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Thomas Mann

Lotte in Weimar
Roman
In der Textfassung der
Groen kommentierten Frankfurter Ausgabe
(GKFA)
Mit Daten zu Leben und Werk

{9}Durch

allen Schall und Klang


Der Transoxanen
Erk hnt sich unser Sang
Auf deine Bahnen!
Uns ist fr garnichts bang,
In dir lebendig;
Dein Leben daure lang,
Dein Reich bestndig!
WEST-STLICHER DIVAN {10}

{11}Erstes

Kapitel

Der Kellner des Gasthofes Zum Elefanten in Weimar,


Mager, ein gebildeter Mann, hatte an einem fast noch
sommerlichen Tage ziemlich tief im September des
Jahres 1816 ein bewegendes, freudig verwirrendes
Erlebnis. Nicht, da etwas Unnatrliches an dem
Vorfall gewesen wre; und doch k ann man sagen, da
Mager eine Weile zu trumen glaubte.
Mit der ordinren Post von Gotha trafen an diesem
Tage, morgens k urz nach 8 Uhr, drei Frauenzimmer
vor dem renommierten Hause am Mark te ein, denen auf
den ersten Blick und auch auf den zweiten noch
nichts Sonderliches anzumerk en gewesen war. Ihr
Verhltnis unter einander war leicht zu beurteilen: Es
waren Mutter, Tochter und Zofe. Mager, der, zu
Willk ommsbck lingen bereit, im Eingangsbogen stand,
hatte zugesehen, wie der Hausk necht den beiden
ersteren von den Trittbrettern auf das Pflaster half,
whrend die Kammerk atze, Klrchen gerufen, sich von
dem Schwager verabschiedete, bei dem sie gesessen
hatte, und mit dem sie sich gut unterhalten zu haben
schien. Der Mann sah sie lchelnd von der Seite an,
wahrscheinlich im Gedenk en an den auswrtigen
Dialek t, den die Reisende gesprochen, und folgte ihr

noch in einer Art von spttischer Versonnenheit mit


den Augen, inde sie nicht ohne unntige Windungen,
Raffungen und Zierlichk eiten, sich vom hohen Sitze
hinunterfand. Dann zog er an der Schnur sein Horn
vom Rck en und begann zum Wohlgefallen einiger
Buben und Frhpassanten, die der Ank unft
beiwohnten, sehr empfindsam zu blasen.
Die Damen standen noch, dem Hause abgek ehrt, bei
dem Postwagen, die Niederholung ihres brigens
bescheidenen Gepck s zu berwachen, und Mager
wartete den Augenblick ab, wo sie, beruhigt ber ihr
Eigentum, sich gegen den Eingang {12}wandten, um
ihnen sodann, ganz Diplomat, ein verbindliches und
gleichwohl leicht zgerndes Lcheln auf dem
k sefarbenen, von einem rtlichen Back enbart
eingefaten Gesicht, in seinem zugek npften Frack ,
seinem verwaschenen Halstuch im abstehenden
Schalk ragen und seinen ber den sehr groen Fen
eng zulaufenden Hosen, auf den Brgersteig
entgegenzuk ommen.
Guten Tag, mein Freund! sagte die mtterliche der
beiden Damen, eine Matrone allerdings, schon recht
bei Jahren, Ende fnfzig zumindest, ein wenig
rundlich, in einem weien Kleide mit schwarzem
Umhang, Halbhandschuhen aus Zwirn und einer
hohen Kapotte, unter der k rauses Haar, von dem
aschigen Grau, das ehemals blond gewesen,

hervorschaute. Logis fr Dreie brauchten wir also, ein


zweischlfrig Zimmer fr mich und mein Kind (das
Kind war auch die Jngste nicht mehr, wohl Ende
zwanzig, mit braunen Kork zieherlock en, ein
Kruschen um den Hals; das fein gebogene Nschen der
Mutter war bei ihr ein wenig zu scharf, zu hart
ausgefallen) und eine Kammer, nicht zu weitab, fr
meine Jungfer. Wird das zu haben sein?
Die blauen Augen der Frau, von distinguierter
Mattigk eit, blick ten an dem Kellner vorbei auf die
Front des Gasthauses, ihr k leiner Mund, eingebettet in
einigen Altersspeck der Wangen, bewegte sich
eigentmlich angenehm. In ihrer Jugend mochte sie
reizvoller gewesen sein, als die Tochter es heute noch
war. Was an ihr auffiel, war ein nick endes Zittern des
Kopfes, das aber zum Teil als Bek rftigung ihrer Worte
und rasche Aufforderung zur Zustimmung wirk te,
soda seine Ursache nicht so sehr Schwche als
Lebhaftigk eit oder allenfalls beides gleichermaen zu
sein schien.
Sehr wohl, erwiderte der Aufwrter, der Mutter
und Tochter zum Eingang geleitete, whrend die Zofe,
eine Hutschachtel schlenk ernd, folgte. Zwar sind wir,
wie blich, stark besetzt {13}und k nnten leicht in die
Lage k ommen, selbst Personen von Stand abschlgig
bescheiden zu mssen, doch werden wir k eine

Anstrengung scheuen, den Wnschen der Damen aufs


beste zu gengen.
Nun, das ist ja schn, versetzte die Fremde und
tauschte einen heiteren Achtungsblick mit ihrer
Tochter ob der wohlgefgten und dabei stark
thringisch-schsisch gefrbten Redeweise des Mannes.
Darf ich bitten? Ich bitte sehr! sagte Mager, sie in
den Flur k omplimentierend. Der Empfang ist zur
Rechten. Frau Elmenreich, die Wirtin des Hauses, wird
sich ein Vergngen daraus machen Ich darf wohl
bitten!
Frau Elmenreich, einen Pfeil in der Frisur, die
hochgegrtete Bste wegen der Nhe der Haustr von
einer Strick jack e umhllt, thronte bei Federn,
Streusand und einer Rechenmaschine hinter einer Art
von Ladentisch, der den nischenartigen Bureauraum
von der Diele trennte. Ein Angestellter, von seinem
Stehpult hinweggetreten, verhandelte seitlich auf
englisch mit einem Herrn in Kragenmantel, dem die
beim Eingang aufgehuften Koffer gehren mochten.
Die Wirtin, phlegmatischen Auges mehr ber die
Ank mmlinge hinwegblick end als von ihnen Notiz
nehmend, erwiderte den Gru der Aelteren, den
angedeuteten Knick s der Jungen mit wrdiger
Kopfneigung, vernahm die vom Kellner vermittelte
Zimmerforderung hingehaltenen Ohres und ergriff
einen gestielten Hausplan, auf dem sie eine Weile die

Bleistiftspitze herumfhrte.
Siebenundzwanzig, bestimmte sie, gegen den
grnbeschrzten Hausdiener gewandt, der mit dem
Gepck der Damen wartete, mit einer Einzelk ammer
k ann ich nicht dienen. Die Mamsell mte das Zimmer
mit der Jungfer der Grfin Larisch von Erfurt teilen.
Wir haben eben viele Gste mit Dienerschaft im
Hause.
Das Klrchen zog hinter dem Rck en ihrer Herrin
ein Maul, {14}doch diese war einverstanden. Man werde
sich schon vertragen, erk lrte sie und bat, schon zum
Gehen gewandt, auf das Zimmer gefhrt zu werden,
wohin gleich auch die Handk offer gebracht werden
mchten.
Alsbald, Madame, sagte der Kellner. Nur eben
noch diese Formalitt wre nebenher zu erfllen. Um
Lebens oder Sterbens willen bitten wir uns ein paar
Zeilen aus. Nicht unser ist die Pedanterei, sondern der
heiligen Hermandad. Sie k ann nicht aus ihrer Haut. Es
erben sich, mchte man sagen, Gesetz' und Rechte wie
eine ew'ge Krank heit fort. Drfte ich wohl um die Gte
und Geflligk eit ersuchen ?
Die Dame lachte, indem sie wieder nach ihrer
Tochter blick te und belustigt-erstaunt den Kopf
schttelte.
Ja, so, sagte sie, das verga ich. Alles, was sich

gehrt! brigens ist er ein Mann von Kopf, wie ich


hre, (sie gebrauchte die Anredeform, die noch in
ihrer Jugend blich gewesen sein mochte,)
wohlbelesen und citatenfest. Geb' er her! Und an den
Tisch zurck tretend nahm sie mit den feinen Fingern
ihrer nur halb bek leideten Hand den an einer Schnur
hngenden Kreidestift, den die Wirtin ihr reichte, und
beugte sich, noch immer lachend, ber die Meldetafel,
auf der schon ein paar Namen standen.
Sie schrieb langsam, indem sie allmhlich zu lachen
aufhrte und nur noch k leine amsierte und
seufzerartige Laute und Nachk lnge ihrer
verstummenden Heiterk eit nachfolgen lie. Das
nick ende Zittern ihres Nack ens machte sich dabei,
wohl infolge der Unbequemlichk eit ihrer Stellung,
deutlicher als je bemerk bar.
Man sah ihr zu. Von der einen Seite blick te die
Tochter ihr ber die Schulter, die hbschen,
ebenmig gebogenen Augenbrauen (sie hatte sie von
der Mutter) zur Stirn gehoben, den Mund moquant
verschlossen und verzogen; und andererseits ugte,
halb nur zur Aufsicht, ob sie die rot mark ierten
Rubrik en {15}richtig benutze, halb auch aus
Kleinstdter-Neugier und mit jener von Bosheit nicht
ganz freien Genugtuung darber, da fr jemanden
der Augenblick gek ommen war, die gewissermaen
dank bare Rolle des Unbek annten aufzugeben und sich

zu nennen und zu bek ennen, Kellner Mager ihr in die


Schrift. Aus irgend einem Grunde hatten auch der
Bureau-Verwandte und der britische Reisende ihr
Gesprch unterbrochen und beobachteten die
k opfnick end Schreibende, die mit fast k indlicher
Sorgfalt ihre Buchstaben zog.
Mager las blinzelnd: Hofrthin Witwe Charlotte
Kestner, geb. Buff, von Hannover, letzter Aufenthalt:
Goslar, geboren am 11. Januar 1753 zu Wetzlar, nebst
Tochter und Bedienung.
Gengt das? fragte die Hofrtin; und da man ihr
nicht antwortete, beschlo sie selbst: Das mu
gengen! Damit wollte sie den Griffel energisch auf
die Tischplatte legen, verga, da er nicht frei war
und ri den Metallstnder um, an dem er hing.
Wie ungeschick t! sagte sie errtend, indem sie
abermals einen raschen Blick auf ihre Tochter warf,
die spttisch verschlossenen Mundes die Augen gesenk t
hielt. Nun, das ist bald wieder hergestellt und alles
wre getan. Machen wir endlich, da wir aufs Zimmer
k ommen! Und mit einer gewissen Hast wandte sie sich
zum Gehen.
Tochter, Jungfer und Kellner, der glatzk pfige,
Schachteln und Reisetaschen tragende Hausk necht
hinterdrein, folgten ihr ber den Flur zur Treppe.
Mager hatte nicht aufgehrt zu blinzeln, er fuhr

unterwegs damit fort und zwar so, da er in


Intervallen immer drei oder viermal sehr rasch mit den
Lidern nick te und dann eine Weile mit den gerteten
Augen unbeweglich blick te, wobei er den Mund auf
eine gewisse, nicht blde zu nennende, sondern
sozusagen fein geregelte Weise geffnet hielt. Es war
auf den Dielen des ersten Treppenabsatzes, da er den
Zug zum Stehen brachte.
{16}Um Vergebung! sagte er. Recht sehr um
Vergebung, wenn meine Frage Es ist nicht gemeine
und unstatthafte Neugier, die Sollten wir den Vorzug
haben mit Frau Hofrtin Kestner, Madame Charlotte
Kestner, der geborenen Buff, aus Wetzlar ?
Die bin ich, besttigte die alte Dame lchelnd.
Ich meine Sehr wohl, gewi doch, aber ich
meine, es handelt sich also am Ende doch wohl nicht
um Charlotte auch k rzer Lotte Kestner, geborene
Buff aus dem Deutschen Hause, dem
Deutschordenshause zu Wetzlar, die ehemalige
Um eben die, mein Guter. Aber ich bin garnicht
ehemalig, ich bin hier sehr gegenwrtig, und wnschte
wohl, auf das mir zugewiesene Zimmer
Unverzglich! rief Mager und nahm mit gesenk ter
Stirn einen Anlauf zum Weitereilen, blieb dann aber
doch wieder an die Stelle gewurzelt stehen und schlang
die Hnde in einander.
Du liebe Zeit! sagte er mit tiefem Gefhl. Du liebe

Zeit, Frau Hofrtin! Frau Hofrtin mgen verzeihen,


wenn meine Gedank en sich nicht sogleich an die hier
waltende Identitt und die sich erffnende
Perspek tive Dies k ommt sozusagen aus heiterem
Himmel Das Haus hat also die Ehre und die
unschtzbare Auszeichnung, die wahre und wirk liche,
das Urbild, wenn ich mich so ausdrck en darf Mit
einem Wort, es ist mir beschieden, vor Werthers
Lotte
Dem wird wohl so sein, mein Freund, entgegnete
die Hofrtin mit ruhiger Wrde, indem sie der
k ichernden Zofe einen verweisenden Blick zuwarf.
Und wenn es fr ihn ein Grund mehr wre, uns
reisemden Frauen nun ungesumt unser Zimmer zu
zeigen, so wollte ich's wohl zufrieden sein.
Im Augenblick !, rief der Marqueur und setzte sich
in Eilschritt. Das Zimmer, Numero siebenundzwanzig,
mein Gott, es liegt ber zwei Treppen. Sie sind bequem,
unsere Treppen, wie Frau Hofrtin bemerk en, aber
htten wir geahnt Es htte sich zweifelsohne trotz
unserer Besetztheit Immerhin, das {17}Zimmer ist
ansehnlich, es blick t vornheraus auf den Mark t und
drfte nicht mifallen. Noch k rzlich haben Herr und
Frau Major von Egloffstein aus Halle dort logiert, als
sie zu Besuch ihrer Frau Tante, der
Oberk ammerherrin gleichen Namens, hier weilten.

Ok tober dreizehn hatte es ein Generaladjutant Seiner


k aiserlichen Hoheit des Grofrsten Konstantin inne.
Das ist gewissermaen eine historische Erinnerung
Aber, du mein Gott, was rede ich von historischen
Erinnerungen, die fr einen Menschen von Sentiment
nicht im mindesten den Vergleich aushalten mit Nur
wenige Schritte noch, Frau Hofrtin! Von der Treppe
sind es nur noch ganz wenige Schritte diesen Korridor
entlang. Alles frisch geweit, wie Frau Hofrtin sehen.
Wir haben seit Ende dreizehn, nach dem Besuch der
Donschen Kosak en, durchgehend renovieren mssen,
Treppen, Zimmer, Gnge und
Konversationsrumlichk eiten, was vielleicht lngst
berfllig gewesen wre. Nun haben die wilden
Gewaltsamk eiten des Weltgeschehens es erzwungen,
woraus die Lehre zu ziehen sein mchte, da die
Erneuerungen des Lebens vielleicht nicht ohne k rftig
nachhelfende Gewaltsamk eit zustandek ommen. Ich will
brigens nicht ausschlielich den Kosak en das
Verdienst an unserer Erfrischung zuschreiben. Wir
hatten auch Preuen und ungarische Husaren im
Hause, von den vorangegangenen Franzosen zu
schweigen Wir sind am Ziel. Wenn ich Frau Hofrtin
bitten drfte!
Er beugte sich, Einla gewhrend, mit der Tr, die
er angelweit ffnete, tief in das Zimmer hinein. Die
Augen der Frauen streiften in flchtiger Prfung die

gestrk ten Mullvorhnge der beiden Fenster, den


goldgerahmten und freilich etwas blindfleck igen
Konsolenspiegel zwischen ihnen, die wei gedeck ten
Betten, die einen k leinen gemeinsamen Himmel hatten,
die brigen Bequemlichk eiten. Ein Kupferstich,
landschaftlich, mit antik em Tempel, schmck te die
Wand. Der Fuboden glnzte reinlich gelt.
{18}Recht artig, sagte die Hofrtin.
Wie glck lich wren wir, wenn die Damen sich hier
leidlich zu behagen vermchten! Sollte irgend etwas
mangeln, hier ist der Glock enzug. Da ich fr heies
Wasser sorge, versteht sich am Rande. Wir wren so
beraus hochbeglck t, wenn wir die Zufriedenheit der
Frau Hofrtin
Aber ja doch, mein Lieber. Wir sind einfache Leute
und unverwhnt. Habt Dank , guter Mann, sagte sie
zu dem Hausk necht, der seine Last auf den Gurtbock ,
den Estrich abgesetzt hatte und sich entfernte. Und
Dank auch Ihnen, mein Freund, wandte sie sich mit
entlassendem Kopfnick en an den Kellner. Wir sind
versorgt und versehen und mchten uns nun wohl ein
wenig
Aber Mager stand unbeweglich, die Finger in
einander geschlungen, die rtlichen Augen in die Zge
der alten Dame versenk t.
Groer Gott, sagte er, Frau Hofrtin, welch

buchenswertes Ereignis! Frau Hofrtin verstehen


vielleicht nicht ganz die Empfindungen eines
Menschen von Herz, dem unverhofft und wider alles
Vermuten ein solches Evenement mit seinen
ergreifenden Perspek tiven Frau Hofrtin sind
sozusagen gewhnt an die Verhltnisse und an Dero
uns allen heilige Identitt, Dieselben nehmen die Sache
mglicherweise leger und alltglich und ermessen nicht
ganz, wie es einer fhlenden, von jungauf literrischen
Seele, die sich dessen nicht im geringsten versah, zu
Mute sein mu bei der Bek anntschaft wenn ich so
sagen darf ich bitte um Entschuldigung bei der
Begegnung mit einer vom Schimmer der Poesie
umflossenen und gleichsam auf feurigen Armen zum
Himmel ewigen Ruhmes emporgetragenen
Persnlichk eit
Mein guter Freund!, erwiderte die Hofrtin mit
lchelnder Abwehr, obgleich man das nick ende Zittern
ihres Kopfes, das bei den Worten des Kellners wieder
auffallend geworden war, {19}als Zustimmung htte
deuten k nnen. (Die Zofe stand hinter ihr und sah dem
Manne mit amsierter Neugier in das fast zu Thrnen
bewegte Gesicht, whrend die Tochter sich mit
ostensibler Gleichgltigk eit im tieferen Zimmer mit
dem Gepck zu schaffen machte.) Mein guter Freund,
ich bin eine einfache alte Frau ohne Ansprche, ein
Mensch wie andere mehr; Sie aber haben eine so

ungemeine, gehobene Art sich auszudrk k en


Mein Name ist Mager, sagte der Kellner gleichsam
zur Erluterung. Er sagte Mahcher nach seiner
mitteldeutsch weichen Sprechweise; der Laut hatte
etwas Bittendes und Rhrendes. Ich bin, wenn es
nicht berheblich k lingt, das Fak totum in diesem
Hause, die rechte Hand, wie man es zu nennen pflegt,
Frau Elmenreichs, der Besitzerin des Gasthofs, sie ist
Witwe, schon seit zehn Jahren, Herr Elmenreich ist ja
leider anno sechs unter tragischen Umstnden, die
nicht hierher gehren, dem Weltgeschehen zum Opfer
gefallen. In meiner Stellung, Frau Hofrtin, und nun
gar in Zeiten, wie unsere Stadt sie durchlebt hat,
k ommt man mit vielerlei Menschen in Berhrung, es
zieht manche bedeutende Erscheinung, bedeutend
durch Geburt oder Verdienst, an einem vorber, und
eine gewisse Abgebrhtheit, natrlicherweise, greift
Platz gegen die Berhrung mit hochgestellten, ins
Weltgeschehen verflochtenen Personen und Trgern
respek teinflender, die Einbildungsk raft aufregender
Namen. So ist es, Frau Hofrtin. Allein, diese berufliche
Verwhntheit und Abgestumpftheit, wo ist sie nun! In
meinem Leben nicht, das darf ich bek ennen, hat ein
Empfang und eine Bedienung mir obgelegen, die mir
Herz und Geist bewegt htte wie die heutige, wahrhaft
buchenswerte. Denn wie es dem Menschen ergeht, es

war mir bek annt, da das verehrungswrdige


Frauenzimmer, das Urbild jener ewig lieblichen
Gestalt, unter den Lebenden verweilte und zwar in der
Stadt Hannover, ich werde jetzt wohl gewahr, da
ich es {20}wute. Allein dies Wissen hatte k eine
Wirk lichk eit fr mich, und nie habe ich mir die
Mglichk eit beik ommen lassen, diesem geheiligten
Wesen irgend einmal von Angesicht zu Angesicht
gegenber zu stehen. Ich habe es mir einfach nicht
trumen lassen. Als ich diesen Morgen es ist wenige
Stunden her erwachte, war ich berzeugt, da es
sich um einen Tag handle wie hundert andere, einen
Tag durchschnittlichen Geprges, angefllt mit den
gewhnlichen und gelufigen Funk tionen meines
Berufes im Flur und bei Tafel. Meine Frau ich bin
verheiratet, Frau Hofrtin, Madame Mager ist in
obgeordneter Stellung in der Kche ttig meine Frau
wird bek unden k nnen, da ich k ein Zeichen einer
Vorahnung von irgend etwas Auerordentlichem
gegeben habe. Ich dachte nicht anders, als da ich
mich heute Abend als derselbe Mann wieder zu Bette
legen wrde, als der ich aufgestanden. Und nun!
Unverhofft k ommt oft. Wie recht hat der Volk smund
mit dieser schlichten Weltbemerk ung! Frau Hofrtin
werden meine Wallung verzeihen und auch meine
mglicherweise unstatthafte Redseligk eit. We das
Herz voll ist, de geht der Mund ber, sagt der

Volk smund in seiner nicht weiter litterrischen und


doch so treffenden Art. Wenn Frau Hofrtin die Liebe
und Verehrung k ennten, die ich sozusagen von
Kindesbeinen fr unseren Dichterfrsten, den groen
Goethe, hege, und meinen Stolz als Weimarer Brger
darauf, da wir diesen erhabenen Mann den unsrigen
nennen Wenn Dieselben wten, was insbesondere
gerade des jungen Werthers Leiden diesem Herzen von
jeher Aber ich schweige, Frau Hofrtin, ich wei
wohl, es k ommt mir nicht zu, wenngleich ja die
Wahrheit ist, da ein so sentimentalisches Werk wie
dieses allen Menschen gehrt und Hoch und Niedrig
mit den innigsten Wallungen beschenk t, whrend
allerdings auf Produk te wie Iphigenia und die
Natrliche Tochter vielleicht nur die hheren
Schichten Prtensionen mgen machen drfen. Wenn
ich denk e, wie oft {21}Madame Mager und ich uns
zusammen bei der Abendk erze mit zerflossenen Seelen
ber diese himmlischen Bltter gebck t haben, und
mir in einem damit k lar mache, da in diesem
Augenblick die weltberhmte und unsterbliche Heldin
derselben mir in voller Leiblichk eit, als ein Mensch wie
ich Ums Himmels willen, Frau Hofrtin! rief er und
schlug sich mit der Hand vor die Stirn. Ich rede und
rede, und jhlings schiet es mir ein siedend hei, da
ich ja noch nicht einmal gefragt habe, ob Frau

Hofrtin denn berhaupt schon Kaffee getrunk en


haben!
Dank e, mein Freund, erwiderte die alte Dame, die
dem Ergu des Biedermannes verhaltenen Blick es und
dabei mit leicht zuck endem Munde zugehrt hatte.
Wir haben das zeitig getan. Im brigen, mein lieber
Herr Mager, gehen Sie viel zu weit bei Ihren
Gleichsetzungen und bertreiben gewaltig, wenn Sie
mich oder auch nur das junge Ding, das ich einmal
war, einfach mit der Heldin jenes vielbeschrieenen
Bchleins verwechseln. Sie sind der Erste nicht, den
ich darauf hinweisen mu; ich predige es vielmehr seit
vierundvierzig Jahren. Jene Romanfigur, die freilich ein
so ausgebreitetes Leben, eine so entschiedene und
gefeierte Wirk lichk eit gewonnen hat, da Einer
k ommen und sagen k nnte, sie sei die Eigentliche und
Wahre von uns beiden, was ich mir aber denn doch
verbitten wollte, dies Mdchen unterscheidet sich gar
sehr von meinem einstigen Selbst, mein
gegenwrtiges ganz bei Seite zu lassen. So sieht ja ein
jeder, da ich blaue Augen habe, whrend Werthers
Lotte bek anntlich schwarzugig ist.
Eine dichterische Lizenz! rief Mager. Man mte
ja nicht wissen, was das ist, eine dichterische Lizenz!
Und sie vermag doch, Frau Hofrtin, von der
waltenden Identitt k ein Titelchen abzudingen! Mge
der Dichter sich ihrer zum Zweck eines gewissen

cache-cache bedient haben, um ein wenig die Spur zu


verwischen
{22}Nein, sagte die Hofrtin mit abweisendem
Kopfschtteln, die schwarzen Augen k ommen
woanders her.
Und wenn auch! eiferte Mager. Sei es auch so,
da diese Identitt durch solche winzigen
Abweichungen ein wenig abgeschwcht wird
Es gibt viel grere, schaltete die Hofrtin
nachdrck lich ein.
so bleibt doch vllig unangetastet die andere, mit
jener sich berk reuzende und von ihr untrennbare,
die Identitt mit sich selbst, will sagen: mit jener
ebenfalls legendren Person, von welcher der groe
Mann uns noch k rzlich in seinen Erinnerungen ein so
innig Bildnis gemalt hat, und wenn Frau Hofrtin
nicht bis aufs letzte Titelchen die Lotte Werthers sind,
so sind Sie doch aufs Haar und ohne jeden Abzug die
Lotte Goe
Mein Wertester, sagte die Hofrtin Einhalt
gebietend. Es hat einigen Aufenthalt gegeben, bis Sie
die Freundlichk eit hatten, uns unser Zimmer zu
zeigen. Es entgeht Ihnen offenbar, da Sie uns jetzo
hindern, davon Besitz zu nehmen.
Frau Hofrtin, bat der Kellner des Elephanten
mit gefalteten Hnden, vergeben Sie mir! Vergeben

Sie einem Manne, der Mein Benehmen ist


unverzeihlich, ich wei es, und dennoch bitte ich um
Ihre Absolution. Ich werde durch meine sofortige
Entfernung Es reit mich ja, sagte er, es reit
mich ja ohnedies, von aller Rck sicht und
Schick lichk eit abgesehen, lngst von hier dahin und
dorthin; denn wenn ich denk e, da Frau Elmenreich
bis zu diesem Augenblick sicher noch k eine Ahnung
hat, da sie bisjetzt wohl k aum einen Blick auf die
Gstetafel geworfen und selbst ein solcher vielleicht
ihrem schlichten Sinn Und Madame Mager, Frau
Hofrtin! Wie reit es mich lngst zu ihr in die Kche,
um ihr die groe stdtische und literrische Neuigk eit
brhhei Dennoch, Frau Hofrtin, und gerade um
die herzbewegende Neuigk eit {23}zu vervollstndigen,
wage ich es, um Vergebung zu bitten fr noch eine
einzige Frage Vierundvierzig Jahre! Und Frau
Hofrtin haben den Herrn Geheimen Rat in diesen
vierundvierzig Jahren nicht wiedergesehen?
So ist es, mein Freund, antwortete sie. Ich k enne
den jungen Rechtsprak tik anten Dr. Goethe aus der
Gewandsgasse zu Wetzlar. Den Weimarischen
Staatsminister, den groen Dichter Deutschlands habe
ich nie mit Augen gesehen.
Es bernimmt einen! hauchte Mager. Es
bernimmt den Menschen, Frau Hofrtin! Und so sind
denn Frau Hofrtin nun also nach Weimar gek ommen,

um
Ich bin, unterbrach ihn die alte Dame etwas von
oben, nach Weimar gek ommen, um nach vielen Jahren
meine Schwester, die Kammerrtin Ridel wiederzusehen
und ihr auch meine Tochter Charlotte zu bringen, die
aus dem Elsa, wo sie lebt, zu Besuch bei mir ist und
mich auf dieser Reise begleitet. Mit meiner Jungfer sind
wir zu dritt, wir k nnen meiner Schwester, die selbst
Familie hat, nicht als Logirgste zur Last fallen. So
sind wir im Gasthofe abgestiegen, werden aber schon
zu Tische bei unseren Lieben sein. Ist er's zufrieden?
Wie sehr, Frau Hofrtin, wie sehr! obgleich wir
auf diese Weise darum k ommen, die Damen an unserer
Table d'hte Herr und Frau Kammerrat Ridel,
Esplanade 6, o, ich wei. Die Frau Kammerrtin ist
also eine geborene aber ich wute es ja! Die
Verhltnisse und die Beziehungen waren mir ja
bek annt, nur da ich sie mir nicht gegenwrtig Du
Grundgtiger, die Frau Kammerrtin befand sich also
unter jener Kinderschar, die Frau Hofrtin im Vorsaal
des Jagdhauses umdrngten, als Werther zum ersten
Male dort eintrat, und die ihre Hndchen nach dem
Vesperbrot streck te, welches Frau Hofrtin
Mein lieber Freund, fiel Charlotte ihm wieder ins
Wort, es gab k eine Hofrtin in jenem Jagdhause. Bevor
Sie nun auch unserm Klrchen, das darauf wartet,

geflligst ihr Kmmerlein {24}zeigen, sagen Sie uns


lieber: Ist es weit von hier nach der Esplanade?
Nicht im Geringsten, Frau Hofrtin. Eine
Kleinigk eit von einem Wege. Bei uns in Weimar gibt es
dergleichen wie weite Wege nicht; unsere Gre beruht
im Geistigen. Ich selbst bin mit Freuden erbtig, die
Damen vor das Haus der Frau Kammerrtin zu
geleiten, wenn Dieselben nicht vorziehen, sich einer
Mietsk utsche oder Portechaise zu bedienen, woran es in
unserer Residenz nicht mangelt Aber noch eins,
Frau Hofrtin, nur dieses Eine noch! Nichtwahr, wenn
auch Frau Hofrtin in erster Linie zu Besuch von Dero
Frau Schwester nach Weimar gek ommen sind, so
werden Frau Hofrtin doch zweifellos Gelegenheit
nehmen, auch am Frauenplan
Das findet sich, mein Lieber, das findet sich! Mach
er nun und bring' er die Mamsell hier in dem Ihren
unter, denn ich werde sie baldigst brauchen.
Ja, und sag' er mir unterwegs, zwitscherte die
Kleine, wo der Mann wohnt, der den herrlichen
Rinaldo geschrieben hat, das touchante Romanbuch,
das ich wohl schon fnf mal verschlungen, und ob man
ihm wohl, wenn man Glck hat, auf der Strae
begegnen k ann!
Soll geschehen, Mamsell, soll gern geschehen,
erwiderte Mager zerstreut, indem er sich mit ihr zur
Tr wandte. Aber hier tat er sich noch einmal Einhalt,

stemmte bremsend ein Bein auf den Boden und hielt


der Balance halber das andere in die Luft.
Auf ein Wort noch, Frau Hofrtin! bat er. Auf ein
einzig letztes und rasch zu beantwortendes Wrtchen!
Frau Hofrtin mssen begreifen Man steht unverhofft
vor dem Urbilde, es ist einem beschieden, an der Quelle
selbst Man mu es wahrnehmen, man darf es nicht
ungenutzt Frau Hofrtin, nichtwahr, jenes letzte
Gesprch vor Werthers Abreise, jene herzaufwhlende
Szene zu dritt, wo von der seligen Mutter die Rede
{25}war und von der Todestrennung und Werther
Lottens Hand festhlt und ausruft: Wir werden uns
wiedersehn, uns finden, unter allen Gestalten werden
wir uns erk ennen! nichtwahr, sie beruht auf
Wahrheit, der Herr Geheime Rat hat's nicht erfunden,
es hat sich wirk lich so zugetragen?!
Ja und nein, mein Freund, ja und nein, sagte die
Bedrngte gtig, mit zitterndem Kopfe. Geh' er nun!
Geh' er!
Und der Aufgeregte enteilte mit Klrchen, dem
Ktzchen.
Charlotte seufzte tief auf, indem sie sich des Hutes
entledigte. Ihre Tochter, die whrend des
vorangegangenen Gesprches beschftigt gewesen war,
ihre und ihrer Mutter Kleider ins Spind zu hngen und
den Inhalt der Necessaires auf dem Toilettetisch, den

Simsen der Waschtischchen zu verteilen, blick te


spttisch zu ihr hinber.
Da hast du, sagte sie, deinen Stern entblt. Der
Effek t war nicht bel.
Ach Kind, erwiderte die Mutter, was du meinen
Stern nennst, und was mehr ein Kreuz ist, wobei es ja
immerhin ein Orden bleiben mag, der k ommt zum
Vorschein ohne mein Zutun, ich k ann's nicht hindern
und ihn nicht verbergen.
Ein wenig lnger, liebe Mama, wenn nicht fr die
ganze Dauer dieses etwas extravaganten Aufenthaltes,
htte er allenfalls verhllt bleiben k nnen, wenn wir
doch lieber bei Tante Amalie logiert htten anstatt im
ffentlichen Gasthofe.
Du weit sehr gut, Lottchen, da das nicht anging.
Dein Onk el, deine Tante und deine Cousinen haben
k einen berflu an Raum, ob sie auch oder eben weil
sie in vornehmer Gegend wohnen. Es war unmglich,
ihnen zu drei Personen ins Haus zu fallen und sie, sei
es auch nur fr einige Tage, zum unbehaglichsten
Zusammenrck en zu zwingen. Dein Onk el Ridel hat
sein Ausk ommen als Beamter, aber es haben ihn
schwere Schlge getroffen, anno sechs hat er alles
verloren, er ist k ein reicher Mann, und es wrde sich
k eineswegs fr uns zie{26}men, ihm auf der Tasche zu
liegen. Da es mich aber verlangt, meine jngste
Schwester, unsere Mali, endlich einmal wieder in die

Arme zu schlieen und mich des Glck es zu freuen, das


sie an der Seite ihres wack eren Mannes geniet, wer
will mir das verargen? Vergi nicht, da ich mich
diesen lieben Verwandten vielleicht sehr ntzlich
erweisen k ann. Dein Onk el macht sich Hoffnungen auf
den Posten eines groherzoglichen Kammerdirek tors,
durch meine Verbindungen und alten Freundschaften
k ann ich mglicherweise hier an Ort und Stelle seine
Wnsche wirk sam befrdern. Und ist nicht der
Augenblick , wo du, mein Kind, nach zehnjhriger
Trennung wieder einmal an meiner Seite bist und mich
begleiten k annst, der allergeschick teste fr diese
Besuchsreise? Soll das eigentmliche Schick sal, das mir
zuteil geworden, mich hindern drfen, den
rechtmigsten Trieben meines Herzens zu folgen?
Gewi nicht, Mama, gewi nicht.
Wer k onnte auch denk en, fuhr die Hofrtin fort,
da wir sogleich wrden einem solchen Enthusiasten
in die Arme laufen wie diesem Ganymedes im
Back enbart? Da bek lagt sich der Goethe in seinen
Memoires ber die Plage, die er immerfort mit der
Neugier der Leute gehabt, welches die rechte Lotte
denn sei und wo sie wohne, und da er sich vor dem
Zudrang durch k ein Ink ognito habe schtzen
k nnen, eine wahre Pnitenz nennt er's, glaub' ich,
und meint, wenn er sich denn versndigt habe mit

seinem Bchlein, so hab' er die Snde ben mssen


grndlich und ber Gebhr. Aber da sieht man's, da
die Mnner und die Poeten nun gar nur an sich
denk en; denn er bedenk t nicht, da wir die
Neugiersnot auch noch auszustehen haben wie er, zu
allem andern dazu, was er uns angetan, deinem guten
seligen Vater und mir, mit seiner heillosen
Vermischung von Dichtung und Wahrheit
Von schwarzen und blauen Augen.
Wer den Schaden hat, braucht fr den Spott nicht
zu sorgen, {27}am wenigsten fr den seines Lottchens.
Mut' ichs dem tollen Menschen doch verweisen, da
er mich so geradehin, wie ich da leibe und lebe, fr
Werthers Lotte nhme.
Er war impertinent genug, dich ber die
Unstimmigk eit damit zu trsten, da er dich Goethes
Lotte nannte.
Auch das, mein' ich wohl, habe ich ihm nicht
durchgehen lassen, sondern es ihm mit unverhohlenem
Unwillen verwiesen. Ich mte dich nicht k ennen,
mein Kind, um nicht zu fhlen, da ich nach deiner
strengeren Gesinnung den Mann von Anbeginn htte
k rzer im Zgel halten sollen. Aber sage mir, wie?
Indem ich mich verleugnete? Indem ich ihn bedeutete,
da ich von mir und meinen Bewandtnissen nichts
wissen wolle? Aber hab' ich auch ein Verfgungsrecht
ber diese Bewandtnisse, die nun einmal der Welt

gehren? Du, mein Kind, bist eine so andere Natur


als ich, la mich hinzufgen, da das meine Liebe zu
dir um k ein Quentchen mindert. Du bist nicht das, was
man leutselig nennt, und was sich von
Opferwilligk eit, von der Bereitschaft sein Leben fr
andre hinzugeben noch gar sehr unterscheidet. Sogar
schien es mir oft, alsob ein Leben des Opfers und des
Dienstes an anderen eine gewisse Herbigk eit, ja, sagen
wir ohne Lob und Tadel, oder selbst mit mehr Lob als
Tadel: eine gewisse Hrte zeitigte, die die Leutseligk eit
wenig befrdert. Du k annst, mein Kind, an meiner
Achtung vor deinem Charak ter so wenig als an meiner
Liebe zweifeln. Seit zehn Jahren bist du im Elsa der
gute Engel deines armen, lieben Bruders Carl, der
seine junge Frau und ein Bein verlor ein Unglck
k mmt selten allein. Was wre er ohne dich, mein
armer, heimgesuchter Junge! Du bist ihm Pflegerin,
Helferin, Hausfrau und Waisenmutter den Kindern.
Dein Leben ist Arbeit und selbstloser Liebesdienst, wie
htte nicht sollen ein Zug von Ernst sich darin
eingraben, der miger Fhlsamk eit widersteht, bei
sich und andern. Du hltst von chtheit mehr als von
Interessantheit wie tust du recht {28}daran! Die
Beziehungen zur groen Welt der Leidenschaften und
des schnen Geistes, die unser Teil geworden sind
Unser? Ich unterhalte solche Beziehungen nicht.

Mein Kind, die werden uns bleiben, und unserm


Namen anhaften bis ins dritte und vierte Glied, ob's
uns nun lieb ist oder leid. Und wenn warmherzige
Menschen uns anliegen um ihretwillen, begeisterte
oder auch nur neugierige denn wo ist da die Grenze
zu ziehen , haben wir ein Recht, mit uns zu geizen
und die Instndigen schnde zurck zustoen? Sieh,
hier ist der Unterschied zwischen unseren Naturen.
Auch mein Leben war ernst, und an Verzicht hat's ihm
nicht ganz gefehlt. Ich war deinem teuren,
unvergelichen Vater, glaube ich, eine gute Frau. Ich
habe ihm elf Kinder geboren und neune aufgezogen zu
ehrbaren Menschen, denn zwei mut' ich hingeben.
Auch ich habe Opfer gebracht, in Tun und Leiden.
Aber die Leutseligk eit oder die Gutmtigk eit, wie du es
tadelnd nennen magst, hat mir das nicht verk mmert,
des Lebens Hrte hat mich nicht hart gemacht, und so
einem Mager den Rck en zu drehen und ihm zu sagen:
Narre, la er mich in Ruh! ich bring' es nun einmal
nicht ber mich.
Du sprichst genau, erwiderte Lotte, die Jngere,
liebe Mama, als htte ich dir einen Vorwurf gemacht
und mich unk indlich vor dir berhoben. Ich habe ja
gar den Mund nicht aufgetan. Ich rgere mich, wenn
die Leute deine Gte und Geduld auf so harte Proben
stellen, wie die eben bestandene, und dich erschpfen
mit ihrer Aufregung willst du mir den Aerger

verargen? Dies Kleid hier, sagte sie und hielt eine


eben dem Gepck der Mutter entnommene Robe, wei,
mit Schleifen, mit blaroten Schleifen geziert, in die
Hhe, sollte man es nicht doch ein wenig aufpltten,
bevor du es etwa anlegst? Es ist arg zerdrck t.
Die Hofrtin errtete, was sie gut und rhrend
k leidete. Es verjngte sie merk wrdiger Weise,
vernderte ihr Gesicht ins {29}LieblichJungmdchenhafte: man glaubte auf einmal zu
erk ennen, wie es mit zwanzig Jahren ausgesehen hatte;
die zart blick enden blauen Augen unter den
ebenmig gewlbten Brauen, das fein gebogene
Nschen, der angenehme k leine Mund gewannen in
dem Licht, der rosigen Tnung dieses Errtens fr
einige Sek unden den reizenden Sinn zurck , den sie
einst besessen; des Amtmanns wack eres Tchterchen,
die Mutter seiner Kleinen, die Ballfee von
Volpertshausen trat unter diesem Alt-Damen-Errten
berraschend noch einmal hervor.
Da Madame Kestner ihren schwarzen Umhang
abgelegt hatte, stand sie in einem Kleide da, ebenso
wei wie das freilich gesellschaftlichere, das man ihr
vorzeigte. Sie trug bei wrmerer Jahreszeit (und die
Witterung war noch sommerlich) aus eigentmlicher
Liebhaberei stets weie Kleider. Dasjenige aber in der
Hand der Tochter wies blarote Schleifen auf.

Unwillk rlich hatten beide sich abgewandt, die


Aeltere, wie es schien, von dem Kleide, die Junge von
dem Errten der Mutter, das ihr um seiner Holdheit
und seiner verjngenden Wirk ung willen peinlich war.
Nicht doch, antwortete die Hofrtin auf den
Vorschlag Charlottens. Machen wir k eine Umstnde!
Diese Art Crpe hngt sich im Schrank e rasch wieder
zurecht, und wer wei denn auch, ob ich berhaupt
dazu k omme, das Fhnchen zu tragen.
Warum solltest du nicht? sagte die Tochter. Und
wozu sonst httest du es mitgebracht? Aber eben weil
du es gewi bei einer und der anderen Gelegenheit
anlegen wirst, la mich, liebe Mama, auf meine
bescheidene Frage zurck k ommen, ob du dich nicht
doch noch entschlieen solltest, die ein wenig lichten
Brust- und rmelschleifen durch etwas dunk lere, sagen
wir: solche in schnem Lila zu ersetzen. Es wre so
rasch getan
Ach, hre doch auf, Lottchen! versetzte die
Hofrtin mit {30}einiger Ungeduld. Du verstehst, mein
Kind, auch gar k einen Spa. Ich mchte wissen, warum
du mir durchaus den k leinen sinnigen Scherz, die
zarte Anspielung und Aufmerk samk eit verwehren
willst, die ich mir ausgedacht habe. La dir sagen, da
ich tatschlich wenig Menschen k enne, die des Sinns
fr Humor so sehr entbehren wie du.
Man sollte bei niemandem, erwiderte die Tochter,

den man nicht k ennt oder nicht mehr k ennt, diesen


Sinn ohne Weiteres voraussetzen.
Charlotte, die Aeltere, wollte noch etwas
zurck geben, aber ihr Gesprch wurde durch die
Rck k unft Klrchens unterbrochen, die heies Wasser
brachte und munter berichtete, die Jungfer der Frau
Grfin Larisch droben sei gar k ein uneben Ding, mit
der sie sich wohl stellen wolle, und auerdem habe der
k omische Herr Mager ihr fest versprochen, da sie den
Bibliothek ar Vulpius, welcher den herrlichen
Rinaldo verfat habe und der brigens ein Schwager
des Herrn von Goethe sei, unbedingt zu sehen
bek ommen solle: Wenn er zu Amte gehe, wolle er ihn
ihr zeigen, und sogar sein Shnchen, das nach dem
Helden des berhmten Romans Rinaldo heie, werde sie
auf dem Schulwege beobachten k nnen.
Alles gut, sagte die Hofrtin, aber es ist hoch an
der Zeit, da ihr beide euch nun, du, Lottchen, in
Klrchens Begleitung, nach der Esplanade zu Tante
Amalie aufmacht, ihr unsere Ank unft zu melden. Sie ist
sich ihrer wohl noch garnicht vermutend und erwartet
sie erst fr den Nachmittag oder Abend, weil sie
annimmt, wir htten uns in Gotha bei Liebenau's
verweilt, da wir den Aufenthalt fr diesmal doch
bersprangen. Geh, Kind, la Klrchen den Weg
erfragen, k mir im Voraus die liebe Tante und

freunde dich unterdessen schon mit den Cousinen an.


Ich alte Frau mu mich nun unbedingt erst einmal
eine Stunde oder zweie aufs Bett legen und folge euch,
sobald ich mich etwas erquick t.
{31}Sie k te die Tochter wie zur Vershnung,
bedank te mit einem Wink en den Abschiedsk nix des
Zfchens und sah sich allein. Auf dem Spiegeltisch gab
es Tinte und Federn. Sie setzte sich, nahm ein
Blttchen, tauchte ein und schrieb mit eilender Hand
und leicht zitterndem Kopfe die vorbereiteten Worte:
Verehrter Freund! Zu Besuch meiner Schwester mit
meiner Tochter Charlotte auf einige Tage in Ihrer
Stadt, ist es mein Wunsch, Ihnen mein Kind
zuzufhren, wie es mich denn auch freuen wrde,
wieder in ein Antlitz zu blick en, das, whrend wir
beide, ein jeder nach seinem Mae, das Leben
bestanden, der Welt so bedeutend geworden ist.
Weimar, Htel zum Elefanten, den 22. September 16.
Charlotte Kestner geb. Buff.
Sie gab Streusand, lie ablaufen, faltete das Blatt,
indem sie geschick t die gefalzten Enden in einander
schob, und schrieb die Adresse. Dann zog sie die
Klingel.

{32}Zweites

Kapitel

Charlotte fand lange die Ruhe nicht, die sie wohl nicht
einmal aufrichtig suchte. Zwar verhllte sie, nachdem
sie die oberen Kleider abgelegt und sich, mit einem
Plaid bedeck t, auf einem der Betten unter dem k leinen
Mullhimmel ausgestreck t hatte, ihre Augen gegen die
Helligk eit der Fenster, die ohne dunk lere Vorhnge
waren, mit einem Schnupftuch und hielt darunter die
Lider geschlossen. Dabei aber trachtete sie nach ihren
Gedank en, die ihr das Herz k lopfen machten, mehr, als
nach dem vernnftiger Weise wnschenswerten
Schlummer, und dies umso entschiedener, als sie diese
Unweisheit als jugendlich, als Beweis und Merk mal
innerster Unverwstlichk eit, Unvernderlichk eit
durch die Jahre empfand und sich mit heimlichem
Lcheln darin gefiel. Was jemand ihr einst
geschrieben, auf einem Abschiedszettel: Und ich, liebe
Lotte, bin glck lich in Ihren Augen zu lesen, Sie
glauben, ich werde mich nie verndern , ist der
Glaube unserer Jugend, von dem wir im Grunde niemals
lassen, und da er Stich gehalten habe, da wir immer
dieselben geblieben seien, da Alt werden ein
Krperlich-Aeuerliches sei und nichts vermge ber
die Bestndigk eit unseres Innersten, dieses nrrischen,

durch die Jahrzehnte hindurchgefhrten Ich, ist eine


Beobachtung, die anzustellen unseren hheren Tagen
nicht mifllt, sie ist das heiter-verschmte
Geheimnis unserer Alterswrde. Man war eine
sogenannte alte Frau, nannte sich spttisch auch
selber so und reiste mit einer neunundzwanzigjhrigen
Tochter, die noch dazu das neunte Kind war, das man
dem Gatten geboren. Aber man lag hier und hatte
Herzk lopfen genau wie als Schulmdel vor einem tollen
Streich. Charlotte stellte sich Betrachter vor, die das
reizend gefunden htten.
Wer lieber nicht vorzustellen war als Beobachter
dieser Her {33}zensbewegung, war Lottchen, die Jngere.
Trotz dem Vershnungsk u hrte die Mutter nicht auf,
ihr zu zrnen der humorlosen Kritik wegen, die sie
an dem Kleide, den Schleifen gebt, und die im Grunde
dieser ganzen, so wrdig-natrlich zu begrndenden
und dennoch von ihr als extravagant beurteilten
Reise galt. Es ist unangenehm, jemanden auf Reisen zu
fhren, der zu scharfblick end ist, um zu glauben, da
man seinetwegen reist, sondern sich als vorgeschoben
erachtet. Denn ein unangenehmer, ein k rnk ender
Scharfblick ist das, ein Scheelblick vielmehr, der von
den verschlungenen Motiven einer Handlung nur die
zart verschwiegenen sieht und nur diese wahr haben
will, die prsentablen und sagbaren aber, so ehrenwert
wie sie seien, als Vorwnde verspottet. Charlotte

empfand mit Groll das Beleidigende solcher, ja


vielleicht aller Seelenk unde und hatte nichts andres im
Sinn gehabt, als sie der Tochter Mangel an
Leutseligk eit vorgehalten.
Haben denn sie, die Scharfblick enden, dachte sie,
nichts zu frchten? Wie, wenn man den Spie
umk ehrte und die Motive ihres Sprsinns zu Tage zge,
die sich vielleicht nicht ganz in Wahrheitsliebe
erschpfen? Lottchens ablehnende Klte, nun, auch
sie mochte ein boshafter Scharfblick durchschauen,
auch sie bot zu Einblick en Anla und nicht zu
sonderlich gewinnenden. Erlebnisse, wie sie ihr, der
Mutter, zuteil geworden, waren diesem
hochachtenswerten Kinde nun einmal nicht beschieden
gewesen, noch wrden sie ihm seiner Natur nach je
beschieden sein: ein Erlebnis wie das berhmte zu
dritt, welches so frhlich, so friedlich begonnen hatte,
dann aber dank der Tollheit des einen Teiles ins
Qulend-Verwirrende ausgeartet und zu einer groen,
redlich berwundenen Versuchung fr ein
wohlschaffen Herz geworden war, um eines Tages, o
stolzes Entsetzen, aller Welt k undzuwerden, ins
berwirk liche aufzusteigen, ein hheres Leben zu
gewinnen und so die Menschen aufzuwhlen und zu
verwirren wie einst ein Mdchen {34}herz, ja, eine Welt
in ein oft gefhrlich gescholtenes Entzck en zu

versetzen.
Kinder sind hart und unduldsam, dachte Charlotte,
gegen das Eigenleben der Mutter: aus einer egoistisch
verbietenden Piett, die fhig ist, aus Liebe
Lieblosigk eit zu machen, und die nicht lblicher wird,
wenn einfach weiblicher Neid sich darein mischte,
Neid auf ein mtterliches Herzensabenteuer, der sich
als spttischer Widerwille gegen die weitlufigen
Ruhmesfolgen des Abenteuers verk leidete. Nein, das
gestrenge Lottchen hatte so furchtbar Schnes und
schuldhaft Todses nie erfahren wie ihre Mutter an
dem Abend, als der Mann in Geschften verritten
gewesen und Jener gek ommen war, obgleich er vor
Weihnachtsabend nicht mehr hatte k ommen sollen; als
sie vergeblich zu Freundinnen geschick t und allein mit
ihm hatte bleiben mssen, der ihr aus dem Ossian
vorgelesen hatte und beim Schmerze der Helden
berwltigt worden war von seinem eigenen
allerdstersten Jammer; als der liebe Verzweifelte zu
ihren Fen hingesunk en war und ihre Hnde an
seine Augen, seine arme Stirn gedrck t hatte, da denn
sie sich von innigstem Mitleid hatte bewegen lassen,
auch seine Hnde zu drck en, unversehens ihre
glhenden Wangen sich berhrt hatten und die Welt
ihnen hatte vergehen wollen unter den wtenden
Kssen, mit denen sein Mund auf einmal ihre
stammelnd widerstrebenden Lippen verbrannt hatte

Da fiel ihr ein, da sie es auch nicht erfahren hatte.


Es war die groe Wirk lichk eit, und unterm Tchlein
brachte sie sie mit der k leinen durcheinander, in der
es so strmisch nicht zugegangen war. Der tolle Junge
hatte ihr eben nur einen Ku geraubt oder, wenn
dieser Ausdruck zu ihrer beider Stimmung von damals
nicht passen wollte: er hatte sie von Herzen gek t,
halb Wirbelwind, halb Melancholicus, beim
Himbeersammeln, in der Sonne, sie gek t rasch und
innig, begeistert und zrtlich begierig, und sie hatt' es
geschehen lassen. Dann {35}aber hatte sie sich
hienieden geradeso vortrefflich benommen wie droben
im Schnen, ja, eben darum durfte sie dort fr immer
eine so schmerzlich edle Figur machen, weil sie sich
hier zu verhalten gewut hatte wie auch die
piettvollste Tochter es nur verlangen k onnte. Denn es
war in aller Herzlichk eit ein wirrer und sinnloser, ein
unerlaubter, unzuverlssiger und wie aus einer
anderen Welt k ommender Ku gewesen, ein Prinzenund Vagabundenk u, fr den sie zu schlecht und zu
gut war; und hatte der arme Prinz aus
Vagabundenland auch Thrnen danach in den Augen
gehabt und sie ebenfalls, so hatte sie doch in ehrlich
untadligem Unwillen zu ihm gesagt: Pfui, schm' er
sich! Da er sich so etwas nicht noch einmal
beik ommen lt, sonst sind wir geschiedene Leute! Dies

bleibt nicht zwischen uns, da er's wei. Noch heute


sag' ich es Kestnern. Und wie er auch gebeten hatte,
es nicht anzusagen, so hatte sie es doch an dem Tage
noch ihrem Guten redlich gemeldet, weil er's wissen
mute: nicht sowohl, da jener es getan, als da sie es
hatte geschehen lassen; worauf sich denn Albert doch
recht peinlich berhrt gezeigt hatte und sie im Lauf
des Gesprchs, auf Grund ihrer vernnftigunverbrchlichen Zusammengehrigk eit zu dem
Beschlusse gelangt waren, den lieben Dritten nun denn
doch etwas k rzer zu halten und ihm die wahre
Sachlage entschieden bemerk lich zu machen.
Unter ihren Lidern sah sie noch heute, nach soviel
Jahren, mit erstaunlicher Deutlichk eit die Miene vor
sich, die er bei dem beraus trock enen Empfang
gemacht, den ihm die Brautleute am Tage nach dem
Ku und namentlich am bernchsten Tage bereitet,
als er abends um zehne, da sie mit einander vorm
Hause saen, mit Blumen gek ommen war, die so
unachtsam waren aufgenommen worden, da er sie
weggeworfen und sonderbaren Unsinn peroriert, in
Tropen geredet hatte. Er k onnte ein merk wrdig
langes Gesicht haben damals unter seinem gepuderten
ber den Ohren gerollten Haar: mit groer,
{36}betrbter Nase, dem schmalen Schatten des
Schnurrbrtchens ber einem Frauenmndchen und
schwachem Kinn, auch traurig bittenden braunen

Augen dazu, k lein wirk end gegen die Nase, aber mit
auffallend hbschen seidig-schwarzen Brauen darber.
So hatte er dreingeschaut den dritten Tag nach dem
Ku, als sie, dem Ratschlu gem, ihm in drren
Worten erk lrt hatte, damit er sich danach richte: da
er nie etwas andres werde zu hoffen haben von ihr als
gute Freundschaft. Hatte er denn das nicht gewut,
da ihm bei dem k laren Entscheid geradezu die Wangen
eingefallen waren und er so bla geworden war, da
Augen und Seidenbrauen sich in sehr dunk lem
Kontrast aus dieser Blsse hervorgetan hatten? Die
Reisende verbi ein gerhrtes Lcheln unter ihrem
Tuch indem sie sich dieser unvernnftig enttuschten
Kummermiene erinnerte, von welcher sie Kestnern
nachher eine Beschreibung gemacht, die nicht wenig
zu dem Entschlusse beigetragen hatte, dem lieben,
nrrischen Menschen zum Doppelgeburtstag, seinem
und Kestners, dem verewigten 28. August, zusammen
mit dem Taschen-Homer die Schleife zu senden, eine
Schleife vom Kleide, damit er auch etwas habe
Charlotte errtete unter dem Tchlein, und der
Schlag ihres dreiundsechzigjhrigen
Schulmdelherzens verstrk te, beschleunigte sich
wieder. Dies wute Lottchen, die Jngere, noch nicht,
da ihre Mutter in der Sinnigk eit so weit gegangen
war, an der Brust des vorbereiteten Kleides, der

Nachahmung des Lottek leides, die fehlende Schleife


auszusparen. Sie fehlte, ihr Platz war leer, denn Jener
besa sie, der Entbehrende, dem sie sie im
Einvernehmen mit ihrem Verlobten zum Trost hatte
zuk ommen lassen, und der das gutmtig gespendete
Andenk en mit tausend ek statischen Kssen bedeck t
hatte Die Pflegerin Bruder Karls mochte nur k ritisch
die Mundwink el senk en, wenn sie diese Einzelheit der
mtterlichen Erfindung {37}entdeck te! Zu ihres Vaters
Ehren war sie erdacht worden, des Guten, Getreuen,
der einst das Geschenk nicht nur gebilligt, sondern es
selber angeregt und trotz allem, was auch er um des
ungebrdigen Prinzen willen gelitten, mit seinem
Lottchen geweint hatte, als Er auf und davon war, der
ihm beinahe sein Liebstes geraubt.
Er ist fort, hatten sie zu einander gesagt, als sie
die Zettel gelesen, gek ritzelt nachts und am Morgen,
Ich lasse Euch glck lich und gehe nicht aus Euren
Herzen Adieu, tausendmal adieu! Er ist fort,
sagten sie abwechselnd, und alle Kinder im Haus
gingen wie suchend umher und wiederholten betrbt:
Er ist fort! Die Trnen waren Lotten gek ommen beim
Lesen der Zettel, und sie hatte ruhig weinen drfen
und nichts zu verbergen brauchen vor ihrem Guten;
denn auch ihm waren die Augen feucht gewesen, und
nur von dem Freunde hatte er sprechen mgen den
ganzen Tag: was fr ein merk wrdiger Mensch er sei,

barock wohl zuweilen von Wesen, in manchen Stck en


nicht angenehm, aber so voller Genie und eigentmlich
ergreifender Besonderheit, welche zum Mitleid bewege,
zur Sorge und herzlich geneigten Verwunderung.
So der Gute. Und wie dank bar hatte sie sich zu ihm
gezogen gefhlt, fester als je an seine Seite, weil er so
sprach und es vllig natrlich fand, da sie weinte um
den, der fort war! Wie sie da lag mit geschtzten
Augen, erneuerte sich in dem unruhigen Herzen der
Reisenden diese Dank bark eit in voller Wrme; ihr
Krper bewegte sich als schmiege sie sich an eine
verlliche Brust, und ihre Lippen wiederholten die
Worte, die sie damals gesprochen: Es sei ihr lieb,
murmelte sie, da er fort sei, der von auen
gek ommene Dritte, da sie ihm, was er von ihr
gewnscht, doch nicht htte geben k nnen. Das hrte
er gern, ihr Albert, der den Vorrang und hheren
natrlichen Glanz des Entschwundenen so stark
empfunden hatte wie sie, stark bis zum Irrewerden an
ihrer beider vernnftig-zielk larem Glck e, {38}und ihr
eines Tages in einem Briefchen das gegebene Wort
hatte zurck geben wollen, da sie frei whle zwischen
dem Glnzenderen und ihm. Und sie hatte gewhlt
und ob sie gewhlt hatte! nmlich wieder nur ihn,
den schlicht Ebenbrtigen, den ihr Bestimmten und
Zuk ommenden, ihren Hans Christian: nicht nur, weil

Liebe und Treue strk er gewesen waren, als die


Versuchung, sondern auch k raft eines tiefgefhlten
Schreck ens vor dem Geheimnis im Wesen des
Anderen, vor etwas Unwirk lichem und
Lebensunzuverlssigem in seiner Natur, das sie nicht
zu nennen gewut und gewagt htte und fr das sie
erst spter ein k lagend-selbstank lgerisches Wort
gefunden hatte: Der Unmensch ohne Zweck und
Ruh' Wie sonderbar nur, da ein Unmensch so lieb
und bieder, ein so k reuzbraver Junge sein k onnte, und
da die Kinder nach ihm suchten und sich betrbten:
Er ist fort!
Eine Menge Sommerbilder jener Tage zogen an
ihrem Geist vorber unter dem Tchlein, sprangen auf
in sprechender, hell besonnter Lebendigk eit und
verloschen wieder, Szenen zu dritt, wenn Kestner
einmal vom Amte frei gewesen war und mit ihnen hatte
sein k nnen: Spaziergnge am Bergesrck en, wo sie
auf den durch Wiesen sich schlngelnden Flu, das Tal
mit seinen Hgeln, auf heitere Drfer, Schlo und
Warte, Kloster- und Burgruinen geschaut hatten und
Jener, in offenbarem Entzck en mit traulichen
Menschen die holde Flle der Welt zu genieen, von
hohen Dingen geredet und in einem damit tausend
k omdiantische Possen getrieben hatte, soda die
Brautleute vor Lachen k aum weiter hatten gehen
k nnen; Stunden des Buches in der Wohnstube oder im

Grase, wenn er ihnen aus seinem geliebten Homer oder


dem Fingal-Liede vorgelesen und pltzlich, in einer Art
von Begeisterungszorn, die Augen voll Thrnen, das
Buch hingeworfen und mit der Faust aufgeschlagen
hatte, dann aber, da er ihre Betretenheit sah, in ein
frhlich gesundes Lachen ausgebrochen war Szenen
zu {39}zweit, zwischen ihm und ihr, wenn er ihr in der
Wirtschaft, im Krautfelde geholfen, mit ihr Bohnen
geschnitten oder im Deutschordensgarten mit ihr Obst
abgenommen hatte, ganz guter Kerl und lieber
Kamerad, mit einem Blick oder zgelnden Wort rasch
wieder ins Rechte zu bringen, wenn er sich ins
Schmerzliche hatte gehen lassen wollen. Sie sah und
hrte das alles, sich, ihn, Gebrden und Mienenspiel,
Zurufe, Anweisungen, Erzhlungen, Scherze, Lotte!
und Bestes Lottchen! und La er die Fisimatenten!
Steig' er lieber hinauf und werf' er mir in den Korb
herunter! Das Merk wrdige aber war, da all diese
Bilder und Erinnerungen ihre auerordentliche
Deutlichk eit und Leuchtk raft, die genaue Flle ihres
Dtails sozusagen nicht aus erster Hand hatten; da
das Gedchtnis ursprnglich k eineswegs so sehr darauf
ausgewesen war, sie so ins Einzelne zu bewahren,
sondern sie erst spter aus seiner Tiefe Teilchen fr
Teilchen, Wort fr Wort hatte hergeben mssen. Sie
waren erforscht, rek onstruiert, mit smtlichem Drum

und Dran genauestens wieder hervorgebracht, blank


aufgefirnit und gleichsam zwischen Leuchter gestellt,
um der Bedeutung willen, die sie wider alles Vermuten
nachtrglich gewonnen hatten.
Unter dem Herzk lopfen, das sie erzeugten, dieser
begreiflichen Begleiterscheinung einer Reise ins
Jugendland, verflossen sie in einander, wurden zu
k rausem Traumgefasel und gingen unter in einem
Schlummer, der nach berfrhem Tagesbeginn und
rumpelnder Reise die Sechzigjhrige an die zwei
Stunden umfangen hielt.
Whrend sie schlief, ihres Zustandes tief vergessen,
des fremden Gasthofzimmers, wo sie lag, dieser
nchternen Poststation auf der Reise ins Jugendland,
schlug es zehn und halb 11 von der Hofk irche St.
Jak ob, und sie schlief noch weiter. Ihr Erwachen
geschah von selbst, ehe man sie weck te, aber doch wohl
unter dem geheimen Einflu der sich nhernden
ueren St{40}rung und ihr zuvork ommend aus einer
inneren Bereitschaft, die weniger gespannt und
empfindlich gewesen wre, wenn sich nicht das halb
freudige, halb bek lemmende Vorgefhl damit
verbunden htte, da die Wachheitsforderung nicht
von der Seite ihrer wartenden Schwester, sondern aus
erregenderen Anspruchsbereichen k omme.
Sie sa auf, sah nach der Zeit, erschrak ein wenig
ber die vorgeschrittene Stunde und dachte nicht

anders, als da sie sich nun schleunigst auf den Weg zu


ihren Verwandten machen msse. Eben hatte sie mit
der Wiederherstellung ihrer Toilette begonnen, als es
k lopfte.
Was gibt es? fragte sie an der Thr, einige
Gereiztheit und Klage in der Stimme. Man k ann nicht
eintreten.
Ich bin es nur, Frau Hofrtin, sprach es drauen,
es ist lediglich Mager. Um Vergebung, Frau Hofrtin,
wenn man drangiert, allein es wre hier eine Dame,
Mi Cuzzle, von Nummer 19, eine englische Dame, ein
Gast des Hauses.
Nun, und weiter?
Ich wrde, redete Mager hinter der Tre, nicht
zu ink ommodieren wagen, allein Mi Cuzzle hat von
der Anwesenheit der Frau Hofrtin in hiesiger Stadt
und bei uns erfahren und ersucht dringend, Visite,
wenn auch nur eine ganz k urze, ablegen zu drfen.
Sagen Sie der Dame, erwiderte Charlotte am Spalt,
da ich nicht angek leidet bin, mich auch entfernen
mu, sobald ich es bin, und lebhaft bedauere.
In einem gewissen Widerspruch zu diesen Worten
legte sie dabei einen Frisiermantel um, durchaus
gewillt, die berrumpelung abzuweisen, aber in dem
Wunsch, sich nicht einmal bei der Abweisung im
Zustande vlliger Unbereitschaft zu fhlen.

Ich brauche es Mi Cuzzle nicht zu sagen,


antwortete Mager auf dem Gange. Sie hrt es selbst,
denn sie steht hier neben mir. Die Sache wre die, da
es Mi Cuzzle hchst dringlich {41}wre, der Frau
Hofrtin, sei es auch nur in Minutenk rze, aufwarten
zu drfen.
Aber ich k enne die Dame nicht! rief Charlotte mit
leichter Entrstung.
Das ist es gerade, Frau Hofrtin, versetzte der
Kellner. Mi Cuzzle legt eben das allergrte Gewicht
darauf, sofort Dero Bek anntschaft, in flchtigster
Form, wenn es sein mu, zu machen. She wants to have
just a look at you, if you please, sagte er k unstvoll
verstellten Mundes, gleichsam sprachlich in die
bittstellende Persnlichk eit eintretend, was denn fr
diese das Zeichen zu sein schien, ihre Sache dem
Mittelsmann aus den Hnden zu nehmen und sie selber
zu fhren; denn sogleich k lang drauen in bewegtem
Dudeltudu ihre hohe Kinderstimme auf, die nicht
wieder absetzen zu wollen schien, sondern unter laut
hervorgehobenen most interesting und highest
importance in unerschpflichem Flusse weiterging,
soda die Bedrngte im Zimmer sich langsam
berzeugte, am ehesten noch sei dem Einhalt zu tun,
indem man sich in das zhe Verlangen der
Anstehenden ergebe und sich ihr zeige. Sie hatte
garnicht die Absicht, der Zudringlichen den Raub an

ihrer Zeit durch sprachliches Entgegenk ommen zu


erleichtern. Dennoch war sie deutsch genug, ihre
Kapitulation mit einem halb scherzhaften Well, come
in, please zu erk lren und mute dann lachen ber
Magers Thank you so very much, mit dem er sich,
nach seiner Art, weit mit der Tr ins Zimmer
hineinbeugte, um Mi Cuzzle an sich vorbeizulassen.
Oh dear, oh dear! sagte die k leine Person, die
originell und erfreulich zu sehen war. You've k ept me
waiting, Sie haben mich warten lassen, but that is as it
should be. Es hat mich schon manchmal viel mehr
Geduld gek ostet, zum Ziel zu k ommen. I am Rose Cuzzle.
So glad to see you. Diesen Augenblick , erk lrte sie,
habe sie vom Stubenmdchen erfahren, da sich Mrs.
Kestner seit heute Morgen in dieser Stadt, diesem
Gast {42}haus, nur ein paar Zimmer von ihrem, befinde,
und ohne Umstnde habe sie sich zu ihr auf die Beine
gemacht. Sie wisse wohl (I realise), welche wichtige
Rolle Mrs. Kestner spiele in german literature and
philosophy. Sie sind eine berhmte Frau, a celebrity,
and that is my hobby, you k now, the reason I travel.
Ob dear Mrs. Kestner freundlich genug sein wolle, ihr
zu erlauben, da sie eben rasch ihr reizendes Gesicht
in ihr Sk izzenbuch aufnhme?
Sie trug dies Buch unterm Arm: Breitformat,
Leinendeck el. Ihr Kopf stand voll roter Lock en, und

hochrot war auch ihr Gesicht mit der sommersprossigen


Stumpfnase, den dick , aber sympathisch aufgeworfenen
Lippen, zwischen denen weie, gesunde Zhne
schimmerten, den blau-grnen, auf eine ebenfalls
sympathische Art zuweilen etwas schielenden Augen.
Aus der antik isch hohen Grtung ihres Kleides aus
leichtem, geblmtem Stoff, von dem sie einen faltigen
berflu, vom Bein hinweggerafft, berm Arm trug,
schien ihr weit entblter Busen, sommersprossig wie
die Nase, lustig hervork ugeln zu wollen. Um die
Schultern trug sie ein Schleiertuch. Charlotte schtzte
sie auf fnfundzwanzig Jahre.
Mein liebes Kind, sagte sie, etwas verstrt in ihrer
Brgerlichk eit durch die muntere Exzentrizitt der
Erscheinung, aber gern bereit, duldsamen Weltsinn
walten zu lassen, mein liebes Kind, ich wei das
Interesse zu schtzen, das meine bescheidene Person
Ihnen einflt. Lassen Sie mich hinzufgen, da Ihre
Entschlossenheit mir sehr wohl gefllt. Aber Sie sehen,
wie wenig ich gerstet bin, Besuch zu empfangen,
geschweige denn, zu einem Portrait zu sitzen. Ich bin
im Begriffe, auszugehen, da liebe Verwandte mich
dringend erwarten. Ich freue mich, Ihre Bek anntschaft
gemacht zu haben in all der Krze, die Sie selber in
Vorschlag brachten, und auf der ich zu meinem
Bedauern bestehen mu. Wir haben einander
gesehen, ein Mehreres wre wider die Abrede, und

also erlauben Sie mir {43}wohl, den Willk ommsgru


sogleich mit dem Lebewohl zu verbinden.
Es blieb ungewi, ob Mi Rose ihre Worte auch nur
verstanden hatte; k einesfalls machte sie Miene, ihnen
Rechnung zu tragen. Indem sie fortfuhr, Charlotte mit
Dear anzureden, schwatzte sie unaufhaltsam mit
ihren drolligen Polsterlippen, in ihrer bequemen und
humorig-weltsicheren Sprache auf sie ein, um ihr Sinn
und Notwendigk eit ihres Besuches zu erlutern, sie mit
ihrer unternehmenden, einer bestimmten Jagd- und
Sammlerleidenschaft dienstbaren Existenz vertraut zu
machen.
Eigentlich war sie Irin. Sie reiste zeichnend, wobei
zwischen Zweck und Mittel zu unterscheiden nicht
leicht war. Ihr Talent mochte nicht gro genug sein,
um der Untersttzung durch die sensationelle
Bedeutsamk eit des Gegenstandes entbehren zu k nnen;
ihre Lebendigk eit und prak tische Regsamk eit zu gro,
um sich in stiller Kunstbung gengen zu lassen. So
sah man sie immerfort auf der Fahndung nach Sternen
der Zeitgeschichte und historisch namhaften
Oertlichk eiten, deren Erscheinung sie womglich nebst
der beglaubigenden Unterschrift des Modells und oft
unter den unbequemsten Umstnden, in ihre
Sk izzenbcher einfing. Charlotte hrte und sah mit
Staunen, wo berall das Mdchen gewesen war. Sie

hatte die Brck e von Arcole, die Ak ropolis von Athen


und Kants Geburtshaus zu Knigsberg in Kohle
aufgenommen. In einer schauk elnden Jolle, fr deren
Miete sie fnfzig Pfund gezahlt, hatte sie auf der Reede
von Plymouth den Kaiser Napolon auf dem
Bellerophon gezeichnet, als er, nach dem Diner an
Deck gek ommen, an der Reeling eine Prise genommen
hatte. Es war k ein gutes Bild, sie gestand es selbst: ein
tolles Gedrnge von Booten, voll von Hurra schreienden
Mnnern, Frauen und Kindern, rings um sie her, der
Wellengang, auch die Krze des k aiserlichen
Aufenthaltes an Deck waren ihrer Ttigk eit recht
{44}abtrglich gewesen, und der Held, mit Querhut,
Westenbauch und gespreizten Rock schen, sah aus
wie in einem Vexierspiegel, von oben nach unten platt
zusammengedrck t und lcherlich in die Breite
gezerrt. Trotzdem war es ihr gelungen, durch einen ihr
bek annten Offizier des Schick salsschiffes seine
Unterschrift, oder das hastige Krick el-Krak el, das
dafr gelten mochte, zu erlangen. Der Herzog von
Wellington hatte nicht verfehlt, die seine zu spenden.
Der Wiener Kongre hatte glnzende Ausbeute
gegeben. Die groe Schnelligk eit, mit der Mi Rose
arbeitete, erlaubte es dem beschftigtsten Mann, ihr
zwischenein zu willfahren. Frst Metternich, Herr von
Talleyrand, Lord Castlereagh, Herr von Hardenberg
und mehrere andere europische Unterhndler hatten

es getan. Zar Alexander hatte sein back enbrtiges, mit


einer stark sk urrilen Nase geschmck tes Bildnis
wahrscheinlich darum durch Unterschrift anerk annt,
weil die Knstlerin es verstanden hatte, seinem um die
Glatze stehenden Schlfenhaar das Ansehen eines
offenen Lorbeerk ranzes zu geben. Die Portraits der
Frau Rahel v. Varnhagen, Professor Schellings und des
Frsten Blcher von Wahlstatt bek undeten, da sie in
Berlin ihre Zeit nicht verloren hatte.
Sie hatte sie berall wahrgenommen. Die
Leinendeck el ihrer Mappe umschlossen noch manche
andere Trophe, die sie die verblffte Charlotte unter
lebhaften Kommentaren sehen lie. Jetzt war sie nach
Weimar gek ommen, angelock t von dem Ruf dieser
Stadt, of this nice little place, als des Mittelpunk tes
der weltberhmten deutschen Geistesk ultur, die fr
sie ein Wechselplatz jagdbarer Celebritten war. Sie
bedauerte, recht spt hierher gefunden zu haben. Old
Wieland sowohl wie Herder, den sie einen great
preacher nannte, wie auch the man who wrote the
Ruber, waren ihr durch den Tod entschlpft.
Immerhin lebten ihren Notizen zufolge noch
Schriftsteller am Ort, auf die zu prschen sich lohnte,
wie die Herren Falk und {45}Schtze. Schillers Witwe
hatte sie tatschlich schon in der Mappe, ebenso
Madame Schopenhauer und zwei oder drei namhaftere

Actricen des Hoftheaters, die Demoiselles Engels und


Lortzing. Bis zu Frau von Heygendorf, eigentlich
Jagemann, war sie noch nicht vorgedrungen, verfolgte
aber dies Ziel umso eifriger, als sie durch die schne
Favoritin den Hof zu erobern hoffte und umso eher
hoffen durfte, da sie Verbindungsfden zur GrofrstinErbprinzessin schon angek npft hatte. Was Goethen
betraf, dessen Namen sie, wie brigens auch die
meisten anderen, so frchterlich aussprach, da
Charlotte lange nicht begriff, wen sie meinte, so war
sie ihm auf der Spur, ohne ihn schon vor den Lauf
bek ommen zu haben. Die Nachricht, da das
notorische Modell zur Heldin seines berhmten JugendRomans sich seit heute Morgen in der Stadt, in ihrem
Hotel und nahezu in Zimmernachbarschaft mit ihr
befinde, hatte sie elek trisiert nicht nur wegen des
Gegenstandes selbst, sondern weil sie durch diese
Bek anntschaft, wie sie ganz offen erk lrte, zwei, ja
drei Fliegen auf einmal zu k latschen gedachte:
Werthers Lotte wrde ihr zweifellos den Weg ebnen
zum Autor des Faust; diesen aber wrde es ein Wort
k osten, ihr die Thr Frau Charlottens von Stein zu
ffnen, ber deren Beziehungen zur Gestalt der
Iphigenie sich zur Gedchtnissttze in ihrem
Notizbchlein, Abteilung German literature and
philosophy, einiges vorfand, was sie der gegenwrtigen
namensgleichen Schwester im Reiche der Urbilder mit

grter Einfalt zum Besten gab.


