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DISSERTATION

Titel der Dissertation:

Der Liebe zur Naturgeschichte halber


Johann Natterers Reisen in Brasilien 1817-1835
Verfasser:

Mag. Kurt Schmutzer MAS

angestrebter akademischer Grad:

Doktor der Philosophie (Dr. phil.)

Wien, 9. November 2007

Studienkennzahl:
Matrikelnummer:
Dissertationsgebiet:
Betreuerin:

A 092 312
8602711
Geschichte
Dr. Marianne Klemun

INHALT
INHALT

VORWORT

1.

DER PRINZ UNTER DEN SAMMLERN


1.1. Forschungsstand
1.2. Fragestellungen
1.3. Quellensituation
1.4. Textkritik und Methodik

7
9
15
17
20

2.

WERDEGANG EINES SAMMLERS


2.1. Natterers Ausbildung
2.2. Im Dienst des Naturalienkabinetts

24
25
26

3.

EINE GNSTIGE GELEGENHEIT


3.1. Die brasilianische Heirat
3.2. Vorbereitungen fr die naturwissenschaftliche Expedition
3.3. Kostenvoranschlag und Ausrstung
3.4. Das Feenland, worin ein ewiger Frhling herrscht
3.5. Kultur und Kommerz Der Handelsversuch

27
28
30
36
38
41

4.

MIT DER AUGUSTA BER DEN ATLANTISCHEN OZEAN (1817)


4.1. Einschiffung in Triest
4.2. Sturm und Schiffbruch
4.3. ber den Atlantik

43
44
46
49

5.

DIE DIENSTINSTRUKTION DER K.K: BOTSCHAFTSEXPEDITION


5.1. Forschung und Disziplin
5.2. Aufgaben und Erwartungen
5.3. Zeitplne und Reiseplne
5.4. Wissenschaftliche Beratung durch Blumenbach
5.5. Vorbereitungen der Expeditionsteilnehmer

53
55
60
61
67
71

6.

ERSTE UNTERNEHMUNGEN (1817-1818)


6.1. Erste Eindrcke in Brasilien
6.2. Reiseplanung: lokales Wissen als notwendige Untersttzung
6.3. Die Unternehmungen der k.k. Naturforscher 1818
6.4. Rckkehr der ersten Expeditionsteilnehmer

72
73
76
79
83

7.

DIE REISEN VON POHL, SCHOTT UND NATTERER (1818-1822)


7.1. Gemeinsame Reiseplne von Pohl und Natterer
7.2. Die Reisen von Heinrich Schott 1818-1822
7.3. Die Reisen von Johann Emanuel Pohl 1818-1822
7.4. Natterers zweite Reise: Rio de Janeiro So Paulo Curitiba

85
86
88
89
90
1

7.5.
7.6.
7.7.
7.8.

Natterers dritte Reise: Ipanema Curitiba - Rckkehr nach Rio


Auflsung der Expedition
Auf eine heimliche Art entwischt
Natterers vierte Reise: Rio - So Paulo - Ipanema

94
100
102
106

8.

NACHRICHTEN AUS BRASILIEN


8.1. Wissenschaftliche Auswertung der Reisen
8.2. Zeitungsnachrichten ber die Brasilien-Expedition

107
107
109

9.

DAS BRASILIANISCHE MUSEUM


9.1. Die Grndung des Brasilianischen Museums
9.2. Das Brasilianum als Publikumsmagnet

114
115
119

10. DIE GROSSE REISE (1822-1823)


10.1. Reisevorbereitungen
10.2. Sklavenarbeit fr den Kaiser
10.3. Die Reise von Ipanema nach Gois: Ein trauriges Leben
10.4. Von Gois nach Cuiab
10.5. Aufenthalt in Cuiab

120
121
123
127
133
136

11. TRANSPORTE, GELD UND SCHAUSTCKE LOKALE UND


INTERNATIONALE NETZWERKE
11.1. Reiserhythmus
11.2. Natterers Transporte - Kommunikationswege im Inneren von Brasilien
11.3. Versorgung der Expedition mit Geldmitteln
11.4. Neue Schaustcke fr das Wiener Naturalienkabinett

137

12. SI SEUL DANS SES VASTES DESERTS (1823-1826)


12.1. Krankheit und Einsamkeit
12.2. Strategien des Erzhlens Auswahl und Authentizitt

150
150
156

13. DIE INDIER BEGEGNUNGEN EINES NATURFORSCHERS


13.1. Kontakte mit den Bororo
13.2. Zahme und Wilde
13.3. Distanzierte Beobachtung
13.4. Diese faulen Menschen Zwischen Verstndnis und Verurteilung

159
160
164
172
174

14. DERB MITGENOMMEN (1826-1828)


14.1. Plne fr die weitere Reise
14.2. Dominik Sochors Tod
14.3. Genderte Reiseplne eines Narren
14.4. Natterer und die Expedition Langsdorff

176
177
179
181
186

15. DIESE KLEINE ABWEICHUNG (1829-1830)


15.1. Natterers siebente Reise: Von Vila Bela nach Borba
15.2. Reisen Jagen Beobachten

190
192
194

138
141
144
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15.3. Aufenthalt in Borba


15.4. Werkstatt eines reisenden Naturforschers

196
198

16. JENE BEGIERDE ZU REISEN UND ZU SAMMELN


16.1. Selbstportrt des Reisenden als forschender Sammler
16.2. Sammelleidenschaft und Naturgeschichte
16.3. Das vollkommene Museum

202
204
209
214

17. REISEN IM AMAZONAS-GEBIET (1830-1834)


17.1. Am Rio Negro
17.2. Der beobachtende Sammler und das Geschft des Schreibens
17.3. Fahrt auf dem Rio Branco
17.4. Aufenthalt in Manaus

220
222
225
235
239

18. DAS TRAURIGE ENDE DER EXPEDITION (1834-1836)


18.1. Aufstand in Belm
18.2. Von London nach Wien

241
242
245

19. EIN UNVOLLENDETES LEBENSWERK (1836-1843)


19.1. Enttuschungen und Ehrungen
19.2. Netzwerke unter Naturwissenschaftern
19.3. Wissenschaftliche Aufarbeitung der Brasilienexpedition
19.4. Une morte primatur

246
247
248
254
256

20. DIE SAMMLUNGEN JOHANN NATTERERS

258

21. REISEN EINES NATURFORSCHERS ZUSAMMENFASSUNG

262

ABKRZUNGSVERZEICHNIS

269

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS


ARCHIVALIEN
ZEITUNGEN
GEDRUCKTE QUELLEN
LITERATUR

269
269
271
271
273

ANHANG
ABB. 1 Johann Natterer (1787-1843)
ABB. 2 Johann Natterers Reiseroute in Brasilien (1817-1835)

287
288

ABSTRACT

289

LEBENSLAUF

293

VORWORT

Im Rahmen eines Projektes des Fonds zur Frderung wissenschaftlicher Forschung hatte ich
erstmals Gelegenheit, die Briefe, Berichte und Tagebuch-Fragmente zu sichten und zu
bearbeiten, die Johann Natterer von seinen Reisen in Brasilien hinterlassen hat. Mein Dank
fr die gute Zusammenarbeit gilt Michaela Hldrich und Robert F. Steinle, die mit mir
gemeinsam dieses Projekt entwickelten, initiierten und durchfhrten sowie dem Leiter des
Projekts, dem frheren Direktor des Vlkerkundemuseums in Wien Dr. Peter Kann. Michaela
Hldrich war es auch, die mich auf diesen Naturforscher aufmerksam gemacht hat. Ihre
Anregung hat wesentlich dazu beigetragen, mich mit Natterer und seiner Arbeit zu
beschftigen, noch nicht ahnend, dass seine Berichte eine so reichhaltige Flle an
Informationen ber die Brasilien-Expedition enthalten wrden. Was im Projekt als
historische,

das

Quellenmaterial

zur

Verfgung

stellende

Untersttzung

der

wissenschaftlichen Bearbeitung einer ethnologischen Sammlung gedacht war, hat sich im


Zuge dieses Projekt als historisch-kulturwissenschaftliche Arbeit ber eine der bedeutendsten
wissenschaftlichen Expeditionen, die in sterreich im 19. Jahrhundert ihren Ausgang
nahmen, weiter entwickelt.
Einen wesentlichen Anteil am Zustandekommen dieser wie jeder anderen historischen Arbeit
gebhrt den ArchivarInnen, die Dokumente vor dem Verfall und dem Verschwinden retten,
aufbereiten und den suchenden Leser mit den Schtzen ihrer Sammlungen vertraut machen,
wenn er als Unkundiger den Weg in ihr Archiv sucht. Mein Dank gilt daher besonders Ildiko
Cazan am Museum fr Vlkerkunde und den ArchivarInnen im Haus-, Hof- und
Staatsarchivs

in

Wien,

in

der

Handschriftensammlung

der

Wiener

Stadt-

und

Landesbibliothek und im Archiv fr Wissenschaftsgeschichte des Naturhistorischen


Museums in Wien. Viele interessante Details dieser Arbeit verdanke ich der Mithilfe
verschiedenster Institutionen: dem Universittsarchiv Heidelberg (Frau Hunerlach), dem
Archiv der Senckenbergischen Naturforschende Gesellschaft (Herr Dr. Konrad Klemmer),
dem Museum fr Naturkunde der Humboldt-Universitt zu Berlin (Frau Dr. Hannelore
Landsberg), der Staatsbibliothek zu Berlin Preuischer Kulturbesitz (Frau Iris Lorenz) und
dem Narodn Archiv Prag.
5

Ich danke meinen Lehrern Dr. Karl Brunner, Dr. Gernot Hei und Dr. Marianne Klemun, die
mich auf den Weg gebracht und begleitet haben, die meine Arbeit mit Interesse verfolgt und
mit Ideen und Anregungen bereichert haben und die mir trotz mitunter langer Arbeitspausen
immer wieder ihre Aufmerksamkeit und ihre Zeit gewidmet haben.
Die Arbeit an und mit den Texten eines lngst fast vergessenen Reisenden war selbst eine
lange Reise und hat sich ber viele Jahre erstreckt. Vielleicht wre auch eine unvollendete
Arbeit irgendwo am Weg zurck geblieben, wre nicht die Ermunterung meiner Freunde
gewesen. Sie haben groen Anteil daran, dass ich dieses Langzeitprojekt nicht aus den Augen
verloren habe und dass die Arbeit immer wieder einen neuen Ansto bekommen hat. Ich
danke allen fr die Anregungen, fr das kritische Lesen meiner Texte und die Mglichkeit,
mich ber mein Thema zu verbreiten, vor allem aber bedanke ich mich bei Martin Scheutz,
Esther Hahn, Michaela Hldrich und Sascha Stein. Ganz besonders danke ich Silvia
Heimader, deren Geduld ich nie erschpfen kann.

1. DER PRINZ UNTER DEN SAMMLERN

In den drei oder vier Jahrhunderten, seit sich die


Bewohner Europas in die brigen Teile der Welt
ergieen und pausenlos neue Reiseerzhlungen und
Berichte verffentlichen, haben wir nach meiner
berzeugung keine anderen Menschen kennengelernt als
Europer.
Jean-Jacques Rousseau: Discours sur l'origine et les
fondements de l'ingalit parmi les hommes. In: Oeuvres
compltes, ed. Bernard Gagnebin-Marcel Raymond, Bd.
3 (fr. Original 1755, Paris 1959-1969) 212, zit. nach
Londa Schiebinger: Am Busen der Natur. Erkenntnis und
Geschlecht in den Anfngen der Wissenschaft (Stuttgart
1995) 117.

Samstag, 13. August 1836. Am Donaukanal in Wien legt ein Schiff aus Regensburg
kommend an. Ein ungewhnlicher Passagier geht von Bord: Johann Natterer, Naturforscher
S.M. des Kaisers, kehrt nach 18 Jahren Aufenthalt in Brasilien in seine Heimatstadt zurck,
begleitet von seiner Frau Maria do Rego und seiner kleinen Tochter Gertrude. Die
Entbehrungen jahrelanger Reisen durch unwegsame Steppen und Urwlder haben ihre Spuren
hinterlassen. Gezeichnet von den Folgen schwerer Krankheiten, frh gealtert und geschwcht
kommt ein Mann aus der Neuen Welt zurck, der bei seinen Bekannten einen tiefen Eindruck
hinterlsst. Kein Wunder, dass die Mystik des Waldes tief auf ihn eingewirkt, und [] seinem
Wesen einen eigenthmlichen Zug verliehen hat, der sich besonders in seinem Antlitz
spiegelte. [] Es war das Versenktsein in das eigene Ich und die Vergangenheit, die um
seine Mienen spielte, und ihnen bei aller Heiterkeit zeitweilig einen fast schwermthigen, wie
an Heimweh mahnenden Ausdruck verlieh.1 So beschreibt ihn ein Zeitgenosse.
Im Mrz 1817 hatte Johann Natterer Wien verlassen. Er war Teilnehmer jener
naturwissenschaftlichen Expedition gewesen, die der Wiener Hof anlsslich der Heirat von
Leopoldine, der Tochter von Kaiser Franz. I., mit dem im Exil in Brasilien lebenden
portugiesischen Kronprinzen Dom Pedro ausgerstet hatte. Die meisten Mitglieder der
1

REISSEK, Siegfried: Die sterreichischen naturforschenden Reisenden dieses Jahrhunderts in fernen Erdteilen.
Ein Vortrag (Wien 1861) 18.
7

ursprnglich aus vierzehn Personen bestehenden Gruppe von Naturforschern und Knstlern
kehrten innerhalb weniger Jahre nach Europa zurck. Als Letzte blieben ab 1821 nur mehr
Natterer und sein Jagdgehilfe Dominik Sochor in Brasilien. Und Natterer verwirklichte seinen
groen Traum: eine Reise in das naturwissenschaftlich wenig erforschte Landesinnere. Er
durchquerte das Hochland von Zentralbrasilien, hielt sich mehrere Jahre lang im Mato
Grosso-Gebiet auf und gelangte zum Amazonas, wo er dessen nrdliche Zuflsse, den Rio
Negro und den Rio Branco, bis an die Grenzen Venezuelas erforschte. Nach mehrmaliger
Verlngerung seines Aufenthalts musste Natterer schlielich den Befehlen aus Wien Folge
leisten und den Heimweg antreten. Eine berstrzte Abreise inmitten politischer Unruhen in
Belm im Jahr 1835 bildete den dramatischen Abschluss seiner Reisen in Brasilien. Eine der
wichtigsten naturwissenschaftlichen Sdamerika-Expeditionen des 19. Jahrhunderts war
damit zu Ende.
Ziel des gesamten Forschungsunternehmens war es gewesen, naturkundliche Objekte fr das
Kaiserliche Naturalienkabinett zu sammeln. Diese Aufgabe erfllte Natterer mit wahrer
Sammelleidenschaft. In insgesamt elf Transporten schickte er tausende Prparate nach Wien.
Die Aufstellungen der gesamten Ausbeute belaufen sich auf 1146 Sugetiere, 12294 Vgel,
1678 Amphibien, 1621 Fische, 32825 Insekten, 409 Krustazeen, 951 Konchylien, 73
Mollusken, 1729 Glser mit Eingeweidewrmern, aber auch 242 Samen, 430 Mineralien, 138
Holzmuster, 216 Mnzen und eine Sammlung menschlicher und tierischer Schdel, die
immerhin 192 Stcke umfasste.2 Darin zeigte sich ein Eifer, der Natterer unter Kollegen den
Ehrentitel Prinz unter den Sammlern3 einbrachte. Seine Prparate von Vgeln, Fischen und
Sugetieren dienten als Grundlage fr die wissenschaftliche Erstbeschreibung zahlreicher
Arten. Heute htet das Naturhistorische Museum in Wien Natterers zoologische Schtze.
Gemeinsam mit den Sammlungen seiner Kollegen bilden sie ein Archiv der biologischen
Vielfalt und sind wertvolles Material fr die Forschung.
Als Nebenprodukt der vorwiegend zoologischen Forschungsarbeit Natterers entstand auch
eine Sammlung von mehr als 1700 ethnographischen Objekten (Schmuck, Waffen, Gerte,
Bekleidung) von ber 60 verschiedenen Ethnien. Diese Objekte werden heute im Museum fr
Vlkerkunde in Wien aufbewahrt und bilden eine der bedeutendsten und umfangreichsten
2
3

bersicht ber die Ausbeuten der Reise, Archiv MVK.


Diese Bezeichnung geht auf den englischen Ornithologen Philip Lutley Sclater (1829-1913) zurck, zit. nach
8

Brasilien-Sammlungen der Welt. Ihr besonderer Wert liegt darin, dass die Objekte relativ
frh, nmlich zum grten Teil in den Jahren zwischen 1825 und 1835 zusammengetragen
wurden. Zu diesem Zeitpunkt war das wissenschaftliche Interesse an Brasilien in Europa
gerade erst erwacht. Diese Objekte sind unschtzbare Dokumente traditioneller, indigener
Kulturen Brasiliens, die sich seither stark verndert haben oder gnzlich verschwunden sind.4

1.1. Forschungsstand

Die Brasilien-Expedition von 1817 war schon mehrfach Gegenstand historischer


Darstellungen ber sterreichische Wissenschafter und Entdecker oder ber die Beziehungen
zwischen Brasilien und sterreich.5 In diesem Zusammenhang fand Leopoldine von
Habsburg, deren Heirat Anlass fr das Unternehmen war, besonders groes Interesse.6 Auch
der wichtigste sterreichische Gesandte dieser Zeit in Brasilien Wenzel Philipp Leopold
Baron von Mareschal, der Natterer frderte und fr das Gelingen seiner Reisen von zentraler
Bedeutung war, erfuhr eine ausfhrliche Wrdigung in einer historischen Arbeit.7 Mit dem
allgemeinen wissenschaftlichen Umfeld der ra Metternich setzte sich die Dissertation von

RIEDL-DORN, Christa: Johann Natterer und die sterreichische Brasilienexpedition (Petrpolis 2000) 43.
KANN, Peter: Die Brasilien-Sammlung von Johann Natterer. In: Archiv fr Vlkerkunde 52 (2002) 7-9.
5
Vgl. HASSINGER, Hugo: sterreichs Anteil an der Erforschung der Erde. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte
sterreichs (Wien 1950) 128f., MARSCHALEK, Otto: sterreichische Forscher. Ein Beitrag zur Vlker- und
Lnderkunde (Mdling 1949) 41-44; OBERACKER, Karl H.: Der deutsche Beitrag zum Aufbau der
brasilianischen Nation (So Paulo 1955) 205f.; BLAAS, Richard: sterreich und Brasilien in der ersten Hlfte des
19. Jahrhunderts. In: Thomas Ender (1793 - 1875). Zeichnungen und Aquarelle. Ausstellung 20. Mrz bis 24. Mai
1964. Graphische Sammlung Albertina (Wien 1964) 22-34; BLAAS, Richard: sterreichs Beitrag zur Erforschung
Brasiliens 1815-1848. In: Zeitschrift fr Lateinamerika 11 (1976) 20-39.
6
Zu Leopoldine gibt es umfangreiche biographische Literatur, vgl. KIENZL, Florian: Kaiser von Brasilien.
Herrschaft und Sturz Pedros I. und Pedros II. (Berlin 1942); OBRY, Olga: Grner Purpur. Brasiliens erste
Kaiserin Erzherzogin Leopoldine (Wien 1958); BAUM, Emmi: Empress Leopoldina: her role in the
development of Brazil, 1817-1826 (Michigan 1967); PRANTNER, Johanna: Kaiserin Leopoldine. Der Beitrag
des Hauses Habsburg-Lothringen und sterreichischen Geistesgutes zur Entwicklung Brasiliens whrend der
Monarchie im 19. Jahrhundert (Wien/Mnchen 1974); OBERACKER, Karl H.: Kaiserin Leopoldine. Brasiliens
erste Kaiserin. Ihr Leben und ihre Zeit (1797-1826) (So Leopoldo 1980); OBERACKER, Carlos H.:
Leopoldine. Habsburgs Kaiserin von Brasilien (Wien/Mnchen 1988); PODJAVERSEK, Gerlinde: Erzherzogin
Leopoldine und die brasilianische Unabhngigkeit. (ungedr. geisteswiss. Dipl.) (Graz 1998); FUCHS, Helga:
Erzherzogin von sterreich Kaiserin von Brasilien. Ihr Beitrag zum Unabhngigwerden Brasiliens, zur
Emanzipation vom Kolonialgebiet zum selbstndigen Staat. (ungedr. geisteswiss. Dipl.) (Wien 1999); zuletzt
RIHA, Helga: Verordnung fr Erzherzogin Leopoldina von sterreich. Aus den geheimen Rezeptbchern der
Hofapotheke 1810-1817 (ungedr. pharm. Dipl.) (Wien 2005).
7
SCHMID, Eva: Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, ein sterreichischer Offizier und Diplomat,
1785 1851. Mit besonderer Bercksichtigung seiner diplomatischen Verwendung in Sd- und Nordamerika (=
Dissertationen der Universitt Wien 121) (Wien 1975).
9
4

Hedwig Kadletz-Schffel auseinander.8


Neben einigen kurzen lteren, vor allem biographischen Aufstzen beschftigte sich aber bis
vor einigen Jahren nur ein Aufsatz von Nowotny aus dem Jahr 1949 mit Natterers
ethnographischer Arbeit.9
Mittlerweile ist Natterer in der historischen Forschung kein Unbekannter mehr. Eine erste
zusammenfassende Darstellung und Wrdigung nicht nur seiner Reisen, sondern des
gesamten Forschungsunternehmens verfasste Bettina Kann, die fr ihre Arbeit erstmals in
groem Umfang auf die Quellen zurckgriff, die im Archiv des Museums fr Vlkerkunde
vorhanden sind.10 Mehrere Aufstze zu verschiedenen Aspekten der ethnographischen
Forschungsttigkeit Natterers verffentlichte Peter Kann.11 Im Zuge der 500-Jahr-Feiern der
Entdeckung Amerikas entstanden zusammenfassende Artikel zur Brasilien-Expedition,
ebenso im Rahmen einer Martius-Jubilumsausstellung 1994 in Frankfurt, wo die
sterreichische Unternehmung und mit ihr Natterer vorgestellt wurden.12 Christa Riedl-Dorn
publizierte die erhaltenen Zeichnungen Natterers aus den Bestnden des Naturhistorischen
8

KADLETZ-SCHFFEL, Hedwig: Metternich und die Wissenschaften. 2Bde. (= Dissertationen der Universitt
Wien 234) (Wien 1992).
9
SCHRCKINGER-NEUDENBERG, Julius von: Zur Erinnerung an einen sterreichischen Naturforscher. In:
Verhandlungen des zoologisch-botanischen Vereins in Wien 5 (1855) 727-732; PELZLEN, August von: Zur
Erinnerung an heimgegangene Ornithologen. Johann Natterer. In: Die Schwalbe. Mittheilungen des
ornithologischen Vereines in Wien, Jg. 13, Nr. 45 (1889) 582-585; GOELDI, Emilio A.: Johannes von Natterer.
In: Boletim Museu Paraense de Historia Natural e Ethnographia, Tomus 1, Fasciculos 1-4 (1894-1896) 189217 ; HEGER, Franz: Die archologischen und ethnographischen Sammlungen aus Amerika im k.k.
naturhistorischen Hofmuseum in Wien. In: Festschrift zum 16. Internationalen Amerikanistenkongress in Wien,
9. bis 14. September 1908 (Wien 1908) 1-72; SCHOLLER, Hubert: Johann Natterer zum Gedchtnis. Festrede
zur Enthllung einer Gedenktafel an Natterers Geburtshaus in Laxenburg, gehalten am 19. Mai 1955 In: Annalen
des Naturhistorischen Museums in Wien 60 (1954/55) 36-42; NOWOTNY, Karl Anton: Aufzeichnungen Johann
Natterers ber die Aufenthaltsorte brasilianischer Stmme in den Jahren 1817-1835. In: Archiv fr Vlkerkunde
4 (1949) 160-164.
10
KANN, Bettina: Die sterreichische Brasilienexpedition 1817-1836 unter besonderer Bercksichtigung der
ethnographischen Ergebnisse (ungedr. geisteswiss. Dipl.) (Wien 1992).
11
KANN, Peter: "Von wilden und zahmen Indiern". Johann Natterers Brasiliensammlung (1817-35). In: museum.
Museum fr Vlkerkunde Wien (Braunschweig 1981) 13-19; KANN, Peter: Die ethnographischen Aufzeichnungen
in den wiederentdeckten Wortlisten von Johann Natterer, whrend seiner Brasilienreise zwischen 1817-1835. In:
Archiv fr Vlkerkunde 43 (1989) 101-146; KANN, Peter: Johann Natterer als frher Ethnograph Brasiliens. In:
ZEILINGER, Elisabeth (Hg): sterreich und die Neue Welt. Symposion in der sterreichischen Nationalbibliothek.
Tagungsband (= Biblos-Schriften 160) (Wien 1993) 144-150.
12
MAUTHE, Gabriele: Die sterreichische Brasilienexpedition. In: WAWRIK, Franz ZEILINGER, Elisabeth
MOKRE, Jan HHNEL, Helga (Hg.): Die Neue Welt. sterreich und die Erforschung Amerikas.
Ausstellungskatalog (Wien 1992) 79-94; MAUTHE, Gabriele: Die sterreichische Brasilienexpedition. In:
ZEILINGER, Elisabeth (Hg): sterreich und die Neue Welt. Symposion in der sterreichischen
Nationalbibliothek. Tagungsband (= Biblos-Schriften 160) (Wien 1993) 128-137; MAUTHE, Gabriele: Die
sterreichische Brasilienexpedition 1817-1836. In: HELBIG, Jrg (Hg.): Brasilianische Reise 1817 Carl
Friedrich Philipp von Martius zum 200. Geburtstag. Ausstellungskatalog (Mnchen 1994) 13-27.
10

Museums, begleitet von einer kurzen Darstellung der gesamten Expedition und der Reisen
Natterers, allerdings ohne die Quellen aus dem Archiv fr Vlkerkunde zu verwenden.13 Die
Brasilienexpedition fand auch breiten Raum in einer Geschichte des Naturhistorischen
Museums und war Teil der Ausstellung Die Entdeckung der Welt Die Welt der
Entdeckungen

2001/02

in

Wien.14

In

Brasilien

wird

Natterer

vor

allem

als

Naturwissenschafter ersten Ranges geschtzt. Seit einigen Jahren trgt die zoologische
Zeitschrift NATTERERIA, die damit seine Verdienste als einer der bedeutendsten
Naturforscher des Landes wrdigt, seinen Namen.15
Allen bisherigen historischen Arbeiten ber Natterer und die Brasilienexpedition ist
gemeinsam, dass sie sich auf eine zusammenfassende Darstellung der Fakten beschrnken
bzw. den Verlauf der Forschungsreise an sich und einzelne (z.B. ethnographische) Ergebnisse
beschreiben und als Forschungsleistung festschreiben. Als am faktischen Geschehen
orientierte Erfolgsgeschichte, als Auflistung einer Leistungsbilanz verstanden, werden darin
die sterreichischen Entdeckungen und Forschungsreisen als weitgehend unpolitische,
idealistische Unternehmungen dargestellt, fernab aller kolonialen Absichten und anderer
Interessen als dem Fortschritt der Wissenschaften.
Die Geschichtsschreibung ber sterreichische Entdecker und Forscher ist geprgt von
einer Tendenz, den vielfltigen Verbindungen und Verwicklungen in konomische und
politische Zusammenhnge nicht oder nur am Rande gerecht zu werden. Der sterreichische
Reisende hat in der Regel keine andere Triebfeder als die Liebe zur Forschung selbst, heit

13

RIEDL-DORN: Natterer (2000) bes. 11-57.


RIEDL-DORN, Christa: Haus der Wunder. Zur Geschichte des Naturhistorischen Museums in Wien (Wien
1998) 101-121; KANN, Peter RIEDL-DORN, Christa: [...] und den Resultaten ihrer Betriebsamkeit. Die
sterreichische Brasilien-Expedition 1817 1836. In: Die Entdeckung der Welt. Die Welt der Entdeckungen.
sterreichische Forscher, Sammler, Abenteurer. Hg. v. Wilfried Seipel. Katalog zur Ausstellung 27. Oktober
2001 bis 13. Jnner 2002 (Wien 2001) 217 228; SCHMUTZER, Kurt: [...] jene Begierde zu reisen und zu
sammeln [...] Johann Natterer: 18 Jahre im Urwald Brasiliens. In: Die Entdeckung der Welt. Die Welt der
Entdeckungen. sterreichische Forscher, Sammler, Abenteurer. Hg. v. Wilfried SEIPEL. Katalog zur Ausstellung
27. Oktober 2001 bis 13. Jnner 2002 (Wien 2001) 209-215; vgl. als berblick zur historischen Forschung
PRUTSCH, Ursula: sterreichische Brasilienforschung. In: DREKONJA-KORNAT, Gerhard (Hg.):
Lateinamerikanistik. Der sterreichische Weg (Lateinamerikanistik 1) (Wien/Mnster 2005) 345-359, bes. 347351.
15
RAMIREZ, E.S.: As relaes entre a ustria e o Brasil (1815 1889) (= Brasiliana 337) (So Paulo 1968);
VANZOLINI, P.E.: As viagens de Johann Natterer no Brasil 1817 1835. In: Papis vulsos de Zoologia 38
(1993) 17-60; VANZOLINI, P.E.: A contribuio zoolgica dos primeiros naturalistas viajantes no Brasil. In:
Revista USP 30 (1996) 190-238; STRAUBE, Fernando Costa: Johann Natterer (1787 1843) naturalista maior
do Brasil. In: Nattereria 1 (2000) 4-13.
11
14

es etwa in einem Nachruf auf den Afrikareisenden Emil Holub.16 Hugo Hassinger hat in
seiner zusammenfassenden Darstellung sterreichischer Forschungsunternehmen den
Reisenden,

Wissenschafter,

Forschern

und

Entdeckern

die

wohl

umfassendste

Generalsabsolution erteilt: Auf jeden Fall wird der aus sterreich kommende Forscher frei
sein von dem Verdacht, mit seiner Wissenschaft materielle Interessen zu verbinden und
politische Machtbestrebungen zu dienen, denn auch in der Zeit, als sterreich noch eine
Gromacht war, haben seine Forscher [] sich stets die Uneigenntzigkeit und den
Idealismus bewahrt, und sie haben aus innerem Drang [] ihre Forschungsarbeit geleistet.17
Die Tatsache, dass das Habsburgerreich im internationalen Wettlauf um auereuropische
Kolonien nur eine geringe Rolle spielte, wird umgedeutet in ein prinzipielles, moralisch
berlegenes Desinteresse an kolonialer Expansion von Seiten sterreichs, ja seiner
Machtausdehnung berhaupt. Diese Versuche, sterreichische Forschungsreisen als rein am
Fortschritt der (westlichen) Wissenschaften interessierte Unternehmen darzustellen, gehen
einher damit, sie als Pionier- und Einzelleistungen groer Persnlichkeiten (vor allem
Mnner) zu beschreiben, die losgelst von strukturellen Rahmenbedingungen und Fragen der
Organisation und Logistik sowie unabhngig von notwendiger lokaler Untersttzung und im
wesentlichen ohne die Mithilfe einheimischer Mitarbeiter ihre Leistungen erbringen.18
In neueren wissenschaftsgeschichtlich orientierten Arbeiten zur Geschichte der europischen
Entdeckungen und Forschungsreisen wird verstrkt die Frage nach politischen,
konomischen Zusammenhngen und jenen Konzepten von Wissenschaften gestellt, die diese
mitgestalten und bedingen. Mit diesen Anstzen kommt verstrkt in den Blick, wie sich
wissenschaftliche Neugier und eine Mehrung oder Vernderung des Wissens und der
Wissenschaften mit politischen und konomischen Konzepten im Dienst kolonialer
Expansion bedingen und wechselseitig frdern.19 Weder werden damit die Leistungen und die
16

zit. nach SAUER: Walter: Jenseits der Entdeckungsgeschichte: Forschungsergebnisse und Perspektiven. In:
SAUER, Walter (Hg.): k.u.k. kolonial. Habsburgermonarchie und europische Herrschaft in Afrika
(Wien/Kln/Weimar 2002) 7.
17
HASSINGER: sterreichs Anteil (1949) 14.
18
SAUER: Jenseits der Entdeckungsgeschichte (2002) 8-13.
19
Z.B. GROVE, Richard H.: Green imperialism. Colonial expansion, tropical island Eden and the origins of
environmentalism. 1600 1860 (Cambridge 1995); MILLER, David Philip REILL, Peter Hanns (Hg.):
Visions of Empire: Voyages, Botany and Representations of Nature (Cambridge 1996); ILLIFE, Rob: Science
and Voyages of Discovery. In: PORTER, Roy (Hg.): The Cambridge History of Science 4: Eighteenth-Century
Science (Cambridge 2003) 618-645; SCHIEBINGER, Londa SWAN, Claudia (Hg.): Colonial Botany.
Science, Commerce and Politics in the Early Modern World (Philadelphia 2005).
12

Bedeutung einzelner Forschungsreisen noch Interesse an der Frderung der Wissenschaften


von Seiten der Auftraggeber bestritten. Eine naturwissenschaftliche Forschungsreise wie die
sterreichische Brasilienexpedition auch nach anderen Beweggrnden und Absichten zu
hinterfragen, steht dazu nicht im Widerspruch. Aus deklarierten Absichten, Instruktionen und
den damit verbunden Arbeitsweisen ergibt sich das Bild eines Unternehmens, das vielfltigen
Interessen diente und nicht nur einen Zweck, ein Ziel erfllte, sondern auf mehreren Ebenen
Funktionen erfllte. Politische und konomische Interessen knnen bei der Realisierung einer
kostspieligen bersee-Expedition neben den wissenschaftlichen Zielen ebenso eine Rolle
spielen, wie die Absicht, ein derartiges Unternehmen als Mittel der Reprsentation (in Form
der Reise selbst, als auch in Form des daraus entstehenden Museums, ja sogar des in Folge
dessen produzierten Wissens) und des Wettstreits mit den Ambitionen anderer Staaten zu
nutzen.20 Der Ansatz der vorliegenden Arbeit ist es, Umfeld, Bedingungen und Absichten der
sterreichischen Brasilien-Expedition am Beispiel der Reisen Johann Natterers darzustellen.
Ein Aspekt, der in neueren Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften groe Beachtung
findet, ist die generelle Professionalisierung der Praktiken der Wissenschaften im Lauf des
18. Jahrhunderts. Indizien dieser Professionalisierung sind die gezielte Ausrstung von
Forschungsexpeditionen, die planvolle Vorbereitung und Anleitung dieser Unternehmen
durch

Instruktionen

und

die

Schaffung

institutioneller

Rahmenbedingungen

und

(wissenschaftliche Gesellschaften, Akademien). Reisen ist im 18. Jahrhundert ein


notwendiges Mittel zur Kommunikation und zum Erwerb von Wissen. Reisen dienen zur
Datenerhebung

und

Forschungsmaterialien.

zur

Beschaffung

von

Reisebeschreibungen

naturkundlichen
werden

von

Anschauungs-

und

Naturwissenschaftern,

Anthropologen und Philosophen als Bausteine fr eine systematische, empirisch fundierte


und umfassende Bestandsaufnahme der Welt genutzt. Die qualitative und quantitative
Steigerung des Wissens (von Lepenies als Erfahrungsdruck bezeichnet) und damit erhhten
Anforderungen an den einzelnen Forscher fhren im Zuge der Ausbildung neuer
Wissenschaftsdisziplinen auch zu einer Vernderung des Typs des Reisenden wie des

20

KLEMUN, Marianne: sterreichische wissenschaftliche Sammelreisen nach den Amerikas 1783 - 1789.
Intentionen, Instruktionen und Implikationen. In: sterreich und die Amerikas (= WZGN 5, Heft 1) (2005) 22f.;
DROUIN: Jean-Marc: Von Linn zu Darwin: Die Forschungsreisen der Naturhistoriker. In: SERRE, Michel
(Hg.): Elemente einer Geschichte der Wissenschaften (Frankfurt/Main 1994) 572-575.
13

Wissenschafters von Generalisten zum Spezialisten.21 Betrachtet man die ueren


Bedingungen der sterreichischen Brasilien-Expedition, so wird man feststellen, dass viele
Merkmale der klassischen Expeditionen des 18. Jahrhunderts auch am Beginn des 19.
Jahrhunderts noch Relevanz haben: planvolle Zusammenstellung einer Forschergruppe aus
Spezialisten, Anleitung mittels Dienstinstruktion und Fragenkatalogen, ffentliche Patronanz.
Ein Ansatz, dem die neuere Wissenschaftsgeschichte ebenfalls besondere Aufmerksamkeit
widmet, ist die Praxis der Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften.22 Praxis
meint dabei neben literarischen Praktiken, sozialen Praktiken (Austausch von Informationen
und Daten, wissenschaftliche Vereine, Forschungsinstitutionen) und Praktiken der Lehre auch
materielle Praktiken wie die Durchfhrung von Experimenten und die Produktion jener
Dinge, mit denen die Naturwissenschaften arbeiten. Neben Bchern sind das vor allem die
naturkundlichen Objekte (Prparate), deren Sammlung, Prparierung und Transport
wesentlicher Teil und Voraussetzung naturwissenschaftlich Forschung ist.23 In dieser
Perspektive erscheint es sinnvoll, dem Verlauf von Johann Natterers Brasilienreisen genauer
zu folgen. Die Einblicke, die er durch seine Art der Berichterstattung in den Alltag seiner
Expedition und in viele Aspekte ihrer Realisierung gibt, ermglichen es, seine Sammelreisen
als Teil einer naturwissenschaftlichen Praxis und damit als kulturgeschichtlich relevantes
Phnomen zu betrachten.
Die Konzentration auf Erfolge und Ergebnisse der sterreichischen Brasilien-Expedition hat
etwa am Beispiel Natterers dazu gefhrt, ihn blo als der unpersnliche Typ Wissenschafter
[], der alles, was er zu Gesicht bekommt, klassifiziert, inventarisiert, peinlichst genau
beschreibt [] und sammelt24 zu charakterisieren. Seine detaillierten Berichte und Briefe
lassen ein differenzierteres Bild mglich erscheinen, das viele Facetten seines Handelns und
21

LEPENIES, Wolf: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverstndlichkeiten in den
Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts (= Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 227) (Wien/Mnchen
1978) 16-28; ZIMMERMANN, Christian v.: Vorwort. In: ZIMMERMANN, Christian v. (Hg): Wissenschaftliches
Reisen reisende Wissenschafter. Studien zur Professionalisierung der Reiseformen zwischen 1650 und 1800. (=
Cardanus 3) (Heidelberg 2002) 7-18.
22
Zur Bedeutung, die in der neueren wissenschaftsgeschichtlichen Forschung der Praxis zugestanden wird, vgl.
die Beitrge in PICKERING, Andrew (Hg.): Science as Practice and Culture (Chicago 1992), JARDINE,
Nicholas SECORD, James A. SPARY, Emma (Hg.): Cultures of Natural History (Cambridge 1996) sowie
HAGNER Michael: Ansichten der Wissenschaftsgeschichte. In: HAGNER, Michael (Hg): Ansichten der
Wissenschaftsgeschichte (Frankfurt/Main 2001) 19-33.
23
JARDINE, Nicholas SPARY, Emma: The natures of cultural history. In: JARDINE, Nicholas SECORD,
James A. SPARY, Emma (Hg.): Cultures of Natural History (Cambridge 1996) 8f.
24
KANN: Brasilienexpedition (1992) 108.
14

seiner Person zeigen kann, die sich bei intensiver Lektre seiner Schriften und ihrer Analyse
in bestimmten Kontexten erffnen.
Fr Natterers Reisen stehen ausfhrliche, bisher wenig genutzte Quellen zur Verfgung, die
gentzt werden sollen, diese Kontexte zu rekonstruieren. Natterer war verpflichtet, mglichst
regelmig Berichte ber seine Aktivitten an seine Vorgesetzten nach Wien zu schicken.
Erstmals

wird

der

gesamte

erhaltene

Bestand

an

Expeditionsberichten

und

Tagebuchfragmenten ausgewertet und neuen Fragestellungen zugefhrt. Die Quellen fr die


vorliegende Arbeit unterscheiden sich jedoch wesentlich vom Reisebericht im engeren Sinn.
Es sind aktuelle bzw. semiaktuelle Berichte, die stark an das unmittelbare Geschehen vor Ort
gebunden sind. Statt literarischer berhhung und Verdichtung im Reisebericht ist an
Natterers Berichten eine gewisse Unmittelbarkeit des Geschehens interessant. Nachtrgliche
Gesamtschau, Redaktion und Auswahl sowie Versuche einer Zusammenfassung des Erlebten
vielleicht auch unter strker philosophischen / weltanschaulichen Perspektiven sind
weniger stark ausgeprgt als bei Reiseberichten, die in einer strkeren rtlichen und zeitlichen
Distanz verfasst wurden. Allgemeine landeskundliche, politische, philosophische oder
historische Errterungen fehlen weitgehend. Ebenso selten nimmt Natterer auf seine
naturkundliche Praxis Bezug. Seine Berichte sind auf die Darstellung seiner Reisefortschritte,
die seine Unternehmungen bestimmenden ueren Bedingungen und die Darstellung der
innerhalb dieser Abfolge von Reisebewegungen geleisteten Sammelarbeiten fokussiert. Fr
diese Aspekte der Geschichte einer naturwissenschaftlichen Expedition bilden die von
Natterer verfassten Aufzeichnungen eine Basis, wie sie fr andere Unternehmen dieser Art
und auch fr andere Teilnehmer der Brasilienexpedition aufgrund fehlender berlieferung
nicht vorhanden ist.

1.2. Fragestellungen

Im Rahmen eines Forschungsprojektes des Fonds zur Frderung der wissenschaftlichen


Forschung am Museum fr Vlkerkunde in Wien hatte ich die Gelegenheit, die erhaltenen
Briefe, Berichte und Notizen Johann Natterers zu lesen und zu transkribieren. Vorrangiges
Ziel des geschichtswissenschaftlichen Teils des Projektes war es, mit dem Auswerten der
ethnographischen Informationen in Natterers schriftlicher Hinterlassenschaft die Arbeit
15

meiner Projekt-Kollegen Michaela M. Hldrich und Robert F. Steinle bei der ethnologischen
Aufarbeitung und Beschreibung der Sammlung Natterers im Museum fr Vlkerkunde zu
untersttzen.25 Es zeigte sich, dass die Aufzeichnungen darber hinaus eine Flle von
Informationen zu seinen Reisen und Unternehmungen beinhalten. Was mich immer strker
faszinierte, waren die Details seiner Forschungspraxis, die mir folgende Fragen aufwerfen
lieen: Wie reiste er? Wer hat fr ihn gearbeitet? Wie arbeitete er selbst? Wie organisierte er
seine Reisen im schwer zugnglichen Landesinneren von Brasilien? Wie verliefen seine
Kontakte mit der indigenen Bevlkerung? Was waren seine Motive, die Strapazen derartiger
Expeditionen auf sich zu nehmen? Wie berichtet er ber dieses Land, das er so lange
Gelegenheit hatte, kennen zu lernen?
Naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse und Leistungen stehen dagegen nicht im
Zentrum meines Interesses. Mir geht es um die Beschftigung mit den Voraussetzungen einer
Forschungsaufgabe, unter denen eine bestimmte wissenschaftliche Praxis Sinn macht und
einen zu benennenden Zweck erfllt und es geht um die Herstellung von Kontexten, die aus
einer wie auch immer zu bewertenden oder zu bewundernden Leistung ein Bild
ergeben, dass einen Blick in ein fremdes Land ermglicht. Vier Aspekte sind im Laufe der
Beschftigung mit Natterers Aufzeichnungen fr mich von besonderer Bedeutung geworden:
die wissenschaftsgeschichtliche Rolle der sterreichischen Brasilien-Expedition, die
Einbettung des Forschungsunternehmens in zeitgenssische Diskurse, die Verbreitung ihrer
Ergebnisse durch Publikationen und ihre Rezeption in zeitgenssischen Zeitungen sowie
Natterers persnlicher Umgang mit seinen Erfahrungen in einer Neuen Welt.
Die sterreichische Brasilien-Expedition ist ein Beispiel einer naturwissenschaftlichen
Forschungsreise des frhen 19. Jahrhunderts, die spezifische Ziele, Aufgaben und
Herangehensweisen an ihre Forschungsgegenstnde implizierte. Um die Expedition und
Natterers Arbeit zu verstehen, ist es notwendig, zeitgenssische Kontexte zu rekonstruieren.

25

Ergebnisse des Forschungsprojektes Johann Natterers Brasilien-Sammlung (P12443-SPR) wurden


verffentlicht in STEINLE, Robert: Historische Hintergrnde der sterreichischen Brasilienexpedition (18171835) mit einer Dokumentation der Bororo-Bestnde aus der Sammlung Natterer des Museums fr Vlkerkunde
in Wien (ungedr. phil Diss.) (Wien 2000) sowie bei STEINLE, Robert Fin: Waffen und Gerthschaften der
Indianer aus Brasilien . Eine Dokumentation der Bororo-Objekte der Sammlung Natterer. In: Archiv fr
Vlkerkunde 52 (2002) 47-92, HLDRICH, Michaela: merkwrdige Effekten der Indier . Weitere
ethnographische Objekte aus dem Mato Grosso aus der Sammlung Johann Natterer. In: Archiv fr Vlkerkunde
52 (2002) 93-117 und SCHMUTZER, Kurt: Reisen im Innern von Brasilien. In: Archiv fr Vlkerkunde 52 (2002)
23-46.
16

Dienstinstruktionen geben ebenso wie Natterers Berichte Einblick in eine erwartete


Forschungspraxis, die ihr innewohnenden Logik und die Bedeutung, die Natterers
Auftraggeber, seine Zeitgenossen und er selbst seinem Tun als reisender Sammler beimaen.
Natterers Berichte und Aufzeichnungen ermglichen Antworten auf Fragestellungen, die das
technische, organisatorische und logistische Umfeld der Reise betreffen. Sie zeigen, was in
vielen Arbeiten ber Forschungsexpedition und Forscherbiographien ausgespart wird,
nmlich wie ein solches Unternehmen praktisch vorbereitet und durchgefhrt wurde und
unter welche Bedingungen Feldforschung betrieben werden musste.
Die Brasilien-Expedition als Gesamt-Unternehmen lste in verschiedenen Zusammenhngen
ein wissenschaftliches und auch publizistisches Echo in Wien bzw. sterreich aus. In
Zeitungen und Zeitschriften wurde ber die Ttigkeit der Forscher berichtet. In Brnn
erschien 1820 eine erste Buchpublikation zur Expedition. Die Einrichtung eines
Brasilianischen Museums in Wien 1821 und spter des so genannten Kaiserhauses als
Ausstellungsort der sdamerikanischen Sammlungen dokumentieren den Willen des
kaiserlichern Hofes, die Forschungsreise (und damit letztlich sich selbst als Initiator dieser
Reise) zu prsentieren. Die museale Zurschaustellung der Ergebnisse der Expedition wird
aber auch im Zusammenhang mit einem entsprechenden Interesse in der ffentlichkeit zu
sehen sein.
Letztendlich ist die Arbeit auch der Versuch einer biographischen Annherung an die Person
Johann Natterer. Weit ber seine naturwissenschaftlichen Interessen hinaus beschftigte sich
Natterer intensiv mit dem Land Brasilien und seinen Bewohnern. Sein siebzehnjhriger
Aufenthalt schuf auch private Bindungen. Seine Aufzeichnungen geben Einblick in die
Mglichkeiten und Grenzen einer Annherung an die fr ihn weitgehend unbekannten
Kulturen Brasiliens, mit denen er sich konfrontiert sah. Seine Beziehungen mit der lokalen
Bevlkerung und indigenen Gruppen und seine Auseinandersetzung mit ihm fremden
kulturellen und sozialen Verhltnissen waren bei allem Interesse, das er als Forscher und
Sammler dafr zeigte, durchaus nicht frei von Aggressionen, Gewalt und Unverstndnis.

1.3. Quellensituation

Die Expeditionsmitglieder waren verpflichtet, Berichte ber ihre Aktivitten an ihre


17

Vorgesetzten zu schicken. Das waren zum einen Karl von Schreibers, der damalige Direktor
des Naturalienkabinetts in Wien, und zum andern der jeweilige sterreichische Botschafter
oder Geschftstrger in Rio de Janeiro, der die Leitung der Expedition vor Ort innehatte.
Diese Berichte sind die Hauptquellen zur Brasilien-Expedition.
Im Haus-, Hof- und Staatsarchiv (Staatskanzlei, Brasilien) sind hauptschlich die Berichte an
die sterreichischen Botschafter bzw. Geschftstrger in Rio de Janeiro aufbewahrt. Es
handelt sich dabei meist um Originalbriefe Natterers, die mit der diplomatischen Post zur
Berichterstattung an die Staatskanzlei in Wien weitergeleitet wurden. Im selben Bestand
befinden sich auch andere wichtige Akten wie etwa eine Dienstinstruktion, Berichte der
sterreichischen Geschftstrger ber die Expedition und andere Unterlagen zu Vorbereitung
und Durchfhrung der Reisen.
Die Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek verwahrt 32 Briefe
Johann Natterers aus der Zeit von 1817-1835 und zwei Briefe aus 1836 sowie
Briefabschriften aus den Jahren 1837-1839. Zum grten Teil sind es Briefe an den Bruder
Josef Natterer, der Kustos am Naturalienkabinett war, sowie einige Korrespondenzstcke aus
der Zeit nach Natterers Rckkehr aus Brasilien.
Den grten und interessantesten Bestand an Natterer-Autographen besitzt das Museum fr
Vlkerkunde, nmlich ein Konvolut mit Abschriften und Konzepten von 162 Briefen Johann
Natterers zwischen 1817 und 1836, das abgesehen von einigen Verlusten aus den
Anfangsjahren der Expedition eine ziemlich vollstndige Zusammenstellung seiner
offiziellen Korrespondenz whrend der Reisen darstellen drfte. Das Konvolut wurde von
Natterer offenbar angelegt, um sich gegen den mglichen Verlust seiner Berichte und Briefe
whrend des langen Transportweges abzusichern. Dieser Bestand ist aus zwei Grnden
besonders wertvoll. Zum einen beinhaltet er die (zum Teil korrigierten) Konzepte der
Korrespondenz an Direktor Karl von Schreibers. Die Originalbriefe an Schreibers wurden mit
wenigen Ausnahmen beim Brand der Hofburg 1848 vernichtet und die Dokumente im Archiv
des Museums fr Vlkerkunde sind der einzige verbliebene Beleg fr diese Korrespondenz.
Zum zweiten notierte Natterer in diesen Konvoluten auch seine Briefe an verschiedene
Amtstrger, Kontaktpersonen und Freunde in Brasilien, von deren Existenz wir
wahrscheinlich ohne diese Abschriften nichts mehr wssten oder die nur sehr schwer zu
finden wren. Die Kongruenz zwischen den Aufzeichnungen im Museum fr Vlkerkunde
18

und tatschlich gesendeten Briefen lsst sich anhand der bereinstimmung zwischen diesen
Aufzeichnungen und erhaltenen Originalkopien im Haus-, Hof- und Staatsarchiv und in der
Wiener Stadt- und Landesbibliothek belegen und gilt als Arbeitshypothese auch fr jene
Stcke, deren Original verloren ist. Die Briefe an seinen Bruder sind in diesen Abschriften
nicht festgehalten. Somit enthlt das Konvolut nur die offiziellen Berichte und jene Briefe,
die aus Natterers Sicht im als Beleg fr seine geleisteten Arbeiten dienen sollten.
Insgesamt sind von Johann Natterer aus dem Zeitraum zwischen 1817 und 1835 etwa 200
Briefe berliefert. Ausschnitte aus Briefen wurden in zwei von Direktor von Schreibers
herausgegebenen Sammelbnden und in verschiedenen Zeitschriften publiziert. Zwischen
diesen verschiedenen berlieferungen (Konzepte, Originale, publizierte Fassungen) gibt es
zum Teil berschneidungen. Im gesamten ist ein umfangreicher Quellenbestand vorhanden,
der fast die ganze Reise Natterers ausfhrlich dokumentiert. In einem Verlauf von 18 Jahren
lsst sich in einer Art Langzeitbeobachtung wie bei keinem anderen Mitglied der
sterreichischen Brasilienexpedition Verlauf und Gestaltung der Reise verfolgen.
Die berlieferung ist jedoch nicht vollstndig. Schon whrend der Reise gingen
Aufzeichnungen verloren. Im Mrz 1818 wurde ein englisches Paketboot auf dem Weg von
Rio de Janeiro nach Grobritannien von Korsaren unter spanischer Flagge auf offener See
berfallen. Dabei wurden neben den Gesandtschaftsdepeschen auch die Berichte der
sterreichischen Naturforscher im Meer versenkt, um sie nicht in die Hnde der Spanier
gelangen zu lassen.26 Ein kleiner Transport kam bei einem Schiffsunglck im Hafen von Rio de
Janeiro im Juli 1820 zu Schaden.27 Whrend politischer Unruhen in Par 1835 wurden viele
Unterlagen zerstrt,28 und auch die brasilianischen Muse trugen zur Dezimierung der
vorhandenen Quellen bei.29 Die grte Katastrophe geschah aber im Revolutionsjahr 1848.
Bei der Beschieung Wiens im Oktober 1848 wurde die Hofburg getroffen, das
Naturalienkabinett brannte aus. Was genau im Bro und in der Wohnung des Direktors von
Schreibers im Hofnaturalienkabinett vernichtet wurde, lsst sich im Einzelnen nicht mehr
rekonstruieren. Eine erhaltene Auflistung der Schden belegt aber den Verlust des gesamten
26

SCHREIBERS, Karl von: Nachrichten von den kaiserlich-sterreichischen Naturforschern in Brasilien und
den Resultaten ihrer Betriebsamkeit. Bd. 1 (Brnn 1820) 101f.
27
Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 146, 6. Dezember 1821, 1229.
28
Johann Natterer an unbekannt [verm. Karl Schreibers], London, 12. November 1835, Archiv MVK.
29
Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorf, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Mai 1827, Archiv
MVK.
19

schriftlichen Materials des Direktors, darunter seine Korrespondenz.30


Der Verbleib von Natterers Tagebchern ist nach wie vor ungeklrt. Dass Natterer, wie in der
Dienstinstruktion befohlen, solche fhrte und sie auch nach Wien zurckbrachte, geht aus
einer Bemerkung in einem Brief von Direktor von Schreibers von 1836 hervor, der erwhnt,
Natterers Journale, geographisch-statistischer Bemerkungen, Beobachtungen ber die Sitten
und Gebruche, Character und Sprache vom mehr als 70 verschiedenen wilden
Vlkerstmmen und Horden31 lgen nunmehr zur Einsicht bereit. Vereinzelte Notizen und
Fragmente mit tagebuchhnlichen Aufzeichnungen befinden sich im Museum fr
Vlkerkunde, der Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek und im
Archiv fr Wissenschaftsgeschichte am Wiener Naturhistorischen Museum.
Lange Zeit war man der Meinung, diese Manuskripte seien ebenfalls verbrannt. Ferdinand
Anders entdeckte jedoch 1976 in der Universittsbibliothek Basel im Nachlass des Schweizer
Sdamerika-Forschers und Diplomaten Johann Jakob von Tschudi (1818-1889), der lange
Zeit

in

sterreich

lebte,

ein Manuskript mit Wortlisten und ethnographischen

Aufzeichnungen Natterers. Das belegt, dass zumindest Teile aus dem schriftlichen Nachlass
vor dem Brand ausgeborgt worden und 1848 gar nicht in Wien waren. Carl Philip Friedrich
von Martius zitiert in seinen Beitrgen zur Ethnographie und Sprachenkunde Amerikas
zumal Brasilien (1867) ebenfalls Aufzeichnungen von Natterer, die er von Tschudi
vermittelt bekommen hatte.32 Der Verbleib der Tagebcher konnte aber bisher nicht
aufgeklrt werden. Nachforschungen von Peter Kann und Ferdinand Anders blieben
ergebnislos. Vermutlich sind sie im Laufe der Jahre in den Hnden diverser Benutzer
verschollen.

1.4. Textkritik und Methodik

Die erhaltenen Texte werfen einige Fragen auf, die zum einen bei der Lektre und

30

RIEDL-DORN: Haus der Wunder (1998) 127.


Karl von Schreibers an das Oberstkmmereramt, Wien, 21. Oktober 1836, HHStA, Oberstkmmereramt,
Karton 311 B, Akten 1836, Rubrik 58/3, Zl. 1725.
32
ANDERS, Ferdinand: Johann Jakob von Tschudi. Forscher Reisender Diplomat (Schaffhausen 1984) 9;
KANN: Wortlisten (1989) 101f; vgl. MARTIUS, Carl Friedrich Philipp von: Beitrge zur Ethnographie und
Sprachenkunde Amerika's, zumal Brasiliens. Bd 2 (Leipzig 1867) 228: Die Notizen aus dem Tagebuche
Natterers verdanke ich meinem Freunde von Tschudi, der in Besitz derselben gesetzt worden ist.
20
31

Bearbeitung dieser Ego-Dokumente33 nahe liegen und zum anderen aufgrund der
Bedingungen entstehen, unter denen diese Texte verfasst wurden und die das Verstndnis und
die Interpretation seiner Mitteilungen nachhaltig beeinflussen. Die Reiseerfahrung ist keine
empirische, sondern eine experimentelle Erfahrung,34 deren Bedingungen Gegenstand
historischer Arbeit sind. Wie fr den literarischen Reisebericht gilt auch fr Natterers
Reisebriefe, dass sie als Synthese aus Erlebnis und jenen Formen der Vermittlung, die von
seinen Rezipienten akzeptiert wurden, gelesen werden knnen. Als Autor operiert Natterer
dabei auf verschiedenen Ebenen: Festhalten von Fakten und Beschreibungen von Erfahrungen
berlagern sich mit Selbst-Darstellungen, wie Natterer sich selbst und seine Arbeit
prsentieren wollte und jenen Strategien, die Verlauf und Dauer seiner Reisen rechtfertigen
sollten.
Der berwiegende Teil der Informationen, die wir ber Johann Natterer haben, stammt von
ihm selbst. Sein Blickwinkel ist notwendigerweise subjektiv, und es fehlt meist ein Korrektiv
durch eine andere Sicht von auen. Whrend des berwiegenden Teils seiner Reisen war er
der einzige Teilnehmer, der seine Erlebnisse schriftlich festhielt. Allerdings gibt es mehrere
Ebenen der Berichterstattung, die jeweils unterschiedlich nach Adressaten unterschiedliche
Akzente in den Darstellungen und Erzhlweisen setzen. Als wichtigste dieser Ebenen sind die
bereits genannten Hauptadressaten Natterers zu nennen: Direktor von Schreibers, der
jeweilige Botschafter in Rio de Janeiro und sein Bruder.
Die Briefe an die sterreichischen Geschftstrger in Rio de Janeiro und an Karl von
Schreibers waren als Ttigkeitsberichte an seine beiden direkten Vorgesetzten gedacht. Daher
knnen Natterers Aufzeichnungen nicht unabhngig davon gelesen werden, dass diese
Berichte seine ausgedehnten Reisen rechtfertigen und als Nachweis seines Arbeitseifers
fungieren sollten. Sie waren Grundlage der Bewertung seiner Arbeit durch seine
Vorgesetzten, die darber entschieden, ob er seine Arbeit, seine Reise fortsetzen durfte oder

33

SCHULZE, Winfried: Ego-Dokumente: Annherung an den Menschen in der Geschichte? Vorberlegungen fr


die Tagung Ego-Dokumente. In: SCHULZE, Winfried (Hg.): Ego-Dokumente. Annherung an den Menschen in
der Geschichte (= Selbstzeugnisse der Neuzeit 2) (Berlin 1996) 11-30, bes. 21: Es sollen darunter alle jene
Quellen verstanden werden, in denen ein Mensch Auskunft ber sich selbst gibt, unabhngig davon, ob dies
freiwillig also etwa in einem persnlichen Brief, einem Tagebuch, einer Traumniederschrift oder einem
autobiographischen Versuch oder durch andere Umstnde bedingt geschieht.
34
BRENNER, Peter J.: Die Erfahrung der Fremde. Zur Entwicklung einer Wahrnehmungsform in der
Geschichte des Reiseberichts. In: BRENNER, Peter J. (Hg.): Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung
in der deutschen Literatur (Frankfurt/Main 1989) 29.
21

nicht. Die Auswahl der mitgeteilten Informationen und die Selbstdarstellung des Forschers
sind davon beeinflusst, dass er die Entscheidungstrger berzeugen und fr seine Ziele
gewinnen wollte. Strategische Interessen spielen damit beim Verfassen der Texte eine
wesentliche Rolle, wie es zum Beispiel an der Tendenz, auftretende Probleme oder
Verzgerungen optimistisch zu bewerten oder zu verharmlosen, abzulesen ist.
Die Briefe an den lteren Bruder, Josef Natterer, nehmen eine andere Position ein. Josef war
ebenso wie Johann in Hofnaturalienkabinett beschftigt, war zugleich Familienmitglied und
(spter als Leiter der Zoologischen Abteilung) eigentlich Vorgesetzter. Errterungen ber
Probleme und Krankheiten sind in diesen Briefen dennoch wesentlich offener und
ausfhrlicher, als in den offiziellen Berichten an Botschafter und Direktor. Auch Kritik an
sterreichischen oder brasilianischen Behrden kommt in diesen Briefen deutlicher zur
Sprache. Der Bruder wird zum Mitwisser und es kann vermutet werden, dass Josef Natterer
dadurch unter Umstnden auch die Rolle eines Vermittlers einnehmen konnte, der
inoffiziell manche Informationen weitergeben oder um Untersttzung fr den Bruder in
Brasilien werben konnte.
Sehr spannend ist die Ebene des Freundeskreises. In den Briefen an Freunde und Bekannte
in Brasilien thematisiert Natterer hufig Bereiche seines Lebens und seiner Arbeit, die er in
den Berichten nach Wien vollkommen ausspart. Diese zumindest teilweise parallel verfassten
Darstellungen des Geschehens whrend der Reise erlauben es, die Strategien, die der Autor
verfolgte, herauszuarbeiten.
Johann Natterer hat sich immer geweigert, einen zusammenfassenden Reisebericht zu
verfassen. Er betrachtete dies nicht als seine Aufgabe und nicht seinen Fhigkeiten
entsprechend. Es gibt daher keine umfassende Selbstinterpretation seiner Person und seiner
Ttigkeit, keine Autobiographie, keine Reisebeschreibung seines Brasilienaufenthalts, die
eine Interpretation seiner Sicht der Dinge (vielleicht) erleichtern oder zumindest verndern
wrde. Die erhaltenen Aufzeichnungen sind vorwiegend chronologisch aneinander gereihte,
nchterne

Aufzhlungen

des

Faktischen,

Ttigkeitsberichte,

Beobachtungen,

Zusammenfassungen seiner Tagebuchaufzeichnungen, nur selten Analysen. Natterers


Aufgabe war vor allem das Sammeln von naturkundlichen Objekten, und diese Aufgabe
prgte sicherlich Wahrnehmung, Beschreibung und Deutung seiner Erlebnisse. Natterer
hinterlie mit seinen Berichten einen Rahmen, der vorgibt, in welcher Art und Weise ber
22

seine Arbeit in Brasilien geredet und gedacht werden sollte.


Natterer ist das einzige sterreichische Mitglied der gesamten Expedition, deren
ursprngliche Berichte erhalten sind. Ein Vorteil dieser Quellensammlung ist es, dass sie
eben nicht in einem weiteren Vorgang von Auswahl, Redaktion und Reflexion in einen
Reisebericht umgearbeitet wurden, sondern noch relativ nahe am Geschehen sind, ber das
sie berichten. Fehlt auch die Vorstufe der Tagebuchnotizen fr eventuelle Textvergleiche, so
ist doch vor allem anhand der Konzeptmanuskripte im Archiv des Museums fr Vlkerkunde
die Verwendung tageweiser Notizen in der Gliederung der Berichte ebenso erkennbar, wie
erste Schritte der berarbeitung, der Korrektur und der Auswahl der zu berichtenden
Informationen und Geschehnisse.
Der Kernbestand des schriftlichen Nachlasses, die Berichte nach Wien und nach Rio, folgen
meist einem bestimmten Muster: Rekapitulation der Reisebewegungen der letzten
Berichtsperiode und Darstellung allgemeiner Belange, wie eventueller Verzgerungen,
Aufenthalte und allgemeine Beobachtungen quantitative Erfassung der Ausbeute und kurze
Beschreibung der wichtigsten in dieser Zeit gesammelten naturhistorischen Objekte aktuelle
Gegebenheiten und weitere Plne.
Trotz aller Redaktion, berarbeitung und Strategie ist an den Briefen Natterers zu schtzen,
dass sie oft einen relativ unmittelbaren Einblick in die Belange der Expedition geben. Vieles,
was in nachtrglicher berarbeitung bei der Zusammenstellung eines publizierbaren
Reiseberichts sicherlich beiseite gelassen worden wre, ist in den Briefen und Tagebcher
erhalten. Es ermglicht Einblicke in den Alltag, der in einem nachtrglich erstellten
Reisebericht nach dem mehr oder weniger erfoglreichen Abschluss eines Unternehmens nicht
mehr oder zumindest weniger interessieren wrde, der aber in den Berichten eben auch als
Rechtfertigung fr Verlauf, Dauer und Planungen der Reise dargestellt werden musste. Unter
diesen Prmissen werden z.B. auch Natterers manchmal umstndliche und langatmige
Schilderungen des Verlaufs seiner Reisen verstndlich und fr historische Fragestellungen
interessant und nutzbar.

Als der Wiener Hof im Herbst 1816 die ersten Plne fr die Entsendung einer groen,
naturwissenschaftlichen Expedition nach Brasilien machte, war Johann Natterer damals
kaum 30 Jahre alt die erste Wahl fr die Leitung des gesamten Unternehmens. Ohne ein
23

akademisch ausgebildeter Wissenschafter zu sein, konnte er auf eine solide Ausbildung und
groe Erfahrung bei der praktischen Umsetzung und Organisation einer derartigen
Sammelreise verweisen.

2. WERDEGANG EINES SAMMLERS

Am 9. November 1787 konnten sich Maria Anna Theresia Natterer, geborene Schober, und
Joseph Natterer (1754-1823) ber die Geburt ihres zweites Sohnes Johann freuen.35 Die sptere
Laufbahn als Naturforscher war familir vorgeprgt. Der Vater war k.k. berittener Falkonier in
der kaiserlichen Sommerresidenz in Laxenburg und ein begeisterter Sammler von Insekten,
Vgeln und Sugetieren, der alle Tiere auch selbst prparierte und ausstopfte. Seine Kenntnisse
im Ausbalgen und Prparieren von Tieren sowie verschiedene Fang- und Jagdmethoden gab
Joseph Natterer an seinen Sohn Johann und dessen lteren Bruder Joseph (1786-1852) weiter. In
diesem Umfeld verbrachte Johann Natterer seine ersten Lebensjahre.
Joseph Natterers Dienstherr Kaiser Franz II. interessierte sich zwar sehr fr Botanik und
Zoologie, aber offenbar weniger fr Falkenjagd. 1793 wurde die Falknerei in Laxenburg
aufgelst, die umfangreiche Privatsammlung von Tierprparaten seines Falkners kaufte der
Kaiser auf. Franz II. beabsichtigte eine Neuordnung seiner naturkundlichen Sammlungen und
Natterers Prparate bildeten nun den Grundstock der Zoologischen Abteilung der kaiserlichen
Sammlungen, damals K.K. Physikalisches und Astronomisches Kunst- und Natur-ThierCabinet genannt. Die Familie Natterer bersiedelte nach Wien, Vater Joseph wurde als so
genannter Aufseher (Kustos) im kaiserlichen Tierkabinett angestellt und mit Betreuung und
Ausbau der Sammlung betraut.
Natterers Shne folgten in die Fustapfen des Vaters. Joseph jun. trat 1801 als freiwilliger
Helfer in die Dienste der kaiserlichen Sammlungen. Als 1806 das nun Vereinigte k.k.

35

Zu den biographischen Angaben und zur Familie Natterer vgl. Oesterreichische National-Encyklopdie oder
alphabetische Darlegung der wissenswrdigsten Eigenthmlichkeiten des sterreichischen Kaiserthumes. Bd. 4
(Wien 1836) 24f.; Wiener Zeitung, Nr. 174, 26. Juni 1843, 1339 (Nekrolog); SCHRCKINGERNEUDENBERG: Erinnerung (1855) 727-732; WURZBACH, Constant von: Biographisches Lexikon des
Kaiserthums Oesterreich, Bd. 20 (Wien 1869, Reprint 2001) 96-101; PELZELN: Erinnerung (1889) 582-585;
SCHOLLER: Johann Natterer (1954/55) 36-42; BL 7 (1978) 39f.; KANN: Brasilienexpedition (1992) 12f.;
NDB 18 (1997) 754f.; RIEDL-DORN: Natterer (2000) 1319.
24

Naturalien-Cabinet genannte Museum reorganisiert wurde, ernannte der neue Direktor Karl
von Schreibers (1775-1852) Joseph Natterer sen. zum 1. Aufseher der zoologischen Abteilung,
Joseph jun. bernahm als Aufseher-Adjunkt die Verwaltung der Vogel- und SugetierSammlung. Das Naturalienkabinett wurde auch fr den jngeren Sohn Johann der Einstieg in
eine wissenschaftliche Karriere.

2.1. Natterers Ausbildung

Johann Natterer trat 1794 in die Normalschule bei den Piaristen in Wien ein, wo er auch das
Gymnasium besuchte. Ein regulres Studium schloss Natterer nicht ab, sondern er erwarb
sich vielfltige Kenntnisse im freien Studium an der Real-Akademie und an der Wiener
Universitt. Chemie und Botanik lernte er bei Joseph Franz von Jacquin (1766-1839),36
Naturgeschichte bei Johann Andreas Scherer (1755-1844)37 und Anatomie bei Alois Michael
Mayer (1766-1831).38 Zustzlich nahm Natterer Privatunterricht in Italienisch, Franzsisch,
Englisch und Philosophie, und er lernte Zeichnen. Die Aufgaben, die er in der Folge vom
Naturalienkabinett bertragen bekam, fhrten dazu, dass er seine Ausbildung abbrach und
(zunchst unbesoldet) Sammlungsreisen in den Kronlndern unternahm. 1804 reiste er
gemeinsam mit seinem Vater nach Ungarn und erforschte die Gegend um den Neusiedlersee.
Die Thei abwrts gelangten sie bis ins Banat. 1805 besuchte Johann Natterer noch zweimal
den Neusiedlersee, diesmal alleine. Weitere Sammelreisen fhrten ihn ins Wechselgebiet
(1806) und an den Balaton (Ungarn) und nach Kroatien (1807). In dieser Zeit war Natterer
auch als Leiter einer geplanten Expedition nach Sibirien und Kamtschatka vorgesehen
gewesen, die allerdings auf Grund des ausbrechenden Krieges mit Frankreich nicht realisiert
wurde.39 Erfahrung in der Befrderung natur- und kunsthistorischer Gegenstnde konnte er
auch bei der berstellung eines aus gypten angelangten Transportes von Triest nach Wien
sammeln. Fr seine Dienste erhielt Natterer 1808 ein Belobigungsdekret des Kaisers. Im
folgenden Jahr wurde er am Hofnaturalienkabinett angestellt zunchst als unbezahlter
Praktikant.
36

Vgl. WURZBACH: Biographisches Lexikon 10 (1863) 23-26.


Vgl. WURZBACH: Biographisches Lexikon 29 (1875) 207-210.
38
Vgl. WURZBACH: Biographisches Lexikon 18 (1868) 78.
39
Johann Natterer an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Wien, 27. Dezember 1816, HHStA,
37

25

2.2. Im Dienst des Naturalienkabinetts

Als whrend des Krieges von 1809 die kostbarsten Objekte der Museen und Bibliotheken, der
Schatzkammer und der sonstigen kaiserlichen Sammlungen vor den anrckenden Franzosen
in Sicherheit gebracht wurden, erhielt Johann Natterer den Auftrag, gemeinsam mit Direktor
von Schreibers den Transport nach Temesvr (heute Rumnien) zu begleiten. Diese
Gelegenheit nutzte Natterer, um mit dem Jger Sochor eine Reise an die osmanische Grenze
zu unternehmen. Nach dem Friedensschluss mit Frankreich brachte Natterer die Sammlungen
wieder zurck nach Wien. Im Herbst 1810 unternahm er eine Reise nach Mhren. Als erstes
Ergebnis seiner Reisen und Forschungen konnte Natterer gemeinsam mit Direktor Karl von
Schreibers und Johann Gottfried Bremser 1811 eine in Fachkreisen viel beachtete Arbeit ber
Eingeweidewrmer publizieren.40
Es scheint, als htte sich Natterer schon zu dieser Zeit fr die Laufbahn eines reisenden Jgers
und Sammlers im Dienste der Wissenschaft entschieden. Auch in den folgenden Jahren war
Natterer stndig unterwegs. 1812 unternahm er auf eigene Kosten wobei er nach eigenen
Angaben aus Liebe zur Naturgeschichte sein ganzes Erbtheil verreist41 habe eine Reise
nach Italien, die ihn ber Triest, Venedig, Padua, Bologna und Neapel bis nach Kalabrien
fhrte. Im folgenden Jahr musste er nach dem Ausbruch des Krieges mit Frankreich unter der
Leitung von Hofrat Braun erneut Teile der Krongter nach Fischamend in Sicherheit bringen.
1814 fhrte ihn eine Reise nach Triest, wo er fr den Kaiser bestimmte Tiere des Bey von
Tripolis bernahm. Mittlerweile sehr erfahren in der Organisation und Durchfhrung von
wichtigen Transporten begleitete Natterer Direktor von Schreibers 1815 nach Paris, um die
sterreichischen Kunstschtze aus dem Beutegut Napoleons auszugliedern und zurck nach
Wien zu bringen. Insgesamt absolvierte Natterer bis zu diesem Zeitpunkt fnfzehn Reisen im
Auftrag des Naturalienkabinetts.42 Aufgrund seines Einsatzes fr die kaiserlichen
Sammlungen bekam Johann Natterer 1816 die neu fr ihn geschaffen, nun auch besoldete
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 1 (alt Fasz. 1), Akten 1814-1816, fol. 58r-v, 61r.
Nachricht von einer betrchtlichen Sammlung thierischer Eingeweidewrmer (Wien 1811).
41
Johann Natterer an Franz I., Wien, 27. Dezember 1816, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 1 (alt
Fasz. 1), Akten 1814-1816, fol. 59r-60v.
42
Johann Natterer an Franz I., Wien, 27. Dezember 1816, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 1 (alt
Fasz. 1), Akten 1814-1816, fol. 59r-60v.
26
40

Stelle als Aufseher-Assistenten im Naturalienkabinett.43


Wenige Monate spter ergab sich fr den jungen Forscher die einmalige Gelegenheit fr eine
ausgedehnte und ambitionierte Sammelreise im Auftrag des Naturalienkabinetts: eine Reise
nach Brasilien.

3. EINE GNSTIGE GELEGENHEIT

Es ist bekannt, da Seine k.k. Majestt aus Liebe und Sorgfalt fr die ntzlichen Kenntnisse, um
dieselben zu erweitern und zugleich die Naturschtze ferner Welttheile auf vaterlndischen
Boden zu verpflanzen, die Gelegenheit und den Anlass der Vermhlung der durchlauchtigsten
Erzherzoginn Leopoldine kaiserl. Hoheit und Hchstderselben Reise nach Brasilien zu
bentzen, fr gut befunden, um eine Anzahl von Gelehrten und Naturforschern dahin abgehen
zu lassen, welche den Auftrage haben, mit Genehmigung Seiner allergetreuesten Maiestt, die
merkwrdigsten Gegenden Brasiliens zu bereisen, die Erzeugnisse, welche dort die Natur in
allen drei Reichen mannigfaltig darbiethet in ihren Geburtssttten zu beobachten,
wissenschaftliche Beobachtungen zu vervielfltigen und die vaterlndischen Sammlungen
fremder Naturseltenheiten zu bereichern.44
Mit diesen Worten kommentierten zeitgenssische Publikationen eine der bedeutendsten
wissenschaftlichen Expeditionen, die im 19. Jahrhundert in sterreich ihren Ausgang hatten,
sowie Sinn und Zweck dieses Unternehmens. Im Jahr 1816 bot sich dem habsburgischen Hof
in Wien eine einmalige Gelegenheit, die bereits reichlich vorhandenen kaiserlichen
Sammlungen mit seltenen und wertvollen naturwissenschaftlichen Objekten aus dem weit
entfernten Brasilien zu ergnzen.

43

FITZINGER, Leopold Joseph: Geschichte des kais. knig. Hof-Naturalien-Cabinetes zu Wien. III Abt. (Wien
1868) 2.
44
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) III; Schreibers zitiert fast wrtlich einen Zeitungsbericht ber die
Brasilienexpedition in der Wiener Zeitung, Nr. 114, 19. Mai 1817, 453. Der gleiche Text ist auch publiziert in
sterreichischer Beobachter, Nr. 140, 20. Mai 1817, 726; vgl. auch Vaterlndische Bltter fr den
sterreichischen Kaiserstaat, Nr. 44, 31. Mai 1817, 176.
27

3.1. Die brasilianische Heirat


Am Anfang stand eine arrangierte Dynastenhochzeit.45 Die Vermhlung der sterreichischen
Erzherzogin Leopoldine mit dem portugiesischen Thronfolger Dom Pedro folgte rein
politischen berlegungen. Die Knigsfamilie der Braganza war im Zuge der Napoleonischen
Kriege 1807 mit dem gesamten portugiesischen Hof nach Brasilien geflchtet. Portugal, das
sich geweigert hatte, an der Kontinentalsperre gegen Grobritannien teilzunehmen, wurde von
Frankreich besetzt, blieb in der Folge aber sich selbst berlassen. In Abwesenheit des
Herrschers gewannen liberale Tendenzen in Portugal an Einfluss. 1815 wurde die Kolonie
Brasilien in den Status eines Knigreichs in Personalunion mit Portugal erhoben. Brasilien war
damit die einzige Monarchie auf dem amerikanischen Kontinent. Im Rahmen der restaurativen
Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress wurde auch Portugal in das vom
sterreichischen Staatskanzler Metternich geplante Bndnissystem einbezogen. Metternich war
daran interessiert, die alte Ordnung in Portugal wiederherzustellen und zugleich den
sterreichischen Einfluss in der Neuen Welt zu vergrern. Eine Strkung der Dynastie
Braganza schien daher wnschenswert. Das stand in Einklang mit den Vorstellungen des
portugiesischen Regenten und spteren Knig Joo VI., der sich davon ein Gegengewicht zum
dominanten Einfluss Grobritanniens in Portugal erhoffte. Die Verheiratung der Kinder wurde
als geeignetes Mittel fr eine engere Verbindung zwischen sterreich und Portugal angesehen.
Der Abschluss des Ehevertrages zwischen Erzherzogin Leopoldine und Dom Pedro erfolgte am
29. November 1816.
Und Leopoldine? Wie stand sie selbst zu dieser politischen Heirat? Ihre Haltung ist geprgt von
der berzeugung, sich den Wnschen des Vaters und der Staatsrson unterordnen zu mssen:
Und da that ich denn, was er wnschte, in der festen berzeugung, dass man, wenn man den
Willen der Aeltern erfhlt, gewiss glcklich ist in jeder Lage, denn du weisst aus Erfahrung,
dass eine Prinzessin nie handeln kann, wie sie will,46 schreibt sie in einem Brief an ihre
Schwester Marie Louise.
Mit dieser dynastischen Heirat waren neben politischen auch kulturelle und kommerzielle
Interessen des Wiener Hofes verbunden. Die Aussicht auf die bevorstehende Reise der
45
46

Zur Heirat und den Hochzeitsverhandlungen vgl. OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 69-90.
Zit. nach OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 71.
28

Prinzessin nach Brasilien lie den Plan reifen, eine naturwissenschaftliche Sammelexpedition
auszursten. Zu dieser Entscheidung trugen auch persnliche Interessen bei. Franz I., war sehr
an Botanik interessiert und lie sich im Burggarten ein Gewchshaus errichten.47 Seit der Mitte
des 18. Jahrhunderts hatten die wissenschaftlich interessierten Habsburger immer wieder
Forscher mit Sammelexpeditionen nach bersee beauftragt, die einen stndigen Zustrom von
naturwissenschaftlichen Forschungs- und Ausstellungsobjekten Pflanzen, Mineralien,
Tierprparate und lebende Tiere fr die Menagerie in die kaiserlichen Sammlungen
garantierten.48 Die vierte Tochter des Kaisers, Leopoldine, teilte diese Leidenschaft. Sie besa
in Laxenburg bei Wien einen eigenen Obstgarten, baute Beeren an, hielt sich weie Fchse,
Hasen, einen Papagei und Zwerghhner aus Angola. Fr die Kinder des Kaisers wurde in
Schnbrunn ein Garten angelegt, den sie selber betreuen sollten und der dem Unterricht in
Pflanzenkunde diente. Leopoldine beschftigte sich auch mit Zoologie, Astronomie und
Mineralogie.49 ber den persnlichen Vorlieben soll aber nicht vergessen werden, dass eine
derartige Forschungsreise geeignet war, dem Veranstalter, also dem Kaiser, symbolisches
Kapital (Pierre Bourdieu) jenen Zusatznutzen in Form von Prestige und Ansehen als Frderer
der Wissenschaft zu verleihen, den die Zeitungsmeldungen beschreiben und ihrerseits
verstrken.
Als der portugiesische Botschafter in Paris, Dom Pedro Jose Joaquim Vito de Menezes
Coutinho, Marquis von Marialva, nach langen Verhandlungen am 17. Februar 1817 unter
groem Pomp feierlichen Einzug in Wien hielt und am folgenden Tag dem Kaiser offiziell
das Heiratsgesuch des Kronprinzen Dom Pedro berbrachte,50 hatten die Vorbereitungen fr
die geplante wissenschaftliche Brasilienexpedition schon lange begonnen.

47

Vgl. PFUNDHELLER, Joseph: Der Blumenkaiser (Wien 1881).


Zu den Sammelreisen von Nicolaus Joseph Jacquin 1754-1759 und von Franz Joseph Mrter, Franz Boos und
Franz Bredemeyer 1783-1788 vgl. HHNEL, Helga: Botanische Sammelreisen nach Amerika im 18.
Jahrhundert. In: WAWRIK, Franz ZEILINGER, Elisabeth MOKRE, Jan HHNEL, Helga (Hg.): Die Neue
Welt. sterreich und die Erforschung Amerikas. Ausstellungskatalog (Wien 1992) 61-77; HHNEL, Helga:
Kaiserliche Grtnergesellen bereisen Amerika. In: ZEILINGER, Elisabeth (Hg.): sterreich und die Neue Welt.
Symposion in der sterreichischen Nationalbibliothek. Tagungsband (= Biblos-Schriften 160) (Wien 1993) 95-102;
NOWOTNY, Otto: Die Forschungs- und Sammelreise des Nicolaus J. Jacquin in die Karibik und zu den Ksten
Venezuelas und Kolumbiens 1755 - 1759. In: ZEILINGER, Elisabeth (Hg.): sterreich und die Neue Welt.
Symposion in der sterreichischen Nationalbibliothek. Tagungsband (= Biblos-Schriften 160) (Wien 1993) 89-94;
zusammenfassend dazu RIEDL-DORN: Haus der Wunder (1998) 26-36 und 44-48.
49
OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 33f., 44f.
50
OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 84-86.
29
48

3.2. Vorbereitungen fr die naturwissenschaftliche Expedition

Hauptziel

der

Reise

sollte

die

Vergrerung

der

Bestnde

des

kaiserlichen

Hofnaturalienkabinetts sein. Der an den Naturwissenschaften sehr interessierte Staatskanzler


Clemens Wenzel Lothar von Metternich behielt sich selbst die oberste Leitung der Expedition
vor, die Control-Leitung in wissenschaftlicher Hinsicht51 wurde Karl von Schreibers (17751852), dem Direktor des kaiserlichen Hofnaturalienkabinetts, bertragen.52 Schreibers whlte
aus den Angestellten seines Hauses Johann Natterer als Zoologen und Heinrich Wilhelm Schott
(1794-1865) als Botaniker sowie Dominik Sochor (+ 1826), den Kammerbchsenspanner des
Erzherzogs Ferdinand, als Jagdgehilfen und Prparator fr die Teilnahme an der geplanten
Expedition aus. An eine Mitwirkung der Wiener Universitt war nicht gedacht. Vor allem im
Anfangsstadium der Planungen stand das k.k. Naturalienkabinett als Ort der Forschung im
Vordergrund.53 Die ersten Plne fr die Expedition nahmen sich also noch recht bescheiden aus:
zwei Fachleute aus dem Bereich der kaiserlichen Sammlungen, untersttzt von einem
Jagdgehilfen. Im Lauf der folgenden Monate wuchs die Gruppe der ausgesuchten Naturforscher
immer mehr an.
Metternich und Schreibers suchten die Verbindungen zu Wissenschaftern, die sich an der
Expedition beteiligen sollten und mit ihrer Teilnahme des wissenschaftlichen Status dieser
Reise erhhen sollten. Nachdem sich herumgesprochen hatte, dass eine Brasilienreise geplant
sei, meldeten sich viele interessierte Wissenschafter, die daran teilnehmen wollten. Metternich
war aber gegen eine ffentliche Ausschreibung der Teilnehmer, sondern versuchte selbst,
angesehene Forscher fr das Unternehmen zu gewinnen.54 Als Leiter des scientifischen Faches
wnschte sich Metternich den angesehenen Naturwissenschafter Kaspar Maria Graf von
Sternberg (1761-1838),55 der jedoch mit Hinweis auf seine Gesundheit und der Notwendigkeit
51

Weisung an Karl von Schreibers, 29. Jnner 1817, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 2 (alt
Fasz. 2), Wiss. Expedition, fol. 62r-63v.
52
Zu Schreibers vgl. PICHLER, Walburga: Karl Franz (Anton) von Schreibers 1775 1852. Direktor der
Hofnaturalienkabinette zu Wien 1806 1852. Biographie (ungedr. geisteswiss. Dipl.) (Wien 1993) bes. 58-60.
53
Das Naturalienkabinett behauptete im Allgemeinen whrend des Vormrz seine Vorrangstellung in der
naturwissenschaftlichen Forschung gegenber der Universitt. Vgl. dazu NEBEHAY, Stefan:
Naturwissenschaften im vormrzlichen Wien. In: Brgersinn und Aufbegehren. Biedermeier und Vormrz in
Wien 1815-1848. Ausstellungskatalog (Wien 1987) 432; KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 15f.
54
BLAAS: sterreichs Beitrag (1976) 22.
55
Wurzbach 38 (1879) 252-266; Deutsche Biographische Enzyklopdie (DBE) 9 (1998) 516f. Zu Sternbergs
Person und wissenschaftlichem Engagement vgl. SCHWEIZER, Claudia: Zur Geschichte der sterreichischen
30

seiner Anwesenheit auf seinen Gter absagte. Sternberg schickte aber zugleich Ideen ber
naturhistorische Reisen in den k.k. Erbstaaten, die er untersttzen wollte.56
Als Leiter der Expedition vor Ort schlugen Schreibers und Metternich zunchst Natterer vor.
Auf Antrag seines Leibarztes Staatsrat Andreas von Stifft ernannte der Kaiser jedoch Johann
Christian Mikan (1769-1844),57 Professor fr Allgemeine Naturgeschichte an der Universitt
Prag, zum Leiter des gesamten Unternehmens. Ob hier Bedenken eine Rolle gespielt haben,
dass das Ansehen und das Niveau der Expedition leiden wrden, wenn kein einziger
Akademiker daran teilnehmen wrde, ist unklar. Der Kaiser selbst drfte am Fehlen eines
Akademikers keinen Ansto genommen haben, da er Universittsprofessoren weniger schtzte
als gebildete Praktiker.58 Diese Entscheidung lste jedenfalls noch vor Beginn der Reise
Zwistigkeiten aus und belastete die Beziehungen zwischen Natterer und Mikan.59 Natterer
fhlte sich bergangen und machte seinem Unmut Luft. In einem Schreiben an Metternich
zeigte er auch deutlich sein Misstrauen gegen den Kollegen und Konkurrenten aus Prag:
Durch meine vielen Reisen und manigfaltigen Dienste glaubte ich das Zutrauen zu verdienen,
mit welchem mich Herr Director von Schreibers in seinem ersten an Euer Durchlaucht
berreichten Reiseplan zur Leitung der gesammten naturhistorischen Expedition in Brasilien
auf eine mhevolle Reise, wie es Euer Durchlaucht bekannt seyn wird, vorschlug. Dieser
Vorschlag wurde nun dahin abgendert, dass Herr Mikan an meiner Stelle zum Leiter bestimt
ist. Dass dieser Umstand mir nicht gleichgltig ist, dies ist mir wohl ebensowenig zu verargen,
als in Abrede zu stellen. Meine Ehre, mein Zutrauen in meine Rechtschaffenheit und in meine
Kenntnisse sind dabey gefhrdet. [] Und wenn ich berdies die Kenntnisse, naturhistorische
Sammlungen zu machen, mir zu besitzen schmeichle und auch schon Beweis davon abgelegt
habe, so wre es traurig, wenn ich nun unter einem fremden Professor zurkdienen msste, von
dem ich nicht berzeugt bin, ob er nicht einst den Lohn fr meine Verdienste einernten wrde.60

Brasilienexpedition 1817-1835. Briefe Johann Emanuel Pohls an Goethes Altersfreund Kaspar Maria Graf von
Sternberg. In: Jahrbuch des Wiener Goethe-Vereins 102/103 (1998/99) 74f.; SCHWEIZER, Claudia: Zur
Geschichte der k.k. vereinigten Hofnaturalienkabinette in Wien. Kaspar Maria Graf Sternbergs Einfluss in den
Jahren des Vormrz. In: Mensch Wissenschaft Magie. Mitteilungen der sterreichischen Gesellschaft fr
Wissenschaftsgeschichte 21 (2001) 67-90; SCHWEIZER Claudia: Kaspar Sternberg (1761-1838) und das
Vaterlndische Museum in Prag als Ausgangspunkt wissenschaftlicher Netzwerke. In: Mensch Wissenschaft
Magie. Mitteilungen der sterreichischen Gesellschaft fr Wissenschaftsgeschichte 24 (2006) 95-109.
56
Kaspar von Sternberg an Franz Anton von Kolowrat-Liebsteinsk, Prag, 30. Jnner 1817, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 2 (alt Fasz. 2), Wiss. Expedition, fol. 28r-30r.
57
Zu Mikan vgl. NDB 17 (1994) 491f.
58
KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 220f.
59
Zur Bestellung der Expeditionsteilnehmer vgl. KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 220-222.; KANN:
Brasilienexpedition (1992) 8-10; MAUTHE: Brasilienexpedition (1992) 79f.
60
Johann Natterer an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Wien, 27. Dezember 1816, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 1, Konv. 1 (alt Fasz. 1), Akten 1814-1816, fol. 58r-v, 61r.
31

In diesem Schreiben uerte sich ein nicht geringes Selbstbewusstsein. Natterer berief sich als
Individuum auf seine bisherigen Leistungen und er bekannte sich zu seinem Ehrgeiz, persnlich
den Ruhm fr die geplante Expedition zu ernten. Dahinter steht wohl auch das institutionelle
Selbstbewusstsein als Mitglied des angesehenen Naturalienkabinetts. Auch in einem Schreiben
an den Kaiser beklagte Natterer, dass er die Entscheidung zugunsten Mikan als eine Strafe
und Schande betrachtete. Den Herr[n] Mikan spricht er nun als fremder Professor an und
man fragt sich, ob Natterer dabei bewusst war, dass sein Kaiser nicht sehr viel von
Universittsprofessoren hielt.

Wenn diese Abnderung des anfnglichen Plans, als dessen Ursache ich mir auch ein
pltzliches Misstrauen in meine Kenntnisse oder meine Rechtschaffenheit denken kann, und
wenn der Umstand, dass ein mir fremder Professor, der um Euer Majestt Naturalienkabinett
keine oder nur unbedeutende Verdienste hat, meine auf so vielen Reisen mir erworbenen
Erfahrungen bemngeln, meine Reisedispositionen bestimmen oder abndern, meine Arbeit mir
vorschreiben oder ausmessen knnte und wrde, nachdem ich selbst diese Kenntnisse dazu
nach Director Schreibers eigenen Ausdrcken und Zeugnis besitze, auch schon dazu
vorgeschlagen war, und nachdem ich alle meine vielen naturhistorischen Reisen selbst leitete,
auch Untergeben dabey hatte, wenn diese erfolgte Abnderung nun mir hchst schmerzlich fllt
und wenn ich sie nicht gleichgltig hinnehmen kann, so werden Euer Majestt mir es verzeihen,
da sie mir ebensowohl zur Strafe als zur Schande gereichen msste. [] Euer Majestt sollen
sehen, was ich alleine geleistet habe, jene Ehre, die ich mir durch diese Reise einzuerndten
gedenke, soll niemand mir schmlern, mit meinen Verdiensten soll niemand theilen.61
Geschickt positionierte sich Natterer als erfahrener Praktiker im Gegensatz zum Akademiker,
der in Bezug auf die kaiserlichen Sammlungen nichts vorzuweisen hatte. Natterers Proteste
hatten zumindest zum Teil Erfolg. Sein Vorschlag an den Kaiser und Metternich, die
Kompetenzen zu teilen, fand Zustimmung. Jeder sollte sein Fachgebiet leiten: Mikan die
Botanik, Natterer die Zoologie. Nicht ohne Sarkasmus fhrt Natterer an, dass auf diese Art auch
die Leistungen der einzelnen Teilnehmer offenkundig werden wrden.
Ich bitte daher, dass Euer Durchlaucht gtigst bewirken mchten, dass diese Expedition in
zwey Theile zerfalle. Herr Mikan wird Botanik und Mineralogie, welche Fcher er vorzglich
versteht, ber sich nehmen, auch Herr Schott sey bey ihm, ich aber bernehme unabhngig von
ihm die Zoologie mit meinem untergeordneten Jger. Wir erhalten beyde getrennt unsere
Instruktionen, unsere Psse, unsere Geldvorschsse. Diese Verfgung brchte dem Ganzen
keinen Schaden, wahrscheinlich noch Nutzen, da sie die Zufriedenheit aller bewirkt. Herrn
61

Johann Natterer an Franz I., Wien, 27. Dezember 1816, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 1 (alt
Fasz. 1), Akten 1814-1816, fol. 59r-60v.
32

Mikan selbst soll ja daran liegen, seine Verdienste allein sichtbar zu machen, um der hohen
Meinung zu entsprechen, die man von ihm zu haben scheint.62
Da aber der Kaiser und Metternich offenbar doch der Meinung waren, Mikan msse als
Professor bevorzugt werden, wurde eine interne Hierarchie festgelegt. Natterer, obwohl als
Zoologe erfahren und langjhriger Mitarbeiter des Naturalienkabinetts, musste als NichtAkademiker zurckstehen, wie einer Mitteilung an Direktor Karl von Schreibers zu entnehmen
ist:
Das Verhltnis der Herren Mican und Natterer unter sich bestimmt sich von selbst durch die
natrliche Rcksicht auf ihre Dienstcathegorie sowohl als auch die ihnen anvertrauten
wissenschaftlichen Gegenstnde. [] Im Range steht Herr Professor Mican vor dem Herrn
Natterer, dieser Rang kann jedoch keinen directen Einfluss auf die wissenschaftlichen Zweige
ausben, welche dem einen oder dem anderen speciell anvertraut sind.63
Beide sollten als Leiter ihrer jeweiligen Arbeitsbereiche dem sterreichischen Gesandten in Rio
de Janeiro verantwortlich sein, smtliche Vorhaben mussten vom Botschafter bewilligt werden.
Die Geschftseinteilung innerhalb der Expedition sollte nun folgendermaen geschehen:
Heinrich Wilhelm Schott wurde Mikan als Gehilfe fr den botanischen Bereich zugeteilt.
Natterer sollte, untersttzt von Dominik Sochor als Jagdgehilfe, fr die Zoologie zustndig sein.
Durch Vermittlung des bhmischen Oberstburggrafen Franz Anton von Kolowrat-Liebsteinsk
wurde Anfang 1817 der Prager Arzt Johann Baptist Emanuel Pohl (1782-1834) als Mineraloge
in den Kreis der Expeditionsteilnehmer aufgenommen. Thomas Ender (1793-1875), auf den
Metternich aufmerksam geworden war, wurde zum Landschaftsmaler der Expedition
bestimmt.64

Mikan

wnschte

sich

auch

eine

Dokumentation

der

botanischen

Forschungsergebnisse und daher wurde Johann Buchberger (+ 1821) als Pflanzenmaler fr die
62

Johann Natterer an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Wien, 27. Dezember 1816, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 1 (alt Fasz. 1), Akten 1814-1816, fol. 58r-v, 61r.
63
Weisung an Karl von Schreibers, 29. Jnner 1817, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 2 (alt Fasz.
2), Wiss. Expedition, fol. 62r-63v.
64
Zu Ender gibt es umfangreiche Literatur und Publikationen seiner Brasilien-Werke, vgl. FERREZ, Gilberto: O
Brasil de Thomas Ender 1817 (Rio de Janeiro 1976); FREIBERG, Siegfried: Die Brasilien-Aquarelle Thomas
Enders (Mnchen 1961); WAGNER, Robert: Die Brasilienreise Thomas Enders. In: ZEILINGER, Elisabeth
(Hg): sterreich und die Neue Welt. Symposion in der sterreichischen Nationalbibliothek. Tagungsband (=
Biblos-Schriften 160) (Wien 1993) 138-143; KAISER, Gloria WAGNER, Robert (Hg.): Thomas Ender.
Brasilien-Expedition 1817 (Graz 1994); WAGNER, Robert: Thomas Ender (1793-1875) und die sterreichische
Brasilienexpedition. In: Thomas Ender no Brasil 1817-1818. Ausstellungskatalog (Graz 1997) 15-29;
WAGNER, Robert BANDEIRA, Jlio (Hg.): Viagem ao Brasil nas aquarelas de Thomas Ender 1817-1818. 3
33

Reise engagiert.65
Die Auswahl der Forschungsreisenden trug der zunehmenden Spezialisierung der
wissenschaftlichen Disziplinen Rechnung. Man setzte nicht mehr auf Universalgelehrte, die
whrend der Reise alle Bereiche der Naturwissenschaften betreuen knnten, sondern stellte ein
Team aus den einzelnen Fachgebieten der Naturwissenschaften den klassischen Drei
Reichen Zoologie, Botanik, Mineralogie zusammen. Auf eine weitere Differenzierung etwa
innerhalb der Zoologie wurde allerdings verzichtet, ein Spezialist fr Insektenkunde wurde
sogar abgelehnt. Der von Direktor Karl von Schreibers zu Beginn der Planungen als Betreuer
fr die niederen Tierklassen nominierte Wiener Naturalienhndler Matthias Unterholzer
wurde vom Kaiser nicht genehmigt, da er nicht dem Naturalienkabinett angehrte. Schreibers
wollte offenbar mit der Nominierung Unterholzers auf die zunehmende Spezialisierung
innerhalb der Zoologie Rcksicht nehmen. Mit der kaiserlichen Entscheidung musste die
Expedition in der Folge ohne Entomologen auskommen. Die zeitgenssische Differenzierung
der wissenschaftlichen Disziplinen etwa innerhalb der Zoologie wurde damit nicht
bercksichtigt.66 Die Grnde dafr sind unklar, aber vielleicht entsprach dieses Vorgehen den
praktischen

Erfordernissen

einer

Sammelreise

insofern,

als

es

den

Kreis

der

Expeditionsteilnehmer relativ klein hielt.


