwickeln. Und stößt nicht immer jedes Mal auf neue, eruptive Widerstände. Das waren jetzt vier Themen. Hast Du ein fünftes? 

Bert Rürup Ich würde empfehlen, dass man vielleicht doch noch mal das Jahresgutachten 2008/2009 des Sachverständigenrates lesen sollte. Da wurden die Rahmenbedingungen einer wachstumsorientierten Konjunkturpolitik beschrieben. Das wäre das, was wir brauchen. Wir sollten nicht einfach Geld in die Wirtschaft pumpen, sondern wir müssen die verharzten Stellschrauben im System ölen. Wir brauchen einen erhöhten Arbeitseinsatz, mehr Investitionen und eine Vereinfachung der Genehmigungsverfahren, wenn wir die Klimawende in die Gänge bringen wollen. Daran scheitert leider die gegenwärtige Politik. Sie verkämpfen sich auf Nebenkriegsschauplätzen.

Michael Hüther: Die eigentliche Botschaft ist: Wir müssen die Dinge wirklich insgesamt denken. Es reicht nicht, nur die Energiewende in den Blick zu nehmen. Wir haben auch eine Gesamtfrage zu beantworten: Wie entsteht ein handlungsfähiger Staat? Das hat mit Steuern und Sozialabgaben zu tun, mit Investitionen, Regulatorik und der föderalen Struktur. Und das alles ist ein ziemlich dickes Brett.  

Unsere vollständige Debatte zum Thema "Deutschland braucht eine Politik für mehr Wachstum" können sie hier anhören.

Inflation bleibt hoch 

„Endlich wird alles billiger“, titelte am Donnerstag die „Bild“-Zeitung. Am Tag zuvor hatte das Statistische Bundesamt mitgeteilte, die Inflation sei im Mai auf 6,1 Prozent zurückgegangen, nachdem sie im Vormonat noch bei 7,2 Prozent gelegen hatte.  

Richtig ist, dass neben Energie auch einige Alltagsprodukte tatsächlich billiger geworden, also im Preis gesunken sind. Falsch ist es jedoch, eine sinkende Inflationsrate mit sinkenden Preisen gleichzusetzen.  

Die am Mittwoch veröffentlichten Daten besagen, dass die in den Lebenshaltungskostenindex eingehenden Preise auf Jahressicht weiterhin deutlich gestiegen sind und sich lediglich der Anstieg moderat verringert hat. 

Inflation und Zinsen dämpfen Kaufkraft und Kreditvergabe 

Auch das nicht selten recht regierungsfreundliche und damit eher zum Konjunkturoptimismus neigende DIW ist nun auf Rezessionskurs umgeschwenkt. Das Konjunkturbarometer des Instituts brach diese Woche auf 91 Zähler ein.  

„Der Rückgang der Wirtschaftsleistung im Winter ist stärker ausgefallen als erwartet wurde. Und auch die Erholung wird wohl zaghafter sein als zuvor angenommen,“ sagt Timm Bönke, Co-Leiter des Konjunkturteams im DIW Berlin. 

„Die hartnäckig hohe Inflation und die Zinsanhebungen dämpfen Kaufkraft und Kreditvergabe,“ ergänzt Geraldine Dany-Knedlik, Co-Leiterin des DIW-Konjunkturteams. „Und auch aus dem Ausland kamen zuletzt nicht die erhofften Impulse.“

Das ist sicherlich richtig, eine wirklich neue Erkenntnis ist es nicht. 

Übrigens: Statt einer Analyse von mir können Sie im CHEFÖKONOM der kommenden Woche die neue Konjunkturprognose des HRI-Teams lesen. 

Ich wünsche Ihnen ein schönes sommerliches Wochenende und bin mit den besten Grüßen 

Ihr

Bert Rürup

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Awards für HRI-Konjunkturprognosen

Das Konjunkturteam des Handelsblatt Research Institute ist für die Genauigkeit seiner Prognosen für das Jahr 2022 ausgezeichnet worden. Unter rund 50 erfassten Forschungsinstituten, Banken und Versicherungen erreichte das HRI bei der Prognose des deutschen Staatshaushaltes den ersten Platz. Bei der Vorhersage des Bruttoinlandsprodukts landete das HRI auf dem zweiten Platz. Die Analyse wurde vorgenommen von FocusEcconomics.

Das Konjunkturteam des HRI: Dennis Huchzermeier, Bernhard Köster, Jörg Lichter, Axel Schrinner und Bert Rürup

Hier ist die Auswertung für den Staatshaushalt abrufbar: Platz 1

Hier ist die Auswertung für das Bruttoinlandsprodukt abrufbar: Platz 2

 


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