Es ging nun so, da Charlotte wie sie da war, in
ihrem weien Pudermantel, mit dieser Rose Cuzzle
nicht, wie allenfalls vorgesehen, einige Minuten,
sondern drei Viertelstunden verbrachte. Heiter
eingenommen von dem naiven Reiz, der lustigen
Tatk raft der k leinen Person, beeindruck t von all der
Gre, deren sie habhaft zu werden gewut hatte und
deren Spur sie aufweisen k onnte, ungewi, ob sie den
Einschlag von {46}Albernheit wahr haben sollte, den sie
diesem Kunstsport zuzuschreiben versucht war,
bestrk t in dem guten Willen, darber hinwegzusehen,
durch die schmeichelhafte Erfahrung, selbst zu der
groen Welt gezhlt zu werden, deren Hauch ihr aus
Mi Cuzzles Jagdbuch entgegenwehte, und sich in den
Ruhmesreigen seiner Bltter aufgenommen zu sehen,
k urzum, ein Opfer ihrer Leutseligk eit, sa sie lchelnd
in einem der beiden mit Cretonne berzogenen
Fauteuils des Gasthofzimmers und hrte dem Geplauder
der Reisek nstlerin zu, die in dem anderen sa und sie
zeichnete.
Sie tat es mit geruschvoll-virtuosen Strichen, die
nicht immer so treffend schienen wie ungeniert, da sie
sie fters, brigens ohne Nervositt, mit einem groen
Radiergummi wieder aufhob. Dem leichten Schielen
ihrer Augen, die nicht bei dem waren, was sie redete,

war angenehm zu begegnen, erfreulich und gesund war


der Anblick ihrer k ugeligen Brust und ihrer
gepolsterten Kinderlippen, die von fernen Lndern, von
der Begegnung mit berhmten Leuten erzhlten, inde
die hbschen Zhne schmelzwei zwischen ihnen
schimmerten. Die Situation erschien ebenso harmlos
wie interessant, das war es, was es Charlotten so
leicht machte, lngere Zeit ganz zu vergessen, wie sehr
sie sich versumte. Htte Lottchen, die Jngere, sich
gergert an diesem Besuch Sorge um die Seelenruhe
der Mutter htte sie nicht ihren Beweggrund nennen
drfen. Von dieser k leinen Angelschsin war k eine
Indisk retion zu besorgen, sie brachte es nicht so weit.
Das war beruhigend und gab dem Zusammensein mit
ihr etwas Verfhrerisches. Sie war es, die sprach, und
Charlotte hrte ihr heiter zu. Herzlich unterhalten
lachte sie ber eine Geschichte, die Rose bei der Arbeit
hervorsprudelte: Wie es ihr gelungen war, im
Abruzzen-Gebirge einen Ruberhauptmann namens
Boccarossa ihrer Galerie einzuverleiben, einen wegen
seiner Tapferk eit und Grausamk eit hochgefrchteten
Bandenchef, der, von ihrer Auf{47}merk samk eit nicht
wenig angetan, auch k indlich erfreut ber den k hnen
Anblick seines Bildnisses, seine Leute beim Abschied
eine Salve aus ihren trichterfrmigen Flintenrohren zu
Mi Roses Ehren hatte abgeben und sie mit sicherem
Geleit aus dem Bereich seiner beltaten hatte bringen

lassen. Charlotte amsierte sich sehr ber die wilde,


und, wie ihr vork am, ziemlich eitle Ritterlichk eit dieses
Sk izzenbuch-Genossen. Lachenden Mundes und zu
zerstreut, um Erstaunen darber zu empfinden, da er
pltzlich im Zimmer stand, blick te sie dem Kellner
Mager entgegen, dessen wiederholtes Ank lopfen in
Gesprch und Heiterk eit untergegangen war.
Beg your pardon, sagte er. Ich unterbreche
ungern. Allein Herr Doktor Riemer wrde es sich zum
Vorzug rechnen, der Frau Hofrtin seine Ergebenheit
zu bezeigen.

{48}Drittes

Kapitel

Charlotte erhob sich hastig aus ihrem Sessel.


Er ist es, Mager? fragte sie verwirrt. Was gibt es?
Herr Dr. Riemer? Was fr ein Herr Dr. Riemer? Meldet
er mir gar einen neuen Besuch? Was fllt ihm ein! Das
ist ganz unmglich! Welche Zeit haben wir? Eine sehr
spte Zeit! Mein liebes Kind, wandte sie sich an Mi
Rose, wir mssen dies freundliche Beisammensein
sofort beenden. Wie sehe ich aus? Ich mu mich
ank leiden und ausgehen. Man erwartet mich ja!
Leben Sie wohl! Und er, Mager, sag' er jenem Herrn,
da ich nicht in der Lage bin, zu empfangen, da ich
schon weg bin
Sehr wohl, erwiderte der Marqueur, inde Mi
Cuzzle ruhig weiter schraffierte. Sehr wohl, Frau
Hofrtin. Allein ich mchte Dero Befehl nicht
ausfhren, ohne sicher zu sein, da Frau Hofrtin sich
ber die Identitt des gemeldeten Herrn im k laren
sind
Was da, Identitt! rief Charlotte erzrnt. Will er
mich wohl mit seinen Identitten in Frieden lassen?
Ich habe durchaus k eine Zeit fr Identitten. Sag' er
seinem Herrn Dok tor
Absolut! versetzte Mager unterwrfig.

Unterdessen halte ich es fr meine Pflicht, die Frau


Hofrtin darber ins Bild zu setzen, da es sich um
Herrn Dok tor Riemer handelt, Friedrich Wilhelm
Riemer, den Sek retr und vertrauten Reisebegleiter
Seiner Excellenz, des Herrn Geheimen Rates. Es
erscheint nicht vllig ausgeschlossen, da der Herr
Dok tor vielleicht eine Botschaft
Charlotte sah ihm verblfft, mit gerteten Wangen
und merk lich zitterndem Kopfe ins Gesicht.
Ach so, sagte sie geschlagen. Aber gleichviel, ich
k ann diesen Herrn nicht sehen, ich k ann niemanden
sehen und mchte wahrhaftig wissen, Mager, was er
sich denk t und wie er {49}sich's vorstellt, da ich den
Herrn Dok tor empfangen soll! Er hat Mi Cuzzle hier
bei mir eingeschwrzt, will er, da ich auch Dok tor
Riemers Besuch im Nglig und in der Unordnung
dieses Gastzimmers entgegennehme?
Dazu, versetzte Mager, besteht k einerlei
Notwendigk eit. Wir verfgen ber ein Parlour, einen
Parlour-room in der ersten Etage. Ich wrde, die
Zustimmung der Frau Hofrtin vorausgesetzt, den
Herrn Dok tor ersuchen, sich dort zu gedulden, bis Frau
Hofrtin Dero Toilette geendigt haben und dann um
die Erlaubnis bitten, Frau Hofrtin ebenfalls auf einige
Minuten dorthin zu geleiten.
Ich hoffe, sagte Charlotte, es sind nicht Minuten
gemeint, wie die, die ich diesem charmanten

Frauenzimmer gewidmet habe. Mein liebes Kind,


wandte sie sich an die Cuzzle, Sie sitzen und
crayonnieren Sie sehen meine Bedrngnis. Ich dank e
Ihnen aufrichtig fr das angenehme Intermezzo
unserer Begegnung, aber was etwa an Ihrem Dessin
noch fehlt, mssen Sie unbedingt nach dem
Gedchtnis
Ihre Mahnung war unntig, Mi Rose erk lrte mit
lachenden Zhnen fertig zu sein.
I'm quite ready, sagte sie, indem sie ihr Werk mit
ausgestreck tem Arm vor sich hinhielt und es mit
zugek niffenen Augen betrachtete. I think , I did it
well. Wollen Sie sehen?
Vielmehr war es Mager, der das wollte und
angelegentlich herantrat.
Ein hchst schtzbares Blatt, urteilte er mit der
Miene des Connoisseurs. Und ein Dok ument von
bleibender Bedeutung.
Charlotte, die sich pressiert im Zimmer nach ihrer
Garderobe umsah, hatte k aum ein Auge fr das
Entstandene.
Ja, ja, recht hbsch! sagte sie. Bin ich das? O
doch, es hat wohl eine gewisse Verwandtschaft. Meine
Unterschrift? Hier denn nur rasch!
{50}Und mit dem Kohlestift leistete sie im Stehen die
Signatur, die an Flchtigk eit der napoleonischen nicht

nachstand. Sie bedank te mit eiligem Kopfnick en das


Abschiedsk ompliment der Irlnderin. Mager
beauftragte sie, Herrn Dr. Riemer zu ersuchen, er mge
sich im Sprechzimmer einige Augenblick e gedulden.
Als sie, zum Ausgehen fertig angek leidet, denn
ausdrck lich hatte sie Straentoilette gemacht, mit
Hut und Mantille, Ridik l und Schirm ihr Zimmer
verlie, fand sie den Kellner schon auf dem Gange
wartend. Er geleitete sie die Treppe hinab und bot ihr
im unteren Stock werk auf seine gewohnte Art an
seiner Person vorbei Eintritt in das
Unterhaltungszimmer, wo sich bei ihrem Erscheinen
der Besucher von einem Stuhle erhob, neben den er
seinen hohen Hut gestellt.
Dr. Riemer war ein Mann Anfang Vierzig, von
miger Statur, mit noch vollem und braunem, nur
leicht mliertem Haar, das strhnig in die Schlfen
gebrstet war, weit aus einander und flach liegenden,
ja etwas hervorquellenden Augen, einer geraden,
fleischigen Nase und weichem Munde, um den ein etwas
verdrielicher, gleichsam maulender Zug lag. Er trug
einen braunen berrock , dessen dick aufliegender
Kragen ihm hoch im Nack en stand und vorn die
Pik eeweste, das gek reuzte Halstuch sehen lie. Seine
weie, am Zeigefinger mit einem Siegelring
geschmck te Hand hielt den Elfenbeink nopf eines
Spazierstabes mit Ledertroddel. Der Kopf stand ihm

etwas schief.
Ihr Diener, Frau Hofrtin, sagte er sich
verneigend mit sonorer und gaumiger Stimme. Ich
habe mir wohl den Vorwurf eines schwer verzeihlichen
Mangels an Geduld und Rck sicht zu machen, wenn
ich sogleich bei Ihnen eindringe. Es an
Selbstbeherrschung fehlen zu lassen, will ohne Zweifel
dem Jugendbildner am wenigsten anstehen. Dennoch
habe ich mich damit abfinden mssen, da diesem
dann und wann der {51}Poet in mir ein
leidenschaftliches Schnippchen schlgt, und so hat das
Gercht Ihrer Anwesenheit, das die Stadt durchluft,
den unwiderstehlichen Wunsch in mir aufgeregt,
sogleich einer Frau meine Huldigung darzubringen und
sie in unseren Mauern willk ommen zu heien, deren
Namen mit unserer vaterlndischen Geistesgeschichte
ich mchte sagen: mit der Bildung unserer Herzen so
eng verk npft ist.
Herr Dok tor, antwortete Charlotte, indem sie seine
Verbeugung nicht ohne zeremonielle Ausfhrlichk eit
erwiderte, die Aufmerk samk eit eines Mannes von
Ihren Verdiensten k ann nicht verfehlen uns angenehm
zu sein.
Da diese Verdienste ihr ziemlich dunk el waren,
schuf ihr einige gesellschaftliche Beunruhigung. Sie
war froh, daran erinnert zu werden, da er Erzieher

und zu erfahren, da er auch Dichter war; zugleich


aber erregten diese Andeutungen ihr etwas wie
Erstaunen oder selbst Ungeduld, da ihr schien, als
wrde damit des Mannes eigentlichster und einzig
bedenk enswerter Eigenschaft, dem hohen Dienst an
jener Stelle zu nahe getreten. Sie sprte sofort, da er
Gewicht darauf legte, man mge Wert und Wrde
seiner Person sich nicht in dieser Eigenschaft
erschpfen sehen, was ihr grillenhaft vork am. Zum
mindesten mute er begreifen, da seine Bedeutung fr
sie allein in der Frage beruhte, ob er als Trger einer
Nachricht von dort k omme oder nicht. Sie war
entschlossen, das Gesprch aufs Sachlichste, auf die
Entscheidung dieser Frage abzuk rzen und
zufrieden, da ihr Anzug ber diese Absicht k einen
Zweifel lie. Sie fuhr fort:
Haben Sie Dank fr das, was Sie Ihre Ungeduld
nennen, und was ich als einen sehr ritterlichen Impuls
verehre! Freilich mu ich mich wundern, da ein so
privates Vork ommnis wie meine Ank unft in Weimar
Ihnen schon zu Ohren gek ommen ist und frage mich
von wem Sie die Nachricht haben k nnten von
meiner Schwester, der Kammerrtin, vielleicht, setzte
sie mit {52}einer gewissen berstrzung hinzu, zu der
Sie mich unterwegs sehen, und die mir meine
Sumigk eit um so eher verzeihen wird, da ich ihr
gleich von einem so schtzbaren Besuch zu berichten

haben werde und berdies zu meiner Entschuldigung


anfhren k ann, da ihm ein anderer, weniger
gewichtiger, wenn auch recht belustigender schon
vorangegangen ist: der einer reisenden Virtuosin des
Zeichenstiftes, die darauf bestand, in aller Eile das
Portrait einer alten Frau zu verfertigen und damit
freilich, soviel ich gesehen habe, nur recht
annherungsweise zustande k am Aber wollen wir
uns nicht setzen?
So, so, erwiderte Riemer, eine Stuhllehne in der
Hand, da scheinen Sie, Frau Hofrtin, es mit einer
jener Naturen zu tun gehabt zu haben, bei denen
Sehnsucht und Streben nicht proportioniert sind, und
die mit wenigen Strichen zuviel leisten wollen.

Was ich ergreife, das ist heut


Frwahr nur sk izzenweise
rezitierte er lchelnd. Aber ich sehe wohl, da ich der
Erste nicht auf dem Platze war, und wenn ich mich
meiner Ungeduld wegen einigermaen disk ulpiert fhle
durch die Bemerk ung, da ich sie mit anderen teile, so
geht mir die Notwendigk eit, von der Gunst des
Augenblick s einen sparsamen Gebrauch zu machen,
nur desto zwingender daraus hervor. Freilich wchst
fr uns Menschen der Wert eines Gutes mit der

Schwierigk eit es zu gewinnen, und ich gestehe, da ich


auf das Glck , vor Ihnen, Frau Hofrtin, zu stehen,
umso schwerer gleich wieder resignieren wrde, als es
garnicht ganz leicht ist, sich den Weg zu Ihnen zu
bahnen.
Nicht leicht? verwunderte sie sich. Mir scheint,
der Mann, dem hier Gewalt gegeben ist zu binden und
zu lsen, unser Herr Mager, hat nicht die Miene eines
Cerberus.
{53}Das eben nicht, versetzte Riemer. Aber wollen
Frau Hofrtin sich selbst berzeugen!
Damit fhrte er sie zum Fenster, das wie die von
Charlottens Schlafzimmer auf den Mark t hinausging,
und lftete die gestrk te Gardine.
Der Platz, den sie bei ihrer Ank unft morgendlich de
gesehen, zeigte sich von Menschen stark belebt, die in
Gruppen standen und zu den Fenstern des Elefanten
emporblick ten. Besonders vor dem Eingang des Gasthofs
gab es einen regelrechten Auflauf, ein k leines
Volk sgedrnge, welches, beaufsichtigt von zwei
Stadtweibeln, die sich bemhten, den Eingang frei zu
halten, sich aus Handwerk ern, jungen
Ladenverwandten beiderlei Geschlechts, Frauen mit
Kindern auf dem Arm, auch wrdigeren Brgertypen
zusammensetzte und von heranrennenden Jungen
immer noch vermehrt wurde.
Ums Himmels willen, sagte Charlotte, deren Kopf

beim Hinaussphen stark zitterte, wem gilt das?!


Wem anders als Ihnen, antwortete der Dok tor.
Das Gercht Ihres Eintreffens hat sich mit Windeseile
verbreitet. Ich k ann Sie versichern, und Frau Hofrtin
sehen es selbst, da die Stadt wie ein aufgestrter
Ameisenhaufen ist. Jedermann hofft, einen Schimmer
von Ihrer Person zu erhaschen. Diese Leute vorm Thore
warten darauf, da Sie das Haus verlassen.
Charlotte sprte das Bedrfnis sich zu setzen.
Mein Gott, sagte sie, das hat k ein anderer als der
unselige Enthusiast, dieser Mager, mir eingebrock t. Er
mu unsere Ank unft an die groe Glock e gehngt
haben. Da auch die fahrende Stmperin mich hindern
mute, meiner Wege zu gehen, solange der Ausgang
noch frei war! Und diese Leute dort unten, Herr
Dok tor, haben sie nichts Besseres zu tun, als das
Quartier einer alten Frau zu belagern, die so wenig
geschaffen ist, das Wundertier abzugeben, wie ich, und
gerne in Frieden ihren privaten Geschften nachgehen
mchte?
{54}Zrnen Sie ihnen nicht! sagte Riemer. Dieser
Zudrang zeugt denn doch von etwas Edlerem noch als
gemeiner Neugier, nmlich von einer naiven
Verbundenheit unserer Einwohnerschaft mit den
hchsten Angelegenheiten der Nation, einer
Popularitt des Geistes, die ihr Rhrendes und

Erfreuliches behlt, auch wenn etwelches k onomisches


Interesse dabei im Spiel sein sollte. Mssen wir nicht
froh sein, fuhr er fort, indem er mit der Verwirrten
ins tiefere Zimmer zurck k ehrte, wenn die Menge,
geistverachtend wie sie ihrer ursprnglichen derben
berzeugung nach ist, auf die ihr einzig begreifliche
Weise zur Verehrung des Geistes angehalten wird,
nmlich indem er sich ihr als ntzlich erweist? Dies
vielbesuchte Stdtchen zieht manchen handgreiflichen
Vorteil aus dem Ansehen des deutschen Genius, der sich
fr die Welt in ihm und hier wieder nachgerade fast
allein in einer bestimmten Person k onzentriert: was
Wunder, da seine brave Population sich zum Respek t
bek ehrt findet vor dem, was ihr sonst Firlefanz wre,
und die schnen Wissenschaften nebst allem, was damit
zusammenhngt, als ihre eigenste Angelegenheit
betrachtet, wobei sie natrlich, der die Werk e des
Geistes denn doch so unzugnglich bleiben wie jeder
anderen, sich an die persnlichen Specialissima hlt,
wobei und woran diese Werk e entstanden sind?
Mir scheint, erwiderte Charlotte, Sie geben
dieser Menschheit mit der einen Hand nur, um ihr mit
der anderen wieder zu nehmen. Denn indem Sie eine
mir so lstige Neugier im Edler-Geistigen begrnden zu
wollen scheinen, begrnden Sie dies Bessere wieder auf
eine Weise im Gemein-Materiellen, da mir bei der
Sache nicht wohler werden k ann, ja, eine gewisse

Krnk ung fr mich dabei abfllt.


Verehrteste Frau, sagte er, es ist k aum angngig,
von einem so zweideutigen Wesen wie dem Menschen
anders als zweideutig zu reden; eine solche Redeweise
wird noch nicht als {55}Versto gegen die Humanitt zu
erachten sein. Ich denk e, man erweist sich nicht als
miwollender Schwarzseher, sondern als Freund des
Lebens, indem man seinen Erscheinungen ihr Gutes
und Erfreuliches abgewinnt, ohne eben ihrer Kehrseite
unk undig zu sein, wo denn mancher derbe Knoten
starren und manch nchterner Faden hngen mag.
Jene Gaffer dort unten aber in Schutz zu nehmen gegen
Ihre Ungeduld habe ich alle Ursach, denn allein meine
leidlich erhhte Stellung in der Soziett sondert mich
von ihnen ab, und drfte ich nicht neidenswerter
Weise zufllig hier oben vor Ihnen stehen, so machte
ich mit dem sen Pbel dort unten den Konstablern zu
schaffen. Derselbe Impuls, der ihn zusammentreibt,
bestimmte meinetwegen in etwas gehobener und
geluterter Gestalt auch mein Handeln, als vor einer
Stunde mein Barbier mir beim Schaumschlagen die
stdtische Neuigk eit hinterbrachte, Charlotte Kestner
sei frh um achte mit der Post eingetroffen und im
Elefanten abgestiegen. So gut wie er, so gut wie ganz
Weimar wute ich und empfand es tief, wer das sei, was
dieser Name bedeute, und es litt mich nicht in meinen

vier Wnden, frher als meine Absicht gewesen war,


warf ich mich in Anzug und eilte hierher, um Ihnen
meine Huldigung darzubringen, die Huldigung eines
Fremden und eines Schick salsverwandten, eines
Bruders doch auch wieder, dessen Existenz auf ihre
mnnliche Art gleichfalls in das groe Leben verwoben
ist, das die Welt bestaunt, den Brudergru eines
Mannes, dessen Namen die Nachwelt immer als den
eines Freundes und Helfers wird anfhren mssen,
wenn von den Herk ulesthaten des Groen die Rede sein
wird.
Charlotte, nicht sonderlich angenehm berhrt,
glaubte zu bemerk en, da bei diesen ehrgeizigen
Worten der stehend beleidigte Zug um des Dok tors
Mund sich verstrk te, als sei seine peremptorische
Forderung an die Nachwelt eigentlich Ausdruck des
Mitrauens, das er in ihre gerechte Erfllung setzte.
{56}Ei, sagte sie, indem sie die blank e Rasur des
Gelehrten betrachtete, Ihr Barbier hat geplaudert?
Nun, am Ende ist das seines Amtes und Standes. Aber
vor einer Stunde erst? Es scheint, ich mache da die
Bek anntschaft eines Langschlfers, Herr Dok tor.
Ich gestehe es, erwiderte er mit etwas hngendem
Lcheln.
Sie hatten auf Sthlen mit gehhlten Rck enlehnen
an einem Tischchen Platz genommen, das seitlich unter
einem Portrait des Groherzogs stand, welcher,

jugendlich noch, in Kanonenstiefeln und Ordensband,


sich auf ein mit k riegerischen Emblemen belastetes
antik es Postament sttzte. Die faltig bek leidete
Gipsgestalt einer Flora schmck te das sparsam
mblierte, aber mit hbschen mythologischen
Sopraporten versehene Zimmer. Ein weier und
sulenfrmiger Ofen, um den ein Genienreigen lief,
bildete in einer anderen Nische das Gegenstck der
Gttin.
Ich gestehe, sagte Riemer, diese meine Schwche
fr den Morgenschlummer. Knnte man sagen, man
halte auf eine Schwche, so wrde ich diese
Ausdruck sweise whlen. Nicht beim ersten
Hahnenschrei aus den Federn zu mssen, ist recht
eigentlich das Zeichen des freien Mannes in
begnstigter gesellschaftlicher Stellung, und ich habe
mir die Freiheit, in den Tag hineinzuschlafen,
jederzeit salviert, auch solange ich am Frauenplan
domizilierte, der Hausherr mute mich darin wohl
gewhren lassen, obgleich er selbst, seinem minuzisen,
um nicht zu sagen pedantischen Zeitk ulte gem,
seinen Tag mehrere Stunden frher begann, als ich
den meinen. Wir Menschen sind verschieden. Der Eine
findet seine Genugtuung darin, allen anderen
zuvorzuk ommen und sich am Werk e zu sehen, da jene
noch schlafen; dem Anderen behagt es, nach Herrenart

noch etwas an Morpheus' Busen zu verharren, inde


sich die Notdurft schon plack en mu. Die Hauptsache
ist, da man einander duldet, und im Dulden, das
mu man geste{57}hen, ist der Meister gro, sollte
einem auch nicht immer ganz wohl werden bei seiner
Duldung.
Nicht wohl? fragte sie beunruhigt
Habe ich nicht wohl gesagt? gab er zurck ,
indem er, der zuletzt zerstreut im Zimmer
umhergeblick t hatte, sie wie angerufen mit seinen
etwas glotzenden, weitspurigen Augen ansah. Es ist
einem sogar sehr wohl in seiner Nhe, htte wohl
sonst ein empfindlich organisierter Mensch wie ich es
ausgehalten, neun Jahre lang fast unausgesetzt um ihn
zu sein? Sehr, sehr wohl. Gewisse Aussagen verlangen
zunchst nach der entschiedensten Steigerung, um
dann einer fast ebenso entschiedenen Einschrnk ung
zu bedrfen. Es ist das Extrem mit Einschlu seines
Gegenteils. Die Wahrheit, verehrteste Frau, gengt
sich nicht immer in der Logik ; um bei ihr zu bleiben,
mu man sich hie und da widersprechen. Ich bin mit
diesem Satze nichts weiter als der Schler des in Rede
Stehenden, von dem man gar hufig Aeuerungen
vernimmt, die den Widerspruch zu sich selber schon in
sich enthalten, ob um der Wahrheit willen oder aus
einer Art von Treulosigk eit und Eulenspiegelei, das
wei ich nicht, ich k ann es jedenfalls nicht

beschwren. Ich mchte das Erstere annehmen, da er


es ja selber fr schwerer und redlicher erk lrt, die
Menschen zu befriedigen als sie zu verwirren Ich
frchte abzuk ommen. Fr meine Person diene ich der
Wahrheit, wenn ich das auerordentliche Wohlgefhl
feststelle, dessen man an seiner Seite geniet, indem
man zugleich das bek lommene Gegenteil davon zu
vermerk en hat, ein Unbehagen des Grades, da man
auf seinem Stuhle nicht sitzen k ann und versucht ist,
davon zu laufen. Teuerste Frau Hofrtin, das sind
Widersprche, die festhalten, neun Jahre festhalten,
dreizehn Jahre festhalten, weil sie sich aufheben in
einer Liebe und Bewunderung, die, wie es in der Schrift
heit, hher ist als alle Vernunft
Er schluck te. Charlotte schwieg, da sie ihn erstens
weiter {58}sprechen zu lassen wnschte und zweitens
damit beschftigt war, seine zugleich zgernden und
drngend-bedrngten Nachrichten von Weitem mit
ihren Erinnerungen zu vergleichen.
Was seine Duldsamk eit angeht, begann er wieder,
um nicht zu sagen: seine Llichk eit Sie sehen, ich
habe meine Gedank en beisammen und bin weit
entfernt, den Faden zu verlieren , so gilt es wohl,
zwischen einer Toleranz zu unterscheiden, die aus der
Milde k ommt, ich meine aus einem christlichen im
weitesten Sinne christlichen Gefhl fr die eigene

Fehlbark eit, das eigene Angewiesensein auf Indulgenz,


oder nicht einmal das, ich meine im Grunde: die aus
der Liebe k ommt und einer anderen, die der
Gleichgltigk eit, der Geringschtzung entspringt und
hrter ist, hrter wirk t als jede Strenge und
Verdammung, ja, die unertrglich und vernichtend
wre, sie k me denn von Gott, in welchem Falle ihr
aber nach allen unseren Begriffen die Liebe unmglich
fehlen k nnte, und das tut sie tatschlich denn wohl
auch nicht, es mag in der Tat so sein, da Liebe und
Verachtung in dieser Duldsamk eit eine Verbindung
eingehen, die an Gttliches zum Mindesten erinnert,
woher es denn k ommen mag, da man sie nicht nur
ertrgt, sondern sich ihr hingibt zu lebenslanger
Hrigk eit Was wollte ich sagen? Wrden Sie mich
erinnern, wie wir auf diese Dinge k amen? Ich gestehe,
da ich fr den Augenblick nun dennoch den Faden
verloren habe.
Charlotte sah ihn an, der, die Gelehrtenhnde ber
dem Knopf seines Stock es gefaltet, sich mit seinen
bemhten Rindsaugen im Leeren verlor, und erk annte
pltzlich k lar und deutlich, da er garnicht zu ihr,
nicht um ihretwillen gek ommen war, sondern sie als
Gelegenheit nahm, von jenem, seinem Herrn und
Meister zu sprechen und dabei allenfalls der Lsung
eines verjhrten Rtsels, das sein Leben beherrschen
mochte, nher zu k ommen. Sie fand sich auf einmal in

die Rolle Lott {59}chens, der Jngeren, eingerck t, die


Vordergrnde und Vorwnde durchschaute, den Mund
ber fromme Selbsttuschungen verzog, und war
geneigt, ihr abzubitten, da sie sich sagte, da wir
nichts fr Einsichten k nnen, die uns aufgedrngt
werden, und da solche Einsichten etwas
Unangenehmes haben. Das Bewutsein als bloes
Mittel zu dienen, war auch nicht schmeichelhaft; doch
sah sie ein, da sie dem Manne nichts vorzuwerfen
hatte, da sie ihn so wenig um seinetwillen empfing, wie
er sie um ihretwillen besuchte. Auch sie hatte Unruhe
hierher gefhrt, die Lebensbeunruhigung durch ein
ungelstes und ungeahnt gro herangewachsenes
Altes, der unwiderstehliche Wunsch, es wieder aufleben
zu lassen und extravaganter Weise die Gegenwart
daran zu k npfen. Sie waren Complicen,
gewissermaen, und in geheimem Einverstndnis, der
Besucher und sie, zusammengefhrt durch ein qulendbeglck endes, sie beide in schmerzender Spannung
haltendes Drittes, bei dessen Errterung und mglicher
Schlichtung der Eine dem Andern behilflich sein
sollte. Sie lchelte k nstlich und sagte:
Ist es denn zu verwundern, mein lieber Herr
Dok tor, da Sie den Faden verlieren, da Sie sich
verfhren lassen, an eine so harmlos menschliche
k leine Tatsache wie Ihr Langschlfertum so weitlufige

moralische Reflexionen und Unterscheidungen zu


k npfen? Der Gelehrte in Ihnen spielt Ihnen einen
Streich. Aber wie ist es denn nun? Sie k onnten sich
jene Schwche, wie Sie es nennen ich nenne es eine
Gewohnheit wie eine andere in Ihrer frheren
Stellung, der neunjhrigen, beliebig gnnen; aber
wenn mir recht ist, bek leiden Sie heute ein stdtisches
Lehramt, ich mte mich irren, nichtwahr, Sie sind
Gymnasialdozent? Vertrgt sich denn jene Liebhaberei,
auf die Sie ein gewisses Gewicht zu legen scheinen,
auch mit dieser Ihrer gegenwrtigen Kondition?
Allenfalls, erwiderte er, indem er ein Bein bers
andere {60}schlug und den Stock , den er an beiden
Enden hielt, querhin auf das Knie stemmte. Allenfalls,
in Ansehung nmlich der frheren, die ja neben der
neuen fast uneingeschrnk t fortbesteht, und die zu
bek annt ist, als da nicht einige Rck sicht sollte
darauf genommen werden. Frau Hofrtin haben ganz
recht, sagte er und gab sich eine gemessenere
Haltung, da er die vorige auf die Dauer als unpassend
empfand und sich nur aus Gefallen an der
Rck sichtnahme, deren Gegenstand er war, fr den
Augenblick hatte dazu hinreien lassen, seit vier
Jahren bin ich am hiesigen Gymnasium angestellt und
halte selbstndig Haus, der Augenblick zu diesem
Wechsel der Lebensform war unabweislich gek ommen;
bei allen geistigen und materiellen Annehmlichk eiten

und Freuden, die das Leben im Hause des groen


Mannes gewhrte, war es fr den schon
Neununddreiigjhrigen gewissermaen zu einer
Sache der Mannesehre, einer reizbaren Mannesehre,
verehrteste Frau, geworden, sich so oder so auf eigene
Fe zu stellen. Ich sage: So oder so, denn meine
Wnsche, meine Trume hatten hher gegriffen, als
nach diesem pdagogischen Mittelstand, und haben
sich noch immer nicht vllig darauf resigniert, sie
zielten auf das hhere Lehrfach, auf die Ttigk eit an
einer Universitt nach dem Vorbilde meines verehrten
Lehrers, des berhmten k lassischen Philologen Wolf in
Halle. Es hat nicht sein sollen, hat sich bis jetzt nicht
fgen wollen. Man k nnte sich darber wundern,
nichtwahr? Man k nnte die berlegung anstellen, da
meine langjhrige illustre Mitarbeiterschaft das
schnellk rftigste Sprungbrett zum Ziel meiner
Wnsche htte abgeben mssen, k nnte sich sagen,
da es einer so hohen und einflureichen Freund- und
Gnnerschaft ein Leichtes htte sein mssen, mir das
ersehnte Lehramt an einer deutschen Hochschule zu
verschaffen. Ich glaube dergleichen Fragen in Ihren
Augen zu lesen. Ich habe nichts darauf zu erwidern. Ich
k ann nur sagen: Diese Frderung, diese Protek tion,
{61}dies belohnende Machtwort, sie sind ausgeblieben,
sie sind mir, aller menschlichen Erwartung und

Kalk ulation entgegen, nun einmal nicht


zuteilgeworden. Was hlfe es, sich bittere Gedank en
darber zu machen? Man tut es wohl, o doch, zu
mancher Tages- und Nachtstunde brtet man ber dem
Problema, allein es fhrt zu nichts und k ann zu nichts
fhren. Groe Mnner haben an anderes zu denk en als
an das Eigenleben und -glck der Handlanger, mgen
diese sich noch so verdient um sie und ihr Werk
gemacht haben. Sie haben offenbar vor allem an sich
zu denk en, und wenn sie beim Abwgen der
Wichtigk eit, die unsere Dienste fr sie besitzen, gegen
unsere privaten Interessen zugunsten unserer
Unabk mmlichk eit, unserer Unentbehrlichk eit fr sie
und ihr Schaffen entscheiden, so ist das zu ehrenvoll,
zu schmeichelhaft fr uns, als da wir nicht gern
unseren Willen mit dem ihren vereinigten, uns ihrer
Entscheidung mit einer gewissen bitteren und stolzen
Freudigk eit unterwrfen. So habe ich mich denn auch
veranlat gesehen, eine Vok ation an die Universitt
von Rostock , die k rzlich an mich erging, nach
reiflicher berlegung abzulehnen.
Abzulehnen? Warum?
Weil ich in Weimar zu bleiben wnschte.
Aber, Herr Dok tor, verzeihen Sie, dann haben Sie
sich nicht zu bek lagen.
Bek lage ich mich denn? fragte er ebenso
berrascht wie frher schon einmal. Das war im

Mindesten meine Absicht nicht, ich mu mich da fr


mihrt halten. Hchstens sinne ich nach ber des
Lebens, des Herzens Widerspruch und schtze es, ihn
im Gesprch mit einer Frau von Geist zu errtern. Von
Weimar mich trennen? O, nein. Ich liebe es, ich hnge
daran, seit dreizehn Jahren bin ich brgerlich
verwachsen mit seinem Gemeinwesen, als
Dreiigjhriger schon k am ich hierher, direk t von
Rom, wo ich bei den Kindern des Herrn Gesandten
{62}von Humboldt als Hauslehrer fungiert hatte. Seiner
Empfehlung verdank e ich meine Niederlassung am
Orte. Fehler und Schattenseiten? Weimar hat die
Fehler und Schattenseiten des Menschlichen,
k leinstdtischer Menschlichk eit vor allem. Borniert
und hfisch verk latscht mchte das Nest wohl sein,
dnk elhaft oben und dumpfsinnig unten, und ein
rechtlicher Mann hat es schwer hier wie berall
vielleicht noch etwas schwerer als berall; die Schelme
und Tagediebe befinden sich wie blich und wohl
noch etwas entschiedener als blich obenauf. Aber
darum ist es doch ein wack eres, nahrhaftes
Stdtchen ich wte lngst nicht mehr, wo anders
ich leben wollte und k nnte. Haben Sie von seinen
Merk wrdigk eiten schon etwas gesehen? Das Schlo?
Den Exerzierplatz? Unser Komdienhaus? Die schnen
Anlagen des Park s? Nun, Sie werden ja sehen. Sie

werden finden, da die Mehrzahl unserer Gassen recht


k rumm sind. Der Fremde darf bei der Besichtigung nie
vergessen, da unsere Merk wrdigk eiten nicht durch
sich selbst merk wrdig sind, sondern darum, weil es die
Merk wrdigk eiten Weimars sind. Rein architek tonisch
genommen, ist es mit dem Schlo nicht weit her, das
Theater mchte man sich wohl imposanter vorstellen,
wenn man es noch nicht k ennt, und der Exerzierplatz
ist ohnedies eine Dummheit. An und fr sich ist nicht
einzusehen, weshalb ein Mann wie ich sich unbedingt
sein Leben lang gerade zwischen diesen Kulissen und
Versatzstck en bewegen sich hier so gebunden fhlen
sollte, da er eine Berufung ausschlgt, die mit allen
seinen von jungauf genhrten Wnschen und Trumen
so rein bereinstimmt. Ich k omme auf Rostock zurck ,
weil ich zu beobachten glaubte, da Sie, Frau Hofrtin,
sich von meiner Haltung in dieser Sache befremdet
fhlten. Nun denn, ich habe sie unter einem Druck
eingenommen unter dem Druck der Verhltnisse. Die
Annahme des Rufes verbot sich mir ich whle
absichtlich diese unpersnliche Sprachform, denn es
gibt Din {63}ge, die niemand einem erst zu verbieten
braucht, weil sie sich aus sich selber verbieten, wobei
immerhin dies Verbot in einem Blick und einer Miene,
an denen man hngt, zum persnlichen Ausdruck
k ommen k nnen. Nicht jeder, verehrteste Frau, ist
dazu geboren, seinen eigenen Weg zu gehen, sein

eigenes Leben zu leben, seines eigenen Glck es Schmied


zu sein oder vielmehr: manch einer, der es im Voraus
nicht wute und eigene Plne und Hoffnungen glaubte
hegen und pflegen zu sollen, macht die Erfahrung, da
sein eigenstes Leben und sein persnlichstes Glck eben
darin bestehen, da er auf beides Verzicht leistet, sie
bestehen fr ihn paradoxaler Weise in der
Selbstentuerung, im Dienste an einer Sache, die
nicht die seine und nicht er selbst ist, es schon darum
nicht sein k ann, weil diese Sache hchst persnlich, ja
eigentlich mehr schon eine Person ist, weshalb denn
der Dienst daran auch meist nur recht
untergeordneter und mechanischer Natur sein k ann,
Eigenschaften, die aber brigens berwogen und
aufgehoben werden durch die auerordentlich hohe
Ehre, die vor Mit- und Nachwelt mit dem Dienst an
dieser wunderbaren Sache verbunden ist. Durch die
gewaltige Ehre. Man k nnte sagen, die Mannesehre
bestehe darin, da Einer sein eigenes Leben lebe und
seine eigene, noch so bescheidene Sache fhre. Aber
mich hat das Schick sal gelehrt, da es eine bittere
Ehre gibt und eine se; und ich habe mnnlich die
bittere gewhlt soweit eben der Mensch whlt,
nichtwahr, soweit es nicht das Schick sal ist, das die
Wahl fr ihn trifft und ihm k eine andere lt.
Unbedingt gehrt viel Lebenstak t dazu, sich mit

solchen Verfgungen des Schick sals einzurichten, mit


seinem Lose zu pak tieren, sozusagen, und zu einem
Kompromi, wenn ich mich so ausdrck en darf,
zwischen der bitteren Ehre und der sen, auf welche
Sehnsucht und Ehrgeiz doch immer gerichtet bleiben,
zu gelangen. Es ist die Mannesempfindlichk eit, welche
darauf dringt, und sie war es, die zu den
Unzutrglichk eiten, den {64}unausbleiblichen
Verstimmungen gefhrt hat, welche meinem
langjhrigen Aufenthalt in dem Hause meiner ersten
Niederlassung ein Ende bereiteten und mich
bestimmten, das mittlere Lehramt ber mich zu
nehmen, zu dem ich niemals Lust gehabt hatte. Da
haben Sie das Kompromi, das brigens als solches
auch von den Oberen gewrdigt wird, soda der
griechisch-lateinische Stundenplan, wie gesagt, auf
meine auch auer dem Hause fortlaufenden
Ehrenpflichten Rck sicht nimmt und mir erlaubt,
wenn meine Dienste, wie etwa heute, dort nicht in
Anspruch genommen werden, von dem
gesellschaftlichen Prrogativ des Morgenschlummers
Gebrauch zu machen. Sogar habe ich das
bereink ommen zwischen bitterer und ser Ehre, die
man auch einfach die Mannesehre nennen k nnte,
noch weiter ausgebaut und befestigt, indem ich einen
eigenen Hausstand grndete. Ja, seit zwei Jahren bin
ich vermhlt. Aber da sehen Sie, Verehrteste, den

eigentmlichen und in meinem Fall besonders


auffallend sich hervortuenden Kompromi-Charak ter
des Lebens! Der nmliche Schritt, der bestimmt war,
meiner Eigenstndigk eit und mnnlichen Selbstliebe,
der Emanzipation von jenem Hause der bitteren Ehre
zu dienen, hat mich mit demselben auch wieder noch
nher verbunden, richtiger gesagt, es ergab sich als
selbstverstndlich, da ich mich mit diesem Schritt von
gedachtem Hause garnicht entfernte, soda also von
einem Schritte im eigentlichen Sinn k aum die Rede
sein k ann. Denn Karoline, meine Gattin Karoline
Ulrich mit ihrem Mdchennamen ist ein Kind dieses
Hauses, eine junge Waise, die vor einigen Jahren als
Gesellschafterin und Reisegefhrtin der jngst
verblichenen Geheimen Rtin darin aufgenommen
wurde. Da ich es sein mchte, der fr ihre eheliche
Versorgung aufk me, stellte sich als der
unverk ennbare Wunsch des Hauses heraus, und dieser
in Blick und Miene zu lesende Wunsch war insofern
danach angetan, mit meinem Bedrfnis nach
Eigenstndigk eit ein Kompromi {65}zu bilden, als mir
die Waise wirk lich sympathisch war Aber Ihre Gte
und Geduld, beste Frau Hofrtin, verleiten mich dazu,
viel zu viel von mir selbst zu reden
Nicht doch, ich bitte sehr, erwiderte Charlotte.
Ich hre mit vollem Interesse.

In Wirk lichk eit hrte sie mit gelindem Widerwillen,


jedenfalls mit gemischten Gefhlen. Anspruch und
Gek rnk theit des Mannes, seine Eitelk eit und
Ohnmacht, sein hlfloses Ringen nach Wrde
irritierten sie, flten ihr Verachtung ein nebst einem
ursprnglich nicht freundlichen Mitleid, das aber
Mittel und bergang bildete zu einem Gefhl der
Solidaritt mit dem Besucher und eine gewisse
Befriedigung einschlo: die Empfindung, da seine
Redeweise ihr die Erlaubnis ganz gleich, ob sie sich
herbeilassen wrde davon Gebrauch zu machen oder
nicht zu eigener Expek toration und Erleichterung
gewhre.
Trotzdem erschrak sie vor der Wendung, die er,
gerade als htte er ihre Gedank en erraten, dem
Gesprch mit folgenden Worten zu geben versuchte.
Nein, sagte er, ich mibrauche die heitere
Block ade, die Neugiersbelagerung, deren Opfer wir
sind die Kriegslufte liegen ja noch nicht so weit
zurck , da wir uns in solche Lage nicht sollten mit
Fassung, ja mit Humor zu schick en wissen. Ich will
sagen: Es heit einen schlechten Gebrauch machen von
der Gunst der Stunde, wenn ich der Pflicht, mich Ihnen
darzustellen mit bertriebener Gewissenhaftigk eit
nachk omme. Wahrhaftig, was mich hierher trieb, war
nicht der Wunsch zu reden, es war der zu schauen, zu
hren. Ich nannte die Stunde gnstig, ich htte sie

k ostbar nennen sollen. Ich finde mich Aug' in Auge mit


einem Wesen, dem die gerhrteste, ehrfrchtigste
Anteilnahme, die Schau- und Wibegier aller Stufen,
von der k indlich-volk stmlichsten bis zur geistigsten,
gebhrt und gehrt, mit der Frau, die am Anfang,
oder fast am Anfang, {66}der Geschichte des Genius
steht, deren Name vom Gott der Liebe selbst auf ewig in
sein Leben und damit in das Werden des
vaterlndischen Geisterreiches, des Imperiums des
deutschen Gedank ens verwoben ist Und ich, dem es
beschieden war, ebenfalls in dieser Historie Figur zu
machen und auf meine mnnliche Art dem Helden
beirtig zur Hand zu gehen, ich, der ich sozusagen
dieselbe heroische Lebensluft mit Ihnen atme, wie
sollte ich nicht eine ltere Schwester in Ihnen sehen,
vor der mich zu neigen es mich unwiderstehlich
drngte, sobald der Geruch Ihrer Gegenwart zu mir
drang, eine Schwester, eine Mutter, wenn Sie wollen,
eine nahe, verwandte Seele jedenfalls, der mich redend
zu erk ennen zu geben mich wohl verlangt, aber weit
mehr noch, ihr zu lauschen Was ich fragen wollte
die Erk undigung schwebt mir lngst auf der Zunge.
Sagen Sie mir, teuerste Madame, sagen Sie es mir als
Retribution fr meine freilich weniger betrchtlichen
Bek enntnisse Man wei, wir wissen es alle, und die
Menschheit begreift es vollk ommen, da Sie und Ihr in

Gott ruhender Gatte da Sie gelitten haben unter der


Indisk retion des Genius, unter seiner brgerlich schwer
zu rechtfertigenden Art, mit Ihren Personen, Ihren
Verhltnissen dichterisch umzuspringen, sie vor der
Welt, buchstblich vor dem Erdk reise unbedenk lich
blozustellen und dabei Wirk lichk eit und Erfindung
mit jener gefhrlichen Kunst zu vermischen, die sich
darauf versteht, dem Wirk lichen eine poetische Gestalt
zu geben und dem Erfundenen den Stempel des
Wirk lichen zu verleihen, soda der Unterschied
zwischen beidem tatschlich aufgehoben und
eingeebnet erscheint, gelitten, um es k urz zu sagen,
unter der Rck sichtslosigk eit, dem Versto gegen Treu
und Glauben, deren er sich zweifellos schuldig machte,
indem er hinter dem Rck en der Freunde, in
heimlicher Ttigk eit, das Zarteste, was sich unter drei
Menschen begeben k ann, zugleich zu verherrlichen
und zu entweihen unternahm Man wei {67}es,
verehrteste Frau, man fhlt es mit. Sagen Sie mir, ich
hrte es um mein Leben gern: Wie haben Sie und der
selige Hofrat sich auf die Dauer mit dieser
bestrzenden Erfahrung, mit dem Lose unfreiwilliger
Opfer abgefunden? Ich meine: wie und wie weit ist es
Ihnen gelungen, den durch die empfangene Wunde
verursachten Schmerz, die Krnk ung darber, Ihre
Existenz als Mittel zum Zweck behandelt zu sehen, in
Harmonie zu bringen mit anderen, spteren Gefhlen,

die die Erhhung, die gewaltige Ehrung dieser Existenz


Ihnen erweck en mute? Wenn ich darber etwas von
Ihnen hren drfte
Nein, nein, Herr Dok tor, versetzte Charlotte
rasch, von mir nicht jetzt. Von mir allenfalls spter
oder vielmehr natrlich: ein andermal. Es liegt mir
daran, Ihnen zu zeigen, da es mehr als faon de
parler ist, wenn ich versichere, Ihnen mit vollstem
Anteil zuzuhren. Ich tue gut daran, denn Ihre
Beziehungen zum Genius sind zweifellos die ungleich
wichtigeren und denk wrdigeren
Das ist sehr strittig, Verehrteste.
Wechseln wir nicht Complimente! Nichtwahr, Sie
sind im Norden Deutschlands zu Hause, Herr Professor?
Ich meine es Ihrer Aussprache anzuhren.
Ich bin Schlesier, sagte Riemer nach k urzer Pause
gemessen. Auch er empfand zwiespltig. Ihr Ausweichen
verletzte ihn; aber da sie ihn anhielt, weiter von sich
zu sprechen, war auch wieder nach seinem Sinn.
Meine teueren Eltern waren mit Glck sgtern nicht
reich gesegnet, fuhr er fort. Ich k ann es ihnen nicht
hoch genug anrechnen, da sie alles daransetzten, um
mir die Ausbildung der mir von Gott verliehenen
Gaben, das Studium zu ermglichen. Mein Lehrer, der
liebe Geheimrat Wolf in Halle hielt schne Stck e auf
mich. Ihm nachzuleben war der Wunsch meines

Herzens. Die Laufbahn als Universittslehrer, ehrenvoll


und mit Freizeiten geschmck t, die Raum bieten fr
den er {68}frischenden Umgang mit loser gestimmten
Musen, deren Gunst mir nicht vllig abgeht lock te
mich ber alles. Allein woher die Mittel nehmen zur
Fristung der Wartezeit, der Jahre des Anstehens am
Thore des Tempels? Mein groes griechisches
Wrterbuch vielleicht ist sein scientifischer Ruf zu
Ihnen gedrungen ich frderte es anno 4 zu Jena
heraus beschftigte mich schon damals. Brotlose
Meriten, Madame. Sie mir zu erwerben, lie die
Hauslehrerstelle mir Mue, die Wolf mir bei den
Kindern des eben nach Rom abgehenden Herrn von
Humboldt verschaffte. In diesem Verhltnis verbrachte
ich einige Jahre in der Ewigen Stadt. Dann k am eine
weitere Empfehlung: die meines diplomatischen
Brotherrn an seinen illustren Freund in Weimar. Es
war der Herbst des Jahres 3, denk wrdig fr mich,
denk wrdig immerhin vielleicht auch dereinst fr die
intimere Geschichte der deutschen Literatur. Ich k am,
ich prsentierte mich, ich flte Vertrauen ein, die
Aufforderung zum Eintritt in die Hausgenossenschaft
am Frauenplan war das Ergebnis meiner ersten
Unterredung mit dem Heros. Wie htte ich ihr nicht
folgen sollen? Mir blieb k eine Wahl. Es bot sich mir
k eine bessere, k eine andere Aussicht. Ein Schulamt
erachtete ich, mit Recht oder Unrecht, als unter

meiner Wrde, unter meinen Gaben


Aber, Herr Dok tor, versteh' ich Sie recht? Sie
mssen sehr glck lich gewesen sein ber eine
Versorgung und Ttigk eit, die jede andere, nicht nur
jedes Schulamt, an Ehre und Reiz so weit berglnzte!
Ich war es, Verehrteste. Ich war sehr glck lich.
Glck lich und stolz. Bedenk en Sie: die tgliche
Berhrung, der tgliche Umgang mit einem solchen
Manne! Einem Manne, dessen ink alk ulables Genie zu
ermessen ich selber Poet genug war. Ich hatte ihm
Proben meines Talentes vorgelegt, die ihm gelinde
gesagt und selbst wenn ich von seinem Urteil in
Abzug bringe, was etwa davon auf Rechnung seiner
eigentmlichen Kon {69}zilianz zu setzen war nicht
mifallen hatten. Glck lich? Ich war es auf das
Aeuerste! Zu welcher bemerk ten, ja beneideten
Position in der gelehrten und vornehmen Welt hob
mich nicht auf einmal diese Verbindung empor! Allein,
lassen Sie mich offen sein, es blieb da ein Stachel, der
Stachel, da mir eben eine andere Wahl nicht blieb. Ist
es nicht so, da die Notwendigk eit dank bar zu sein uns
leicht die Dank bark eit ein wenig verleidet? Sie beraubt
sie gewissermaen der Freudigk eit. Seien wir ehrlich:
Wir neigen zur Empfindlichk eit gegen den, der uns zu
hchstem Dank e verpflichtet, indem er von unserer
Zwangslage zu seinem Vorteil Gebrauch macht. Er ist

an ihr unschuldig, das Schick sal, die ungleiche


Verteilung der Glck sgter ist verantwortlich fr sie,
aber er macht Gebrauch von ihr Man mu das
empfunden haben Aber, liebste Madame, verlieren
wir uns nicht in dergleichen Moralitten! Die Sache,
die fr mich so ehrend erhebende Sache war jedenfalls
die, da unser groer Freund mich glaubte brauchen
zu k nnen. Formell war mein Auftrag wohl der, den
Unterricht seines August, des einzig am Leben
gebliebenen Kindes der Demoiselle Vulpius, im
Griechischen und Lateinischen ber mich zu nehmen,
aber obgleich es damit freilich bisher gar sehr im
Argen gelegen hatte, erk annte ich bald, da dieser
Aufgabe bestimmt war, hinter der soviel schneren und
bedeutenderen des Dienstes an der Person und dem
Werk e des Vaters als recht unwesentlich
zurck zutreten. Das war zweifellos von Anfang an die
Meinung gewesen. Allerdings k enne ich den Brief, den
der Meister damals an meinen Lehrer und Gnner in
Halle schrieb und worin er mein Engagement mit
seiner Sorge wegen der mangelhaften Kenntnisse des
Knaben auf k lassischem Gebiet begrndete, einem bel,
wie er sich ausdrck te, dem er nicht abzuhelfen
gewut habe. Aber das war Hflichk eit gegen den
groen Philologen. In Wirk lichk eit hlt unser Meister
wenig von einer schulgerecht systematischen Bildung
und Erziehung, sondern {70}ist geneigt, es der Jugend

zu berlassen, den natrlichen Wissenstrieb, den er ihr


zutraut, in mglichster Freiheit zu befriedigen. Da
haben Sie wieder seine Llichk eit, sein
Gewhrenlassen, worin Gte liegen mag, ich verk enne
es nicht, Grozgigk eit, Souvernitt, wohlwollende
Parteinahme fr die Jugend gegen Schulfuchserei und
Pedanterei, ich will das zugeben; aber doch auch
anderes noch k ommt darin vor, was weniger erfreuen
k ann, etwas Wegwerfendes, eine Geringschtzung der
Jugend und ihres Sonderdaseins, dessen Rechte und
Pflichten er denn doch wohl verk ennt, wenn er dafr
zu halten scheint, Kinder seien nur fr die Eltern da,
ihre Aufgabe sei lediglich, zu den Eltern
emporzuwachsen und ihnen allmhlich das Leben
abzunehmen
Mein geschtzter Herr Dok tor, warf Charlotte ein,
es gibt berall und jederzeit in aller Liebe so manches
Miverstndnis und Miverhltnis zwischen Eltern
und Kindern, so manche Unduldsamk eit der Kinder
gegen das Eigenleben der Eltern, der denn auch wohl
ein mangelnder Sinn der Eltern fr das besondere
Recht der Kinder leidig erwidern mag.
Zweifellos, sagte der Besucher unaufmerk sam, das
Gesicht zur Deck e gewandt. Ich habe mich fters mit
ihm, im Wagen und im Studierzimmer, ber die
pdagogische Frage unterhalten, unterhalten und

nicht gestritten, denn weniger lag mir daran, den


eigenen berzeugungen Geltung zu verschaffen, als in
ehrerbietiger Neugier die seinen zu erk unden.
Tatschlich versteht er unter Jugendbildung einen
Reifeproze, den man unter gnstigen Umstnden
und fr seinen Sohn nimmt er mit Recht die
gnstigsten in Anspruch in Hinsicht auf ihn, den
Vater, versteht sich, denn was die Mutter betraf nun
denn, den man also unter so gnstigen Umstnden
mehr oder weniger sich selber berlassen mag. August
ist sein Sohn in dieser Eigenschaft vollendete sich fr
ihn von jeher so ziemlich die Existenz des Knaben, des
jungen Menschen, dessen {71}Bestimmung eben k eine
andere war, als sein Sohn zu sein und ihn mit der Zeit
von beschwerlichen Tagesgeschften zu entlasten. Das
flog ihm von selber an, indem er nur wuchs. An eine
persnliche Ausbildung, eine Erziehung zu sich selbst
und zu eigenen Zweck en war weniger gedacht. Wozu
also viel Zwang und systematische Lernqulerei? Man
mu bedenk en, da die Jugend des Meisters selbst
davon frei gewesen ist. Nennen wir die Dinge bei
Namen: eine eigentliche Schulung hat er seinerzeit
nicht erfahren und als Knabe und Jngling nur
Weniges grndlich durchgearbeitet. Das wird ihm
niemand so leicht abmerk en, hchstens bei sehr
langem, genauem Umgange und eigenem ausnehmend
gediegenem gelehrten Fundament, denn es versteht

sich, da er bei seiner hurtigen Auffassung, seinem


festhaltenden Gedchtnis, der hohen Lebendigk eit
seines Geistes trotzdem sehr viele Kenntnisse im Fluge
errafft und assimiliert hat und sie vor allem dank
Eigenschaften, die eher dem Bereiche des Witzes, der
Anmut, der Form, der Beredsamk eit angehren, mit
mehr Glck zur Geltung zu bringen wei, als manch
anderer Gelehrte sein viel greres Wissen
Ich folge Ihnen, sagte Charlotte, indem sie sich mit
vielem Geschick bemhte, dem Zittern ihres Kopfes, das
wieder bemerk lich werden wollte, den Sinn rasch
nick ender Zustimmung zu geben, ich folge Ihnen mit
einer Spannung, ber die ich mir zugleich
Rechenschaft zu geben suche. Sie haben eine einfache
Art zu sprechen, und dennoch hat sie etwas
Erregendes; denn erregend ist es, von einem groen
Mann einmal nicht mit gang und gber Schwrmerei,
sondern mit Ruhe und Trok k enheit, einem gewissen
Realism, aus der intimen Erfahrung des Alltags reden
zu hren. Wenn ich mich selbst erinnere und meine
eigenen Beobachtungen zu Rate ziehe mgen sie auch
lange her sein aber sie galten gerade dem jungen
Menschen, auf dessen bequeme Art sich zu bilden Sie
hinwiesen nun, er hat es weit genug damit gebracht,
um sie strengeren Systemen {72}mit einem gewissen
persnlichen Rechte vorzuziehen jedenfalls diesen

Jngling, diesen Dreiundzwanzigjhrigen, habe ich gut


gek annt, ihm lange zugesehen, und k ann nur
besttigen: mit seinen Studien, seiner Arbeitsamk eit,
seinem Amtseifer war es wenig oder nichts, er hat
recht eigentlich nie etwas getan zu Wetzlar, darin, das
mu ich sagen, stand er all seinen Gesellen, den
Prak tik anten und Sollizitanten der Rittertafel nach,
Kielmannsegge, Legationssek retr Gotter, der doch
auch Verse schrieb, Born und den anderen, selbst dem
armen Jerusalem, von Kestnern garnicht zu reden, der
schon das ernsteste, beschftigtste Leben fhrte und
mich denn auch wohl auf den Unterschied aufmerk sam
machte, indem er mir zu bedenk en gab, wie Einer gut
habe den Schwerenter machen, sich frisch, lustig,
glnzend und geistreich erweisen und sich in Vorteil
setzen bei den Frauenzimmern, wenn er in Gottes Welt
nichts zu tun habe und vollster Freiheit geniee, da
andere nach ernstem Tage, von Geschftssorgen mde,
sich bei der Liebsten einfnden und sich ihr nicht
mehr darzustellen vermchten wie sie wohl wnschten.
Da hier eine Ungerechtigk eit liege, habe ich jederzeit
eingesehen und sie meinem Hans Christian zugute
gehalten, wenn ich auch meine Zweifel hatte, ob die
Mehrzahl der jungen Leute bei grerer Mue und
einige Mue hatten sie doch auch sich so blhenden
Geistes und warmen, innigen Witzes erwiesen htten,
wie unser Freund. Von der anderen Seite aber hielt ich

mich an, einen Teil seiner Feurigk eit auf Rechnung


seines Migganges zu setzen und darauf, da er sein
Naturell so ganz ungeschmlert der Freundschaft
widmen durfte, einen Teil; denn es war da eine
schne Kraft des Herzens und wie soll ich es nennen
ein Lebensglanz, die mir in dieser Erk lrung denn
doch nicht aufgehen zu wollen schienen, und selbst
wenn er sein langes Gesicht hatte, traurig und bitter
erschien und auf Welt und Gesellschaft schmlte, so
war er immer noch interessanter als die
Arbeit {73}samen am Sonntag. Das sagt mir meine
Erinnerung mit voller Deutlichk eit. fters lie er mich
an eine Damaszener Klinge denk en ich wte nicht
mehr genau zu sagen, in welchem Vergleichssinne ,
aber auch an eine Leidener Flasche und dies im
Zusammenhang mit der Idee der Geladenheit, denn er
wirk te gleichsam geladen, hochgeladen, und es k am
einem unwillk rlich die Vorstellung, man wrde, wenn
man ihn mit dem Finger berhrte, einen Schlag
empfangen, wie es bei einer Art von Fischen der Fall
sein soll. Kein Wunder, da andere, noch so
vortreffliche Menschen einem leicht fade vork amen in
seiner Gegenwart oder selbst in seiner Abwesenheit.
Auch hatte er, wenn ich meine Erinnerung befrage,
einen eigentmlich aufgetanen Blick , ich sage
aufgetan, nicht weil seine Augen, braun und etwas

nahe beisammenliegend wie sie waren, sonderlich gro


gewesen wren, aber ihr Blick war sehr aufgetan und
seelenvoll nach einer ausnehmend stark en Meinung
des Wortes, und sie wurden schwarz, wenn sie, wie das
vork am, vor Herzlichk eit blitzten. Ob er wohl heute
noch diese Augen hat?
Die Augen, sagte Dr. Riemer, die Augen sind
mchtig bisweilen. Seine eigenen, glasig vortretenden,
zwischen denen ein Kerbzeichen bemhten Grbelns
stand, zeigten an, da er schlecht zugehrt und eigene
Gedank engnge verfolgt hatte. Sich ber das
Kopfnick en der Matrone aufzuhalten wre ihm
brigens nicht zugek ommen, denn wie er die groe
weie Hand von der Stock k rck e zu seinem Gesicht
hob, um irgend ein leichtes Juck en an der Nase nach
Art des feinen Mannes durch eine zarte Berhrung mit
der Kuppe des Ringfingers zu beheben, sah man
deutlich, da auch diese Hand zitterte. Charlotte selbst
bemerk te es und war so wenig angenehm berhrt
davon, da sie die entsprechende Erscheinung bei sich
selbst, wie es ihr durchaus mglich war, wenn sie acht
gab, sogleich abstellte.
Es ist ein Phnomen, fuhr der Dok tor im eigenen
Geleise {74}fort, wert sich darein zu vertiefen und
fhig, einem Stunden lang Gedank en, wenn auch
ziemlich unersprieliche und zu nichts fhrende
Gedank en zu machen, soda denn auch die innere

Beschftigung damit mehr als Trumerei denn als


eigentliches Nachdenk en zu bezeichnen ist: dies
Sigillum der Gottheit, will sagen der Anmut und Form,
das die Natur einem Geiste mit einem gewissen Lcheln,
so mchte man sich vorstellen, aufdrck t, wodurch er
denn also zum schnen Geiste wird, ein Wort, ein
Name, den man mechanisch hinspricht, um eine der
Menschheit freundlich gelufige Kategorie damit zu
bezeichnen, wenn es doch, aus der Nhe gesehen und
recht betrachtet, ein unergrndliches und
beunruhigendes, auch persnlich etwas k rnk endes
Rtsel bleibt. Es war, wenn ich nicht irre, von
Ungerechtigk eit die Rede; nun, auch hier, zweifellos,
ist Ungerechtigk eit im Spiele, natrliche und darum
ehrwrdige, ja entzck ende Ungerechtigk eit, nicht
ganz ohne k rnk enden Stachel aber dabei fr den,
dem es beschieden ist, sie tagtglich zu beobachten und
zu durchk osten. Wertvernderungen, Entwertungen
und berwertungen haben da Statt, die man mit
Wohlgefallen, mit unwillk rlichem Beifall wahrnimmt,
denn ohne zum Emprer gegen Gott und die Natur zu
werden, k ann man ihnen seine freudige Zustimmung
nicht versagen; allein heimlich und in bescheidener
Stille mu man sie aus Rechtsgefhl doch auch wieder
mibilligen. Da wei man sich im Besitz eines ernstlich
erarbeiteten und um des Besitzes willen

erarbeiteten Wissens, gediegener Kenntnisse, ber die


man sich mehrfach in rigorosen Prfungen auszuweisen
in die Lage k am, um die eigentmlich herrliche,
wiewohl auch bitter belachenswerte Erfahrung zu
machen, da ein so geprgter und gesegneter Geist, ein
solcher Geist des Wohlgefallens einem lck enhaften
Bruchteil davon, der ihm irgendwie anflog, oder den
man ihm selber geliefert hat denn so ist es: man dient
ihm als Wissenslieferant , eben mittelst Anmut {75}und
Form aber das sind nur Worte nein, einfach
dadurch, da er es ist, der das Aufgefangene wieder
von sich gibt, da er ihm, sage ich, gleichsam durch
die Zutat seinerselbst und indem er ihm sein Bildnis
aufdrck t, den doppelten und dreifachen Mnzwert
verleiht als Welt und Menschheit der ganzen Masse
unserer Stubengelehrsamk eit je beigelegt htten. In
der Tat, andere schuften, schrfen, lutern und
horten; aber der Knig schlgt Duk aten daraus Dies
Knigsrecht, was ist es? Man spricht von
Persnlichk eit er selbst spricht mit Vorliebe davon,
bek anntlich hat er sie das hchste Glck der
Erdenk inder genannt. Das ist so eine Entscheidung von
ihm, die denn also nun fr die Menschheit
bedingungslos Geltung haben soll. Eine Bestimmung ist
es brigens nicht, es ist zur Not eine Beschreibung;
und wie sollte man ein Mysterium auch bestimmen?
Ohne Mysterien k ommt offenbar der Mensch nicht aus;

hat er an den christlichen den Geschmack verloren, so


erbaut er sich an dem heidnischen oder NaturGeheimnis der Persnlichk eit. Von jenen will unser
Geisterfrst nicht gar viel wissen; Dichter und
Knstler, die sich mit ihnen einlassen, mssen auf seine
Ungnade gefat sein. Dieses aber hlt er sehr hoch,
denn es ist das seine Das hchste Glck , allerdings,
fr nichts Geringeres mu das Geheimnis uns
Erdenk indern wohl gelten, es wre sonst nicht zu
erk lren, da wirk liche Gelehrte und Mnner der
Wissenschaft es nicht nur nicht fr Raub, sondern fr
freudigste Ehre erachten, sich um den Schnen Genius,
den Mann der Anmut zu scharen, seinen Stab und
Hofstaat zu bilden, ihm Wissen zuzutragen, seine
lebenden Lexik a zu machen, die sich ihm zur
Verfgung halten, damit er selbst sich nicht mit
Wissensk ram zu schleppen braucht, nicht zu
erk lren, da ein Mann wie ich sich mit seligem
Lcheln, das mich selbst manchmal blde anmuten will,
Jahr fr Jahr dazu hergibt, ihm gemeine
Schreiberdienste zu leisten
Erlauben Sie, bester Herr Professor! unterbrach
ihn Char {76}lotte, die sich k eine Silbe entgehen lie,
mit Bestrzung. Sie wollen nicht sagen, da es
wirk lich nur untergeordnete und Ihrer unwrdige
Kanzlistendienste waren, die Sie durch so lange Zeit

bei dem Meister versehen haben?