Wie sich in der Folge der Reise zeigte, waren die mitreisenden Forscher nur eingeschrnkt
willens oder in der Lage, Fachbereiche anderer Kollegen zu bernehmen. Eine Ausnahme war
Pohl, der im Zuge der Reise die Aufgaben Mikans in der Botanik bernahm, wofr er aber als
Mediziner, Botaniker und Assistent bei Mikan67 auch ein entsprechendes Fachwissen hatte.
Natterer jedoch war sich nach der Rckkehr aller Botaniker der sterreichischen Expedition
bewusst, dass in der Folge fr Botanik [] nichts zu hoffen68 war, weil er ohne Spezialwissen
wenig fr dieses Fach tun konnte, und er konzentrierte sich daher ganz auf seine Aufgaben als
Zoologe.
Die Nominierung der Maler Ender und Buchberger zeigt, wie wichtig eine bildliche
Bde. (Petrpolis 2000).
Zu den nheren Umstnden der Bestellung von Pohl, Ender und Buchberger vgl. KADLETZ-SCHFFEL:
Metternich (1992) 222-225; zu Buchberger vgl. Johann Christian Mikan an Clemens Wenzel Lothar von
Metternich, Wien, 17. Mrz 1817, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 2 (alt Fasz. 2) fol. 35r-36r.
66
Vgl. JAHN, Ilse (Hg.): Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien (Berlin 3
2000) 324-331.
67
KANN: Brasilienexpedition (1992) 16.
68
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, Archiv MVK.
34
65

Dokumentation der Forschungsergebnisse genommen wurde. Die Zeichnungen spielten vor


der Erfindung der Photographie dabei eine groe Rolle, und zusammen mit den
wissenschaftlichen Daten und Objekten sollten sie die Basis fr die weitere Auswertung und
Publikation der Forschungserfolge darstellen.
In der Bezahlung der Expeditionsteilnehmer wurde versucht, die geschaffene Hierarchie
beizubehalten. Der nominelle Leiter der Expedition, Professor Mikan, erhielt 12 Gulden (fl.) pro
Tag, Pohl und Natterer waren mit 9 fl. gleichgestellt. Diese Gleichstellung war vielleicht
ausgleichend gedacht, da Pohl zwar Akademiker war, aber in der praktischen Arbeit weniger
Erfahrung als Natterer vorweisen konnte. Schott erhielt trotz seiner wissenschaftlichen Bildung
ebenso viel wie die beiden Maler Ender und Buchberger und der Jagdgehilfe Sochor, nmlich 6
fl. pro Tag. Alleine an Taggelder war damit fr die Besoldung dieser sieben
Expeditionsteilnehmer im Jahr (gerechnet zu 365 Tagen) die stattliche Summe von 19710 fl.
vorgesehen. Die beiden Maler erhielten auerdem eine Besoldung von 2000 fl. jhrlich, da die
anderen Mitglieder der Expedition weiter ihre Gehlter bezogen. Sochor erhielt noch 200 fl. fr
die Livree.69
Zu den sterreichischen Expeditionsteilnehmern gesellten sich whrend der Monate der
Vorbereitung noch weitere Wissenschafter. Auf Wunsch des Knigs Maximilian I. Joseph von
Bayern (seit November 1816 mit dem Kaiser verschwgert) schlossen sich zwei Bayern, der
Zoologe Johann B. von Spix (1781-1826) und der Botaniker Carl Philipp Friedrich von Martius
(1794-1868), der Gruppe an. Der Groherzog Ferdinand von Toskana (ein Bruder des Kaisers)
entsandte den Florentiner Botaniker Guiseppe Raddi (1770-1829) nach Brasilien. Erzherzogin
Leopoldine selbst scharte ebenfalls einen kleinen Kreis von Gelehrten um sich. Sie wurde von
ihrem Lehrer, dem Mineralogen Rochus Schch (1788-1844) begleitet, der die Aufgabe hatte, in
Brasilien eine Bibliothek zu errichten. Auf ihn geht die heutige brasilianische
Nationalbibliothek zurck. Zum Gefolge Leopoldines gehrten weiters der Arzt und
Ornithologe Johann Kammerlacher, der Maler G.K. Frick und Franz Josef Frhbeck (1795-nach
1830) als Gehilfe Schchs.70
69

Die Zahlen stammen aus 1818, vgl. KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 226, vgl. Clemens Wenzel
Lothar von Metternich an Emmerich von Eltz, Wien, 14. Mrz 1818, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 2,
Konv. 2 (alt. Fasz 4), Instruktionen fr Eltz und Neveu 1817-1818, fol. 6v-11r, bes. 10v.
70
KANN: Brasilienexpedition (1992) 10; MAUTHE: Brasilienexpedition (1992) 80-82; MAUTHE:
Brasilienexpedition (1993) 128-130; MAUTHE: Brasilienexpedition (1994) 16f.; WAGNER, Robert: Die
Brasilienreise Thomas Enders. In: ZEILINGER, Elisabeth (Hg): sterreich und die Neue Welt. Symposion in der
35

3.3. Kostenvoranschlag und Ausrstung

Neben der Auswahl qualifizierten Personals nahm die Planung, Vorbereitung und Ausrstung
der Expedition einige Monate in Anspruch. Die Zusammenstellung von Ausrstung und
Requisiten fr die Forscher wurde sorgfltig durchgefhrt. Ein als Verzeichniss des nthigen
Gerthes zur naturhistorischen Reise nach Brasilien bezeichneter und von Direktor Schreibers
zusammengestellter Kostenvoranschlag gibt einen Einblick in das Material, das die Expedition
mitfhrte.71
Die bis in Details zusammengestellte Liste zeigt, dass man in Wien damit rechnete, dass die
Beschaffung vieler Ausrstungsgegenstnde, ja selbst von geeignetem Papier, in Brasilien
schwer fallen oder teuer sein wrde. Die Aufstellung umfasst als Requisiten zur
Habhaftwerdung der Sugetiere und Vgel zwei Doppelflinten samt berzug, zwei
Kugelstutzen, zwei Windbchsen (Luftdruckgewehre) mit acht Flaschen, eine Pumpmaschine
samt Werkzeug und einer Handpumpe, zwei Jagdtaschen, zwei Patronentaschen, ein
Schrotbeutel, zwei Pulverhrner, feines Schiepulver, Schrot, Kugeln und Blei, Teller- und
Berliner-Eisen72 sowie Vogelnetze. Dazu kommt Ausstopfmaterial und Werkzeuge zum
Prparieren der Tiere. Als Requisiten zum Fang und zur Aufbewahrung der Insekten wurden
Fanginstrumente, Nadeln und Pantoffelholz mitgefhrt. Zur Aufsuchung und Aufbewahrung der
Eingeweidewrmer dienten anatomische Instrumente, 1000 kleine Flaschen und dicke
Glasschalen. Requisiten zur Beobachtung und zur Aufzeichnung wie Kompass, Thermometer,
Aerometer, Barometer, Bcher, Landkarten und Schreibmaterial ergnzten die Ausrstung im
Wert von 3730 fl. Die Instrumente sind nicht nur notwendige Wegbegleiter zur Orientierung der
Reisenden. Sie ermglichen auch die Erhebung und Aufzeichnung von Daten ber Klima,
Wetter und geographischen Gegebenheiten, die zwar auerhalb des naturgeschichtlichen
Fachbereichs liegen, deren Beachtung aber als selbstverstndliches Repertoire eines reisenden
sterreichischen Nationalbibliothek. Tagungsband (= Biblos-Schriften 160) (Wien 1993) 138-141.
Kostenvoranschlag, Wien, 23. Dezember 1816, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 1 (alt Fasz. 1),
Akten 1814-1816, fol. 63r-66v.
72
Das Berliner Eisen (auch Schwanenhals) ist eine metallene Falle, die zum Tierfang von Raubtieren
verschiedener Gre dient. Das Berliner Eisen besteht aus einer ringfrmigen Konstruktion, bei der zwei
halbkreisfrmige Bgel ber eine Feder miteinander verbunden sind. Im ungespannten Zustand liegen die beiden
Bgel nebeneinander aufrecht und senkrecht zur Feder. [] Beim Auslsen schlagen die Bgel zusammen und
fangen das Tier. <http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Eisen> (6. Jnner 2006).
36
71

Forschers gilt. Ausgewertet knnen sie als Bausteine einer umfassenden Bestandsaufnahme der
Welt dienen, in deren Dienst (im Idealfall) jeder Reisende steht.73
Fr das Fach der Kruterkunde wurde folgendes Material eingeplant: Pappendeckel zur
Verpackung der getrockneten Pflanzen, Lschpapier zum Trocknen der Pflanzen, Schreibpapier
zum Trocknen, Beschreiben und Verpacken von Pflanzen und Samen, Zwischenpapier,
Schreibmaterial (Feder, Bleistift, Tusche), drei lederne Pressen, einen ledernen Koffer zur
Aufbewahrung von getrockneten Pflanzen und Samen auf Exkursionen, Vergrerungsglser
zur Untersuchung der feineren Bltenteile, ein Fernrohr, Werkzeug zum Ausheben lebender
Pflanzen (Schaufeln, Sgen, Krampen, Bohrer, Hammer und Zangen), Blechbchsen zur
Aufbewahrung lebender Pflanzen, ein Metallthermometer sowie Wachsleinwand, Packpapier,
Bindfaden und Rebschnre zur Verpackung. Dafr kalkulierte Schreibers weitere 1297 Gulden.
Aufschluss ber das mitgefhrte wissenschaftliche Rstzeug gibt eine kurze Liste von Bchern,
die im Kostenvoranschlag mit einer Summe von 70 fl. erwhnt werden. Es sind lediglich
Fachbcher zur Bestimmung der zu sammelnden Pflanzen, nmlich zwei Werke des Berliner
Botanikers Carl Ludwig Willdenow (Spec. plantarum und Enumeratio) und Genera
plantarum, das Standardwerk von Antoine Laurent de Jussieu zur Systematik der Pflanzen.74
Ergnzt wird die Ausstattung durch ein Enchiridion von Christian Heinrich Persoon,
vermutlich Persoons Synopsis plantarum seu enchiridium botanicum.75 Bcher fr die
anderen Fachbereiche der Expedition sind in dieser Kostenaufstellung nicht angegeben. Wie aus
einer spteren Klage Natterers hervorgeht, erachtete Direktor Schreibers die Anschaffung von
Bchern fr die Zoologie als nicht notwendig.76
Ursprnglich war eine Summe von 3000 fl. fr die Ausrstung veranschlagt worden, jedoch
urgierte Metternich bei seinem als sparsam bekannten Kaiser eine grozgige Dotierung der

73

Vgl. ZIMMERMANN: Vorwort (2003) 7-18; beispielgebend fr dieses Vorgehen war Alexander von
Humboldt vgl. BITTERLI, Urs: Die Entdeckung Amerikas. Von Kolumbus bis Alexander von Humboldt
(Mnchen 4 1992) 471f.
74
JUSSIEU, Antoine Laurent de: Genera plantarum secundum ordines naturales disposita (Paris 1789);
WILLDENOW, Carl Ludwig: Enumeratio plantarum horti regii botanici Berolinensis, continens descriptiones
omnium vegetablium in horto dicto cultorum (Berlin 1809-1813); mit Spec. plantarum drfte WILLDENOW,
Carl Ludwig: Caroli a Linne species plantarum exhibentes plantos rite cognitas ad genera relatas cum differentiis
specificis ... digestas (Berlin 1797ff.), Willdenows berarbeitete Auflage von Linns Werk Species Plantarum
(1753), gemeint sein.
75
PERSOON, Christianus Henricus: Synopsis plantarum seu enchiridium botanicum complectus enumerationem
systematicam specierum huc usque cognitaram (Paris Tbingen 1805-1807).
76
Johann Natterer an Josef Natterer, Funchal, 11. September 1817, WStLB, HS, 7868.
37

Expedition, und der Betrag wurde auf 6000 fl. verdoppelt.77 Der von Schreibers schlielich
vorgelegte Kostenvoranschlag fr das bentigte Material belief sich auf insgesamt 5097 Gulden.
Im Jnner 1817 fand eine Sitzung statt, an der unter anderem Metternich, Schreibers und die
zustndigen Hofstellen teilnahmen und bei der das weitere Vorgehen beraten wurde. Bereits
Mitte Februar sollten die sterreichischen Schiffe abreisen, die die Expeditionsteilnehmer
nach Brasilien bringen sollten.78 Aufgrund der umfangreichen Vorbereitungsarbeiten musste
die Abreise allerdings verschoben werden. Zu Beginn des Jahres 1817 verfasste Karl von
Schreibers eine Dienstinstruktion fr die Naturforscher, auf die im Einzelnen spter noch
einzugehen ist. Bezglich der geplanten Expedition sprach er von einer besonders gnstigen
Gelegenheit, Naturforscher nach Brasilien schicken zu knnen, die so viel als mglich zur
Erforschung und Kenntniss dieses grossen und hchst merkwrdigen Theiles unsers Planeten
beitragen sollten und dabei mit ihren Sammlungen die Wissenschaft und die sie betreffenden
ffentlichen Anstalten der Monarchie [] bereichern sollten.79 Schreibers sprach deutlich aus,
dass er die hervorragenden Mglichkeiten erkannte, welche die geplante Expedition bot, seine
Sammlungen und die sterreichischen Forscher innerhalb der naturwissenschaftlichen
Forschungen zu Brasilien (und vielleicht darber hinaus) bestens zu positionieren. Da Brasilien
in naturwissenschaftlicher Hinsicht zu dieser Zeit von europischen Forschern noch kaum
erforscht war, bot die Expedition die Chance, vllig neue Sammlungen zu erhalten und ein bis
dahin noch wenig bearbeitetes Feld der Forschung zu erffnen. Diese Aussicht trug
wahrscheinlich entscheidend dazu bei, diese relativ groe und kostspielige Expedition
auszursten.

3.4. Das Feenland, worin ein ewiger Frhling herrscht

Die Hochzeit Leopoldines war der unmittelbare Ansto und Hauptgrund fr die
Zusammenstellung einer Expedition. Aber fr den naturwissenschaftlich interessierten Kaiser
Franz I. und die beteiligten Forscher musste das Ziel der Reise, Brasilien, in jedem Fall sehr
verlockend sein. Die tropische Artenvielfalt und die unterschiedlichen Klimazonen Brasiliens
77

KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 215f.


Vortrag vom 6. Jnner 1817, Groes Sitzungsprotokoll ber die wissenschaftliche Expedition, HHStA,
Staatskanzlei, Vortrge; vgl. BLAAS: sterreichs Beitrag (1976) 23.
79
Dienstinstruktion, Wien, 14. Jnner 1817, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 2 (alt Fasz. 2),
78

38

versprachen reiche Ausbeute fr die kaiserlichen Sammlungen. Unermessliche Naturschtze


erwarteten sich die Europer, ein schier unendliches Tropenland mit unberhrten Landstrichen
und gewaltigen Flssen und Urwldern.80 Aufgrund der relativen Isolation der ehemaligen
Kolonie bis zur Ankunft des kniglichen Hofes war Brasilien vor allem im Hinterland noch sehr
wenig erforscht, und der Wissensstand ber die weit entlegenen Gebiete im Innern Brasiliens
war sogar im Land selbst relativ gering. Reisen ins Landesinnere waren fr Fremde bis dahin
kaum mglich gewesen. Alexander von Humboldt wurde z.B. im Jahr 1800 die Einreise nach
Brasilien strikt verweigert.81 Brasilien war ein riesiges, naturwissenschaftlich kaum erforschtes
Territorium, es war sterreich so fern, dass wohl nur wenige seiner Bewohner es dem Namen
nach kannten und noch viel weniger eine klare Vorstellung von seiner Gre und Bedeutung,
von seiner Schnheit und seinem Reichtum hatten.82
Dennoch konnten sich die Reisenden zum Teil auf eine gewisse Infrastruktur und intensive
politische und persnliche Beziehungen zwischen Brasilien und Europa sttzen. Die
vernderten Rahmenbedingungen, ausgelst durch die Napoleonischen Kriege, rckten
Brasilien ins Zentrum des Interesses europischer Reisender. Als die knigliche Familie im
November 1807 ins Exil ging, folgte ihre eine Flotte von etwa 40 Schiffen mit ber 10-15.000
Beamten, Aristokraten und Fhrungsschichten aus Klerus, Grogrundbesitzern und Hndlern
nach Brasilien. Dieser Eliten-Transfer bewirkte einen wirtschaftlichen und kulturellen
Aufschwung der Kolonie. Dazu trug auch die Carta rgia von 1808 bei, welche die
wirtschaftlichen Schranken der Monopolbeziehung zum Mutterland beseitige. Die ffnung der
Hfen ermglichte freie Handelsbeziehungen. In kurzer Zeit entstanden die erste ffentliche
Bibliothek, erste Zeitungen, hhere Schulen und eine Akademie der Schnen Knste. Diese
Entwicklung gipfelte im Jahr 1815 in der Erhebung Brasiliens zum Knigreich, in
Personalunion verbunden mit Portugal. Rio de Janeiro wurde Hauptstadt des Vereinigten
Knigreichs von Portugal, Brasilien und Algarve.83
Wiss. Expedition, fol. 126.
Vgl. OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 73.
81
HUMBOLDT, Alexander von: Reise in die quinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents. hg. v. Ottmar Ette
(Frankfurt/Main 1999) 1101.
82
BLAAS: Anfnge des sterreichischen Brasilienhandels (1964/65) 209.
83
Vgl. JACOB, Ernst Gerhard: Grundzge der Geschichte Brasiliens (Darmstadt 1974) 194-196; OBERACKER:
Kaiserin Leopoldine (1980) 15-18; OBERACKER: Der deutsche Beitrag (1955) 190-193; BETHEL, Leslie: The
independence of Brazil. In: The Cambridge History of Latin America, Vol 3. From Independence to c. 1870, hg. v.
Leslie BETHEL (Cambridge/NewYork/Melbourne 1985) 169-174; BARMAN, Roderick J.: Brazil. The Forging of
a Nation. 1798-1851 (Stanford 1988) 43-45; BENNASSAR, Bartolom: Histoire du Brsil: 1500 - 2000 (Paris
39
80

Mit der Ankunft des portugiesischen Hofes und der ffnung des Landes begann ein regelrechter
Brasilien-Boom unter europischen Reisenden und Wissenschaftern. Reisen ins unbekannte
Land am Amazonas und daraus resultierende Reiseberichte und naturwissenschaftliche
Beschreibungen hatten Konjunktur: John Mawe (der erste Auslnder, der das Bergbaugebiet
von Minas Gerais besuchen durfte), Henry Koster und John Luccock publizierten ihre
Reiseerlebnisse in Europa, verbreiteten damit neue Erkenntnisse und lockten zugleich weitere
Entdecker an.84 Im Mrz 1816 traf ein franzsische Knstlergruppe in Brasilien ein,
bestehend aus dem Architekten Auguste-Henri-Victor Grandjean de Montigny und den Malern
Jean Baptiste Debret und Nicolas Antoine Taunay. Auch deutsche Naturforscher wie
Maximilian Prinz von Wied-Neuwied nutzten die Gelegenheiten, die sich mit der ffnung
Brasilien nach auen ergaben.85
Die Reise in eine fr die meisten Europer damals nahezu unbekannte Weltgegend erregte auch
in der sterreichischen ffentlichkeit Aufsehen. Die Zeitungen nahmen sich des Themas an.
Erste Gerchte ber eine bevorstehende Reise sterreichischer Forscher nach Brasilien wurden
im Jnner 1817 laut.86 Die frheste mir bekannte ffentliche Erwhnung der Expedition und
ihrer Ziele erfolgte Anfang April 1817 in der Wiener Moden-Zeitschrift, einem Blatt, das
neben Mode, Literatur und Theater auch wissenschaftliche Nachrichten verbreitete. In diesem
Pressebericht spiegelten sich romantische Vorstellungen von Tropenparadiesen ebenso
wider wie die hohen Erwartungen, die man in der ffentlichkeit und wohl auch am
kaiserlichen Hof an diese Expedition hatte. Die Zeitschrift schrieb:
Mit den erfreulichsten Hoffnungen erblickt man hierin den ersten Schritt zu einem
Unternehmen, dessen Folgen fr Kunst und Wissenschaft kaum zu berechnen sind. Die
Naturwunder jenes Feenlandes, worin ein ewiger Frhling herrscht, werden uns bald nher
gebracht und die erhabenen Verdienste unseres allverehrten Monarchen noch dadurch gekrnt
werden, dass die gesammte gebildete Welt Ihn als den Schpfer und Befrderer dieses
glcklichen Ereignisses preist.87
ber konkrete Plne oder Vorbereitungen der Reise wurde in den folgenden Wochen kaum

2000) 185-190.
KOSTER, Henry: Travels in Brazil (London 1817); LUCCOCK, John: Notes on Rio de Janeiro and the southern
parts of Brazil (London 1820); MAWE, John: Travels in the Interior of Brazil (London 1815).
85
BETHEL: Independance (1985) 174f.
86
Vaterlndische Bltter fr den sterreichischen Kaiserstaat, Nr. 7, 22. Jnner 1817, 28.
87
Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 27, 2. April 1817, 220.
40
84

berichtet, aber nach dem tatschlichen Beginn des Unternehmens erschienen in Blttern wie der
Wiener Zeitung, dem sterreichischen Beobachter oder den Vaterlndischen Blttern in
unregelmigen Abstnden immer wieder Artikel, die Interessierte in sterreich ber den
Fortgang der Expedition und die Schicksale der Forscher auf dem Laufenden hielten. Als
Auerordentlich Beylage zur Wiener Moden-Zeitung wurde zum Beispiel eine ausfhrliche
Literaturliste ber Brasilien verffentlicht.88 In der gleichen Zeitschrift erschien auch in
mehreren Folgen eine Zusammenfassung des Reiseberichtes von John Mawe ber Brasilien, der
damals als aktuellstes Werk ber Brasilien galt.89 In vierzehn Teilen wurden darin die
grundlegendsten Daten und Fakten zu Bevlkerung, Geographie, Wirtschaft, Handel,
Landwirtschaft und Bergbau Brasiliens prsentiert. Diese Berichterstattung kam offenbar einem
Bedrfnis der Leser nach Informationen ber das ferne, unbekannte Land, in das nun eine
ihrer Prinzessinnen reisen sollte, entgegen.

3.5. Kultur und Kommerz - Der Handelsversuch

Jenseits aller romantischen Erwartungen, wissenschaftlicher Neugier und Vorfreude auf zu


erwartende exotische Pflanzen und Tiere fr die kaiserliche Sammlung, aber eng mit diesen
verknpft, verfolgte die sterreichische Regierung mit der bevorstehenden Hochzeits- und
Forschungsreise auch wirtschaftliche Interessen. Die dynastische Verbindung sollte helfen,
einen vorteilhaften Handelsverkehr mit Brasilien einzuleiten. Der Aufbau eines
berseehandels mit Brasilien war sogar einer der Programmpunkte des Heiratsvertrages. Zu
diesem Zeitpunkt dominierte Grobritannien, das sich die Untersttzung Portugals gegen
Frankreich mit Handelsprivilegien entgelten lie, den Handel mit Brasilien. sterreich strebte
daher einen eigenen, gnstigen Handelsvertrag an. Da aber die Verhltnisse auf den
brasilianischen Mrkten kaum bekannt waren, wurde im Zuge der bevorstehenden Reise ein
Handelsversuch organisiert, bei dem sterreichische Waren in Brasilien abgesetzt werden
88

Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 36, 3. Mai 1817, 297-303.
Die deutsche bersetzung erschien schon ein Jahr nach der englischen Originalausgabe MAWE, John: Reise
in das Innere von Brasilien (Bamberg 1816); vgl. Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode,
Nr. 16, 22. Februar 1817, 122-126; Nr. 17, 26. Februar 1817, 131-133; Nr. 18, 1. Mrz 1817,141-144; Nr. 19, 5.
Mrz 1817, 154-155; Nr. 30, 12. April 1817, 240-243; Nr. 31, 16. April 1817, 249-251; Nr. 32, 19. April 1817,
257-259; Nr. 34, 26. April 1817, 276-277; Nr. 35, 30. April 1817, 284-287; Nr. 36, 3. Mai 1817, 292-295; Nr.
46, 7. Juni 1817, 388-391; Nr. 50, 21. Juni 1817, 417-421; Nr. 51, 25. Juni 1817, 425-430; Nr. 52, 28. Juni
1817, 433-438.
41
89

sollten, um so den Markt zu ffnen und zu erkunden, welche Waren am besten gehandelt
werden knnten. Die sterreichischen Schiffe, die die Forschungsexpedition nach Brasilien
bringen sollten, transportierten daher eine Auswahl sterreichischer Waren, darunter
Quecksilber, Eisen, Stahl, Glaswaren, Leinwand, Waffen, Spiegel, Porzellan und ungarische
Weine. Ein Verkauf dieser von Privatleuten zusammengestellten Lieferung in Brasilien sollte
als Test dienen, welche Artikel in Zukunft nach Brasilien geliefert werden knnten.90 Hier
zeigt sich wie bei andern, hnlichen Beispielen dass die wissenschaftlichen
Forschungsreisen nicht getrennt von anderen Interessen betrieben, sondern in enger
Verflechtung mit politischen und konomischen Absichten realisiert wurden.91 Auch in den
folgenden Jahren gab es von sterreichischer Seite sehr viele Bemhungen, im Handel mit
Brasilien Fu zu fassen und die britische Konkurrenz auszustechen.92 Das sterreichische
Engagement in Brasilien war in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht in Brasilien
langfristig nicht sehr erfolgreich. Das sollte nicht dazu fhren, die diesbezglichen
Ambitionen zu negieren oder zu unterschtzen. Das Kaiserreich ist durchaus an der
Teilnahme an kolonialistischen Unternehmungen interessiert. Im Falle Brasiliens ist dieses
Interesse nicht auf die Besetzung von Territorien konzentriert, sondern auf die Nutzung neuer
Mrkte und Ressourcen.
Im Mrz 1817 waren die Reisevorbereitungen weitgehend abgeschlossen, und die ersten
Mitglieder der Expedition machten sich auf den Weg nach Triest, wo sie sich einschiffen
sollten. Leopoldine und ihre Begleitung sollten erst spter folgen. Die prunkvolle Hochzeit
der Kronprinzessin fand am 13. Mai 1817 in der Augustinerkirche in Wien per procurationem
statt, d.h. in Abwesenheit des Brutigams, der von Erzherzog Karl vertreten wurde.
Als die Heirat beschlossen wurde, rechnete man am Habsburgerhof in Wien mit einer
Stabilisierung der politischen Verhltnisse. Kaiser Franz I. hatte seine Zustimmung zur Heirat
erst gegeben, als sich die baldige Rckkehr der kniglichen Familie nach Portugal
90

BLAAS, Richard: Die Anfnge des sterreichischen Brasilienhandels. In: MSTA 17/18 (1964/65) 209-219;
FRIM-HANTEN, Renate: 200 Jahre Auenpolitik sterreich Brasilien. Genese einer ungleichen Beziehung
(ungedr. geisteswiss. Dipl.) (Wien 2003) 34-37; vgl. SPIX, Johann Baptist von - MARTIUS, Carl Friedrich
Philipp von: Reise in Brasilien in den Jahren 1817 1820. 3 Bde. und ein Atlasband (= Quellen und
Forschungen zur Geschichte der Geographie und der Reisen 3) (Mnchen 1823-1831, unvernderter Neudruck
Stuttgart 1980) 123.
91
KLEMUN: sterreichische wissenschaftliche Sammelreisen (2005) 21-35.
92
BRUSATTI, Alois: Der sterreichische Auenhandel um 1820. In: MATIS, Herbert BACHINGER, Karl
KOLLER, Hildegard (Hg.): Betrachtungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Berlin 1979) 141-153, bes.
42

abzuzeichnen schien.93 Aber die Entwicklung nahm eine vllig andere Richtung. Die
Aufwertung der ehemaligen Kolonie Brasilien wurde im Mutterland argwhnisch verfolgt.
Um einer Revolte zuvorzukommen, kehrte Knig Joo VI. 1821 nach Portugal zurck. Sein
Sohn Pedro blieb als Regent in Brasilien zurck. Als die Cortes, das portugiesische
Parlament, Brasilien den gleichrangigen Status als Knigreich aberkannte, setzten sich in
Brasilien sehr schnell Bestrebungen zur Loslsung von Portugal durch. Um nicht von dieser
Dynamik berrollt zu werden, stellte sich Dom Pedro selbst an die Spitze der
Unabhngigkeitsbewegung. 1822 lie sich Pedro zum Kaiser von Brasilien krnen.94 Eine
Rckkehr nach Europa kam damit fr Leopoldine nicht mehr in Frage. Sie starb nach einer
kurzen, unglcklichen Ehe bereits 1826.

4. MIT DER AUGUSTA BER DEN ATLANTISCHEN OZEAN

GONZALO: Jetzt gb ich tausend Meilen See fr


einen Morgen drren Boden: Heide, Ginster und
Gestrpp, was es auch wre. Der Wille des Herrn
geschehe, aber einen trockenen Tod wrde ich
vorziehen.
William Shakespeare: Der Sturm, 1. Akt, 1. Szene.

Eine berseereise zu Beginn des 19. Jahrhunderts war kein reizvolles Abenteuer, sondern ein
mhevolles Unternehmen, das mehr Gefahren als Gelegenheiten zu miger Entspannung
bot. Enge, Gestank und Lrm, Seekrankheit, Bedrohung durch Strme, Todesangst,
Langeweile das war fr die Schiffspassagiere eine Realitt ohne Romantik. Die Briefe und
Berichte, die Johann Natterer whrend seiner Reise nach Brasilien verfasste, geben eine
Vorstellung davon, was es zu dieser Zeit bedeutete, an Bord eines k.k. Kriegsschiffes die
berfahrt in die Neue Welt zu wagen.
150.
OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 76.
94
JACOB: Geschichte Brasiliens (1974) 198-201; BETHEL: Independance (1985) 183-187; BENNASSAR:
Histoire (2000) 191-195.
43
93

Endlich waren wir heute so glklich, bey Tagesanbruch das so lange ersehnte Cabo Frio in
Nordwest vor uns liegen zu sehen. [] Die so nahe Erlsung aus unserm langen Arreste hat
uns um so mehr mit Freude erfllt, da anhaltend strmisches Wetter in der letzten Zeit den in
jeder Beziehung nicht angenehmen Aufenthalt auf der Fregatte vollends ganz verleidete.95

Sichtlich erleichtert kommentierte Johann Natterer die bevorstehende Ankunft in Rio de


Janeiro. Vorangegangen war eine monatelange Reise voller Entbehrungen und Gefahren.

4.1. Einschiffung in Triest

Die Mitglieder der naturwissenschaftlichen Forschergruppe sollten mit den sterreichischen


Fregatten

AUSTRIA

und

AUGUSTA

von Triest aus nach Brasilien segeln. An Bord der AUSTRIA

reisten Professor Johann Christian Mikan und dessen Frau sowie der Landschaftsmaler
Thomas Ender. Die bayerischen Wissenschafter Johann Baptist von Spix und Carl Friedrich
Philipp von Martius schifften sich ebenfalls auf der AUSTRIA ein. Die AUGUSTA nahm Johann
Natterer, den Jagdgehilfen Dominik Sochor und den kaiserlichen Hofgrtner Heinrich
Wilhelm Schott auf. Eine zweite Gruppe sollte sich einige Monate spter als Begleitung der
Erzherzogin Leopoldine in Livorno einschiffen und mit den portugiesischen Schiffen SO
SEBASTIO

und

JOO VI.

den Atlantik berqueren, darunter der Mineraloge und Botaniker

Johann Baptist Emmanuel Pohl, der Pflanzenmaler Johann Buchberger, der toskanische
Botaniker Giuseppe Raddi sowie der Mineraloge und Bibliothekar Rochus Schch.96
Johann Natterer verlie Wien am 24. Mrz 181797 und traf am 28. Mrz in Triest ein, um sich
dort auf der

AUGUSTA

einzuschiffen. Die Platzverhltnisse auf den Schiffen waren sehr

beengt. Neben den Passagieren beherbergte die

AUGUSTA

130 Mann inklusive der

Seesoldaten, 5 Offiziere, 6 Kadetten, mehrere Unteroffiziere, 2 Wundrzte, einen Kaplan.98


95

Johann Natterer an Josef Natterer, Gewsser von Cabo Frio, Bord der Augusta, 4. November 1817, WStLB,
HS, 7869.
96
KANN: Brasilienexpedition (1992) 10, 24; MAUTHE: Brasilienexpedition (1992) 80-82; MAUTHE:
Brasilienexpedition (1994) 16f.; RIEDL-DORN: Haus der Wunder (1998) 102f.; RIEDL-DORN: Natterer
(2000) 22-27; KANN RIEDL-DORN: Brasilien-Expedition (2001) 217f.
97
Johann Natterer an unbekannten Hofrat, [nach 1835 September 15], [o.O.]. WStLB, HS, 7889.
98
Johann Natterer an Josef Natterer, Venedig, 2. Mai 1817, WStLB, HS, 7858. Spter kamen noch 15 Matrosen
und fnf Seesoldaten zur Mannschaft dazu, vgl. Johann Natterer an Josef Natterer, Chioggia, 24. Mai 1817,
44

Fr die Reisenden war nur wenig Platz vorgesehen. Natterers Gehilfe Dominik Sochor konnte
beispielsweise keine eigene Kajte bekommen, da fr die Passagiere an Bord der

AUGUSTA

nur vier Kabinen zur Verfgung standen: fr Natterer, Schott, Herrn Bergner, einen
bancrotirten Handelsmann aus Wien und dessen Sohn.99 Fr Sochor blieb blo eine gute
Hangmatte ber ein Schicksal, dass er offenbar mit der Frau des Professors Mikan an Bord
der

AUSTRIA

teilte.100 Martius sprach von seiner Kajte an Bord der AUSTRIA als einer

dunklen engen Klause.101


Was seine eigene Unterbringung betraf, war Natterer anfangs zufrieden. Er erwartete eine
relativ komfortable, problemlose berfahrt. In einem Brief an seinen Bruder beschreibt er
sein Quartier an Bord der

AUGUSTA:

Ich habe ein recht hbsches Zimmerl und bin so

kommod, als es auf einem Schiffe seyn kann. [...] Es wird uns nicht schlecht gehen. Mein
Zimmerl ist auch so licht, dass ich alles arbeiten kann. 102 Im Laufe der berfahrt sollte sich
zeigen, dass dieser positive erste Eindruck zu Erwartungen Anlass gab, die sich nicht
erfllten.
Der beschrnkte Raum, der auf einem Kriegsschiff dieser Zeit zur Verfgung stand, musste
auerdem noch mit dem Vieh geteilt werden, das zur Versorgung von Mannschaft und
Passagieren auf dem Schiff untergebracht wurde. Hhner und Rinder mussten Platz finden.
Ausser einer Menge Geflgel sehe ich noch nichts Lebendes, doch sollen 18 Stk Ochsen
heute noch am Bord kommen,103 berichtet Natterer. hnliche Zustnde herrschten auf den
zwei portugiesischen Schiffen, die die Erzherzogin nach Brasilien bringen sollten. An Stelle
von 60 Kanonen waren dort Kabinen fr Leopoldine und ihr Gefolge eingebaut worden. Eine
mit insgesamt 1300 Mann rund dreimal so groe Besatzung als blich, Khe, Schweine,
Schafe, 4000 Hhner, hunderte Enten und mehr als 500 Kanarienvgel, Papageien und andere
Vgel zur Unterhaltung der Hofgesellschaft stellten die bunte Begleitung der Erzherzogin

WStLB, HS, 7862.


Der Kaufmann Wenzel Bergner sammelte spter in Brasilien Informationen ber wirtschaftliche Verhltnisse
und Handelbeziehungen, wofr er von sterreich auch ein Gehalt erhielt. Vgl. SCHMID: Mareschal (1975) 41.
100
Zu den Verhltnissen an Bord der Schiffe vgl. Johann Natterer an Josef Natterer, Triest, 31. Mrz 1817,
WStLB, HS, 7854 und Johann Natterer an Josef Natterer, Triest, 5. April 1817, WStLB, HS, 7855.
101
Vgl. HELBIG, Jrg (Hg.): Brasilianische Reise 1817 . Carl Friedrich Philipp von Martius zum 200.
Geburtstag. Ausstellungskatalog (Mnchen 1994) 166.
102
Johann Natterer an Josef Natterer, Triest, 9. April 1817, WStLB, HS, 7856.
103
Johann Natterer an Josef Natterer, Triest, 9. April 1817, WStLB, HS, 7856.
45
99

Leopoldine auf ihrer Fahrt nach Brasilien dar.104 Den dazu gehrigen Lrm und den Gestank
kann man sich vorstellen.
Diese ersten quatorberquerungen sterreichischer Schiffe (abgesehen von einigen
Ostindien-Handelsreisen im 18. Jahrhundert) waren von vielen Schwierigkeiten begleitet. Die
k.k. Marine war in solchen Unternehmungen unerfahren und schlecht ausgerstet.
Segelanweisungen fr die Route nach Brasilien mussten erst aus Paris besorgt werden.
Navigationsinstrumente waren kaum vorhanden. Die gesamte Marine besa nur einen
Chronometer, der zur Standortbestimmung der Schiffe auf See unentbehrlich war und der
wurde beim Transport von Mailand nach Venedig beschdigt. Ein Ersatz konnte erst whrend
der Reise in Gibraltar besorgt werden. Einen Sextanten borgte der Marinekommandant
Generalmajor von Konink aus seinem Privatbesitz.105

4.2. Sturm und Schiffbruch

Am 10. April 1817 verlieen die beiden Schiffe AUSTRIA und AUGUSTA den Hafen von Triest,
obwohl es Anzeichen fr Schlechtwetter gab. Schon in den ersten Stunden der Fahrt zog ein
Sturm auf. Ohne die Mglichkeit zu nutzen, in Piran (heute Slowenien) oder vor der nahen
Kste vor Anker zu gehen, segelte die

AUSTRIA

unter dem Kommando von Oberst Nikolaus

Ritter von Pasqualigo unbeirrt weiter. In der folgenden Nacht brach ein so schwerer Sturm
los, dass die ltesten Seeleute sich keines hnlichen erinnern konnten.106 Die

AUGUSTA,

befehligt von Oberstleutnant Michael Accurti, musste dem kommandierenden Schiff folgen.
Erst als die

AUGUSTA

im Sturm die

AUSTRIA

aus den Augen verlor, konnte Accurti

unabhngig agieren. Es gelang Accurti, beim Nachlassen des Sturmes vor der Kste Istriens
auf der Hhe von Rovinj (heute Kroatien) vor Anker zu gehen. Aber innerhalb weniger
Stunden hatte die

AUGUSTA

bereits schwere Schden erlitten und alle Masten verloren.

Natterer hat die dramatischen Momente an Bord der

AUGUSTA,

welche die Passagiere in

104

OBERACKER: Leopoldine (1980) 121.


RIEDL-DORN: Natterer (2000) 27; HORVATH, Michael ZIMMERMANN: Hannes: sterreich maritim.
Die frhen Jahre (Wien 1995) 133; vgl. sterreichischer Beobachter, Nr. 155, 4. Juni 1817, 800.
106
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 7; Schreibers bernimmt hier eine wortgleiche Formulierung aus einem
Bericht ber den Sturm in sterreichischer Beobachter, Nr. 111, 21. April 1817, 578. Ein identer Wortlaut
105

46

Angst und Schrecken versetzten, in mehreren Berichten festgehalten:107


Das Schlagen einer Nebenthre, die sich aufgerissen hatte, wekte mich. Ich liess meine Uhr
repetiren und es war zwey Uhr. Jedoch schlief ich, der strkern Bewegung des Schiffes
ungeachtet, wieder ein, als mich der Fall meines Wasserkrugs und des Lavoirs wieder wekte. Es
war vor 6 Uhr. Ich stand auf und zog mich an. Es kam nun schon Wasser beym Steyerruder,
welches auch in meine Kajte kam. Mit Mhe konnte man noch aufrecht gehen. Im Quarre
sassen schon Passagiere, die seekrank waren. Ich liess das Wasser aus der Kajte tragen und
legte mich wieder, da das Schwanken des Schiffes strker wurde. Nun ward der Sturm immer
heftiger, das Krachen und Rollen des Schiffes ward nun schreklich, alles Flaschen, Glser,
Tische, Sesseln fiel mit einem frchterlichen Gepolter durcheinander. Das Wasser drang von
allen Seiten, auch bey meinem Fenster, ins Schiffe, sodass es bey der Thr aus und ein lief. Der
Kaplan stand mit dem Kruzifix, umklammerte eine eiserne Stange im Quarre und gab den
Segen. Alles war leichenblass. 108
Fr die Neulinge auf See mssen diese Eindrcke furchtbar gewesen sein. Doch sie hatten
Glck: der Sturm lie nach und am Abend des 11. April konnte das Schiff nahe der Kste
von Istrien vor Anker gehen. Am nchsten Morgen betrachtete Natterer die Spuren der
Verwstung und beschrieb das Chaos an Bord:
Als ich nun auf das Verdek kam, so war es nun ein erbrmlicher Anblik zu sehen, wie das
Verdek aussah. Alles lag zerstrt bereinander, abgebrochne Masten, Segelstangen, Tauwerke,
Kanonkugeln, zerbrochne Hhnersteigen, Hangmatten, Segeln, Mastkrbe. Der Vorder- und
Hintermaste standen noch bis dort, wo sie zusammengesetzt sind. Die Zerstrung war
beyspiellos. Man fieng an, die Sachen auseinanderzusuchen. Das Tauwerk wurde sortirt und
auf die Batterien hinabgebracht. Auf den Batterien sah es auch erbrmlich aus. Fsser,
Schaafe, Hhner, Ochsen, Schweine, Klber alles war los und durcheinander. Es krepirte
gerade ein Ochs. 109

Am 11. April meldete die Wiener Zeitung, dass nach Berichten von Ende Mrz die
sterreichischen Fregatten im Hafen von Triest zum Auslaufen bereit gelegen seien und
weiter: Der schne Bau dieser Fahrzeuge, welcher allgemein belobet wird, zieht immer sehr
viele Besuche an derselben Bord, und man findet daselbst eben so vielen Anla, die innere
findet sich auch in einer Meldung der Wiener Zeitung, Nr. 92, 22. April 1817, 365.
Auf Anregung seines Bruders Josef verfasste Johann Natterer eine ausfhrliche Relation des Sturmes. Vier
Fragmente von Entwrfen dazu blieben im Archiv des MVK erhalten, von mir als Bericht A / B/ C / D
unterschieden. Der erste Teil der letztgltigen Fassung ist ein Schriftstck mit dem Titel Umstndlicher Bericht
der Vorflle vom 10 bis 15. April auf der K.K. Fregatte Augusta unter dem Commando des Oberstlieutenant Herrn
Mich. Acurti., Chioggia, 15. Mai 1817, WStlB, HS, 7861. Der Bericht wurde verffentlicht in sterreichischer
Beobachter, Nr. 158, 7. Juni 1827, 811f. und sterreichischer Beobachter, Nr. 159, 8. Juni 1827, 817f.
108
Johann Natterer, Bericht ber den Sturm vor Istrien, Version A, April/Mai 1817, Archiv MVK.
107

47

Reinlichkeit und Ordnung des Schiffes sowohl, als die auserwhlte Mannschaft und derselben
treffliche Mannzucht zu bewundern.110 Die aktuelle Lage in der Adria sah leider ganz anders
aus. Auch wenn die

AUGUSTA

und die

AUSTRIA

os melhores navios da marinha de guerra

austraca,111 die besten Schiffe der k.k. Kriegsmarine waren: die erste Belastungsprobe hatte
gezeigt, dass vor allem die

AUGUSTA,

die erst kurz vor der Reise vom Stapel gelaufen war,

den Anforderungen nicht gewachsen war. Natterer spart nicht mit Kritik und berichtet
ausfhrlich ber die seiner Meinung nach wesentlichen Ursachen fr die schweren Schden:

Beyde Fregatten sind gleich von Grsse, beyde haben gleiche Anzahl der Kanonen. [] Bey
solchen Umstnden sollte man eben nicht vermuthen, dass die Augusta 52 Mann weniger
Mannschaft als die Austria habe. [] Man begreift leicht, dass die meisten Manoeuvres bey so
wenig Manschaft nur weit langsamer ausgefhrt werden konnten, als sie es sollten. Die Austria
ist berdies 5 Jahre alt, hat schon mehrere Farthen gemacht, auf diesem alles mangelhafte und
schlechte mit gutem ersetzt. Ihr Tauwerk ist schon ausgedehnt. Die Fregatte Augusta hingegen
ist ganz neu. Ihr neues Tauwerk gab beym Sturme nach, es verlngert sich stark und die Masten
verlohren an Festigkeit. Die an einem neuem Schiffe fast unglaublich scheinende Beschaffenheit
des Boegspriet und Hauptmastes, die von morschen Holzstmmen waren, vollendeten unser
Unglk.112
Die

AUSTRIA

wurde im Sturm zwar ebenfalls beschdigt, konnte aber den Hafen von Pola

(heute Pula/Kroatien) erreichen und schon am 20. April ihre Reise nach Brasilien fortsetzen.
Am 15. Juli 1817 lief die AUSTRIA im Hafen von Rio de Janeiro ein.113
Die

AUGUSTA

hingegen war so stark beschdigt, dass an eine Fortsetzung der Reise vorerst

nicht zu denken war. Erst nach einer mehrtgigen notdrftigen Reparatur konnte das Schiff
den Hafen von Chioggia bei Venedig erreichen. Die Instandsetzungsarbeiten dauerten
mehrere Wochen. Natterer hielt sich in der Zwischenzeit meist in Venedig auf, da man auf
dem Schiffe sich vor lauter Arbeitsleuten nicht rhren kann.114 Am 31. Mai 1817 konnte die
109

Johann Natterer, Bericht ber den Sturm vor Istrien, Version A, April/Mai 1817, Archiv MVK.
Wiener Zeitung, Nr. 83, 11. April 1817, 329; wortidenter Bericht auch in sterreichischer Beobachter, Nr.
102, 12. April 1817, 514.
111
WAGNER, Robert BANDEIRA, Jlio (Hg.): Viagem ao Brasil nas aquarelas de Thomas Ender 1817-1818.
Bd.1 (Petrpolis 2000) 51.
112
Johann Natterer, Bericht ber den Sturm vor Istrien, Version D, April/Mai 1817, Archiv MVK; vgl. Johann
Natterer an Josef Natterer, Chioggia, 15. April 1817, WStLB, HS, 7857.
113
Ein Bericht ber die Ereignisse an Bord der AUSTRIA, verfasst von Johann Christian Mikan am 14./15. April
1817, erschien in sterreichischer Beobachter, Nr. 122, 2. Mai 1817, 633f.; zu den Ereignissen auf der AUSTRIA
und ihre Fahrt nach Rio de Janeiro vgl. SPIX-MARTIUS: Reise in Brasilien (1823-1831 / 1980) 15-88.
114
Johann Natterer an Josef Natterer, Venedig, 2. Mai 1817, WStLB, HS, 7858.
48
110

AUGUSTA

wieder in See stechen. Nach fast dreiwchiger Fahrt erreichte das Schiff am 17.

Juni Gibraltar. Hier musste die AUGUSTA auf Erzherzogin Leopoldine und ihr Gefolge warten,
die jedoch erst im August Livorno verlieen.115
Natterer nutzte die Wartezeit in Gibraltar fr naturwissenschaftliche Erkundungsgnge.
Verschiedene Excursionen fhren ihn und seine Begleiter Schott und Sochor in die nhere
Umgebung von Gibraltar: nach Algeiras, San Roque, Cap Carnero, Tarifa und Cap
Trafalgar. Mit den gesammelten Objekten dieser Wanderungen stellte Natterer eine Sendung
fr das Naturalienkabinett in Wien zusammen. In zwei Kisten schickte er 68 Vgel, 10
Sugetiere, 77 Amphibien, 24 Flschchen mit Eingeweidewrmer und 900 Insekten nach
Wien.116 Sein Arbeitsalltag war ein dicht gedrngtes Programm aus Exkursionen, Prparieren
der gesammelten Tiere und Pflanzen und Organisation. In einem Brief an Karl von
Schreibers, den Direktor des Naturalienkabinetts, beschreibt Natterer seine Ausflge, ahnend,
dass die Arbeitsbedingungen in Brasilien noch schwieriger sein wrden:

Euer Hochwohlgeboren werden einsehen, wie anstrengend und erschpfend unsere


Excursionen waren, in einem barbarischen Lande, wo man keine Strasse und nur selten elende,
halsbrecherische, kaum fr Esel und Maulthier mit Sicherheit zu betretende Fusteige antrifft,
wo man nie hoffen durfte, eine freundliche Herberge zu treffen, die uns, obschon ohne Rock und
Weste, mit einem Strohhute auf dem Kopfe, von einer drckenden Hitze ermattet, vor Durst
Lechzenden einen labenden Trunk oder sonstige Erfrischung gebothen htte. Unsern sprlichen
Mundvorrath, der aus Brod und hchstens noch Kse oder einigen Frchten bestand, mussten
wir selbst mittragen, und glcklich schtzten wir uns oft, eine Lacke, meistens schlechten
Brakwassers, zu finden, das ebenso warm wie die uns umgebende Luft unsern Durst noch
vermehrte. Hchst selten war eine Quelle guten Wassers zu finden und diess in den
unwirtbarsten Thlern, denn die meisten Bche waren ausgetrocknet. [] Bei der Nacht raubte
die Hitze und ein Heer von Mcken uns den Schlaf. Wahrlich ein trefflicher Vorgeschmack von
jenen in Brasilien, einem bei weitem noch heisseren Lande, uns bevorstehenden
Unannehmlichkeiten.117
4.3. ber den Atlantik

Am 1. September 1817 erfolgte nach langem Warten endlich die Abreise aus Gibraltar. Die
portugiesischen Schiffe JOO VI. und SO SEBASTIO mit Erzherzogin Leopoldine und ihrem
115

SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 7.


Vgl. SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 16-22.
117
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 29f.
116

49

Gefolge an Bord hatten am Vormittag dieses Tages Gibraltar passiert. Die

AUGUSTA

lief

wenige Stunden spter aus und schloss sich den Portugiesen an, um gemeinsam mit ihnen den
Atlantik zu berqueren. Nach einem kurzen Aufenthalt auf Madeira begann die eigentliche
Atlantikberquerung. Auch fr die sterreichischen Seeleute, die bisher vor allem das
Mittelmeer befahren hatten, ein Abenteuer.
Die berfahrt war nicht nur anstrengend, sondern vor allem sehr langweilig. Eine der
Hofdamen Leopoldines beschrieb das Leben auf dem Schiff als unertrglich. Man habe nichts
zu tun, als sich gegenseitig anzuden, zu kritisieren, zu tratschen und zu lgen.118 Festliche
Beflaggung und Kanonensalven am Namenstag des Kaisers Franz I. und am Namenstag des
portugiesischen Knigs Joo VI. brachten etwas Abwechslung in den eintnigen Bordalltag.
Die Langeweile whrend mehrwchiger Segelfahrten wird von Zeitgenossen immer wieder
angesprochen, zum Beispiel von dem Schweizer Hermann Eberhard Lhnis, der 1850 von Le
Havre nach Sdamerika reiste. Er schrieb in seinen Erinnerungen:
Ohne gerade krank zu sein, doch unter dem Einfluss einer fortwhrenden Unbehaglichkeit
leidend; auf den engen Raum eines kleinen Schiffes, auf den noch engeren Kreis einer
gewhnlichen Unterhaltung angewiesen, ohne besondere Lust zum Lesen, ohne Muth und die
Kraft, in der dumpfen Cajtenluft zu schreiben, kann ich nicht anders sagen, als dass ich sehr
oft von grosser Langeweile peinlich geplagt wurde.119
Am 17. Oktober berquerten die sterreichischen Schiffe den quator und an Bord fand die
traditionelle quatortaufe statt fr alle, die noch nie den quator berquert hatten. Natterer
geht nicht nher darauf ein, was es mit den gewhnlichen Taufceremonien, die beym
Passieren der Linie blich sind

120

auf sich hatte. Wilhelm von Grandjean, Sekretr des

sterreichischen Sonderbotschafters von Eltz, schildert in seinem Reisetagebuch die


Zeremonien der quatortaufe an Bord der
AUGUSTA

SO SEBASTIO

ein Szenario, das sich auf der

hnlich abgespielt haben drfte: ein Maskenzug mit einem verkleideten Neptun

an der Spitze forderte vom Schiffskommandanten einen Tribut fr jeden Mann an Bord, der
noch nie den quator berquert hatte. Die quator-Neulinge wurden dann getauft, d.h.
von einem Barbier symbolisch rasiert und mit dem Kopf in einen Wassereimer gesteckt.
118

zit. nach OBERACKER: Leopoldine (1980) 124.


LHNIS, Hermann Eberhard: Die Tcken des Mautiers. Eine lange Reise durch Sdamerika 1850 -1852 (=
Das volkskundliche Taschenbuch 21), hg. v. Kurt Graf und Paul Hugger (Zrich 2000) 27.
120
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 8. November 1817, WStLB, HS, 7870; vgl.
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 80f.
50
119

Wer sich der Zeremonie zu entziehen versuchte, wurde unter groem Tumult von den
Hschern des Neptun aus dem Versteck gezerrt und dem Gericht des Neptun bergeben.
Die ganze Veranstaltung endete damit, dass zur allgemeinen Belustigung eine ebenfalls
anwesende Teufelsfigur alle Anwesenden mit Wasser bespritzte.121
Anfang November gelangte endlich die Kste Brasiliens in Sicht. Am Ende der ber zwei
Monate dauernden Schiffsreise von Gibraltar nach Rio de Janeiro war bei Johann Natterer der
anfngliche Optimismus verflogen. Die Lebensbedingungen hatten sich vllig anders gestaltet
als zunchst angenommen, von Bequemlichkeit war keine Spur, an Arbeit war unter den
herrschenden Umstnden nicht zu denken. Natterer beschreibt die Situation an Bord als
uerst ungesund und unangenehm:
Nur hchst selten konnten wir unsere Balken des Kajtenfensters, das ohnedies, einen Schuh
breit und einen halben hoch, nur hchst sparsames Licht in die Kajte lsst, aufmachen, um die
Luft zu erneuern. Diese Fensterbalken schliessen aber nun die meisten so schlecht und
besonders aber das meinige, dass das Wasser bey jeder Schwankung oder Roulade des Schiffes,
die das Fenster unter Wasser brachte, stromweise ins Kmmerchen drang, sodass ich endlich
gezwungen war, einen grossen Wassereimer hinstellen zu lassen, worein ber eine Rinne aus
Blech das Wasser floss. Den Fussboden liess ich mit einigen Brettern belegen, um nicht immer
im Wasser zu gehen. [] Was von Leder ist, ist alles weiss von Schimmel, auch wenn es sehr oft
abgewischt wurde, alles von gefrbter Seide hat Morschfleken. Das schwarze, rothe, der grne
Sammt von den Mustern ist blau geflekt. Aber dies ist kein Wunder in meinem Zimmer, wo kein
Luftzug ist und immer stehendes Wasser ist. Und da musten wir schlafen. Nur meiner, wie ich
glaube, fast eisernen Natur danke ich es, dass ich noch so gesund bin, wie ich es immer war,
denn auch nie hat mir noch das geringste gefehlt. Noch ein sehr verdriesslicher Umstand war
dieser: wollte man etwas arbeiten, so musste es in diesem Loche beym Kerzenlichte geschehen,
denn auch im Quarre am Tische war es meist finster, da oben auf dem Verdeke eine
Segeltuchdeke gegen die Sonne gespannt war. Das starke, fast ewige Schwanken, das Gekrache
und Geknarre des Schiffes, des immer hoch wogenden Meers wegen, hinderte mich an
anhaltenden Arbeiten.122
Diese Erfahrungen waren nichts Auergewhnliches im Zeitalter der Segelschiffe. Fr Pierre
Poivre (1719-1786), einen franzsischen Naturforscher, der in den 1740er-Jahren unter
Bedingungen reiste, die denen Natterers durchaus vergleichbar waren, war ein Schiff schlicht
und einfach der verdrielichste und unerfreulichste Aufenthaltsort auf der Welt.123 Dieser
121

OBERACKER: Leopoldine (1980) 124-126; auch POHL, Johann B. Emanuel: Reise im Inneren von Brasilien.
Bd. 1 (Wien 1832) 25-28 beschreibt diese Zeremonie an Bord der SO SEBASTIO.
122
Johann Natterer an Josef Natterer, Gewsser von Cabo Frio, Bord der Augusta, 4. November 1817, WStLB,
HS, 7869.
123
POIVRE, Pierre: Reise eines Philosophen 1768. Eingeleitet, bersetzt und herausgegeben von Jrgen
51

Einschtzung htte vermutlich auch Natterer am Ende seiner Reise uneingeschrnkt


zugestimmt. Poivre fasste seine Erfahrungen auf See zu einer Aufzhlung aller Arten von
Misshelligkeiten zusammen, die Natterers Erlebnisse eindrucksvoll besttigen:
[] ekelhaften Schmutz, widerlichen Gestank, hervorgerufen durch Teer und den Kot
zahlreicher Tiere aller Arten, Mangel an Wasser, das genau eingeteilt werden mu,
gesundheitliche Zerrttung als Folge von Pkelfleisch und berhaupt schlecht zubereiteter und
ungesunder Nahrung, stndigen Krach tags und nachts, fehlende Hilfe im Falle einer
Krankheit, Langeweile.124
Am Morgen des 5. November 1817 lief die kleine Flotte mit der Kronprinzessin aus
sterreich, ihrem Gefolge und den Naturforschern in den Hafen von Rio de Janeiro ein. Die
ersten Eindrcke von Brasilien wirkten wohl entschdigend fr viele Leiden der
zurckliegenden Wochen. Wie es zeitgenssische Reisende beschreiben, erscheint Brasilien
als fast unberhrtes Paradies in einer wahrhaft neuen Welt, ein Idealbild exotischer
Schnheit:
Die zauberischen Schnheiten der Bai fesseln den Beobachter, [] in der Nhe grere
Inseln mit groen Gebuden; und kleinere, mit Palmen und freundlichen Landhusern
geschmckt, so romantisch wie sie nur ein Dichter schildern kann; - in der Ferne, tief in der
Bai, grne Inselgruppen und nackte Felsbcke, die, durch die Brechung des Sonnenlichtes
und der aufsteigenden Dnste, mit einem silberglnzenden Saum unterzogen, in der Luft zu
schweben scheinen [] Man ruft sich unaufhrlich zu: wie schn! wie herrlich!125
Auch Natterer blieb von diesen Impressionen nicht unbeeindruckt, wenn auch die
landschaftliche Schnheit fr ihn nicht an erster Stelle stand. Das Leben an Bord des Schiffes
bereits hinter sich wissend, wird in seiner Beschreibung das vor ihm liegende Land zur
Projektionsflche seiner wissenschaftlichen Hoffnungen und Erwartungen, die ihn schlielich
als einziges Mitglied der Expedition fr die folgenden 18 Jahre in Brasilien festhalten
werden:
Osterhammel (= Fremde Kulturen in alten Berichten 4) (Sigmaringen 1997) 46.
POIVRE: Reisen eines Philosophen (1997) 48.
125
ESCHWEGE, Wilhelm Ludwig von: Brasilien. Die neue Welt in topographischer, geognostischer,
bergmnnischer, naturhistorischer politischer und statistischer Hinsicht, whrend eines elfjhrigen Aufenthaltes, von
1810 bis 1821, mit Hinweisung auf neuere Begebenheiten, beobachtet (Braunschweig 1830) 1, zit. nach SCHMID:
Mareschal (1975) 26; vgl. KANN, Bettina: Zwischen Ordnungslust und Naturschwrmerei. Naturwahrnehmung
bei den Teilnehmern der sterreichischen Brasilienexpedition 1817-1835 und Kronprinzessin (resp. Kaiserin)
Leopoldine. In: Archiv fr Vlkerkunde 52 (2002) 13-22; Auch SPIX-MARTIUS: Reise in Brasilien (18231831 / 1980) 84f. beschreiben etwa zerstreute, duftende Inseln und eine bunte Manichfaltigkeit und Pracht als
124

52

Nun sind wir in Brasilien. Am 5. abends, 3/4 auf 7, liessen wir nordstlich von Ilha de Cobras
den Anker fallen. Der Eingang von Rio biethet schauerliche Gestalten von Bergen dar,
besonders die Kette auf der westlichen Seite. Frher hatten wir schon aussen einige mit Palmen
bewachsene Inseln passirt. Tief fhlend im voraus schon die reiche Ausbeute, die dort unser
harre, war ich immer mit dem Fernrohre auf dem Verdeke, versunken im Anschauen dieser
ungeheuern Gebirgsmassen.126

5. DIE DIENSTINSTRUKTION DER K.K. BOTSCHAFTSEXPEDITION

Wissenschaft und Kenntnisse sind allerdings zu


erlangen, wenn man die Reisen [] zu diesem
Endzwecke anstellt; ob aber ntzliche Kenntnisse und
wahre Wissenschaften, das ist eine blosse Lotterie.
Laurence Sterne: Yoricks empfindsame Reise durch
Frankreich und Italien, nebst einer Fortsetzung von
Freundeshand (engl. Original London 1768,
Nrdlingen 1986) 38.

... die reiche Ausbeute, die dort unser harre Natterer spricht im Moment seiner Ankunft in
Rio de Janeiro die groen Erwartungen an, mit denen er und seine Kollegen darauf warteten,
ihre Arbeiten in Brasilien beginnen zu knnen. Aber nach welchen Kriterien sollten ihre
Forschungen erfolgen? Welche Richtlinien gibt es fr ihre wissenschaftliche Sammelreise und
welche Vorhaben sollten sie erfllen? Mit welchen Vorstellungen, welchem Vorwissen
kommen die sterreicher nach Brasilien? Welche wissenschaftlichen Programme werden
whrend der Vorbereitung der Expedition erstellt? Ein spterer Zeitungsbericht fasst die
Aufgaben der sterreichischen Expedition von 1817 mit pathetischen Lobeshymnen fr den
Kaiser zusammen:

Es ist bekannt, da Se. Majestt, bei Gelegenheit der Vermhlung der durchlauchtigsten
Erzherzoginn Leopoldine k.H. und Hchstderselben Reise nach Brasilien im Frhjahr 1817,
auch einige Naturforscher und Knstler dahin abzusenden geruhte, mit dem Auftrage: die noch
ersten Eindruck von Brasilien.
Johann Natterer an Josef Natterer, Gewsser von Cabo Frio, Bord der Augusta, 4. November 1817, WStLB, HS,
7869.
53

126

so wenig gekannten Naturmerkwrdigkeiten jenes Landes an Ort und Stelle zu beobachten,


theils getreue Zeichnungen, theils Sammlungen davon zur Bereicherung hiesiger k.k. Anstalten
einzusenden, und so dem Vaterherzen des Monarchen erfreuliches Ereigni auch zum
bleibenden Gewinn fr die Wissenschaft zu machen.127
Die Zeitung verliert kein Wort ber Programm und Zielsetzungen der Expedition, aber sie
schreibt den Anspruch des Herrscherhauses auf die reprsentativen Qualitten des
Unternehmens fest. Dem Kaiser wird das Prestige zugesprochen, das die Zeitung zugleich
propagiert und welches die Frderung von Wissenschaften in den Augen vieler Zeitgenossen
zweifellos besa. Sie deklariert zugleich, wer die Macht und die Mittel hat, ein derartiges
Unternehmen anzuordnen, durchzufhren und zu leiten und sie legt dar, wer die Ziele bestimmt
und folgerichtig auch die Erfolge fr sich beanspruchen kann. Wie diese Frderung aussehen
sollte, ist nicht mit einzelnen Forschungsanliegen festgemacht, sondern allgemein als
Bereicherung der Sammlungen definiert.
Die Erstellung mehr oder weniger detaillierter Instruktionen und Zusammenfassungen
erwarteter oder mglicher Forschungsschwerpunkte samt Anleitungen fr reisende
Wissenschafter gehrt seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, seit den gro angelegten SeeExpeditionen von Louis Antoine de Bougainville und James Cook zum Standard der
Vorbereitung einer Expedition.128 Auch die sterreichischen Expeditionen des 18. Jahrhunderts
werden mit Dienstinstruktionen ausgestattet und gehen mit diesem Leitfaden oder
Empfehlungen auf Reisen.129
Die Instruktionen legen Arbeitsaufgaben, Verfahrensweisen und Arbeitsteilungen zwischen den
beteiligten Expeditionsmitgliedern fest. Fragenlisten und Hinweise zur Auffindung bestimmter
Sammlungsobjekte sind Ausdruck einer Zielgerichtetheit im Unterschied zu der seit dem 18.
Jahrhundert bereits berwundenen, frher dem Zufall berlassenen Vorgangsweise.130 Diese
Anweisungen knnen jedoch nur als programmatischer Rahmen verstanden werden. Angesichts
der Unwgbarkeiten, die im Verlauf einer Reise geschehen konnten, ging man wohl nicht davon
127

Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 145, 4. Dezember 1821, 1217f.
JGER, Hans Wolf: Reisefacetten der Aufklrungszeit. In: BRENNER, Peter J. (Hg.): Der Reisebericht. Die
Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur (Frankfurt/Main 1989) 264-268; BITTERLI, Urs: Die
Wilden und die Zivilisierten. Grundzge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europisch-berseeischen
Begegnung (Mnchen 2 1991) 28-35.
129
HHNEL: Botanische Sammelreisen (1992) 61-70; NOWOTNY: Die Forschungs- und Sammelreise des
Nicolaus J. Jacquin (1993) 89-94; HHNEL: Kaiserliche Grtnergesellen (1993) 95-102; KLEMUN:
sterreichische wissenschaftliche Sammelreisen (2005) 28-30.
128

54

aus, dass die Vorgaben der Instruktionen unverndert umzusetzen wren. Die Instruktionen
knnen als disziplinres Instrument gesehen werden, dass die Autoritt des Auftraggebers, des
Kaisers, darstellt und allgemeine Regeln wie die Rangordnung der Teilnehmer, die Pflicht zur
schriftlichen Fixierung der Unternehmungen whrend der Reise in regelmigen Berichten und
Tagebchern und Bestimmungen ber die Art der der Beschreibung der gesammelten Objekte
festlegt.131
Welche Aufgaben der Brasilien-Expedition im Moment ihrer Planung zugeschrieben wurden,
zeigt ein Blick in die Dienstinstruktion der Forscher, die Direktor Karl von Schreibers als
Referent der k.k. Botschaftsexpedition in Wissenschaftssachen ausgearbeitet hatte.132 In dieser
detaillierten und fr alle Teilnehmer verbindlichen Instruktion ist das Arbeitsprogramm der
sterreichischen Forscher zusammengefasst. Das als Dienst-Instruktion fr die zur Reise nach
Brasilien bestimmten Naturforscher titulierte Papier verdient als Grundlage der von den
Expeditionsmitgliedern zu erfllenden Aufgaben besondere Beachtung. Es versucht, die
Rahmenbedingungen fr die Reisen festzulegen und bestimmte Forschungsziele der
sterreicher zu definieren.

5.1. Forschung und Disziplin

Die Dienstinstruktion richtet sich an Professor Mikan und Johann Natterer als
gemeinschaftliche Leiter der Expedition. Verfasst im Jnner 1817 nimmt sie auf das sptere
Hinzukommen des Mineralogen Pohl sowie der Maler Buchberger und Ender keine Rcksicht.
Zunchst widmet sich die Dienstinstruktion organisatorischen Fragen und weist die Instruktion
als Festlegung disziplinrer Vorstellungen aus. Als Angestellte einer kaiserlichen Sammlung
bzw. als von der Hofkammer bezahlte Forscher wurden die Teilnehmer der Expedition
(ausgenommen die bayerischen Naturforscher, die nicht kaiserlicher Befehlsgewalt
unterstanden)

auf bestimmte Verhaltensregeln

eingeschworen.

Die Dienstinstruktion

unternimmt den Versuch, einen strukturellen Rahmen fr das Unternehmen festzulegen und
130

KLEMUN: sterreichische wissenschaftliche Expeditionen (2005) 23.


KLEMUN: sterreichische wissenschaftliche Expeditionen (2005) 29.
132
Dienstinstruktion, Wien, 14. Jnner 1817, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 2 (alt Fasz. 2),
Wiss. Expedition, fol. 126. Daraus stammen die folgenden Zitate. Eine mit 5. Mrz 1817 datierte Abschrift des
Hauptteiles dieser Dienstinstruktion befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin Preuischer Kulturbesitz,
Handschriftenabteilung, Slg. Darmstdter, La 1808: Schreibers, Karl von.
55
131

eine stndige Rckbindung der Reisenden an ihre Dienststellen in Rio und Wien zu garantieren.
ber eine stndige Berichtspflicht bleiben die Reisenden stets mit ihrem Auftraggeber
verbunden. Was immer auch whrend der Reise geschehen mochte, es wird damit zumindest
der Versuch unternommen, diese Verbindung aufrecht zu erhalten. Angesichts der
Unwgbarkeiten und Schwierigkeiten, die spter entstehen sollten und die Einhaltung
regelmiger Berichterstattung erschweren oder unmglich machen sollten, ist die
Dienstinstruktion auch ein Dokument symbolischer Klarstellung von Autoritt und Herrschaft,
welcher sich die Teilnehmer der Reise im Dienst des Kaisers verpflichtet fhlen sollten. Die
Forscher werden bei dieser Gelegenheit daran erinnert, dass sie sich nicht nur dem Vertrauen,
welches allerhchste Seine Majestt bewog, sie mit dieser ehrenvollen Bestimmung zu
beglcken, als wrdig zu erweisen haben, sondern dass sie auch den billigen Erwartungen der
Welt durch die Resultate ihrer Bemhungen zu entsprechen haben. Die erwartete oder erhoffte
Wirkung der Expedition nach auen als reprsentatives Unternehmen fr den Kaiser und als
wissenschaftliche Vorzeigeleistung wird von Anfang an mit bedacht.
Mikan und Natterer hatten als sich als Leiter der Expedition in allen Entscheidungen und
Planungen hinsichtlich ihrer Reisen und Sammlungen an den sterreichischen Botschafter in
Rio de Janeiro oder dessen Stellvertreter zu wenden. Alle Plne, Bitten, Vorschlge und
Anfragen finanzieller Art sollten vom Botschafter entschieden werden. Dessen Weisungen
waren zu befolgen, die Forscher hatten ihm unbedingten Gehorsam zu leisten. Der
sterreichische Geschftstrger sollte auch fr die Verpflegung der Expeditionsteilnehmer
zustndig sein und fr die Bereitstellung der ntigen finanziellen Mittel sorgen. Auch Anliegen
und Ansuchen an die portugiesische Regierung sollten ber den Botschafter laufen. Dauerhafte
Anstellungen von Gehilfen, Jgern, Dolmetschern oder Fhrern bedurften ebenfalls der
Genehmigung durch den Botschafter.
Rio de Janeiro sollte stets Ausgangs- und Zielpunkt der Reisen sein (was sich aber in der
praktischen Durchfhrung als unrealistisch erwies). Die Dienstinstruktion trgt auch Sorge fr
die gemachten Sammlungen. Die Naturforscher sollten in Rio ein geeignetes Quartier suchen,
das eine sichere Verwahrung der Sammlungen ermglichen wrde und fr geeignetes Personal
sorgen, das in ihrer Abwesenheit Quartier und Sammlungen versorgen sollte.
Die Instruktion regelt auch die interne Hierarchie: der Grntner Schott wird Mikan als Gehilfe
zugeteilt, Sochor soll Natterer im zoologischen Arbeitsbereich untersttzen. Mikan und Natterer
56

wiederum haben fr den Unterhalt ihrer Gehilfen zu sorgen und sind fr deren Arbeitsleistungen
verantwortlich.
Mehrfach betont die Instruktion sicherlich Bezug nehmend auf die vorangegangenen
Differenzen zwischen Natterer und Mikan um die Leitung der Expedition dass beide
Naturforscher in ihrem Wirkungsbereich, der sich aus der fachlichen Trennung von Botanik
und Zoologie ergab, unabhngig voneinander seien. Sie werden jedoch auch wiederholt dazu
angehalten, dass sie stts gemeinschaftlich zusammenwirken bey allen, zumahl grssern und
wichtigern Unternehmungen und Arbeiten sich wechselseitig die Hand biethen und
freundschaftlich untersttzen, stts einverstndlich und einvernehmlich handeln und
wechselseitige Rcksprache pflegen. Reiseplne sollten gemeinschaftlich ausgearbeitet
werden, die Reisen selbst sollten aus Grnden der Sicherheit und der Ersparnis von Zeit und
Kosten gleichzeitig und gemeinsam angetreten und beendet werden. Um leichter Unterkunft
fr eine kleiner Gruppe finden zu knnen und um die Sammelttigkeit nach den natrlichen
Gegebenheiten auszurichten, knnte es auf den Reisen selbst zu Trennungen der beiden
Abteilungen Botanik und Zoologie kommen, die aber mglichst genau geplant werden
sollten, vor allem Zeit und Ort ihres Wiederzusammentreffens. Vor Beginn einer Reise sollten
genaue Informationen ber Wege, Strassen, Unterknfte, Gefahren und Beschwerlichkeiten,
bentigte Vehikel, Hilfsleistungen, Bedrfnisse an Menschen, Vieh und Viktualien eingeholt
werden. Die gemeinsam ausgearbeiteten Reiseplne mussten dem Botschafter zur
Genehmigung vorgelegt werden. Plan, Dauer und Zeitpunkt der Rckkehr mussten begrndet
und so genau als mglich festgelegt werden, ebenso der erforderliche Geldbedarf.
An mehreren Stellen hebt die Instruktion hervor, dass die Naturforscher etwa im Falle einer
Trennung nicht nur im eigenen Bereich arbeiten und in Beziehung auf die manigfaltigen
Rcksichten des Zweckes im Allgemeinen, das ist in geographischer, physikalischer,
anthropologischer, ethnographischer, konomischer, technischer und philosophischnaturhistorischer Beziehung Beobachtungen und Erfahrungen sammeln sollten, sondern auch
so viel als mglich Naturprodukte aller Art, aus allen Reichen, Klassen und Ordnungen
einzusammeln und beyzuschaffen htten. Die in diesem Fall gemachten Sammlungen aus den
jeweils anderen Fachbereichen waren gegeneinander abzutauschen je nach Fachbereich,
unbenommen des Rechtes, sich als Entdecker das Verdienst zu sichern.
Bei der Rckkehr sollten sich Mikan und Natterer als Leiter der beiden Hauptgruppen sofort
57

beim Botschafter melden, einen amtlichen Bericht abliefern und Rechnung legen. Die
Naturforscher waren auch dazu angehalten, ein genaues Tagebuch zu fhren, alle Vorflle
genau aufzuzeichnen und Informationen zu den gesammelten Objekten zur notieren. Hier
wird auch wissenschaftliche Praxis definiert, wie Funde dokumentiert werden sollen. Was
gesammelt werden soll oder worauf sich das Interesse richtet, wird hingegen sehr allgemein
formuliert:

Whrend der Reise haben sie ein genaues Tagebuch von allen Vorfallenheiten, von
Erfahrungen und Beobachtungen in all den vielseitigen Rcksichten des allgemeinen Zweckes
zu fhren und in dasselbe alle Beobachtungen und eingesammelten Naturprodukte von einiger
Bedeutung, mit Beyfgung des Fundortes, der Localbenennung, der dabey gemachten
Bemerkungen u.s.w. pnktlich einzutragen.
Von den Reiseplnen waren Abschriften an die Centralleitung nach Wien zu schicken, ebenso
gemeinschaftliche wissenschaftliche Berichte ber alle Unternehmungen und von deren Erfolg
und Resultaten. Wert legte Direktor von Schreibers dabei auf Anfhrung der gemachten
interessantesten Beobachtungen und Erfahrungen und eine bersicht ber die wichtigsten
gesammelten Objekte. Alle Naturprodukte sollen in mehrfachen Exemplaren gesammelt
werden, von selteneren Objekten so viele als mglich. Die Instruktion versucht auch, eventuell
vorhandene Privatinteressen unter Kontrolle zuhalten und betont ausdrcklich, alles
Gesammelte sei ohne Ausnahme einzusenden.
Die Expeditionsleitung hatte dabei nicht nur die naturwissenschaftlichen Sammlungen fr das
Naturalienkabinett im Auge. Sie verfolgt auch andere, wirtschaftliche Interessen und lenkt die
Aufmerksamkeit der Naturforscher auf Produkte, die in diesem Sinne besonderes Augenmerk
verdienen, nmlich nebst allen Vortheil versprechenden Handelsartikeln und darunter
besonders die edlern, feinern Holzarten, alle im Grossen kultivirten Pflanzen und alle Hausund Zuchthiere, zumahl wenn sie in irgend einer Beziehung vortheilhaft tranportirt,
aklimatisirt und auch in Europa fortgebracht werden zu knnen Hoffnung geben. Die
Dienstinstruktion

beinhaltet

somit

auch

Richtlinien

fr

das

Inventarisieren

des

Wirtschaftsraumes Brasilien. Rohstoffe, Bodenschtze, als Handelsgut interessante Tiere und


Pflanzen, Handelswege und Strassen, sowie sonstige ntzliche Informationen, die
wirtschaftliche Beziehungen zugunsten der Europer untersttzen knnten, sollten gesammelt
58

werden. Ein Ziel des gesamten Brasilien-Unternehmens war von Anfang an auch der Aufbau
wirtschaftlicher Verbindungen und wie bereits erwhnt ein Handelsvertrag. Von den
Naturforschern erhoffte man sich weitere wertvolle Informationen ber die wirtschaftlichen
Verhltnisse des Landes und Aufschlsse darber, wie und mit welchen Produkten einerseits
sterreich den Handel mit Brasilien intensivieren knnte und welche Nutztiere oder Pflanzen
in Europa gewinnbringend heimisch gemacht werden knnten. Die laufenden Hinweise in der
Dienstinstruktion auf landeskundliche Beobachtungen, auf wirtschaftliche Fragen und
eventuell lohnende Handelwaren zeigen, dass die konomischen Interessen abseits der
naturkundlichen Arbeiten immer im Blickfeld der Auftraggeber blieben.
Zu beachten ist auch der Versuch der Expeditionsleitung, mit Hilfe der Instruktion zu
berwachen, dass die Ergebnisse der Expedition nicht inoffiziell weiter verbreitet wurden,
vorzeitig an die ffentlichkeit gelangten und damit eventuell der wissenschaftlichen
Konkurrenz zu Gute kamen. Privatmittheilungen weder von eingesamelten Gegenstnden noch
von gemachten Beobachtungen ohne Vorwissen und Genehmigung der Centralleitung waren
untersagt. Allerdings wurde den Forschern angeboten, Aufstze an die Centralleitung
einzuschicken, welche die Bekanntmachung nach Wunsch der Einsender und in deren Nahmen
vermitteln

wird.

Schreibers wollte auf diese Weise publizistische Ttigkeit und

wissenschaftliche Verffentlichungen der Forscher unter seiner Kontrolle behalten. Der


Notwendigkeit, der wissenschaftlichen Welt Nachrichten [] mitzutheilen, um sich innerhalb
der scientific community zu positionieren und Forschungsleistungen fr sich bzw. sein Haus
zu reklamieren, war er sich aber bewusst und bemerkte auffordernd, dass das auch von Zeit zu
Zeit geschehen sollte.
Neben den allgemeinen Anleitungen sind die Instruktionen interessant in Hinblick auf die
vorbereitende Sicht, die den Forschern vermittelt wurde und mit der sie dem Phnomen
Brasilien begegneten. Sie zeigen einerseits, was in sterreich zu diesem Zeitpunkt an Wissen
ber Brasilien vorhanden war und geben andererseits Hinweise auf mgliche, auf die Rezeption
einschlgiger Literatur gesttzte Erwartungshaltungen der Europer, die zum ersten Mal in
ihrem Leben den amerikanischen Kontinent betraten.

59

5.2. Aufgaben und Erwartungen

Die Beilage A: Notizen und Bemerkungen fr die Reise nach Brasilien enthlt allgemeine
Informationen ber Klima, Krankheiten, Gefahren, wilde Tiere, Verkehrswege und Versorgung.
Als Quellen werden zwei Werke genannt, die zu diesem Zeitpunkt wohl die aktuellsten ber
Brasilien waren, nmlich die schon genannten Reiseberichte von John Mawe und Henry
Koster.133
Schreibers skizziert darin wohl inspiriert von Mawe und Koster ein positiv gefrbtes Bild
Brasilien: Reisen seien allgemein wenigst in den kultivirtern Gegenden weder mit Gefahren
noch mit besondern Beschwerlichkeiten verbunden. Das Klima wird allgemein als mild und
angenehm bezeichnet, was darauf hinweist, dass das Wissen ber verschiedene Klimazonen und
Hhenlagen wahrscheinlich auf aufgrund mangelnder Daten recht gering war. Die Instruktion
fhrt weiter aus, dass es keine endemischen Krankheiten gbe. Schreibers fgt aber
medizinische Ratschlge fr die dennoch bei Europern hufig auftretenden Erkrankungen von
Leber und Galle und fr Durchfall hinzu.
Direkte Gefahren durch Menschen oder Tiere wrden nicht drohen, denn selbst Jaguare greifen
kaum an. Auch gbe es keine giftigen Tiere, auer einigen Schlangen. Ausdrcklich warnt
Schreibers vor Klapperschlangen und gibt Anweisungen fr eine Behandlung von
Schlangenbissen durch Abbinden der betroffenen Gliedmaen, Aussaugen und Ausbluten. Nur
die Insekten seien lstig und eine Gefahr fr die Sammlungen, besonders die Termiten.
Die Handelswege im Landesinneren seien zwar nicht gut ausgebaut, wrden aber eine
problemlose Verbindung zwischen den Provinzen durchaus ermglichen. Reit- und Lasttiere
wren entlang der Handelsrouten berall leicht zu haben oder unter Umstnden mit Hilfe der
Behrden leicht zu requirieren. Auch die Versorgung stelle kein Problem dar:

Lebensmitteln fr Menschen und Vieh findet man auf jenen Strassen und Wegen allerwrts zur
Genge, selten und nur in unbewohnten, unfruchtbaren Gegenden und auf entferntern
Seitentouren wird man sich etwa auf einige Tage damit vorzusehen haben. Ebenso findet man
da allenthalben Unterkunft und die nothwendigsten Bequemlichkeitsbedrfnisse.
Ohne Probleme knne man Gastfreundschaft in Anspruch nehmen, da berall wohlhabende
133

MAWE, John: Travels in the Interior of Brazil (London 1815) und KOSTER, Henry: Travels in Brazil
(London 1816).
60

portugiesische und englische Kaufleute und Plantagenbesitzer leben wrden, die Reisende gerne
aufnehmen wrden.
Allgemeine Richtlinie ist, dass die Expedition der Schaffung eines berblicks ber Arten und
Besonderheiten dient. Die Forscher sollten daher nicht zu lange an einem Ort bleiben, so schnell
wie mglich und durch mglichst viele Provinzen reisen. Schreibers erwartete sich von seinen
Forschern mehr durch Manigfaltigkeit der Arten und Gattungen als durch die Anzahl der
Individuen ausgezeichnete Sammlungen. Der klare Auftrag ist also, sich nicht zu sehr mit der
Erforschung von Details und mit der Einsammlung vieler Individuen einer Art aufzuhalten. Das
wrde zwar eine genauere Erforschung einer Art ermglichen, aber Schreibers geht es um einen
mglichst breiten berblick. Es handelt sich also um eine mglichst breit angelegte
Beschaffung naturkundlicher Materialien aus Botanik, Zoologie und Mineralogie, nicht die
Erforschung ganz bestimmter Teilgebiete. Die Verfgbarmachung brasilianischer Arten und
Gattungen im Wiener Museum und fr die Forschungen in Wien ist die zentrale Aufgabe.

5.3. Zeitplne und Reiseplne

In dieser Zusammenfassung wird offensichtlich, dass aufgrund der Lektre von Mawe und
Koster bei Schreibers der Eindruck entstanden war, die geplanten Expeditionen wrden ohne
Probleme in krzester Zeit zu verwirklichen sein. Die realen Bedingungen in Brasilien werden
spter zeigen, dass die Vorhaben, wie sie in Wien projektiert wurden, wohl nur unter den
gnstigsten Umstnden zu realisieren gewesen wren. Der Kaiser limitierte laut
Dienstinstruktion zunchst zwar weder die Dauer noch die Kosten der Expedition. Zugleich
arbeitete Schreibers einen eng gefassten Zeitplan aus, der fr eine Erforschung weiter Teile des
Landes gerade einmal knappe zwei Jahre vor.
Schreibers Plan projektierte drei oder vier Hauptreisen, die in zwei Jahren gemacht werden
sollen: eine Reise an der Kste von Rio de Janeiro aus nach Norden, eine zweite entlang der
Kste nach Sden, eine dritte von Rio aus in die nordwestlich von Rio gelegenen Provinzen, die
vierte als eine groe Reise oder mehrere kleine Reisen in die westlichen und sdwestlichen
Provinzen. Rio de Janeiro sollte das Hauptquartier der Expedition sein und Ausgangs- und
Endpunkt der Reisen.
Fr die geplanten vier Hauptreisen entwarf Schreibers getrennte bersichten ber die
61

interessantesten Orte und bemerkenswerte naturwissenschaftliche Bereiche, an deren


Beobachtung und Bearbeitung man in Wien besonders interessiert war. Diese bersichten
versuchten zum einen, Routen fr die geplanten Reise festzulegen (zum Teil unter
Zuhilfenahme der Reisewerke von Mawe und Koster) und zum anderen, Hinweise zu geben, wo
die vom Naturalienkabinett am meisten begehrten Objekte zu finden wren.
Der Zeitplan geht von einer Ankunft der Expedition in Rio de Janeiro im Mai 1817 aus. Als
wichtiges, die geplanten Reisephasen strukturierendes Element werden die Regenzeiten
Brasiliens wahrgenommen und ausdrcklich in die Reiseplanungen integriert. Die erste
Regenzeit nach der Ankunft bis zum Juli wrde der Vorbereitung und der Akklimatisierung
dienen, dann sollten kleinere Exkursionen in die Umgebung von Rio de Janeiro folgen bis zur
Ankunft von Erzherzogin Leopoldina im August, bei deren Hochzeitsfeierlichkeiten die
sterreicher anwesend sein sollten.
Im August wre die erste Kstenreise nach Norden anzutreten. Diese Bereisung der nrdlichen
Ksten von Brasilien von Rio de Janeiro aus, sollte mit einem eigenen Schiff durchgefhrt
werden, um unabhngig zu sein und berall dort landen zu knnen, wo es die Expeditionsleiter
fr sinnvoll erachten wrden. Untersucht werden sollten vor allem die Ksten der Provinzen
Espirito Santo, Porto Seguro und Sergipe bis Recife (Pernambuco). Soweit es die Umstnde
erlauben wrden, knnten die Forscher von der Kste aus ins Landesinnere vordringen. Recife
sollte dann als Hauptstandquartier fr Nebenexcursionen und eine Rundreise durch das
Landesinnere dienen. Fr diese Strecke durch die heutigen Bundesstaaten Paraba und Rio
Grande do Norte bis nach Cear (RN) an der Kste und zurck nach Recife werden nur drei bis
vier Wochen veranschlagt. Eine anschlieende Kstenfahrt von Recife nach Maranho und So
Luis (Alcantara) sollte weitere sieben Tage in Anspruch nehmen. Eine Trennung der Expedition
wird ebenfalls in Erwgung gezogen, sodass Mikan per Schiff nach Maranho reisen knnte,
whrend Natterer auf der Landreise nach Cear gelangen sollte. Nach kleineren Expeditionen
sollten die Forscher gemeinsam zuerst nach Recife und dann anch Rio zurckkehren.
Die Dauer des ganzen Unternehmens wird auf vier bis sechs Monate geschtzt. Die Rckkehr
nach Rio wird mit November oder Dezember 1817 geplant rechtzeitig zur Rckkehr der
sterreichischen Schiffe, die auch einen ersten Transport mitnehmen knnten.
Besondere Gefahren gbe es auf dieser Reise keine, ebenso wenig Probleme mit der
Versorgung. Lebensmittelmangel gbe es nur in den Wstengebieten im Nordosten des Landes,
62

aber auch nur fr einige Tage. Schreibers beruft sich dabei auf Kosters Reisebericht, denn so
Schreibers selbst der krnkliche Englnder Koster habe nicht viel Stoff zu klagen gefunden.
Schreibers verweist auch darauf, dass bei Koster eine Skizze und eine Karte der geplanten
Landreise durch die nrdlichen Provinzen zu finden sei.
Nach einem kurzen Ausruh-Aufenthalte in Rio de Janeiro sollte die zweite Reise entweder im
Dezember oder Jnner 1818 beginnen und wieder auf einem eigenen Schiff entlang der Kste
nach Sden fhren. Hauptlandungen sind in So Paulo, Santos und auf der Insel Santa Catarina
vorgesehen. Vorgeschlagen wird auch eine Exkursion nach Jaragua, der Goldgruben wegen.
Weitere Kstenexkursionen sollten bis Paraguay (das heutige Uruguay) fhren, sogar eine
Fahrt bis Montevideo, zur Mndung des Rio de la Plata und nach Buenos Aires (Fahrt von 18
Tagen) wird fr mglich gehalten. Im April nach nur drei bis vier Monaten auf Reisen
sollte man wieder in Rio de Janeiro sein, um dort die Regenzeit zu verbringen.
Die dritte Reise, die besonders interessante, minder beschwerliche und der Route nach genau
bekannte Landreise ins Innere in die nordnordwestlichen Provinzen Minas Geraes und Minas
Novas, in den Diamantdistrikte u.s.w. sollte im Juli 1818 beginnen und in nur drei bis vier
Monaten (!) im Oktober vollendet sein. Die genauen Angaben von Reisestationen und
Entfernungen sind vermutlich dem Reisewerk von Mawe, auf dessen Skizzen und Karten
Schreibers verweist, entnommen. Dieser Abschnitt zeigt auf Grund der bei Mawe gewonnen
Daten eine sehr deutliche Rhythmisierung der Reise- und Arbeitsphasen. Nach zwei Wochen
Reise nach Ouro Preto (Villa Rica) folgen zwei bis drei Wochen Aufenthalt. Etwa eine Woche
ist fr die Weiterreise nach Tejuco eingeplant, wieder zwei Wochen fr den dortigen
Aufenthalt. Es folgen je eine Woche Reise nach Tocayes und dortiger Aufenthalt. Wiederum
eine Woche ist fr die Fahrt auf dem Rio Grande nach Porto Seguro und von dort an der Kste
nach Rio de Janeiro veranschlagt. Dieser Wochenrhythmus nimmt nicht nur auf Entfernungen
Rcksicht, sondern auch darauf, dass naturwissenschaftliches Jagen, Sammeln und Prparieren
whrend der Reisebewegung nur eingeschrnkt mglich ist und Aufenthalte in Standquartieren
einerseits fr dese Arbeit notwendig, als auch fr die Durchfhrung von Nebenexcursionen
sinnvoll sind.
Wieder betont Schreibers, dass es auf der projektierten Reiseroute anhand bekannter
Handelswege keine Gefahren, Unterknfte, Lebensmittel und Gastfreundschaft hingegen berall
gbe. Auch Mauleseln zum Reiten und Tragen wren mit guten Pssen und
63

Empfehlungsschreiben in allen Stationen leicht zu haben. Nur Gelt, Hangmatten, Lichter und
Lichtgerthschaftten sind beynahe die einzige Gegenstnde, die man vorsichtshalber mitfhren
knnte.
Gleich nach der Rckkehr nach Rio de Janeiro sollte die vierte Reise gemacht werden, in
Teilreisen oder als eine groe Landreise in die Umgebung von Rio und in die im Westen und
Norden angrenzenden Regionen von Mato Grosso, Cuiab, Curitiba, Gois und So Paulo.
Wieder werden nur wenige Monate dafr veranschlagt. In der unmittelbaren Umgebung Rio de
Janeiros seien Santa Cruz, Cabo Frio, Guaraccaba (eines da anzulegenden Eisenwerkes wegen,
das Mawe projektirte) und die Inseln Governador und Cocoanut besonders interessant. Von den
nher gelegenen Gegenden sei vorzglich das Gebiet von Canta Gallo (etwa 40 Stunden N von
Rio Janeiro bis St. Rita noch 5 Meilen weit) aufzusuchen, wo die Forscher Augenmerk auf
halbgebildete Ur-Einwohner, langbrtige Affen und andere Tiere (Jaguar, Tapir, wilde
Schweine) sowie Goldwscherei legen sollen. Als drittes Zielgebiet dieser Reise werden die
oben genannten innern Provinzen angefhrt. Die Reisen in diese noch sehr wenig, besonders in
naturhistorischer Beziehung bekannten Provinzen des Innern knnen um so weniger
Schwierigkeiten unterliegen, als von da aus in allen Richtungen ein bestndiger
Handelsverkehr mit Rio de Janeiro getrieben wird und immerfort Carawanen von Kauf- und
Handelsleuten mit Pack-Mauleseln hin und wieder ziehen sollen. Hier wre besonders auf
langbrtige Indianer, Barbados genannt, zu achten, die in der Provinz So Paulo leben sollen.
Weiters sind die Goldminen in Mato Grosso, Cuiab und Gois, die Diamantminen in Gois
und die Stadt Goi (Villa Boa) selbst von besonderem Interesse. Mit einem Ende der vierten
Reise und damit der ganzen Expedition rechnet Schreibers im Februar oder Mrz 1819.
Eine Erforschung des naturwissenschaftlich interessanten Amazonas und seiner nrdlichen und
sdlichen Zuflsse ist in diesen Plnen nicht vorgesehen. Ein Grund dafr knnte sein, dass bei
der Planung der Expedition zu wenig Informationen und Literatur ber das Amazonasgebiet zur
Verfgung standen. Die damals aktuellsten Reiseberichte berhrten diese Region nicht. Nur
solche Reisen zu unternehmen, die leichter und in relativ kurzer Zeit von Rio de Janeiro aus
realisiert werden konnten, mag ein weiterer Grund gewesen sein. Die Dienstinstruktion legt ja
ausdrcklich fest, dass Rio zentraler Ausgangs- und Endpunkt der Reisen sein sollte, wodurch
der Kontakt mit den sterreichischen Vertretern im Land auch enger gehalten werden konnte.
Direktor Karl von Schreibers erstellte auch eine umfangreiche Liste der Naturprodukte, die fr
64

die Wiener Sammlungen beschafft werden sollten. Die Beilage B der Dienstinstruktionen
enthlt ein Systematisches Verzeichnis der merkwrdigsten, bekanntermassen in Brasilien
vorkommenden Naturprodukte, welche vorzugsweise beachtet, aufgesucht und eingesammelt zu
werden haben. Ohne hier im Einzelnen auf dieses Verzeichnis eingehen zu wollen, zeugt diese
Liste von guter Vorbereitung und intensiver Beschftigung mit den Verhltnissen in Brasilien,
soweit sie bekannt waren. Sie kann aber auch als (kaiserlicher) Wunschzettel fr die
Sammlung gelesen werden, der fr die Forscher festschreibt, was vordringlich mitgebracht
werden sollte. Diese Wnsche erstrecken sich nicht nur auf die wissenschaftlichen Sammlungen
im Naturalienkabinett. Sie nehmen auch Bedacht auf einen Bereich, der zunchst mehr der
Reprsentation des Kaiserhauses dient. Auf der Liste der Tiere sind jene speziell
gekennzeichnet, die nach Mglichkeit lebend nach Europa gebracht werden sollten. Darunter
sind ein Groteil der aufgelisteten Sugetiere, Vgel und Amphibien, jedoch keine Fische,
Mollusken und Insekten. Diese lebend mitzubringenden Tiere waren wahrscheinlich fr den
kaiserlichen Zoo in Schnbrunn bestimmt, auch wenn dies nicht ausdrcklich erwhnt wird.134
An zu sammelnden Pflanzen werden besonders Edelholzarten, zu Meubles u.d.gl. sich
empfehlen, hervorgehoben und lebende und getrocknete Pflanzen und Samen von
Nutzpflanzen wie Baumwolle, Tabak, Maniok, Banane, Zuckerroh und Mais. In der Liste
jener Pflanzen, denen spezielle Aufmerksamkeit gewidmet werden soll, finden sich auch eine
Art Chinarinde, eine Palmart mit Blttern von Fasern wie Seide, die gute Fischerleinen und
feines Seilwerk geben, der Seifenbaum, die Carnauba-Palme, von deren Blttern das
Pflanzenwachs gewonnen wird, die Wassermelonen (die gegen Anflle des hitzigen Fiebers
(ague) als Diatetikum zu empfehlen sind). Es sind also neben den Nutzpflanzen und
verwertbaren Materialien vor allem medizinisch nutzbare Gewchse, an denen man besonders
interessiert ist.
In gleichen Abschnitt finden sich auch Informationen zum ethnologischen Arbeitsbereich der
Forscher sowie Angaben, wo die Reisenden erwarten konnten, auf indigene Bevlkerung zu
treffen. Im Vergleich zu den tatschlich von Natterer oder Pohl spter angetroffenen Ethnien
nimmt sich die kurze Aufzhlung der Dienstinstruktion mehr als bescheiden aus:
134

Vgl. RIEDL-DORN, Christa: Tiere auf weiter Fahrt. Expeditionen fr Tiergarten und Museum. In: Menagerie
des Kaisers Zoo der Wiener. 250 Jahre Tiergarten Schnbrunn. Hg. von Mitchell G. Ash und Lothar Dittrich
(Wien 2002) 345-375. Riedl-Dorn weist darauf hin, dass viele dieser zunchst fr die kaiserlichen Tiergrten
bestimmten Tiere nach ihrem Tod als Ausstellungsobjekte ins Naturalienkabinett gelangten.
65

Wilde Ureinwohner finden sich: halbgebildete im Distrikte von Canto Gallo [] genannt
Bootocoody-Indians, bey San Jose de Barra Longa bey Villa Ricca, langbrtige, genannt
Bartados an den Flssen Sypotuba und Paraguay in der Provinz Mato Grosso. Sehr dunkel
gefrbte, wilde, langhaarige Tapuyas im Innern des nrdlichen Distriktes Maranham, von wo
sie bisweilen an die Kste kommen.
Diese sprlichen Angaben verweisen aber darauf, wie wenig in Europa bzw. Wien ber
Brasilien und dessen indigene Bevlkerung bekannt gewesen sein mag. Auch die Suche nach
Menschenfressern ist am Beginn des 19. Jahrhunderts noch eine offene Frage und Thema der
Naturwissenschaften. Laut Dienstinstruktion sollen sie in dem noch wenig bekannten Distrikte
von Espirito Santo an der stlichen Kste, nrdlich von Rio de Janeiro, westlich von Coritiva,
bey St. Catharina und bey Piranaga stlich von Villa Ricca zu finden sein.
Die Anweisungen, was die Reisenden beim Kontakt mit brasilianischen Ureinwohnern zu tun
htten, sind sehr allgemein gehalten. Ethnologie war als Wissenschaft noch nicht etabliert und
die Instruktion gibt auch keine Anordnungen zum professionellen Sammeln von Realien oder
zum Umgang mit indigenen Gruppen. Aber die Beschftigung mit den indigenen Vlkern ist
ein Aspekt im Rahmen einer umfassend verstandenen naturgeschichtlichen Forschung, die auch
das Wissen ber den Menschen und die Differenzen zwischen verschiedenen Vlkern im
Rahmen einer traditionellen, an Geist und Wesen des Menschen orientierten Anthropologie
einschliet.135
An diesen Ansatz schliet die Dienstinstruktion an, wenn sie fordert, den Sitten und
Gebruchen der Ureinwohner Aufmerksamkeit zu schenken, und Beschreibungen oder
Zeichnungen zur Dokumentation anzufertigen:

Von allen diesen sind Erkundigungen ber ihr Leben, ihre Sitten und Gebruche einzuziehen,
ihr Aeusseres zu beschreiben oder bildlich darzustellen und womglich ein Schedel sich zu
beschaffen.
Die Anordnung, Schdel zu sammeln, verweist auf die Physische Anthropologie, die sich im
Gegensatz zur klassischen Anthropologie der Aufklrung im 18. Jahrhunderts nicht mit der
Kultur, dem Wesen und dem Geist des Menschen auseinandersetzt, sondern mit seinem
135

STAGL, Justin: Eine Geschichte der Neugierde. Die Kunst des Reisens 1550-1800 (Wien/Kln/Weimar
2002) 253-226.
66

ueren, seinem Krper.136

5.4. Wissenschaftliche Beratung durch Blumenbach

Schreibers weist in der Einleitung der Dienstinstruktion darauf hin, dass in die Formulierung
des Schriftstcks die Anregungen auslndischer und inlndischer Gelehrten eingeflossen sind,
ohne jedoch seine Bezugspersonen namentlich auszuweisen.
Das besonders hervorgehobene Interesse an Schdeln geht auf den Einfluss des Gttinger
Professors Johann Friedrich Blumenbach (1742-1840)137 zurck und dessen ausdrcklichen
Wunsch, dass ihm derartige Artefakte aus Brasilien mitgebracht werden. Blumenbach gilt als
Begrnder der vergleichenden Schdelkunde und der physischen Anthropologie. In seinem
Werk De generis humani varietate nativa (Gttingen 1775, dt. ber die natrlichen
Verschiedenheiten im Menschengeschlechte, Leipzig 1798) hatte Blumenbach auf Grund des
Vergleichs von Krperbau, Haar, Hautfarbe und vor allem Schdelformen auf die Existenz von
vier verschiedenen (spter fnf) Hauptvarietten des Menschengeschlechts138 geschlossen,
nmlich auf Kaukasier, Mongolen, Amerikaner, thiopier und Malaien. Er verwehrte sich
jedoch vehement gegen eine Interpretation anatomischer und physiognomischer Differenzen als
moralische, ethische oder kulturelle Werturteile. Blumenbach war zwar berzeugt, auf Grund
krperlicher Merkmale klare Unterscheidungen

zwischen

den Hauptvarietten des

Menschengeschlechts treffen zu knnen, beurteilte die Verschiedenheiten aber als blo


oberflchliche Phnomene, die nichts daran nderten, dass alle Menschen der selben Art
angehrten ein Frage, die im 18. Jahrhundert offen war und heftig diskutiert wurde. 139
136

Zu Entwicklung und unterschiedlichen Anstze in der Anthropologie i, 18. Jahrhundert vgl. die Beitrge in
SCHINGS, Hans-Jrgen (Hg.): Der ganze Mensch. Anthropoligie und Literatur im 18. Jahrhundert. DFGSymposion 1992 (= Germanistische-Symposien-Berichtsbnde 15) (Stuttgart/Weimar 1994).
137
Zu Blumenbach vgl. NDB 2 (1955) 329f.
138
BLUMENBACH, Johann: ber die natrlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Nachdruck d.
Ausgabe Leipzig 1798 (= Concepts of race in the eighteenth century 5), hg. und eingeleitet von Robert
Bernasconi (Bristol 2001) 203-224, hier 203.
139
Vgl. LILIENTHAL, Georg: Samuel Thomas Soemmering und seine Vorstellungen ber Rassenunterschiede. In:
MANN; Gunter DUMONT, Franz (Hg.): Die Natur des Menschen. Probleme der Physischen Anthropologie und
Rassenkunde (1750-1850) (= Soemmering-Forschungen VI) (Stuttgart/New York 1990) 31-55, SCHMUTZ, HansKonrad: Friedrich Tiedemann (1781-1861) und Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) Anthropologie und
Sklavenfrage. In: MANN; Gunter DUMONT, Franz (Hg.): Die Natur des Menschen. Probleme der Physischen
Anthropologie und Rassenkunde (1750-1850) (= Soemmering-Forschungen VI) (Stuttgart/New York 1990) 358f.;
DOUGHERTY, Frank W.P.: Christoph Meiners und Johann Friedrich Blumenbach im Streit um den Begriff der
Menschenrasse. In: MANN; Gunter DUMONT, Franz (Hg.): Die Natur des Menschen. Probleme der Physischen
67

Das Interesse an der physischen Anthropologie war jedoch nicht das einzige oder
ausschlaggebende Argument fr die Einbindung gerade eines Gttinger Wissenschafters in die
Planungen der sterreichischen Expedition. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte sich
Gttingen als Zentrum der Zentrum der Sichtung und Auswertung europischer
Reiseliteratur140 etabliert. Gttinger Professoren wie Johann David Michaelis (1717-1791)
oder August Ludwig Schlzer (1735-1809) beschftigten sich mit der Erstellung von
Fragebgen fr wissenschaftliche Forschungsreisen und der statistischen Auswertung der
gesammelten Daten und Information.141 Blumenbach selbst galt als bester Kenner der
Reiseliteratur seiner Zeit und hatte auch fr andere Expeditionen Fragebgen erstellt.142 Zu
Blumenbachs Schlern, die spter als Naturforscher ttig waren, zhlten unter anderen die
Amerikareisenden Alexander von Humboldt, Georg Heinrich von Langsdorff und Prinz
Maximilian zu Wied-Neuwied.143
Bei der Vorbereitung der Brasilienexpedition sollte Blumenbach nun eine wichtige Rolle
spielen. Staatskanzler Metternich hatte in der Vorbereitungsphase der Expedition internationale
Kontakte gesucht, z.B. zu Alexander von Humboldt. Im Oktober 1816 bat Metternich
persnlich Blumenbach brieflich um Ratschlge und Anregungen fr des sterreichische

Anthropologie und Rassenkunde (1750-1850) (= Soemmering-Forschungen VI) (Stuttgart/New York 1990) 97-100;
BITTERLI: Die Wilden und die Zivilisierten (1991) 214f.; JUNKER, Thomas: Johann Friedrich
Blumenbach, Stephen Jay Gould und die natrliche Einheit des Menschen. In: KAASCH, Michael KAASCH,
Joachim RUPKE, Nicolaas A. (Hg.): Physische Anthropologie Biologie des Menschen. Beitrge zur 14.
Jahrestagung der DGGTB in Gttingen 2005 (= Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie 13)
(Berlin 2007) 20-28. Blumenbachs Sammlung von 264 Schdeln wird heute im Anatomischen Institut der
Universitt Gttingen aufbewahrt. Blumenbachs Wnsche zogen in Brasilien weite Kreise, vgl. SPIXMARTIUS: Reise in Brasilien 1 (1823-1831 / 1980) 96f.: Der erste ursprngliche Americaner, den wir hier
sahen, war ein Knabe vom menschenfressenden Stamme der Botocudos in Minas Geras; []. Der vormalige
portugiesische Staatsminister, Conde da Barca, hatte nmlich von dem Districtscommandanten der Indianer in
Minas Geras einen indianischen Schdel fr unseren berhmten Landsmann, Hrn. Hofrath Blumenbach,
verlangt; da Jener nicht Gelegenheit fand, eines solchen todten Documentes habhaft zu werden, so schickte er
dem Grafen zwei lebendige Botocudos, welche bei einem pltzlichen Ueberfalle von seinen Soldaten gefangen
worden waren.
140
BITTERLI: Die Wilden und die Zivilisierten (1991) 257.
141
JGER: Reisefacetten der Aufklrungszeit (1989) 261-283, bes. 268f.; STAGL: Geschichte der Neugierde
(2002) 114f., 262-269, 306; ACHERMANN: Reisen zwischen Philologie und Empathie. Michaelis und die
Niebuhr-Expedition. In: ZIMMERMANN, Christian v. (Hg.): Wissenschaftliches Reisen reisende Wissenschafter.
Studien zur Professionalisierung der Reiseformen zwischen 1650 und 1800. (= Cardanus 3) (Heidelberg 2002) 5367.
142
PLISCHKE, Hans: Johann Friedrich Blumenbachs Einflu auf die Entdeckungsreisenden seiner Zeit (=
Abhandlungen der Gesellschaft der Wissenschaften zu Gttingen, Phil.-Hist. Klasse, 3. Folge, Nr. 20)
(Gttingen 1937) 3-7; vgl. BITTERLI: Die Wilden und die Zivilisierten (1991) 257 und 312.
143
Vgl. PLISCHKE: Blumenbachs Einflu (1937) 53-68.
68

Unternehmens.144 Blumenbach lie im Dezember 1816 durch den sterreichischen Gesandten


in Hessen-Kassel, Oberstleutnant von Greiffenegg ausrichten, er htte zwar Probleme mit seinen
Augen, trotzdem htte er sich in den vergangenen Wochen ausfhrlich mit dem beschftigt, was
bis jetzt in der Naturgeschichte von Brasilien geleistet worden145 sei. In einem zu gleicher Zeit
an Metternich gerichteten Brief stellte Blumenbach in einer mehrseitigen Beilage einen
Fragenkatalog zusammen, der in die Formulierung der Dienstinstruktion einfloss.146
Blumenbach ersuchte um die Zusendung von Schdeln von Ureinwohnern und verschiedenen
Mischlingen fr seine Sammlung. Weitere zu klrende Fragen betrafen Haut- und Haarfarbe der
Urbevlkerung, ber die nur widersprchliche Angaben zur Verfgung standen sowie die
behauptete allgemeine und natrliche Bartlosigkeit der Americaner. Viele der Punkte, denen
die Naturforscher nachgehen sollten, betrafen physiologische Fragen, die Blumenbach fr die
Naturgeschichte des Menschgeschlechts relevant erschienen und die sich scheinbar auf ltere
Nachrichten aus der Literatur grndeten, so z.B. ob mehr Mdchen als Knaben geboren wrden,
ob die Frauen auch nach Geburten noch jungfrulichen Habitus behielten und ob es stimme,
dass achtzigjhrige Frauen noch Kinder stillen wrden. Als Quellen verwies Blumenbach dabei
auf Autoren des 16. Jahrhunderts wie Jean de Lery oder Amerigo Vespucci. Die Art der Fragen
und die Hinweise auf die genannte Literatur zeigen deutlich, dass zu Beginn des 19.
Jahrhunderts in Europa sehr wenig gesichertes Wissen ber Brasilien zur Verfgung stand.
Fr Zoologie und Botanik stellte Blumenbach zwar einzelne Fragen, die sich besonderen
Tierarten widmeten, er erwartete sich aber im ganzen in jenem Wunderlande eine so reiche
Ernte, dass einzelne Wnsche kaum zu formulieren wren. Jedoch bat er um in Spiritus
konservierte ganze Tierschdel, um Gehirnuntersuchungen durchfhren zu knnen. Weiters
interessierte sich Blumenbach fr Versteinerungen, fr die Frage, ob 24-kartiges Gold in
Brasilien zu finden wre, und andere geologische Angaben. Schlielich erbat er noch
brasilianische Bcher fr die Universittsbibliothek in Gttingen.
In einer zweiten Beilage formulierte der Historiker Arnold Hermann Ludwig Heeren (17601842) Fragen zur Ethnographie. Heeren interessierte sich fr das Vorkommen von
144

Clemens Wenzel Lothar von Metternich an Johann Friedrich Blumenbach, Wien, 28. Oktober 1816, HHStA,
Staatskanzlei, Dipl. Korr., Hannover, Karton 10.
145
Johann Friedrich Blumenbach an Oberstleutnant von Greiffenegg, Gttingen, 9. Dezember 1816, HHStA,
Staatskanzlei, Wissenschaft, Kunst und Literatur, Karton 6, fol. 26r-26v.
146
Johann Friedrich Blumenbach an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Gttingen, 7. Dezember 1816,
Nrodn Archiv, RAM-AC 7/71. Aus Blumenbachs Beilage stammen die folgenden Zitate.
69

Menschenfressern und fr angebliche auffallende Unterschieden in der Krpergre und der


Hautfarbe der Ureinwohner Brasiliens. Mehrere Fragen widmeten sich dem Stand der
Zivilisation, nmlich ob brasilianische Stmme schon angefangen htten, Pferde bzw. Rinder
zu zchten und ob es wahr sei, dass an der Kste schon ganze Vlkerschaften [] zu einer
gesitteten Lebensweise und zu den Geschften des Landbaus147 bergegangen seien. Heeren bat
auch um Nachrichten ber die Situation der Missionen und der Orden, die sie betreiben.
In einer dritte Beilage, die wahrscheinlich vom wissenschaftlich interessierten Prinzen Johann
von Sachsen stammte,148 wurde um die Zusendung von medizinisch nutzbaren Pflanzen,
Frbepflanzen, Hlzern und Mineralien, gebeten sowie um Samen von Gewchsen, die zur
Nahrung und Grtnerey dienen.149
Die Fragen sollten eigentlich den Instruktionen fr die Expedition im Wortlaut mitgegeben
werden. Johann Baptist Emanuel Pohl wurde in der Folge ausgewhlt, um Blumenbachs Fragen
zu beantworten. Er konnte dies aber erst nach seiner Rckkehr aus Brasilien tun, da man
vergessen hatte, ihm den Fragenkatalog mitzugeben. Pohl konnte daher auch nur seine eigenen
Beobachtungen mitteilen.150 Dennoch bedankte sich Blumenbach in einem Brief 1822 fr die
beraus instructiven Antworten des vortrefflichen Herrn Dr. Pohl auf jene meine Anfragen.151
Die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts verstrkt angewendete Methode, Expeditionsteilnehmer
mit vorher formulierten Fragebgen auf die Reise zu schicken, wurde hier noch immer
angewendet, um mit ihrer Hilfe Informationen zu bekommen. Forschungsreisenden konnten auf
diese Weise dazu angehalten werden, mittels Beobachtung und Befragung vor Ort die
gewnschten Daten liefern, auch wenn die Fragestellungen auerhalb der Fachgebiete und
Ausbildungen der Expeditionsteilnehmer lagen. Der Reisende wird hier zum langen Arm des
(oft akademischen) Wissenschafters, dessen Aufgabe es nur war, die richtigen Fragen zu
formulieren.152
147

Johann Friedrich Blumenbach an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Gttingen, 7. Dezember 1816,
Nrodn Archiv, RAM-AC 7/71.
148
vgl. KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 216-219.
149
Johann Friedrich Blumenbach an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Gttingen, 7. Dezember 1816,
Nrodn Archiv, RAM-AC 7/71.
150
Johann Baptist Emanuel Pohl an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Wien, 21. Dezember 1821,
HHStA, Staatskanzlei, Wissenschaft, Kunst und Literatur, Karton 6, fol. 241r-242r.
151
Johann Friedrich Blumenbach an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Gttingen, 25. Jnner 1822,
Staatskanzlei, Wissenschaft, Kunst und Literatur, Karton 6, fol. 27r-27v.
152
Zur Entwicklung von Statistik und Fragebgen im 18. Jahrhundert anhand einiger Beispiele vgl. STAGL:
Eine Geschichte der Neugierde (2002) 283-338.
70

5.5. Vorbereitungen der Expeditionsteilnehmer

Ein interessante Frage wre, ob und wie sich die Expeditionsteilnehmer individuell auf die
Reise nach Brasilien vorbereiteten, welche Literatur sie lasen, wie sie sich ber die
bevorstehenden Aufgaben informierten. ber diese Vorbereitungen ist leider kaum etwas
bekannt. Als wichtigste Literatur und beispielgebend fr die whrend der Reise zu
verfassenden Berichte werden die bereits genannten Werke von Mawe und Koster empfohlen.
Unklar ist, inwieweit die Expeditionsteilnehmer diese Werke tatschlich kannten und sich
selbst daraus informierten. Aus einer Bemerkung Natterers geht hervor, dass er zumindest
einen Reisebericht gelesen haben muss, nmlich die deutsche bersetzung des Berichts ber
die Weltreise von George Anson in den Jahren 1740 bis 1744.153 Dass Natterer diesen lteren
Reisebericht kannte, lsst mutmaen, dass er eine breitere Kenntnis von Reiseberichten hatte
und auch solche, nicht unmittelbar zu seiner kommenden Aufgabe gehrenden Werke
rezipiert hatte. Konkrete Anhaltspunkte dafr gibt es aber nicht. Aus einer spteren
Bemerkung ist auch bekannt, dass Natterer den Atlas von Arrowsmith verwendete.154 In
diesem 1817 gerade neu erschienenen Atlas gibt es allerdings nur eine bersichtskarte von
Sdamerika.155 Falls diese Karte Natterers einzige Untersttzung zur geographischen
Orientierung war, erscheint das als ziemlich drftig. Die Werke von Mawe, Koster, Anson
und Arrowsmith sind heute in der sterreichischen Nationalbibliothek, die aus der
kaiserlichen Hofbibliothek hervorging, vorhanden. Es ist zu vermuten, dass diese Bcher
schon 1816/17 in der Hofbibliothek auflagen oder sogar damals eigens fr die Vorbereitung
der Expedition angeschafft wurden.

