BUNTE CHARAKTERE

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FISCHE

Im Film »Findet Nemo« haben Fische Charakter – in der Realität auch. Fachleute entschlüsseln mit Robotern und Hochgeschwindigkeitskameras unterschiedliche Fischpersönlichkeiten.

Tamara Worzewski ist Geophysikerin und Wissenschaftsjournalistin.
ANATOLII SAVITSKII / GETTY IMAGES / ISTOCK

Über einem Fluss in Mexiko kreisen Vögel. Sie warten auf ihre Gelegenheit zum Angriff, denn unter der Oberfläche schwimmen Millionen von Fischen. Plötzlich jedoch durchbrechen die Schwanzflossen einer in gerader Reihe abtauchender Fische synchron die Wasseroberfläche und schlagen eine Welle. Ihnen folgt wie auf Kommando eine nächste Reihe und dann weitere. Hunderttausende koordiniert auf- und abtauchende Fische erzeugen eine wiederkehrende La-Ola-Welle auf der Wasseroberfläche, und die verwirrten Raubvögel müssen ihren Angriff verschieben.

Forscher fragen fasziniert: Wie kommunizieren die Fische solch komplexes Schwarmverhalten? Das Team des Ichthyologen David Bierbach macht dazu Hochgeschwindigkeitsaufnahmen von hunderttausenden La-Ola-schlagenden Fischen, um ihre Kommunikationskanäle und Reaktionen zu ergründen. Und vielleicht vertieft das sogar unser Verständnis von sozialen Ausbreitungswegen von Informationen in Social Media.

Der promovierte Zoologe arbeitet im Exzellenzcluster »Science of Intelligence« der TU Berlin, der HU Berlin und des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Schon als Kind hatte er eigene Fische, in seiner Diplomarbeit erforschte er tropische Fische und ihr Schwarmverhalten. Seit 2010 untersucht er ihr Verhalten, ihre Persönlichkeiten und kollektive Intelligenz.

Dichter weisen Tieren schon seit Jahrhunderten gerne menschliche Eigenschaften zu. Stets einfach gestrickt: So wird etwa der Fuchs hier zu Lande als listig porträtiert, der Hahn als eitel, der Löwe als mächtig, der Hase als ängstlich und der Esel als faul.

Fische werden unterschätzt

Dass Tiere jenseits dieser fiktiven Zuschreibungen durchaus individuelle Charaktere haben, lässt sich leicht beobachten. Katzenliebhaber können äußerlich gleich aussehende Hauskatzen leicht anhand von deren verschiedenen Vorlieben und Persönlichkeiten unterscheiden. Auch bei anderen Haustieren oder in der Natur lebenden Säugetieren, Vögeln und Reptilien erkennt man schnell individuelle Verhaltenszüge wie Neugierde, Mut, Aggressivität oder Geselligkeit. Hier sprechen Biologen von der Tierpersönlichkeit eines Individuums.

Fische allerdings haben es in der öffentlichen Wahrnehmung schwerer. In der Mythologie hat sich für sie keine einschlägige Personifizierung durchgesetzt– außer dass sie stumm sind. Und dass Dis-neys Kassenschlager »Findet Nemo« mit dem neugierigen, abenteuerlustigen Fischjungen Nemo und seinem ängstlichen, ungeselligen Vater Marlin sogar realistische Fischcharaktere trifft, auf d

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