Nein, antwortete Riemer nach einer Pause der
Sammlung. Das will ich nicht sagen. Wenn ich es
gesagt habe, so bin ich zu weit gegangen. Man soll die
Dinge nicht berspitzen. Erstens haben die
Liebesdienste, die man einem groen und teuren
Menschen zu leisten gewrdigt ist, gar k eine
Rangordnung. Da ist einer so hoch und gering wie der
andere. Davon reden wir nicht. Ferner aber ist, ihm
nachzuschreiben, berhaupt k ein passendes Geschft
fr einen gewhnlichen Federfuchser. Es ist durchaus
zu schade fr einen solchen. Irgend einen Sek retr
Kruter oder gar den Bedienten damit zu befassen,
heit recht eigentlich Perlen vor die Sue werfen,
den Gebildeten, den Mann von Geist und Sinn wandelt
notwendig dabei die edelste Migunst an. Nur einem
solchen, nur einem Gelehrten wie mir also, der die
Situation nach ihrem ganzen Reiz, ihrer ganzen
Wunderbark eit und Wrde zu schtzen wei, k ommt es
zu, ein derartiges Geschft zu versehen. Dies strmende
und dramatische Dik tat der geliebten, sonoren Stimme,
diese stundenlang ununterbrochene, hchstens vor
drngender berstrzung stock ende Hervorbringung,
die Hnde auf dem Rck en und den Blick in eine
gesichtevolle Ferne gerichtet, dies herrscherhafte und
gleichsam freihndige Beschwren des Wortes und der
Gestalt, ein Walten im Geisterreich von absoluter

Freiheit und Khnheit, dem man mit dem hastig


benetzten Kiele unter vielen Krzungen nacheilt, soda
nachher eine schwierige Mundierungsarbeit zu leisten
bleibt, Verehrteste, man mu es k ennen, man mu es
mit Staunen genossen haben, um eiferschtig zu sein
auf sein Amt und es k einem Hohlk opf zu gnnen.
Freilich ist zu bemerk en, und zur Beruhigung mu
man sich dran erinnern, da es sich k eineswegs um
eine Schp{77}fung des Augenblick s handelt, da hier
k ein Wunder vom Himmel fllt, sondern da nur ein
durch Jahre, vielleicht durch Jahrzehnte Vorbereitetes
und Gehegtes zu Tage tritt, wovon wieder ein
bestimmter Teil vor der Arbeitsstunde unter der Hand
im Einzelnen frs Dik tat genauestens reif gemacht
wurde. Es ist zutrglich, sich gegenwrtig zu halten,
da man es nicht im mindesten mit einer StegreifNatur zu tun hat, sondern vielmehr mit einer
zgernden und aufschiebenden, auch einer sehr
umstndlichen, unentschlossenen, vor allem einer
uerst ermdbaren, von desultorischer Arbeitsweise,
die nie lange bei ein und derselben Aufgabe aushlt
und bei der geschftigsten, da und dorthin sich
wendenden Ttigk eit meist viele Jahre braucht, um ein
Werk zur Vollendung zu bringen. Es handelt sich um
eine ganz auf geheimes Wachstum und stille Entfaltung
angelegte Natur, die ein Werk lange, sehr lange,

womglich seit Jugendzeiten am Busen gewrmt haben


mu, bevor sie zu seiner Verwirk lichung schreitet, und
deren Flei ganz wesentlich Geduld, will sagen: bei
grtem Bedrfnis nach Abwechslung ein zhes und
unablssiges Festhalten und Fortspinnen an einem
Gegenstande durch ungeheuere Zeitstreck en ist. So ist
es, glauben Sie mir, ich bin ein versessener Beobachter
dieses Heldenlebens. Man sagt, und er selbst sagt es
wohl, da er schweige ber das im Geheimen sich
Ausbildende, um es nicht zu verletzen, und sich gegen
niemanden darber offenbare, weil k ein anderer sich
auf den intimen produk tiven Reiz verstehen k nne,
wodurch es den entzck e, der es bewahrt. Allein die
Schweigsamk eit ist nicht so ganz unverbrchlich.
Unser Hofrat Meyer, ich meine den Kunschtmeyer, wie
er nach seinem Dialek t vom Zrichsee in der Stadt
genannt wird, Meyer also, auf den er nun einmal
Wunder welche Stck e hlt, berhmt sich hchstlichst,
der Meister habe ihm aus den Wahlverwandtschaften,
als er sich noch damit trug, des Langen und Breiten
erzhlt, und das mag wohl richtig sein, denn {78}auch
mir hat er eines Tages den Plan auf das Ergreifendste
entwick elt, nmlich schon bevor er sich Meyern
darber erffnete, mit dem Unterschied, da ich mich
dessen nicht bei jeder Gelegenheit laut berhme. Was
mich ergetzt, was mir wohltut an solchen
Preisgebungen des Geheimnisses, an dieser

Mitteilsamk eit und Durchlssigk eit ist das menschliche


Bedrfnis, die unbezwingliche Zutraulichk eit, die sich
darin hervortut. Denn wohltuend und trstlich bis zur
Erheiterung ist es, an einem groen Manne das
Menschliche wahrzunehmen, ihm etwan auf k leine
Schliche und Doubletten zu k ommen, der Oek onomie
gewahr zu werden, die auch in einem solchen fr uns
unbersehbaren geistigen Haushalt waltet. Vor drei
Wochen, am sechszehnten August bemerk te er
gesprchsweise zu mir etwas ber die Deutschen, etwas
Bissiges, man wei, er ist auf seine Nation nicht immer
zum Besten zu sprechen: Die lieben Deutschen, sagte
er, k enn' ich schon; erst schweigen sie, dann mk eln
sie, dann beseitigen sie, dann bestehlen und
verschweigen sie. Das ist wortgetreu, ich habe es
sogleich nach der Unterredung aufgezeichnet, weil ich
es erstens vorzglich fand und weil mir's zweitens als
ein glnzendes Beispiel seiner wachen und hoch
artik ulierten Sprechk unst erschien, wie ihm die
Stadien des schlechten deutschen Benehmens so scharf
genau von den Lippen gingen. Dann aber erfuhr ich
von Zelter es ist Zelter in Berlin, von dem ich
spreche, der Musik ant und Chordirek tor, den er ein
wenig befremdender Weise des brderlichen Du
wrdigt, man mu sich vor solchen Erwhlungen
beugen, auch wenn man sich frei nach Grethchen zu

sagen versucht ist: Begreife nicht, was er an ihm


find't gleichviel! Von Zeltern also hre ich, da er
ihm diesen Satz, von mir also am 16. notiert, unterm 9.
aus Bad Tennstedt in einem Briefe haargenau so
geschrieben, soda denn die Phrase, die ihm sehr
gefallen haben mu, lngst wohlgeformt Schwarz auf
Wei stand, da er sie mir im Gesprch als Impromptu
servierte, eine {79}k leine Mogelei, die man
schmunzelnd ad notam nimmt. berhaupt, auch die
Welt eines so gewaltigen Geistes, so weit sie sei, ist eine
geschlossene, eine begrenzte Welt, ein Einiges, darin
die Motive sich wiederholen und in groen Abstnden
dieselben Vorstellungen wiederk ehren. Im Faust, bei
jenem k ostbaren Gartengesprch, erzhlt Margarethe
dem Geliebten von ihrem Schwesterchen, dem armen
Wurm, das die Mutter nicht trnk en k ann, und das sie
denn also ganz allein erzieht, mit Milch und Wasser.
Wie tief in Lebensfernen liegt das zurck , als eines
Tages Ottilie Charlottens und Eduards Knaben liebend
aufzieht mit Milch und Wasser. Mit Milch und Wasser.
Wie fest sitzt in dem ungeheueren Kopfe ein Leben lang
diese Einbildung blulich-dnner Flaschennahrung!
Milch und Wasser. Wollen Sie mir sagen, wie ich auf
Milch und Wasser k omme, und was mich berall auf
diese, wie mir nun scheint, vllig migen und
abwegigen Dtails gebracht hat?
Sie gingen von der Wrde aus, Herr Dok tor, die

Ihrer Hilfsttigk eit, Ihrer Mitwirk ung, die gewi


einmal historisch werden wird, an dem Werk meines
groen Jugendfreundes gebhrt. Erlauben Sie mir
brigens zu leugnen, da Sie ein miges, ein
uninteressantes Wort geuert htten!
Leugnen Sie nicht, Verehrteste! Man spricht immer
miges Zeug, wenn es um einen allzu groen, allzu
brennenden Gegenstand geht, und redet auf eine
gewisse fieberhafte Weise am Rande hin, indem man
zum eigentlich Wichtigen und Brennenden nicht nur
nicht gelangt, es nicht nur thricht versumt, sondern
sich dabei auch noch selbst in dem stillen Verdachte
hat, da alles, was man redet Vorwand ist, um das
Eigentliche und Wichtige nur ja zu meiden. Ich wei
nicht, welche Kopflosigk eit und Panik da waltet.
Allenfalls mchte es sich um einen Stauungsvorgang
handeln: Kehren Sie eine volle Bouteille geschwinde
um, die Oeffnung nach unten, und das Liquidum wird
nicht auslaufen, es wird in der Flasche stock en,
{80}obgleich der Weg ihm offen ist. Eine Erinnerung
und Assoziation, deren Unwesentlichk eit ich nun
wieder mit Beschmung empfinde. Und doch! Wie oft
ergehen viel Grere, unsglich Grere als ich sich
nicht in unwesentlichen Assoziationen! Um Ihnen von
meiner nebenberuflichen oder in Wahrheit immer noch
hauptberuflichen Ttigk eit ein Beispiel zu geben: Seit

verwichenem Jahre legen wir eine neue Gesamtausgabe,


auf zwanzig Bnde berechnet, dem Oeffentlichen vor,
Cotta in Stuttgart bringt sie zu Mark te und zahlt eine
schne Summe dafr, sechszehntausend Taler, ein
grozgiger, ja k hner Mann, er bringt manches
Opfer, glauben Sie mir, denn unleugbar ist es nun doch
einmal so, da das Publik um von einem groen Teil der
Hervorbringungen des Meisters einfach nichts wissen
will. Nun denn, zum Behuf dieser Gesamtausgabe sind
wir zusammen, er und ich, die Lehrjahre wieder
durchgegangen; wir lasen sie mit einander von A bis Z,
wobei ich mich durch den Hinweis auf manchen
feineren grammatischen Zweifelsfall, auch mit
Ratschlgen in Dingen der Rechtschreibung und
Interpunk tion, worin man durchaus nicht sehr fest ist,
entschieden ntzlich machen k onnte. Auch fiel
manches schne Zwischengesprch fr mich dabei ab
ber seinen Stil, den ich ihm zu seiner nicht geringen
Unterhaltung k ennzeichnete und erluterte. Denn er
wei wenig von sich, ging wenigstens zu der Frist, als
er den Meister schrieb, nach seinem eigenen
Gestndnis noch durchaus schlafwandlerisch zu Werk e
und findet ein k indliches Vergngen daran, ber sich
selber geistreich aufgek lrt zu werden, was nun wieder
einmal weder Meyers noch Zelters, sondern des
Philologen Sache ist. Es waren herrliche Stunden, Gott
wei es, die wir mit Lek tre eines Werk es verbrachten,

das den Stolz der Epoche bildet und auf Schritt und
Tritt soviel Anla zum Entzck en gibt, obgleich
auffallender Weise die Naturpoesie und das
Landschaftsgemlde fast k einen Ort darin haben. Und
da wir von migen {81}Assoziationen sprachen meine
Verehrteste, welche weitschweifig k alte Behaglichk eit
doch auch zwischenein in dem Buch! Welch ein
Gespinst von unbedeutenden Gedank enfasern! Sehr oft,
man mu sich darber im k laren sein, sind Reiz und
Verdienst allein in der endgltigen, der heiter
treffenden und erquick lich genauen Formulierung von
lngst Gedachtem und Gesagtem zu suchen, womit
sich denn freilich ein Neuigk eitszug und -Reiz, eine
trumerische Khnheit und hohe Gewagtheit
verbindet, die den Atem benimmt, ja, dieser
Widerspruch von artiger Convenienz und
Verwegenheit, ja Tollheit ist gerade die Quelle der
sen Verwirrung, welche dieser einzigartige Autor
uns zufgt. Als ich es ihm, mit gebotener Vorsicht,
eines Tages aussprach, lachte er und erwiderte: Gutes
Kind, sagte er, ich k ann's nicht ndern, wenn euch
zuweilen die Kpfe hei werden von meinen Trnk en.
Da er mich, einen Menschen von ber vierzig, der ihn
in manchen Stck en zu belehren vermag, Gutes Kind
nennt, mag an und fr sich ins Sonderbare fallen, mir
aber macht es das Herz sowohl weich wie stolz, und

jedenfalls beweist es eine Vertraulichk eit, worin der


Unterschied von hohen und niederen, von wrdigen
und unwrdigen Dienstleistungen sich vllig aufhebt.
Gemeine Schreiberdienste? Ich mu doch lcheln,
verehrteste Hofrtin. Es ist ja an dem, da ich durch
lange Jahre einen groen Teil seiner Korrespondenz
nicht etwa nur dik tatweise, sondern ganz selbstndig
fr ihn, oder richtiger gesagt: als er selbst gefhrt
habe, an seiner Statt und in seinem Namen und
Geiste. Hier nun k ommt es, wie Sie sehen, mit der
Selbstndigk eit auf solchen Grad, da sie gleichsam
dialek tisch in ihr Gegenteil umschlgt und zur totalen
Selbstentuerung wird, dergestalt, da ich berhaupt
nicht mehr vorhanden bin und nur er noch aus mir
redet. Denn ich bewege mich in so k urialisch
geisterhaften und hochverschnurrten Wendungen, da
diejenigen seiner Briefe, die von mir sind, goethischer
sein mgen als die {82}von ihm dik tierten; und da in
der Gesellschaft meine Ttigk eit wohlbek annt ist, so
herrscht oft der qulendste Zweifel, ob ein Brief von
ihm ist oder von mir eine trichte und eitle Sorge, wie
man tadelnd hinzufgen mu, denn es luft auf
dasselbe hinaus. Zweifel freilich hege auch ich, und sie
betreffen das Problem der Wrde, das eines der
schwierigsten und beunruhigendsten bleibt. In der
Aufgabe des eigenen Mannes-Ich mag wohl, allgemein
gesprochen, etwas Schndliches liegen wenigstens

argwhne ich zuweilen, da es darin liegt. Wenn man


aber auf diese Weise zu Goethe wird und seine Briefe
schreibt, so ist eine hhere Wrdigung doch auch
wieder nicht vorstellbar. Auf der anderen Seite wer
ist er? Wer ist er nach allem und zuletzt, da es nur
beraus ehrenvoll und garnichts anderes sein sollte,
sich in ihm zu verlieren und ihm sein Lebens-Ich
aufzuopfern? Gedichte, herrliche Gedichte Gott wei
es. Ich bin auch Poet, anch'io sono poeta, ein
unvergleichlich geringerer als er, mit Zerk nirschung
spreche ich es aus, und Es schlug mein Herz
geschrieben zu haben oder den Ganymed oder Kennst
du das Land nur eines davon o, meine Teuerste,
was gbe man nicht dafr, gesetzt man htte gar viel
zu geben! So frank furterische Reime freilich, wie er
sich fters leistet, k ommen bei mir nicht vor, zum
ersten weil ich k ein Frank furter bin, dann aber auch,
weil ich sie mir nicht erlauben drfte. Sind sie jedoch
das einzig Menschliche an seinem Werk ? Mitnichten,
gewi nicht, denn zuletzt ist es Menschenwerk und
setzt sich k eineswegs nur aus Meisterwerk en
zusammen. Auch ist er des Wahnes garnicht, es tue das.
Wer liefert auch lauter Meisterwerk e? uert er gern
und mit vielem Recht. Den Clavigo hat ein gescheiter
Jugendfreund von ihm, Merck , aber Sie k ennen ihn ja,
einen Quark genannt, und er selbst scheint nicht gar

weit ab von dieser Meinung, denn er pflegt davon zu


sagen: Mu ja doch nicht immer alles ber alle
Begriffe sein! Ist das nun Bescheidenheit oder was ist
es? Es ist {83}eine verdchtige Bescheidenheit. Und
doch ist er auch wieder wahrhaft bescheiden in seines
Herzens Grunde, bescheiden wie ein andrer an seiner
Statt es vielleicht nicht wre, und sogar k leinlaut hab'
ich ihn schon erfunden. Nach Beendigung der
Wahlverwandtschaften war er tatschlich k leinlaut
und hat erst spter ber diese Arbeit so hoch denk en
gelernt wie es zweifellos geboten ist. Ist er doch
empfnglich fr Lob und lt sich gern berzeugen,
da er ein Meisterwerk geschaffen habe, ob er gleich
vorher ernstliche Zweifel darber gehegt. Man darf
freilich nicht vergessen, da sich mit seiner
Bescheidenheit ein Selbstbewutsein paart, das
schlechterdings ins Stupende geht. Er ist imstande, von
seiner seltsamen Artung, von gewissen Schwchen und
Schwierigk eiten seiner Natur zu sprechen und mit
unbefangenster Miene hinzuzusetzen: Dergleichen
mchte denn als die Kehrseite meiner gewaltigen
Vorzge zu betrachten sein. Der Mund bleibt einem
offen stehen, ich versichere Sie, wenn man es hrt, und
fast grauen mchte es einem vor soviel Einfalt, wenn
man sich freilich gesteht, da eben die Vereinigung
auerordentlicher Geistesgaben mit solcher Naivitt es
ist, die das Entzck en der Welt hervorbringt. Aber soll

man sich damit zufrieden geben? Ist es auch wohl eine


hinlngliche Rechtfertigung fr das Mannesopfer?
Warum nur er? frage ich mich oft, wenn ich andere
Dichter lese, den frommen Claudius, den lieben Hlty,
den edlen Matthisson. Ist da nicht der holde Laut der
Natur, nicht Innigk eit und traute deutsche Melodie wie
nur je bei ihm? Fllest wieder Busch und Tal ist ein
Juwel, ich gbe mein Dok tordiplom dafr, nur zwei
Strophen davon gemacht zu haben. Aber des
Wandsbeck ers Der Mond ist aufgegangen, ist das
soviel geringer, und mte er sich der Mainacht von
Hlty schmen: Wann der silberne Mond durch die
Gestruche blink t? Durchaus nicht. Im Gegenteil! Man
k ann nur froh sein, da neben ihm sich Andere frisch
behaupten, sich nicht von seiner Gre erdrck en und
{84}lhmen lassen, sondern seiner Naivitt die ihre
entgegensetzen und singen als gb' es ihn nicht. Man
sollte ihr Lied deswegen noch desto hher ehren, denn
nicht ganz allein auf den absoluten Wert eines
Produk tes sollte es ank ommen, sondern auch eine
sittliche Wertung statthaben drfen, welche nach den
Bedingungen sieht, unter denen etwas getan ward. Ich
frage: Warum nur er? Was k ommt hinzu bei ihm, das
ihn zum Halbgott macht, ihn zu den Sternen erhebt?
Ein groer Charak ter? Aber was ist es denn mit diesen
Eduard, Tasso, Clavigo und selbst diesen Meister und

Faust? Gibt er sich selbst, so gibt er Problematik er,


Schcher und Schwchlinge. Wahrhaftig, ich habe
Stunden, teuerste Frau, wo ich an Cassius' Worte denk e
im Csar des Briten: Gtter! ich erstaune, wie nur
ein Mann so schwchlicher Natur der stolzen Welt den
Vorsprung abgewann, und nahm die Palm' allein.
Ein Schweigen trat ein. Die groen weien Hnde
Riemers, mit dem goldenen Siegelring am Zeigefinger
der Rechten, zitterten merk lich trotz ihrer Ruhelage
auf der Krck e des Stok k es, und auch das geschwinde
Kopfnick en der alten Dame hatte wieder freien Lauf.
Charlotte sagte:
Fast k nnte ich mich gehalten fhlen, Herr Dok tor,
meinen und meines seligen Mannes Jugendfreund, den
Dichter des Werther, eines Werk es, das Sie garnicht
erwhnen, obgleich es doch die Basis seines Ruhmes
und meiner Meinung nach das Herrlichste geblieben
ist, was er geschrieben hat, in Schutz zu nehmen
gegen eine gewisse Opposition, die Sie verzeihen Sie
seiner Gre zu machen scheinen. Aber ich bin dieser
Versuchung oder Pflicht berhoben, sobald ich mich
erinnere, da Ihre ich mchte sagen: Solidaritt mit
dieser Gre der meinen nichts nachgibt, da Sie sein
Freund und Helfer sind seit dreizehn Jahren, und da
Ihre Kritik oder wie ich es nennen soll k urz, was
ich den Realism Ihrer Betrachtungsweise nannte, ein
Ma von treuer Bewunderung zur Voraussetzung hat,

{85}vor

dem mein Eintreten, meine Verteidigung sich


recht lcherlich, recht miverstndlich ausnehmen
mchten. Ich bin eine einfache Frau, aber ich verstehe
vollk ommen, da man gewisse Dinge nur sagt, weil
man tiefer als jeder andere davon durchdrungen ist,
da der Gegenstand sie spielend aushalten k ann, wobei
denn wohl die Begeisterung die Sprache der Bosheit
redet und die Hechelei zu einer anderen Form der
Verherrlichung wird. Habe ich es damit getroffen?
Sie sind sehr gtig, antwortete er, sich
desjenigen anzunehmen, der es ntig hat, und mein
Versprechen freundlich richtig zu stellen. Offen
gestanden wei ich nicht, was ich gesagt habe, aber
Ihren Worten entnehme ich, da es mir zustie, mich
zu versprechen. Die Zunge spielt uns wohl einen
Streich im Kleinen, da wir ein Wort oder zwei hchst
k omisch verdrehen und in das Lachen der Hrer
einzustimmen gentigt sind. Anllich des Groen aber
versprechen wir uns in groem Mastabe, und ein Gott
k ehrt uns lange das Wort im Munde um, soda wir
lobpreisen, wo wir zu schmhen und fluchen, wo wir
zu segnen gedachten. Ich stelle mir vor, da der Saal
der Himmlischen erfllt ist von homerischem Gelchter
ob solcher Niederlage unseres Mundes. Aber im Ernst:
Es scheint nutzlos und inadquat, vom Groen nur
immer zu sagen Gro! Gro! und beinahe lppisch,

vom Gipfel der Liebenswrdigk eit lieblich zu reden.


Darum aber handelt sich's hier, um die sanfteste
Form, worin Groheit auf Erden erscheinen mag: Das
Dichtergenie; um die Gre in Gestalt hchster
Liebenswrdigk eit, das Liebenswrdige zur Gre
gesteigert. So wohnet es unter uns und redet mit
Engelsmund. Mit Engelsmund, teuerste Frau! Schlagen
Sie sein Werk , diese Welt von einem Werk e auf, wo Sie
wollen; nehmen Sie nur etwas wie das Vorspiel auf dem
Theater ich las es noch heute Morgen wieder, in
Erwartung des Barbiers nehmen Sie ein solches
heiter-tiefsinniges Nebenbei wie die Parabel vom
Fliegentod:

86}Sie saugt mit Gier verrtrisches Getrnk e


Unabgesetzt, vom ersten Zug verfhrt;
Sie fhlt sich wohl, und lngst sind die Gelenk e
Der zarten Beinchen schon paralysiert

- aber es ist der lcherlichste Zufall, die blindeste


Willk r, da ich just dies und nichts anderes aus der
unabsehbaren Flle des k stlich sich Anbietenden
greife k urzum, wie ist das alles mit Engelsmund, mit
dem schn geschwungenen Gttermund der Vollendung
gesprochen, wie ist es geprgt in jeder Erscheinung,
als Theaterstck , als Lied, als Erzhlung, als deutscher
Kernspruch, mit dem Stempel persnlichster

Liebenswrdigk eit, der Egmont-Liebenswrdigk eit!


Ich nenne sie so, und es drngt sich dieses Stck in
meine Gedank en, weil hier eine besonders glck liche
Einheit und innere Entsprechung waltet und die
k eineswegs tadelsfreie Liebenswrdigk eit des Helden
genau mit der gleichfalls k eineswegs tadelsfreien
Liebenswrdigk eit des Werk es selbst k orrespondiert,
worin er wandelt. Oder nehmen Sie seine Prosa, die
Erzhlungen und Romanen, wir haben das Thema
wohl schon berhrt, ich erinnere mich dunk el, schon
davon gesprochen, mich darber versprochen zu haben.
Es gibt k eine goldnere Geflligk eit, k eine bescheidnere
und heiterere Genialitt. Da ist nicht Pomp noch
Hochgefhl, nichts von Gehobenheit im uerlichen
Sinn obgleich innerlich alles wunderbar gehoben ist
und jeder andere Vortragsstil, nmlich gerade der
gehobene, einem daneben platt erscheint von
Feierlichk eit nichts und priesterlicher Gebrde, nichts
von Verstiegenheit und berschwang, k ein Feuersturm
und Geschmetter der Leidenschaft im stillen, sanften
Suseln, meine Liebe, ist Gott auch hier. Man mchte
von Nchternheit, von purer Nettigk eit reden, besnne
man sich nicht, da diese Sprache allerdings immer
zum Aeuersten geht, aber sie tut es auf einer
mittleren Linie, mit Gesetztheit, mit vollk ommener
{87}Artigk eit, ihre Khnheit ist disk ret, ihre

Gewagtheit meisterlich, ihr poetischer Tak t unfehlbar.


Es k ann sein, da ich mich fortwhrend verspreche,
aber ich schwre Ihnen obgleich es der Sache wenig
gem sein mag, wilde Schwre zu leisten , da ich
mich jetzt ebenso mhe, die Wahrheit zu sagen, wie da
ich entgegengesetzte Ausdrck e gebrauchte. Ich sage,
ich versuche zu sagen: Es ist da alles in mittlerer
Stimmlage und Strk e gesprochen, mig durchaus,
durchaus prosaisch, aber das ist der wunderlich
bermtigste Prosaism, welchen die Welt gesehen:
neuschaffen Wort hat lchelnd verwunschenen Sinn,
ins Heiter-Geisterhafte wallt es hinber, goldig
zugleich, oder goldisch wie's in der Heimat heit, und
vllig sublim, aufs angenehmste gebunden, moduliert
aufs geflligste, voll k indlich k lugen Zaubers, trgt es
sich vor in gesitteter Verwegenheit.
Sie sprechen vortrefflich, Dok tor Riemer. Ich hre
Ihnen mit all der Dank bark eit zu, die die Genauigk eit
erweck t. Sie haben eine Art, sich ber den Sachverhalt
auszudrck en, die von eindringlicher Beschftigung
damit, einem langen und scharfen Hinsehen zeugt. Und
trotzdem, lassen Sie mich das gestehen, bin ich nicht
sicher, ob Ihre Befrchtung, Sie mchten sich auch
jetzt noch versprechen ber den auerordentlichen
Gegenstand, ganz ungerechtfertigt ist. Ich k ann nicht
leugnen, da mein Vergngen, mein Beifall doch recht
fern davon sind, eigentliche Befriedigung, volles

Genge zu bedeuten. Ihre Lobrede hat vielleicht


gerade vermge ihrer Genauigk eit etwas
Herabminderndes, sie hat noch immer einen Einschlag
von Hechelei, der mir heimlich bange macht und auf
den Widerspruch meines Herzens stt dies Herz ist
versucht, sie eine Fehlrede zu nennen. Mge es tricht
sein, vom Groen nur immer zu sagen: Gro! Gro!,
mgen Sie es vorziehen, mit einer Genauigk eit davon zu
reden, deren Charak ter ich, glauben Sie mir, nicht
verk enne, von der ich wohl wei, {88}wohl fhle, da
sie der Liebe entstammt. Aber trifft man auch wohl,
halten Sie mir die Frage zugute, mit bloer
Genauigk eit das Werk der Dichter-Begeisterung?
Begeisterung, wiederholte Riemer. Er nick te
lngere Zeit schwer und langsam auf seine
Stock k rck e und die darauf liegenden Hnde hinab.
Pltzlich aber hielt er inne und nderte die Bewegung
in ein weit nach rechts und link s schwingendes
Kopfschtteln.
Sie irren, sagte er, er ist nicht begeistert. Er ist
etwas anderes, ich wei nicht, was, etwas hheres
vielleicht sogar, sagen wir: er ist erleuchtet; aber
begeistert ist er nicht. Knnen Sie sich Gott, den
Herrn, begeistert vorstellen? Das k nnen Sie nicht.
Gott ist ein Gegenstand der Begeisterung, aber ihm
selbst ist sie notwendig fremd; man k ann nicht umhin,

ihm eine eigentmliche Klte, einen vernichtenden


Gleichmut zuzuschreiben. Wofr sollte Gott sich
begeistern? Wofr Partei nehmen? Er ist ja das Ganze,
und so ist er seine eigene Partei, er steht auf seiner
Seite, und seine Sache ist offenbar eine umfassende
Ironie. Ich bin k ein Theolog, verehrteste Frau, und
k ein Philosoph, aber die Erfahrung hat mich oft zum
Nachdenk en veranlat ber die Verwandtschaft, ja
Einerleiheit des Alls mit dem Nichts, dem nihil, und
wenn es erlaubt ist, von diesem unheimlichen Wort eine
Bildung abzuleiten, die eine Gesinnungsart, ein
Weltverhalten bezeichnet, so k ann man den Geist der
Allumfassung mit demselben Recht den Geist des
Nihilism nennen, woraus sich ergbe, da es ganz
irrtmlich ist, Gott und Teufel als entgegengesetzte
Prinzipien aufzufassen, da vielmehr, recht gesehen,
das Teuflische nur eine Seite die Kehrseite, wenn Sie
wollen aber warum die Kehrseite? des Gttlichen ist.
Wie denn auch anders? Da Gott das Ganze ist, so ist er
auch der Teufel, und man nhert sich offenbar dem
Gttlichen nicht, ohne sich auch dem Teuflischen zu
nhern, soda einem sozusagen aus einem Auge der
Himmel und die Liebe und aus {89}dem anderen die
Hlle der eisigsten Negation und der vernichtendsten
Neutralitt hervorschaut. Aber zwei Augen, meine
Teuerste, ob sie nun nher oder weiter bei einander
liegen, ergeben einen Blick , und nun mchte ich Sie

fragen: was fr ein Blick ist es, zu dem und in dem der
erschreck ende Widerspruch der Augen sich aufhebt?
Ich will es Ihnen sagen, Ihnen und mir. Es ist der Blick
der Kunst, der absoluten Kunst, welche zugleich die
absolute Liebe und die absolute Vernichtung oder
Gleichgltigk eit ist und jene erschreck ende
Annherung ans Gttlich-Teuflische bedeutet, welche
wir Gre nennen. Da haben Sie es. Indem ich es
ausspreche, glaube ich zu bemerk en, da es dies war,
was ich Ihnen zu sagen wnschte von dem Augenblick
an, da der Barbier mich von Ihrer Anwesenheit
benachrichtigte; denn ich nahm an, da es Sie
interessieren werde, und auch im Interesse meiner
eigenen Erleichterung trieb es mich her. Sie k nnen
sich denk en, da es k eine Kleinigk eit, da es ein
wenig echauffierend ist, mit dieser Erfahrung, im
Angesicht dieses Phnomens so alltglich zu leben,
da es eine gewisse beranstrengung bedeutet, von
welcher jedoch sich zu trennen, um nach Rostock zu
gehen, wo dergleichen bestimmt nicht vork ommt,
allerdings ganz unmglich ist Wenn ich Ihnen die
Sache nher beschreiben soll ich glaube es Ihnen
anzusehen, da ich nicht flschlich Ihr Interesse dafr
vorausgesetzt habe und Sie Genaueres von mir darber
zu hren verlangen k urz, wenn ich noch ein Wort
ber die Erscheinung verlieren darf, so hat sie mich

fters schon an den Jak obssegen der Schrift, am Ende


der Genesis, denk en lassen, wo es, Sie erinnern sich,
von Joseph heit, er sei von dem Allmchtigen gesegnet
mit Segen oben vom Himmel herab und mit Segen von
der Tiefe, die unten liegt. Verzeihen Sie, es ist eine
nur scheinbar weite Ausbeugung, da ich auf diese
Schriftstelle zu sprechen k omme, ich habe meine
Gedank en beisammen und bin weniger als je in Gefahr
den Faden zu verlieren. Sprachen wir doch von {90}der
Vereinigung der mchtigsten Geistesgaben mit der
stupendesten Naivitt in einer menschlichen
Verfassung und merk ten an, da es diese Verbindung
sei, die das hchste Entzck en der Menschheit
ausmache. Von nichts anderem ist aber mit jenem
Segensworte die Rede. Es handelt sich um den
Doppelsegen des Geistes und der Natur welcher, wohl
berlegt, der Segen aber im Ganzen ist es wohl ein
Fluch und eine Apprehension damit des
Menschengeschlechts berhaupt ist; denn der Mensch
gehrt ja grundstzlich mit erheblichen Teilen seines
Wesens der Natur, mit anderen aber und, man k ann
sagen: entscheidenden der Welt des Geistes an, soda
man mit einem etwas lcherlichen Bilde, welches
jedoch das Apprehensive der Sache recht gut zum
Ausdruck bringt, sagen k nnte, wir stnden mit einem
Bein in der einen und mit dem anderen in der anderen
Welt, eine halsbrecherische Stellung, deren

Schwierigk eit das Christentum uns am tiefsten und


lebhaftesten empfinden gelehrt hat: man ist Christ,
indem man sich von dieser ngstlichen und oft
beschmenden Situation die k larste Rechenschaft gibt
und sich nach Befreiung aus den natrlichen Banden
ins Reine, Geistige sehnt. Christentum ist Sehnsucht,
ich glaube mit dieser Bestimmung nicht fehlzugehen.
Ich k omme scheinbar vom Hundertsten ins
Tausendste lassen Sie sich davon nicht beunruhigen!
Ich vergesse ber dem Tausendsten das Hundertste
nicht, noch auch das Erste, und halte den Faden fest
in der Hand. Denn da haben wir nun das erwhnte
Phnomen der Gre, des groen Menschen, welcher
in der Tat ebenso sehr Mensch als gro ist, insofern
jener Segensfluch, jene apprehensive menschliche
Doppelsituation in ihm zugleich auf die Spitze
getrieben und aufgehoben erscheint, ich sage
aufgehoben in dem Sinne, da von Sehnsucht und
dergleichen Hungerleiderei hier gar die Rede nicht
sein k ann und die Segensk ombination oben vom
Himmel herab und von der Tiefe, die unten liegt, jedes
fluchhaften Einschlages {91}entbehrt, zur Formel wird
einer, ich will nicht sagen: demutlosen, aber
ungedemtigten und absolut vornehmen Harmonie und
Erdenseligk eit. In dem groen Menschen k ulminiert
das Geistige, ohne da irgendwelche Feindseligk eit

gegen das Natrliche ihm anhaftete; denn der Geist


nimmt in ihm einen Charak ter an, zu dem die Natur
Vertrauen hat wie zum Schpfergeist selbst, weil er auf
irgend eine Weise mit diesem verbunden, ein dem
Schpferischen vertrauter Geist ist, der Bruder der
Natur, dem sie willig ihre Geheimnisse offenbart; denn
das Schpferische ist das traulich geschwisterliche
Element, das Geist und Natur verbindet und worin sie
eines sind. Dies Phnomen des groen Geistes, der
zugleich der Liebling und Vertraute der Natur ist, dies
Phnomen unchristlicher Harmonie und
Menschengre Sie werden begreifen, da es einen
nicht neun, nicht vierzehn Jahre, sondern eine ganze
Ewigk eit zu fesseln imstande ist und da k ein
Mannesehrgeiz, mit dessen Erfllung der Verzicht auf
seinen Umgang verbunden wre, sich dagegen zu
behaupten und am Leben zu erhalten vermag. Ich
sprach von ser und bitterer Ehre ich erinnere
mich diese Unterscheidung statuiert zu haben. Aber
welche Ehre k nnte ser sein, als der Liebesdienst an
diesem Phnomen, als die Begnadung, an seiner Seite
zu leben und tglich seinen Anblick zu schlrfen,
unabgesetzt, vom ersten Zug verfhrt? Fragten Sie
nicht, ob man sich wohl fhle bei ihm? Ich glaube mich
dunk el zu erinnern, da des exzeptionellen Wohlseins
Erwhnung geschah, das seine Nhe einflt und das
denn doch mit einiger Apprehension und

Bek lommenheit verbunden sei, soda man es zeitweilig


auf seinem Stuhle nicht aushalte und davon laufen
mchte Jetzt erinnere ich mich genau an den
Zusammenhang, wir sprachen davon aus Anla
seiner Duldsamk eit, seines Geltenlassens, seiner
Konzilianz ich glaube, da dieser Ausdruck fiel, der
aber insofern irrefhrend ist, als man dabei an Milde
und Christentum und dergleichen denk en {92}k nnte,
was eben irrig wre und zwar, weil die Konzilianz k ein
Phnomen fr sich bildet, sondern ihrerseits
zusammenhngt mit der Einerleiheit von All und
Nichts, von Allumfassung und Nihilism, von Gott und
Teufel, sie ist tatschlich das Erzeugnis dieser
Einerleiheit und hat daher mit Milde nichts zu tun,
sondern luft vielmehr auf eine ganz eigentmliche
Klte, einen vernichtenden Gleichmut hinaus, auf die
Neutralitt und Indifferenz der absoluten Kunst,
teuerste Frau, die ihre eigene Partei ist und, wie es im
Verschen heit, ihr Sach auf nichts gestellt hat, will
sagen: auf umfassende Ironie. Im Wagen sagte er einmal
zu mir: Ironie, sagte er, ist das Krnchen Salz, durch
welches das Aufgetischte berhaupt erst geniebar
wird. Mir blieb nicht nur der Mund offen stehen,
sondern es lief mir auch k alt den Rck en hinunter bei
diesen Worten; denn Sie sehen einen Mann in mir,
Verehrteste, der in Dingen des Gruselns nun einmal

nicht so begriffsstutzig ist, wie Der, der auszog es zu


lernen; mich gruselt es leicht, das gestehe ich
unumwunden, und hier war ohne Zweifel ein
zureichender Anla dazu. berlegen Sie, was das
heien will: es sei nichts geniebar ohne einen Beisatz
von Ironie, id est von Nihilism. Das ist der Nihilism
selbst und die Vernichtung der Begeisterung,
vorbehaltlich allenfalls derjenigen fr die absolute
Kunst, wenn das eine Begeisterung zu nennen ist. Ich
habe diese Aeuerung nie vergessen, obgleich ich im
Ganzen die Beobachtung gemacht habe und es ist
eine etwas unheimliche Beobachtung , da man leicht
vergit, was er gesagt hat. Man vergit es leicht. Das
mag zum Teil daher k ommen, da man ihn liebt und zu
sehr auf die Stimme, den Blick , den Ausdruck achtet,
womit er etwas sagt, als da fr das Gesagte genug
Aufmerk samk eit brig bliebe, richtiger: es mag
vielleicht nicht genug von dem Gesagten brig bleiben,
wenn man Blick , Stimme und Gebrde davon abzieht,
denn sie gehren zur Sache, und in einem mehr als
gewhnlichen Grade ist bei ihm das Sachliche an das
Per {93}snliche gebunden und durch dasselbe ich
getraue mich zu sagen: bis in seine Wahrheit hinein
bedingt, soda es am Ende ohne Zutat und Halt des
Persnlichen garnicht mehr wahr ist. Das alles mag
sein, ich sage nichts dagegen. Und doch gengt es
nicht ganz, die auffallend leichte Vergebark eit seiner

Aeuerungen zu erk lren, es mu da noch eine


Ursache sein, die in den Aeuerungen selber liegt, und
hier habe ich den Widerspruch im Sinn, den sie oftmals
in sich selber tragen, eine unnennbare Zweideutigk eit,
die, wie es scheint, die Sache der Natur und der
absoluten Kunst ist und ihre Haltbark eit, ihre
Behltlichk eit beeintrchtigt. Behltlich und dem
armen Menschengeist dienlich ist nur das Moralische.
Was aber nicht moralisch ist, sondern elementarisch,
neutral und boshaft-verwirrend, k urzum elbisch
lassen Sie uns an diesem Worte festhalten: elbisch
habe ich gesagt , was aus einer Welt des allgemeinen
Geltenlassens und der vernichtenden Toleranz k ommt,
einer Welt ohne Zweck und Ursach', in der das Bse
und das Gute ihr gleiches ironisches Recht haben, das
k ann der Mensch nicht behalten, weil er k ein
Vertrauen dazu haben k ann, ausgenommen allerdings
das ungeheuere Vertrauen, das er nun dennoch auch
wieder dazu hat und welches beweist, da der Mensch
zum Widerspruchsvollen nur widerspruchsvoll sich
verhalten k ann. Denn, teuerste Frau, dies grenzenlose
Vertrauen entspricht einer ungeheueren Gutmtigk eit,
die mit dem elbischen Wesen verbunden ist und ihm
zugleich entgegensteht, soda es ihm widerspricht und
ihm antwortet: Was weit du, was der Mensch bedarf!
Ihm antwortet: Ein reines Wort erreget schne Taten.

Der Mensch fhlt sein Bedrfnis nur zu sehr und lt


sich gern im Ernste raten. So werden aus lauter
Gutmtigk eit das Natur-Elbische und die umfassende
Ironie denn doch moralisch, aber, offen gestanden,
das ungeheuere Vertrauen, das man ihm
entgegenbringt, ist garnicht moralisch, sonst wre es
nicht so ungeheuer. Es ist seinerseits {94}elementarisch,
naturhaft und umfassend. Es ist das unmoralische, aber
den Menschen ganz erfllende Vertrauen zu einer
Gutmtigk eit, die ihren Mann zu einem geborenen
Beichtvater und Gropoenitentiarius macht, welcher
alles wei und alles k ennt, und dem man durchaus
alles sagen mchte und sagen k nnte, weil man sprt,
da er gar gern den Menschen etwas zu Liebe tun,
ihnen die Welt zugute machen und sie leben lehren
mchte nicht aus Achtung gerade, aber eben aus
Liebe, oder sagen wir vielleicht lieber: aus Sympathie;
ziehen wir dieses Wort vor, das mir zu dem mehrfach
erwhnten und ganz auerordentlichen Wohlsein, das
man in seiner Nhe empfindet, und auf das ich nur
darum zurck k omme, weil es mir noch nicht gelang,
mich wirk lich darber auszulassen, besser zu passen,
es besser zu erk lren scheint, als jenes andere,
pathetischere. Auch das Wohlsein ist nicht pathetisch,
will sagen: es ist nicht geistiger, sondern eher sehen
Sie meiner Not die Worte nach! betulicher, sinnlicher
Art, und wenn es auch seinerseits seinen Widerspruch,

nmlich die uerste Bek lommenheit und


Apprehension in sich trgt; wenn ich von einem Stuhle
gesprochen haben sollte, auf dem man vor panischem
Fluchtdrang nicht ruhig sitzen k nne, so mu das
wohl mit dem nicht-geistigen, nicht-pathetischen und
nicht-moralischen Wesen des Wohlgefhls
zusammenhngen; vor allen Dingen aber ist
anzunehmen, da dieses Unbehagen nicht primr aus
uns selber stammt, sondern von dort, woher auch das
Wohlsein, dem es zugehrt, sich uns mitteilt, nmlich
aus der Identitt von All und Nichts, aus der Sphre
der absoluten Kunst und der umfassenden Ironie. Denn
da dort das Glck nicht wohnt, meine Liebe, davon
habe ich eine so ungeheuere Ahnung, da sie mir
manchmal das Herz zu sprengen droht. Halten Sie
Proteus, der sich in alle Formen verwandelt und in
allen zu Hause ist, der zwar immer Proteus, aber immer
ein anderer ist und recht eigentlich sein Sach' auf
nichts gestellt {95}hat, halten Sie ihn, erlauben Sie
mir zu fragen, fr ein glck liches Wesen? Er ist ein
Gott, oder etwas wie ein Gott, und das Gttliche spren
wir gleich, die Alten haben uns gelehrt, da ein
eigentmlicher Wohlgeruch damit verbunden ist,
woran man es gleich erk enne, und an diesem
Gottesozon, den wir in seiner Nhe atmen, erk ennen
auch wir den Gott und das Gttliche, es ist ein

unbeschreiblich angenehmer Eindruck . Aber wenn wir


sagen: ein Gott, so sagen wir schon etwas
Unchristliches, und es ist bei alldem k ein Christentum,
das ist nun einmal gewi, k ein Glaube an etwas Gutes
in der Welt und k eine Parteinahme fr dieses, will
sagen: k ein Gemt und k eine Begeisterung, denn die
Begeisterung gilt dem Ideellen, der ganz Natur
gewordene Geist aber schtzt die Ideen uerst gering,
er ist ein unglaubiger Geist, ohne Gemt, welches blo
in Gestalt der Sympathie und einer gewissen Buhlerei
bei ihm erscheint, und seine Sache ist ein alles
umfassender Sk eptizism der Sk eptizism des Proteus.
Der wunderbar angenehme Eindruck , den wir
verspren, darf uns meiner berzeugung nach nicht
verleiten, zu glauben, da hier das Glck wohnt. Denn
das Glck , ich mte denn ganz und gar irren, ist
allein bei der Glaubigk eit und der Begeisterung, ja bei
der Parteinahme, nicht aber bei der elbischen Ironie
und dem vernichtenden Gleichmut. Gottesozon o ja!
Nie atmet man sich satt daran. Aber man lt sich
nicht neun plus vier Jahre beglck en von diesem
Fluidum, ohne Erfahrungen zu machen und auf
Erscheinungen zu stoen, Erscheinungen, die man
gewilich nicht miversteht, wenn man sie als leise
schauerliche Belege deutet fr das, was ich vom Glck e
sagte, als da ist: viel Mrrischk eit, Unlust und
hoffnungsloses Verstummen, dessen die Soziett sich

von ihm zu versehen hat, wenn das Unglck es will,


nicht von dem Gastgeber, nein, als solcher erlaubt er
sich's nicht, wohl aber vom Gaste, der in maussades
Schweigen verfllt und grmlich verschlossenen
Mundes aus einem Win {96}k el in den anderen irrt.
Denk en Sie sich diese Kalamitt und Bedrck ung! Alles
schweigt, denn wenn er stumm ist, wer soll da reden?
Bricht er dann auf, schleicht alles nach Haus und
murmelt betreten: Er war maussade. Er ist es ein
wenig oft. Wir haben da eine Klte und Steifigk eit, ein
gepanzertes Zeremoniell, hinter dem geheimnisvolle
Verlegenheit sich verbirgt, eine seltsam rasche
Ermdbark eit und Angegriffenheit, einen starren
Zirk el und Turnus des Daseins: Weimar Jena
Karlsbad Jena Weimar , eine wachsende Neigung
zur Einsamk eit, zur Verk ncherung, tyrannischen
Intoleranz, Pedanterei, Sonderbark eit, magischen
Maniriertheit, meine liebe, gute, teuerste Frau, das
ist nicht das Alter allein, das Alter brauchte so nicht
zu sein, was ich darin sehe, darin zu sehen gelernt
habe, das sind die leise schauerlichen Merk male
vollendeter Unglaubigk eit und der elbischen All-Ironie,
welche an die Stelle der Begeisterung den Zeitdienst,
die wunderlichste Geschftigk eit und die magische
Ordnung setzt. Die Menschen achtet sie nicht es sind
Bestien, und ewiglich wird's nicht besser werden mit

ihnen. An Ideen glaubt sie nicht Freiheit, Vaterland,


das hat k eine Natur und ist leeres Stroh. Aber da sie
der Sinn der absoluten Kunst ist, glaubt sie denn
auch nur an die Kunst? Das tut sie mit nichten, meine
Verehrte. Sie steht im Grunde recht souvern dazu.
Ein Gedicht, habe ich ihn sagen hren, ist eigentlich
garnichts. Ein Gedicht, wissen Sie, ist wie ein Ku, den
man der Welt gibt. Aber aus Kssen werden k eine
Kinder. Danach wollte er nichts mehr sagen. Aber Sie
wollten etwas bemerk en, wenn ich nicht irre?
Die Hand, die er gegen sie ausstreck te, um ihr
gleichsam das Wort damit zu erteilen, zitterte in schon
unerlaubtem und Besorgnis erregendem Grade; aber er
schien es nicht zu bemerk en, und obgleich Charlotte
dringend wnschte, er mge die Hand doch einziehen,
hielt er sie ungeachtet ihrer wie von einer
Bodenerschtterung bebenden, ja schlenk ernden
Finger {97}lngere Zeit in der Luft. Der Mann schien
vllig erschpft, und das war nicht zu verwundern.
Man redet nicht dermaen lange in einem Zuge und in
so angespannter Wohlgesetztheit von solchen Dingen,
das heit von Dingen, die einem so nahe gehen, wie
diese hier dem Dok tor offenbar gingen, ohne sich
bermig auszugeben und die Symptome zu zeigen, die
Charlotte mit Ergriffenheit und um ein Vorzugswort
des Besuchers zu gebrauchen mit Apprehension,
brigens auch nicht ganz ohne Widerwillen an ihm

wahrnahm: Er war bleich, Schweitropfen standen auf


seiner Stirn, seine Rindsaugen blick ten blind und
glotzend, und sein offener Mund, dessen sonst blo
maulender Zug dem Ausdruck einer tragischen Mask e
hnlicher geworden war, atmete schwer, rasch und
hrbar.
Nur langsam beruhigte sich das Schnaufen und
Beben seines Leibes, und da k eine zartfhlende Frau es
als angenehm und schick lich empfindet, einen Mann
in sei es wie immer begrndetem k euchendem
Affek te vor sich zu sehen, so suchte Charlotte, sehr
tapfer denn auch ihre Erregung und Spannung war
gro, ja abenteuerlich der Beruhigung durch ein
heiteres Lachen nachzuhelfen, das dem Scherzwort vom
Kusse galt. Wirk lich war dieses ihr gewissermaen zum
Stichwort geworden; sie hatte darauf mit einer
Bewegung reagiert, die Riemer als Zeichen, da sie zu
sprechen wnschte, gedeutet hatte, nicht flschlich,
obgleich ihr nicht k lar war, was sie sagen wollte. Sie
sagte jetzt und redete gleichsam aufs Geratewohl:
Aber was wollen Sie nur, mein lieber Herr Dok tor?
Es geschieht doch der Poesie k ein bel und Unrecht,
wenn man sie mit einem Ku vergleicht. Das ist im
Gegenteil ein sehr hbscher Vergleich, der der Poesie
durchaus das Ihre gibt, nmlich das Poetische, und sie
in den gehrigen, ehrenden Gegensatz zu Leben und

Wirk lichk eit bringt Wollen Sie wissen, fragte sie


{98}unvermittelt und als falle ihr etwas ein, womit sie
den echauffierten Mann zerstreuen und auf andere
Gedank en bringen k nnte, wieviel Kindern ich das
Leben geschenk t habe? Elfen, wenn ich die beiden
mitzhle, die Gott wieder zu sich nahm. Verzeihen Sie
meine Ruhmredigk eit, ich war eine leidenschaftliche
Mutter und gehre zu den stolzen, die gern ihr Licht
leuchten lassen und auf ihren Segen pochen eine
christliche Frau braucht ja nicht zu befrchten, so
verhngnisvoll damit anzustoen wie die heidnische
Knigin, wollen Sie meinem Namensgedchtnis zu
Hilfe k ommen? Niobe, der es so bel bek am. brigens
liegt Kinderreichtum in meiner Familie, es ist k ein
persnlich Verdienst dabei. Wir daheim im
Deutschordenshause wren zu Sechszehn gewesen ohne
den Tod von fnfen, die k leine Schar, bei der ich
Mutter spielte, ehe ich's war, hat ja ein gewisses
Renommee erlangt in der Welt, und ich wei noch
wohl, was fr ein Gaudium mein Bruder Hans, der mit
Goethen immer auf besonders k ordialem Fu
gestanden, an dem Werther-Buch hatte, als es im
Hause von Hand zu Hand ging, es waren zwei
Exemplare, die man in Bogen und Bltter zerlegte zum
gleichzeitigen Genu, und das jngere Volk , der
muntere Hans zumal, lie sich in seinem Vergngen,
die eigenen huslichen Verhltnisse in einem

Romanbuch so artig genau geschildert zu finden, nicht


beik ommen, wie sehr verletzt und verschreck t wir
beide, mein Guter und ich, uns fhlen muten ber
diese Ausstellung unsrer Personen, ber soviel
Wahrheit, an die soviel Unwahrheit gek lebt war
Eben hiernach, fiel der Besucher, der sich zu
erholen begann, angelegentlich ein, eben nach diesen
Gefhlen war ich schon im Begriffe mich zu
erk undigen.
Ich k omme nur so darauf, fuhr Charlotte fort, ich
wei nicht wie, und will dabei nicht verweilen. Es sind
vernarbte Wunden, und k aum die Narben noch
erinnern an ehemalige Schmerzen. Das Wort
angek lebt k am mir in den Sinn, weil es {99}damals
eine Rolle spielte in der Auseinandersetzung und der
Freund sich in Briefen gar lebhaft dagegen verwahrte.
Es schien ihm vor allem nahe zu gehn. Nicht
angek lebt : eingewoben, schrieb er, trutz euch und
andern! Nun gut, also eingewoben. Das machte fr uns
die Sache nicht besser und schlechter. Er trstete
Kestnern auch, er sei nicht Albert, beileibe nicht,
aber wenn es die Leute doch glauben muten? Da ich
nicht Lotte sei, hat er nicht behauptet, lie mir aber
eine Hand geben durch meinen Guten, ganz warm von
ihm, und mir ausrichten: Meinen Namen von tausend
heiligen Lippen mit Ehrfurcht ausgesprochen zu

wissen, sei doch ein Aequivalent gegen etliches


Basengeschwtz, und da mocht' er recht haben. Es
war mir von Anfang an auch nicht so sehr um mich, als
um meinen gek rnk ten Guten, und recht von Herzen
hab' ich ihm die Genugtuungen gegnnt, die das Leben
dank seinen vorzglichen Eigenschaften ihm brachte,
besonders auch, da er der Vater meiner elf oder doch
neun Kinder wurde, fr die der andere brigens immer
viel Herz und Sinn hatte, das mu man ihm
nachrhmen. Er mchte, schrieb er uns einmal, sie alle
aus der Taufe heben, weil sie ihm alle so nahe seien wie
wir, und wirk lich haben wir ihm bei dem Aeltesten
gleich, anno 74, die Patenschaft zugestanden, obgleich
wir den Jungen doch lieber nicht gerade Wolfgang
genannt haben, wie jener ihn durchaus genannt
wissen wollte, sondern nannten ihn hinter seinem
Rck en Georg. Aber anno 83 schick te Kestner ihm die
Scherenschnitte aller damals vorhandenen Kinder, und
er hat sich sehr darber gefreut. Er ist auch noch vor
sechs Jahren meinem Sohne Theodor, dem Medik us, der
eine Frank furterin zur Frau hat, die geborene Lippert,
behilflich gewesen, das Brgerrecht zu erlangen und
die Professur an der medizinisch-chirurgischen
Lehranstalt, ja doch, verzeihen Sie, in diesem Fall
hat er seinen Einflu geltend gemacht; und als
Theodor ihm voriges Jahr zusammen mit seinem Bruder
August, dem Legationsrat, {100}auf der Gerbermhle

beim Dok tor Willemer aufwartete, hat er die beiden


sehr freundlich empfangen, sich auch nach meinem
Befinden erk undigt und ihnen sogar von den
Silhouetten erzhlt, die ihr seliger Vater ihm einst
geschick t habe, als sie noch bse Buben gewesen, soda
er sie alle schon k enne. August und Theodor haben mir
den Besuch genauestens schildern mssen. Er hat sich
ber Silhouetten ergangen und es getadelt, da diese
sonst so gangbare Art sich ein Andenk en zu geben, so
ganz aus der Mode gek ommen sei; man habe doch
einen treuen Schatten des Freundes daran gehabt.
Recht sehr verbindlich soll er gewesen sein, nur etwas
unruhig bei der Konversation im Garten, wo eine k leine
Gesellschaft versammelt war, ist hin und her gegangen
zwischen den Leuten auf dem Platz, eine Hand in der
Tasche, die andere im Busen, und wenn er stille stand,
so hat er sich doch auf den Fen gewiegt und sich
auch wohl angelehnt.
Man mt' es nicht k ennen, sagte Riemer. Er
war maussade. Und die Sentenz ber das
Abhandenk ommen der Scherenschnitte ist vllig
bedeutungslos, gesagt, damit etwas gesagt werde, ein
unaufrichtiges Irgendwas. Wir wollen es ja nicht
aufzeichnen.
Ich wei doch nicht, lieber Herr Dok tor. Er mag die
Reize und Vorteile der Scherenk unst wohl schtzen

gelernt haben. Wie htte er sich anders als durch die


Schattenrisse, die wir ihm schick ten, ein Bild machen
sollen von meinen Kindern, da er doch trotz seinem
Attachement fr sie niemals Gelegenheit genommen
oder gefunden hat, ihre Bek anntschaft zu machen und
auch seinen alten Kestner wiederzusehen? Da waren
die Schnitte gar wohl am Platze. Sie mssen auch
wissen, da er zu Wetzlar auch meine Silhouette besa
(ich wte gern, ob er sie noch verwahrt) und groe,
strmische Freude und Dank bark eit bezeigte, als
Kestner sie ihm schenk te. Auch daher k nnte wohl
seine Anhnglichk eit an diese Erfindung rhren.
{101}O, unbedingt. Ich k ann Ihnen nicht sagen, ob
die Reliquie sich noch unter dem Seinen findet. Es wre
von Wichtigk eit, und Sie sehen mich gern erbtig, ihn
einmal zu guter Stunde darber auszuforschen.
Ich htte Lust es selber zu tun. Auf jeden Fall ist
mir bek annt, da er zu Zeiten so recht einen Kult mit
dem armen Schatten getrieben hat. Tausend, tausend
Ksse hab ich drauf gedrck t, tausend Gre ihm
zugewink t, wenn ich ausging oder nach Hause k am. So
steht's geschrieben. Im Werther hat er das Bild mir
rck vermacht; er aber hat sich ja, dem Himmel sei
Dank , uns allen zum Heil nicht erschossen, und also
mu er's wohl noch besitzen, wenn's nicht die Zeit ihm
verweht hat. Auch durft' er's nicht mir
zurck vermachen, denn nicht von mir hatte er's,

sondern von Kestnern. Sagen Sie mir nun aber doch,


Herr Dok tor: Finden Sie nicht, da in der strmischen
Freude, die er ber dies nicht von mir, sondern von
meinem Verlobten, von uns beiden also, empfangene
Geschenk bek undete, und in seiner groen
Anhnglichk eit daran eine wunderliche Gengsamk eit
liegt?
Es ist Dichter-Gengsamk eit, sagte Riemer, von
der Sie sprechen, und fr die hoher Reichtum ist, wobei
andere darbten.
Dieselbe offenbar, nick te Charlotte, die ihn auch
mit den Schattenbildern der Kinder sich begngen
lie, statt eigener, wirk licher Bek anntschaft mit
ihnen, die so leicht, bei so mancher Reise-Gelegenheit
zu machen gewesen wre. Und htten nicht August und
Theodor die Initiative ergriffen und ihn k hnlich
besucht von Frank furt aus auf der Gerbermhle, so
htte er nie von den Leutchen eines zu sehen
bek ommen, die er doch, wie er sagte, am liebsten samt
und sonders aus der Taufe gehoben htte, denn so nahe
seien sie ihm wie wir. Wie wir. Sein alter Kestner, mein
guter Hans Christian, hat heimgehen mssen und mich
allein gelassen vor sechszehn Jahren schon, ohne
{102}ihn wiedergesehen zu haben, und nach meinem
Ergehen hat er sich bei den Jungen sehr artig
erk undigt, hat aber nie den leisesten Versuch gemacht,

sich selbst danach umzutun, durch unser beider langes


Leben hin, und wenn nicht auch ich nun vor Torschlu
noch die Initiative ergriffe was zu tun ich vielleicht
Anstand nehmen sollte, aber es ist meine Schwester
Ridel, die ich besuche, und alles Weitere, versteht sich,
luft auf ein propos hinaus
Teuerste Frau und Dr. Riemer beugte sich nher
zu ihr, ohne sie brigens anzusehen; vielmehr hielt er
die Lider gesenk t, und eine gewisse Starre nahm von
seinen Zgen Besitz fr das, was er vorzubringen
gedachte und wozu er die Stimme dmpfte: Teuerste
Frau, ich respek tiere das propos, ich begreife
berdies die Empfindlichk eit, die leichte Bitterk eit, die
sich in Ihren Worten uern, das schmerzliche
Erstaunen ber einen Mangel an Initiative, der nicht
ganz natrlich anmuten, dem menschlichen Empfinden
vielleicht nicht ganz gelegen sein mag. Ich darf Sie
bitten, sich nicht zu wundern. Oder vielmehr zu
bedenk en, da, wo soviel Grund zur Bewunderung ist,
immer auch einiger Anla zur Verwunderung, zum
Befremden mit unterlaufen wird. Er hat Sie niemals
besucht, Sie, die einst seinem Herzen so nahe stand
und ihm ein unsterbliches Gefhl einzuflen berufen
war. Das ist sonderbar. Aber wenn man die Bande der
Natur, des Blutes noch hher anschlagen will als
Neigung und Dank bark eit, so liegen Tatsachen vor,
deren auffallendere Ungewhnlichk eit Sie ber das

Erk ltende der eigenen Erfahrung trsten mag. Es gibt


da eine eigentmliche Unlust, es gibt schwer
qualifizierbare Hemmnisse der Seele, die das
menschlich Regelwidrige, ja Anstige zeitigen. Wie
hat er sich Zeit seines Lebens zu seinen
Blutsverwandten verhalten? Er hat sich garnicht zu
ihnen verhalten, hat sie, nach den Begriffen blicher
Piett gesprochen, allezeit strflich vernachlssigt. In
Jugendtagen schon, als seine Eltern, {103}seine
Schwester noch lebten, erschwerte eine Scheu, die man
nicht zu beurteilen wagt, es ihm, sie aufzusuchen, ja
ihnen zu schreiben. Von dem einzig am Leben
gebliebenen Kind dieser Schwester, der armen
Cornelia, hat er niemals Notiz genommen, er k ennt es
nicht. Noch weniger hat er Frank furter Oheimen und
Tanten, rechten Vettern und Basen je irgendwelche
Beachtung geschenk t. Madame Melber, die greise
Schwester seiner seligen Mutter, lebt dort mit ihrem
Sohne, es gibt k eine Verbindung zwischen ihm und
ihnen, auer man spreche ein k leines Kapital, das sie
ihm von der Mutter her schulden, als solche an. Und
diese Mutter selbst, das Mtterchen, von dem er die
Frohnatur, die Lust zu fabulieren zu haben erk lrt?
Der Redende beugte sich weiter vor und senk te die
Stimme noch tiefer, bei niedergeschlagenen Augen.
Verehrteste Frau, als sie vor acht Jahren das Zeitliche

segnete, (er k ehrte eben von einem langen,


erquick lichen Aufenthalt im Karlsbade in sein
geschmck tes Haus zurck ) hatte er sie elf Jahre nicht
mehr gesehen. Elf Jahre nicht, ich spreche die
Tatsache aus der Mensch wei wenig damit
anzufangen. Er war hingenommen, er war aufs Tiefste
erschttert, wir sahen und wissen es alle und waren
froh, da Erfurt und die Begegnung mit Napolon ihm
wohlttig ber den Choc hinweghalfen. Aber durch elf
Jahre war es ihm nicht in den Sinn gek ommen oder
war es ihm nicht gelungen, in der Vaterstadt, im
Elternhaus einzuk ehren. O, es gibt Entschuldigungen,
Abhaltungsgrnde: Kriegslufte, Krank heiten,
notwendige Badereisen. Ich nenne auch diese, der
Vollstndigk eit wegen, aber auf die Gefahr, mir eine
Ble damit zu geben; denn gerade die Badereisen
htten allenfalls zwanglose Gelegenheit zu dem
Abstecher gegeben. Er hat es unterlassen sie
wahrzunehmen fragen Sie mich nicht, warum. Uns
Knaben mhte sich in der biblischen Stunde der Lehrer
vergebens ein Wort des Heilands annehmbar zu
machen, das seiner Mutter galt und uns unleidlich, ja
ungeheuerlich an {104}muten wollte: Weib, was habe
ich mit dir zu schaffen? Es sei nicht so gemeint, wie es
k linge, versicherte er, weder die scheinbar
unehrerbietige Anrede noch auch das Folgende, worin
lediglich der Gottessohn das, was uns alle binde, seiner

hheren, welterlsenden Sendung unterordne.