153

Johann Natterer an Josef Natterer, Chioggia / Venedig, 16./18./19. Mai 1817, WStLB, HS, 7860: Ich bedaure
sehr, dass ich die beyden oder 3 Kupfertafeln in Ansons Reise von dem Linienschiff nicht mithabe, weil dort die
Benennungen der verschiednen Theile des Schiffes im Deutschen angegeben sind. Er bezieht sich auf ANSON,
George: Reise um die Welt in den Jahren 1740-44 zusammengetragen von Richard Walter (Leipzig 1749).
154
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Fazenda da Caissara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.: Fazenda da Caissara am
Flusse Paraguay, eine Meile westlich von Villa Maria - auf Arrowsmiths Karte F[azend]a del Rey. In
Arrowsmiths Karte ist fr diese Region der Name S. Pedro del Rey eingetragen.
155
ARROWSMITH, Aaron: A New General Atlas. Constructed from the latest Authorities by A. Arrowsmith
(Edinburgh/London 1817) Nr. LIII: South America. Auch Spix und Martius hatten ausser Arrowsmiths
Generalcarte von Sdamerica keinen Wegweiser auf ihrer Reise am Amazonas, vgl. SPIX-MARTIUS: Reise in
71

Die Expedition war also sorgfltig geplant, gut ausgerstet und mit einem Programm
ausgestattet, das sich vor allem auf die Sammlung naturwissenschaftlicher Objekte
konzentrierte. Zustzlich wurde den Teilnehmern nahe gelegt, mglichst viele Informationen
ber das Land zu sammeln, vor allem solche, die wirtschaftlichen Nutzen und
Handelsmglichkeiten versprachen. Wenn auch keine Anregungen des damals berhmtesten
Sdamerika-Reisenden Alexander von Humboldt in die Planung mit einflossen, so erweiterte
doch die Beteiligung des renommierten Professors Blumenbach die Aufgabenstellung des
Forschungsunternehmens und erfllte wohl den Wunsch des kaiserlichen Hofes nach grerer
wissenschaftlicher Reputation. Wie die praktische Umsetzung der Arbeitsprogramme
praktisch zu bewerkstelligen war, das sollte sich erst whrend der Reisen zeigen.

6. ERSTE UNTERNEHMUNGEN (1817-1818)

Wenn irgend ein Punct der neuen Welt durch seine


Lage und natrliche Beschaffenheit verdient, einst
Schauplatz grosser Begebenheiten, ein Herd der
Gesittung und Bildung, ein Stapelplatz des Welthandels
zu werden, so ist es meines Erachtens Rio de Janeiro.
Johann B. Emanuel Pohl: Reise im Inneren von
Brasilien. Bd. 1 (Wien 1832) 55.

Die

AUSTRIA

hatte sich, wie erwhnt, nach dem Sturm vor Istrien von der

AUGUSTA

getrennt

und war bereits am 14. Juni 1817 im Hafen von Rio de Janeiro eingelaufen. Die mit der
AUSTRIA

angekommenen Expeditionsteilnehmer Mikan, Spix, Martius und Ender mussten

sich nun umgehend mit den lokalen Gegebenheiten vertraut machen. Erstes Problem war die
Suche nach geeigneten Quartieren und Lagerorten fr die Sammlungen, fr die man offenbar
nicht schon in Vorhinein gesorgt hatte. Das Vorhaben war nicht einfach, denn die Wohnungen
pflegen feucht zu seyn und beherbergen fast durchgehends kleine, schwarze Ameisen, welche

Brasilien, Bd. 3 (1823-1831 / 1980) 987.


72

Feinde der Naturaliensammlungen sind.156 Als Unterkunft wurde anfangs eine Wohnung in
der Rua da Alfandega im Stadtzentrum gefunden, Ende August zogen die sterreichischen
Forscher in die Vorstadt Catumbi, da man dort nicht nur anmuthiger, sondern auch bequemer
und wohlfeiler wohnen157 konnte. Doch auch in dieser neu gestrichenen Wohnung tauchten
innerhalb kurzer Zeit Termiten auf. Arsensalben und Waschen des Fubodens mit
Tabakaufguss hielten den Schaden in Grenzen.158

6.1. Erste Eindrcke von Brasilien


Umgehend wurde auch die Arbeit an den zugeteilten Forschungsaufgaben aufgenommen.159
Erste Ausflge beschrnkten sich auf die nhere Umgebung von Rio de Janeiro, um sich mit
dem Klima und den zu erwartenden Schwierigkeiten vertraut zu machen. Lngere Reisen
wurden erst fr das Frhjahr 1818 nach dem Ende der Regenzeit in Aussicht genommen. Die
ersten Eindrcke von Brasilien waren fr die Forscher aus Europa berwltigend. Begeistert
berichtet Mikan im August 1817 nach Wien:

Aber wie ungemein anziehend sind doch diese wildschnen Gegenden fr den Naturforscher!
Allenthalben die Flle der mannigfaltigsten, berraschenden Pflanzenformen, welche keinem
Winterfroste erliegen, die buntesten Vgel [] und der herrlichsten Schmetterlinge! Welch
eine Lust fr den Freund der Pflanzenkunde, wo ihm blhende Helikonien, Bromelien,
Maranten aus dem Gebsch entgegen nicken []. Kurz, der Reichthum an sammelnswrdigen
Gegenstnden ist ganz unerschpflich.160
Die berbordende, ppige Natur hat auch ihre Nachteile. Witterung und Insekten gefhrden
die unter groen Mhen zusammen getragenen Sammlungen und erschweren die Arbeit der
Forscher. Schon in den ersten Briefen aus Brasilien klingen die vielfltigen Probleme an, mit
denen die Reisenden zu kmpfen haben werden. Wieder ist es Mikan als Leiter der
Expedition, der ber erste Erfahrungen mit den schwierigen Umstnden berichtet, unter denen
156

SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 70.


SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 69.
158
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 71f.
159
Zusammenfassung der ersten Unternehmungen 1817/18 bei KANN: Brasilienexpedition (1992) 24-28;
MAUTHE: Brasilienexpedition (1992) 83-85; MAUTHE: Brasilienexpedition (1994) 18f.; RIEDL-DORN:
Haus der Wunder (1998) 105-107; RIEDL-DORN: Natterer (2000) 28-33; KANN RIEDL-DORN: BrasilienExpedition (2001) 218-221.
160
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 67.
73
157

die Unternehmungen in Brasilien durchgefhrt werden mssen:

Weit mehr Zeit und Mhe erfordert das Zubereiten und Aufbewahren, als das Sammeln selbst.
Um das Gesammelte gegen die Verwstungen der Ameisen oder noch weit schlimmeren
Termiten zu schtzen, mu man es entweder frei aufhngen, oder die Fe des Tisches,
worauf die Gegenstnde liegen, mit Theer bestreichen, oder dieselben in Wasserbehltnisse
stellen.161
Mit Vorbereitungen, kleinen Ausflgen in die Umgebung und Akklimatisierung verging die
Zeit bis zur Ankunft der anderen Forscher am 5. November 1817. In den folgenden Tagen
fanden die Feierlichkeiten rund um den festlichen Empfang fr Leopoldine und die Hochzeit
mit dem Kronprinzen statt.

162

Das erste Zusammentreffen zwischen Leopoldine und Pedro

soll brigens positiv verlaufen sein.163 Auch Natterer wollte gute Nachrichten nach Wien
mitteilen. Unsere geliebte Erzherzoginn soll sehr vergngt seyn. Auch der Knig und die
Kniginn und die smmtliche Familie sind sehr zufrieden,164 berichtete er.
Rio war damals obwohl Hauptstadt eines riesigen Weltreiches keineswegs eine
wohlhabende Stadt. Im Gegenteil: Besucher priesen zwar ihre schne Lage zwischen Meer und
pittoresken Gebirgen, aber die Lebensqualitt war gering. Enge, schlecht gepflasterte Straen
durchzogen die Altstadt, die Huser waren meist klein und niedrig. Die Mehrzahl der Huser
war ebenerdig oder einstckig, selten hher. Auffallend fr europische Besucher war die
schlichte Bauweise der Huser. Fenster und Tren waren mit hlzernen Gittern versehen und
verglaste Fenster waren eine Seltenheit. Selbst in den vornehmeren Vierteln gab es kaum
Prachtstraen oder Palste. Den Glanz einer Hauptstadt verbreiteten nur wenige Gebude wie
der Knigliche Palast (Pao Imperial), der Palast des Bischofs und einige Kirchen und Klster.
Obwohl auch Europer punkto Sauberkeit, Hygiene auf den Straen und Armut in den Stdten
sicher keineswegs verwhnt waren, war doch fr die Besucher offensichtlich, dass Rio de
Janeiro groe soziale Probleme hatte. Das Stadtbild prgten vor allem die Sklaven. Die
Weien fuhren nach Mglichkeit in der Kutsche oder lieen sich in Snften oder Tragsesseln
161

SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 68; vgl. POHL: Reise I (1832) 124.


ausfhrliche Beschreibung der Feierlichkeiten Johann Natterer an Karl von Schreibers, 8, November 1817,
WStLB, HS, 7870; vgl. SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 83-90; OBERACKER: Kaiserin Leopoldine
(1980) 128-140.
163
OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 128-139 fasst den Empfang der Prinzessin, die
Hochzeitsfeierlichkeiten und damit verbundene Stellungnahmen zusammen.
164
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 91.
74
162

tragen und whrend alle, die konnten, es vorzogen, die Stadt zu meiden, stellten die Sklaven
rund zwei Drittel der Einwohnerschaft der Stadt.165 Mit dieser Situation war auch Johann
Natterer bei seinem Eintreffen in Rio konfrontiert. Es war fr ihn eine vllig neue Realitt: In
der Stadt sieht man bey Tag fast nichts als Neger, meist halb nakt. Dies macht einen
sonderbaren Eindruk,166 berichtete er nach Wien. Die Sklavenmrkte und der Anblick der
bedauernswerten, ausgebeuteten, schwer arbeitenden Sklaven in den Straen irritierten die
Neuankmmlinge.
Auf die Expeditionsteilnehmer wartete unterdessen bereits eine Menge Arbeit. Gegenber dem
ursprnglich vorgesehenen Zeitplan der Dienstinstruktion war die Expedition aufgrund der
Reiseumstnde schon gehrig in Verzug geraten. Unverzglich wurde mit den ersten konkreten
Planungen fr die gemeinsamen Sammelreisen begonnen. Natterer bezog Quartier im Viertel
Matacavallos, in der Nhe der Wohnung des russischen Konsuls Georg Heinrich von
Langsdorff,167 schloss umgehend Bekanntschaft zu einigen wichtigen Kontaktpersonen im Land
und bemhte sich, die verlorenen Monate wieder aufzuholen. Die beyden kniglich-baierischen
Naturforscher, Herr Dr. Spix und Martius, habe ich auch schon besucht und ihre bereits
gesamelten Naturalien angesehen. [] Auch Herr Professor Mican hat schon viele hbsche
Insekten und mehrere Vgel etc. gesamelt. Herrn Baron von Eschwege und Herrn Hofrath von
Langsdorf kenne ich schon,168 berichtete er schon wenige Tage nach seiner Ankunft. Aber die
schwierige Gewhnung an das Klima und die ungewohnten Entbehrungen hatten bei jenen
Teilnehmern, die seit August in Rio waren, bereits ihre Spuren hinterlassen. Die Bayern hatten
wegen der Beschwerlichkeiten und der Hitze alle Ambitionen fr die geplanten
Entdeckungsreisen verloren, berichtet Natterer. Spix wollte schon nach Europa zurck und
meinte, dass er nie hiehergekommen wre, wenn er alles dies schon vorher gewusst.169

165

OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 185-190; ausfhrliche Beschreibung der Stadt bei POHL: Reise I
(1832) 54-74; SPIX-MARTIUS: Reise in Brasilien 1 (1823-1831 / 1980) 91-107 zeichnen ein wesentlich
positiveres Bild der Stadt.
166
Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 7./8. November 1817, WStLB, HS, 7869.
167
Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 5./10. Dezember 1817, WStLB, HS, 7871.
168
Johann Natterer an Karl von Schreibers, [Rio de Janeiro], 10. November 1817, NB Handschriftensammlung
Autographen 463 / 34 1; vgl. Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 7./8. November 1817, WStLB,
HS, 7869.
169
Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 7./8. November 1817, WStLB, HS, 7869.
75

6.2. Reiseplanung: lokales Wissen als notwendige Untersttzung

Bei der Ausarbeitung der Dienstinstruktion konnten nur allgemeine Hinweise auf die
durchzufhrenden Reisen und die einzuschlagenden Routen gegeben werden. In Wien konnte
zwar der Auftrag oder der Wunsch nach bestimmten Zielen formuliert werden, jeder
konkreter Plan konnte aber erst vor Ort und mit Hilfe von Kenner der lokalen Verhltnisse
gefasst werden. Die Dienstinstruktion nahm darauf insofern Rcksicht, als erst der
Botschafter in Rio das letzte Wort haben sollte, wie die Reisen tatschlich auszufhren
wren. Dass eine Festlegung im Vorhinein von Wien aus nahezu unmglich war,
bercksichtigte wohl auch Schreibers mit der eher allgemein gehaltenen Form der in der
Instruktion erteilten Auftrge.
Die sterreichischen und bayerischen Forscher waren bei ihren Planungen auf die
Untersttzung ortskundiger Helfer angewiesen. Es sind vor allem in Brasilien ansssige
Europer, die mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wie die USA war Brasilien im 19.
Jahrhundert nach der ffnung ein beliebtes Auswandererland. Die ehemalige Kolonie hatte
einen enormen Bedarf an Fachleuten, Wissenschaftern und Spezialisten. Unter den
Einwanderern, die schlielich in Brasilien Karriere machten, waren auch zahlreiche Deutsche
und sterreicher, darunter die Httenfachleute Friedrich Wilhelm Ludwig Varnhagen,
Wilhelm Ludwig von Eschwege und Wilhelm Gottfried Feldner.170 Johann Karl August von
Oeynhausen war Generalstatthalter in So Paulo, sein Generalinspektor fr das
Verkehrswesen war Daniel Peter Mller, ebenfalls ein Deutscher.171 Der aus Deutschland
stammende russische Konsul Georg Heinrich von Langsdorff holte Georg Wilhelm Freyreiss
und Friedrich Sellow ins Land, die in seinem Auftrag naturwissenschaftliche Forschungen
durchfhrten.172 Es gab in Brasilien also eine deutschsprachige community, die der
sterreichischen Expedition und Johann Natterer vor Ort mit Rat und Tat zur Seite stand.
Als besonders hilfreich erwies sich Georg Heinrich von Langsdorff, der seit 1813 russischer
Generalkonsul in Brasilien war und sich selbst sehr fr Naturwissenschaften interessierte.173
170

OBERACKER: Der deutsche Beitrag (1955) 184-188, 198-200.


OBERACKER: Der deutsche Beitrag (1955) 189, 197f.
172
OBERACKER: Der deutsche Beitrag (1955) 201-203.
173
Zu Langsdorff und seinen Unternehmungen in Brasilien vgl. OBERACKER: Der deutsche Beitrag (1955)
195-197, 209-211; MANIZER, Guenrikh G.: A Expedio do Acadmico G.I. Langsdorff ao Brasil (1821-1828)
(= Brasiliana 329) (So Paulo 1967) 70-197; KOMISSAROV, Boris N.: Die brasilianischen Tagebcher G.H. v.
76
171

Sein Haus in Rio de Janeiro und sein Landgut Mandioka bei Inhomirim (nrdlich von Rio de
Janeiro bei Petrpolis) waren Anlaufstation fr europische Reisende, wo so zu sagen der
Sammelplatz aller hier ankommenden Naturforscher ist.174 Er beriet die Wissenschafter bei der
Planung ihrer Reisen, gab als Kenner des Landes wertvolle Ratschlge und stellte
Empfehlungsschreiben fr Kontaktpersonen, die whrend der Reisen hilfreich sein konnten,
aus.175 berdies hatte Langsdorff als Teilnehmer der russischen Weltumsegelung unter
Krusenstern 1803-1807 Expeditionserfahrung,176 und er unternahm spter selbst eine
mehrjhrige Forschungsreise in das Innere Brasiliens. Mikan, Spix, Martius und Ender waren
schon im August auf Mandioka bei Langsdorff zu Gast gewesen und hatten Erkundigungen
eingeholt.177
Die Beratungen mit Langsdorff, Feldner und Eschwege stellten die bisherigen Planungen wieder
in Frage. Nach deren Erfahrung war es unmglich, in der zunchst vorgesehenen Dauer von
zwei Jahren auch nur annhernd die gesteckten Ziele der k.k. Botschaftsexpedition zu erreichen.
Die Angaben in den Reisebeschreibungen von Mawe und Koster jene Werke, die als wichtige
Informationsquellen bei der Erstellung der Reiseplne der sterreichischen Forscher gedient
hatten hielten sie fr vllig unzureichend.178 Auch die in der ursprnglichen Dienstinstruktion
vorgesehene gemeinschaftliche Durchfhrung der Reisen aller Teilnehmer zusammen erwies
sich unter den gegebenen Umstnden als nicht realisierbar. Das gesamte Expeditionsprojekt
befand sich ausgehend von den Direktiven der Dienstinstruktion in stndiger Vernderung und
Anpassung an die Bedingungen und Mglichkeiten, die die Instruktion selbst nicht
bercksichtigen konnte. In der Praxis erwiesen sich die Anordnungen der Instruktion als nicht
Langsdorffs als historisch-ethnographische Quelle. In: Jahrbuch des Museums fr Vlkerkunde zu Leipzig 31
(1977) 133-176; BERTHELS, D.E. KOMISSAROV, B.N. LYSENKO, T.I.: Materialien der BrasilienExpedition 1821-1829 des Akademiemitgliedes Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff (Grigorij Ivanovic
Langsdorff) (= Vlkerkundliche Abhandlungen 7) (Berlin 1979) 17-43; BECHER, Hans: Bericht ber meine
Archivarbeit zur Langsdorff-Forschung in Brasilien (3. Juli - 30. Oktober 1980). In: Staden-Jahrbuch 30/31
(1982/83) 69-80; BECHER, Hans: Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff in Brasilien. Forschungen eines
deutschen Gelehrten im 19. Jahrhundert (= Vlkerkundliche Abhandlungen 10) (Berlin 1987) 3-62;
KOMISSAROV, Boris N.: Expedio Langsdorff. Acervo e fontes histricas. Edies Langsdorff (So Paulo
1994). Langsdorff war in Gttingen ein Schler von Blumenbach gewesen, vgl. PLISCHKE: Blumenbachs Einflu
(1937) 60-64.
174
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 138; hnlich uern sich SPIX-MARTIUS: Reise in Brasilien 1 (18231831 / 1980) 107; vgl. BECHER: Langsdorff (1987) 5-17.
175
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 145.
176
Langsdorff verfasste dazu einen Reisebericht, vgl. LANGSDORFF, Georg Heinrich von: Bemerkungen auf
einer Reise um die Welt in den Jahren 1803-1807 (Frankfurt/Main 1812).
177
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 66; SPIX-MARTIUS: Reise in Brasilien (1823-1831 /1980) 159-174.
178
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 73.
77

zwingend, sondern sie wurden in flexiblen und unabhngigen Entscheidungen der Forscher und
des Botschafters in Rio de Janeiro adaptiert.
Als Ergebnis der Beratungen wurde folgender Plan beim Botschafter Eltz eingereicht: Man
einigte sich auf eine Aufteilung der Expedition in drei Gruppen, um die Sammlungsttigkeit
effizienter zu gestalten. Zur ersten Gruppe zhlten Pohl, Natterer und Sochor, zur zweiten Spix,
Martius und Ender. Die dritte Gruppe bestand aus Mikan, Schott und dem Blumenmaler
Buchberger. Die entscheidenden Anregungen dazu hatte Langsdorff gegeben. Er hatte die
sterreicher darauf hingewiesen, dass eine so groe Gruppe, sollten alle zusammen reisen,
weder Unterknfte noch gengend Lebensmittel finden wrde. Die Reisekosten lieen sich
senken, da kleinere Gruppen leichter und billiger Unterkunft finden wrden. berdies knnte
damit jede Region dreifach erforscht werden, da jede Gruppe, gleich welches Spezialgebiet sie
betreuen wrde, auch in den anderen Fchern sammeln knnte. Zu diesem Zweck wurden drei
verschiedenen Routen fr die einzelnen Gruppen festgelegt: erstens in den Norden von Rio de
Janeiro nach Macac, durch das Gebirge bis Cabo Frio und ber Campos zurck nach Rio. Die
zweite Route sollte nach Nordwesten ber Porto dEstrella und die Serra dEstrella an den
Paraba, nach Canta Gallo fhren. Drittes Zielgebiet waren Santa Cruz und die Ilha Grande
sdlich von Rio de Janeiro. Die drei Gruppen legten ihre Reisen so an, dass sie jeweils auf
unterschiedlichen Routen nach Rio zurckkehrten. Leider mussten sich die Unternehmungen
auf die nhere Umgebung von Rio de Janeiro beschrnken, da angeordnet worden war, dass alle
Reisenden bis zur festgesetzten Abreise der sterreichischen Fregatten nach Europa im Mrz
oder April des folgenden Jahres wieder in Rio zu sein hatten.179
Natterer betrachtete die Situation in dieser Phase als kritisch. Anfang Dezember 1817 schrieb er
einen sehr pessimistischen Brief an seinen Bruder. Der erste Enthusiasmus war verflogen und
innerhalb der Expedition waren Unstimmigkeiten aufgetreten. Dazu drfte auch der Botschafter
Graf Eltz als Leiter der Planungen beigetragen haben, der nur zgerlich Entscheidungen traf
zumindest aus der Sicht Johann Natterers. Hauptproblem waren die Kosten. Der Botschafter
weigerte sich, die vereinbarten Diten auszuzahlen, und Dominik Sochor dachte aus diesem
Grund schon daran, bei nchster Gelegenheit nach sterreich zurckzukehren. Die neuerlich
179

Emmerich von Eltz an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 6. Dezember 1817, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 4 (alt Fasz. 3), Berichte Eltz 1817, fol. 104r-108r; vgl. Johann Natterer an
Josef Natterer, Rio de Janeiro, 5./10. Dezember 1817, WStLB, HS, 7871 und SCHREIBERS: Nachrichten I (1820)
94-96.
78

von den Forschern eingereichten Kostenvoranschlge lie Eltz erst zur berprfung nach Wien
schicken, da er sich gar nichts zu thun getraut und das Geld schon fast zu Ende ist, wie Natterer
meinte. Seinem Bruder gegenber uerte er sich sehr skeptisch ber den Erfolg der Expedition:
Es sind zu viel bey der Expedition. Desswegen kostet es so viel und dies macht mich
muthmasen, dass wohl bald ein Theil oder alle nach Hause berufen werden.180

6.3. Die Unternehmungen der k.k. Naturforscher 1818

Trotz dieser Schwierigkeiten wurden zu Anfang des Jahres 1818 die ersten Sammelreisen wie
geplant begonnen. Mikan, Schott und Buchberger traten im Jnner 1818 ihre Reise durch das
Kstengebirge in

Richtung Cabo Frio an. Mikan hatte eine Maultierkarawane

zusammengestellt, bestehend aus sieben Tieren zum Reiten, sieben Lasttieren und zwei
Tieren in Reserve fr die zu machenden Sammlungen. Die Forscher mussten praktisch alles
fr die Reise ntige selbst mitfhren, da im Hinterland nicht damit gerechnet werden konnte,
auch nur das Allerntigste erwerben zu knnen. Die Karawane transportiert daher nicht nur
fr wissenschaftlichen

Arbeiten ntigen Werkzeuge wie Insektenksten, Fangwerkzeug,

Stecknadeln, Blechgefe fr Eidechsen und Schlangen, eine Pflanzenpresse, Bindfaden und


Schnre, sondern auch Flaschen mit Weingeist, Arsenikseife zum Ausbalgen der Vgel und
selbst Papier zum Trocknen der Pflanzen. Unterwegs war nur mit einfachsten Unterknften
zu rechnen, verpflegen musste sich die Reisegruppe selbst. Kochkessel und blechernes
Essgeschirr, sowie Lebensmittel (Maniokmehl, getrocknetes Rindfleisch carne secca,
Hhner, Reis, Eier, Kaffee, Tee, Zucker, Wein, Rum) gehrten daher ebenfalls zur
Ausrstung wie Matratzen, Wolldecken, Leintcher und rohe Ochsenhute, um bei den
hufigen Regenfllen alles abdecken zu knnen. All das musste auf den Packtieren Platz
finden.181
Die Frau des Professors, Johanna Mikan, wollte nicht alleine in Rio bleiben und schloss sich
der Gruppe ebenfalls an. Langsdorff hatte ihr das Prparieren von Vgeln beigebracht, und sie
beteiligte sich intensiv an den Sammlungen ihres Mannes.182 Das Engagement von Frau
180

Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 5./10. Dezember 1817, WStLB, HS, 7871.
MIKAN, Johann Christian: Kinder meiner Laune, lter und jngere, ernste und scherzhafte (Prag 1833) 103f.
182
MIKAN: Kinder meiner Laune (1833) 97f.; Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 7./8.
November 1817, WStLB, HS, 7869.
79
181

Mikan drfte beeindruckend gewesen sein, denn ihr Beitrag zum Erhalt der Sammlung
whrend der Rckreise wurde spter besonders hervorgehoben und nicht einfach den
Leistungen ihres Mannes, des Professors, zugerechnet.183
Die Gruppe musste jedoch bald umkehren. Der Maler Buchberger strzte so unglcklich von
seinem Reittier, dass er von einem Ast gepfhlt wurde. Der Schwerverletzte wurde in
mhsamen Fumrschen nach Rio zurckgebracht, wo die Gruppe am 15. Mrz 1817
eintraf.184 Buchberger erholte sich allerdings nie wieder von den schweren Verletzungen und
starb 1821 in Wien an den Folgen des Unfalls.
Die Gruppe von Pohl, Natterer und Sochor sollte in den Distrikt von Ilha Grande und Canta
Gallo reisen.185 Aber Pohl und Natter trennten sich ebenfalls. Pohl verlie Rio de Janeiro am
15. Februar 1818 und erforschte die unmittelbare Umgebung von Rio de Janeiro und das
Gebiet von Ilha Grande. Natterer und Sochor waren schon am 5. Februar auf dem Seeweg
abgereist und trafen am Abend des nchsten Tages in Sepetiba ein, wo sie sich lngere Zeit
aufhielten, um an den Flssen Piraquao, Piraque und Taguahy zu sammeln. Auch Pohl traf
am 24. Februar in Sepetiba ein. Exkursionen auf die Insel Marambaia und in das Tal der Serra
do So Joo Marcus ergnzten das Programm der erster Reise. Von diesem Tal und dessen
Reichtum an verschiedenen Vogelarten war Natterer begeistert: Bey schnem Wetter war es
hier herlich. Vor der Thre wurden die schnen Tukaane, Colibris, Tangaras. [] Es war die
Mitte der prchtigsten, ornithologischen Schtze.186
Auf dieser Reise lernte Natterer vermutlich erstmals das Alltagsleben in Brasilien auerhalb der
Hauptstadt kennen. Aus Sepetiba ist Natterers erste Beschreibung eines seiner (landesblichen)
Quartiere erhalten. Sepetiba war damals ein kleines Dorf an der Kste und bestand aus zwlf
Lehmhtten. Natterer hatte hier ein Haus am Strand gemietet, wo zwar der Schlammgeruch
bei Ebbe sehr unangenehm war, allein die herrliche Aussicht entschdigte dafr.187 In seinem
Bericht schildert Natterer erstmals seine Beobachtungen ber fr ihn ungewhnliche Sitten in

183

Brasilianisches Museum in Wien. In: Isis von Oken, Beilage 9 (1823).


Ausfhrliche Schilderung des Unfalls in einem Brief von Johann Christian Mikan an Emmerich von Eltz,
Jeitado, 3. Mrz 1818, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 2, Konv. 1 (alt Fasz. 4), Berichte Eltz und Neveu
1818 I-VI, fol. 177r-180r; SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 103f.; MIKAN: Kinder meiner Laune (1833) 159161.
185
Zusammenfassende Beschreibungen der Aktivitten von Natterer und Pohl bei SCHREIBERS: Nachrichten I
(1820) 104-110; POHL: Reise I (1832) 126-168.
186
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 8. Mai 1818, WStLB, HS, 7872.
187
POHL: Reise I (1832) 134.
80
184

Brasilien:

Hier ward ich so glklich, gleich ein fr Brasilien noch ganz gutes Quartier zu finden. Es
bestand aus 2 Zimmern. Das eine hatte eine Fensterffnung, bloss mit einem Laden zu
schliessen, das andre war ganz ohne Fenster. Mit Mhe erlangte ich einen grossen Tisch und 2
Sthle, da man dessen wenig bedarf. Zum Speisen wird am Boden eine Binsenmatte, wohl auch
eine Ochsenhaut, ausgebreitet, worauf die Speisen gesetzt, die mit den Hnden von den sich
herumgelagerten Leuten verzehrt werden. Mandiok-Mehl statt des Brodes fehlt dabey nie,
welches, ganz knstlich mit den 5 Fingerspitzen gefasst, auf eine ziemliche Entfernung in den
Mund geworfen wird. Nach Tisch servirt man Wasser in einer Kabessen zum Hndewaschen.188
In Sepetiba traf Natterer auch mit der Kronprinzessin Leopoldine und Dom Pedro zusammen.
Die knigliche Familie hielt sich im (sdlichen) Sommer gern auf dem nahen Landsitz Santa
Cruz auf. Leopoldine ging hier in der Folge oft gemeinsam mit Pedro zur Jagd, denn die
Region bot damals eine eindrucksvolle tropische Pflanzen- und Tierwelt. Im Februar 1818
besuchte die Prinzessin Santa Cruz zum ersten Mal.189 In einem ihrer Briefe schwrmte sie:
herliche Gebirge Wlder Ebenen umgeben unsern kleinen aber niedlichen Pallast, [] Pflanzen
und Bume sehe ich die schnsten mit Blthen berseet die noch in Europa unbekant sind.190
Leopoldine war fast alle Tage auf der Jagd, um Vgel zu schiessen.191 Im Zuge eines dieser
Ausflge besuchte das Thronfolgerpaar den sterreichischen Forscher in seinem Quartier.
Natterer schildert die Begegnung in einem Brief, der hchstwahrscheinlich an seinen Bruder
Josef gerichtet war:

Es war am 5. Mrz, an einem sehr heissen Tage. Ich war noch nicht lange von einer
Jagdexcursion zurkgekehrt und hatte mich, ziemlich erschpft von der brennenden Hitze auf
einem Sandwege, gerade aufs Bett hingelegt, als ich einen Wagen vorfahren hrte. Mein
Bedienter kam mit der Nachricht gelaufen, dass es der Kronprinz mit der Kronprinzessinn
sey. Ich raffte mich schnell zusammen und eilte hinaus, die hohe Visite zu empfangen. Ich
fhrte sie nun beyde in mein schlechtes, kleines Quartier, wo man sich kaum umdrehen
konnte, wo sie meine gesammelten Vgel besahen.192

188

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 8. Mai 1818, WStLB, HS, 7872.
OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 173-181; KANN: Ordnungslust und Naturschrmerei (2000)
19f.
190
Leopoldine an Franz I., 1. Mrz 1818, HHStA, HA Sammelbnde 47 (305/2), fol. 57, zit. nach KANN:
Ordnungslust und Naturschrmerei (2000) 20.
191
SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 12.
192
Johann Natterer an Josef Natterer, o.O., verm. Juni/Juli 1818, Archiv MVK.
81
189

Die bayerischen Wissenschafter Spix und Martius hatten sich unterdessen von den
sterreichischen Forschern getrennt. Sie beschwerten sich darber, dass die k.k.
sterreichische Gesandtschaft [] sowohl was Quartier als auch Tisch betrifft [] keine
Notiz von ihnen nahm und sich berdies die sterreichischen Forscher nicht ber das Ziel und
die Art und Weise der einzuschlagenden Route193 einig werden konnten. Daher entschlossen
sich die beiden Bayern, ihre weiteren Reisen alleine fortzusetzen. Sie verlieen Rio de Janeiro
im Dezember 1817. Thomas Ender schloss sich Spix und Martius an und unternahm mit
ihnen gemeinsam eine Expedition in die Region von So Paulo. Ender kehrte aber bald nach
Rio de Janeiro zurck, weil er das Klima nicht vertrug. Sein Gesundheitszustand war
angegriffen: Eine Erschlaffung fisisch und moralisch bemchtigte sich meiner dergestalt, das
ich ganz entkrftet dalag und nicht mehr stehen konnte. Eine Reise an den Fu des
Orgelgebirges, wo ich frh und Abends im kalten Fluwasser mich badete, lie mich wieder
ein wenig zu Krften kommen. Doch das Clima war meiner Gesundheit und Flei so
nachtheilig, da ich das Land verlassen mute,194 erinnert sich der Maler in seinen
Memoiren. In den wenigen Monaten seiner Reise hatte Ender etwa 1100 Aquarelle und
Zeichnungen angefertigt, unter anderem zahlreiche Ansichten von Rio de Janeiro, So Paulo
und Umgebung. Enders Aquarelle sind nicht nur hervorragende Dokumente seiner Reisen,
sondern auch wichtige Quellen ber das Alltagsleben in Rio zu Beginn des 19.
Jahrhunderts.195
Spix und Martius durchquerten auf ihren spteren Reisen durch das Landesinnere die
Provinzen von So Paulo, Minas Gerais, Gois, Bahia, Pernambuco, Piau und Maranho.
Weitere Reisen entlang des Amazonas fhrten sie bis an die Grenze von Peru. Im April 1820
verlieen sie mit reicher Ausbeute Brasilien. Am 10. Dezember dieses Jahres trafen sie
wieder in Mnchen ein.196
193

Johann B. Spix und Carl Friedrich Philipp Martius an Maximilian I. von Bayern, Rio de Janeiro, 2. August
1817, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, zit. nach TIEFENBACHER, Ludwig: Die Bayerische Brasilienexpedition
von J.B. von Spix und C.F.Ph. von Martius 1817-1820. In: HELBIG, Jrg (Hg.): Brasilianische Reise 1817
Carl Friedrich Philipp von Martius zum 200. Geburtstag. Ausstellungskatalog (Mnchen 1994) 32.
194
ANKWICZ-KLEEHOVEN, Hans: Eine unbekannte Selbstbiographie des Malers Thomas Ender. In:
Mitteilungen der Gesellschaft fr vergleichende Kunstforschung 2 (1954) 28.
195
Vgl. WAGNER: Brasilienreise (1993) 141-143; WAGNER, Robert: Thomas Ender (1793-1875) und die
sterreichische Brasilienexpedition. In: Thomas Ender no Brasil 1817-1818. Ausstellungskatalog (Graz 1997)
15-27. Smtliche Aquarelle der Brasilienreise sind publiziert bei WAGNER, Robert BANDEIRA, Jlio (Ed.):
Viagem ao Brasil nas aquarelas de Thomas Ender 1817-1818. 3 Bde. (Petrpolis 2000).
196
Zu den Reisen von Spix und Martius vgl. TIEFENBACHER: Bayerische Brasilienexpedition (1994) 28-52;
82

6.4. Rckkehr der ersten Expeditionsteilnehmer

Im Laufe des Frhjahrs 1818 waren alle Forscher mit Ausnahme der Bayern, die nun
unabhngig agierten wieder in Rio eingetroffen. Pohl kehrte am 5. April nach Rio zurck,
Natterer folgte am 7. Mai 1818. Die bis dahin gemachten Sammlungen von ausgestopften
Tieren, getrockneten und lebenden Pflanzen und Mineralien wurden mit den Schiffen
AUSTRIA

und

AUGUSTA

nach Wien transportiert.197 Neben den naturwissenschaftlichen

Sammlungen wurden auch einige Souvenirs fr den Staatskanzler Metternich mitgebracht,


unter anderem acht Fsser Wein, ein Kstchen mit Mate-Tee, eine Bchse Schnupftabak und
zwei Papageien.198 Mikan bekam die Verantwortung fr diesen ersten Transport bertragen.
Von seinen wissenschaftlichen Leistungen war man offensichtlich nicht berzeugt. Graf von
Eltz schrieb in diesem Sinn an Metternich:

Eben so wenig als die Botanik drfte die Entomologie durch den Abgang des Herrn Mican in
ihrer Ausbeute geschmlert werden. Die wissenschaftliche Bestimmung der Insecten bleibt
ohnehin auch jetzt schon den Wiener Naturforschern berlassen, ihre Einsammlung aber
kann auch durch andere als gelehrte Entomologen geschehen. Mit einem Worte: ohne den
Verdiensten des Herrn Professor Mican zu nahe zu treten, glaube ich versichern zu knnen,
und der Erfolg wird es besttigen, dass bei dessen Rckreise und monatlicher Einsparung
von 7 - 800 fl. der Zweck der Expedition in gleichem Mae erreicht werden wird, whrend
bei Absendung eines andern Mitgliedes entweder die Sammlung lebender Pflanzen, die
Zoologie oder die Mineralogie gnzlich darnieder gelegen wre.199
Auch Karl von Schreibers fand nur wenig Anerkennung fr Mikan und machte den nicht sehr
schmeichelhaften Vorschlag, dass die Prager Universitt die Sammlungen ihres Professors
bekommen sollte, da sie fr das kaiserliche Naturalienkabinett ohnehin zum grten Teil
entbehrlich wren.200

SCARABTOLO, Hlio A.: Die Reise in Brasilien von Carl Friedrich Philipp von Martius (1794-1869)
Reisebeobachtungen. In: Staden-Jahrbuch 42 (1994) 33-46.
197
Detaillierte Aufstellung des ersten Transportes bei SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 114-116 bzw. 146191.
198
RIEDL-DORN: Haus der Wunder (1998) 107.
199
Emmerich von Eltz an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 6. April 1818, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 2, Konv. 1 (alt Fasz 4), Berichte Eltz und Neveu 1818 I-VI, fol.173r-176v.
200
Karl von Schreibers an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Wien, September 1819, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 7 (alt Fasz. 3) Schreibers 1817-1821, fol. 13r-24v.
83

Mikan wurde auch aus Rcksicht auf das Arbeitsklima zurckbeordert. Das Verhltnis unter
den Expeditionsteilnehmern scheint unter einer dominanten Fhrung Mikans so gelitten zu
haben, dass das Botschaftspersonal um das Ansehen sterreichs und das Gelingen der
Expedition frchtete.201 Der damalige Botschaftssekretr Neveu lie in einer geheimen Note
kein gutes Haar an den Leistungen und vor allem am Verhalten des Professors: Je dois y
ajouter, confidentiellement, Monseigneur, les prsentations insatiables et le peu dconomie
de ce naturaliste, son esprit de chicane et de domination, qui a fait le plus grand tort
lexpdition scientifique,202 schrieb er an Metternich. Es darf auch gezweifelt werden, ob sich
das Verhltnis zwischen Mikan und Natterer seit dem Streit um die Leitung der Expedition
wirklich verbessert hatte. Aber in dem Moment, da Mikan wieder nach Europa aufbrechen
musste, gab sich Natterer vershnlich. Seinem Chef in Wien schilderte er die Abreise des
(wiewohl ungeliebten) Kollegen und Konkurrenten in den freundlichsten Worten und bemht
sich um Korrektheit:

Als ich gerade von den beyden Fregatten zurkkehrte, fand ich seine Frau mit einem Theil
seiner Bagage am Einschiffungsplatze, dem kniglichen Pallaste gerade gegenber. Ich
wartete nun so lange, bis Herr Professor selbst mit den noch brigen Sachen anlangte und
bis alles ins Boot eingeschifft war, worber wohl noch einige Zeit vergieng. Herr Professor
Mican schied von mir als Freund, mchte ich fast sagen, denn nie habe ich ihm Anlass zu
einer Klage gegeben. Alles das, was er in Wien mir directe oder indirecte verursachte, hatte
ich mit einem dichten Schleyer bedekt. Es geschah um der Einigkeit willen.203

Die Hoffnung, bestehende Unstimmigkeiten mit dieser Manahme zu beseitigen, schien sich
zu erfllen: Der gute Muth, Gemeinsinn und wechselseitiges Zutrauen, welches bisher zum
Nachtheil der guten Sache und selbst des guten Rufes dieser Expedition zu fehlen schienen,
scheinen nun hergestellt zu seyn,204 berichtete Schreibers einige Monate spter an
Staatskanzler Metternich.
Am 1. Juni 1818 verlieen die beiden sterreichischen Fregatten in Begleitung des
portugiesischen Linienschiffes

SO JOO

den Hafen von Rio de Janeiro. Mit an Bord waren

201

KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 227f.


Wilhelm Josef von Neveu an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 18. April 1818,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 2, Konv. 1 (alt Fasz.4), Berichte 1818, 81r.
203
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 3. Juni 1818, NB Handschriftensammlung
Autographen 21 / 38 1 (alter Bestand Schreibers).
204
Karl von Schreibers an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Wien, 16. November 1818, HHStA,
202

84

Guiseppe Raddi, Professor Mikan und seine Frau, Thomas Ender, der schwer verletzte Maler
Buchberger und das nach Wien zurckkehrende Gefolge der Prinzessin Leopoldine. Die
sterreichischen Fregatten trafen am 19. September 1818 wieder in Triest ein.205 Auf eigens
fr die fr Schnbrunn bestimmten lebenden Tiere konstruierten Wgen wurde der erste
Transport aus Brasilien nach Wien gebracht, wo er am 25. November 1818 eintraf.206
Wie sollte es aber nun mit den verbliebenen Mitgliedern der sterreichischen Forschergruppe
weiter gehen? Natterer machte sich Sorgen, dass sich die Expedition schon aufzulsen
begann, ehe noch die ersten groen Reisen ins Landesinnere unternommen werden konnten:
Traurig hat die naturhistorische Expedition in Brasilien begonnen. Jetzt hat sie schon 3
Mitglieder verlohren, jetzt, da kaum die erste kleine Reise, die nur als Vorbereitung zu den
grossen dienen sollte, vorber ist. Aber vielleicht wird das Ende besser seyn.207 Aber noch
war von einem vlligen Ende der Forschungsreise keine Rede. Die drei in Brasilien
verbliebenen Forscher planten nun, getrennt voneinander weitere Reisen zu unternehmen und
der Jagdgehilfe Dominik Sochor hatte inzwischen eine wichtige Entscheidung getroffen.
Obwohl er eigentlich mit den sterreichischen Schiffen nach Hause zurckkehren wollte,
entschied er sich anders und blieb auf unbestimmte Zeit in Brasilien. Natterer war sich
damals darber im Klaren, dass es fr Sochor spter wenig Handlungsspielraum fr ein
berdenken dieser Entscheidung geben knnte. In einem Brief an Karl von Schreibers meint
er: Bin ich erst auf der grossen Reise, etwa nach Mattogrosso, dann hrt sich ohnediess jeder
Gedanke an frhere Rckkehr auf.208

7. DIE REISEN VON POHL, SCHOTT UND NATTERER (1818-1822)

Schon nach wenigen Monaten drohte mit der Rckkehr der ersten Teilnehmer ein Zerfall der
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 7 (alt Fasz. 3), Schreibers 1817-1821, fol. 9r-12v.
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 112-114.
206
BLAAS: sterreichs Beitrag (1976) 26.
207
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 3. Juni 1818, NB Handschriftensammlung
Autographen 21 / 38 1 (alter Bestand Schreibers).
208
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 3. Juni 1818, NB Handschriftensammlung
205

85

k.k. Botschaftsexpedition. Doch die in Brasilien verbliebenen Forscher bemhten sich, rasch
neue Plne auszuarbeiten, um ihre Reisen ehestens fortsetzen zu knnen.

7.1. Gemeinsame Reiseplne von Pohl und Natterer

Pohl und Natterer entwarfen gemeinsame Reiseplne, die vorsahen, auf unterschiedlichen
Routen in die Provinz Gois zu reisen und sich in der gleichnamigen Hauptstadt wieder zu
treffen. Pohl wollte nach Norden und Minas Geraes durchqueren, Natterer sollte sich nach
Sden in die Provinz Rio Grande do Sul wenden und dann in weiten Bogen nach
Zentralbrasilien vorstoen.209 Anfang Juli 1818 legten Pohl und Natterer ihre Plne dem
Botschafter vor.210
Eine Verwirklichung dieser Vorhaben war aber erst mglich, nachdem es gelungen war, die
brokratischen Beschrnkungen durch die brasilianischen Behrden zu berwinden. Es
erwies sich als sehr nachteilig, dass sich die sterreicher anfangs nur Psse fr die Provinz
von Rio de Janeiro hatten ausstellen lassen und nicht gleich fr das gesamte Land. Nun stand
man vor dem Problem, dass alle weiteren Schritte der Forscher durch die Behrden geprft
und genehmigt werden mussten, die jedoch sehr zurckhaltend bei der Ausstellung von
Pssen ins Landesinnere vorgingen. Das Misstrauen der Portugiesen bzw. Brasilianer
gegenber Fremden vor allem solchen, die die Gold- und Diamantenminen in Minas Geraes
besuchen wollten wurde gerade in dieser Zeit durch einen Vorfall genhrt, den sowohl Pohl
als auch Natterer beschreiben. Pohl erhielt zwar die Erlaubnis nach Minas Geraes reisen, aber
der Besuch des Diamanten-Distriktes wurde ihm von der Regierung verboten. Diese Clausel
war durch die scherzhafte usserung einer, zu einer fremden Gesandschaft gehrigen Person
veranlasst worden, welcher Minas Geraes besuchen wollte, und in einigen Gesellschaften
erklrt hatte, er wolle nicht ohne einen Sack voll Diamanten nach Hause kommen,211 schreibt
Pohl in seinem spter verffentlichten Reisebericht. Natterer schildert seinem Bruder eine
andere, etwas abenteuerlichere Version der Geschichte:

Autographen 21 / 38 1 (alter Bestand Schreibers).


SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 2f.
210
KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 228.
211
POHL: Reise I (1832) 175.
209

86

Die hiesige Regierung hat seit kurzem ein strenges System gegen Fremde, die ins Innere
reisen wollen, angenommen. Die wahre Veranlassung dazu ist nicht genau bekannt, doch
versichert man, dass einige Franzosen die Ursache davon sind. Vor mehrern Monathen
reisten nhmlich 6 Franzosen, [] mit Flinten und Pistolen bewaffnet, zu Fuss nach Minas,
um ihr Glk zu suchen. Auf dem Weg dahin machte einer den Vorschlag, um schnell reich zu
werden sollten sie den Diamanttransport anfallen und plndern. Man giebt vor, er habe dies
nur im Scherz gethan, doch einer nahm es fr Ernst, bekam Furcht, blieb zurk und eilte nach
Rio, dies zu entdeken. Die Regierung ertheilte bald die gemessensten Befehle und in Villarica
wurden die andern 5 auf der Stelle verhaftet und in Ketten mit Kavalleriebedekung hieher
gebracht, wo sie vor einigen Wochen anlangten. So erzhlt man.212
Die Folgen dieses Vorfalls blieben nicht aus: die portugiesische Regierung beanstandete die
eingereichten Reiseplne der sterreicher und erteilte schlielich auch keine Genehmigung fr
Reisen nach Rio Grande do Sul.213 Dass zugleich der preuische Gesandte Graf Fleming, sein
Sekretr Ignaz von Olfers und der Gelehrte Friedrich Sellow214 die Erlaubnis erhielten, nach
Minas Geraes und in den Diamantendistrikt zu reisen und dass Spix und Martius bereits in
Minas waren, erzrnte Natterer nicht nur, weil er sich als vom Kaiser beauftragter Naturforscher
mehr Entgegenkommen der brasilianischen Regierung erhofft hatte. In einem Brief an seinen
Bruder macht er auch Wilhelm Josef Neveu von Windschlag, seit der Rckkehr des
Botschafters Eltz nach Europa sterreichischer Geschftstrger in Rio, Vorwrfe wegen dessen
zgerlicher Vorgangsweise, die das Risiko scheut:

Da der Ausgang nun so ungnstig ist, so scheint Herr Baron von Neveu ganz und gar nicht den
Muth zu haben, fr uns Psse nach jenen Gegenden anzusuchen, wohin die Regierung nun den
Zutritt verbiethet, um sich keiner abschlgigen Antwort auszusetzen. [] Ich glaube, Baron
Neveu msste alles versuchen. Dass eine abschlgige Antwort erfolge, ist ja nicht ganz
ausgemacht gewiss, und erfolgt sie, so dient dies ja zu seiner Rechtfertigung, dass er alles
angewendet hat.215
Mehrere Abnderungen der Reiseplne waren ntig, sodass die Erteilung der Genehmigungen
fr Pohl, Natterer, Sochor und Schott erst Ende August erfolgte. Am 21. August erhielt Natterer
212

Johann Natterer an Josef Natterer, o.O., verm. Juni/Juli 1818, Archiv MVK; vgl. Wilhelm Josef von Neveu an
Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 24. Juli 1818, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 3,
Konv. 1 (alt Fasz. 5), Berichte Neveu 1818 VII-XII, f. 59r-62r; Karl von Schreibers an Clemens Wenzel Lothar von
Metternich, Wien, 16. November 1818, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 7 (alt Fasz. 3), Schreibers
1817-1821, fol. 9r-12v.
213
KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 228; SCHREIBERS II (1822) 10.
214
zu Olfers und Sellow vgl. OBERACKER: Der deutsche Beitrag (1955) 202f.
215
Johann Natterer an Josef Natterer, o.O., verm. Juni/Juli 1818, Archiv MVK.
87

seine Psse, die ihm nun Reisen in die Provinzen von Gois, Minas Geraes und So Paulo
gestatteten.216
Vor Antritt ihrer Reisen bekamen Pohl und Natterer neue Kataloge von Auftrgen und
Verhaltensregeln zugewiesen. Demgem sollten sich auch andere Sammlungen als die ihrer
Spezialgebiete betreiben. Jeden Monat sollten sie einen Kurzbericht an die Gesandtschaft
schicken,

alle

paar

Monate

verlangte

der

Botschafter

einen

Generalbericht.

Sammlungsverzeichnisse sollten in zweifacher Ausfertigung abgeliefert werden. Sie sollten die


Gesetze, Behrden, Sitten und Vorurtheile des Landes achten und auch in den Tagebchern
nicht nur Naturhistorisches vermerken, sondern alles, was fr jeden gebildeten Mann von
Interesse sei.217 Nach berwindung aller Widerstnde konnten sich Schott, Pohl, Natterer und
Sochor wieder ihren Forschungen widmen.

7.2. Die Reisen von Heinrich Schott 1818-1822

Der Grtner Heinrich Schott hatte die ersten Monate in Brasilien damit verbracht, in Rio de
Janeiro und Umgebung Pflanzen und Tiere zu sammeln. Auch nach der Heimreise der ersten
Expeditionsmitglieder war Schott damit beschftigt, im kaiserlichen Pflanzengarten im
sterreichischen Gesandtschaftsgebude in Rio die gesammelten Pflanzen zu pflegen und fr
den Transport nach Europa vorzubereiten. Fr die umfangreichen Arbeiten bentigte Schott
einen erfahrenen Gehilfen, der in Brasilien jedoch nicht zu finden war. Im Frhjahr 1820 traf
Josef Schcht, Grtner im Privatgarten des Kaisers, in Brasilien ein. Schott und Schcht
organisierten nun gemeinsam Akklimatisierungsgrten fr die zum Transport nach Europa
bestimmten Pflanzen und lebenden Tiere. Die bisherigen Erfahrungen hatten gezeigt, dass
ohne entsprechende Vorbereitung wenig Aussicht bestand, dass Tiere und Pflanzen den
Klimawechsel berlebten.218

216

SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 2, 10.


Abschrift der unterm 18. August 1818 von der k.k. Gesandtschaft in Rio de Janeiro an die Herren
Naturforscher, Pohl und Natterer, erlassenen Zuschrift, HHStA, Brasilien, Karton 3, Konv. 1 (alt Fasz.5),
Berichte Neveu 1818 VII-XII, fol. 110-111r.
218
Vgl. KANN: Brasilienexpedition (1992) 28; MAUTHE: Brasilienexpedition (1992) 85f.; RIEDL-DORN:
Haus der Wunder (1998) 109; RIEDL-DORN schreibt, Schcht wre 1819 in Brasilien eingetroffen, was aber
ein Irrtum sein muss, da die von Mauthe und Kann zitierten Quellen belegen, dass die Entscheidung, Schcht zu
entsenden, erst im Sommer 1819 gefllt wurde und Schcht seine Reise im November 1819 antrat; vgl.
SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 28-32; KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 229f. belegt Schchts
88
217

1819 unternahm Schott seine erste selbstndige Reise, die ihn in die Steppen am Rio Paraba
und Rio Parabuna und in den Distrikt von Cantagalo (RJ) fhrte. Am 4. Juni 1819 verlie er
Rio de Janeiro und erreichte Cantagalo am 19. Juli. Entlang des Parabuna reiste Schott bis
So Salvador und kehrte am 1. Oktober 1819 wieder nach Rio zurck. Im Jnner 1820
unternahmen Schott und der Maler Frick eine zweite Reise nach Macac, ebenfalls im
Distrikt von Cantagalo. Diese Reise war jedoch sehr kurz. Am 2. Mrz 1820 trafen die beiden
Reisenden wieder in Rio de Janeiro ein. Wie die anderen Wissenschafter sammelte auch
Schott neben naturwissenschaftlichen Objekten ethnographische Gegenstnde, erstellte
Wortlisten von Eingeborenensprachen und besuchte verschiedene Indianerstmme.219

7.3. Die Reisen von Johann Emanuel Pohl 1818-1822

Johann B. Emanuel Pohl hatte nach der Heimreise von Professor Mikan dessen Aufgaben in der
Botanik zu bernehmen. Seine zweite Reise in die Provinzen von Gois und Minas Geraes
fhrte ihn in Gegenden, die vor ihm noch kein Europer erforscht hatte. Er verlie Rio de
Janeiro am 8. September 1818 und erreichte ber So Joo del Rei und Paracat do Principe am
22. Jnner 1819 die Provinzhauptstadt Gois, damals Villa Boa genannt. Eine kurze Exkursion
vom 6. bis zum 21. Februar 1819 fhrte ihn bis an den Rio Claro. Die Regenzeit zwang Pohl zu
einem lngeren Aufenthalt, sodass er seine Reise erst im April 1819 fortsetzen konnte.
Von Gois aus reiste Pohl in die nrdlichen Regionen der Provinz. Trotz einer schweren
Krankheit gelangte er an den Rio Maranho, den er drei Wochen lang befuhr. Im Jnner 1820
kehrt der sterreichische Reisende nach Gois zurck. Im Dezember 1820 erreicht er Ouro
Preto (damals Villa Ricca) und am 28. Februar 1821 traf Pohl mit reichen Sammlungen wieder
in Rio de Janeiro ein.220

Bestellung mit 10. Oktober 1819, seine Ankunft in Rio mit Mrz 1820.
Vgl. SCHOTT Heinrich: Tagebcher des k.k. Grtners, Hrn. H. Schott in Brasilien, von dessen Reisen in die
Campos am Paraiba und Paraibuna = Flusse und durch den Distrikt von Canta Gallo; dann nach Macau und am
Flusse gleichen Nahmens, Von Rio de Janeiro aus. In: SCHREIBERS, Karl von: Nachrichten von den kaiserlichsterreichischen Naturforschern in Brasilien und den Resultaten ihrer Betriebsamkeit. Bd. 2 (Brnn 1822),
Anhang I, 1-80; Zusammenfassung bei SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 105-108.
220
SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 2-8, 68-70.
89
219

7.4. Natterers zweite Reise: Rio de Janeiro - So Paulo - Curitiba

Johann Natterer unternahm zwischen 1818 und 1822 mehrere kleine Reisen in den Sden
Brasiliens.221 Nach dem erfolglosen Versuch, Psse fr die Provinzen Par, Rio Grande do Sul,
Rio Negro, Mato Grosso und Minas Novas zu erlangen und nach einer lngeren Krankheit, die
ihn am Reiten hinderte, konnte Natterer erst am 2. November 1818 Rio de Janeiro verlassen.
Das Betreten der Provinz Rio Grande do Sul wurde weiterhin verweigert.222 Sein Pass galt nun
fr die Provinzen Gois, Minas Geraes und So Paulo. Das entsprach wenigstens zum Teil
seinen Wnschen, denn eigentliches Ziel seiner Bestrebungen war eine Reise in die entlegenen
Provinzen des Landes wie Mato Grosso oder Gois, die von europischen Naturwissenschaftern
noch weitgehend unerforscht waren. Dort sah er die Mglichkeiten, die seinem Forscherdrang
und seiner Sammelleidenschaft entsprachen im Gegensatz zu der damals schon hufig zum
Reiseziel gewhlten Provinz von Minas Geraes.

Meine Lust nach jenen besuchteren Lndern war nie gross. Nicht etwa, dass ich dort nicht neue
Gegenstnde genug noch fnde, keineswegs, im Gegentheil bin ich berzeugt, dass diese
Gegenden selbst nach vielen Jahren mit reicher Ausbeute an Entdeckungen lohnen werden.
Aber doch mehr Mannigfaltigkeit wrde ein entfernterer Theil Brasiliens, wo noch kein
Naturforscher war, darbiethen. Eine solche Gegend zu bereisen war daher immer mein Wunsch
und mein Entschluss. Hoffnungsvoll waren meine Blicke auf die Provinz Mattogrosso geheftet.
Selbe schien beiden Forderungen Genge zu leisten, denn entfernt ist sie genug und
wahrscheinlich von keinem Naturforscher noch betreten. Welch ein Reichthum der Natur muss
dort seyn im Mittelpunkte, so zu sagen, von Sdamerika.223
Aber vorerst musste er sich mit den ihm zugestandenen Reisezielen begngen. Natterer und
Sochor wandten sich nach Sden und reisten mit einer Karawane von 13 Maultieren das
Kstengebirge, die Serra do Mar, entlang nach So Paulo. Der Weg fhrte ber Santa Cruz,
Itagua und Taubat nach So Jos dos Campos und weiter ber Moji das Cruzes nach So
Paulo, wo sich Natterer und seine Truppe auerhalb der Stadt in Bom Jesus im Landhaus eines
Obersten einquartierten.224
Ein Brief Natterers (vermutlich an Direktor von Schreibers) vom Jnner 1819 ist das
221

Dazu zusammenfassend KANN: Brasilienexpedition (1992) 35-38.


SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 10.
223
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 141f.
224
SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 16-24.
222

90

aufschlussreichste erhaltene Dokument ber diese Reise. Er enthlt erstmals Informationen


darber, wie Natterer Land und Leute erlebte. In drastischen Worten schildert er die Zustnde
in den lndlichen Gebieten auerhalb der nheren Umgebung der Hauptstadt, die er bis dahin
noch kaum kennen gelernt hatte. Das Leben ist von groer Armut geprgt und von einem
Fehlen von Ressourcen, das auch den reisenden Fremden betrifft. Auch der vergleichsweise
wohlhabende, gut versorgte Europer muss sich hier mit einem kargen Leben abfinden, denn es
gibt einfach nichts an Bequemlichkeiten oder Annehmlichkeiten, die fr Geld zu erwerben
wren. Unterwegs bietet sich meist nur eine einfache Raststtte, ein rancho, als Unterkunft an.
Diese ranchos sumen die berlandstraen, meist kombiniert mit einem Kaufladen, einer
venda. Natterers folgende Beschreibung drfte ein ziemlich typisches Bild einer derartigen
notdrftigen Absteige sein:

Hier gab es kein Quartier mehr, sondern wir wohnten in einem rancho, diess ist ein Dach von
Ziegeln oder Palmenblttern, auch von langem Grase auf Pfhlen gesttzt, von allen Seiten
offen. Ein Glck ist es schon, einen rancho zu finden, wo einige Wnde geschlossen sind oder
der an ein Haus angebaut ist, welch letzteres gewhnlich eine venda ist, wo aber nichts zu
kaufen steht als Branntwein (caxaza), Mandiokmehl oder Mehl aus weissen Mays, manchmahl
etwas schlechter Zucker, schwarze Bohnen und fast immer auch Mays fr die Tiere. Oft sind
auch die Dcher sehr schlecht, dass sie nur wenig vor Regen schtzen.225
Die Armut der Landbevlkerung fllt Natterer auf seinen Reisen immer wieder auf. Die Bauern,
die abseits der groen Latifundien der Grogrundbesitzer ihr Leben fristen, knnen gerade noch
ihr berleben sicherstellen. Natterer bringt das mit der Faulheit der Bevlkerung in
Verbindung, ein Klischee, das hufig auftaucht, wenn Natterer ber die Arbeitsmoral der
brasilianischen Bevlkerung, europische Werte als Mastab nehmend, urteilen will. Als
Beispiel dafr mag die Beschreibung eines kleinen Dorfes in der Umgebung von Taubat (SP)
dienen, das Natterer auf dieser Reise nach So Paulo besuchte:

Mattodentro, [], besteht aus einzelnen zerstreuten, elenden Htten, in einem wilden Thale,
von Urwldern umgeben, wo nicht einmahl gutes Wasser vorhanden, von armen Leuten, meist
mit Krpfen behaftet, bewohnt, die aus Faulheit kaum so viel Mays und schwarze Bohnen
pflanzen, als zu ihrer sprlichen Kost hinreicht. Selten haben sie einige Schweine, um Speck zu
ihren Bohnen zu thun, welche letztere mit Maysmehl gemischt ihre Hauptnahrung ausmachen.
Hhner werden wohl auch in manchem Haus gezogen und etwas Baumwolle gepflanzt zur
225

SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 17.


91

Kleidung. Diess drfte nun aber schon alles seyn, was sie brauchen, um ihr elendes Leben zu
fristen. Das Haus, worin ich wohnte, das beste eine halbe legoa in der Runde, war so schlecht,
dass bey dem fast tglichen Regen das Wasser in kleinen Strmen durch das Quartier floss. Die
Thre war auch zugleich das Fenster. Mit der Hauseinrichtung sah es sehr schlecht aus, denn
es war nichts als ein grosser Barren frs Vieh im Zimmer. Ein Tisch war nirgends zu
bekommen, doch verschaffte man mir zwey Bnke, um darauf zu arbeiten, mit denen wir uns
behelfen mussten.226
Am 12. Jnner 1819 trafen Natterer und Sochor in So Paulo ein. Dort unternahmen die
Naturforscher Ausflge zu den Eisenerzgruben und Goldwschereien in der Umgebung.227
Schon Ende Jnner reisten sie ber Sorocaba nach So Joo do Ipanema weiter, wo sie am 2.
Februar 1819 ankamen. In Ypanema, wie Natterer den Ort stets bezeichnet, befand sich zu
dieser Zeit ein Eisenwerk, das unter der Leitung von Friedrich Wilhelm Ludwig Varnhagen
stand. Varnhagen war seit 1802 in Portugal fr die Entwicklung der Eisenindustrie ttig. 1809
folgte er dem portugiesischen Hof ins Exil und wurde mit dem Aufbau und der Fhrung des
neuen Eisenwerkes So Joo do Ipanema bei Sorocaba beauftragt.228 Bei Varnhagen fand
Natterer Untersttzung bei der Realisierung seiner Reiseplne. Hier wollte er den Beginn der
Trockenzeit (etwa April bis Oktober) abwarten, da die vorgeschrittene Regenzeit das Reisen fast
unmglich machte.229 Natterers Plne sahen nun vor, von Ipanema aus den Fluss Tiet aufwrts
mit Booten zu fahren und sich dann nordwrts nach Cuiab (MT) und zum Rio So Francisco
zu wenden. Ein Bericht an Direktor von Schreibers enthlt eine Beschreibung der vorgesehenen
Route nach Cuiab:

Der Anfang dieser Reise geschieht ganz nahe bei Sorocaba, von Portofeliz, einer kleinen Stadt
am Flusse Tiet, 22 legoas westlich von St. Paul, und zwar auf ziemlich grossen, stark
bemannten canots. So geht es nun den Tiet hinunter, auf den man 47 betrchtliche Wasserflle
zhlt, wo die canots meist ganz ausgeladen und zu Lande den Fall vorbeigezogen werden. Der
Tiet ergiesst sich im Paran, auf diesem wird nun stromabwrts die Fahrt bis an die Mndung
des Rio Pardo fortgesetzt. Die Schiffahrt auf dem Paran ist nicht so beschwerlich, da nur ein
Wasserfall ist. Dem Rio Pardo geht es nur langsam entgegen, fast 2 Monate lang, der vielen
Flle wegen, worunter 32 von Bedeutung sind, die Fahrt auf diesem Flusse endet sich an dem
226

SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 20f.


Karl von Schreibers an Franz I., Wien, 6. August 1819, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 7
(alt Fasz. 3), Schreibers 1817-1821, fol.14r-17r.
228
Vgl. OBERACKER: Der deutsche Beitrag (1955) 184f.; TOUSSAINT, Friedrich J.: Die Frhzeit der
brasilianischen Eisenerzeugung und die Eisenhtte von Sorocaba. In: Staden-Jahrbuch 30/31 (1982/83) 81-93;
Beschreibung von Ipanema bei SPIX-MARTIUS: Reise in Brasilien (1823-1831 / 1980) 251-254.
229
SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 28.
92
227

Orte, der Sangueruga heisst und von wo aus die canots und die Ladung auf grossen,
vierrderigen, mit sechs bis sieben Paar Ochsen bespannten Wagen nach der 2 1/2 legoas
entfernten fazenda Camapuan gefhrt und dort in den kleinen Fluss Camapuan gesetzt werden.
[] Man erhohlt sich dort etwas und ergnzt die Lebensmittel, geht dann den Camapuan hinaus
in den Fluss Coxim, auf dem man 17 Flle bis zum Flusse Taquari passirt, auf welch letzterem
es abwrts bis in den Paraguay geht. [] Den Paraguay geht es nun aufwrts bis an die
Mndung des Rio dos Porrodos, in welchem die Fahrt abermals aufwrts bis an den Ausfluss
des Rio Cuyaba fortgesetzt wird, auf welchem man in 15 Tagen bis in dem Hafen, eine
Viertelmeile von der Stadt Cuyaba, ankommt.230
Die Verwirklichung der Reise den Tiet entlang zum Paran scheiterte aber des Mangels an
canots, guias [Fhrer, K.S.] und der blen Witterung wegen.231 Natterer reiste am 29. Mrz
1819 von Ipanema nach Porto Feliz (SP), dem Hafen am Ufer des Tiet, wo die Einschiffungen
fr Fahrten ins Landesinnere stattfanden. Aber er bekam in Porto Feliz keine Boote. Alle
verfgbaren Schiffe und Piloten wurden gerade fr einen Transport des Gouverneurs von Mato
Grosso bentigt. Zwar wurden ihm Hoffnungen gemacht, dass im Juli oder August wieder
Boote und Mannschaften verfgbar wren, aber diese Versprechen wurden nicht gehalten.
Auerdem waren die Monate des Sdwinters aufgrund der niedrigen Temperaturen und
hufigen Regenflle der ungnstigste Zeitpunkt, um eine derartige Reise anzutreten. Natterer
blieb nichts anderes brig, als seine bisher gemachten Sammlungen zu verpacken und nach Rio
zu schicken. Und zu warten. Da Natterer seiner eigenen Darstellung nach, in der von einer
Untersttzung durch den Jger Sochor kein Wort erwhnt wird praktisch alleine arbeitete,
alles selber machte und sich sogar den Weingeist fr die Tierprparate selbst destillierte,
dauerten die Verpackungsarbeiten bis Mrz 1820. Nach dem Abschluss der Arbeiten wurden
die Kisten nach Santos transportiert, wo sie fr die Einschiffung nach Europa gelagert wurden.
Natterer begleitete den Transport an die Kste und kehrte anschlieend umgehend nach
Ipanema zurck.232
In Ipanema wurden neue Reiseplne geschmiedet. Als Alternative schlug Natterer nun ein Reise
in den Sden der Provinz So Paulo und in die bis dahin gesperrte Provinz Rio Grand do Sul
vor oder zumindest eine Expedition die Kste entlang nach Curitiba (PR). In Rio hatte Natterer
seit kurzem einen Frsprecher, der sich auch in den kommenden Jahren immer wieder sehr fr
230

SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 142-144.


Wenzel Philipp Leopold von Mareschal an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 22.
Dezember 1819, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 4, Konv. 2 (alt Fasz. 6), Berichte Mareschal 1819 IX-XII,
fol. 149r-150v, 151r; vgl. Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 8. Juli 1820, WStLB, HS, 7874.
231

93

ihn einsetzte. Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, eigentlich als Botschaftssekretr nach
Brasilien entsandt, war seit September 1819 vorlufiger sterreichischer Geschftstrger als
Nachfolger des berraschend verstorbenen Botschafters Neveu.233 Mareschal beantragte nun fr
Natterer nicht nur neue Psse und die Erlaubnis, die bisher verbotenen Provinzen zu besuchen,
sondern bat in Wien auch um die Genehmigung, an diesen Reisen selbst teilnehmen zu drfen.
Doch Staatskanzler Metternich wollte nicht auf die Dienste des mit Brasilien bereits vertrauten
und erfahrenen Diplomaten verzichten. Den persnlichen Wnschen Mareschals wurde zwar
nicht entsprochen, aber Natterer erhielt eine Verlngerung seines Aufenthalts um weitere zwei
Jahre.234 Natterer selbst muss wohl gewusst haben, dass dieser Zeitraum kaum ausreichen
wrde, die geplante Reise zu absolvieren, vor allem, wenn man in Rechnung stellte, dass immer
wieder unvorgesehene Verzgerungen eintreten konnten, wie es bisher schon der Fall gewesen
war. War er aber erst einmal weit ins Landesinnere vorgedrungen, so wrde jede Rckberufung
schwierig werden, bzw. angesichts der riesigen Entfernungen ohnehin seinem Gutdnken
berlassen bleiben.

7.5. Natterers dritte Reise: Ipanema Curitiba - Rckkehr nach Rio

Da sich die Realisierung der lang ersehnten Reise nach Zentralbrasilien weiter in die Lnge zog,
wollte Natterer zunchst die Expedition in den Sden der Provinz So Paulo unternehmen. Im
Sommer 1820 verliess er mit seiner Truppe Ipanema. Das genaue Datum lsst sich nicht
belegen, doch ein Hinweis in einem Brief deutet auf den 15. Juli 1820 als Abreisetag hin. Wenn
mglich, sollte die Reise bis in den uersten Sden des Landes und den Lagoa dos Patos (RS)
fhren.235
Natterer reiste mit einer umfangreichen Maultierkarawane, obwohl er einiges an Ausrstung in
Ipanema zurcklassen musste, um die Lasttiere nicht unntig zu beschweren. Ein Brief

232

SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 95-98.


SCHMID: Mareschal (1975) 22-24.
234
Wenzel Philipp Leopold von Mareschal an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 22.
Dezember 1819, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 4, Konv. 2 (alt Fasz. 6), Berichte Mareschal 1819 IX-XII,
fol. 149r-150v, 151r; Weisung an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Wien, 31. Mai 1820, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 5, Konv. 4 (alt Fasz. 7), Weisungen 1820, fol. 15r-17r; SCHMID: Mareschal
(1975) 46f.; KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 230; KANN: Brasilienexpedition (1992) 36.
235
Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 8. Juli 1820, WStLB, HS, 7874; vgl. SCHREIBERS:
Nachrichten II (1822) 103.
94
233

Natterers enthlt eine kurze Beschreibung des Trosses, die einen Eindruck von der
Reisegesellschaft vermittelt:

Ich habe nun 15 Maulthiere und 5 Pferde. 6 Thiere sind mit Koffer, 1 mit 2 neuen
Insektenkasten, jeden zu 10 Laden, 1 mit 2 Krben mit Baumwolle, 1 mit 2 Reservekisten zum
Einpaken, voll mit Baumwolle und leeren Insektenladen, 1 mit der Pumpmaschine in einem Sak
von Ochsenhaut (die Kiste als zu schwer bleibt zurk), auf der andern Seite ein Fass mit
Branntwein, 2 mit Kchengerth und Lebensmitteln, 1 mit Trkisch-Korn fr die Thiere an 2
Tage, 1 mit Matratzen und Schroot. Das brige ist Reserve und zum Reiten. [] Hunde habe
ich vier.236
Erstes Ziel sollte Curitiba (PR) sein, wo Natterer im Laufe des Sommers 1820 eingetroffen sein
muss. ber die Reise von Ipanema nach Curitiba sind keine genaueren Nachrichten erhalten.
Doch es gibt eine kurze Beschreibung der Stadt, in der Natterer einige Monate bis Anfang
Dezember 1820 verbracht hat, um hier seine Weiterreise nach Sden vorzubereiten. In einem
der wenigen erhaltenen Fragmente von tagebuchartigen Aufzeichnungen hielt Natterer seine
Eindrcke von Curitiba fest, das er obwohl Sitz der regionalen Verwaltung als kleine,
rmliche Provinzstadt beschrieb:

Die Huser sind meist von Stein (Granit) und mit Ziegel gedekt, ein paar haben auch 1
Stokwerk. Die Strassen sind schlecht gepflastert. Es hat einen grossen Platz, wo die
Hauptkirche (matriz) steht. [] Die ziemlich breiten Gassen von Curitiva sind ziemlich
uneben. Einige sind an den Husern, und zwar sehr schlecht, gepflastert, fast alle, besonders
der Hauptplatz, mit Gras bewachsen. Die Hauptkirche ist ziemlich gross, doch ohne Thurm
wie die brigen. In den Husern sieht man wenig Wohlstand, Glasfenster giebt es nicht, bloss
hlzerne Gitter vor den Fenstern und Thren, wie bey uns in den Klstern. Meuble giebt es
wenig. Einige Koffers, ein Tisch, einige Sthle, ein Hangmatte nicht immer, ein Bett meist
bloss aus einer Matte bestehend. Die Damen sitzen am Boden oder auf einer ausgebreiteten
Matte mit untergeschlagenen Beinen. Gewhnlich sind sie in rote Mntel gehllt. Auch
Mnner gehen im Mantel im Haus herum.237
Natterer und seinen Leute mussten sich an die Verhltnisse anpassen. Die Expedition hatte
sicher nicht unter Geldmangel zu leiden, aber das konnte den Mangel an Waren, an
Lebensmittel und anderen Ressourcen, der auf dem Land und auch in Curitiba herrschte, nicht
beheben. Es gab wenig zu kaufen. Hauptnahrungsmittel waren Bohnen, hin und wieder mit
236
237

Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 8. Juli 1820, WStLB, HS, 7874.
Tagebuch-Fragment, ca. Juli/Dezember 1820, Archiv MVK
95

Fleisch dazu, etwa ein Huhn oder Rebhhner, die whrend der Jagd nach Objekten fr die
naturwissenschaftlichen Sammlungen erlegt wurde. Natterer schilderte seinem Bruder die
krglichen Bedingungen, unter denen er seine Arbeit verrichtete:

Ich esse nun schon ber ein Jahr alle Tage Fisolen und habe noch keinen Ekel. Freylich ist
noch etwa ein paar Hhnl oder ein chserl dabey, damit sie leichter hinuntergehen, aber das
wird ausbleiben, wenn ich nun von Curitiva durch das serto von Lages gehe.238
Natterer wohnte in Curitiba im Landhaus eines Senhor Jos Lustoso, eine Viertelstunde
westlich der Stadt auf einem Hgel gelegen, von wo aus man der prchtigsten Aussicht
geniesst.239 In Curitiba kamen auch erstmals Gerthe der Wilden in Natterers Besitz. Er bekam
sie von dem deutschen Arzt Renow, der sich hier niedergelassen hatte und der versprach, weiter
nach den begehrten Objekten Ausschau zu halten.240
Natterer sammelte in Curitiba auch Informationen ber Sdbrasilien, besonders Santa
Catarina und die Indianergruppen, die er auf seiner Reise in den Sden zu treffen erwartete.
Es handelte sich vor allem um drei Gruppen wilder Indianer, die Noturoens, die Tactayas
und die Cameh.241 In diesem Bericht wird auch zum ersten Mal ethnologisches Interesse
bei Natterer offenbar, da er anmerkt, er mchte Beobachtungen ber sie anstellen.242
In Curitiba ist auch ein erster direkter Kontakt Natterers mit Indianern nachweisbar. Mit einer
jungen Frau erstellte Natterer erstmals eine seiner Sprachproben, die er in den folgenden
Jahren weiterfhren sollte. Den Wortlisten in Wilhelm Ludwig von Eschweges Journal von
Brasilien (Weimar 1818)243 folgend notierte er Vokabulare verschiedener Indianersprachen.
Zu seinem ersten diesbezglich belegten Versuch in Curitiba hielt Natterer fest:

238

Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 8./14. Juli 1820, WStLB, HS, 7874; vgl. Johann Natterer an
Josef Natterer, [Curitiba], 17. November 1820, WStLB, HS, 7875.
239
Tagebuch-Fragment, ca. Juli/Dezember 1820, Archiv MVK
240
Johann Natterer an Josef Natterer, [Curitiba], 17. November 1820, WStLB, HS, 7875.
241
Johann Natter an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1821, Archiv MVK; Johann Natterer an Karl
von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1821, WStLB, HS, 7876.
242
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1821, WStLB, HS, 7876.
243
ESCHWEGE, Wilhelm Ludwig von: Journal von Brasilien, oder vermischte Nachrichten aus Brasilien, auf
wissenschaftlichen Reisen gesammelt. 2 Bde. (Weimar 1818). Natterer lie sich Eschweges Journal nach
Brasilien schicken, verpackt in ein Blechkistchen, das er vermutlich im Laufe des Jahres 1820 erhalten hatte, vgl.
Johann Natterer an Josef Natterer, Curitiba, 17. November 1820, WStLB, HS, 7875 und Johann Natterer an Karl
von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1821, Archiv MVK. Zu Eschwege vgl. OBERACKER: Der deutsche
Beitrag (1955) 185-188 und 198-200.
96

In Curytiba war damahls bloss eine junge Cameh-Indierin anwesend, die dem juiz gehrte. Sie
hiess ehedessen Ninschirim, war aber nun Rufina getauft. Mittelst dieser und eines Portugiesen,
der lange Zeit in Guarapuaba lebte und ihre Sprache verstand, war ich so glklich, beygefgte
Wrter zu sammeln. Es sind jene, die Herr von Eschwege in seinem Journale anfhrte und die
ich in der Zukunft immer nehmen werde.244
Diese Wortlisten waren lange Zeit verschollen und wurden vor einigen Jahren von Ferdinand
Anders in der Universittsbibliothek in Basel wieder entdeckt. Sie enthalten ein umfangreiches
Konvolut

heute

ausgestorbener

indianischer

Dialekte.

Natterers

Wortlisten

sind

durchnummeriert und enthalten Sprachproben von 72 brasilianischen Nationen.245 Der erste


Eintrag stammt vom 12. November 1820, aufgezeichnet in Curitiba, mitgetheilt von einer
Indierin nahmens Ninschirin.246
Am 17. November 1820 berichtete Natterer seinem Bruder vom Abschluss der Vorbereitungen
fr die unmittelbar bevorstehende Reise in den Sden, in die Wste von Lages (SC).247 Eine
Erkltung mit Fieber und Husten verhinderte die Abreise, und so war Natterer noch in Curitiba,
als vier Tage spter, am 21. November 1820, ein Befehl des kaiserlichen Geschftstrger
Mareschal eintraf, der anordnet, so schnell als mglich nach Rio de Janeiro zurckzukehren.248
Der neue sterreichische Botschafter Bartholomus von Strmer, der in Krze in der Hauptstadt
erwartet wurde, wollte persnlich ber die weiteren Anweisungen fr die groe Reise nach
Mato Grosso entscheiden oder die Expedition ganz auflsen. Alle Planungen Natterers fr die
Weiterreise nach dem Sden waren mit einem Schlag berflssig, seine Erwartungen wieder
einmal enttuscht: Aber wo sind sie nun, dieses glnzenden Hoffnungen auf jene Reichthmer
der Natur, die der Sden mir in Flle versprach. Verschwunden sind sie alle und leider
vielleicht auf immer,249 klagte er in seinem Antwortschreiben an Mareschal.
Ein weiteres Mal wurde Natterer Anfang Jnner 1821 aufgefordert, nach Rio de Janeiro zu
kommen, diesmal bereits von Baron von Strmer selbst, der Ende Dezember 1820 mit dem
sterreichischen Korvette CAROLINA in Rio de Janeiro angekommen war.250 Die portugiesische

244

Johann Natter an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1821, Archiv MVK.
ANDERS: Tschudi (1984) 9; KANN: Wortlisten (1989) 101f.
246
KANN: Wortlisten (1989) 108.
247
Johann Natterer an Josef Natterer, [Curitiba], 17. November 1820, WStLB, HS, 7875.
248
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Curitiba, 26. November 1820, Archiv MVK;
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1821, WStLB, HS, 7876 und Johann Natterer
an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1821, Archiv MVK.
249
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Curitiba, 26. November 1820, Archiv MVK.
250
SCHMID: Mareschal (1975) 58.
97
245

Regierung hatte die Ausstellung der fr die groe Reise ins Innere von Brasilien ntigen Psse
in Aussicht gestellt.251 Wenige Tage spter wurde diese Genehmigung fr die Reise tatschlich
erteilt.252
Zu diesem Zeitpunkt war Natterer schon lngst in die Hauptstadt aufgebrochen. Nachdem er
den Befehl zur Rckkehr erhalten hatte, packte er seine schon reisefertig verpackten
Sammlungen erneut um und verlie Curitiba am 6. Dezember 1820. Seinen Gehilfen Sochor
schickte er in der Zwischenzeit mit allen brigen Maultieren und Pferden, seinen Leuten und der
Ausrstung zurck nach Ipanema, wo dieser weitere Anweisungen abzuwarten hatte. In
Varnhagens Eisenfabrik lagerten noch immer einige Kisten mit gesammelten Objekten und
Teile der Ausrstung, die in der Eile nicht nach Rio transportiert werden konnten. Sochors
Abreise kommentierte Natterer sehr melancholisch, vielleicht ein Ausdruck seiner Unsicherheit
ber den weiteren Verlauf der Expedition: Und so war ich mit einemahle ganz alleine meinem
Schiksale berlassen. Lange verfolgte ich mit dem Fernrohre die langsam ber die Steppen
hinziehende tropa, bis sie endlich eine Waldparthie meinem Auge entzog.253
Natterer selbst reiste mit seinen Sammlungen auf abenteuerlichen Pfaden und Hohlwegen ber
das Kstengebirge nach Paranagu (PR). In seinen Tagebuchaufzeichnungen hielt Johann
Natterer eine eindrucksvolle Beschreibung der gefhrlichen Bergsteige fest:

Es ist fast nicht zu begreifen, wie beladne Thiere ohne den Hals zu brechen diesen Weg machen
knnen. Ich war lngst vom Maulthiere abgestiegen, denn die Gefahr, bey oftmahlig fast
senkrechten Abhngen ber den Kopf des Thieres hinabzustrzen oder in den engen Hohlwegen
mit den obschon immer hoch in die Hhe gezognen Fssen an den Felsen gequetscht zu werden,
war zu gross und selbst zu Fusse war es so schwierig, dass ich nur zu oft mit Hnden an beyden
Seiten mich anhalten musste, um nicht zwischen Steinen hinabzuglitschen und Fuss und Arm zu
zerbrechen. [] Man kann sich unmglich einen Begriff von der Schlechtigkeit dieses Weges
machen, ohne mit eignen Augen sich zu berzeugen. Und damahls, als ich passirte, war nach
Aussage des conductors der Weg gut, da es einige Zeit nicht geregnet hatte, den alsdann
bringen sie oft 8 Tage im Gebirge zu und verlieren Maulthiere, die sich Hals und Bein brechen,
wie hufig angetroffene Gebeine derselben beweisen, oder die im Morast erstiken, wenn sie mit
der Ladung fallen und nicht mehr aufstehen oder die Leute nicht schnell genug herbeyeilen
251

Bartholomus von Strmer an Johann Natterer, Rio de Janeiro, 19. Jnner 1821, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 6, Konv. 1 (alt Fasz. 8), Berichte Strmer 1821 I-V, fol. 20r-20v.
252
Comte de Palmella an Bartholomus von Strmer, Rio de Janeiro, 23. Jnner 1821, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 6, Konv. 1 (alt Fasz. 8), Berichte Strmer 1821 I-V, fol. 93 als Beilage des Briefes von
Bartholomus von Strmer an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 3. Mrz 1821, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 6, Konv. 1 (alt Fasz. 8), Berichte Strmer 1821 I-V, fol. 89r-v, 95r-v.
253
Tagebuch-Fragment, 3. 7. Dezember 1820, WStLB, HS, 7890.
98

knnen.254
Trotz aller Gefahren verga Natterer nicht, Beobachtungen ber das Leben der Landbewohner
und wirtschaftliche Informationen zu sammeln. Er bemerkte, dass die Bevlkerung der
Umgebung von Curitiba hauptschlich vom Anbau von Mate-Tee lebte und daneben nur wenig
Landwirtschaft betrieb, die kaum fr das tgliche berleben reichte:

Zerstreute Huser lagen an den Seiten, fast bey jeden war in einer Umzunung ein kleines Feld
von Waitzen, der schon gelb zu werden anfieng. Vieh sah man einiges, doch schien es mir fr
die grossen Weiden zu wenig. Der Boden ist sehr gut, fast berall schwarze Lemerde, doch
erstrekt sich die Kultur fast nur fr den nthigen Bedarf der Bewohner. Selten wird etwas
Getreide oder Bohnen ausgefhrt, auch vertheuert die hohe Fracht bis Morretes des ungeheuer
schlechten Weges bis Morretes wegen diese Artikel sehr. Der Haupthandel von Curitiva besteht
nun seit 2 Jahren in congonha (Matte). Es wird davon ungeheuer viel in den Umgegenden
gewonnen, und zwar auf eine hchst barbarische Art, nhmlich durch Abhauen der Bume.
Diese Bltter werden berm Feuer getroknet und dann gestaplt und so in aus Rohr geflochtne
Krbe verpakt. Diese Krbe sind aussen mit Khkoth berstrichen, damit nichts durchfllt. So
verwahrt kommen sie bis Paranagua. Dort wird sie gewhnlich in Ske aus Ochsenhuten
(sures) gefllt und nach Montevideo oder Buenos Ayres verschikt, wo sie sehr guten Absatz
findet, da in den letzten Jahren die gewhnliche Zufuhr dieses Thees aus Paraguay gestrt
war.255
Nach vier Tagen gefhrlichster Reise erreichte Natterer die Hafenstadt Paranagu (PR), aber erst
ein Monat spter, am 10. Jnner 1821, konnte er ein Schiff finden, das ihn nach Rio de Janeiro
brachte. Nach weiteren 22 Tagen Seereise traf er Anfang Februar in der Hauptstadt ein.
In Rio de Janeiro waren alle Angelegenheiten nach Wunsch verlaufen. Mareschal konnte
Natterer mitteilen, dass die Reise nach Mato Grosso endlich bewilligt und die Psse bereits
ausgestellt waren. Natterer rechnete mit einem raschen Aufbruch noch im Laufe des Mrz
1821.256 Gemeinsam mit Schott und dem Maler Frick, die sich ebenfalls noch in Rio aufhielten
und die Reise nach Mato Grosso mitmachen wollten, legte Natterer einen neuen Reiseplan samt
Kostenaufstellung zur Erforschung der inneren Provinzen Brasiliens vor. Trotzdem die
veranschlagten Kosten hher waren als in Wien zuvor berechnet, setzte sich der Gesandte

254

Tagebuch-Fragment, 3. 7. Dezember 1820, WStLB, HS, 7890.


Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1821, Archiv MVK; hnliche
Beobachtungen auch in Tagebuch-Fragment, 3. 7. Dezember 1820, WStLB, HS, 7890.
256
Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 3. Mrz 1821, WStLB, HS, 7877.
99
255

Strmer fr eine grozgige Dotierung der Expedition ein.257

7.6. Auflsung der Expedition

In der Zwischenzeit hatten die politischen Spannungen zwischen den in Portugal neu gebildeten
Cortes (dem portugiesischen Parlament) und dem Knig in Brasilien einen neuen Hhepunkt
erreicht. In Porto und Lissabon waren im August und September 1820 Revolten ausgebrochen.
Die Cortes in Portugal verlangten eine Verfassung und die Rckkehr des Knigs, die
Machtverhltnisse zwischen Portugal und Brasilien, zwischen Mutterland und ehemaliger
Kolonie, sollten wieder auf den Status vor 1808 revidiert werden. Am 19. Februar 1821 wurde
in Rio bekannt, dass sich die Provinz Bahia der liberalen Revolution in Portugal angeschlossen
hatte.258 Wenige Tage spter kam es am 26. Februar zu schweren Unruhen in Rio de Janeiro.
Die portugiesische Partei machte in der Folge immer mehr Druck, bis sich schlielich der
Knig zu einer Rckkehr nach Portugal entschloss und am 26. April 1821 Brasilien verlie.259
Fr Natterer hatte das unerwartete Konsequenzen. In der angespannten politischen Situation lie
Baron von Strmer, der die Sicherheit der Forscher gefhrdet sah, alle Planungen fr die
bevorstehenden Reisen abbrechen. berraschenderweise sah er pltzlich die Kosten als zu
hoch, die Erfolgschancen als zu gering an. Die naturwissenschaftliche Expedition wurde fr
aufgelst erklrt, allen Teilnehmern wurde die Rckkehr nach Europa befohlen. Auch eine
letzte Initiative von Schott und Natterer, ihre Reisen mit geringeren Finanzmitteln und unter
Verzicht auf die persnlichen Vorschsse durchzufhren, wurde von Strmer abgelehnt.260 Der
in Rio ansssige Major Wilhelm Christian Gotthelf Feldner261 bot sogar sein eigenes Geld an,
um eine Fortfhrung der Expedition zu gewhrleisten und zumindest das finanzielle Argument
257

Natterer, Schott und Frick an Bartholomus von Strmer, Rio de Janeiro, 7. Februar 1821, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 6, Konv. 1 (alt Fasz. 8), Berichte Strmer 1821 I-V, fol. 90r-91v; KANN:
Brasilienexpedition (1992) 37; KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 232.
258
OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 237.
259
Vgl. zu Revolution und Abreise des Knigs JACOB: Geschichte Brasiliens (1974) 198-201; SCHMID:
Mareschal (1975) 60-67; OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 223-249; BETHEL: Independance (1985)
179-183; BARMAN: Brazil (1988) 67-72; BENNASSAR: Histoire (2000) 191-195.
260
Natterer, Schott und Frick an Bartholomus von Strmer, Rio de Janeiro, 30. April 1821, HHStA,
Oberstkmmereramt, Karton 317 B, Akten 1837, Rubrik 58/3, Beilage zu Zl. 634; vgl Bartholomus von Strmer
an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 5. Mai 1821, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton
6, Konv. 1 (alt Fasz. 8), Bericht Strmer 1821 I-V, fol. 300r-303v.
261
zu Feldner vgl. OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 217; OBERACKER: Der deutsche Beitrag
(1955) 200.
100

zu entkrften. Angebote, die Forschungen im Dienste der englischen Regierung fortzusetzen,


lehnten die sterreicher allerdings ab.262 Natterer konnte nur sein vlliges Scheitern nach Wien
berichten:

Ich darf es gestehen, ich habe alles angewendet, um unsere neue Reise zu Stande zu bringen.
Schott und Frick haben krftig dabey mich untersttzt, doch alles war ohne Erfolg. Herr Baron
Strmer hatte es so beschlossen und wrdigte sich nicht einmahl, eine Ursache uns anzugeben,
warum die Reise durch uns nicht statthaben knne. Wir hatten uns sogar anerbothen, fr die
ganze Reise auf unser Diten und andre Emalumente Verzicht zu thun und mit dem halben
Betrage der fr die Reise ausgewiesenen Bedarfssumme sie zu unternehmen. Doch alles
umsonst.263
Natterer sah in Strmers Befehl zur Heimkehr ein trauriges, schndliches Ende der grossen
sterreichischen Expedition.264 Es war eine groe Enttuschung, zumal die groe Reise ins
Landesinnere zuhause in Wien sogar schon im "sterreichischen Beobachter" angekndigt
worden war.265
Zu Strmer Entscheidung trug offenbar bei, dass er wenig Verstndnis fr die Aufgaben der
sterreichischen Forscher hatte. In einem Brief an Metternich hob er hervor, dass er die
Arbeiten eines Gelehrten wie des preuischen Naturwissenschafters Friedrich Sellow (der zur
selben Zeit eine Reise nach Rio Grande do Sul unternahm) sinnvoll fnde, die Sammelttigkeit
Natterers und seiner Kollegen schien ihm aber mit zuviel Risiko behaftet: Ueberdies ist Sellow
ein Gelehrter und sollten auch seine Sammlungen in Verlust gerathen, so sind seine
Erfahrungen, die er der litterrischen Welt auf die befriedigendste Art mitzutheilen im Stande
ist, hinlnglich, um den Preussischen Hof fr obgenannte Auslagen reichlich zu
entschdigen.266 Diese fast verchtliche Haltung Strmers gegenber den sterreichischen
Reisenden, die in seinen Augen eben keine Gelehrten waren, war auch Natterer bekannt. In
einem seiner Briefe gab er die Position des Gesandten in einem hnlichen Sinne wieder eine
Position, die Natterer nicht nachvollziehen konnte, da ja Zweck und Aufgaben der
262

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 4. Mai 1821, HHStA, Oberstkmmeramt, Karton 317
B, Akten 1837, Rubrik 58/3, Beilage zu Zl. 634.
263
Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, WStLB, HS, 7879.
264
Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, WStLB, HS, 7879.
265
Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, WStLB, HS, 7879.
266
Bartholomus von Strmer an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 5. Mai 1821, Karton 6,
Konv. 1 (alt Fasz. 8), Berichte Strmer 1821 I-V, fol. 300r-303v.
KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 233.
101

sterreichischen Expedition von Anfang an anders definiert gewesen waren. Strmer


argumentierte fr eine Wissenschaft als publiziertes Wissen, whrend die Expedition mit ganz
anderen Zielen ausgeschickt worden war: Ihr ging es um die zu sammelnden Objekte, nicht um
das geschriebene Wort:

berdies war seine hohe Meinung von den Resultaten dieser Reise eben nicht die gnstigste,
denn er meinte, wenn wir so etwas zustandebringen knnten wie Humboldt, so wre wohl auch
der etwaige Verlust der gemachten Sammlungen nicht so schmerzlich und bedeutend, wenn nur
die geschriebenen Beobachtungen blieben. [] Aber da unsere Reise mehr Sammlungen zum
Zweke hat, so knnten wir diese sehr leicht verlieren. Da man uns in Wien zur Reise auswhlte,
so glaube ich, wuste man wohl, dass kein Humboldt unter uns sey und wre es die Absicht
gewesen, einen solchen zu schiken, so htte man uns zu Hause gelassen. Bisher war man mit
unsern nicht-Humboldtschen Arbeiten zufrieden. Ich sehe daher nicht ein, wie es dem Herrn
Gesandten einfllt, solche Meinungen und Urtheile ber uns zu ussern. Es leuchtet aus allem
hervor, dass es ihm nicht der Mhe werth schien, eine solche Summen zu wagen.267
Strmer schickte trotz aller Proteste einen Forscher nach dem anderen nach Europa zurck.
Schon am 16. April 1821 verlie das englische Schiff

NORTHUMBRIA

Rio de Janeiro. Mit an

Bordwaren Pohl, dessen Diener, Schcht, drei Wrter und zwei Mitglieder aus der indigenen
Gemeinschaft der Botokuden.268 Schott folgte wenige Wochen spter. Gemeinsam mit Strmer
verlie er Rio am 21. Juni 1821 an Bord des franzsischen Schiffes

269

EGMONT.

Nur Natterer

blieb zurck. Er hatte sich vehement gegen den Abbruch der Forschungsreisen zur Wehr gesetzt
und es war ihm mit Geschick und Hartnckigkeit gelungen, zumindest einen Aufschub fr seine
Heimreise zu erreichen.