Umsonst, es gelang dem Erluterer nicht, uns mit
einem Textworte zu vershnen, das uns so wenig
vorbildlich schien, da niemand es ber die Lippen
bringen zu k nnen gewnscht htte. Verzeihen Sie
die Kindheitserinnerung! Sie ist mir gelufig in diesem
Zusammenhange und unwillk rlich mischt sie sich in
meine Bemhung, Ihnen das Befremdende plausibel zu
machen, Sie ber einen auffallenden Mangel an
Initiative zu trsten. Als er Sptsommer 14 auf seiner
Rhein- und Mainreise wieder einmal in Frank furt
Aufenthalt nahm, hatte die Vaterstadt ihn siebzehn
Jahre nicht mehr gesehen. Was ist das? Welche Scheu,
welche meidende Verlegenheit und nachtragende
Scham bestimmt das Verhltnis des Genies zu seinem
Ursprung und Ausgang, zu den Mauern, die seinen
Puppenstand sahen, und denen er ins Weltweite
entwuchs? Schmt es sich ihrer oder schmt es sich vor
ihnen? Wir k nnen nur fragen und vermuten. Weder
die Stadt aber noch die herrliche Mutter haben sich im
Geringsten empfindlich gezeigt. Die Frank furter
Oberpostamtszeitung hat seiner Anwesenheit einen
Artik el gewidmet (ich bewahre ihn auf); und was
vordem die Mutter betraf, Werteste! so ist ihre
Nachsicht mit seiner Gre jederzeit ihrem Stolz auf
das Wunder, das sie der Welt geschenk t, ihrer

unendlichen Liebe gleichgek ommen. Er blieb zwar fern,


aber er schick te doch bandweise die neue
Gesamtausgabe seiner Werk e, und der erste davon, mit
den Gedichten, k am ihr nicht von der Seite. Acht
Bnde hat sie bis zum Juli ihres Todesjahres erhalten
und sie in Halbfranz binden lassen
Mein lieber Herr Dok tor, fiel Charlotte ein, ich
verspreche Ihnen, mich weder von dem Phlegma der
Vaterstadt noch von {105}der Mutterliebe beschmen zu
lassen. Sie wollen mich anhalten, wenn ich Sie recht
verstehe, mir an ihnen beiden ein Beispiel zu nehmen
alsob ich das auch nur ntig htte! Meine k leinen
Feststellungen habe ich in aller Gelassenheit
getroffen, nicht ohne Sinn fr das Kuriose daran,
aber ohne Bitterk eit. Sie sehen ja, da ich es mache,
wie der Prophet, der zum Berge k am, da der Berg nun
einmal nicht zu ihm k ommen wollte. Wre der Prophet
empfindlich, er k me nicht. Auch k ommt er ja nur
gelegentlich, vergessen wir das nicht; es ist nur eben
gerade, da er den Berg nicht zu vermeiden gedenk t,
denn eben das she nach Empfindlichk eit aus.
Verstehen Sie mich recht, ich will mit alldem nicht
sagen, da die mtterliche Resignation unserer teuren,
in Gott ruhenden Frau Rat so ganz nach meinem Sinn
wre. Ich bin auch Mutter, eine ganze Schar von
Shnen hab ich geboren, und sie sind mir zu
ansehnlichen, ttigen Leuten herangewachsen. Aber

wenn auch nur einer davon sich auffhren wollte wie


der Rtin ihr Mussi Sohn und wollte mich elf Jahre
nicht sehen, sondern an meiner Sttte vorbeireisen ins
Bad und wieder zurck , den wrd' ich mores lehren,
glaub er mir, Dok tor, ich wrd' ihn gehrig zausen!
Eine zornig lustige Laune schien sich Charlottens
bemchtigt zu haben. Sie stie mit dem Schirm auf bei
ihren polternden Worten, ihre Stirn unter dem
aschgrauen Haar war gertet, ihr scherzender Mund
auf eine Weise verzogen, wie ein Mund sich nicht
gerade nur zum Lcheln verziehen mag, und in ihren
blauen Augen standen Thrnen der Energie oder was
fr Thrnen nun immer. Von ihnen schimmerten ihre
Augen, inde sie fortfuhr:
Nein, ich will's zugeben, solche MutterGengsamk eit wre nicht meine Sache; auch als
Kehrseite noch so enormer Vorzge wrd' ich sie mir
nicht bieten lassen, die Sohnesgengsamk eit. Sie
sollten sehen, ich wrde angereist k ommen, die
Prophetin zum Berge, um ihm den Kopf zurecht zu
setzen, {106}Sie werden mir's zutrauen, da ich ja
sogar jetzt angereist k omme, um nach dem Rechten zu
sehen beim Berge nicht weil ich Ansprche an ihn
htte, bewahre, ich bin seine Mutter nicht, und er mag
Gengsamk eit ben wegen meiner, soviel ihm beliebt,
wiewohl ich nicht leugnen will, da eine alte

Rechnung schwebt zwischen mir und dem Berge, eine


unbeglichene, und da mglicherweise sie es ist, die
mich herfhrt, die alte, unbeglichene, qulende
Rechnung
Riemer betrachtete sie aufmerk sam. Das Wort
qulend, das sie gesprochen, war das erste, das
eigentlich zu dem Ausdruck ihres Mundes, den
Thrnen in ihren Augen pate. Der schwere Mann
wunderte sich und bewunderte es, wie Frauen so etwas
machen und wie sie schlau bleiben im Gefhl: Im
Voraus hatte sie fr einen Rede-Text gesorgt, der dem
Ausdruck der Qual, einer lebenslangen Qual offenbar,
den Thrnen, den verzogenen Lippen einen anderen
Sinn unterlegte, ihn irrefhrend interpretierte, soda
er zu jenem lustig-zornigen Gerede zu gehren schien
und schon lange in tuschendem Zusammenhange da
war, wann das Wort seines wirk lichen Sinnes fiel,
damit man nicht das Recht hatte, noch auch nur
darauf verfalle, ihn auf dieses zu beziehen, vielmehr
ihn immer noch im Sinn des frher Geredeten
verstnde, durch welches sie sich bei Zeiten das Recht
auf diesen Ausdruck gesichert und fr seine
Miverstndlichk eit gesorgt hatte Ein raffiniertes
Geschlecht, dachte Riemer. In der Verstellung enorm
geschick t, befhigt, Verstellung und Aufrichtigk eit
untrennbar zu verquick en und recht fr die
Gesellschaft, die Herzensintrigue geboren. Wir sind

Bren und salonunfhige Tlpel, wir anderen Mnner,


im Vergleich mit ihnen. Wenn ich ihr in die Karten
sehe und auf die Schliche k omme, so eben nur darum,
weil ich mich ebenfalls auf die Qual, eine verwandte
Qual, verstehe, und weil wir Complicen sind, Complicen
in der Qual Er htete sich, sie mit Einwrfen zu
stren. Mit seinen breitspurigen {107}Augen blick te er
erwartungsvoll auf ihre verzerrten Lippen. Sie sagte:
Vierundvierzig Jahre lang, mein lieber Herr Dok tor,
die zu meinen neunzehn von damals hinzugek ommen
sind, ist sie mir ein Rtsel geblieben, ein qulendes
Rtsel, warum sollt' ich ein Hehl daraus machen, die
Gengsamk eit mit Schattenbildern, die Gengsamk eit
der Poesie, die Gengsamk eit des Kusses, aus dem, wie
er sagt, k eine Kinder werden, denn die sind woanders
hergek ommen, elf an der Zahl, wenn ich die
gestorbenen mitrechne: aus meines Kestners rechter
und redlicher Liebe nmlich. Sie mssen das recht
bedenk en und imaginieren, um zu verstehen, da ich
Zeit meines Lebens nicht fertig damit geworden bin.
Ich wei nicht, ob Ihnen die Verhltnisse Kestner
k am gleich bei Beginn der Kammergerichts-Visitation
von Hannover zu uns nach Wetzlar, anno 68, als
Falck e's Adlat, Falck e, das war der herzoglichbremische Gesandte, mssen Sie wissen, es wird ja das
alles einmal eine Rolle spielen in der Geschichte, und

wer auf Bildung Anspruch erhebt, wird's wissen


mssen, wir wollen uns nur darber nicht tuschen.
Also denn: Kestner k am als bremischer
Legationssek retr zu uns in die Stadt, ein ruhiger,
lauterer, grndlicher junger Mensch, ich
fnfzehnjhriges Ding denn ich war bloe fnfzehn
damals hatte gleich ein herzliches Vertrauen zu ihm,
da er anfing, soweit seine groe Geschftslast ihm das
erlaubte, bei uns zu verk ehren im Deutschen Hause
und aus und ein zu gehen in unserm vielk pfigen
Hausstand, der gerade vor einem Jahr die liebe, teure,
unvergeliche Mutter verloren hatte, von der die Welt
aus dem Werther wei, soda unser Vater, der
Amtmann, vereinsamt war im Gewimmel der Kinder
und ich, seine Zweite, selbst noch ein Kk en und nicht
viel mehr, es mir lie angelegen sein nach besten
Krften, den Platz der Seligen auszufllen in Haus und
Wirtschaft, den Kleinen die Nschen zu putzen und sie
zu sttigen, wie ich's ver {108}stand, und alles
zusammenzuhalten nach bestem Vermgen, da unsere
Line, die Aelteste, nun einmal nicht recht Lust und
Geschick hatte zu dem allen, sie hat spter, anno 76,
den Hofrat Dietz geheiratet und ihm fnf brave Shne
geschenk t, von denen der Aelteste, Fritzchen, auch
wieder Hofrat geworden ist beim Archiv des
Reichsk ammergerichts, man wird das alles einmal
wissen mssen, weil es erforscht werden wird aus

Bildungsgrnden, darum halt' ich's schon heute fest,


aber auch um Ihnen zu zeigen, da Karoline, unsere
Aelteste, spter in ihrer Art noch eine ganz prchtige
Frauensperson geworden ist, man mu dafr sorgen,
da die Geschichte auch ihr gerecht wird. Aber damals
war sie nicht prchtig, die Prchtige war ich, nach
allgemeinem Befunde, obgleich ich zu der Zeit ein
recht spilleriges Ding war, strohblond und wasserblau:
erst in den nchsten vier Jahren machte ich mich
weiblich ein bischen heraus, mit einem gewissen
Entschlu, wie mir vork ommt, nmlich Kestnern zu
Liebe und zu Gefallen, der meiner hausmtterlichen
Prchtigk eit wegen gleich ein Auge auf mich geworfen
hatte, ein verliebtes Auge, nennen wir die Dinge doch
nur bei Namen, und, wie er in allen Stck en wute,
was er wollte, auch gleich, beinahe vom ersten Tage
an, wute, da er mich, das Lottchen, zur Eheliebsten
und Hausfrau wollte, wenn er einmal so weit sein und
nach Amt und Salair sich wrde sehen lassen k nnen
als Freier. Das war natrlich die Bedingung unseres
guten Vaters, des Amtmanns, da Kestner es erst zu
was Rechtem mte gebracht haben, bevor er seinen
Segen gbe zu unserem Bunde, und mte erst der
Mann sein, eine Familie zu ernhren, zu schweigen
davon, da ich zur Zeit noch ein spilleriges Kk en war
mit meinen fnfzehn. Aber eine Verlobung war es doch

schon damals und ein festes, stilles Gelbnis von beiden


Seiten: Er, der Brave wollte mich unbedingt wegen
meiner Prchtigk eit, und ich wollte ihn auch von
ganzem Herzen, weil er mich so gerne wollte und aus
Vertrauen {109}zu seiner Redlichk eit, k urzum, wir
waren versprochene Leute, wir bauten auf einander
frs Leben, und wenn ich mich in den nchsten vier
Jahren k rperlich ein bischen herausputzte und
sozusagen Gestalt annahm als Frauenzimmer, eine
ganz hbsche Gestalt, so wre das wohl auch sonst
geschehen, natrlich, die Zeit war gek ommen fr mich,
da ich zum Weibe wurde aus einem Kk en und mich,
poetisch gesprochen, zur Jungfrau entfaltete das so
wie so. Aber fr mein Gefhl und in meiner Vorstellung
war es doch anders, da geschah es und vollzog sich
von Tag zu Tag nach einem gewissen Vorsatz, aus Liebe
zu dem getreuen Mann, der mich wollte, und ihm zu
Ehren, damit ich zu dem Zeitpunk t, wo er wrde
prsentabel geworden sein als Freier, auch fr mein
Teil prsentabel sein mchte als Braut und zuk nftige
Mutter Ich wei nicht, ob Sie verstehen, da ich
Wert darauf lege, zu betonen, da ich nach meiner
Idee ausdrck lich fr ihn, den Guten, Getreuen, der auf
mich wartete, mich weiblich herausgemacht und zu
einer hbschen Dirn, oder einer ansehnlichen doch,
geworden war?
Ich glaube wohl zu verstehen, sagte Riemer mit

gesenk ten Augen.


Nun denn, als es so weit war mit den Dingen, k am
also der Dritte hinzu, der Freund, der liebe
Teilnehmer, der soviel Zeit hatte, er k am von auen
und lie sich nieder auf diesem Verhltnis und diesen
wohl bereiteten Lebensumstnden, ein bunter Falter
und Sommervogel. Verzeihen Sie, da ich ihn einen
Falter nenne, denn er war gewi k ein so leichter
Bursche, will sagen: leicht war er wohl auch, ein
bischen toll und eitel in seiner Kleidung, ein
Schwerenter, der auf Jugendk raft und Munterk eit
gern posierte und gern den besten Gesellschafter seines
Kreises machte, das artigste Spiel anzugeben, und dem
die beste Tnzerin freudig die Hand reichen mochte,
das alles wohl, obgleich ihm der bermut und
Sommervogel-Glanz nicht einmal immer so recht wollte
zu Gesichte stehen, weil er {110}denn doch zu schwer
und voll von Gemt und Gedank en dafr war, aber
eben die Lust am tiefen Gemt und der Stolz auf die
groen Gedank en, die waren das Bindeglied zwischen
Ernst und Leichtigk eit, zwischen Schwermut und
Selbstgefallen, und er war allerliebst im GroenGanzen, das mu man sagen: so hbsch und brav und
zur redlichen Resipiscenz einer Torheit jederzeit
gutherzig bereit. Kestner und ich, wir mochten ihn
gleich, alle Drei mochten wir uns herzlich unter

einander; denn er, der von auen Kommende, war


entzck t ber die Verhltnisse, in denen er uns
vorfand, und voller Freude sich darauf niederzulassen
und auch mit zu nippen als Freund und Dritter, wozu
er ja alle Mue hatte, da er das Kammergericht eine
gute Sache sein lie, oder auch eine abgeschmack te,
und garnichts tat, indessen der Meine, um es recht
bald zu etwas zu bringen um meinetwillen, sich's sauer
werden lie in der Schreibstube bei seinem Gesandten.
Ich bin berzeugt noch heute und will's mageblich
beisteuern zur Forschung und zum Gedchtnis dieser
Geschichte, da der Freund auch davon entzck t war,
ich meine von Kestners Geschftslast nicht weil sie
ihm Spielraum und Chance gab bei mir, er war ja nicht
untreu, niemand soll das von ihm sagen. Auch war er
garnicht verliebt in mich vorderhand, Sie mssen das
recht verstehen, sondern er war verliebt in unsere
Verlobtheit und in unser wartendes Glck , und mein
Guter war sein Bruderherz um dieser Verliebtheit
willen, dem er gewi nicht untreu zu sein gedachte,
sondern den er treulich im Arme hielt, um mich mit
ihm im Vereine zu lieben und teilzuhaben an unseren
wohlgegrndeten Verhltnissen um seine Schulter
den Arm und auf mich die Augen gerichtet, wobei es
denn aber geschehen mochte, da der treue Arm ein
wenig in Vergessenheit geriet auf der Schulter und nur
eben noch dalag, inde sich die Augen auf andere

Weise vergaen. Dok tor, stellen Sie es sich vor mit mir,
ich habe in all den Jahren so viel und genau daran
zurck {111}gedacht, als ich die Kinder trug und sie
aufzog und hernach immerfort bis zu diesem Tage!
Guter Himmel, ich merk te wohl und htte k ein
Frauenzimmer sein mssen, um's nicht zu merk en, da
seine Augen allmhlich in Zwietracht gerieten mit
seiner Treue und da er anfing, nicht mehr in unsre
Verlobtheit verliebt zu sein, sondern in mich, das heit
in das, was meinem Guten gehrte, und wozu ich mich
in diesen vier Jahren herausgemacht fr den und um
dessentwillen, der mich frs Leben wollte und wollte
der Vater meiner Kinder sein. Einmal gab jener mir
etwas zu lesen, was mir verriet und auch wohl verraten
sollte, wie alles stand und was er fr mich empfand, des
Armes ungeachtet um Kestners Schulter, etwas
Gedruck tes, was er hatte einrck en lassen denn er
schrieb und dichtete ja immer und hatte eine
Handschrift mit nach Wetzlar gebracht, ein Ding wie
ein Drama, den Goetz von Berlichingen mit der
eisernen Hand, das seine Freunde vom Mittagstisch im
Kronprinzen k annten, weshalb er denn unter ihnen
auch Goetz, der Redliche hie aber Rezensionen und
dergleichen schrieb er auch, und dies war eine solche,
die er in die Frank furter Gelehrten Anzeigen hatte
einrck en gelassen, und handelte von Gedichten, die

ein polnischer Jude verfat und an Tag gegeben. Es


war aber nicht lange vom Juden und seinen Gedichten
die Rede, sondern bald k am er da, als k nnt' er nicht
an sich halten, auf einen Jngling und ein Mdchen zu
reden, das der Jngling in lndlichem Frieden
entdeck te, und in dem ich mich in aller Scham und
Bescheidenheit notgedrungen selber erk ennen mute,
so dicht war der Text mit Anspielungen gespick t auf
meine Verhltnisse und Person und auf den stillen
Familienk reis huslicher, ttiger Liebe, worin sich das
Mdchen als zweite Mutter ihres Hauses in Gte und
Anmut sollte entfaltet haben, so angenehm, da ihre
liebwirk ende Seele jedes Herz unwiderstehlich an sich
reie (ich halte mich an seine Worte) und Dichter und
Weise zu der jungen Person nur immer {112}willig
mchten in die Schule gehen, um mit Entzck en
eingeborene Tugend zu schauen und mitgeborenen
Wohlstand und Grazie. Kurzum, es war der
Anspielungen k ein Ende, ich htte mssen mit dem
Dummk lotz geschlagen sein, um nicht zu merk en, wo es
hinauswollte, und war so ein Fall, wo Scham und
Bescheidenheit sich zwar struben gegen das
Wiedererk ennen, es aber doch unmglich verhindern
k nnen. Das Schlimme aber, was mir so bange machte
und mich so brennend erschreck te, war, da der
Jngling dem Mdchen sein Herz antrug, das er jung
und warm nannte wie das ihre, geschaffen mit ihr

nach fernern, verhlltern Seligk eiten dieser Welt zu


ahnden, (so drck te er sich aus) und in dessen
belebender Gesellschaft (wie htte ich die belebende
Gesellschaft nicht wiedererk ennen sollen!) sie nach
goldnen Aussichten von ewigem Beisammensein (ich
citiere wrtlich) und unsterblich webender Liebe fest
angeschlossen hinstreben mge.
Erlauben Sie, teuerste Hofrtin, was frdern Sie da
zu Tage! fiel Riemer ihr hier ins Wort. Sie teilen
Dinge mit, deren Belang fr die schne Forschung Sie
nicht ganz nach Gebhr abzuschtzen scheinen. Man
wei nichts von dieser frhen Rezension ich hre, wie
ich da sitze, zum ersten Mal davon. Durchaus hat der
Alte sie mir hat mir der Meister das Dok ument
unterschlagen. Ich nehme an, da er es vergessen
hat
Das glaube ich nicht, sagte Charlotte. So etwas
vergit man nicht. Mit ihr nach fernern, verhlltern
Seligk eiten der Welt zu ahnden das hat er bestimmt
so wenig wie ich vergessen.
Offenbar, eiferte der Dok tor, ist es reich an
Beziehungen zum Werther und den ihm zum Grunde
liegenden Erlebnissen. Verehrteste, das ist eine Sache
von grter Wichtigk eit! Besitzen Sie das Blatt? Man
mu es ausforschen, mu es der Philologie zugnglich
machen

{113}Es sollte mich ehren, versetzte Charlotte, der


Wissenschaft mit einem Hinweis gedient zu haben,
wiewohl ich mir sagen darf, da ich es k aum ntig
habe, mir noch dergleichen Einzelverdienste um sie zu
erwerben.
Sehr wahr! Sehr wahr!
Ich bin nicht im Besitz der Juden-Rezension, fuhr
sie fort. Darin mu ich Sie enttuschen. Er gab sie
mir seinerzeit eben nur zu lesen und legte Gewicht
darauf, da ich sie unter seinen Augen lse, was ich
verweigert htte, wre ich mir des Widerstreites
vermutend gewesen, in den dabei meine Bescheidenheit
mit meinem Scharfblick geraten wrde. Da ich ihm das
Druck blatt zurck gab, ohne ihn anzusehen, wei ich
nicht, was fr ein Gesicht er aufgesetzt hatte. Gefllt
es Ihnen? fragte er mit verhaltener Stimme. Der
Jude wird wenig erbaut sein, gab ich mit Khle
zurck . Aber sie, Lottchen, drngte er, ist sie selber
erbaut? Mein Gemt ist im Gleichen, versetzte ich.
O, wre auch das meine es noch! rief er aus, alsob
nicht die Recension allein schon gengt und es eines
solchen Rufs noch bedurft htte, um mich zu lehren,
da der Arm um Kestners Schulter vergessen lag und
alles Leben in den Augen versammelt war, mit denen er
anschaute, was Kestnern gehrte und was sich fr ihn
allein, unterm wrmenden, weck enden Blick seiner
Liebe an mir hervorgetan. Ja, was ich war und was an

mir war und was ich wohl den Liebreiz nennen mu


meiner neunzehn Jahre, gehrte dem Guten und war
unsern redlichen Lebensabsichten geweiht, es blhte
nicht fr verhlltere Seligk eiten und irgendwelche
unsterblich webende Liebe, durchaus nicht. Aber Sie
werden verstehen, Dok tor, und die Welt, so hoffe ich,
wird es verstehen, da ein Mdchen sich freut und es
geniet, wenn nicht Einer nur ihre brutliche Blte
sieht, nicht nur der, dem sie gilt und der sie, mchte
ich sagen, hervorgerufen, sondern wenn auch Andere,
Dritte dafr Augen haben, denn das besttigt uns ja
unsern Wert, uns und dem, der dar {114}ber gebietet,
wie es mich denn freute, meinen guten
Lebensverbndeten sich treulich freuen zu sehen an
meinen Erfolgen bei anderen, und besonders bei dem
besonderen, genialischen Freunde, den er bewunderte
und dem er vertraute wie mir oder, besser gesagt,
etwas anders als mir, auf etwas weniger ehrenvolle
Weise; denn mir vertraute er, weil er meiner Vernunft
gewi war und annahm, ich wisse, was ich wollte,
jenem aber gerade darum, weil er das offenk undig ganz
und garnicht wute, sondern verworren und ziellos ins
Blaue liebte, als ein Poet. Kurzum, sehen Sie, Dok tor!
Kestner vertraute mir, weil er mich ernst nahm, jenem
aber vertraute er, weil er ihn nicht ernst nahm,
obgleich er ihn doch so sehr bewunderte ob seines

Glanzes und seines Genius und Mitleid hatte mit den


Leiden, die seine ziellose Poetenliebe ihm bereitete.
Mitleid hatte auch ich mit ihm, weil er so litt um
meinetwillen und aus guter Freundschaft in solche
Verwirrung geraten war, aber es k rnk te mich auch
um seinetwillen, da Kestner ihn nicht ernst nahm
und ihm auf eine Weise vertraute, die ihm nicht gerade
zur Ehre gereichte, weswegen mir oft das Gewissen
schlug; denn ich fhlte, es sei ein Raub an meinem
Guten, da ich mich in die Seele des Freundes hinein
gek rnk t fhlte durch die Art von Vertrauen, das er
ihm bezeigte, obgleich dies Vertrauen mich auch
wieder beruhigte und es mir erlaubte, ein Auge
zuzudrck en und fnf gerade sein zu lassen, wenn ich
sah, wie die gute Freundschaft des Dritten bedenk lich
ausartete und er den Arm verga um des Freundes
Schulter. Verstehen Sie das wohl, Dok tor, und ist Ihnen
durchsichtig, da das Krnk ungsgefhl schon ein
Zeichen war meiner eigenen Entfremdung von Pflicht
und Vernunft, und da Kestners Vertrauen und
Gleichmut mich ein wenig leichtsinnig machte?
Ich besitze, erwiderte Riemer, durch meinen
hohen Dienst einige Schulung in solchen Finessen und
glaube die Lage von damals so ziemlich zu bersehen.
Ich verberge mir {115}auch nicht die Schwierigk eiten,
die diese Lage fr Sie, Frau Hofrtin, mit sich
brachte.

Dafr dank e ich Ihnen, sagte Charlotte, und


lasse mir die Dank bark eit fr Ihr Verstndnis nicht
mindern dadurch, da das alles so lange her ist. Die
Zeit spielt wirk lich hier eine so ohnmchtige Rolle wie
nicht leicht sonst im Leben, und ich darf sagen, da in
diesen vierundvierzig Jahren die Situation von damals
ihre volle Frische und eine die Gedank en immer neu
und unmittelbar anstrengende Gegenwart bewahrt hat.
Ja, es ist, so voll diese vielen Jahre waren von Freud'
und Leid, wohl k ein Tag vergangen, an dem ich nicht
angestrengt nachgedacht htte ber die Lage von
damals ihre Folgen, und was daraus geworden fr die
geistige Welt, machen das wohl begreiflich.
Vollk ommen begreiflich.
Wie schn, Herr Dok tor, Ihr Vollk ommen
begreiflich. Wie wohltuend und ermutigend. Das ist ein
guter Gesprchspartner, der dies gute Wort jeden
Augenblick zu sprechen bereit ist. Es scheint, was Sie
Ihren hohen Dienst nennen, hat wirk lich in mancher
Beziehung auf Sie abgefrbt und auch Ihnen viel von
den Eigenschaften eines Beichtvaters und
Gropoenitentiarius mitgeteilt, dem man alles sagen
mchte und sagen k ann, denn alles ist ihm
vollk ommen begreiflich. Sie machen mir Mut, Ihnen
von dem Kopfzerbrechen, das gewisse Erfahrungen mir
damals und spter verursacht haben, noch einiges

mich Bedrngende einzubek ennen, die Rolle und der


Charak ter des Dritten nmlich, der von auen k ommt
und in ein gemachtes Nest das Kuk uk sei seines Gefhles
legt. Ich bitte Sie, nehmen Sie k einen Ansto an
solchen Bezeichnungen wie Kuk uk sei bedenk en Sie,
da Sie das Recht verspielt haben, Ansto daran zu
nehmen, indem Sie mir mit hnlichen Wendungen
nennen wir sie nun mutig oder anstig
vorangegangen sind. So haben Sie zum Beispiel von
elbischem Wesen gesprochen, elbisch, das ist
meiner Meinung nach nicht weniger bedenk {116}lich
als Kuk uk sei. Auch ist das Wort nur der Ausdruck
eines langjhrig-unaufhrlichen und angestrengten
Kopfzerbrechens, verstehen Sie mich recht, ich sage
nicht: sein Ergebnis! Als solches wre es wenig schn
und wrdig, das gebe ich zu. Nein, solche
Bezeichnungen sind gewissermaen noch die
Anstrengung selbst und vorerst nichts weiter Ich
sage und will nichts weiter gesagt haben als dies: Ein
wack erer Jngling sollte das Mdchen, dem er seine
Liebe weiht und dem er seine Huldigungen darbringt
Huldigungen, die doch auch Werbungen sind und
selbstverstndlich das Mdchen beeindruck en, desto
mehr, versteht sich, je besonderer und glnzender der
fragliche Jngling sich darstellt und je belebender
seine Gesellschaft ist, und die manches natrliche
Entgegenk ommen in ihrem Busen aufrufen: der

Jngling, meine ich, sollte das Mdchen seiner Wahl


auch wirk lich auf eigene Hand erwhlen, es selber
entdeck en auf seiner Lebensfahrt, selbstndig ihren
Wert erk ennen und sie hervorziehen aus dem Dunk el
des Unerk anntseins, um sie zu lieben. Warum sollte ich
Sie nicht fragen, was ich mich so oft gefragt in diesen
vierundvierzig Jahren: Wie steht es um die Wack erk eit
eines Jnglings seine Gesellschaft sei sonst auch noch
so belebend , der dieser Selbstndigk eit des Findens
und Liebens ermangelt, sondern k ommt, den Dritten zu
machen und zu lieben, was fr einen anderen und
durch einen anderen erblht ist? Der sich in anderer
Leute Verlobtheit vernarrt, sich niederlt auf anderer
Lebensschpfung und naschhaft von fremder
Zubereitung profitiert? Die Liebe zu einer Braut das
ist es, was mir Kopfzerbrechen gemacht hat durch all
die Jahre meines Ehe- und Witwenstandes, eine Liebe
in Treuen zum Brutigam brigens, welche bei aller
Werbung, die von Liebe nun einmal unzertrennlich ist,
k eineswegs die Rechte des Finders zu schmlern
gedenk t oder doch anders nicht als hchstens durch
einen Ku , die alle Lebensrechte und -Pflichten dem
{117}Finder und Brutigam herzbrderlich berlt
und sich im Voraus bescheidet, die Kinderchen, die
dieser Lebensgrndung entsprieen werden, samt und
sonders aus der Taufe zu heben, oder wenigstens, sollte

auch das nicht angehen, von ihren Schattenrissen


Kenntnis zu nehmen Verstehen Sie nach all dem,
was es besagen will: die Liebe zu einer Braut und in
wiefern es zum Gegenstand langjhrigen
Kopfzerbrechens werden k ann? Es wurde mir dazu,
weil mir dabei ein Wort nicht von der Hand zu weisen
gelang und ich beim besten Willen, trotz aller Scheu,
nicht immer darum herum zu k ommen wute: das Wort
Schmarutzertum
Sie schwiegen. Der Kopf der alten Dame zitterte.
Riemer schlo die Augen, und auch seine Lippen prete
er eine Weile zusammen. Dann sagte er mit betonter
Ruhe:
Als Sie den Mut fanden, dies Wort auszusprechen,
durften Sie darauf rechnen, da es mir nicht an Mut
fehlen werde, es zu vernehmen. Sie werden mir
zustimmen, wenn ich sage, da das Erschreck en, das
uns einen Augenblick verstummen lie, nur das
Erschreck en vor den gttlichen Beziehungen und
Ank lngen ist, die diesem Wort innewohnen und die
Ihnen bestimmt nicht entgingen, als Sie es von den
Lippen lieen. Sie finden mich ganz auf der Hhe dieses
Gedank ens ich bitte, darber beruhigt zu sein. Es
gibt ein gttliches Schmarutzertum, ein Sich
niederlassen der Gottheit auf menschlicher
Lebensgrndung, unserer Vorstellung wohl vertraut,
ein gttlich schweifendes Partizipieren an irdischem

Glck , die hhere Erwhlung einer hier schon


Erwhlten, die Liebesleidenschaft des Gtterfrsten fr
das Weib eines Menschenmannes, der fromm und
ehrfrchtig genug ist, sich durch solche
Teilhaberschaft nicht verk rzt und erniedrigt, sondern
erhht und geehrt zu fhlen. Sein Vertrauen, seine
Gelassenheit fhrt sich eben auf die vagierende
Gttlichk eit des Teilhabers zurck , welcher
unbeschadet der Ehrfurcht und frommen
Bewunderung, die sie {118}erregt, eine gewisse reale
Bedeutungslosigk eit innewohnt, was ich erwhne,
weil Sie von Nicht ernst nehmen sprachen. Das
Gttliche ist tatschlich nicht ganz ernst zu nehmen
sofern es nmlich im Menschlichen hospitiert. Mit
Recht k ann der irdische Brutigam sich sagen: La
gut sein, es ist nur ein Gott, wobei das nur, versteht
sich, von dem redlichsten Gefhl fr die hhere Natur
des Mitliebenden erfllt sein mag.
Das war es, mein Freund, es war erfllt davon, nur
zu sehr, so nmlich da Kestnern, meinem Guten,
fters Sk rupel und Zweifel anzumerk en waren, ob er
denn auch wohl vor der hheren, wenn auch nicht
ganz ernst zu nehmenden Leidenschaft des Anderen
des Besitzes wrdig sei, ob er mich wrde glck lich zu
machen vermgen wie jener und nicht lieber, wenn
auch mit lebhaftesten Schmerzen, die Resignation

whlen solle. Ich gestehe, es gab Stunden, wo ich nicht


aufgelegt, nicht von ganzem Herzen bereit und willens
war, ihm diese Sk rupel zu nehmen. Und dies alles,
Dok tor, merk en Sie wohl! dies alles, obwohl wir eine
geheime Ahnung mit einander hegten, da es sich bei
dieser Leidenschaft, soviel Leiden sie bringen mochte,
um eine Art von Spiel handelte, auf das gar k ein
menschlich Bauen war, um etwas wie ein Herzensmittel
zu auerwirk lichen wir durften es k aum denk en: zu
auermenschlichen Zweck en.
Meine Teuerste, sagte der Famulus bewegt und
zugleich warnend-belehrend er hob sogar den
ringgeschmck ten Zeigefinger empor die Poesie ist
nichts Auermenschliches, ihrer Gttlichk eit
ungeachtet. Seit neun plus vier Jahren bin ich ihr
Handlanger und Geheimsek retr, ich habe im
vertrauten Umgang mit ihr manche Erfahrung ber sie
gesammelt, ich darf ber sie mitreden. In Wahrheit ist
sie ein Mysterium, die Menschwerdung des Gttlichen;
sie ist tatschlich ebenso menschlich wie gttlich ein
Phnomen, das an die tiefsten {119}Geheimnisse unserer
christlichen Glaubenslehre gemahnt und an reizend
Heidnisches berdies. Denn mge der Grund nun ihre
gttlich-menschliche Doppeltheit sein oder dies, da sie
die Schnheit selber ist, genug, sie neigt auf eine
Weise zur Selbstbespiegelung, die uns das alte, liebliche
Bild des Knaben assoziieren lt, der sich entzck t

ber den Widerschein seiner eigenen Reize neigt. Wie


in ihr die Sprache lchelnd sich selber anschaut, so
auch das Gefhl, der Gedank e, die Leidenschaft.
Selbstgeflligk eit mag in brgerlichen Unehren
stehen, aber auf hheren Rngen, meine Beste, wei
ihr Name von tadelndem Beik lang nichts mehr wie
sollte das Schne, die Poesie sich auch nicht selbst
gefallen? Sie tut es noch in der leidendsten
Leidenschaft und ist menschlich im Leiden, gttlich
aber im Selbstgefallen. Sie mag sich in sonderbaren
Formen und Charak teren der Liebe gefallen, zum
Exempel in der Liebe zu einer Braut, also zum
Versagten und Verbotenen. Ich fand, da es sie
begeistert, mit den verfhrerischen Zeichen ihrer
Herk unft aus einer fremden, unbrgerlichen Liebeswelt
geschmck t, in ein menschlich Verhltnis einzutreten
und daran teilzunehmen, berauscht von der Schuld, in
die sie strzt und die sie auf sich ldt. Sie hat viel von
dem sehr groen Herrn und er von ihr , den es
freut, vor dem geblendeten k leinen Mdchen aus dem
Volk , das ihn anbetet, und bei dem sie nur zu mhelos
den schlichten Liebhaber aussticht, den Mantel
auseinanderzuschlagen und sich ihr in der Pracht des
spanischen Hofk leides zu zeigen Solcher Art ist ihre
Selbstgeflligk eit.
Sie scheint mir, sagte Charlotte, mit zuviel

Gengsamk eit verbunden, diese Selbstgeflligk eit, als


da ich ihre Berechtigung ganz anzuerk ennen
vermchte. Meine Verwirrung von damals eine
nachhaltige Verwirrung, ich will es nur gestehen
galt ja vor allem der Mitleid erregenden Rolle, zu der
das Gttliche, wie Sie es nennen, sich da bequemte. Sie
haben es verstanden, mein Lieber, einem grassen Wort,
das mir entschlpf{120}te, eine hohe, majesttische
Deutung zu geben, und ich bin Ihnen dank bar dafr.
Aber, die Wahrheit zu sagen, wie k lglich stand es
doch auch wieder um dies gttliche Hospitantentum
und in welche beschmte Verwunderung strzte es uns
schlicht zusammengehrige Leute, uns zum Mitleid
gentigt zu sehen mit diesem Dritten im Bunde, diesem
Freunde, soviel hher an Glanz als wir Sterblichen.
Hatte er's ntig, den Almosenempfnger zu machen?
Denn was waren mein Schattenri, die Busenschleife,
die Kestner ihm schenk te, anderes als Almosen und
milde Gaben? Ich wei wohl, sie waren zugleich auch
etwas wie ein Opfer, eine Vershnungszahlung, ich,
die Braut, verstand mich durchaus darauf, und die
Gabe geschah mit meinem Einverstndnis. Dennoch,
Dok tor, habe ich ein Leben lang nicht aufgehrt,
nachzugrbeln ber des Gtterjnglings Gengsamk eit.
Ich will Ihnen etwas erzhlen, worber ich ebenfalls
vierzig Jahre lang nachgegrbelt habe, ohne der Sache
auf den Grund zu k ommen, etwas, was Born mir

einmal berichtet hat, Prak tik ant Born, der damals


bei uns in Wetzlar war, ein Sohn des Brgermeisters
von Leipzig, mssen Sie wissen, mit ihm schon von der
Universitt her bek annt. Born meinte es gut mit ihm
und mit uns, mit Kestnern besonders, ein trefflicher,
wohlerzogener Junge mit vielem Sinn frs Schick liche,
und der gewisse Dinge nicht gerne sah. Er machte sich
Sorgen, wie ich spter erfuhr, ber sein Verhltnis und
Verhalten zu mir, welches doch vllig das Ansehen
eines Techtel-Mechtels gehabt habe, gefhrlich fr
Kestnern, also da er mir den Hof gemacht habe
genau, als glte es, mich Kestnern abzuspannen und
selber zu nehmen. Er hat es ihm gesagt und es ihm
vorgehalten, wie er mir spter vertraute, als jener weg
war. Bruder, hat er gesagt, so geht's nicht, wo soll
das hinaus, und was stellst du an? Du bringst die Dirn
ins Gerede mit dir, und wre ich Kestner, bei Gott, mir
gefiel's nicht. Besinne dich, Bruder! Und wissen Sie,
was erihm geantwortet hat? Ich bin {121}nun der
Narr, hat er gesagt, das Mdchen fr was Besondres
zu halten, und wenn sie mich betrgt (wenn ich ihn
betrge, hat er gesagt), wenn sie sich ordinr erwiese
und den Kestner zum Fond ihrer Handlung htte, um
desto sicherer mit ihren Reizen zu wuchern, der
Augenblick , der mir das entdeck te, der erste, der sie
mir nher brchte, wre der letzte unsrer

Bek anntschaft. Was meinen Sie dazu?


Das ist eine sehr edle und zarte Antwort, sagte
Riemer mit niedergeschlagenen Augen, die von dem
Vertrauen zeugt, welches er in Sie setzte, da Sie
nmlich seine Huldigungen nicht miverstnden.
Nicht miverstnden. Ich mhe mich noch heute,
sie nicht mizuverstehen, aber wie versteht man sie
recht? Nein, er mochte ruhig sein, ich dachte durchaus
nicht daran, mit meinen Reizen zu wuchern auf dem
Fond meiner Verlobtheit, dazu war ich zu dumm oder,
wenn er wollte, nicht ordinr genug. Aber hatte nicht
umgek ehrt er den Kestner und mein Verlbnis mit ihm
zum Fond seiner Handlung und seiner Leidenschaft,
welche einer Gebundenen galt, der es verwehrt war,
ihm nher zu k ommen? War nicht er es, der mich
betrog und mich qulte mit seiner geniegespannten
und meine Seele spannenden Anziehungsk raft, der ich,
wie er sicher war, nicht folgen durfte, wollte und
k onnte? Auch der lange Merck k am mal zu Besuch
nach Wetzlar, sein Freund, ich mochte ihn nicht, sah
immer spttisch drein und halb ergrimmt, ein widrig
Gesicht, das mir das Innere zuschnrte, aber gescheit,
und ihn liebt' er wirk lich auf seine Art, wenn auch
sonst k eine Seele, das sah ich wohl und mut' ihm
denn doch auch wohl wieder gut sein deswegen. Nun,
was der ihm gesagt hat, ist mir spter auch zu Ohren
gek ommen. Denn wir waren beisammen zu Tanz und

Pfnderspielen mit den Brandt'schen Mdeln, Annchen


und Dorthelchen, vom Prok urator Brandt, die im
vermieteten Haupthaus wohnten des Ordenshofes,
meinen Nachbarinnen und {122}nahen Freundinnen.
Dorthel war schn und gro, viel stattlicher als ich,
die ich immer noch etwas spillerig war, trotz meiner
Blte zu Kestners Ehren, und Augen wie
Schwarzk irschen hatte sie, um die ich sie oft beneidete,
weil ich wohl wute, da er im Grunde die schwarzen
Augen liebte und ihnen eigentlich den Vorzug gab vor
den wasserblauen. Nimmt sich also der Lange den
Goethe vor und sagt zu ihm: Narr! sagt er, was
poussierst du um die Braut herum, Poussierstengel du,
und verdirbst die Zeit? Da ist die Junonische, die
Dorothea, die Schwarzaugige, um die nimm dich an,
die wre was fr dich und ist frei und ungebunden. Dir
aber ist nicht wohl, wenn du die Zeit nicht
verdirbst! Annchen, Dorthels Schwester, hat es
gehrt und mir spter berichtet. Er hat nur gelacht,
berichtete sie, zu Merck ens Worten und sich den
Vorwurf des Zeitverderbs nicht anfechten lassen,
desto schmeichelhafter fr mich, wenn Sie wollen, da
er der Meinung nicht war, mit mir die Zeit zu
verderben und Dorthelchens Ungebundenheit nicht als
einen Vorzug erachtete, der ber meine Vorzge ging.
Vielleicht berhaupt nicht als einen Vorzug oder als

einen, den er nicht brauchen k onnte. Aber der Lotte


im Buch hat er Dorthels schwarze Augen gegeben,
wenn's nur die ihren sind. Denn es heit ja, sie k men
auch oder namentlich von der Maxe La Roche her, der
Brentano in Frank furt, bei der er soviel gesessen hat,
als sie jung verheiratet war, bevor er den Werther
schrieb, bis ihnen der Mann eine Szene machte, da
ihm die Lust verging, wieder ins Haus zu k ommen.
Deren Augen sollen es auch sein, sagen die Leute, und
manche haben die Unverschmtheit zu sagen,
Werthers Lotte habe von mir nicht mehr als von
mancher anderen. Wie finden Sie das, Dok tor, und wie
urteilen Sie darber als Mann der Schnen
Wissenschaften? Ist es nicht ein stark es Stck und mu
es mich nicht bitterlich k rnk en, da ich am Ende gar
wegen des bischen Augenschwrze die Lotte nicht
einmal mehr sein soll?
{123}Riemer sah mit Bestrzung, da sie weinte. In
dem Gesicht der alten Dame, das sich in schrger
Abwendung zu verbergen strebte, war das Nschen
gertet, ihre Lippen zitterten, und hastig nestelten
ihre feinen Fingerspitzen in dem Ridik l nach dem
Tchlein, um damit den Thrnen zuvorzuk ommen, die
den rasch blinzelnden, vergimeinnichtfarbenen
Augen entquellen wollten. Es war aber wie frher
schon einmal, der Dok tor bemerk te es wieder: Sie
weinte aus vorgeschtztem Grunde. Rasch und schlau

hatte sie aus weiblichem Vexationsbedrfnis einen


improvisiert, um ratlosen Thrnen, die ihr lngst nahe
gewesen, Thrnen ber ein Unbegreifliches, deren sie
sich schmte, einen simpler einleuchtenden, wenn
auch ziemlich trichten Sinn unterzuschieben. Sie hielt
eine k leine Weile das Tuch mit der hohlen Hand vor die
Augen gepret.
Liebste, teuerste Madame, sagte Riemer. Ist es
mglich? Kann eine so abgeschmack te Bezweifelung
Ihres Ehrenstandes Sie berhren, Sie auch nur einen
Augenblick bek mmern? Unsere Lage zu dieser Stunde,
die Belagerung, deren geduldige und, wie ich meinen
will, gutgelaunte Opfer wir sind, sollte Ihnen k einen
Zweifel darber lassen, in wem die Nation das wahre
und einzige Urbild der ewigen Figur erblick t. Ich sage
das, alsob ein Zweifel an dieser Ihrer Wrde berhaupt
noch bestehen k nnte nach dem, was der Meister selbst
im erlauben Sie! im dritten Teil seiner Bek enntnisse
darber gesagt. Mu ich Sie erinnern? Wie wohl ein
Knstler, sagt er da freilich, eine Venus aus mehreren
Schnheiten herausstudiere, so habe er sich die
Erlaubnis genommen, an den Eigenschaften mehrerer
hbscher Kinder seine Lotte zu bilden; aber die
Hauptzge, fgt er hinzu, seien von der Geliebtesten
genommen, der Geliebtesten, teure Frau! Und wessen
Haus und Herk unft, wessen Charak ter, Erscheinung

und frohe Lebensttigk eit beschreibt er mit


zrtlichster und k eine Verwechslung zulassender
Genauigk eit im lassen Sie sehen! im zwlften
Buche? {124}Mige mgen darber streiten, ob es nur
ein Modell zur Lotte Werthers oder mehrere gibt, die
Heldin einer der lieblich ergreifendsten Episoden im
Leben des Heros, die Lotte des jungen Goethe,
Verehrteste, ist jedenfalls nur Eine
Das habe ich heute schon einmal gehrt, sagte sie
lchelnd gertet hinterm Schnupftuch hervork ommend.
Kellner Mager, dahier, erlaubte sich gelegentlich
schon, es anzumerk en.
Ich habe nichts dawider, entgegnete Riemer
gemessen, die Einsicht in die lautere Wahrheit mit
der Schlichtheit zu teilen.
Es ist im Grunde, sagte sie mit leichtem Seufzer
und tupfte sich die Augen, eine so echauffierende
Wahrheit nicht, ich sollt' es mir gegenwrtig halten.
Eine Episode, versteht sich, hat an einer Heldin genug;
der Episoden aber hat es eine Mehrzahl gegeben,
man sagt, es gibt ihrer noch. Es ist ein Reigen, in den
ich mich fge
ein unsterblicher Reigen! ergnzte er.
in den mich, verbesserte sie, das Schick sal
gefgt hat. Ich will es nicht ank lagen. Es war mir
freundlicher als anderen von uns, denn es gnnte mir
ein volles ersprieliches Eigenleben an der Seite des

Wack eren, dem ich vernnftige Treue gehalten. Es gibt


bleichere, traurigere Gestalten unter uns, die in
einsamem Gram vergingen und unter einem frhen
Grabhgel Frieden fanden. Wenn aber Jener schreibt,
er habe sich von mir zwar nicht ohne Schmerz, aber
doch mit reinerem Gewissen getrennt, als von
Friedrik e, so mu ich doch sagen: auch in meinem Fall
htte ihm schon das Gewissen ein wenig schlagen
drfen, denn nicht bel hatte er mir zugesetzt mit
seiner ziellosen Werbung auf dem Fond meines
Verlbnisses und mir das Seelchen bis zum Zerspringen
gespannt. Als er damals fort war und wir seine Zettel
lasen; als wir uns wieder allein sahen, wir einfachen
Leute, und unter uns, da war uns wohl traurig zu
Mute, und nur von ihm mochten wir sprechen den
ganzen Tag. Aber leicht war uns doch auch, ja,
erleichtert fhlten wir uns, {125}und ich wei noch
genau, wie ich damals meinte und mich in dem Glauben
wiegte, nun sei der uns geme, der natrliche, rechte
und friedliche Alltag wieder hergestellt und bei uns
eingek ehrt fr immer. Ja, Prosit Mahlzeit! Da ging es
erst an, denn es k am das Buch, und ich wurde die
unsterbliche Geliebte, nicht die Einzige, Gott
bewahre, es ist ja ein Reigen; aber die berhmteste,
und nach der die Leute am meisten fragen. Und gehre
denn nun der Literrgeschichte, ein Gegenstand der

Forschung und Wallfahrt und eine Madonnenfigur, vor


deren Nische die Menge sich drngt im Dom der
Humanitt. Das war mein Los, und wenn Sie erlauben,
so frage ich mich nur, wie ich dazu k omme. Mute
denn auch der Junge, der mich versuchte und verwirrte
jenen Sommer lang, so gro werden, da ich so gro
wurde mit ihm und mich festgehalten finde mein Leben
lang unter der Spannung und in der schmerzenden
Steigerung, in die seine ziellose Werbung mich damals
versetzte? Was sind meine armen, trichten Worte, da
ich sie soll fr die Ewigk eit gesagt haben? Als wir
damals mit der Base zu Balle fuhren im Wagen und der
Disk urs auf Romanen roulierte und danach auf dem
Tanzplaisir, schwtzte ich etwas hin ber dies und
jenes, ohne mir trumen zu lassen, in Gottes Namen,
da ich fr die Jahrhunderte schwtzte und da es im
Buche stehen werde fr immer. Ich htte doch sonst
den Mund gehalten oder versucht, etwas zu sagen, was
fr die Unsterblichk eit ein bischen passender gewesen
wre. Ach, ich schme mich, wenn ich's lese, Herr
Dok tor, schme mich damit dazustehen in meiner
Nische vor allem Volk ! Htte doch auch der Junge,
wenn er denn schon ein Dichter war, meine Worte ein
bischen idealischer und gescheiter herrichten sollen,
da ich besser mit ihnen bestnde als Nischenfigur im
Dome der Menschheit, es wre doch seine Pflicht
gewesen, wenn er mich schon hineinzog ungebeten in

solche Ewigk eitswelt


Sie weinte wieder. Hat man es erst einmal getan, so
sitzen die {126}Trnen lock er. Abermals drck te sie, in
ratloser Mibilligung ihres Loses den Kopf schttelnd,
das Tuch in der hohlen Hand vor die Augen.
Riemer beugte sich ber ihre andere Hand, die im
Halbhandschuh, mit Ridik l und Schirmk nauf in ihrem
Schoe lag, und legte zart die seine darauf.
Liebste, teuerste Madame, sagte er, die
Bewegungen, die Ihre lieben Worte damals im Busen
des Jnglings erregten, werden immer von einer
ganzen fhlenden Menschheit geteilt werden, dafr
hat er als Dichter gesorgt, und auf die Worte k ommt es
nicht an.
Herein! sagte er mechanisch und ohne seine
Haltung, noch auch den milden, trstenden Ton zu
verndern, in dem er sprach. Es hatte gek lopft.
Lassen Sie sich's in stolzer Demut gefallen, fuhr er
fort, da Ihr Name nun einmal allezeit unter den
Frauennamen glnzen wird, die die Epochen seines
erlauchten Werk es bezeichnen, und welche die Kinder
der Bildung werden zu memorieren haben wie die
Amouren des Zeus. Ergeben Sie sich darein aber Sie
haben sich lngst darein ergeben , da Sie, wie auch
ich, zu den Menschen, den Mnnern, Frauen,
Mdchengestalten gehren, auf die durch ihn das Licht

der Geschichte, der Legende, der Unsterblichk eit fllt


wie auf die um Jesus Was gibt es? fragte er, sich
aufrichtend, mit immer noch milder Stimme.
Mager stand im Zimmer. Da er gehrt hatte, da
vom Herrn Jesus die Rede war, stand er mit gefalteten
Hnden.

{127}Viertes

Kapitel

Hastig stopfte Charlotte ihr Schnupftchlein in den


Beutel. Sie blinzelte geschwinde und schnob in raschem
und leichtem Schluchzen einwrts mit ihrem gerteten
Nschen. Sie liquidierte auf diese Weise den durch des
Kellners Erscheinen aufgehobenen Zustand. Die Miene,
die sie dazu machte, gehrte dem neuen an: es war eine
sehr ungehaltene Miene.
Mager! Er k ommt schon wieder herein? fragte sie
scharf. Mir ist doch, als htte ich ihm gesagt, da ich
mit Herrn Dok tor Riemer gewichtige Dinge zu
besprechen habe und nicht gestrt zu werden
wnsche!
Das htte Mager bestreiten k nnen, doch verzichtete
er ehrerbietig darauf, ihre Selbsttuschung
anzufechten.
Frau Hofrtin! sagte er nur, indem er die ohnedies
schon gefalteten Hnde gegen die alte Dame erhob.
Wollen Frau Hofrtin sich gtigst versichert halten,
da ich die Strung so lange wie nur immer mglich
und bis zum Aeuersten hinausgeschoben habe. Ich bin
untrstlich, aber sie war am Ende nicht mehr zu
umgehen. Seit mehr als vierzig Minuten wartet ein
weiterer Besuch, eine Dame der Weimarer Gesellschaft,

darauf, vorgelassen zu werden. Ich k onnte die Meldung


nicht lnger verweigern und entschlo mich dazu im
Vertrauen auf das Billigk eitsgefhl des Herrn Dok tors
und auf Dero eigenes, das Dieselben zweifellos, wie
andere hohe und begehrte Personen, gewhnt hat, Ihre
Zeit und Gte einzuteilen, um vielen damit gerecht
werden zu k nnen
Charlotte erhob sich.
Das ist zuviel, Mager, sagte sie. Seit drei Stunden
oder wielange, ich wei es nicht, nachdem ich mich
ohnehin verschlafen, bin ich im Begriffe, fortzugehen,
um meine gewi schon um mich besorgten Verwandten
aufzusuchen, und er {128}will mich zu neuen
Empfngen anhalten! Es ist wahrhaftig zu stark . Ich
zrnte ihm schon Mi Cuzzles wegen, und wegen des
Herrn Dok tors zrnte ich ihm auch, obgleich sich
herausgestellt hat, da es sich hier allerdings um
einen Besuch von auerordentlichem Interesse
handelte. Nun aber sinnt er mir eine weitere
Aufhaltung an! Ernstlich mu ich die Ergebenheit in
Zweifel ziehen, wovon er sich gegen mich die Miene zu
geben wei, da er mich in dieser Weise dem
Oeffentlichen preisgibt.
Frau Hofrtin, sagte der Kellner mit gerteten
Augen, Dero Unzufriedenheit zerreit ein Herz, das
ohnehin zerrissen ist vom Widerstreit heiliger
Pflichten. Denn wie sollte ich die Pflicht, unseren

illustren Gast vor Behelligung zu schtzen, nicht als


heilig anerk ennen! Wollen Frau Hofrtin aber doch,
bevor Sie mich auf immer verurteilen, gtigst erwgen,
da ebenso heilig und herzlich begreiflich einem
Manne wie mir die Empfindungen der Standespersonen
sein mssen, welche die umlaufende Nachricht von
Dero Anwesenheit in unserem Hause mit dem
leidenschaftlichen Wunsche beseelt, vor Ihr Angesicht
zu treten!
Es wre, sagte Charlotte mit strengem Blick , erst
einmal die Frage zu errtern, durch wen diese
Nachricht in Umlauf gesetzt worden.
Wer ist die Nachfragende? erk undigte sich Riemer,
der ebenfalls aufgestanden war. Mager erwiderte:
Demoiselle Schopenhauer.
Hm, machte der Dok tor. Verehrteste, der Brave
hier tat so unrecht nicht, diese Meldung ber sich zu
nehmen. Es handelt sich, wenn ich erlutern darf, um
Adele Schopenhauer, ein wohl ausgebildetes junges
Frauenzimmer von den besten Konnexionen, Tochter
Madame Johanna Schopenhauers, einer reichen Witwe
von Danzig, die seit einem Jahrzehnt bei uns lebt,
einer ergebenen Freundin des Meisters, brigens
Litteratorin {129}sie selbst und Inhaberin eines
geistreichen Salons, wo der Meister zu Zeiten, als er
dem Ausgehen noch geneigter war, gar hufig den

Abend verbrachte. Sie hatten die Gte, unserem


Austausche einiges Interesse zuzuschreiben. Sollten Sie
sich aber davon nicht garzu ermdet fhlen, und sollte
eben noch Ihre Zeit es erlauben, so wrde ich wohl die
Empfehlung wagen, dem Frulein einige Augenblick e
zu schenk en. Abgesehen von dem hohen Geschenk , das
Sie einem empfnglichen jungen Herzen damit machen
wrden, wre es, dafr mcht' ich mich verbrgen,
eine Gelegenheit fr Sie, ber unsere Zustnde und
Verhltnisse manches zu profitieren, eine bessere,
unbedingt, als Ihnen durch die Konversation mit einem
einsamen Gelehrten geboten war. Was diesen betrifft,
sagte er lchelnd, so rumt er nun jedenfalls das
Feld, das viel zu lange behauptet zu haben er sich
leider ank lagen mu
Sie sind zu bescheiden, Herr Dok tor, versetzte
Charlotte. Ich dank e Ihnen fr diese Stunde, die
meinem Gedchtnis wert und wichtig bleiben wird.
Es waren zwei, allerdings, bemerk te Mager,
whrend sie Riemern die Hand reichte, der sich mit
Gefhl darber beugte. Es waren zwei Stunden, wenn
ich mir erlauben darf, das am Rand zu notieren. Und
da auf diese Weise das Mittagessen sich etwas
verzgert, wrde es sich gewi empfehlen, da Frau
Hofrtin, bevor ich Demoiselle Schopenhauer einfhre,
sich mit einer k leinen Collation wiederherstellten,
einer Tasse Bouillon mit Biscuits oder einem anmutigen

Glschen Ungarwein.
Ich habe k einen Appetit, sagte Charlotte, und
bin brigens im Vollbesitz meiner Krfte. Leben Sie
wohl, Herr Dok tor! Ich hoffe Sie noch zu sehen in den
k ommenden Tagen. Und er, Mager, bitt' er in Gottes
Namen das Frulein zu mir, mit dem Bemerk en aber,
schrf' ich ihm ein, da mir nur wenige Minuten
bleiben, sie zu begren, und da auch diese ein k aum
{130}noch zu verantwortender Raub an den lieben
Verwandten sind, die mich erwarten.
Ganz wohl, Frau Hofrtin! Drfte ich nur eben
erinnern: Appetitlosigk eit ist denn doch k ein Beweis
der Unbedrftigk eit. Wenn Frau Hofrtin mir
gestatteten, auf meine Anempfehlung einiger
Erfrischung zurck zuk ommen Es wrde Denselben
gewilich gut tun, soda Frau Hofrtin dann allenfalls
auch geneigt wren, dem Vorschlag meines Freundes,
des Stadtsergenten Rhrich, nher zu treten Er
versieht mit einem Kameraden den Ordnungsdienst vor
unserem Haus und war vorhin bei mir im Flur. Er
meinte, das stdtische Publik um wrde leichter zum
Abzuge zu bewegen sein und sich befriedigt zerstreuen,
wenn es nur erst einmal einen Blick auf Frau Hofrtin
htte werfen drfen, und Dieselben wrden der
Obrigk eit und der ffentlichen Disziplin einen Dienst
erweisen, wenn Sie einwilligten, sich den Leuten nur

einen Augenblick im Rahmen des Haustors oder auch


am offenen Fenster zu zeigen
Auf k einen Fall, Mager! Unter gar k einen
Umstnden! Das ist ein ganz lcherliches, absurdes
Ansinnen! Will man wohl gar, da ich eine Rede halte?
Nein, ich zeige mich nicht, unter k einer Bedingung!
Ich bin k eine Potentatin
Mehr, Frau Hofrtin! Mehr und Erhebenderes als
das. Auf der heutigen Stufe unserer Kultur sind es nicht
mehr die Potentaten, um derentwillen die Menge
zusammenluft; es sind die Sterne des Geisteslebens.
Unsinn, Mager. Lehr' er mich die Menge k ennen
und die nur allzu derben Motive ihrer Neugier, die mit
Geist im Grunde erbrmlich wenig zu tun haben. Das
sind Alfanzereien. Ich gehe aus, ohne rechts oder link s
zu sehen, wenn meine Visiten beendet sind. Aber von
zeigen k ann k eine Rede sein.
Frau Hofrtin haben allein zu befinden. Es ist nur
schmerzlich, sich sagen zu mssen, da Sie nach einer
k leinen Erfri {131}schung die Dinge vielleicht in
anderem Lichte gesehen htten Ich gehe. Ich
benachrichtige Demoiselle Schopenhauer.
Charlotte benutzte die k nappen Minuten ihres
Alleinseins, um zum Fenster zu gehen und sich durch
den Mull-Vorhang, den sie mit der Hand
zusammenhielt, zu berzeugen, da auf dem Platze
noch alles beim Alten war und die Belagerung des

Htel-Einganges sich k aum verringert hatte. Ihr Kopf


zitterte stark beim Hinauslugen, und von den lang
dauernden Abenteuern des Gesprchs mit dem Famulus
standen ihre Wangen in hoch-rosiger Glut. Sie legte,
sich umwendend, die Fingerrck en beider Hnde
daran, um von auen die Wrme zu prfen, die ihr die
Augen trbte. brigens hatte sie nicht flschlich
erk lrt, da sie sich frisch und munter fhle, mochte
sie sich von der etwas hek tischen Natur dieser
Munterk eit auch halb und halbe Rechenschaft geben.
Eine gelock erte Mitteilsamk eit und fiebrig entfesselte
Redseligk eit beherrschte sie, eine ungeduldige Lust zu
weiterem Gesprch und das fast bermtige Bewutsein
einer nicht alltglichen Gelufigk eit des Mundes, die
auch dem Heik elsten gewachsen war. Mit einer
gewissen Begier blick te sie auf die Thr, die sich vor
neuem Besuch ffnen sollte.
Adele Schopenhauer, von Mager eingelassen, versank
in tiefem Knix, aus dem Charlotte, die ihr die Hand bot,
sie freundlich emporhob. Die junge Dame, Anfang
zwanzig nach Charlottens Schtzung, war recht
unschnen, aber intelligenten Ansehens, ja, schon
die Art, wie sie vom ersten Augenblick an und dann
immerfort das doch unverk ennbare Schielen ihrer gelbgrnen Augen, teils durch hufigen Lidschlag, teils
durch hurtiges Umher- und namentlich Emporblick en,

zu verbergen suchte, erweck te den Eindruck einer


nervsen Intelligenz, und ein zwar breiter und
schmaler, aber k lug lchelnder und sichtlich in
gebildeter Rede gebter Mund, k onnte die hngende
Lnge der Nase, den ebenfalls zu langen Hals, die
betrblich {132}abstehenden Ohren bersehen lassen,
neben denen gelock te accroche-curs unter dem mit
Rschen umk rnzten, etwas genialisch geformten
Strohhut hervork amen und in die Wangen fielen. Die
Gestalt des Mdchens war drftig. Ein weier, aber
flacher Busen verlor sich in dem k urzrmeligen BatistMieder, das in offener Krause um die mageren
Schultern und den Nack en stand. Durchbrochene
Halbhandschuhe, am Ende der dnnen Arme, lieen
ebenfalls drre, rtliche Finger mit weien Ngeln frei.
Sie umfate damit, auer dem Griff ihres
Sonnenschirms, auch die in Seidenpapier gehllten
Stengel einiger Blumen nebst einem rollenfrmigen
Pck chen.
Sogleich begann sie zu sprechen, schnell, tadellos,
ohne Pause zwischen den Stzen und mit der
Gewandtheit, deren Charlotte sich gleich von ihrem
gescheiten Munde versehen hatte. Er wsserte etwas
dabei, soda es mit der flieenden, leicht schsisch
gefrbten Rede tatschlich wie geschmiert ging und
Charlotte sich einer heimlichen Besorgnis nicht
erwehren k onnte, ob auch ihre eigene entfachte

Mitteilungslust dabei auf ihre Rechnung k ommen


wrde.
Frau Hofrtin, sagte Adele, wie dank bar ich
bin, da Ihre Gte mir sogleich das Glck gewhrt,
Ihnen meine Huldigung darzubringen, dafr fehlen
mir die Worte. Ohne Pause weiter: Ich tue es nicht
nur fr meine eigene bescheidene Person, sondern auch
im Namen, wenn auch nicht im Auftrage fr einen
solchen Beschlu gab es noch k eine Mglichk eit
unseres Musenvereins, dessen Geist und schnes
Zusammenstehen sich brigens anllich des
entzck enden Ereignisses Ihrer Gegenwart glnzend
bewhrt hat insofern, als eines unserer Mitglieder,
meine geliebte Freundin die Comtesse Line Egloffstein
es war, die mir ungesumt die beflgelnde Nachricht
berbrachte, nachdem sie sie erst eben von ihrer Zofe
vernommen. Mein Gewissen raunt mir zu, da ich
Muselinen verzeihen Sie, das ist der Vereinsname
Line Egloffsteins, wir {133}haben alle solche Namen, Sie
wrden lachen, wenn ich sie Ihnen sagte da ich
Linen von meinem vorhabenden Schritt wohl
dank barer Weise htte verstndigen mssen; denn
wahrscheinlich htte sie sich ihm angeschlossen. Aber
erstens habe ich tatschlich den Beschlu dazu erst
nach ihrem Weggang gefat, und zweitens hatte ich
schwerwiegende Grnde fr den Wunsch, Sie, Frau

Hofrtin allein in Weimar willk ommen zu heien und


unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen Drfte ich
mir erlauben, Ihnen diese wenigen Astern, Rittersporn
und Petunien nebst dieser bescheidenen Probe hiesigen
Kunstfleies zu berreichen?
Mein liebes Kind, erwiderte Charlotte belustigt
denn Adelens Aussprache von Bedunien erregte ihr
Lachk itzel, und sie brauchte ihre Heiterk eit nicht zu
verbergen, da sie sich noch auf Museline beziehen
mochte, mein liebes Kind, das ist reizend. Was fr
eine geschmack volle Farbenzusammenstellung! Wir
mssen trachten, da wir Wasser fr diese herrlichen
Blten bek ommen. So schne Petunien und wieder
berk am sie das Lachen erinnere ich mich k aum
gesehen zu haben
Wir sind eine Blumengegend, versetzte Adele.
Flora ist uns hold. Und sie wies mit dem Blick auf die
Gipsgestalt in der Nische. Die Erfurter Samenk ulturen
haben Weltruf seit mehr als hundert Jahren.
Reizend! wiederholte Charlotte. Und dies hier,
was Sie ein Beispiel des Weimarer Kunstfleies
nennen, was mag es sein? Ich bin eine neugierige alte
Frau
O, meine Bezeichnung war sehr euphemistisch. Eine
Spielerei, Frau Hofrtin, ein Werk meiner Hnde, eine
allerbescheidenste Willk ommsgabe. Darf ich Ihnen beim
Auswick eln behilflich sein? So herum, wenn ich bitten

darf. Ein Silhouettenschnitt, gefertigt aus schwarzem


Glanzpapier und sorgsam auf weien Karton gek lebt,
ein Gruppenbild, wie Sie sehen. Es ist nichts anderes
als unser Musenverein, portraithnlich wie {134}mir's
nur irgend gelingen wollte. Dies ist die erwhnte
Museline, Line Egloffstein, wie gesagt, sie singt zum
Entzck en und ist die Lieblingshofdame unserer
Grofrstin-Erbprinzessin. Das da ist Julie, ihre schne
Schwester, die Malerin, Julemuse genannt. Hier weiter
bin ich, Adelmuse mit Namen, ungeschmeichelt, wie Sie
mir zugeben werden, und die den Arm um mich
schlingt, ist Tillemuse, will sagen: Ottilie von
Pogwisch ein liebes Kpfchen, nichtwahr?
Sehr lieb, sagte Charlotte, sehr lieb und
unglaublich lebenswahr, das alles! Ich bestaune, mein
bestes Kind, Ihre Fertigk eit. Wie ist das gearbeitet!
Diese Rschen und Knpfchen, diese Tisch- und
Stuhlbeinchen, die Lck chen, Nschen und Wimpern!
Mit einem Wort, das ist ganz ungewhnlich. Ich habe
die Scherenk unst von jeher hochgeschtzt und war
immer der Meinung, da ihr Abhandenk ommen als ein
Verlust fr Herz und Sinn zu bek lagen wre. Desto
mehr bewundere ich den innigen Flei, mit dem sich
hier eine offenbar auerordentliche natrliche Anlage
zur Entwick lung gebracht und auf die Spitze getrieben
findet.

Man mu fr seine Talente schon etwas tun


hierzulande und vor allem welche besitzen, erwiderte
das junge Mdchen, sonst k ommt man nicht durch in
der Gesellschaft und niemand sieht einen an. Hier
opfert alles den Musen, das ist guter Ton, und es ist ja
ein guter Ton, nichtwahr? Ein schlechterer wre
denk bar. Ich hatte von k leinauf ein vortreffliches
Vorbild an meiner lieben Mama, die schon bevor sie
sich hier niederlie, zu Lebzeiten meines seligen
Vaters, die Malerei ausgebt hatte, aber diese
Eigenschaft erst hier recht ernsthaft zu k ultivieren
begann, mir dazu noch energisch im Klavierspiel
voranging und auerdem bei dem seither verstorbenen
Fernow dem Kunstgelehrten Fernow, der lange in
Rom gelebt, italienischen Unterricht nahm. Meine
k leinen poetischen Versuche hat sie immer mit grter
Sorgfalt berwacht, obgleich {135}es ihr selbst nicht
gegeben ist, zu dichten, wenigstens nicht auf
Deutsch, ein italienisches Sonett im Geschmack
Petrarca's hat sie tatschlich unter Anleitung Fernows
einmal verfertigt. Eine bewundernswerte Frau.
Welchen Eindruck mute es nicht damals auf meine
dreizehn, vierzehn Jahre machen, zu sehen, wie sie
hier Fu zu fassen und ihren Salon im Handumdrehen
zum Treffpunk t der schnsten Geister zu machen
wute. Wenn ich im Silhouettieren etwas leiste, so
dank e ich's auch nur ihr und ihrem Beispiel, denn sie

war und ist eine Meisterin im Blumenschneiden, und


der Geheime Rat selbst hatte auf unseren Thees das
grte Vergngen an ihren Schnitten
Goethe?
Aber ja. Er ruhte damals nicht, bis Mama sich
entschlo, einen ganzen Ofenschirm mit geschnittenen
Blumen zu dek orieren, und half ihr dann selbst mit
dem ernsthaftesten Fleie beim Aufk leben. Ich sehe
noch, wie er eine halbe Stunde lang vor dem fertigen
Ofenschirm sa und ihn bewunderte
Goethe?
Aber ja! Die Liebe des groen Mannes zu allem
Gemachten, zum Produk t des Kunstfleies und der
Geschick lichk eit jeder Art, zum Werk der
Menschenhand mit einem Wort, ist wahrhaft rhrend.
Man k ennt ihn nicht, wenn man ihn nicht von dieser
Seite k ennt.
Sie haben recht, sagte Charlotte. Sogar k enne
ich ihn von dieser Seite und sehe wohl, da er der Alte
geblieben ist, will sagen: der Junge. Als wir jung waren,
damals in Wetzlar, hatte er seine Freude an meinen
k leinen Stick ereien in farbiger Seide und ist mir bei
manchem Entwurf meines Zeichenheftes fr diese
Dinge treu und emsig zur Hand gegangen. Ich erinnere
mich an einen nie fertig gewordenen Liebestempel, auf
dessen Stufen eine heimk ehrende Pilgerin von ihrer

Freundin begrt wurde, und an dessen Komposition er


groen Anteil hatte
Himmlisch! rief die Besucherin. Was erzhlen Sie
da, liebste Frau Hofrtin! Bitte, bitte, erzhlen Sie
weiter!
{136}Stehenden Fues denn doch nun einmal gewi
nicht, Liebe, erwiderte Charlotte. Es k nnte mir
fehlen, da ich verge, Sie zu bitten, es sich bequem
zu machen, da ohnedies Ihre Aufmerk samk eit und diese
lieben Gaben es mich nur desto peinlicher empfinden
lassen, da ich Sie so lange warten lassen mute.
Durchaus hatte ich darauf gefat zu sein,
versetzte Adele, indem sie neben der alten Dame auf
einem Kanapee mit Fubnk en Platz nahm, da ich
weder die einzige noch die erste Person sein wrde, die
den Cordon Ihrer Volk stmlichk eit durchbricht, um vor
Ihr Angesicht zu gelangen. Sie waren in gewi hchst
interessanter Konversation begriffen. Ich habe Onk el
Riemer bei seinem Weggang begrt
Wie, er ist Ihr
O, nicht doch. Ich nenne ihn so seit Kindertagen,
wie ich alle so nannte und nenne, die stndige oder
nur hufige Gste von Mamas Sonntag- und
Donnerstag-Thees waren: Meyers und Schtzes und
Falk s und Baron Einsiedel, den bersetzer des Terenz,
Major von Knebel und Legationsrat Bertuch, der die
Allgemeine Literaturzeitung gegrndet hat, Grimm und

Frst Pck ler und die Brder Schlegel und die


Savigny's! Zu all diesen sagte und sage ich Onk el und
Tante. Ich habe selbst Wieland Onk el genannt.
Und nennen auch Goethen so?
Den nun eben nicht. Aber die Geheime Rtin
nannte ich Tante.
Die Vulpius?
Ja, die jngst dahingegangene Frau von Goethe, die
er gleich nach seiner Vermhlung mit ihr bei uns
einfhrte, nur bei Mama, denn sonst war es berall mit
der Einfhrung ein wenig schwierig. Man k ann sogar
sagen, da der groe Mann selbst fast nur bei uns
verk ehrte, denn wenn Hof und Gesellschaft ihm das
freie Zusammenleben mit der Seligen nachgesehn
hatte das gesetzliche gerade verschnupfte sie.
{137}Auch die Baronin von Stein, fragte Charlotte,
deren Wangen sich leicht gertet hatten, war wohl
verschnupft?
Sie am meisten. Wenigstens gab sie sich die Miene
die Legalisierung des Verhltnisses besonders zu
mibilligen, whrend doch in Wahrheit das Verhltnis
selbst ihr von jeher empfindlichen Kummer bereitet
hatte.
Man k ann ihr das nachfhlen.
O, gewi. Aber andererseits war es ein schner Zug
von unserem Meister, da er die arme Person zu seiner

rechten Gemahlin machte. Sie hatte ihm in den


schreck lichen Franzosentagen anno 6 treulich und
tapfer zur Seite gestanden, und ausdrck lich fand er,
zwei Menschen, die das mit einander durchgemacht,
gehrten zusammen vor Gott und den Menschen.
Ist es wahr, da ihre Conduite manches zu
wnschen lie?
Ja, sie war ordinr, sagte Adele. De mortuis nil
nisi bene, aber ordinr war sie in hohem Grade,
gefrig und plusterig mit hochroten Back en und
tanzwtig und liebte auch die Bouteille ber Gebhr,
immer mit Komdiantenvolk und jungen Leuten, als sie
selbst schon nicht mehr die Jngste war, immer
Redouten und Trak tamente und Schlittenfahrten und
Studentenblle, und da k am es denn vor, da die
Jenenser Burschen der Geheimen Rtin allerhand
Polissonerieen glaubten machen zu drfen.
Und Goethe tolerierte ein solches Gebahren?
Er drck te ein Auge zu und lachte auch wohl
darber. Vielleicht war es das Weiseste, was er tun
k onnte. Man k ann sogar sagen, da er dem losen
Wandel der Frau in gewissem Grade Vorschub
leistete, ich mchte annehmen: aus dem Grunde, weil
er das Recht daraus ableitete, sich die Freiheit des
eigenen Gefhls zu salvieren. Ein Dichtergenie k ann
seine belletristischen Inspirationen nun wohl einmal
nicht ausschlielich aus seinem Eheleben schpfen.

{138}Sie verfgen ber sehr grozgige, sehr


stark geistige Gesichtspunk te, mein liebes Kind.
Ich bin Weimaranerin, sagte Adele. Amor gilt
hier viel, es werden ihm weit gehende Rechte
zugestanden bei allem Sinn fr das Ziemliche. Man
mu auch sagen, da die Kritik unsrer Gesellschaft an
der derben Lebenslust der Geheimen Rtin mehr
sthetischer als moralischer Natur war. Wer ihr aber
gerecht werden wollte, mute gestehen, da sie ihrem
hohen Gemahl auf ihre Art eine vortreffliche Gattin
war, auf sein leiblich Wohl, das ihm nie gleichgltig
war, jederzeit treu bedacht und voller Sinn fr die
Bedingungen seiner Produk tion, von der sie zwar
nichts verstand nicht ein Wort, das Geistige war ihr
ein dreimal verschlossener Garten , von deren
Bedeutung fr die Welt sie aber durchaus einen
ehrfrchtigen Begriff hatte. Er hat sich zwar auch
nach seiner Heirat des Junggesellendaseins nie
entwhnt und immer groe Teile des Jahres, in Jena,
Karlsbad, Teplitz, fr sich gelebt. Aber als sie
verwichenen Junius an ihren Krmpfen starb in den
Armen fremder Wrterinnen geschah es, denn er selbst
war leidend und bettlgrig an dem Tage, wie er schon
lngst von anfllig schwank ender Gesundheit, sie aber
ein Bild des Lebens und zwar bis zum
Unaesthetischen und Abstoenden gewesen war: als

sie tot war, da hat er sich, sagt man, ber ihr Bett
geworfen und ausgerufen: Du k annst, du k annst mich
nicht verlassen!
Charlotte schwieg, weshalb die Besucherin, deren
Civilisation k ein Stock en des Gesprches duldete, sich
beeilte fr Weiteres aufzuk ommen.
Jedenfalls, sagte sie, war es sehr k lug von Mama,
da sie die Frau allein in der ganzen hiesigen
Gesellschaft bei sich empfing und ihr mit feinem
Tack t ber alle Verlegenheit hinweghalf. Denn sie
fesselte den groen Mann dadurch nur desto fester an
ihren aufblhenden Salon, dessen Hauptattrak tion er
natrlich bildete. Sie hielt mich auch an, die Vulpius
Tante zu {139}nennen. Zu Goethen aber habe ich
niemals Onk el gesagt; das fgte sich nicht. Er mochte
mich zwar wohl leiden und trieb seinen Spa mit mir.
Ich durfte die Laterne ausblasen, mit der er sich zu uns
geleuchtet hatte, und er lie sich mein Spielzeug
zeigen und tanzte mit meiner Lieblingspuppe eine
Ecossaise. Aber trotzdem: ihn Onk el zu nennen, dazu
war er doch zu sehr Respek tsperson, nicht nur fr
mich, sondern auch fr die Erwachsenen, wie ich wohl
sah. Denn war er auch oft ein wenig stumm und auf
eine Art befangen, wenn er k am, still fr sich sitzend
und zeichnend an seinem Tisch, so dominierte er doch
im Salon, einfach weil alles sich nach ihm richtete,
und er tyrannisierte die Gesellschaft, weniger weil er

ein Tyrann gewesen wre, als weil die anderen sich


ihm unterwarfen und ihn geradezu ntigten, den
Tyrannen zu machen. So machte er ihn denn und
regierte sie, k lopfte auf seinen Tisch und verfgte dies
und das, las schottische Balladen vor und verordnete,
da die Damen den Kehrreim immer im Chore
mitsprechen muten, und wehe, wenn Eine ins Lachen
geriet: Dann blitzte er mit den Augen und sagte: Ich
lese nicht mehr, und Mama hatte alle Mhe, die
Situation wiederherzustellen, indem sie sich fr gute
Disziplin in Zuk unft verbrgte. Oder aber er machte
sich den Spa, eine furchtsame Dame mit den
grausigsten Gespenstergeschichten bis zum Vergehen
zu ngstigen. Er liebte es berhaupt, zu neck en. So
wei ich noch, wie er eines Abends den alten Onk el
Wieland fast aus der Haut fahren lie, indem er ihm
unaufhrlich widersprach nicht aus berzeugung,
sondern nur aus rabulistischem Schabernack ; aber
Wieland nahm's ernst und rgerte sich schwer, worauf
denn Goethes Trabanten, Meyer und Riemer, ihn von
oben herab trsteten oder belehrten: Lieber Wieland,
Sie drfen das nicht so nehmen. Das war nicht
passend, wie ich k leines Mdchen deutlich empfand,
und andere mochten es auch empfinden, nur Goethe
nicht, eigentmlicher Weise.
{140}Ja, das ist eigentmlich.

Ich hatte immer den Eindruck , fuhr Adele fort,


da die Soziett, zum wenigsten unsere deutsche, in
ihrem Drang nach Unterwerfung sich ihre Herren und
Lieblinge selbst verdirbt und ihnen einen peinlichen
Mibrauch ihrer berlegenheit aufdrngt, an dem
schlielich beide Teile unmglich noch Freude haben
k nnen. Einen ganzen Abend lang plagte Goethe die
Gesellschaft einmal bis zur vollk ommenen Ermdung
mit dem langgezogenen Scherz, da er sie zwang, an
der Hand einzelner Requisiten den Inhalt der neuen,
niemandem bek annten Stck e zu erraten, von denen
er eben Probe gehalten. Es war ganz unmglich, eine
Aufgabe mit zu vielen Unbek annten, niemand brachte
einen Zusammenhang zustande, und die Gesichter
wurden immer lnger, das Ghnen immer hufiger. Er
aber lie nicht ab zu insistieren und hielt den ganzen
Kreis immerfort auf der Folter der Langenweile, soda
man sich fragte: Fhlt er denn nicht, welchen Zwang
er den Leuten auferlegt? Nein, er fhlte es nicht, die
Gesellschaft hatte es ihm abgewhnt, es zu fhlen, aber
es ist k aum glaubhaft, da er selbst sich nicht sollte
sterblich gelangweilt haben bei dem grausamen Spiel.
Die Tyrannei ist gewi ein langweiliges Geschft.
Da mgen Sie recht haben, mein Kind.
Er ist denn auch, setzte Adele hinzu, meiner
Meinung nach garnicht zum Tyrannen geboren,
sondern viel eher zum Menschenfreund. Ich habe das

immer daraus abgenommen, da er es so besonders


liebte und es so excellent verstand, die Menschen
lachen zu machen. Mit dieser Eigenschaft ist man
gewi k ein Tyrann. Als Vorleser sowohl bewhrte er
sie, als auch wenn er freihin Geschichten erzhlte und
k omische Dinge und Leute beschrieb. Sein Vorlesen ist
nicht durchweg glck lich, das finden alle. Zwar
lauscht man immer gern seiner Stimme, die eine schne
Tiefe hat, und blick t mit Freuden in {141}sein
ergriffenes Gesicht. Aber bei ernsten Szenen fllt er
leicht zu sehr ins Pathetische, Dek lamatorische, auch
allzu Donnernde, es ist nicht immer erfreulich.
Dagegen das Komische bringt er regelmig mit
solcher Drastik und Natur, so k stlicher Beobachtung
und unfehlbarer Wiedergabe, da alle Welt hingerissen
ist. Und nun gar, wenn er lustige Anek doten zum
Besten gab oder sich einfach in die Ausmalung
phantastischen Unsinns verlor. Dann schwamm bei uns
buchstblich alles in Lachthrnen. Es ist
bemerk enswert: In seinen Werk en ist doch allgemein
eine groe Gesetztheit und Feinheit der Charak teristik
herrschend, die allenfalls einmal zum Lcheln Anla
gibt, aber zum Lachen nicht da ich wte.
Persnlich aber hat er nichts lieber, als wenn die Leute
sich wlzen vor Lachen ob seinen Hervorbringungen,
und ich hab' es erlebt, da Onk el Wieland sich den

Kopf mit der Serviette verhllte und ihn um Quartier


bat, denn er k onnte nicht mehr, und sonst war auch
alles ohne Atem am Tische. Er selbst pflegte ziemlichen
Ernst zu bewahren in solchen Situationen; aber er
hatte eine eigentmliche Art, mit blitzenden Augen
und einer gewissen freudigen Neugier in das Gelchter
und in die allgemeine Gelstheit hineinzublick en. Ich
habe oft darber nachgedacht, was es bedeutet, wenn
ein so ungeheuerer Mann, der soviel durchlebt und
getragen und ausgefhrt, die Menschen so gerne zu
schallendem Gelchter bringt.
Die Sache wird die sein, sagte Charlotte, da er
jung geblieben ist in der Gre und in dem schweren
Ernst seines Lebens dem Lachen die Treue bewahrt
hat es wrd' mich nicht wundern, und ich wrd' es
schtzen. In unserer Jugend haben wir viel und
ausbndig zusammen gelacht, zu zweit und zu dritt,
und gerade in Augenblick en, wenn er mir hatte wollen
ins Schmerzliche ausarten und sich verlieren ins
Melancholische, so fat' er sich wohl ein Herz, schlug
um und bracht' uns genau so zum Lachen mit seinen
Possen wie Ihrer Frau Mutter Theegesellschaft.
{142}O, sprechen Sie weiter, Frau Hofrtin! bat das
junge Mdchen. Erzhlen Sie weiter von diesen
unsterblichen Jugendtagen zu zweit und zu dritt! Wie
ist mir denn, mir nrrischem Ding? Ich wute, zu wem
ich ging, zu wem es mich unwiderstehlich antrieb mich

aufzumachen. Nun aber will es mir fast aus dem Sinn


k ommen, wer es ist, neben der ich auf dieser Causeuse
sitze, und erst Ihre Worte jagen mir's wieder ein,
beinahe zu meinem Schreck en. O, sprechen Sie weiter
von damals, ich flehe Sie an!
Viel lieber, sagte Charlotte, viel lieber hre ich
Ihnen zu, meine Gute. Sie unterhalten mich so
allerliebst, da ich mir immer aufs neue Vorwrfe
machen mu, Sie so lange haben warten zu lassen und
Ihnen noch einmal dank en mu fr Ihre Geduld.
O, was meine Geduld betrifft Ich brannte so sehr
von Ungeduld, Sie, hohe Frau, zu sehen und Ihnen
vielleicht in mancher Beziehung mein Herz
ausschtten zu drfen, da ich k aum zu loben bin, weil
ich Geduld bte um dieser Ungeduld willen. Oft ist das
Moralische nur das Produk t und Mittel der
Leidenschaft, und die Kunst, zum Exempel, k ann man
wohl als die hohe Schule der Geduld in der Ungeduld
ansprechen.
Ei, hbsch, mein Kind. Ein artiges Aperu. Ich sehe,
zu Ihren brigen Talenten k ommt eine nicht geringe
philosophische Anlage.
Ich bin Weimaranerin, wiederholte Adele. Das
fliegt einem an. Wenn Einer franzsisch spricht,
nachdem er zehn Jahre in Paris gelebt, so ist das nicht
weiter bewundernswert, nichtwahr? brigens sind wir

vom Musenverein der Philosophie und Kritik so sehr


ergeben als der Poesie. Nicht nur unsere Gedichte
teilen wir einander dort mit, sondern auch
untersuchende und zergliedernde Aufstze, die wir
unserer Lek tre widmen, dem Neuesten im Reiche des
Witzes, wie man frher sagte jetzt sagt man Geist
und Bildung. Der alte Gehei {143}merat erfhrt
brigens besser nichts von diesen Zusammenk nften.
Nichts? Warum?
Es sprechen mehrere Grnde dagegen. Zum ersten
hat er berhaupt eine ironische Aversion gegen
schngeistige Frauenzimmer, und wir mten
befrchten, da er sich ber diese uns so lieben
Bestrebungen lustig machte. Sehen Sie, man k ann doch
gewi nicht sagen, da der groe Mann unserm
Geschlechte abhold wre, das schiene wohl eine
schwer zu verfechtende Behauptung. Hat er vom
Naturell der Frauen doch das Hchste gemeint, was er
nach seiner ganzen Gesinnung nur immer davon htte
aussagen k nnen, nmlich, es sei so nah mit Kunst
verwandt. Was wollen wir mehr? Und doch mischt sich
in sein Verhltnis zum Weiblichen ein Absprechendes,
ich mchte fast sagen: Grbliches ein mnnliches
Partisanentum, das uns den Zugang zum Hchsten, zur
Poesie und zum Geiste verwehren mchte und unser
Zartestes gern in k omischem Lichte sieht. Es mge nun
hierher gehren oder nicht, aber als er einige Damen

einmal auf einer Gartenwiese Blumen pflk k en sah,


uerte er, sie k men ihm vor wie sentimentale Ziegen.
Finden Sie das gemtvoll?
Nicht just, erwiderte Charlotte lachend. Ich mu
lachen, erluterte sie, weil es ja auf boshafte Art
etwas Treffendes hat. Aber man sollte natrlich nicht
boshaft sein.
Treffend, sagte Adele, das ist es eben. So ein Wort
hat etwas geradezu Ttliches. Ich k ann mich auf einem
Spaziergange nicht mehr bck en, um einige Kinder des
Frhlings an meinen Busen zu nehmen, ohne mir wie
eine sentimentale Ziege vorzuk ommen, und selbst wenn
ich ein Gedicht in mein Album schreibe, sei es ein
fremdes oder ein eigenes, k omme ich mir so vor.
Sie sollten es sich so sehr nicht zu Herzen nehmen.
Warum aber sonst noch soll denn der Goethe nichts
wissen von Ihren und Ihrer Freundinnen aesthetischen
Bestrebungen?
{144}Teuerste Hofrtin von wegen des ersten
Gebotes.
Wie meinen Sie?
Das da lautet, sagte Adele, Du sollst k eine
anderen Gtter haben neben mir. Wir sind hier,
Verehrteste, wieder beim Kapitel der Tyrannei, einer
denn doch wohl nicht aufgedrngten und von der
Gesellschaft verschuldeten, sondern natrlichen und

von einer gewissen berherrschenden Gre wohl


unabtrennbaren Tyrannei, die zu scheuen und zu
schonen man gut tut, ohne sich ihr eben zu
unterwerfen. Er ist gro und alt und wenig geneigt,
gelten zu lassen, was nach ihm k ommt. Aber das Leben
geht weiter, es bleibt auch beim Grten nicht stehen,
und wir sind Kinder des neuen Lebens, wir Muselinen
und Julemusen, ein neues Geschlecht, und sind gar
k eine sentimentalen Ziegen, sondern selbstndige,
fortgeschrittene Kpfe mit dem Mute zu ihrer Zeit und
ihrem Geschmack und k ennen schon neue Gtter. Wir
k ennen und lieben Maler, wie die frommen Cornelius
und Overbeck , nach deren Bildern er, wie ich ihn
selbst habe sagen hren, am liebsten mit der Pistole
schsse, und den himmlischen David Caspar Friedrich,
von dem er erk lrt, man k nne seine Bilder ebenso gut
verk ehrt herum ansehen. Das soll nicht aufk ommen!
donnert er, ein rechter Tyrannendonner, wie nicht
zu leugnen, den aber wir im Musenverein in aller
Ehrfurcht dahinrollen lassen, inde wir in unsere
Poesiebcher Verse von Uhland schreiben und entzck t
mit einander die herrlich sk urrilen Geschichten von
Hoffmann lesen.
Ich k enne diese Autoren nicht, sagte Charlotte
gemessen. Sie werden nicht sagen wollen, da sie bei
aller Sk urrilitt den Dichter des Werther erreichen.
Sie erreichen ihn nicht, versetzte Adele, und

dennoch verzeihen Sie das Paradoxon! bertreffen


sie ihn, nmlich einfach, weil sie weiter sind in der
Zeit, weil sie eine neue Stufe reprsentieren, uns nher
sind, trauter, verwandter, uns Neu{145}eres, Eigeneres
zu sagen haben, als eine felsstarre Gre, die gebietend
und auch wohl verbietend hineinragt in die frische
Zeit. Ich bitte Sie, halten Sie uns nicht fr piettlos!
Piettlos ist nur eben die Zeit, die das Alte verlt und
das Neue heranbringt. Gewi, sie bringt das Kleinere
nach dem Groen. Aber es ist das ihr und ihren
Kindern Geme, das Lebendige und Gegenwrtige, das
uns angeht und mit einer Unmittelbark eit, deren die
Piett denn doch ermangelt, zu den Herzen, den
Nerven derer spricht, denen es zugehrt und die dazu
gehren, die es gleichsam mit hervorgebracht haben.
Charlotte schwieg zurck haltend.
Ihre Familie, mein Frulein, sagte sie abbrechend
und mit etwas k nstlicher Freundlichk eit, stammt,
wie ich hrte, aus Danzig?
Ganz recht, Frau Hofrtin. Die mtterliche
durchaus, die vterliche bedingt. Meines seligen Vaters
Grovater lie sich als Grok aufmann in der Republik
Danzig nieder, aber die Schopenhauers sind
hollndischer Herk unft, und wenn es nach Papas
Neigungen gegangen wre, so wren sie noch lieber
von englischer gewesen, denn er war ein groer

Freund und Bewunderer alles Englischen, ein


vollendeter Gentleman selbst, und sein Landhaus in
Oliva war vllig im englischen Geschmack gebaut und
eingerichtet.
Unserem Hause, den Buffs nmlich, bemerk te
Charlotte, schreibt man englischen Ursprung zu.
Belege dafr habe ich nicht auffinden k nnen,
obgleich ich aus nahe liegenden Grnden mich viel mit
der Geschichte unsrer Familie beschftigt, recht emsig
genealogische Studien betrieben und manche
einschlgigen Urk unden gesammelt habe zumal seit
dem Tode meines teuren Hans Christian, wo ich denn
zu solchen Nachforschungen mehr Zeit hatte.
Adeles Gesicht blieb einen Augenblick leer, weil sie
sich auf die nahe liegenden Grnde fr dieses
Studium nicht gleich verstand. Dann begriff sie eifrig
und rief aus:
{146}O wie verdienstvoll, wie dank enswert sind diese
Ihre Bemhungen! Wie glck lich arbeiten Sie damit
einer Nachwelt vor, die ganz genau ber Ursprung und
Geburtsgrund, ber die familire Vorgeschichte einer
Frau von Ihrer Erwhlung, Ihrer Bedeutung fr die
Geschichte des menschlichen Herzens wird unterrichtet
sein wollen!
Eben das, sagte Charlotte mit Wrde, ist auch
meine Annahme, vielmehr, es ist meine Erfahrung,
denn ich sehe, da die Wissenschaft sich schon heute

zur Erforschung meiner Herk unft gedrngt fhlt, und


ich halte es fr meine Pflicht, ihr dabei nach Krften
zur Hand zu gehen. Tatschlich ist es mir gelungen,
unsere Familie in ihren Verzweigungen noch ber die
Zeit des Dreiigjhrigen Krieges zurck zuverfolgen. So
lebte ein Posthalter Simon Heinrich Buff von 1580 bis
1650 zu Butzbach in der Wetterau. Sein Sohn war ein
Bck er. Aber schon von dessen Shnen Einer, Heinrich,
wurde Kaplan und im Laufe der Zeit pastor primarius
zu Mnzenberg, und seitdem haben die Buffs ganz
vorwiegend als geistliche Herren und consistoriales in
lndlichen Pfarrhusern gesessen, zu Crainfeld,
Steinbach, Windhausen, Reichelsheim, Gladenbach und
Niederwllstadt.
Das ist wichtig, das ist k ostbar, das ist hoch
interessant, sagte Adele in einem Zuge.
Ich vermutete, erwiderte Charlotte, da es Sie
interessieren werde, trotz Ihrer Schwche fr k leinere
nouveauts des literarischen Lebens. Nebenbei brigens
ist es mir gelungen, einen mich selbst betreffenden
Irrtum richtig zu stellen, der sich unverbessert
fortzuerben drohte: Als mein Geburtstag wurde immer
der eilfte Januar begangen, auch Goethe hielt daran
fest und tut es wahrscheinlich noch. In Wirk lichk eit
aber bin ich am 13. geboren und am nchstfolgenden
Tage getauft, die Zuverlssigk eit des Wetzlarer

Kirchenbuches leidet k einen Zweifel.


{147}Man mu alles tun, sagte Adele, und ich
fr mein Teil bin entschlossen, mein Bestes daran zu
setzen , um die Wahrheit ber diesen Punk t zu
verbreiten. Vor allem wre der Geheimerat selbst
aufzuk lren, wozu ja Ihr Besuch bei uns, teuerste
Hofrtin, die trefflichste Gelegenheit bieten wird. Aber
jene lieben Werk e Ihrer Mdchenhand, die
Stick ereien, die Sie in unsterblichen Tagen unter
seinen Augen anfertigten, der unfertige Liebestempel
und das andere was ist, ums Himmels willen, aus
diesen Reliquien geworden? Wir sind zu meinem
Leidwesen davon abgek ommen
Sie sind vorhanden, antwortete Charlotte, und
ich habe Sorge getragen, da diese an sich sehr
unbedeutenden Gegenstnde k onserviert und in guter
Obhut gehalten werden. Ich habe meinen Bruder Georg
dazu verpflichtet, der schon in den letzten Lebzeiten
unseres seligen Vaters die Amtmannsstelle verwaltete
und im Deutschordenshause sein Nachfolger geworden
ist. Ihm habe ich diese Souvenirs ans Herz gelegt: den
Tempel, einen und den anderen Spruch im
Girlandenk ranz, ein paar gestick te Tschchen, das
Zeichenbuch und anderes mehr. Es ist ja nun einmal
damit zu rechnen, da ihnen in Zuk unft ein musealer
Wert zuk ommen wird, wie dem Hause und Hof
berhaupt, der Wohnstube unten, wo wir soviel mit ihm

zusammensaen, und ebenso dem Eck zimmer oben,


nach der Strae zu, das wir die Gute Stub nannten,
mit den Gtterfiguren in der Tapete und der alten
Wanduhr, deren Zifferblatt eine Landschaft zeigte, und
auf deren Tick -Tack und Schlagen er so oft mit uns
lauschte. Diese Gute Stub eignet sich meiner Meinung
nach sogar besser noch, als die Wohnstube, zum
Museum, und wenn es nach mir geht, so vereinigt man
dort jene Andenk en unter Glas und Rahmen.
Die Nachwelt, verhie Adele, die ganze Nachwelt,
und nicht nur die vaterlndische, sondern auch das
pilgernde Ausland, wird Ihnen Ihre Frsorge dank en.
{148}Ich hoffe es, sagte Charlotte.
Das Gesprch stock te. Die Civilisation der Besucherin
schien zu versagen. Adele blick te zu Boden, wo sie die
Spitze ihres Sonnenschirms hin und her fhrte.
Charlotte erwartete ihren Aufbruch, ohne ihn so
lebhaft zu wnschen, wie die Lage es htte erwarten
lassen. Sie war sogar eher zufrieden, als das junge
Mdchen so flssig wie je wieder zu sprechen begann:
Teuerste Hofrtin oder darf ich wohl schon sagen:
Ehrwrdige Freundin? Meine Seele ist voller
Selbstvorwrfe, und wenn der bedrck endste derjenige
ist, das Geschenk Ihrer Zeit allzu sk rupellos
entgegenzunehmen, so k ommt ihm der andere an
Schwere fast gleich, da ich dies Geschenk auch noch

schlecht benutze Ich vertue strflich eine groe


Gelegenheit und mu an das Motiv des Volk smrchens
denk en wir jungen Leute haben jetzt viel Sinn fr die
Poesie des Volk smrchens , da jemand durch
Zaubergunst drei Wnsche frei hat und sich dreimal
ganz Nebenschliches und Gleichgltiges wnscht,
ohne des Besten, des Wichtigsten zu gedenk en. So
schwtze ich in scheinbarer Sorglosigk eit vor Ihnen
von diesem und jenem und versume darber das
Eigentliche, das mir am Herzen liegt und mich lassen
Sie mich das endlich gestehen! zu Ihnen getrieben
hat, weil ich seinetwegen auf Ihren Rat, Ihre Hilfe
hoffe und baue. Sie mssen erstaunt, Sie mssen
ungehalten sein, da ich Sie mit Kindereien wie
unserem Musenk rnzchen zu unterhalten wage. Und
doch wre ich garnicht darauf gek ommen, wenn nicht
eben mit ihm die Sorge und Angst zusammenhinge, die
ich so namenlos gern vertraulich vor Ihnen
ausschttete.
Was ist das fr eine Sorge, mein Kind, und auf wen
oder was bezieht sie sich?
Auf eine teure Menschenseele, Frau Hofrtin, eine
geliebte Freundin, meine einzige, mein Herzblatt, das
holdeste, edelste, des Glck es wrdigste Geschpf,
dessen Verstrick ung in ein {149}falsches, ein ganz und
gar unnotwendiges und dennoch scheinbar
unabwendbares Schick sal mich noch zur Verzweiflung

bringen wird, mit einem Worte: um Tillemuse.


Tillemuse?
Verzeihung, ja, das ist der Vereinsname meines
Lieblings, ich lie es frher schon einflieen der
Musenname meiner Ottilie, Ottiliens von Pogwisch.
Ah. Und von welchem Schick sal sehen Sie Frulein
von Pogwisch bedroht?
Sie steht vor ihrer Verlobung.
Nun, erlauben Sie Und mit wem denn also?
Mit Herrn Kammer-Rat von Goethe.
Was Sie nicht sagen! Mit Augusten?
Ja, mit dem Sohn des Groen und der Mamsell.
Das Ableben der Geheimen Rtin ermglicht eine
Verbindung, die zu ihren Lebzeiten an dem Widerstand
von Ottiliens Familie, dem Widerstand der Gesellschaft
berhaupt gescheitert wre.
Und worin sehen Sie das Apprehensive dieser
Verbindung?
Lassen Sie mich Ihnen berichten! bat Adele.
Lassen Sie mich erzhlend mein bedrngtes Herz
soulagieren und bei Ihnen bitten fr ein liebes,
gefhrdetes Geschpf, das mir solcher Frbitte wegen
wohl gar recht bse wre, obgleich es sie so sehr
bentigt als verdient!
Und in fterem raschem Aufblick zur Deck e ihr
Schielen verbergend begann Demoiselle Schopenhauer,

whrend zuweilen etwas Feuchtigk eit in die Wink el


ihres breiten, gescheiten Mundes trat, ihre
Erffnungen wie folgt.

{150}Fnftes

Kapitel

Adele's Erzhlung

Von vterlicher Seite entstammt meine Ottilie einer


holsteinisch-preuischen Offiziersfamilie. Die Heirat
ihrer Mutter, einer Henck el von Donnersmarck , mit
Herrn von Pogwisch war ein Bund der Herzen, an
welchem leider die Vernunft zu wenig Anteil gehabt
hatte. Wenigstens war das die Meinung von Ottiliens
Gromutter, der Grfin Henck el, einer Edelfrau des
Schlages, wie das verflossene Jahrhundert ihn wohl
hervorbrachte: von nchtern-resolutem Verstande, der
k ein Federlesens machte, geistreich auf eine k austischderbe, allen Flausen abholde Art. Sie war der so
schnen wie unbesonnenen Folge, die ihre Tochter dem
Gefhle gegeben, immer entgegen gewesen. Herr von
Pogwisch war arm, die Henck els dieses Zweiges waren
es auch, was denn der Grund gewesen sein mochte,
da die Grfin zwei Jahre vor der Schlacht von Jena in
Weimarische Dienste getreten und Oberhofmeisterin
bei unserer jungvermhlten Frstin aus dem Osten, der
Erbprinzessin geworden war. Einen hnlichen Posten

erstrebte sie fr ihre Tochter und durfte ihn ihr in


Aussicht stellen, indem sie zugleich mit aller Macht die
Auflsung einer Ehe betrieb, deren Glck in immer
wachsenden materiellen Kalamitten zu erstick en
drohte. Die geringe Besoldung des preuischen Offiziers
von damals machte eine standesgeme Lebensfhrung
unmglich, der Versuch, sie auch nur leidlich aufrecht
zu erhalten, fhrte zu immer schwereren
pek uniarischen Unstatten, und k urz, die
Zermrbung der Ehegatten lie die Wnsche der
Mutter triumphieren: die Trennung, das
Auseinandergehen nach gtlicher bereink unft, wenn
auch vorderhand ohne gerichtliche Scheidung, wurde
beschlossen.
In das Herz des Gatten, des Vaters, der zwei liebliche
k leine {151}Mdchen, Ottilie und ihr jngeres
Schwesterchen Ulrik e, bei der Gefhrtin seiner Nte
zurck lie, hat niemand geblick t. Die Furcht, aus dem
geliebten und angestammten, ihm einzig mglichen
Soldatenberuf geworfen zu werden, mag ihm den
traurigen Entschlu abgerungen haben. Die Seele der
Frau blutete, und es ist wahrscheinlich nicht zuviel
gesagt, da sie seit jener Kapitulation vor der
Notwendigk eit und dem Drngen einer mit dieser im
Bunde stehenden Mutter k eine glck liche Stunde mehr
gehabt hat. Die Mdchen angehend, so blieb das Bild
des Vaters, der ein schner, ritterlicher Mann gewesen

war, unauslschlich in ihre Gemter eingezeichnet,


besonders in das tiefere und romantischere der
Aelteren: Ottiliens ganzes Empfindungsleben und
inneres Verhalten zu den Ereignissen und
Gesinnungsfragen der Zeit blieb, wie Sie sehen werden,
auf immer von der Erinnerung an den
Entschwundenen bestimmt.
Frau von Pogwisch verbrachte nach der Trennung
einige Jahre mit ihren Tchtern in stiller
Zurck gezogenheit zu Dessau und erlebte dort die Tage
der Schmach und Schande, das Dsastre der Armee
Friedrichs des Groen, den Untergang des Vaterlandes,
die Eingliederung der sd- und westdeutschen Staaten
in das Machtsystem des furchtbaren Corsen. Anno 1809
siedelte sie, da die alte Grfin ihr Versprechen der
Beschaffung eines Hofamtes hatte wahr machen
k nnen, in der Eigenschaft einer Palastdame
Serenissimae, der Herzogin Luise zu uns nach Weimar
ber.
Ottilie zhlte damals dreizehn Jahre, ein Kind von
der lieblichsten Begabung und Ursprnglichk eit. Ihre
Entfaltung vollzog sich in einiger Unruhe und
Unregelmigk eit, denn Frstendienst ist der
huslichen Ordnung nicht eben zutrglich, und bei der
hfischen Gebundenheit der Mutter waren die
Mdchen viel sich selbst berlassen. Ottilie logierte

anfangs im Obergescho des Schlosses, dann bei ihrer


Gromutter. Sie verbrachte ihre Tage abwechselnd bei
der Mutter, bei der alten {152}Grfin, bei allerlei
Unterricht und bei Freundinnen, zu denen ich, die ein
wenig Aeltere, bald gehrte. Denn des Oefteren nahm
sie ihre Mahlzeiten bei der Oberk ammerherrin von
Egloffstein, mit deren Tchtern ich auf dem
herzlichsten Fue verk ehrte, und dort fanden wir uns
zu einem Bunde der Seelen, dessen Alter uns nicht
nach seinen Jahren berechnet werden zu drfen
scheint; denn es waren Jahre bedeutsamen
Lebensfortschritts, und whrend seiner Dauer sind wir
aus unflggen Nesthk chen zu erfahrenen
Menschenk indern geworden. In gewisser Beziehung
brigens die Zrtlichk eit macht mir das
Anerk enntnis leicht war Ottilie, dank der
entschiedenen Eigenart ihres Charak ters, der
frhzeitigen Ausgeprgtheit ihrer Gesinnungen, bei
diesem Bunde der fhrende, geistig bestimmende Teil.
Dies gilt besonders von den politischen Dingen,
welche heute, da unsere Welt nach schwersten
Prfungen und Erschtterungen, worein das Schick sal
jenes geniale Ungeheuer sie zu strzen ermchtigte, zu
leidlicher Ruhe zurck gek ehrt ist und im Schutze
heiliger Ordnungsmchte liegt, wohl in dem
ffentlichen und individuellen Bewutsein mehr
zurck treten und dem Rein-Menschlichen greren

Raum lassen, damals aber mit fast ausschlielicher


Gewalt den seelischen Schauplatz beherrschten. Ottilie
war ihnen leidenschaftlich ergeben und zwar in einem
Sinn und Geist, der sie von ihrer gesamten Umgebung
im Innersten absonderte, ohne da sie von dieser ihrer
geheimen Oppositionsstellung etwas htte laut werden
lassen drfen es sei denn gegen mich, ihre Vertraute,
die sie ebenfalls mit ihren Empfindungen, ihrer
Denk ungsart zu erfllen wute, und die sie ganz in die
Welt ihres Glaubens, ihrer Hoffnungen hineinzog, um
mit ihr gemeinsam den schwrmerischen Reiz des
Geheimnisses zu genieen.
Welches Geheimnisses? Inmitten des
Rheinbundstaates, dessen Herzog von dem siegreichen
Dmon Verzeihung emp{153}fangen und als sein
getreuer Vasall das Land regierte; wo alles in lange
nicht zu erschtternder Glubigk eit dem Genius des
Eroberers anhing und seiner Sendung als
Weltenordner und Organisator des Kontinents, wenn
nicht mit Enthusiasmus, so doch in Ergebung
vertraute, war meine Ottilie eine begeisterte Preuin.
Unbeirrt durch die schmhliche Niederlage der
preuischen Waffen, war sie durchdrungen von der
Superioritt des Menschenschlages im Norden ber den
schsisch-thringischen, unter dem zu leben sie, wie
sie sich ausdrck te, verurteilt war und dem sie eine

notgedrungen verschwiegene, nur mir vertraute


Geringschtzung widmete. Die heroisch gestimmte Seele
dieses lieben Kindes war von einem Ideal beherrscht: es
war der preuische Offizier. Unntz zu sagen, da
dieses Kultbild mehr oder weniger deutlich die von der
Erinnerung verk lrten Zge des verlorenen Vaters
trug. Und doch wirk ten hier allgemeinere
sympathetische Empfindlichk eiten und
Empfnglichk eiten ihres Gebltes mit, die sie hellhrig
machten fr entfernte Vorgnge, von denen wir
anderen noch unberhrt waren, sie in wissenden
Kontak t damit setzten und sie auf eine Weise teil daran
zu nehmen befhigten, die mich prophetisch anmutete
und sich bald in der Tat als prophetisch erwies.
Sie erraten unschwer, welche Vorgnge ich meine. Es
war die sittliche Besinnung und Wiederaufrichtung, die
im Lande ihrer Herk unft dem Zusammenbruch folgten;
die entschlossene Verachtung, Verpnung und
Ausmerzung all der zwar reizenden und verfeinernden,
aber auch entnervenden Tendenzen, die zu jenem
beigetragen, zu ihr hingefhrt haben mochten; die
heroische Reinigung des Volk sk rpers von allem Flitter
und Tand der Gesinnung und der Sitten und seine
Sthlung fr den einstigen Tag des Ruhmes, der den
Sturz der Fremdherrschaft, den Aufgang der Freiheit
bringen wrde. Es war die ernste Bejahung des
ohnehin Verhngten: der Armut; und {154}wenn man

denn aus der Not ein Gelbde machte, so galt dasselbe


auch gleich den beiden anderen mnchischen
Tugenden und Forderungen: der Keuschheit und dem
Gehorsam; es galt der Entsagung, der Bereitschaft zum
Opfer, der zuchtvollen Gemeinschaft, dem Leben frs
Vaterland.
Von diesem in der Stille sich abspielenden
moralischen Prozesse also, dem Feinde und
Unterdrck er ebenso unzugnglich wie die damit
gleichlaufende geheime militrische Wiederherstellung,
drang wenig Kunde in unsere der siegreichen Gesittung
ohne viel Kummer, ja mit berzeugung wenn auch
mit einigem Seufzen ber die von dem Zwingherrn
auferlegten Anforderungen und Lasten
angeschlossene Kleinwelt. In unserem Kreise, unserer
Gesellschaft war es Ottilie allein, die in
verschwiegener, enthusiastisch-empfindsamer Fhlung
damit stand. Allein nahe und ferner gab es doch auch
dieses und jenes gelehrte und mit einem Lehramt
betraute Haupt, das, der jungen Generation angehrig,
sich als Trger dieser Erneuerungsbewegung zu
erk ennen gab, und mit dem meine Herzensfreundin
denn auch alsbald in einen eifrigen Austausch der
Gedank en und Gefhle trat.
Da war in Jena der Geschichtsprofessor Heinrich
Luden, ein trefflicher Mann von der edelsten

vaterlndischen Gesinnung. Ihm war durch jenen Tag


der Schmach und der Zerstrung all seine Habe und
wissenschaftlich Gert vernichtet worden, soda er
seine junge Frau in eine vollstndig verdete, k alte
und vom grlichsten Schmutze erfllte Wohnung
hatte wieder einfhren mssen. Er lie sich aber
dadurch nicht niederbeugen wie er denn laut
verk ndete, da er, wre die Schlacht nur gewonnen
worden, jeden Verlust mit Freuden ertragen und auch
als nack ter Bettler den fliehenden Feinden wrde
nachgejubelt haben , sondern blieb aufrecht im
Glauben an die Sache des Vaterlandes, den er denn
auch seinen Studenten aufs feurigste mitzuteilen
wute. Da war ferner hier in Weimar der
{155}Gymnasialprofessor Passow, ein Meck lenburger von
breiter und k rftiger Sprechweise, erst
einundzwanzigjhrig, grundgelehrt und dabei von
hohem Gedank enschwunge getragen, begeistert fr
Vaterland und Freiheit. Er lehrte das Griechische
(auch meinen Bruder Arthur, der damals bei ihm
wohnte, fhrte er privatim darin ein), Aesthetik und
Philosophie der Sprache; die neue und eigentmliche
Idee seines Unterrichts aber bestand darin, eine
Brck e zu schlagen zwischen Wissenschaft und Leben,
vom Kult des Altertums zu einer deutschvaterlndischen und brgerlich-freiheitlichen
Gesinnung, mit anderen Worten: in der lebendigen

Deutung und Nutzanwendung hellenischen Wesens auf


unsere politische Gegenwart.
Mit solchen Mnnern also hielt Ottilie unter der
Hand eine verstohlene, fast mchte ich sagen:
k onspiratorische Gemeinschaft. Zugleich aber fhrte
sie das Leben eines eleganten Mitgliedes unserer
franzosenfreundlichen, dem Imperator ergebenen OberGesellschaft, und ich habe mich nie des Eindruck s
erwehren k nnen, da sie diese Doppel-Existenz, an
der ich als ihre Freundin und Vertraute teilhatte, mit
einem gewissen Sybaritismus geno, ihr einen
romantischen Reiz abzugewinnen wute. Es war der
Reiz des Widerspruchs, und er spielte meiner Meinung
nach eine wichtige, eine bek lagenswerte Rolle bei dem
Gefhlsabenteuer, worein ich mein Herzblatt nun
schon seit vier Jahren verstrick t sehen mu und aus
dessen Schlingen sie zu erretten ich mein Alles gbe.
Zu Anfang vom Jahre des russischen Feldzuges war es
denn, da August von Goethe sich um Ottiliens Liebe zu
bewerben begann. Vor Jahresfrist war er von
Heidelberg zurck gek ehrt und fast sogleich in den Hofund Staatsdienst getreten: Er war Hofjunk er, war
wirk licher Assessor beim herzoglichen KammerKollegium. Aber die Wirk lichk eit der mit diesen
Aemtern verbundenen Pflichten war nach Serenissimi
Willen rck sichtsvoll eingeschrnk t, sie hatten sich in

Eink lang zu halten {156}mit Augusts Gehilfenschaft bei


seinem groen Vater, den er von allerlei Tagesplage
und wirtschaftlichen Quisquilien zu entlasten, bei
gesellschaftlichen Formalitten und selbst bei
Aufsichtsreisen nach Jena zu vertreten hatte, und dem
er als Kustos seiner Sammlungen, als Sek retr zur
Hand ging, zumal da Dr. Riemer zu jener Zeit das Haus
verlie, um mit der Gesellschafterin der
Geheimenrtin, Demoiselle Ulrich, die Ehe einzugehen.
Der junge August unterzog sich diesen
Obliegenheiten mit Genauigk eit, ja soweit sie
hausvterlicher Art waren mit einer rechnerischen
Pedanterie, die der Trock enheit ich sage fr den
Augenblick nur: Trock enheit und mchte doch fast
ergnzen: der geflissentlichen und betonten
Trock enheit seines Charak ters entsprach. Offen
gestanden verspre ich k eine Eile, auf das Geheimnis
dieses Charak ters einzugehen, ich verschiebe es aus
einer gewissen Scheu, die sich aus Mitleid und
Abneigung eigentmlich genug zusammensetzt; und
weder war noch bin ich die Einzige, der der junge
Mann diese Empfindungen einflte: Riemer zum
Beispiel er hat es mir selbst bek annt hegte schon
damals einen wahren Schreck en vor ihm, und sein
Entschlu zur Grndung eines eigenen Hausstandes
wurde sehr beschleunigt durch die Rck k ehr seines
ehemaligen Schlers ins Elternhaus.

Ottilie hatte zu jener Zeit begonnen, an Hof zu


gehen, und es mag wohl sein, da August erstlich dort
ihre Bek anntschaft machte. Doch auch am
Frauenplan, bei den sonntglichen Hausk onzerten, die
der Geheimerat einige Jahre lang unterhielt, und bei
den Proben dazu k ann das geschehen sein. Denn zu
den Reizungen und natrlichen Verdiensten meiner
Freundin gehrt eine lieblich k lare Singstimme, die ich
das k rperliche Ausdruck smittel und Instrument ihrer
musik alischen Seele nennen mchte, und ihr verdank te
sie die Berufung in das k leine Sngerchor, das einmal
die Woche im Goethe'schen {157}Hause seine bungen
abhielt und sich an den Sonntagmittagen unter Tafel
und nachher vor den Gsten produzierte.
In diesen Vorzug eingeschlossen war derjenige der
persnlichen Berhrung mit dem groen Dichter, der,
man k ann sagen: von Anbeginn ein Auge auf sie hatte,
gern mit ihr plauderte und scherzte und sein
vterliches Wohlwollen fr das Persnchen, wie er sie
nannte, auf k eine Weise verhehlte Ich glaube, ich
habe Ihnen von dem Zauber ihrer Erscheinung noch
gar k ein Bild zu geben versucht wie sollte ich auch,
das malt sich mit Worten nicht, und doch fllt die
Besonderheit dieses Mdchenreizes hier gar sehr ins
Gewicht, sie ist von entschiedener Bedeutung. Ein
blaues, sprechendes Auge, das reichste Blondhaar, eine

eher k leine, nichts weniger als junonische, sondern


zierlich leichte und liebliche Gestalt k urzum, es ist
der Typus, der von jeher das Glck hatte, einem
persnlichen Geschmack e zu schmeicheln, vor dem zu
bestehen zu den hchsten Ehren im Reich des Gefhls
und der Dichtung fhren k ann. Ich sage nichts weiter.
Ich erinnere hchstens noch daran, da es mit einer
allerliebst mondainen Abwandlung dieses Typus
bek anntlich einmal zu einer berhmten Verlobung
k am, die k eine Folgen hatte, aber das Aergernis aller
Hter gesellschaftlicher Distanzen gebildet haben soll.
Wenn nun der Sohn des flchtigen Brutigams von
damals sich um die liebliche Ottilie zu bemhen
begann, der uneheliche Spro eines sehr jungen
Adels um eine von Pogwisch-Henck el-Donnersmarck ,
so lag unleugbar fr die aristok ratische
Beschrnk theit ein hnliches Aergernis vor wie einst
in Frank furt; nur, da es nicht laut werden durfte von
wegen der vllig auerordentlichen Lagerung des
Falles, der ganz besonderen Ansprche, die dieser
majesttische Neu-Adel nun einmal stellen durfte und
die er denn auch fr den Sohn mit Bewutsein und
Genugtuung geltend zu machen gesonnen sein mochte.
Ich spreche hier nur meine persnliche Meinung
{158}aus, aber sie beruht auf schmerzlich genauer
Beobachtung des Hergangs und drfte nicht trgen. Sie
geht dahin, da der Vater der Erste war, der sich fr

Ottilien interessierte, und da erst die Gunst, die er


ihr erwies, die Aufmerk samk eit des Sohnes auf sie
lenk te, eine Aufmerk samk eit, die rasch zur
Leidenschaft wurde, und mit der er denn also
denselben Geschmack bek undete wie sein Vater, er
tat das ja auch sonst in so manchen Stck en,
wenigstens scheinbar; denn in Wahrheit handelte es
sich um Abhngigk eit und bernahme, und unter uns
gesagt hat er selbst berhaupt k einen Geschmack , was
er in seinem Verhltnis zum Weiblichen sogar am
allerk lrsten bewiesen hat. Doch davon spter und
immer noch frh genug! Viel eher mchte ich von
Ottilien sprechen.
Den Zustand zu bezeichnen, worin das liebe Geschpf
zur Zeit ihrer ersten Begegnung mit Herrn von Goethe
lebte, mchte das Wort Erwartung das treffendste
sein. Sie hatte Hofmacher gehabt schon in zartem Alter
und manche Huldigung empfangen, der sie sich
spielerisch halb und halb entgegengeneigt hatte.
Wahrhaft geliebt hatte sie noch nicht, und sie
erwartete ihre erste Liebe; ihr Herz war gleichsam
geschmck t zum Empfange des allbezwingenden Gottes,
und in den Gefhlen, die dieser so ganz besondere,
unregelmig hochgeborene Bewerber ihr einflte,
glaubte sie seine Macht zu erk ennen. Ihre Verehrung
fr den groen Dichter war selbstverstndlich die

tiefste; die Gunst, die er ihr erwies, schmeichelte ihr


unendlich, was Wunder, da die Werbung des Sohnes,
die mit der offenk undigen Billigung des Vaters und
sozusagen in seinem Namen geschah, sie
unwiderstehlich dnk te? Es war ja, alsob, durch die
Jugend des Sohnes, verjngt in ihm, der Vater selbst
um sie wrbe. Der junge Goethe liebte sie, sie
zgerte k aum, den Erweck er, den Mann ihres
Schick sals in ihm zu sehen, sie zweifelte nicht, ihn
wiederzulieben.
Mir scheint: sie war davon desto berzeugter, je
unwahr {159}scheinlicher sie sich selbst von ihrer
Neigung, von der Gestalt angemutet fhlte, in der das
Schick sal ihr erschien. Was sie von der Liebe wute,
war, da sie eine launische, eine unberechenbare
Macht war, eine souverne vor allem, die gern der
Vernunft ein Schnippchen schlug und unabhngig von
Urteilen des Verstandes ihr Recht behauptete. Sie hatte
sich den Jngling ihrer Wahl ganz anders vorgestellt:
wohl mehr nach ihrem eigenen Bilde geschaffen,
heiterer, leichter, froher, von hellerem Wesen, als
August es war. Da er so wenig dem vorgefaten Bilde
entsprach, erschien ihr als ein romantischer Beweis
der Echtheit ihrer Neigung. August war k ein sehr
erfreuliches Kind, k ein ungemein vielversprechender
Knabe gewesen. Man hatte ihm k ein langes Leben
gegeben, und was seine Geistesanlagen betraf, so hatte

unter Freunden des Hauses der Eindruck


vorgeherrscht, man drfe sich nicht garviel davon
versprechen. Er hatte sich dann aus der halben
Krnk lichk eit seiner Frhzeit zu einem recht breiten
und stattlichen Jngling befestigt, ein wenig schwer
und dster von Ansehen, ein wenig lichtlos, mchte ich
sagen und habe dabei vorzglich seine Augen im Sinn,
die schn waren oder eigentlich: es htten sein
k nnen, wenn ihnen mehr Ausdruck , mehr Blick auch
nur zu eigen gewesen wre. Ich spreche von seiner
Person in der Vergangenheit, um sie besser von mir
abzurck en, sie gleichsam ungestrter beurteilen zu
k nnen. Aber alles, was ich von ihm sage, gilt von dem
siebenundzwanzigjhrigen jungen Manne in noch
hherem Ma als von dem Jngling, der er zur Zeit
seiner ersten Bek anntschaft mit Ottilien war. Ein
angenehmer, ein belebender Gesellschafter war er
nicht. Sein Geist schien gehemmt durch Unlust, durch
den Widerwillen davon Gebrauch zu machen, durch
eine Melancholie, die man richtiger Hoffnungslosigk eit
genannt htte und die eine gewisse Oedigk eit um ihn
ausbreitete. Da dieser Mangel an Frohmut, dieser
stumpfe Verzicht, seinem Sohnesverhltnis, der Furcht
vor {160}dem immer drohend naheliegenden und
entmutigenden Vergleich mit dem Vater entsprang, lag
auf der Hand.

Der Sohn eines Groen ein hohes Glck , eine


schtzbare Annehmlichk eit und eine drck ende Last,
eine dauernde Entwrdigung der eigenen Selbstheit
doch auch wieder. Dem Knaben schon hatte der Vater
ein Album geschenk t und eingeweiht, das sich im Lauf
der Jahre, in Weimar hier und an den Pltzen, wohin
er in Gesellschaft des Sohnes reiste: in Halle und Jena,
in Helmstdt, Pyrmont und Karlsbad, mit den
Eintragungen aller Berhmtheiten Deutschlands und
selbst des Auslandes fllte. Kaum eine war darunter, die
nicht auf die Eigenschaft des jungen Menschen
gedrungen htte, die seine unpersnlichste war, aber
die fixe Idee aller bildete: seine Sohnschaft. Es mochte
erhebend sein obwohl auch zugleich recht
einschchternd fr ein junges Gemt , wenn Professor
Fichte, der Philosoph, hineinschrieb: Die Nation hat
groe Anforderungen an Sie, einziger Sohn des
Einzigen in unsrem Zeitalter. Aber wie soll man sich
die Wirk ung vorstellen, welche auf dieses Gemt die
bndige Sentenz bte, mit der ein franzsischer
employ das Stammbuch versah: Selten zhlen die
Shne eines groen Mannes in der Nachwelt? Sollte er
es als Aufforderung nehmen, eine Ausnahme zu
machen? Auch das war bedrck end. Es lag aber nher,
es im Sinn der Inschrift zu verstehen, die Dante ber
den Eingang zur Hlle setzt.
Den ttlichen Vergleich denn berhaupt nicht erst

aufk ommen zu lassen, schien August mit unwirscher


Entschiedenheit gesonnen. Ganz besonders lehnte er
jede poetische Ambition, jede Beziehung zur Welt des
schnen Geistes fast mit Erbitterung, ja grober Weise
von sich ab und wollte ersichtlich fr nichts anderes
gelten, als fr einen prak tischen Alltagsmenschen,
einen nchternen Geschfts- und Weltmann
durchschnittlichen Verstandes. Sie werden sagen, da
in diesem entschlossenen und abweisenden Verzicht auf
das Hhere, das er {161}nicht anstreben durfte, das er,
wenn es k eimweise in ihm vorhanden war, verleugnen
und unterdrck en mute, um nicht auf allen Seiten
den fatalen Vergleich herauszufordern, ein
gewinnender, ein achtenswerter Stolz erk ennbar sei.
Aber die Ungewiheit seiner selbst, seine
Unzufriedenheit und Unlaune, sein Mitrauen, seine
Reizbark eit waren nicht danach angetan, zu gewinnen
und erlaubten schwerlich, ihn stolz zu nennen. Man
mu wohl sagen: Er war es nicht mehr, er k rank te an
gebrochenem Stolze. Zu seinem gegenwrtigen
Lebensstande war er mit Hilfe all der Erleichterungen
gediehen, die seine Herk unft ihm gewhrte man
sagte vielleicht richtiger: ihm aufdrngte. Er hatte sie
sich gefallen lassen, ohne sie eigentlich zu billigen und
ohne verhindern zu k nnen, da sie an seinem
Selbstbewutsein, seiner Mnnlichk eit zehrten. Sein

Bildungsgang war recht frei, recht lock er und


nachsichtsvoll gewesen. Die Aemter, die er bek leidete,
waren ihm zugefallen, ohne da er sich ber seine
Kenntnisse, seine Fhigk eiten erst viel auszuweisen
gehabt htte; er war sich bewut, sie nicht eigener
Tchtigk eit, sondern der Gnstlingsschaft zu
verdank en. Ein anderer htte an solchem Getragensein
seine selbstgefllige Freude gehabt; was ihn anging, so
war er geschaffen, darunter zu leiden. Das war
ehrenhaft; nur da er freilich jene Avantagen ja
k eineswegs von sich gewiesen hatte.
Vergessen wir auch das andere nicht! Vergessen wir
nicht, da August nicht nur der Sohn seines Vaters,
sondern auch der seiner Mutter war, der Sohn der
Mamsell, und da dies eine eigentmliche Zerrissenheit
in seine Stellung zur Welt wie in sein Selbstgefhl
bringen mute, einen Widerstreit von Auszeichnung
dieser und jener Art, von Noblesse und hybrider
Unordentlichk eit der Geburt. Daran nderte nichts,
da der Herzog schon den Elfjhrigen auf Ersuchen
seines Freundes, des Vaters, propter natales mit einem
Legitimationsdek ret begnadet hatte, womit der
Adelstitel verbunden war; auch nichts, {162}da sechs
Jahre spter die Trauung der Eltern vollzogen wurde.
Ein Kind der Liebe: das sa ebenso fest in den
Kpfen und wohl auch in dem seinen wie der Sohn
des Einzigen. Einmal hatte er eine Art von Sk andal

erregt, da er, reizend mit seinen dreizehn Jahren, bei


einer Redoute zu Ehren des Geburtstags der Herzogin,
als Amor mask iert, der hohen Frau Blumen und Verse
hatte bringen drfen. Es waren Proteste laut geworden:
Ein Kind der Liebe, hie es, htte nicht drfen als
Amor unter honetten Leuten erscheinen. War die Rge
zu ihm gedrungen? Ich wei es nicht. Aber hnliche
Widerstnde mgen ihm spter im Leben fters
aufgestoen sein. Seine Stellung war gedeck t durch
den Ruhm, die Autoritt seines Vaters, die Gnade des
Herzogs fr diesen; aber sie blieb zweideutig. Er hatte
Freunde oder was man so nennt vom Gymnasium,
vom Amte, vom Hofdienst her. Einen Freund hatte er
nicht. Er war zu mitrauisch dazu, zu verschlossen,
allzu durchdrungen von seiner Sonderstellung im
hohen und zweifelhaften Sinn. Sein Umgang war
immer gemischt gewesen: Derjenige, den seine Mutter
ihm nahebrachte, war ein wenig zigeunerhaft, viel
Schauspielervolk , viel zechfrohe Jugend, und
unglaublich frh neigte er selbst zu geistigem
Getrnk e. Unsere liebe Baronin von Stein hat mir
erzhlt, da der elfjhrige Junge in einem munteren
Klub von der Klasse seiner Mutter nicht weniger als
siebzehn Glser Champagner getrunk en und da sie
alle Mhe gehabt habe, ihn, wenn er sie besuchte, vom
Weine abzuhalten. Es sei, meinte sie so sonderbar sich

das von einem Kinde aussagt , der Drang gewesen,


seinen Kummer zu vertrink en, einen Kummer
bestimmten Anlasses allerdings, denn er hatte damals
den Choc erfahren, seinen Vater bei seinem Anblick
weinen zu sehen. Es war die schwere Krank heit des
Meisters vom Jahre 1800, der Krampfhusten, die
Blatterrose, die ihn an den Rand des Grabes brachten.
Mhsam genesend, weinte er viel vor Schwche;
besonders aber weinte er, sobald er des Kna {163}ben
ansichtig wurde, und dieser denn fand es wohlttig
danach, seine siebzehn Glser zu nehmen. Gar viel
htte brigens sein Vater wohl nicht dagegen zu
erinnern gehabt, denn sein Verhltnis zur Gottesgabe
des Weines war wohlig-heiter von je, und zeitig gnnte
er sie auch dem Sohn. Wir anderen freilich k nnen
nicht umhin, so manches Miliche in Augusts
Charak ter, das Auffahrende, Trbe und Wilde, Rohe
darin, seiner frhen und leider immer wachsenden
Neigung fr die Freuden des Bacchus zur Last zu
legen.
In diesem jungen Manne also, der ihr seine nicht
eben anmutigen, nicht eben unterhaltsamen
Huldigungen darbrachte, glaubte die liebliche Ottilie
den ihr Vorbestimmten, die Verk rperung ihres
Schick sals zu erk ennen. Sie glaubte ihn
wiederzulieben, so unwahrscheinlich das war, oder, wie
ich sagte, eben weil es so unwahrscheinlich war. Ihr

Edelmut, ihr poetischer Sinn fr das TragischBesorgniserregende seiner Existenz war ihr behilflich
in diesem Glauben. Sie trumte sich als die Erlserin
seines Dmons, als seinen guten Engel. Ich sprach von
dem romantischen Reiz, den sie ihrem Doppelleben als
Weimarer Gesellschaftsdame und heimliche preuische
Patriotin abzugewinnen wute. Die Liebe zu August
lie sie diesen Reiz in neuer, verdichteter Form
erfahren; der Widerspruch zwischen ihren
Gesinnungen und denen des Hauses, dessen Sohn es ihr
angetan, brachte die Paradoxie ihrer Leidenschaft auf
ihren Gipfel und lie sie ihr eben darum recht als
Leidenschaft erscheinen.
Ich mu nicht sagen, da unser Geistesheld, der
Stolz Deutschlands, der den Ruhm der Nation so
herrlich gemehrt, weder den Gram edler Herzen ber
den Fall des Vaterlandes, noch den Enthusiasmus, der
uns anderen allen fast die Seele sprengen wollte, als
die Stunde der Befreiung zum Schlagen ansetzte, je
irgend geteilt hat, da er sich gegen beides k alt
abweisend verhielt und uns sozusagen vor dem Feinde
im Sti {164}che lie. Das ist nicht anders. Man mu es
vergessen und verschmerzen, es von der Bewunderung
verzehren lassen, die man fr seinen Genius , von der
Liebe, die man hegt fr seine groe Person. Das
Unglck von Jena hatte auch ihm schwere

Mihelligk eiten gebracht, allerdings nicht erst


vonseiten der siegreichen Franzosen, sondern schon
vor der Schlacht, durch die lagernden Preuen, die in
sein Gartenhaus eindrangen und dort Tren und Mbel
zerschlugen, um ihre Feuer damit zu nhren. Aber
auch von dem, was nachher k am, hat er sein Teil zu
tragen gehabt. Man sagte, die Heimsuchung habe ihn
gut und gern zweitausend Thaler gek ostet, allein schon
zwlf Eimer Weins, und Marodeurs belstigten ihn gar
im Schlafzimmer. Geplndert jedoch war nicht bei ihm
worden, denn bald bek am er Sauvegarde vors Haus,
Marschlle logierten bei ihm, Ney, Augereau, Lannes,
und endlich k am gar Monsieur Dnon, ihm
wohlbek annt von Venedig, General-Inspek tor der
k aiserlichen Museen und Napolons Ratgeber in
Dingen der Kunst, das heit: bei der Aneignung von
Kunstwerk en in den besiegten Lndern
Diesen Mann zum Quartiergast zu haben, war dem
Meister sehr angenehm, wie er denn nachmals Wert
darauf zu legen schien, es so hinzustellen, als habe das
Ganze ihn wenig berhrt. Professor Luden, den es so
schwer getroffen, hat mir einmal erzhlt, wie er ihm
vier Wochen nach stattgehabtem Graus bei Knebel
begegnet sei, wo man denn von der groen Not
gesprochen und Herr von Knebel ein bers andere Mal
gerufen habe: Es ist greulich! es ist ungeheuer!
Goethe aber habe nur einige unverstndliche Worte

gemurmelt, und als Luden ihn darauf gefragt habe, wie


denn Se. Exzellenz hindurchgek ommen sei durch die
Tage der Schmach und des Unglck s, habe jener
geantwortet: Ich habe garnicht zu k lagen. Wie ein
Mann, der von einem festen Felsen hinab in das
tobende Meer schaut und den Schiffbrchigen zwar
k eine Hilfe {165}zu bringen vermag, aber auch von der
Brandung nicht erreicht werden k ann und das soll
nach irgend einem Alten sogar ein behagliches Gefhl
sein Hier habe er dem Namen des Alten
nachgedacht; aber Luden, der wohl Bescheid wute,
habe sich enthalten, ihm beizuspringen, whrend
Knebel, trotz seiner vorherigen Ausrufungen,
eingeschaltet habe: Nach Luk rez! Recht so, nach
Luk rez, habe Goethe gesagt und geendigt: - so habe
ich wohlbehalten dagestanden und den wilden Lrm an
mir vorbergehen lassen. Luden versicherte mir, eine
Eisesk lte sei ihm ber die Brust gelaufen bei diesen in
der Tat mit einer gewissen Behaglichk eit
ausgesprochenen Worten. Der Schauer aber habe ihn
nachher noch mehrmals berk ommen bei diesem
Gesprch; denn da er noch einiges Bebende ber des
Vaterlandes Schmach und Not und ber seinen heiligen
Glauben an die Wiedererhebung desselben geuert,
habe zwar Knebel fters Bravo! So recht! gerufen,
Goethe aber k ein Wort gesagt und k eine Miene

verzogen, soda der Major, nachdem er nur eben seine


Ausrufungen getan, das Gesprch auf etwas
Literarisches gelenk t, Luden jedoch sich bald beurlaubt
habe.
So berichtete mir dieser vortreffliche Mann. Wie aber
der Meister unserem Dr. Passow, dem Gymnasiallehrer,
den Kopf wusch ob seiner Ansichten, das hab' ich mit
eigenen Ohren gehrt, denn es geschah im Salon
meiner Mutter, und ich war als ganz junges Mdchen
zugegen. Passow nmlich, der sehr gut sprach, hatte
sich bewegten Wortes darber ergangen, wie seine
ganze Seele an dem Gedank en hnge, durch
Enthllung des hellenischen Altertums, durch
Entwick lung des griechischen Geistes wenigstens im
Gemte von Einzelnen das herzustellen, was den
Deutschen im Ganzen schmachvoll abhanden
gek ommen: Begeisterung fr Freiheit und Vaterland.
(Es ist dabei zu bemerk en, wie arg- und rck haltlos
immer wieder solche Mnner vor dem Gewaltigen ihr
Herz erffneten, weil sie sich garnicht denk en k onnten
und nicht im Entferntesten fr {166}mglich hielten,
da irgend jemand an Ideen, die ihnen so gesund und
wnschenswert schienen, etwas sollte auszusetzen
haben. Es dauerte lange, bis sie begriffen, da der
groe Mann dabei durchaus nicht mithalten wollte,
und da man vor ihm nicht davon sprechen durfte.)
Hren Sie mich an! sagte er jetzt. Von den Alten

bilde auch ich mir ein etwas zu verstehen, aber der


Freiheitssinn und die Vaterlandsliebe, die man aus
ihnen zu schpfen meint, laufen Gefahr und sind jeden
Augenblick im Begriffe zur Fratze zu werden. Ich
vergesse nie, mit welcher k alten Erbitterung er das
Wort Fratze aussprach, das berall der grimmigste
Schimpf ist, ber den er verfgt. Unsere brgerliche
Existenz, fuhr er fort, unterscheidet sich gar sehr von
der der Alten, unser Verhltnis zum Staat ist ein ganz
anderes. Der Deutsche, statt sich in sich selbst zu
beschrnk en, mu die Welt in sich aufnehmen, um auf
die Welt zu wirk en. Nicht feindliche Absonderung von
anderen Vlk ern darf unser Ziel sein, sondern
freundschaftlicher Verk ehr mit aller Welt, Ausbildung
der gesellschaftlichen Tugenden, auch auf Kosten
angeborener Gefhle, ja Rechte. Dies Letztere sprach
er mit gebietend erhobener Stimme, indem er mit dem
Zeigefinger auf das vor ihm stehende Tischchen tippte,
und fgte hinzu: Sich den Obern zu widersetzen,
einem Sieger strrig zu begegnen, darum weil uns
Griechisch und Lateinisch im Leibe steck t, er aber von
diesen Dingen wenig oder nichts versteht, ist k indisch
und abgeschmack t. Das ist Professorenstolz, der seinen
Mann ebenso lcherlich macht, als er ihm schadet.
Hier machte er eine Pause. Und gegen den jungen
Passow gewandt, der ganz entgeistert sa, schlo er in

wrmerem, aber bek lommenem Tone: Nichts ist


weniger mein Wunsch, Herr Dok tor, als Ihnen wehe zu
tun. Ich wei, Sie meinen es gut. Aber es gut und rein
zu meinen, gengt nicht; man mu auch die Folgen
abzusehen vermgen seines Betreibens. Vor dem Ihrigen
graut mir, weil es die noch edle, noch {167}unschuldige
Vorform ist von etwas Schreck lichem, das sich eines
Tages unter den Deutschen zu den grassesten
Narrheiten manifestieren wird, und wovor Sie selbst
sich, wenn etwas davon zu Ihnen drnge, in Ihrem
Grabe umk ehren wrden.
Nun denk en Sie sich die allgemeine Betretenheit,
den Engel, der durch das Zimmer zog! Mama hatte
Mhe, ein harmloses Gesprch wieder in Gang zu
setzen! Aber so war er, so hielt er sich damals und tat
uns weh mit Wort und Schweigen in unserem
Heiligsten. Man mu das alles wohl auf seine
Bewunderung fr den Kaiser Napolon zurck fhren,
der ihn anno 8 zu Erfurt so sichtlich auszeichnete und
ihm das Zeichen der Ehrenlegion verlieh, das unser
Dichter stets ausdrck lich als seinen liebsten Orden
bezeichnete. Er sah in dem Kaiser nun einmal den
Jupiter, das weltenordnende Haupt, und in seiner
deutschen Staatenbildung, der Zusammenfassung der
sdlichen, alt- und -eigentlich deutschen Gebiete im
Rheinbunde etwas Neues, Frisches und Hoffnungsvolles,
wovon er sich Glck liches versprach fr die Steigerung

und Luterung deutschen Geisteslebens in fruchtbarem


Verk ehr mit der franzsischen Kultur, der er selbst
soviel zu dank en erk lrte. Sie mssen bedenk en, da
Napolon ihn dringend eingeladen, ja von ihm
gefordert hatte, seinen Wohnsitz nach Paris zu
verlegen, und da Goethe die bersiedelung durch
lngere Zeit recht ernsthaft erwog und sich nach den
prak tischen Modalitten verschiedentlich erk undigte.
Es war seit Erfurt zwischen ihm und dem Csar ein
Verhltnis von Person zu Person. Dieser hatte ihn
sozusagen auf gleichem Fue behandelt, und der
Meister mochte die Sicherheit gewonnen haben, da er
fr sein Geistesreich, sein Deutschtum nichts von ihm
zu frchten hatte, da Napolons Genius der Feind des
seinen nicht war soviel Grund die brige Welt auch
immer haben mochte, vor ihm zu zittern.
Sie mgen das eine egoistische Sicherheit und
Freundschaft {168}nennen, aber zum ersten mu man
einrumen, da der Egoismus eines solchen Mannes
k eine Privatsache ist, sondern sich in Hherem,
Allgemeinerem rechtfertigt; und zum zweiten: Stand er
denn auch allein mit seinen berzeugungen und
Aspek ten? Das k eineswegs wie sehr immer die Lasten
drck ten, die der furchtbare Protek tor auch unserm
Lndchen auferlegte. Unser Cabinetschef, des
Staatsministers von Voigt Excellenz, zum Exempel, hielt

immer dafr, bald werde gewi Napolon den letzten


Gegner zu Boden gestreck t haben, und dann k nne ein
geeintes Europa unter seinem Szepter des Friedens
genieen. Das habe ich mehr als einmal in Gesellschaft
aus seinem Munde gehrt und wei auch noch gut, wie
sehr er gegen das Jahr 13 hin die Auftritte in Preuen
mibilligte, das man partout in ein Spanien
verwandeln wolle, invito rege. Der gute Knig! rief er.
Wie ist er zu bedauern, und wie wird das fr ihn
ablaufen, so unschuldig er auch daran ist! Wir anderen
werden all unsere Klugheit und Behutsamk eit ntig
haben, uns ruhig, unparteiisch und dem Kaiser
Napolon treu zu verhalten, wenn wir nicht ebenfalls
untergehen wollen. So dieser k luge und
gewissenhafte Staatsmann, der uns noch heute regiert.
Und Durchlaucht der Herzog selbst? Noch nach
Mosk au, als der Kaiser so rasch wieder neue Heere
aufgestellt hatte und unser Frst ihn von hier ein
Stck Wegs gegen die Elbe begleitete, wohin er ritt, um
die Preuen und Russen zu schlagen, die gegen all
unser Erwarten sich gegen ihn verbndet hatten, da
wir ganz k rzlich noch nicht anders gedacht hatten,
als da der preuische Knig wieder mit Napolon
gegen die Barbaren marschieren werde: noch von
jenem Ritt k ehrte Carl August in vlliger Begeisterung
nach Hause zurck , ganz hingerissen von diesem
wahrhaft auergewhnlichem Wesen, wie er sich

ausdrck te, das ihm wie ein von Gott Erfllter, ein
Mohammed vorgek ommen sei.
Aber nach Ltzen k am Leipzig, und es war aus mit
der Gott {169}erflltheit: Anstelle der Begeisterung fr
den Heros trat eine andere, die nmlich fr Freiheit
und Vaterland, Passows Begeisterung; und wunderlich
ist es schon zu erfahren, das mu ich sagen, wie rasch
und leicht sich die Menschen belehren und umstimmen
lassen durch uere Ereignisse und durch eines
Mannes Unglck , an den sie geglaubt. Aber noch
seltsamer und bemhender fr die Gedank en ist es, zu
sehen, wie ein groer und berragender Mann ins
Unrecht gesetzt wird durch die Ereignisse gegen viel
Kleinere und Bescheidenere, die es gleichwohl, wie sich
herausstellt, besser wuten, als er. Da hatte der Goethe
nun immer gesagt: Ihr Guten, schttelt nur an euren
Ketten; der Mann ist euch zu gro! Und siehe da: die
Ketten fielen, der Herzog zog russische Uniform an, wir
trieben Napolon ber den Rhein, und die, die der
Meister mitleidig Ihr Guten genannt hatte, die Luden
und Passow, die standen gro da gegen ihn als
Rechtbehaltende und als Sieger. Denn 13, das war doch
der Triumph Ludens ber Goethe, man k ann es nicht
anders sagen. Und er rumt' es auch ein, beschmt und
reuig, und schrieb fr Berlin sein Festspiel
Epimenides, worin er dichtete: Doch schm' ich mich

der Ruhestunden mit euch zu leiden war Gewinn


denn fr den Schmerz, den ihr empfunden seid ihr
auch grer als ich bin. Und dichtete: Doch was dem
Abgrund k hn entstiegen k ann durch ein ehernes
Geschick den halben Erdk reis bersiegen zum
Abgrund mu es doch zurck . Ja, sehen Sie, da
schick te er seinen Kaiser, den Weltenordner, seinen
Peer, nun in den Abgrund, wenigstens im Festspiel;
denn brigens und im Stillen sagt er, glaub ich, noch
immer Ihr Guten.
August nun, sein Sohn, der Liebhaber Ottiliens, tat
es nach seiner politischen Gesinnung vllig dem Vater
gleich; er war darin nichts weiter als seine
Wiederholung. Ganz war er ein Mann des Rheinbunds,
worin er das Deutschland vereinigt sah, das mitzhlte
fr die Kultur, und zeigte sich voller Verachtung
{170}fr die Barbaren des Nordens und Ostens, was ihm
weniger gut zu Gesichte stand, als Goethen, dem
Aelteren; denn er selbst hatte in seinem Wesen einen
Zug des Barbarischen, will sagen des Ausschreitenden,
ja des Rohen, vermischt mit einer Traurigk eit, die auch
nicht edel anmutete, sondern nur trbe. Anno 11 setzte
der Kaiser einen Gesandten zu uns nach Weimar, den
Baron von Saint Aignan, einen charmanten und
humanistischen Edelmann, das mu man sagen, und
einen groen Verehrer Goethes, der denn auch bald
auf dem freundschaftlichsten Fue mit ihm verk ehrte.