7.7. Auf eine heimliche Art entwischt

Natterers Rettungsanker war der in Ipanema zurck gebliebene Sochor. Im November 1820,
als die Rckkehr nach Rio de Janeiro befohlen worden war, hatte Natterer ja seinen
Jagdgehilfen nach Ipanema geschickt und diese Manahme damit begrndet, dass ein
betrchtlicher Teil der Ausrstung in Ipanema lagerte, der erst sachkundig fr einen Transport

267

Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, WStLB, HS, 7879.
RIEDL-DORN: Natterer (2000) 38f; KANN: Brasilienexpedition (1992) 31.
269
Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, WStLB, HS, 7879; Johann Natterer an Karl
von Schreibers, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, Archiv MVK.
102
268

verpackt werden msste.270 Als Strmer den Abbruch der Expedition anordnete, konnte
Natterer entgegenhalten, er msse vor seiner Abreise noch Sochor und die zurckgelassenen
Sammlungen abholen. Zu guter Letzt bekam er vom Botschafter, was er wollte: Strmer erteilte
ihm den mndlichen Befehl, meine Effekten und Herrn Sochor in Ypanema zu hohlen und ihm
nach Europa zu folgen.271 Natterer hatte vorerst einmal Zeit gewonnen, war aber nicht gesonnen
den Befehlen Strmers widerstandslos Folge zu leisten. Wie schlecht das Verhltnis des
Botschafters mit dem ihm anvertrauten Forscher war, belegt auch eine Schilderung Natterers
ber seinen Abschiedsbesuch bei Strmer, der mit einer gewissen Distanz vor sich ging,
Natterer aber in seinen Absichten noch bestrkte:

Dem Himmel sey gedankt, ich glaube, ich bin seinen Klauen entwischt. Schon noch bey seinem
Hierseyn hatte ich manche Plane im Kopfe, doch musste ich damit geheimhalten. Besonders
noch bestimmte mich vollends die Ankndigung meiner Reise nach Matogrosso im
Oesterreichischen Beobachter, welche Herr Baron von Strmer, als ich meine Abschiedsvisite
machte, mir mittheilte. Er hatte zwar mir selben bloss wegen der Nachricht vom glklichen
Anlangen meines Transportes zum Lesen gegeben und wusste selbst nicht die angehngte
Bekanntmachung der nahen Ausfhrung meines Reiseplanes, denn als ich davon sprach, las er
es denn erst selbst, jedoch ohne darber ein Wort zu ussern. So reifte in mir der feste
Entschluss, nach Krften hinzuarbeiten, um diese Reise so weit es meine schwachen Mittel
erlauben wrden, entweder ganz oder einen Theil zu machen.272
Natterer hatte zwar Zeit gewonnen, das endgltige Ende der Expedition war aber noch nicht
abgewendet. Schon vor Strmers Abreise hatte Natterer versucht, neue Befehle direkt aus Wien
zu bekommen, die Strmers Anordnungen entgegenwirken sollten. In Brasilien hatte Strmer
die Leitung der Expedition inne, aber wenn es gelnge, neue Befehle aus Wien zu bekommen,
die Natterer eine Fortfhrung der Reisen erlauben wrden, ehe er den Befehlen Strmers doch
noch Folge leisten msste, waren seine Reiseplne gerettet. Eindringliche Appelle sollten seine
Vorgesetzten ihn Wien umstimmen:

Es glimmt sogar in mir noch ein Fnkchen einer Hoffnung, dass ich noch von Euer
Hochwohlgeboren hier ein Schreiben erhalten knnte. Es fllt mir so schwer, ganz den
Gedanken, noch in Brasilien zu sammeln, aufgeben zu mssen, dass ich nicht auch noch auf
diese letzte Aussicht noch hoffen knnte. Deswegen ersuche und bitte ich Euer
270

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Curitiba, 26. November 1820, Archiv MVK.
Johann Natterer an unbekannten Hofrat, o.O., [nach 15. September 1835], WStLB, HS, 7889.
272
Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, WStLB, HS, 7879.
271

103

Hochwohlgeboren instndigst, sich fr die Sache so zu verwenden, wie es Ihre bisherigen


wohlmeinenden Gesinnungen gegen uns und Ihr grosses Interesse an den Gedeihen der
Expedition erwarten lassen und mir dann schleunig Verhaltungsbefehle zu schreiben.273
Das Spiel auf Zeit lohnte sich und es trat ein, was sich Natterer erhofft hatte: die politische
Situation in Brasilien beruhigte sich und seine Bemhungen um Untersttzung in Wien hatten
Erfolg. Natterers Gesuch um weiteren Verbleib in Brasilien wurden bewilligt. Metternich trug
dem Kaiser Natterers Anliegen vor und entgegen Natterers Befrchtungen, beide knnten wenig
erfreut ber seine hinhaltende Befehlsverweigerung sein, genehmigte der Kaiser das
Ansuchen, obwohl sich dieser hartnckige Untertan nicht an die Weisungen seiner Vorgesetzten
hielt und recht eigenmchtig handelte.274 Natterer war nmlich in der Zwischenzeit nicht unttig
gewesen. Wohl wissend, dass es vielleicht sechs oder acht Monate dauern knnte, bis eine
Antwort aus Wien in Rio einlangen wrde, kndigte er Direktor von Schreibers an, dass er
sofort mit den Vorbereitungen fr die Reise ins Landesinnere beginnen wollte, um nicht wieder
viel Zeit zu verlieren und ohne die neuerliche, ausdrckliche Erlaubnis dafr abzuwarten:

[] so habe ich nach spterer, reiflicher Uiberlegung gefunden, dass ich rksichtlich der schon
erfolgten Genehmigung meines Reiseplanes nach Mattogrosso von Seiner Majestt dem Kaiser
[], ferner in Anbetracht, dass keine Hindernisse von Seite der hiesigen Regierung stattfinden,
nachdem der Knig dazu die Erlaubniss, nthigen Psse und Empfehlungen ertheilte und
ausfertigen liess, und in der Gewissheit, dass im Innern, entfernt von den Ksten und bey so
geringer Bevlkerung an keine auszubrechende Revolution zu denken ist, dass ich aller dieser
Ursachen wegen nichts verabsumen msste, um - wenigstens, was mich betrifft - jenen
schdlichen Einflssen und Verfgungen auszuweichen oder sie vielleicht wirkungslose zu
machen, und daher, in der sichern Voraussetzung, dass mein Verfahren die Billigung Euer
Hochwohlgeboren erhlt, nicht anzustehen, dem Winke meines Schiksals zu folgen und die
Reise nach Matogrosso zu Lande anzutretten.275

Natterer organisierte sich Geld von Major Feldner und bereitete unbeirrt die Fortfhrung der
Forschungsreisen vor. Alleine seinem Einsatz (und seinem Ehrgeiz) war es zu verdanken, dass
das sterreichische Forschungsunternehmen in Brasilien fortgesetzt wurde, entgegen den
ausdrcklichen Befehlen des Botschafters, aber selbstverstndlich, wie es Natterer darstellte,
immer im Interesse seines Kaisers, der Allerhchsten Majestt:
273

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 4. Mai 1821, HHStA, Oberstkmmeramt, Karton 317
B, Akten 1837, Rubrik 58/3, Beilage zu Zl. 634.
274
KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 234.
275
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, Archiv MVK.
104

In der festen Uiberzeugung, dass sowohl die ohne besonders wichtige Ursache erfolgt
Vernichtung der vereinigten sterreichischen Expedition nach Mattogrosso und Par als das
gnzliche Aufhren der naturhistorischen Mission in Brasilien und Rkkehr aller Mitglieder
nach Europa dem Herrn Dr. von Schreibers und wahrscheinlich auch Seine Majestt dem
Kaiser hchst unangenehm seyn wird und muss, so habe ich trotz den wiewohl nur
mndlichen Befehlen des Herrn Gesandten es fr zwekmssig gehalten, nicht nur nicht nach
Europa zurkzukehren, sondern meinen jetzigen Plane gemss die Reise nach Mattogrosso zu
Lande anzutretten. Demzufolge nahm ich das edle Anerbiethen des Oberstleutnant Feldner in
Anspruch und borgte 4000 fl. C.M. zu 6% Zinsen von ihm mit der Verpflichtung, selbe ihm in
Europa auszahlen zu lassen.276
Vllig sicher war sich Natterer der Untersttzung seines Chefs und der Zustimmung seines
Kaisers zu seinen Plnen jedoch nicht. Seinem Bruder teilte er mit, dass er sogar daran dachte,
im uersten Notfall das Unternehmen alleine mit Hilfe des Kredits von Major Feldner
durchzufhren, in Brasilien zu bleiben und selbstndig zu sammeln:

Nun habe ich noch etwas zu bemerken und dies ist fr den Fall, dass der Kaiser unzufrieden
mit meinem jetzigen Verfahren wre und ich nicht mehr in meine alten Verhltnisse knne
und der Herr von Schreibers selbst nicht Lust htte, mich etwa privatim zu untersttzen, so
mstest du und mein Vater sehen, erstens auf der Stelle die 4.000 fl. C.M. samt Zinsen vom
20. Juny 1821 an zu bezahlen und dann, etwa in einem Jahre oder drber, noch einige
tausend Gulden mir zu schiken, worber ich zuvor dann schreiben werde. Die Sammlungen
gehren dann mir und ich gedenke, selbe dann doch theurer in England zu verkaufen als sie
kosteten, denn in Goyaz und Mattogrosso muss ich doch gewiss 50 unbeschriebene
Thierarten finden, die mir dann Geld bringen.277

Aber soweit kam es nicht. In Rio hatte Natterer zwei Monate vergeblich darauf gewartet, dass
der Maler Frick von Dom Pedro und Dona Leopoldina die Erlaubnis erhalten wrde, ihn auf
seiner Reise ins Ungewisse zu begleiten. Doch Frick musste nach Europa zurckkehren, da
seine Besoldung von Seiten des kniglichen Hofes bzw. Leopoldina eingestellt wurde.278
Im August 1821 verlie Johann Natterer endgltig Rio de Janeiro an Bord des Schiffes
HENRIQUEZ,

versehen mit den ntigen Psse fr eine Reise ins Landesinnere und in der

Hoffnung, die Erlaubnis des Kaisers fr seine Vorhaben zu bekommen. Noch Jahre spter freute
276

Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, WStLB, HS, 7879; vgl. Johann Natterer an
Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, Archiv MVK.
277
Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, WStLB, HS, 7879.
278
KANN: Brasilienexpedition (1992) 30; RIEDL-DORN: Natterer (2000) 35f.
105

sich Natter in einem Brief an Georg Heinrich von Langsdorff sichtlich, dass ihm dieser Plan
gelungen war und er Baron Strmer auf eine heimliche Art [] auswischte.279

7.8. Natterers vierte Reise: Rio - So Paulo - Ipanema

Am 22. August erreichte Natterer So Paulo, einige Tage spter, am 1. September 1821 traf er
in Ipanema wieder mit Dominik Sochor zusammen.280 Natterer und Sochor waren nun die
letzten Vertreter der sterreichischen Expedition in Brasilien. Natterer informierte seinen
Gehilfen von der Auflsung der Expedition durch Baron Strmer und seine eigenen weiteren
Plne. Sochor war nun, nach anfnglichen Bedenken, offenbar doch bereit, die Reisen
fortzusetzen, wie Natterer nach Rio de Janeiro berichtet: Er ist entschlossen, mich auf meinen
fernern Reisen nicht zu verlassen - nicht etwa durch meine Uiberredung, nein, es ist sein freyer
Wille, denn er konnte ja ungezwungen seine Rkkehr whlen. Er will meine Schiksal theilen.
Der Himmel mag es glklich lenken.281
Die folgenden Monate dienten der Planung der so lange hinausgeschobenen Forschungsreise ins
Landesinnere nach Gois und Mato Grosso. Obwohl fr den weiteren Aufenthalt noch keine
offizielle Genehmigung aus Wien eingetroffen war, fhrte Natterer die Vorbereitungen unbeirrt
weiter. Aus der Antwort auf seine enttuschten Briefe nach Wien schien aber fr Natterer klar
hervorgegangen zu sein, dass Direktor von Schreibers erfolgreich seinen Einfluss dahingehend
geltend machen wrde, dass jene so lang projektirte Reise ausgefhrt wrde und dass er gewiss
sein Mglichstes thun wird, um die allerhchste Billigung meines Verfahrens und die nthige
Untersttzung [] zu erwirken.282
Das Vorhaben, noch im November des Jahres 1821 die Reise nach Gois anzutreten, scheiterte
an heftigen Regenfllen und den nur schleppend vor sich gehenden Vorbereitungen. Die
politischen Vernderungen, die zur Loslsung Brasiliens von Portugal fhrten, veranlassten
Natterer im April 1822, an den damals wichtigsten Politiker des Landes zu schreiben, den
Staatsminister Jos Bonifacio de Andrada e Silva. Natterer hatte Andrada whrend seines
279

Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Mai 1827, Archiv
MVK.
280
Johann Natterer an Josef Natterer, Salto, 26. Oktober 1822, WStLB, HS, 7880.
281
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Ipanema, 23. Oktober 1821, Archiv MVK; vgl.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Ipanema, 25. September 1822, Archiv MVK.
282
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Ipanema, 20. April 1822, Archiv MVK.
106

Aufenthalts auf der Eisenfabrik in Ipanema zwischen 1819 und 1820 kennen gelernt und ihn im
September 1821 in So Paulo wieder getroffen, als dieser Vizeprsident der dortigen Junta
war.283 Vorausschauend bat Natterer um die Ausstellung neuer Psse fr seine Reise, da er
frchtet, die von der alten (portugiesischen) Regierung ausgestellten Papiere knnten im Zuge
der Unabhngigkeitsbestrebungen Brasiliens ihre Gltigkeit verlieren. In demselben Sinne
wandte er sich auch an den Kronprinzen Pedro.284
Im Sommer 1822 traf endlich die allerhchste Erlaubnis, die Reise fortzusetzen,285 in Ipanema
ein und einer baldigen Abreise stand nichts mehr entgegen. Aber, wie Natterer zutreffend
bemerkte: Mattogrosso, das so lange erwnschte, liegt noch so weit.286

8. NACHRICHTEN AUS BRASILIEN

Whrend Natterer und Sochor als letzte Vertreter der sterreichischen Forschungsexpedition
in Brasilien blieben und weitere Reise vorbereiteten, wurden in Wien Plne gemacht, wie die
wissenschaftliche Ausbeute der Expedition einer breiten ffentlichkeit prsentiert werden
knnte. Nach der Rckkehr der ersten Wissenschafter 1818 bzw. 1821 und der Ankunft der
ersten Transporte mit naturkundlichen Materialien konnte mit der Auswertung der
Forschungsergebnisse und dem Aufbau neuer Sammlungen begonnen werden.

8.1. Wissenschaftliche Auswertung der Reisen

Mikan verffentlichte seine naturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse 1820 in dem Werk


Delectus florae et faunae Brasiliensis in Prag. Eine Bentzung der Bestnde der
Brasiliensammlung fr zoologische Arbeiten wird ihm jedoch verboten mit dem Hinweise, da
dies Natterers Domne sei und er sich nicht mit fremden Feder schmcken solle.287 Dennoch
283

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Ipanema, 20. April 1822, Archiv MVK.
Johann Natterer an Jos Bonifacio de Andrada e Silva, Ipanema, 20. April 1822, Archiv MVK; Johann
Natterer an Kronprinz Pedro, o.O., o.D, Archiv MVK.
285
Johann Natterer an unbekannten Hofrat, o.O., [nach 15. September 1835], WStLB, HS, 7889.
286
Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 30. September 1822, WStLB, HS, 7880.
287
BLAAS: sterreichs Beitrag (1976) 31 und Anm. 59.
107
284

war Mikan mit dieser Publikation allen anderen Mitgliedern der Expedition zuvor gekommen,
auch den bayerischen Naturforschern Spix und Martius, die den ersten Band ihres Reisewerkes
1823 verffentlichten.288 1833 brachte Mikan einen Band mit dem Titel Kinder meiner Laune
heraus, der neben Gedichten und Anekdoten auch eine Zusammenfassung seiner Brasilienreise
enthielt.289
Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Expedition war von vielen Schwierigkeiten begleitet, in
der wissenschaftliches Konkurrenzdenken und persnliche Querelen eine Rolle spielten. Bisher
wurde

im

Besonderen

darauf

hingewiesen,

dass

die

staatliche

Frderung

der

Publikationsttigkeit mig gewesen sei290 und dass es nur eine knausrige Finanzierung durch
den Kaiser291 gegeben habe. Anhand der Geschichte der Verffentlichung von Pohls
Reisebericht konnte Claudia Schweizer allerdings zeigen, dass durchaus finanzielle
Untersttzung und guter Wille vorhanden waren, die Ergebnisse der Brasilienexpedition auch in
entsprechender Weise der ffentlichkeit zu prsentieren.
Johann Baptist Emanuel Pohl sollte unter der obersten Leitung (und Kontrolle) Metternichs das
reprsentative Reisewerk ber die Brasilienexpedition herausgeben. Natterer wurde die Aufgabe
zugedacht, nach seiner Rckkehr einen zweiten Teil zu verfassen. Zeichnungen von Thomas
Ender waren als Illustrationen fr die Prachtausgabe vorgesehen. Wegen finanzieller und
organisatorischer Probleme, Differenzen mit Verlegern und gesundheitlichen Problemen Pohls
verzgerte sich jedoch die Verffentlichung. Eine Zusammenarbeit und gemeinsame
Herausgabe mit Spix und Martius scheiterte trotz Bemhungen von Kaspar von Sternberg an
der mangelnden Kooperationsbereitschaft der beteiligten Autoren. Auch die Konkurrenz
zwischen Staatsrat Andreas von Stifft, Leibarzt des Kaisers und Frderer Pohls, und Karl von
Schreibers, dem Direktor des Naturalienkabinetts, erwies sich nicht als frderlich fr das
Unternehmen. Dennoch wurde mit finanzieller Untersttzung durch Kaiser Franz I. (und spter
Ferdinand I.) und mit Hilfe Sternbergs 1832 der erste Band von Pohls Reise im Inneren von
Brasilien publiziert.292

288

SPIX, Johann Baptist MARTIUS, Carl Friedrich Philipp: Reise in Brasilien auf Befehl Sr. Majestt
Maximilian Joseph I., Knigs von Baiern in den Jahren 1817 -1820 unternommen, 3 Bde. (Mnchen 18231831).
289
MIKAN: Kinder meiner Laune (1833) bes. 96-170.
290
BLAAS: sterreichs Beitrag (1976) 31.
291
KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 253.
292
SCHWEIZER: Zur Geschichte der sterreichischen Brasilienexpedition (1998/99) 75-85.
108

Zwei Jahre spter starb Pohl. Der zweite Band des Reiseberichts, der dadurch Fragment blieb,
erschien 1837, ohne Natterers Reisen zu bercksichtigen. Die Ergebnisse seiner botanischen
Arbeiten in Brasilien verffentlichte Pohl in dem zweibndigen Werk Plantarum Brasiliae
icones et descriptiones hactenus ineditae (Wien 1827-1831).
Insgesamt erscheint das Ausma der publizierten Ergebnisse in den ersten Jahren der
Expedition eher drftig. Nach Mikans botanischem Werk von 1823 vergingen neun Jahre, bis
eine weitere groe Publikation zur Brasilien-Reise erschien. Zoologische Arbeiten waren
berhaupt aufgeschoben, bis Natterer aus Brasilien zurckkehren sollte. Ein wesentlicher Teil
der ffentlichen Legitimierung der Expedition und der Darstellung der Leistung der
sterreichischen

Forscher

spielte

sich

in

Ermangelung

groer

wissenschaftlicher

Publikationen ber lange Jahre in den sterreichischen Zeitungen und Zeitschriften ab.

8.2. Zeitungsnachrichten ber die Brasilien-Expedition

Die Zeitschriftenpublizistik spielte im 19. Jahrhundert eine wesentliche Rolle bei der
Verbreitung der Reiseberichte und somit auch fr die Ausprgung des Amerikabildes.293
Zeitungen und Zeitschriften vermittelten Nachrichten ber den Fortgang der Reisen und trugen
wesentlich zur Verbreitung geographischer, naturkundlicher und ethnologischer Kenntnisse bei.
Auch die Wiener Zeitungen nahmen zum Teil lebhaften Anteil an den Fortschritten des
Brasilienunternehmens. In der Berichterstattung spielte der Anspruch, die Leser auch zu
unterhalten, eine wichtige Rolle. Noch vor Beginn der Reise drckte eine Wiener Zeitschrift
die Hoffnung auf neue Erkenntnisse und Nachrichten aus einem fernen Weltteil aus. Die
Naturwunder jenes Feenlandes, worin ein ewiger Frhling herrscht, werden uns bald nher
gebracht [] werden,294 heit es in einem Artikel, der jedoch weniger ein Interesse an
wissenschaftlichen Neuigkeiten zeigt, sondern Brasilien als Schauplatz exotischer
Sensationen prsentiert.
In der Dienstinstruktion fr die Forscher war vorgesehen, Verffentlichungen nur mit
Zustimmung der Zentralleitung in Wien zu gestatten, da man politische Interpretationen der
293

MOKRE, Jan: Reisen nach Amerika: Naturwissenschaft Technologietransfer Kunst Tourismus. In:
WAWRIK, Franz ZEILINGER, Elisabeth MOKRE, Jan HHNEL, Helga (Hg.): Die Neue Welt. sterreich
und die Erforschung Amerikas. Ausstellungskatalog (Wien 1992) 101.
294
Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 27, 2.April 1817, 220.
109

Schriften der Forscher, die in so groer Nhe zur Erzherzogin und portugiesischen
Kronprinzessin

standen,

vermeiden

wollte.

Zudem

war

es

wohl

Absicht

der

Expeditionsleistung, eine vorzeitige Verffentlichung wissenschaftlicher Leistungen und


Ergebnisse zu verhindern.
Dennoch spiegelte sich das ffentliche Interesse in zahlreichen Zeitungsberichten in der
sterreichischen Presse wider. Bei aller Vorsicht war wohl auch den Initiatoren der
Expedition daran gelegen, von Zeit zu Zeit Nachrichten ber den Fortgang der
Unternehmungen in bersee zu verbreiten. Da sich die Zentralleitung der Expedition in Wien
die Publikation von Briefen und Berichten der Teilnehmer vorbehalten hatte, konnten diese
Nachrichten nur mit Zustimmung von Schreibers und Metternich an die Zeitungsredaktionen
gelangen.
Als Folge der unvermutet raschen Rckkehr der meisten Forscher kamen Gerchte auf, die
gesamte Expedition sei gescheitert. Ein Bericht in der Zeitschrift Isis gab diese Zweifel
wieder: Da es anfnglich mit der Reise der sterreichischen Naturforscher in Brasilien nicht
recht vorwrts gehen zu wollen schien; so fing man an, das Vertrauen zu wichtigen Resultaten
zu verlieren und uerte dieses selbst in ffentlichen Blttern. Wir freuen uns nun, sowohl uns,
als Andere getuscht zu sehen,295 schrieb ein namentlich nicht genannter Verfasser. Zugleich
wurden die Leistungen der sterreichischen Forscher (unter Auslassung der Unternehmungen
Mikans) lobend hervorgehoben:

Es haben die sterreichischen Naturforscher nicht nur am lngsten in Brasilien ausgehalten,


sondern sie haben auch, [], mehr zusammengebracht, als irgend einer, der in Brasilien
gewesen ist, []. Das was Natterer, Pohl und Schott beobachtet, gesammelt und eingeschickt
haben, erregt billig Erstaunen und wird, [], sowohl die Ehre Oesterreichs, als der
Naturgeschichte groen Vorschub geben.296
Schreibers bemhte sich, diesen Zweifeln mit dem Gang in die ffentlichkeit
entgegenzuwirken. In der Zeitschrift Vaterlndische Bltter fr den sterreichisches
295

Isis von Oken, Heft VII (1823) 714. Aus dem Gesamtzusammenhang geht hervor, dass der Artikel nicht von
Schreibers oder dem Wiener Umfeld der Expedition stammt. Der Verfasser vermerkt etwa, dass ihm die
einschlgigen Berichte in der Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode zugeschickt worden
waren, aus denen er in der Folge ausfhrlich zitiert. Die hufigen Bezge zu Schreibers Publikation
Nachrichten von den sterreichischen Naturforschern (1822) drften Schreibers als Autor ebenso ausschlieen
wie die kritischen Anmerkungen zur Expedition insgesamt.
296
Isis von Oken, Heft VII (1823) 714.
110

Kaiserstaat (einem zweimal wchentlich erscheinenden Blatt, dass topographische


Beschreibungen, Reiseberichte, historische Notizen und Berichte ber neue Literatur
publizierte)

lie

Schreibers

die

aus

Brasilien

gesendeten

Berichte

der

Forscher

verffentlichen.297 Spter publizierte er diese Briefe v.a. jene von Mikan, Schott und Natterer
gesammelt in den Nachrichten von den sterreichischen Naturforschern in Brasilien und den
Resultaten ihrer Betriebsamkeit (1820/22). In diesem Werk wurden unter dem Titel
Tagebcher des k.k. Grtners, Hrn. H. Schott in Brasilien, von dessen Reisen in die Campos
am Paraiba und Paraibuna = Flusse und durch den Distrikt von Canta Gallo; dann nach Macau
und am Flusse gleichen Nahmens, Von Rio de Janeiro aus als Anhang des zweiten Bandes
auch die zusammengefassten Reiseerinnerungen von Heinrich Schott verffentlicht. Fr eine
Verffentlichung der Tagebcher Pohls fehlte zu diesem Zeitpunkt die Zustimmung des
Autors.298
Die Artikel in den Vaterlndischen Blttern erzielten brigens in Brasilien eine
unbeabsichtigte Wirkung. Sie lsten bei Dominik Sochor einen Eifersuchtsanfall aus, sodass
Johann Natterer seinen Bruder bitten musste: Vaterlndische Bltter schike mir nicht mehr,
oder versiegle sie aigens, denn der Schwachkopf S. hat sich gewaltig aufgehalten, dass er darin
bloss als Jger behandelt und hat [] auf nun eben nicht hfliche Art die Schuld mir und
meinen Berichten beygelegt.299
Auch andere Wiener Zeitungen zeigten in unterschiedlichem Ausma Interesse an der BrasilienExpedition. Wer in Wien Nachrichten ber Brasilien und die sterreichische Expedition lesen
wollte (oder konnte), dem standen etwa 20 Zeitungen, Zeitschriften und periodische Bltter zur
Auswahl300 und in einigen dieser Publikationen war sogar regelmig Berichterstattung ber
297

Vaterlndische Bltter (VB), Nr. 1, 3. Jnner 1818, 1-4; VB, Nr. 2, 7. Jnner 1818, 4-8; VB, Nr. 10, 4. Februar
1818, 37-40; VB, Nr. 11, 7. Februar 1818, 41-44; VB, Nr. 16, 25. Februar 1818, 61-64; VB, Nr. 17, 28. Februar
1818, 65f.; VB, Nr. 22, 18. Mrz 1818, 85-88; VB, Nr. 23, 21. Mrz 1818, 89; VB, Nr. 33, 25. April 1818, 129131; VB, Nr. 70. 2. September 1818, 277-280; VB, Nr. 98, 9. Dezember 1818, 389-391; VB, Nr. 1, 2. Jnner 1819,
1-4; VB, Nr. 5, 16. Jnner 1819, 21-24; VB, Nr. 76, 22. September 1819, 301-304; VB, Nr. 77, 25. September
1819, 305-308; VB, Nr. 78, 28. September 1819, 309-312; VB, Nr. 85, 23. Oktober 1819, 337-340; VB, Nr. 86, 27.
Oktober 1819, 341-344; VB, Nr. 87, 30. Oktober 1819, 345-348; VB, Nr. 99, 9. Dezember 1820, 391-394; VB, Nr.
100, 13. Dezember 1820, 395-398; VB, Nr. 101, 16. Dezember 1820, 401f.; VB, Nr. 102, 20. Dezember 1820, 403405; VB, Nr. 103, 23. Dezember 1820, 407-409.
vgl. KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 249.
298
SCHWEIZER: Zur Geschichte der sterreichischen Brasilienexpedition (1998/99) 74.
299
Johann Natterer an Josef Natterer, [Curitiba], [Juli November 1820], WStLB, HS, 7853.
300
SCHMIDL, Adolph: Wien, wie es ist. Ein Gemlde der Kaiserstadt und ihrer nchsten Umgebung in
Beziehung auf Topographie, Statistik und geselliges Leben, mit besonderer Bercksichtigung wissenschaftlicher
Anstalten und Sammlungen (Wien 1833) 125.
111

Brasilien zu finden.
Die Wiener Zeitung, die seit 1703 erschien, verffentlichte neben den wichtigsten politischen
Neuigkeiten aus dem In- und Ausland die offiziellen Verlautbarungen des Kaiserhauses. Seit
1812 war die Wiener Zeitung das offizielle Organ der Regierung und publizierte die
Kundmachungen der Regierung, Standeserhhungen, Ernennungen und Ordensverleihungen
sowie Nachrichten ber die kaiserliche Familie. Im Jahr 1817 erschienen in der Wiener
Zeitung einige Berichte ber die Brasilien-Expedition, aber sobald sich die Expedition aus dem
politisch relevanten Bereich entfernte, nmlich nach der Eheschlieung der Kronprinzessin,
verschwand die Expedition aus den Seiten des Regierungsorgans. Nachrichten ber die
politischen Entwicklungen im fernen Brasilien fanden aber weiterhin ihren Weg in die
Berichterstattung der Wiener Zeitung.
Interessierte Leser konnten etwa auch den sterreichischen Beobachter konsultieren, ein
halbofficielles Blatt, rein monarchischer Tendenz,301 das seit 1810 erschien und vor allem
Nachrichten aus dem Ausland brachte. Wie dem sterreichischen Beobachter und den
anderen Zeitungen zu entnehmen ist, kamen viele Berichte aus dem Ausland von mehr oder
weniger zuflligen Korrespondenten, deren Briefe an die Zeitungen direkt gelangten oder an die
Verleger weitergeleitet worden waren. Die Quellen wurden in der Regel nicht direkt genannt,
aber es drfte sich wohl in den meisten Fllen um Diplomaten und reisende Kaufleute gehandelt
haben, welche die sterreichischen Bltter mit Nachrichten aus entlegenen Weltgegenden
versorgten. Die bewegten politischen Verhltnisse in Brasilien wurden zum Beispiel im
sterreichischen Beobachter durchaus aufmerksam verfolgt, wenn auch die Neuigkeiten erst
mit erheblichen Versptungen von mehreren Wochen oder sogar Monaten in Europa bekannt
wurden. Die Leser der wichtigsten sterreichischen Zeitungen konnten sich also ein Bild von
den allgemeinen politischen Entwicklungen im fernen Brasilien machen. Und auch ber die
Geschicke der sterreichischen Expedition wurde berichtet.
Die Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode verdient in diesem
Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit. Wie der Titel verrt, erschienen in diesem
Periodikum Berichte ber Theaterauffhrungen im In- und Ausland, Literaturkritiken,
literarische Beitrge in Form von Gedichten, Kurzgeschichten oder Aphorismen. Am Ende
jeder Ausgabe dieser Zeitschrift, die seit 1816 in der Regel jeden zweiten Tag erschien, folgten
301

Oesterreichische National-Encyklopdie, Bd. IV (1836) 104.


112

Stiche, meist mit neuesten Mode-Modellen fr Damen und Herren, aber auch mit Abbildungen
etwa eines neuen Kutschentyps oder modischen Biedermeier-Interieurs. Die Stiche, so hie es,
htten an Eleganz nicht ihres Gleichen.302 In diesem breiten Angebot wurden auch Artikel
publiziert, die sich mit den neuesten Forschungen in den verschiedensten Wissenschaften
auseinandersetzten, Berichte ber historische Ereignisse, neue technische Errungenschaften und
Meldungen aus dem Bereich der Naturwissenschaften.303 Die schon erwhnt Verffentlichung
einer Zusammenfassung des damals aktuellsten Reiseberichts ber Brasilien von John Mawe in
dieser Zeitschrift ist ein Hinweis darauf, dass diese Zeitschrift mit entsprechendem Interesse des
Publikums und einem Bedrfnis nach Information rechnete.
Nach den aufregenden Ereignisses des Jahres 1817 lie die Berichterstattung ber Brasilien
nach, aber die Rckkehr von Pohl im Jahr 1821 fhrte zu neuen Artikeln ber Pohls Reisen, die
aus

Brasilien

mitgebrachten

Botokuden-Indianer

und

andere

Brasilische

Naturmerkwrdigkeiten.304 Vier Jahre spter nahm die Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur,
Theater und Mode ihre Berichterstattung ber Brasilien wieder auf und verffentlichte Briefe
von Johann Natterer aus den Jahren 1821 und 1824. Ausdrcklich verwies der ungenannte
Herausgeber, bei dem es sich wahrscheinlich um Direktor Karl von Schreibers handelt, auf die
vorangegangenen Verffentlichungen von Brasilienberichten in den Vaterlndischen Blttern in
den Jahren 1817-1820 und die von Schreibers publizierten Nachrichten von 1820/22, die nun
durch die Verbreitung von Natterers Briefen in der Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur,
Theater und Mode weitergefhrt werden sollten.305 Auer einem im Februar 1827
verffentlichten Brief von Johann Natterer vom Juni 1826306 folgten allerdings fr mehrere
Jahre keine weiteren Nachrichten ber Brasilien. Erst 1830 bernahm es Leopold Fitzinger, ein
Kollege Natterers im Naturalienkabinett, die Berichte des Brasilien-Forschers in sterreich
bekannt zu machen. In mehreren Folgen fasste er die wichtigsten Briefe Natterers aus den
302

SCHMIDL: Wien (1833) 126.


Zu den regelmig wiederkehrenden Meldungen in dieser Zeitschrift zhlten etwa auch Ankndigungen ber
die bevorstehende Blte verschiedener exotischer Pflanzen in den kaiserlichen Gewchshusern von
Schnbrunn.
304
Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 125, 18. Oktober 1821, 1064; Wiener
Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 138, 17. November 1821, 1167-1168; Wiener Zeitschrift
fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 145, 4. Dezember 1821, 1217-1221; hier bes. Wiener Zeitschrift fr
Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 146, 6. Dezember 1821, 1225-1229.
305
Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 113, 20. September 1825, 937-940; Wiener
Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 114, 22. September 1825, 945-949; Wiener Zeitschrift
fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 115, 24. September 1825, 953-959.
303

113

Jahren 1826 bis 1829 zusammen und informierte so die interessierte ffentlichkeit von den
Aktivitten des unermdlichen Forschers.307 Wer also zum Beispiel die Wiener Zeitschrift fr
Kunst, Literatur, Theater und Mode las, konnte wenn auch in groen Zeitabstnden
Natterers Reisen in Brasilien verfolgen und sich ber die wichtigsten Stationen und Ergebnisse
seiner Unternehmungen unterrichten. Pohl mochte sich zwar darber lustig machen, dass die
Berichte ber Natterers Reisen in einer Modezeitung308 verffentlicht wurden, doch da es zu
dieser Zeit in sterreich keine einschlgige naturwissenschaftliche Fachzeitschrift gab,309 waren
Zeitschriften wie diese eine, wenn auch fr das Fachpublikum vielleicht nicht besonders
prestigetrchtige Mglichkeit, wissenschaftliche Informationen an ein interessiertes Publikum
zu bringen.
Es darf aber auch nicht vergessen werden, dass diese Zeitungsberichte noch vor Erscheinen der
Werke Pohls verffentlicht wurden. Mit der Publikation von Natterers Berichten in einer
Zeitschrift konnte ein Beweis fr die erfolgreichen Aktivitten der sterreichischen
Brasilienexpedition vorgelegt werden, an der ja offenbar immer wieder Zweifel laut wurden.
War es auch nicht mglich, die Ergebnisse der Reisen in wissenschaftlichen Publikationen
vorzulegen, gab es wenigstens diesen schriftlichen Beleg. Vielleicht sah man in Wien die
Gefahr, gegenber anderen, rascher publizierenden Wissenschaftern wie zum Beispiel Spix und
Martius in Hintertreffen zu geraten. Die Verffentlichung in Zeitungen konnte in diesem
Zusammenhang helfen, die sterreichischen Ansprche auf wissenschaftliche Erfolge und
Leistungen abzusichern.

9. DAS BRASILIANISCHE MUSEUM

Die ersten Berichte und Transporte aus Brasilien waren so viel versprechend im Sinne des

306

Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, 14, 1. Februar 1827, 105-109.
Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 144, 2. Dezember 1830, 1161-1165; Wiener
Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 145, 4. Dezember 1830, 1169-1172; Wiener Zeitschrift
fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 14 , 1. Februar 1831, 105-109; Wiener Zeitschrift fr Kunst,
Literatur, Theater und Mode, Nr. 15, 3. Februar 1831, 113-117.
308
SCHWEIZER: Zur Geschichte der sterreichischen Brasilienexpedition (1998/99) 84 und 95 (App. 15).
309
NEBEHAY: Naturwissenschaften (1987) 454.
114
307

Sammlungsauftrages, dass der Kaiser sie unverzglich sehen wollte, und er lie der Botschaft in
Rio anordnen, der naturhistorischen Expedition eine besondere Sorgfalt zu widmen, sowohl
wegen der fr die Wissenschaft und die genauere Kenntnis jener interessanten Gegenden zu
hoffenden Resultate, als auch insbesondere wegen der vorzglichen Aufmerksamkeit und
Teilnahme, welche S.M. der Kaiser dem Fortgange und Gedeihen derselben zu schenken
geruhen.310
Die sterreichischen Forscher schickten im Laufe ihres Aufenthalts in Brasilien umfangreiche
Ladungen von Kisten mit gesammelten Objekten nach Wien. Mit den beiden sterreichischen
Fregatten AUSTRIA und die AUGUSTA, die Rio de Janeiro am 1. Juni 1818 verlieen, kehrten die
ersten Expeditionsteilnehmer mit den ersten Sammlungen nach Wien zurck. Im Mrz 1819
nahm der aus Brasilien zurckkehrende Hofchirurg Kammerlacher eine Lieferung von
naturwissenschaftlichen Objekten mit nach Wien. Im April folgte eine weitere Sendung mit den
von Pohl und Natterer erworbenen lebenden Tieren und Sammlungen, die am 8. November
1819 aus Brasilien in Wien eintraf.

9.1. Die Grndung des Brasilianischen Museums

Die Rumlichkeiten des Naturalienkabinetts am Josefsplatz waren jedoch bei weitem nicht
mehr in der Lage, die eintreffenden Objekte aus Brasilien zu beherbergen. Direktor Karl von
Schreibers stellte sogar Rume seiner eigenen Dienstwohnung fr deren Unterbringung zur
Verfgung, aber als im Jnner 1821 der nchste Transport mit 29 Kisten eintraf, drohte
Schreibers damit, die Kisten bei der Maut liegen zu lassen, wenn er nicht neue Rumlichkeiten
dafr bekommen wrde.311 Der Kaiser war grundstzlich gegen die Schaffung eines eigenen
Brasilianischen Museum, sondern er strebte die Zusammenfhrung aller Sammlungen im
Naturalienkabinett an, was einer Mitteilung an Kanzler Metternich zu entnehmen ist:
Uibrigens bin ich nicht gesinnt, eine eigene Brasilianische Sammlung zu errichten, sondern,
wenn die Reise nach Brasilien und die dabey gemachten Entdeckungen beschrieben seyn
werden, so will ich, dass wenn es ja nicht eher geschehen kann, alle Gegenstnde des Natur310

Weisung an k.k. Botschaft, Wien, 12. Juni 1820, HHStA, Staatskanzlei, Dipl. Korr., Brasilien, Fasz. 6.
Zur Grndung des Brasilianischen Museums vgl. FITZINGER: Geschichte, III. Abt. (1868) 25-27;
KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1990) 242-246.
115
311

Thier-Mineralien-Reichs, welche bey der Brasilianischen Reise erhalten worden, meinem


Naturalienkabinete, wohin sie auch gehren, einverleibt werden, da es dadurch
vervollstndiget wird, was ich auch durch diese Reise bezwecken wollte,312 lie der Kaiser
ausrichten.
Dennoch brauchte man zumindest eine vorbergehende Lsung. Angesichts des Umfangs der
eintreffenden Lieferungen erkannte schlielich auch Franz I. die Notwendigkeit, zur Aufstellung
der neuen Sammlungen einen geeigneten Platz zu finden. Schreibers wurde mit der Suche
beauftragt, und im April 1820 wurde ein Teil des Harrachschen Hauses in der Johannesgasse
Nr. 972 (heute Wien I., Johannesgasse 7) fr einen Jahresbetrag von 2000 Gulden angemietet.
Hier wurde das Brasilianische Museum eingerichtet, das Schreibers als Dependance des
Naturalienkabinetts mit verwaltete. Die aus Brasilien eingelangten Sendungen wurden
umgehend vom Naturalienkabinett am Josefsplatz in das neue Haus in der Johannesgasse
bersiedelt. 1821 wurde das Brasilianum im 2. Stock des Harrachschen Hauses erffnet.
Nach Pohls Rckkehr im Oktober des selben Jahres wurde eine grere Ausstellung
veranstaltet, in der neben den naturwissenschaftlichen und ethnologischen Objekten auch 567
Aquarelle und Zeichnungen Thomas Enders und ber 1000 Pflanzenzeichnungen Michael
Sandlers

gezeigt

wurden.

Auer

den

Magazinen

und

Laboratorien

standen

13

Ausstellungsrume zur Verfgung. Den grten Raum nahmen mit sieben Zimmern die
zoologischen Objekte ein. Ein Raum zeigte die Sugetiere, drei Zimmer standen fr Vgel zur
Verfgung, den Reptilien und Fischen je eines. Im siebten Zimmer waren Insekten,
Spinnentiere, Schalentiere, Eingeweidewrmer und Schdelprparate ausgestellt. Die
botanische Abteilung umfasste drei Zimmer, zwei Zimmer zeigten die mineralogische
Sammlung, die nicht systematisch, sondern geographisch aufgestellt war. Pohl wurde (auf
Vermittlung des kaiserlichen Leibarztes von Stifft und unter Umgehung des zustndigen
Direktors Karl von Schreibers) mit der Leitung der botanisch-mineralogischen Abteilung
beauftragt, Johann Natterers Bruder Josef betreute die zoologische Abteilung.313 In einem
besonderen Raum zwischen der zoologischen und der mineralogisch-botanischen Sammlung
wurden die ethnographischen Objekte aus Brasilien gezeigt, deren Beschreibung andeutet, wie
umfangreich diese Sammlung schon einige Jahre vor dem Abschluss der Expedition war:
312

zit. nach KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 244.


Vgl. Brasilianisches Museum in Wien. In: Isis von Oken, Beilage 9 (1823); Versammlung der Naturforscher und
Aerzte in Wien. In: Isis von Oken, Heft IV-VI (1833) 306-310; Oesterreichische National-Encyklopdie, Bd. I
(1835), 370f; SCHMIDL: Wien (1833) 162-170; FITZINGER: Geschichte, III. Abt. (1868) 32-35.
116
313

Auer diesen gehaltvollen Sammlungen von den Naturprodukten Brasiliens, werden hier
auch die Kunsterzeugnisse, Kleidungsstcke, Waffen, Gerthe und Utensilien von den
Eingebornen dieses Welttheiles aufbewahrt, und zwar nicht nur von den kultivirten und
civilisirten, den Kreolen, sondern insbesondere von den zahlreichen, abgesondert lebenden,
in Sitten, Sprache und Gewohnheiten sehr von einander abweichenden, ursprnglichen
Bewohnern, wilden Vlkerstmmen und Horden, welche die Naturforscher auf ihren Reisen
ins Innere des Landes kennen zu lernen Gelegenheit hatten. So von den Puris aus der
Kapitanie von Rio de Janeiro; den Koroados, Kayapos, Chavantes u.s.w. aus jener von
Goyaz; den Botokudos und den Maxakalis von Minas geraes; den Kamehes aus der Kapitanie
von San Paul; den Bororos, Guanas, Apiakas, Parecis u.a. aus jener von Matogrosso; den
Muras, Mundurukus, Karipunas u.a. aus der Kapitanie von Para, und den Maranhas aus
jener von Rio negro; im Ganzen von 35 verschiedenen Vlkerschaften und Horden, nebst
noch fnf aus dem an Brasilien grnzenden, ehemals spanischen Antheile von Sd-Amerika.
Diese hchst interessante ethnographische Sammlung ist in einem eigenen Zimmer in groen
Wandksten mit Glasthren aufgestellt.314
Wie sich zeitgenssische Bewertungen und Deutungen der brasilianischen Ethnien, ihrer
Kulturen und Gesellschaften in der professionellen und in ihrem Selbstverstndnis objektiven
Museumsarbeit und ihrer Darstellung im Museum widerspiegeln, muss ich weitgehend offen
lassen. Auch die berlieferten Beschreibungen der Sammlungen im Brasilianische Museum,
ihrer Aufstellung und Prsentation sind zu allgemein, um daraus haltbare Thesen ber die
Museumsarbeit und die methodischen Anstze der Museumsgestalter in Bezug auf das
ethnographische Material zu entwickeln. ber die naturhistorischen Sammlungen lsst sich
zumindest sagen, dass sie (auer der mineralogischen Abteilung) systematisch geordnet waren.
Die Prparate der Vogelsammlung waren nach Temminck geordnet und benannt, und in der
zoologischen Abteilung wurde als Besonderheit beobachtet, dass bei jenen Objekten, die nicht
von Natterer gesammelt worden waren, der Name des Naturforschers beigefgt war.315
Um eine Vorstellung von den riesigen Ausmaen der brasilianischen Bestnde zu bekommen,
gengt ein Blick in die Inventarlisten. Schott brachte insgesamt 222 Amphibien, 19.140
Insekten, 196 Samen, 9.554 Pflanzen und 199 Holzmuster nach Wien. Pohl Sammlungen
umfassten sechs Sugetiere, sechs Vgel, 22 Amphibien, 49 Fische, 214 Insekten, 200
314

SCHMIDL: Wien (1833) 172f.


Brasilianisches Museum in Wien. In: Isis von Oken, Beilage 9 (1823). Die damals magebenden Werke von
Temminck waren TEMMINCK, Coenraad Jacob: Manuel d'ornithologie, ou tableau systmatique des oiseaux
qui se trouvent en Europe, precd d'une analyse du systme gnral d'ornithologie et suivi d'une table
alphabtique des espces (Paris 1820-1840) und TEMMINCK, Coenraad Jacob: Nouveau recueil de planches
colories d'oiseaux pour servir de suite et de completement aux planches enlumines de Buffon dition Folio et
in 4 de l'imprimerie royale 1770 (Paris 1820-1838).
117

315

Conchylien, 10 Mollusken, vier Glser mit Eingeweidewrmern, 100 Samen, 31.746


Pflanzen und 4.464 Mineralien, dazu 115 Waffen und Gerte. Die Sendungen, die Natterer
nach Wien schickte, waren noch umfangreicher. Die ersten beiden Transporte, die im
November 1818 bzw. November 1819 in Wien eintrafen enthielten 80 Sugetiere, 867 Vgel,
135 Amphibien, 67 Fische, 3.585 Insekten, 20 Krustazeen, 450 Conchylien, 14 Mollusken
und Strahltiere, 188 Glser Eingeweidewrmer, sieben Schdel und fnf Mineralien. Bis zu
seiner Abreise ins Landesinnere 1822 stellte Natterer noch vier weitere Transport zusammen,
was zur Folge hatte, dass sich in den Rumlichkeiten des Naturalienkabinetts tausende neu
erworbene naturkundliche Objekte stapelten.316
Ein Artikel in der Zeitschrift Isis reagierte auf die Grndung des Museums. Der Autor sah es
als besondere Bereicherung fr die Wissenschaften an, dass im Zuge der Expedition nicht nur
eine Menge neuer Dinge entdeckt sind, welche die Wissenschaften bereichern, sondern vor
allem, dass mit der Grndung des Brasilianischen Museums ein Ganzes, was den eigentlichen
Werth ausmacht, in einen kleinen Raum beysammen ist, welches die Vergleichung mglich
macht, und berhaupt allein geeignet ist, einen Begriff von dem Charakter der Natur eines so
merkwrdigen Landes zu verschaffen.317 Die Aufstellung der aus Brasilien geschickten Objekte
an einem Ort machte fr den Autor Wissenschaft erst mglich, denn darin sah er die beste
Voraussetzung fr eine der wesentlichen Grundlagen naturwissenschaftlicher (vor allem
zoologischer und botanischer) Erkenntnis, dem Vergleich von hnlichkeiten und
Unterschiedlichkeiten der einzelnen Arten. Der Artikel stellte die Wiener Sammlungen sogar im
internationalen Vergleich als so hervorragend dar, wie sie auer Paris wohl nirgends zu finden
sind.318 Zugleich wurde in diesem Zusammenhang auch Kritik am Naturalienkabinett und
seinen Forschungen laut. Der Autor forderte mehr Beachtung der vergleichenden Anatomie und
besonders der Sammlung von Skeletten, ohne deren Vergleichung, besonders der Schdel, in
der Zoologie nicht mehr weiter zu kommen ist.319 Auch habe die in Wien gepflegte
Beschreibung einzelner naturkundlicher Objekte nicht mehr den Wert wie frher. Zwar bestritt
der Autor die Bedeutung systematischer Beschreibung nicht, aber von viel grerer Bedeutung
seien das Ordnen und das Auffinden der Gesetze der Natur in ihrem Zusammenhang und
316

Vgl. Totalbersicht des Gehaltes aller aus Brasilien whrend den Jahren 1817-1836 von den K.K.
Naturforschern eingeschickten Sendungen, Februar 1837, Archiv MVK..
317
Isis von Oken, Heft VII (1823) 714.
318
Isis von Oken, Heft VII (1823) 714.
118

Ganzen.320

9.2. Das Brasilianum als Publikumsmagnet

Das Interesse fr die brasilianischen Sammlungen war anfangs sehr gro. Es gab genau
geregelte Besuchzeiten und Eintrittskarten. Leopold Fitzinger, als Angestellter des Hauses
bestens mit den Umstnden vertraut, beschreibt, wie der Zugang fr die ffentlichkeit
organisiert war. Whrend es fr das allgemeine Publicum bestimmte ffnungszeiten gab,
konnten Experten nach Vereinbarung jederzeit Zutritt zu den Sammlungen erhalten:
Fr den ffentlichen Besuch des brasilianischen Museums war der Sonnabend jeder Woche
bestimmt, mit Ausnahme eines eingetretenen Feiertages, und zwar die Zeit von 9 Uhr frh bis
12 Uhr Mittags; doch war dem Publicum der Zutritt nur gegen besondere Eintritts-Karten
gestattet, die man bei den Custoden Josef Natterer und Dr. Johann Emanuel Pohl erhalten
konnte. Gelehrte, Fachmnner, einzelne Wissenschaftsfreunde und Fremde, fanden nach
vorausgegangener Anmeldung bei den Custoden, auch an anderen Tagen freien Zutritt. Die
Eintritts-Karten waren von dem Formate gewhnlicher Visit-Karten und bestanden in dem
Abdrucke einer Kupferplatte mit folgender Aufschrift: EintrittsKarte in das k.k. brasilianische
Museum. Johannesgasse, Nr. 972 im 2. Stock.321
Im Lauf der Jahre wuchsen die Bestnde des Museums um das neunfache des Umfanges zur
Zeit der Erffnung an. Das Angebot an neuen, noch nicht wissenschaftlich beschriebenen
Tierarten fr die Forschung war enorm. Das Brasilianische Museum zeigte auf dem Hhepunkt
der Sammelttigkeit um 1830 insgesamt 144 Sugetierarten, davon war etwa ein Drittel neu und
noch unbeschrieben. Daneben waren 970 Vogelarten (250 davon noch unbeschrieben) zu sehen,
167 Amphibienarten (ca. 60 unbeschrieben), 256 Fischarten (ca. 100 unbeschrieben) und ber
8000 Insektenarten (ca. 4000 unbeschrieben), sowie eine Eingeweidewrmersammlung mit
Parasiten aus mehr als 1000 verschiedenen Tierarten.322
Beim 10. Deutschen Naturforschertag in Wien von 18. bis 27. September 1832 war das
Brasilianische Museum eine der Hauptattraktionen. Die kaiserlichen naturwissenschaftlichen
Sammlungen, darunter das Brasilianische Museum, waren an drei Tagen ausschlielich fr die

319

Isis von Oken, Heft VII (1823) 714.


Isis von Oken, Heft VII (1823) 715.
321
FITZINGER: Geschichte, III. Abt. (1868) 34f.; vgl. SCHMIDL: Wien (1833) 173.
322
SCHMIDL: Wien (1833) 163-168.
320

119

Tagungsteilnehmer geffnet.323 Joseph Natterer hielt whrend der Tagung einen Vortrag ber
die Reisen seines Bruders in Brasilien und die Ergebnisse seiner Forschungen und verteilte
unter den Teilnehmern eine Karte, auf denen die Reisen von Pohl und Natterer eingezeichnet
waren 324
1834 wurde die ethnographische Abteilung durch Objekte von weiteren 24 Ethnien aus
Natterers Lieferungen vergrert. Aber das Interesse lie nach. Mit dem Tod der Kaiserin
Leopoldine im Jahr 1826 war eine wichtige Verbindung zwischen sterreich und Brasilien
verloren gegangen.325 Und Johann Natterer und Dominik Sochor, die einzigen noch in Brasilien
verbliebenen sterreicher, waren seit Jahren im Landesinneren unterwegs. Immer seltener
trafen Nachrichten von ihren Unternehmungen in Wien ein.

10. DIE GROSSE REISE (1822-1823)

Die Fremde hat ein fremdes Leben und wir knnen es


uns nicht zu eigen machen, wenn es uns gleich als
Gsten gefllt.
Johann Wolfgang von Goethe an Johann Gottfried
Herder, Venedig, 14. Oktober 1786. In: Johann
Wolfgang von Goethe: Tagebuch der Italienischen
Reise 1786. hg. u. erl. v. Christoph Michel
(Frankfurt/Main 1976) 197.

Im Oktober 1822 hatte Johann Natterer die letzten Vorbereitungen fr seine Forschungsreise
in die Provinzen von Minas Geraes und Mato Grosso abgeschlossen. Die vor ihm liegende
Expedition erwartete Natterer mit einer Mischung aus gespannter Vorfreude und
323

Oesterreichische National-Encyklopdie, Bd. IV (1836), 29-31; Tagungsberichte in Wiener Zeitschrift fr Kunst,


Literatur, Theater und Mode, Nr. 129, 27. Oktober 1832, 1033-1038; Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur,
Theater und Mode, Nr. 130, 30. Oktober 1832, 1041-1046 und Versammlung der Naturforscher und Aerzte in
Wien. In: Isis von Oken, Heft IV-VI (1833) 292-580; vgl. KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 260.
324
Versammlung der Naturforscher und Aerzte in in Wien. In: Isis von Oken, Heft VI (1833) 546-548;
FITZINGER: Geschichte, III. Abt. (1868) 71; PICHLER: Schreibers (1993) 72 meint, diesen Vortrag htte
Johann Natterer gehalten, der sich aber zu diesem Zeitpunkt noch in Brasilien aufhielt.
120

Unsicherheit.

Jetzt, ein paar Tage vor meinem Scheiden, fhle ich es an einer ngstlichen Beklommenheit, wie
heimisch mir die Fabrik geworden ist. Es ist, als ob ich mein Vaterland, als ob ich mein eigen
Haus verliesse. Das Lrmen der Hmmer, das Getn der Arbeitsgloke, die Trommel, so
schlecht sie gerhrt wird, alles dies klingt so angenehm. Ein paar Tage noch und es hat fr
mich ausgeklungen. Gnne mir diese wenigen ruhigen Tage, vielleicht waren sie die letzten. Es
ist wie jene pltzliche Windstille, die vor grsslichen Strmen herrschen.326
Illusionen ber die Schwierigkeiten, die vor ihm liegen, machte er sicht nicht. In Hinblick auf
den Auftrag seiner Sammelreise wurde dies aber aufgewogen durch die Aussicht auf die
erhoffte Beute fr das Naturalienkabinett. Einige mhselige Jahre werde ich nun verleben, unter
einem brennenden Klima, unter vielen Entbehrungen, mit vielen Sorgen, schreibt Natterer an
seinen Bruder: Jedoch auch reichhaltig wird die Ausbeute seyn.327

10.1. Reisevorbereitungen

Der Reiseplan fr Natterers nunmehr fnfte Reise sah vor, mit einer Maultierkarawane nach
Zentralbrasilien bis nach Gois (GO) und dann sich westwrts wendend nach Cuiab (MT)
vorzustoen und anschlieend, wenn mglich, einen der sdlichen Amazonaszuflsse entlang
zum Amazonas zu reisen. Die Berichte ber die Vorbereitungen und die anschlieende Reise
ins Landesinnere geben Gelegenheit darzustellen, mit welchen vielfltigen organisatorischen
und logistischen Problemen die Durchfhrung ein solches Unternehmen verbunden war.
ber die Schwierigkeiten, die ihn auf dieser Reise erwarten wrden, konnte Natterer nur
Vermutungen nach Wien berichten. In Ipanema verfasste Natterer neue Reiseplne, die er an
Direktor Karl von Schreibers nach Wien zur Genehmigung schickte. Viele der Faktoren, die fr
das Gelingen der Reise wichtig waren, konnte Natterer nur sehr vage beschreiben. Das lsst
darauf schlieen, dass es fr ihn sehr schwer gewesen sein muss, verlssliche Informationen
ber die Situation im Landesinneren zu bekommen. Natterer konnte zum Beispiel keine
gesicherten Angaben darber machen, welches die beste Reisezeit sei, um nach Cuiab in Mato
Grosso zu gelangen. Am Rande erwhnte er auch, dass auf dieser Reise die Gefahr bestnde,
325

KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1992) 246f.


Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 30. September 1822, WStLB, HS, 7880.
327
Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 30. September 1822, WStLB, HS, 7880.
326

121

von Indianern, feindlichen Wilden, berfallen zu werden, aber exaktere Informationen ber das
Ausma der Risikofaktoren fehlten ihm. Die von ihm geplante Fahrt von Cuiab auf dem Rio
Tapajs zum Amazonas hing berhaupt von dem Vorhandensein geeigneter Ruderer vor Ort in
Cuiab ab. Natterer konnte sich nicht sicher sein, ob er bei seinem Eintreffen dort eine
Bootsmannschaft vorfinden wrde. Und wenn diese Flussfahrt nicht zu Stande kommen wrde,
msste Natterer umkehren und auf dem Landweg die rund 600 Kilometer weite Strecke von
Cuiab nach Gois zurckgehen. Erst von Gois aus gbe es fr ihn eine zweite Mglichkeit,
entlang des Rio Tocantins zum Amazonas und nach Belm (PA) zu gelangen.328 Fr diese
Eventualitten mussten Vorkehrungen getroffen werden. Insgesamt musste Natterer zugeben,
dass ihm fr die Planung nur wenige gesicherte Informationen zur Verfgung standen. Auch die
Dauer der geplanten Reise konnte er nur schtzen, denn so formulierte es Natterer von dem
wahrscheinlichen Anlangen oder Aufenthalt in diesen Gegenden kann ich nicht einmahl
Muthmassungen schreiben, da ich mit den sie regulirenden Umstnden nicht bekannt bin.329
Dass die Vorhaben trotz der vielen Muthmassungen genehmigt wurden, mag daran liegen, dass
auch der Expeditionsleitung in Wien klar war, dass ein derartiges Unternehmen ohnehin nur mit
viel Risiko und vielen Unsicherheiten realisiert werden konnte.
Ein betrchtliches Problem stellte die Versorgung des Reisenden mit Geld dar. Zunchst konnte
kein Weg gefunden werden, wie der neue sterreichische Geschftstrger Baron von Mareschal
von Rio de Janeiro aus die notwendigen Summen fr Natterer an irgendeinem Ort im
Landesinneren verfgbar machen konnte. Eine Anweisung per Kreditbrief in die
Provinzhauptstadt Gois, das nchste groes Ziel der Expedition, erwies sich als nicht
durchfhrbar. Ein schlechter Wechselkurs, Bankkommissionen und Wechselprmien htten
groe Verluste bei der Auszahlung zur Folge gehabt. Ein Monat lang verhandelte Natterer
erfolglos mit Bankiers und Kaufleuten in Sorocaba (SP), bis schlielich ein Vertrag mit einem
Buchhalter der Eisenfabrik von Ipanema abgeschlossen wurde: Antnio Joaquim de Lemos
Gomes verkaufte Natterer 110 wilde Maultiere und nahm dafr Natterers Wechsel in Zahlung.
Der Plan sah vor, die Maultiere in Gois (mit Gewinn) wieder zu verkaufen, da dort Bedarf an
Tragtieren bestand. Anfang Juli 1822 bernahm Natterer die Maultierherde, was weitere
Vorbereitungen notwendig machte. 36 Maultiere wurden gezhmt und zugeritten, um als
328
329

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Ipanema, 25. September 1822, Archiv MVK.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Ipanema, 25. September 1822, Archiv MVK.
122

Lasttiere verwendet zu werden.330


Maultiere waren neben Ochsenkarren die wichtigsten Transportmittel fr die langen und
schwierigen Reisen und die Befrderung von Lasten im brasilianischen Hinterland, vor allem
dort, wo Wasserlufe als Verkehrswege nicht in Frage kamen, wie z.B. in den Kstenregionen
oder auf den Wegen ins Landesinnere nach Minas Gerais, Gois oder Mato Grosso, die meist
quer zu den wichtigsten Flusslufen verliefen. Natterer hatte schon auf seinen ersten Reisen
Erfahrungen mit Maultierkarawanen gesammelt. Nie beschftigten ihn jedoch die Probleme mit
der Gre der tropa (Maultierkarawane) und andere damit verbundene Schwierigkeiten so sehr,
wie whrend des langen Marsches von ca. 1.000 km von Ipanema nach Gois.
Es ist wahr: die nunmehr hinzugewachsene tropa vermehrt meine Sorgen betrchtlich, gesteht
Natterer ein.331 Auch die Beschaffung der notwendigen Ausrstung und die Verpflichtung des
zur Fhrung einer so groen Maultierkarawane bentigten Personals gestaltete sich aus Mangel
an tauglichen Leuten332 schwierig. ber ein Jahr verbrachte Natterer in Ipanema mit den
Vorbereitungen fr diese Reise. Im Hinterland Brasiliens herrschte Mangel an allem und
Natterer musste sich widerwillig in Geduld fassen. In einem seiner Berichte rechtfertigt er
die hufigen Verzgerungen mit den schwierigen Verhltnissen im Land: Leider muss ich fast
jeden Tag die traurige Erfahrung machen, wie wenig man hier, in einem noch halb wilden
Lande, ber die Umstnde gebiethen und wie wenig man etwas im Vorhinein bestimmen
kann.333

10.2. Sklavenarbeit fr den Kaiser

Die Maultierkarawane, mit der Natterer nun durchs Land ziehen wollte, wurde von
brasilianischen Fhrern (camaradas) begleitet. Am Beginn der Reisen ins Innere Brasiliens
330

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Ipanema, 25. September 1822, Archiv MVK; Johann Natterer an
Josef Natterer, Ipanema, 30. September 1822, WStLB, HS, 7880; Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold
von Mareschal, Ipanema, 12. Juli 1822, Archiv MVK; in einem Bericht von Wenzel Philipp Leopold von
Mareschal an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 12. September 1822, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 7, Konv. 2 (alt Fasz. 8a), Berichte 1822 VII-XII, fol. 72r schickt dieser
Natterers Brief nach Wien, mit dem Vermerk auf der Rckseite: Diese Beilagen wurden zur Gewinnung der Zeit
dem Herrn Kabinetsdirector von Schreibers b.m. mitgetheilt. Wien, 8. December 1822. Natterers Bericht selbst
fehlt im Akt und drfte mit der restlichen Korrepondenz Schreibers verbrannt sein.
331
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Ipanema, 12. Juli 1822, Archiv MVK.
332
Tagebuchfragment 5. Oktober 30. Oktober 1822, Archiv MVK.
333
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Ipanema, 20. April 1822, Archiv MVK.
123

im Herbst 1822 gehrten beispielsweise sechs Leute zu Natterers Karawane. Auf der
anschlieenden Reise von Gois (GO) nach Cuiab (MT) 1823/24 beschftigte Natterer 7
Kerle, die sich um seine Maultiere und Pferde kmmerten.334 Und fr Natterer arbeiteten
auch Neger, wie er es in der Sprache seiner Zeit ausdrckte, d.h. gemietete Angestellte oder
Sklaven. In der Mannschaft, die 1822 mit Natterer Ipanema verlie, befanden sich auch zwei
von Natterer gekaufte Sklaven.335 Einer davon war ein gewisser Joz, africano do naco
Congo, den Natterer 1820 von Friedrich Wilhelm Ludwig Varnhagen, dem Direktor der
Eisenfabrik in Ipanema, erworben hatte. Der noch erhaltene Vertrag belegt einen Kaufpreis
300.000 Reis, die Natterer diesen etwa zwanzigjhrigen Afrikaner bezahlte.336
Der zweite Sklave drfte ein Junge namens Luiz gewesen sein, den Natterer bereits in Rio de
Janeiro gekauft hatte.337 In Cuiab (MT) fgte Natterer spter seiner Truppe einen weiteren
Sklaven hinzu. An dem ihm zustehenden Besitz- und Verfgungsrecht lie er keinen Zweifel
aufkommen, die Mitnahme nach Europa nach seinem Gutdnken mit eingeschlossen: Ich
habe nun noch einen Schwarzen gekauft. Er ist ein hbsche Junge von etwa 12 - 13 Jahren von
Mozambique, den will ich mitbringen, wenn er am Leben bleibt,338 teilte Natterer seinem Bruder
mit. Der Vorteil, den rechtlose Sklaven fr ihn hatten, lag fr Natterer auf der Hand: Meine
europischen Bedienten habe ich schon lange nicht mehr, da sie mehr den Herrn machten als
ich.339
Aus seiner Abneigung gegen die brasilianischen Arbeitskrfte, die camaradas, und vor allem
die Sklaven, die er kaufte, machte Natterer kein Hehl. Die meisten Erwhnungen von
Brasilianern afrikanischer Herkunft in Natterers Aufzeichnungen sind negativen Inhalts. Hufig
gebrauchte Zuschreibungen sind Ungeschick und Faulheit340 Umstnde, die von Natterer bei
Bedarf auch als Rechtfertigung fr Verzgerungen whrend der Reisens bentzt wurden: Die
angestammte Saumseligkeit, Sorglosigkeit und Faulheit der gemietheten sogenannten
334

Johann Natterer an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824 / 18. Februar 1825, WStLB, HS, 7882.
Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 30. September 1822, WStLB, HS, 7880.
336
Kaufvertrag fr einen Sklaven, Ipanema, 12. Juli 1820, Archiv MVK.
337
WALLACE, Alfred Russel: A Narrative of Travels on the Amazon and Rio Negro. (London/New
York/Melbourne 2 1889) 77f. und 148; vgl. BECKER-DONNER, Etta: Die brasilianischen Sammlungen. In:
Brasiliens Indianer. Ausstellungskatalog (Wien 1971) 5; RIEDL-DORN: Haus der Wunder (1998) 117.
338
Johann Natterer an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824 / 18. Februar 1825, WStLB, HS, 7882.
339
Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 8./14. Juli 1820, WStLB, HS, 7874.
340
vgl. Tagebuch-Fragment, 16.-25. September 1823, Archiv MVK; Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold
von Mareschal, Gois, 27. August 1823, Archiv MVK; Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von
Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 28. Mai 1827, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv.
335

124

camaradas, so wie auch meiner eignen Neger sind Schuld, dass ich in diesem Augenblike meine
Sachen und Vorbereitungen noch in einem Zustande sehen muss, der mich nicht hoffen lsst,
diese Monath von hier abzukommen,341 hie es etwa in einem der Briefe aus den Monaten vor
der Abreise aus Ipanema. Diese Einschtzung teilte Natterer mit seinem Kollegen Johann
Emmanuel Pohl, der von der Trgheit und Unwissenheit des Volkes, zumal der
Negersklaven342 in Brasilien sprach. Stereotypen dieser Art gehrten zu den gelufigen
Vorurteilen, mit denen Europer seit den ersten Entdeckungen Afrikanern und besonders
den Sklaven begegnen. Der Mentor der europischen Forschungsreisenden in Brasilien in
dieser Zeit, der russische Generalkonsul Georg Heinrich von Langsdorff selbst Besitzer eines
Landgutes

nahe Rio

de Janeiro

und

Sklavenhalter

fasste seinen Standpunkt

unmissverstndlich zusammen, und zwar in einem Ratgeber fr Auswanderer. Langsdorff


preiste die Vorteile der Sklaverei und stellte die Versklavung als wichtigen Fortschritt in der
Zivilisierung der unterjochten Afrikaner dar:

Die Englnder mgen noch so viel aus Menschlichkeit gegen den Sclavenhandel predigen, so
werden sie am Ende einsehen, da sie zu ihrem eigenen Schaden dagegen geeifert haben. Ich
halte es fr eine weit verdienstlichere und Gott wohlgeflligere Handlung, aus einem rohen
Neger einen civilisirten Christen zu bilden und ihn zu einem brauchbaren Brger zu machen,
als diese Menschen in ihrem Irrthum, Unglauben und ihrer Rohheit in Afrika zu lassen. Daher
sehe ich es auch allerdings noch als einen besonderen Vortheil an, den Brasilien bietet, da
man dort Sclaven kaufen kann, die eben als das Hauptcapital der Gutsbesitzer von jedem
Eigenthmer schon des eigenen Nutzens wegen physisch und moralisch gut erzogen und
menschenfreundlich gepflegt werden mssen.343
Die Debatte um die Abschaffung der Sklaverei wurde seit Beginn des 19. Jahrhunderts nicht
nur in Grobritannien sehr heftig gefhrt. Im Zuge des Wiener Kongresses 1814/15 wurde am
8. Februar 1815 eine (in der praktischen Umsetzung wirkungslose und rechtlich unverbindliche)
Erklrung der Gromchte ber die Abschaffung des Sklavenhandels verffentlicht. Im
Vorfeld hatten die Gegner der Sklaverei auch in Wien fr ihre Ziele geworben und mit
3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 26r-41r.
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Ipanema, 20. April 1822, Archiv MVK.
342
POHL: Reisen II (1832) 612; vgl. auch Tagebuchfragment 26. Mrz 9. April 1823, Archiv MVK, in dem
Natterer pauschal urteilt: [] so faul wie die Brasilianer; vgl. BITTERLI: Die Wilden und die Zivilisierten
(1991) 371-373.
343
LANGSDORFF, Georg Heinrich von: Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803-1807
(Frankfurt/Main 1812) 22; Langsdorff verkaufte die Sklaven seines Landgutes (fazenda) Mandioca spter an
die Betreiber von Diamanten-Minen, vgl. KOMMISSAROV: Tagebcher (1977) 140.
125
341

Aufklrungskampagnen ber die Lebensumstnde der Sklaven viel Aufsehen erregt.344 Ob


Natterer davon Kenntnis hatte, ist nicht bekannt. Eine Auswirkung auf seinen Umgang mit der
Sklavenfrage hatten diese Entwicklungen offenbar nicht. Natterer akzeptierte die herrschenden
Machtverhltnisse, ohne die gewaltttige Behandlung der Versklavten in Frage zu stellen.
Widerstndigkeit der Sklaven gegen die aufgezwungenen Arbeitsleistungen sah er als illegitime
Pflichtverletzung, das Fehlverhalten legitimierte seiner Ansicht nach Gewaltanwendung und
Zchtigung:

[] der eine [Sklave] ergab sich stark dem Trunke, [] Schon zweimahl besoff er sich, wenn
er um Lebensmittl hereinkam, band die Maulthiere im Gebsch an und kehrte nach der Stadt,
wo er die ganze Nacht soff und vielleicht auch noch den andern Tag nicht wrde
zurkgekehrt seyn, wenn man mir nicht Nachricht gegeben htte. [] Das erste Mahl liess
ich ihm 30 heruntermessen, worauf er einige Monathe gutthat. Jedoch das zweyte Mahl hatte
ich es ihm strker zugedacht, doch entwischte er mir, da er einen Frbitter brachte.345
Natterer erweckt den Eindruck, als fgte er sich nicht blo in die in Brasilien herrschenden
Gegebenheiten. Wie vielen seiner Zeitgenossen fehlte ihm ein differenziertes Verstndnis fr
das grausame Schicksal der Versklavten. Er verteidigte die Sklavenhaltung und kritisierte das
Verhalten der Sklaven, ohne die Umstnde in Betracht zu ziehen, die eine ablehnende oder
feindselige Haltung der verschleppten Afrikaner verstndlich machen wrden. Persnlich
betroffen beschwerte er sich ber die schwierige Zusammenarbeit mit den Sklaven, ohne die
Ursachen fr die Problematik zu sehen. Die zeitgenssische Diskussion um die Abschaffung
der Sklaverei und die menschenunwrdige Situation der Sklaven wischte er vom Tisch:

So viel man ber die Behandlung der Sklaven geschrieben und geschrien hat, so sollte man
nur jene Menschen hren und urtheilen lassen, die solche besitzen. Je mehr man ihnen
Freyheit lsst und je besser man sie behandelt, desto schlechter ist es. Davon berzeugt man
sich tglich und an mir selbst habe ich dies hinlnglich erfahren.346
Gerade angesichts dieser uerungen schien es mir wichtig, darauf hin zu weisen, dass die
sterreichische Brasilien-Expedition in hohem Mae von der Mitarbeit brasilianischer
344

BERDING, Helmut: Die chtung des Sklavenhandels auf dem Wiener Kongress 1814/15. In: Historische
Zeitschrift 219 (1974) 265-289, bes. 284.; vgl. BITTERLI: Die Wilden und die Zivilisierten (1991) 427432.
345
Johann Natterer an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824, WStLB, HS, 7882.
346
Johann Natterer an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824, WStLB, HS, 7882.
126

Arbeitskrfte getragen wurde. Sie machten Natterers Forschungsreisen erst mglich. Sklaven
und angemietete Helfer waren nicht nur als Trger, Ruderer oder Maultierknechte eingesetzt,
sie untersttzten auch die wissenschaftlichen Arbeiten als Jger oder beim Anfertigen der
Tierprparate.347 Schon whrend der ersten Reisen in Brasilien hatte Natterer einen
afrikanischen Helfer namens Joo Nepomuceno Rego als Insektensammler beschftigt.348
Soweit mir bekannt ist, gab es keine Anweisung fr die kaiserlichen Expeditionsreisenden,
nur gemietete Bedienstete einzustellen und auf Sklavenarbeit zu verzichten. Der Kauf und der
Besitz von Sklaven wurden toleriert, das in Brasilien herrschende Sklavenhaltersystem wurde
offenbar akzeptiert.

10.3. Die Reise von Ipanema nach Gois - Ein trauriges Leben

Im Herbst 1822 waren die Vorbereitungen fr die lange geplante Reise ins Landesinnere von
Brasilien beendet. Whrend der verschiedenen Reise-Phasen der folgenden Jahre lernte
Johann Natterer alle Komplikationen und Mhseligkeiten kennen, die Reisende in den
infrastrukturell wenig erschlossenen Regionen des Mittelwestens auf sich nehmen mussten.
Strrische Maultiere, schlechte Quartiere, die nur unzureichend vor der Witterung schtzen,
wilde Tiere, Insektenplagen, Versorgungsprobleme, Angst vor wilden Indiern, Krankheit und
Einsamkeit waren stndige Begleiter. Diese Umstnde stellten hohe Anforderungen an die
physischen und psychischen Krfte der Reisenden. In einem Brief hob Natterer seine
besondere Eignung fr die Fortsetzung der Forschungsttigkeit in Brasilien hervor und
definierte damit die Voraussetzungen, die ihn seiner Meinung nach fr diese Aufgabe
qualifizierten:

[] abgehrtet gegen die wiedrigen Einflsse des hiesigen Klimas, [] vertraut mit der Art,
hier zu Landes zu reisen, gewhnt an die im Innern gebruchliche schlechte Lebensart. []
bewandert in der hiesigen Sprache und [mit dem, K.S.] besten Willen, den vollsten Muth, auch
unter den kritischsten Umstnden (wenn dergleichen wirklich wren) die Reise zu
347

z.B. Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 30. September 1822, WStLB, HS, 7880: Da einer von
meinen Negern und ein freyer Neger, [], das Abziehen knnen, so kann ich nur mich mit mehr Fleiss auf jenen
Theil der Zoologie legen.
348
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, vor 5. Juli 1820, Ipanema, Archiv MVK; Johann
Natterer an Karl von Schreibers, Wien, 4. April 1837, HHStA, Oberstkmmereramt, Karton 317 B, Akten 1837,
Rubrik 58/3, Zl. 634.
127

unternehmen.349
Die detaillierten Aufzeichnungen Natterers ermglichen einen Einblick in den Alltag seines
Unternehmens. Weniger seine wissenschaftliche Arbeit steht hier im Vordergrund, sondern die
Bedingungen, unter denen er sie durchzufhren hatte und die organisatorischen und
infrastrukturellen Gegebenheiten, die sie ihm ermglichten.
Natterer begann seine neue Reise mit 147 Maultieren, vier Pferden, zwei weiteren Stuten und
einem Hengstfohlen, der fters samt den alten zu mir ins Zimmer komt und Trkisch-Korn mir
aus der Hand frisst.350
ber die mitgefhrte Ausrstung ist in den erhaltenen Briefen, Notizen und TagebuchFragmenten wenig zu erfahren. Die Jagdwaffen, die Pumpmaschine [fr die so genannte
Windbchse, K.S.] und meine Gewehre nehmen 4 Koffers ein, das ist Ladung fr 2 Esel.351
Auch fr die Prparierung besonders von Eingeweidewrmern war eine umfangreiche
Ausrstung ntig. Zur Aufbewahrung seiner Prparate fhrte Natterer mehrere Flaschen
Weingeist mit und 250 bis 300 kleine Flschchen. Einige Gerte, die er sonst nicht bekommen
konnte, hatte er selbst hergestellt, z.B. einen ganzen Wurmsuchungsapparat, enthaltend 2
Duzend Flschchen, Blechschlchen, Blechplatten, Glschen, die gehrigen Instrumente.352 An
Eingeweidewrmern waren Direktor Karl von Schreibers und der in Wien als Wurmdoktor
bekannte Johann Gottfried Bremser (1767-1827), die an einer systematischen Darstellung der
Eingeweidewrmer arbeiteten, besonders interessiert.353 Zu diesem Zweck sezierte Natterer die
meisten der von ihm gesammelten Tiere und untersuchte sie nach Wrmern, die er dann in
Glsern als Alkoholprparate zu seinen Transporten hinzufgte.
Die Abreise von Ipanema am 7. Oktober 1822 zeigte deutlich, wie viel Mhe und Arbeit mit
349

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 4. Mai 1821, HHStA, Oberstkmmereramt, Karton
317 B, Akten 1837, Rubrik 58/3, Beilage zu Zl. 634.
350
Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 30. September 1822, WStLB, HS, 7880.
351
Johann Natterer an Josef Natterer, Salto, 26. Oktober 1822, WStLB, HS, 7880. Die Windbchse war ein
Luftdruckgewehr, das zwar unhandlich, aber bestens fr die Jagd auf Vgel geeignet war, da es nur geringe
Verletzungen an den Vogelblgen verursachte und keinen Lrm machte, andere Tiere in der Umgebung also
nicht scheu wurden. Die Luftdruckflasche musste mit 2500 Sten aufgepumpt werden, um 30 bis 40 Schsse
machen zu knnen, vgl. SCHEMBOR, Friedrich Wilhelm: Von der Windbchsenpumpmaschine zum
Kohlensureverflssigungsapparat. Ein Beitrag zur Technikgeschichte des 19. Jahrhunderts. In: Bltter zur
Technikgeschichte 53/54 (1991/92) 74-78. Eine Pumpe zur Gasverflssigung, die Natterers Neffe Johann
Natterer (1821-1900) aus der Windbchsenpumpmaschine baute, die sein Onkel in Brasilien verwendete,
befindet sich heute im Technischen Museum in Wien.
352
Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 30. September 1822, WStLB, HS, 7880.
128

dieser groen Karawane zu erwarten waren. Als sich die tropa in Bewegung setzte, wurden
die Maultiere nervs, ein Chaos brach aus:

Einige halbzahme Thiere, die die Lasten und Paksttl abwarfen, machten andre scheu, die das
Nhmliche machten. Dadurch verbreitete sich der Schreken durch die ganze tropa, sodass alles
auseinandersprengte. 3 fremde Hunde, die dazukamen und den Thieren nachjagten, machten
die Unordnung allgemein. [] Auf der Anhhe von der Eisenfabrik lag alles voll abgeworfnen
Zeuges. Es blieb nichts brig, als die noch beladnen zusammenzutreiben und damit vors
Grenzthor der Fabrik zu ziehen, wo ich unter freyem Himmel abladen liess. Dies war kaum eine
Viertelmeile von Ypanema entfernt.354
Mehrere Tage vergingen, ehe die Mannschaft die versprengten Maultiere, die sich in der Panik
verlaufen hatten, wieder eingefangen hatte. Ein Teil der Ladung ging bei dem Tumult verloren.
Zu allem berfluss war das Lagern unter freiem Himmel nicht von gnstigen
Witterungsbedingungen begleitet, berichtet Natterer: Der Regen blieb nicht lange aus und hielt
lang und stark an. Obwohl ich mit ein paar Huten bedekt war, so schwamm ich im Wasser. Ich
war froh, als es Tag wurde und der Regen nachgelassen hatte.355 Erst nachdem die tropa
wieder vollstndig war und die Reparaturarbeiten an den beschdigten Stteln und Zaumzeugen
beendet waren, konnte Natterer nach fast zwei Wochen Aufenthalt den Lagerplatz verlassen.
Weitere Verzgerungen blieben nicht aus. Einem Tagebuchfragment von Oktober 1822 ist zu
entnehmen, dass fast jeden Tag einige Maultiere ihre Ladungen abwarfen oder verloren gingen
und immer wieder einige Tage mit der Suche nach verirrten Tieren verstrichen.356 Aber Natterer
blieb optimistisch, was seine tropa betraf. Die Erfahrung zeigte, dass die Maultiere im Verlauf
der Reise ruhiger wurden, weil die Anstrengungen an ihren Krften zehrten und die Ladungen
benehmen ihnen das Feuer.357 Mit Verlusten unter den Lasttieren war allerdings auch zu
rechnen: innerhalb von zehn Monaten, von Oktober 1822 bis August 1823, verlor Natterer neun
seiner Maultiere,358 teils durch Unflle, teils durch Vergiftungen mit toxischen Krutern.
353

Vgl. RIEDL-DORN: Haus der Wunder (1998) 79-81.


Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 30. September 1822, WStLB, HS, 7880.
355
Tagebuch-Fragment 5. Oktober 30. Oktober 1822, Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an Josef Natterer,
Ipanema, 30. September 1822, WStLB, HS, 7880 und Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal,
Sorocaba, 21. Oktober 1822, Archiv MVK.
356
Tagebuch-Fragment 5. Oktober 30. Oktober 1822, Archiv MVK.
357
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Sorocaba, 21. Oktober 1822, Archiv MVK;
SPIX-MARTIUS: Reise in Brasilien (1823-1831 / 1980) 179: Dieses Schauspiel zgelloser Wildheit giebt im
Anfange jede Karawane, bis die Thiere sich an die Last und an einen zusammenhngenden Zug gewhnt haben.
358
Johann Natterer an Josef Natterer, Gois, 29. August 1823, WStLB, HS, 7881. Insgesamt verlor Natterer auf
129
354

Erlebnisse dieser Art waren durchaus nichts Ungewhnliches und eine, wie es scheint,
unvermeidbare Begleiterscheinung lngerer Landreisen durch Sdamerika.359
Natterers Weg fhrte in nrdlicher Richtung. Wenige Tage nach der Abreise aus dem Lager
bei Ipanema erreichte die tropa Sorocaba. Ende Oktober 1822 hielt sich Natterer einige Tage
am Ufer des Tiet bei Itu (SP) auf. Mitteilungen, die der in der Dienstinstruktion angestrebten
landeskundlichen Bestandsaufnahme dienen konnten, sind in Natterers Aufzeichnungen
selten zu finden. Meist handelte es sich dabei um kurze Beschreibungen von Orten, in denen
er sich aufhielt, die allgemeine Eindrcke wiedergaben, aber etwa auf wirtschaftliche oder
statistische Details verzichteten. Itu beschrieb Natterer nur kurz als verschlafenes, aber relativ
wohlhabendes Provinzstdtchen:

Es liegt auf niedrer, oben flachen Anhhe, die meisten Huser mit Ziegel gedekt. Mehrere sind
mit einem Stokwerk, Fenster und Thren meist mit Holzgittern versehen, mehrere lange, gerade
und ziemlich breite Strassen, an beyden Seiten an den Husern mit einem Pflaster fr
Fussgnger aus breiten, feinen Sandsteinschieferplatten, in der Mitte ist Sand. Mehrere grosse
Pltze mit Kirchen, hat ein trauriges Ansehen. Auch herrscht in den Wochentagen wenig Leben
daselbst, da die meisten Eigenthmer der ansehnlichern Huser Plantagisten sind, die alle auf
ihren engenhos (oder Zukermhlen) wohnen. Es sind deren sehr viel in hiesiger Gegend und der
Wohlstand der meisten Einwohner entspringt aus dem grossen Erzeugniss des Zukers und
dessen Handel nach Santos. Hopfen wird ebenfalls etwas gepflanzt, doch ist der Handel damit
noch unbedeutend.360
Beeindruckt war Natterer vom Wasserfall des Tiet, den er versuchte, in Zeichnungen
festzuhalten: Ein maiestetisches Bild, wrdig von der Hand eines Knstlers nachgeahmt zu
werden, berichtet Natterer seinem Bruder, um zugleich seine eigenen knstlerischen Talenten
in Zweifel zu ziehen: Ich habe es gewagt, meine schwachen Fhigkeiten daran zu ben und
eine Skitze entworfen. Ein Geschikterer soll sie einst ausfhren.361 Aus dieser Bemerkung
geht auch hervor, wie sehr Natterer die Mglichkeiten einer spteren Publikation und die
Verwendung seiner Zeichnungen als Vorlagen fr Illustrationen bewusst waren. In seinem
Tagebuch bemerkte Natterer: Ich fhrte meine Zeichnung etwas mit Tusche aus, so viel ich

seinen Reisen 25 Tiere vgl. Johann Natterer an Karl von Schreibers, Wien, 4. April 1837, HHStA,
Oberstkmmereramt, Karton 317 B, Akten 1837, Rubrik 58/3, Zl. 634.
359
Vgl. z.B. POHL: Reisen I (1832) 149-151 und POHL: Reisen II (1837) 2; LHNIS: Die Tcken des
Maultiers (2000) 233-237, 347f..
360
Tagebuch-Fragment, 5. 30. Oktober 1822, Archiv MVK.
361
Johann Natterer an Josef Natterer, Salto, 2. November 1822, WStLB, HS, 7880.
130

konnte und fand ziemliche Schwierigkeiten, da ich in dergleichen Arbeiten nach der Natur
keine bung hatte.362 Erschwert wurde ihm das Zeichnen auch durch das Fehlen geeigneter
Hilfsmittel, denn es fiel ihm schwer, ohne schwarzen Spiegel und ohne Camera lucida
Landschaften nach der Natur zu zeichnen.363 Leider sind diese Landschaftsskizzen nicht
erhalten, um Natterers selbstkritische Bemerkungen berprfen zu knnen.364
Am 12. November passierte die Karawane die Ortschaft Campinas (Villa de So Carlos).
Schon am 29. November musste die Reise bei Irisanga (nrdlich von Moji-Mirim)
unterbrochen werden. Ursprnglich war nur eine Rast zur Erholung fr die Maultiere
vorgesehen. Doch die einsetzenden Regenflle bewogen Natterer, das Winterlager
aufzuschlagen und das Ende der Regenzeit abzuwarten. Unter den herrschenden
Witterungsverhltnissen war an eine Fortsetzung der Reise nicht zu denken.
ber das Winterlager bei Irisanga ist nur wenig bekannt. Irisanga wird als ein kleines
Landgut beschrieben: Es sind 2 elende, jedoch mit Ziegl gedekte Huser, gegenber ein
grosser rancho mit einer venda,365 (ein Schuppen mit einem angeschlossenen Laden oder
Ausschank fr Reisende). In den abgelegenen Regionen des brasilianischen Hinterlandes,
weit ab von den besser erschlossenen Kstengebieten, war es durchaus keine
Selbstverstndlichkeit, ein Haus oder wenigstens eine geeignete Htte zu finden. In diesen
notdrftigen Behausungen waren weder Menschen noch Gepck wetterfest untergebracht. Die
Monate in diesem Lager beschrieb Natterer folgendermaen:

Das Locale war schlecht, denn die zwey dortgen Huser waren bewohnt und konnten meine
Effekten nicht aufnehmen. Ich musste mich daher mit einem grossen und wohlgedekten rancho
(Schuppen, die fr die Reisenden an den verschiedenen Lagerpltzen erbaut sind) begngen,
den ich vom 29. November bis 20. Mrz bewohnte. Die Regengsse waren sehr hufig. Es gab
Wochen, wo es jeden Tag regnete. Der Bach Irisanga, der bey meiner Ankunft so klein war,
dass das Wasser kaum an die Knie reichte, schwoll so an, dass er ber die Brke gieng und fast
alle Verbindung abgeschnitten war. [] Das Regenwasser war in Strmen von der Anhhe
herabgekommen und hatte eine Dmmung, die dem Strome eine andre Richtung gab, gerissen
und lief ber einen Schuh hoch durch den rancho. Alles was am Boden stand und nicht schnell

362

Tagebuch-Fragment, 5. 30. Oktober 1822, Archiv MVK.


Johann Natterer an Josef Natterer, Salto, 2. November 1822, WStLB, HS, 7880.
364
Karl von Schreibers an Oberstkmmereramt, Wien, 21. Oktober 1836, HHStA, Oberstkmmereramt, Karton
311 B, Akten 1836, Rubrik 58/3, Zl. 1725 erwhnt eine Menge von Skizzen und Handzeichnungen, die Natterer
nach Wien mitgebracht hatte, die allerdings zum groen Teil verloren gingen.
365
Tagebuch-Fragment, 26. Mrz 9. April 1823, Archiv MVK.
131
363

genug aufgerumt wurde, wurde weggeschwemmt oder stark durchnetzt.366


Unglcksflle wie dieser brachten Vorrte, Ausrstung und die naturwissenschaftliche
Sammlung in Gefahr. Auch an anderer Stelle berichtete Natterer von einem Haus, in dem er
untergebracht war (das beste ein halbe legoa in der Runde), das in einem so schlechten Zustand
war, dass bey dem fast tglichen Regen das Wasser in kleinen Bchen durch das Quartier
floss.367 Eine passende Unterkunft zu finden, die ihn, seine Begleiter, seine Tiere und seine
Ausrstung vor den hufigen Regenfllen schtzen konnte, war fr Natterer ein immer
wiederkehrendes Problem. Die vorhandenen Unterknfte waren meist sehr drftig,
Nchtigungen im freien Feld, im Regen oder in notdrftig errichteten Htten waren die Regel
whrend der Reise.368 Als Bleibe dienten etwa eine verlassene Rohrhtte am Rande eines
Waldes,369 oder man machte Halt bey einem Hause in einem halb eingefallnen rancho,370 der
nur schlecht vor den hufigen Niederschlgen schtzte. Hielt sich die tropa lnger an einem Ort
auf, wurde meist ein Haus gemietet bescheidene Behausungen wie jene am Irisanga, die kaum
europischen Vorstellungen von Bequemlichkeit entsprachen.371 Auch auf frheren Reisen hatte
Natterer schon die Erfahrung machen mssen, dass an manchen Orten nicht einmal die
einfachsten Einrichtungsgegenstnde aufzutreiben waren. An einem Ort war zum Beispiel
nichts als ein grosser Barren frs Vieh im Zimmer. Ein Tisch war nirgends zu bekommen, doch
verschaffte man mir zwey Bnke, um darauf zu arbeiten, mit denen wir uns behelfen mussten.372
Die allgemein schlechten Bedingungen stellten eine groe Herausforderung und Belastung fr
jeden Reisenden dar. Natterer war wahrscheinlich durch seine frheren Reisen in Europa und
in Brasilien an viele Unannehmlichkeiten gewhnt, aber die Strapazen dieser Landreise mit
der Maultierkarawane waren betrchtlich. Monatelang zog der Treck durch einsame
Gegenden, jeder Tag bedeutete schwere Arbeit, die Ruhepausen waren selten, wenn Mensch
und Maultier nicht mehr weiter konnten. Daneben kam Natterer seinem Sammelauftrag nach,
366

Johann Natterer an Josef Natterer, Gois, 29. August 1823, WStLB, HS, 7881.
SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 20.
368
Z.B. Johann Natterer an Josef Natterer, Salto, 2. November 1822, WStLB, HS 7880; Tagebuch-Fragment 5.
Oktober 30. Oktober 1822, Archiv MVK; Tagebuch-Fragment 26. Mrz 9. April 1823, Archiv MVK.
369
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Salto, 3. November 1822, Archiv MVK.
370
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Gois, 25. August 1823, Archiv MVK.
371
FREYRE, Gilberto. Das Land in der Stadt. Die Entwicklung der urbanen Gesellschaft Brasiliens. (bras.
Original: Sobrados e Mucambos, Rio de Janeiro 1932) (Stuttgart 1982) 158-197 vermittelt eine gute Vorstellung
von den Wohnverhltnissen in Brasilien.
372
SCHREIBERS: Nachrichten II (1822) 21.
132
367

ging auf die Jagd und prparierte seine Jagdbeute. Tropische Regenflle behinderten die
Karawane, erschwerten die Arbeit und gefhrdeten die Sammlungen. Die Nsse setzte den
Prparaten ebenso zu wie die allgegenwrtigen Termiten. Lange Zwangspausen in der
Regenzeit, die ein Fortkommen unmglich machte, zehrten an den Nerven und an der
Gesundheit.
In seinen Berichten konzentrierte sich Natterer zwar meist auf seine Arbeit, seinen Auftrag.
Manchmal aber gestattete er sich (und uns) einen Einblick in seine emotionale Befindlichkeit.
Er fhre ein trauriges Leben, gestand er seinem Bruder in einem seiner Briefe und er entwarf
dabei ein sehr melancholisches Stimmungsbild seiner Situation:

Einsam sitze ich an zwey aufeinandergestellten Koffern, die kmmerlich einen Tisch bilden
und schreibe diese Zeilen. 3 Hunde, die der Regen hereinjagt, liegen mir zum Fssen, neben
ihnen auf einer Ochsenhaut mein Neger Luiz, der auf Befehle wartet, mir, wenn ich zu
schreiben aufhre, aus meinem Tisch eine Bettstelle zu bereiten.373
Die Karawane erreichte schlielich Anfang August 1823 nach zehn Monaten mhevoller
Reise Gois, die damalige Hauptstadt der gleichnamigen Provinz.374 Erleichtert und zugleich
pessimistisch, was die weitere Reise anlangt, kommentierte Natterer seine Ankunft: Lange
war ich unterweges und viele Unannehmlichkeiten habe ich erfahren, doch sie sind
berstanden. Wren doch auch jene noch zu kommenden schon glklich zurkgelegt.375

10.4. Von Gois nach Cuiab

Der Aufenthalt in Gois dauerte nur kurz und diente vor allem dazu, den Maultieren eine
Pause zu gnnen und die Vorrte zu ergnzen. Das war kein leichtes Vorhaben: Es ist auch
ein ziemlicher Mangel an Lebensmittel hier und selbe sehr theuer,376 berichtet Natterer, denn
die Stadt war weder besonders gro noch besonders wohlhabend. In der Gemeinde Gois
lebten damals etwa 9400 Menschen. Die Stadt selbst bestand neben Rathaus, Gefngnis,

373

Johann Natterer an Josef Natterer, Salto, 2. November 1822, WStLB, HS, 7880.
Johann Natterer an Jos Bonifacio de Andrade e Silva, Gois, 20. August 1823, Archiv MVK; Johann
Natterer an Karl von Schreibers, Gois, 25. August 1823, Archiv MVK; Johann Natterer an Wenzel Philipp
Leopold von Mareschal, Gois, 27. August 1823, Archiv MVK.
375
Johann Natterer an Josef Natterer, Gois, 29. August 1823, WStLB, HS, 7881.
376
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Gois, 27. August 1823, Archiv MVK.
133
374

Gouverneurspalast, Regierungsgebude, Kasernen, dem ehemaligen Bischofspalast, einem


Goldschmelzamt und acht Kirchen aus etwa 700 einfachen Husern aus Lehm oder Holz.377
Wie geplant verkaufte Natterer den Groteil seiner Maultierherde, um sich wieder mit
Geldmitteln auszustatten. Da auch die neuen Psse wie versprochen in Gois bereitlagen,
stand der geplanten Weiterreise nach Cuiab nichts im Wege. Die kommende Regenzeit
wollte Natterer in Cuiab verbringen, um dann im folgenden Jahr die Trockenzeit dazu
ntzen, bis nach Vila Bela de Santissima Trindade im uersten Westen von Mato Grosso
vorzudringen. Ob eine Reise auf einem der Zuflsse des Amazonas nach Belm gelingen
wrde, war aber nach wie vor nicht klar. Die politischen Umstnde waren unsicher, im
Norden Brasiliens kmpften noch immer vereinzelt portugiesische Truppen gegen kaiserliche
Verbnde. Die Unabhngigkeit Brasiliens war weder allgemein anerkannt noch gefestigt und
nicht alle Provinzen waren fest in der Hand der regierungstreuen Gruppierungen.378
Natterer verbreitete jedoch Zuversicht und lie sich nicht beirren. Ich muss nun einmahl
vorwrts, denn das Werk ist begonnen, schrieb er seinem Bruder.379 Am 17. September 1823
wurde die Reise fortgesetzt. Natterer verlie Gois mit einer Gruppe von 12 Maulthiere mit
Lebensmittl beladen, welches fr 3 Monathe hinlnglich schien.380 Davon waren 6 Thiere fr
farinha, 4 zu Bohnen, 4 fr Mays, 2 fr Spek und fr Salz bestimmt.381 Salz und Mais waren
fr die Ftterung der Maultiere vorgesehen, die tgliche Kost der Reisenden beschrnkte sich
auf Maniok-Mehl (die farinha), Bohnen und Speck. Die restliche tropa von ungefhr 20 bis
25 Tieren trug die brige Ausrstung und die naturwissenschaftlichen Sammlungen.
Nchstes Ziel der Expedition war Cuiab (MT). Nach einem kurzen Aufenthalt am Rio Forte
setzte die Karawane ihren Weg westwrts fort und erreichte Ende September den Rio Claro.
Am 10. Oktober 1823 langte Natterers Gruppe am Rio Araguaia an der Grenze zur Provinz
Mato Grosso an. Die Uferregionen des Flusses waren ein ideales Jagdgebiet und Natterer
machte fr einige Wochen Halt, um sich dem weiteren Ausbau seiner Sammlungen zu widmen.
Ein lngerer Aufenthalt wurde durch die schlechte Versorgungslage unmglich. Die
377

POHL: Reisen I (1832) 360-362.


Johann Natterer an Karl von Schreibers, Gois, 25. August 1823, Archiv MVK; Johann Natterer an Wenzel
Philipp Leopold von Mareschal, Gois, 27. August 1823, Archiv MVK; Johann Natterer an Josef Natterer,
Gois, 29. August 1823, WStLB, HS, 7881.
379
Johann Natterer an Josef Natterer, Gois, 29. August 1823, WStLB, HS, 7881.
380
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 14. Februar 1824, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 9, Konv. 1 (alt Fasz. 8d), Berichte 1824, fol. 216r-221r.
381
Tagebuch-Fragment, 16. 25. September 1823, Archiv MVK.
134
378

mitgebrachten Lebensmittel waren bereits knapp geworden und die Kerle, die die Esel warteten,
[], murrten schon.382 Auf Druck seiner Maultiertreiber setzte Natterer daher am 19.
November 1823 die Reise nach Cuiab fort. Die Vorrte zu ergnzen war nicht mglich. Die
Bewohner der Siedlung nahe der Flusspassage am Rio Araguaia pflanzten kaum Nahrungsmittel
an, bezogen selbst Lebensmittellieferungen aus dem sdlich gelegenen Santa Rita do Araguaia
und hatten nichts zu verkaufen oder nur zu sehr hohen Preisen.383
Unglcksflle verschrften noch die ohnehin prekre Situation. Als Natterer mit seiner
Gruppe den Rio Araguaia verlassen wollte, warfen wieder einige Maultiere ihre Ladungen ab,
wobei ein Viertel des noch vorhandenen, sprlichen Mehlvorrats verloren ging.384 Zwei
Wochen spter kam ein weiterer Teil der Ausrstung zu Schaden, als 4 beladne Thiere in den
reissenden Fluss strzten, da die aus ein paar bergelegten Bumen bestehende Brke oder
Steg sehr schlecht war. Mit vieler Mhe wurden Thiere und Ladung gerettet, jedoch war alles
durchnsst und vieles verdorben.385
Der Verlust von Ausrstung und Lebensmitteln durch verunglckte Maultiere stellte die
Reisenden vor existenzielle Probleme, denn die karge Hochebene zwischen Rio Araguaia und
Cuiab (Planalto do Mato Grosso) waren laut Natterer unbewohnte Steppe, ein serto von
fast 100 Meilen, in dem auer Wild keine Lebensmittel zu haben waren.386 Unter groen
Anstrengungen erreichte die Expedition die erste Ansiedlung in der Umgebung von Cuiab,
wo die Vorrte ergnzt werden konnten: nach 3 starken Tagmrschen langten wird endlich
[] auf der Zukermhle des Antonio Correio an, wo wir uns mit neuen Lebensmittln
versehen konnten, an denen wir schon anfiengen, Noth zu leiden,387 berichtet Natterer.
Vierzehn Monate nach dem Aufbruch in Ipanema erreichte die Expedition ihr nchstes Ziel:
am 21. Dezember 1823 traf Natterer in Cuiab ein.

382

Johann Natterer an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824 / 18. Februar 1825, WStLB, HS, 7882.
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 14. Februar 1824, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 9, Konv. 1 (alt Fasz. 8d), Berichte 1824, fol. 216r-221r.
384
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 14. Februar 1824, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 9, Konv. 1 (alt Fasz. 8d), Berichte 1824, fol. 216r-221r.
385
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 14. Februar 1824, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 9, Konv. 1 (alt Fasz. 8d), Berichte 1824, fol. 216r-221r..
386
Johann Natterer an Josef Natterer, Gois, 29. August 1823, WStLB, HS, 7881.
387
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 14. Februar 1824, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 9, Konv. 1 (alt Fasz. 8d), Berichte 1824, fol. 216r-221r.
135
383

10.5. Aufenthalt in Cuiab

Cuiab hatte zu dieser Zeit etwa 6000 Einwohner. Nur wenige Huser besaen ein Stockwerk,
die meisten waren eingeschossig. Kein einziges Haus hatte einen Schornstein, gekocht wurde
auf offenen Feuerstellen in den Grten, wo Orangen, Zitronen, Guaven, Kajubume und
Tamarinden wuchsen. Der Weg zum nahe gelegenen Hafen war die einzige befestigte Strasse in
der Stadt. Aber immerhin gab es in der Stadt eine Garnison, einen Bischof, vier Kirchen, die
Provinzverwaltung unter Leitung eines Prsidenten und eine Mnzsttte. Die Region um Cuiab
galt als sehr reich: Gold und Diamanten wurden abgebaut, das Zuckerrohr von Mato Grosso
lieferte den angeblich besten Zucker des ganzen Landes. Die Landwirtschaft wurde jedoch nur
fr den Eigenbedarf betrieben. Der Export lohnte sich nicht aufgrund der groen Entfernung zu
anderen Mrkten und den damit verbundenen Transportkosten.388
Erkundigungen, die Natterer nach seiner Ankunft in Cuiab durchfhrte, veranlassten ihn
dazu, seine Reiseplne ein weiteres Mal abzundern. Zu den Rahmenbedingungen seiner
Reisen gehrte es, dass meist erst im Gesprch mit ortskundigen Informanten die
tatschlichen Gegebenheiten in Erfahrung gebracht werden konnten, und Natterer musste
immer wieder Flexibilitt und Improvisationsgabe beweisen, sich den genderten
Verhltnissen vor Ort anpassen und neue Plne ausarbeiten, die ihm und seiner
Expeditionstruppe eine Weiterreise ermglichen wrden.
Nach den neuen Informationen wre eine Flussreise den Rio Guapor und den Rio Madeira
entlang zum Amazonas viel leichter, als nach Gois zurckzukehren und von dort aus auf
dem Rio Tapajs nach Belm (PR) zu reisen. Diese nderung der Route wrde ihm auch eine
Reise nach Sden ermglichen: auf dem Rio Cuiab und dem Rio So Loureno das Pantanal
Matogrossense durchquerend bis zum Rio Paraguai und den Paraguai flussaufwrts Richtung
Norden bis Villa Maria (heute Cceres). Die weitere Reise wrde anschlieend nach Vila
Bela de Santissima Trindade (MT) fhren, von wo aus jhrlich ein Bootsexpedition nach
Belm ging, um Salz zu beschaffen. Einer dieser Expeditionen wollte sich Natterer
anschlieen und so bis an die Mndung des Rio Madeira in den Amazonas gelangen. Der
Plan sah weiters vor, dort eigene Boote anzumieten, um damit eine Reise an den Oberlauf des
388

Beschreibung von Cuiab im Jahr 1827 bei FLORENCE, Hercule: Viagem fluvial do Tiet ao Amazonas.
1825 a 1829. Trad. do Visconde de Taunay, prefcio de Mrio Guimares Ferri (So Paulo 1977) 137-148.
136

Amazonas oder den Rio Negro zu unternehmen.389


Die Umsetzung dieser Plne nahm allerdings die folgenden fnf Jahre in Anspruch. Die
Verbindungswege mit der Hauptstadt Rio wurden immer lnger, die Kommunikation mit
Wien oder mit Rio nahm mehr Zeit in Anspruch. Krankheiten erschwerten Natterer die
Arbeit, fhrten zu teilweise langen Phasen der Arbeitsunfhigkeit und verlngerten damit die
Zeit, die er brauchte, um seine Plne zu realisieren. Auf der anderen Seite knpfte Natterer
whrend der langen Aufenthalte intensivere Kontakte zu Teilen der lokalen Bevlkerung als
das whrend der relativ raschen Reise von der Kste ins Landesinnere mglich gewesen war.
Er bildete dabei Netzwerke, die die Realisierung seiner Vorhaben in vielfltiger Weise
untersttzten. Kommunikation, Krankheit und Einsamkeit wurden in diesen Jahren zu
Problemen, die den Fortgang der Expedition und Natterers Leben wesentlich prgten.