August seinerseits hatte nichts Eiligeres zu tun, als


sich den Sek retr des Barons, Herrn von Wolbock , zum
Freunde zu nehmen, was ich erstens erwhne, um Sie
sehen zu lassen, wo der junge Mann seine Freunde
suchte, und zweitens, weil dieser Herr von Wolbock es
war, der Dezember 12, als Napolon, von Mosk au
k ommend, Erfurt passierte, Goethen den Gru des
Kaisers ausrichtete. Das war denn etwas fr Augusten
auch, denn allezeit trieb er mit der Person des
Tyrannen einen wahren Kult, der ihm fr mein
Gefhl nicht recht zuk am, denn wieso, diese Anbetung
hatte gark einen rechten geistigen Untergrund. Aber
heute noch unterhlt er eine Sammlung von NapolonPortraits und -Reliquien, fr die ihm sein Vater denn
auch das Kreuz der Ehrenlegion geschenk t hat, da er
es nicht gut mehr tragen k ann.
Selten wohl, k ann man sagen, hat zwei Herzen
ungleicheren Schlages das Band der Liebe umwunden.
August betete Ottilien an, wie er Napolon anbetete,
ja, ich k ann nicht umhin, diesen Vergleich zu ziehen,
so sonderbar er anmuten mag; und mein armer
Liebling ich sah es mit Befremden und Schreck en
neigte sich seinem schwerflligen Werben zrtlich
entgegen, berzeugt von der rck sichtslosen Allmacht
des Liebesgottes, die ber Meinungen und Gesinnungen
lachend triumphiert. Sie hatte es schwerer dabei als er,

der seine berzeugungen offen hervork ehren durfte,


whrend sie die ihren verhehlen {171}mute. Aber das,
was sie ihre Liebe nannte, ihr sentimentalischwiderspruchsvolles Erleben mit dem Sohn des groen
Dichters verbarg sie nicht und brauchte es nicht zu
verbergen in unserer k leinen Welt, darin das Gefhl
und seine Kultur in zartesten Ehren steht und auf die
allgemeine Teilnahme rechnen k ann. Fr meine Person
war ich ihre bange Vertraute, welche die EinzelStadien und -Episoden ihres Abenteuers getreulich mit
ihr durchlief. Aber auch ihrer Mutter durfte sie sich
desto ungescheuter erffnen, als Frau von Pogwisch
sich seit lngerem in hnlichen Umstnden befand und
ihrem Kinde bei seinen Confessionen in fraulichfreundschaftlichem Austausch begegnete. Ihr war es um
den schnen Grafen Edling zu tun, einen Sdlnder,
Hofmarschall und Staatsminister, dazu Vormund und
Scherz-Vterchen ihrer Tchter, Hausfreund und bald
wohl mehr. Denn sie hoffte auf seine Hand, hatte auch
Grund, darauf zu hoffen und erwartete sein
entscheidendes Wort, welches sich aber verzgerte. So
bot Amor Mutter und Tochter Stoff zu wechselseitigen
Herzensergieungen ber die tglichen Freuden und
Leiden, die Entzck ungen, Hoffnungen und
Enttuschungen, die er so reichlich gewhrt.
August und Ottilie sahen einander bei Hofe, in der
Komdie, im Haus seines Vaters, bei mancherlei

privater Geselligk eit. Aber auch abseits der Soziett


und in der Stille trafen die Liebenden zusammen, wozu
die beiden alten Grten nahe der Ilm, mit ihren
Gartenhusern, der Goethe's und der Ottiliens
Gromutter Gehrige, die behtetste Gelegenheit bot.
Ich war immer meinem Herzblatt zur Seite bei diesen
Zusammenk nften und hatte mich nur zu wundern,
mit welcher seufzenden Glck seligk eit sie davon
hinwegging und mit wie errtenden Umarmungen mir
dank te fr meine Assistenz; denn mir schien
unweigerlich, nicht nur an meiner Rolle als Dritter
und als Chaperon habe es gelegen, da mir die
Begegnung so unersprielich, das Gesprch so leer, so
gezwungen vorgek ommen {172}war. Lustlos und
stock end hatte es auf einem Cotillon, einem Hofk latsch,
einer vorhabenden oder zurck gelegten Reise rouliert
und hatte noch am meisten Lebhaftigk eit gewonnen,
wenn von des jungen Mannes Dienst bei seinem Vater
die Rede gewesen war. Aber Ottilie gestand sich das
Unbehagen, die gehabte Langeweile nicht ein. Sie tat,
als htten bei einem so den Zusammensitzen oder
Spazieren sich die Seelen gefunden und berichtete in
diesem Sinn auch wohl ihrer Mutter, von der sie
vermutlich dafr die Nachricht empfing, es sprchen
alle Zeichen dafr, da das anhaltende Wort des
Grafen nun unmittelbar bevorstehe.

So lagen die Dinge, als ein Ereignis in das Leben des


lieben Kindes trat, von dem ich nicht ohne die
herzlichst mitschwingende Bewegung zu sprechen
vermag; denn alle Schnheit und Gre der Zeit
versammelte sich fr uns beide darin und nahm
persnliche Gestalt an fr uns beide in diesem Erlebnis.
Das Frhrot des Jahres 13 brach an. Was sich im
Preuenlande Herrliches begab, die Erhebung der
Patrioten, ihr Sieg ber den zgernden Sinn des
Knigs, die Aufstellung der Freiwilligen-Corps, denen,
bereit zum enthusiastischen Verzicht auf Bildung und
Behagen, begierig, ihr Leben fr das Vaterland in die
Schanze zu schlagen, die edelste Jugend des Landes
zustrmte, von alledem, ich sagte es schon, drang
anfangs nur geringe und gedmpfte Kunde zu uns
herber. Wovon ich Ihnen aber auch schon sprach, das
war die empfindliche Verbindung, welche die Seele
meiner Freundin mit der Sphre ihres verschollenen
Vaters unterhielt und die auch wohl durch
handgreiflichere Nachrichten, die ihr durch
preuische Verwandte zuk amen, untersttzt werden
mochte. Ihre liebliche Person erzitterte und erglhte
bei der Berhrung mit dem sich Vorbereitenden, dem
schon sich Vollziehenden, das sie, in unserer
idyllischen Mitte lebend, lngst ersehnt, lngst
vorgeahnt hatte. Das Heldenvolk , dem sie sich
zugehrig fhlte nach Blut {173}und Geist, stand auf,

um die Schmach der welschen Tyrannei von sich zu


schtteln! Ihr ganzes Wesen ging in Begeisterung auf,
und wie ihr Volk durch sein Beispiel ganz Deutschland
fr den Kampf um Ehre und Freiheit entflammte, so ri
sie mich mit sich fort und machte mich ganz zur
Parteigngerin ihres Hasses und ihrer glhenden
Hoffnung. Doch stand sie mit beidem auch sonst in der
Stadt nicht mehr so allein wie frher. Die
vaterlndische Verschwrung glomm auch hier schon
unter der rheinbundtreuen, napolonfrommen Deck e,
und junge Edelleute wie Kammerherr von Spiegel und
Regierungsrat von Voigt nahmen mit den Preuen in
Jena unter der Hand eine halsbrecherische Verbindung
auf, um ihnen Wink e ber die Vorgnge in Weimar zu
erteilen. Mit ihnen hatte Ottilie sich bald gefunden
und nahm in flsternder Leidenschaft teil an ihren
Umtrieben. Sie spielte mit ihrem Leben, und halb um
sie zurck zuhalten, halb aus eigener Ergriffenheit war
ich ihr Mitgesell bei diesen politischen Geheimnissen,
wie ich es bei denen ihres Mdchenherzens, bei den
Zusammenk nften mit August von Goethe war. Ich
wte nicht zu sagen, welche von beiden mir die
grere Angst und Besorgnis um sie einflten.
Es ist bek annt, wie wenig hoffnungsreich sich frs
erste die k riegerischen Vorgnge anlieen. Zwar wurde
Ottilien das Glck zuteil, preuische Uniform in

Weimar zu sehen, denn Mitte April, am 16ten, ich wei


es wie heute, tat eine Abteilung Husaren und reitender
Jger jenen Handstreich auf unsere Stadt, bei dem sie
die wenigen hier liegenden franzsischen Soldaten zu
Gefangenen machten und, wieder abziehend, mit sich
fhrten. Kaiserliche Reiterei, die auf die Nachricht von
Erfurt herberk am, fand k eine Preuen mehr in der
Stadt und k ehrte nach ihrem Standort zurck : voreilig
allerdings, denn am folgenden Morgen stellen Sie
sich Ottiliens Entzck en vor! ritten Mannschaften
des jngeren Blcher, Husaren abermals und grne
Jger in die Stadt ein, von unserer Bevl {174}k erung
mit Jubel empfangen; und es begann ein Tanzen und
Zechen, dessen sorglose Ausgelassenheit dem
Nachdenk lichen einige Bek lemmung bereitete und sich
denn auch nach wenig Stunden bitter bestrafte.
Franzosen! hie es, und vom Gelage weg strzten
unsere Befreier zu den Waffen. Es waren Truppen des
Generals Souham, die in die Stadt drangen, an Zahl
bermchtig, und k urz war der Kampf, in welchem die
Franzosen sich wieder zu Herren der Stadt machten.
Zitternd um das Blut unserer Helden, denen wir eben
noch frhlich Wein und Speisen zugetragen, saen wir
in unseren Zimmern und sphten auch wohl durch die
Gardine nach dem Tumult der Gassen, die vom Gegell
der Hrner, dem Prasseln des Gewehrfeuers erfllt
waren, aus denen aber bald das Gefecht sich in den

Park und vor die Stadt hinaus verzog. Der Sieg war des
Feindes. Ach, er war seiner nur allzu gewohnt, und
wider Willen k onnte man k aum umhin, ihn als den
Sieg der Ordnung ber die Rebellion und zwar ber
eine k nabenhaft trichte, wie sich durch ihre
Niederlage herausgestellt hatte, zu empfinden.
Ruhe und Ordnung sind wohlttig, von wem auch
immer sie aufrecht erhalten werden mgen. Wir hatten
fr die franzsische Einquartierung zu sorgen, mit
welcher die Stadt sogleich bis an die Grenze ihrer
Trag- und Leistungsfhigk eit belegt wurde, und die
lange auf ihr lasten sollte. Aber der Friede war
wiedergek ehrt, der Verk ehr auf den Straen bis
Sonnenuntergang frei, und im freilich bedrck enden
Schutz des Siegers mochte der Brger seinen
gewohnten Geschften nachgehen.
Ich wei nicht, welcher geheime Antrieb, welche
Ahndung Ottilien am nchsten Tage bestimmte, mich
bald nach Mittagstisch zu einem Spaziergang
abzuholen. Einer Nacht folgend, die regnerisch
gewesen war, lock te der April-Tag mit zarter
Heiterk eit, die durchsonnten Lfte von ser
Frhlingshoffnung erfllt. Ein Reiz der Neugier wirk te
mit, in Sicherheit die Straen zu durchwandern, in
denen gestern der Schreck en {175}des Mnnerk ampfes
getobt, die Spuren, die er darin zurck gelassen,

Beschdigungen der Huser durch einschlagende


Gewehrk ugeln, diesen und jenen Blutspritzer auch
wohl an einer Mauer mit einem Grauen in Augenschein
zu nehmen, in das sich bei uns Frauenzimmern doch
auch soviel scheue Bewunderung, ja Begeisterung fr
den harten und wilden Mut des anderen Geschlechtes
mischt.
Ins Freiere, Grnende zu gelangen, hatten wir
Freundinnen, von Schlo und Mark t k ommend, die
Ack erwand gewonnen und sie in Richtung der Ilm
verlassen, deren Ufer nicht fern wir auf Wiesenpfaden
und buschigen Gngen am Bork enhuschen vorbei
gegen das Rmische Haus hin wandelten. Zertretener
Grund, ein hie und da liegen gebliebenes Waffen- und
Monturstck zeigten an, da sich Kampf, Flucht und
Verfolgung bis hierher gezogen hatten. Wir sprachen
von dem Durchlebten und mglicherweise
Bevorstehenden, der gemeldeten Besetzung schsischer
Stdte durch die stlichen Vlk er, der ngstlichen
Lage Weimars zwischen der k aiserlichen Feste Erfurt
und den heranrck enden Preuen und Russen, der
Verlegenheit Serenissimi des Herzogs, der Abreise der
Grofrstin ins neutrale Bhmen und derjenigen des
franzsischen Gesandten nach Gotha. Auch von August
sprachen wir, wie ich mich erinnere, und von seinem
Vater, der den Vorstellungen der Seinen nachgegeben
und gleichfalls die bedrohte Stadt verlassen hatte:

Gestern frh, ganz k urz bevor die Blcherschen hier


ihren Einzug gehalten, war er in seinem Wagen nach
Karlsbad abgefahren; er mute ihnen sogar auf der
Landstrae begegnet sein.
Weiter sich ins Einsame vorzuwagen, schien nicht
geheuer, und so waren wir im Begriff, den Rck zug
anzutreten, als in unser Gesprch ein Laut, halb Ruf,
halb Sthnen, drang, der uns die Fe fesselte. Wir
standen lauschend und fuhren zusammen: Aus dem
Gebsch seitlich des Weges ertnte dieselbe Klage,
derselbe Anruf. Ottilie hatte im Schreck meine Hand
{176}ergriffen, jetzt lie sie sie fahren, und mit
k lopfenden Herzen, auch unter der wiederholten Frage
Ist jemand da? brachen wir beiden Mdchen uns
Bahn durch das k nospende Gestruch. Wer beschreibt
unsere Bestrzung, unsere Rhrung und Ratlosigk eit?
Im Holz, in dem feuchten Grase lag der schnste
Jngling, ein verwundeter Krieger, ein Glied der
vertriebenen Heldenschar, das lock ige Blondhaar
verwirrt und verk lebt, einen k eimenden Bart um das
edel geschnittene Antlitz, dessen fiebrige Wangenrte
hchst schreck haft gegen die wchserne Blsse der
Stirne stand, die durchnte und erdige, im halben
Trock nen starr gewordene Montur befleck t und zwar
namentlich an den unteren Teilen von ebenfalls halb
getrock netem Blut. Entsetzlicher und doch auch

erhebender, das tiefste Gefhl aufrufender Anblick ! Sie


denk en sich die ngstlich flatternden, von Teilnahme
bebenden Fragen nach seinem Ergehen, seiner
Verwundung, mit denen wir ihn berschtteten. Sie
fhrt der Himmel vorbei, erwiderte er in norddeutsch
scharfer Sprechweise, aber mit k lappernden Zhnen,
zwischen denen er fters, wenn er eine Bewegung
gewagt hatte, unter schmerzlicher Verzerrung seines
schnen Gesichtes die Luft einzog. Ich hab' eine
attrapiert ins obere Bein bei dem Spa von gestern
auf einmal hatt' ich sie weg und mute mal vorlufig
auf die Gewohnheit des aufrechten Ganges
verzichten, nur k riechen k onnt' ich noch gerade
hierher, wo's ja soweit ganz lauschig ist, blo etwas
feucht, wenn's pladdert wie heute Nacht, seit gestern
Vormittag lieg' ich am Fleck und tte wohl eigentlich
besser, zu Bett zu gehen, denn scheinbar hab ich ein
bischen Fieber.
So burschenhaft drck te der Held sich aus in seinem
Elend. Und wirk lich war er Student, wie er bald
erk lrte. Heink e Ferdinand, sagte er schnatternd,
Jurist von Breslau und freiwilliger Jger. Was fangen
aber die Damen nun mit mir an? So mochte er wohl
fragen, denn selten war guter Rat teurer ge{177}wesen,
und die Benommenheit, in die das Abenteuer uns
versetzte, unser Idol, den preuischen Helden, pltzlich
in so naher und k rperlich-persnlicher, salopp

redender Wirk lichk eit, unter dem brgerlichen Namen


Heink e, vor uns zu sehen, war unserer
Geistesgegenwart, unserer Entschluk raft nicht
hilfreich. Was tun? Sie fhlen zwei jungen
Frauenzimmern die Scheu nach, Hand zu legen an
einen wirk lichen, am Oberschenk el verwundeten
Jngling, noch dazu einen so schnen! Sollten wir ihn
aufheben, ihn tragen? Wohin? Zur Stadt doch nicht,
die brigens voller Franzosen war. Auch jede nhere
und vorlufigere Unterk unft aber, wie etwa das
Bork enhuschen, war unseren Krften so unerreichbar
wie den seinen. Die Blutung seiner Wunde war seiner
Aussage nach zwar zum Stillstand gek ommen; aber das
Bein schmerzte sehr, und an ein Gehen, sei es auch mit
unserer Untersttzung, war nicht zu denk en.
Garnichts blieb brig, als den Helden und er selbst
war dieser Meinung an Ort und Stelle, im
notdrftigen Schutz des Gestruches, liegen zu lassen
und unsererseits nach der Stadt zurck zuk ehren, um
vertrauenswrdigen Personen von unserem k ostbaren
Funde Erffnung zu machen und mit ihnen das
Erforderliche zu beraten, welches aber in aller Stille
und Heimlichk eit zu bewerk stelligen sein wrde. Denn
wie nichts anderes verabscheute Ferdinand den
Gedank en, in Gefangenschaft zu geraten und sann auf
nichts, als, sobald er genesen sein wrde, Dienst und

Kampf wieder aufzunehmen, um Nppel, wie er den


Corsen nannte, aufs Haupt zu schlagen, das Vaterland
zu befreien und Paris in Asche zu legen.
Diese Vorstze uerte er mit frostbebenden Kiefern,
alle Schwierigk eiten berspringend, die seiner
nchsten Rettung entgegenstanden. Gegen den Durst,
der ihn plagte, fand Ottilie in ihrem Tschchen
einigen Minzenzuck er, an dem er sich denn sogleich zu
delek tieren begann. Ein Riechflschchen, das ich bei
mir hatte, wies er mit mnnlichem Spott zurck ,
dul {178}dete es aber, da wir ihm unsere
Umschlagtcher, das eine als Kopfk issen, das andere
als allzu leichte Zudeck e, zurck lieen und
verabschiedete uns mit den Worten: Na, sehen Sie zu,
was sich machen lt, meine Damen, da ich aus
dieser verdammten Patsche k omme! Tut mir leid, Ihre
werte Gesellschaft vorderhand wieder entbehren zu
mssen. War mir, parole d'honneur, eine angenehme
Zerstreuung in meiner Abgeschiedenheit. So
heldenhaft lssig war immer seine Rede in einer Lage
auf Leben und Tod. Wir darauf machten vor dem
Hingestreck ten unseren Knix, den er mit einer
Bewegung erwiderte, als salutiere er uns mit den
Abstzen, und enteilten
Wie wir zur Stadt zurck gelangten, ich wte es
k aum zu sagen. Auf Flgeln der Begeisterung, der
Angst und des Entzck ens geschah es, da wir uns

doch sorgsam hten muten, da jemand uns solche


Beflgelung anmerk e. Einen Plan zur Bergung des
herrlichen Menschen im Einzelnen ins Auge zu fassen,
waren wir auerstande. Da er nicht eine zweite
Nacht hilflos unter dem Himmel liegen drfe, sondern
in ein sicheres Haus verbracht und sorgsamster Pflege
bergeben werden msse, war der feste Punk t in
unseren irrenden Gedank en, und mit derselben
dringlichen Bestimmtheit tat sich der Wunsch
darunter hervor, da wir beide von dieser Pflege nicht
ausgeschlossen sein mchten. Unsere Mtter ins
Geheimnis zu ziehen, lag nahe; aber wenn wir ihrer
Anteilnahme sicher sein durften, wie sollten sie raten,
wie helfen? Mnnlicher Beistand war unumgnglich;
und wir verfielen darauf, uns denjenigen jenes Herrn
von Spiegel, des Kammerherrn, zu sichern, den wir mit
uns so bereindenk end wuten und der, da er einer
der Urheber des verhngnisvollen preuischen
Einmarsches war, alle Ursache hatte, sich einem Opfer
desselben hilfreich zu erweisen. Er war nmlich damals
noch auf freiem Fu; seine und seines Freundes von
Voigt Verhaftung wurde erst einige Tage spter durch
die Denunziation eines Vorteil suchenden
{179}Mitbrgers herbeigefhrt, und beide htten ihren
wagehalsigen Patriotismus mit dem Tode bezahlt, wenn
nicht Napolon, als er persnlich wieder in Weimar

war, aus Courtoisie gegen die Herzogin ihre


Begnadigung ausgesprochen htte.
Dies unter der Hand. Ich will mich beim Folgenden
nicht in Einzelheiten verlieren; genug, da von Spiegel
die in ihn gesetzte Erwartung nicht enttuschte,
sondern sich sofort energisch-ttig zeigte und alles
Wnschbare mit der glck lichsten Umsicht ins Werk
setzte. Eine Tragbahre ward heimlich und sogar
stck weise in den Park geschafft, trock ene Kleider und
Strk ungsmittel fanden sich nach k urzer Zeit bei dem
Aermsten ein, ein Wundarzt besuchte ihn wohlttig,
und bei sink ender Dmmerung wurde der zum
Civilisten Verwandelte unbeanstandet am Rande der
Stadt hin zum Schlo geschafft, wo ihm der
Kammerherr und zwar in dem alten Teil, dem
Thorgebude der sogenannten Bastille, ein hoch
unterm Dach gelegenes Zimmerchen als Versteck und
Asyl im Einvernehmen mit der Verwaltung zubereitet
hatte.
Hier, vor aller Welt verborgen, hielt unser k hner
Freund sein Krank enlager ab, das sich ber mehrere
Wochen erstreck te; denn zu der schwrenden
Beinwunde hatte sich durch das Nchtigen im feuchten
Stadtpark ein Brustk atarrh mit schwerem Husten
gesellt, welcher Fieber und Schmerzen steigerte und
dem Arzt Besorgnis htte erregen k nnen, wenn nicht
die Jugend und gute Natur des Patienten und seine

immer gleiche frohe Laune, die hchstens durch die


Ungeduld getrbt wurde, wieder in den Krieg ziehen zu
k nnen, die heiterste Brgschaft geboten htten fr
sein Erstehen. Mit dem regelmig vorsprechenden
Dok tor und dem alten Kastellan, der dem Krank en
seine Mahlzeiten brachte, teilten wir beide, Ottilie und
ich, uns in seine Pflege und stiegen tglich die morsche
Treppenfolge zu seinem verwunschenen Stbchen
hinauf, um ihm Wein, Eingemachtes und k leine
Leck erbissen, auch zerstreu{180}ende Lek tre
zuzutragen, mit ihm zu plaudern, sobald sein Befinden
es zulie, ihm vorzulesen und Briefe fr ihn zu
schreiben. Er nannte uns seine Engel, denn hinter
seiner nchtern-flotten Art sich zu geben verbarg sich
denn doch viel weiches Gemt, und wenn er unsere
schngeistigen Interessen nicht teilte, sie lachend von
sich wies und auer seiner Jurisprudenz nichts anderes
als das Vaterland und seine Wiederaufrichtung im
Sinne hatte, um derentwillen er jene im Stich gelassen,
so gestanden wir uns gern, da man die Poesie wohl
verschmhen mag und nichts davon zu verstehen
braucht, wenn man sie selber verk rpert, und als die
verk rperte Poesie in der Tat, als die Erfllung unserer
Trume erschien uns dieser schne, gute und edle
Mensch; soda es denn wohl geschah, da nach einem
Besuche bei ihm Ottilie mich im Hinabsteigen stumm

und vielsagend in ihre Arme schlo und ich, in


Erwiderung ihres Gestndnisses, ihr den Ku aufs
innigste zurck gab, ein Austausch, der uns bei den
altertmlichen Eigenschaften der Treppe brigens um
ein Haar das Gleichgewicht gek ostet htte.
Es waren Wochen voller Rhrung und Gehobenheit;
sie gaben unserem Mdchenleben den schnsten
Inhalt, denn zu sehen, wie der Heldenjngling, um
dessen Bewahrung fr das Vaterland wir uns verdient
gemacht, nach k urzer Sorgenfrist von Wiedersehen zu
Wiedersehen entschiedener der Genesung
entgegenging, war beraus beglck end, und
schwesterlich teilten wir uns in die Freude darber wie
berhaupt in die Empfindungen, die wir unserem
herrlichen Pflegling weihten. Da sich bei diesen in
das Charitative und Patriotische Zarteres,
Unaussprechliches mischte, und zwar in unser beider
Herzen, sagt Ihnen wohl die eigene Ahndung; auch
hier aber war es so, da meine Gefhle diejenigen der
liebreizenden Ottilie nur getreulich begleiteten und
ihnen sozusagen den Vortritt lieen, es lag das in der
Natur der Dinge. Ein gemessener Teil von Ferdinands
Dank bark eit mochte auf mich unschnes Ding
{181}entfallen, bei seiner Geistesschlichtheit, die ihm
so wohl, so herrlich zu Gesichte stand, und bei der
daraus folgenden vollstndigen Gleichgltigk eit gegen
die Gaben, die ich anstatt ueren Glanzes etwa ins

Feld zu fhren hatte, tat ich von Anfang an gut daran,


weiter auf nichts zu hoffen und mich weislich in diesem
Roman mit der Rolle der Vertrauten zu bescheiden.
Darauf war meine Natur eingerichtet, und vor
Eifersucht war ich nicht nur durch die Liebe zu meiner
Freundin, den zrtlichen Stolz auf ihre Reize
geschtzt; auch nicht nur dadurch, da Ferdinand uns
tatschlich mit groer Gleichmigk eit behandelte
und, was ich denn doch mit menschlicher verzeihlicher
Genugtuung bemerk te, auch gegen meinem Herzblatt
ber nie den Ton einer flotten Freundlichk eit
vernderte; sondern noch etwas Drittes k am mir zu
Hilfe: nmlich die Hoffnung, da Ottilie durch dies
neue und ungeahndete Erlebnis von ihrem Verhltnis
zu August von Goethe, dieser mir so unheimlich, so
unglck selig scheinenden Bindung, wirk sam abgelenk t
werden mchte. So machte ich denn k ein Hehl aus
meiner Zufriedenheit, meiner Erleichterung, wenn sie
mir an meinem Halse gestand, was sie fr Ferdinanden
empfinde, sei denn doch etwas gnzlich Anderes, als
was ihr Herz bisher erfahren, und zwischen tief
besorgter Freundschaft und wahrer Liebe habe das
Leben sie nun die Unterscheidung gelehrt. Meine
Freude darber wurde nur durch die Erwgung
gedmpft, da Heink e nicht von Adel, sondern ganz
einfach der Sohn eines schlesischen Pelzhndlers und

also durchaus k eine Partie fr Ottilie von Pogwisch


war. Ob allein das Bewutsein hievon ihn bestimmte,
an seiner flotten Freundlichk eit gegen sie so strick te
festzuhalten, war eine besondere Frage.
Da whrend Heink es Besserung die gesellige
Jahreszeit zu Ende ging, die Komdie zwar noch
offenhielt, aber der Hof aufhrte, die Einladungen und
Blle, deren Matadore zuletzt {182}die franzsischen
Offiziere gewesen, sprlicher wurden, so sahen wir
August seltener als zur Winterszeit; allein die
Begegnungen, die Spaziergnge und Rendez-vous' mit
ihm in den Grten waren nicht ganz unterbrochen
worden, obgleich die Abwesenheit seines Vaters seine
Geschftslast erhhte; und wenn aus Ferdinands
Geschichte sonst ein sorgfltiges Geheimnis gemacht
wurde und niemand auer den Eingeweihten und
Mitttigen von dem Dasein unseres Findlings in seinem
Dornrschenstbchen etwas wute, so fhlte Ottilie
sich doch gehalten, dem Kammer-Assessor Bericht
davon abzulegen aus Pflicht der Freundschaft und des
Vertrauens gewi vor allem, aus einer gewissen Neugier
zugleich aber auch, so schien mir, wie er die Nachricht
unseres Abenteuers aufnehmen, was in seiner Miene
dabei vorgehen werde. Sein Verhalten war gleichmtig,
ja spttisch, besonders nachdem er sich wie von
ungefhr nach Heink es Familie erk undigt und
erfahren hatte, da er brgerlich sei; es lie auf so

geringe Wibegier und Teilnahme schlieen, deutete


vielmehr so entschieden auf den Wunsch, die Sache von
sich abzuhalten, da hinfort nur selten, obenhin und
k urz abbrechend zwischen ihm und uns davon die Rede
war und August ber das glck liche Aufk ommen
unseres Helden, seinen ferneren, nur k urzen
Aufenthalt in der Stadt und sein vorlufiges
Wiederentschwinden in gewollter Unwissenheit oder
Halbk enntnis blieb.
Ich habe mit diesen Worten dem Gang der Dinge
schon vorgegriffen. Blder als gedacht k onnte
Ferdinand zeitweise sein Bett verlassen und im hohen
Kmmerchen umherstapfend am Invalidenstock die
Beweglichk eit seines Beines ben; die freundliche
Jahreszeit, die freilich nur durch ein Mansardenfenster
Zutritt in sein Schutzgefngnis hatte, tat das Ihre, ihn
zu frdern und zu beleben, und um ihn in freiere
Berhrung mit ihr zu bringen, ward ein
Quartierwechsel veranstaltet: Ein Vetter des
Kastellans, der am Kegelplatz hinterm Marstall eine
{183}Schusterei betrieb, war bereit, dem
Rek onvaleszenten ein Zimmer zu gleicher Erde bei sich
einzurumen, und wohlgesttzt siedelte dieser eines
ersten Juni-Tages aus seinem romantischen Versteck
dorthin ber, wo er auf einer Bank am nahen Flusse
sich sonnen und ber die Brck e bequem das Grne

und Freie, das Schiehaushlzchen, die Tiefurter Allee


gewinnen k onnte.
Uns war damals eine Ruhepause in den Welthndeln
beschieden, jener Waffenstillstand, der nur bis in den
Hochsommer dauern sollte, ich sage nicht: leider,
denn was nachher k am, fhrte ja, wenn auch durch
grasse Schreck nisse und unendliches Leid hindurch, zu
Ruhm und Freiheit. Das Leben in unserer Stadt, war
trotz fortdauernder Einquartierungslast, mit der man
sich leidlich abgefunden, recht gemach unterdessen.
Eine mige Geselligk eit nahm in den frhen Sommer
hinein ihren Fortgang, und in schlichtem Civilk leid
nahm unser Krieger, dessen Wangen sich zusehens
fllten und rteten, mit gebotener Vorsicht daran teil:
Bei meiner Mutter sowohl und der Ottiliens wie auch
bei Egloffsteins, im Salon der Frau von Wolzogen und
an einigen weiteren Orten verbrachten wir manche
heitere und dabei tiefgefhlte Stunde mit dem ob seiner
Jugendhbschheit und ritterlichen Schlichtheit berall
mit herzlicher Neigung und Bewunderung
aufgenommenen jungen Helden. Dr. Passow namentlich,
war Feuer und Flamme fr ihn, weil er, seinem SchulIdeale gem, die Verk rperung hellenischer Schnheit
im Verein mit vaterlndischem Freiheitsheroismus in
ihm erblick te mit vielem Recht; nur ging er als Mann
fr meinen Geschmack in der Verehrung unseres
Jnglings etwas weit und lie mich, nicht zum ersten

und letzten Mal die Bemerk ung anstellen, da der


k riegerische Nationalgeist in Beziehung steht zu einem
uns Frauen denn doch nicht erfreulichen erhhten
Enthusiasmus des Mannes fr das eigene Geschlecht,
wie er uns schon aus den Sitten der Spartaner herbbefremdlich entgegentritt.
{184}Ferdinand seinerseits bewahrte gegen
jedermann jenes schon gek ennzeichnete gleichmigsonnige Verhalten, und auch sein Betragen gegen uns,
das heit: gegen Ottilie htte Herrn von Goethe
k einerlei Anla zur Eifersucht gegeben, wenn die
beiden wie Nacht und Tag verschiedenen jungen Leute
jemals zusammengetroffen wren, was Ottilie jedoch zu
verhindern wute. Es war k lar, da sie sich durch die
Empfindungen, die sie dem Helden entgegenbrachte,
schuldig zu machen glaubte vor dem dsteren
Liebhaber; da sie sie als einen Raub an den
Freundschaftspflichten gegen diesen betrachtete,
soda bei dem Zusammensein mit ihnen beiden ihr
Gewissen gelitten htte; und so sehr ich die moralische
Kultur bewunderte, die sie zu dieser Auffassung bewog,
mute ich doch mit Unruhe daraus abnehmen, da
meine Hoffnung, das Erlebnis mit Heink e mchte die
mir ngstlichen Bande lsen, die sie an den Sohn des
Groen k npften, sich nicht bewahrheiten wollte. Ja,
Adele, sagte sie eines Tages zu mir, inde ihre blauen

Augen sich schattig verdunk elten, ich habe das Glck


erk annt, das Licht und die Harmonie, in der Gestalt
unseres Ferdinands sind sie mir aufgegangen. Aber so
edel der Zug sein mag, den sie ausben, tiefer sind
die Ansprche, die Dunk el und Leiden an unseren
Edelmut stellen, und im Grunde meiner Seele k enne ich
mein Schick sal. Mge der Himmel dich behten,
Geliebte! war alles, was ich erwidern k onnte, eine
Klte im Herzen, wie sie uns ank ommt, wenn wir dem
unbeweglichen Auge des Verhngnisses begegnen.
Heink e entschwand. Wir sollten ihn wiedersehen; fr
diesmal aber, nach einem Aufenthalt von sieben
Wochen in unserer Mitte, reiste er ab: in seine
schlesische Heimat zunchst, zum Besuch seiner
Lieben, der Pelzhndlersleute, um bei ihnen die
vollstndige Wiederherstellung seines Beines
abzuwarten, dann aber sogleich wieder zur Armee zu
stoen; und meine Ottilie und ich weinten innig
zusammen ber den Verlust {185}seiner Gegenwart,
richteten uns aber auf in dem getauschten Schwur,
da unsere Freundschaft fortan ein einziger Kult
seines Heldenandenk ens sein solle. Er hatte uns das
Idealbild des vaterlndisch entflammten deutschen
Jnglings, wie der Snger von Leyer und Schwert es
verk ndete, in Fleisch und Blut erschauen lassen, und
da Fleisch und Blut denn doch immer dem Ideale etwas
entgegen sind und eine gewisse Ernchterung

unvermeidlich mit sich bringen, so hat es, wenn ich


ganz offen sein soll, auch sein Gutes und Vorteilhaftes,
wenn sie sich durch Abwesenheit wieder zum reinen
Ideale verk lren. Namentlich hatte sich uns Ferdinand
in letzter Zeit immer in schlichter Brgertracht
dargestellt, da er unserem inneren Auge nun wieder in
dem Ehrenk leid vorschweben mochte, worin er uns
anfangs erschienen, ein groer Vorteil, wenn man
bedenk t, wie sehr die Uniform die mnnlichen
Eigenschaften erhht. Kurzum, sein Bild wurde nach
seinem Abgange in unserer Vorstellung tglich
lichter, whrend zugleich, wie Sie sehen werden, die
Gestalt des Anderen, Augustens Gestalt, sich mit immer
trberen Wolk en umhllte.
Am zehnten August lief der Waffenstillstand ab,
whrend dessen Preuen, Ruland, Oesterreich und
auch England sich gegen den Kaiser der Franzosen
vereinigt hatten. Zu uns nach Weimar drang nur
geringe und undeutliche Kunde von den Siegen der
preuischen Heerfhrer, der Blcher und Blow, der
Kleist, Yorck , Marwitz und Tauentzien. Da irgendwo
gewi unser Ferdinand an diesen Siegen teil hatte,
erfllte uns Mdchen mit hochatmendem Stolz; der
Gedank e, sein junges Blut, dem Vaterlande
dargebracht, mchte vielleicht schon den grnen Plan
frben, lie uns erbeben. Wir wuten fast nichts. Die

nrdlichen und stlichen Barbaren rck ten nher


das war unsere ganze Nachricht; aber je nher sie
rck ten, desto seltener wurde ihnen bei uns dieser
Name Barbaren zuteil, desto mehr wendeten sich die
Sympathien und Hoffnungen unserer {186}Bevlk erung
und Gesellschaft von den Franzosen weg ihnen zu: zum
Teil wohl einfach, weil man die Sieger in ihnen zu
sehen begann, die man schon von Weitem durch seine
Ergebenheit milde zu stimmen hoffte, namentlich aber
weil die Menschen unterwrfige Wesen sind, von dem
Bedrfnis geleitet, mit den Verhltnissen und
Ereignissen, mit der Macht in innerer
bereinstimmung zu leben, und weil ihnen jetzt das
Schick sal selbst den Wink und Befehl zur
Sinnesnderung zu erteilen schien. So wurden aus den
gegen die Gesittung rebellierenden Barbaren binnen
wenigen Tagen Befreier, deren Erfolg und Vormarsch
der allgemeinen Begeisterung fr Volk und Vaterland,
dem Ha auf den welschen Unterdrck er zu einem
strmischen Durchbruch verhalf.
Kurz nach Mitte Ok tober sahen wir, mit entsetzter
Bewunderung, zum ersten Male Kosak en in Weimar.
Der franzsische Gesandte entfloh, und wenn man ihn
bei seiner Abreise nicht insultierte, so nur darum
nicht, weil noch nicht absolut deutlich war, wie das
Schick sal es meinte, und wie man sich zu verhalten
hatte, um auch gewi mit Macht und Erfolg in

Harmonie zu sein. Aber in der Nacht vom zwanzigsten


auf den einundzwanzigsten rck ten ganze fnfhundert
dieser hunnischen Reiter bei uns ein, und ihr Oberst, v.
Geismar war sein Name, stand in dieser Nacht mit
schief bers Ohr gezogener Mtze im Schlo vorm Bette
des Herzogs und berichtete ihm von dem groen Siege
der Verbndeten bei Leipzig. Zum Schutz der
Herzoglichen Familie, meldete er, sei er vom Zaren
Alexander entsandt. Da wute auch Serenissimus, was
die Glok k e geschlagen, und wie ein k luger Frst sich
zu stellen hatte, um den Anschlu ans Schick sal und
an die Macht der Ereignisse nicht zu versumen.
Liebste, was waren das doch fr Tage! erfllt vom
Lrm der Kmpfe, die rings um die Stadt herum und bis
in unsere Straen hinein sich schreck haft abspielten.
Franzosen, Rheinln {187}der, Kosak en, Preuen,
Magyaren, Kroaten, Slavonen, der Wechsel wilder
Gesichte wollte nicht enden, und da der franzsische
Rck zug auf Erfurt die Residenz den Verbndeten
freigab, die sich sogleich darein ergossen, so brach eine
Flut von Einquartierung ber uns herein, welche jeden
Haushalt, gro und k lein, mit den uersten
Ansprchen, oft k aum erfllbar, belastete. Die Stadt,
vollgepfropft von Menschen, sah viel Glanz und Gre,
denn zwei Kaiser, der russische und der
oesterreichische, dazu der preuische Kronprinz

hielten zeitweise hier Hof, der Kanzler Metternich traf


ein, es wimmelte von Wrdentrgern und Generalitt,
allein nur die Aermsten, denen nichts abverlangt
werden k onnte, mochten sich der Schaulust
berlassen, wir anderen, auf engsten Raum
eingeschrnk t, durften nur leisten und leisten, und da
alle Hnde zu tun hatten und jedermann von der
Sorge, wie er den Anforderungen gerecht werden
mchte, aufs Letzte in Atem gehalten war, so gebrach
es an berschssiger Seelenk raft, sich um den
Nachbarn zu k mmern, und meist erfuhr man erst
nachtrglich, wie es jenem in alldem ergangen war.
Einen Unterschied jedenfalls, einen inneren, gab es
bei aller ueren Gleichheit der Bedrngnis, in dieser
Not und Beanspruchung: Diejenigen trugen sie leichter
und frhlicher, denen ihre Gesinnung, ihr
Herzensglck ber den Sieg der vaterlndischen
Sache und mochte er auch mit Hilfe zuweilen etwas
rauh und bermtig sich gebrdender Freunde,
Kosak en, Baschk iren und Husaren des Ostens,
erfochten sein Entgelt und ber-Entgelt bot fr alle
Plage und ihnen wohlttig darber hinweghalf. Auch
unsere Mtter, Ottiliens und meine, hatten hohe
Commandeurs mit ihren Adjutanten und Burschen zu
behausen und zu verpflegen, und wir Tchter sahen
uns buchstblich zu Mgden dieser herrischen Gste
herabgesetzt. Aber mein Liebling, befreit wahrhaftig,

nmlich von dem Zwang, ihr preuisch Herz zu


verbergen, strahlte bei all {188}dem vor Freude und
teilte auch mir, der zum Verzagen Geneigteren, immer
wieder von ihrer Begeisterung mit ber die groe, die
herrliche Zeit, die fr uns beide geliebte und still
verherrlichte Zge trug: die Zge des Heldenjnglings,
den wir errettet, und der jetzt an seinem Orte, wir
wuten nicht, wo, das blutige Werk der Freiheit
vollenden half.
Soviel nur von unsren Empfindungen, unserem
Zustand, welcher bei einiger persnlich-besonderer
Frbung sich nachgerade k aum noch von dem
allgemein-ffentlichen, der Volk sstimmung,
unterschied. Wie anders aber sah es aus in dem
berhmten Hause, mit dem meine Ottilie so seltsame,
mir immer so ngstliche Beziehungen verbanden!
Deutschlands groer Dichter war zu jener Zeit der
unglck lichste Mann in der Stadt, im Herzogtum,
wahrscheinlich im ganzen, zu hohen Gefhlen
hingerissenen Vaterland. Im Jahre 6 war er nicht halb
so unglck lich gewesen. Unsere liebe von Stein
erachtete ihn fr tiefsinnig geworden. Sie warnte
jeden, von politischen Sachen mit ihm zu reden, denn,
milde gesagt, scheine er gar an unserm jetzigen
Enthusiasmus nicht teilzunehmen. Er nannte dies Jahr
unserer Erhebung, das doch rot ausgemerk t und

herrlich in unserer Geschichte hervortritt, nicht


anders als das traurige, das schreck ensvolle Jahr.
Dabei war ihm von seinen unleugbaren Schreck en
mehr als uns allen erspart geblieben. Im April, als das
Kriegstheater sich herzuziehen drohte, Preuen und
Russen die umliegenden Hhen besetzten und eine
Schlacht bei Weimar nebst Plnderung und Brand in
Aussicht stand, hatten die Seinen, August und die
Geheimertin, nicht dulden wollen, da der
Dreiundsechzigjhrige, dieser zwar dauerhafte, aber
stets k rnk liche und lngst an unverbrchlichunentbehrliche Gewohnheiten gebundene Mann, sich
Unbilden aussetze, die schlimmer sich anlassen wollten
als die vom Jahre sechs. Die Beiden bestimmten ihn zu
schleuniger Abreise in sein geliebtes Bhmen, nach
Teplitz, wo er in {189}Sicherheit seiner Arbeit leben,
den dritten Band seiner Erinnerungen beenden
mochte, inde Mutter und Sohn zu Hause den
Schreck en der Stunde die Stirn boten. Das war in der
Ordnung, ich sage nichts dagegen, ich nicht. Es gab
andere, das will ich nicht verschweigen, die seine
Abreise tadelten und nur die egoistische
Selbstschonung eines groen Herrn darin sahen; aber
die anrck enden Blcherschen, denen sein Wagen
gleich hinter Weimar begegnete und die den Dichter
des Faust erk annten, dachten ersichtlich anders
darber, wenn sie nicht annahmen, er fhre nur

spazieren. Denn sie umringten ihn und baten ihn


treuherzig-k eck , in ihrer Ahnungslosigk eit, er mge
ihre Waffen segnen, wozu er sich nach einigem
Struben denn auch mit freundlichen Worten
verstand, eine schne Szene, nichtwahr? nur etwas
prek r, bek lemmend ein wenig durch das naive
Miverstndnis, das ihr zum Grunde lag.
Bis in den Hochsommer blieb unser Meister in
Bhmen. Dann, da es auch dort nicht mehr geheuer
war, k ehrte er zurck , doch nur fr wenige Tage; denn
da es eben damals schien, da die Oesterreicher von
Sdosten her auf Weimar marschierten, so bewog
August ihn gleich wieder zur Abreise: Er ging nach
Ilmenau und blieb dort bis in die ersten Septembertage.
Von da an freilich hatten wir ihn wieder in unserer
Mitte, und wenn man ihn liebt, so mu man sagen, da
er von dem, was ber uns k am, immer noch genug,
zuviel immer noch mitgetragen hat. Es war ja die Zeit
der schlimmsten Einquartierungslast, und auch sein
schnes Haus, dem man Frieden und Schonung
gewnscht htte, wurde zur Zwangsherberge: wohl
eine Woche lang hatte er tglich vierundzwanzig
Personen zu Tisch. Der oesterreichische
Feldzeugmeister Graf Colloredo lag bei ihm ein, Sie
haben gewi gehrt, denn viel war damals davon die
Rede: In sonderbarer Unbewutheit oder war es

Trotz? war es das Vertrauen, da groe Herren wie der


Graf und er in ihrer eigenen, den Leidenschaften der
Menge entrck ten {190}Sphre lebten? trat ihm der
Meister zur Begrung entgegen, das Kreuz der
Ehrenlegion auf dem Staatsk leide. Pfui Teufel! rief
Colloredo, grob genug. Wie k ann man so etwas
tragen?! Dies ihm! Er verstand es nicht. Dem
Feldzeugmeister verstummte er. Zu anderen aber
hernach hat man ihn sagen hren: Wie? Weil der
Kaiser eine Schlacht verloren hat, soll ich sein Kreuz
nicht mehr tragen? Die ltesten Freunde wurden
ihm unbegreiflich wie er auch ihnen. Dem
Oesterreicher folgte Minister von Humboldt, ihm geistig
verbunden seit zwanzig Jahren, ein ausgepichter
Weltbrger von je, wohl mehr als der Dichter, stets
hatte er das Leben im Auslande dem in der Heimat
vorgezogen. Seit anno 6 aber war er Preue, ein guter,
wie man wohl sagt, das heit berhaupt nichts anderes
mehr. Napolon hatte das fertig gebracht, man mu
es ihm lassen, er hat die Deutschen sehr verndert. Die
Milch weltfrommer Sinnesart des Nehmens und
Spendens hat er in ghrend Drachenblut verwandelt
und auch aus dem versatilen Humanisten von Humboldt
einen grimmigen Patrioten und Treiber zum
Freiheitsk riege gemacht. Soll man's dem Caesar als
Schuld anrechnen oder Verdienst, wie er uns den Sinn
gewendet und uns zu uns selbst gefhrt? Ich will nicht

urteilen.
Von dem, was damals zwischen dem preuischen
Minister und unserm Meister errtert wurde, sick erte
vieles durch, so manches davon ging in der Gesellschaft
von Mund zu Mund. Humboldt, Berliner Luft atmend,
hatte im Grunde schon seit Frhjahr erwartet, da,
wie der junge Krner, so auch die Shne Schillers und
Goethens fr die deutsche Sache zum Schwerte greifen
wrden. Jetzt forschte er nach des alten Freundes
Gesinnung, nach Augusts Entschlssen, um dsteren
Gleichmut bei diesem, bei jenem verdrielich tadelnden
Unglauben an das zu finden, was alle so gro, so
herrlich dnk te. Befreiung? hrte er bitter fragen.
Das sei eine Befreiung zum Untergehen. Das Heilmittel
sei schlimmer als die Krank heit. Na {191}polon besiegt
er sei es noch nicht, noch lange nicht. Er sei zwar wie
ein gehetzter Hirsch, aber das mache ihm Spa, und
noch immer k nne es sein, da er die Meute zu Boden
werfe. Gesetzt aber, er unterliege was dann? Sei
wirk lich das Volk erwacht und wisse es, was es wolle?
Ja, wisse irgend jemand, was werden solle nach des
Gewaltigen Fall? Die russische Weltherrschaft statt der
frnk ischen? Kosak en in Weimar es sei unter allem
nicht eben das, was er, der Meister, htte wnschen
wollen. Ob ihre Taten wohl lieblicher seien, als die der
Franzosen? Wir wrden ja von unseren Freunden nicht

minder gebrandschatzt, als vordem vom Feinde. Selbst


unsern Soldaten raube man die mhsam beschafften
Transporte, und unsere Verwundeten auf dem
Schlachtfeld wrden von ihren Verbndeten
ausgeplndert. Das sei die Wahrheit, die man mit
sentimentalen Fik tionen beschnigen wolle. Das Volk ,
seine Dichter einbegriffen, die sich mit Politik
ruinierten, befinde sich in einem Zustande widerlicher
und vllig unanstndiger Erhitzung. Kurzum, es sei ein
Graus.
Ein Graus, meine Teuerste, war es wirk lich. Das war
ja eben das Schlimme, das fr den Enthusiasmus
Beschmende, da das Entsetzen des Meisters alles
stndlich-unmittelbare Erleben, die Sinnlichk eit der
Dinge fr sich hatte. Es ist wahr: der Rck zug der
Franzosen und ihre Verfolgung zeitigten die
grlichste Zerstrung und Aussaugung. Unsere Stadt,
darin ein preuischer Landwehr-Oberst, ein rechter
Eisenfresser, dazu noch ein russischer und ein
oesterreichischer Etappenk ommandant das Regiment
fhrten, war stndig von Truppen verschiedener
Vlk er, durchziehenden und eingelagerten, bedrck t.
Vom eingeschlossenen Erfurt her strmten die
Blessierten, Verstmmelten, an Ruhr und Nervenfieber
Erk rank ten in unsere Lazarette, und nicht lange, so
griffen die Kriegsseuchen unter der Einwohnerschaft
um sich. Im November hatten wir fnfhundert

Typhusk rank e bei einer Population von 6000


{192}Seelen. Es gab k eine Aerzte all unsre Dok tors
hatten sich auch gelegt. Schriftsteller Johannes Falk
verlor vier Kinder in einem Monat, sein Haar
erbleichte. In manchem Haus k am nicht eine Seele
davon. Der Schreck en, die Angst vor Ansteck ung
drck ten alles Leben zu Boden. Eine Rucherung von
weiem Pech ging zweimal tglich durch die Stadt;
Totenk orb aber und Leichenwagen blieben
desungeachtet in schauerlicher Ttigk eit. Zahlreiche
Selbstmorde, verursacht durch Nahrungssorgen,
ereigneten sich.
Das war das uere Bild der Dinge, die Wirk lichk eit,
wenn Sie wollen, und wer nicht vermochte, sich ber
sie zu den Ideen der Freiheit und des Vaterlandes zu
erheben, war bel daran. Manche vermochten es doch:
die Professoren Luden und Passow voran; mit ihnen
Ottilie. Da unser Dichterfrst es nicht vermochte oder
ablehnte es zu tun, war unter all unsern Kmmernissen
vielleicht das bitterste. Wie er sich stellte, erfuhren wir
von seinem Sohne nur zu genau, er war ja nichts als
des Vaters Echo, und wenn dieser k indlich genaue
Anschlu an die vterliche Gesinnung sein Rhrendes
hatte, so lag doch auch etwas Unnatrliches darin, das
uns noch ber den Schmerz hinaus bek lemmte,
welchen seine Worte selbst uns verursachten.

Gesenk ten Hauptes, nur manchmal den Blick , dessen


Blue in Thrnen schimmerte, zu ihm erhebend, nahm
Ottilie es hin, wenn er schneidend von sich aus all das
wiederholte, was sein Erzeuger zu Humboldt und
anderen ber der Zeiten Jammer und Irrtum geuert.
Auch ber ihre Absurditt und Lcherlichk eit. Denn es
ist wahr, wenn man wollte, wenn man es ber sich
brachte, so k onnte man Absurdes, k onnte Lcherliches
finden in dem Gebahren der aufgeregten, berauschten,
von einheitlicher Leidenschaft zugleich erhobenen und
geistig herabgesetzten Menschen. In Berlin gingen
Fichte, Schleiermacher und Iffland bis an die Zhne
bewaffnet umher und lieen ihre Sbel auf dem Pflaster
k lirren. Herr v. Kotzebue, {193}unser berhmter
Theaterdichter, wollte eine Amazonenschar grnden,
und ich bezweifle nicht, da Ottilie, wr' es ihm
gelungen, imstande gewesen wre, sich dazu anwerben
zu lassen, ja wohl gar auch mich dazu hingerissen
htte, so exzentrisch mich heute bei k hlerem Kopf die
Idee auch anmutet. Es war nicht eben eine Zeit des
guten Geschmack s, das nicht, und wem es nur um
diesen zu tun war, nur um Kultur, Besonnenheit,
zgelnde Selbstk ritik , der k am nicht auf seine Kosten.
Er k am zum Exempel nicht darauf bei den Poesieen, die
jene aufgewhlte Epoche zeitigte, und die wir heute
wohl widrig fnden, ob sie uns gleich damals Trnen
popularischer Ergriffenheit in die Augen trieben. Das

ganze Volk dichtete, es schwelgte und schwamm in


Apok alypsen, Prophetengesichten, in blutigen
Schwrmereien des Hasses und der Rache. Ein Pfarrer
gab ein Spottpoem auf den Untergang der Groen
Armee in Ruland an Tag, das im Ganzen wie in seinen
Einzelheiten geradezu anstig war. Liebste, die
Begeisterung ist schn, allein wenn es ihr garzu sehr
an Erleuchtung fehlt und exaltierte Spiebrger in
heiem Feindesblut schwelgen, weil eben die
historische Stunde ihnen ihre bsen Lste freigibt, so
hat das selbstverstndlich sein Peinliches. Man mu es
gestehen: Was damals von wtenden Reim-Ergssen das
Land berflutete zur Verhhnung, Erniedrigung,
Beschimpfung des Mannes, vor dem die Tobenden noch
jngst in Furcht und Glauben erstorben waren, das
ging ber Spa und Ernst, durchaus ber Vernunft
und Anstand, umsomehr als es sich vielfach garnicht so
sehr gegen den Tyrannen wie gegen den
Empork mmling, den Sohn des Volk es und der
Revolution, den Bringer der neuen Zeit richtete. Selbst
meiner Ottilie bereiteten die so holprigen wie
schamlosen Schand- und Schimpfoden auf den
Schneidergesellen Nicolas stille Verlegenheit, ich
merk te es ihr ab. Wie htte da der Augustus deutscher
Kultur und Bildung, der Dichter der Iphigenie nicht
Betrbnis empfinden {194}sollen ber die

Geistesverfassung seines Volk es? Was nicht nach


Ltzows wilder Jagd k lingt, k lagte er und k lagte es
uns durch den Mund seines Sohnes , dafr hat k ein
Mensch k einen Sinn. Es tat uns weh; aber vielleicht
htten wir begreifen sollen, da er zugleich mit dem
blutdrstigen Gestmper auch die Lieder der
talentierten Freiheitssnger, der Kleist und Arndt,
verwarf und sie ein schlechtes Beispiel nannte, da
er sich vom Untergang seines Helden nur des Chaos
und der Barbarenherrschaft versah.
Sie sehen, ich suche, so wunderlich es mir zu
Gesichte stehen mag, den groen Mann zu verteidigen,
ihn zu entschuldigen von der Klte und Unteilnahme,
die er uns damals merk en lie, ich tue es umso lieber,
als seine Gesinnungsvereinsamung ihm selber viel Leid
verursacht haben mu, mochte er auch in literarischer
Hinsicht der Volk sentfremdung, der k lassischen
Distanz zum Popularischen schon lngst in gewissem
Grade gewohnt gewesen sein. Was ich ihm aber nicht
verzeihen k ann, nie und nimmer, das ist, was er
damals an seinem Sohne tat und was fr dessen
ohnedies dunk les Gemt und damit fr Ottiliens
Liebe so schwere, so qualvolle Folgen haben sollte.
Ende November des groen, furchtbaren Jahres denn
also erlie Durchlaucht der Herzog nach preuischem
Muster seinen Aufruf zum Freiwilligendienst, gedrngt
dazu durch das oeffentliche Begehren, durch die

Kampfeslust namentlich der Jenenser Professoren und


Studenten, die darauf brannten, die Musk ete zu tragen
und eine schwungvolle Frsprecherin in der Geliebten
Serenissimi, der schnen Frau von Heygendorf,
eigentlich Jagemann, hatten, da allerdings andere
Ratgeber des Frsten der Sache entgegen waren.
Minister von Voigt hielt dafr, das jugendliche Feuer
sei weislich zu dmpfen. Nicht ntig, nicht wnschbar,
meinte er, da gebildete Menschen marschierten;
Bauernburschen thten es auch und besser. Die
Studenten, die sich herandrngten, seien gerade die
wohlbe{195}gabtesten, wissenschaftlich
versprechendsten von Jena. Sie seien zurck zuhalten.
Der Meinung war auch unser Meister. Man k onnte
ihn ber die Freiwilligenfrage hchst mifllig reden
und gegen die Favoritin Ausdrck e gebrauchen hren,
die ich gar vor Ihnen nicht wiederholen k ann. Vor dem
Stand des Berufssoldaten, sagte er, habe er alle
Achtung, aber das Freiwilligenwesen, der Kleink rieg
auf eigene Hand und auer der Reihe, das sei eine
Anmaung und ein Unfug. Im Frhjahr war er bei
Krners in Dresden gewesen, deren junger Sohn mit
den Ltzowern ritt ohne Genehmigung, jedenfalls
ohne Billigung des Kurfrsten, der dem Kaiser in treuer
Verehrung anhing. Das sei im Grund ein rebellisches
Benehmen und dies ganze eigenmchtige Treiben von

Liebhaber-Soldaten eine Pfuscherei, mit der den


Behrden nur Ungelegenheiten bereitet wrden.
So der Gewaltige. Und mochte auch seine Distink tion
zwischen regulrem und freiwilligem Dienst ein wenig
k nstlich, ein wenig vorgeschoben sein, da ja berall
sein Herz nicht bei der vaterlndischen Sache war, so
mu man doch Eines sagen. Man mu sagen und
zugeben, da er im Punk te der Freiwilligen sachlich,
wenn auch nicht ideell gesprochen vollk ommen recht
behielt. Ihre Ausbildung war oberflchlich, sie leisteten
offen gestanden so gut wie nichts und erwiesen sich
prak tisch als berflssig. Sie hatten unfhige Offiziere,
zahlreiche Desertionen k amen unter ihnen vor, die
lngste Zeit war ihre Fahne berhaupt im Depot, und
nach dem Siege in Frank reich schick te der Herzog sie
mit einem Dank schreiben nach Hause, das eben nur
Rck sicht nahm auf die volk stmlich-poetische
Vorstellung von ihrer k riegerischen Herrlichk eit. Auch
sind sie voriges Jahr, vor Waterloo, k eineswegs wieder
aufgeboten worden. Aber dies nur am Rande. Ohne
Begeisterung wie er war, hatte unser Dichter gut
nchtern und k lar sehen in dieser Sache, und wenn er
von vornherein gegen das {196}Freiwilligenwesen war
und der Heygendorf Lsternheit und Soldatentollheit
nachsagte da sind mir nun doch ein paar von seinen
argen Ausdrck en entschlpft , so eben hauptschlich
darum, weil er im Grund seines Herzens gegen den

Befreiungsk rieg berhaupt und die Wallungen war, die


er mit sich brachte, mit immer erneutem Kummer
mu man es aussprechen.
Genug, der allerhchste Aufruf erging, die
Einschreibungen begannen, und 57 Jger zu Pferd, zu
Fue aber sogar 97 k amen zusammen. All unsere
Cavaliere, die ganze jngere Herrenwelt trug sich ein:
Kammerjunk er v. Gro, Oberhofmeister v. Seebach, die
Herren v. Helldorf, v. Hseler, Landrat von Egloffstein,
Kammerherr v. Poseck , den Vizeprsidenten v. Gersdorff
nicht zu vergessen, k urz, alle. Es war guter Ton, es
war de rigueur, aber eben da es das war, da die
patriotische Pflicht die gesellschaftliche Form
unerllichen Chics annahm, war das Schne und
Groe. August von Goethe k onnte garnicht umhin, sich
anzuschlieen, auf private Gesinnungen k am es nicht
an, sondern auf den Chic, den Ehrenpunk t, und er
schrieb sich ein, ziemlich spt, als fnfzigster Jger zu
Fu, ohne die Zustimmung seines Vaters eingeholt zu
haben, mit welchem es denn auch gleich nach
geschehenem Schritt zu einer hitzigen Szene
gek ommen sein soll: Schwachk pfig und
pflichtvergessen, so habe er, hrten wir, diesen Schritt
genannt und vor Aerger dann tagelang mit dem
Armen, der doch auch im Entferntesten nicht aus
Enthusiasmus gehandelt, k ein Wort gesprochen.

Wirk lich war er ohne den Sohn wohl schwierig


daran, und es gab nichts in ihm, was ihn ber die
Unbequemlichk eit hinweggehoben htte. Seit Dr.
Riemer das Haus verlassen und die Ulrich geheiratet
hatte (nicht zuletzt Augusts wegen, der unverzeihlich
hochfahrend, ja roh gegen den empfindlichen Mann
gewesen war) versah ein gewisser John
Sek retrsdienste bei dem Dichter, ein nicht gern
gesehener, wenig fhiger {197}Mann, der bald ganz
entlassen werden sollte und neben dem der Vater den
Sohn zu schriftlichen Arbeiten und hundert
Besorgungen wohl ernstlich brauchte. Aber ebenso
gewi ist, da die Vorstellung, ihn entbehren zu sollen,
ihn ganz unverhltnismig erregte, und da diese
Unverhltnismigk eit eben mit seiner Animositt
gegen die Freiwilligen-Idee zusammenhing und mit
weitergehenden Animositten, von denen jene
wiederum nur ein Ausdruck , fr die sie ein Vorwand
war. Um k einen Preis wollte er, da August ins Feld
zge und setzte von Stund an alles daran, es zu
verhindern. Er wandte sich an den Minister von Voigt,
an Durchlaucht den Herzog selbst. Die Briefe, in denen
er es tat und von deren Inhalt wir durch August
Kenntnis erhielten, k ann man nicht anders als
tassohaft bezeichnen, sie hatten die desperate und
ausschreitende Malosigk eit dieses seines anderen Ich.
Der Verlust des Sohnes, schrieb er, die Ntigung einen

Fremden in das Innerste seiner Korrespondenz, seiner


Produk tion, all seiner Verhltnisse einzulassen, wrde
seine Lage unertrglich, sie wrde sein Dasein
unmglich machen. Es war unverhltnismig, aber er
warf sein Dasein in die Wagschale, ein gewaltiges
Dasein: die Schale, in die es fiel, mute tief
hinabgedrck t werden, und der Minister, der Herzog
beeilten sich, ihm zu willfahren. Nicht gerade, da
August seinen Namen von der Liste der Freiwilligen
wieder lschen sollte, das ging ehren- und
schandenhalber nicht an. Was aber Voigt in Vorschlag
brachte und was Serenissimus, nicht ohne
Mundverziehen ber Augusts Bereitwilligk eit darauf
einzugehen, genehmigte, das war, da der junge Herr
vorderhand einmal mit Kammerrat Rhlmann zu den
Verhandlungen ber die militrischen
Verpflegungsgelder nach Frank furt, dem
Hauptquartier der Verbndeten gehen, zurck gek ehrt
aber beim Erbprinzen Karl Friedrich, dem nominellen
Chef der Freiwilligen, einen ebenso nominellen
Adjutantendienst versehen und seinem Vater zur
Verfgung bleiben sollte.
{198}So geschah es, und Gott sei's gek lagt, da es
also geschah! Zu Neujahr ging August nach Frank furt,
damit er nur nicht in Weimar wre an dem Tage es
war Ende Januar 14 da in der Stadtk irche seine

Standesgenossen, die Jger zu Fu und zu Pferd,


vereidigt wurden, und eine Woche nach ihrem
Abmarsch gen Flandern k ehrte er zurck , um sich zum
Adjutantendienst beim Prinzen zu melden. Er legte, wie
dieser, Jger-Uniform dazu an, und das nannte sein
Vater dem Hifthorn folgen. Mein Sohn ist dem
Hifthorn gefolgt, erk lrte er und tat, als sei alles in
schnster Ordnung. Ach, leider, das war es nicht. Das
Achselzuck en ber den Vierundzwanzigjhrigen, der
zu Hause blieb, war ganz allgemein, und jedermann
tadelte einen Vater, der nicht allein selbst das neue
patriotische Leben des deutschen Volk es so garnicht
teilte, sondern auch den Sohn zur Absonderung zwang.
Die Schiefigk eit von dessen Stellung zu seinen Gesellen,
den anderen Insk ribierten, die drauen Gefahren
ertrugen, war von vornherein k lar. Heimgek ehrt,
waren sie zu seinen Amts- und Lebensgenossen
bestimmt. War ein reines Verhltnis zwischen ihm und
ihnen denk bar? Wrden sie ihm Achtung, ihm
Kameradschaft gewhren wollen? Der Vorwurf der
Feigheit lag in der Luft und hier mu ich doch eine
gefhlte Bemerk ung einschalten ber des Lebens
Ungerechtigk eit und darber, wie es bei Einem recht
und natrlich sein lt, was es beim Andern als
unnatrlich verpnt und rcht, was aber freilich
wohl auf der Verschiedenartigk eit der Menschen und
darauf beruht, da aus tiefen persnlichen Grnden,

welche unser sittliches und aesthetisches Urteil


bestimmen, dem Einen k eineswegs recht ist, was dem
Anderen billig, vielmehr beim Einen als peinliche
Verzerrung erscheint, was man dem Anderen als ganz
gem und selbstverstndlich hingehen lt. Ich habe
einen Bruder, verehrte Frau, Arthur mit Namen, er
ist ein junger Gelehrter, ein Philosoph, nicht von
Hause aus, er war zum Geschftsmann bestimmt und
hatte {199}denn also manches nachzuholen: ich lie
schon einflieen, da er bei Dr. Passow in die
griechische Schule ging. Ein guter Kopf, ohne Zweifel,
wenn auch ein wenig bitter in seinem Urteil ber Welt
und Menschen, ich k enne Leute, die ihm eine groe
Zuk unft verheien, und wer ihm die grte verheit,
das ist er selbst. Nun denn: mein Bruder war auch von
der Generation, die ihre Studien fahren lie, um sich
in den Kampf zu werfen frs Vaterland, aber k eine
Seele mutete es ihm zu, niemand dachte auch nur
daran, da er's tun k nnte und zwar aus dem
eigentmlichen Grunde, weil, wer am wenigsten, wer
schon ganz und garnicht daran dachte, Arthur
Schopenhauer war. Er gab Geld her fr die Ausrstung
der Freiwilligen; mit ihnen zu ziehen, k am ihm
berhaupt nicht in den Sinn, mit der gresten
Natrlichk eit berlie er das jener Menschenart, die
er die Fabrik ware der Natur zu nennen pflegt. Und

niemand wunderte sich. Der Gleichmut, mit dem die


Menschen sein Verhalten hinnahmen, war
vollk ommen, er unterschied sich durch nichts von der
Gutheiung, und nie ist mir k larer geworden, da, was
uns sittlich, uns aesthetisch beruhigt, uns Billigung
abntigt, die Harmonie, die Stimmigk eit ist.
ber die nmliche Handlungsweise war in Augustens
Fall des sk andalisierten Nasermpfens k ein Ende. Ich
hre noch unsere liebe v. Stein: Der Goethe hat seinen
Sohn nicht wollen mit den Freiwilligen gehen lassen!
Was sagen Sie dazu? Der einzige junge Mensch von
Stand, der hier zu Hause geblieben! Ich hre noch
Frau von Schiller: Um k einen Preis, um nichts in der
Welt htte ich meinen Karl gehindert, hinauszugehen!
Seine ganze Existenz, sein Wesen wre zerk nick t
gewesen, der Junge wre mir melancholisch
geworden. Melancholisch, und wurde denn unser
armer Freund es nicht? Er war es immer gewesen. Aber
von diesem unseligen Zeitpunk t an vertiefte die
Trbigk eit seiner armen Seele sich mehr und mehr und
nahm Formen an, worin zerstrerische Neigungen, die
seiner Natur {200}schon immer nahe gelegen, zum
Durchbruch k amen: der unmige Weingenu, der
Umgang (ich frchte, Ihr Ohr zu verletzen!) mit
schlechten Weibern; denn seine Bedrftigk eit in dieser
Hinsicht ist immer stark gewesen, und wonach ein
sauberes Gemt sich fragt, ist nur, wie sie sich mit

seiner Schwermut und seiner von ihr berschatteten


Liebe zu Ottilien vertrug. Wenn Sie mich fragen denn
ungefragt wrde ich Bedenk en tragen, mich darber
zu uern , so war bei diesen Debauchen der Wunsch
im Spiel, sich seinen Manneswert, den die Gesellschaft
bezweifelte, auf anderem, freilich weniger edlem Feld
zu beweisen.
Meine Empfindungen bei alldem, wenn ich von ihnen
reden darf, waren die zusammengesetztesten. Mitleid
und Widerwillen stritten, was August betraf, um mein
Herz; mit der Verehrung fr seinen groen Vater stritt
darin, wie gewi bei vielen, die Mibilligung seines
zeitfremden Verbots an einen nur allzu gehorsamen
Sohn, dem groen Zuge seiner Generation zu folgen. In
alldies aber mischte sich heimlich die Hoffnung,
Augusts schmhliche Rolle, sein erschttertes Ansehen,
seine stadtbek annten Ausschweifungen mchten ihm
das Gefhl meines Lieblings entfremden, ich mchte des
Kummers ber dies ungeme, gefahrdrohende
Verhltnis endlich durch Ottiliens Verzicht, durch
ihren Bruch mit einem jungen Mann berhoben sein,
dessen Verhalten ihren heiligsten berzeugungen so
sehr entgegen war und dessen Umgang derzeit eine so
zweifelhafte Ehre brachte. Meine Teuerste diese
Hoffnung ging fehl. Ottilie, die Patriotin, die
Verehrerin Ferdinand Heink e's, stand zu August, sie

hielt fest an der Freundschaft mit ihm, sie


entschuldigte, ja verteidigte ihn in Gesellschaft bei
jeder Gelegenheit. Was man ihr bles ber ihn
hinterbrachte, weigerte sie sich entweder zu glauben
oder sie legte es hochherzig im Sinn einer
romantischen Traurigk eit aus, einer Dmonie, zu
deren Erlserin das liebe Kind sich berufen fhlte.
{201}Adele, sagte sie wohl, glaube mir, er ist nicht
schlecht, auf k eine Weise, mgen die Menschen auch
schmhlen ber ihn wie sie wollen! Ich verachte sie
und wollte, da er besser diese Verachtung zu teilen
wte, dann wrde er ihrer Bosheit weniger Stoff
zum Hecheln liefern. Im Widerstreit zwischen den
k alten, heuchlerischen Menschen und einer einsamen
Seele, wirst du deine Ottilie immer auf der Seite des
Einsamen finden. Kann man zweifeln an dem edlen
Seelengrund des Sohnes dieses Vaters? Auch liebt er
mich ja, Adele, und ich, sieh, bin ihm Liebe schuldig
geblieben. Ich habe das groe Glck unser groes
Glck mit Ferdinand genossen, und indem ich es in der
Erinnerung weiter geniee, k ann ich nicht umhin, es
Augusten als ein Guthaben anzurechnen, als eine
Schuld, an deren Einlsung sein dunk ler Blick mich
mahnt. Ja, ich bin schuldig vor ihm! Denn wenn wahr
ist, was man ihm nachsagt und wovor mir freilich
schaudert, ist es nicht die Verzweiflung um
meinetwillen, die ihn dazu vermag? Denn, Adele,

solange er an mich glaubte, war er ja anders!


So sprach sie mehr als einmal zu mir, und auch hier
waren meine Empfindungen geteilt und strittig. Denn
es grmte mich, zu sehen, da sie nicht losk am von
dem Unseligen, und da der Gedank e, sich ihm nach
dem Wunsch seines groen Vaters auf ewig zu ergeben,
wie ein Angelhak en in ihrer Seele sa. Aber auch
sen Trost wiederum und sittliche Beruhigung flten
ihre Worte mir ein; denn wenn mich bei ihrem
Preuentum, ihrem k riegerisch-vaterlndischen Sinn
zuweilen heimlich eine Bangigk eit hatte anwandeln
wollen, ob wohl gar in ihrem feinen und lichten Krper
ein rohes, barbarisches Seelchen wohne, so lie ihr
Verhalten zu August, das Gewissen, das sie sich
seinetwegen aus ihrer Neigung zu der schnen,
einfachen Heldengestalt unseres Heink e machte, mich
den verfeinerten Edelmut, die zarte Schichtung ihrer
Seele erk ennen, und ich liebte sie deswegen noch
einmal so herzlich, wodurch freilich wieder auch meine
Sorge um sie sich verdoppelte.
{202}Im Mai dieses Jahres 14 k am die Kalamitt mit
August auf ihren Gipfel. Der Feldzug war beendet, Paris
erobert, und am einundzwanzigsten des Monats
k ehrten die Weimarer Freiwilligen, verdient nicht
gerade zum Hchsten um das Vaterland, aber doch
ruhmgek rnt und gefeiert, in die Heimat zurck . Ich

hatte diesen Augenblick immer gefrchtet, und er


bewhrte alle ihm innewohnende Milichk eit. Die
Herren scheuten sich nicht, den zu Hause gebliebenen
Standesgenossen ihren Hohn und Spott unverblmt und
aufs grausamste merk en zu lassen. Einmal mehr ward
ich bei dieser Gelegenheit gewahr, wie gering mein
Glaube ist an die bermchtige Echtheit der
Empfindungen, aus welchen die Menschen zu handeln
vorgeben. Nicht aus sich selbst handeln sie, sondern
nach Magabe einer Situation, die ihnen ein
bestimmtes, k onventionelles Verhaltungsk lischee an die
Hand gibt. Ist es Grausamk eit, wozu die Situation
Erlaubnis gibt desto besser. Unbedenk lich und
grndlich ntzen sie diese Erlaubnis aus, machen so
ausgiebigen Gebrauch von ihr, da man nicht zweifeln
k ann: Die meisten Menschen warten nur darauf, da
endlich einmal die Umstnde ihnen Roheit und
Grausamk eit freigeben und ihnen gestatten, nach
Herzenslust brutal zu sein. August hatte die Naivett
oder Trutzigk eit, den Kameraden in der Uniform der
freiwilligen Jger entgegenzutreten, wie es ihm als
Adjutanten des prinzlichen Ehren-Chefs durchaus
gebhrte. Besonders damit aber man k ann es auch
wieder verstehen forderte er den Hohn der Kmpfer,
ihre Beleidigungen heraus. Nicht umsonst sollte
Theodor Krner gedichtet haben: Pfui ber den Buben
hinter dem Ofen, unter den Schranzen und hinter den

Zofen! Bist doch ein ehrlos erbrmlicher Wicht! Die


Verse paten vortrefflich und wurden laut genug
citiert. Besonders tat ein Rittmeister v. Werthern-Wiehe
sich in dem Eifer hervor, einer der Roheit so gnstigen
Situation das Letzte abzugewinnen. Er war es, der eine
Anspielung auf Augustens Geburt und {203}Blut machte,
welche, so sagte er, sein feiges und unk avaliersmiges
Betragen denn wohl zur Genge erk lrten. Herr von
Goethe htte sich mit dem nie gebrauchten Sbel auf
ihn gestrzt, wenn man ihm nicht in den Arm gefallen
wre. Eine Duellforderung unter schweren
Bedingungen war das Ergebnis der Szene.
Der Geheime Rat sa um diese Zeit im Bade Berk a
hier in der Nhe und schrieb am Epimenides. Er hatte
den vom Berliner Intendanten Iffland ihm gemachten
Antrag, ein Festspiel zur Heimk ehr des preuischen
Knigs abzufassen, fr so ehrenvoll und verlock end
erachtet, da er andere poetische Geschfte
zurck gestellt hatte, um seine mehrdeutig-seltsame,
von allen Festspielen der Welt so hochpersnlich
unterschiedene Siebenschlfer-Allegorie zu entwerfen.
Doch schm' ich mich der Ruhestunden, dichtete er,
und: Zum Abgrund mu er doch zurck . Hierbei
betraf ihn der Brief einer Verehrerin und Dame des
Hofs, Frau von Wedel, der ihm die Lage Augusts, seinen
Zusammensto mit dem Rittermeister und was sich

daraus zu ergeben im Begriffe war, warnend meldete.


Sofort traf der groe Vater Gegen-Manahmen. Seine
Verbindungen spielen zu lassen, sein Ansehen in die
Schanze zu schlagen, um den Sohn, wie vom
Schlachtendienst, so auch vom Duell zu befreien,
bereitete ihm, wie ich ihn zu k ennen glaube, eine
gewisse Genugtuung noch ber die Sorge um Augusts
Leben hinaus; denn immer hat er seine Freude an der
aristok ratischen Ausnahme, an distinguierter
Ungerechtigk eit gehabt. Er ersuchte die Warnerin um
ihre Vermittlung, er schrieb an den Ersten Minister.
Ein hoher Beamter, Geheimrat v. Mller k am nach
Berk a, der Erbprinz wurde, der Herzog selbst mit dem
Handel befat, der Rittmeister zu einer Entschuldigung
angehalten, der Streitfall applaniert. August, von
hchster Stelle gedeck t, war unangreifbar, die
k ritischen Stimmen senk ten sich, aber sie verstummten
nicht; der unterbliebene Zwei {204}k ampf verschrfte
eher die ffentliche Geringschtzung seines
Mannestums, man zuck te die Achseln, man mied ihn,
k ein harmlos gemtlicher Verk ehr zwischen ihm und
den Kameraden war hinfort auch nur denk bar, und
obgleich Herr von Werthern gerade wegen jener
rck sichtslosen Anspielung von oben her eine scharfe
Nase erhalten hatte, ja mit Arrest bestraft worden war,
so tat sich doch auch der Gedank e an Augusts
unregelmige Geburt, seine Halbbltigk eit, wenn man

so sagen darf, der fast vergessen gewesen war, wieder


strk er im Bewutsein der Menschen hervor und ging
in den Tadel seines Verhaltens ein. Da sieht man es,
hie es. Und Woher soll's denn auch k ommen?
Hinzufgen mu man freilich, da die Geheime Rtin
in ihrer Lebensfhrung dem Ernst der Zeiten wenig
Rechnung getragen und durch ihre Vergngungssucht
dem Gerede immerfort Stoff nicht bsen Stoff, aber
doch lcherlich-unwrdigen gegeben hatte.
Am Ende sprach es fr das Ehrgefhl von Ottiliens
schwerflligem Hofmacher, da er sich die Sache tief
und leidvoll zu Herzen nahm; und zwar lie er uns, da
er es tat, auf eine sonderbar indirek te Weise gewahr
werden: nmlich an seiner zunehmend
leidenschaftlichen, ja verbohrten Verehrung fr den
besiegten Heros, den Mann von Elba. In der
schwrmerischen Treue zu ihm, der Verachtung der
Abtrnnigen, die nicht erinnert sein wollten, da sie
eben noch den Napolonstag als des Jahres hchsten
begangen, suchte er seinen Trost und Stolz
begreiflicher Weise; denn litt er nicht mit ihm und fr
ihn? Trug er nicht Spott und Schande, weil er nicht
mit den anderen gegen ihn zu Felde gezogen war?
Gegen einen ber die Stimmungen und Tagesmoden der
Menge erhabenen Vater k onnte er offen den Gram ber
seine Bemak elung in der Form anhnglicher

Begeisterung fr den Kaiser zum Ausdruck bringen; er


tat es auch gegen uns, rck sichtslos und in
hartnck igem Drange, ungeachtet er durch solche
Reden Ottiliens Emp{205}findungen mit Fen trat;
und so duldend sie, freilich Thrnen in ihren schnen
Augen, seine egoistischen Exzesse ber sich ergehen
lie (denn sich selbst tat er ein Gutes damit,
gleichgltig gegen den Schmerz, den er anderen
zufgte, ja vielleicht noch angespornt durch ihn), so
schien meinen geheimen Wnschen nun dennoch
Erfllung zu wink en; denn da das zart-gewissenhafte
Gefhl meiner Freundin fr August diesen
Mihandlungen auf die Dauer standhalten wrde, war
umso unwahrscheinlicher, als sich hinter seinem
insistenten Napolonk ult noch etwas anderes verbarg,
oder vielmehr k aum verbarg, sich darein k leidete und
auch wieder nack t und blo daraus hervortrat:
nmlich die Eifersucht auf den jungen Heink e, der
wieder unter uns weilte, und den August unablssig vor
unseren Ohren als den Erztyp des der Barbarei
verbndeten und Csars k ontinentalen Heilsplan
stupide durchk reuzenden Teutomanen verhhnte.
Ja, unser Findling war wieder in Weimar, genau
gesagt: schon zum zweiten Mal war er wieder da. Nach
der Schlacht bei Leipzig bereits hatte er einige Wochen
lang als Adjutant des preuischen Befehlshabers in
unserer Stadt Dienst getan, auch wieder in der

Gesellschaft verk ehrt und sich der allgemeinen


Beliebtheit erfreut. Jetzt, nach dem Fall von Paris, war
er aus Frank reich zurck gek ehrt, geschmck t mit dem
Eisernen Kreuz; und Sie verstehen wohl, da, dieses
heilige Zeichen auf seiner Brust zu sehen, unsere
mdchenhaften Gefhle, und namentlich diejenigen
Ottiliens, fr den herrlichen Jngling zum freudigsten
Aufflammen brachte. Was dabei ein wenig dmpfend
wirk te, war das gleichmig-sonnig-freundliche, das
immer dank bare, aber einigermaen zurck haltende
Betragen, dessen er sich bei hufigem Zusammensein,
wie immer schon, gegen uns befleiigte und das, wir
gestanden es uns, mit den Empfindungen, die wir ihm
entgegenbrachten, nicht ganz bereinstimmen wollte.
Gar bald sollte es seine natrliche und {206}fr uns
auch das sei gestanden leise ernchternde Lsung
finden. Ferdinand entdeck te uns, was er uns bisher, sei
es aus welchem Grunde immer, verhehlt hatte, was uns
zu offenbaren er nun doch wohl fr seine Pflicht hielt:
da daheim in preuisch Schlesien eine geliebte Braut
seiner warte, die er nchstens heimzufhren gedachte.
Die gelinde Verlegenheit des Gefhls, in die diese
Erffnung uns Freundinnen versetzte, wird zu
begreifen sein. Ich rede nicht von Schmerz, von
Enttuschung, dergleichen k onnte nicht statthaben,
denn unser Verhltnis zu ihm war das einer ideellen

Begeisterung und Bewunderung, vermischt allenfalls


mit dem Bewutsein jenes Anrechtes auf seine
liebenswerte Person, das uns als seinen Erretterinnen
zustand. Er war uns mehr eine Personifik ation als eine
Person mge auch das eine vom andern nicht immer
k lar zu trennen, sondern zu erwgen sein, da es am
Ende die Eigenschaften der Person sind, die sie
befhigen, zur Personifik ation zu werden. Auf jeden
Fall hatten unsere Empfindungen fr den jungen
Helden oder, da ich hier billig zurck trete hatten
die Ottiliens sich niemals mit k onk reten Hoffnungen
und Wnschen verbinden k nnen, da solche bei
Ferdinands schlichter Herk unft als Pelzhndlerssohn
nicht hatten aufk ommen k nnen. Unter diesem
Standes-Gesichtspunk t war, wie ich zuweilen wohl
dachte, immer noch eher ich es, die solche Gedank en
htte hegen k nnen; ja, in schwachen Stunden
trumte ich davon, da der Liebreiz meiner ihm
unerreichbaren Freundin fr den mir fehlenden
eintreten und mir den Jngling zu einem Bunde
gewinnen mchte, vor dessen grlichen Gefahren ich
freilich sofort erschaudernd zurck schreck en mute
nicht ohne sie mit einem gewissen belletristischen
Interesse ins Auge zu fassen; denn ich sagte mir, da
meine Trumerei wohl wrdig sei, von einem Goethe
zum Gegenstand einer zartesten sittlich-sinnlichen
Darstellung gemacht zu werden.

{207}Kurzum, nichts von Enttuschung und k eine


Rede davon, da wir uns im Mindesten von unserem
Teueren htten verraten fhlen k nnen und drfen!
Mit der herzlichst beglck wnschenden Teilnehmung
begegneten wir seinem Gestndnis, etwas beschmt nur
durch die Schonung, die er uns so lange hatte
angedeihen lassen und die wir doch gern auch weiter
genossen htten. Denn eine gewisse Verwirrung und
Verwundung, ein halb eingestndliches Leidwesen war
dennoch mit der Erfahrung von Ferdinands Gebundenund Vergebensein verk npft; etwas Unbestimmtes,
nicht zu Bestimmendes an Traum und Hoffnung k am in
Wegfall, was bisher unseren freundschaftlichen
Umgang mit ihm verst hatte. Wir aber, ohne es
ausdrck lich zu vereinbaren und doch wie auf
Verabredung, suchten diesem leisen Migefhl zu
entrinnen, indem wir entschlossen seine Braut in
unsere Verehrung, unsere Schwrmerei mit
einbezogen, welche denn fortan zu einem Doppelk ult
des Heldenjnglings und seiner Trauten wurde, dieses
deutschen Mdchens, an dessen Wrdigk eit wir uns
jeden Zweifel verboten und das wir uns halb wie eine
Thusnelda, halb aber auch, oder vorwiegend, wie
Goethes Dorothea vorstellten allerdings natrlich mit
blauen und nicht mit schwarzen Augen.
Wie soll ich es erk lren, da wir Augusten Heink es

Verlobtheit ebenso verschwiegen wie dieser selbst sie


uns lange verschwiegen hatte? Ottilie wollte es so, und
wir sprachen uns ber die Grnde nicht aus. Ich mu
sagen: es wunderte mich; denn sie empfand doch ihre
patriotische Neigung zu dem jungen Krieger dem
melancholischen Liebhaber gegenber als eine
Schuld, da aber diese Neigung, selbst noch
abgesehen von den gesellschaftlichen Umstnden,
k einerlei Gefahr fr diesen berge, da man sie zielund aussichtslos nennen k onnte, wollte sie ihn nicht
wissen lassen, obgleich doch die Nachricht seiner
Beruhigung entschieden gedient und ihn
mgli {208}cher Weise sogar gegen Ferdinand
gleichgltig-freundlicher gestimmt htte. Bereitwillig
brigens folgte ich ihrer Vorschrift. Des
Kammerassessors Migunst, seine gehssige Art von
Ferdinand zu sprechen verdienten den Trost, die
Genugtuung nicht. Und dann: Wrde seine Gereiztheit
ihn nicht eines Tages zu weit die unausgesetzte
Beleidigung von Ottiliens Gefhl nicht endlich zu dem
Bruche fhren, den ich um ihres Seelenheiles willen im
Stillen ersehnte?
Verehrte Zuhrerin, so geschah es. Zunchst einmal
wenigstens und fr den Augenblick ging es nach
meinen geheimen Wnschen. Unsere Begegnungen und
Zusammenk nfte mit Herrn von Goethe nahmen um
diese Zeit einen immer prek reren, immer

streitbareren Charak ter an; Szene folgte auf Szene;


August, dster leidend unter seiner Diffamierung,
seiner ungetrsteten Eifersucht, ermdete nicht, sich
in Vorwrfen und Klagen ber den Verrat an unserer
Freundschaft mit ihm zu ergehen, begangen mit einem
gut gewachsenen Dummk opf und teutschen Michel;
Ottilie, freilich immer ohne ihm von Heink es
schlesischen Bewandtnissen etwas zu sagen, zerflo, in
ihrer Treue gek rnk t, an meinem Halse in Thrnen,
und endlich k am es zum Eclat, in dem, wie immer,
Politisches und Persnliches sich vermischten: Eines
Nachmittags im Garten der Grfin Henck el, erging
August sich wieder einmal in frenetischer
Verherrlichung Napolons, nicht ohne die Ausdrck e,
deren er sich zur Herabsetzung seiner Gegner bediente,
deutlichst auf Ferdinand zu mnzen. Ottilie erwiderte
ihm, indem sie ihrem Abscheu vor jener Vlk ergeiel
freien Lauf lie und der Jugend, die glorreich wider sie
aufgestanden, auch ihrerseits durchaus die Zge
unseres Helden verlieh; ich sek undierte ihr; August,
bleich vor Zorn, erk lrte mit erstick ter Stimme, alles
sei zwischen ihm und uns zu Ende, er k enne uns nicht
mehr, wir seien Luft fr ihn von nun an und verlie in
voller Rage den Garten.
{209}Ich, obwohl erschttert, fand mich am Ziel
meiner Wnsche, bek annte Ottilien auch offen, da ich

mich dort sah und suchte sie unter Aufbietung all


meiner Beredsamk eit ber das Zerwrfnis mit Herrn
von Goethe zu trsten, indem ich ihr vorhielt, da das
Verhltnis mit ihm nie und nimmer zu etwas Gutem
htte fhren k nnen. Ich hatte gut reden. Mein
Liebling befand sich in der grausamsten Lage und
dauerte mich unaussprechlich. Bedenk en Sie! Der
Jngling, den sie mit Begeisterung liebte, gehrte einer
anderen, und derjenige, dem sie in schnem
Erlsungsdrange das Opfer ihres Lebens zu bringen
bereit war, hatte ihr den Rck en gewandt, nachdem er
ihr in wilden Worten die Freundschaft vor die Fe
geworfen. Nicht genug damit! Wenn sie sich in ihrer
Verlassenheit an den Busen ihrer Mutter warf, so
wandte sie sich an ein Herz, das selbst soeben von
furchtbarer Enttuschung getroffen war und
seinerseits des Trostes zu bedrftig war, als da es
welchen auszuspenden htte die Kraft haben sollen:
Ottilie war nach dem vernichtenden Auftritt mit
August auf meinen Rat fr einige Wochen zu ihren
Verwandten nach Dessau gereist, mute aber, von
einem Eilboten zurck gerufen, ber Hals und Kopf
nach Hause k ehren. Niederschmetterndes war
geschehen. Graf Edling, der zrtliche Hausfreund und
Vormund, das Vice-Vterchen, der schnste Mann des
Herzogtums, auf dessen Freierwort, dessen Hand Frau
von Pogwisch so entschieden gerechnet und zu rechnen

soviel Grund gehabt, hatte Knall und Fall, ohne ber


die Hoffnungen, die er erregt, auch nur ein Wort zu
verlieren, eine zugereiste Prinzessin Sturdza aus der
Moldau geheiratet!
Welch ein Herbst und Winter, meine Teuere! Ich rufe
dies aus nicht sowohl weil im Februar Napolon von
Elba floh und aufs Neue besiegt werden mute, sondern
im Hinblick auf die Zumutungen, welche das Schick sal
an Mutter und Tochter die Proben, auf die es die
Kraft und Wrde ihrer Seelen stellte, {210}und die sehr
verwandt waren. Frau von Pogwisch war gentigt, bei
Hofe fast tglich mit dem Grafen, sehr hufig auch mit
seiner Jungvermhlten zusammenzutreffen und, den
Tod im Herzen, uerlich nicht nur lchelnde
Freundschaft zu wahren, sondern dies auch unter den
Augen einer mit ihren gescheiterten Hoffnungen sehr
wohl vertrauten schadenfrohen Welt zu tun. Ottilie,
berufen, ihr in dieser fast ber Menschenk raft
gehenden Bewhrung zu assistieren, hatte dabei in
mglichst guter Haltung die ebenfalls der Gesellschaft
bald bek annte und von ihr mit Neugier beobachtete
Brouillerie mit Herrn von Goethe zu bestehen, der sie
nicht ansah, sie in finsterer Ostentation brsk ierte
und schnitt. Und mein Teil war es, mich zwischen
diesen Miverhltnissen bek lommen
hindurchzuwinden, verdeten Herzens auch

meinerseits; denn k urz vor Weihnachten hatte


Ferdinand uns verlassen, um sich nach Schlesien zu
begeben und seine Thusnelda oder Dorothea in
Wirk lichk eit hie sie Fanny heimzufhren, und so
wenig die Natur mich seinetwegen zu irgendwelchen
eigenen Hoffnungen berechtigt, so k arg sie mich immer
auf die Rolle der Vertrauten verwiesen hatte: den
vollen Schmerz ber seinen Verlust gestattete sie auch
mir, mochte sie ihm in meinem Fall auch ein gewisses
Erleichterungsgefhl, ja etwas wie sanfte Genugtuung
beimischen. Denn immerhin ist es fr eine Hliche
leichter, zusammen mit einer Schnen den Kult der
Erinnerung an den entschwundenen Helden ihrer
Trume zu betreiben, wie wir es nun wieder taten, als
sich mit ihr in das ungleiche Glck seiner k rperlichen
Gegenwart zu teilen.
War also mir durch unseres Jnglings Entfernung
und seine Vereinigung mit einer Dritten bei aller
Entbehrung doch auch eine willk ommene Beruhigung
gewhrt, so sah ich mit Befriedigung dergleichen auch
fr Ottilien aus dem Zerwrfnis mit August erwachsen.
Ja, bei aller gesellschaftlichen Peinlichk eit, die es mit
sich brachte, gestand sie mir doch, es tue ihr wohl, sie
{211}empfinde es als Glck und Befreiung, da nun alles
zwischen ihr und jenem zu Ende sei und ihr Herz sich
in gleichgltigem Frieden ausruhen mge von den
entnervenden Zwiespltigk eiten, worin dies Verhltnis

es je und je gehalten. Desto ungestrter k nne sie nun


das hehre Angedenk en Ferdinands feiern und ihrer
bedauernswerten Mutter sich trstlich widmen. Das
war gut zu hren; allein meine Zweifel, ob ich wirk lich
ihretwegen ausgebangt haben drfe, wollte es nicht
gnzlich beschwichtigen. August war Sohn, das war
die Haupteigenschaft seines Lebens. In ihm hatte man
es mit dem groen Vater zu tun, der ganz gewi den
Bruch mit dem Persnchen nicht billigte, ohne dessen
Erlaubnis ganz gewi der Sohn ihn vollzogen hatte,
und der ebenso gewi seine Autoritt spielen lassen
wrde, um ihn wieder zu heilen. Da er eine
Verbindung wnschte und betrieb, vor der mir graute,
war mir bek annt; des Sohnes trbe Leidenschaft fr
Ottilie war nur der Ausdruck , das Resultat dieses
Wunsches und Willens. Er liebte in ihr den Typ seines
Vaters; seine Liebe war Nachahmung,
berk ommenheit, Hrigk eit, ihre Verleugnung ein Ak t
falscher Selbstndigk eit, eine Auflehnung, deren
Nachhaltigk eit und Widerstandsk raft ich leider gering
anschlagen mute. Und Ottilie? Hatte sie sich wirk lich
von dem Sohn dieses Vaters gelst? Durfte ich sie
wirk lich als gerettet betrachten? Ich zweifelte und
zweifelte mit Recht.
Die Erschtterung, mit der sie gewisse, damals sich
hufende Nachrichten ber Augustens Lebensart

aufnahm, lie mich die Berechtigung meines


Unglaubens nur zu k lar erk ennen. Vieles k am ja
zusammen, den jungen Mann des moralischen Halts zu
berauben, ihn die Betubung suchen zu lassen und ihn
Lastern in die Arme zu treiben, zu denen seine auf eine
zweifelhafte Art robuste, auf eine unheimliche Art
sensuelle Natur von jeher geneigt hatte. Seine
gesellschaftliche Bemak elung durch die unselige
Freiwilligen-Geschichte, sein Zerwrfnis mit Ottilie,
{212}der innere und wahrscheinlich auch uere
Konflik t, in den er durch dieses mit seinem Vater und
also recht eigentlich mit sich selbst geraten war: ich
reihe das auf nicht um das Wstlingsleben zu
entschuldigen, dem er sich nach allgemeinem
Gemunk el berlie, aber doch, um es zu erk lren. Wir
hrten davon von vielen Seiten, unter anderem durch
Schillers Tochter Karoline und ihren Bruder Ernst, im
Zusammenhang mit Klagen ber Augustens schon nicht
mehr leidliches, streitschtig wild und grob
auffahrendes Wesen. Es hie, er spreche dem Weine
malos zu und sei bei Nacht in trunk enem Zustande in
eine schimpfliche Schlgerei verwick elt worden, die
ihn sogar Bek anntschaft mit dem Polizei-Arrest habe
machen lassen, nur um seines Namens willen sei er
alsbald wieder in Freiheit gesetzt und die ble Sache
vertuscht worden. Sein Umgang mit Frauen, die man
nur als Weibsstck e bezeichnen k ann, war

stadtbek annt. Der Pavillon des Gartens an der


Ack erwand, den der Geheime Rat ihm zur Ausbreitung
seiner Mineralien- und Fossilien-Sammlung eingerumt
hatte (denn August wiederholte und betrieb den
Sammeleifer des Vaters auf eigene Hand) diente ihm,
wie es scheint, fters bei seinen Abirrungen. Man
wute von seiner Liebschaft mit einer Husarenfrau,
deren Mann das Verhltnis duldete, weil das Weib
Geschenk e nach Hause brachte. Es war eine Latte, lang
und eck ig, wenn auch sonst eben nicht hlich, und
die Leute lachten, weil er Worte zu ihr gesagt haben
sollte wie: Du bist der Tag meines Lebens!, was sie aus
Eitelk eit selbst herumbrachte. Man lachte auch ber
eine halb sk andalse, halb gewinnende Geschichte:
da der alte Dichter dem Paare eines Tags gegen
Abend im Hausgarten unversehens begegnet sei und
blo gesagt habe: Kinder, lat euch nicht stren!,
worauf er sich unsichtbar gemacht habe. Ich k ann
mich fr das Vork ommnis nicht verbrgen, halte es
aber fr echt, denn es stimmt berein mit einem
gewissen moralischen Wohlwollen um nichts andres
zu sagen des {213}groen Mannes, das Viele ihm zum
Vorwurf machen, ber das aber ich mich jedes Urteils
enthalte.
Nur ein Diesbezgliches lassen Sie mich
auszusprechen versuchen, worber ich oft gegrbelt

habe nicht mit dem besten Gewissen brigens,


vielmehr unter Zweifeln, ob es mir oder berhaupt
jemandem anstehe, solchen Gedank en nachzuhngen.
Ich meinte nmlich zu sehen, da gewisse
Eigenschaften, die sich beim Sohn hchst unglck lich
und zerstrerisch hervortun, schon bei dem groen
Vater sich vorgebildet finden, ob es gleich schwer ist,
sie als die nmlichen wiederzuerk ennen und ob auch
Ehrfurcht und Piett von solchem Wiedererk ennen
abschreck en mchten. Denn in dem vterlichen Falle
halten sie sich in einer noch glck lichen, fruchtbaren
und liebenswrdigen Schwebe und gereichen der Welt
zur Freude, da sie als Sohneserbe auf eine grobe,
geistverlassene und unheilvolle Weise sich
manifestieren und in ihrer sittlichen Anstigk eit
offen und unverschmt zu Tage treten. Nehmen Sie ein
so herrliches und bezauberndes, ja, auch sittlich
bezauberndes Werk wie den Roman Die
Wahlverwandtschaften Oft ist gegen diese geniale
und hchstverfeinerte Ehebruchsdichtung von
philisterlicher Seite der Vorwurf der Unmoral erhoben
worden, und Sache eines k lassischen Gefhls war es
selbstverstndlich, ihn als plump und bigott
zurck zuweisen oder auch nur die Achseln darber zu
zuck en. Und doch, meine Teuere, ist es zuletzt weder
mit dem einen noch mit dem anderen getan. Wer
wollte, bei seinem Gewissen genommen, leugnen, da

tatschlich in diesem erlauchten Werk ein Element des


sittlich Fragwrdigen, Betulichen, ja verzeihen Sie
mir das Wort! des Heuchlerischen waltet, ein
bedenk liches Versteck spiel mit der Heiligk eit der Ehe,
ein laxes und fatalistisches Zugestndnis an die
Naturmystik Selbst der Tod, sehen Sie, er, den wir
wohl als das Mittel der sittlichen Natur verstehen
sollen, sich ihre Freiheit zu salvieren, ist er nicht in
Wahrheit {214}als Vorschub und letzte seste Zuflucht
der Konk upiszenz empfunden und dargestellt? Ach,
ich wei wohl, wie absurd, wie lsterlich es scheinen
mu, in Augustens Zgellosigk eit und Wstlingsleben
eine andere, unerfreulich gewordene Erscheinungsform
von Anlagen zu sehen, aus denen ein Geschenk an die
Menschheit wie jenes Romanwerk k am. Auch sprach
ich ja schon von den Gewissenssk rupeln, womit
zuweilen die k ritische Erforschung der Wahrheit
verbunden ist, und in denen das Problem sich aufwirft,
ob die Wahrheit etwas durchaus Erstrebenswertes und
unsrer Erk enntnis zur Aufgabe Gesetztes ist oder ob es
verbotene Wahrheiten gibt.
Ottilie nun zeigte sich von den Nachrichten ber
Herrn von Goethes Wandel viel zu bewegt und
schmerzlich verstrt, als da ihr wirk liches
Dsinteressement an seiner Person mir htte glaubhaft
sein k nnen. Ihr Ha auf die Husarenfrau war

offenk undig, ein Ha, dem man auch einen


genaueren Namen htte geben mgen. Die Gefhle
eines reinen Frauenzimmers fr solche Geschpfe,
denen der Mann ihrer Aufmerk samk eit seine
Sinnengunst zuwendet, und die sich gegen sie in einem
so niedrigen wie fak tischen Vorteil befinden, sind
gewi ein Abgrund. Verachtung und Abscheu k nnen
die verworfene Rivalin nicht tief genug unter die
eigene Lebenswrde herabsetzen; aber jene furchtbar
spezielle Form des Neides, die Eifersucht heit, hebt sie
wider Willen doch auch wieder zur eigenen Schichte
empor und macht einen ebenbrtigen Gegenstand des
Hasses aus ihr, ebenbrtig durch das Geschlecht.
Auch lt sich vermuten, da die Sittenlosigk eit des
Mannes, bei allem Grauen, das sie erregt, doch auch
wieder eine tiefe, furchtbare Anziehungsk raft auf eine
solche Seele ausbt, welche selbst eine schon
absterbende Neigung aufs neue anzufachen vermag
und, da im Edlen alles edel wird, die Gestalt der
Opferbereitschaft, des Wunsches annimmt, durch die
eigene Hingabe den Mann seinem besseren Selbst
wiederzugeben.
{215}Mit einem Worte: ich war alles andere als
sicher, da mein Liebling einen
Wiederannherungsversuch Augusts nicht gnstig
aufnehmen werde, und er, wrde er nicht frher oder
spter zu einem solchen Schritte angehalten sein

durch den hheren Willen, der hinter dem Seinen


stand, und gegen den er durch den Bruch mit ihr eine
nutzlose Revolte versucht hatte? Meine Erwartungen,
meine Befrchtungen erfllten sich. Juni vorigen
Jahres ich erinnere mich des Abends als wr's der
gestrige gewesen standen wir bei Hofe zu viert in der
Spiegelgalerie: Ottilie und ich, dazu unsere Freundin
Karoline von Harstall und ein Herr von Gro, als
August, den ich lngst sich um uns bewegen, sich hatte
heranpirschen sehen, zu unserer Gruppe trat und sich
ins Gesprch mischte. Er sprach im Anfang zu
niemandem besonders, richtete dann aber es war ein
uerst gespannter und von uns allen Beteiligten viel
Selbstbeherrschung fordernder Augenblick einige
Fragen und Aeuerungen direk t an Ottilie. Die
Conversation ging im Weltton, sie roulierte auf Krieg
und Frieden, die Totenlisten, die Lebensbek enntnisse
seines Vaters, den preuischen Ball und seinen
vorzglichen Cotillon; August aber hatte dabei ein
Himmeln der Blick e, das zu der formellen
Gleichgltigk eit seiner und unserer Worte nicht pate,
und auch bei der Verabschiedung, als wir unsern Knix
vor ihm machten (denn ohnehin hatten wir weggehen
wollen) himmelte er stark .
Hast Du sein Himmeln gesehen? fragte ich Ottilien
auf der Treppe. Ich sah es, erwiderte sie, und es hat

mir Besorgnis gemacht. Glaube mir, Adele, ich wnsche


nicht, da er zur alten Liebe zurck k ehrt, denn ich
wrde die alte Qual gegen eine Gleichgltigk eit
tauschen, in der ich mich wohlbefinde. So ihre
Worte. Aber der Bann war gebrochen, die oeffentliche
Fehde beendet. Im Theater und sonst in der
Gesellschaft suchte Herr von Goethe weitere
Annherungen; und wenn Ottilie auch das Alleinsein
mit ihm vermied, das er anstrebte, so ge{216}stand sie
mir doch, da sie vom Blick seines Auges, der sie an
alte Zeiten erinnere, sich oft seltsam gerhrt fhle,
und da bei dem grenzenlos unglck lichen Ausdruck ,
mit dem er sie manchmal ansehe, das alte Schuldgefhl
gegen ihn sich in ihrem Herzen erneue. Sprach ich ihr
dann von meiner Angst, von dem Unheil, dessen ich
mich von dem Umgang mit dem wilden, zerstrenden
Menschen vershe, mit dem k eine Freundschaft
denk lich sei, weil er immer mehr fordern werde, als,
wenn ich ihr glauben drfe, sie zu geben bereit sei, so
antwortete sie: Sei ruhig mein Herz, ich bin frei und
bleibe es fr immer. Sieh, da hat er mir ein Buch
geliehen, Pinto's Wunderliche Weltreise in 21 Tagen,
und noch hab' ich's nicht angesehen. Wenn es von
Ferdinand wre wt' ich's nicht auswendig? Das
war schon recht. Da sie ihn nicht liebte, glaubte ich
wohl. Aber war das ein Trost, eine Sicherheit? Sah ich
doch, da sie gebannt war von ihm und von dem

Gedank en, die Seine zu werden, wie das Vgelchen von


der Schlange.
Mir war der Kopf verrck t, wenn ich sie als Augusts
Frau dachte; und doch, worauf sonst sollte das alles
hinauslaufen? Dinge geschahen, die mir das Herz
zerrissen, unfaliche Dinge. Meine berzeugung, da
dieser Unglck liche sie zerstren werde, schien sich im
Voraus bewhren zu sollen, denn vorigen Herbst
erk rank te mein Liebling ernstlich, wahrscheinlich
infolge des inneren Zwiespalts: Drei Wochen lag sie mit
Gelbsucht, einen Bottich mit Teer unterm Bett, worin
sich zu spiegeln bei dieser Krank heit heilsam sein soll.
Als sie aber, genesen, mit jenem wieder in Gesellschaft
zusammentraf, da schien er sie berhaupt nicht
vermit, ihre Absenz nicht bemerk t zu haben! Kein
Wort, nicht eine Sylbe zeugte vom Gegenteil!
Ottilie war auer sich, sie erlitt einen Rck fall und
mute sich noch einmal acht Tage im Teere spiegeln.
Dem Himmel, schluchzte sie an meiner Brust, htte
ich fr ihn entsagen k nnen, und er betrog mich!
Was denk en Sie aber? Was {217}glauben Sie? Vierzehn
Tage spter k ommt das arme Geschpf totenbleich zu
mir und berichtet mir starren Blick s, August habe ihr
von der zuk nftigen Verbindung mit ihm in aller Ruhe
wie von einer abgemachten Sache gesprochen! Wie
wird Ihnen dabei zu Mute? Ist etwas Unheimlicheres

denk bar? Er hatte sich ihr nicht erk lrt, sie nicht um
ihre Liebe gebeten, man k ann auch nicht sagen, er
htte gesprochen von der Heirat mit ihr; er hatte ihrer
vielmehr mit schauriger Beilufigk eit Erwhnung
getan. Und Du? rief ich. Ich beschwre Dich,
Tillemuse, mein Herz, was hast Du ihm geantwortet?!
Verehrteste, sie gestand mir, das Wort habe sich ihr
versagt.
Begreifen Sie, da ich mich emprte gegen die
dstere Unverfrorenheit des Verhngnisses? Ein
Bollwerk wenigstens stand ihr denn doch noch
entgegen in der Person der Frau, deren Existenz
zweifellos ein ernstes Hindernis bilden wrde, wenn
Herr von Goethe, wie es schlielich erforderlich war,
bei Ottiliens Mutter und Gromutter um sie anhielt: in
der Person der Geheimen Rtin, Christianens, der
Demoiselle. Meine Teuerste, verwichenen Juni ist sie
gestorben. Dahingefallen ist dieser Ansto, ja mehr
noch: bedrohlichst hat durch den Todesfall die Lage
sich zugespitzt, denn Augusts Sache ist es nunmehr, in
das vterliche Haus eine neue Herrin einzufhren.
Durch Trauer gebunden, dazu bei stille werdender
Jahreszeit, sah er Ottilie den Sommer hin freilich nur
selten. Dafr trat ein Begebnis ein, von dem ich Ihnen
k eine genauere Rechenschaft zu geben wei, weil es
von halb heiterem und halb bek lemmendem Geheimnis
umgeben ist, ber dessen fatale Wichtigk eit aber k ein

Zweifel bestehen k ann. Anfang August hatte Ottilie an


der Ack erwand eine Begegnung mit dem Geheimen Rat,
Deutschlands groem Dichter.
Ich wiederhole: ber ihren Verlauf mu ich die
Ausk unft schuldig bleiben, denn ich besitze k eine. Mit
einer Scherzhaftigk eit, die nichts Erheiterndes hat,
verweigert Ottilie sie mir; {218}ihr gefllt es, das
Vork ommnis in eine Art von neck isch feierlichem
Geheimnis zu hllen. Will er doch selbst, antwortet sie
lchelnd, wenn ich in sie dringe, ber sein Gesprch
mit dem Kaiser Napolon sich nie recht auslassen,
sondern verschliet das Gedchtnis daran vor der Welt,
und vor Freunden selbst, als ein eiferschtig gehtet
Gut. Vergieb mir, Adele, wenn ich mir ihn darin zum
Muster nehme und la dir mit der Nachricht gengen,
da er reizend zu mir war.
Er war reizend zu ihr, ich berliefere es Ihnen,
teuerste Frau. Und mit dieser Zeitung schliee ich
meine Novelle, die, wie Sie sehen, von der charmanten
Sorte ist, an deren Ende eine Verlobung steht oder
doch als nahe Verheiung wink t. Wenn k ein Wunder
geschieht, wenn nicht der Himmel sich ins Mittel legt,
so drfen Hof und Stadt das Ereignis zu Weihnachten,
gewi aber zu Sylvester erwarten.

{219}Sechstes

Kapitel

Dem Bericht Demoiselle Schopenhauers ist hier


ungestrter Zusammenhang gewahrt worden. In
Wirk lichk eit wurde der schsisch gefrbte Redeflu
ihres breiten, gebten Mundes zweimal unterbrochen:
in der Mitte und gegen das Ende hin, beide Male durch
Kellner Mager, der, sichtlich leidend unter seiner
Pflicht, und unter instndigen Entschuldigungen im
Parlour room erschien, um neue Meldungen
vorzubringen.
Zum ersten war es die Zofe der Frau Geheimen
Kammerrtin Ridel, die er ansagen mute. Die
Abgesandte befinde sich im unteren Flur, berichtete er,
und frage dringend nach dem Befinden und Verbleib
der Frau Hofrtin, um deren Person an der Esplanade,
wo das Mittagessen verderbe, schon groe
Beunruhigung herrsche. Vergebens habe Mager ihr
k lar zu machen gesucht, das Eintreffen des illustren
Gastes des Elephanten bei ihrer Frau Schwester
verzgere sich durch wichtige Empfnge, in denen zu
stren er, Mager, der Mann nicht sei. Die Mamsell
habe ihn dennoch, nach einigem Warten, zu diesem
Schritt gezwungen und auf der Kundmachung ihrer
Anwesenheit lebhaft bestanden, da sie die strik te

Ordre habe, sich der Frau Hofrtin zu bemchtigen


und sie nach Hause zu bringen, wo Unruhe und Hunger
schon bergro seien.
Charlotte hatte sich gerteten Angesichts erhoben,
mit einer Miene, einer Bewegung, die den Beschlu:
Ja, es ist unverantwortlich! Welche Zeit ist es denn?
Ich mu fort! Wir mssen's diesmal unterbrechen aufs
bestimmteste anzuk ndigen schien. berraschender
Weise aber setzte sie sich nach diesem Anlauf sogleich
wieder und uerte das Gegenteil des Erwarteten.
Es ist gut, Mager, sagte sie, ich wei, er platzt
uns nicht gern da schon wieder herein. Sag er der
Mamsell, sie soll sich {220}gedulden oder gehen am
besten, sie geht und richtet der Frau Kammerrtin aus,
man mge doch ja mit dem Essen nicht auf mich
warten, ich folge nach, sobald die Geschfte es mir
erlauben, und zur Beunruhigung meinetwegen sei k ein
Anla. Natrlich sind Ridels beunruhigt, wer wre es
nicht, ich bin es auch, denn ich wei lngst nicht
mehr, was die Glock e ist, und habe mir selbst das alles
durchaus nicht so vorgestellt. Es ist aber, wie es ist,
und ich bin nun einmal k eine Privatperson, sondern
mu hhere Ansprche anerk ennen, als ein wartendes
Mittagessen. Sag' er das der Mamsell, und sie mge
ausrichten, ich htte mich mssen abzeichnen lassen
und dann mit Herrn Dok tor Riemer ber wichtige
Dinge deliberieren, jetzt aber htte ich hier dem

Vortrag dieser Dame zu folgen und k nne nicht mitten


drin auf und davon gehen. Sag' er ihr das nebst dem
von den hheren Ansprchen und dem von der
Beunruhigung, die mir auch nicht fremd sei, nur msse
ich mich damit einrichten und liee bitten, ein
Gleiches zu tun.
Sehr wohl, ich dank e, hatte Mager befriedigt und
voller Verstndnis erwidert und sich entfernt, worauf
denn Mlle Schopenhauer ihre Erzhlung etwa dort, wo
die jungen Mdchen nach ihrem Funde im Park auf
Flgeln des Entzck ens stadtwrts getragen worden
waren, mit ausgeruhtem Munde wieder aufgenommen
hatte.
Da der Kellner zum zweiten Mal k lopfte, geschah
erst in der Gegend der Geschichte, wo es sich um die
Husarenfrau und die Wahlverwandtschaften
drehte. Er hatte entschiedener gek lopft, als vorhin,
und trat mit einer Miene herein, die anzeigte, da er
diesmal zur Strung sich voll legitimiert fhle und
k eine Sk rupel noch Zweifel ihn deswegen plagen
drften. Seiner Sache sicher, verk ndigte er:
Herr Kammerrat von Goethe.
Es war Adele, die bei dieser Meldung vom Sofa
aufgesprungen war, wiewohl auch Charlottens
Sitzenbleiben auf nichts {221}weniger als Gelassenheit,
sondern eher auf ein gewisses Versagen der Krfte

gedeutet hatte.
Lupus in fabula! rief Frulein Schopenhauer. Ihr
guten Gtter, was nun? Mager, ich darf dem Herrn
Kammerrat nicht begegnen! Sie mssen das einrichten,
Mann! Sie mssen mich auf irgend eine Weise an ihm
vorbeibugsieren! Ich verlasse mich auf Ihre Umsicht!
Mit Grund, Frulein, hatte Mager erwidert, mit
Grund. Ich habe von Ohngefhr mit einem solchen
Wunsche gerechnet, denn ich k enne die Zartheit der
gesellschaftlichen Beziehungen und wei, da man
niemals wissen k ann. Ich habe dem Herrn Kammerrat
erffnet, da Frau Hofrtin im Augenblick noch
beschftigt ist und ihn in die untere Trink stube
gebeten. Er nimmt ein Glschen Madeira, und ich habe
die Flasche dazugestellt. So bin ich in der Lage, den
Damen anheimzugeben, ihre Conversation zu beenden
und werde dann um den Vorzug bitten, das Frulein
ungesehen ber den Flur zu geleiten, bevor ich den
Herrn Kammerrat benachrichtige, da Frau Hofrtin
ihn empfangen k ann.
Fr diese Anordnung war Mager von beiden Damen
belobt worden und war wieder gegangen. Adele aber
hatte gesagt:
Teuerste Frau, ich bin mir der Gre des
Augenblick s bewut. Der Sohn ist da das bedeutet
Botschaft vom Vater. Auch ihm, den sie am meisten
angeht, ist Ihre Anwesenheit schon bek annt

geworden wie denn auch nicht, das Aufsehen ist


gro, und Weimars Fama ist eine leichtgeschrzte
Gttin. Er sendet nach Ihnen, er prsentiert sich Ihnen
in der Person seines Sprossen ich bin tief bewegt, ich
halte, erschttert wie ich ohnedies von den
Gegenstnden bin, die ich Ihnen darlegen durfte, k aum
die Thrnen zurck . Diese Annherung ist von so
unvergleichlich grerer Bedeutung und Dringlichk eit
als die meine, da ich garnicht daran denk en darf,
Sie etwa in Berck sichtigung des Umstandes, da der
Kammerrat mit Ma {222}deira versehen ist zu bitten,
meinen Bericht zu Ende zu hren, bevor Sie die
Botschaft entgegennehmen. Ich denk e nicht daran,
Verehrteste, und beweise durch mein Verschwinden
Bleiben Sie, mein Kind, hatte Charlotte mit
Bestimmtheit geantwortet, und nehmen Sie, wenn's
gefllig ist, Ihren Platz wieder ein! Eine Pastellrte
bedeck te die Wangen der alten Dame, und ihre sanften
blauen Augen schimmerten fiebrig, aber ihre Haltung
auf dem Sofasitz war auerordentlich aufrecht,
beherrscht und zusammengenommen. Der
Gemeldete, fuhr sie fort, mge sich ein Kleines
gedulden. Ich beschftige mich ja mit ihm, indem ich
Ihnen zuhre und bin brigens gewhnt, in meinen
Geschften Ordnung und Reihenfolge zu halten. Ich
bitte, fahren Sie fort! Sie sprachen von einem

Sohneserbe, von einer liebenswrdigen Schwebe


Ganz recht! hatte sich Demoiselle Schopenhauer in
raschem Niedersitzen erinnert. Nehmen Sie ein so
herrliches Werk wie den Roman Und in erhhtem
Tempo, in den flssigsten Kadenzen und mit
unglaublicher Zungenfertigk eit hatte Adelmuse ihre
Erzhlung zum Abschlu gebracht, ohne sich brigens
nach dem letzten Wort mehr als ein k urzes Atemholen
zu gnnen. Vielmehr geschah es ohne jeden Verzug,
nur mit einem gewissen Wechsel des Tonfalls, da sie
nun fortfuhr:
Dies sind die Dinge, die vor Sie zu bringen, teuerste
Frau, es mich unwiderstehlich drngte, sobald ich von
Ihrer Gegenwart erfuhr. Der Wunsch, es zu tun, wurde
sogleich eins mit dem, Sie zu sehen, Ihnen meine
Huldigung darzubringen, und um seinetwillen habe ich
mich schuldig gemacht vor Line Egloffstein, indem ich
ihr mein Vorhaben verschwieg und sie von diesem
Besuche ausschlo. Liebste! Verehrteste! Das Wunder,
von dem ich sprach, ich erhoffe es von Ihnen. Wenn
sich, wie ich sagte, der Himmel noch im letzten
Augenblick ins Mittel legen will, um eine Verbindung
zu verhten, deren Verk ehrtheit und Gefahren mir die
Seele abdrck en, Ihrer, so fuhr es mir durch {223}den
Sinn, mchte er sich wohl zu diesem Ende bedienen
und hat Sie vielleicht dazu hergefhrt. Sie werden in
wenigen Minuten den Sohn, in wenigen Stunden, wie

ich vermute, den groen Vater sehen. Sie k nnen


Einflu nehmen, k nnen warnen, Sie drfen es! Sie
k nnten Augustens Mutter sein Sie sind es nicht, weil
Ihre berhmte Geschichte anders verlief, weil Sie sie
anders wollten und lenk ten. Die reine Vernunft, den
heilig festen Sinn fr das Richtige und Geme, mit
dem Sie es thaten, fhren Sie ihn auch hier ins Feld!
Retten Sie Ottilien! Sie k nnte Ihre Tochter sein, sie
scheint es zu sein: eben darum schwebt sie heute in
einer Gefahr, der Sie selbst einst die ehrwrdigste
Besonnenheit entgegensetzten. Seien Sie Mutter dem
Ebenbilde Ihrer Jugend denn das ist sie, als solches
wird sie geliebt von einem Sohn, durch einen Sohn.
Behten Sie das Persnchen, wie der Vater sie
nennt, behten Sie sie, gesttzt auf das, was Sie
diesem Vater einst waren, davor, das Opfer einer
Faszination zu werden, die mir so unaussprechlich
bange macht! Der Mann, dem Sie in Ihrer Weisheit
folgten, ist dahin, die Frau, die Augustens Mutter
wurde, ist auch nicht mehr. Sie sind allein mit dem
Vater, mit dem, der Ihr Sohn sein k nnte, und der
Lieblichen, die Ihr Tochterbild ist. Ihr Wort k ommt dem
einer Mutter gleich, legen Sie es ein gegen das
Falsche, Verderbliche! Dies meine Bitte, meine
Beschwrung
Mein bestes Kind! sagte Charlotte. Was verlangen

Sie von mir? Worein wollen Sie da ich mich mische?


Als ich mit schwank enden Gefhlen, aber freilich mit
der lebhaftesten Anteilnahme Ihrer Erzhlung
lauschte, dachte ich nicht, da sich ein solches
Zutrauen, um nicht zu sagen: ein solches Ansinnen
daran k npfen werde. Sie verwirren mich nicht nur
durch Ihre Bitte, sondern auch durch die Art wie Sie
sie begrnden. Sie stellen mich in Beziehungen
hinein wollen mich verpflichten, indem Sie mich alte
Frau eine Wiederk ehr sehen lassen meinerselbst Sie
scheinen wahr haben zu wol {224}len, da durch den
Hingang der Geheimen Rtin mein Verhltnis zu dem
groen Mann, den ich ein Leben lang nicht gesehen,
sich gendert habe und zwar in dem Sinn, da es mir
Mutterrechte gewhre an seinem Sohn Geben Sie das
Absurde und Erschreck ende dieser Auffassung zu! Es
k nnte ja scheinen, alsob ich diese Reise
Wahrscheinlich habe ich Sie miverstanden. Verzeihen
Sie! Ich bin mde von den Eindrk k en und
Anstrengungen dieses Tages, deren mich, wie Sie
wissen, noch eine oder die andere erwartet. Leben Sie
wohl, mein Kind, und haben Sie Dank fr Ihre schne
Mitteilsamk eit! Glauben Sie nicht, da diese
Verabschiedung eine Abweisung bedeutet! Die
Aufmerk samk eit, mit der ich Ihnen zuhrte, mge
Ihnen dafr brgen, da Sie sich an k eine
Teilnahmlose wandten. Vielleicht habe ich Gelegenheit,

zu raten, zu helfen. Sie werden verstehen, da ich vor


Empfang der Botschaft, die ich erwarte, nicht wissen
k ann, ob ich berall in die Lage k ommen werde, Ihnen
zu dienen
Sie blieb sitzen, whrend sie Adelen, die
aufgesprungen war, um ihren Hofk nix zu exek utieren,
gtig lchelnd die Hand hinstreck te. Ihr Kopf hatte
sein zitterndes Nick en ber dem des jungen Mdchens,
das, ebenso hoch erhitzt wie sie, sich zu einem
verehrenden Ku ber die dargereichte Hand beugte.
Dann ging Adele. Charlotte verharrte einige Minuten
allein, gesenk ten Hauptes, in dem Zimmer ihrer
Empfnge auf ihrem Sofaplatz, bis Mager k am und
wiederholte:
Herr Kammerrat von Goethe.
August trat ein, die braunen, nahe beisammen
liegenden Augen in neugierigem Glanz, aber mit
schchternem Lcheln auf Charlotte gerichtet. Auch
sie sah ihm mit einer Dringlichk eit entgegen, die sie
durch ein Lcheln abzuschwchen suchte. Das Herz
k lopfte ihr bis zum Halse, zusammen mit der
Hitzigk eit ihrer Wangen, mochte sie auch von
beranstrengung herrhren, war das zweifellos
lcherlich, wenn hoffent {225}lich zugleich auch reizend
fr einen Beobachter von einiger Leutseligk eit. Ein
solches Schulmdel gab es wohl k aum noch einmal bei

dreiundsechzig Jahren. Er selbst war 27, vier Jahre


lter geworden gegen damals, k onfuser Weise war
ihr, als trennten sie von jenem Sommer nur die vier
Jahre, die dieser hier vor dem jungen Goethe von
damals voraus hatte. Lcherlich abermals es waren
vierundvierzig. Eine ungeheuere Zeitmasse, das Leben
selbst, das lange, einfrmige und doch so bewegte, so
reiche Leben, reich, das heit k inderreich, mit elf
mhsamen Segenszeiten, elf Kindbetten, elf Zeiten der
nhrenden Brust, die zweimal verwaist und nutzlos
zurck geblieben, weil man den allzu zarten Kostgnger
wieder der Erde hatte zurck erstatten mssen. Und
dann noch das Nachleben von allein schon sechszehn
Jahren, die Wittib- und Matronenzeit, wrdig
verblhend, allein, ohne den Gatten und Vielvater, der
schon voran war in den Tod und den Platz neben ihr
leer gelassen hatte, Zeit der Lebensmue, nicht mehr
beansprucht von Ttigk eit und Gebren, von einer
Gegenwart, strk er als das Vergangene, von einer
Wirk lichk eit, die den Gedank en ans Mgliche
berherrscht htte, soda denn fr die Erinnerung,
fr alles unerfllte Wenn nun aber des Lebens, fr
das Bewutsein ihrer anderen Wrde, der
auerbrgerlichen, geisterhaften, die nicht
Wirk lichk eits- und Mutterwrde, sondern Bedeutung
und Legende war und in der Vorstellung der Menschen
eine von Jahr zu Jahr grere Rolle gespielt hatte, weit

mehr Raum und erregende Einbildungsk raft war


gelassen worden, als in der Epoche der Geburten
Ach, die Zeit und wir, ihre Kinder! Wir welk ten in
ihr und stiegen hinab, aber Leben und Jugend waren
allezeit oben, das Leben war immer jung, immer war
Jugend am Leben, mit uns, neben uns Abgelebten: wir
waren noch zusammen mit ihr in derselben Zeit, die
noch unsere und schon ihre Zeit war, k onnten sie noch
anschauen, ihr noch die runzellose Stirn k ssen,
{226}der Wiederk ehr unserer Jugend, aus uns
geboren Dieser hier war nicht von ihr geboren,
htte es aber sein k nnen, was sich besonders gut
denk en lie, seitdem dahin war, was dagegen sprach,
seitdem nicht nur der Platz an ihrer, sondern auch der
an der Seite des Vaters, des Jungen von einstmals, leer
war. Sie prfte ihn mit den Augen, die Hervorbringung
der Anderen, k ritisch, mignstig, musterte seine
Gestalt, ob sie ihn nicht besser wrde in die Welt
gesetzt haben. Nun, die Demoiselle hatte ihre Sache
passabel gemacht. Er war stattlich, er war sogar schn,
wenn man wollte. Ob er ihr hnlich sah? Sie hatte den
Bettschatz nie gesehen. Mglicherweise k am die
Neigung zur Dick lichk eit von ihr, er war zu stark fr
seine Jahre, wenn auch die Gre es leidlich
balancierte: der Vater war schlank er gewesen zu ihrer
Zeit, der verschollenen Zeit, die ihre Kinder noch

ganz anders geprgt und k ostmiert hatte, schick lich


gebundener sowohl, mit den gerollten Puderhaaren und
der Zopfschleife im Nack en, wie zugleich auch
lock erer, den Hals genialisch offen im Spitzenhemd,
statt des braunlock ichten Wuschelhaars, das dem
Gegenwrtigen ungepudert, in nachrevolutionrem
Naturzustande, die halbe Stirn bedeck te und von den
Schlfen als k rauses Back enbrtchen in den spitz
hochstehenden Hemdk ragen verlief, worin das
jugendlich weiche Kinn sich mit fast drolliger Wrde
barg. Unbedingt, wrdiger und gesellschaftlich
gemessener, ja offizieller gab sich der gegenwrtig
Junge in seiner hohen, die Oeffnung des Kragens
fllenden Binde. Der braune, modisch weit
aufgeschlagene berrock mit Aermeln, die an den
Schultern hochstanden und an deren einem ein
Trauerflor sa, umspannte k napp und k orrek t die
etwas feiste Gestalt. Elegant, den Ellbogen angezogen,
hielt er den Cylinderhut, die Oeffnung nach oben, vor
sich hin. Und dabei schien diese formelle und allem
Phantastischen abholde Tadellosigk eit gegen ein nicht
ganz Geheueres, brgerlich nicht ganz Einwandfreies,
wenn auch recht {227}Schnes aufk ommen und es in
Vergessenheit bringen zu sollen das waren die Augen,
weich und schwermtig, von einem, man htte sagen
mgen: unerlaubt feuchten Glanz. Es waren die Augen
Amors, der anstiger Weise der Herzogin

Geburtstagsverse hatte berreichen drfen, die Augen


eines Kindes der Liebe
Das genau vererbte Dunk elbraun dieser leicht
ungehrigen Augen und ihr nahes Beisammenliegen
war es, was immer noch im Spielraum der Sek unden,
in denen der junge Mann hereintrat, sich vorlufig
verbeugte und sich ihr nherte sie pltzlich
empfnglich machte fr Augusts Aehnlichk eit mit
seinem Vater. Es war eine anerk annte Aehnlichk eit
und so frappant wie im Einzelnen schwer nachweisbar:
gegen eine geringere Stirn, eine schwunglosere Nase,
einen k leineren und weiblicheren Mund behauptete sie
sich unverk ennbar, eine schchtern getragene, im
Bewutsein ihrer Herabgesetztheit etwas traurig
gefrbte und gleichsam um Entschuldigung bittende
Aehnlichk eit, die sich aber auch in der Krperhaltung,
den zurck genommenen Schultern, dem vorgespannten
Rumpf, sei es k opierender Weise, sei es als echt
k onstitutionelle Mitgift, nicht verleugnete. Charlotte
war tief gerhrt. Der abgewandelt-unzulngliche
Versuch des Lebens, den sie vor sich sah, sich zu
wiederholen und wieder obenauf in der Zeit, wieder
Gegenwart zu sein, dieser erinnerungsvolle Versuch,
der, ebenbrtig dem Einstigen freilich nur hierin,
Jugend und Gegenwart gewinnend fr sich hatte,
erschtterte die alte Frau so sehr, da, whrend der

Sohn Christianens sich ber ihre Hand beugte es


ging ein Duft von Wein und von Eau de Cologne dabei
von ihm aus ihr Atmen zu einem k urzen, bedrngten
Schluchzen wurde.
Zugleich fiel ihr ein, da in gegenwrtiger Gestalt
die Jugend von Adel war.
Herr von Goethe, sagte sie, seien Sie mir
willk ommen! Ich {228}wei Ihre Aufmerk samk eit zu
schtzen und freue mich, so bald nach meiner Ank unft
in Weimar die Bek anntschaft des Sohnes eines lieben
Jugendfreundes zu machen.
Ich dank e fr gtigen Empfang, erwiderte er und
lie einen Augenblick in k onventionellem Lcheln
seine etwas zu k leinen, weien jungen Zhne sehen.
Ich k omme von meinem Vater. Er ist im Besitz Ihres
sehr angenehmen Billets und hat es vorgezogen, statt
Ihnen briefweise zu antworten, Sie, Frau Hofrtin,
durch meinen Mund in unsrer Stadt willk ommen zu
heien, wo Ihre Anwesenheit, wie er sagte, zweifellos
hchst belebend sein wird.
Sie mute lachen in ihrer Rhrung und
Benommenheit.
O, das heit viel erwarten, sagte sie, von einer
lebensmden alten Frau! Und wie geht es unserem
verehrten Geheimen Rat? fgte sie hinzu und deutete
auf einen der Sthle, auf denen sie mit Riemer
gesessen. August nahm ihn und setzte sich umstndlich

zu ihr.
Dank e der Nachfrage, sagte er. So so. Wir
wollen und mssen zufrieden sein. Er ist im Ganzen
guter Dinge. Grund zur Sorge oder doch Vorsorge gibt
es immer, die Labilitt, die Anflligk eit bleiben
betrchtlich, und groe Regelmigk eit der Fhrung
wird sich immer empfehlen. Darf ich mich meinerseits
erk undigen, wie Frau Hofrtin gereist sind? Ohne
Zwischenfall? Und auch das Logis befriedigt? Die
Nachricht wird meinem Vater sehr lieb sein. Man hrt,
der werte Besuch gilt Ihro Frau Schwester, der werten
Geheimen Kammerrtin Ridel. Er wird das gefhlteste
Vergngen erregen in einem Hause, das die Oberen
schtzen und die Unterstellten einhellig verehren. Ich
darf mir schmeicheln, mit dem Herrn Geheimen
Kammerrat amtlich und persnlich in reinstem
Vernehmen zu stehen.
Charlotte fand seine Ausdruck sweise altk lug und
unnatrlich gemessen. Schon hchst belebend war
seltsam gewesen; {229}das reinste Vernehmen und
anderes lcherten sie auch. Riemer htte so sagen
k nnen, nur da es sich im Munde des blutjungen
Menschen viel sonderbarer, in seiner Pedanterie
geradezu excentrisch ausnahm. Charlotte fhlte
deutlich, da es eine angenommene Redeweise war
offenbar ohne da der Redende sich der Affek tation im

Geringsten bewut war; denn sie stellte fest, da er


sich aus dem unwillk rlichen Zuck en in ihrem Gesicht
nichts machte, es nicht beachtete, weil er es nicht
verstand und seine Ursache ihm fernlag. Dabei k onnte
sie nicht umhin, die Wrde und Steifigk eit seiner
Worte gegen das zu halten, was sie von seinen
Bewandtnissen wute, was sie aus jenem groen,
befeuchteten Munde ber ihn gehrt hatte. Sie dachte
an sein penchant zur Flasche, an die Husarenfrau,
daran, da er einmal auf der Wache gewesen, da
Riemer vor seiner Grobheit geflohen war; sie mute
zugleich damit an seine prek re, nur k nstlich
gedeck te gesellschaftliche Stellung seit der
Freiwilligen-Geschichte denk en, an den unterdrck ten
Vorwurf der Feigheit und Unk avaliersmigk eit, den
er zu tragen hatte; und ber dem allen war da der
Gedank e an seine trbe Neigung zu jener Ottilie, dem
Persnchen, der zierlichen Blondine, diese Liebe,
die nun freilich zu seiner besonderen Art, sich
auszudrck en, eigentlich nicht mehr im Verhltnis des
Gegensatzes stand, sondern, wie ihr schien, weitlufig
und doch unmittelbar damit zusammenhing und
bereinstimmte. Zugleich aber hatte sie auch mit ihr,
der alten Charlotte, will sagen: mit ihrem weiteren und
allgemeineren Selbst auf eine sehr rhrende und die
Situation k omplizierende Weise zu tun, dergestalt, da
die Charak tere des Sohnes und des Liebhabers sich

vermischten, wobei aber der Sohn in hohem Grade


Sohn blieb, das hie: sich gleich dem Vater gebrdete.
Mein Gott! dachte Charlotte, indem sie in sein
ziemlich schnes und hnlichk eitsvolles Gesicht blick te.
Mein Gott! In diesen bittenden Ausruf fate sie
innerlich die Rhrung und erbarmende
{230}Zrtlichk eit zusammen, die die Gegenwart des
jungen Menschen ihr erregte, und auch das
Lcherliche seiner Redeweise begriff sie mit ein.
brigens erinnerte sie sich auch des Auftrages, mit
dem man sie beschwert, der Bitte, die man ihr ans Herz
gelegt, in gewisse Verhltnisse womglich einzugreifen,
einen bestimmten Lauf der Dinge aufzuhalten und, sei
es dem Persnchen den Liebhaber oder dem
Liebhaber das Persnchen auszureden. Aber offen
gestanden sprte sie k eine Lust und Berufung dazu,
sondern fand es zuviel verlangt, da sie gegen das
Persnchen intriguieren sollte, um es zu retten
da es doch vielmehr die offenk undige Sendung eben
dieses Persnchens war, die Husarenfrau und andere
penchants aus dem Felde zu schlagen, und sie, die alte
Charlotte, sich in diesem Ziele ganz solidarisch mit
dem Persnchen fhlte.
Es freut mich zu hren, Herr Kammer-Rat, sagte
sie, da zwei so wack ere Mnner wie Sie und mein
Schwager einander schtzen. brigens hre ich's nicht

zum ersten Mal. Auch briefweise (sie wiederholte


unwillk rlich und fast als wollte sie ihn aufziehen eine
von den Schnurrigk eiten seiner Rede) auch briefweise
ist's mir schon zugek ommen von meiner Schwester.
Darf ich Ihnen bei dieser Gelegenheit gratulieren zu
Ihren k rzlichen Avancements als Hof- und
Geschftsmann?
Ich dank e zum schnsten.
Gewi sind es verdiente Gnaden, fuhr sie fort.
Man hrt viel Lobenswertes von Ihrem Ernst, Ihrer
Genauigk eit im Dienst Ihres Frsten und Landes. Fr
Ihre Jahre, wenn ich das sagen darf, sind Sie ein
vielbelasteter Mann. Es ist mir nicht unbek annt, da
Sie auch Ihrem Vater noch, zu allem brigen, sehr
lblich zur Seite stehen.
Man mu froh sein, erwiderte er, dazu berall
noch die Mglichk eit zu haben. Seit seinen schweren
Krank heiten von anno eins und fnf ist es nichts
weniger als eine Selbstverstnd{231}lichk eit, da wir
ihn noch den unseren nennen. Ich war noch sehr jung
in beiden Fllen, aber ich erinnere mich der
Schreck nisse wohl. Die Blatterrose, das erste Mal,
brachte ihn an den Rand des Grabes. Sie war mit einem
Krampfhusten k ompliziert, der ihm das Bett verwehrte,
denn dort wollt' er erstick en. In stehender Stellung
hatte er's durchzufechten. Eine groe Nervenschwche
blieb lange zurck . Vor elf Jahren sodann war es das

Brustfieber mit Krmpfen, das uns durch lange Wochen


an seinem Leben zweifeln lie. Dr. Stark von Jena
behandelte ihn. Eine k rnk liche Genesung zog sich
nach berstandener Krisis durch Monate hin, und Dr.
Stark proponierte eine italienische Reise. Aber der
Vater erk lrte, sich bei seinen Jahren zu einem solchen
Unternehmen nicht mehr entschlieen zu k nnen.
Sechsundfnfzig war er damals.
Das heit zu frh entsagen.
Finden Sie nicht auch? Uns scheint, da er auch
seinem rheinischen Italien entsagt hat, wo ihm doch
voriges und vor-voriges Jahr so wohl gewesen ist. Haben
Sie von seinem Unfall gehrt?
Nicht doch! Was ist ihm zugestoen?
O, es ist gut abgelaufen. Diesen Sommer, nach
meiner Mutter Abscheiden
Lieber Herr Kammer-Rat, unterbrach sie ihn, noch
einmal erschrock en, ich habe bis zu dieser
Erwhnung es ist mir k aum verstndlich, warum
versumt, Ihnen meine innigste Condolenz zu diesem
schweren, unersetzlichen Verlust auszusprechen. Nicht
wahr, Sie sind der herzlichen Anteilnahme einer alten
Freundin gewi
Er warf ihr aus seinen dunk len, weichen Augen
einen raschen und scheuen Blick zu und senk te sie
dann.

Ich dank e zum Besten, murmelte er.