11. TRANSPORTE, GELD UND SCHAUSTCKE - UNTERSTTZUNG


DURCH LOKALE UND INTERNATIONALE NETZWERKE

Mit dem weiteren Vordringen der Expedition in die inneren Provinzen Brasiliens wurden die
Verbindungswege immer lnger. Fr Natterer wirkte sich dies in mehrerlei Hinsicht aus. Die
Kommunikation mit seinen Vorgesetzten hatte sehr lange Postwege zu berwinden, die
Versorgung mit finanziellen Mitteln wurde schwierig und die Abwicklung der Transport
naturwissenschaftlicher Objekt wurde durch die groen Distanz verteuert und erschwert. Bei
Natterers selbst machte sich verstrkt durch die nun hufiger auftretenden Krankheiten ein
Gefhl der Vereinsamung bemerkbar.
Die Verbindung zwischen dem Landesinneren und den Zentralorten konnte nur in langen
Zeitintervallen aufrechterhalten werden. Nachrichten aus der weiten Welt trafen versptet
oder gar nicht im entlegenen Hinterland ein. Schon in Gois lebte man relativ abgeschieden,
die Kommunikation mit Rio de Janeiro war sprlich. Die Zustellung von Post erfolgte mit
einem Kurier, der zu Fu in 40 Tagen Rio de Janeiro erreichen konnte. Jeden 26. des Monats
389

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 14. Februar 1824, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 9, Konv. 1 (alt Fasz. 8d), Berichte 1824, fol. 216r-221r.
137

kamen die Boten in Gois an und gingen am 2. jedes Monats wieder ab.390 Mit Antworten auf
seine Briefe nach Wien konnte Natterer in etwa zehn bis zwlf Monaten rechnen.391 In der
weiter westlich gelegenen Provinz Mato Grosso wurden die Kommunikationsprobleme
aufgrund der langen Postwege noch grer. Da konnte es schon einmal vorkommen, dass ein
Brief von Rio de Janeiro aus fast zwei Jahre brauchte, um in die Hnde des Empfngers in
Mato Grosso zu gelangen.392
Zeit und Raum standen in einem direkten Bezug, der Natterers Erfahrung unmittelbar
bestimmte und strukturierte. Fr Natterer wurde der zu durchquerende, zu berwindende
Raum und der ntige Zeitaufwand immer grer. Gleichzeitig erschloss sich dieser Raum fr
ihn an bestimmten, bereits existierenden Routen entlang. Natterer war kein Entdecker, der
neue, Europern bis dahin unbekannte Wege und Territorien erforschte. Seine
Entdeckungen waren zwar manchmal fr die europischen Naturwissenschaften neu,
insofern sie bis dahin unbekannte Tierarten betrafen, aber sie stammten (mit wenigen
Ausnahmen) aus diesen schon zumindest innerhalb Brasiliens vertrauten Rumen. Die
Bewegung verluft entlang bekannter Routen und fhrt durch bekannte, infrastrukturell
erschlossene Rume. Von zentraler Bedeutung fr die Realisierung als auch Strukturierung
der Reise durch den Reisenden selbst sind einzelne Punkte, zwischen denen
Kommunikationsnetze aufgebaut werden, welche die dazwischen liegenden Rume
berwinden und die eine Fluktuation von Informationen und Objekten und die Bewegung des
Reisenden selbst untersttzen und ermglichen.393

11.1. Reiserhythmus

Reisen und Sammeln folgten einem bestimmten Rhythmus, der wesentlich dadurch bestimmt
war, dass naturwissenschaftliche Arbeiten wie Jagen, Sammeln und Prparieren
hauptschlich whrend lngerer Aufenthalte erfolgen konnten. In den Standquartieren war das

390

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Gois, 25. August 1823, Archiv MVK.
Johann Natterer an Josef Natterer, Gois, 29. August 1823, WStLB, HS, 7881.
392
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 28. Mai 1827,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 26r-41r.
393
Vgl. BHME, Hartmut: Netzwerke. Zur Theorie und Geschichte einer Konstruktion. In: BARKHOFF,
Jrgen BHME, Hartmut RIOU, Jean (Hg.): Netzwerke. Eine Kulturtechnik der Moderne (Literatur
Kultur Geschlecht. Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte, Groe Reihe 29) (Kln 2004) 17-36, bes. 21f.
138
391

Sammeln viel ergiebiger [] als whrend der Reise.394 War die Expedition unterwegs, konnte
sich

Natterer

diesen

Aufgaben

nur

eingeschrnkt

widmen.

Die

zoologische

Forschungsttigkeit Natterers konzentrierte sich daher whrend seiner Reise ins Landesinnere
auf die jeweiligen Aufenthaltsorte, wo seine Gruppe lngere Zeit Station machte: das erste
Winterlager am Irisanga 1822/23, die Aufenthalte am Rio Paran und am Rio Araguaia 1823,
in Cuiab 1823-1825, in der Umgebung von Cceres (Villa Maria) und Jacobina am Rio
Paraguai 1825/26 und schlielich in Vila Bela de Santissima Trindade (Matogrosso) mit
Unterbrechungen von Oktober 1826 bis Juli 1829. Dieser Rhythmus von abwechselnder
Reise und intensivierter Arbeit an einzelnen Standorten wurde auch in den spter folgenden
Flussreisen im Amazonasbecken beibehalten.
Bettina Kann hat in ihrer Arbeit ber die sterreichische Brasilienexpedition Natterers erste
Reisen der Jahre 1818-1825 nur kurz gestreift und zusammengefasst. Als Argument, der von
Natterer selbst vorgenommen Gliederung seiner Reisen in zehn Abschnitten nicht zu folgen,
fhrt Kann an, Natterer htte sich auf den ersten Reisen ohnehin nur in bereits bekannten
Gegenden aufgehalten und seine groe Leistungen wrden erst mit der fnften Reisen
beginnen. Zudem htte es auf den ersten Reisen keine Kontakte zu Indianern gegeben und
seine Berichte wrden keine ethnographischen Informationen beinhalten, denen allerdings
Kanns Hauptinteresse galt.395
Ich erachte es hingegen fr richtiger, die von Natterer selbst vorgenommene Einteilung seiner
Reisen beizubehalten. Zum einen scheint es mir nicht sinnvoll, je nach spezifischen
Interessen des Historikers oder Ethnologen eine neue Einteilung der Reise selbst
vorzunehmen. Zum anderen geht es mir auch um ein Erfassen von Natterers Unternehmungen
als Ganzes. Natterer eigene Reflexion gibt eine fr ihn nachvollziehbare Logik des Reisens
wider, die sich an seinem Reiserhythmus orientiert. Mit dem lngeren Aufenthalt in einer
Region oder einem Standquartier endet fr ihn eine Reisephase, mit der Abreise mit einem
neuen Ziel beginnt eine neue.
In Natterers eigener Darstellung gliedert sich sein Sammelunternehmen in insgesamt zehn
Teilreisen:

394

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas / Barcelos, [20 - 28] Februar1831 / 22. August 1831,
Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
139

I. Reise
II. Reise
III. Reise

IV. Reise
V. Reise
VI. Reise

VII. Reise
VIII. Reise
IX. Reise
X. Reise

5. November 1817 - 1. November Umgebung von Rio de Janeiro Rio


1818
(Aufenthalt)
2. November 1818 - Mrz 1820
stlichen Teil der Capitania So
Paulo Ipanema (Aufenthalt)
Juli 1820 - 1. Februar 1821
Ipanema - Curitiba (Aufenthalt) Paranagua und zur See zurck nach
Rio de Janeiro
August 1821 - September 1822
Capitania von So Paulo Ipanema
(Aufenthalt)
7. Oktober 1822 - Dezember 1824
Ipanema Gois Cuiab
(Aufenthalt)
Januar 1825 - 15. Juli 1829
Cuiab Caceres (Aufenthalt)
Matogrosso - So Vicente
Matogrosso (Aufenthalt) Cuiab
(Aufenthalt)

Matogrosso
(Aufenthalt)
15. Juli 1829 - Juni bzw. August 1830 Matogrosso Borba (Aufenthalt)
August 1830 - August 1831
Borba Manaus Barcelos - Rio
Negro Barcelos
September 1831 - August 1832
Barcellos Rio Branco - Barcelos
Manaus (Aufenthalt)
September 1834 September 1835
Manaus Belm - Reise an die Kste
Belm

Dieser Struktur folgte auch Natterers offizielle Berichterstattung. Die Berichte an Schreibers,
den jeweiligen Botschafter in Rio de Janeiro und seinen Bruder begannen meist mit der
Abreise aus dem letzten Standquartier, beschrieben die Reise bis zum nchsten
Hauptlagerpunkt und die in der Zwischenzeit gemachten Sammlungen. Die Darstellung der
nchsten Vorhaben und der aktuellen Situation beendeten die Berichte. Verfasst wurden die
Berichte meist am Ende eines Reiseabschnittes, kurz vor der Abreise aus dem jeweiligen
Lagerplatz oder Hauptquartier der Expedition. Das war auch der Zeitpunkt, an dem die
gesammelten Objekte verpackt wurden. Groe Transportkisten wurden zusammengestellt, fr
den Weg an die Kste und die berfuhr nach Europa vorbereitet, in Ochsenhute gepackt,
innen und auen mit Wachs versiegelt396 und zusammen mit Inventarlisten abgeschickt.
395

KANN: Brasilienexpedition (1992) 35.


Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Cuiab, 24. Mai 1825, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 11, Konv. 1 (alt Fasz. 10), Berichte 1825 IX-XII, fol. 96r-97r; vgl. Johann
Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal; Cuiab, 20. Dezember 1824, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 10, Konv. 1 (alt Fasz. 9), Berichte 1825 I-VIII, fol. 62r-65v; Johann Natterer an Wenzel Philipp
Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt
Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v; Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal; Vila Bela de
140
396

Die Transporte als fr Natterer besonders wichtige Indikatoren zu betrachten, um einen


Reiseabschnitt als beendet anzusehen, geht aus einem Beispiel hervor, bei dem bevorstehende
Abreise (und damit Beginn einer neuen Reise), Bericht und Transport nicht zum selben
Zeitpunkt stattfanden. Seine fnfte Reise betrachtete Natterer nicht mit der Ankunft in Cuiab
Ende 1823 als abgeschlossen und auch nicht mit der Abreise aus Cuiab im Sommer 1825.
Wichtige Trennlinie war fr ihn der Abschluss der Packarbeiten fr den Transport Ende 1824
bzw. Anfang 1825, der mit dem Abschicken von Briefen an Schreibers, Mareschal und seinen
Bruder einherging. Transport und Berichte waren die wesentlichen Einschnitte im Ablauf der
gesamten Reise, nicht die Reisebewegungen und der Rhythmus von Abreise, Unterwegssein
und Ankunft selbst. Wechselnde Phasen von Erfahrung und Bewegung bzw. Bearbeitung und
Aufarbeitung der Sammlung zeigen einen Arbeitsrhythmus, der durch unterschiedliche
Schwerpunkte gekennzeichnet war. Sammeln und Notieren war whrend der Reise nicht
eingestellt, wurde aber weniger intensiv betrieben als in den Standquartieren. Am Ende einer
Reisephase gingen Bearbeiten des Gesammelten und Bearbeiten des Notierten in Form der
Abfassung der Berichte und Transportlisten Hand in Hand.

11.2. Natterers Transporte - Kommunikationswege im Inneren von Brasilien

Markanter Endpunkt eines Reiseabschnittes war die Zusammenstellung und Verschickung


eines Transportes der in der Zwischenzeit gemachten naturwissenschaftlichen Sammlung. Als
Beispiel, wie einer dieser Transporte organisiert wurde, kann Genese und Verlauf jener
Sendung dienen, die Natterer zu Anfang des Jahres 1825 in Cuiab zusammenstellte. Natterer
hatte zu diesem Zeitpunkt zwlf Kisten gepackt und versuchte nun, einen Transport aus dem
Landesinneren nach Europa zu bewerkstelligen. Er beauftragte den capito Sabino Jos de
Mello Breuner mit dem Transport, der im Mai 1825 von Cuiab abgehen sollte. Per Schiff
sollten die Kisten auf dem Rio Cuiab und dem Rio Paran nach Porto Feliz (SP) gebracht
werden, wo sie entweder dem englischen Konsul bergeben werden oder von Sabino selbst ber
Santos nach Rio de Janeiro geleitet werden sollten, wo der sterreichische Geschftstrger fr
die weitere Versendung nach Wien verantwortlich war. In den Abschriften der Briefe Natterers

Santissima Trindade, 10. Juli 1829, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20) Admin.
Berichte 1829 V-XII, 18r-26v; Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 20. Dezember 1829, Archiv MVK.
141

ist auch eine Instruktion fr capito Sabino erhalten geblieben, die besonders darauf hinweist,
die Kisten whrend der Reise einige Male zum Trocknen in die Sonne zu stellen, auer den
zwei Kisten, die Glser mit in Spiritus oder Weingeist eingelegten Objekten beinhalten und
deshalb im Schatten bleiben sollten.397 Aus ungeklrten Grnden verschob Sabino seine
Abreise mehrmals. Der Transport ging erst im Mrz 1826 von Cuiab ab,398 traf aber im
September 1827 wohlbehalten in Wien ein.399 Als Belohnung fr die Mhen gab Natterer
eineinhalb cannadas400 Branntwein und 200 rapaduras (Zuckerstangen) fr die Mannschaft
aus,

der

capito

bekam

acht

Flaschen

Portwein

und

vier

Flaschen

Genevra

(Wacholderschnaps) als Geschenk.401


Mit der fortschreitenden Entfernung der Expedition von Rio de Janeiro begann sich der Weg der
Transporte zu ndern. Natterer wechselte von jenen Handelsrouten, die aus dem Landesinneren
zur sdstlichen Kste fhren zu jenen, die mit dem Amazonasgebiet kommunizierten.
Natterers Verbindungen mit Europa begannen sich ebenfalls auf die Amazonasrouten zu
verlagern, vor allem als immer klarer wurde, dass Natterer seine Rckreise nicht ber Rio,
sondern den Amazonas entlang durchfhren wrde. Der Transport seiner Kisten zu Land oder
auf den Flssen nach Rio de Janeiro wurde damit immer kostspieliger, komplizierter und lnger.
Als Alternative bot sich die Abwicklung der Transporte auf Booten den Amazonas entlang bis
Belm an, wo meist britische Kontaktpersonen die weitere Versendung ber London
bernehmen konnten.
Einer dieser Kontakte war der schottische Hndler John Hislop, der in Obidos lebte. Natterer
lernte Hislop 1824 in Cuiab kennen, wohin sich Hislop im Verlauf von Unruhen am Amazonas
geflchtet hatte.402 Hislop untersttzte Natterer durch die Weiterleitung von Post403 und
kmmerte sich um acht Kisten mit Sammlungen von Natterer, die dieser mit der Expedition des

397

Johann Natterer an Sabino Jos de Mello Breuner, [Cuiab, Juni 1825], Archiv MVK.
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
399
Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 144, 2. Dezember 1830, 1161.
400
Eine canada entspricht etwa dem deutschen Ma (2 Liter).
401
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 24. Mai 1825, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 11, Konv. 1 (alt Fasz. 10), Berichte 1825 IX-XII, fol. 96r-97r.
402
Johann Natterer an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824 / 18. Februar 1825, WStLB, HS, 7882;
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Cuiab, 18./25. Februar 1825, Archiv MVK; Johann Natterer an
Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Cuiab, 20. Dezember 1824, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien,
Karton 10, Konv. 1 (alt Fasz. 9), Berichte 1825 I-VIII, fol. 62r-65v.
403
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Ribero, 27. September1829, Archiv MVK.
142
398

russischen Konsuls Georg Heinrich von Langsdorff nach Belm transportieren lie.404 Auch bei
dem Transport von 22 Kisten, die Natterer 1829 aus Borba nach Wien schickte, war Hislop
behilflich und streckte die Kosten der Lieferung vor, da Natterer mit Geldproblemen zu
kmpfen hatte.405 Hislop vermittelte Natterer auch den Kontakt zum britischen Vizekonsul in
Belm, Henry Dickinson, zu John Hesketh, Bruder des britischen Konsuls in Maranho, und
zum Handelshaus von James Campbell in Belm.406 Besonders John Hesketh407 war in den
folgenden Jahren immer wieder Ansprechpartner Natterers in logistischen oder finanziellen
Fragen. Hesketh wickelte unter anderem die Weiterbefrderung von zwei Transporten nach
Grobritannien ab, die Natterer 1829 bzw. 1830 aus Borba abschickte.408
In diese Bewegung der Objekte waren auch die diplomatischen Auenposten sterreichs
eingebunden. Neben der zentralen Rolle, die der jeweilige Gesandte in Rio de Janeiro fr die
Expedition hatte, wurde vor allem die Vertretung in London in die Verantwortung fr die
Sammlungen des Kaisers eingebunden. In London war es dann Aufgabe des sterreichischen
Botschafters bzw. Generalkonsuls, fr die weitere Verschickung der Kisten und Berichte, die
nicht ber Rio geschickt werden, nach Wien zu sorgen. Das war nicht nur als reine
Weiterleitung von Post zu verstehen. Der Geschftstrger in London wurde von Natterer auch
mit der Sorge um die Sammlungsbestnde selbst betraut. Er sollte dafr sorgen, dass die
Transportkisten am Zoll nicht geffnet werden, um ihre Konservierung nicht zu beeintrchtigen,
da sie wohl schwer wieder mit jener Genauigkeit und Behutsamkeit zugeschlossen werden

404

Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Cuiab, 30. Jnner 1828, Archiv MVK; Johann Natterer
an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 17. November 1828, Archiv MVK;
Johann Natterer an John Hislop, Vila Bela de Santissima Trindade, 24. Februar 1829, Archiv MVK; Johann
Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 10. Juli 1829,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20) Admin. Berichte 1829 V-XII, 18r-26v.
405
Johann Natterer an John Hislop, Borba, 30. November 1829, Archiv MVK; Johann Natterer an John Hesketh,
Borba, 30. November 1829, Archiv MVK; Johann Natterer an John Hesketh, 23. Dezember 1829, Archiv MVK;
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 29. Dezember 1829, Archiv MVK; Johann Natterer an Wenzel
Philipp Leopold Baron von Mareschal, Manaus, 19. September 1830, Archiv MVK.
406
Johann Natterer an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824 / 18. Februar 1825, WStLB, HS, 7882; Johann
Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Cuiab, 20. Dezember 1824, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 10, Konv. 1 (alt Fasz. 9), Berichte 1825 I-VIII, fol. 62r-65v. Dickinson, Hesketh und Campbell
waren auch mit Spix und Martius befreundet, vgl. SPIX-MARTIUS: Reisen (1823-1831 / 1980) 919.
407
John Hesketh (*1791) war der Bruder des britischen Konsuls von Maranho, Robert Hesketh (1789-1868),
vgl. Robert Hesketh <www.jjhc.info/heskethrobert1868.htm> (17. April 2007).
408
Johann Natterer an Nathan Mayer Rothschild, Borba, 30. November 1829, Archiv MVK; Johann Natterer an
Karl von Schreibers, Borba, 29. Juni 1830, Archiv MVK; Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22.
August 1831, Archiv MVK.
143

drften, ohne Schaden zu nehmen.409 Die komplizierten Manver, die ntig waren, um die
Transporte sicher nach Europa zu bringen, lassen groes Engagement von Seiten Natterers
erkennen, und er motivierte offenbar einige einflussreiche Personen, ihn zu untersttzen.
Sobald die Kisten mit den naturkundlichen Objekten auerhalb seines direkten
Handlungsraumes gelangten, versuchte Natterer durch spezielle Instruktionen und in der
Korrespondenz mit seinen Kontaktpersonen seinen Einflussbereich ber seinen Sammlungen
zu erhalten.

11.3. Versorgung der Expedition mit Geldmitteln

Die mit seinen Plnen verbundene Verlngerung seines Aufenthalts beunruhigte Natterer vor
allem hinsichtlich seiner finanziellen Mittel. Natterer sollten laut einer Anordnung des
sterreichischen Botschafters in Rio de Janeiro aus dem Jahr 1818 jhrlich 10.049 fl. zur
Verfgung gestellt werden. Darin inbegriffen waren seine und Dominik Sochors Diten, die
Verpflegung fr die Reitpferde, die Bezahlung eines Dieners und eventuelle Entlohnungen fr
das Fangen von Insekten, fr die Erhaltung einiger Packtiere und ihrer Treiber sowie 1.200 fl.
fr unvorhergesehene Ausgaben..410 Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass die fr
Natterer verwendete Summe in etwa den Jahresausgaben fr das Personal des
Naturalienkabinetts entsprach. Nach dem Stellenplan von Mrz 1823 verfgte des Kabinetts
ber sechs Kustodenstellen mit gestaffeltem Gehalt (zu 1800 fl., 1600 fl., zwei Kustoden mit
1400 fl., 1200 fl. und 1000 fl.), zwei Aufseher mit 700 fl und 600 fl, einen Assistenten mit 400
fl., zwei Stipendiaten mit je 300 fl. und zwei Wachsbossierer mit 600 Gulden. Das ergibt einen
jhrlichen Aufwand von 11.300 Gulden.411 Das Naturalienkabinett bzw. der Kaiser leistete sich
damit eine Auenstelle in Brasilien, die fast ebenso viel kostete wie das Kabinett selbst.
Finanziert wurden die Unternehmungen Natterers ber das Oberstkmmereramt, das fr die

409

Johann Natterer an Nathan Mayer Rothschild, Borba, 30. November 1829, Archiv MVK; Johann Natterer an
Nathan Mayer Rothschild, Borba, 24. Dezember 1829, Archiv MVK; zur Einbindung von Diplomaten und
Bildung von Netzwerken im Zusammenhang mit der Durchfhrung von Expeditionen vgl. KLEMUN:
sterreichische naturwissenschaftliche Sammelreisen (2005) 29f., KLEMUN, Marianne: Austrian botanical
collection journeys (1783-1792). Network-patterns in expeditions: Global intentions interwoven with local
dimensions. In: Archives internationales dhistoire des sciences, vol. 56, Nr. 156-157 (2006) 235-240.
410
Johann Natterer an Josef Natterer, Salto, 26. Oktober 1822, WStLB, HS, 7880; Johann Natterer an Karl von
Schreibers, Wien, 4. April 1837, HHStA, Oberstkmmereramt, Karton 317 B, Akten 1837, Rubrik 58/3, Zl. 634.
411
FITZINGER: Geschichte , III. Abt. (1868) 40.
144

Besoldung der Mitarbeiter des Naturalienkabinetts zustndig war. Mit der Genehmigung von
Natterers Reise ins Landesinnere 1821 wre zwar die Bezahlung der Unternehmungen fr die
folgenden zwei Jahre gesichert gewesen, aber mit der berraschenden Auflsung der Expedition
durch Baron von Strmer war auch die regelmiger Finanzierung der Reisen aus der Dotation
der Botschaft beendet.412 Aus den spteren Abrechnungen Natterers geht hervor, dass er
whrend seines Aufenthalts in Brasilien und der Rckreise nach Europa zwischen 1818 und
1836 insgesamt 55.893 fl an Geldmittel zur Verfgung gestellt bekommen hatte, whrend seine
Ausgabe aber in Summe rund 128.000 fl betragen hatten.413 Im Laufe der Jahre hatte der
Reisende also betrchtliche Schulden angesammelt.
Nachdem sich Natterers Reiseplne aber immer mehr verzgerten, stellte sich zum einen die
Frage, wie lange die Behrden in Wien eine Fortfhrung der Reisen finanzieren wrden, und
zum anderen wurden die Schwierigkeiten, wie Natterer zu dem Geld gelangen konnte, immer
grer. Ursprnglich war in der Dienstinstruktion vorgesehen, die Expeditionen aus der
Botschaftsdotation zu bezahlen, Geldvorschsse und Auslagen sollten von der Botschaft
bereitgestellt werden. Das erwies sich wohl in der Folgezeit als nicht mehr praktikabel, je weiter
sich Natterer von Rio entfernte. Direkte Geldsendungen an ihn oder Verbindungsleute wurden
notwendig.
Bei den Kaufleuten in Cuiab, die mit Rio de Janeiro in Handelsbeziehungen standen, konnte
Natter allerdings keinen Kredit bekommen und keine Wechselgeschfte vereinbaren, da ihr
Handel bloss in Diamanten, Goldstaub und Stangen besteht und daher ihr disponibles Geld
in diese Gegenstnde umsetzen und damit nach Rio gehen, wo sie dann in Waaren
anschafften und selbe nach Cuyaba bringen.414 Bargeld stand kaum zur Verfgung. Nicht
einmal eine staatliche Einrichtung wie die fazenda real (Knigliches Landgut) konnte ihm
dabei helfen, denn die hat kein Geld, sondern Schulden.415 Natterer schlug daher vor, das Geld

412

Wenzel Philipp Leopold von Mareschal an Clemens Wenzel Lothar von Metternich Rio de Janeiro, 26. April
1828, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 13r-14v.
413
Spezifizirter Ausweis der von dem k.k. Naturalienkabinetskustosadjunkten Johann Natterer zur Ausfhrung
der wissenschaftlichen Reise ins Innere von Brasilien, dann der Rkreise von dort nach England, seines
Aufenthalts daselbst und seine Reise von dort nach Wien gehabten Auslagen vom 1. November 1818 bis 13.
April 1836, Wien, 6. Juli 1837, HHStA, Oberstkmmereramt, Karton 317 B, Akten 1837, Rubrik 58/3, Zl. 1073.
414
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Gois, 25. August 1823, Archiv MVK.
415
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 14. Februar 1824, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 9, Konv. 1 (alt Fasz. 8d), Berichte 1824, fol. 216r-221r..
145

einem von denen vielen jhrlich nach Rio gehenden Handelsleuten416 aus Cuiab zu bergeben,
der es einfach mitnehmen sollte. Diese Lsung wurde schlielich auch umgesetzt, aber es
verging ber ein halbes Jahr, bis die Zahlungen eintrafen.417
Die doch eher unsichere Methode, grere Summen Geldes einem Boten in bar mit auf die
Reise zu geben, fhrte dazu, dass sich auch die Wege des Geldes ndert, ebenso wie die Wege,
den die Transporte nahmen. Belm als zentraler Ort an der Amazonasmndung bot sich auch
hier als Drehscheibe an. Die Summe von 6000 fl., die Metternich im Auftrag des Kaisers im
Herbst 1823 durch den Bankier und Generalkonsul in London Nathan Mayer Rothschild (17771836)418 als Kredit fr Natterer bereitstellen lie, wurde dem zu Folge sowohl nach Belm
(Par) als auch Rio de Janeiro berwiesen.419 ber die schon genannten britischen Kontaktleute
Hesketh und Hislop wurden die finanziellen Mittel an Natterer weitergeleitet.
In Wien rechnete man zu diesem Zeitpunkt noch mit einem Eintreffen Natterers in Belm im
Frhjahr 1824. Doch im Jnner 1824 meldete Botschafter Mareschal, dass sich Natterers
Rckkehr bis in Frhjahr 1825 verzgern wrde. Folgerichtig schickte Mareschal einen Teil der
6000 fl. im Mai 1824 ins Landesinnere, wo es Natterer im November 1824 erhielt. In einem
Bericht vom 15. Mai 1824 nach Wien stellte Mareschal zwar fest, dass Natterer keine weiteren
Ansprche mehr stellen wollte, riet aber angesichts der unsicheren Verhltnisse zur
Sicherheit weitere 4000 fl. nach Belm (Par) anzuweisen.420 Diese Geldsendung war nach
Natterers Aussage die letzte, die ihm in den kommenden fnf Jahren zur Verfgung gestanden
hatte.421 Erst 1831 erhielt er in Manaus einen neuen Kredit.422
416

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 14. Februar 1824, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 9, Konv. 1 (alt Fasz. 8d), Berichte 1824, fol. 216r-221r.
417
Johann Natterer an Franz Scheiner, Cuiab, 15. Februar 1824, Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an Franz
Scheiner, Cuiab, 8. Dezember 1824, Archiv MVK und Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von
Mareschal, Cuiab, 20. Dezember 1824, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 10, Konv. 1 (alt Fasz 9),
Berichte 1825 I-VIII, fol. 62r-65v.
418
Nathan Mayer Rothschild war der dritte Sohn des Grnders der Rothschild-Dynastie Mayer Amschel
Rothschild (1744-1812) und der Begrnder des englischen Zweigs der Familie. Zwischen 1790 und 1800 ging er
als Textilkaufmann nach Manchester.1808 grndete er die Bank N.M. Rothschild & Sons. Vgl. Nathan Mayer
Rothschild <http://de.wikipedia.org/wiki/Nathan_Mayer_Rothschild_%281777%29> (20. August 2007).
419
KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1990) 234.
420
KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1990) 234f.
421
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883: Wie denn, wenn ich
erwiedere, dass ich seit 5 Jahren kein Geld erhielt, dass nur durch grosse Ekonomie ich von meinem vorigen
ersparten Diten lebe und alle Ausgaben bestreite.
422
Spezifizirter Ausweis der von dem k.k. Naturalienkabinetskustosadjunkten Johann Natterer zur Ausfhrung
der wissenschaftlichen Reise ins Innere von Brasilien, dann der Rkreise von dort nach England, seines
Aufenthalts daselbst und seine Reise von dort nach Wien gehabten Auslagen vom 1. November 1818 bis 13.
146

Im Dezember 1826 ordnete Franz I. bezglich Natterer und Sochor an, dafr zu sorgen, dass die
beyden Individuen ihren Aufenthalt nicht mehr, als wirklich nothwendig ist, verlngern.423 Da
aber zu diesem Zeitpunkt schon klar war, dass Natterer nicht nach Rio zurckkehren wrde,
sondern die lngere Route durch das Amazonasgebiet einschlagen wollte, war mit einem
baldigen Ende der Reise nicht zu rechnen. Mareschal nahm an, dass Natterer nicht vor dem
Winter 1830/31 in Belm eintreffen wrde und sorgte im August 1830 fr eine neuerlich
Geldanweisung nach Belm in der Hhe von 6000 fl.424 Wieder luft die finanzielle Transaktion
ber das Bankhaus Rothschild in London.
In die Logistik, den Transport und die Finanzierung von Natterers Unternehmungen war ein
groer Kreis von Personen involviert: ein Netzwerk von Hndlern, Bankhusern und
Diplomaten war erforderlich, um fr die Abwicklung der dafr notwendigen Geschfte zu
sorgen. Auch die Sammlungsbestnde wurden zum Teil von Personen zugeliefert, die nicht
unmittelbar in Verbindung mit dem sterreichischen Sammelunternehmen standen.

11.4. Neue Schaustcke fr das Wiener Naturalienkabinett

In den Kreislauf von Geld und Objekten wurden durch Natterer auch Personen eingebunden,
die nicht Teil der Expedition waren und die nicht in unmittelbarer Verbindung zum Wiener
Museum standen, durch ihre Mithilfe aber wichtige Mittelsmnner und Lieferanten von
Objekten wurden.
Sein gesundheitlicher Zustand in den Jahren 1824 bis 1827 hinderte Natterer in diesen Phasen
daran, seinen wissenschaftlichen Aufgaben nachzugehen. Immer wieder traten Rckflle ein.
Grund der Verschlechterungen war unter anderem, dass sich Natterer, wie er selbst zugab,
nicht schonte.425 Seine Sammlungen machten dennoch Fortschritte. Unter anderem erwarb er
April 1836, Wien, 6. Juli 1837, HHStA, Oberstkmmereramt, Karton 317 B, Akten 1837, Rubrik 58/3, Zl. 1073.
Ah. Handschreiben vom 25. Dezember 1826, Vortrag 248 (1826, XI-XII), XII, 122r. zit. nach KADLETZSCHFFEL: Metternich (1990) 235.
424
KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1990) 236.
425
Vgl. Johann Natterer an verm. Karl von Schreibers, Cuiab, o.D. [verm. Februar 1825], Archiv MVK: Doch
seit 2 Tagen will sich mein Zustand wieder verschlimmern, weil ich anhaltend am Schreibtisch bin; vgl. Johann
Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 23. Februar 1825, Archiv MVK: []
Gesundheitsumstnde verschlimmerten sich abermahls, sodass ich geraume Zeit mehr im Bette als ausser
demselben zubrachte, denn das Sitzen vermehrte meinen Schmerz und das Stehen oder Gehen ermdete mich;
vgl. Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 9. Juni 1825, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 6r-6v: Meine Gesundheitsumstnde haben sich,
147
423

vermutlich im Dezember 1824 eine 127 Stck umfassende Kollektion von ethnographischen
Objekten verschiedener Ethnien, vor allem von den Munduruc und Apiac. Gesammelt hatte
diese Objekte ein Bekannter Natterers, Antnio Peixoto de Azevedo. Whrend seines
Aufenthalts am Paran im Frhjahr 1823 hatte Natterer die Bekanntschaft des brasilianischen
Offiziers gemacht. Peixoto war krank und Natterer konnte ihn mit Hilfe seiner Arzneien
kurieren. Natterer besprach mit Peixoto die Mglichkeit einer gemeinsamen Reise nach Par,
die aber nicht realisiert wurde.426 Nun konnte Natterer eine wichtige Sammlung kaufen.
Begeistert berichtete der Forscher von seiner Erwerbung:

Von eben diesen Capito habe ich auch prchtige Sachen, besonders von den Indiern
Mundurucus eingehandelt. Darunter sind 5 Blashrner, wovon das lngste 7 Schuh lang ist,
mehrere Kopfzierden oder Kappen wie Perrken aus Arafedern, Armzierden, ein Schrze von
Federn, Spiesse, Bogen und Pfeile. hnliche Sachen folgen von den Apiacas und Bororos, so
wie etwas von den Parecis, auch ein vergifteter Pfeil der Mauhs. Die Mundurucus wohnen an
der untern Gegend des Tapajz. [] Obschon ich auf meiner Reise nach dem Amazonenfluss
bey diesen Indiern einige Zeit verweilen werde, so glaubte ich, das Sichere whlen zu mssen,
nmlich diese Arbeiten der Indier an mich zu bringen, da sie auf diese Art viel frher nach Wien
kommen, wo sie alles, was von Indiern dort ist, an Schnheit bertreffen werden.427
In einem Brief vom 8. Dezember 1824 sprach Natterer von zehn Kisten, die er fr einen neuen
Transport gepackt htte.428 In einem Schreiben an Baron von Mareschal vom Februar 1825
erwhnte Natterer nach einer zweimonatigen, durch die Krankheit bedingten Pause, dass noch 2
lange Kisten mit sehr merkwrdigen Effekten der Indier Mundururcus, Apiacas, Parecis und
Guanas hinzukommen.429 Natterer erwhnte die zwei neu hinzugekommenen Kisten auch in
einem Brief an seinen Bruder vom 16. Dezember 1824, allerdings in einer spteren Einfgung
zum Text, die im Zuge der Fortsetzung des Briefes im Februar 1825 entstanden sein knnte.
Und erst in dieser Fortsetzung erwhnte Natterer die Erwerbung dieser Objekte mit folgender
Formulierung: Whrend dieser Zeit brachte mir mein Schler [] Peixoto de Azevedo einige
Vgel, und er beschrieb in diesem Zusammenhang auch die ethnographische Sammlung
wie es scheint, durch einige Anstrengungen bey den Zubereitungen zur Abreise abermahls verschlimmert,
sodass sich auf der linken Seite der Leber eine Entzndung gebildet hat, die jedoch wie es scheint schon im
Abnehmen ist.
426
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Gois, 25. August 1823, Archiv MVK.
427
Johann Natter an Josef Natterer, Cuiab, 18. Februar 1825, WStLB, HS, 7882; vgl. Johann Natterer an Karl
von Schreibers, Cuiab, 18. Dezember 1824, Archiv MVK.
428
Johann Natterer an Franz Scheiner, Cuiab, 8. Dezember 1824, Archiv MVK.
429
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 23. Februar 1825, Archiv MVK.
148

Peixotos.430 Das lie zunchst auf einen Erwerb zwischen 8. Dezember 1824 und 18. Februar
1825 schlieen. Die erste Erwhnung der zwei neuen Kisten fand sich aber schon in einem Brief
an Karl von Schreibers vom 18. Dezember 1824.431 Das wrde darauf hindeuten, dass Natterer
diese ethnographischen Objekte, die zwei Transportkisten fllten, zwischen 8. und 18.
Dezember 1824 erworben hat. Der Ankauf der Peixoto-Sammlung war berhaupt der erste
seiner Arbeit als Ankauf einer greren Anzahl von ethnographischen Objekten whrend
Natterers Reise und eines der prominentesten Beispiele dafr, dass einiges in den Sammlungen
Natterers nicht von ihm selbst gesammelt, sondern durch Mittelsmnner angekauft wurde. Diese
Objekte substituierten jene Rume und Landschaften, die Natterer nicht selbst bereisen konnte.
Dieses Vorgehen entsprach einer Strategie, Vollkommenheit der Sammlungen fr das
Museum in Wien anzustreben, ohne auf einen durch den Sammler erfolgten und
dokumentierten Erwerb der Objekte Wert zu legen. Die Beschaffung der Sammlungsstcke aus
erster Hand und durch den Forscher selbst ist nicht wesentliches Kriterium fr die Integration
einzelner Stcke in die gesamte Sammlung.

Whrend seiner Reisen entwickelte Johann Natterer mehrfach Netzwerke, die die Realisierung
der Sammelreise gewhrleisteten. Dazu zhlten lokale Informanten ebenso wie seine Mitarbeiter
und Helfer (gemietete Diener ebenso wie gekaufte Sklaven). Im Land ansssige Hndler,
Bankiers und Diplomaten untersttzten die Zirkulation von Objekten und Geldmittel.
Schlielich trugen brasilianische Bekannte nicht unwesentlich zur Vergrerung der
naturwissenschaftlichen und ethnographischen Sammlungen bei. Als die fr Natterer persnlich
wohl wichtigste Hilfestellung ist die medizinische Betreuung anzusehen, auf die der Reisende
im Verlauf seines Aufenthalts in Brasilien mehrfach angewiesen war und die ihn aus
lebensbedrohenden Situationen rettete. Diesen weit gespannten Verbindungen und Kontakten
steht ein von Natterer prsentiertes Selbstbild eines einsamen Allein-Reisenden gegenber.

430

Johann Natter an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824 / 18. Februar 1825, WStLB, HS, 7882.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Cuiab, 18. Dezember 1824, Archiv MVK; vgl. Wiener Zeitschrift
fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 115, 24. September 1825, 957-959.
431

149

12. SI SEUL DANS CES VASTES DESERTS432 (1823-1826)

Die Erfahrung groer Distanzen und weiter, kaum bevlkerter Landstriche scheint bei Johann
Natterer ein Gefhl zunehmender Vereinsamung hervorgerufen zu haben. Seine schweren
Krankheiten, unter denen er vor allem whrend seines Aufenthalts in Mato Grosso litt,
verstrkten dieses Gefhl.

12.1. Krankheit und Einsamkeit

Whrend Natterer in Cuiab zu Beginn des Jahres 1824 das Ende der Regenzeit abzuwarten
hatte, stellten sich gesundheitliche Probleme ein. Cuiab galt zu dieser Zeit als uerst
ungesunde Gegend, was sich besonders whrend der feucht-kalten Regenzeit uerte. Der
Groteil der Bevlkerung litt unter dem Klima und auch Natterer blieb nicht verschont.
Natterer bekam eine schwere Leberentzndung, an deren chronischen Folgen er auch in den
folgenden Jahren zu leiden hatte.
Die Erkrankung scheint im Frhjahr 1824 begonnen zu haben, da in Natterers Briefen von
Februar 1824 noch keine Krankheit erwhnt wird. Aus der Zeit zwischen Februar und
Dezember 1824 sind bezeichnenderweise keinerlei Aufzeichnungen oder Briefe erhalten. In
dieser Zeit drfte der schlechte Gesundheitszustand akut geworden sein und Natterer auch am
Schreiben gehindert haben. Ein erster Hinweis auf seine langwierige Erkrankung findet sich
in einem Brief vom Dezember 1824 an den in Rio de Janeiro lebenden Kaufmann Franz
Scheiner, wo Natterer festhlt: Mir ist es hier nicht zum Besten ergangen. Ich bekam eine
Leberentzndung, an deren Folgen ich mehrere Monathen litt und wovon ich bis jetzt noch
nicht ganz befreyt bin.433 Erst nach monatelanger Pause, als sich langsam Besserung
einstellte, war Natterer in der Lage, alle wichtigen Kontaktpersonen ausfhrlicher ber seine
Situation zu informieren. Seinem Bruder schilderte er seine Schmerzen und die langwierigen

432

Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Zuckermhle des Capito Gama, 18. August 1826,
Archiv MVK.
433
Johann Natterer an Franz Scheiner, Cuiab, 8. Dezember 1824, Archiv MVK. Der Kaufmann Franz Scheiner
stammte aus sterreich und war Mitinhaber der Firma Britain, Scheiner & Co. in Rio de Janeiro, vgl.
OBERACKER: Kaiserin Leopoldine (1980) 466.
150

Behandlungen seiner Lebererkrankung:

Lange schon fhlte ich beym Sitzen mit vorgebeugtem Krper, beym Schreiben oder andern
Arbeiten einen stumpfen Schmerz auf der Leber. Ich achtete es jedoch nicht. Doch der Schmerz
vermehrte sich nach und nach und es wurde eine Entzndung daraus. Ein hiesiger Chirurg,
mein Freund, der mich behandelt, brachte mich durch starke Aderlsse und Blasenpflaster und
gnzliches Vermeiden jener gekrmmten Stellung so ziemlich zurecht, aber meine wieder
begonnenen Arbeiten, obschon meist im Stehen, besonders das langwierige Geschft des
Ordnens, Um- und Zusammenleeren und Aussuchen der nun zu berschickenden, sehr reichen
Eingeweidewrmersammlung verschlimmerte meinen Zustand abermahls, sodass, wie es
scheint, schon ein ziemlicher Anfang zu Verhrtungen gemacht ist.434
Natterer behandelte seinen Leiden mit Aethiops antimonialis und Aethiops mineralis,435
Mischungen aus Quecksilber und Schwefel bzw. Antimon.436 Quecksilber wurde zu Natterers
Zeit allgemein zur Bekmpfung von Entzndungen und Geschwre eingesetzt.437 Blasenpflaster
sollte knstliche Entzndungen erzeugen, wobei die durch die Pflaster entstandenen Blasen
aufgeschnitten wurde, um auf diese Weise Entzndungsherde aus dem Krper abzuleiten.438 Als
Wirkstoff fr diese Blasenpflaster verwendete man Senf439 oder das Pulver der Spanischen
Fliege (Canthariden-Pulver).440
Die von Natterer erhoffte Verbesserung durch Bewegung und Arbeit blieb allerdings aus. Im
Gegenteil: Die Anstrengungen beim Schreiben und bei der Zusammenstellung des neuen
Transportes

naturkundlicher

Objekte

fhrten

zu

einer

Verschlimmerung

des

Gesundheitszustandes. Die Krankheit ntigte Natterer zu einer mehrwchigen Bettruhe, sodass


er seine Arbeiten fr zwei Monate unterbrechen musste. Auch seine Briefe vom Dezember 1824
blieben unvollendet. Erst im Februar 1825 konnte er die Korrespondenz fortsetzen und seinem

434

Johann Natter an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824, WStLB, HS, 7882.
Johann Natter an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824, WStLB, HS, 7882.
436
WENDT, Johann: Praktische Materia medica als Grundlage am Krankenbette und als Leitfaden zu
akademischen Vorlesungen (Breslau/Wien 1830) 285f.
437
MELLIN, Christoph Jakob: Praktische Materia Medica (Frankfurt/Main 5 1793) 173; EDWARDS, H. Milne
VAVASSEUR, P.: Handbuch der Materia Medica oder kurze Beschreibung der Arzneimittel. Aus dem
Franzsischen (Weimar 1827) 333-336; WENDT: Praktische Materia medica (1830) 278-293.
438
MELLIN: Praktische Materia Medica (1793) 434-444.
439
MELLIN: Praktische Materia Medica (1793) 428-431, EDWARDS VAVASSEUR: Handbuch (1827) 93f.;
WENDT: Praktische Materia medica (1830) 396f.
440
MELLIN: Praktische Materia Medica (1793) 157-160, SCHMIDT, Johann Adam: Handschriftlich
hinterlassenes Lehrbuch der Materia medica. Revidirt und zum Druck befrdert von Wilhelm Joseph Schmitt (Wien
1811) 235-253; EDWARDS VAVASSEUR: Handbuch (1827) 89-91;WENDT: Praktische Materia medica
(1830) 357-391.
151
435

Bruder den weiteren Verlauf seiner Nte schildern:

Bloss im Liegen im Bette fhlte ich Erleichterung. Einige Zeit war ich daher mehr im Bette als
ausserhalb desselben, doch da ich noch keine Besserung wahrnahm, so fand der hiesige
Oberwundarzt, mein Freund, es fr nthig, mir ein Seton oder Haarseil zu ziehen, welches nun
an 2 Monathe schon mich peinigt. Es ist an der obern Bauchgegend. Doch, dem Himmel sey
gedankt, befinde ich mich auf dem Wege der Besserung und gerne will ich das Haarseil noch
einige Zeit dulden, um ganz hergestellt zu werden. Ich nehme auch Extractum digitalis und
schmiere die obere Bauchgegend mit einer Salbe, die zum Theile aus Quecksilbersalbe besteht.
So hoffe ich denn doch noch mit heiler Haut wegzukommen. Unser Vater mag daher keine
Angst haben, denn das Unkraut verdirbt so leicht nicht und Sprichwrter sind Wahrwrter.441
Zur Behandlung der Leberentzndung musste sich Natterer der schmerzhaften Behandlung
mittels Haarseil (Setaceum) unterziehen. Auch hier wurde knstlich eine Entzndung
provoziert, indem eine Hautfalte durchbohrt und eine Schnur durchgezogen wurde. Dieses
Haarseil erzeugte eine Eiterung, von der man hoffte, dass sie den ursprnglichen Krankheitsherd
aus dem Krper ableitete. Wegen der heftigen Schmerzen wurde diese Behandlung allerdings in
Europa

selten

angewendet.442

Auch

der

Fingerhut-Extrakt

Digitalis

hatte

entzndungshemmende Wirkung, konnte allerdings bei zu starker Dosierung schwere


Nebenwirkungen wie Erbrechen, Schwindel, Durchfall und Ohnmacht hervorrufen.443
Der angesprochene Freund, der seine Krankheit behandelte, war der Arzt und chirurgio mr
der Stadt Cuiab, Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, ein wissbegieriger Mann,444 der auch
Naturkundler war. Natterer unterrichtete Manso in der deutschen Sprache und lie fr ihn
Bcher aus Europa besorgen. Auf Mansos Initiative hin wurde in Cuiab der erste Botanische
Garten (Jardim Botnico) der Stadt gegrndet, dessen Direktor er auch war.445
441

Johann Natter an Josef Natterer, Cuiab, 18. Februar 1825, WStLB, HS, 7882. Aus diesem Brief geht hervor,
dass Natterer zu diesem Zeitpunkt noch keine Mitteilung erhalten hatte, dass sein Vater schon 1823 gestorben
war: Zur Erkrankung vgl. auch Johann Natterer an Karl von Schreibers, Cuiab, Februar 1825, Archiv MVK.
Bei der angesprochenen Quecksilbersalbe drfte es sich um das mehrfach erwhnte Calomel
(Quecksilberchlorid) handeln, ebenfalls mit entzndungshemmender und abfhrender Wirkung, vgl. MELLIN:
Praktische Materia Medica (1793) 173, EDWARDS VAVASSEUR: Handbuch (1827) 333-336, WENDT:
Praktische Materia medica (1830) 51-57.
442
MELLIN: Praktische Materia Medica (1793) 447; WENDT: Praktische Materia medica (1830) 394f. Mellin
vermerkt, die Haarseil-Methode htte man ehemals stark gebraucht.
443
SCHMIDT: Lehrbuch der Materia medica (1811) 294-302; EDWARDS VAVASSEUR: Handbuch der
Materia Medica (1827) 402-405; WENDT: Praktische Materia medica (1830) 58-64.
444
Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Zuckermhle des Capito Gama, 27. August 1826,
Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an Josef Natterer, Cuiab, 25. Februar 1825, WStLB, HS, 7882 und Johann
Natterer an Franz Scheiner, Cuiab, 8. Dezember 1824, Archiv MVK.
445
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA,
152

Natterer hatte das Glck, mit Manso einen Arzt anzutreffen, der ihn nicht nur behandelte,
sondern in den kommenden Jahren auch ein enger Freund wurde, mit dem er ber mehrere
Jahre hinweg in engem Briefkontakt stand. Natterers gesundheitliche Probleme waren nach
dieser ersten Krise in Cuiab keineswegs ausgestanden. Auch whrend der folgenden Monate
war er auf Mansos medizinische Hilfe angewiesen.
Behindert durch seine Beschwerden konnte Natterer erst im Juni 1825 Cuiab verlassen.446 Der
geplante Abstecher nach Sden in die Sumpfgebiete des Pantanal Matogrossense war mit der
langen Verzgerung hinfllig geworden. Die nrdlichen Auslufer des Pantanal entlang zog
Natterers kleine Karawane westwrts Richtung Vila Bela de Santissima Trindade (damals
Matogrosso).
ber die etwa zweimonatige Reise von Cuiab bis zur nchsten Station in Cceres (MT) gibt es
praktisch keine Informationen. Auch aus den folgenden Monaten ist kein Bericht Natterers an
seine Vorgesetzten berliefert. Aus dieser Zeit sind nur Konzepte von Briefen an seine
Bekannten in Brasilien erhalten. In dem nchsten bekannten Brief an Mareschal vom Juni 1826
entschuldigte sich Natterer fr sein langes Schweigen.447 Das deutet darauf, dass Natterer in
dieser Zeit tatschlich keine offiziellen Berichte verfasst hat. Die Mitteilungen an seinen Freund
Manso sind fr ein ganzes Jahr, nmlich von Juni 1825 bis Juni 1826, die wichtigsten Quellen
ber Natterer. Die sprlichen Informationen belegen, dass Natterer am 28. September 1825 mit
seiner Karawane Cceres verlie, um seinen Weg nach Matogrosso fortzusetzen. Schon nach
kurzer Reise machte er bei einer nahe gelegenen fazenda namens Caiara oder Caissara Halt,
vorerst nur, um interessante Vgel zu jagen, die die Uferregion des nahen Rio Paraguai
bewohnten.448 Diese fazenda befand sich laut Natterer am Paraguay, eine Meile westlich von
Villa Maria,449 dem heutigen Cceres.
Wieder verhinderte die einsetzende Regenzeit weitere Reisen. Die gesundheitlichen
Auswirkungen des Klimas waren fr Natterer uerst bedrohlich, da er nach wie vor an den
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 1), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r; zu Manso
vgl. MAGALHES, Basilio de: Biographia de Antonio Luiz Patricio da Silva Manso. In: Archivos do Museu
Nacional 22 (1919) 77-96.
446
Johann Natterer an unbekannten Hofrat, o.O., [nach 15. September 1835], WStLB, HS, 7889.
447
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
448
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Caiara, [November/Dezember 1825], Archiv
MVK.
449
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
153

Folgen seiner Leberentzndung laborierte. Anhaltende Beschwerden zwangen Natterer, seinen


Aufenthalt auf der fazenda bis zum Juni des folgenden Jahres auf mehr als acht Monate
auszudehnen. Seine Beschreibung der Lage im Gebiet von Cceres ist deprimierend:

Obschon ich im verflossnen Oktober hier anlangte, so konnte ich meiner krnklichen
Gesundheitsumstnde wegen es nicht wagen, mich dem ungesunden Klima in der
ungesndesten Zeit, nhmlich der Regenzeit, auszusetzen, da mir es jedermann wiederrieth
und, wie es die Folge zeigte, auch dieses Jahr die Krankheiten viel hufiger und
verderblicher selbst fr die Eingebohrnen oder lange dort Hausenden waren. Von den
Neuankmmlingen entwischte keiner wenigstens einem langwierigen Fieber, viele []
mussten leider mit dem Tode dieser seit ihrer ersten Entdekung menschenfressenden Provinz
ihren Tribut bezahlen.450
Natterer versucht sich zu schonen, aber die Leberentzndung wollte lange Zeit nicht ausheilen.
rztliche Versorgung gab es in Cceres keine,451 Hilfe konnte Natterer alleine von Manso
erhalten, der ihm mit medizinischen Ratschlgen in seinen Briefen und Sendung von
Medikamenten beistand.452 Trotz anhaltender Behandlung wurde Natterer bei jeder Bewegung
von Beschwerden geplagt. Strengte er sich zu sehr an, kam es zu einem Rckfall. In diesen
schwierigen Monaten offenbarte Natterer eine sehr persnliche Seite, die sonst in seinen
Aufzeichnungen selten zu finden ist. Aus Briefen Natterers an Manso spricht nun die schiere
Verzweiflung. Manso war fr ihn die einzige Hoffnung, der einzige, der ihm in seiner Krankheit
Bestand leiten konnte, denn auch von seinen Nachbarn und Mitarbeitern hielt Natterer wenig
und meint, sie wren in ihrer Brutalitt den Indianern gleich:

Quelle esperance me reste-t-il, eloign de vous, ami cheri, qui seul pourroit soulager mes
peines, dans un desert priv presque de tout, entour des tres, qui rivalisent en brutalit
avec les indiens voisins. [] Vous, qui pouvez me secourir, je vous implore, envoyez moi de

450

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
451
Vgl. Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Zuckermhle des Capito Gama, 27. August 1826,
Archiv MVK: Aus Mangel an verstndigen rzten sterben die Menschen frhzeitig dahin; Johann Natterer an
Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13,
Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v: Aus Mangel an rztlicher Hilfe und gehrig Arzneymittel muss
man in diesem Lande frhzeitig dahinwelken.
452
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, o.O., o.D. [verm. Caiara, ca.
November/Dezember 1825], Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von
Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia
1826, fol. 8r-11v.
154

remedes, soutenez le seul espoir, qui me reste.453


Krankheit und Isolation drften auch die psychische Befindlichkeit Natterers beeintrchtigt
und massive Angstgefhle hervorgerufen haben. Deprimiert erging er sich in dsteren
Ahnungen, dass ihn die Erkrankungen frhzeitig ins Grab bringen wrden. An Manso schrieb
er: Enfin je regarde mon mal comme la cause la plus sure d'une mort primatur.454
Im Frhjahr 1826 gesellte sich zu den Leberbeschwerden noch eine schmerzhafte Entzndung
des Harntraktes, die das Urinieren fast unmglicht machte. Natterer beeilte sich, seinem
Freund Manso zu versichern, dass das auf keinen Fall mit irgendwelchen Exzessen dans les
plaisir de Venus zusammenhngen knne, da er vllig enthaltsam lebe.455 Die
Blasenkrmpfe, ber die er in den folgenden Monaten immer wieder klagte, behandelte
Natterer mittels Dunst und andere Bder und Kampfer.456
Manso scheint der einzige gewesen zu sein, dem Natterer seine Sorgen und seinen Kummer
ber seine zunehmende Vereinsamung anvertraute. Dem Botschafter in Brasilien und seinem
Chef in Wien gegenber uerte sich Natterer hingegen meist optimistisch und
zuversichtlich, wohl auch, um nicht eine vorzeitige Rckberufung zu provozieren. Manso
teilt Natterer berraschend offen seine Stimmungen und Gefhle mit und spricht von seiner
Einsamkeit, seinen Krankheiten und davon, dass er vllig abgesondert lebe, ohne zu wissen,
was in der Welt vorgeht: Je vis ici separ de presque tout le monde, ignorant tous les
evenemens politiques.457 An anderer Stelle beklagt er das Fehlen eines Freundes, der ihm
wieder Mut machen wrde: Il me manque un ami comme vous pour me ranimer et pour
m'encourager de prendre les remedes convenable.458
453

Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, o.O., o. D. [verm. Caiara, ca.
November/Dezember 1825], Archiv MVK.
454
Johann Natterer an Antonio Luiz Patricio da Silva Manso, Zuckermhle des Capito Gama, 18. August 1826,
Archiv MVK.
455
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Caiara, 24. Mrz 1826, Archiv MVK; vgl. Johann
Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Caiara, 18. Mai 1826, Archiv MVK.
456
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v; Johann Natterer an Antnio
Luiz Patricio da Silva Manso, Zuckermhle des Capito Gama, ,18. August 1826, Archv MVK. Kampfer wird
in der zeitgenssischen Medizin als krampf- und schmerzlinderndes, beruhigendes Medikament gegen
Entzndungen, Geschwre, rheumatische Beschwerden, Gicht und Blasenleiden verwendet, vgl. MELLIN:
Praktische Materia Medica (1793) 350-356, SCHMIDT: Lehrbuch der Materia medica (1811) 227; EDWARDS
VAVASSEUR: Handbuch (1827) 364-366; WENDT: Praktische Materia medica (1830) 201-205.
457
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Caiara, 24. Mrz 1826, Archiv MVK.
458
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Zuckermhle des Capito Gama, 18. August 1826,
155

Natterer spricht hufig ber Einsamkeit und das Gefhl der Isolation, weit weg von allem
Geschehen in der Welt zu sein, verschweigt dabei aber, dass er tatschlich kaum jemals
wirklich alleine war. Natterer bringt hier sein Empfinden zum Ausdruck, dass ihm ein in
seinen Augen gleichwertiger Ansprechpartner fehlt, mit dem sich ein lohnendes Gesprch
fhren liee. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass Natterer in seinen
Aufzeichnungen und Briefen fast ausschlielich die Ich-Form verwendet. Seine Begleiter,
seine Kontakte mit jenen Menschen, mit denen er Tag um Tag unter schwierigsten
Bedingungen verbrachte, finden praktisch nie Erwhnung, auer im Zusammenhang mit
einzelnen, ganz bestimmten Ereignissen (Erkrankungen, Dienstauftrge, Fehler). Insgesamt
treten seine Reisegefhrten und Mitarbeiten aber selten in Erscheinung und Natterer
beschreibt in seinen Berichten nie eine Gruppe, der er sich auch mit einem Wir-Gefhl
verbunden sieht. Selbst sein Jagdgehilfe Dominik Sochor, der berhaupt in den Berichten und
Briefen nur selten erwhnt wird, gehrt fr ihn nicht zu jener Kategorie Freund, die der
meist weit entfernte Arzt Manso fr ihn darstellt. Mit Manso verbinden ihn gemeinsame
Interessen und die gegenseitige Akzeptanz als Experten und Naturwissenschafter schafft
die Basis fr ein freundschaftliches Verhltnis. Das Fehlen dieser Basis, die auf Bildung
beruht, isoliert Natterer von den Menschen, mit denen er gemeinsam reist.

12.2. Strategien des Erzhlens Auswahl und Authentizitt

In Natterers Briefen und Berichten wird offensichtlich, dass sich der Verfasser bemhte,
mglichst wenig auf seine negativen Erfahrungen, Belastungen und ngste einzugehen.
Bezeichnenderweise schildert Natterer derartige unmittelbare Reiseeindrcke wie auch
viele andere Beschreibungen seiner tristen Lebensumstnde vor allem seinem Bruder. Josef
Natterer war als Kustos der zoologischen Abteilung zwar auch Kollege und Vorgesetzter,
aber die Briefe an den Bruder zeigen mehr Vertrautheit und Offenheit als die offizielle
Berichte an Schreibers oder den jeweiligen Botschafter, gerade was die bedrohlichen,
gefhrlichen und unangenehmen Seiten der Reisen betrifft. Besonders deutlich zeigen sich die
Unterschiede in der Darstellung seiner Erlebnisse im Falle von Krankheiten. Als Beispiel fr
diese unterschiedlichen Erzhlstrategien knnen Natterer ber seine ersten Erkrankungen
Archiv MVK.
156

herangezogen werden.
In den ersten Jahren seines Aufenthalts in Brasilien waren auer einer Erkrankung in Rio de
Janeiro im Sommer 1818 kaum gesundheitliche Probleme aufgetreten. Auch zu Beginn der
Reise in das Landesinnere konnte sich Natterer vor Krankheiten erfolgreich schtzen, und
zwar mit dem hufigen Gebrauch von kalten Bdern.459 Doch schon ein halbes Jahr nach
dieser Mitteilung, im Frhjahr 1823, breiteten sich whrend des Aufenthalts am Rio Paran in
der Regenzeit Krankheiten in Natterers Reisegruppe aus.
Am 20. Mrz 1823 hatte Natterers Gruppe das Winterlager bei Irisanga verlassen. Einen
Monat spter erreichte sie den Rio Grande do Paran.460 Die Gegend am Paran galt wegen
der zahlreichen berschwemmungen und Smpfe besonders in der Regenzeit als sehr
ungesund. Die Erkrankung zweier Maultierfhrer (camaradas) machte jedoch einen lngeren
Aufenthalt am Paran unumgnglich. Auch Natterer blieb nicht verschont. Whrend er in
dem offiziellen Bericht an Karl von Schreibers nur am Rande erwhnte, dass seine
Gesundheit angegriffen war, zeichnete der Brief an seinen Bruder ein wohl realistischeres
Bild dessen, wie es wirklich um ihn stand. Er schrieb:

Ich selbst war nicht gesund, zwar nicht bettlgrig, doch oft konnte ich fast nicht gehen. Ich hatte
Schmerzen in den Gelenken, abwechselnd ein paar Tage in dem einen, dann im andern Fusse,
bald in den Achseln, Rkgrath, Hften, Ellbogen, sogar in den Handgelenken. [] Das Reiten
konnte ich fast gar nicht aushalten.461
Im gleichzeitigen Bericht an Baron von Mareschal, der als sterreichischer Gesandter die
Oberhoheit ber die Expedition inne hatte und die sofortige Rckkehr nach Rio de Janeiro
htte befehlen knnen, verschwieg Natterer diese schwere Krankheit ganz.462
In den offiziellen Berichten erscheinen gerade die alltglichen Aspekte seiner Reise und die
damit verbundenen Schwierigkeiten reduziert auf legitimierende Argumente, die Verlauf und
Dauer der Reisen belegen und rechtfertigen mssen. Nun geht es nicht darum, festzustellen,
dies eine wre eine authentische Wahrheit, das andere deren Verschleierung. Es geht um
unterschiedliche Darstellungsweisen, die aus bestimmten Grnden einzelne Elemente in der
459

Johann Natterer an Josef Natterer, Salto, 26. Oktober 1822, WStLB, HS, 7880.
Vgl. Tagebuch-Fragment 26. Mrz 9. April 1823, Archiv MVK.
461
Johann Natterer an Josef Natterer, Gois, 29. August 1823, WStlB, HS, 7881.
462
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Gois, 25. August 1823, Archiv MVK; Johann Natterer an Wenzel
Philipp Leopold von Mareschal, Gois, 27. August 1823, Archiv MVK.
157
460

Erzhlung hervorheben, andere aber verschweigen.


Natterers Tendenz, gegenber seinen Vorgesetzten die auftretenden Probleme herunter zu
spielen, zeigt ein deutliches Interesse. Jede Betonung von Gefahr oder mglichen Verlust an
Menschenleben oder Material wrde wohl die Expeditionsleitung dazu veranlasst haben, die
Expedition so bald als mglich zu beenden. Wie sich auch in der Folge immer wieder zeigen
wird, wollte Natterer genau das verhindern oder zumindest so lange wie mglich
hinauszgern. In den offiziellen Berichten stellt sich Natterer als disziplinierter Forscher dar,
der die Schwierigkeiten und sogar sein eigenes Leid als Faktum feststellt, aber sich kaum
darber klagt. Probleme werden eher am Rande erwhnt, dienen als Erklrung und
Entschuldigung fr Versptungen oder werden zu Herausforderungen, die berwunden
werden mssen. Es entsteht eine Distanz, die am Beispiel der Krankheit besonders deutlich
wird. Als handelnde (und leidende) Personen nimmt sich Natterer gerade in dieser Situation
vllig zurck und kommt in seinen eigenen Berichten in diesen sehr persnlichen und
schwierigen Situationen nicht vor. Im Gegensatz zu den Briefen an den Bruder sind die
offiziellen Berichte geprgt von einer sehr starken Zurckhaltung in der Schilderung
persnlicher Lebensumstnde. ber die Entbehrungen des Alltags, unter denen er zu leiden
hatte, spricht er meist nur zu seinem Bruder.
Die Krankheiten kosteten Natterer whrend dieser Jahre viel Zeit, und er rechnete offenbar
damit, dass die Geduld seiner Vorgesetzten schon sehr strapaziert war. Daher appellierte er in
seinen Briefen nicht nur an deren Nachsicht, weil ihn immer wieder widrige Umstnde an der
Ausfhrung seiner Plne behinderten. Er versuchte auch in Erinnerung zu rufen, dass seine
Anwesenheit in Brasilien eine einmalige Chance fr das Wiener Museum sei. Dabei wird eine
Strategie sichtbar, auf die spter noch zurckzukommen sein wird. Es ist die Chance auf einen
bedeutenden Ausbau der Sammlungen, die Natterer immer wieder anspricht, um seine
Vorgesetzten von seiner Arbeit und der Notwendigkeit ihrer Verlngerung zu berzeugen. In
diesem Sinne schrieb er im Februar 1825 an Direktor Karl von Schreibers:

Sollte ich glklich den Amazonenfluss erreichen, so werden Euer Hochwohlgeboren gewiss es
billigen, dass ich diesen Strom, so weit als er dem brasilischen Scepter unterworfen, befahre,
dass ich den Rio Negro etwas hinangehe. Warum sollte ich denn nicht jene Zeit noch bentzen,
da ich nun doch schon einmahl hier bin und keine Hoffnung mehr habe, je wieder
hieherzukommen und auch wahrscheinlich so bald niemand vom sterreichischen Hofe nach
Brasilien geschikt werden wird, um Sammlungen zu machen. Ich sehe zwar wohl ein, dass ich
158

schon eine geraume Zeit Brasiliens Boden betrette, ich sehe ein, dass ich - zwar durch eine
Verkettung von Umstnden gehindert - nur langsam vorrke und erst so wenig geleistet habe,
ich sehe ein, dass Seine Mayestt, der so gndig und huldvoll die Verlngerung meiner Reise
billigte, endlich durch mein langes Aussenbleiben ungndig werden knnte, doch habe ich
festes Vertrauen auf die gtige und mchtige Frsprache von Euer Hochwohlgeboren, denn ich
bin berzeugt, dass die Bereicherung und Verschnerung des unter der weisen Leitung von
Euer Hochwohlgeboren zu einem so hohen Grade an Vollkommenheit gelangte kaiserliche
Musum gewiss Euer Hochwohlgeboren sehr am Herzen liegt.463
Und Natterer gab sich wirklich alle Mhe, seine Unternehmungen mit Ergebnissen zu
rechtfertigen und seinen Teil zur Vollkommenheit der kaiserlichen Sammlungen beizutragen.
Alleine der Transport, den er schlielich im Mai 1825 verpackte, umfasste 115 Sugetiere, 1386
Vgel, 112 Amphibien, 183 Fische, 3531 Insekten und 56 Conchilien. Dazu kamen noch 175
Flschchen Eingeweidewrmer und die Effekten der Apiacas und Mundurucu, insgesamt 127
Stck.464
Whrend seines Aufenthalts in Cceres 1825/26 gelang Natterer auch der Erwerb einer
umfangreichen Sammlung von Waffen, Gerten, Schmuck und Bekleidung der Bororo, die in
der Umgebung lebten. Natterers Zusammentreffen mit diesen Indiern ist der am besten
dokumentierte Kontakt zwischen dem Forscher und einer indigenen Gruppe. Zu keiner
anderen Ethnie hat sich Natterer im Lauf seiner Reisen so ausfhrlich geuert.

13. DIE INDIER BEGEGNUNGEN EINES NATURFORSCHERS

Weh mir! Zu welchem Volke bin ich nun wieder


gekommen? Sinds unmenschliche Ruber und sittenlose
Barbaren, oder Diener der Gtter und Freunde des
heiligen Gastrechts?
Homer: Odyssee (13. Gesang). Aus dem Griechischen
von Johann Heinrich Voss, herausgegeben von Peter
Von der Mhll (Zrich 1980) 175.

463
464

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Cuiab, Februar 1825, Archiv MVK.
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 24. Mai 1825, Karton 11, Konv. 1 (alt
159

Das Vordringen in entlegene Regionen Brasiliens bot Natterer die Mglichkeit, Kontakt mit
indigenen Gruppen aufzunehmen, die noch kaum oder erst vor kurzer Zeit in Berhrung mit
den

Auslufern

der

europischen

Zivilisation

gekommen

waren.

Stand

eine

ethnographische Forschung auch nicht im Zentrum der Aufgaben Natterers, so nutzte er doch
die sich bietenden Gelegenheiten, um von den Eingeborenen umfangreiche Sammlungen von
Objekten zu erwerben und Informationen ber sie zu sammeln.Whrend der ersten Reisen
scheint Natterer nur selten Kontakt zu Indianern gehabt zu haben. Belegt ist nur eine
Begegnung mit einer Angehrigen der Cam 1820 in Curitiba.465 Fr das Fehlen weiterer
Kontakte spricht auch, dass in den von Natterer aufgezeichneten Wortlisten mit
verschiedenen Dialekten nach den Aufzeichnungen ber die Cam-Frau und die Coroados in
Minas Geraes (wo Natterer nie war und wovon er ber Mittelsmnner erfahren haben drfte)
die fortlaufenden Eintrge in diesen Wortlisten mit den Notizen ber die Indier Borors466
fortgesetzt werden, die whrend Natterers Aufenthalt in Mato Grosso um 1825 aufgezeichnet
wurden.
Geht es nun darum, zu ergrnden, wie Natterer das Zusammentreffen mit den Indiern
kommentierte und verarbeitete, kann man in seiner Auseinandersetzung mit den Bororo
mehrere Ebenen herausarbeiten: seine Beurteilung der Versuche von Seiten der
brasilianischen Siedler und Behrden, die Bororo sesshaft zu machen und sie den eigenen
Vorstellungen von Kultur zu unterwerfen, seine Darstellung der persnlichen Begegnung mit
den Bororo und seine Reflexionen ber diese Begegnung, weiters die Bedeutung, die Natterer
diesen Kontakten im Rahmen seiner Forschungsarbeit zuschrieb, sowie seine Stellungnahmen
zu den latenten Konflikte zwischen Brasilianer und frei lebenden, wilden Indiern.

13.1. Kontakte mit den Bororo

Natterers erste Erwhnungen indigener Gruppen in Zentralbrasilien lassen diese als


potentielle Feinde der Europer bzw. Brasilianer erscheinen. Ohne zu przisieren, um welche
Gruppen es sich handelt, berichtet er, dass man im Serto de Cuyaba, dem Steppengebiet
Fasz. 10), Berichte 1825 IX-XII, fol. 96r-97r.
Johann Natter an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1821, Archiv MVK.
466
KANN: Wortlisten (1989) 108.
465

160

zwischen Cuiab und Rio Araguaia (Planalto de Mato Grosso), wegen Anflle der Wilden auf
[der] Hut seyn msse467. Er drfte sich wohl auf die Bororo bezogen haben, die damals noch
weite Teile des Mato Grosso besiedelten. Das Eindringen der Portugiesen in das Mato Grosso
im Laufe des 18. Jahrhunderts hatte eine Teilung der Siedlungsrume der Bororo zur Folge.
Die Bororo teilten sich in zwei getrennte Gruppen, die stlichen Bororo und die
Westlichen Bororo. In der Umgebung von Cceres hatte Natterer mehrmals Kontakt mit
Bororo-Gruppen, die nach der gngigen Terminologie den Westlichen Bororo zuzuordnen
sind.468
Die Gruppe der Objekte, die Natterer von den Bororo erworben hat, bildet mit 234 Stcken
den zweitgrten Teilbestand der gesamten Sammlung.469 Unter allen Begegnungen des
Forschers mit Eingeborenen ist jene mit den Bororo am besten dokumentierte. Natterer hatte
wohl in den Jahren zwischen 1825 und 1829 mehrmals Gelegenheit, Informationen ber die
Bororo zu erlangen. In der Umgebung von Cceres (zu dieser Zeit Villa Maria) lag zu dieser
Zeit eines der verbliebenen Siedlungsgebiete der (westlichen) Bororo. Ein Zusammentreffen
etwa in den Jahren 1825/26 wurde von Natterer ausfhrlicher beschrieben. Erstmals berichtet
er von einem persnlichen Besuch bei einer Gruppe der indigenen Bevlkerung, die (noch)
kaum an die brasilianisch-portugiesischen Gesellschaftsstrukturen angepasst war. Dieser
Kulturkontakt (Bitterli) kann als Fallbeispiel zeigen, wie Natterer die Indier erlebte und
welche Sicht er von der indigenen Bevlkerung hatte.
Natterer unterscheidet in seinen Aufzeichnungen Bororos da Campanha und Bororos do
Cabaal. Mit dem Namen Bororos da Campanha oder Borors Biriboccon bezeichnet
Natterer jene Gruppen, die in den Steppengebieten des westlichen Mato Grosso lebten. Die
Gruppen, welche die nrdlich davon gelegenen Wlder besiedelten und die sich manchmal
vehement gegen die brasilianische Kolonialisierung zur Wehr setzten, bezeichnete er als
Borors Aravir oder Bororos do Cabaal, benannt nach dem Fluss, an dem sie lebten.470 In
der Umgebung von Cceres am Rio Paraguai befanden sich laut Natterer einige Ansiedlungen

467

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 14. Februar 1824, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 9, Konv. 1 (alt Fasz. 8d), Berichte 1824, fol. 216r-221r.; vgl. Johann Natterer an Josef
Natterer, Gois, 29. August 1823, WStLB, HS, 7881.
468
STEINLE: Waffen und Gerthschaften (2000) 47. Zu den Bororo vgl. ALBISETTI, Csar
VENTURELLI, Angelo Jaime: Encicplopedia Boror. 3 Bde. (Campo Grande Mato Grosso 1962-1976).
469
KANN: Brasilienexpedition (1992) 111.
470
STEINLE: Waffen und Gerthschaften (2000) 47f.
161

von Bororo da Campanha: in Cceres selbst, auf der Fazenda da Caissara unweit von
Cceres (wo Natterer in den Jahren 1825/26 sein Standquartier hatte), im nahe gelegenen
Dorf Pau Secco, sowie beim registo do Jauru (der Furt samt Mautstelle am Rio Jauru auf
dem Weg nach Vila Bela de Santissima Trindade) und in Jacobina.471 ber das Verhltnis
zwischen Bororos da Campanha und Bororos do Cabaal brachte Natterer folgendes in
Erfahrung: Sie verstehen sich einer den andern nicht und doch scheinen sie frher eine
Nation formirt und durch Feindseligkeit sich getrennt zu haben.472 Die Bororo vom Rio
Cabaal seien eine unbndige, verwegene Nation und die Borors da Campanha frchten sie
sehr.473 Diese Einschtzung spiegelt vielleicht Differenzen zwischen zum Teil bereits sesshaft
gewordenen Bororo und den frei lebenden Gruppen wider, ist aber kennzeichnend fr die
Perspektive, in der Natterer (und viele andere Brasilianer und Europer) die Dinge sahen: auf
der einen Seite die auch unter Anwendung von Gewalt sesshaft Gemachten, die mit der
Aufgabe ihrer nomadisierenden Lebensweise den gesellschaftlichen und politischen
Vorstellung der Brasilianer und der Europer entsprachen, auf der anderen Seite die
Wilden.
Nation ist in Natterers Begrifflichkeit eng an die Sprache gebunden. Seine Verwendung des
Begriffs Nation bezieht sich nicht auf eine territoriale und politische Einheit oder ein Form
von staatlicher Organisiertheit (die Natterer, wie im folgenden zu sehen ist, auch in keiner
Weise anerkennen wrde) und auch nicht auf ein Staatsvolk.474 Die Indier (und gerade die
wilden unter ihnen) gehren gerade eben nicht zum brasilianischen Staatsvolk. Sie werden
als Auenstehende und als Bedrohung gesehen. Erst ihre Anpassung an die brasilianische
Gesellschaft ermglicht eine Form von Anerkennung, soweit sie die Regeln dieser
Gesellschaft akzeptieren. Nation bezeichnet fr Natterer in erster Linie eine Gruppe, die
sich durch gemeinsames Handeln (soweit es von auen als solches wahrnehmbar ist) und vor
allem gemeinsame Sprache auszeichnet. Auf die Sprache als differenzierendes Merkmal, an

471

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
472
Notiz, o.D. [nach April 1826], NHM, Archiv fr Wissenschaftsgeschichte, Natterer, Notizen.
473
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r.
474
Zur Geschichte des Begriffs Nation als Bezeichnung fr sprachlich und kulturelle, jedoch nicht staatlicher
Zusammengehrigkeit vgl. KOSELLECK, Reinhart: Volk, Nation, Nationalismus, Masse. In: BRUNNER, Otto
CONZE, Werner KOSELLECK, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur
politisch-sozialen Sprache in Deutschland 7 (Stuttgart 1992)141-341, bes. 231-236 und 305-307.
162

dem sich Natterer orientierte und das ihn auch interessierte, werde ich noch zurckkommen.
Der in der Literatur oft zitierte und wahrscheinliche einzige intensivere Kontakt Natterers mit
einer Gruppe Bororo fand in der Nhe der Fazenda da Caissara im Wald des Sangrador statt,
und zwar zwischen Oktober 1825 und Juni 1826.475 Dieses Treffen war das einzige, das
Natterer als aktiv von ihm initiierten und gesuchten Kontakt mit indigenen Gruppen beschrieb.
Alle anderen Begegnungen ergaben sich in seiner Darstellung zufllig im Verlauf seiner Reisen,
doch in diesem Fall unternahm er mehrmals eine Suche nach den unweit seines Lagers lebenden
Bororo.
Bei seinem ersten Versuch konnte Natterer das Dorf der Bororo nicht finden, denn sie hatten
[] schon ihren Wohnort verndert. Diese Gruppe schien ihre traditionelle Lebensweise
zumindest zum Teil noch beibehalten zu haben, denn, so Natterer, sie nomadisiren in kleinen
Horden auf der hiesigen fazenda. Dieser Befund erscheint insofern interessant, als damit ein
Kernanliegen der spter zu beschreibenden Versuche, die Bororo zu unterwerfen, nur teilweise
realisiert zu sein scheint. Die Bororo waren zwar im Umkreis des Landgutes anzutreffen, aber
sie waren noch nicht in vollem Sinne sesshaft.
Ausgerstet mit Rauchtabak, farinha (Maniokmehl), rapaduras (Zuckerstangen), Scheren und
Messer und Ringe und rothes Schnupftuch als Geschenke und Tauschwaren fand Natterer
schlielich die gesuchte Gruppe. Die Bororo empfingen den Fremden mit einem wie er es
interpretiert groen Freudengeschrey, bewirteten ihn mit Fleisch der gersteten BaicaiuvaCocosse und mit chicha, einem slichen Getrnk aus eben diesen Cocussen. Natterers
Beschreibung bleibt im Wesentlichen neutral und distanziert. Auch die fr Europer
ungewohnte Nacktheit der Bororo vermerkt er beobachtend und scheinbar sachlich:
Sie gehen ganz nakt, die einzige Bedekung der Mnner ist ein fingerbreiter Streifen des Blattes
der Guaguam-Palme, welches sie so verbinden, dass es eine Art Ring formirt, den sie vorne ans
Zeugungsglied steken, [] Die Weiber bedeken etwas mehr, denn sie haben eine ber eine
Spann breite Binde aus der inneren Baumrinde des Baumes Nagale coga um den Leib
gebunden.

475

Die folgenden Zitate ber den Besuch bei den Bororo stammen, wenn nicht anders angegeben, aus dem Brief
von Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v. Natterer schreibt, der Besuch
habe am Ende der trockenen Jahreszeit stattgefunden, also etwa Oktober/November 1825. Darauf deutet auch
ein Brief hin, in dem Natterer den Erwerb von Gegenstnden bei den in der Gegend lebenden Bororo erwhnt,
vgl. Johann Natterer an Antnio Peixoto de Azevedo, Caiara, 19./25. November 1825, Archiv MVK.
163

Es scheint, dass die Kontakte zu den indigenen Gruppen so kurzfristig verliefen und auf das
Sammeln von Objekten konzentriert waren, dass sich fr Natterer kaum eine andere
Sichtweise erffnen konnte. Die Schilderung des Erwerbs von Objekten beschliet die
Aufzeichnungen ber den Besuch bei den Bororo. Dabei wird auch deutlich, dass das
Eindringen des Forschers in private Lebensbereiche durchaus problematisch ist. Als der
Naturforscher von einer Frau eine der oben erwhnten Leibbinden erwerben will, wird auch
fr ihn dieser Widerstand sprbar: Keines der Weiber wollte sich entschliessen, mir diese
Zierde abzulassen, erzhlt Natterer, doch endlich siegte ein rothes Tuch, und die Besitzerin
begab sich in ihre Htte, und schikte mir durch ihren Mann die Binde.476 Besuch und
Tauschgeschfte scheinen in Natterers Darstellung fr beide Seiten zufrieden stellend
gewesen sein. Die Bororo gaben dem Reisenden Proben von ihrer Tanzkunst mit Gesang,
welches schauerlich schn war und er selbst beschenkte sie alle mit dem, was [er] mitbrachte,
und handelte alles, was sie von Hals- und Kopfzierden, Blashrner und Waffen ablassen
wollten, ein.
Natterer prsentiert sich in diesem Bericht als Forscher und Sammler, der sich auf die
wesentlichen

Aspekte

Hofnaturalienkabinetts

seines

auf

ausgerichteten

die

Bereicherung

Auftrages

der

konzentriert:

Bestnde

des

Sammeln,

Wiener
Erwerben

Inventarisieren, Katalogisieren, Objekt fr das Museum sichern. Doch der Kontakt mit fremden
Kulturen provoziert Definitionen des Eigenen und des Fremden und Grenzziehungen zwischen
der Kultur, die als die eigene angesehen wird, und anderen, als fremd empfundenen Kulturen.

13.2. Zahme und Wilde

Die Begegnung des Forschers mit den Indiern bekommt eine weitere Dimension durch die
laufenden bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen brasilianischen Siedlern und den
Wilden vom Cabaal,477 die sich nicht in das brasilianische Konzept von Zivilisierung
476

Ob Natterer hier einem geschlechtsspezifischen Blick folgt, der Tausch als ein zwischen Mnnern
organisiertes Geschft festschreibt, ist nicht klar. Natterer schildert auch das Beispiel eines Tausches, bei dem
eine Frau einen Tauschhandel zwischen ihren Shnen und Natterer einfdelt, den die Shne anfangs ablehnen,
vgl. Johann Natterer an Josef Natterer, Marabitanas / Barcelos, 28. Februar / 31. August 1831, WStLB, HS,
7884.
477
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v; Johann Natterer an Wenzel
Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 17, Konv. 4
164

einfgten. Hier bezieht Natterer eine klare Position.


Wie die Integration der Bororo in den brasilianischen Siedlungen und ihre Befriedung
vor sich ging, schilderte Natterer relativ ausfhrlich. Er berichtete unter anderem von einem
Vorfall, der sich Anfang der 1820er-Jahre ereignet hatte, nmlich wie man in der Umgebung
von Cceres die Bororo
[] endlich zum Frieden nthigte, und zwar auf eine sehr einfache und wirksame Art,
nhmlich man nahm bey dem letzten Streifzuge gegen sie, erst vor einigen Jahren, eines ihrer
Oberhupter samt einer Anzahl Mnner gefangen. Der Commandant des Districtes von Villa
Maria hielt sie einige Zeit bey sich gefangen, behandelte sie sehr gut und beschenkte sie.
Dem Chef aber liess er verdollmetschen, da er ihm und seinen Genossen die Freyheit geben
wrde, wenn er versprche, dass er die Seinigen zum Frieden berreden wrde. Dies that er,
und so kehrte er berm Jauru zurck. Nach einiger Zeit brachte er eine Anzahl Mnner mit
sich, die der Commandant ebenfalls gut bewirthete und beschenkte. Endlich wurden sie
vertrauter und hohlten ihre Weiber.478

Diesen Vorfall besttigt auch der Maler Hercule Florence (1804-1879), Mitglied der
russischen Forschungsexpedition von Georg Heinrich von Langsdorff, der sich im September
1827 in Jacobina und Cceres aufhielt, in seinem Reisebericht. Florence schreibt, dass der
gefangene Stammesfhrer getauft wurde und den Namen jenes Kommandanten von Villa
Maria, Joo Pereira Leite, erhielt.479
Die Brasilianer erzwangen die Ansiedlung der Bororo in der Umgebung der Ortschaften bzw.
landwirtschaftlichen Gter und betrieben deren Integration, indem sie sie zur Arbeit in der
Landwirtschaft heranzogen, wie Natterer zu berichten wei: Einige sind auch schon unter den
Viehknechten, obschon sie im ganzen sehr faul sind.480 Der Nachsatz zeigt Natterers geringes
Verstndnis fr die Bororo, die mehr oder weniger gewaltsam zur Sesshaftigkeit gezwungen
wurden und sich jetzt Ttigkeiten widmen sollten, die zu ihrem bisherigen, traditionellen
Leben als Jger und Nomaden in keinem Bezug standen. Zum Vorgehen der Brasilianer
hingegen uert Natterer keine Kritik.
Diese geschilderte Auseinandersetzung zwischen Brasilianern und Bororo war kein

(alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r.


Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
479
FLORENCE: Viagem (1977) 198.
480
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
165
478

Einzelfall. Natterer war selbst Augenzeuge einer bewaffneten Aktion gegen eine Gruppe von
Borors do Cabaal, die sich in der Umgebung von Cceres aufhielten. Er schildert die
Aktivitten eines brasilianischen Expeditionskorps, einer bandeira, die am 20. Februar
1826 in der fazenda von Caiara eingetroffen war. Diese Stosstrupps waren meist eine
Mischung aus Kolonisatoren, Glcksrittern, Sklavenjgern und Goldsuchern und spielten in
der brasilianischen Geschichte eine wichtige Rolle bei der Eroberung des Landesinneren und
beim Kampf gegen die indigenen Einwohner.481 Aufgaben und Absichten derartiger Truppen
definiert Natterer klar und eindeutig: Bandeira nennt man eine Abtheilung bewaffneter Leute,
die in die Wildniss eindringen, um die Wilden aufzusuchen, zu tdten oder zu Gefangenen zu
machen.482
Auslser fr die Expedition der bandeira, die Natterer beschreibt, waren angeblich berflle
der Bororo. Sie hatten Vieh und Pferde gettet, denen sie die Mhnen und Schwnze zu ihren
Kopfzierden abschneiden,483 und einen Viehknecht berfallen. Zur Verstrkung der bandeira,
die aus 37 Leuten und einem Capito bestand, wurden 10 unterworfne oder zahme Bororos, mit
Bogen und Pfeil bewaffnet, die in Pau Secco angesiedelt waren, mitgenommen.484 Die bandeira
fand zunchst nur verlassene Lagerpltze, nahm aber schlielich eine Gruppe von 24 Frauen
und Kinder gefangen und zog sich eilends zurck, verfolgt von den Mnnern der Bororo.
Natterers Kommentar zu den darauf folgenden Konflikten stellt sich eindeutig auf die Seite der
Brasilianer:
Die Wilden kamen bald auch in der Nhe hier an und waren so dreist, bis nahe ans Haus zu
kommen, doch die Hunde, deren es hier wenigst ein halbes Hundert gibt, schrekten sie. Einige
Zeit lebten wir sozusagen im Belagerungszustand, denn niemand gieng ohne bewaffnete
Begleiter, Wasser zu hohlen, da es etwas entfernt ist. Nun ist es wieder ruhiger und sie scheinen
sich in die Wlder zurkgezogen zu haben.485
481

Zu den bandeiras vgl. MORSE, R.M. (Hg.): The Bandeirantes. The Historical Role of the Brazilian
Pathfinders (New York 1965); BITTERLI: Entdeckung Amerikas (1992) 312-319.
482
Notiz, o.D. [zwischen Februar und Juni 1826], Archiv MVK.
483
Notiz, o.D. [zwischen Februar und Juni 1826], Archiv MVK; Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold
Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13),
Varia 1826, fol. 8r-11v.
484
Notiz, o.D. [zwischen Februar und Juni 1826], Archiv MVK; MANIZER: Expedio (1967) 123 behauptet,
Pau Secco sei ein Dorf der bororos-aravirs ou cabaais gewesen. Das erscheint angesichts der Aussagen
Natterers und der Tatsache, dass sich Ludwig Riedel und Adrien-Aim Taunay, Mitglieder der Expedition von
Georg Heinrich von Langsdorff, im Dezember 1827 dort ungefhrdet aufhielten, sehr unwahrscheinlich,
bescheinigt Manizer doch zugleich, dass sich diese Bororo extrem feindlich gegenber Weissen verhalten
htten.
485
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
166

ber das Schicksal der entfhrten Frauen und Kinder verliert Natterer kein Wort. Hingegen
nutzt er diesen bandeira-Zug fr seine Ziele und erhandelte zur Bereicherung seiner
Sammlungen von Mitgliedern dieser Truppe Bogen, Pfeile und andere Kleinigkeiten der
Borors do Cabaal, die diesen whrend der Gefechte in die Hnde gefallen waren.486
Bemerkenswert an den Ausfhrungen Natterers ist die Indifferenz gegenber der Gewalt, mit
der die Indier mit der europischen Zivilisation konfrontiert werden. Natterer nimmt nur die
Aggression der Bororo als solche wahr, das Vorgehen der Brasilianer stellt er als legitime
Schutzmassnahme dar. Ein Recht auf eigenstndige Lebensweise, eigenes Territorium und
kulturelle Entfaltung wird den Bororo nicht zugestanden. Implizit teilt Johann Natterer die Sicht
der Brasilianer, die in den Bororo vor allem Objekte der Befriedung, Unterwerfung und
Dienstbarmachung sahen. Die von Schriftstellern der Aufklrung verschiedenster Richtungen
propagierte Gleichheit der Menschen und ihrer Kulturen ist fr Natterer ebenso wenig ein
Thema wie eine eigenstndige Relevanz der Fremdkultur (Bitterli) oder die Notwendigkeit
interkultureller

Verstndigung.

Diese

Positionen

waren

im

philosophischen

und

anthropologischen Diskurs der Aufklrung bereits zumindest theoretisch formuliert.487 Ihre


praktische Relevanz und allgemeine Anerkennung stehen allerdings auf einem anderen Blatt.
Eine andere, verstrkt im Laufe des 18. Jahrhunderts verwendete Zuschreibung an
auereuropische Kulturen ist das Idealbild des edlen Wilden, dessen Lebensweise Vorbild
fr den Europer ist oder zumindest Respekt und Toleranz einfordert.488 Doch die im
philosophischen Diskurs entstandene Figur des edlen Wilden hat mehr mit den
Auseinandersetzungen um jeweils eigenen politischen, sozialen, philosophischen und
zivilisatzionskritiscehn Problemstellungen zu tun, denn mit einer intensiven Beschftigung mit
den

auereuropischen

Kulturen

selbst.

Beide

Positionen

Anerkennung

einer

Gleichberechtigung und Idealisierung spielen fr Natterer in seiner Auseinandersetzung mit


den indigenen Kulturen keine Rolle.
In Abgrenzung zu den Wilden gebraucht Natterer die Zuschreibungen zivilisiert und
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
487
Vgl. BITTERLI: Die Wilden und die Zivilisierten (1991) 207-217, 325-366.
488
Vgl. KOHL, Karl-Heinz: Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden und die Erfahrung der Zivilisation
(Berlin 1981) 112-238; BITTERLI: Die Wilden und die Zivilisierten (1991) 367-392, 411-425.
167
486

zahm fr jene indigenen Gruppen, die sich in die brasilianische Gesellschaftsordnung


einfgen. Den Begriff Kultur verwendet Natterer nur im Zusammenhang mit Errterungen
zur Landwirtschaft und Pflanzen.489 Zivilisation wird im zeitgenssischen deutschen
Sprachgebrauch hufig synonym fr Kultur verwendet. Whrend Kultur aber eher mit
Wissenschaft, Kunst, Bildung und geistigen Leistungen assoziiert wird, verweist Zivilisation
auf die allgemeinen Lebensbedingungen, Gebruche und Sitten im Sinne einer Moralitt einer
Gruppe. bersetzungsversuche geben Zivilisation unter anderem mit Versittigung und
Entwildung wider.490
Auf diese Wandlung eines wilden Zustandes hin zu einer Zivilisation, wie er sie versteht,
bezieht sich Natterer in seinen Bemerkungen zu indigenen Gruppen. Die Zuschreibung
zivilisiert findet sich in Natterers Aufzeichnungen allerdings nur zwei Mal. Beide
Verwendungen beziehen sich auf Indigene, die sich angesiedelt haben (einer wird sogar als
Gutsbesitzer bezeichnet) und die Spanisch bzw. Portugiesisch gelernt haben. Der einzige
Hinweis auf Natterers Erwartungshaltung bezglich der Wandlung von Wilden zum
Zivilisierten ist in diesem Zusammenhang seine Formulierung: Die Bewohner sind [],
schon etwas zivilisirt.491
Der zentrale Begriff in Natterers Beschreibung sesshafter gemachter, akkulturierter oder sonst
an Formen der brasilianischen Gesellschaft angepassten indigenen Gruppen ist jedoch das Wort
zahm.492 Der Gegensatz wild zahm verweist auf eine fr die Tierwelt gebruchliche
489

Johann Natter an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1820, Archiv MVK; Johann Natterer an Georg
Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 23. September 1827, Archiv MVK; Johann Natterer
an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 17,
Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r. Die einzige Ausnahme findet sich
bezeichnenderweise in einem in Franzsisch verfassten Brief, in dem Natterer ber le peu de culture einiger
Spanier spricht, wobei unklar ist, ob Natterer dabei mangelnde Bildung oder unzivilisiertes Verhalten meint,
vgl. Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Vila Bela de Santissima Trindade, 24. August
1828, Archiv MVK. Zum Gebrauch von culture im Franzsischen vgl. FISCH, Jrg: Zivilisation, Kultur. In:
BRUNNER, Otto CONZE, Werner KOSELLECK, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe.
Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland 7 (Stuttgart 1992) 705f.
490
FISCH: Zivilisation, Kultur (1992) 723-738. Vgl. dazu auch den noch immer lesenswerten Artikel von
FEBVRE, Lucien: Zur Entwicklung des Wortes und der Vorstellung von Civilisation (Erstverffentlichung 1930).
In: FEBVRE, Lucien: Das Gewissen des Historikers. hg. und aus dem Franzsischen bersetzt von Ulrich RAUFF
(Frankfurt/Main 1990) 39-77.
491
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas / Barcelos, 1831 Februar [20 - 28] / 1831 August 22,
Archiv MVK.
492
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Cuiab, 18./25. Februar 1825, Archiv MVK; Johann Natterer an
Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13,
Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v; Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal,
Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte
168

Begrifflichkeit. Natterer selbst verwendet zahm sonst ausschlielich in Bezug auf die
Maultiere, die er als Tragtiere verwendet. Kulturelle Unterschiede werden damit in den Bereich
der Natur verlegt. Der Begriff wild bezieht sich nicht nur auf ein unterstelltes hohes Ma an
Aggression, sondern auf die gesamte Lebensweise der indigenen Gruppen, die damit
diskreditiert wird.
Religion und Glaubensvorstellungen spielen in den Darstellungen Natterers keine Rolle.
Entscheidendes Kriterium fr seine Wertungen bleibt eine Art Zivilisation, orientiert an einer
bestimmten Kultur des Alltags, in der aus Natterers Sicht Kleidung, Reinlichkeit und
Arbeitsflei eine Rolle spielen. Wie bei Natterers Schilderung seines Besuchs bei den Bororo
festgestellt, enthlt er sich einer direkten Bewertung von Nacktheit. Auffallend ist aber, dass er
bei seinen Beschreibungen des Kontaktes mit indigenen Gruppen dem Thema Nacktheit oder
Bekleidung besondere Aufmerksamkeit widmet. Es gehrte zum Standard seiner Schilderung
erster Eindrcke, Feststellungen zu treffen, wie jene, dass etwa in einer Gruppe die Weiber bloss
mit Rk493 bekleidet wren. An anderer Stelle berichtet er: Die Mnner hatten fast alle Hosen,
einige Weiber blos kattunene Rcke, zwey waren ganz nackt.494 Nicht das Verhalten der
Menschen registriert der Naturforscher, sondern deren uere Erscheinung und hier meist an
erster Stelle ihre Nacktheit. Diese Konzentration auf das uere finden sich auch in den
Anweisungen der Dienstinstruktion, wo es heit, es sei bei der Begegnung mit Indigenen ihr
Aeusseres zu beschreiben oder bildlich darzustellen.495 Die Darstellung einer Begegnung
beginnt mit folgender Beschreibung: Sie gehen ganz nakt und nur die Mnner bedeken die
Schaam mit einem schmalen Streifen eines Baumbastes. Die Weiber binden bloss bey ihren
Tnzen eine kleine, kaum eine Hand breite, aus kleinen Glaskorallen knstlich gearbeiteten

1828 III-XI, fol. 18r-35r; Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas / Barcelos, 1831 Februar [20 28] / 1831 August 22, Archiv MVK; Johann Natterer an unbekannt [verm. Karl von Schreibers], London, 12.
November 1835, Archiv MVK. Die Begriffe Kultur und Zhmung brachte Karl Franz von Irwing 1799 in
Zusammenhang unausgesprochen im Sinne einer allgemeinen Zivilisierung: Die Kultur kann eigentlich nur
auf die Geisteskrfte gerichtet sein. [] Alle andern Arten der Ausbildung hingegen [] welche der Mensch
mit den Tieren in gewissem Betracht gemein haben kann, sind mehr eine Politur, Abrichtung, und Zhmung, als
eine Kultur., zit. nach FISCH: Zivilisation, Kultur (1992) 714.
493
Tagebuch-Fragment, 10. -21. Dezember 1830 Dezember, Archiv MVK.
494
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 20. Dezember 1829, Archiv MVK. In diesem Brief findet
sich auch eine Beschreibung einer Gruppe Caripuna, die neben Krperbemalung und Federschmuck auch
Nacktheit thematisiert: Die Weiber bedeken die Theile mit einem Cait-Blatt zwischen den Beinen
durchgezogen.
495
Dienstinstruktion, Wien, 14. Jnner 1817, HHStA Staatsakten Brasilien, Karton 1, Konv. 2 (alt Fasz. 2),
Wiss. Expedition, fol. 126.
169

Schrzen um die Lenden.496 Dass sich der Umgang mit der Nacktheit auch unter der Wirkung
seiner Anwesenheit ndert, nimmt Natterer ebenfalls zur Kenntnis. Beim Besuch einer lteren
Frau beschreibt er folgende Szene: Sie war ganz nakt, doch als ich eintrat, nahm sie eins von
den Kindern auf den Schooss und suchte einen alten, baumwollnen Rok hervor, den sie
anzog.497 Der fremde Europer wird zum Katalysator einer Zivilisierung im europischen
Sinne.
Ein zweiter Bereich, den Natterer in der Beschreibung der Lebensverhltnisse indigener
Gruppen genau registriert, ist die Reinlichkeit. Den ersten Eindruck, den er bei dem Besuch der
Bororo hat, schildert er mit wenig Begeisterung: Ihre Htten waren im Wald, mit Palmblttern
bedekt, nahe an einem Sumpf, der erbrmliches Wasser hatte es war am Ende der troknen
Jahreszeit jede Familie in einer Htte. [] Viele ibereste von Landschildkrt Jabuti und
Jacars, den hiesigen Krokodilen, lagen herum, alles war im hchsten Grade unreinlich.498
Ebenso wie im wichtig war festzustellen, dass das Lager der Bororo nicht seinen Vorstellungen
von Sauberkeit entsprach, bewertete er auch andere Drfer indigener Gruppen mit
Bemerkungen wie: berhaupt sah es ganz schweinisch aus.499
In diesem Diskurs wird es Aufgabe des zivilisierten Europers, die Wilden zu erziehen,
zu zhmen. Die Widersprchlichkeit zwischen (wissenschaftlichem) Interesse an einer
fremden Kultur und einem fraglosen Einverstndnis mit einem europischen bzw.
brasilianischen Anspruch auf Dominanz zeigt sich auch am Beispiel von Natterers Kollegen
Johann B. Emanuel Pohl. In seinem Reisewerk ber seine Unternehmungen zwischen 1817
und 1821 im Rahmen der Brasilienexpedition uert er sich an einer Stelle kritisch ber die
Lage der Cayap, die in der Mission von So Jos de Mossamedes lebten:
Die Cayaps fhren hier nicht das angenehmste Leben, die Unzufriedenheit mit ihren
Vorgesetzten, die Drftigkeit, welche sie oft kaum ihren Hunger stillen lsst, und die harte
Arbeit, mit welcher man sie in den Anpflanzungen belastet, sind die Ursachen ihrer
Verminderung und Abneigung. [] Der Indier liebt die Jagd und Fischfang, welche ihm im
wilden Zustande seinen Hauptnahrungszweig liefern, dieser Neigung konnten sie in der
496

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas / Barcelos, 1831 Februar [20 - 28] / 1831 August 22,
Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an Josef Natterer, Marabitanas / Barcelos, 28. Februar 28 / 31. August 1831,
WStLB, HS, 7884.
497
Johann Natterer an Josef Natterer, Marabitanas / Barcelos, 28. Februar 28 / 31. August 1831, WStLB, HS,
7884.
498
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
499
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 20. Dezember 1829, Archiv MVK.
170

Aldeya Maria, welche sie frher bewohnten, frey folgen. Hier mssen sie derselben gnzlich
entsagen. berdiess leiden sie an Heimweh, und vermgen es noch immer nicht, ganz dem
Hange zu ihrer alten, ungebundenen Lebensweise zu entsagen.500
Pohl erkennt wohl die Auswirkungen, die Ansiedlung, kulturelle Entwurzelung und
Zwangsarbeit, die den Indianer aufgebrdet wird, haben. Er zeigt sogar Verstndnis fr die
frhere freie Lebensweise der Kayap. Dennoch sieht auch er den einzigen mglichen Weg
einer Koexistenz zwischen Weien und Indianer in einer Erziehung der Letzteren hin zu einer
Kultur der Ersteren. Dass diese Erziehung vor allem einer Seite von Nutzen ist, sieht Pohl
ebenfalls ganz klar und ohne sich zu fragen, welchen Nutzen denn dieser Prozess fr die
Indianer haben sollte:
Es wre sehr zu wnschen, dass man einmal einen festen Weg in der Behandlung dieser
Indianer einschlge, und im Ernste daran dchte, sie auf jede Weise der Kultur zu gewinnen.
[] Die Indianer, zur Arbeit und zum Feldbau gewohnt und angehalten, knnten Lebensmittel
in Flle fr die Schiffenden erzeugen, man knnte sie zu Ruderern bilden, []. Auf diese Weise
wrden tausende, nun gnzlich nutzloser, verwilderter Menschen der Kultur und einem
ntzlichen Wirken gewonnen, und sie zu brauchbaren Staatsbrger gemacht, statt dass diese
Bevlkerung in ihren gegenwrtigen Verhltnissen dem Staate eher zur Last ist.501
Die Kritik an der Behandlung der Eingeborenen beschrnkt sich (wie auch im ersten Zitat)
auf die Art und Weise der Durchfhrung der geplanten Zivilisierungsmanahmen, deren
Umsetzung an sich aber fr Pohl nicht in Frage gestellt ist. Die Indier zahme wie wilde
werden als auerhalb der (brasilianisch-europischen) Gesellschaft lebend, als Teil der Natur
angesehen und damit auf die gleiche Stufe gestellt wie andere Objekte der Beobachtung und
Aneignung. Natterers Kollege Pohl handelt in konsequenter Verfolgung dieser Haltung, wenn
er zwei junge Botokuden aus den Hnden der Natur in die Mitte eines verfeinerten
Volkes502nach Wien bringt, wo sie im Burggarten ffentlich zur Schau gestellt werden.503 Der
sterreichische Geschftstrger in Rio Baron Strmer hatte die Bewilligung erwirkt, dass die
beiden Botokuden dem Transport beygefgt worden sind504 Sachgter, wie die anderen
500

POHL: Reise I (1832) 399f.


POHL: Reise II (1837) 232f.
502
Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, 4. Dezember, Nr. 145, 1219.
503
MAUTHE: Brasilienexpedition (1994) 20.
504
Bartholomus von Strmer an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 5. Mai 1821, Rio de
Janeiro, 5. Mai 1821, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 6, Konv. 1 (alt Fasz. 8), Berichte 1821 I-V, fol.
300r-303v.
171
501

Kisten voller Objekte.

13.3. Distanzierte Beobachtung

Pohl und Natterer beobachteten auf ihren Reisen den Untergang von Kulturen, deren
Verschwinden sie auf der einen Seite fr notwendig und unvermeidlich erachteten, die zugleich
aber faszinierten und deren materielle Zeugnisse sie begeistert sammelten. Auch Natterers
Interesse konzentrierte sich auf das, was ihm als Sammler dienlich fr die Bereicherung der
Bestnde des Wiener Museums erscheint. Zudem sind die in den brasilianischen Siedlungen
lebenden Bororo auch als Informanten fr ethnographische Aufzeichnungen und Wortlisten
willkommen.505 Mit Hilfe von systematischen Wortlisten erhoffte sich Natterer Aufschlsse
ber die sprachlichen und ethnischen Verwandtschaftsverhltnisse der verschiedenen indigenen
Nationen. Als Vorbild dafr diente die Zusammenstellung spezifischer Wrter in Wilhelm
Ludwig von Eschweges Journal von Brasilien (Weimar 1818).506 Whrend ein Verstndnis
der indigenen Kulturen eher am Rande von Natterers Interessen zu sein scheint, wird in der
Auseinandersetzung mit den fremden Kulturen neben dem Sammeln von Waffen und Gerthen
Wert auf Erkenntnisse ber die Verwandtschaftsverhltnisse gelegt hnlich wie im
naturwissenschaftlichen Bereich seiner Arbeiten. Der Naturaliensammler wird zum Sammler
von Worten.
Natterer bezog seine Daten unter anderem von einer alten Indierin, die auf einer Expedition des
Tenente Manoel Diaz auf dem Rio dos Porrudos oder So Lorenzo mit andern gefangen wurde,
sie ist von einer Horde Borors, die durch d. Ankunft der Paulister, als sie Cuiaba bevlkerten,
in Comunication, mit jenen, die die Gegenden wo jetzt S. Pedro del Rey ist, bewohnten,
verlohren.507 Als weitere Informantin nennt Natterer ein 15jhrich Mdchen, welches in

505

Vgl. KANN: Wortlisten (1989) 101-146. Das Original der Wortlisten Natterers befindet sich in der
Universittsbibliothek Basel, Handschriftenabteilung, Sign. T2; zu den ethnographischen Ergebnissen dieser
Befragungen vgl. KANN: Natterer (1993) 144-150 und bes. KANN: Brasilienexpedition (1992) 51-114.
506
Die Idee, Eschweges Wortlisten als gemeinsame Basis fr Wortlisten zu nehmen, gab Natterer auch an
Langsdorff weiter, vgl. Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Zuckermhle des Capito Gama, 27.
August 1826, Archiv MVK und Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Cuiab, 25./29. Dezember
1827, Archiv MVK. Langsdorff legte ebenfalls Wrterbcher der Corop, Coroado, Puri, Maxacali, Guan und
Cayap an, vgl. KOMMISSAROV: Tagebcher (1977) 142; zu Eschwege vgl. OBERACKER: Der deutsche
Beitrag (1955) 185-188 und 198-200.
507
KANN: Wortlisten (1989) 108f.
172

Jacobina beym Coronel Joo Pereira Leite sich befand.508 Joo Pereira Leite, Besitzer der
fazenda von Jacobina und Kommandant des Distriktes Cceres (Villa Maria), war verwandt mit
jenem Capito Joo Antuns da Silva, den Natterer als Anfhrer der oben erwhnten bandeira
im Frhjahr 1826 bezeichnet.509 Das Mdchen war vielleicht eine der Gefangenen dieses
Stosstrupps. Weiter Proben erhielt er von einer Frau, die whrend der militrischen Expedition
von 1826 gefangen genommene wurde und die Natterer folgendermaen beschreibt:

Diese Proben sind von einer erwachsen gefangenen Indierin, die schlecht portugiesisch sprach,
eine von d. 24 Kpfen die auf jenem Streifzug als [ich] in Caiara war, gefangen wurden. Sie
war gross und wohlgebaut Ober & Unterzhne stark abgestumpft, die Unterlippe durchbohrt,
die beyden Ohrlappen hatten ein weites loch.510

Natterer hat in seinen Aufzeichnungen keine umfassende Selbstdarstellung zugelassen, die


eine Charakterisierung seiner Person, seiner Haltungen oder seiner wissenschaftliche
Positionierung erleichtern wrde. Das wenige, was Natterer ber die Ureinwohner Brasilien
berichtet, gibt nur Anhaltspunkte, wie er die Indier einschtzte. Das Bild, das Natterer von
sich selbst gibt, ist das eines durchaus neugierigen, aber distanzierten Beobachters, nicht frei
von wertenden Urteilen, etwa ber Faulheit oder unhygienische Verhltnisse. In seinen
Berichten ber die indigenen Gruppen ist eine Reduktion der Eindrcke auf wenige Aspekte
bemerkbar: uere Erscheinung (Krperbemalung, Bekleidung, Schmuck) und allgemeine
Wohnverhltnisse, sowie Erwerbung von ethnologischen Objekten (Waffen, Gerte,
Schmuck) und deren Besonderheiten.
Die Erluterungen, die Natterer auf Sammellisten, Objektetiketten und Wortlisten zu
einzelnen Objekten gibt, beschrnken sich meist auf die technische Seite der Objekte wie
Bauweise, Bestandteile, Fertigungstechniken, Trageweisen und Verwendungszweck. Das
entspricht seiner Praxis als Zoologe und naturkundlicher Sammler. Es scheint fraglich, ob es
Natterer berhaupt mglich war, in seinen begrenzten Kontakten mit den Eingeborenen die
kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhnge, die zum Teil auch in Objekten
508

KANN: Wortlisten (1989) 109.


Notiz, o.O. [zwischen Februar und Juni 1826], Archiv MVK; vgl. FLORENCE: Viagem (1977) 179: tenente
colonel de milcias Joo Pereira Leite, proprietrio da fazenda da Jacobina.
510
KANN: Wortlisten (1989) 109f.
173
509

manifestiert sind, zu erfassen. In einer Auflistung gesammelter Objekte erwhnt Natterer etwa
einen Mantel aus Jaguarfell (Unze) und vermerkt seine Verwendung als Sitzunterlage und
beim Tanz.511 Die umfassende Bedeutung des Jaguars in der Mythologie und
Gesellschaftsordnung der Bororo bleibt ihm jedoch verborgen.512 Ein Blick in die oben
erwhnten Wortlisten zeigt andererseits, dass sich Natterer offenbar mit viel Akribie nach
verschiedensten Aspekten des gesellschaftlichen Lebens erkundigte. Er notiert nicht nur
Bekleidung, Schmuck, Waffen und Bemalung der Bororo, sondern auch Angaben ber Jagd
und Fischfang, ber Begrbnisriten, Glaubensvorstellungen, Heiratsgewohnheiten oder
Abtreibung.513

13.4. Diese faulen Menschen Zwischen Verstndnis und Verurteilung

Insgesamt erscheint Natterers Haltung als widersprchliche Mischung aus Neugier,


Forscherdrang und Vorurteilen. Grundstzliche Einwnde gegen das Projekt der
Zivilisierung, das die Indianer vor die Wahl zwischen Anpassung oder Vernichtung stellt,
scheinen fr ihn keine Rolle zu spielen. Widerstand der Indianer oder Versuche, sich dem
Zugriff der Weien zu entziehen, kommentiert er meist ohne Verstndnis oder Anteilnahme.
Als einige Jahre nach seinem Aufenthalt in Mato Grosso whrend der Reise zum Amazonas
zwei Leute, die er als Jger und Fischer angestellt hatte, fliehen, kann er darin nur eine den
Indiern ganz angebohrne Gewohnheit sehen.514 Auch am Rio Negro wird es ihm hnlich
ergehen. Wieder fliehen zwei seiner Bootsleute, wieder spricht er davon, dass das eine
angebohrene Gewohnheit dieser faulen Menschen sei. Und fgt erleichtert hinzu: Zum Glke
stahlen sie mir keines von den Jagdcanoen.515
Ist er nicht persnlich betroffen, gelangt Natterer aber durchaus auch zu anderen Einsichten.
Whrend der Fahrten am Rio Negro in den Jahren 1830/31 tauchen in seinen Aufzeichnungen
auch kritische Bemerkungen ber den Umgang mit den Indianern auf. Natterer fllt whrend
der Reise am Rio Negro auf, dass sich viele Gruppen durch Flucht in entlegene Gebiete dem
511

Notiz, o.D. [nach April 1826], Archiv NHM, Natterer, Notizen.


Zur materiellen Kultur der Bororo am Beispiel der von Natterer gesammelten Objekte vgl. STEINLE:
Waffen und Gerthschaften (2000) 50-92.
513
KANN: Wortlisten (1989) 108.
514
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Manaus, 19. September 1830, Archiv MVK.
515
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas, Februar 1831, Archiv MVK.
174
512

brasilianischen Machbereich entziehen wollen. Verantwortlich dafr macht er aber nicht eine
Art moralischer Unzulnglichkeit der Indianer. Natterer spricht die schlechte Behandlung der
Indier und dadurch erfolgtes Entfliehen in die Wlder

516

durch die Brasilianer in Barcelos an

und die vielen Bedrkungen von Seite des Komandanten von So Gabriel.517 Hier zeigt sich
Einsicht fr den Zusammenhang von gewaltsamer Unterdrckung und Widerstand oder Flucht.
Die Vermutung, dass man von Seiten der brasilianischen Behrden oft nicht die beste Art
gebrauchte, sich die Wilden zu Freunden zu machen,518 uert Natterer auch schon einige Jahre
zuvor in einem Bericht ber die Verhltnisse im Sden Brasilien. Sein Verstndnis der Situation
ist aber geprgt davon, dass der grundstzlich positiv gesehene Endzweck von Missionierung
und Zivilisierung dadurch gefhrdet wird, dass der Miltr-Commandant oft zu strengen,
blutigen Massregeln griff, wo es vielleicht noch nicht nthig war, [], die dem Zweke sehr
nachtheilig wurden.519 Mglicherweise kndigt sich hier eine sich ber die langen Jahre des
Aufenthalts in Brasilien und des strkeren Kontakts mit der indigenen Bevlkerung
wandelnde und differenzierte Beurteilung der Verhltnisse an. Vielleicht spielt dabei auch der
Umstand eine Rolle, dass sich Natterer am Rio Negro nicht mit einem Bedrohungsszenario
konfrontiert sah wie in Mato Grosso.
Unterdrckung und (gewaltsame) Ausdehnung der brasilianischen Staatsgewalt an sich kritisiert
er nicht. Hierin scheint er einer Meinung mit seinem Freund, dem russischen Konsul und
Reisenden Georg Heinrich von Langsdorff, der ebenfalls dafr eintrat, aus Indianern
brauchbare und ntzliche Staatsbrger520 zu machen. Ihr Widerstand machte sie in
Langsdorffs Augen nur zu unvernnftige[n] [] Menschen, die eine gerechte Strafe und
Verfolgung verdienen.521
Dass die oben geschildert Art der Annherung mehr ein Kulturzusammenstoss als eine
Kulturbeziehung522 zwischen Brasilianern und Bororo mit Entfhrungen und
gewaltsamen Ansiedlungen weder endgltig war, noch (aus Sicht der Brasilianer)

516

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas, Februar 1831, Archiv MVK.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an Josef
Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStlB, HS, 7884.
518
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1821, WStLB, HS, 7876.
519
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 2. Mrz 1821, WStLB, HS, 7876.
520
KOMMISSAROV: Tagebcher (1977) 140.
521
KOMMISSAROV: Tagebcher (1977) 140.
522
Vgl. BITTERLI, Urs: Alte Welt neue Welt. Formen des europisch-berseeischen Kulturkontaktes vom 15.
bis zum 18. Jahrhundert (Mnchen 1992) 17-54.
175
517

reibungslos verlief, wird von Natterer selbst besttigt. Immer wieder beobachtete er
Differenzen zwischen den Weien und den angesiedelten Bororo: Die zahmen Borors, die
hier [Pindaival am Rio Jauru, K.S.] in ziemlicher Anzahl sich aufhielten, sind krzlich
abgezogen, eines Zwistes mit dem Komandanten wegen. Es blieb bloss eine Familie zurck,523
berichtete er zwei Jahre nach den oben beschriebenen Ereignissen. Auch die Feinseligkeiten und
gewaltttigen Auseinandersetzungen zwischen brasilianischen Siedlern und den wilden
Bororo dauerten an.524
Die Opfer dieser Konflikte waren betrchtlich. Innerhalb von sechs Jahren zwischen 1820/21
und 1827 wurden nach Angaben von Hercule Florence im Gebiet von Cceres 50 Bororo
zwangsweise angesiedelt, 450 (!) Bororo wurden gettet.525 Nur drei Jahrzehnte spter
berichtet der Flusskapitn Antnio Leverger, dass die Anzahl der Bororos do Cabaal seit
1842 zurckgegangen sei und die brigen jetzt sesshaft am Rio Jaur lebten.526 Am Ende des
19. Jahrhunderts gelten die Westlichen Bororo als ausgestorben. Die letzte Quelle aus
1895, die sie erwhnt, gibt nur mehr eine Population von rund 100 Personen an.527 Etwa 1000
stliche Bororo leben heute in sechs Terras Indgenas im Planalto do Mato Grosso im
Osten des Bundesstaates Mato Grosso.528

14. DERB MITGENOMMEN 529(1826-1828)

Im Sommer 1826 beendete Natterer seinen Aufenthalt in der Region von Cceres. Trotz aller
gesundheitlichen Belastungen hatte Natterer seine wissenschaftlichen Arbeiten weitergefhrt.
523

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r.
524
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r.
525
FLORENCE: Viagem (1977) 197; zu den Beziehungen zwischen Bororo und Brasilianern allgemein vgl.
VIERTLER, Renate Brigitte: A duras penas. Um histrico das relaes entre ndios Bororo e civilizados no
Mato Grosso. (= Antropologia 16) (So Paulo 1990).
526
STEINLE: Waffen und Gerthschaften (2000) 47f.
527
STEINLE: Waffen und Gerthschaften (2000) 47.
528
Zur Lage der Bororo heute vgl. <http://www.socioambiental.org/pib/epienglish/bororo/bororo.shtm
http://www.socioambiental.org/pib/epienglish/bororo/bororo.shtm > (28. Juni 2007).
529
Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Mai 1827, Archiv
MVK.
176

Bis zum Juni 1826 waren wieder acht Kisten mit neuen Materialien fr die kaiserlichen
Sammlungen gepackt, die Natterer vorbergehend in der fazenda lagerte. Er wollte sie spter
abholen, wenn sich geklrt hatte, wie seine weiteren Plne aussehen wrden. Neben einigen
Sugetieren und ber 500 Vgeln befanden sich in diesen Kisten Amphibien, 40 Fische und
135 Glser mit Eingeweidewrmern.530
Eine geplante Fahrt den Rio Paraguai entlang nach Sden konnte aus Mangel an
Fahrzeugen531 nicht realisiert werden. Natterer setzte daher mit seiner Truppe den Weg nach
Westen fort. Nchstes Ziel der Expedition war Vila Bela de Santissima Trindade (MT), die
ehemalige Hauptstadt der Provinz Mato Grosso (Natterer nennt Provinz und Stadt immer
Matogrosso). Von Vila Bela aus wollte Natterer seine Reise per Boot fortsetzen, um auf den
Nebenflssen des Amazonas (dem Rio Guapore und dem Rio Madeira) und dem Amazonas
selbst nach Belm (PA) zu gelangen.
Am 18. Juni 1826 verlie die Expedition die fazenda Caiara. Drei Wochen spter machte
Natterer am 7. Juli mit seiner Karawane bei der Zuckermhle eines gewissen Capito Gama
Halt, wenige Tagesreisen von Vila Bela entfernt. Die naturwissenschaftlichen Aufgaben
bestimmen den Reiserhythmus. Die zahlreichen Vgeln, die Natterer in den umliegenden
Wldern fand, veranlassten ihn zu einem lngeren Aufenthalt. Fast drei Monate, bis zum 4.
Oktober, jagte er neue Exemplare fr seine Sammlungen.532 Vier Tage spter trafen der
sterreichische Naturforscher und seine Begleiter am 8. Oktober 1826 in Vila Bela de
Santissima Trindade ein.

14.1. Plne fr die weitere Reise

Natterer beschrieb die Stadt Vila Bela als nicht unangenehm zumindest in der trockenen
Jahreszeit. Die gute Lage nahe des Rio Guapor hatte aber auch Nachteile. Das Gelnde lag

530

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
531
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
532
vgl. Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 28. Mai
1827, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol.
26r-41r und Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Zuckermhle des Capito Gama, 18.
August 1826, Archiv MVK.
177

so tief, dass es whrend der Regenzeit immer berschwemmt wurde.533 Schon in Gois war
Natterer vorgewarnt worden. An Direktor von Schreibers berichtete er schon diesem
Zeitpunkt, welche Informationen er ber die Stadt erhalten hatte: In der Regenzeit ist halb
Villabella und selbst ein Theil des Weges bis dahin berschwemmt, welches die Ursache von
hufigen Fiebern ist, die besonders Fremden gefhrlich werden.534 Das ungesunde Klima und
das Leben in den von Malaria verseuchten Flussniederungen dezimierten die Bevlkerung.
Natterer stellte fest, dass etwa in der nahen Gemeinde So Vicente mit 599 Einwohnern in
drei Monaten elf verstorben waren. Geburten waren in diesem Zeitraum keine zu
verzeichnen. Der Arraial do Pilar zhlte nach diesen Angaben 860 Bewohner, wovon in
sieben Monaten 22 gestorben waren und zugleich gab es nur zwei Geburten.535 Nicht nur die
demographischen Konsequenzen des ungesunden Klimas trugen zum Verfall der Grenzregion
bei. Nach dem ersten Schub der Einwanderung von Kolonisten, bandeirantes und Goldsuchern
verfielen viele Orte und konnten nicht gehalten werden, als der erste Goldrausch vorber war
und die Ertrge aus den Minen nicht mehr so Erfolg versprechend waren. Die Regierung tat
nach Natterers Ansicht wenig dazu, diesen Prozess aufzuhalten.536
Allerdings war der Rio Guapor auch mit greren Schaluppen befahrbar, und diese Tatsache
festigte Natterers Entschluss, auf diesem Weg ins Amazonasgebiet vorzustoen. Die
Umsetzung dieses Planes war nicht ganz einfach. Die Hndler in Vila Bela waren aufgrund
des schwachen Handelsbeziehungen mit der Provinz Par (die damals praktisch das gesamte
Amazonasbecken umfasste) nicht in der Lage, Natterer und seine Begleiter samt der
Ausrstung und den Sammlungen bis an den Amazonas zu befrdern. Die fazenda real
(Landgut in staatlichem Besitz) hingegen rstete jhrlich eine Bootsexpedition aus, die Salz
und Eisen aus Belm holte und nach Vila Bela transportierte. Natterer erkannte die gnstige
Gelegenheit, mit einer dieser Fahrten seine Reise fortzusetzen. In einem Brief vom 9.
Dezember 1826 an den Prsidenten der Provinz Mato Grosso, Jos Saturnino da Costa
Pereira, bat Natterer um die Bereitstellung der zwei Boote der fazenda real samt der

533

Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Vila Bela de Santissima Trindade, 19. Oktober
1826, Archiv MVK.
534
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Gois, 25. August 1823, Archiv MVK.
535
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 28. Mai 1827,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 26r-41r.
536
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r.
178

dazugehrigen Ausrstung und der Mannschaft, um ihn bei nchster Gelegenheit zum
Amazonas mitzunehmen.537
Am folgenden Tag, am 10. Dezember 1826, erreichte ihn eine Hiobsbotschaft, die alle Plne
zunichte machte: Dominik Sochor war schwer erkrankt und kmpfte mit dem Tod.

14.2. Dominik Sochors Tod

Es scheint, als htte es zwischen Natterer und seinem Jagdgehilfen schon seit lngerer Zeit
immer wieder Spannungen gegeben, die aber Natterer berging, da ihm offenbar an der
Mitarbeit Sochors sehr viel lag. Seinem Bruder berichtete er schon einige Jahre davor folgenden
Vorfall:

Vaterlndische Bltter schike mir nicht mehr oder versiegle sie aigens, denn der Schwachkopf
Sochor hat sich gewaltig aufgehalten, dass er darinn bloss als Jger behandelt und hat auf eine
eben nicht hfliche Art die Schuld mir und meinen Berichten beygelegt, dass er wie ein Spitzbub
darinn aufgefhrt ist. Das viele Geld macht ihn so. Das Sprichwort, wenn der Bauer aufs Pferd
kommt, so kann ihn der Teufel nicht einhohlen, hat sich hier trefflich bewhrt. Doch meine
grosse Geduld giebt mir Strke, alles zu ertragen und auch die Uiberzeugung, dass er beym
Sammeln gute Dienste leistet. Doch dies bleibt unter uns, denn bis jetzt will ich schweigen.538
Nun hatte Sochor einen dummen Streich gemacht,539 wie es Natterer ausdrckte. Er war am 19.
November, wenige Wochen nach der Ankunft in Vila Bela, zur Zuckermhle Mai Gracia
gereist, auf Einladung von Dona Gertrudes Adelaide Delfina Ravin Pinto Capet, der Schwester
von Antnio Peixoto de Azevedo. Durch Peixoto de Azevedo war Natterer an Dona Gertrudes
empfohlen worden. Natterer lie ihn gewhren widerwillig, wie es scheint, um die
Spannungen zwischen ihm und Sochor nicht zu verschrfen, wie Natterer andeutet: Er gieng
aus freyem Antrieb und ich sprach weder fr noch gegen, was ich mir schon lange mit ihm zur
Regel machte, des Friedens halber.540
537

Johann Natterer an Jos Saturnino da Costa Pereira, Vila Bela de Santissima Trindade, 9. Dezember 1826,
Archiv MVK, vgl. Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima
Trindade, 28. Mai 1827, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte
1827 VII-XII, fol. 26r-41r.
538
Johann Natterer an Josef Natterer, Curitiba, verm. November 1820, WStlB, HS 7853.
539
Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Mai 1827, Archiv
MVK.
540
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 28. Mai 1827,
179

Sochor befand sich in So Vicente, wo Dona Gertrudes Goldwschereien betrieb, als er an


einem schweren Fieber erkrankte, das sich so sehr verschlimmerte, dass Dona Gertrudes
Natterer um Hilfe bat. Als Natterer am 12. Dezember in So Vicente eintraf, war bereits jede
Hilfe zu spt. Sochor hatte sich einige Tage lang hartnckig gegen einen Aderlass und khlende
Getrnke gewehrt, wie sie ihm Dona Gertrudes vorgeschlagen hatte. Die Behandlung mit
Senfumschlgen, Blasenpflaster und Basilikumpflaster, die Natterer nun anwandte, zeigte keine
Wirkung mehr. Sochor starb am 13. Dezember 1826 und wurde in der Kirche von So Vicente
begraben.541 Mit ihm hatte Natterer einen thtigen Gehlfen verlohren, dessen Verlust mir sehr
fhlbar ist,542 wie er trotz aller Kritik an Sochor eingestehen musste. Und nun geriet Natterer
selbst in hchste Lebensgefahr. Nach Sochors Tod war Natterer einige Tage in So Vicente
geblieben, um Vgel zu jagen. Der Aufenthalt in der ungesunden Gegend blieb nicht ohne
Folgen. Im Jnner 1827 erkrankte er schwer am Fieber und berlebte nur dank der
schwesterlichen Pflege543 durch Dona Gertrudes. Fast vier Monate kmpfte er mit dem Tod.
Die Bekmpfung der Fiebererkrankungen mit Brech- und Purgiermitteln, mit einem
Englischen Wasser544 und anderen Mitteln blieb erfolglos. Der Zustand des Kranken war sehr
ernst, zeitweilig befand er sich in einem Fieberdelirium und war bewusstlos. Erst
Einreibungen mit zerquetschtem Ingwer und in Branntwein gekochtem Knoblauch fhrten
eine Besserung herbei. Zur vollstndigen Genesung zog Natterer auf die nahen Pflanzungen
von Dona Gertrudes am Rio Galeira, wo er aber, anstatt sich zu erholen, zur Jagd ging und
prompt einen schweren Rckfall erlitt. Wieder rettete ihm Dona Gertrudes Pflege das Leben.
Zwar trat nun langsam eine nachhaltige Besserung ein, aber Natterer litt in der Folge stndig
unter wenn auch schwachen Fieberschben. An eine Rckkehr nach Vila Bela oder gar die
Fortsetzung der Expedition war unter diesen Umstnden nicht zu denken. Erst im Mai 1827
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 26r-41r.
Berichte ber Sochors Erkrankung und Tod bei Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal,
Vila Bela de Santissima Trindade, 28. Mai 1827, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz.
16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 26r-41r, Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela
de Santissima Trindade, 20. Mai 1827, Archiv MVK und Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva
Manso, Vila Bela de Santissima Trindade, 18. Mai 1827, Archiv MVK.
542
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 28. Mai 1827,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 26r-41r.
543
Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Mai 1827, Archiv
MVK.
544
Dabei drfte es sich um Aqua angelis handeln, einer Mischung aus Weinstein, Doppelsalz und Manna (Saft
von Eschenbumen Fraxinus) mit heiem Wasser und Zitronensaft als leichtes Abfhrmittel, vgl. SCHMIDT:
Lehrbuch der Materia medica(1811) 363; WENDT: Praktische Materia medica (1830) 37 kennt ein hnliches
541

180

war der Kranke wieder so weit gesundet, dass er So Vicente verlassen konnte, aber er war
noch so geschwcht, dass er in einer Snfte getragen werden musste. In diesem
bedauernswerten Zustand traf Natterer am 14. Mai in Vila Bela ein.545
Die akute Lebensgefahr war zwar gebannt, aber die lange Krankheit hatte viele
Nachwirkungen.

In

den

folgenden

Jahren

klagte

Natterer

immer

wieder

ber

Folgebeschwerden, etwa ber bsartige Geschwre, wie es scheint Metastasen des


Fiebercontagiums aus Matogrosso, die mir am linken Fuss aufbrachen [], mit bedeutenden
Schmerzen und von einer zuweilen hartnkigen Diarhoe begleitet.546 Die Geschwre an den
Beinen hinderten Natterer zeitweise auch daran, auf die Jagd zu gehen.547 Die Erkrankungen
hatten ihn krperlich schwer gezeichnet: Matogrosso hat mich derb mitgenommen. [] Ich
bin sehr mager geworden, der ganze Krper ist mit Ausschlag bedekt, die Fsse geschwollen,
die Gesichtsfarbe gelb, fast alle Haare sind mir ausgefallen,548 schrieb er an Georg Heinrich
von Langsdorff.

14.3. Genderte Reiseplne eines Narren

Obwohl erst knapp dem Tod entronnen strzte sich Natterer wieder in seine Arbeit.
Vordringlichste Aufgabe war nun, die Weiterreise zu organisieren und die in den letzten
Jahren gemachten Sammlungen zu ordnen und zu verpacken. Bei seiner Ankunft in Vila Bela
erwartete ihn ein herber Rckschlag. Whrend seiner Abwesenheit waren die Ratten ber
seine Objekte und seine Ausrstung hergefallen und hatten unter den prparierten Vgeln und
den Papieren betrchtlichen Schaden angerichtet. Selbst die verschlossenen Glser mit den
Eingeweidewrmer-Prparaten hatten sie aufgebrochen: Sie bissen sich hinein, warfen alle
Glser um und zogen aus vielen die Stpseln aus. Mehr als die Hlfte ist ohne Etiquetten. Aus
Rezept unter dem Namen Aqua laxatica viennensis.
Ausfhrliche Berichte ber seine Erkrankung gibt Natterer in folgenden Briefen: Johann Natterer an Wenzel
Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 28. Mai 1827, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 26r-41r; Johann Natterer an
Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Mai 1827, Archiv MVK und Johann
Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Vila Bela de Santissima Trindade, 18. Mai 1827, Archiv
MVK; Zusammenfassung bei KANN: Brasilienexpedition (1992) 41-43.
546
Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Cuiab, 30. Jnner 1828, Archiv MVK.
547
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Vila Bela de Santissima Trindade, 25. Juli 1828,
Archiv MVK.
548
Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Mai 1827, Archiv
545

181

diesen machten sie Neste.549 Mehrere Wochen verbrachte Natterer nun mit der Behebung der
Schden und der neuerlichen Verpackung seiner transportfertigen Bestnde.
Whrend Natterer an der Zusammenstellung seines Transportes arbeitet, erreichte ihn ein
Brief mit der Aufforderung, nach Wien zurckzukehren. Im Jnner 1827 hatte der Kaiser den
ausdrcklichen Befehl erteilt, dass Natterer so bald als mglich abreisen sollte.550 Aber die
Postwege ins Innere des Landes waren lang. Baron Mareschal berichtete im April, also drei
Monate nach Ausstellung der Weisung, nach Wien, dass er den Befehl weitergeleitet habe,
schrnkte aber gleichzeitig ein, dass die Rckkehr Natterers vermutlich ohnehin nicht so
schnell wie gewnscht erfolgen knnte:

Die ihm zugeschickten Weisungen knnen ihn auf keinen Fall vor 3 oder 4 Monathen erreichen
und hat er die Reise von Villa Bella nach Para wirklich angetreten, so wird er sie
wahrscheinlich nie erhalten, oder wenigstens nicht ausfhren knnen, denn die Mittel, welche
berechnet wren, um die Reise flussabwrts zu unternehmen, knnten unmglich in der
entgegen gesetzten Richtung hinreichend seyn.551
Natterer erhielt diesen Befehl am 17. Juli 1827.552 Die Weiterfhrung der Reise, die
Verwirklichung seiner Trume stand nun auf dem Spiel. Wie bisher versuchte er sofort, ein
Ende seiner Expedition zu verhindern oder zumindest hinauszuschieben. Mareschal hatte in
seiner Antwort nach Wien ein wesentliches Problem angesprochen, das es fast unmglich
machte, dem Befehl unmittelbar Folge zu leisten. Die seit Jahren laufenden Planungen der
Expedition waren darauf gerichtet, die Flusslufe entlang nach Par zu gelangen, nicht darauf,
auf dem Landweg nach Rio zurckzukehren Die logistischen Probleme und die knappen
Ressourcen machten es fr Natterer fast unmglich, einmal gefasste Plne wieder umzustoen.
In seiner Antwort auf den Befehl aus Wien weist Natterer darauf hin, dass vor allem die
MVK.
Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Mai 1827, Archiv
MVK; vgl. Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 28.
Mai 1827, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII,
fol. 26r-41r und Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Vila Bela de Santissima Trindade,
18. Mai 1827, Archiv MVK.
550
Clemens Wenzel Lothar von Metternich an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Wien, 6. Jnner 1827,
HHStA Staatskanzlei, Brasilien, Karton 14, Konv. 5 (alt. Fasz. 15) Weisungen 1827 I-VI, fol. 2r.
551
Wenzel Philipp Leopold von Mareschal an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 23. April
1827, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 14, Konv. 4 (alt Fasz. 15), Adm. Berichte 1827 I-VI, fol. 17r.
552
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Juli 1827,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 52r-57r.
549

182

neuerliche Beschaffung von Maultieren zu hohe Kosten verursachen wrde. Eine sofortige
Rckreise zu Land kme daher nicht in Frage:

Ich habe aus den Schreiben von E(uer) H(ochwohlgeboren) und S(einer) Durch(laucht)
ersehen, dass es der Wille S(eine)r Majestt des Kaisers ist, dass ich meinen Aufenthalt in
Brasilien nicht mehr als nthig ist verlngern mchte, demzufolge ich nun die zu meiner
Abreise von hier nach der Provinz von Para schon getroffnen Einleitungen und Vorkehrungen
mglichst zu beschleunigen mich bemhen werde. Nachdem Para und Rio de Janeiro in
ziemlich gleicher Entfernung von Matogrosso sind und ich seit langer Zeit hinarbeite, meine
Rkreise ber Par zu machen, so habe ich deswegen schon lngst meine Maulthiere so sehr
vermindert, dass der jetzige Stand derselben kaum hinreichen wrde, um den 3. Theil meiner
Effekten und Sammlungen nach Rio zu schleppen. Und wenn ich wirklich durch neue
Anschaffung der nthigen Thiere zu den hohen Preisen von 36 bis 40.000 Reis das Stk
wodurch ich mich berdies ziemlich von dem mir noch brigen Gelde entblssen wrde im
Stande gesetzt wre, nach Rio de Janeiro zurkzukehren, so wrde diese Reise auf dem selben
Wege, den ich hieher nahm, und wenn auch durch Minas Geraes, von wenigen Nutzen seyn.553
Eine Rckreise auf der gleichen Route auf dem Landweg nach Rio de Janeiro wre, so
Natterer, fr das Wiener Naturalienkabinett von geringem Nutzen. Ein lngerer Aufenthalt
oder zumindest eine Weiterreise nach seinen Vorstellungen wre hingegen ganz im Interesse
seiner Vorgesetzten und letztendlich des Kaisers selbst. Geschickt streicht Natterer die
Vorteile einer Flussreise zum Amazonas heraus, appelliert an den wissenschaftlichen Ehrgeiz
seiner Vorgesetzten und spart dabei auch nicht mit Lob fr die Sammlungen in Wien:

Whrend dem Verlaufe meines Aufenthalts in Brasilien war es immer mein eifrigstes Bestreben,
meinen schwachen Krften gemss, die schon ebenso prachtvollen als reichhaltigen
Sammlungen des K.K. Musums mit vielen seltnen und neuen Gegenstnden zu vermehren. Die
Flsse Madeira und Amazona biethen so reichliche Ausbeute an zahllosen noch fehlenden
Prachtstken dar, dass es unverzeihlich wre, wenn ich einen andern Weg einschlagen wrde.
Es wre schade, wenn das auf einer so hohen Stufe stehende K.K. Musum jene herrlichen
Schaustke nicht besitzen sollte, die diese Flsse oder deren Ufer bewohnen.554
Seine Appelle blieben nicht ungehrt. Mareschal untersttzte in seinem Bericht an Staatskanzler
Metternich, dem Natterers Brief beigelegt wurde, wohlwollend die Absichten des Forschers:

553

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Juli 1827,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 52r-57r.
554
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Juli 1827,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 52r-57r.
183

Dieser Naturalist hat whrend seines langen Aufenthaltes in diesem Lande so viele Beweis
seines Eifers fr den Allerhchsten Dienst und die Wissenschaften gegeben, da ich glaube, da
man die Art seiner Rckreise vollkommen seiner Klugheit und seiner Einsicht berlassen
mu.555
Im Grunde hatte Natterer wenig Verstndnis fr die Forderung nach einer baldigen Rckkehr.
Das widersprach seiner Ansicht nach nicht nur den pragmatischen Erwgungen, wie er sie in
seinem Bericht nach Wien darlegte. Er hielt einen derartigen Befehl schlicht fr unvernnftig
und unzweckmig, ganz abgesehen davon, dass damit seine eigenen Hoffnungen und
Erwartungen grndlich enttuscht wurden. Unmut ber dieses vermeintliche Unverstndnis fr
seinen Forscher- und Sammeldrang spricht auch aus einem Brief an Georg Heinrich von
Langsdorff. Allerdings strich Natterer die folgende Passage, die sehr aufschlussreich fr sein
Selbstverstndnis ist, wieder aus dem Konzept des Briefes:
Meine weitern Reiseplne sind (ich gestehe es mit vielen Schmerz) nun so ziemlich
vereinfacht, denn Seine Mayestt liess mir seinen allerhchsten Willen andeuten, meinen
Aufenthalt in Brasilien nicht mehr als es ntig ist zu verlngern. Es schien mir zwekmssiger
gewesen zu seyn, einen Narren wie ich, der sein husliches Glk und Ruhe, seine Verwandten
verliess, um der Liebe zur Naturgeschichte halber in einem heissen, unkultivirten Lande
tglich sein Leben oder seine Gesundheit aus Spiel zu setzen und unter vielen Entbehrungen
und Mhseligkeiten frh zu veralten, ich sage, dass es vortheilhafter schien, mich eher in
jener Begierde nach neuen Entdekungen und jenem Bestreben, die kaiserlichen Sammlungen
auf einen hohen Grad von Reichthum und Vollkommenheit, was dieses Land betrifft, zu
setzen, zu bestrken. Doch leider ntzt mein Schmerz, mein inniges Bedauern nichts, denn
kalt und gefhllos sind die Buchstaben, die mir mein Loos verknden.556
Natterer fgte sich diesen Entscheidungen allerdings nicht so willig, wie er in diesem Brief
vorgab. Im Wissen, dass wieder einige Monate, wenn nicht sogar Jahre vergehen wrden, bis
neue Instruktionen aus Wien kommen wrden, stellte Natterer seine Vorgesetzten vor
vollendete Tatsachen. Schon in seiner ersten Antwort auf den Befehl zur Rckkehr kndigte
Natterer an, er werde nach Cuiab reisen, um seine dort und in Caiara zurckgelassenen
Effekten abzuholen und fr die weitere Schiffsreise nach Par vorzubereiten. Dieser Schritt wre
vollkommen unntig gewesen, wenn Natterer berhaupt noch die Absicht gehabt htte, wie
555

Wenzel Philipp Leopold von Mareschal an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 27.
November 1827, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VIIXII, fol. 51r-v.
556
Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 23. September 1827,
Archiv MVK.
184

befohlen, auf dem Landweg so rasch als mglich nach Rio de Janeiro zurckzukehren. Aber da
die Reise nach Rio de Janeiro viel mehr Kosten verursachen wrde als die geplante Reise zum
Amazonas, konnte Natterer wohl mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass die Wiener
Behrden nicht auf der teureren Variante bestehen wrden. Gleichzeitig forderte er die
Behrden in Rio und Wien indirekt zu mehr Geduld auf, indem er darauf hinwies, dass eine
Weiterreise auf Grund des Wasserstandes der Flsse erst in einigen Monaten mglich sein
wrde.557
Die groen Distanzen und relative Abgeschiedenheit, in der Natterer und seine Expedition
arbeiten, gaben dem Naturforscher einen groen Handlungsspielraum. Die Anbindung an den
sterreichischen Reprsentanten in Rio de Janeiro, seinen Chef in Wien und an das Museum
blieb durch die stndige Berichterstattung gewahrt. Seine Reisen waren formell stets durch eine
offizielle Erlaubnis abgesichert. Tatschlich musste er in seinen Entscheidungen und
Bewegungen sehr frei agieren, denn anders war die Realisierung seiner Aufgaben nicht mglich.
Diese Reise nach Cuiab trat Natterer am 25. September 1827 an. In seinem Bericht darber
erwhnte Natterer mehrfach die uerst schlechte Versorgung mit Wasser, unter der er, seine
Begleiter und seine Tiere am Ende der Trockenzeit zu leiden hatten.558 Abgesehen von den
Bchen und Flssen standen der Expedition meist nur notdrftige Brunnen oder einfache
Wasserlcher zur Verfgung. Das erste Nachtlager lag zum Beispiel an einer beinahe
ausgetrockneten Lacke, die Natterer wie folgt beschrieb: Das Wasser zum Trinken wird aus
einer cassimba gehohlt, ein tiefes Loch in der Erde neben der Lache. Einige Wasserlcher
entlang der Strecke waren fast ganz ausgetrocknet. Auch der Sttzpunkt Poruti vermittelte ein
trauriges Bild: Fr Trinkwasser waren am Rande einige Lcher in die Erde gegraben. Das
Wasser war natrlich sehr warm und meine Hunde trbten es sofort. Dann wieder gab es ber
eine weite Strecke nur an einer einzigen Stelle Wasser in einen sumpfigen Graben. Unter diesen
Vorraussetzungen war es nicht erstaunlich, dass selbst die Maultiere erkrankten, weil nur
ungewhnlich schlechtes Wasser zur Verfgung stand.
In Caiara hielt er sich eine Woche lang auf, um seine zurckgelassenen Sachen zusammen zu
packen, und am 26. Oktober 1827, mehr als zwei Jahre nach seinem letzten Aufenthalt in dieser
557

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Juli 1827,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 52r-57r.
558
Vgl. Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r. Aus
185

Stadt, traf Johann Natterer wieder in Cuiab ein.

14.4. Natterer und die Expedition Langsdorff

In der Provinzhauptstadt Cuiab wurde Johann Natterer von einem kleinen Empfangskomitee
willkommen geheien. Sein alter Freund Manso sowie der Botaniker Ludwig Riedel und die
Maler Adrien-Aim Taunay und Hercule Florence, Mitglieder der naturwissenschaftlichen
Expedition des russischen Konsuls Georg Heinrich von Langsdorff, kamen zur Begrung in
Natterers Lager vor der Stadt.559
Langsdorff war mit seiner Gruppe entlang des Tiet nach Cuiab gelangt, wo er im Jnner
1827 eingetroffen war, und stand nun im Begriff, auf dem Rio Tapajs zum Amazonas zu
reisen.560 Die russische Expedition galt als eine der bedeutendsten Unternehmungen dieser
Art und ihr Ruf lie andere, weniger prominente Reisen wie jene Natterers oft in
Vergessenheit geraten. So grndlich, dass der Autor einer Studie ber die Brasilienreisen Georg
Heinrichs von Langsdorffs behaupten konnte: Zeitlich fllt die Brasilienexpedition Langsdorffs
mit keiner anderen groen europischen Forschungsreise zusammen.561 Natterer und
Langsdorff standen nicht nur in Kontakt miteinander und wussten Bescheid ber die
zeitgleichen Unternehmungen des jeweils anderen, sie hegten auch den Plan, ihre Reisen
gemeinsam fortzusetzen.
Langsdorff hatte sich schon in Rio de Janeiro als wohlwollender Mentor und engagierter
Naturwissenschafter erwiesen. Als Natterer 1826 erfuhr, dass Langsdorff nach Cuiab
kommen wrde, bemhte er sich um Kontaktaufnahme. Dass sich die beiden Reisenden in
der Wildnis Zentralbrasiliens wieder trafen, war vor allem fr Natterer eine groe
Erleichterung. Zum einen konnte er den Mediziner Langsdorff um Ratschlge zur
Behandlung seiner Krankheiten befragen, zum anderen uerte Natterer in seinen Briefen an
Langsdorff mehrfach den Wunsch nach Kommunikation mit einem Mann, mit dem er sich
diesem Brief stammen auch die nachfolgenden Zitate.
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r.
560
Zu Langsdorff und seinen Unternehmungen in Brasilien vgl. MANIZER: Expedio (1967) 70-197;
KOMMISSAROV: Tagebcher (1977) 133-176; BERTHELS-KOMMISSAROV-LYSENKO: Materialien (1979)
17-43; BECHER: Langsdorff-Forschung (1982/32) 69-80; BECHER: Langsdorff (1987) 28-62; KOMMISSAROV:
Expedio Langsdorff (1994) 13-47.
561
KOMMISSAROV: Tagebcher (1977) 138.
186
559

wissenschaftlich

austauschen

konnte.562

Das

Gefhl

der

Einsamkeit

und

des

Abgeschnittenseins von jeder Information, das Natterer begleitete, trug ebenfalls dazu bei,
dass Natterer erleichtert war, Langsdorff in seiner Nhe zu wissen.
Natterer vermittelt den Eindruck, dass diese Bemerkungen in seinen Briefen mehr als bloe
Hflichkeit gegenber dem hher gestellten Staatsrat andeuten. hnlich wie bei Manso sucht
er die Verstndigung mit einem Experten und gebildeten Mann, dem er (aus seiner Sicht) auf
der gleichen Ebene begegnen kann. Ist Langsdorff als russischer Staatsrat auch in einer ganz
anderen Position als Natterer, so versuchte Natterer doch ganz bewusst das Feld der
Naturwissenschaften als gemeinsame Basis anzusprechen.
Natterers

anfngliche

Begeisterung

wurde

gedmpft

durch

die

Resultate

der

wissenschaftlichen Ttigkeit Langsdorffs, die er in Cuiab zu sehen bekam. Schlecht


gepackte Transporte, verfaulte, nicht fachgerecht zubereitete Prparate und Zeichnungen,
denen es an naturhistorischer Genauigkeit fehlt, veranlassten ihn zu recht kritischen
Stellungnahmen: Er hat noch grosse Plane im Kopfe, doch sehe ich kein rechtes Verein mit
den Mitarbeitern und ihm, welches kaum deren gnzliche Erfllung hoffen lsst. Die Ursache
mag wohl auf beyden Seiten liegen, doch besonders rappelkpfisch sind die Mahler.563
In Cuiab wollte Langsdorff Natterer nun dazu berreden, gemeinsam mit ihm die Reise
fortzusetzen.564 Bereits ein Jahr zuvor war der Plan diskutiert worden, dass sich Natterer an
die Langsdorff-Expedition anschlieen knnte. Aber schon die ersten Erwgungen dieser Art
hatten bei Natterer einige Skepsis ausgelst: Ein grosser Trost wre die Gesellschaft eines
[] Arztes, doch meine Unabhngigkeit dafr aufzuopfern, wre dies nicht ein zu hoher

562

Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Zuckermhle des Capito Gama, 27. August 1826,
Archiv MVK.
563
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r; Natterers Urteil ber
Maler scheint nicht das gnstigste gewesen zu sein, denn schon in einem Brief an Langsdorff ein Jahr zuvor
hatte er gemeint: Ihre beyden Mahler machen Ihnen viel Verdruss, das will ich gerne glauben. Es scheint, dass alle
halb verrkt sind, oder doch die meisten. vgl. Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de
Santissima Trindade, 20. Mai 1827, Archiv MVK.
564
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r; vgl. Johann Natterer an
Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Mai 1827, Archiv MVK; Johann
Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 28. Mai 1827, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 26r-41r;
BERTHELS-KOMISSAROV-LYSENKO: Materialien (1979) 177, Nr. 744: Langsdorff erwhnt in einem Brief
vom 12. November 1827 diesen Reiseplan.
187

Preis?565
Natterer wollte sich nicht von seinen Plnen abbringen lassen, nahm aber in Aussicht, sich am
Amazonas mit der Langsdorff-Expedition zu vereinen. Eine Vorsprache beim Prsidenten der
Provinz Jos Saturnino da Costa Pereira brachte zu Tage, dass Langsdorff schon Anfang
Oktober beschlossen hatte, seine Gruppe zu teilen und einige Expeditionsteilnehmer ber
Vila Bela und entlang des Rio Madeira zum Amazonas zu schicken.566 Der Prsident konnte
aber nur ber zwei Boote verfgen, die in Vila Bela fr Natterer reserviert waren, und es war
unmglich, fr die Leute von Langsdorff eine zweite Mannschaft und Boote aufzutreiben.
Unter der Bedingung, dass er Abreise und andere Dispositionen bestimmen drfe, nahm
Natterer den Vorschlag des Prsidenten an, zwei Mitglieder der russischen Expedition mit
diesen Booten mitzunehmen. Ludwig Riedel und der Maler Taunay verlieen daher am 21.
November 1827 Cuiab567 und reisten nach Vila Bela de Santissima Trindade. Dort sollten
sie auf Natterer warten, um mit ihm gemeinsam die Flussreise Richtung Amazonas zu
machen, wo man wieder mit Langsdorff zusammentreffen wollte.568 Langsdorff beabsichtigte,
gemeinsam mit dem Maler Hercule Florence und dem Astronomen Nestor Rubzov Richtung
Norden zu reisen und den Flusslauf des Rio Tapajs entlang zum Amazonas zu gelangen.569
Die Plne fr eine gemeinsame Weiterreise von Natterer, Riedel und Taunay zerschlugen sich
auf dramatische Weise. Beim Versuch, den Rio Guapor bei Vila Bela zu durchschwimmen,
ertrank der junge Taunay am 5. Jnner 1828 und Riedel ergriff die nchste Gelegenheit, um
von Vila Bela wegzukommen, ohne wie vereinbart auf Natterer zu warten.570 In der
Zwischenzeit hatte Langsdorff am 5. Dezember 1827 Cuiab verlassen.571 Damit war
Natterer, nachdem er von den Vorgngen in Vila Bela erfahren hatte, wieder auf sich alleine
565

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 28. Mai 1827,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 26r-41r.
566
vgl. BECHER: Langsdorff (1987) 57.
567
BECHER: Langsdorff (1987) 58.
568
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r.
569
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Cuiab, 8. Jnner 1828, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 17, Konv. 4 (alt. Fasz. 17), Admin. Berichte 1828 III-XI, fol. 18r-35r; Johann Natterer an
Georg Heinrich von Langsdorff, Cuiab, 25. Dezember 1827, Archiv MVK; vgl. MANIZER: Expedio (1967)
122f. und 148f.; FLORENCE: Viagem fluvial (1977) 215; BERTHELS-KOMISSAROV-LYSENKO;
Materialien (1979) 30-32.
570
Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Cuiab, 30. Jnner 1828, Archiv MVK; vgl. MANIZER:
Expedio (1967) 143-147; zu Riedel vgl. AUGEL, Moema Parente: Ludwig Riedel, viajante alemo no Brasil
(Salvador 1979).
571
FLORENCE: Viagem fluvial (1977) 215; BECHER: Langsdorff (1987) 58.
188

gestellt.
Aber er konnte seine Abreise aus Cuiab nicht so schnell bewerkstelligen, wie er das
wnschte. Geschwre an den Beinen, Folgen seiner schweren Krankheit, waren aufgebrochen
und verzgerten den Aufbruch um einige Wochen bis Ende Februar 1828. Eine beschwerliche
Reise ber Jacobina und Caiara, wo wegen der Erkrankung zweier Eselknechte lngere Zeit
Halt gemacht werden musste, brachte Natterer am 17. Mai 1828 wieder nach Vila Bela de
Santissima Trindade zurck allerdings in einem etat pitoyable,572 einem erbrmlichen
Zustand, denn seine Geschwre waren erneut aufgebrochen. Dort angekommen, sah er alle
seine Hoffnungen, bald weiterreisen zu knnen, enttuscht. Die Arbeiten an den Booten, die
ihm der Provinzprsident versprochen hatte, waren nicht einmal begonnen worden. Es gab
keine Leute fr die Arbeiten, keine Verpflegung, kein Geld, keine Segel. Der Kommandant
von Vila Bela Joo Paes de Azevedo trstete Natterer mit der Aussicht, er knne sich
vielleicht auch an einer Expedition beteiligen, die Kanonen vom Salto Teotnio (nahe Porto
Velho, RO) am Rio Madeira abholen sollte, um auf diesem Weg zum Amazonas zu
gelangen.573 Aber wann dieses Unternehmen durchgefhrt werden sollte, das stand in den
Sternen.
Der verantwortliche Prsident der Provinz Jos Saturnino da Costa Pereira war in der
Zwischenzeit nach Rio de Janeiro abgereist, ohne die Angelegenheit fr Natterer zu regeln
und der Vizeprsident Jeronimo Joaquim Nunes musste erst mit Nachdruck dazu bewogen
werden, die schon gemachten Zusagen einzuhalten. Mit der Untersttzung von Manso gelang
es schlielich, bei der Provinzregierung in Cuiab neue Anordnungen fr die zustndigen
Stellen in Vila Bela betreffend die Befrderung den Rio Guapor und den Rio Madeira
entlang zum Amazonas zu erhalten und endlich wurde auch Geld dafr zur Verfgung
gestellt.574 Wieder vergingen Wochen und Monate ohne Ergebnis. In Vila Bela selbst geschah
zunchst gar nichts - auer wortreichen Versprechungen. Alle schienen vergessen zu haben,
dass Natterer noch immer auf die Erfllung der getroffenen Absprachen wartete. ber die

572

Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, [Vila Bela de Santissima Trindade], 28. Mai 1828,
Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 17.
November 1828, Archiv MVK
573
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, [Vila Bela de Santissima Trindade], 28. Mai 1828,
Archiv MVK.
574
Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 17. November 1828,
Archiv MVK.
189

zustndigen Beamten in Cuiab und Vila Bela konnte sich Natterer nur wundern:
Dans des portaries, [], concernant l'expedition pour aller chercher les 2 ou 4 pieces
d'artillerie, j'ai vu avec la plus grande admiration, qu'aucun de ces messieurs ne se soit pas
rappell, que je suis encore ici et que rien a et fait en ma faveur, que de veines ordres, qu'on
n'executera jamais e que je pourrois partir avec cette expedition. Vraiment cela est bien
etrange.575
Langsam zeichnete sich ab, dass an eine baldige Fortsetzung der Reise nicht zu denken war.
Es fehlten nicht nur die ntigen Boote. Der Wasserstand des Guapor war aufgrund groer
Trockenheit so niedrig, dass er von beladenen Schaluppen nicht befahren werden konnte.
Kommandant Paes de Azevedo stellte eine mgliche Abreise fr frhestens Dezember oder
Jnner in Aussicht, zu Beginn bzw. in der Mitte der Regenzeit. Die Reise in der Regenzeit zu
unternehmen, widerstrebte Natterer allerdings sehr, weil dadurch die Jagd whrend der Fahrt
fast unmglich wre und das schlechte Wetter seiner Gesundheit nicht zutrglich sein wrde.
Aber er hatte keine Wahl. Er musste abwarten und sich dem Gang der Dinge fgen. 576
Immer auf die Realisierung der geplanten nchsten Reise hoffend, verbrachte er die Zeit unter
anderem mit der Erledigung geschftlicher Angelegenheiten fr seinen Freund Manso. Er kaufte
fr ihn Schokolade und Guaran, er versuchte Gold einzukaufen und er wickelte einen Handel
mit Maultieren fr ihn ab. Diese Geschfte nahmen viel Zeit in Anspruch, whrend seine
Reiseplanungen stagnierten, sodass er in einem Brief frustriert meint: Lemploi de financier vont
mieux que celui de botaniste.577

15. DIESE KLEINE ABWEICHUNG (1829-1830)

Die Fortschritte bei den Vorbereitungen fr die Expedition, die Natterer entlang des Rio
Madeira zum Amazonas bringen sollte, gingen sehr schleppend voran. Whrend der
575

Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Vila Bela de Santissima Trindade, 30. Juni 1828,
Archiv MVK.
576
Zusammenfassung der Ereignisse 1828/29 und der Verzgerungen bis zur Abreise Natterers von Vila Bela
vgl. Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 10. Juli 1829,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20) Admin. Berichte 1829 V-XII, 18r-26v.
577
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Vila Bela de Santissima Trindade, 25. Juli 1828,
190

Regenzeit geschah nichts, und erst im Mrz 1829 wurden die Arbeiten zur Instandsetzung der
beiden Barken fr die Flussreise wieder aufgenommen und die ntigen Vorrte vorbereitet,
sodass Natterer nun mit einer Abreise im Mai rechnete.578
Dann stellte sich ein weiterer Rckschlag ein. Ein neuer Befehl des Vizeprsidenten der
Provinz Mato Grosso an den Kommandanten von Vila Bela ordnete an, dass sich die geplante
Expedition an den Rio Madeira nur um den Transport der Kanonen vom Salto Teotnio nach
Vila Bela kmmern sollte. Alle anderen Plne, wie die Beschaffung von Salz vom Amazonas
und Natterers Transport, wurden zurck gestellt.579 Im Vertrauen auf die frheren
Anordnungen des Vizeprsidenten hatte Natterer alle zgerlichen Vorbereitungen fr die
Reise geduldig abgewartet und mehrere Gelegenheiten ausgelassen, seine Fahrt mit reisenden
Kaufleuten fortzusetzen oder zumindest seine Sammlung abtransportieren zu lassen. Nun
musste er frchten, ein weiteres Jahr in Vila Bela festzusitzen. Sofortige Interventionen
konnten untersttzt von Manso das Schlimmste verhindern. Natterer durfte wie
vorgesehen an der Expedition teilzunehmen, sollte aber nicht bis zum Amazonas, sondern nur
bis zum Forte do Principe da Beira (RO) gebracht werden. Whrend die Boote aus Vila Bela
die Kanonen vom weiter flussabwrts gelegenen Salto Teotnio holen sollten, wrde Natterer
jene Barken bekommen, die die Kanonen von Belm bis an den Salto gebracht hatten und die
dort verlassen lagen. Natterer sollte solange im Fort bleiben, bis diese Boote ausgebessert und
mit einer Mannschaft versehen wren und ihn vom Fort abholen knnten.580 Unter diesen
Umstnden frchtete Natterer, er wrde vielleicht ein Jahr lang in Principe da Beira
zubringen mssen. Diese Aussicht war fr ihn noch schlimmer als das Warten in Vila Bela,
denn Natterer beschreibt das Fort als einen Ort, der ohne Lebensmittl ist, von allen Behrden
verlassen, der grossen Entfernung wegen. Die Garnison stekt im grsten Elend, ohne Geld, lebt
fast bloss von Fischen und einigen Maniokwurzeln, die von den benachbarten Missionen der
Provinz de los Moxos dahin gebracht werden. Der Command[ant] ist ein fast schwarzer
Archv MVK.
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Vila Bela de Santissima Trindade, Mrz 1829,
Archiv MVK.
579
Jeronimo Joaquim Nunes an Joo Paes de Azevedo, Cuiab, 12. Mrz 1829, Archiv MVK.
580
vgl. Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Vila Bela de Santissima Trindade, 24. April
1829, Archiv MVK; Johann Natterer an Jeronimo Joaquim Nunes, Vila Bela de Santissima Trindade, 25. April
1829, Archiv MVK; Johann Natterer an Jeronimo Joaquim Nunes, Vila Bela de Santissima Trindade, 13./14. Juni
1829, Archiv MVK; Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade,
10. Juli 1829, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20), Admin. Berichte 1829 V-XII,
18r-26v.
191
578

Mulate, weil kein Weisser dort aushalten kann.581 Paes de Azevedo, der Kommandant von Vila
Bela, sorgte allerdings dafr, dass unter Umgehung der Anweisungen des Vizeprsidenten
Natterer sehr wohl bis zum Salto Teotnio mitgenommen werden konnte. Mit den beiden dort
liegenden Booten aus Belm knnte Natterer seine Reise ohne langen Aufenthalt fortsetzen.
Auf diese Weise wrde er wenigstens bis Borba (AM) gelangen, wo es leichter sein wrde,
neue Boote fr eine Fahrt am Amazonas oder dem Rio Negro zu mieten.582

15.1. Natterers siebente Reise: Von Vila Bela nach Borba

Und schlielich ist es soweit: Natterer schickt noch ein Dankschreiben an den
Vizeprsidenten, einen letzten Brief an seinen Freund Manso und wie immer nach einem
lngeren Aufenthalt an einem Ort einen Bericht an den Botschafter Mareschal und dann
bricht Natterer zu einer neuen Reise auf. Am 15. Juli 1829 verlassen die Boote Vila Bela de
Santissima Trindade: eine groe Barke und zwei kleinere Schiffe mit einer Mannschaft von
insgesamt 52 Mnnern, angefhrt von Sargente Jos Ribeira da Silva und einem
Quartiermacher. Natterers Transport ist mittlerweile eine umfangreiche Angelegenheit. Neben
22 Kisten mit naturwissenschaftlichen Sammlungen mssen weitere 25 Koffer und sieben
Taschen mit persnlichen Gegenstnden, Materialien und Apparaten auf den Booten
untergebracht werden.583 Natterers siebente Reise ist die erste Reise per Schiff. Der
Amazonas rckt fr ihn endlich in greifbare Nhe.
Die Fahrt entlang der Flsse ist fr Natterer kaum weniger mhsam als die umstndliche
Landreise mit Maultierkarawanen. Die Wasserlufe ermglichen zwar ein relativ rasches
Fortkommen, vor allem wenn grere Lasten zu transportieren sind. Aber besonders die
Oberlufe der Flsse mit ihren zahlreichen Felsklippen, gefhrlichen Strmungen und
Wasserfllen, den cachoeiras, verlangen den Bootsmannschaften groen Einsatz ab. Ist eine
Durchfahrt mit den Booten zu gefhrlich oder der Wasserstand zu niedrig, mssen
Ausrstung und Gepck entladen werden. Ein zeitraubendes Verfahren luft ab. Die
581

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 10. Juli 1829,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20), Admin. Berichte 1829 V-XII, 18r-26v.
582
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 10. Juli 1829,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20), Admin. Berichte 1829 V-XII, 18r-26v.
583
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 10. Juli 1829,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20), Admin. Berichte 1829 V-XII, 18r-26v.
192

Besatzung muss einen Weg durch den Wald hauen, die Fracht an der gefhrlichen Stelle
vorbei tragen und unterhalb des Hindernisses wieder einladen. Die Boote werden meist an
Seilen ber die Untiefen und Strudel gezogen oder ebenfalls ber Land getragen.
Die hufigen, langen Aufenthalte an den cachoeiras kann Natterer dazu ntzen, auf die Jagd
zu gehen und auf der Suche nach neuen Objekten fr seine Sammlungen die Wlder zu
durchstreichen.584 Diese Streifzge knnen gefhrlich werden, etwa, wenn es zu einem
unerwarteten Zusammentreffen mit Krokodilen kam. Am Rio Madeira hat Natterer dazu
mehrmals Gelegenheit. Mit dem Stolz des Jgers berichtet er seinem Bruder einige
aufregende Zwischenflle:

Am Salto do Girao gieng ich am Ufer des Madeira hin und die Hunde suchten vor mir hin,
als ich an eine kleine Bucht gelangte, wo der Vulcan bis am Bauch hineingieng um sich
abzukhlen. Ich blieb ihm gegenber am Rande des Wassers, als ich hinter ihm nicht weit den
Kopf eines Jacars erblike. [] Der Hund kehrte sich auf mein wiederholtes Abrufen nicht,
whrend der Jacar schnell auf ihn zuschwamm. Er mochte wohl kaum noch 3 Schuh von ihm
entfernt gewesen seyn, als ich ihm eine Kugel hinschikte, die ihn untertauchen machte. Auch
der Hund sprang aufs Land, doch kaum versah ichs mir, so kam er mit seinem Kopf auf
meiner Seite ganz nahe an mir zum Vorschein, doch in demselben Augenblik zerschmetterte
ich ihm den Schdl mit einem Schuss groben Schroot. ber eine halbe Stunde sass ich am
Ufer um zu warten, ob er nochmahl zum Vorschein kme, da sie sehr zhes Leben haben,
doch er kam nicht. Ein Beyspiel ihres zhen Lebens will ich erzhlen. Es war an der
Cachoeira da Bananeira, als mein Neger Jos, den ich auf meiner letzten Reise nach Cuiab
kaufte, mit der Angel nach einigen nahen Felsen fuhr, um einige Fische zum Essen zu fangen,
als er nicht lange darauf durch ein vorbeyfahrendes canot sagen liess, dass er einen Jacar
an der Angel htte und dass jemand mit der Flinte hinfahren mchte. Da er bloss kleine
Angel mithatte, glaubte ich, es sey ein kleiner Jacar, doch nahm ich den Kugelstutzen und
liess mich hinfhren und sah zu meinem Erstaunen, dass es ein frchterliches Krokodil war.
Ich postirte mich ihm zur Seite auf einen Fels und whrend ich dem Neger mit der Schnur den
Kopf aus dem Wasser ziehen liess, jagte ich ihm eine Kugel durch die Ohren. [] Beym
Ausweiden schlug er heftig mit dem Schwanz um sich, doch half es nichts und er lag ohne
Eingeweide lebelos da, als ich ihm den Rachen aufsperren liess, um zu sehen, wie weit er sich
ffnet, da man viel Uibertriebnes davon erzhlt, so wie von der Lnge der Jacars, als er
pltzlich die Kinnladen schloss und meinem Schtzen mehrere Finger schwer verwundete.585
Die Fahrt bis zum Forte do Principe da Beira (RO) verluft ansonsten ohne besondere
Ereignisse. Am 10. August kommt die kleine Flotte dort an und nach kurzem Aufenthalt, der
dem Ausbessern der Boote dient, wird die Reise am 18. August fortgesetzt. Unterhalb des
584
585

Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883
193

Forts beginnen die cachoeiras des Rio Mamor. Die Passage der Stromschnellen ist
schwierig und nicht ungefhrlich. Am 25. August kommt es zu einem tragischen Unglck.
Eines der Boote stt bei der Passage der ersten cachoeira bei Guajar-mirim (RO) an einen
Felsen, zwei Mnner fallen ins Wasser, von denen einer ertrinkt.586
Mehrmals tglich sind nun cachoeiras zu passieren. Der niedrige Wasserstand zwingt die
Mannschaft dazu, die Boote stndig zu entladen und wieder zu beladen. Diese Prozedur
dauert mitunter mehrere Tage. Die Passage des Salto do Jirau nimmt alleine 14 Tage in
Anspruch, da die gesamte Ladung ausgeladen und die Boote mittels Flaschenzgen bis
unterhalb des Wasserfalls transportiert werden muss. Erst am 20. Oktober kommt die kleine
Flotte nach dreimonatiger Fahrt am Salto Teotnio nahe der heutigen Hauptstadt des
Bundesstaates Rondnia, Porto Velho, an.587 Am Salto Teotnio werden nun die Kanonen fr
Vila Bela in die groe Barke verladen, whrend Natterers Habe auf die zwei kleineren Boote
gebracht wird. Am 8. November setzt Natterer seine Reise in Begleitung von 22 Bootsleuten
fort.

15.2. Reisen Jagen - Beobachten

Nach der Passage der letzten cachoeira nderte sich der Charakter der Landschaft, das
Amazonasbecken war erreicht und Natterer konstatierte: Die Fahrt war sehr einfrmig, nichts
als waldige Ufer begrnzten den Horizont, alles eben, kein Hgelchen bis Borba, usserst arm
an Vgeln, ja selbst die gemeinsten Flussvgel fehlten.588 Es gab wenig zu tun, wenig
Abwechslung. Auch wissenschaftliches Arbeiten war whrend der Fahrt kaum mglich.
Natterer empfand die Situation an Bord der Boote als recht beengt: In meiner Kajte hatte ich
kaum Raum, mittlgrosse Vgel zu bearbeiten, so war sie voll mit Kisten gepfropft. Whrend

586

Johann Natterer an Joo Paes de Azevedo, Ribero, 27. September 1829, Archiv MVK; Johann Natterer an
Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Ribero, 27. September 1829, Archiv MVK; Johann Natterer an Karl von
Schreibers, Borba, 20. Dezember 1829, Archiv MVK.
587
Information zur Reise bis Borba bei Johann Natterer an Joo Paes de Azevedo, Ribero, 27. September 1829,
Archiv MVK; Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Ribero, 27. September 1829, Archiv
MVK; Johann Natterer an Joo Paes de Azevedo, Rio Madeira (abaixo da Praia do Tamandua), 9. November
1829, Archiv MVK; Johann Natterer an Joo Paes de Azevedo, Borba, 29. November 1829, Archiv MVK;
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Borba, 29. November 1829, Archiv MVK; Johann
Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 20. Dezember 1829, Archiv MVK.
588
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 20. Dezember 1829, Archiv MVK.
194

der Reise kann man wenig arbeiten. Das meiste muss in den Standquartieren geschehen.589
Nur bei den Pausen zum Frhstck und zu Mittag konnte Natterer seine Jagd nach neuen
Objekten fr seine Sammlung fortsetzen. Dafr gab es andere Sensationen, z.B. die Praia do
Tamandua, eine Sandinsel im Rio Madeira, wo damals die groen Flussschildkrten ihre Eier
ablegten. Diese Eier wurden aber von den Flussbewohnern so intensiv ausgebeutet, dass sich
zu dieser Zeit bereits ein Aussterben der Schildkrten abzeichnete, wie Natterer berichtet:

Spt in der Nacht schon landeten wir auf der Praia do Tamandua, berhmt wegen der grossen
Flussschildkrtten, die fast den ganzen untern Madeira-Fluss schaarenweise nach dieser hohen
Sandinsel wandern, um im Oktober dort Eyer zu legen. [] Sie legen ber hundert Eyer tief in
den Sand, mitten auf die Sandinsel. Die Eyer werden ausgegraben und in grossen Haufen, mit
Bltter bedeckt, aufbewahrt, dann in Canots zerstampft und unter Umrhren der Sonne
ausgesetzt, wo sich dann obenauf aus den Gelben ein flssiges Fett erzeugt, welches man
abschpft und vollends auskocht und reinigt. Dient bloss zur Beleuchtung. Vor vielen Jahren
brachte dies Geschft bis 2800 Tpfe Fett ein, jeder Topf mag wohl fast 1/2 Eimer enthalten.
Dieses Jahr fabrizirte man 100 Tpfe.590
Auf dem weiteren Weg nach Borba beobachtete Natterer mehrere Gruppen von Muras, die
die Flussufer des Rio Madeira bewohnten. Die Auswirkungen der Zivilisation und der
Missionierung waren schon sichtbar in die Kultur der Muras eingedrungen:

Diese Nation bewohnt beyde Ufer des Madeira bis Borba oder weiter noch. Die Mnner hatten
fast alle Hosen, einige Weiber blos kattunene Rcke, zwey waren ganz nackt. Sie schlafen in
kleinen Hangmatten, auch des Tages liegen oder sitzen sie in selben. berhaupt sah es ganz
schweinisch aus. Wir erhandelten um Fischangeln und eiserne Pfeilspitzen 2 Schildkrten,
Bananen und gebratenes Fleisch des Peixeboy (Trichechus Manatus), das wie Schweinfleisch
schmeckt. [] Die Muras bauen grosse, offene Htten wie Schupfen und immer auf sehr hohen
Ufern des Flusses mit weiter Aussicht und haben canots wie die Brasilier.591
Was Natterer hier beschrieb, gab den oberflchlichen Augenschein ganz flchtiger Kontakte
wider. Wie es scheint, hielt er sich hinsichtlich der Muras nicht mit dem Sammeln von weiteren
Informationen auf. Die Beobachtung (und Erfassung) der Natur hatte fr Natterer offensichtlich

589

Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 20. Dezember 1829, Archiv MVK; HERNDON, William L.:
Exploration of the Valley of the Amazone (= Quellen zur Geschichte Amazoniens 4), hg. v. Bernd Schmelz
(Reprint der Ausgabe Washington 1853, Bonn 1996) 246 konstatierte im Jahr 1852 explizit die fortschreitende
Dezimierung der Schildkrten aufgrund der intensiven Nutzung der Eier.
591
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 20. Dezember 1829, Archiv MVK.
195
590

Vorrang. Die naturwissenschaftlichen Arbeiten wurden mit Engagement verfolgt, Jagdausflge


wurden gemacht und die Wartephasen whrend der Flussreise gentzt, um die Sammlungen
auszubauen. Die indigenen Bewohner der Flusslufe wurden dagegen nur am Rande, im
Vorbeifahren wahrgenommen.
Nach mehr als vier Monaten Reise auf dem Fluss erreichte Natterer am 24. November 1829
Borba, wo er sein neues Standquartier auschlug. Die Boote, die ihn hergebracht hatten, schickte
er nach Vila Bela zurck, die aus 22 Kisten bestehende Sammlung wurde mit dem Kaufmann
Matheus Bernardino Vasconcellos nach Belm (PA) versendet, von wo aus sie mit Hilfe des
englischen Bruders des englischen Konsuls in Belm, John Hesketh, via London nach Wien
verfrachtet werden sollte.592 Natterers mittlerweile neunte Sendung traf im November 1830 in
Wien ein und demonstrierte eindrcklich seinen Sammeleifer. Das kaiserliche Museum konnte
sich ber weitere 181 Sugetiere, 1340 Vgel, 155 Amphibien, 432 Fische, 80 Insekten, 14
Krustazeen, 118 Konchylien und 181 Glser mit Eingeweidewrmer, sowie 21 Prparate, 74
Schdel, 47 Eier, 263 Waffen und Gerte und 63 Mineralien freuen.593

15.3. Aufenthalt in Borba

Die nun einsetzende Regenzeit verbrachte Natterer in Borba, denn er versprach sich einiges
Neues fr die Sammlungen, vor allem Vgel aus den umliegenden Wldern fr die
ornithologische Abteilung. Im Rio Madeira waren auch schon viele der Amazonasfische zu
finden, die Natterer sammeln wollte: Flussdelphine, Fluss-Manati (Trichechus manatus oder
inunguis) und die riesigen Pirarucu (Arapaima gigas). Das Amazonasgebiet war nach Natterers
Erwartungen eine fr ihn vllig unbekannte Region mit einer Fauna, die sehr verschieden war
von jener, die Natterer bisher in den Kstenregionen und im Landesinneren kennen gelernt
hatte.594 An eine Weiterreise vor dem Ende der Regenzeit war ohnehin nicht zu denken, und so
versuchte Natterer die Zeit zu nutzen, um seine Sammlungen weiter auszubauen.
592

Johann Natterer an John Hesketh, Borba, 30. November 1829, Archiv MVK; Johann Natterer an Nathan
Mayer Rothschild, Borba, 30. November 1829, Archiv MVK; Johann Natterer an John Hesketh, Borba, 23.
Dezember 1829, Archiv MVK; Johann Natterer an Nathan Mayer Rothschild, Borba, 24. Dezember 1829,
Archiv MVK.
593
KANN: Brasilienexpedition (1992) 43.
594
Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Borba, 29. November 1829, Archiv MVK; Johann
Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 20. Dezember 1829, Archiv MVK; Johann Natterer an Josef Natterer,
Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
196

Aber vorerst wurde sein Eifer gebremst. Die Strapazen der Reisen lsten einen neuerlichen
Krankheitsschub aus, jedoch wesentlich schwcher als die letzten Male. Eine kalte ChinaInfusion595 brachte Natterer nach wenigen Tagen wieder auf die Beine. Es hatte sich wieder
einmal gezeigt, wie bedrohlich und gefhrlich das Leben in der Wildnis war. rztliche
Versorgung gab es in Borba nicht und im Hinblick auf mgliche weitere Erkrankungen sah
Natterer skeptisch in die Zukunft: Hier giebt es weder Chirurgus noch Apotheke, auch frchtet
sich hier alles vor Arzneymittel aus der Apotheke, weil sie nicht gut anschlagen, wahrscheinlich
weil niemand sie gehrig anzuwenden weiss. Gott wird verhten, dass ich hier gefhrlich krank
werde, denn hier, ohne alle Wartung und rztliche Hilfe, wre ich ohne alle Rettung
verlohren,596 schrieb er an seinen Bruder. Und auch Geld konnte die Mngel nicht beheben,
denn es gab in der elenden, kleinen villa597 von Borba nichts zu kaufen, nicht einmal Salz oder
Mehl.598
Wie sich der Alltag an diesem entlegenen Ort gestaltete, darber verliert Natterer kaum ein
Wort: eine kleine Ansiedlung, wenige Einwohner, ein Stck Zivilisation, gerade erst mhsam
dem Urwald abgerungen jedenfalls nach Natterers Meinung kein angenehmer Aufenthaltsort.
An einer Stelle in einem seiner Briefe gibt Natterer eine kurze Beschreibung des Ortes:

[] 2 Reihen elender Huser auf dem hohen Ufer des Flusses. Auf einer Seite ist das lngliche
Vierek mit der Kirche geschlossen, auf der andern Seite ist es offen. Der Wald geht bis an die
Huser heran. Die Einwohner sind, einige wenige Europaer ausgenommen, Indier, meist
Abkmmlinge der Pmas. Man spricht hier die Lingua Geral, das ist Guaran, doch auch
Portuguisisch.599
Das Leben war vllig abgeschieden, Neuigkeiten aus Europa oder auch Mato Grosso erreichten
Borba selten, die Gesprche im Ort drehten sich um Tabak, Kakao, Schildkrten und andere
Handelswaren. Im brigen war der Ort abgesehen von Sonn- und Feiertagen ziemlich
verlassen, da sich die Bewohner meist auf den Landgtern und Pflanzungen aufhielten.600
595

Die allgemein heilende und Fieber bekmpfende Wirkung der China-Rinde (Chincona L.) wird in allen
Arzneimittellehrbcher der Zeit hervorgehoben vgl. MELLIN: Praktische Materia Medica (1793) 251-279,
SCHMIDT: Lehrbuch der Materia medica (1811) 261-288; EDWARDS VAVASSEUR: Handbuch (1827) 149153; WENDT: Praktische Materia medica (1830) 150-156.
596
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
597
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Manaus, 19. September 1830, Archiv MVK.
598
Johann Natterer an Joo Paes de Azevedo, Borba, 29. November 1829, Archiv MVK.
599
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
600
Johann Natterer an Joo Paes de Azevedo, Borba, 22. August 1830, Archiv MVK.
197

15.4. Werkstatt eines reisenden Naturforschers

Aus der Zeit des Aufenthalts in Borba sind einige Aufzeichnungen erhalten, die einen kleinen
Einblick in die Arbeitsweise Natterers und seiner Expedition geben. In den erhaltenen Berichten
und Tagebuchfragmenten beschreibt Natterer nur sehr selten seine naturkundliche
Sammelarbeit. Das lsst sich dadurch erklren, dass dieser Aspekt fr den Botschafter in Rio
eine untergeordnete Rolle spielte, whrend es in der Kommunikation mit dem Direktor Karl von
Schreibers und seinem Bruder beide Naturwissenschafter kaum notwendig war, ber jene
Bereiche seiner Arbeit zu berichten, die fr die Adressaten evident waren. Aus diesen Grnden
gab Natterer zwar hin und wieder Jagdanekdoten zum Besten, Methoden und Praktiken seiner
Sammel- und Prparierungsarbeit waren hingegen nicht Gegenstand seiner Reflexionen.
Die Beschaffung der gesuchten Tiere war ein arbeitsintensiver Prozess, bei dem sich der
Naturforscher auf die Untersttzung seiner Mitarbeiter angewiesen war. Dazu zhlte etwa der
junge Sklave Luiz, der als Jger half. Mein Neger Luiz ist schon ziemlich gebt auf Vgl und hat
mir hier fast alle neue Vgl gebracht,601 erwhnte Natterer einmal lobend in einem Brief an
seinen Bruder Josef. Luiz war von Natterer in Rio de Janeiro gekauft worden. Der britische
Zoologe Alfred Russel Wallace, der zwischen 1848 und 1852 das Amazonasgebiet bereiste,
lernte auf seiner Reise Luiz kennen. Wallace engagierte Luiz, der 1835 von Natterer
freigelassen worden war und inzwischen selbst Sklaven hielt, als Vogeljger. In seinem
Reisebericht hielt Wallace fest, was Luiz von seiner Ttigkeit beim Doktor, wie er Natterer
nannte, erzhlte. Er hatte fr die Sammlungen Tiere geschossen und prpariert, und fr jeden
neu prparierten Vogel bekam Luiz ein kleines Geschenk.602
Auf der Reise von Vila Bela nach Borba arbeitete ein Joo Pedro ber eine Jahr lang als Jger
und Mitglied der Bootsmannschaft fr Natterer.603 Aber solche konkreten Hinweise auf
Personen in seiner Begleitung sind selten und auch diese geschah nur, weil Natterer seinen
Freund Manso um einen Gefallen fr Joo Pedro bitten wollte. In seinen offiziellen Berichten
ber seine Aktivitten erwhnte Natterer seine Mitarbeiter kaum.
Mit Hilfe der lokalen Behrden engagierte Natterer einen Indier zum Fischen und einen zum
601
602

Johann Natterer an Josef Natterer Borba, 21. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
WALLACE: Narrative (1889) 77f. und 148.
198

Jagen.604 Bei dem Jger knnte es sich um den Miranha Pai chico handeln, einen der wenigen
namentlich bekannten Angehrigen einer indigenen Gruppe aus Natterer Umfeld. Erstmals
erwhnte Natterer einen Miranha-Jger in einem Brief von Jnner 1830, der somit Ende des
Jahres 1829 in Natterers Dienste getreten sein drfte.605 Der Name Pai chico taucht auch in
Natterers Objektbeschreibungen auf. Im Inventar des Museums fr Vlkerkunde (Nr. 1539)
befindet sich noch heute ein Blasrohr der Nation Pass aus dem Rio Japur, auf dessen
ebenfalls erhaltener Original-Etikette es weiter heit: Mit diesem Rohr wurden in Borba von
einem Wilden Miranha nahmens Pai chico viele Vgel fr die Sammlung geschossen.606
Eine der erhaltenen Notizen aus Borba enthlt eine Beschreibung der Bearbeitung eines
Peixeboy, einer Seekuh-Art aus dem Amazonasgebiet (Fluss-Manati, Trichechus manatus
oder inunguis). Sie zeigt, wie Natterer seine Tierprparate herstellte.607 Er referierte seine
Methoden der Konservierung, gibt Ratschlge fr die weitere Bearbeitung der Prparate und
notierte fr seine Kollegen in Wien Details ber Farben, die sich im Lauf der Prparierung
vernderten:

Dieser Peixeboy ist schlecht gerathen, weil das Farenkraut, womit ich ihn ausstopfte, viel
Feuchtigkeit an sich zog und so dem Zusammenziehen der am Rken daumendiken Haut nicht
wiederstehen konnte. [] Das Wetter, welches aber 8 Tage lang regnerisch war, hindert ihn
am Trocknen. Als ich mich des Rauches erinnerte, war es schon zu spt. Das 2. Exemplar lie
ich 6 Tag und Nacht einem unausgesetzten Rauch ausetzen, auch hobelte ich die Halfte der
Hautdike ab. Demungeachtet ging an vielen Stellen das Oberhutchen ab, welches nicht zu
verhten, obschon ich 3 Tage und 2 Nchte mit jedem zubrachte. Die Haut ist zu dik, der Alaun
greift nicht durch und die Hitze ist zu gro. Das 3. Exemplar, wovon die Haut folgt, war von
unten gemessen 7 Sp. 8 Zoll lang und die grte Dike in der Mitte 5 Sp. 2 Zoll. Beym
Aufweichen wird wohl das Oberhutchen abgehen. Mit Sgespne wird es am Besten
auszustosen seyn, der Schwanz ist von Holz zu machen. Iris braun, der Auenrand dunkelgrau,
die Farbe des Oberleibs graulich-schwarz, des Unterleibs dunkelgrau. Das 3. E(xemplar) hatte
einige hautfarben (Hautfarbe eines weien Europers) Fleke, die nun dunkelbraun sind. Kurz,
es war eine Hllenarbeit, so groe Thiere zu bereiten.608
Gerade bei der Prparierung groer Tiere zeigt sich fr Natterer der Mangel an Mitarbeitern, die
603

Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Borba, 29. November 1829, Archiv MVK.
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Manaus, 19. September 1830, Archiv MVK.
605
Johann Natterer an Francisco Ricardo Zany, Borba, 11. Jnner 1830, Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an
Karl von Schreibers, Borba, 29. Juni 1830, Archiv MVK.
606
Original-Etiketten Schott-Pohl-Natterer, Post VII / 1817/1835 BRASILIEN, Archiv MVK.
607
Zu Methoden der Prparation vgl. einfhrend LARSEN, Anne: Equipment to the field. In: JARDINE, Nicholas
SECORD, James A. SPARY, Emma (Hg.): Cultures of natural history (Cambridge 1996) 358-377.
604

199

ihn bei der wissenschaftlichen Arbeit untersttzten knnten. Mit so wenig gebten Gehlfen ist
es eine ungeheure Arbeit, so grosse Thiere auszustopfen,609 klagt er seinem Direktor Schreibers.
Sgespne, ein wichtiges Material fr das Ausstopfen der Tierprparate, war nur sehr schwer zu
erhalten und selbst ein Gerbmesser fehlt Natterer.610 Abgesehen von Jagd und Prparation war
Natterer in den meisten Angelegenheiten auf sich selbst angewiesen. Dazu gehrten etwa auch
Reparaturen an seinen Jagdgewehren, fr die er sich eigens eine kleine Drehbank herstellte.611
In einem seiner Briefe gibt Natterer eine Zusammenfassung seiner Ttigkeiten, die ihn als
beobachtenden, beschreibenden und messenden Empiriker ausweisen. Es geht hier vor allem
darum, den ursprnglichen Zustand der Funde fr eine sptere, ausfhrlichere Bearbeitung
festzuhalten:

Von allen Vgeln habe ich Lngen- und Breitenmass, die Beschreibung der nach dem Tode
vernderlichen Theile des Krpers, von vielen selbst die Farbe des Krpers. Dasselbe gilt
von Sugethieren, Amphibien und Fischen. Von Sugethieren habe ich viele kleinere
gezeichnet, besonders viele Fledermuse, von Amphibien und Fischen habe ich viele kolorirte
Abbildungen und Skitzen.612
Natterer war nach dem Urteil von Zeitgenossen ein ausgezeichneter Jger und Prparator,613
dessen vorzglich Zeichnungen bei der weiteren Bearbeitung gute Dienste leisteten,
dokumentierte er doch damit den Zustand der Tierarten vor der Prparierung. Er sicherte
diesen Zustand damit auch gegenber spteren Vernderung oder Transportschden.
Manchmal wirkte sich Natterers Arbeit jedoch auch zum Nachteil fr sptere Bearbeiter aus.
Fitzinger beklagte sich darber, dass er zur genaueren Bestimmung zweier Lungenfische
keine Eingeweide zur Verfgung htte, da diese ein Opfer der von Hrn. Natterer mit allzu
groer Leidenschaft betriebenen Helminthenjagd geworden sind.614 Auf der Suche nach
Eingeweidewrmern sezierte Natterer viele der von ihm gesammelten Tiere und schrnkte
damit gleichzeitig die Mglichkeiten der weiteren Forschung ein.
608

Notiz, Borba, 18. Mai 1830, Archiv MVK; vgl. KANN: Brasilienexpedition (1992) 45f.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 29. Juni 1830, Archiv MVK.
610
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
611
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
612
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883. Die erhaltenen
Aquarelle und Zeichnungen Natterers sind publiziert bei RIEDL-DORN: Natterer (2000) 80-131.
613
PELZLEN: Erinnerung (1889) 583.
614
FITZINGER, Leopold Joseph: Vorlufiger Bericht ueber eine hoechst interessante Entdeckung Dr. Natterers in
Brasilien. In: Isis von Oken, Heft III (1837) 379f.
200
609

Nach einem halben Jahr Aufenthalt in Borba konnte Natterer am 17. Juni 1830 einen weiteren
Transport von sieben Kisten mit naturkundlichen Objekten nach Wien schicken, insgesamt 79
Sugetiere, 452 Vgel, sechs Amphibien, 20 Fische, 37 Schdel, 150 Waffen und Gerte.615
Im Begleitbrief an Direktor von Schreibers greift Natterer entschuldigend mglicher Kritik an
seiner lang andauernden Reise voraus:

Ich darf mir schmeicheln zu glauben, dass dieser Transport manches enthlt, dessen Anblik
Seiner Majestt, dem Kaiser und Euer Hochwohlgeboren Vergngen machen wird und dies
erfllt mich mit der Hoffnung, dass vielleicht Seine Majestt, der Kaiser mir den hier durch
Aufbringung von noch vielen fehlenden Seltenheiten zu verlngernden Aufenthalt gndigst
verzeihen werden.616
Natterer war nun seit zwlf Jahren in Brasilien und war auf einem Weg von tausenden
Kilometern quer durch das Land gereist. Viele schwierige Umstnde, organisatorische Probleme
und Krankheiten hatten das Fortkommen immer wieder verzgert. Seit dem letzten Befehl, nach
Europa zurckzukehren, waren drei Jahre vergangen, und Natterer war noch immer mitten in
Brasilien. Aber Natterer hatte andere Interessen, und er scheint wenig davon begeistert gewesen
zu sein, den Befehlen zur Heimreise so schnell wie mglich nachzukommen. Im Gegenteil
erweckt Natterer den Eindruck, als wrde er dankbar jede Gelegenheit ergreifen, jede
Verschiebung, jede Versptung, um noch lnger in Brasilien bleiben zu knnen. Bereits in Vila
Bela hegte er Plne, nicht blo auf schnellsten Wege nach Belm zu reisen, sondern seinen
Aufenthalt so lange es ginge auszudehnen und vielleicht den Oberlauf des Amazonas und den
Rio Negro zu erforschen. Und er versuchte, seinen Vorgesetzten schon zu diesem Zeitpunkt,
diese kleine Abweichung von dem vorgeschriebnen Ziele schmackhaft zu machen.

Oft erhebt sich so ganz im Innersten meiner Seele meine geheime Stimme und lispelt mir zu,
dass vielleicht der so gtige Kaiser diese kleine Abweichung von dem vorgeschriebnen Ziele
verzeihungswerth finden knnte, da dabey die Bereicherung und Verschnerung des unter
seiner Regierung mit so glklichen Vorbedeutungen begonnenen und schon auf einer so hohen
Stufe stehenden Naturhistorischen Musum beabsichtigt wird! 617
Diese kleine Abweichung wird Natterer weitere fnf Jahre in Brasilien halten. Mehrfach griff
615

bersicht ber die Ausbeute der Reise, Archiv MVK


Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 29. Juni 1830, Archiv MVK.
617
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 10. Juli 1829,
616

201

Natterer zur Rechtfertigung seiner Reisen auf ganz bestimmte Begriffe zurck, die seine
Argumente untersttzen und seine Vorgesetzten berzeugen sollten. Neben der Anspielung auf
Seltenheiten und schne Schaustcke ist es der Appell an das Vergngen, das die bereits
gemachten und noch zu erwartenden Sammlungen dem Kaiser (und auch Metternich und
Schreibers) bereiten wrden. Ein anderes Bild, das Natterer hufig bemht ist jenes der
Vollkommenheit des Museums. Was aber bedeutete fr Natterer und seine Auftraggeber eine
Bereicherung und Verschnerung des Museums oder dessen Vollkommenheit?

16. JENE BEGIERDE ZU REISEN UND ZU SAMMELN 618

Das wichtigste Stck in jeder Sammlung ist immer das


nchste.
Philipp Blom: Sammelwunder, Sammelwahn. Szenen
aus der Geschichte einer Leidenschaft (Frankfurt/Main
2004) 254.

Mehr als zwlf Jahre hatte Natterer bisher in Brasilien verbracht und soweit es die
Umstnde und seine Gesundheit erlaubten unermdlich an seinen Aufgaben gearbeitet.
Tausende von naturwissenschaftlichen und ethnographischen Objekten waren im Zuge seiner
Reisen in die kaiserlichen Sammlungen gelangt. Zieht man die Gesamtzahl seiner
Sammlungen heran (etwa 55680 Objekte), ergibt sich, dass Natterer und sein Team im Laufe
von insgesamt 18 Jahren im Schnitt acht Objekte pro Tag gesammelt und bearbeitet haben.619
Insgesamt steckt hinter der umfangreichen Sammlung eine betrchtliche Arbeitsleistung,
wenn man die langen Phasen der Krankheit bedenkt und die monatelangen Reisen, whrend
denen die Sammlungsarbeit nur eingeschrnkt mglich war. Entbehrungen und Krankheiten
hielten Natterer nicht davon ab, diese Arbeit fortzufhren. Und er dachte auch in Borba
keineswegs an eine Rckkehr nach Wien. In einem Brief an seinen Bruder bekrftigte er
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20), Admin. Berichte 1829 V-XII, 18r-26v.
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
619
Wissenschafter haben auch errechnet, dass Natterer im Schnitt zwei Vgelhute pro Tag whrend seines
618

202

seinen Wunsch, weitere Reiseprojekte durchzufhren:

Krankheiten, Entbehrungen aller Art, Strapazen, bestndige Arbeit, selbst mechanische so


lange Jahre miteinander wechselnd, sollten wohl endlich ein ruhigeres Leben mir wnschen
machen, sollten wohl jene Begierde zu reisen und zu sammeln gekhlt haben. Doch nein, noch
ist jene Begierde die selbe, mein Wille der selbe, nur meine Krfte sind nicht mehr die selben.620
Natterers Vorgesetzte versuchten immer wieder, ihn zu einer Rckkehr zu bewegen.
Einerseits hatten die bis dahin erzielten Ergebnisse der Reisen alle Erwartungen lngst
bertroffen. Andererseits musste die kostspielig Auslandsreise eines Mitarbeiters des
Naturalienkabinetts unvermeidlich zur Frage fhren, wie lang die Finanzierung gewhrt
werden sollte. Es war aber stets Natterer, der sich fr eine Fortfhrung der Reisen einsetzte.
Was motivierte Natterer dazu, darauf zu drngen, auch unter ungnstigsten Bedingungen
seinen Forschungen nachgehen zu drfen? Welche Grnde fhrte er an, um sein
unermdliches Reisefieber gegenber seinen Vorgesetzten zu rechtfertigen? Mit welchen
Argumenten erreichte er die fr die Umsetzung seiner Plne ntige Untersttzung?
In seinen Argumentationen wird greifbar, welchen Sinn er seiner wissenschaftlichen Ttigkeit
zuschrieb. Aus seinen wenn auch seltenen Selbstdarstellungen lsst sich vielleicht
erschlieen, was ihm und seinen (wissenschaftlich interessierten) Zeitgenossen, an die er sich
wendete, wichtig erschien. Zu bedenken ist freilich, dass Natterer dabei stets auch
strategische berlegungen verfolgte, denn ihm ging es darum, eine Fortfhrung seiner Reisen
zu legitimieren. Das scheint ein Ziel zu sein, mit dem er sich mit seinen Vorgesetzten im
Prinzip eines Sinnes wusste, aber er musste es immer wieder neu begrnden. Die Motive, die
Natterer anfhrte, hatten offensichtlich Erfolg, d.h. in den Augen seiner Vorgesetzten mussten
sie sinnvoll erscheinen und im Gesamtzusammenhang des Projekts Naturalienkabinett
weitere Ausgaben gerechtfertigt erscheinen lassen.
Die Reise des Naturforschers ist eine Bewegung hin zu seiner Sammlung. Sie ist das
Instrument, mit dessen Hilfe der naturforschende Sammler zu den Objekten seines Interesses
gelangt. Bisher standen die Umstnde und ueren Bedingungen der Brasilien-Expedition im
Aufenthalts in Brasilien bearbeiten haben muss, vgl. STRAUBE: Natterer (2000) 8.
620 Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883; vg. Johann Natterer
an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 10. Juli 1829, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20), Admin. Berichte 1829 V-XII, 18r-26v: Meine
Begierde nach neuen Entdeckungen ist noch nicht erkaltet.
203

Vordergrund. Ein Blick auf die von ihm selbst vorgetragenen Argumentationen soll der Frage
nach den Beweggrnden, die Natterer zu seinen Unternehmungen motivierten und die seine
Auftraggeber als wissenschaftliche Praxis akzeptierten, nachgehen.

16.1. Selbstportrt des Reisenden als sammelnder Forscher

Johann Natterer beschrieb sich selbst vor allem als Sammler. Den Zweck seiner Reise fasste
er in einem Brief wie folgt zusammen: Entdekungen, Beobachtungen und Sammlungen im
zoologischen Abschnitt des Naturreiches zu machen.621 Dieses Verstndnis entsprach den
Rahmenbedingungen, die die fr die Expedition erstellte Dienstinstruktion vorgab. Offizieller
Auftrag der Wissenschafter war es, soviel als mglich zur Erforschung und Kenntniss dieses
grossen und hchst merkwrdigen Theiles unseres Planeten beyzutragen und durch
Aufsuchung und Einsamlung der mannigfaltigen Naturprodukte die Wissenschaft und die sie
betreffenden ffentlichen Anstalten der Monarchie zu bereichern.622 Nicht Vertiefung oder
Erforschung von Details, sondern das Schaffen eines berblicks wurde als eine der
Hauptaufgabe der Expedition angesehen mglichst, ohne sich zu lange an einem Ort
aufzuhalten. Die wichtigste Aufgabe war nach den Bestimmungen der Dienstinstruktion das
Sammeln von Objekten fr die naturwissenschaftlichen Sammlungen des Landes. Im
Gegensatz zu Natterers Ausfhrungen wurde bei der Planung der Expedition offenbar nicht
an das Naturalienkabinett alleine gedacht wurde, sondern auch an andere wissenschaftliche
Einrichtungen, die an den erwarteten Sammlungen aus Brasilien partizipieren sollten.
Die Auflistung seiner gemachten Sammlungen ist auf Grund der Aufgabenstellung ein
wesentliches, immer wieder kehrendes Element in Natterers Briefen, vor allem in den an
Direktor von Schreibers gerichteten Berichten. In der Regel fasst Natterer die Anzahl der in
einem bestimmten Berichtszeitraum gesammelten Objekte nach Tiergattungen geordnet
zusammen. Vereinzelt werden dabei besondere Stcke hervorgehoben, teilweise auch
ausfhrlicher beschrieben. Hauptbestandteil ist jedoch die zahlenmige Erfassung der
jeweiligen Beutestcke, immer einer Hierarchie der Naturgeschichte folgend, die vom
Sugetier zu den niederen Wesen fhrt und im wesentlichen der allgemein gltigen
621
622

Johann Natterer an Jos Bonifcio de Andrada e Silva, Ipanema, 20. April 1822, Archiv MVK.
Dienstinstruktion, Wien, 14. Jnner 1817, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 2 (alt Fasz. 2),
204

Ordnung, wie sie viele Systematiker und darunter auch Carl von Linn formuliert hatten,
folgt: Sugetiere, Vgel, Amphibien, Fische und Insekten sowie Krustazeen, Konchylien und
Mollusken. Ein wichtiger Punkt sind die Eingeweidewrmer, die Natterer auf speziellen
Wunsch von Schreibers sammelt. Am Schluss der Aufzhlung folgen die Objekte aus den
Randbereichen des Interesses, die fallweise angefhrt werden: Schdel, Eier, Hlzer,
Mineralien und die Waffen und Gerthe, die Natterer von der indigenen Bevlkerung erwirbt.
Beschreiben im Sinne einer wissenschaftlich-systematischen und taxonomischen
Bestimmung, Klassifizierung und Bearbeitung der gesammelten Objekte zhlte dagegen nicht
zu Natterers Aufgaben whrend der Reise. Die naturkundlichen Erluterungen in seinen
Berichten

beschrnkten

sich

auf

Hinweise,

Vermutungen

und

Vorschlge

zur

wissenschaftlichen Bearbeitung, die aber erkennen lassen, dass er der eigentlichen


Bestimmungsarbeit nicht vorgreifen will. Dieser Bereich bleibt entweder seinen Kollegen in
Wien vorbehalten, die die Sammlung spter bearbeiten sollten bzw. ist fr Natterer selbst
aufgeschoben bis auf die Zeit nach der Reise. Sammeln (und vorlufige Benennung und
Einordnung) der Objekte und wissenschaftliches Bearbeiten der Objekte sind zeitlich und
rumlich voneinander getrennte Praktiken. Hier wird eine deutliche Arbeitsteilung sichtbar.
Zunehmende Spezialisierung und

Differenzierung der Fcher fhren dazu, dass

Forschungsreise und nachfolgende Auswertung und Publikation der Forschungsergebnisse


getrennte Prozesse werden.623 Sogar die Arbeiten des allseits anerkannten Alexander von
Humboldt werden von George Cuvier kritisch kommentiert. Nach Cuviers Ansicht fehlten
dem Forscher im Feld der berblick, die Zeit fr intensive Studien und Vergleiche und die
ntige Literatur. Nur dem Naturwissenschafter in seinem cabinet sei dies mglich.624
Natterer

konzentriert

sich

auf

die

praktische

Sammlungsarbeit

vor

Ort.

Die

Zusammenfhrung und wissenschaftliche Auswertung aller Beobachtungen, Daten und der


gesammelten Objekte sollte in Wien erfolgen, entweder durch spezialisierte Fachkollegen
oder durch Natterer selbst. Dass Natterer kein akademisch ausgebildeter Naturwissenschafter
ist, schliet ihn nicht von der weiteren Bearbeitung seiner Sammlungen aus. Umfangreiche
Kenntnisse sind ja berhaupt Voraussetzung fr die Auswahl der zu sammelnden Objekte
Wiss. Expedition, fol. 126.
FISCH, Stefan: Forschungsreisen im 19. Jahrhundert. In: BRENNER, Peter J. (Hg.): Der Reisebericht. Die
Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur (Frankfurt/Main 1989) 393f.
624
OUTRAM, Dorinda: New spaces in natural history. In: JARDINE, Nicholas SECORD, James A. SPARY,
623

205

und ihre erste Einordnung.


Der Naturforscher vor Ort trifft wesentliche Entscheidungen. Er whlt aus dem pool
vorhandener Tierarten diejenigen aus, die ihm unbekannt oder als interessanter Teil seiner
potentiellen Sammlungen erscheinen, er versucht eine erste, grobe Einordnung innerhalb
seines berblicks bereits bekannter Tierarten, benennt sie und legt als Sammelnder auch
Parameter fest, die sich durch Prparation und Transport verndern knnen (Farbe, Gre,
Verhalten) und die nur er durch Beobachtung vor Ort kennt. Von ihm angefertigte
Zeichnungen dienen der Dokumentation und Fixierung des Objekts.625 Die Arbeit des
vermessenden, vergleichenden und zeichnenden Sammlers schreibt eine bestimmte Realitt
fest. Es ist der Sammler vor Ort, der aus der Vielzahl gesammelter Stcke auswhlt, welches
Exemplar ein typischer Vertreter seiner Art anzusehen ist, welches bloss Varietten626 sind,
wie Natterer sagt, und welches aufgrund abweichender Merkmale einer eigenen Art
zuzurechnen ist. Ausgangspunkt dieser Auswahl ist die Beobachtung und Beschreibung
uerer Merkmale,627 der Augenschein und der Vergleich. Natterer vergleicht die von ihm
gesammelten Arten mit ihm bereits bekannten, schliet sie an diese mittels vergleichender
Bemerkungen an und definiert von dieser Festschreibung aus unterscheidende Merkmale und
Abgrenzungen zu anderen Arten und Individuen.628
Seine Aufzeichnungen werden die Basis fr die sptere Beschreibung und Klassifikation und
fr die Bestimmung eines einzelnen Individuums als typisches Exemplar einer Spezies, das
jene Merkmale vorgibt, anhand dessen andere Vertreter dieser Spezies oder hnlicher
Tierarten verglichen, zugeordnet und klassifiziert werden. Im Laufe des Auswahlprozesses
werden typische Merkmale einer Tierart in einem konkreten Individuum verortet, das
schlielich der wesentliche Orientierungspunkt fr die Beschreibung und Klassifizierung wird
und stellvertretend fr die ganze Art steht.
Emma (Hg.): Cultures of natural history (Cambridge 1996) 259-263.
Vgl. Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
626
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas / Barcelos, [20 - 28] Februar 1831 / 22. August 1831,
Archiv MVK; Begriff Variett auch in Johann Natterer an Josef Natterer, Gois, 29. August 1823, WStLB, HS,
7881 und Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold Baron von Mareschal, Caiara, 16. Juni 1826, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 13, Konv. 2 (alt Fasz. 13), Varia 1826, fol. 8r-11v.
627
Zur Bedeutung der Morphologie als Teil der Naturwissenschaften in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts in
Deutschland vgl. NYHART, Lynn K.: Biology takes form. Animal Morphology and the German Universities.
1800-1900 (Chicago/London 1995) 35-463; JAHN: Geschichte der Biologie (2000) 421-425.
628
Zur Auswahl unterscheidender Merkmale vgl. FOUCAULT, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine
Archologie der Humanwissenschaften (= Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 96) (Frankfurt/Main 13 1995)
625

206

Die Erfahrung des Augenscheins ist fr Natterer die Basis der Wissenschaft. Ist es nur ein
Zufall, dass er Experientia docet629 am Rand eines Briefkonzeptes notiert? Er bettigt sich als
Jger, Sammler und Prparator,
relativiert

er.

Es

fehlten

ihm

seine wissenschaftlichen Ambitionen und Fhigkeiten


dazu

Auffassungsvermgen,

Beobachtungs-

und

Nachforschungsgeist, hhere Studien,630 wie er bescheiden anmerkt. Dass Natterer im Laufe


seines Aufenthalts in Brasilien keine Aufstze oder Studien publiziert, hat jedoch andere
Grnde. Die harte Arbeit im brasilianischen Hinterland lsst wenig Zeit fr detaillierte
naturwissenschaftliche Bearbeitungen, die zur Bearbeitung notwendigen Vergleich sind nicht
mglich, da ja selbst Natterers eigene Sammlungen teils verpackt, teils bereits nach Europa
verschickt sind. Darber hinaus fehlt offenbar auch eine geeignete wissenschaftliche
Ausrstung.
Hufig beklagt Natterer den Mangel an Hilfsmitteln, v.a. von Bchern, die ihm seine Arbeit
erleichtern wrden. Sein Rstzeug fr die wissenschaftliche Bestimmung der gesammelten
Objekte war beschrnkt. Er verfgte nur ber wenige Bcher oder Auszge daraus. Bereits zu
Beginn der Reise beschwert sich Natterer whrend des Aufenthalts in Gibraltar ber die
mangelnde Ausstattung mit Fachliteratur: Lathams Index ornithologicus fehle ihm, um die
Vgel genauer bestimmen zu knnen.631 Dieses Vogelverzeichnis kann er sich in der Folge
beschaffen, ebenso Werke von Johann Friedrich Gmelin, Felix dAzara und Johann Mattus
Bechstein.632 Mit Gmelin, seinem einzigen, armen Begleiter,633 ist Natterer jedoch nicht
180-189.
Randbemerkung neben einem Brief von Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Caiara,
24. Mrz / 10. April 1826, Archiv MVK.
630
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
631
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) 25f.; Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 8./14. Juli 1820,
WStLB, HS, 7874 erwhnt die Anschaffung von LATHAM, John: Index ornithologicus, sive systema
ornithologiae (London 1790). Die bestellten Bcher erhielt Natterer zwischen Juli und November 1820 whrend
seines Aufenthalts in Curitiba vgl. Johann Natterer an Josef Natterer, [Curitiba, Juli/November 1820], WStLB,
HS, 7853.
632
Vgl. Johann Natterer an Karl von Schreibers, Gois, 25. August 1823, Archiv MVK: Gmelin, Latham ...
dAzara andre Autores kann ich nicht consultiren. Genauere Angaben, welche Bcher Natterer zur Verfgung
standen, gibt es nicht. In Frage kommen AZARA, Felix de: Apuntamientos para la historia natural de los
Paxaros del Paraguay y Rio de la Plata (Madrid 1802-1805) fr die Bestimmung von Vgeln und AZARA, Felix
de: Apuntamientos para la historia natural de los quadrupedos del Paraguay y Rio de la Plata (Madrid 1802) fr
Wirbeltiere bzw. Sugetiere. Beide Werke befinden sich in der sterreichischen Nationalbibliothek und knnten
schon vor 1817 angekauft worden sein. Sein Gmelin drfte die von Johann Friedrich Gmelin bearbeitete
Ausgabe von LINN, Carl von: Systema naturae per regna tria naturae, secundum classes, ordines, genera,
species etc. Ed. XIII aucta, reformata, cura Joh. Frid. GMELIN (Leipzig 1788 -1793) sein oder Auszge daraus.
Bei Bechsteins Taschenbuch, das Natterer 1823 erwarb handelt es sich wohl um BECHSTEIN, Johann
Matthus: Anhang zum ersten Band von Lathams allgemeiner bersicht der Vgel (Nrnberg 1793); vgl. Johann
207
629

zufrieden, und er ist, wie er anmerkt, mit Gmelin und Latham sehr oft, der kurzen und
unvollkomnen Beschreibungen wegen, in grosser Verlegenheit.634 Auch eine englische, sehr
neue Ausgabe des Linn635 lsst er sich schicken. Die Abbildungen auf Buffons Kupfertafeln636
dienen ihm zu Vergleichszwecken fr Vgel. Zur Bestimmung der Eingeweidewrmer erwirbt
Natterer das damals grundlegende Werk von Karl Asmund Rudolphi, die Synopsis.637
Es sind diese Bcher, die Natterer bei der Ordnung seiner Funde leiten. Mit Bchern in der
Hand vergleicht er die von ihm gesammelten Tiere und Tierarten, ordnet sie bekannten Arten zu
oder definiert sie als neu. Die Bcher geben ihm die Mglichkeit, bereinstimmungen und
Abweichungen in Bezug auf das bereits vorhandene Wissen und bereits bekannte Tierarten
festzulegen. Von ihm getroffene Zuordnungen knnen zwar spter revidiert werden, aber im
Moment der Sammelarbeit ist es zuerst die Entscheidung des sammelnden Naturforschers,
Identitt, Variett oder Differenz zwischen in den Bchern dokumentierten Lebensformen und
vor Ort vorgefundenen Lebensformen zu definieren.
Doch selbst diese Fachliteratur war in der ursprnglichen Planung der Expedition scheinbar
nicht vorgesehen. Der Kostenvoranschlag von 1816 fhrte keine Betrge fr die Anschaffung
zoologischer Bcher an.638 Aus einer Bemerkung Natterers ist zu schlieen, dass Direktor Karl
von Schreibers whrend der Vorbereitung der Expedition der Meinung war, eine Sammelreise
htte keinen Bedarf an wissenschaftlichen Hilfswerken. In einem Brief an seinen Bruder machte
Natterer deutlich, dass er von Anfang an anderer Meinung war:
Du schreibst immer von umstndlichen Berichten, auch naturhistorischen. Wie sollte ich ohne
die nthigen Bcher welche machen? Nach Herrn Directors Meinung war mir ja sogar der
elende Gmelin berflssig.639
Seine wissenschaftliche Ausrstung konnte Natterer zwar im Lauf der Jahre verbessern, aber

Natterer an Josef Natterer, Gois, 29. August 1823, WStLB, HS, 7881.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 29. Juni 1830, Archiv MVK.
634
Johann Natterer an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824, WStLB, HS, 7882.
635
Johann Natterer an Josef Natterer, Ipanema, 8./14. Juli 1820, WStLB, HS, 7874.
636
Johann Natterer an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824, WStLB, HS, 7882; vgl. Johann Natterer an
Josef Natterer, Rio de Janeiro, 7./8. November 1817, WStLB, HS, 7869. Natterer meint vermutlich Abbildungen
in BUFFON, George Louis Leclerc comte de: Histoire naturelle des oiseaux (Paris 1771-1786).
637
RUDOLPHI, Carl Asmund: Entozoorum synopsis, cui accedunt mantissa dupplex et indices (Berlin 1819);
vgl. Johann Natterer an Josef Natterer, [Curitiba, Juli/November 1820], WStLB, HS, 7853.
638
Kostenvoranschlag, Wien, 23. Dezember 1816, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1, Konv. 1 (alt Fasz.
1), Akten 1814-1816, fol. 63r-66v.
639
Johann Natterer an Josef Natterer, Funchal, 11. September 1817, WStLB, HS, 7868.
208
633

der Austausch mit Fachkollegen blieb aufgrund der Distanzen und der schwierigen
Kommunikation drftig. Johann Natterer arbeitete weitgehend abgeschnitten von seinen
frheren Netzwerken und vom wissenschaftlichen Informationsaustausch. Sein Bruder Josef,
der ja Kustos der zoologischen Abteilung im Wiener Naturalienkabinett war, blieb in
fachlicher

Hinsicht

der

wichtigste

Ansprechpartner.

Natterer

fhlte

sich

vom

wissenschaftlichen Gesprch ausgeschlossen und befrchtet zu Recht, nicht mehr ausreichend


mit dem neuesten Stand der Forschung vertraut zu sein. In diesem Sinne rgte er in einem
seiner Briefe seinen Bruder:

[] und berhaupt von neuen Erscheinungen an Werken oder Entdekungen im Thierreiche und
besonders europischer Ornithologie schweigst du immer in deinen Briefen. Du solltest
bedenken, dass ich seit Jahren von allem litterarischen Verkehr abgeschnitten mich nach
dergleichen Nachrichten sehne.640
In einem anderen Brief weist Natterer darauf hin, wie schwierig es fr ihn war, sich in
fachlichen Dingen auf dem Laufenden zu halten. Seit seiner Abreise aus Rio de Janeiro im
Jahr 1821 hatte er nach seinen Angaben fast sechs Jahre lang keine Fachliteratur bekommen
knnen, auer dem ersten Teil von Neuwieds Reisebericht ber Brasilien, der aber kaum eine
Bereicherung fr seine zoologische Arbeit darstellte.641 Trotz dieser Beschwerden wurden
etwa in den erhaltenen Briefe Johann Natterers an seinen Bruder kaum naturwissenschaftliche
Fragen diskutiert. Mehr Aufmerksamkeit widmete Natterer der Darstellung von Jagdabenteuern,
die er seinem Bruder mitteilte oder technischen Fragen seine Gewehre betreffend.

16.2. Sammelleidenschaft und Naturgeschichte

Wichtigster Bezugspunkt der organisierten Sammelleidenschaft eines Johann Natterer ist die
Institution Museum. Natterer bleibt in allen Phasen seiner Reisen strukturell und persnlich
aufs Engste mit dieser Institution verbunden. Um Natterers Sammeln als historische Praxis zu

640

Johann Natterer an Josef Natterer, Cuiab, 16. Dezember 1824, WStLB, HS, 7882.
Es handelt sich um WIED-NEUWIED, Maximilian zu: Reise nach Brasilien. 2 Bde. und Atlas (Frankfurt
1820), vgl. Johann Natterer an Georg Heinrich von Langsdorff, 20. Mai 1827, Vila Bela de Santissima Trindade,
Archiv MVK: Auf litterarische Nachricht bin ich sehr neugierig, denn ich habe seit meiner Abreise von Rio
bloss den 1. Theil von Neuwieds Reise zu Gesichte bekommen und dies durch Varnhagen. Die magern
zoologischen Nachrichten habe ich mir ausgezogen.
209
641

verstehen, sind zwei Aspekte zu beachten: zum einen das Phnomen des Sammelns selbst
und die mit einer naturgeschichtlichen Sammlung wie dem Naturalienkabinett verbundenen
Besonderheiten und zum anderen die Art von Wissenschaft, die in und mit einer
naturkundlichen Sammlung praktiziert wird.
Versucht man eine Definition des Sammelns, so lassen sich mehrere charakteristische
Aspekte herausarbeiten. Sammeln ist nicht gleichbedeutend mit possessiver Akkumulation.
Sammeln mag eine organisierte Obsession (Pearce) sein, doch ist die Sammlung jedenfalls
durch selektive, aktive und langfristige Erwerbung gekennzeichnet. Die selektive Erwerbung
schliet subjektive Kategorien des Sammelnden mit ein. Die Objekte sind als Teil eines
sets zu verstehen. Sie stehen immer in Beziehungen zu anderen Objekten und Ideen und
reprsentieren diese Kontexte.642 Zweifellos entspricht das Ziel, eine wissenschaftlich
bedeutende Sammlung zusammen zu tragen, dem Reprsentationsbedrfnis der Besitzer oder
Auftraggeber (im konkreten Fall dem Kaiser), sich als Frderer der Wissenschaften und
Grnder wissenschaftlicher Einrichtungen zu profilieren. Auch fr den Sammler selbst sind
mit der Arbeit an der Sammlung die Hoffnung auf Prestigegewinn und Karriereerwartungen
verbunden, einerseits als Partizipator am erwarteten symbolischen Kapital (Bourdieu), das
die Sammlung dem Kaiser bietet, andererseits als derjenige, der dieses Kapital berhaupt
erst zu Verfgung stellt. Aber neben Prestige zhlen sthetisches Vergngen, die Suche nach
historischen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischer Nutzen zu den
wesentlichen Motiven des Sammelns.643
Folgt man dem Ansatz, eine Geschichte des Sammelns von den Objekten her zu verstehen,
unabhngig von ihrem wissenschaftlichen Wert und mglichen Ergebnissen aus heutiger
Sicht, stellt sich die Frage nach der Funktion, die bestimmte Objekte im Rahmen der
Wissenschaften zu einer bestimmten Zeit erfllen und wie Forscher mit ihren Objekten
umgehen.644 Von diesem Punkt aus lsst sich verstehen, wie Wissen konstituiert wird. Die

642

PEARCE, Susan M.: The urge to collect. In: PEARCE, Susan M. (Hg.): Interpreting Objects and Collections
(London 1994) 157-159; PEARCE, Susan M.: Collecting Reconsidered. In: PEARCE, Susan M. (Hg.):
Interpreting Objects and Collections (London 1994) 193-204; vgl. PEARCE, Susan M.: On Collecting. An
Investigation into Collecting in the European Tradition (London 1995).
643
POMIAN, Krystof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln (= Wagenbachs Taschenbuch 302) (Berlin
1998) 18; KRETSCHMANN, Carsten: Rume ffnen sich. Naturhistorische Museen im Deutschland des 19.
Jahrhunderts (= Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 12) (Berlin2006) 68f.
644
TE HEESEN, Anke SPARY, Emma C.: Sammeln als Wissen. In: TE HEESEN, Anke SPARY, Emma C.
(Hg.): Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung (Gttingen 2001)
210

Sammlung kann so gelesen werden als Ausdruck einer ganz bestimmten Auswahl von
Interessen und von Bedeutungen, die den gesammelten Objekten zugeschrieben werden. 645
Sammlungen

mit

naturkundlichen

Objekten

erfahren

im

18.

Jahrhundert

einen

Bedeutungswandel. Auch die Kunst- und Wunderkammern als Vorlufer der Museen waren
nicht bloe Ansammlungen von Sensationen und Kuriositten zum vorwiegenden Zweck
frstlicher Reprsentation, sondern zusammengestellt auf der Basis der wissenschaftlichen
Erkenntnisse ihrer Zeit.646 Die naturkundlichen Museen, die im 18. und 19. Jahrhundert
entstehen, sind geprgt von neuen Vorstellungen von Systematik, Ordnung und
Klassifikation. Enzyklopdische Anstze werden ber breit angelegte Sammlungen ber alle
Bereiche der Natur versucht zu verwirklichen, und die Museen sind jene Orte, an denen
Einzelobjekte mittels Vergleich und Beschreibung in jene Ordnung der Natur eingeordnet
werden, die aufgrund dieser Beobachtungen konstruiert wird.647 Die Museen sind nicht mehr
nur Orte der Reprsentation, des Herzeigens, sie werden verstrkt zu Zentren der Forschung,
ihr Anschauungsmaterial als Forschungsmaterial nutzend.
Naturkundliche Sammlungen wie das kaiserliche Hofnaturalienkabinett sind Orte einer
beobachtenden, ordnenden und systematisierenden Naturwissenschaft. Ordnungen der Natur,
wie sie die Wissenschaft definiert und wie sie im Museum reproduziert und reprsentiert
werden, sind nicht von der Natur determiniert. Sammlungen sind durch bestimmte Vorgaben
von Ideen von Klassifikation und Ordnung geformt, Ideen, die einerseits von der Welt selbst
(bzw. so wie sie zu einer bestimmten Zeit gesehen wird) geformt, whrend die
Wissenschafter, die diese Ideen formulieren, selbst einen permanenten Prozess einer
Rekonstruktion durchfhren.648
Zweiter Bezugspunkt fr Natterers Arbeit ist die Naturgeschichte. Er selbst verwendet das
Wort Naturgeschichte als zusammenfassenden Begriff fr seine Arbeit und seine
10-12.
POMIAN: Der Ursprung des Museum (1998) 10-12.
646
SCHULZ, Eva: Notes on the history of collecting and museums. In: PEARCE, Susan M. (Hg.): Interpreting
Objects and Collection (London 1994) 175-187, bes. 186; HOPPE, Brigitte: Kunstkammer der Sptrenaissance
zwischen Kuriositt und Wissenschaft. In: GROTE, Andreas (Hg.): Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der
Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800 (Berliner Schriften zur Museumskunde 10) (Opladen 1994)
243-263.
647
TE HEESEN, SPARY: Sammeln als Wissen (2001) 14-21.
648
PEARCE: Collecting reconsidered (1994) 193-204; CLIFFORD James: Sich selbst sammeln. In: KORFF,
Gottfried ROTH, Martin (Hg.): Das historische Museum: Labor, Schaubhne, Identittsfabrik
(Frankfurt/Main/New York 1990) 87-106, bes. 90-93.
211
645

Leidenschaft. Mit Liebe zur Naturgeschichte begrndet er seine frheren Reisen in


Europa649 ebenso wie seine Unternehmungen in Brasilien.650 Zieht man Natterers sammelnde,
an Systematik und Ordnung orientierte Arbeit in Betracht, kann man davon ausgehen, dass
Natterer mit diesem Begriff nicht eine Geschichte der Natur meinte, sondern ganz im
Sprachgebrauch seiner Zeit eine Naturwissenschaft ohne Geschichte meinte, deren Aufgabe
darin bestand, die Natur in ihrem gegenwrtigen Zustand zu sammeln, zu inventarisieren
und zu beschreiben. Zugrunde liegt die Vorstellung, dass die Natur immer gleich war und
keine Geschichte im Sinne einer historischen Vernderung hat.651
Eines der wichtigen Projekte der Naturgeschichte des frhen 19. Jahrhunderts ist die
lckenlose Erfassung und Benennung der Pflanzen- und Tierwelt. In dieser Aufgabe spielen
die von Carl von Linn (1707-1778) seinen Hauptwerken Systema Naturae (1735), Genera
plantarum (1737) und Species plantarum (1753) entworfenen Klassifizierungsmethoden
eine herausragende Rolle. Einerseits legte Linn Bestimmungsregeln fr die Gattungen und
Arten auf, die es erlaubten, smtliche Tier- und Pflanzenarten zu inventarisieren. Zum
zweiten entwickelte Linn ein System der Binren Nomenklatur, die jeder Art einen
Gattungsnamen und ein spezifisches Adjektiv oder Substantiv zuweisen. Damit konnte
theoretisch jede Tier- und Pflanzenart in ein System eingeordnet und eindeutig benannt
werden.652 Die Klassifizierungssysteme Linns blieben zwar vor allem in der Botanik
umstritten und wurden gendert, aber die Methodik der taxonomischen Systematik selbst war
uerst erfolgreich (gerade in der Botanik) und bildet seit Linn die Basis jeder
Museumsarbeit.653 Linns Nomenklatur bot die Mglichkeit, die unendlich Anzahl an Arten
in der belebten Natur in eine fr alle lesbare Ordnung zu bringen und mit fr alle

649

Johann Natterer an Franz I., Wien, 27. Dezember 1816, HHStA, Staatskanzlei Brasilien, Karton 1, Konv. 1 (alt
Fasz. 1), Akten 1814-1816, fol. 59r-60v.
650
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, Archiv MVK; Johann Natterer an
Georg Heinrich von Langsdorff, Vila Bela de Santissima Trindade, 23. September 1827, Archiv MVK.
651
LEPENIES: Das Ende der Naturgeschichte (1976) 29-51, GEUS, Armin: Von der Naturgeschichte zur
Geschichtlichkeit der Natur. In: GROTE, Andreas (Hg.): Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur
Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800 (Berliner Schriften zur Museumskunde 10) (Opladen 1994) 733-743.
652
DROUIN: Von Linne zu Darwin (1994) 580-590; KOERNER, Lisbet: Carl Linnaeus in his time and place.
In: JARDINE, Nicholas SECORD, James A. SPARY, Emma (Hg.): Cultures of natural history (Cambridge
1996) 145-162; JAHN: Geschichte der Biologie (2000) 235-243. Zu grundlegenden berlegungen zur
Entstehung und Konstruktion der Linnschen Systematik vgl. MLLER-WILLE, Staffan: Botanik und
weltweiter Handel. Zur Begrndung eines natrlichen Systems der Pflanzen durch Carl von Linn (1707-178)
(Studien zur Theorie der Biologie 3) (Berlin 1999).
653
KRETSCHMANN: Rume ffnen sich (2006) 76-78.
212

verbindlichen Namen zu identifizieren. Um die bersicht ber alle Arten, Gattungen und
Klassen errichten zu knnen, brauchte es die Rasterung der Natur nach den
Klassifikationsschemata der Naturgeschichte.654
Mit den Objekten, die mit dem Sammeln in die Museen gelangen, lsst sich die von Linn
begonnene Klassifizierung der Arten weiter verfeinern. Klassifizierung ist nicht als
Selbstzweck zu verstehen, nicht als pedantische und endgltige Schubladisierung der Welt,
eingeordnet in starre Systeme. Linn selbst hat sein System als sehr offenes gesehen. Die
Schubladen, die er tatschlich fr seine Ordnung verwendete, waren dazu gedacht,
umgeordnet zu werden. Kam eine neue Art dazu, eine neue Klasse, konnten die Schubladen
neu geordnet werden. Evolutionre Gedanken waren Linn zwar fremd, aber er ging davon
aus, dass mit fortschreitender Erforschung immer neue Arten gefunden wrden, woraus sich
immer neue Erkenntnisse auch fr die Systematik ergeben wrden. Die Welt selbst mit all
ihren Phnomenen mochte Linn vielleicht noch unvernderlich und in diesem Sinne endlich
erscheinen, die Kenntnis der Menschen davon hinkte aber noch weit hinterher. Theoretisch
schien es vielleicht mglich, einmal alle Arten und Klassen und Familien definiert und
erforscht zu haben, der zeitgenssische Stand der Kenntnisse machte es aber fr Linn
einsichtig, dass von einer endgltigen Kenntnis der Ordnung der Natur noch lange nicht die
Rede sein konnte. Daher war fr ihn eine bewegliche Ordnung in der Naturgeschichte
notwendig.655
Mit Linns Systematisierung und der damit immer weiter fortschreitenden, offenen
Ausdifferenzierung der Naturgeschichte wird erstmals klar, wie gering der Bereich ist, den
die Naturgeschichte bis dahin erfasst hat. Der Wunsch, die Erfassung und Klassifizierung der
Natur systematisch zu perfektionieren, regte immer neue Sammelreisen an. Die Aufgabe ist
bis heute nicht abgeschlossen. Weit entfernt vom Optimismus des 18. Jahrhunderts erscheint
heute angesichts der Tatsache, dass nur etwa ein Drittel (nach anderen Schtzung sogar nur
ein Zehntel) des weltweiten Tierbestandes erfasst, benannt und beschrieben ist,656 das Projekt
der definitiven Systematisierung unerreichbar, trotz dem Bemhungen von ber 250 Jahren
654

Vgl. FOUCAULT: Ordnung der Dinge (1995) 208-210.


te HEESEN, SPARY: Sammeln als Wissen (2001) 15-17; MLLER-WILLE: Carl von Linns Herbarschrank
(2001) 22-38.
656
SCHALLER, Friedrich: Zur Geschichte der Zoologie. Vom Ordnungs- zum Aufklrungsgeschft: In: Mensch
Wissenschaft Magie. Mitteilungen der sterreichischen Gesellschaft fr Wissenschaftsgeschichte 20 (2000)
49f.
213
655

Forschung oder gerade deswegen, weil die fortschreitende Erfassung immer genauer
ausdifferenzierte Ordnungskritierien und -systeme bewirken und immer deutlicher wird, wie
wenig wir kennen.
Anliegen Linns und vieler Naturforscher nach ihm ist es, das gesamte Reich der Natur nach
objektiven Kriterien zu klassifizieren und zu systematisieren. Die Systematik wird auch bei
der Anlage von Sammlungen beherrschendes Prinzip. Systematik und Klassifizierung setzt
breite Kenntnisse voraus ber die jeweilige Materie, die (zu dieser Zeit) nur mit der Anlage
umfangreicher Sammlungen mglich ist. Natterers Unternehmungen sind ganz vom Geist
dieser Systematik geprgt. Sammeln ist notwendiger Teil der wissenschaftlichen Praxis, denn
Sammeln und Sammelreisen verschaffen dem Museum die fr Vergleich, Beobachtung und
Experiment notwendigen Objekte, sie machen die Tier- und Pflanzenarten fr die
wissenschaftliche Forschung verfgbar. Reisen schaffen die Vorraussetzung, dafr, dass
Exemplare jeder Art geerntet, prpariert, gezeichnet, beschrieben und gesammelt wurden,
so da jeder sie besichtigen, beobachten, vergleichen kann.657 Das Reisen als Voraussetzung
fr das Sammeln ist Teil der musealen Praxis, das Museum bleibt aber immer das eigentliche
Ziel der naturwissenschaftlichen Sammelreise658 und auch fr Natterer ein zentraler
Bezugspunkt.

16.3. Das vollkommene Museum

Systematische Erfassung der Naturgeschichte impliziert letzten Endes den Anspruch,


mglichst vollstndig alle Phnomene der natrlichen Umwelt zu erfassen. Erst die
Vollstndigkeit ermglicht eine lckenlose Systematik. Die an Naturwissenschaften sehr
interessierten Habsburger hatten schon im 18. Jahrhundert einige Unternehmen gefrdert, die
zur

657

Bereicherung

der

kaiserlichen

Sammlungen

beitragen

sollten.659

Die

Reise

DROUIN: Von Linn zu Darwin (1994) 579; vgl. zur Verfgbarkeit der Welt in der Sammlung JAHN
JAHN, Ilse: Sammlungen Aneignung und Verfgbarkeit. In: GROTE, Andreas (Hg.): Macrocosmos in
Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800 (Berliner Schriften zur
Museumskunde 10) (Opladen 1994) 475-500, bes. 484-489.
658
KRETSCHMANN: Rume ffnen sich (2006) 71f.
659
Vgl. HHNEL: Botanische Sammelreisen (1992) 61-77; RIEDL-DORN: Haus der Wunder (1998) 26-36 und
91-98.
214

sterreichischer Forscher nach Brasilien bot nun neue Mglichkeiten, die Bestnde zu
vergrern und zugleich das Ansehen des Wiener Museums in Fachkreisen zu erhhen.
Es ging aber nicht nur darum, neue Arten zu finden obwohl das natrlich besondere
Bedeutung hatte sondern auch darum, Beleg- und Vergleichsexemplare mglichst vieler
Arten und Varietten fr die Sammlungen zu bekommen. Eine (praktisch unmgliche)
komplette Sammlung als Abbild der Natur wre dabei als Ideal einer naturwissenschaftlichen
Forschungssttte anzusehen. Anhand mglichst umfangreichen Anschauungsmaterials wird
eine fortschreitende Klassifizierung und Differenzierung erarbeitet, mit Hilfe einer Methode,
die auf der Herstellung von Reihen mglichst zahlreicher Exemplare einer Spezies und der
Auswahl arttypischer Musterexemplare beruht. Nur so sind auch die enormen Zahlen
gesammelter Tiere verstndlich, die Natterer nach Wien sandte. Als Beispiel kann Natterers
dritter Transport vom Juli 1820 dienen. Er schickte unter anderem 199 Sugetieren, 2036
Vgeln und 304 Amphibien,660 bei denen es sich aber nur um 66 verschiedener Arten von
Sugetieren, 338 Arten von Vgeln und 66 Arten von Amphibien661 handelt.
In Natterers Selbstdarstellungen spielt das Motiv, alles Erreichbare fr die Sammlungen des
Hofnaturalienkabinetts zusammenzutragen, eine groe Rolle. Die Vision, das Wiener
Museum zu ungeahnter Reichhaltigkeit und Vielfalt zu bringen, ist die Idee, mit der Natterer
seine Vorgesetzten immer wieder motiviert, seinen Plnen zu weiteren Reisen zuzustimmen.
Whrend dem Verlaufe meines Aufenthalts in Brasilien war es immer mein eifrigstes Bestreben,
meinen schwachen Krften gemss, die schon ebenso prachtvollen als reichhaltigen
Sammlungen des k[aiserlich]-k[niglichen] Musums mit vielen seltnen und neuen
Gegenstnden zu vermehren,662 rechtfertigte er seine langen Reisen. Mit dieser regen
Sammelttigkeit sollte das Wiener Museum auf eine hhere Stufe von Vollkommenheit663

660

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Ipanema, 6. Juli 1820, Archiv MVK. Die bersicht ber die Ausbeute
der Reise, Archiv MVK und FITZINGER: Geschichte, III Abt. (1856) 28 nennen leicht abweichend 99
Sugetiere, 2036 Vgel und 328 Amphibien.
661
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Ipanema, 6. Juli 1820, Archiv MVK.
662
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Juli 1827,
HHStA Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 52r-57r.
663
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 10. Juli 1829,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20) Admin. Berichte 1829 V-XII, 18r-26v; vgl.
auch Johann Natterer an verm. Karl von Schreibers, o.O., o.D. [verm. Rio de Janeiro, nach 30. April 1821/vor
25. Mai 1821], Archiv MVK.
215

gebracht werden. Er wolle das Museum so reich als mglich machen


Hinweisen auf wahre Kabinetsstke

665

664

und rckt mit

und Prachtstcke666 das zu erwartende Prestige und

den reprsentativen Wert der Sammlungen in den Vordergrund.


Diese Argumente bentzte Natterer immer hufiger, je lnger seine Reise dauerte. In diesem
Zusammenhang sind die strategischen Interessen Natterers evident, der damit die
Verlngerung seiner Reisen legitimieren wollte. Aber seine Darstellungen und Erklrungen
werfen ein Licht auf das allgemeine Umfeld, die sein Verhalten und die Erwartungen seiner
Vorgesetzten in Wien prgen. Um sein lngeres Verbleiben in Brasilien vor Direktor Karl
von Schreibers zu rechtfertigen, schreibt er: Das, was mich dazu hintreibt, ist es wohl etwas
anders als die Begierde, das kais[erliche] Museum auf eine noch hhere Stufe zu bringen, ist es
nicht der schmerzliche Gedanke, so nahe oder besser zu sagen, umgeben von neuen
naturhistorischen Schtzen zu seyn und nicht meine Hnde darnach ausstrecken zu drfen!
Natterer vergisst dabei auch nicht, Hchstleistungen in Aussicht zu stellen: Vieleicht wrde es
nicht grosse Schwierigkeiten kosten, die Artenanzahl der brasilischen Vgel, die ich nun schon
auf 839 Arten brachte, auf 1000 Arten zu bringen, wre diess fr ein schon so reiches Museum
nicht eine schne Zahl! Vieleicht von keiner andern Sammlung aufzuweisen.667 Johann Natterer
sieht sich und seinen Dienstgeber dabei in Konkurrenz mit anderen Museen in Europa (z.B.
mit St. Petersburg), und er appelliert an den wissenschaftlichen Ehrgeiz ebenso wie an das
Bedrfnis nach Reprsentation und Prestigegewinn:

Wie oft habe ich nicht mit Schmerz daran gedacht, wie viel das k[aiserliche] Mus[eum]
verlieren wrde, wenn ich glklich an der Mndung des Madeira-Flusses angelangt wre und
nicht khn dem Amazonenstrome bis Tabatinga entgegen ziehen sollte, welche Aussicht zu
Entdekung so weit westlich im Innern von Amerika! Und der Rio Negro, von dessen
Seltenheiten ich schon manche Nachrichten einzog. Und da berdies der russ[ische] Herr
Generalconsul auf diese beyden Flsse seine Plane richtete, so kann kaum ich ohne das innigste
Bedauern mir die Vorstellung machen, dass das Petersburger Musum das Wiener, was
664

Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 29. Juni 1830, Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an Wenzel
Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 10. Juli 1829, HHStA, Staatskanzlei,
Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20) Admin. Berichte 1829 V-XII, 18r-26v: herrlich Cabinetstk.
666
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
667
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 20 Dezember 1829, Archiv MVK.
216
665

Gegenstnde jener Gegenden betrifft, bertreffen sollte!668

Die Konkurrenz in diesem konkreten Fall Georg Heinrich von Langsdorff, der russische
Gesandte auf Reisen wird argwhnisch kritisiert und beobachtet, eigene Entdeckungen
werden eiferschtig verteidigt. Beschreibung und Publikation neuer Forschungsergebnisse
sollen helfen, die Vorrechte des Erstentdeckers und -beschreibers zu sichern: Von Herrn von
Langsdorff auf seiner von Portofeliz bis Cuiab gemachten Samlung habe ich fast nichts
gesehen, da er schon alles abgesendet hatte. Unter dem wenigen aus der Gegend von Cuiab
fand ich nichts Neues. Er wird uns wohl wenig schaden, doch mag es gut seyn, mit dem
Abbilden einiger neuen Vgel fortzufahren, besonders den Corvus Schreibersii, damit er seinen
Nahmen nicht verliert. [] Meinen Crex occellatus No. 578 hat er auch erwischt,669 berichtet
Natterer. Auch andere Wissenschafter und reisende Forscher wie der Prinz Maximilian zu
Wied-Neuwied oder Felix dAzara dienen als Vorbild und Richtschnur, die es gilt, in der
gesammelten Ausbeute nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ zu bertreffen.670 Mehr
gesammelt zu haben als andere Reisende in Brasilien oder Sdamerika ist fr Natterer ein
reeller Anreiz. Welcher Sammler darf sich wohl einer so grossen Artenanzahl rhmen?671
bemerkt er nicht ohne Stolz in Hinblick auf fast 1000 von ihm gesammelte Arten von Vgeln.
Die Mglichkeit der Profilierung gegenber anderen Naturforschern und Museen sieht nicht nur
Natterer, sondern auch sterreichs Botschafter in Rio de Janeiro Wenzel Philipp Leopold von
Mareschal. Er untersttzt Natterers Wnsche nach Verlngerung der Expedition, und er wittert
gerade in dem Moment die Chance, wissenschaftlich Aufsehen zu erregen, als Langsdorff auf
Grund einer Erkrankung als Konkurrent auszufallen schien. Mareschal schreibt in Bezug auf
Natterer Reiseplne nach Wien, dass diese Reise umso interessanter werden drfte, als die
Russische Expedition wegen der Geisteskrankheit, in welche Herr von Langsdorf unterwegs
verfiel und die ihn den Gebrauch des Gedchtnisses vollkommen geraubt hat, [...], bey weitem
nicht die Resultate geliefert hat, die man sich von derselben hatte erwarten knnen, so dass dem
Herrn Natterer ein weites Feld offen steht, die Wissenschaft mit neuen Entdeckungen zu

668

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 10. Juli 1829,
HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20), Admin. Berichte 1829 V-XII, 18r-26v.
669
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
670
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Ipanema, 6. Juli 1820, Archiv MVK.
671
Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
217

bereichern.672
In diesem Prozess der Aneignung naturwissenschaftlicher Objekte wre es die grte
Enttuschung, wenn das Wiener Museum etwa jene herrlichen Schaustke nicht besitzen
sollte,673die zum Beispiel noch am Amazonas und seinen Nebenflssen zu entdecken wren.
Dieser Wille zur Aneignung spricht auch aus den Worten von Direktor Schreibers, wenn er
schreibt, Ziel der Brasilienexpedition sei, die Naturschtze ferner Welttheile auf
vaterlndischen Boden zu verpflanzen und die Verfgbarmachung von Erzeugnissen, welche
dort die Natur [...] mannigfaltig darbiethet.674
Das Bemhen, diesen Idealvorstellungen zu folgen, kennt kaum Grenzen. Natterer engagiert
unter anderem Mittelsmnner, die ihm Objekte beschaffen, an die er selbst nicht gelangen kann.
Bietet sich eine entsprechende Gelegenheit, beauftragt er Bekannte mit Wnschen fr seine
Sammlungen. Ein extremes Beispiel dafr findet sich in einem Brief an einen Senhor Jos
Gomez da Silva, der gerade im Begriff war, eine militrische Expedition (bandeira) gegen die
Cabixi auszursten und anzufhren. Natterer bittet nicht nur um die Mitnahme aller Waffen und
anderer Gerte, die die Cabixi besitzen und die auf diesem Streifzug in die Hnde der
bandeirantes fallen wrden. Makaberer Hauptpunkt des Briefes ist die Bitte, nach Mglichkeit
ein oder zwei Schdel von in den zu erwartenden Auseinandersetzungen getteten Cabixi
mitzubringen. Dazu gibt Natterer Anweisungen, wie die Schdel prpariert werden sollen.

S.M. o Imperador de Austria houve por bem emviar me para estas terras remotas para fazer
colleces das diversas produces da natureza deste vasto paiz, juntamente com as armas
enfeitos e outros trastes dos indios silvestres, accompanhado com o esquelletto das cabeas
de alguns d'elles, para ver a differena na estructura do cranio. Por esta razo peo a V.S.,
que no caso, que acontea ser mortos alguns Cabexis em alguma balroada, mandar cortar a
cabea a hum ou dous indios ja feito homens, mandar tirar os miolos sem molestar o casco e
secarllas perto do fogo para no podrecer muito.675
Das rastlose Engagement im Sammeln und Aneignen im Dienste einer Vorstellung von einem
Museum, dessen hchstes Niveau eine mglichst umfassende Vollstndigkeit ist, korreliert
672

Wenzel Philipp Leopold von Mareschal an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 28.
November 1829, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 19, Konv. 2 (alt Fasz. 20), Admin. Berichte 1829 V-XII,
17r-v und 28r.
673
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Vila Bela de Santissima Trindade, 20. Juli 1827,
HHStA Staatskanzlei, Brasilien, Karton 15, Konv. 3 (alt Fasz. 16), Admin. Berichte 1827 VII-XII, fol. 52r-57r.
674
SCHREIBERS: Nachrichten I (1820) III.
218

mit geringer Sensibilitt. Die Besitzergreifung wird als ganz selbstverstndlich angesehen, der
Anspruch auf Herrschaft ber die Natur wird ausgedehnt auf jene Menschen, die ohnehin mehr
als Teil der Natur als als Teil der Zivilisation angesehen werden, legitimiert durch die
Wissenschaft und die Anforderungen, die sich aus dieser Vorstellung des vollkommenen
Museums ergeben.676
Diese beraus enge Verbindung, die Natterer zwischen sich und dem Museum herstellt, wird
nur zweimal explizit in Frage gestellt. Beim drohenden Abbruch der Expedition 1821 spekuliert
Natterer mit der Idee, sich selbstndig zu machen, im Land zu bleiben und gemachte
Sammlungen an die Englnder zu verkaufen.677 Ein zweites Mal wird diese Idee 1830 virulent,
als Natterer frchten muss, durch sein langes Ausbleiben in Wien in Ungnade gefallen zu sein.
Auch hier zeigt er sich prinzipiell abhngig vom Museum, was seine weitere Karriere betrifft.
Sollte er nicht mit einer guten Aufnahme bei seiner Rckkehr rechnen knnten, spielt er mit
dem Gedanken, sich in Brasilien nieder zu lassen:

Sollte mein Entschluss in Wien gemissbilligt werden, sollten meine Schritte, die nur die
Verschnerung des Kabinets bezweken, missverstanden werden und ich statt Lohn, oder
vielleicht besser statt Zufriedenheitsusserungen mit meinen Arbeiten, wenn ich einst in Wien
anlangte, Ungnade zu erwarten haben, so beschwre ich dich, berichte mirs in Zeiten. Ich bin
dann gezwungen, auf immer von dir Abschied zu nehmen. In Brasilien will ich dann den Rest
meiner Tage verleben. Nur eines kleinen Flek Landes bedarf ein einzelner Mensch um zu leben,
die Erde giebt reichhaltig, wenn man sie pflanzt. Brasilien ist so ungeheuer gross und wie
wenig kostet eine Quadratmeile in vielen Gegenden. Ruhig will ich meine Tage beschliessen.678
Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es fast unmglich, in Amerika als erster Europer
den Fu auf unentdecktes Territorium zu setzen. Aber fr die Naturwissenschaften bietet
Brasilien ein groes Reservoir an Neuigkeiten und Forscher wie Natterer reisen unermdlich,
um sich diese Schtze anzueignen und in den europischen Wissenschaftsdiskurs zu
integrieren. Es ist eine Sammelleidenschaft mit Folgen: Tausende Tier- und Pflanzenprparate
und ethnographische Objekte gelangen auf diese Weise in die kaiserlichen Sammlungen und
sind heute wesentliche Bestandteile des Naturhistorischen Museums und des Museums fr
675

Johann Natterer an Jos Gomez da Silva, Vila Bela de Santissima Trindade, 17. Oktober 1828, Archiv MVK.
VGL. FISCHER. Gerhard: Anmerkungen zu Gegenstnden der Indianer aus der Sammlung Johann Natterer.
In: Die Blumen des Bsen. Der Aufbruch in die Neue Welt. Indianer und Weie im tropischen Amerika. hg. v.
Gerhard Fischer. Ausstellungskatalog (Wien 1994) 3-7.
677
Johann Natterer an Josef Natterer, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, WStLB, HS, 7879.
676

219

Vlkerkunde. Johann Natterer agiert als Feldforscher, der weniger an der Analyse interessiert
ist, sondern vor allem unermdlich sammelt, klassifiziert, kategorisiert, inventarisiert, was
Brasilien dem Europer zu bieten hat: Tiere, Pflanzen, letztendlich auch die Menschen, ihre
Artefakte und ihre Sprachen. Der Blick des Sammlers orientiert sich an der grtmglichen
Vollstndigkeit seiner Sammlung. Unter diesem Blick wird die Naturwelt ebenso zum Objekt
der Aneignung wie die afrikanischen Sklaven und die indigenen Bewohner des Landes.
Die Reisen in die Provinz von Mato Grosso und an den Amazonas bedeuteten einen
Wendepunkt in den wissenschaftlichen Bemhungen Natterers. Er konnte nun seine
Forschungen auf Regionen ausdehnen, die noch sehr wenig von europischen Forschern
untersucht worden waren. Natterer war sich der Bedeutung seines Unternehmens durchaus
bewusst. Im Konkurrenzkampf mit anderen Sammlungen und Naturwissenschaftern in
Europa sah er die Chance, dem Kaiserlichen Hofnaturalienkabinett in Wien mit Hilfe seiner
Arbeiten zu einer naturkundlichen Sammlung ersten Ranges zu verhelfen. Betonte er auch
wiederholt, es sei die reinste Liebe zur Naturgeschichte,679 die ihn zu diesen Reisen
motivierte, so erwhnte er jedoch an anderer Stelle, dass fr ihn der Ruhm, eine so grosse
Unternehmung

auszufhren,680

durchaus

ebenfalls

eine

Rolle

spielte.

Natterers

wissenschaftlicher Ehrgeiz war der eines naturkundlichen Sammlers, der stets die Mehrung
und Vervollstndigung der Bestnde des Kaiserlichen Naturalienkabinetts im Auge hatte.
Dieses Streben stand in Zusammenhang mit dem Anspruch des Museums, die Welt der Natur
in mglichst lckenloser Form darstellen zu knnen und als wissenschaftliche Institution eine
endlich gedachte, systematisch geordnete Naturgeschichte vollstndig abzubilden.

17. REISEN IM AMAZONAS-GEBIET (1830-1834)

Die Wahrheit des gelehrten und beobachtenden


Reisenden ist immer die Wahrheit des Auenseiters,
nicht die Wahrheit des Handelnden.
678

Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Rio de Janeiro, 25. Juni 1821, Archiv MVK.
680
Johann Natterer an verm. Karl von Schreibers, o.O., o.D. [verm. Rio de Janeiro, nach 30. April 1821/vor 25.
Mai 1821], Archiv MVK.
220
679

Eric J. Leed: Die Erfahrung der Ferne. Reisen von


Gilgamesch bis zum Tourismus unserer Tage.
(Frankfurt/Main 1993) 76.

Mehrere Meilen weit breitet sich der Wasserspiegl einem Meer gleich nach Osten hin aus und
kaum begrnzten zu beyden Seiten die Spitzen der waldigen Ufer den Horizont. 681
So zurckhaltend beschreibt Johann Natterer seine ersten Eindrcke, als er den majesttisch
stark strmenden Amazonenfluss682 erreichte. Aber was konnte die Sammlertrume eines
Johann Natterer besser erfllen als eine Reise an den Amazonas, das Paradies fr die
Naturwissenschafter seiner Zeit mit einer unvergleichbaren Artenvielfalt und noch nie in Europa
gesehenen Tieren? Im August 1830 ging dieser Wunsch nach einem zehnmonatigen Aufenthalt
in Borba in Erfllung. Anhaltender Regen hatte den Aufbruch verzgert. Zudem war in Borba
zunchst kein Boot aufzutreiben, aber mit Hilfe der lokalen Behrden verschaffte sich Natterer
eine Transportmglichkeit, die ihn nach Barra do Rio Negro, das heutige Manaus, bringen
sollte. Am 25. August 1830 verlie das Schiff, das Natterer und seine gesamte Habe
transportierte, Borba und erreichte drei Tage spter die Mndung des Rio Madeira in den
Amazonas.683 Die weitere Fahrt nach Manaus war langwierig und mhselig. Da Segel und
Ruderer nichts gegen die starke Strmung ausrichten konnten, musste das Boot eine
zweimastige Barke am Seil flussaufwrts gezogen werden. Dieses umstndliche Verfahren
beschrieb Natterer in einem seiner Berichte folgendermaen:
Am 30. wurde das Schiff am Tau gezogen, das ist, man fhrt ein langes Taue im Kanot vorwrts
und befestigt das eine Ende an einem Baum und fhrt es nun nach dem Schif zurck, auf
welchem nun gezogen wird, bis man an das befestigte Ende gelangt, wo das Schif angebunden
wird, um das Tau wieder weiterzufhren. Man kann sich leicht vorstellen, dass diese Art zu
reisen sehr langsam vor sich geht.684
Auf diese Weise bentigte die Expedition fnfzehn Tage fr eine Strecke von rund 150
681

Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Manaus, 19. September 1830, Archiv MVK.
Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Manaus, 19. September 1830, Archiv MVK.
683
Beschreibung der Fahrt nach Manaus in Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas, Februar 1831,
Archiv MVK und in Johann Natterer an Wenzel Philipp Leopold von Mareschal, Manaus, 19. September 1830,
Archiv MVK.
684
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas, Februar 1831, Archiv MVK.
221
682

Kilometern, bis sie am Nachmittag des 8. September 1830 die Barra do Rio Negro erreichte.
Johann Natterer hatte nicht die Absicht, den Befehlen zur ehest mglichen Rckkehr nach Wien
zu folgen. Im Widerspruch zu diesem Befehl fhrte er seine folgenden Unternehmungen ohne
directe Erlaubnis685 durch, wie er in einem Brief an seinen Bruder andeutete. Er wollte die
Chance ntzen, den Amazonas aufwrts bis an die brasilianische Grenze nach Tabatinga (AM)
zu befahren ein Plan, den er schon lange hegte und in vielen Briefen erwhnte. Die
Beschaffung eines geeigneten Bootes und der Ausrstung fr diese Reise nahm fast zwei
Monate in Anspruch. Noch am 15. Oktober war Natterer gewillt, die Reise an den Oberlauf des
Amazonas zu unternehmen.686 Inzwischen hatte allerdings die Regenzeit begonnen, der
Wasserstand des Amazonas war schon sehr stark angestiegen, die Strmung war betrchtlich.
Eine Fahrt nach Tabatinga htte unter diesen Umstnden drei bis vier Monate gedauert. Auf
Anraten der Ortsansssigen nderte daher Natterer seine Plne. Besonders Oberst Francisco
Ricardo Zany, ein in Manaus ansssiger Italiener aus Livorno, der bereits Spix und Martius auf
ihren Reisen am Amazonas begleitet hatte, riet zu einer Fahrt entlang des Rio Negro, der
whrend der Regenzeit weniger stark anstieg und weniger gefhrlich war.687 Natterer folgte den
Ratschlgen und wandte sich nach Norden.

17.1. Am Rio Negro

Am 5. November 1830 verlie die neu zusammengestellte Expedition Manaus und fuhr
langsam den Rio Negro flussaufwrts. Drei Wochen spter erreichte Natterer eine erste
Zwischenstation, Barcelos, die ehemalige Hauptstadt der commarca (Amtsbezirk) von Rio
Negro. Die Verlegung der Verwaltung nach Manaus hatte fr Barcelos verheerende Wirkungen
gehabt. 30 Jahre zuvor war Alexander von Humboldt im Zuge seiner Sdamerika-Reise am
oberen Rio Negro angelangt. Er hatte allerdings ohne selbst in Brasilien gewesen zu sein die
Besiedelung am Rio Negro positiv beurteilt und in Erfahrung gebracht, dass sich an den Ufern
des Amazonas und des Rio Negro relativ wohlhabende Ansiedlungen befinden, geschmckt mit
685

Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
Johann Natterer an Paul III. Anton von Esterhzy, Manaus, 15. Oktober 1830, Archiv MVK.
687
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Borba, 29. Juni 1830, Archiv MVK; Johann Natterer an Karl von
Schreibers, Marabitanas, Februar 1831, Archiv MVK; Johann Natterer an Francisco Ricardo Zany, Manaus, 10.
September 1830, Archiv MVK; zu Zany vgl. TIEFENBACHER: Bayerische Brasilienexpedition (1994) 47; SPIXMARTIUS: Reise in Brasilien 3 (1823-1831 / 1980) 919, 965, 1038-1116.
222
686

reichem Anbau und mit zahlreichen Stdten und ansehnlichen Drfern geziert.688 Humboldt
berichtete auch, dass die Versorgung der spanischen Siedlungen am oberen Rio Negro vor allem
von den portugiesischen Niederlassungen gewhrleistet wurde.689 Als Natterer eintraf, bot die
ehemalige Hauptstadt ein Bild des Jammers, von der einstigen Bedeutung war nicht mehr viel
zu spren:
Diese Villa, die nun im grossen Verfall ist, war einst der Hauptort der Capitania do Rio Negro
[] und der Sitz des Gouverneurs. Von den ehemahlig vorhandnen Gebuden, als dem
Gouverneurspallast, der grossen Kaserne, [], und vieler andrer grosser Privathuser sind
nur die Grundfesten und einige Pfahle noch brig. Unter der Regierung eines Gama wurde die
Residenz nach dem Lugar da Barra verlegt und dies ist die Ursache des gnzlichen Verfalls
dieser villa, die noch vor 30 Jahren ziemlich blhend war, und aller brigen villas und rter
am Ufer des Rio Negro. Dazu kam die schlechte Behandlung der Indier und dadurch erfolgtes
Entfliehen in die Wlder oder anderswohin und der gnzliche Mangel an Geistlichen in allen
rter des Rio Negro, welches den gnzlichen Verfall und Entvlkerung dieses Theils der
Provinz vollendete.690
In Barcelos ergnzte Natterer seine Schiffsmannschaft und verlie die Stadt nach nur einem Tag
Aufenthalt am 30. November 1830. Die folgenden Wochen standen ganz im Zeichen der Fahrt
den Rio Negro hinauf. Aus dieser Zeit sind Fragmente seiner zum groen Teil verschollenen
Tagebcher enthalten. Natterer notierte darin tglich geographische und verkehrstechnische
Anmerkungen ber die Fahrtroute, die zurckgelegten Wegstrecken, die am Fluss liegenden
Drfer und das Wetter. Sorgfltig vermerkte er die ethnische Zusammensetzung der lokalen
Bevlkerung, hin und wieder Informationen ber Landwirtschaft und Handel sowie
naturwissenschaftliche Beobachtungen

und die jeweils neueste Jagdbeute fr die

Sammlungen.691 Selten wurde die mhevolle tgliche Routine unterbrochen: Rudern, Ziehen
mit dem Seilen, Nachtlager, berwindung von Stromschnellen, Rudern. Nur in kleinen Details,
in Nebenstzen, wird Natterers Alltag in diesen abgelegenen Regionen im Nordwesten Brasilien
greifbar. Die Kargheit des tglichen Lebens lsst sich nur erahnen, etwa wenn Natterer erwhnt,
einer seiner Jger htte drei Schweine geschossen, die eine willkommene Abwechslung am von
Fisch dominierten Speiseplan boten, da die gewhnliche Kost fast immer in gesalznem troknen
688

HUMBOLDT: Reise (1999) 1061.


HUMDOLDT: Reise (1999) 1099f.
690
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas, Februar 1831, Archiv MVK.
691
Tagebuch-Fragment, 10. - 20. Dezember 1830, Archiv MVK und Tagebuch-Fragment, 29. Dezember 1830
2. Jnner 1831, Archiv MVK. Ausfhrliche Zusammenfassung der Reise entlang des Rio Negro in Johann
Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas, Februar 1831, Archiv MVK.
223
689

Piraruc bestand.692 Lebensmittel gab es auch bei den ansssigen Bauern nicht zu kaufen, die
selbst nur wenig hatten. Einer Indianerin berlie Natterer sogar einen Teil seiner mitgefhrten
Bohnen, mit dem Auftrag, sie anzupflanzen und ihm die Ernte bei seiner Rckkehr in einigen
Monaten zu verkaufen.693
Ohne lngere Aufenthalte arbeitete sich die Expedition langsam flussaufwrts und erreichte
nach ber zwei Monaten Fahrt am 16. Jnner 1831 Marabitanas (AM) an der Grenze Brasiliens
zu Kolumbien und Venezuela.694 Mit einem Salut von 21 Musketenschssen kndigte Natterer
seine Ankunft in diesem Auenposten an, damals ein kleiner Ort mit einem verfallenen Fort,
einer kleinen Kirche und etwa 25 Husern.695 Kaum angekommen wandte sich der rastlose
Reisende einem neuen, allerdings nahe liegenden Ziel zu. Der Rio Casiquiare, jener
eigentmliche Fluss im Grenzgebiet zwischen Brasilien, Kolumbien und Venezuela, der Rio
Negro und Orinoko miteinander verbindet, dabei die Wasserscheide zwischen dem
Amazonasbecken und dem Einzugsgebiet des Orinoko berwindet und in der Regenzeit in
beide Richtungen entwssert, erweckte sein Interesse.
Es war Alexander von Humboldt gewesen, der 30 Jahre zuvor das eigentmliche Verhalten des
Rio Casiquiare erstmals wissenschaftlich untersucht hatte,696 und es scheint, als wre die
Aussicht, auf den Spuren des groen Naturwissenschafters zu wandeln, fr Natterer eine
reizvolle Vorstellung. Seine Begrndung, die er fr diesen Ausflug liefert, klingt beinahe
verschmt, denn er rechtfertigt den Abstecher, den er selbst nicht als unbedingt ntig anzusehen
scheint, nicht mit mglichen naturkundlichen Funden, sondern vor allem mit seiner Neugier: So
nah bey San Carlos, dem Grnzpunkt von Colombia gegen Brasilien zu seyn [], konnte ich
dem Wunsch nicht wiederstehen, bis dahin einen kleinen Ausflug zu machen.697 Am 15. Februar
erreichte Natterer den Grenzort San Carlos de Rio Negro und kurz darauf den Rio Casiquiare.
Da aber auf diesem Fluss fr seine Sammlungen, wie er zugeben musste, wenig zu finden war,

692

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas, Februar 1831, Archiv MVK.
Tagebuch-Fragment, 10. - 20. Dezember 1830, Archiv MVK.
694
Kolumbien und Venezuela bildeten bis 1819-1830 die Republik Gro-Kolumbien. Daher verwendet Natterer
immer den Begriff Kolumbien fr die nrdlichen an Brasilien grenzenden spanischen Gebiete. Die im Jahr
1830 erklrte Unabhngigkeit Venezuelas war Natterer vielleicht nicht bekannt.
695
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas, Februar 1831, Archiv MVK.
696
Vgl. HUMBOLDT: Reise (1999) 1121-1151.
697
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas, Februar 1831, Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an
Josef Natterer, Marabitanas, 28. Februar 1831, WStLB, HS, 7884.
224
693

kehrte er am 18. Februar 1831 nach Marabitanas zurck.698


Nun stellte sich die Frage, welche weiteren Verlauf die Reise nehmen sollte. Eine sofortige
Rckkehr nach Barcelos und unmittelbar anschlieende Befahrung des Rio Branco schien nicht
ratsam. Dieser Fluss hatte whrend der Regenzeit eine besonders starke Strmung, und die
weitrumige berschwemmung der flachen Uferregionen hatte zur Folge, dass Reisende
tagelang am Fluss unterwegs waren, ohne ein Stck Land anzutreffen, wo es mglich gewesen
wre, Feuer zu machen. Das bedeutete eine erhebliche Beeintrchtigung der Ernhrung und der
Gesundheit, wie Natterer frchtete. Es war ratsam, fr die Fahrt am Rio Branco die kommende
Trockenzeit abzuwarten. Die Expedition blieb daher in Marabitanas und Natterer arbeitete dort
weiter an der Vergrerung der Sammlungen. Erst am 26. Mai 1831 brachen der sterreichische
Forscher und seine Begleiter wieder nach Sden auf.699 Die folgenden drei Monate verbrachte
Natterer vor allem an Bord seines Bootes.

17.2. Der beobachtende Sammler und das Geschft des Schreibens

Es ist interessant zu beobachten, dass Natterer in seinen Berichten vor allem die Reisephasen
ausfhrlich darstellt. Die monatelangen Aufenthalte wie jener in Marabitanas, die vor allem der
Sammelarbeit dienten, werden kaum besprochen, die naturwissenschaftliche Arbeit whrend
dieser Zeit wird nur in den Listen der neu aufgefundenen Tierarten, die Natterer in seine
Berichte einflieen lsst, greifbar. Als Beispiel fr eine Auflistung dieser Art, ergnzt mit
einigen naturkundlichen Beobachtungen und Bemerkungen, sei hier jene aus dem Bericht ber
die Reise am Rio Negro ausfhrlich zitiert:

Am wenigsten sind die Sugethiere, bloss 10 Arten, von der Gattung Simia 3 Arten und
darunter ist der Ateles vom Cocuy noch zweifelhaft, ob eine verschiedne Art. Ich bin berzeugt,
dass S[] seniculus und belzebul bloss Varietten sind. Sie formiren Racen, die sich auf
gewisse Gegenden beschrnken. Oft sind sie auf einem Flussufer roth, auf dem
entgegengesetzten schwarz. Bey Borba sind Mnchen und Weibchen schwarz, in Matogrosso
und am Fluss Paraguay sind bloss die Mnchen schwarz, die Weibchen und jungen Mnchen
sind olivenfarben, auch ins gelbliche ziehend. Am Rio Negro sind beyde Geschlechter strohgelb,
auch goldgelb, mit feurigrostfarbenen Extremitten. In der Provinz von So Paul sind beyde
698

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Marabitanas, Februar 1831, Archiv MVK; Johann Natterer an
Joseph Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStLB, HS, 7884.
699
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK; Johann Natterer an Joseph
Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStLB, HS, 7884.
225

Geschlechter von gleicher braunrother Farbe. Bradypus didactylus, Viverra caudirolanta,


Sicurus 1, Loncheris 1, Mus 2, Oxyrhinus 1.
Von Vgeln sind 73 Arten, mehrere aus Mangel an Vergleichung zweifelhafte Arten nicht
gezhlt, als Falco 1, Corvus 2 Arten, darunter Corvus Calvus, Oriolus 1, Turdus 1, Myothera
14, Rhamnophilus 6, Ampelius 2, darunter Ampelius cotinga und carunculata, Pipra 4 Arten,
Muscicapa 9, Sylvia 2, Troglodytus 1, Tanagra 4, Rhamphastos 2, Trogon 2, Bucco 3, Psittacus
4, Picus 1, Dendrocaleps 1, Anabates 1, Trochilus 7, darunter latipennum, Coereba 1, Crax 3,
Gallinula 1.
Von Amphibien 31 Arten, als von Testudo 5 Arten, alle Flussschildkrten, darunter eine grosse
Art mit sehr grossen Kopf, die deswegen Cabeudo genannt wird. Stellio 1 Art, Lacerta 1,
Crocodilus 2, Jacar coroa und Jacartinga, ein dem Croc[odilus] sclerops hnliches, doch
verschiednes Krokodil, hat langen, schmalen Kopf, der Schwanz viel lnger als am Jacaretinga
von Matogrosso und nicht so stark aufwrts gebogen. Das Exemplar ist 5 Schuh, 3 Zoll lang
und ist ganz ausgestopft. Mit diesem sind es nun 5 verschiedne Arten Krokodile, die in Brasilien
leben und vielleicht ist jener Sclerops vom Rio Taguahy von dem von Matogrosso verschieden,
welches ich aus Mangel an Vergleichung nicht bestimmen kann. Am Jacar guau von
Matogrosso und an obigen 2 Arten habe ich die Moschusgefsse an den Seiten der Kehle
gefunden und bin berzeugt, dass alle Jacars selbe besitzen, doch da diese Gefsse ungleich
kleiner als jene am After sind, so konnte ich sie leicht bersehen. Das gedrrte mnnliche
Glied, geraspelt oder gepulvert, wird in Brasilien hufig bey nervsen Anfallen, Krmpfen
angewendet. Ungleich strker msste der Moschus dieses Thier wirken, da der Penis meiner
Meinung nach seine Wirkung von den ihm so nahe Moschusbehlter bekmt.
Von Hyla 4 Arten, Rana 1, Bufo 1, Colubes 15 Arten, Boa 1 mit einer schnen, kettenartigen
Zeichnung auf den Oberleib. Von Fischen sind 15 Arten, Salmo 5, Cichla 4, Silurus 2,
Cataphractus 3, Hirnarchus 1. Von Eingeweidewrmern eine ziemliche Anzahl.
Die

ausfhrlicheren

Darstellungen

des

Reiseverlaufes

selbst

im

Gegensatz

zur

wissenschaftlichen Arbeit haben zur Folge, dass wir relativ viel von den Begegnungen mit
indigenen und brasilianischen Einwohnern whrend der Reise erfahren, whrend von den
Kontakten, die Natterer etwa in Marabitanas whrend langer Monate des Aufenthalts hatte,
praktisch nichts bekannt ist. Da Natterer auch auf nhere Ausfhrungen ber seine
naturwissenschaftlichen Arbeiten auf der Reise verzichtet, wird der Reisebericht zu einer
Chronik der Begegnungen. Flussabwrts entlang des Rio Negro und seiner Nebenflsse kommt
es nun zu einer Reihe von Kontakten zwischen Natterers Expedition und indigenen Gruppen,
die Natterer als herausragende Ereignisse aus der Abfolge der Reise heraushebt und genauer
beschreibt. Aus der relativ dichten Abfolge von Begegnungen lsst sich rekonstruieren, wie sich
fr Natterer die diese Kontaktaufnahmen darstellten. Einen Schwerpunkt seiner Berichte ber
diese Reisephase bilden die Notizen und Beobachtungen, die er ber die indigenen Gruppen der
Region machte.
226

Auf dem Weg flussabwrts von Marabitanas zurck nach Barcelos wollte Natterer nun einige
Nebenflsse des Rio Negro erkunden. Der erste Fluss, den er befuhr, war der Rio Xie. Fnf
Tage lang fhrte die Reise flussaufwrts, bis an ein Dorf, das von Indianer der Stmme der Bar
und der Uerequenna bewohnt war, von den spanischen Besitzungen entflohen, schon etwas
zivilisirt,700 wie Natterer feststellte. Die Begegnungen mit indigenen Gruppen waren keine
zuflligen Folgen seiner naturwissenschaftlichen Expedition, sondern Natterer suchte die
Kontakte bewusst. Natterer wollte den Fluss absichtlich bis zu dem Dorf der Uerequenna
befahren, um sie zu besuchen.701
Wenige Tage spter, am 9. Juni 1831, bog Natterer in den Rio Icana ein. In fast zweiwchiger
Fahrt kmpfte sich die Expedition gegen die starke Strmung bis an die Stromschnellen von
Tunui vor. Hier gab es bis wenige Jahre zuvor ein groes Dorf der Baniva, das nun vllig
verlassen war. Mit einem anderen Dorf versuchte Natterer allerdings erfolglos Kontakt
aufzunehmen. Zur Anbahnung des Kontaktes wurden Tauschwaren und Geschenke fr den
Anfhrer geschickt. Natterers Bemerkungen darber zeigen einerseits, auf welche Weise er eine
erfolgreiche Kontaktaufnahme anbahnen wollte, sie knnen andererseits als Hinweis dafr
gelesen werden, dass das Bedrfnis der Baniva nach Kontakt nicht bermig gro war:
Nach einem andern, am Ausfluss des Rio Cuiari, eine Tagesreise von Tunuhy entfernten Dorfe
schikte ich meinen Piloten mit einigen Eisenwaren und Glaskorallen, um einige Waffen und
andre Effekten der dortigen Indier einzutauschen und schikte dem dortigen Principal
(cassiquen) ein grosses Messer zum Geschenk und liess ihn nach dem Tunuhy einladen. Er liess
sich entschuldigen, weil er nicht Portugiesisch verstnde und erwiederte mein Geschenk mit
einem schwarzen Hahn. Der Pilot erhandelte einige Bogen und Blasrhren und 2 Krbe
farinha.702
Bei der Rckfahrt zum Rio Negro machte die Expedition bei einem Dorf der Baniva Halt. In
seinem Bericht fasste Natterer in aller Krze alles seiner Meinung nach Wissenswerte, das er in
den Baniva-Drfern erlebt hatte, zusammen. Sein eigener Anteil am Geschehen spielte dabei
eine groe Rolle. Diese Darstellung zeigt Natterer als Verteiler von Geschenken und wichtig
fr das Museum er tauschte Waffen und Gerte ein:
In einem veranstalteten sie einen Tanz nach ihrer Art, wo alle Tnzer zu gleicher Zeit auf einem
700

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK.
702
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK.
701

227

grossen, aus mit Pech berzognem Flechtwerk verfertigten Horne immer dieselben Tne
bliesen. 2 der Tnzer hatten noch um die Knchel eine Schnur gewunden, an der eine grosse
Menge halber, harten Saamenkapsel befestigt sind, die ein starkes Geklapper verursachen, so
wie die Hirschklauen der Borors. Ich bewirthete sie mit Branntwein und kaufte ihre
musikalischen Instrumente, so wie einige Blasrhr, Hangmatten, Bogen und Pfeile und
Pfeilgifte und einige Kopffederzierden etc.. Die Pfeile dieser Nation sowie der Vaups haben
kein Federbart und die Spitzen sind immer stark vergiftet.703
Der offizielle Bericht gibt verkrzt wieder, was sich Natterer in seinen TagebuchAufzeichnungen notierte. Da nur wenige Fragmente dieser Tagebcher erhalten sind, ergibt sich
mit diesem Besuch die seltene Gelegenheit zu einem Vergleich zwischen dem, was Natterer aus
wahrscheinlich unmittelbarem Erleben notierte und dem, was davon in die Berichte nach Wien
einfloss. ber den Besuch im Dorf der Baniva notierte Natterer:
Die povoao besteht aus 6 Husern. Der Prinicipal heisst Joo und war abwesend. [] Ein
alter Indier, Joo Valenti, lies gleich einen Weg nach dem canot durchs hohe Gras hauen durch
3 Indierinnen, wovon nur zwey Rke anhatten. Die 3te hatte bloss ein Stk Baumbast auf der
Schaam. Als der Weg fertig war, beschenkte ich die Indierinnen mit Glascorallen und Ringen
und besuchte den Alten, der wie fast alle brigen Indier die Lingua Geral sprach. Sein Haus
war gerumig. Im Hintergrund sassen die Weiber um einen Ofen, wo sie farinha drrten. Ich
beschenkte die Hausfrau mit einer Scheer und den Mann mit Fischangeln und tauschte ein
Blasrohr und farinha ein. Er hatte einen ungeheuer grossen Trog, aus einem Baumstam
verfertigt, im Hause, in welchen die Mandiokmasse oder bejus in Wasser eingeweicht, eine
Woche lang ghrt, welches dan caschiri heisst und ein berauschendes Getrnk ist. Die beschus,
die sehr gross sind, werden zuerst in Wasser angefeuchtet und auf Bananenbltter auf dem
Boden ausgebreitet und mit selben zugedekt, wo sie 8 Tage lang bleiben, bis sie heiss werden,
dann komen sie 8 Tage lang im Trog. Nachts veranstalteten sie einen Tanz. Es waren 4 Indier,
ein jeder mit einem langen Blasinstrument, buzina, brllend und auf und nieder tanzend, und
mit dem Kopfe auf und nieder nikend und das Horn nach unten halten. Es gesellten sich auch 3
Indierinnen zu, die immer zwischen 2 Mnner an ihre Arme sich anhielten. Ich bewirthete alle
mit Branntwein. Die Weiber waren alle mit baumwolltuchern, blauen Rken, die aber sehr
schmutzig waren, bekleidet, doch alle ohne Hemd. Der alte Principal war auch zugegen. Der
Tanz war im Hause einer Violante, die etwas civilisirt war und ein Hemd anhatte. Fr mich
zum Sitzen hatte sie eine Hangmatte aufgehngt. Ich beschenkte sie mit meinem Schnupftuch,
welches ihr so wohl gefiel, dass sie es mir abkaufen wollte, worber sie eine grosse Freude
hatte. Etwa um Mitternacht gieng ich aufs Schiff zurk. Zwey von den Tnzern hatten eine
Schnur, an welcher grosse, halbe Kerne eines cips befestigt waren, um die Knchel des einen
Fusses gebunden, welches ein starkes Geklapper whrend des Tanzes verursachte. War hnlich
den butol aus Hirschklauen der Bororos. Ich erhandelte eine solche Klapper um 2 Messer und
soll vom obern Ianna komen, von den dortgen Indiern. Ich erhandelte einige buzinas und
farinha. Die Wnde der Huser bestanden aus Palmenbltter, ebenso einige Repartitionen in

703

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK.
228

selben.704
Deutlich zeigt sich, dass die ursprnglichen Aufzeichnungen in den Tagebuch-Fragmenten
wesentlich detaillierter waren und als Basis fr den spter abgefassten Bericht dienten. Mit ihrer
Hilfe lsst sich genauer nachvollziehen, wie dieses Treffen vor sich geht bzw. wie Natterer es
erlebt und was er davon fr mitteilenswert hlt. Der Bericht ist im Wesentlichen reduziert auf
die Feststellung, neue Objekte frs Museum erworben zu haben, whrend die
Tagebuchaufzeichnungen detaillierter auf die Menschen dieses Dorfes eingehen, sie in ihrem
Handeln und kulturellem Leben beschreiben und mehr oder weniger zufllig beobachtete
Einzelheiten des Alltagslebens, wie die Bauweise der Huser, aufzhlen. Wie bei frheren
Gelegenheiten werden auch in dieser Beschreibung Natterers die Eckpfeiler seiner Vorstellung
von Zivilisation hervorgehoben: Reinlichkeit und Bekleidung bzw. Nacktheit.
Wenige Tage nach seinem Besuch im Dorf der Baniva zeichnete Natterer in Nossa Senhora da
Guia Sprachproben von einem Baniva namens Fernando auf und notierte weitere
ethnographische Beobachtungen.705 Whrend Natterer ber die naturwissenschaftliche
Sammelarbeit kaum berichtet, beschreibt er ausfhrlich seine intensiven Kontakte mit der
ansssigen Bevlkerung whrend dieser Flussfahrten. An jedem Ort trifft er Nachkommen der
Ureinwohner, notiert Bemerkungen ber die Lage ihrer Ansiedlungen, sammelt Objekte und
beschftigt sich mit den verschiedenen Sprachen, wobei er auch an die Grenzen seiner
Bemhungen stt. Am schwersten sind ganze Constructionen aufzuschreiben, schreibt er
seinem Bruder.706
Sammelnd und beobachtend setzte Natterer seinen Weg fort. Nchstes Ziel war der Rio Uaups.
Am 1. Juli erreichte Natterers Expedition So Joaquim an der Mndung des Uaups in den Rio
Negro. Vorbei an kleinen Drfern fuhr das Boot bis an die Cachoeira Panor. Natterer stellte
fest, dass entlang des Flusses verschiedene Nationen lebten, die von den Portugiesen allgemein
Vaups genannt wurden. Er hingegen nahm Sprachproben von sieben Nationen dieses
Flusses,707 stellte hnlichkeiten und Verwandtschaften fest und lernte unter der Bevlkerung
des Rio Uaups einzelne Gruppierungen zu unterscheiden:

704

Tagebuch-Fragment, 26. 27. Juni 1831, Archiv NHM, Natterer, Notizen;


KANN: Wortlisten (1989) 116-118, vgl. KANN: Brasilienexpedition (1992) 56f.
706
Johann Natterer an Josef Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStlB, HS, 7884.
707
Johann Natterer an Josef Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStlB, HS, 7884.
705

229

Von den Nationen Tariana, Tocanna, Dessanna, Kobu, Arapru, Pir, Coihoana habe ich
Sprachproben aufgezeichnet und gefunden, dass Tariana von Banniva abstammt und die
brigen Sprachen viel hnliches unter sich haben und vielleicht einst bloss verschiedne Stmme
einer und derselben Nation ausmachten. Von den Nationen Uanan, Xilia, Tejuca, Carapan,
Tat, Uaiana, Jurupari, Bahuno konnte ich kein Wrter aufzeichnen, da sie weit an den oberen
Gegenden des Flusses wohnen.708
Sprache als Indiz fr verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den indigenen Gruppen war
fr Natterer ein wichtiger Bereich seiner Forschungen. Im Verlauf der Reise ergaben sich
weitere gute Gelegenheiten fr ethnologische Beobachtungen, wie auch die wiederholte
Aufzeichnung von Sprachproben zeigt.709 Im Dorf So Jeronimo nahe der Cachoeira Panor
traf Natterer mit mehreren Gruppen indigener Bevlkerung zusammen. Ausnahmsweise machte
der Forscher hier auch Halt. Vom 11. bis 24. Juli 1831 hielt sich Natterer hier auf, lnger als
sonst blich auf seiner rastlosen Reise. Seine Darstellung des Besuchs bei den Ureinwohnern
konzentriert sich auf den Erwerb von ethnographischen Besonderheiten und die Beobachtung
von Brauchtum:
Als ich sie besuchte, fhrte mich mein Fhrer in eine Htte, wo wir eine Indierin Tocanna mit
mehrern Kindern und 2 Brdern antrafen. Sie war ganz nakt, doch als ich eintrat, nahm sie eins
von den Kindern auf den Schooss und suchte einen alten, baumwollnen Rok hervor, den sie
anzog und mir eine Hangmatte zum Sitzen anwies. Die beyden Brder, schon grosse Kerls,
lagen oder sassen jeder in einer Hangmatte, beyde ganz nakt, doch die Schaam mit einem
schmalen Streifen Baumbast bedekt, mit langen, bis ber die Schultern reichenden Haaren,
jeder einen 4 Zoll langen Zylinder aus Quarz, mhsam geschliffen und polirt, um den Hals
vorne nach der Brust herabhngend, welches sie mir um keinen Preis verkaufen wollten, da
dies ihr grsster Reichtum ist. Jedoch vor meiner Abreise von dort verhandelte mir die Mutter
dieser Wilden einen dieser Steine um 2 Foices, eine Art grosse, schwere, krumgebogner
Haueisen bey uns nicht gebruchlich, doch hier in Brasilien ein gewhnliches Instrument, um
kleine Bume und Strucher in den roas niederzuhauen. Beyde Geschlechter schnren sich die
Beine unterm Knie hllisch zusammen, schon von Kindheit an, um dike Waden zu bekommen,
wie sie glauben. In grossen Werth halten sie kleine, weisse Glasperln, wovon sie lange Schnre
um den Hals wikeln oder eine Menge Schnre derselben auf einer Achsel und unten am andern
Arm durch umhngen, und die Weiber machen kleine Schrzchen, sehr knstlich gearbeitet, aus
jenen Perlen, welche sie bloss bey ihren Tnzen umbinden, den ausser dieser Zeit gehen sie
ganz nakt und manche, die Rke besitzen, ziehen selbe aus und erscheinen bloss mit dem
Schrzchen beym Tanze. Die Mnner singen beym Tanze und stossen zu gleicher Zeit jeder mit
einem Stok auf die Erde, welches den Takt giebt, manchmal pfeifen auch alle zugleich einen
lauten, durchdringenden Pfiff. Die Weiber mischen sich erst nach angefangenem Tanze
708

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK. vgl. Johann Natterer an Josef
Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStlB, HS, 7884.
709
vgl. KANN: Wortlisten (1989) 119f.
230

zwischen die Mnner und tretten vor dem Ende schon aus. Ich erhandelte viele schne Sache
von diesen Wilden, besonders knstlich gearbeitet sind die Spiesse der Caciquen, mit Federn
geziert, dann aus dem Ganzen gearbeitete Sitzschmmel, oben lakirt, Kabassen, Krbe, Bogen,
Pfeile, Hangmatten, Tragkrbe etc..710
Natterer gelang es diesmal auch, mit einer Gruppe Kontakt aufzunehmen, die weit oberhalb der
Cachoeira Panor, auerhalb des unmittelbaren Einflussbereichs der weien Brasilianer
siedelten. Diesem Treffen widmete er wieder eine seiner seltenen ausfhrlicheren
Beschreibungen einer derartigen Begegnung. Wieder wird deutlich, was Natterer relevant
erschien, festgehalten und mitgeteilt zu werden: uerliche Beobachtungen wie Bekleidung,
Haartracht und Schmuck, Details zur Ernhrung und ein berblick ber die eingetauschten
Stcke fr seine Sammlungen.
Auf meine Einladung kamen mehre Wilde von der Jaguarat-Cachoeira, um ihre Waffen,
Krbchen, besonders gearbeitete lakirte Sitzschmmel, Kabassen etc. zu vertauschen. Sie gehen
ganz nakt und nur die Mnner bedeken die Schaam mit einem schmalen Streifen eines
Baumbastes. Die Weiber binden bloss bey ihren Tnzen eine kleine, kaum eine Hand breite, aus
kleinen Glaskorallen knstlich gearbeiteten Schrzen um die Lenden, die sie sehr werth halten
und nur mit grossen Gewinn verhandeln. Die Haare haben sie nicht lnger als bis unter die
Schulter und von der Stirn an zurkgeschlagen. Die Mnner tragen einen Kamm knstlich
gearbeitet in den Haaren. Beyde Geschlechter tragen festangezogne Kniebnder unter den
Knien, schon seit ihrer Kindheit, um dike Waden zu bekommen, wie sie sagen. Die Mnner,
besonders Tocanna und Desanna, tragen einen Zylinder aus derbem Quarz, ungefhr 4 Zoll
lang und 1 Zoll im Durchmesser, am einem Ende durchbohrt, an einer Schnur um den Hals,
sodass der Stein der Lnge nach auf der Brust hngt. Die Caiquen haben diese Steine der
Lnge nach durchbohrt und tragen sie quer ber der Brust. Monathelange sollen sie an diesen
Steinen arbeiten, besonders am Durchbohren, und es ist ihre grste Zierde, auf die sie grossen
Werth legen. An der Schnur sind noch schwarze, glnzende Kerne angereiht gleich Korallen.
Ein Stein des Caiquen war mir nicht mglich zu erhalten. Wohl eine Art Krone aus
Ararafedern, die sie um den Kopf binden, sowie andre Federzierden, Kmme, Schnre aus
Affenhaaren, Bogen, Pfeile, Spiesse der Cassiquen, besonders knstlich gearbeitet mit
vergifteten Spitzen, eine ganz besonders schne Keule mit Federn geziert, Ohrgehnge, aus
Kupferplatten verfertigt, feine Grtl aus Unzenzhnen, Flten aus Unzenknochen und noch
andres Zeug erhandelte ich. Diese Wilden pflanzen Mandioka, ziehen aus selben das Strkmehl
aus, woraus sie grosse Fladen machen, die sie im Ofen drren. Diese Fladen heissen Beju und
sind die Hauptnahrung der Wilden, die besonders geschikte Fischer sind und sich kl[einer]
Netze bedienen. Auch essen sie Wild, doch keine Schlangen, wie ihre Nachbarn, die Bannivas.
Eine Lieblingsspeise sind gebratene Regenwrmer, nmlich eine Art, die sich zwischen den
Blttern mehrer Arten paradisischen Ananasen aufhalten, zwischen welchen sich das
Regenwasser sammelt.711
710
711

Johann Natterer an Josef Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStlB, HS, 7884.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK.
231

Natterer weist in seinen Aufzeichnungen immer wieder darauf hin, dass er von ortsansssigen
Indianern vieles Merkwrdige von ihren Waffen, als Spiesse, Keulen, Bogen und Pfeile,
Blasrhre, viele Federzierden erhandelte.712 Wie reichhaltig die am Rio Negro gemachten
Sammlungen an Waffen und Gerthen waren, zeigt die Transportliste. Bis zu Natterers zehnten
Transport, den er noch vor dieser Reise aus Borba abgeschickt hatte, waren insgesamt 568
Waffen, Schmuckgegenstnde, Bekleidung und sonstige Gerte nach Wien geschickt worden
waren.713 Etwa zwei Drittel der insgesamt 1741 Objekte der ethnographischen Sammlung
Natterers wurden whrend der Reisen im Amazonasgebiet erworben. Alleine von den Baniva
finden sich heute 134 und von den Ethnien am Rio Uaups 254 Objekte im Wiener
Vlkerkundemuseum.714
An allen diesen Notizen fllt auf, dass sie stets nur konkrete Augenblicke dokumentieren.
Natterer hlt seine aktuellen Erlebnisse fest, beschreibt, was er sieht und hrt, trgt einzelne
Informationen zusammen, die oft ungeordnet aneinandergereiht werden. Weder in seinen
Tagebchern noch in seinen Berichten verdichten sich die gesammelten Beobachtungen zu
einem komplexeren Bild. Natterer versucht nie, umfassende Beschreibungen eines Stammes
oder eines Dorfes zu geben. Auch in seinen ethnographischen Bestandsaufnahmen erscheint
Natterer in erster Linie als Sammler von Daten, Fakten und Beobachtungen, weniger als
beschreibender Analytiker. Bezeichnend fr ihn ist, dass er sich selbst fr eine
wissenschaftliche, schriftstellerische Arbeit als ungeeignet betrachtete. Einen Reisebericht zu
verfassen lehnte er ab, das Notieren von Tagebuchaufzeichnungen, wie es seinem Dienstauftrag
entspricht, stellte er gern zurck, wenn er andere, praktische Arbeiten fr wesentlicher und
dringlicher hielt:
Doch eine Reisebeschreibung erwarte man ja nicht von mir. [] Mehrermalen habe ich wohl
versucht, das Geschehen jeden Tag niederzuschreiben, doch bald bekam es Lken durch
wichtigere Arbeiten, die sich nicht aufschieben liessen und geriet gnzlich ins Stoken, weil ich
sah, dass ich dazu unfhig war. Zu Reisebeschreiben htte man einen Fhigeren whlen sollen.
Mge man mit Dr. Pohls Reise sich begngen, die ebenfalls einen ziemlichen Theil Brasiliens
einschliesst.715

712

Johann Natterer an Josef Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStLB, HS, 7884.
Die Naturforscherversammlung in Wien. In: Isis von Oken, Heft IV-VI (1833) 547.
714
KANN: Brasilienexpedition (1992) 111f.
713

232

An anderer Stelle gesteht er seinem Bruder auch, dass ihn berhaupt das Schreiben seiner
Berichte sehr ermden wrde und dass er eine wahre Furcht davor 716 habe.
Trotz der mehrfach artikulierter Abneigung gegen das Schreiben ist es eine fr ihn
unvermeidbare Aufgabe. Nicht nur aufgrund der Berichtspflicht seinen Vorgesetzten gegenber,
sondern weil die Rechenschaft ber seine geleistete Arbeit und die schriftliche Fixierung von
Beobachtungen essentieller Bestandteil einer Expedition sind. Geographische, naturkundliche,
klimatische, konomische und ethnographische Daten und Informationen mssen festgehalten
werden. Der endgltige, zusammenfassende Bericht ist dabei nur eine Form wenn auch
zumeist die einzige berlieferte die diesen Verarbeitungsprozess zeigt. Ohne laufend
abgefasste Notizen ist die Erstellung eines detaillierten Berichts jedoch kaum vorstellbar.
Schreiben gehrt ebenso zum Alltag des Reisenden wie seine Sammelttigkeit. Gerade von der
Reise am Rio Negro sind einige Dokumente enthalten, die einen Blick in Natterers
Schreibstube erlauben und eine Vorstellung davon geben, wie der Prozess der schriftlichen
Verarbeitung vor sich gegangen sein knnte.717
Das Beispiel der Beschreibung des Baniva-Dorfes am Rio Icana hat bereits gezeigt, dass die
verschollenen Tagebcher mehr detaillierte Informationen enthalten als der offizielle Bericht.
Ein Blick in die erhaltenen Fragmente von Natterers Tagebchern von Dezember 1830 zeigt,
dass diese Aufzeichnungen im Vergleich zu den spter zusammengestellten Berichten viel mehr
Beobachtungen und Informationen ber die Leute, die er antraf und das Leben am Fluss
enthalten. Natterer beschreibt z.B. Familienverhltnisse, die krgliche Einrichtung der Huser
der Pflanzer oder ein Mittagsmahl bei einem Siedler. Er beobachtet die Gewohnheiten der
Eingeborenen und notiert sich Einzelheiten ber ihr Leben. Als Beispiel seien hier
Aufzeichnungen ber den Besuch in einem kleinen Dorf nahe Santa Isabel do Rio Negro, der
am 11. Dezember 1830 stattfand, zitiert. Die Ansiedelungen den Fluss entlang, in denen meiste
wenige Weie zusammen mit Indianern leben, liegen weit zerstreut, jedes Zusammentreffen
ist willkommen Doch zuerst gilt es, die Sprachschwierigkeiten zu berwinden:

715

Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
Johann Natterer an Josef Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStLB, HS, 7884.
717
Zum Spannungsverhltnis zwischen unmittelbarem Erlebnis, schriftlicher Fixierung whrend der Reise und
authentischer Erinnerung vgl. HARTMANN, Andreas: Reisen und Aufschreiben. In: BAUSINGER, Hermann BEYRER, Klaus - KORFF, Gottfried (Hg.): Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus (Mnchen 2
1999) 152-159.
233
716

Wir langten nun bald auf dem sitio des Hilario Monteiro an, [], doch war er nicht zu Hause.
[] Eine Indierinn noch war dort im Haus neben eine verheurathet und 2 ledigen Indierin,
Vaups, und viele Kinder, nahe an 1 Duzend und alle weiblichen Geschlechts, alle nakt und die
Weiber bloss mit Rk. Niemand sprach Portugiesisch.718
Natterer konnte zwar Portugiesisch (er schrieb auch viele portugiesische Briefe, wahrscheinlich
mit Hilfe eines Franzsisch-Portugiesischen Wrterbuchs, das spter in den Besitz des
Museums fr Vlkerkunde gelangte),719 aber in der Kommunikation mit den Eingeborenen war
er auf die Hilfe seiner Reisegefhrten angewiesen. Nur mit Hilfe eines seiner Ruderer, der die
aus Indianersprachen entstandene Verkehrssprache, die Lingual Geral (Guarani) sprach, konnte
er sich verstndigen. In dieser Ansiedlung beobachtete Natterer die Verarbeitung von Maniok,
dem Hauptnahrungsmittel der Flussbewohner, zu farinha (Maniokmehl) und zu dem leicht
alkoholischen Getrnk caschiri.
Die Weiber im andern Haus waren beschftigt, grosse Fladen aus gegohrner Mandioc-Masse
(Besch) in grossen, flachen, irdnen Geschirren (fornos) zu rsten, um dann caschir daraus zu
verfertigen, ein berauschendes Getrnk zu ihren Festen. Diese bejs werden in grossen, irdnen
Tpfen mit Wasser angemacht und stehengelassen, bis es ghrt. Man destillirt auch hier
Brantwein aus Mandioca. Armuth und Elend sah zu allen Eken heraus, doch frugen die Weiber
nach grossen Kmmen, die sie auf dem Kopf tragen. Sie meinten, ich wre ein Handelsmann.
Ich gab einer jeden einen Rosenkranz aus Glaskorallen fr Bananen, die ich begehrte, worber
sie sehr zufrieden. In diesen Gegenden wird viel farinha erzeugt aus Mandioca, die einige Tage
in Wasser gelegt wird, bis sie den 1. Grad der Fulnis oder der sauren Ghrung erreicht. Dann
wird diese Masse zerieben und mit etwas Masse von frischen ausgepressten Mandiok vermischt
und auf jenen obigen fen (fornos) gedorrt und in Krben aufbewahrt.720
Die erhaltenen Tagbuch-Fragmente sind jedoch vermutlich keine tatschlich tageweise
gefhrten Journale. Einheitliche Schriftbilder und ein weitgehendes Fehlen von Korrekturen,
Verschreibungen und Ergnzungen lassen eher darauf schlieen, dass es sich um im Nachhinein
verfasste Zusammenfassungen von whrend der Reise gemachten Notizen handelt. Einen
Hinweis, wie diese Notizen ausgesehen haben knnten, gibt ein Dokument, das im Archiv fr
Wissenschaftsgeschichte im Naturhistorischen Museum in Wien aufbewahrt wird. Es ist eine
Art Notizblock, mit Bleistift beschrieben, das eine Vorstellung davon gibt, wie Natterer
whrend der Fahrt Informationen festhielt. Dieser Notizblock enthlt geographische Angaben,
Anmerkungen ber die besuchten Orte und die Personen, die er antraf, das Wetter und die
718
719

Tagebuch-Fragment, 10. - 20. Dezember 1830, Archiv MVK.


Nouveau Dictionnaire de poche franais-portugais (Bourdeaux 1811).
234

wichtigsten naturwissenschaftlichen Funde. In winziger, gedrngter Schrift dokumentieren diese


Aufzeichnungen auf wenigen Seiten fast ein Monat der Fahrt auf dem Rio Negro und seinen
Nebenflssen. Als Beispiel seien hier einige Tage aus dem Juni 1831 zitiert:
2. Juni. Nordwest, Nord. Frhstk im Wald. 12 Uhr erreichten wir die cachoeira. 30 schoth
Spiropt., Preguia, 5 Htten, Mitt[ag] 24, etwas w[...] Regen. Die cachoeira streicht von
Ost-Sdost. Die Felsen waren alle unter Wasser, sollen bey nied[erem] Wasser bloss 2
Kanale freylassen. Ich htte leicht mit meiner Bark passiren knnen, doch weiter aufwrts, 3
4 Tag, sollen Wilde Uerequena wohnen.
5. Abfarth von der cachoeira. Der Fluss war bedeutend gestiegen, floss nun sehr stark. 2
Charees, auf ein Baum sitz[end] geschossen. 1 Marianito pfif auf dem Gipfl eines Baumes.
Ubernacht[ung] in der roa des Caetano bey Santa Maria.
6. Frhstk im Wald, dan in der roa des Pr[incipal] Jos gelandet, dan auf der roca do Rey,
wo das Weib des Principal, Josefa, Tchter, Candelaria, Marianna. Abends in So Marcelino
angelangt, war fast alles besoffen.
7. 10 Uhr von So Marcellino abgefahren. Richtung des Xi am Ausfluss nach Nordost.
Nachmittags 3 Uhr in Mabb oder Joo Baptista angelangt. 3 Huser, hatte einst eine
Kirche. Crispin, Santa Patricia, Piloto. Viele Inseln. Ein kl[einer] Hgl, linkes Ufer nahe.
Nach Sonnenuntergang auf dem sitio des Joo Baptista angelangt. War nach Marab[itanas]
krank abgereiset.721
Man kann annehmen, dass diese Art des Notierens Ausgangspunkt fr Natterers andere
schriftliche Arbeiten war. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Natterer nach eigener
Aussage keineswegs ein durchgehendes Tagebuch fhrte, sondern immer nur einzelne
Abschnitte verfasste, die er im Laufe seiner Arbeiten wieder beiseite lie. Natterer hat diese
Fragmente vermutlich anhand der whrend der Reise festgehaltenen Notizen nach Beendigung
einer Reisephase kompiliert. Dass detaillierte tageweise Auszeichnungen fr die Reisen
vorhanden gewesen sein mssen, geht daraus hervor, dass auch die offiziellen Berichte in Bezug
auf die detaillierte Darstellung der Reisen einer streng chronologischen Struktur folgen. Da die
Bericht meist erst mehrere Monate nach den beschriebenen Ereignissen abgefasst wurden, lie
sich das wahrscheinlich nur auf der Basis tglicher Notizen bewerkstelligen.

17.3. Fahrt auf dem Rio Branco

Nach der Fahrt am Rio Uaups unternahm die Expedition Anfang August noch einen kurzen
720
721

Tagebuch-Fragment, 10. - 20. Dezember 1830, Archiv MVK.


Tagebuch-Fragment, 29. Mai 22. Juni 1831, Archiv NHM, Natterer, Notizen.
235

Abstecher in einen Nebenflsse des Rio Negro, den Rio Curicuriari. Natterer versuchte sich
auch als Bergsteiger und erklomm oft mit beyden Hnden an Schlingpflanzen oder Baumwurzln
angeklammert, oft auf allen Vieren neben Abgrnden hin722 den Berg Uari. Zwar war der Berg
fr die naturwissenschaftlichen Sammlungen unergiebig, aber am Gipfel angelangt, gibt sich
Natterer allgemeinen Betrachtungen hin:
Lange sass ich in tiefes Nachdenken versunken, dem Spiele der Wolken zusehend. Unwillkrlich
regte sich mir, von einem heiligen Schauer durchdrungen, mancher Gedanke ber die
Entstehung dieser ungeheuern Felsmassen in meinem Innern. Die Gestalt derselben, sowie jene
des nakten Cocuy und alle am Rio Negro am Ufer zu Tage ausgehenden Granitmassen scheinen
mir deutlich zu beweisen, dass sie einst flssig waren und vielleicht grossentheils den Kern der
Erde ausmachen.723
Diese Bemerkung scheint mir aus zwei Grnden interessant. Zum einen ist es eine der wenigen
Selbstdarstelllungen Natterers, in denen er sich nicht ttig und arbeitend, sondern reflektierend
und kontemplativ beschreibt. Zum anderen weist die letzte Bemerkung darauf hin, dass sich
Natterer anscheinend mit dem Plutonismus auseinandergesetzt hatte, jener These, die
Vulkanismus als entscheidenden Faktor bei der geologischen Ausformung der Erde betrachtete,
im Gegensatz zum Neptunismus, der Wasser als Ursprung der Erde ansah.
Ohne weitere lngere Aufenthalte wurde in den folgenden zwei Wochen die Reise flussabwrts
fortgesetzt. Natterers vorrangiges Interesse war nun, Barcelos zu erreichen, denn sein Boot war
nach der langen Fahrt bereits sehr reparaturbedrftig. Am 20. August 1831 traf die Expedition
in Barcelos ein. In Barcelos hat Natterer auch, wie aus spteren Akten hervorgeht, im Jahr 1831
Maria do Rego geheiratet.724 ber die nheren Umstnde dieser Heirat ist nichts bekannt. Maria
do Rego und Natterer bekamen drei Kinder, von denen allerdings nur eine Tochter Gertrud, die
Natterer zu Ehren seiner Lebensretterin Dona Gertrudes so benannte, berlebte.
Noch whrend der Fahrt nach Barcelos hatte Natterer am 28. Juli eine Nachricht des neuen
kaiserlichen Gesandten in Rio de Janeiro, Baron Leopold von Daiser, erhalten, der Natterer
unter anderem mitteilte, dass ein neuer Kredit zu seiner Verfgung stand und dass sein
langjhriger Mentor Baron von Mareschal im Juni 1830 von seinen Posten abgetreten und nach
Europa zurckgekehrt war.725 Etwa zur gleichen Zeit berichtete Baron Daiser nach Wien. Daiser
722

Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK.
724
KANN: Brasilienexpedition (1992) 13; RIEDL-DORN: Haus der Wunder (1998) 115.
725
Johann Natterer an Josef Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStLB, HS, 7884; Johann Natterer an
236
723

war voll des Lobes fr Natterer und kommentierte die Reiseplne geradezu enthusiastisch. Er
konnte natrlich nicht wissen, wo sich Natterer gerade aufhielt und wie weit fortgeschritten
seine Expedition war, aber er untersttzte die Unternehmungen des Naturforschers vorbehaltlos:

Diese letzte Reise, die er nun unternimmt, ist wirklich die schwierigste von allen und zeugt von
seinem rastlosen Eifer und unermderter [!] Ttigkeit. Sie wird wahrscheinlich von hohem
Nutzen seyn, da jene Gegenden, so weit im Westen, noch sehr wenig bereist worden sind. Er
schliet mit dieser Reise eine der grten und detailliertesten Naturforschungen, die bisher in
diesem Welttheile gemacht wurden und deren Resultate gewiss in seltener Vollkommenheit dem
gromthigen Schutze entsprechen, welchen S. Majestt der Kaiser dem Fortschreiten der
Naturhistorischen Wissenschaft angedeihen lassen. Die Schwierigkeiten, mit denen ein im
Innern dieses Landes Reisender zu kmpfen hat, sind undenkbar und es gehrt eine seltene
Vorliebe zur Wissenschaft und eine hchst achtbare Festigkeit des Charakters dazu, um sich
dadurch nicht abschrecken zu lassen. Das Brasilianische Museum ist ein Werk, welches die
Regierung Seiner Majestt nur womglich noch verherrlichen kann. Diese letzte Reise
Natterers macht das Unternehmen vollkommen.726
In seinen weiteren Entscheidungen war Natterer ohnehin vllig auf sich gestellt. Auf
Anweisungen aus Rio de Janeiro oder Wien konnte er nicht zhlen. Die groen Entfernungen
und langen Postwege machten eine Kommunikation fast unmglich. Die Briefe etwa, die
Natterer im Dezember 1829 und im Juni 1830 nach Wien gesandt hatte, waren im August 1831
noch immer unbeantwortet.727 Es blieb gar nichts anderes brig, als eigenstndig zu
entscheiden, wie das Unternehmen weiterlaufen sollte. Nachrichten aus Europa oder auch aus
der Hauptstadt Brasiliens erreichten den Rio Negro meist sehr versptet oder als vages Gercht,
selbst wenn es sich um einschneidende Ereignisse handelte. Weder von der Abdankung des
Kaiser Pedro I. (4. April 1831) noch von der Revolution in Frankreich im Juli 1830 gab es in
Barcelos gesicherte Informationen fr den Reisenden, wie aus einer Bemerkung Natterer in
einem Brief an seinen Bruder hervorgeht:
Von krzlich in Rio vorgefallenen Unruhen weiss man hier, so weit im Innern, nichts Gewisses,
doch sagt ein Gercht, dass Dom Pedro gezwungen gewesen, Rio zu verlassen. Die Auftritte in
Frankreich habe ich erst krzlich erfahren und lebe nun so ziemlich von der Welt
abgeschnitten. Europa scheint an einer grossen Crisis zu arbeiten, glklich jener, der entfernt

Leopold von Daiser, Barcelos, 25. August 1831, Archiv MVK; vgl. SCHMID: Mareschal (1975) 186-188.
Leopold von Daiser an Clemens Wenzel Lothar von Metternich, Rio de Janeiro, 20. August 1831, HHStA,
Staatskanzlei, Brasilien, Karton 21, Konv. 5 (alt Fasz. 22), Admin. Berichte 1831, fol. 31r-32v.
727
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK.
237
726

dem Schauspiel zusehen kann.728


Natterer hatte jedoch vor, dieser Crisis noch lnger ferne zu bleiben. Der Rio Branco war sein
nchstes Ziel. Er hegte groe Hoffnungen, von dieser Reise in eine Region mit vllig anderer
Vegetation wichtige Sammlungen mitzubringen, besonders fr die Ornithologie: alle meine
Hoffnung ist nun nach dem Rio Branco gerichtet, weil die Gegenden um das Fort So Joaquim
meist Steppenlnder sind, wo gewiss manch neuer Vogel oder andres seltnes Thier zu finden
seyn wird,729 kndigte er schon vor Beginn dieser Reise an.
Wie lange der Aufenthalt in Barcelos dauerte, lsst sich nicht genau feststellen. Die
notwendigen Ausbesserungen an den Booten nahmen wohl einige Tage in Anspruch, aber schon
am 19. September befand sich die Expedition in Carvoeira, wenige Kilometer oberhalb des
Einmndung des Rio Branco in den Rio Negro. Fnf Tage spter bog Natterers Boot in den Rio
Branco ein und folgte dem Flusslauf nach Norden.730 Ein weiterer Abschnitt in Natterers
mittlerweile neunten Reise hatte begonnen.
Die Fahrt entlang des Rio Branco ist sehr schlecht dokumentiert. ber diese Reise ist kein
detaillierter Bericht erhalten, falls Natterer berhaupt je einen verfasst hatte. Das Archiv des
Naturhistorischen Museum bewahrt allerdings einige Fragmente von Notizen auf, die einige
Daten fr diese Reise liefern. Festgehalten sind in einer gewissen Eintnigkeit geographische
Angaben, naturwissenschaftliche Beobachtungen und Anmerkungen ber das Klima,
Insektenplagen und die angetroffenen Flussbewohner.731 Der Zusammenfassung seiner Reisen
ist zu entnehmen, dass Natterer den Rio Branco bis zum heute verfallenen Grenzfort So
Joaquim am Zusammenfluss von Rio Tacutu und Rio Uraricuera befuhr und kleinere
Exkursionen auf den Flssen Mahu und Pirorora sowie den Rio Tacutu, unternahm. Am 27.
Mai 1832 verlie er das Forte do Rio Branco und am 1. August dieses Jahres traf er wieder in
Manaus ein, wo alles in Aufruhr und in Vertheidigung gegen eine anrkende legale Macht sich
befand.732
728

Johann Natterer an Josef Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStLB, HS, 7884.
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Barcelos, 22. August 1831, Archiv MVK; vgl. Johann Natterer an Josef
Natterer, Barcelos, 31. August 1831, WStLB, HS, 7884.
730
Tagebuch-Fragment, 19. September 1. Oktober 1831, Archiv NHM, Natterer, Notizen.
731
Tagebuch-Fragment, [Oktober Dezember] 1831, Archiv NHM, Natterer, Notizen; Tagebuch-Fragment, 16.
25. Juni 1832, Archiv NHM, Natterer, Notizen; Notizen, Santa Maria, 27. September 1831, Archiv NHM,
Natterer, Notizen.
732
Johann Natterer an unbekannten Hofrat, [o.O.], [nach 15. September 1835], WStLB, HS, 7889.
238
729

17.4. Aufenthalt in Manaus

Der zweite Aufenthalt Natterers in Manaus fiel in eine unruhige Zeit. Die commarca (Bezirk)
von Rio Negro hatte ihre Unabhngigkeit von der Provinz Par erklrt und einen eigenen
Prsidenten gewhlt, den bisherigen ouvidor (Beisitzer bei Gericht) Manoel Bernardino de
Souza e Figueiredo. Aus Belm waren bereits Truppen unterwegs, um die vorherige politische
Ordnung wieder herzustellen. Um einem Gefecht zwischen den Rebellen und den Truppen
aus Belm zu entgehen, flchtete Natterer schon am 11. August wie die meisten anderen
Bewohner wieder aus der Stadt. Er zog sich nach Tarum, dem Landsitz eines ehemaligen
Gouverneurs, zurck, der wenige Kilometer stromaufwrts am Rio Negro lag. Nach Beruhigung
der politischen Lage konnte Natterer am 21. August in die Stadt zurckkehren.733
Aus den folgenden zwei Jahren gibt es nur wenige Informationen ber das Schicksal des letzten
Vertreters der sterreichischen Brasilienexpedition. Nur selten gelangten neue Nachrichten nach
Wien. Ein Brief vom Frhjahr 1831 traf erst ber ein Jahr spter bei seinem Empfnger ein.734
Natterers Bericht aus Barcelos vom 25. August 1831 an Baron Daiser war wahrscheinlich das
letzte, was man fr lngere Zeit von ihm hrte. Im Frhjahr 1833 hielt Staatskanzler Metternich
fest, dass man seither keine direkten Nachrichten mehr von ihm erhalten htte.735
Aufschlussreich ist ein Zeitungsbericht in der Wiener Zeitung vom Dezember 1834. Daraus
geht hervor, dass der bis dahin letzte Transport Natterers im Mai 1831 in Wien eingetroffen war
und dass der Bericht an Schreibers vom August 1831 (im April 1832 in Wien eingetroffen) der
letzte war, den man bis dahin von Natterer erhalten hatte. Der Brief vom 27. September 1834,
den Natterer schon aus Belm schickte und der Grundlage des Berichts der Wiener Zeitung
bildete, war also die erste Nachricht, die man seit ber zwei Jahren von Natterer erhalten hatte.
Angedeutet wird, dass durch Verluste am langen Postweg und durch Schiffsunglcke

733

Johann Natterer an Karl von Schreibers, [nach 21] August 1832, Manaus, Archiv MVK; vgl. Johann Natterer
an unbekannten Hofrat, [o.O.], [nach 15. September 1835], WStLB, HS, 7889; vgl. Johann Natterer an Karl von
Schreibers, Februar 1831, Marabitanas, Archiv MVK; SPIX-MARTIUS: Reise in Brasilien 3 (1823-1831 /
1980) 1291: Tarum, eine Fazenda der Regierung, vom Gouverneur Vitt. da Costa angelegt.
734
Johann Natterer an Josef Natterer, Marabitanas, 28. Februar 1831 / Barcelos, 31. August 1831, WStLB, HS,
7884 mit Randvermerk: Am 3. April 1832 erhalten.
735
KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1990) 237. Das wrde bedeuten, dass Natterer das nur als Fragmente
erhaltene Konzept seines Schreibens an Direktor von Schreibers vom August 1832 nie fertig stellte und
abschickte, vgl. Johann Natterer an Karl von Schreibers, [nach 21] August 1832, Manaus, Archiv MVK.
239

Sendungen verloren gegangen waren.736 Was Natterer whrend dieser Zeit unternommen hat,
darber gibt es nur sprliche Anhaltspunkte.
Goeldi wei von Exkursionen in die Umgebung von Manaus, an den Lago Manaquiri, an den
Rio Solimes, nach Igap Siborena, nach So Domingo und Matas de Joanari.737 Die frher in
vielen Briefen erwhnten Plne, den Amazonas aufwrts bis nach Tabatinga (AM) an der
Grenze von Peru zu befahren, konnte Natterer nicht verwirklichen. Dennoch hat er
wahrscheinlich ber Mittelsmnner mehrere Objekte der bei Tabatinga ansssigen Tikuna
erworben. In einer nach 1835 niedergeschriebenen Zusammenfassung seiner Reisen erwhnt
Natterer eine Reise an den Oberlauf des Amazonas nicht. Nach dieser Darstellung hat er sich
vom 1. August 1832 bis 13. Mai 1834 in Manaus und Umgebung aufgehalten.738
Im Mrz 1831 war in Wien eine Weisung ergangen, die besagte, dass Natterer seine Rckkehr
zu beschleunigen htte und mit keinerlei finanzieller Untersttzung mehr rechnen knnte.739 Zu
dieser Zeit befand sich Natterer, naturalista imperial Seiner Majestt Franz I., im uersten
Norden Brasiliens, in Marabitanas (AM). Nachrichten aus Europa konnte er erst wieder in
Manaus in Empfang nehmen. Die Verbindungen sogar in einen relativ zentral gelegenen Ort
wie Manaus waren aber so drftig, dass der Brief des Botschafters aus Rio vom 20. August
1831, der wahrscheinlich die Weisung zur Rckkehr weiterleitete, erst ber ein Jahr spter in
Manaus eintraf. Hier erhielt Natterer im Oktober 1832 einen nachdrklichen Befehl zur Rkkehr
nach Europa.740
Natterer sah sich offenbar diesmal nicht mehr in der Lage, eine weitere Verlngerung seines
Aufenthalts durchzusetzen. Angesichts der unsicheren politischen Lage war unser Reisender
vielleicht auch froh, Brasilien zu verlassen. Es dauerte aber noch weitere eineinhalb Jahre, bis
Natterer die Plne fr die Rckreise in seine Heimat in die Tat umsetzen konnte. Anhaltende
Unruhen verhinderten eine sofortige Abreise.
Mit dem besten Willen, diesem Befehl nachzukommen, machte ich dazu Anstalten, doch der Weg
bis Santarem wurde durch Rotten von zerstreuten Rebellen unsicher gemacht, indem sie
mehrere Barken plnderten und viele Weisse ermordeten. [] Alles war in Aufruhr, sodass es
736

Wiener Zeitung, 30. Dezember 1834, Nr. 298, 1203.


GOELDI: Natterer (1894-1896) 216; KANN: Von wilden und zahmen Indiern (1981) 18.
738
Johann Natterer an unbekannten Hofrat, [o.O.], [nach 15. September 1835], WStLB, HS, 7889.
739
Weisung an Leopold von Daiser, Wien, 5. Mrz 1831, HHStA, Staatskanzlei, Brasilien, Karton 21, Konv. 6
(alt Fasz. 22), Weisungen 1831, fol. 6r-v.
740
Johann Natterer an unbekannten Hofrat, [o.O.], [nach 15. September 1835], WStLB, HS, 7889.
240
737

nicht rathlich gewesen wre, unter solchen Umstnden meine Reise nach der Hauptstadt zu
bewerkstelligen. Als nun neue Autoritten von Rio kamen und die Provinz etwas ruhiger wurde,
reiste ich nach Genesung von einer Krankheit am 13. May 1834 von der Barra ab und langte
Ende September in Par an.741
In Belm, damals Par genannt, war Johann Natterer an der letzten Station seiner ausgedehnten
Reisen durch Brasilien angekommen, fast 17 Jahre nach seiner Ankunft in Rio de Janeiro.

18. DAS TRAURIGE ENDE DER EXPEDITION 742 (1834-1836)

Nach seiner Ankunft in Belm verfasste Natterer wie gewohnt einen Bericht an seine
Dienststelle in Wien und stellte einen neuen Transport aus 22 Kisten zusammen, den er
Anfang Oktober 1834 von Belm abschickte. Der Transport enthielt neben 200 Sugetieren,
1700 Vgeln, 150 Amphibien und 190 Fischen auch ber 400 ethnographische Gegenstnde
von 24 verschiedenen Indianischen Vlkerstmmen.743
Zur Schonung seiner Gesundheit wollte Natterer noch einige Monate in Brasilien verbringen,
um dem europischen Winter zu entgehen. Auch fr eine erfolgreiche Akklimatisierung
seiner Menagerie an lebenden Tieren, die er mitfhrte, musste Natterer die berfahrt nach
Europa nach Mglichkeit in der wrmeren Jahreszeit durchfhren. Fr die verbleibende Zeit
plante er noch kleinere Expeditionen auf die Inseln Maraj und Caviana bis zum Cabo
Norte.744 Genauere Angaben dazu fehlen und alle vorliegenden Informationen deuten darauf
hin, dass diese Plne nicht mehr verwirklicht wurden. Fundnotizen im Archiv des
Naturhistorischen Museums in Wien belegen aber, dass Natterer zu Anfang des Jahres 1835
zumindest noch eine Reise an die Atlantikkste unternommen hat. Aufgrund von datierten
Aufzeichnungen ber seine naturwissenschaftlichen Sammlungen ist gesichert, dass er sich
zwischen Februar und April 1835 in der Gegend der Praia de Cajutuba an der Kste
741

Johann Natterer an unbekannten Hofrat, [o.O.], [nach 15. September 1835], WStLB, HS, 7889. Die Wiener
Zeitung, 30. Dezember 1834, Nr. 298, 1203 berichtet, Natterer wre im Juli 1834 abgereist.
742
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Wien, 4. April 1837, HHStA; Oberst Kmmerer Amt, Karton 317 B,
Akten 1837, Rubrik 58/3; zit. nach Blumen des Bsen 3 (1994) 45.
743
Wiener Zeitung, 15. Dezember 1835, Nr. 287, 1409; vgl. Wiener Zeitung, 30. Dezember 1834, Nr.298, 1203.
744
Wiener Zeitung, 30. Dezember 1834, Nr.298, 1203. vgl. Oesterreichische National-Encyklopdie, Bd. I
241

nordstlich von Belm aufgehalten hat.745 In seinem Bericht ber den Aufenthalt in Belm
hielt Natterer fest, dass er im Februar und Mrz an der Seekste gesammelt habe, was auch
durch seine Reiseabrechnungen besttigt wird.746 Im Mai war Natterer wieder in Belm und
wurde dort Augenzeuge der blutigen Unruhen, die die Provinz und ihre Hauptstadt schon seit
Monaten erschtterten.

18.1. Aufstand in Belm

Seit Beginn des Jahres 1835 wurde Belm, die Hauptstadt der Provinz Par, von blutigen
Unruhen erschttert. Der Cabanagem-Aufstand tobte. Die Stadt wurde beschossen, blutige
Kmpfe tobten, Europer und weie Brasilianer waren in Gefahr, von den Aufstndischen
ermordet zu werden. Auslser der Unruhen war die Ermordung des Provinzprsidenten und
des militrischen Oberbefehlshabers von Par, des General das Armas, in denen sich
Unzufriedenheit mit der Provinzverwaltung und Unzufriedenheit der revoltierenden Soldaten
mit Hass gegen Portugiesen und portugiesische Brasilianer mischten. Was als politischer
Kampf zwischen rivalisierenden politischen Gruppen begonnen hatte, entwickelte sich zu
einem Massenaufstand der sozial Benachteiligten, meist Indios, gegen die besser gestellten
Portugiesen, die Weien.747 Die Unruhen in Par machten beinahe allen Bemhungen
Natterers ein Ende. ber die dramatischen Erlebnisse in Belm ist ein Bericht erhalten
geblieben, den Natterer nach seiner Ankunft in London verfasst hat. Seine Schilderungen
geben einen unmittelbaren Einblick in die Ereignisse whrend des Cabanada-Aufstandes und
seine Hintergrnde.
Seit der Ermordung des Prsidenten und Comandante das Armas am 7. Januar [1835] und der
Besetzung der Stadt von den zahmen Indiern und farbigen Leuten aus den Umgegenden war
Par ein Schauplatz von blutigen Auftritten. Am 18. Februar ergriffen die zwey herschenden
Partheyen die Waffen und nach dreitgigen Gefechte und Kanonade von den Kriegsschiffen und
(1835), 372.
Archiv NHM, Natterer, Notizen.
746
Johann Natterer an unbekannt [verm. Karl Schreibers], London, 12. November 1835, Archiv MVK; vgl.
Spezifizirter Ausweis der von dem k.k. Naturalienkabinetskustosadjunkten Johann Natterer zur Ausfhrung der
wissenschaftlichen Reise ins Innere von Brasilien, dann der Rkreise von dort nach England, seines Aufenthalts
daselbst und seine Reise von dort nach Wien gehabten Auslagen vom 1. November 1818 bis 13. April 1836,
Wien, 6. Juli 1837, HHStA, Oberstkmmereramt, Karton 317 B, Akten 1837, Rubrik 58/3, Zl. 1073.
747
BARMAN: Brazil (1988) 181-184; BENNASSAR: Histoire (2000) 205-207 beziffert die Opferzahlen bis
zum Ende der Cabanagem 1840 mit 30.000 bis 40.000 Todesopfern.
242
745

Forts unterlag die Parthey des Prsidenten Malcher, der ermordet wurde, und sein Gegner
Francisco Vinagre wurde von seinen Leuten zum Prsidenten gemacht. Der Handel kam ganz
ins Stoken, da aus Furcht keine Zufuhren aus den Innern kamen. Die Schiffe fanden keine
Ladungen. Ebenso war das Schiff, wo ich meine Ueberfahrt accordirt hatte, ohne Ladung. Nun
kam eine Fregatte und eine Brig mit einen Schooner von Maranho, um die Ordnung wieder
herzustellen, doch die gesetzwiedrige Regierung von Par weigerte sich, die Stadt zu rumen
und es entspann sich am 12. May eine sechsstndige Kanonade und es erfolgte eine Landung
von Truppen von den Schiffen, doch wurden sie mit Verlust zurckgetrieben und die escadre
genthigt, flussabwrts zu gehen. Die bewaffneten Indier waren schon in der Stadt ber 1000
Mann angewachsen. Man erwartete einen neuen Prsidenten von Rio de Janeiro in Folge der
Ermordung des gesetzmssigen, Bernardo Lobo e Souza, der mein Freund war und mit Dr.
Pohl in Gois zusammentraf, der endlich im Juny anlangte. Er brachte eine Fregatte, eine
Corvette und eine Brig mit. Mehrere Tage war er mit den ungesetzmssigen Prsidenten
Vinagre in Unterhandlungen, der ihn das Ausschiffen der Truppen verweigerte, doch gab er
endlich nach und der neue Prsident Manoel Jorge Rodriguez schiffte am 25. Juny aus und
nahm Besitz. Doch die Indier zogen sich zurck, fast alle bewaffnet, und nahmen 4 Kanonen
mit. Nicht lange darauf plnderten sie Vigia und ermordeten ber hundert Weisse und bten in
andern Gegenden hnliche Thaten aus. Diess bewog den Prsidenten, pltzlich den ExPrsidenten Vinagre und ber hundert von seiner Parthey zu aretiren. Diese Massregel brachte
seine Partheygnger ausserordentlich auf und sein Bruder und andere Anfhrer, die nicht
ergriffen wurden, versammelten die Leute in den Umgegenden und griffen am 14. August
nachmittags die Stadt an. Der Prsident nahm die Sache zu leicht und liess sie in die Stadt
hereinkommen, obschon er an 1200 Mann bewaffnete Leute hatte. Ihr Anfhrer wurde gleich
todtgeschossen und ihnen die Kanone weggenommen, doch sie blieben diesen Tag noch Herren
der halben Stadt.748
Als der Konflikt im August eskalierte, ankerten vor der Stadt die englischen Korvetten RACE
HORSE

und DESPATCH, ein portugiesisches und zwei franzsische Kriegsschiffe, die vor allem

den Auslndern in der Stadt Schutz anboten.749 Mit knapper Not konnte Natterer schon am
ersten Tag der Kmpfe auf die

RACE HORSE

flchten. Seine Sammlungen und sonstigen

Besitztmer musste er zurcklassen. Auch fr seine Bediensteten fand er keinen Platz auf den
Schiffen. In der Stadt selbst wurden die Auseinandersetzungen mit grter Hrte gefhrt.
Neun Tage dauerten die Kmpfe an, bis schlielich der Prsident flchten musste.750 Die
Briten erreichten nach langen Verhandlungen, dass die geflchteten Europer in die zerstrte
und geplnderte Stadt zurckkehren durften, um ihre Besitztmer zu holen. Auch Natterer
suchte unter Lebensgefahr sein Quartier auf, wo er ein Chaos vorfand. Seine gesamte Habe
war vernichtet, die Tiere, die er lebend mitgefhrt hatte, waren fast alle gettet und von den
748

Johann Natterer an unbekannt [verm. Karl Schreibers], London, 12. November 1835, Archiv MVK.
HERNDON: Exploration (1996) 345.
750
Johann Natterer an unbekannt [verm. Karl Schreibers], London, 12. November 1835, Archiv MVK; vgl.
749

243

hungrigen Rebellen aufgezehrt751 worden. Natterer berichtet:


Ich ging mit den Englndern ans Land und nach meinen Hause, wo ich alles in der grssten
Zerstrung fand. Fast alle meine Kisten waren aufgebrochen und die Gegenstnde zerstreut,
alles von Werth, meine Kleider, drei Windbchsen, 8 Feuergewehre, Pistollen, 600 fl. C.M. und
anderes mehr gestohlen, von der Menagerie bis auf einige Affen, Pagageyen und Perkiten alles
getdtet, auch der Tapir, alle Schildkrten, alles, was zum Essen war. Meine Schwarzen waren
mehrmahlen den Tode entgangen. Mit grosser Gefahr (denn dreymahl hatten die Indier, die
schaarenweise in den Strassen bewaffnet herumzogen, mich fr eine Portugiesen gehalten und
wollten mich tdten, obschon ich einen Pass von ihrem Prsidenten Eduardo hatte) ging ich
jeden Tag nach meinen Hause, um die Reste meiner Sachen zusammenzuraffen und zu verpaken
und nachts schlief ich auf der Korvette. Aus Mangel an Zeit und Leuten zum Tragen musste ich
einen Theil meiner Sachen zurcklassen.752
Die Menagerie von lebenden Tieren, die Natterer nach Europa bringen wollte, war recht
umfangreich gewesen. Natterer hatte etwa 135 Tiere, darunter Affen, Papageien, ein Tapir
und andere seltene und merkwrdige Thiere753 in seinem Besitz, die nun verloren waren.
Insgesamt bezifferte Natterer seine Verluste auf 4908 fl an Geld und Geldes Werth.754
Das wenige, was noch zu retten war, wurde verpackt und auf das Schiff gebracht. Am 6.
September 1835 verliess Natterer mit seiner Familie an Bord des britischen Schiffes endgltig
Brasilien. Eine schwere Heimreise stand bevor. Inmitten der Unruhen konnten nur
ungengende Vorbereitungen fr eine Atlantikberquerung getroffen werden. Es fehlte vor
allem an Proviant.
Wir hatten nur wenig Lebensmittel und in Par war nichts zu haben, da die Indier selbst schon
Mangel litten. Da der englischen Comandant nicht lnger warten wollte, so verliessen wir am
6. September schon Par und blieben in der Bahia Santa Antonia einige Tage, um Ballast, Holz
und Wasser einzunehmen und kamen endlich am 13. die Mndung des Flusses heraus. Auf der
Fahrt mussten wir ziemlich Noth leiden.755 berichtete Natterer.

HERNDON: Exploration (1996) 346.


Johann Natterer an unbekannten Hofrat, [o.O.], [nach 15. September 1835], WStLB, HS, 7889.
752
Johann Natterer an unbekannt [verm. Karl Schreibers], London, 12. November 1835, Archiv MVK.
753
Oesterreichische National-Encyklopdie, Bd. I (1835), 372; vgl. Wiener Zeitung, 30. Dezember 1834, Nr.
298, 1203 spricht ebenfalls von 135 Tieren, die Natterer bei seinem Eintreffen in Belm mit sich gefhrt hatte;
vgl. Johann Natterer an Karl von Schreibers, [nach 21] August 1832, Manaus, Archiv MVK.
754
Johann Natterer an Karl von Schreibers, Wien, 4. April 1837, HHStA; Oberst Kmmerer Amt, Karton 317 B,
Akten 1837, Rubrik 58/3, Zl. 634. Zum Vergleich: Natterers Gesamtjahresbudget fr die Expedition wird im
selben Dokument mit 10.049 fl beziffert, ein Diener verdiente 400 fl im Jahr.
755
Johann Natterer an unbekannt [verm. Karl Schreibers], London, 12. November 1835, Archiv MVK; Johann
Natterer an unbekannten Hofrat, [o.O.], [nach 15. September 1835], WStLB, HS, 7889 gibt als Tag der Abreise
751

244

Der Vorrat an lebenden Tieren beschrnkte sich auf nur acht Hhner und ein kleines Schwein,
die Verpflegung bestand vor allem aus altem Salzfleisch mit etwas Erbsen; das wenige
Zwieback war voller Wrmer, und nur drey Fchen Amerikanischen Mehls halfen einiger
Maen aus der Noth.756 Neben dem Hunger plagte die Passagiere die Klte. Natterer, der in
den letzten Jahren immer wieder krank gewesen war und mit seiner verzgerten Abreise aus
Brasilien im Jahr zuvor hatte verhindern wollen, im Winter nach Europa reisen zu mssen,
musste eine extreme Temperaturumstellung mitmachen aus dem brasilianischen Sommer in
den englischen Winter. Nach einer strmischen Fahrt von 56 Tagen auf hoher See betrat
Natterer am 9. November 1835 in London wieder europischen Boden.

18.2. Von London nach Wien

Die lange Reise des Naturforschers war damit noch nicht zu Ende. Eine sofortige Heimreise
nach Wien war nicht mglich, da die Sammlungen fr den weiteren Transport neu verpackt
werden mussten. Auch die verbliebenen lebenden Tiere brauchten Zeit, um sich zu
akklimatisieren. Natterer erbat einen weiteren Aufschub seiner Heimkehr, den er auch mit der
Mglichkeit rechtfertigte, mit den naturwissenschaftlichen Einrichtungen in London in
Kontakt treten zu knnen:
Da fast alles, was ich mitbrachte, umgepackt werden muss, so muss ich einige Zeit hierbleiben
und da es unglcklicherweise Winter ist, so bitte ich E[uer] H[ochwohlgeboren], nicht
ungndig zu nehmen, wenn ich hier berwintere. Auch kann ich hier durch Bekanntschaften mit
Naturforschern oder selbst durch Ankauf mancher seltenen Sachen, wozu ich Auftrge erbitte,
dem kaiser[lichen] Museum ntzen. Auch die noch brigen lebenden Vgel wrden auf der
Reise zu Grunde gehen, wenn ich auch auf meine schwchliche Gesundheit nicht Rcksicht
nehmen mchte.757
Natterer blieb den Winter ber in London. Das Klima beeintrchtigte aber seine Gesundheit,
sodass er nur wenig arbeiten und die naturhistorisch interessanten Einrichtungen der Stadt
kaum nutzen konnte.758 Aber er schloss Bekanntschaft mit dem Ornithologen John Gould,

aus Brasilien den 15. September 1835 an.


Wiener Zeitung, 15. Dezember 1835, Nr. 287, 1409.
757
Johann Natterer an unbekannt [verm. Karl Schreibers], London, 12. November 1835, Archiv MVK.
758
Johann Natterer an Carl Friedrich Philipp von Martius, Wien, 19. August 1836, Staatsbibliothek Mnchen,
HS, Martusiana II A 2.
245
756

wie berlieferte Teile eines Briefwechsels aus den folgenden Jahren belegen.759 In London
lernte er auch Johann Carl Hocheder und dessen Frau Leokadia kennen. Hocheder war
zwischen 1830 und 1840 als Bergbaufachmann in Brasilien ttig und hielt sich Ende 1835 auf
der Heimreise nach Tirol ebenfalls gerade in London auf.760
Johann Natterer verlie London am 3. Juli 1836 und fuhr mit dem Dampfschiff

BATAVIER

ber Rotterdam nach Mainz.761 Die weitere Reise fhrte die Donau abwrts ber Regensburg
nach sterreich. Am 13. August 1836 traf Johann Natterer mit seiner Frau und seiner
vierjhrigen Tochter Gertrude in Wien ein,762 beinahe 19 Jahre, nachdem er in einer
Postkutsche nach Triest aufgebrochen war.

19. EIN UNVOLLENDETES LEBENSWERK (1836-1843)

Unsere Augen, frchte ich, sind grer als der Magen,


und unsere Neugier grer als unsre Fassungskraft:
Nach allem greifen wir, aber wir fassen nur Wind.
Michel de Montaigne: ber die Menschenfresser. In:
Essais. Erste moderne Gesamtbersetzung von Hans
Stilett (frz. Original Paris 1580-1588, Frankfurt/Main 2
1998) 109.

Der heimgekehrte Naturforscher hatte nach seiner Rckkehr alle Hnde voll zu tun. Die
Sammlungen aus ber 18 Jahren Reisettigkeit mussten geordnet werden, Inventare waren zu
erstellen, Abrechnungen waren zu erledigen. Und vor allen sollten die Entdeckungen aus
Brasilien beschrieben und publiziert werden eine umfangreiche Arbeit, wie Natterer schon
Jahre zuvor ankndigte. Darf ich wohl auf Ruhe hoffen, []?, schrieb er damals an seinen
Bruder: Welche ungeheure Arbeit giebt nicht die Beschreibungen von etwa tausend Vgeln
759

Johann Natterer an John Gould, Wien, 16. Februar 1837, WStLB, HS, 7888, 1r-1v; Johann Natterer an John
Gould, Wien, 18. Jnner 1838, WStLB, HS, 7888, 4v-5v.
760
RIEDL-DORN, Christa: Johann Carl Hocheder und Virgil von Helmreichen. In: Die Entdeckung der Welt
Die Welt der Entdeckungen. sterreichische Forscher, Sammler, Abenteurer. Hg. von Wilfried SEIPEL.
Ausstellungskatalog (Wien 2001) 347f.
761
Johann Natterer an F.A. Kirchner, Wien, 7. Mrz 1837, WStLB, HS, 7888, 1v-2r.
762
Wiener Zeitung, Nr. 187, 17. August 1836, 1060.
246

und mehr noch die Aufsuchung der Synonimen in so vielen Werken. Sugethiere, Amphibien
und Fische geben auch mehrere Hunderte ab.763

19.1. Enttuschungen und Ehrungen

Im Wiener Naturalienkabinett hatte sich fr Natterer nach seiner Rckkehr wenig verndert.
Karl von Schreibers war noch immer Direktor des Hauses, konnte aber nicht viel fr den
Brasilienreisenden tun. Zwar war bis mindestens 1827 eine Kustodenstelle im
Dienststellenplan des Naturalienkabinetts fr Natterer reserviert gewesen.764 Ende des Jahres
1835 wurden allerdings eine Reorganisation des Naturalienkabinetts und eine Neubesetzung
der Kustodenstellen durchgefhrt. Die Anzahl der Kustodenstellen wurde von sechs
(Personalplan von 1822) auf nur mehr vier eingeschrnkt.765 Natterer blieb nichts brig, als
wieder jenen Posten einzunehmen, den er bereits 20 Jahre zuvor inne gehabt hatte: Assistent
(Adjunkt) in der Zoologischen Abteilung, die sein Bruder Joseph leitete. Bitter beklagte sich
Natterer darber, dass ihm seiner Meinung nach die Anerkennung fr seine Leistungen und
sein Engagement weitgehend versagt blieb, vor allem im Vergleich zu Johann Emanuel Pohl:
Hier am Kabinet ist alles unverndert [] und ich bin Custos-Adjunct bey meinem Bruder
nicht mehr. Ich habe es weit gebracht durch meine 34jhrigen, dem Kaiser geleisteten Dienste
und durch 18jhriges mheseliges Reisen in Brasilien, wo ich meine Gesundheit verlohr und so
oft mein Leben aufs Spiel setzte. Dr. Pohl ist gleich zum Custos ernannt worden, obschon er nie
an unserm Kabinet diente und bekam Personalzulagen und erhielt auch noch von der
bras[ilianischen] Regierung den Orden des sdlichen Kreutzes.766
Vorschlge, den Brasilienreisenden mit einer Dopplung seines bisherigen Gehalts von 900 fl.
fr seine Reisettigkeit zu entlohnen bei gleichzeitiger Verpflichtung, sich der Aufarbeitung
der Brasilien-Sammlungen zu widmen, wurden vom Oberstkmmereramt zwar untersttzt,
aber vom Kaiser nicht angenommen. Natterer bekam jedoch eine jhrliche Personalzulage
von 600 fl. zugesprochen.767

763

Johann Natterer an Josef Natterer, Borba, 21./28. Dezember 1829, WStLB, HS, 7883.
FITZINGER: Geschichte, III. Abt. (1868) 41 und 57.
765
SCHWEIZER: Zur Geschichte der k.k. vereinigten Hofnaturalienkabinette (2001) 67-90, bes. 77f. und 85f.
766
Johann Natterer an Rochus Schch, Wien, 27. Mrz 1839, WStLB, HS, 7888, 8r-9r.
767
Vortrag des Oberstkmmereramtes, Wien, 24. Oktober 1836, HHStA, Oberstkmmereramt, Karton 311 B,
Akten 1836, Rubrik 58/3, Zl. 1725; Dekret an den Kustosadjunkten Johann Natterer, Wien, 1. Jnner 1837,
247
764

Anerkennung bekam Natterer im Ausland. Am 10. April 1822 also noch am Beginn seiner
Reisen ins Landesinnere von Brasilien wurde er auf Antrag von Dr. Wilhelm Smmering
als korrespondierendes Mitglied in die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft
(SNG) in Frankfurt aufgenommen.768 Natterer war auch membre fondateur der Paris Socit
Cuvirenne.769 Im selben Jahr wurde er auch Mitglied der Gesellschaft naturforschender
Freunde zu Berlin. Fr die Aufnahme vorgeschlagen hatte ihn der Helminthologe Karl
Asmund Rudolphi (1771-1832) in der Sitzung am 14. Mai 1822.770 In der Sitzung vom 11.
Juni 1822 wurde der Vorschlag einstimmig angenommen.771
Die bedeutendste Wrdigung erhielt Natterer mit der Verleihung des Ehrendoktorats durch
die Universitt Heidelberg. Mit Antrag vom 28. April 1822 beschlossen die Mitglieder der
philosophischen Fakultt die Verleihung des Ehrendoktorats fr Johann Natterer. Das Diplom
wurde am 7. Mai 1822 ausgestellt.772 Dass die Staatskanzlei Johann Natterer sen. damals
angeblich wissen lie, er solle diese Ehrung im Namen seines Sohnes ablehnen,773 wirft ein
seltsames Licht auf das Verhltnis der sterreichischen Politik zu den Wissenschaften oder
vielleicht zu deren deutschen Vertretern. Die Universitt schickte jedenfalls das Diplom nach
Wien, wie aus einem Brief des Vaters hervorgeht, der sich im Namen des abwesenden Sohnes
beim Dekan der Fakultt bedankte.774

19.2. Netzwerke unter Naturwissenschaftern

Neben Sichtung und Ordnen seiner Sammlungen und der Arbeit an wissenschaftlichen
Publikationen beschftigte sich Natterer (soweit es aus den vorhandenen Quellen hervorgeht)
vor allem mit dem Aufbau von Netzwerken und dem weiteren Ausbau der
HHStA, Oberstkmmereramt, Karton 317 B, Akten 1837, Rubrik 58/3, Zl. 2.
Protokollbuch 1, Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft, SNG-Archiv nennt als Antragsteller Dr.
Smmering jun., den Sohn von Samuel Thomas Soemmering (1755-1830). Fr diese Informationen danke ich
Herrn Dr. Konrad Klemmer, SNG-Archiv, Frankfurt/Main.
769
SCHRCKINGER: Erinnerung (1855) 732; WURZBACH: Biographisches Lexikon (1869) 100.
770
Museum fr Naturkunde der Humboldt-Universitt zu Berlin, Historische Bild und Schriftgutsammlung (MfN
d. HUB, HBSB), GNF, S, Tgb. VIII, 149. Im Protokoll heit es H. Rudophi schlug den in Brasilien
sterreichischen Naturforscher Joseph (!) Natterer zum Mitglied vor. Die Vornamen der Familien Natterer
wurden offenbar verwechselt.
771
MfN d. HUB, HBSB, GNF, S, Tgb. VIII, 151. Fr diese Hinweise danke ich Frau Dr. Hannelore Landsberg.
772
Sitzungsprotokolle der Philosophischen Fakultt 1822, Universittsarchiv Heidelberg.
773
BLAAS: sterreichs Beitrag (1976) 31.
774
Johann Natterer sen. an Hillebrand, Wien, 22. Mai 1822, Universittsarchiv Heidelberg.
248
768

naturwissenschaftlichen Sammlungen, zum Teil im Zuge neuer Reisen. In den Jahren nach
seiner Rckkehr aus Brasilien ist Natterers Arbeit an und in Netzwerken auf
unterschiedlichen Ebenen sehr deutlich nachzuvollziehen.775
Aus einem kleinen Konvolut erhaltener Briefabschriften geht hervor, dass Natterer weit
reichende internationale Kontakte pflegte. Meist geht es in den erhaltenen Fragmenten um
Vermittlung, Tausch oder Ankauf naturwissenschaftlicher Gegenstnde oder Austausch von
Informationen mit anderen Wissenschaftern. Neben dem Schriftverkehr mit dem
Ornithologen John Gould (1804-1881)776 sind unter anderem Kontakte mit Johann Friedrich
Brandt (1802-1879),777 und Johann Horkel (1769-1846) nachweisbar.778 Auch in einem Brief
an Rochus Schch, einst Bibliothekar der Prinzessin Leopoldina und nun Lehrer des jungen
Kaisers Pedro II., ntzt Natterer die Gelegenheit, wissenschaftlichen Verkehr zwischen Wien
und den Museen in Rio de Janeiro anzubahnen.779
Im September 1837 nahm Natterer an der Versammlung naturforschender Freunde, der
alljhrlichen Versammlung deutscher Naturforscher und rzte, in Prag teil.780 Natterer hielt
dort in den Zoologischen Verhandlungen einen Vortrag ber Abbildungen von Fischen und
Lurchen aus Brasilien und beschrieb in einem Beitrag die Lepidosiren, die von ihm in
Brasilien entdeckten Lungenfische.781
Johann Natterer scheint ein Ruheloser geblieben zu sein. Auf eigene Kosten unternahm er
weitere Sammel- und Tauschreisen: 1838 nach Nordeuropa (Deutschland, Dnemark, Russland,
Schweden), 1840 nach Sddeutschland, Frankreich, Grobritannien und die Niederlande
beide Male ohne Untersttzung und auf eigene Kosten.782 Hauptzweck war, die Museen zu
besehen und Tauschverkehr mit ihnen einzuleiten,783 aber Natterer plante nach eigener Aussage

775

Zum Netzwerk-Begriff vgl. BHME: Netzwerke (2004) 17-36.


Vgl. Johann Natterer an John Gould, Wien, 16. Februar 1837, WStLB, HS, 7888, 1r-1v; Johann Natterer an John
Gould, Wien, 18. Jnner 1838, WStLB, HS, 7888, 4v-5v.
777
Johann Natterer an Johann Friedrich Brandt, Wien, 21. Mrz 1839, WStLB, HS, 7888, 7r; Brandt (18021879) war Mediziner und Zoologe, seit 1831 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg, vgl.
JAHN: Geschichte der Biologie (2000) 785).
778
Johann Natterer an Johann Horkel, Wien, 22. Mrz 1839, WStLB, HS, 7888, 7r; Johann Horkel (1769-1846)
war Mediziner und Professor fr Pflanzenphysiologie in Berlin, vgl. JAHN: Geschichte der Biologie (2000) 859.
779
Johann Natterer an Rochus Schch, Wien, 27. Mrz 1839, WStLB, HS, 7888, 8r-9r.
780
Johann Natterer an Johann Georg Schwarz, Wien, 17. Februar 1838, WStLB, HS, 7888, 6r-6v.
781
Isis von Oken, Heft VI (1838) 596 weist die beiden Beitrge in den Protokollen der Sitzungen aus, ohne auf
den Inhalt der Beitrge einzugehen. Ein Vortrag ist nicht abgedruckt.
782
SCHRCKINGER: Erinnerung (1855) 731; WURZBACH: Biographisches Lexikon (1869) 99.
783
Johann Natterer an Johann Carl Hocheder, Wien, 30. Dezember 1838, WStLB, HS, 7888, 11r-11v.
249
776

auch eine Monographie ber Vgel. In seinen Briefen ist von weiteren Reiseplnen nach
London, Leiden und Paris die Rede, die notwendig wren, um eine derartige Arbeit zu
verfassen784 und die er offenbar 1840 auch durchfhrte. Bei seinem Tod hinterlie er ein
Manuskript dieser ornithologischen Studie, das jedoch 1848 beim Brand der Hofburg vernichtet
wurde.785
Die Reise nach Nordeuropa ist etwas genauer dokumentiert. Zwei Brief-Fragmente, an den
Bruder Josef gerichtet, blieben erhalten.786 Natterer reiste ber Dresden, Berlin, Hamburg,
Lbeck nach Petersburg, von dort ber Finnland nach Stockholm, Kopenhagen, Kiel und
wieder ber Hamburg nach Berlin, um die verschiedenen nordischen Museen und Samlungen
zu besehen.787
Museumsreisen gehrten zur notwendigen Arbeit des Naturforschers. Sie ermglichten das
Knpfen von Kontakten, den Besuch vergleichbarer Sammlungen, Austausch mit
wissenschaftlichen Institutionen und Forschungsarbeiten (beschreiben und zeichnen) in
verschiedensten naturkundlichen Sammlungen. Neben der Arbeit in den Sammlungen wurden
auf solchen Reisen auch Kauf- und Tauschgeschfte vereinbart, durch die das jeweils eigene
Museum mit Bestnden versehen werden konnte, auf die es sonst keinen Zugriff hat. Anhand
der Briefe aus Schweden knnen wir den Naturforscher fr ein kurzes Stck auf einer seiner
Museumsreisen788 begleiten.
Am 12. September 1838 verlie Johann Natterer St. Petersburg. Nach kurzen Aufenthalten in
Helsingfors und Reval traf er am 3. Oktober in Stockholm ein. Drei Tage spte fuhr er nach
Uppsala, verbrachte zwei Tage in einschlgigen Sammlungen und kehrte am 8. Oktober nach
Stockholm zurck. Am 14. Oktober reiste Natterer nach Lund weiter, von wo ihn die weitere
Reise ber Dnemark zurck nach Deutschland fhrte. Besonderes Interesse zeigte Natterer fr
die Beschreibung von Museen und naturwissenschaftlichen Sammlungen, vor allem den
zoologischen Abteilungen. Aber in der Tradition aufgeklrter Bildungsreisen versuchte
Natterer, alles Interessante, Neue, Moderne zu erfassen auch Einrichtungen, die abseits seines
784

Johann Natterer an Josef Natterer, Uppsala, 8. Oktober 1838, WStLB, HS, 7887.
SCHRCKINGER: Erinnerung (1855) 731.
786
Johann Natterer an Josef Natterer, 3. / 14. Oktober 1838, Stockholm / Ystadt, WStLB, HS, 7886; Johann
Natterer an Josef Natterer, Uppsala / Stockholm, 8. / 9. Oktober 1838, WStLB, HS, 7887.
787
Johann Natterer an Rochus Schch, 1839 Mrz 27, Wien, WStLB, HS, 7888, 8r-9r.
788
Zur Bedeutung von Museen als Reiseziele fr Wissenschafter vgl. KORFF, Georg: Museumsreisen. In:
BAUSINGER, Hermann - BEYRER, Klaus - KORFF, Gottfried (Hg.): Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum
modernen Tourismus (Mnchen 2 1999) 312-318.
250
785

eigenen Fachgebietes lagen. In bo (heute Turku, Finnland) gab es zwar kein Museum, aber
gemeinsam mit anderen Reisenden wurde das Observatorium besucht, ebenso eine Webe- und
Spitzmacher-Lehranstalt fr arme Mdchen, wo man schon recht gute Leinwand verfertigt.789
In Helsingfors schloss Natterer Bekanntschaft mit Dr. Tenkstroem, der sich einige Zeit in Wien
aufgehalten hatte und ein Freund des Helminthologen Gottfried Bremser gewesen war.
Tenkstroem fhrte Natterer ins naturkundliche Museum. Der Aufstellung des Museum und
einer inhaltlichen Charakterisierung der naturwissenschaftlichen Sammlung widmete Natterer
besondere Aufmerksamkeit:
Der Saal, wo die Vgel und sehr wenige Sugethiere stehen, hat 10 Fenster und 6 Wand- und 8
Pfeilerksten von Mahagonyholz, innen hellblau angestrichen. Auf 4 oder 5 Querbrettern sind
die Vgel bereinander vertheilt und was mich sehr wunderte die kleinsten Vgel ganz oben
und so allmhlich bis zu den grssten herab, die ganz unten stehen. Die Vgl stehen auf sten
nach der preussischen Mode, die auch in Petersburg angenommen ist. Ein zweytes Zimmer
enthlt die Fische, Amphibien, Conchilien, Mollusken, Insekten und Pflanzen. Das
Finnlndische Museum, oder die Thiere Finnlands haben ein eignes Zimmer und diese stehen
noch in kleinen Glasksten, hchsten zu 2 Vgeln, ebenfalls wieder die kleinen in der Hhe,
dass ich des andern Tages eine Leiter haben musste, um sie genauer zu besehen.790
Natterer nutzte auch die Gelegenheiten, um bestimmte Objekte fr die kaiserlichen
Sammlungen zu erwerben, sei es bei ortansssigen Prparatoren oder seinen Gastgebern. Auch
im weiteren Verlauf der Reise schloss Natterer neue Bekanntschaften, wie zum Beispiel mit
Ferdinand Baron von Wrangel (1796-1870), der von 1826 bis 1834 Generalgouverneur von
Russisch-Amerika

(Alaska)

gewesen

war

und

den

Natterer

mit

Hilfe

eines

Empfehlungsschreiben des Zoologen und Anatom Karl Ernst von Baer (1792-1876) kennen
lernte.791
Gleich nach seiner Ankunft in Stockholm am 3. Oktober 1838 traf Natterer in der Akademie der
Wissenschaften mit Professor Elias Magnus Fries (1794-1878), einem schwedischen Botaniker,
der als erster ein System zur Klassifikation der Pilze entwickelt hatte, zusammen sowie mit dem
Ornithologen und Mediziner Karl Jakob Sundevall (1801-1875) aus Lund, der gerade mit einem
Teil einer franzsischen Spitzbergen-Expedition von Hammerfest ber Lappland in Stockholm
angekommen war.792 Von Stockhom aus unternahm Johann Natterer am 6. Oktober 1838 einen
789

Johann Natterer an Josef Natterer, Stockholm, 3. Oktober 1838, WStLB, HS, 7886.
Johann Natterer an Josef Natterer, Stockholm, 3. Oktober 1838, WStLB, HS, 7886.
791
Johann Natterer an Josef Natterer, Stockholm, 3. Oktober 1838, WStLB, HS, 7886.
792
Johann Natterer an Josef Natterer, Stockholm, 3. Oktober 1838, WStLB, HS, 7886. Natterer berichtet von der
251
790

kurzen Abstecher in das nahe gelegene Uppsala. Auch hier stehen Besuche bei
Naturwissenschaftern und Museen im Zentrum. Wieder ist es Natterer besonders wichtig, ber
Inhalt und Aufstellung der naturwissenschaftlichen Sammlungen zu berichten und diese zu
beurteilen:793
Am andern Morgen verfgte ich mich gleich zu Herrn Professor Vahlenberg, der mich gleich
von seiner Wohnung in die botanische Samlung, wo auch die kleinen Vgel stehen, fhrte. Diese
Vgel stehen alle in kleinen Glasksten, jedoch kann man den Glasdekl abnehmen und so den
Vogel besehen oder gar herausnehmen, denn ihre meist gedreht Posament und Kreutze sind
bloss mit Gummi angeklebt. []Die Bestimmungen waren von Thunberg, aber so viele grobe
Fehler, dass mir so etwas noch nicht vorgekommen war. [] Nun fhrte er mich hinunter, wo
die grossen Vgel, Sugethiere, Fische und Amphibien stehen. Es sind 2 Sle. In dem grossen
werden auch die Vorlesungen gehalten und dort steht das Monument des Linn. [] Ich sah
hier einige merkwrdige Antilopen, darunter die An. Sylvicultirx Afzelius (Aeta nova
upsalienses) aus Sierra Leone, die Musophaga gigantea eben daher, die Platalea pygmaea, der
merkwrdigste aller Sumpfvgel, welcher allein die Reise nach Schweden lohnen wrde. Ich
habe zwey Zeichnungen davon verfertigt. [] Ich war gestern und heute bis 5 Uhr abends mit
Professor Vahlenberg auf dem Museum, auch nthigte er mich, mit ihm zu essen. [] Zwey
Tage, um ein Museum zu meistern, sind zu kurz. Ich habe gewiss manches bersehen. Auch
stehen die Glasksten so hoch bereinander, dass ich auf einer 20 Schuh hohen Leiter
herumkletterte. Als ich schon geendet glaubte, entdekte ich noch eine Procellaria von Brasilien,
wie Pussinus, die ich noch zeichnen musste. Ich habe nun schon 37 Arten Procellarien
beschrieben und einige stehen in unserm Kabinete, die nicht dabey sind.794
Besonders interessiert zeigte sich Natterer in Schweden an einem Besuch bei Sven Nilsson
(1787-1883), Ornithologe und Professor fr Zoologie in Lund. ber ein Treffen mit Lund gibt
es allerdings keine Berichte. Von Stockholm aus reiste er am 11. Oktober 1838 nach Lund. Am
Abend vor seiner Abreise war Natterer bei einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften
eingeladen, was Natterer sehr positiv aufnahm. Bei dieser Gelegenheit lernt er auch den
schwedischen Chemiker Jns Jakob Berzelius (1779-1848) kennen:
Ich bin sehr gut von den Schweden aufgenommen und
Abend vor meiner Abreise war ich in einer Sitzung der
viele Bekanntschaften machte und war dann zum Thee
gerade nebenan seine Wohnung hat, mit der ganzen

es gefllt mir sehr in Stockholm. Am


Academie der Wissenschaften, wo ich
und Souper bey Baron Berzelius, der
Gesellschaft, und erhielt bey dieser

Begegnung mit Dr. Sundwall. Mit der erwhnten Teilnahme an der Spitzbergen-Expedition ist dieser eindeutig
als Sundevall identifiziert, vgl. <de.wikipedia.org/wiki/Karl_Jakob_Sundevall> (28. Mrz 2007).
793
Johann Natterer an Josef Natterer, Uppsala, 8. Oktober 1838, WStLB, HS, 7887.
794
Johann Natterer an Josef Natterer, Uppsala, 8. Oktober 1838, WStLB, HS, 7887. Bei Dr. Vahlenberg knnte
es sich um den Sammler und Afrikareisenden Johann August Wahlberg (1810-1856) aus Uppsala handeln, vgl.
<en.wikipedia.org/wiki/Johan_August_Wahlberg> (28. Mrz 2007).
252

Gelegenheit eine kleine Denkmnze, wie die brigen Fremden.795


Natterers weitere Plne sahen eine Rckreise ber Kopenhagen, Kiel und Hamburg vor. Auch
diese Reisestationen waren mit Rcksicht auf interessante naturwissenschaftliche Sammlungen
in diesen Orten ausgewhlt.796

Die Briefe ber Natterers Reise in Schweden entwerfen ein interessantes Bild der sozialen und
wissenschaftliche Netzwerke, in denen die Naturforscher seiner Zeit agierten und ihr Wissen
austauschten: man besichtigte Museen, befundete und beschrieb Sammlungen sowohl inhaltlich
als auch hinsichtlich ihrer Prsentation, Tausche von Objekten wurden durchgefhrt oder
zumindest vereinbart und angebahnt. Fr das Wiener Museum konnte Natterer schon whrend
des Besuchs in Schweden einen Zuwachs von 100 Arten neuer Vgel vermelden.797
Empfehlungsschreiben ffneten die Tren zu prominenten Wissenschaftern, Einladungen zum
Abendessen oder Tee und Teilnahme an Sitzungen wissenschaftlicher Akademien erlaubten
eine Vertiefung persnlicher Bekanntschaften, die in Verleihung von Auszeichnungen und
Ehrenmedaillen in halb privaten Rahmen gipfelten. Diese Einladungen und Treffen boten fr
Natterer sicher auch Gelegenheit, sein Museum und sich selbst zu prsentieren, aber wie so oft
schweigt Natterer ber seine eigene Rolle.
Die Teilnahme an der scientific community wird konkret greifbar im Austausch von Briefen,
dem Austausch von Objekten, dem Austausch von Empfehlungen und dem Besuch von
Sammlungen. Mobilitt spielt dabei eine groe Rolle, einerseits als Mobilitt der getauschten
Informationen und Objekte, andererseits als Mobilitt des Wissenschafters selbst, der whrend
der Reise im Besuch von Sammlungen und im Kontakt mit Kollegen am wechselseitigen
Austausch von Wissen mitwirkt.798

795

Johann Natterer an Josef Natterer, an Bord des Dampfschiffes St. George. auf der Hhe von Ystadt, 14.
Oktober 1838, WStLB, HS, 7886.
796
Johann Natterer an Josef Natterer, an Bord des Dampfschiffes St. George. auf der Hhe von Ystadt, 14.
Oktober 1838, WStLB, HS, 7886
797
Johann Natterer an Josef Natterer, Uppsala, 8. Oktober 1838, WStLB, HS, 7887.
798
Vgl. die Skizzierung eines solchen Netzwerkes unter Naturwissenschaftern bei SCHWEIZER: Sternberg
(2006) 100-108.
253

19.3. Wissenschaftliche Aufarbeitung der Brasilien-Expedition

Die wissenschaftliche Auswertung der Brasilien-Expedition war insgesamt ein schwieriges


Unterfangen. Professor Mikan hatte ein botanisches Werk ber Brasilien publiziert, Pohl war
frhzeitig verstorben noch vor der Vollendung des zweiten Bandes seines Reiseberichts.
Weitere wissenschaftliche Publikationen lieen auf sich warten. Die Flle von Material, das
Natterer vor allem fr die Zoologie lieferte, war kaum zu bewltigen. Joseph Natterer hatte sich
schon einige Jahre zuvor anlsslich der Tagung der Versammlung deutscher Naturforscher und
rzte in Wien 1832 Sorgen gemacht, dass mit fortschreitender Zeit die Bemhungen seines
Bruders in Hinblick auf die wissenschaftlichen Konkurrenz umsonst gewesen sein knnten:
Es ist zu bedauern, dass bisher von den durch Natterer in Brasilien gesammelten
zoologischen Gegenstnden noch immer nichts ffentlich bekannt gemacht wurde. [] Was
wre nicht zu hoffen von dem Reichthum der Brasilianischen Sammlungen im kaiserl.
Museum? Zgert man aber noch einige Jahre, so wird alles Neue von den Englndern und
Franzosen weggenommen werden.799
Ein Beispiel der Aufarbeitung von Natterers Sammlungen ist die Verffentlichung der
Entdeckung eines brasilianischen Lungenfisches, einer zoologischen Besonderheit, die Leopold
Fitzinger, der Repitlien-Spezialist im Naturalienkabinett, als vollkommenster Uebergang von
den Reptilien zu den Fischen bezeichnete. Am 19. September 1836, einen Monat nach Natterers
Rckkehr, schrieb Fitzinger einen Brief an Kaspar von Sternberg mit der Bitte, die neue
Entdeckung umgehend bei der gerade in Jena stattfindenden Versammlung deutscher
Naturforscher und rzte zu verlautbaren, was auch passierte und so Eingang in die Protokolle
der Versammlung fand. Erst zwei Tage zuvor hatte Fitzinger die Lepidosiren aus Natterers
Sammlung zu sehen bekommen. Fitzinger reklamierte sofort die Entdeckung, dass es sich um
ein Reptil handelt fr sich, whrend Natterer die Exemplare zu den Fischen zhlte.800 Bei der
nchsten Tagung der Naturforscher und rzte in Prag 1837 war es aber, wie bereits erwhnt,
Natterer, der ber die Lepidosiren berichtete. Und es war schlielich Johann Natterer, der seine
neuen Erkenntnisse ber die Lepodisiren paradoxa in den Annalen des Wiener Museums fr
Naturgeschichte (1837) verffentlichte, allerdings in Zusammenarbeit mit Fitzinger. Als
799

Die Naturforscherversammlung in Wien. Vortrag von Joseph Natterer. In: Isis von Oken, Heft IV-VI (1833)
547.
254

Ergebnis seiner Brasilienreisen publizierte Johann Natterer (ebenfalls in den Annalen des
Wiener

Museums

fr

Naturgeschichte)

Beitrge

zur

nheren

Kenntnis

der

sdamerikanischen Alligatoren (1840). Eine Beschreibung einer Tukan-Art wurde in London


verffentlicht.801 Ein gemeinsam mit dem Mnchner Professor Andreas Wagner geplantes
Werk ber die Sugetiere Brasiliens wurde nicht realisiert.802
Schon bei den botanischen Sammlungen von Pohl wurden auf Vermittlung von Kaspar von
Sternberg Teile der Sammlung an Spezialisten weiter gegeben, um eine mglichst gute
wissenschaftliche Bearbeitung zu erreichen, die von einem Forscher alleine nicht mehr zu
bewltigen war.803 Auch die von Natterer gesammelten Objekte blieben nicht in der Hand ihres
Finders, sie reisten weiter in andere Hnde.
August von Pelzeln beschrieb auf der Basis von Natterers Zettelkartei die Sugetiere aus
Natterers Sammlung. Pelzelns Werk ber die Vgel der Sammlung Natterer wurde zur
grundlegenden Studie der brasilianischen Ornithologie.804 Die Fische wurden von Johann Jakob
Heckel805 und Rudolf Kner806 bearbeitet und Carl Moriz Diesing widmete sich in der Nachfolge
des 1827 verstorbenen Wurmdoktors Bremser der Bearbeitung der umfangreichen
Eingeweidewrmersammlung, die Natterer mit groer Akribie zusammengetragen hatte.807
Schon 1819 hatte Rudolphi ein Werk ber Eingeweidewrmer publiziert, die Natterers
Entdeckungen auf diesem Gebiet bekannt machte, und die Vogelsammlung Natterers diente

800

FITZINGER: Vorlufiger Bericht (1837) 379f.


NATTERER, Johann: Lepidosiren paradoxa, eine neue Gattung aus der Familie der fischhnlichen Reptilien.
In: Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien 2 (1840), 165-170; NATTERER, Johann: Beitrge zur
nheren Kenntnis der sdamerikanischen Alligatoren nach gemeinschaftlichen Untersuchungen mit L.J.
Fitzinger. In: Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien 2 (1840) 313-324; NATTERER, Johann: Letter
to Mr. Gould describing a New Species of Araari (Pteroglossus Gouldii). In: Proceedings of the Zoological
Society of London, Parte 5 (1837) 44.
802
WURZBACH: Biographisches Lexikon (1869) 99; SCHRCKINGER: Erinnerung (1855) 731.
803
SCHWEIZER: Zur Geschichte der sterreichischen Brasilienexpedition (1998/99) 76f.; SCHWEIZER:
Sternberg (2006) 102f.
804
PELZLEN, August von: Brasilianische Sugethiere. Resultate von Johann Natterers Reisen in den Jahren
1817 bis 1835 (Wien 1883); PELZLEN, August von: Zur Ornithologie Brasiliens. Resultate von Johann
Natterers Reisen in den Jahren 1817 1835 (Wien 1871).
805
HECKEL, Johann Jakob: Johann Natterers neue Flussfische Brasiliens nach den Beobachtungen und
Mittheilungen des Entdeckers (Erste Abteilung: Die Labroiden). In: Annalen des Wiener Museums der
Naturgeschichte 2 (1840) 327-479.
806
KNER, Rudolf: Ichthyologische Beitrge I. In: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften
(mathemat.-naturwiss. Klasse 17) (Wien 1855) 92-162; KNER, Rudolf: Ichthyologische Beitrge II. In:
Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften (mathemat.-naturwiss. Klasse 26) (Wien 1859) 373-448.
807
DIESING, Carl Moriz: Systema Helminthum (Wien 1850-1851).
255
801

auch als Grundlage fr Studien des Ornithologen Jakob Coenraad Temminck.808 Direktor Karl
von Schreibers publizierte auf Basis der von Natterer gesammelten Tierarten zwei Arbeiten ber
die brasilianische Vogelwelt.809
Aus einem erhaltenen Konzeptfragment geht hervor, dass Natterer auch versuchte, weitere
Forschungen ber Brasilien zu initiieren. Er verfolgte offenbar den Plan zu einer Publikation,
die zur bessern und genauern Kenntniss der Urbewohner des bras(ilianischen)
Kaiserreichs810 beitragen sollte. An wen dieser Entwurf gerichtet war, ist nicht bekannt.
Besonderes Augenmerk legte Natterer in dem erhaltenen Abschnitt auf die Erforschung der
verschiedenen Sprachen, die in schon in Brasilien sehr beschfigt hatte. Unter Bezugnahme
auf eine standardisierte Wortliste regte er die Mitarbeit von in Brasilien lebenden Geistlichen
an:
Um von der Verschiedenheit der Sprachen der Ureinwohner des brasil(ianischen)
Kaiserthumes und deren eigenthmlichen Lebensart eine genaue Kenntniss zu erhalten, um
dadurch auf die wahre Zahl der wirklich voneinander verschiednen Nationen, deren
Verwandtschaften und Verzweigung, wahrscheinlichen Wanderungen oder vielleicht auf ein
Spur, von wo aus die Bevlkerung Brasiliens stattfand, zu schlieen, ersucht der Unterzeichnete
die Freunde der Geschichte der Menschen und besonders die in den Provinzen zerstreute
Gestlichen, die nachfolgenden Worte so viel mglich genau, in die Sprache der verschiedenen
Nationen oder Horden nach portuguisischer Aussprache zu bersetzen und auch Ihre
Lebensweise betreffende Fragen zu beantworten, oder noch andere etwaige nicht aufgefhrte
Eigenthmlichkeiten hinzufgen.811
19.4. Une morte primatur

Die Ausfhrung aller Vorhaben wurde durch Natterers anhaltende Leiden sehr beeintrchtigt.
Die lebensgefhrlichen Krankheiten in Brasilien hatten sich zu chronischen Beschwerden
808

Die Anmerkungen in Isis von Oken, Heft VII (1823) 715 weisen hin auf RUDOLHI, Carl Asmund:
Entozoorum synopsis, cui accedunt mantissa dupplex et indices (Berlin 1819); TEMMINCK, Coenraad Jacob:
Manuel d'ornithologie, ou tableau systmatique des oiseaux qui se trouvent en Europe, precd d'une analyse du
systme gnral d'ornithologie et suivi d'une table alphabtique des espces (Paris 1820-1840) und
TEMMINCK, Coenraad Jacob: Nouveau recueil de planches colories d'oiseaux pour servir de suite et de
completement aux planches enlumines de Buffon dition Folio et in 4 de l'imprimerie royale 1770 (Paris 18201838).
809
SCHREIBERS, Karl von: Collectanea ad faunam Brasiliae. Pars ornitholigica, Fasc. I (Wien 1833);
SCHREIBERS, Karl von: Collectanea ad Ornithologiam Brasliae. Neue Arten von Blumenspechten, Colibri
(Wien 1833); vgl. PICHLER: Schreibers (1993) 89.
810
Johann Natter, nach August 1836, Archiv MVK.
811
Johann Natter, nach August 1836, Archiv MVK.
256

entwickelt, besonders was die Leber anlangte. Mehrmals fuhr Natterer zur Kur nach Karlsbad
(heute Karlovy Vary, Tschechien), die Linderung seiner Erkrankungen war aber meist nur von
kurzer Dauer. Die kalten Wintermonate machten ihm besonders zu schaffen. Selbst stets schwer
krank, verlor Johann Natterer innerhalb kurzer Zeit seine brasilianische Frau Maria do Rego und
eines seiner Kinder, das bereits in Wien geboren worden war. In einem Brief berichtet er vom
Tod seiner Frau, die das raue Klima nicht vertragen konnte.
Ich war den ganzen Winter von 1836 krank und zwar an einem Leberleiden und musste voriges
und dieses Jahr nach Karlsbad, um mich zu kuriren und bin noch nicht ganz hergestellt. Und
meiner armen Frau gieng es noch bler, obschon anfangs besser als mir. Am 30. Mrz 1837
gebahr sie mir einen gesunden Knaben. Am Ende der Schwangerschaft hatte sie imer
Schmerzen auf der linken Seite in der Gegend des Zwerchfells. Der Arzt wollte ihr nicht
Aderlassen, doch nach der Geburt vermehrte sich der Umstand. Es kam ein starker Husten dazu
und man befrchtete eine knotige Lungensucht. Doch da es Frhjahr wurde, so erhohlte sie sich
wieder und schien Besserung zu versprechen. Ich muste Ende August nach Karlsbad und
schikte sie aufs Land. Doch der sehr schlechte Herbst war ihr sehr nachtheilig. Sie kam bald in
die Stadt zurk und als ich am 2. Oktober von Karlsbad zurkkam, fand ich sie im Bett und viel
schlechter. Die Lungensucht war ausgebildet und gieng schnell vorwrts. Zusehends wurde sie
magerer und am 8. December verschied die rmste, die so weit mir gefolgt war, um hier in
unsern unwirthbaren Klima einen frhen Tod zu finden.812
Nur Gertrude (1832-1895), die Brasilianerinn,813 wie Natterer sie einmal nannte, berlebte als
einziges der Kinder. Sie heiratete spter den Freiherrn Julius Schrckinger von Neudenberg
(1814-1882), einen hheren Finanzbeamten, der als Vizeprsident der zoologisch-botanischen
Gesellschaft auch naturwissenschaftliche Interessen hatte.814
Am 21. Juni 1843 erschien in der Wiener Zeitung unter der Rubrik Verstorbene zu Wien
eine kurze Notiz. Wie damals blich unter Angabe von Alter, Wohnort und Todesursache heit
es dort: Hr. Johann Natterer, Custos-Adjunct am k.k. Hof-Naturalien-Cabinette, alt 56 J., auf
der Landstrae Nr. 646 [heute Wien-3, Reisnerstrae 5, K.S.], am wiederhohlten
Lungenblutsturz.815 Die alten Leiden aus Brasilien hatten Natterer in den letzten Jahren das
Leben schwer gemacht. Seine Gesundheit war angegriffen. Schlielich blieben die
812

Johann Natterer an Johann Carl Hocheder, Wien, 30. Dezember 1838, WStLB, HS, 7888, 11r-11v; vgl.
Johann Natterer an J.G. Schwartz, Wien, 17. Februar 1838, WStLB, HS, 7888, 6r-6v. Die Wiener Zeitung, Nr.
283, 12. Dezember 1837, 1626 meldet den Tod von Natterers Gattinn Maria Josepha, alt 30 Jahr.
813
Johann Natterer an Johann Carl Hocheder, Wien, 30. Dezember 1838, WStLB, HS, 7888, 11r-11v.
814
Julius Schrckinger-Neudenberg (1814-1882, Freiherr seit 1870) war Vizeprsident der
Finanzlandesdirektion Niedersterreich und Sektionschef im Ackerbauministerium, vgl. BL, Bd. 11 (1999)
228.
815
Wiener Zeitung, Nr. 169, 21. Juni 1843, 1303.
257

Langzeitfolgen seiner Lebererkrankungen nicht aus. Ein Blutsturz beendete sein Leben am 17.
Juni 1843. Natterers dstere Befrchtungen eines frhen Todes angesichts seiner ersten
schweren Erkrankung im Jahr 1826 waren eingetreten: Enfin je regarde mon mal comme la
cause la plus sure d'une mort primatur,816 hatte er damals an seinen Freund Manso
geschrieben.
Einige Tage spter erschien in der Wiener Zeitung ein ausfhrlicher Nachruf. Sein
Lebenswerk zusammenfassend wrdigt der Artikel die Verdienste und das Ansehen, die sich
Natterer in den Naturwissenschaften erworben hatte.
Durch den am 17. Junius d. J. erfolgten Tod des durch seine Reisen und die vielen auf
denselben gemachten Entdeckungen allgemein bekannten, unter den Deutschen hochgestellten
Ornithologen, Dr. Johann Natterer, hat Oesterreich einen seiner verdienstvollsten
Naturforscher, die Wissenschaft einer ihrer getreuesten Anhnger verloren. [] Biederkeit und
Rechtlichkeit waren die Grundzge seines schlichten, edlen Charakters; Eifer fr die
Wissenschaft sein einziges Streben. Ausgebreitete Kenntnisse und reiche Erfahrungen in den
verschiedensten Zweigen der Zoologie, vereint mit seltener Anspruchslosigkeit, erwarben ihm
die Achtung aller Zoologen, so wie ihm sein umfassendes Wissen im Gebiethe der Ornithologie
jenen Ruf verschaffte, der ihn unter die ersten dieser Wissenschaft gestellt und seinem Nahmen
ein unvergngliches Denkmal gesetzt. 817

20. DIE SAMMLUNGEN JOHANN NATTERERS

Dies also ist die ausgestopfte Welt, dachte ich. Mitten


in Wien, nur wenige Schritte von Hofburg und
Parlament, Oper und Volksgarten entfernt. Eine
steinerne Arche Noah, voll der Nashrner, und
funkelnden Kfer, Mambas und Kondore, Quallen und
Elche. Ein Depot der Erinnerungen an Gottes schnste
Werke aus seiner manischen Phase.
Andr Heller: Der sterreichische quator am Rande
der Arktis. In: Die prparierte Welt. Buchkatalog zur
Ausstellung. Hg. vom Naturhistorischen Museum Wien
(Wien 1994) 5.

816

Johann Natterer an Antnio Luiz Patricio da Silva Manso, Zuckermhle des Capito Gama, 18. August 1826,
Archiv MVK.
258

Natterers Sammlungen werden heute in den Museen an der Wiener Ringstrae aufbewahrt. Im
Museum fr Vlkerkunde lagern fast 2000 ethnographische Objekte, die er whrend seiner
Reisen sammelte. Die naturwissenschaftlichen Sammlungen sind in die Bestnde des
Naturhistorischen Museums als Nachfolger des ehemaligen Naturalienkabinetts integriert.
Vieles davon ist auch in der Schausammlung zu sehen.
Bei seinem Tod hinterlie Natterer ein riesiges wissenschaftliches Erbe. Die Gesamtausbeute
seiner Reisen und Forschungen umfasste 1146 Sugetiere, 12293 Vgel, 1678 Amphibien, 1621
Fische, 32825 Insekten, 409 Krustazeen, 951 Konchylien, 73 Mollusken, 1729 Glser mit
Eingeweidewrmern, 42 Prparate, 192 Schdel, 242 Samen, 138 Holzmuster, 430 Mineralien
und 216 Mnzen.818 Dazu kam noch die ethnographische Sammlung mit 1741 Objekten.
Weitere 125 nicht exakte zuordenbare Stcke knnten ebenfalls zu den von Natterer
erworbenen Stcken gehren.819
Ungelst war zum diesem Zeitpunkt die Frage, was mit den ungeheuren Massen an Material
geschehen sollte, da das Naturalienkabinett selbst schon hoffnungslos berfllt war. Die von
Natterer gesammelten ethnographischen Objekte waren zusammen mit den Funden seiner
Kollegen der Brasilienexpedition einige Zeit im Brasilianischen Museum und im Kaiserhaus zu
besichtigen, blieben aber in der Folge abgesehen von Einzelstcken weitgehend unbearbeitet
und verschwanden in verschiedenen Depots.
Das Brasilianische Museum war trotz ber zehn Jahren Bestand nur ein vorbergehende Lsung
gewesen. Kaiser Franz I. befrwortete stets eine Eingliederung der Brasiliensammlungen in die
Bestnde des Naturalienkabinetts. Diese sollte nach dem Ende der Brasilienexpedition
geschehen. Der Kaiser erlebte zwar die Rckkehr seines letzten Naturforschers in Brasilien
nicht mehr, aber sein Wunsch wurde umgesetzt. Nach seinem Tod 1835 wurde das
Brasilianische Museum durch kaiserliche Verfgung am 5. Juni 1836 geschlossen.820 Der
Mietvertrag fr die Rumlichkeiten im Harrachschen Haus war abgelaufen und die
Staatskonferenz beschloss im Namen des neuen Kaisers Ferdinand wie von Franz I.

817

Wiener Zeitung, Nr. 174, 26. Juni 1843, 1339.


Josef Natterer, Totalbersicht des Gehalts aller aus Brasilien whrend den Jahren 1817-1836 von den K.K.
Naturforschern eingeschickten Sendungen, Februar 1837, Archiv MVK; vgl. KANN: Brasilienexpedition (1992)
49.
819
KANN: Brasilienexpedition (1992) 111f.
820
MAUTHE: (1993) 91.
259
818

vorgesehen die Eingliederung der Bestnde in das Naturalienkabinett.821


Natterer kam im Sommer 1836 gerade rechtzeitig zur Auflsung des Brasilianischen Museum
nach Wien zurck. ber das Ende dieser Ausstellung war er sehr enttuscht, aber es blieb ihm
nichts brig, als gemeinsam mit seinem Bruder Josef die naturwissenschaftlichen Objekte in das
Hofnaturalienkabinett zu bersiedeln, soweit dies auf Grund des akuten Platzmangels in der
Hofburg mglich war. Die ethnographischen Objekte wurden in das so genannten Kaiserhaus
(damals Ungargasse 389, heute Ungargasse 67-69/Juchgasse 2, Wien 3) transferiert, wo sie in
sieben Ausstellungsrumen gezeigt wurden. Johann und Joseph Natterer bernahmen die
Aufstellung der Objekte, Johann Natterer wurde mit der Aufsicht ber das Museum betraut.822
Wie die Aufstellung der ethnographischen Objekte im Kaiserhaus konzipiert war, zeigt eine
Serie von Aquarellen der einzelnen Vitrinen.823 Auffllig dabei ist aus heutiger Sicht eine
offensichtliche Vorliebe fr in geometrischen Mustern arrangierte Waffen und Gerte. Die
Relikte aus dem brasilianischen Urwald sind nach Ethnien und Objektgruppen geordnet,
erscheinen aber losgelst von ihrem sozio-kulturellen Hintergrund, eingefgt in ein dekoratives
System von Ordnung und Harmonie.
Bereits 1840 musste das Gebude in der Ungargasse wieder gerumt werden, da es als Quartier
fr die lombardisch-venezianische Leibgarde dienen sollte. Die insgesamt 60 Kisten
umfassenden Sammlung (etwa 3000 Objekte) wurde in den Augarten gebracht, 1847 in das
Modeneserhaus in der Herrengasse und im selben Jahr ein weiteres Mal in die beengten
Rumlichkeiten am Josefsplatz umgesiedelt, diesmal in die Wagenremise.824 Ein dumpfer,
feuchter Lagerort, der aber wenigstens verhinderte, dass die ethnographischen Sammlungen
beim Brand der Hofburg im Revolutionsjahr 1848 beschdigt wurden. Der Brand ausgelst
durch die Beschieung der Stadt durch die Truppen des Frsten Windischgrtz zerstrte Teile
des Hofnaturalienkabinetts, der dazu gehrenden Bibliothek und die Dienstwohnung des
Direktors Karl von Schreibers. Dabei wurden auch zahlreiche naturwissenschaftliche Objekte
aus Brasilien vernichtet.825
Wenn auch die Kollegen mit ihren Publikationen Natterers Werk fortfhrten, so berrascht
821

KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1990) 247.


FITZINGER: Geschichte, II. Abt. (1868) 69.
823
Die Aquarelle sind heute im Besitz des Museums fr Vlkerkunde in Wien, publiziert bei FISCHER:
Anmerkungen zu Gegenstnden der Indianer aus der Sammlung Johann Natterer (1994) Tafel I-XXI.
824
FITZINGER: Geschichte, II. Abt. (1868) 70.
825
RIEDL-DORN: Haus der Wunder (1998) 123-127.
260
822

angesichts dieser Umstnde doch nicht das Urteil Wurzbachs ber die Brasilien-Expedition:
Durch Natterers schnellen Tod zerfielen die Erwartungen, welche man von den
sterreichischen Naturforschern der brasilianischen Expedition wissenschaftlicher Seits gehegt,
beinahe ins Nichts.826 Whrend die zoologischen Sammlungen in die Bestnde und
Ausstellungen des spteren Naturhistorischen Museums integriert wurden, fielen vor allem die
ethnographischen Sammlungen mehr oder weniger dem Vergessen anheim.
Direktor Schreibers hatte gemeinsam mit Metternich schon 1835 die Errichtung eines eigenen
Vlkerkundemuseums vorgeschlagen. 60 Sle und 50 Arbeitsrume sollte dieses Museum
haben eine Idee, die auch im 20 Jahrhundert nur annhernd verwirklicht wurde. Die Schaffung
einer anthropologisch-ethnographischen Abteilung im neuen Naturhistorischen Hofmuseum im
Jahr 1876 war nur eine bergangslsung. Erst 1927 wurde das Museum fr Vlkerkunde als
eigenstndige Institution gegrndet, die die ethnographischen Sammlungen Natterers und einen
Groteil seiner schriftlichen Aufzeichnungen in ihre Bestnde bernahm.827
Trotz

der groen

Bedeutung der ethnographischen

Sammlung Natterers

fr die

Brasilienforschung schlummert ein Groteil der Objekte ohne zeitgeme wissenschaftliche


Bearbeitung in den Depots des Museums fr Vlkerkunde und auch das Forschungsprojekt,
dem diese Arbeit ihre Entstehung verdankt, konnte nur einen Teil der ntigen Aufarbeitung
leisten. Im Museum selbst gibt es bis heute trotz der auerordentlichen Bestnde keine
ffentlich

zugngliche

Brasilien-Schausammlung.

Leopold

Fitzingers

optimistische

Erwartungen ber die Brasilienexpedition aus dem Jahr 1831 klingt was die Prsentation der
ethnologischen Sammlung in einer ffentlichen Ausstellung fr das breite Publikum betrifft
nach wie vor wie ein Versprechen fr die Zukunft:
Die Bereicherung, welche hiedurch den kaiserlichen Museen ward, bersteigt allen Glauben,
und der Gewinn, welcher hieraus der Wissenschaft erwchst, wenn diese ungeheure Masse von
Material ihre Bentzung finden wird, darf unbersehbar genannt werden.828

826

WURZBACH: Biographisches Lexikon, Bd. 20 (1869) 99.


KADLETZ-SCHFFEL: Metternich (1990) 248.
828
FITZINGER, J.L.: Nachrichten aus Brasilien. In: Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr.
15, 3. Februar 1831, 117.
261
827

21. REISEN EINES NATURFORSCHERS - ZUSAMMENFASSUNG

Aber jede Geschichte ist Wahl. Sie ist es schon wegen


des Zufalls, der die Spuren der Vergangenheit hier
zerstrt und dort bewahrt hat. Sie ist es wegen des
Menschen: sobald es reichlich Dokumente gibt, verkrzt
er, vereinfacht er, betont dies und verwischt das. Sie ist
es vor allem deswegen, weil der Historiker seine Stoffe
erschafft oder, wenn man will, neuerschafft. [] Sie
deutet. Sie legt zurecht. Sie erstellt wieder und ergnzt
die Antworten. Sie schafft sich die Vergangenheit, die sie
braucht. Und darin liegt kein Skandal, kein Anschlag auf
die vermeintliche Majestt der Wissenschaft.
Lucien Febvre: Ein Historiker prft sein Gewissen.
Antrittsvorlesung am Collge de France 1933. In:
Lucien Febvre: Das Gewissen des Historikers. hg. und
aus dem Franzsischen bersetzt von Ulrich Rauff
(Frankfurt/Main 1990) 13 und 20.

Die sterreichische Brasilien-Expedition von 1817 war eines der ambitioniertesten und im
Ergebnis reichhaltigsten Sammelunternehmungen, die den Habsburger Kaisern Gelegenheit
boten, ihre naturwissenschaftlichen Sammlungen zu bereichern. Aufgabe der Expedition war
das Sammeln von botanischen, zoologischen und mineralogischen Objekten den
klassischen drei Reiche der Naturgeschichte fr das kaiserliche Hof-Naturalienkabinett.
Im Zuge dieser Sammelreise gelangten groe Bestnde an naturkundlichen und
ethnologischen specimen in die kaiserlichen Sammlungen. Dies ist vor allem das Verdienst
von Johann Natterer, der als einziger der Expeditionsteilnehmer 18 Jahre in Brasilien
verbrachte und erst 1836 nach sterreich zurckkehrte.
Mir ging es in meiner Arbeit nicht um die wissenschaftlichen Leistungen und Erfolge der
Reise, sondern um die Beschreibung einer Forschungs- und Sammelpraxis, die
Voraussetzung fr wichtige Bereiche der europischen Naturwissenschaften war. Mich
interessierte, wie die Naturwissenschaften im konkreten Fall die Zoologie eigentlich zu
den Objekten kamen, mit denen sie arbeitete. Der reisende Sammler machte durch seine
Arbeit einen Groteil des Forschungsmaterials berhaupt erst verfgbar und schuf damit die
Basis fr die naturgeschichtliche Beschreibung und Klassifikation. Daraus ergaben sich fr
262

mich zwei Fragestellungen: zum einen die Frage, wie die Expedition organisiert und
durchgefhrt wurde und zum anderen die Frage, welches Ziel die Forscher und insbesondere
Natterer vor Augen hatten, die Frage nach dem Sinn, den Natterer und seine Kollegen in
ihrem Tun sahen.
Die sterreichische Brasilien-Expedition ist ein Beispiel einer naturwissenschaftlichen
Forschungsreise des frhen 19. Jahrhunderts mit spezifischen Zielen, Aufgaben und
Herangehensweisen an ihre Forschungsgegenstnde. Die Berichte, Briefe und Fragmente der
Reisetagebcher von Johann Natterer erwiesen sich als reich an detaillierten Informationen
fr viele Fragestellungen. Diese Quellen wurden bisher kaum genutzt, um ber allgemeine
Daten und Fakten der Geschichte dieser Expedition hinaus zu gehen.
Aufschluss ber Absichten und Zeile der Expedition erhoffte ich mir von der
Dienstinstruktion, die fr die naturforschenden Reisenden im Dienste des Kaisers angefertigt
wurde. Aber die Dienstinstruktion gab nur einen Rahmen fr die Forschung- und
Sammelarbeit vor, deren wichtigste Punkte disziplinre Fragen, eine Regelung der Aufgabenund Verantwortungsbereiche, Vorschriften fr die Berichterstattung und Dokumentation der
Reise, sowie Reiserouten, Zeitplne und Liste zu sammelnder Tiere, Pflanzen und Mineralien
waren. Die eigentliche wissenschaftliche Arbeit wurde in dieser Form der Arbeitsanleitung
weder in ihren Absichten noch in ihren Arbeitsweisen thematisiert.
Auf die tatschliche Durchfhrung der Forschungsreisen hatte die Dienstinstruktion nur
geringen Einfluss und keineswegs normativen Charakter. Lokale Gegebenheiten, lokales
Wissen und schwer zu planende Begleitumstnde zwangen in der Praxis zu Flexibilitt und
stndiger Abnderung der im Voraus gefassten Plne, was dem Forschungsreisenden selbst
Handlungsspielrume fr relativ selbstndiges und unabhngiges Agieren erffnete. Ziel,
Dauer und Verlauf der tatschlich durchgefhrten Reisen wurden im stndigen brieflichen
Austausch zwischen dem Reisenden und den Verantwortlichen in Rio de Janeiro bzw. Wien
neu verhandelt. In Natterers Briefen zeigten sich deutlich Strategien, die ein klares Ziel
verfolgten, nmlich eine mglichst weitreichende Verlngerung seiner Reisettigkeit in
Brasilien zu erreichen. In den dabei verwendeten Argumentationslinien zeichneten sich die
ueren Bedingungen ab, unter denen die Expedition durchgefhrt wurde.
Natterers Aufzeichnungen enthalten eine Flle von Informationen, die Lebensumstnde,
Infrastruktur, Organisation, Planung und Durchfhrung der Reisen betreffen. Diese Quellen
263

erlauben ber den langen Zeitraum von 18 Jahren hinweg wie bei keinem anderen Teilnehmer
dieser Expedition Einblicke in im Kontext von Forschungsreisen meist vernachlssigte
Aspekte, nmlich den Alltag des Reisenden und die praktische Umsetzung seiner
Vorhaben. Dazu gehrt auch die Beschreibung einer oft tristen und mhseligen
Alltagsrealitt, der sich der Reisende nicht entziehen kann sowie die Bedrohung durch
Krankheit und Tod als Folge ungesunder Lebensumstnde und unzureichender medizinischer
Versorgung.
Sehr vorsichtig habe ich mich dem Problem genhert, Menschen einer ganz anderen Zeit in
ihren Emotionen zu verstehen bzw. ihre Sprache, die sie fr den Ausdruck ihrer Emotionen
verwenden zu interpretieren. Es gibt berhaupt sehr wenige private oder persnliche
Bereiche, in die Natterer diesen Einblick berhaupt zulsst. Seine uerungen ber Gefhle
der Einsamkeit, sein Umgang mit Krankheit und Tod sind Erfahrungen, die direkt mit seinen
Reisen verbunden sind. Aus ihnen spricht meiner Auffassung nach weniger die
Notwendigkeit argumentativer Strategien, sondern ein Bedrfnis nach Kommunikation und
menschlichem Kontakt, den er auch als solchen verstehen konnte. Das war allerdings nur
bedingt der Fall. Whrend Natterer Kontakt zu Menschen suchte, die er als auf einer Ebene
mit ihm befindlich einschtze, wie z.B. rzte, Naturforscher und Vertreter lokaler Behrden,
grenzte er sich von jenen, die mit ihm unterwegs waren, von seinen Helfern, die tglich mit
ihm zu tun hatten, aber, sogar von seinem Jagdgehilfen Dominik Sochor.
Wichtig war mir herauszuarbeiten, dass Natterer keineswegs als alleinreisender Forscher
arbeitete, als der er sich selbst darstellte, sondern dass seine Erfolge auf Zusammenarbeit mit
lokalen Institutionen, Mitarbeit brasilianischer Helfer und Informanten und nicht zuletzt auf
Sklavenarbeit beruhten. Zur Durchfhrung und logistischen Untersttzung und Finanzierung
der Reisen und der Transporte der gesammelten Objekte von Brasilien nach Europa etablierte
Natterer unter Einbeziehung sterreichischer Diplomaten, brasilianischer und britischer
Kaufleute und lokaler Behrden Netzwerke, die diese Reisen mit trugen und ermglichten.
Zur Realitt des Reisenden gehrte auch die Auseinandersetzung mit auereuropischen
Kulturen, die zwischen Faszination und Ablehnung schwankte. Natterer selbst hat sich
jeglicher philosophischer Betrachtungsweisen ber fremde Kulturen enthalten. Er war auch
als frher Ethnograph (Kann) ein Sammler. Er sammelte Waffen, Gerte, Schmuck und
Kleidung, aber auch Wrter und Beobachtungen ber Lebensweisen und Riten. Was ihn
264

seiner Meinung nach von den Indiern, wie er sie nannte, trennte, war nicht Sprache, Rasse
oder Religion, sondern die Zivilisation, deren wichtigste Parameter fr Natterer Kleidung,
Sauberkeit und Arbeitsflei waren. Natterer erschien dieses Projekt der Zivilisation als
unbestreitbar richtig und ohne Alternative: die indigenen Vlker Brasiliens mussten durch
Zivilisierungsmanahmen zu ihrem eigenen Vorteil in die brasilianische Gesellschaft
integriert werden. Dass dabei Gewalt angewendet wurde, irritierte Natterer weniger als der
mitunter gewaltttige Widerstand der Indier.
Was die Beweggrnde fr die Expedition angeht, ist mir wichtig zu betonen, dass das
naturwissenschaftliche Unternehmen wie viele andere dieser Art nicht frei war von
anderen Interessen. Forschungsreisen wurden und werden gerade in dieser Hinsicht gerne auf
ihren wissenschaftlichen Kernbereich reduziert, der scheinbar ohne Kontext existiert und der
nur den Fortschritt der Wissenschaften im Auge hatte. Prestige- und Konkurrenzdenken
waren mit diesem Unternehmen ebenso verbunden, wie politisches und konomisches
Interesse an der Erschlieung neuer Absatzgebiete und die Erforschung von Handelswegen
und -produkten. Schon bei der Entstehung der Expedition spielten politische, konomische
und private Interessen Kaiser Franz I war ein etwa ausgesprochener Blumenfreund, der in
seiner Freizeit im Garten arbeitete eine wichtige Rolle. Die Dienstinstruktion der
Brasilienexpedition verwies ausdrcklich darauf, dass Informationen ber wirtschaftlich
interessante Produkte zu sammeln waren. Vor allem Pflanzen zu finden, die in Europa
nutzbringend angebaut werden konnten, stand auf dem Programm praktisch jeder
Forschungsreise seit den Tagen von Bougainville und Cook. Ein Handelsvertrag war
Bestandteil des Heiratsvertrages fr Leopoldine, ein Handelsversuch wurde unternommen,
um den Markt auszukundschaften. Die reisenden Naturforscher sollten die kommerziellen
Aktivitten durch das Sammeln von Informationen ber Waren, Wegstrecken und Geographie
untersttzen. sterreich, der Staat ohne Kolonien, versuchte auf diese Weise Einfluss zu
gewinnen. Neben dem Ziel eines wie auch immer gearteten Fortschritt des Wissens spielte
ein setting von verschiedensten Interessen bei der Formierung der Expedition eine Rolle.
Trotz des langfristig geringen Erfolgs des sterreichischen Engagements in Brasilien sind die
politischen und wirtschaftlichen Ambitionen nicht zu unterschtzen.
Neben diesen auer-wissenschaftlichen Beweggrnden, die Expedition nach Brasilien
auszursten, gibt es fr Natterer und seine Auftraggeber eine Reihe von Motivationen, die in
265

einem engeren, wissenschaftlichen Feld angesiedelt sind. Besonders die (mittels Briefen
gefhrten) Debatten um die Fortfhrung seiner Reisen lassen erkennen, welchen Zugewinn an
Wissen man sich durch Natterers Reisen erhoffte, welchen Sinn er selbst seiner Sammelarbeit
zuschrieb und was seiner Ansicht nach den enormen Aufwand rechtfertigte, diese Reisen zu
finanzieren und ber 18 Jahre lang zu untersttzen.
Ziel der Expedition war das Schaffen eines berblicks ber die Naturgeschichte Brasiliens
in ihren klassischen drei Bereichen Zoologie, Botanik und Mineralogie. Fr Natterer war das
Museum, das kaiserliche Naturalienkabinett, als dessen Angestellter er Brasilien bereiste,
wichtigster Bezugspunkt. Alle Argumentationen, die der Forscher verwendete, um fr die
Fortsetzung seiner Reisen und die weitere Finanzierung seiner Reisen zu werben, betonten
die Bedeutung seiner Sammelreise fr die Bereicherung des Museums.
Das Auffinden neuer Arten hat Johann Natterer in seinen Berichten zwar stets hervorgehoben,
aber einzelne Neuentdeckungen zu machen oder einzelne, gezielter Forschungsaufgaben zu
erfllen war nicht Hauptzweck der Expedition. Natterers Ziel war ein anderes. Ihm ging es
darum, dem Naturalienkabinett eine Vollkommenheit zu sichern, die sich daran ma,
mglichst viele Objekte und Arten im Museum zu versammeln. Die Zurschaustellung der
Lebewesen im Museum zur Bildung oder Unterhaltung sowie ihre Verfgbarmachung fr die
naturwissenschaftliche Forschung war das zentrale Motiv, das Natterer immer wieder als
Argument fr die Weiterfhrung seiner Reise einsetzte. Dass seine Appelle auch erfolgreich
waren, verweist darauf, dass er diese Ziele mit seinen Auftraggebern teilte.
Die naturkundlichen Museen, die im 18. und 19. Jahrhundert entstanden, waren geprgt von
neu formulierten Vorstellungen von Systematik, Ordnung und Klassifikation. Breit angelegte
Sammlungen sollten mglichst alle Bereiche der Natur reprsentieren. Nicht mehr kuriose
Besonderheiten waren gefragt, sondern eine mglichst vollstndige Sammlung aller
Erscheinungen der Natur. Die Reise als Forschungs- und Sammelpraxis schuf im 19.
Jahrhundert (noch immer) Grundlagen fr wichtige Bereiche der Zoologie und Botanik. Diese
Verfgbarmachung des Forschungsmaterials ermglichte erst die naturwissenschaftlichen
Beschreibungen und Klassifikationen. An diesem Ansatz einer Naturgeschichte im
klassischen Sinne, nmlich dem Sammeln, Benennen und Beschreiben der einzelnen Arten
der natrlichen Umwelt anhand ihrer ueren Formen und Erscheinungen orientierte sich
auch

die

sterreichische

Expedition.

Darin

zeigte

sich

ein

eher

konservatives
266

Wissenschaftsverstndnis. Mit der Avantgarde der naturwissenschaftlichen Forschung, der


damals gerade entstehenden Biologie als Wissenschaft vom Leben und seinen Funktionen
hatte diese Art der beschreibenden Naturgeschichte nur wenig zu tun.
Das Museum mit seiner Sammlung war auch ein Feld der Konkurrenz. Hier wurde versucht,
im

wissenschaftlichen

Bereich Leistungen zu vollbringen, die dem kaiserlichen

Naturalienkabinett eine hervorragende Stellung gegenber anderen Institutionen in Berlin,


Mnchen oder St. Petersburg sichern sollten. Es ging dabei sowohl um das Ansehen des
Museums im Rahmen kaiserlicher Reprsentation als auch darum, frher als andere Museen
Zugang zu neuen Materialien zu erhalten und diese Chance fr sterreich zu ntzen. Dass
dieser Kampf um (wissenschaftliche) Vorrangstellung gerade in Brasilien besonders relevant
war, mag man daraus ersehen, dass Brasilien erst seit etwa 1810 fr Auslnder wirklich
zugnglich ist. Davor war die portugiesische Kolonie fr den Handel wie fr die
Wissenschaft praktisch terra incognita.
Das whrend der Expedition Gesammelte wurde als museales Ausstellungsobjekt Teil der
Reprsentation des Auftraggebers, in diesem Fall des sterreichischen Kaisers. Die
prominente Patronanz sicherte Aufmerksamkeit und schlug sich in der Herausgabe von
Publikationen ber Brasilien, die Berichterstattung in Zeitungen und Zeitschriften und nicht
zuletzt in der Grndung eines Museums nieder. Nach einer ersten Phase der Expedition
entstand mit dem Brasilianischen Museum in Wien ein eigener, wenn auch nur als
bergangslsung gedachter Raum zur Prsentation der in Brasilien gesammelten
naturkundlichen und ethnographischen Objekte. In Zeitschriften und Zeitungen waren die
Reisen der Brasilien-Forscher und besonders Natterers ber lange Jahre prsent.
Verffentlichungen der Reiseerlebnisse wie die von Schreibers und von Pohl versuchten, die
wissenschaftlichen Leistungen der sterreicher darzustellen. Aber in ihrer langfristigen
Wirkung ging diese intensive Auseinandersetzung mit Brasilien kaum ber ersten Jahren der
Expedition hinaus und endete eigentlich mit dem Tod des Initiators der Reise Kaiser Franz I.
im Jahr 1835 und der darauf folgenden Auflsung des Brasilianischen Museums.
Die Arbeit des vermessenden, vergleichenden und zeichnenden naturwissenschaftlichen
Sammlers schreibt eine bestimmte Realitt fest. Es ist der Sammler vor Ort, der aus der
Vielzahl gesammelter Stcke auswhlt, welches Exemplar ein typischer Vertreter seiner
Art anzusehen ist. Durch diesen Akt der Auswahl und Vergabe eines Namens kreiert der
267

Naturforscher eine Ordnung der Dinge (Foucault). Johann Natterer war einer jener
Naturforscher, die diese Ordnung der Dinge mitgestaltet haben. Mir war es wichtig, in
meiner Arbeit zu zeigen, in welchen Zusammenhngen sein Unternehmen stand und unter
welchen Bedingungen dieses Forschungsunternehmen realisiert wurde. Johann Natterer ist
zwar die zentrale Gestalt dieser Geschichte, aber die Berichte, die er ber seine Reisen
verfasste, zeigen Zusammenhnge, die Natterers wohl auch persnlicher Liebe zur
Naturgeschichte viele Aspekte hinzufgen.

268

ABKRZUNGSVERZEICHNIS
Archive und Zeitschriften
HHStA
HS
MVK
NB
WStLB
BL
MSTA
NDB
WZGN

Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien


Handschriftensammlung
Museum fr Vlkerkunde, Wien
sterreichische Nationalbibliothek
Wiener Stadt- und Landesbibliothek
sterreichisches Biographisches Lexikon
Mitteilungen des sterreichischen Staatsarchivs
Neue deutsche Biographie
Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit

Heutige Bundesstaaten Brasiliens


AM
GO
MG
MS
MT
PA
PR
RJ
RN
RO
RR
RS
SC
SP

Amazonas
Gois
Minas Gerais
Mato Grosso do Sul
Mato Grosso
Par
Paran
Rio de Janeiro
Rio Grande do Norte
Rondnia
Rorama
Rio Grande do Sul
Santa Catarina
So Paulo

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS


ARCHIVALIEN
Archiv des Museums fr Vlkerkunde, Wien (MVK)
Briefabschriften, Bestand Natterer (1817-1835)
Notizen, Bestand Natterer (1817-1835)
Tagebuch-Fragmente, Bestand Natterer (1817-1835)
Karte, worauf die Reisen der k.k. sterr. Naturforscher Dr. Pohl und Johann Natterer
angezeichnet sind (1832)
269

bersicht ber die Ausbeuten der Reisen (1836/43)


Original-Etiketten Schott-Pohl-Natterer, Post VII / 1817/1835
Kaufvertrag fr einen Sklaven (12. Juli 1820)

Wiener Stadt- und Landesbibliothek (WStLB)


Handschriftensammlung, 7853-7890 (1817-1839)

sterreichisches Staatsarchiv, Wien, Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA)


Staatskanzlei, Brasilien, Karton 1-24 (1816-1837)
Staatskanzlei, Dipl. Korr., Hannover, Karton 10 (1816)
Staatskanzlei, Wissenschaft, Kunst und Literatur, Karton 6 (1816-1822)
Oberstkmmereramt, Akten 1836, Rubrik 58/3
Oberstkmmereramt, Akten 1837, Rubrik 58/3

sterreichische Nationabibliothek, Wien (NB)


Handschriftensammlung, Autographen 21 / 381 (alter Bestand Schreibers)
Handschriftensammlung, Autographen 463 / 341

Archiv fr Wissenschaftsgeschichte, Naturhistorisches Museum Wien (NHM)


Natterer, Karton Notizen (1827-1834)

Bayerische Staatsbibliothek, Mnchen


Handschriftensammlung, Martiusiana II A 2

Museum fr Naturkunde der Humboldt-Universitt zu Berlin,


Historische Bild und Schriftgutsammlung (MfN d. HUB, HBSB)
GNF, S, Tgb. VIII (1822)

Nrodn Archiv, Prag


Rodinn archiv Metternich (Familienarchiv Metternich), RAM-AC 7/71

270

Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft, Frankfurt/Main (SNG)


Protokollbuch 1 (1822)

Universittsarchiv der Ruprecht-Karls-Universitt, Heidelberg


Sitzungsprotokolle der Philosophischen Fakultt (1822)

Staatsbibliothek zu Berlin Preuischer Kulturbesitz


Handschriftenabteilung, Slg. Darmstdter

ZEITSCHRIFTEN
Isis oder Encyclopdische Zeitung von Lorenz Oken.
sterreichischer Beobachter.
Vaterlndische Bltter fr den sterreichischen Kaiserstaat.
Wiener Zeitschrift fr Kunst, Literatur, Theater und Mode.
Wiener Zeitung.

GEDRUCKTE QUELLEN
ARROWSMITH, Aaron: A New General Atlas. Constructed from the latest Authorities by A.
Arrowsmith (Edinburgh/London 1817).
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eingeleitet von Robert Bernasconi (Bristol 2001).
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whrend eines elfjhrigen Aufenthaltes, von 1810 bis 1821, mit Hinweisung auf neuere
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Jrgen Osterhammel (= Fremde Kulturen in alten Berichten 4) (Sigmaringen 1997).
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SCHMIDL, Adolph: Wien, wie es ist. Ein Gemlde der Kaiserstadt und ihrer nchsten
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Bercksichtigung wissenschaftlicher Anstalten und Sammlungen (Wien 1833).
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Revidirt und zum Druck befrdert von Wilhelm Joseph Schmitt (Wien 1811).
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272

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SCHREIBERS, Karl von: Nachrichten von den kaiserlich-sterreichischen Naturforschern in
Brasilien und den Resultaten ihrer Betriebsamkeit. 2 Bde. (Brnn 1820/1822).
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285

286

Johann Natterer (1787-1843)


Stich (ca. 1836-1843), Bildarchiv der NB

287

Johann Natterers Reiseroute in Brasilien (1817-1835)


Karte von Brasilien, worauf, die Reisen der k.k.sterr. Naturforscher
Dr. Pohl und Johann Natterer angezeichnet sind, Archiv MVK.

288

ABSTRACT

The return of the Austrian naturalist Johann Natterer to Vienna in August 1836 marked the
end of 18 years of travel in Brazil. He has been a member of a scientific expedition arranged
in the course of the marriage of princess Leopoldina, daughter of Emperor Franz I., with the
Portuguese crown prince Dom Pedro, then living in exile in Brazil. Natterer and his assistant
Dominik Sochor were the only ones out of a group of originally ten naturalists and painters
who stayed in Brazil after all other members of the expedition had returned to Europe in
1821. Starting in Rio de Janeiro Natterer crossed central Brazil, reached the Amazon Basin
and travelled through the north-western regions of Brazil. His companion died in the course
of the travels in 1826.
The Austrian expedition to Brazil of 1817 was one of the most ambitious and in its results
one of the most successful enterprises the Hapsburg emperors ever started to enrich their
scientific collections. It was the goal of this expedition to collect botanical, zoological and
mineralogical specimens for the imperial museum, the so-called Hofnaturalienkabinett.
Natterer followed this mission with a true passion for collecting. As a result of his travels
thousands of specimens enlarged the Imperial collections for natural history in Vienna as well
as a collection of more than 1700 ethnographic objects (weapons, decorations, tools and
clothing) coming from more than 60 ethnic groups. Today these collections are valuable parts
of the Museum of Natural History and the Museum for Ethnology in Vienna forming one of
the most important 19th century collections of Brazilian artefacts.
It was not my intention to stress the scientific output or success of this expedition but to
describe circumstances and practices of exploration and collecting. With his work the
travelling collector made those specimens available which scientist and scholars of natural
history needed to elaborate systems of taxonomy and classification. This led to the question
how this expedition was organized, how it was carried out and what goals Natterer and his
companions had in mind when they set out to their laborious and dangerous expedition.
At first I expected the official instructions of duties to be informative about goals and aims of
these travellers in the Emperors service. But this Dienstinstruktion provides only a
framework for the expedition and it is more concerned about discipline, rules for description,
289

documentation and reporting of the journey itself as well as about travelling routes, time
schedules and lists of plants, minerals and animals to collect than with the intentions or
practices of scientific work. But even this guide line had little influence in really carrying out
the expedition. Local circumstances and unforeseen difficulties forced the expedition to be
flexible. Travel plans and schedules had to be changed frequently and this gave Natterer
possibilities to act independently. A constant mail exchange between Brazil and Vienna
secured some kind of authority even when actual decisions concerning the progress of the
expedition had to be made by Natterer on his own. Reading Natterers letters and report one
can see how he tried to convince his superiors of the usefulness of his journeys and one can
also get an impression of the conditions and circumstances under which his travels took
place.
Natterers reports to the Austrian ambassador in Rio de Janeiro and to the director of the
Hofnaturalienkabinett Karl von Schreibers, his letters to his brother Joseph and to friends
and local authorities in Brazil as well as the few remaining fragments of his diaries proved to
be rich on detailed information concerning organization, travel planning and conditions of
life. Everyday life is an often neglected aspect in the history of explorations and travels. But
an often dreary and arduous life, illness and death caused by unhealthy conditions and lack of
medical care is part of an explorers experience and of his work.
It was also important for me to show that Natterer was not at all a single travelling explorer as
how he presented himself in his reports. The progress of his travels and his success was based
on the collaboration of local authorities, Brazilian assistants and informants and the work of
his slaves. Travelling through the country by mule caravans or by boat and the transportation
of large numbers of specimens to Europe as well as financing his enterprises Natterer
depended on a network including Austrian diplomats, Brazilian and British merchants and
local authorities who made his travels possible.
To be confronted with non-European cultures while travelling was an experience between
fascination and rejection for Natterer. Although he never expressed any philosophical views
or ideas it is possible to get some indications of his views on non-European cultures out of his
letters. Even in his ethnographic work Natterer continued to be a collector. He collected
weapons, tools, decorations and clothing but also words and observations about habits and
rites. In his view it was not language nor race or religion which separated him from
290

indigenous people but civilisation indicated by clothing, cleanness and industriousness.


According to Natterer the process of civilisation was undisputed and without an alternative:
the indigenous people of Brazil had to be civilised and to be become an integral part of
Brazilian society to their own advantage.
Focusing on the motivations to draw up this expedition it is important to see that this
enterprise in natural history was not free of other interests. Frequently scientific explorations
are reduced to scientific problems and their contribution to a so-called progress in sciences.
But prestige and scientific competition played also a role as well as political and economic
ambitions. A commercial contract between Austria and Brazil was part of Leopoldinas
marriage contract and through the official service instruction the naturalists had orders to
gather information about trading routes and articles, useful products and profitable plants and
crops which could be grown in Europe and thus support commercial aims. Even these efforts
had little long term success one should not underestimate the Austrian ambitions to gain (at
least economic) influence in Brazil.
The Emperors collection of Brazilian specimens was part of the imperial splendour and
representation and they also played a role in scientific competition. The representatives of the
Hofnaturalienkabinett saw themselves in rivalry with other comparable collections in
Berlin, Munich or Saint Petersburg. To get specimens from Brazil earlier than other rivals
was all the more important since Brazil was secluded until 1810 and not accessible to
foreigners or foreign scientists. Thus Brazil was a quite new and unexplored field for
research. In this regard the expedition of 1817 was successful. The Museum for Natural
History in Vienna still hosts one of the most important 19th century collections of Brazilian
animals in the world.
The expeditions main objective was to obtain a general survey of the natural history of Brazil
in zoology, botany and mineralogy. Natterer always stressed his ambitions to enrich the
imperial museums as much as possible and towards his superiors, especially Karl von
Schreibers, director of the Hofnaturalienkabinett, this was his primary argument for the
continuation and further financing of his journeys. In his letters Natterer frequently notes the
finding of new animal species but it was not his main goal to discover a new species. His
mission was to collect as many species and specimens as possible in order to create what he
often called a perfect museum. In his view this meant to enable the imperial museum to
291

show every aspect of natural history where every single species of the animal world could be
re-presented. To make these specimens available was the very idea that made him last in
Brazil for so long and it was his strongest argument for continuing his travels. Being
successful with his arguments for quite a long period indicates that these aims were shared by
his superior and his patron, the Emperor.
Travelling as a practice of collecting and sciences provided the basis for some important
fields in zoology and botany. The availability of specimens enabled and promoted scientific
descriptions and classifications of plants and animals. This was the basic approach of natural
history in its classical meaning, i.e. collecting, denominating and describing every single
species in the realm of nature on the basis of its outward appearance, like Carl Linnaeus and
many other naturalists did. In following this classical approach the Austrian expedition to
Brazil shows to be quite conservative in is aims. This kind of natural history had little to do
with biology as a science of life and its functions which came up to be the avant-garde
discipline at the same time the Austrian expedition to Brazil took place. Johann Natterer was
a one of these naturalists who participated in that classical project of natural history to collect,
to denominate and to describe.

292

LEBENSLAUF

Name:
Geburtsdatum:
Geburtsort:

Mag. Kurt SCHMUTZER, M.A.S.


27. August 1967
Waidhofen/Ybbs

Nach der Volksschule in Waidhofen/Ybbs Zell (1973-1977) und der Hauptschule II in


Waidhofen/Ybbs Zell (1977-1981) besuchte ich die HBLA fr Fremdenverkehrsberufe in
Krems/Donau, wo ich am 10. Juni 1986 die Matura ablegte.
Von 1986 bis 1994 studierte ich an der Universitt Wien Geschichte, zuerst mit Germanistik,
Politikwissenschaft und Ethnologie und schlielich mit Kunstgeschichte im Nebenfach. 1989
begann ich den Ausbildungskurs am Institut fr sterreichische Geschichtsforschung und am
9. Juli 1992 legte ich Staatsprfung am Institut fr sterreichische Geschichtsforschung ab.
Meine Diplomarbeit mit dem Titel Geschenk und Geschft beschftigte sich mit
Schenkungsurkunden und Traditionsnotizen des Klosters Gttweig im 12. Jahrhundert. Die
Sponsion erfolgte am 12. Dezember 1994.
Nach Praktika im Wiener Stadt- und Landesarchiv und im Haus-, Hof- und Staatsarchiv
(Hofkammerarchiv) arbeite ich seit 1992 im ORF als Redakteur und Gestalter in der
Abteilung Dokumentation und Archive.
Zwischen 1998 und 2001 nahm ich am Forschungsprojekt Johann Natterers BrasilienSammlung (P12443-SPR) des Fonds zur Frderung der wissenschaftlichen Forschung am
Museum fr Vlkerkunde in Wien teil. Zielsetzung des Projekts war die wissenschaftliche
Bearbeitung der ethnographischen Sammlung Natterer im Museum fr Vlkerkunde. Seither
beschftige ich mich mit der kulturwissenschaftlich-historischen Arbeit ber Johann Natterer
und die sterreichischen Brasilien-Expedition 1817-1835.

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