Einige Trauer-Sek unden vergingen im Schweigen.
Wenigstens, sagte sie dann, hat dieser harte
Schlag der {232}unschtzbaren Gesundheit des lieben
Geheimen Rates also nichts Ernstliches anhaben
k nnen.
Er war selbst unplich in den letzten Tagen ihrer
Krank heit, erwiderte August. Er war von Jena, wo er
arbeitete, herbeigeeilt, als die Nachrichten rger
lauteten, aber eine Fiebrigk eit zwang ihn, am Tage des
Hinscheidens das Bett zu hten. Es waren Krmpfe,
wissen Sie, an denen oder unter denen die Mutter
starb, ein sehr schwerer Tod. Auch ich durfte nicht zu
ihr herein, noch waren von ihren Freundinnen zuletzt
welche um sie. Die Riemer, die Engels und die Vulpius
hatten sich zurck gezogen. Der Anblick war wohl
nicht auszustehen. Zwei Wrterinnen k amen von
auen, in deren Armen das Letzte geschah. Es war
etwas, ich darf es k aum sagen, wie eine schwere,
schreck liche Frauensache, wie eine Fehl- oder
Totgeburt, eine Todesniederk unft. So k am es mir vor.
Es mgen die Krmpfe gewesen sein, die mich den
Vorgang in diesem Licht erblick en lieen, und auch
wohl, da man mich disk ret davon ausschlo, trug zu
dem Eindruck bei. Wieviel mehr denn aber htte man
den Vater mit seinem empfindlichen System, das alles
Dstere und Verstrende zu meiden gentigt ist, davor

bewahren mssen, selbst wenn er nicht von sich aus


bettlgrig gewesen wre. Auch als Schiller im Sterben
lag, htete er das Bett. Es ist seine Natur, die ihn die
Berhrung mit Tod und Gruft meiden lt, ich sehe
da eine Mischung von Fgung und Vorsatz. Sie wissen,
da vier Geschwister von ihm im Suglingsalter
gestorben sind? Er lebt, man k ann sagen: er lebt im
hchsten Grade; aber mehrmals von jung auf war er
selbst dem Tode nahe, augenblick sweise und zeitweise.
Mit zeitweise meine ich die Wertherzeit Er besann
sich, verwirrte sich etwas und setzte hinzu: Aber ich
habe vielmehr die physischen Krisen im Sinn, den
Blutsturz des Jnglings, die schweren Erk rank ungen in
seinen fnfziger Jahren nicht zu gedenk en der
Gichtanflle und Nierensteink olik en, die ihn schon so
frh in die bhmischen {233}Bder fhrten, noch auch
der Perioden, wo es ohne greifbares Detriment doch
immer auf Spitze und Knopf mit ihm stand, soda die
Gesellschaft sich sozusagen tglich seines Verlustes
versah. Auf ihn waren vor elf Jahren aller Augen
bnglich gerichtet, da starb Schiller. Meine Mutter
glich immer dem blhenden Leben neben ihm, dem
Krnk elnden; aber sie war es, die starb, und wer lebt,
das ist er. Er lebt sehr stark bei aller Gefhrdung, und
fters denk e ich, er werde uns alle berleben. Er will
vom Tode nichts wissen, er ignoriert ihn, sieht

schweigend ber ihn hinweg, ich bin berzeugt:


wenn ich vor ihm strbe und wie leicht mchte das
geschehen; ich bin zwar jung, und er ist alt, aber was
ist meine Jugend gegen sein Alter! Ich bin nur ein
beilufiger, mit wenig Nachdruck begabter Abwurf
seiner Natur wenn ich strbe, er wrde auch darber
schweigen, sich nichts anmerk en lassen und nie
meinen Tod bei Namen nennen. So macht er's, ich
k enne ihn. Es ist, wenn ich so sagen darf, eine
gefhrdete Freundschaft, die er unterhlt mit dem
Leben, und das macht es wohl, da er sich gegen
mak abre Bilder, Agonie und Grablegung so sorglich
entschieden abschliet. Er hat nie mgen zu
Begrbnissen gehen und wollte nicht Herder, nicht
Wieland, nicht unsere arme Herzogin Amalie, an der er
doch sehr gehangen, im Sarge sehen. Bei Wielands
Exequien, zu Osmannstedt, vor drei Jahren, hatte ich
die Ehre, ihn zu vertreten.
Hm, machte sie, eine geistliche Unzufriedenheit im
Herzen, die fast auch menschliche Auflehnung war. In
mein Bchlein, sagte sie nach einigem Blinzeln, hab'
ich ein Wort eingetragen, wie manches, das ich liebe.
Es heit: Seit wann begegnet der Tod dir frchterlich,
mit dessen wechselnden Bildern wie mit den brigen
Gestalten der gewohnten Erde du gelassen lebtest?
Es steht im Egmont.
Ja, Egmont! sagte er nur. Danach sah er zu Boden,

schlug gleich die Augen wieder auf, Charlotte gro und


forschend {234}damit anzusehen und senk te den Blick
aufs neue. Nachtrglich hatte sie den Eindruck , da es
seine Absicht gewesen war, ihr die Empfindungen zu
erregen, mit denen sie k mpfte, und da die rasche
Nachschau ihn des Erfolges hatte versichern sollen.
Dann freilich schien er einlenk en und die Wirk ung
seiner Worte abschwchen und berichtigen zu wollen,
denn er sagte:
Natrlich hat Vater die Mutter im Tode gesehen
und sich aufs ergreifendste von ihr verabschiedet. Wir
besitzen auch ein Gedicht, das er auf ihren Tod verfat
hat, wenige Stunden nach dem Ende hat er es
niederschreiben lassen, leider nicht von mir, er
dik tierte es seinem Bedienten, da ich anderweitig
beschftigt war, eigentlich nur ein paar Verse, aber
sehr ausdruck svoll: Du versuchst, o Sonne, vergebens
Durch die dstern Wolk en zu scheinen. Der ganze
Gewinn meines Lebens Ist, ihren Verlust zu
beweinen.
Hm, sagte sie wieder und nick te mit zgernder
Einfhlung. Im Grunde gestand sie sich, da sie das
Gedicht einerseits wenig bedeutend, andererseits
bertrieben fand. Und dabei hatte sie wiederum den
Verdacht und las es mit einer gewissen Deutlichk eit
in den Augen, mit denen er sie ansah da er ein

solches Urteil hatte herausfordern wollen: natrlich


nicht, da sie es aussprche, aber da sie es dchte
und da sie es Einer dem Andern in den Augen lsen.
Sie schlug darum die ihren nieder und murmelte ein
undeutliches Lob.
Nichtwahr? sagte er, obgleich er nicht verstanden
hatte. Es ist von hchster Wichtigk eit, fuhr er fort,
da dies Gedicht existiert, ich freue mich tglich
darber und habe mehrere Abschriften davon in die
Gesellschaft lanciert. Sie wird gewi mit Aerger und
vielleicht doch auch zu ihrer endlichen Beschmung
und Belehrung daraus ersehen, wie innig zugetan
bei aller Freiheit und allem Fr sich sein, die er sich
selbstverstndlich salvieren mute Vater der Mutter
war und mit wie groer Rhrung er ihr Andenk en
ehrt, das Andenk en einer {235}Frau, die sie allezeit
mit ihrem Ha, ihrer Bosheit und mignstigen
Mdisance verfolgt hat. Und warum? fragte er, sich
ereifernd. Weil sie sich in ihren gesunden Tagen gern
ein wenig distrahierte, gern ein Tnzchen machte und
gern in frhlicher Gesellschaft ein Glschen trank . Ein
schner Grund! Vater hat sich darber amsiert und
wohl manchmal mit mir gescherzt ber Mutters ein
wenig derbe Lebenslust, hat auch darber einmal ein
Verschen verfat, wie immer bei ihr der Freudenk reis
sich schlsse, aber das war herzlich und eher beifllig
gemeint, und schlielich ging er ja auch seine eigenen

Wege und war mehr weg von uns, in Jena und in den
Bdern, als er bei uns zu Hause war. Es k am vor, da
er selbst ber Weihnachten, was doch auch mein
Geburtstag ist, im Jenaer Schlo bei seiner Arbeit blieb
und nur Geschenk e schick te. Wie aber Mutter fr sein
leiblich Wohl gesorgt, ob er nun nah war oder fern,
und wie sie des Hauses Last getragen und von ihm
abgehalten, was ihn in seinem heik len Werk htte
stren k nnen, wovon sie nicht vorgab, was zu
verstehen verstehen es denn die andern? , wovor sie
aber den reinsten Respek t hatte, das wute Vater
wohl und wute ihr Dank dafr, und auch die
Gesellschaft htte ihr Dank wissen sollen, wenn auch
sie wahrhaft Respek t hatte vor seinem Werk , aber
daran fehlt es eben in ihrer schnden Seele, und sie
zog es vor, Mutter zu hecheln und durchs Geschwtz zu
ziehen, weil sie nicht aetherisch war und nicht
sylphisch, sondern in Gottes Namen dick , mit roten
Bak k en, und nicht franzsisch k onnte. Aber das war
alles blo Neid und garnichts anderes, der grne, gelbe
Neid, weil sie das Glck gehabt hatte, sie wute nicht,
wie, und war der Hausgeist und die Frau des groen
Dichters und groen Herrn im Staate geworden. Blo
Neid, blo Neid. Und darum bin ich so froh, da wir
dies Gedicht haben auf Mutters Tod, denn unsere
Gesellschaft wird sich gelb und grn darber rgern,

weil es so schn und bedeutend ist, stie er wtend


hervor, mit geballter Faust, die Augen getrbt, die
Stirnadern hoch geschwollen.
{236}Charlotte k onnte sehen, da sie einen
jhzornigen, zu Exzessen geneigten jungen Mann vor
sich hatte.
Mein guter Herr Kammer-Rat, sagte sie, indem sie
sich zu ihm neigte, die Faust nahm, die bebend auf
seinem Knie lag, und zart ihre Finger ffnete, mein
guter Herr Kammer-Rat, ich k ann ganz mit Ihnen
fhlen und thu' es um so lieber, als es mir recht von
Herzen wohlgefllt, da Sie so zu Ihrer lieben seligen
Mutter halten und nicht die Gengsamk eit ben, nur
mit begreiflichem Stolz Ihrem groen Vater
anzuhangen. Es ist sozusagen k ein Kunststck , einem
Vater, wie Sie ihn den Ihren nennen, ein guter Sohn
zu sein. Aber da Sie ritterlich, auch gegen die Welt,
das Andenk en einer Mutter hochhalten, die mehr nach
unser aller gemeinem Ma gemacht war, das schtze
ich wrmstens an Ihnen, die ich selbst Mutter bin und
Ihre Mutter sein k nnte, den Jahren nach. Und dann
der Neid! Mein Gott, ich bin mit Ihnen ganz eines
Sinnes darber. Ich habe ihn immer verachtet und ihn
mir nach Krften ferngehalten, ich k ann wohl sagen:
es ist mir unschwer gelungen. Neidisch zu sein auf das
Los eines andern welche Thorheit! Alsob wir nicht
alle das Menschliche auszubaden htten und alsob es

nicht Irrtum und Tuschung wre, andern ihr


Schick sal zu neiden. Dazu ist es ein erbrmlich
untchtig Gefhl. Unseres eigenen Schick sals wack erer
Schmied sollen wir sein und uns nicht entnerven in
miger Scheelsucht auf andre.
August nahm mit verschmtem Lcheln und einer
k leinen Verbeugung zum Dank fr den mtterlichen
Dienst, den sie ihm geleistet, die aufgelste Hand
wieder an sich.
Frau Hofrtin haben recht, sagte er. Mutter hat
genug gelitten. Friede sei mit ihr. Aber es ist garnicht
nur ihretwegen, da ich mich erbittere. Es ist auch um
Vaters willen. Nun ist ja alles vorber, wie eben das
Leben vergeht und alles zur Ruhe k ommt. Der Ansto
ist endlich unter der Erde. Aber was fr ein Ansto war
es einmal und blieb's immerdar fr die Gerechten,
{237}die Phariser und Sittenwchter, und wie haben
sie Vater gehechelt und ihm moralisch am Zeuge
geflick t, weil er's gewagt, gegen den Stachel zu lk en
und gegen den Sittenk odex und hatte das einfache
Mdchen aus dem Volk e zu sich genommen und vor
ihren Augen mit ihr gelebt! Wie haben sie's auch mich
fhlen lassen, wo sie k onnten, und mich schief
angesehen mit Spott und Achselzuck en und tadelndem
Erbarmen, der ich dieser Freiheit mein Dasein
verdank te! Alsob ein solcher Mann, wie der Vater,

nicht das Recht htte, nach eigenem Gesetz zu leben


und nach dem k lassischen Grundsatz der sittlichen
Autonomie Aber die wollten sie ihm nicht gelten
lassen, die christlichen Patrioten und tugendsamen
Aufk lrer, und jammerten ber den Widerstreit
zwischen Genie und Moralitt, wo doch das Gesetz der
freien und autonomen Schnheit eine Lebenssache ist
und nicht eine Sache der Kunst nur, das ging ihnen
nicht bei und schnack ten von Disk repanzen und
schlechtem Beispiel. Fraubasereien! Und haben sie
denn das Genie und den Dichter gelten lassen, wenn
nicht die Person? Bewahre Gott! Da war der Meister
ein Hurennest und die Rmischen Elegien ein Sumpf
der laxen Moral und der Gott und die Bajadere sowohl
wie die Braut von Korinth priapischer Unflat, was
Wunder denn auch, da schon des Werthers Leiden der
verderblichste Immoralismus gewesen waren
Es ist mir neu, Herr Kammer-Rat, da man sich
unterfangen haben sollte
Man hat, Frau Hofrtin, man hat. Und bei den
Wahlverwandtschaften wieder, auch da hat man sich
unterfangen und sie ein liederlich Werk betitelt. Da
k ennen Sie wahrlich die Menschen schlecht, wenn Sie
denk en, die unterfingen sich nicht. Und wenn's nur die
Leute gewesen wren, die blde Menge. Aber alles, was
gegen das Klassische war und gegen die aesthetische
Autonomie, der selige Klopstock , der selige Herder, und

Brger und Stolberg und Nicolai und wie sie heien,


{238}sie alle haben dem Vater moralisch am Zeuge
geflick t nach Werk und Wandel, und haben scheel
geblick t auf Mutter von wegen der Selbstgesetzlichk eit
seines Lebens mit ihr. Und nicht nur Herder, sein alter
Freund, der Prsident des Consistorii, hat das getan,
obgleich er mich k onfirmiert hat, sondern der selige
Schiller sogar, der doch mit Vater die X enien
herausgegeben, auch er, das wei ich recht wohl, hat
ein Gesicht gemacht ber Mutter und den Vater
heimlich getadelt um ihretwillen, wohl weil er nicht
auch ein adlig Frulein genommen, wie Schiller,
sondern war unter seinen Stand gegangen. Unter
seinen Stand! Alsob ein solcher Mann, wie mein Vater,
berhaupt einen Stand htte, da er doch einzig ist!
Geistig mu solch ein Mann auf jeden Fall unter seinen
Stand gehen, warum dann nicht auch gleich
gesellschaftlich? Und Schiller war doch selbst der
Erste, den Vorzug des Verdienstadels zu behaupten vor
dem Geburtsadel und hat sich eifriger darin
hervorgetan, als mein Vater. Warum verzog er dann
den Mund ber Mutter, die sich gar wohl den
Verdienstadel erworben hat um Vaters Wohlergehen!
Mein lieber Herr Kammer-Rat, sagte Charlotte,
ich k ann Ihnen menschlich vollk ommen folgen,
obgleich ich besser tue, zu gestehen, da ich nicht

wei, was das ist, die aesthetische Autonomie, und da


ich Bedenk en trage, durch eine bereilte Zustimmung
zu diesem mir nicht ganz k laren Dinge in Widerstreit
mit so wrdigen Mnnern wie Klopstock , Herder und
Brger oder gar mit Moral und Patriotismus zu
geraten. Das mchte ich nicht. Aber ich denk e, diese
Vorsicht braucht mich nicht zu hindern, ganz und gar
auf Ihrer Seite zu sein gegen alle, die unserm lieben
Geheimen Rat etwas am Zeuge flick en und seinem
Ruhm etwas anhaben mchten als groer Dichter des
Vaterlandes.
Er hatte nicht zugehrt. Seine dunk len Augen, um
ihre Schnheit und Weichheit gebracht durch die
erneute Wut, die {239}sie quellend vortrieb, gingen
rollend von einer Seite zur anderen.
Und ist nicht alles aufs beste und wrdigste
geregelt worden? fuhr er mit gepreter Stimme fort.
Hat Vater die Mutter nicht zum Altar gefhrt und sie
zu seiner gesetzlichen Frau gemacht, und war ich
nicht schon vorher durch allerhchstes Resk ript
legitimiert und zum rechten Sohn von Vaters
Verdienstadel erk lrt worden? Aber das ist es eben,
da die vom Geburtsadel im Grunde vor Animositt
bersten gegen den Verdienstadel, und darum nimmt
denn wohl so ein reitender Laffe die erste, schlechteste
Gelegenheit wahr, mir freche Sottisen zu machen mit
Anspielungen auf Mutter, nur weil ich aus

persuasorischen Grnden und in vollem Einverstndnis


mit Vater nicht habe mgen zu Felde ziehen gegen den
groen Monarchen Europa's. Fr solche Frechheit der
bloen Geburt und Natur und des blauen Blutes gegen
den Adel des Genies ist Arrest eine viel zu gelinde
Strafe. Da mte der Bttel her, der Profo, da mte
das glhende Eisen her
Auer sich, hochrot im Gesicht, hmmerte er mit der
geballten Faust auf sein Knie.
Bester Herr Kammer-Rat, sagte Charlotte
beschwichtigend wie vorhin und beugte sich zu ihm,
wich aber sogleich wieder etwas zurck , da sie den
Duft von Wein und Eau de Cologne empfing, der sich
durch seine Rage verstrk t zu haben schien. Sie
wartete ab, da die zitternde Faust wieder einmal
unten lag und legte sanft ihre Hand im fingerfreien
Halbhandschuh darauf. Wer wird so hitzig sein? Wei
ich doch k aum, wovon Sie reden, aber fast scheint mir,
als verlren wir uns in Farsarellen und Grillen. Wir
sind abgek ommen. Oder vielmehr: Sie sind es. Denn ich
halte im Stillen noch immer bei Ihrer Erwhnung eines
Unfalls, den der liebe Geheime Rat erlitten haben
oder dem er vielmehr entronnen sein soll, wie ich Sie
zu verstehen glaubte; denn htte ich es nicht so
verstanden, so htte ich schon lngst auf den Punk t
insistiert. Was war es also damit?

{240}Er schnob noch ein paar mal und lchelte ber


ihre Gte.
Mit dem Unfall? fragte er. O, nichts, ich k ann
Sie vollk ommen beruhigen. Ein Reise-Accident Es
war so: Mein Vater wute diesen Sommer garnicht
recht, wohin. Er scheint der bhmischen Bder mde,
1813, im allertraurigsten Jahr, war er zum letztenmal
dort, in Tplitz, seither nicht mehr, was wohl zu
bedauern, die husliche Trink k ur ist doch k ein
Ersatz, und Berk a und Tennstdt sind es wohl auch
nicht. Wahrscheinlich wre Karlsbad besser auch
gegen den Rheumatism in seinem Arm, als der
Tennstdter Schwefel, den er eben wieder benutzt hat.
Aber er ist irre geworden am Sprudel von Karlsbad,
weil er dort anno 12 an Ort und Stelle einen Anfall von
Nierenk olik en bek am, den schwersten seit langer Zeit,
das hat er verbelt. So hat er denn Wiesbaden
entdeck t: Sommer 14 fuhr er zum ersten Mal in die
Rhein- Main- und Neck argegenden, die Reise beglck te
und erquick te ihn ganz ber Erwarten. Seit vielen
Jahren war er zum ersten Mal wieder in seiner
Vaterstadt
Ich wei, nick te Charlotte. Wie ist es nicht zu
bedauern, da er damals seine liebe, unvergeliche
Mutter, unsere gute Frau Rat, nicht mehr am Leben
fand! Mir ist auch bek annt, da die Frank furter
Oberpostamtszeitung einen gediegenen Artik el

einrck te zu Ehren des groen Sohnes der Stadt.


Gewi! Will sagen, das war, als er von Wiesbaden
wiederk am, wo er mit Zelter und Oberbergrat Cramer
eine gute Zeit verbracht. Er hatte die Rochus-Kapelle
besucht von dort aus, fr die er dann hier bei uns ein
heiteres Altargemlde entwarf: der heilige Rochus,
wie er als junger Pilger das Schlo seiner Vter verlt
und liebreich sein Gut und Gold an Kinder verteilt. Es
ist gar zart und gemtlich. Professor Meyer und unsere
Freundin Luise Seidler von Jena haben es ausgefhrt.
Eine Knstlerin von Profession?
Ganz recht. Dem Frommann'schen Hause nahe
stehend, {241}dem Hause des Buchhndlers, und nahe
befreundet mit Minna Herzlieb
Ein zrtlicher Name. Sie nennen ihn ohne
Erluterung. Die Herzlieb wer ist das?
Verzeihung! Es ist die Pflegetochter der
Frommanns, bei denen der Vater zu Jena viel aus- und
einging zur Zeit, als er an den Wahlverwandtschaften
schrieb.
Wahrhaftig, sagte Charlotte, nun k ommt es mir
vor, als htte ich auch den Namen schon nennen
hren. Die Wahlverwandtschaften! Ein Werk von der
zartesten Bemerk ungsgabe. Man k ann nur bedauern,
da es ein solches weltbewegendes Aufsehen denn doch
nicht gemacht hat wie Werthers Leiden. Ich wollte Sie

nicht unterbrechen. Wie ging's also weiter mit dieser


Reise?
Sehr heiter, sehr glck lich, wie ich schon sagte. Sie
brachte eine wahre Verjngung fr meinen Vater mit
sich, und es war, als ahndete er's, da er sie antrat. Er
hatte heitere Tage bei Brentano's zu Wink el am Rhein,
bei Franz Brentano
Ich wei. Ein Stiefsohn der Maxi. Von den fnf
Kindern eines, die sie aus des guten alten Peter
Brentano erster Ehe berk ommen. Ich bin im Bilde.
Man sagt, da sie ausnehmend hbsche schwarze
Augen hatte; sa aber viel allein, die Arme, in ihres
Mannes groem, altem Kaufmannshaus. Es freut mich
zu hren, da ihr Sohn Franz mit Goethen auf einem
besseren Fue steht, als damals ihr Mann.
Auf einem so guten wie seine Schwester Bettina in
Frank furt, die sich um Vaters Lebenserinnerungen so
sehr verdient gemacht, indem sie tagtglich die selige
Gromutter ausprete nach Einzelheiten aus seiner
Jugend und alles fr ihn notierte. Es ist ein Trost, da
doch auf viele Bessere unter der neuen Generation die
Liebe und Ehrfurcht fr ihn sich vererbt hat, bei allen
wunderlichen Vernderungen, die sonst in ihren
Gesinnungen vor sich gegangen.
{242}Sie mute lcheln ber die distanzierte Art, in
der er der eigenen Generation gedachte; aber er
bersah es.

In Frank furt, das zweite Mal, fuhr er fort,


logierte er bei Schlossers der Schffin Schlosser,
mssen Sie wissen, einer Schwester Georgs, der meine
arme Tante Cornelia zur Frau hatte, und ihren Shnen
Fritz und Christian, braven, gemtvollen Jungen, die
gute Beispiele sind fr meine Bemerk ung: der absurden
Zeit unterworfen und heillos romantisch sie fhrten
am liebsten das Mittelalter wieder herauf, alsob's k eine
Auflebung gegeben htte, und Christian ist schon in
die Arme der k atholischen Kirche zurck gek ehrt, die
denn auch wohl auf Fritz nebst Ehefrau nicht lange
mehr wird zu warten haben. Allein die berlieferte
Liebe und Bewunderung fr Vater hat unter diesen
modischen Schwchen nie gelitten, und das mag der
Grund denn sein, weshalb er sie ihnen nachsieht und
sich recht behaglich fhlte bei dem frommen
Vlk chen.
Ein Geist wie er, sagte Charlotte, ist des
Verstndnisses fhig fr jede Gesinnung, wenn sie nur
einer tchtigen Menschlichk eit angehrt.
Vollk ommen, erwiderte August mit einer
Verneigung. Er war aber, glaube ich, setzte er
hinzu, dann doch froh, als er auf die Gerbermhle,
nahe Frank furt, am Ober-Main, den Landsitz der
Willemers bersiedelte.
O, richtig! Dort war es, wo meine Shne ihn

aufsuchten und er endlich ihre Bek anntschaft machte,


wobei sie viel Gte von ihm erfuhren.
Ich glaub' es. September 14 k am er zuerst dorthin
und wieder im nchsten Monat von Heidelberg. In die
k nappe Zwischenzeit aber war das Ereignis von
Geheimrat Willemers Heirat mit Marianne Jung, seinem
Pflegek inde, gefallen.
Das k lingt nach einem Roman.
Es war dergleichen. Der Geheimrat, verwittibt und
Vater zweier noch k indlicher Tchter, ein
vortrefflicher Mann, {243}Volk swirt, Pdagog und
Politik er, ein Philanthrop, ein Dichter sogar und
ttiger Freund der dramatischen Muse, nun denn, er
hatte schon zehn Jahre und lnger zuvor die junge
Marianne, ein Linzer Theaterk ind, zu sich ins Haus
genommen und zwar, um sie vor den Gefahren der
Bhne zu bewahren. Es war eine philanthropische
Handlung. Mit den jngeren Tchtern des Hauses
bildet die braunlock ige Sechszehnjhrige sich reizend
aus; sie singt zum Entzck en, sie wei mit Anmut und
Energie eine Soire zu leiten, und wie sich's so fgt, aus
dem Philanthropen, dem Pdagogen wird unversehens
ein Liebhaber.
Nur menschlich. Auch schliet das eine das andre
nicht aus.
Wer sagt das. Immerhin lieen die huslichen
Verhltnisse zu wnschen brig, und wer wei, wie

lang sich das hingezogen htte ohne Vaters


Dazwischenk unft und seinen ordnenden Einflu, auf
den man es ganz offenbar zurck fhren mu, da, als
er wiederk am, Anfang Ok tober, von Heidelberg, der
Pflegevater das Pflegek ind nur ein paar Tage zuvor fast
Hals ber Kopf zu seiner Gattin gemacht hatte.
Sie sah ihn gro an und er sie auch. Ihr erhitztes
und ermdetes Gesicht war etwas ins UnsicherSchmerzliche verzogen, als sie sagte:
Sie scheinen durchblick en lassen zu wollen, da
diese Vernderung der Situation etwas wie eine
Enttuschung fr Ihren Vater bedeutet htte?
Im Geringsten nicht! antwortete er erstaunt.
Ganz im Gegenteil k onnte sich auf dem Hintergrund
der so geordneten, bereinigten und gek lrten
Verhltnisse sein Behagen als Gast in diesem schnen
Erdenwink el erst recht entwick eln. Da war ein
prchtiger Altan, ein schattiger Garten, ein naher
Forst, ein erquick ender Blick auf Wasser und Gebirge,
da war freieste, freigebigste Gastfreundschaft. Vater
hat sich selten so glck lich gefhlt. Noch Monate
spter schwrmte er von den milden, {244}wrzigen
Abenden, wenn sich der breite Mainstrom im
Abendschein rtete und die junge Wirtin ihm seine
Mignon, sein Mondlied, seine Bajadere sang. Auch
k nnen Sie sich das Vergngen denk en, womit der

neuschaffene Gatte auf die Freundschaft blick te, deren


die k leine Frau, die er entdeck t und der Gesellschaft
geschenk t hatte, da gewrdigt wurde er blick te
darauf nach allem, was ich mir vorstelle, mit einem
heiteren Stolze, der eben ohne die vorangegangene
Ordnung und Sicherung der Verhltnisse nicht
mglich gewesen wre. Wovon besonders der Vater ein
Preisens zu machen wute, das war der Abend des 18.
Ok tober, an dem man gemeinsam von Willemers
Aussichtsturm die Hhenfeuer zum Jahresgedenk en der
Schlacht bei Leipzig geno.
Die Freude daran, sagte Charlotte, widerlegt
manches, mein lieber Herr Kammer-Rat, was man mir
wohl gelegentlich ber Ihres Vaters Mangel an
vaterlndischer Wrme hat hinterbringen wollen. Man
vermutete an dem hohen Jahrestage nicht, da wenige
Monate spter Napolon von Elba entweichen und die
Welt in neuen Trouble strzen wrde.
Wodurch eben, nick te August, wodurch Vaters
Sommerplne frs nchste Jahr drohten ber den
Haufen geworfen zu werden. Er sann diesen ganzen
Winter nichts anderes und sprach von nichts anderem,
als da er, wo irgend mglich, die Reise in jene
lieblichen Gegenden erneuern wolle. Auch fand alle
Welt, da Wiesbaden ihm besser anschlage als
Karlsbad. Seit langem hatte er k einen Weimarer
Winter so heiter hingenommen. Bringt man vier

Wochen in Abzug, whrend derer ein freilich heftiger


Katarrh ihn plagte, so befand er sich prchtig und
jugendlich all die Zeit, auch deswegen wohl, weil schon
von lngerer Hand her, schon seit dem Elendsjahre 13,
ein neues Feld des Studiums und der Dichtung sich ihm
erffnet hatte, nmlich die orientalische und
namentlich die persische Poesie, worein er sich auf
seine produk tive und nachbildende {245}Art immer
mehr vertiefte, soda eine Menge Sprche und Lieder
hchst merk wrdigen Geschmack s, wie er sie noch nie
geschrieben, darunter viele, die vorgeben, von einem
Dichter des Ostens, Hatem, an eine Schne namens
Suleik a gerichtet zu sein, sich in seiner Mappe
versammelten.
Eine gute Nachricht, Herr Kammer-Rat! Der
Literaturfreund mu sie freudig begren und mit
Bewunderung fr ein Ausharren, eine
Erneuerungsfhigk eit der hervorbringenden Krfte,
die als ein rechtes Gnadengeschenk des Himmels
anzusprechen. Als Frau, als Mutter hat man allen
Grund, mit Neid oder doch eben mit Bewunderung
auf eine soviel grere Bestndigk eit des Mnnlichen,
auf die Ausdauer zu blick en, mit der geistige
Fruchtbark eit gegen die weiblich-k reatrliche im
Vorteil ist. Wenn ich denk e es sind nicht weniger als
einundzwanzig Jahre her, da ich meinem jngsten

Kinde (es war Fritzchen, mein achter Sohn) das Leben


schenk te.
Vater hat mir vertraut, sagte August, da der
Name des weinfrohen Dichters, in dessen Mask e er
diese Lieder verfat, Hatem, der reichlich Gebende
und Nehmende bedeutet. Auch Sie, Frau Hofrtin,
wenn ich so anmerk en darf, sind eine reichlich
Gebende gewesen.
Es ist nur eben, sagte sie, schon so wehmtig
lange her; inde Ihr Vater Aber fahren Sie fort! Der
Kriegsgott wollte Hatemen einen Strich durch die
Rechnung machen?
Er wurde aus dem Felde geschlagen, versetzte
August. Er wurde von einem anderen Gotte besiegt,
soda nach einigem Bangen alles nach Wunsche ging.
Ende Mai vorigen Jahres fuhr Vater nach Wiesbaden,
und whrend er dort bis Juli die Kur gebrauchte, tobte
das Kriegsgewitter sich aus gleichviel, wie, aber es
tobte sich aus; und bei dem k larsten politischen
Horizont k onnte er den Rest des Sommers am Rheine
genieen.
Am Maine?
{246}Am Rheine und Maine. Er war auf Burg Nassau
Gast des Ministers vom Stein, er fuhr mit diesem nach
Kln, den Dom zu studieren, fr dessen Ausbau er sich
neuestens interessiert, und hatte eine seiner
Schilderung nach hchst angenehme Rck reise ber

Bonn und Koblenz, die Stadt des Herrn Grres und


seines Rheinischen Merk ur, welcher die Stein'schen
Verfassungsplne propagiert. Da er mit diesen
sonderlich sollte harmoniert haben, wrde mich mehr
noch wundern als die Anteilnahme an der Vollendung
des Doms, die man ihm einzuflen gewut hat. Ich
schiebe die glck liche Stimmung, worin er all diese
Zeit hin schwebte, vielmehr auf das schne Wetter, die
Freude an einer liebenswrdigen Landschaft. Er war
noch einmal in Wiesbaden, war auch in Mainz, und
endlich denn, im August, nahm wieder Frank furt,
nahm der behagliche Landsitz mit den lngst glck lich
geordneten Verhltnissen ihn wieder auf, wo nun fnf
Wochen lang, ganz wie er's ertrumt, das Wohlsein vom
vorigen Jahr, befrdert von freigebiger Hospitalitt,
sich wieder erzeugte. Der August ist der Monat seiner
Geburt, es mag wohl sein, da ein sympathetisch
Band den Menschen an die Jahreszeit k npft, die ihn
hervorgebracht, und da sie wiederk ehrend seine
Lebensgeister erhht. Ich k ann aber nicht umhin zu
denk en, da in den August auch des Kaisers Napolon
Geburtstag fllt, der noch vor k urzem in Deutschland
so hoch begangen wurde, und mich zu wundern,
richtiger sag' ich: zu freuen, wie sehr doch in heiterem
Vorteil die Helden des Geistes sind vor den Helden der
Tat. Da hatte nun die blutige Tragdie von Waterloo

meinem Vater den Weg frei gemacht zur gastlichen


Gerbermhle, und der mit ihm zu Erfurt k onversiert
sa gefesselt an den Felsen im Meer, indessen jenen ein
liebendes Geschick den gnstigen Augenblick von
Grund aus lie genieen.
Da waltet Gerechtigk eit, sagte Charlotte. Unser
teuerer Goethe hat den Menschen nichts als Liebes und
Gutes getan, da jener Weltgewaltige sie mit Sk orpionen
gezchtigt hat.
{247}Dennoch, erwiderte August, indem er den Kopf
zurck warf, lasse ich es mir nicht nehmen, da auch
mein Vater ein Gewaltiger und ein Herrscher ist.
Das nimmt Ihnen niemand, versetzte sie, und
niemand nimmt's ihm. Nur ist es wie in der rmischen
Geschichte, wo wir von guten und bsen Kaisern
lernen, und Ihr Vater, mein Freund, ist so ein guter
und sanfter Kaiser, der andere dagegen ein
blutrnstig-hllentstiegener. Das spiegelt sich in dem
Unterschied der Geschick e, auf den Sie geistreich
hinwiesen. Fnf Wochen also blieb Goethe im Hause
der Jungvermhlten?
Ja, bis in den September und bis er sich nach
Karlsruhe begab, in Serenissimi Auftrag das dortige
berhmte Mineralienk abinett zu visitieren. Er ging
dahin in der Erwartung, Frau von Trck heim zu
begegnen, will sagen der Lili Schnemann von
Frank furt, die manchmal zum Besuche ihrer

Verwandten aus dem Elsa herberk am.


Wie, es hat nach sovielen Jahren ein Wiedersehn
stattgefunden zwischen ihm und seiner einstigen
Verlobten?
Nein, die Baronin blieb aus. Leicht mag es
Krnk lichk eit gewesen sein, die sie vom Kommen
abhielt. Unter uns gesagt hat sie die Auszehrung.
Arme Lili, sagte Charlotte. Ist doch bei dem
Verhltnis nicht gar viel herausgek ommen. Einige
Lieder, aber k ein weltbewegendes Werk .
Es ist, fgte Herr von Goethe seiner vorigen
Bemerk ung hinzu, die nmliche Krank heit, an der
auch die arme Brion, jene Friederik e von Sesenheim
gestorben ist, deren nun schon dreijhrigem Grabe im
Badischen Vater damals so nahe war. Sie hat ein
trauriges Leben abgesponnen, da sie bei ihrem
Schwager, dem Pfarrer Marx, eine stille Zuflucht
gefunden. Ich frage mich, ob Vater wohl des nahen
Grabes gedachte und allenfalls tentiert war, es
aufzusuchen, mochte aber ihn nicht danach
{248}fragen und mu daran zweifeln, da er in seinen
Gestndnissen uert, da ihm an die Tage des
Abschieds vorm letzten Adieu ihrer Peinlichk eit wegen
k eine Erinnerung geblieben sei.
Ich bedauere dieses Frauenzimmer, sagte
Charlotte, dem es an Resolutheit gebrach, sich zu

einem Leben ehrbaren Glk k es aufzuraffen und in


einem lndlich tchtigen Mann den Vater ihrer Kinder
zu lieben. Der Erinnerung zu leben ist eine Sache des
Alters und des Feierabends nach vollbrachtem
Tagwerk . In der Jugend damit zu beginnen, das ist der
Tod.
Sie k nnen versichert sein, erwiderte August,
da, was Sie von Resolutheit sagen, ganz nach dem
Sinn meines Vaters ist, der ja in diesem
Zusammenhange bemerk t, da man Verletzungen und
Krank heiten, wozu denn wohl auch die Schuld und die
peinliche Erinnerung gehren mgen, in der Jugend
rasch berwindet. Er fhrt die k rperlichen bungen,
Reiten und Fechten und Schlittschuhlaufen als
dienliche Hilfsmittel zu frischem Ermannen an. Aber
die glck lichste Handhabe, mit dem Beschwerlichen fr
die eigene Person fertig zu werden und es zur
Absolution zu bringen, bietet ja doch gewi das
dichterische Talent, die poetische Beichte, worin die
Erinnerung sich vergeistigt, sich ins MenschlichAllgemeine befreit und zum bleibend bewunderten
Werk e wird.
Der junge Mann hatte die zehn Fingerspitzen an
einander gelehnt und bewegte die so sich berhrenden
Hnde, bei angezogenen Ellenbogen, mechanisch vor
der Brust hin und her, whrend er sprach. Das
gezwungene Lcheln seines Mundes stand im

Widerspruch zu den Falten zwischen seinen Brauen,


ber denen die Stirn sich flock ig gertet hatte.
Es ist ein eigen Ding, fuhr er fort, um die
Erinnerung; ich habe zuweilen darber nachgesonnen,
da ja die angeborene Nhe eines solchen Wesens, wie
mein Vater es ist, zu mancherlei gemem und
ungemem Nachdenk en Anla gibt. Die Erinnerung
spielt gewi eine wichtige Rolle im Werk und
{249}Leben des Dichters, welche so weitgehend eins
sind, da man genau genommen nur eines zu nennen
brauchte und von dem Werk e als seinem Leben, von
dem Leben aber als seinem Werk e sprechen k nnte.
Nicht nur das Werk ist von der Erinnerung bestimmt
und gestempelt, und nicht nur im Faust, in den
Marieen des Goetz und des Clavigo und in den
schlechten Figuren, die ihre beiden Liebhaber machen,
tut sie sich wiederholentlich als fixe Idee hervor. Sie
wird, wenn ich recht sehe, zur fixen Idee, die immer
sich wiederholen will, auch des Lebens; ihr
Gegenstand, als zum Exempel die Resignation, die
schmerzliche Entsagung oder das, was der beichtende
Dichter selbst als verlassende Untreue, ja Verrat im
Bilde geielt, ist das Anfngliche, Entscheidende und
Schick salbestimmende, es wird, wenn ich mich so
ausdrck en darf, zum Generalmotiv und Prgemuster
des Lebens und alles weitere Verzichten, Entsagen und

Resignieren ist nur Folge davon, wiederholende


Erinnerung daran. O, ich habe dem fters
nachgesonnen, und mein Gemt weitete sich vor
Schreck en es gibt auch solche Schreck en, die die
Seele erweitern , wenn ich bedachte, da der groe
Dichter ein Herrscher ist, dessen Schick sal, dessen
Werk - und Lebensentscheidungen weit bers
Persnliche hinauswirk en und die Bildung, den
Charak ter, die Zuk unft der Nation bestimmen. Da
wurde mir ngstlich-gro zu Sinn bei dem Bilde, das
wir alle nimmer vergessen, ob wir schon nicht dabei
gewesen, sondern zwei Menschen allein es
verhngnisvoll darstellten, wie der Abreitende dem
Mdchen, das ihn von ganzer Seele liebt, und von dem
sein Dmon ihm die grausame Trennung gebietet, wie
er der Tochter des Volk es noch vom Pferde herab die
Hand reicht und ihre Augen voll Trnen stehen. Das
sind Trnen, Madame auch wenn mir die Seele am
schreck haft-weitesten ist, denk e ich den Sinn dieser
Trnen nicht aus.
Fr mein Teil, versetzte Charlotte, sage ich mir
mit etwas Ungeduld, da dieses gute Ding, die Tochter
des Volk s, des {250}Geliebten eben nur dann wrdig
gewesen wre, wenn sie hinlngliche Resolutheit
besessen htte, sich ein rechtes Leben zu zimmern, da
er fort war, statt sich dem Allerschreck lichsten
anheimzugeben, was da unter dem Himmel ist, nmlich

der Verk mmerung. Mein Freund, Verk mmerung ist


das Schreck lichste. Es dank e Gott, wer sie zu meiden
wute, wenn aber nicht jedes sittliche Urteil schon
berhebung sein soll, drfen wir denjenigen tadeln,
der sich ihr berlassen. Ich hre Sie von Entsagung
sprechen nun, die Kleine da unter ihrem Hgel wute
schlecht zu entsagen, fr sie war Entsagung
Verk mmerung und nichts weiter.
Die beiden, sagte der junge Goethe, indem er die
zehn Fingerspitzen von einander entfernte und sie
wieder zusammentat, die beiden wohnen wohl nahe
beieinander, und es mchte berall schwer sein, sie
ganz von einander entfernt zu halten in Leben und
Werk . Mein Nachsinnen betraf zuweilen auch dies,
wenn nmlich der Sinn jener Thrnen mir die Seele
schreck haft ausdehnte, es betraf ich wei nicht, ob
es mir gelingen wird, mich mitzuteilen das Wirk liche,
das wir k ennen, so, wie es geworden ist, und das
Mgliche, das wir nicht k ennen, sondern nur ahnden
k nnen mit einer Trauer zuweilen, die wir aus
berwltigendem Respek t vor dem Wirk lichen uns und
anderen verhehlen und ins Unterste unseres Herzens
verweisen. Was ist denn auch das Mgliche gegen das
Wirk liche, und wer will es wagen, ein Wort einzulegen
fr jenes, da er Gefahr luft, die Ehrfurcht vor diesem
dadurch zu verletzen! Und doch scheint mir hier fters

eine Art von Ungerechtigk eit zu walten, erk lrlich aus


der Tatsache o ja, man k ann hier wohl von
Tatsachen sprechen! , da das Wirk liche allen Raum
einnimmt und alle Bewunderung auf sich zieht, da das
Mgliche, als nicht geworden, nur ein Schemen ist und
eine Ahndung des Wenn nun aber. Wie mu man
nicht frchten, mit derlei Wenn nun aber die
Ehrfurcht vor dem Wirk lichen {251}zu verletzen, als
welche ja zu einem guten Teil auf der Einsicht beruht,
da all Werk und Leben von Natur ein Produk t der
Entsagung ist. Aber da es das Mgliche gibt, wenn
auch nur als Tatsache unserer Ahndung und
Sehnsucht, als Wie nun erst und als flsternder
Inbegriff dessen, was allenfalls htte sein k nnen, das
ist das Wahrzeichen der Verk mmerung.
Ich bin und bleibe, antwortete Charlotte mit
abweisendem Kopfschtteln, fr Resolutheit und dafr,
da man sich rstig ans Wirk liche halte, das Mgliche
aber auf sich beruhen lasse.
Da ich die Ehre habe, hier mit Ihnen zu sitzen,
erwiderte der Kammer-Rat, will es mir nicht ganz
gelingen zu glauben, da nicht auch Sie die Neigung
k ennen sollten, sich nach dem Mglichen umzusehen.
Sie ist so begreiflich, dnk t mich, diese Neigung, denn
gerade die Groheit des Wirk lichen und Gewordenen
ist es, die uns verfhrt, auch noch dem Verk mmertMglichen nachzuspek ulieren. Das Wirk liche bietet

groe Dinge, natrlich, wie sollte es nicht, bei solchen


Potenzen da ging es auf alle Weise. Es ging auch so,
und zwar herrlich genug, es war auch aus der
Entsagung und der Untreue etwas zu machen. Doch wie
nun erst, fragt sich der Mensch und fragt sich in
Anbetracht der herrscherlich prgenden Bedeutung
von Werk und Leben fr alles Leben und alle Zuk unft
mit Recht danach was htte erst werden k nnen und
wieviel glck licher wren vielleicht wir alle geworden,
wenn die Idee des Verzichtes nicht magebend
gewesen, das frhe Trennungsbild nicht gewesen wre
mit der Hand vom Pferde herunter und den
unvergelichen Abschiedsthrnen. Es ist ja nur darum
und geschah im Zusammenhange damit, da ich mich
fragte, ob Vater zu Karlsruh vielleicht des nahen, noch
ziemlich frischen Hgels im Badischen gedacht habe.
Man mu, sagte Charlotte, den Hochsinn
schtzen, der sich des Mglichen annimmt gegen das
Wirk liche, so sehr es und gerade weil es so sehr im
Vorteil ist gegen jenes. Wir {252}werden es wohl eine
Frage mssen bleiben lassen, welchem von beiden der
sittliche Vorrang gebhrt: der Resolutheit oder der
Hochsinnigk eit. Leicht k nnte da auch wieder
Ungerechtigk eit unterlaufen, denn das Hochsinnige
hat soviel Einnehmendes, da doch vielleicht Resolutheit
die reifere sittliche Stufe ist. Aber was rede ich? Es

fliet mir heute so zu. Im Ganzen ist es der Frauen Teil,


sich blo zu verwundern, was so ein Mann nicht alles,
alles denk en k ann. Sie aber k nnten mein Sohn sein,
den Jahren nach, und eine tapfere Mutter lt nicht
ihren sich mhenden Sohn im Stich. Daher meine
Redseligk eit, die am Ende gar wider das SittsamWeibliche verstt. Wollen wir nun aber nicht doch
dem Mglichen Frieden gnnen unter seinem Hgel
und uns wieder dem Wirk lichen zuwenden, will sagen:
der erfrischenden Reise Ihres Vaters am Rheine und
Maine? Ich hrte gern noch mehr von der
Gerbermhle; ist sie doch der Ort, wo Goethe die
Bek anntschaft zweier meiner Kinder machte.
Leider wei ich von dieser Begegnung nichts zu
berichten, erwiderte August; dagegen wei ich, da
der Aufenthalt, wie sich das ganz selten nur im Leben
ereignen will, eine vollk ommene Wiederholung, ja noch
eine Steigerung des Wohlseins brachte, das Vater beim
ersten Mal genossen hatte dank nmlich den
gesellschaftlichen Gaben einer zierlichen Hausfrau und
der vollendeten Gastfreiheit des Wirtes, auf dem
Hintergrund wohlgeordneter Verhltnisse. Wieder
glhte der Mainstrom am wrzigen Abend, und wieder
sang die zierliche Marianne zum Fortepiano Vaters
Lieder. Diesmal aber war er an solchen Abenden nicht
nur ein Nehmender, sondern auch ein reichlich
Gebender; denn er lie sich erbitten oder erbot sich

auch wohl, aus seinem immer sich mehrenden Schatze


von Suleik a-Gesngen vorzulesen, die Hatem an jene
Rose des Ostens gerichtet, und die Gatten wuten die
Ehre dieser Mitteilungen wohl zu schtzen. Die junge
Wirtin, die k eineswegs {253}zu den Frauenzimmern zu
gehren scheint, welche sich nur darber verwundern,
was so ein Mann nicht alles denk en k ann, lie es
ihrerseits nicht beim Nehmen bewenden, sondern
brachte es in der Empfnglichk eit so weit, da sie die
leidenschaftlichen Ansprachen in Suleik a's Namen
geradezu ebenbrtig zu erwidern begann, und ihr
Gatte hrte dem Wechselgesange mit dem gastlichsten
Wohlwollen zu.
Er ist gewi ein wack erer Mann, sagte Charlotte,
mit gesundem Sinn fr die Vorteile und Rechte des
Wirk lichen. Das Ganze aber, bek annt wie es mir
vork ommt, scheint mir eine gute Illustration fr das zu
sein, was Sie von der Erinnerung sagten, die auf
Wiederholung dringt. Und schlielich? Die fnf
Wochen nahmen, versteht sich, ein Ende, und der
groe Gast entschwand?
Nach einem Mondschein-Abschiedsabend, ja, der
reich war an Gesngen, und an dessen sptem Ende,
wie ich unterrichtet bin, die junge Wirtin selbst in fast
ungastlicher Weise zum Abschied drngte. Aber der
Wiederholungswunsch wute sich auch hier noch und

abermals Genge zu schaffen, indem es zu Heidelberg,


wohin Vater sich gewandt hatte, zu einem aberneuen
Wiedersehen k am. Denn das Ehepaar fand sich
berraschend dort ein, und es gab einen berletzten
Abschiedsabend im vollen Monde, bei welchem die
k leine Frau zum freudigen Erstaunen des Gatten
sowohl wie des Freundes ein Erwiderungsgedicht von
solcher Schnheit zu Tage frderte, da es ebenso gut
von Vater htte sein k nnen. Wir sollten uns wohl
bedenk en, ehe wir dem Wirk lichen entschiedene
Vorteile, berlegene Rechte zusprechen vor dem
Poetischen. Die Lieder, die Vater damals in Heidelberg
und nachher fr seinen persischen Diwan dichtete,
sind sie nicht die Krone des Wirk lichen und das
Allerwirk lichste selbst? Ich habe den vertraulichen
Vorzug, sie zu k ennen und einige zu besitzen, frher
als alle Welt. Beste Dame, sie sind von ungeheuerer,
von unaussprech {254}licher Merk wrdigk eit. Es gab nie
dergleichen. Sie sind ganz der Vater, aber es ist Er von
einer vllig neuen, wieder einmal ganz unvermuteten
Seite. Nenne ich sie geheimnisvoll, so bin ich zugleich
gentigt, sie k indlich k lar zu nennen. Es ist ja, wie es
mitteilen die Esoterik der Natur. Es ist das
Persnlichste mit den Eigenschaften des Sterngewlbes,
soda das All ein Menschenantlitz gewinnt, das Ich
aber mit Sternenaugen blick t. Wer will das aussagen!
Immer gehen zwei Verse mir nach aus einem davon

hren Sie!
Er rezitierte mit zaghafter und wie erschrock en
gesenk ter Stimme:

Du beschmst wie Morgenrte


Dieser Gipfel ernste Wand
Was sagen Sie dazu? fragte er, noch immer mit der
erschrok k enen Stimme. Sagen Sie nichts, bevor ich
hinzugefgt habe, da auf die Morgenrte sein
eigener gesegneter Name gereimt ist, das heit, es
steht Hatem da, aber durch die Mask e des Unreims
tnt schalk haft innig der ichvolle Reim hindurch: Und
noch einmal fhlet Hatem Wie mutet Sie das an? Wie
berhrt Sie diese feierlich ihrer bewute Gre, von
Jugend gek t, von Jugend beschmt? Er
wiederholte die Verse. Welche Weichheit, mein Gott,
und welche Majestt! rief er. Und vornbergebeugt
prete der junge Goethe die Stirn in die flache Hand,
deren Finger in seinen Lock en whlten.
Es ist nicht zu bezweifeln, sagte Charlotte mit
Zurck haltung, da ihr dieses leidenschaftliche
Gebahren anstiger war als sein frherer Jhzorn,
da die ffentliche Welt Ihre Bewunderung teilen
wird, wenn diese Collek tion einmal zu Tage tritt.
Freilich wird noch so schalk haft bedeutenden Poesieen

eine derart ausgreifende Weltwirk samk eit wohl niemals


zuteil werden k nnen wie einem noch dazu von eigener
Jugend beschwingten Romanenbuch. Man mag das
bek lagen, wenn man {255}will. Und die
Wiederholungen? Sie haben Ihre Frisur ldiert. Ich
reiche Ihnen mein Kmmchen, wenn Sie wollen. Nein,
es scheint, dieselben Finger, die sie zerstrten, k nnen
sie auch wiederherstellen. Und mit den
Wiederholungen also hatte es damit ein Ende?
Sie sollten ein Ende haben, erwiderte August.
Diesen Sommer, nach Mutters Tode, war Vater recht
sehr in Zweifel, wo er die Badek ur brauchen solle.
Wiesbaden? Tplitz? Karlsbad? Man merk te ihm wohl
ab, da es ihn stark gen Westen, ins Rheinische zog,
und es war, als wartete er auf ein Zeichen der
gnstigen Gottheit, die voriges Mal den Dmon des
Krieges paralysiert, da er seinem Hange folgen drfe.
Auch fand sich dergleichen. Sein Freund, der
unterhaltende Zelter reiste nach Wiesbaden und setzte
ihm zu, ihm zu folgen. Er aber wollte das Zeichen nicht
annehmen, nicht geradezu. Sei es der Rhein, sagte er,
aber nicht Wiesbaden, sondern Baden-Baden, wo der
Weg denn doch einmal ber Wrzburg, nicht ber
Frank furt fhrt. Gut denn, der Weg brauchte nicht
just ber Frank furt zu fhren, um allenfalls auch
dorthin zu fhren. Kurzum, am 20. Juli reiste Vater ab.
Er bestimmte Meyern, den Kunst-Professor, zu seinem

Begleiter, der darob nicht wenig strahlte und prahlte.


Aber was geschieht? Zeigte jene so gnstige Gottheit
sich gar empfindlich und spielte den Kobold? Zwei
Stunden hinter Weimar wirft der Wagen um
Du meine Gte!
und beide Insassen purzeln bereinander auf die
mit soviel Selbstbeherrschung gewhlte Strae, wobei
Meyer recht blutig an der Nase verletzt wurde.
Trotzdem denk e ich nicht an ihn, der fr die Freuden
der Eitelk eit bezahlen mochte. Aber es ist beschmend,
obgleich es auch wieder zu einer peinlichen Heiterk eit
reizt, sich die feierlich ihrer bewute Gre
vorzustellen, wie sie, lngst gewohnt, sich nur noch in
bedachter Gemessenheit zu bewegen, mit besudelten
Kleidern und aufgelster Kragenbinde in einem
Straengraben k rabbelt.
{256}Charlotte wiederholte:
Um Gottes willen!
Es war nichts, sagte August. Das Migeschick ,
der Schabernack , wie soll ich es nennen, lief
vollk ommen glimpflich ab. Vater, fr sein Teil ganz
unverletzt, brachte Meyern, dem er zu seinem
Taschentuch auch das eigene herzlich geliehen, nach
Weimar zurck und gab die Reise auf nicht blo fr
diesen Sommer, sondern es scheint, da er, durch das
Omen bestimmt, dem Rheinischen ein fr allemal

entsagt hat: ich entnehme das seinen Aeuerungen.


Und die Liedersammlung?
Was braucht die noch weiteren Antrieb durchs
Rheinische! Die wchst und gedeiht zum ungeheuer
Merk wrdigsten lngst auch ohne dieses, ja vielleicht
besser als mit ihm, was denn die freundliche KoboldGottheit im Grund auch wohl wute. Vielleicht wollte
sie die Lehre statuieren, da gewisse Dinge nur als
Mittel zum Zweck erlaubt und gerechtfertigt sind.
Als Mittel zum Zweck ! sprach ihm Charlotte nach.
Kann ich die Redensart doch nicht ohne Bek lemmung
hren! Das Ehrenvolle vermischt sich darin mit dem
Erniedrigenden auf eine Weise, da niemand sie
scheidet und niemand wei, was fr ein Gesicht er zu
der Sache machen soll.
Und doch, erwiderte August, gibt es im
Lebensk reis eines Herrschers, ob's nun ein guter oder
ein bser Kaiser sei, gar Vieles, was man zu dieser
zweideutigen Kategorie zu zhlen gentigt ist.
Wohl, sagte sie. Nur k ann man auch alles so oder
so beziehen; es k ommt auf den Gesichtswink el an. Und
ein irgend resolutes Mittel wird denn auch wohl einen
Zweck aus sich selber zu machen wissen. Aber wie
mu man Sie nicht, setzte sie hinzu, lieber Herr
Kammer-Rat, um die vor-oeffentliche Kenntnis jenes
merk wrdigen Liederschatzes beneiden! Das ist {257}ein
wahrhaft schwindelnder Vorzug. Ihr Vater vertraut

Ihnen vieles an?


Das mag man wohl sagen, antwortete er mit
k urzem Lachen, bei dem er seine k leinen, weien
Zhne zeigte. Die Riemer und Meyer bilden sich zwar
das Erdenk liche ein und wissen sich dies und das vor
der Welt mit ihren Weihegraden, allein mit einem Sohn
ist es denn doch immer noch ein ander Ding, als mit
solchen Zufallsadlaten, man ist von Natur und Stand
zum Gehilfen und Reprsentanten berufen. Da fllt
einem, sobald man nur irgend in Jahren ist, manche
schick liche Negotiation und hausvterliche Sorge zu,
die von einer Wrde zu entfernen sind, darin der
Genius sich mit dem Alter verbindet. Es gibt die
laufenden Wirtschaftsrechnungen, den Umgang mit
liefernden Handelsleuten, die Stellvertretung bei den
und den abzulegenden oder zu empfangenden Visiten
und anderen Opportunitten und Obliegenheiten
dieser Art, ich erinnere nur an die Begrbnisse. Da
ist die Kustodenschaft ber die wohlgeordneten und
immerfort wachsenden Privat-Sammlungen, unser
Mineralien- und Mnzk abinett, den Augentrost von
geschnittenen Steinen und Kupferstichen, und
pltzlich will ber Land gesprengt sein, weil irgendwo
in einem Steinbruch ein wichtiger Quarz oder gar ein
Fossil sich hervorgetan. O nein, der Kopf steht einem
nicht leer. Sind Sie, Frau Hofrtin, allenfalls ber die

Verhltnisse in unserer Hoftheater-Intendanz


unterrichtet? Ich soll da jetzt beitrtig werden.
Beitrtig? wiederholte sie entsetzt
Allerdings. Die Lage ist ja so, da Vater zwar
rangltester Minister ist, aber seit vielen Jahren,
eigentlich schon seit seiner Rck k ehr aus Italien, k ein
Geschftsressort mehr verwaltet. Mit einiger
Regelmigk eit befragen lt er sich nur noch in
Sachen der Universitt Jena, aber schon Titel und
Pflichten eines Curators wrden ihn belstigen. Es
waren im Grunde nur noch zwei Geschfte, die er bis
vor k urzem stndig versah: die {258}Direk tion des
Hoftheaters und die Ober-Aufsicht ber die
Unmittelbaren Anstalten fr Kunst und Wissenschaft;
will sagen die Bibliothek en, die Zeichenschulen, den
Botanischen Garten, die Sternwarte und die
naturwissenschaftlichen Kabinette. Es sind das
Anstalten ursprnglich frstlicher Grndung und
Untersttzung, mssen Sie wissen, und Vater besteht
immer noch streng auf ihrer Unterscheidung und
Abtrennung vom Landeseigentum, er lehnt es selbst
theoretisch ab, irgend einem anderen Rechenschaft
darber zu schulden, als Serenissimo, von dem allein er
abhngig sein will, und k urz, Sie sehen, seine
Oberaufsicht ist ein wenig ein Relik t aus vergangenen
Zeiten, er demonstriert damit gegen den neuen
Verfassungsstaat, von dem er ich gebrauche die

Redensart mit Bedacht nichts wissen will. Er


ignoriert ihn, verstehen Sie.
Ganz leicht verstehe ich das. Er bleibt den alten
Verhltnissen anhnglich, es liegt in seiner Natur und
Gewohnheit, den herzoglichen Dienst als einen Dienst
von Person zu Person zu verstehen.
Sehr wahr. Ich finde auch, da es ihm wunderbar
wohl ansteht. Was mich zuweilen etwas beunruhigen
will ich mu wohl Ihres Erstaunens gewrtig sein,
da ich mich Ihnen so vertraulich erffne ist das
Licht, das dabei auf mich selber, seinen geborenen
Adlaten bei diesen Geschften fllt. Denn ich mu
manchen Weg machen an seiner Statt und manchen
Auftrag verrichten, nach Jena reiten, wenn dort ein
Bau im Gange ist, die Wnsche der Professoren
einholen und was nicht noch. Ich bin nicht zu jung
dafr, ich bin siebenundzwanzig, stehe im
Mannesalter. Aber ich bin zu jung fr den Geist, worin
es geschieht. Verstehen Sie mich recht, ich besorge
manchmal, in ein schiefes Licht zu geraten, durch die
Assistenz bei einer altmodischen Ober-Aufsicht, die sich
nicht wohl vererben lt, weil sie den Erben
unzuk mmlicher Weise gleichfalls zum Opponenten des
neuen Staatsgeistes zu machen scheint
{259}Sie sind zu sk rupuls, mein guter Herr
Kammer-Rat. Ich mchte den sehen, der im Anblick so

natrlich gegebener Hilfeleistungen auf verfngliche


Gedank en k me. Und nun also werden Sie auch noch
beitrtig werden bei der Leitung des Hoftheaters?
So ist es. Meine Vermittlung ist hier sogar am
allerntigsten. Sie denk en sich den Verdru nicht aus,
den Vater von jeher mit diesem scheinbar heiteren
Amte gehabt hat. Da sind die Thorheiten und
Anmaungen der Komdianten, der Verfasser, ich will
nur hinzufgen: des Publik ums. Da ist die Rck sicht
auf Launen und Ansprche von Personen des Hofes,
schlimmsten Falls solchen, die diesem und dem Theater
zugleich angehren ich habe, mit Respek t zu melden,
die schne Jagemann im Auge, Frau von Heygendorf,
deren Einflu beim Herrn den seinen jederzeit
ausstechen k onnte. Kurz, das sind k omplizierte
Verhltnisse. Dann war auch Vater von seiner Seite,
man mu es zugeben, niemals ein Mann rechter
Stetigk eit in k einer Beziehung und auch in dieser
nicht. Alljhrlich war er viele Wochen der Spielzeit
nicht da, auf Reisen, in Bdern, und k mmerte sich um
das Spiel berhaupt nicht. Es war und ist in ihm gegen
das Theater ein sonderbarer Wechsel von Eifer und
Gleichgltigk eit, von Passion und Geringschtzung,
er ist k ein Theatermensch, glauben Sie mir, wer ihn
k ennt, der wei und versteht, da er mit dem
Komdiantenvolk garnicht umgehen k ann, man mu,
und stnde man noch so hoch ber den Leutchen, auf

eine Weise von ihrer Art und ihrem Geblte sein, um


mit ihnen zu leben und auszuk ommen, was man von
Vater nun wahrlich beim besten Willen nicht aber
genug! Ich rede so ungern davon, als ich dran denk e.
Mit Mutter, da war's etwas andres, die wute den Ton,
die hatte Freunde und Freundinnen unter ihnen, und
ich war von k leinauf auch fters dabei. Mutter und ich,
wir hatten denn auch die Brustwehr zu machen
zwischen ihm und der Truppe, berichteten ihm und
{260}vermittelten. Aber schon frh auch nahm er sich
berdies einen Beamten vom Hofmarschallamt zum
Gehilfen und Stellvertreter, Hof-Kammerrat Kirms, und
sie beide wieder zogen noch andre Personen hinzu, um
sich besser zu deck en, und fhrten eine KollegialVerwaltung ein, die nun, unterm Groherzogtum, zur
Hoftheater-Intendanz geworden ist; neben Vater
gehren Kirms, Rat Kruse und Graf Edling ihr an.
Graf Edling, hat er nicht eine Prinzessin aus der
Moldau zur Frau?
O, ich sehe, Sie sind ganz unterrichtet. Aber,
glauben Sie mir, Vater ist den drei anderen
Mitgliedern oft im Wege. Es ist halb lcherlich sie
stehen unter dem Druck einer Autoritt, die sie sich
am Ende gefallen lieen, wenn sie nicht obendrein
sprten, da diese Autoritt sich im Grunde auch noch
zu gut wei, um ausgebt zu werden. Er selber stellt es

so hin, da er zu alt sei fr das Geschft. Er mchte es


abwerfen sein Freiheitsbedrfnis, sein Hang zum
Privaten war eigentlich immer der strk ste und mag
sich doch wieder nicht, davon trennen. So ist der
Gedank e denn aufgetaucht, mich einzuschalten. Von
Serenissimo selbst ist er ausgegangen. La Augusten
eintreten, haben Dieselben gesagt, so bist du dabei,
alter Kerl, und hast doch deine Ruh!
Sagt der Groherzog alter Kerl zu ihm?
Doch, so sagt er.
Und wie sagt Goethe?
Er sagt Gndigster Herr und Empfehle mich
Durchlauchtigster Hoheit zu Gnaden. Es wre nicht
ntig, der Herzog lacht ihn fters deswegen ein bischen
aus. Eine unpassende Assoziation k ommt mir brigens
da, ich wei es wohl, fllt mir aber eben ein und mag
Sie auch wohl interessieren: da nmlich Mutter
immer Sie sagte zu Vater, er zu ihr aber Du.
Charlotte schwieg. Lassen Sie mich ber dem
k uriosen Dtail, sagte sie dann, denn es ist k urios,
wenn auch rhrend {261}zugleich und im Grunde ganz
wohl verstndlich meine Gratulation nicht vergessen
zu der neuen Ernennung und Beitrtigk eit.
Meine Lage, bemerk te er, wird etwas delik at sein.
Der Altersunterschied zwischen mir und den anderen
Herren der Intendanz ist betrchtlich. Und da soll ich
nun unter ihnen jene Autoritt vertreten, die sich zu

gut wei.
Ich halte mich berzeugt, da Ihr Tak t, Ihre
Weltlufigk eit die Lage meistern werden.
Sie sind sehr gtig. Ennuyiere ich Sie mit der
Aufzhlung meiner Pflichten?
Ich hre nichts lieber.
Gar manche Korrespondenz fllt mir zu, die hoher
Wrde nicht zu Gesichte stnde: die Schreibereien zum
Beispiel im Kampf gegen die ek len Nachdruck e, die
unsre Gesamtausgabe in zwanzig Bnden
k onk urrenzieren, und dann, sehen Sie, gerade jetzt,
mchte Vater gern ehrenhalber von den Abzugsgeldern
befreit sein, die er zu zahlen htte, wenn er ein
Kapital, das noch von der Gromutter her auf
Frank furter Grundstck en steht, und das er in
Frank furt versteuern mu, unter Aufgabe seines
Brgerrechtes nach Weimar zge. Zum Teufel, es sind
fast dreitausend Gulden, die man ihm abziehen wrde,
und da sollizitiert er nun, da die Stadt ihm die
Auflage schenk e, zumal er sie noch k rzlich in seiner
Lebensbeschreibung so liebevoll geehrt. Zwar will er
das Brgerrecht aufgeben, aber wie hat er nicht zuvor
noch die Vaterstadt geehrt und verewigt! Versteht sich,
er k ann darauf nicht pochen und hinweisen, das lt
er mich machen, ich fhre den Briefwechsel, ich fhre
ihn mit Geduld und Schrfe und habe nicht wenig

Unmut davon. Denn was antwortet man mir und also


doch ihm, vor den ich mich stelle? Die Stadt bedeutet
uns, da der Erla des Abzuges einer Beraubung der
brigen Frank furter Brger gleichk me! Was sagen Sie
dazu? Ist das nicht ein Zerrbild der Gerechtig{262}k eit?
Ich bin nur froh, da ich die Negotiation nicht
mndlich zu fhren habe; ich stnde nicht fr meine
Ruhe und Hflichk eit bei solchen Antworten. Allein die
Sache wird weiter betrieben, es ist noch nicht aller
Tage Abend. Scharf und geduldig werde ich
duplizieren, und schlielich werden wir sowohl das
Druck -Privileg wie den Erla der Abzugssumme
erzielen, ich gebe mich eher nicht zufrieden. Vaters
Eink ommen entspricht nicht seinem Genie. Es ist
zeitweise nicht gering, natrlich nicht, Cotta zahlt
16000 Taler fr die Gesamtausgabe, gut, das ist
allenfalls angemessen. Aber eine Stellung, ein Ruhm
wie Vaters mte ganz anders sich realisieren lassen,
ganz anders mte eine so freigebig beschenk te
Menschheit dem Spender sich tributr erweisen und
der grte Mann auch der reichste sein. In
England
Als prak tische Frau und langjhrige Hausmutter
k ann ich Ihren Eifer nur loben, lieber Herr KammerRat. Bedenk en wir aber, da, wenn eine wirk liche
Relation zwischen den Gaben des Genies und
k onomischem Entgelt berall aufzustellen und

durchzufhren wre was nicht der Fall ist , das


schne Wort von der beschenk ten Menschheit nicht
mehr am Platze wre.
Ich rume die Ink ongruenz der Gebiete ein. Auch
sehen die Menschen es ja nicht gern, da groe
Mnner sich wie ihresgleichen gebrden und
verlangen vom Genius, da er sich gegen weltlichen
Vorteil edelmtig-gleichgltig verhalte. Die Menschen
k ommen mir albern vor in ihrer egoistischen
Verehrungssucht. Ich habe sozusagen von Kindesbeinen
unter groen Mnnern gelebt und fand, da solche
Gesinnung garnicht zum Genius gehrt, im Gegenteil,
der hochfliegende Geist hat auch einen hochfliegenden
Geschftssinn, und Schillers Kopf steck te immer voll
von pek uniarischen Spek ulationen, was auf Vater nicht
einmal zutrifft, vielleicht weil sein Geist nicht
dermaen hochfliegend ist und dann auch, weil er
{263}es nicht so ntig hatte. Aber als Hermann und
Dorothea einen so schnen popularischen Erfolg hatte
im Lande, sagte er zu Schiller, man sollte einmal ein
Theaterstck in diesem gemtlichen Geiste schreiben,
das im Triumph ber smtliche Bhnen gehen und ein
groes Stck Geld bringen mte, ohne da es dem
Autor gerade sonderlich ernst damit gewesen zu sein
brauchte.
Nicht ernst?

Nicht ernst. Schiller fing auch gleich an, aus dem


Stegreif ein solches Stck zu entwerfen, und Vater
sek undierte ihm munter dabei. Aber es wurde dann
nichts daraus.
Doch eben wohl, weil es k ein rechter Ernst damit
war.
Das mag sein. Gleichwohl habe ich k rzlich einen
Brief an Cotta ins Reine geschrieben, des Inhalts, man
solle doch die Zeit-Konjunk tur der gegenwrtigen
vaterlndischen Erhebung nutzen, um ein Gedicht, das
so artig damit harmoniere wie Hermann und
Dorothea, buchhndlerisch k rftiger zu propagieren.
Einen Brief Goethe's? Charlotte schwieg einen
Augenblick . Da sieht man wieder, sagte sie dann mit
Nachdruck , wie falsch es ist, ihm Entfremdung vom
Zeitgeist nachzusagen.
Ach, der Zeitgeist, erwiderte August
geringschtzig. Vater ist ihm weder entfremdet, noch
ist er sein Partisan und Sk lave. Er steht hoch ber ihm
und sieht von oben auf ihn hinab, weshalb er ihn denn
auch gelegentlich sogar vom merk antilischen
Standpunk t zu betrachten vermag. Lngst hat er sich
vom Zeitlichen, Individuellen und Nationellen zum
Immer-Menschlichen und Allgemein-Gltigen erhoben
das war es ja, wobei die Klopstock und Herder und
Brger nicht mitk onnten. Aber nicht mitzuk nnen, das
ist nur halb so schlimm, wie sich einzubilden,

voranzusein und ber das Zeitlos-Gltige hinaus zu


sein. Und da sind nun unsere Romantik er, NeuChristen und neupatriotischen Schwarmgeister, die
glauben, {264}weiter zu sein als Vater und das Neueste
zu reprsentieren im Reich des Geistes, das er nicht
mehr verstnde, und in dem Publik um glaubt's
mancher Esel auch. Gibt es auch wohl etwas Elenderes
als den Zeitgeist, der das Ewige und Klassische mchte
berwunden haben? Aber Vater gibt's ihnen, Sie
k nnen versichert sein, er gibt es ihnen unter der
Hand, ob er sich gleich die Miene gibt, als achtete er
der Beleidigungen nicht. Versteht sich, er ist zu weise
und vornehm, sich auf literarische Hndel einzulassen.
Aber unter der Hand und fr die Zuk unft hlt er sich
schadlos nicht nur an den Gegnern und am Zeitgeist,
sondern auch an der eigenen Vornehmheit. Sehen Sie,
er hat nie mgen die Welt vor den Kopf stoen und die
Mehrzahl guter Menschen, wie er sich gndig
ausdrck t, verwirren. Aber insgeheim war er immer ein
Anderer noch als der groe Schick liche, als den das
Oeffentliche ihn k annte nicht artig und
zugestndlich, sondern unglaublich frei und k hn. Ich
mu Ihnen das sagen: die Leute sehen den Minister,
den Hfling in ihm, und dabei ist er die Khnheit
selbst, wie denn auch nicht? Htte er den Werther,
den Tasso, den Meister und all das Neue und

Ungeahnte risk iert, ohne den Grundzug, die Liebe und


Kraft zum Verwegenen, von der ich ihn mehr als
einmal habe sagen hren, in ihnen recht eigentlich
bestehe, was man Talent nenne. Immer hatte er ein
geheimes Archiv wunderlicher Produk tionen: frher
lagen da die Anfnge des Faust mit Hanswurstens
Hochzeit und dem Ewigen Juden zusammen, aber auch
heute fehlt's nicht an solchem Walpurgis-Beutel,
verwegen-anstig in mancherlei Hinsicht, wie zum
Exempel ein gewisses Tagebuch-Gedicht, das ich
behte, nach italienischem Muster geschrieben und
hbsch gewagt in seiner Mischung aus erotischer
Moral und, mit Verlaub gesagt, Obsznitt. Ich hte
das alles mit Sorgfalt, die Nachwelt k ann sich darauf
verlassen, da ich Acht habe auf alles an mich mu
sie sich wohl halten, denn auf Vater selbst ist da wenig
Verla. Sein {265}Leichtsinn mit Manusk ripten ist
strflich, es ist als habe er garnichts dagegen, da sie
verloren gingen, er gibt sie dem Zufall preis und
schick t, wenn ich's nicht verhindere, das einzig
vorhandene Exemplar nach Stuttgart. Da heit es acht
geben und zusammenhalten: das Unverffentlichte,
nicht zu Verffentlichende, die freien Heimlichk eiten,
die Wahrheiten ber seine lieben Deutschen, das
Polemische, die Diatriben wider geistige Feinde und
wider das zeitlich Nrrische in Politik , Religion und
Knsten

Ein treuer, ein guter Sohn, sagte Charlotte. Ich


habe mich auf Ihre Bek anntschaft gefreut, lieber
August, ich hatte mehr Grund dazu, als ich wute.
Die Mutter, die alte Frau, die ich bin, mu aufs
angenehmste berhrt sein von dieser schnen,
frsorglichen Ergebenheit der Jugend ans Vterliche,
diesem unverbrchlichen Zusammenstehen mit ihm
gegen das respek tlos Nachrck ende, das ihres Alters
ist. Man k ann dafr nichts als Lob und Dank
haben
Ich verdiene sie nicht, erwiderte der Kammer-Rat.
Was k ann ich meinem Vater sein? Ich bin ein aufs
Prak tische gestellter Durchschnittsmensch und bei
Weitem nicht geistreich und gelehrt genug, ihn zu
unterhalten. Tatschlich bin ich nicht viel mit ihm
zusammen. Mich innerlich zu ihm zu bek ennen und
seine Interessen zu wahren, ist das Wenigste, was ich
tun k ann, und es beschmt mich, dafr Lob zu
empfangen. Auch unsere teuere Frau von Schiller ist
immer beschmend gut und liebevoll zu mir, weil ich in
der Literatur einer Meinung mit ihr bin, als sei ein
Verdienst dabei, als sei es nicht einfach eine Sache des
eigenen Stolzes, da ich treu bei Schiller und Goethe
bleibe, da andere junge Leute sich in neueren Moden
gefallen mgen.
Wei ich doch, versetzte Charlotte, k aum etwas

von diesen neueren Moden und nehme an, da meine


Jahre mich vom Verstndnis dafr ausschlieen
wrden. Es soll da fromme {266}Maler und sk urrile
Schriftsteller geben, genug, ich k enne sie nicht und
sorge mich nicht ob dieser Unk enntnis, denn da ihre
Anerbietungen den Werk en nicht gleichk ommen, die
zu meiner Zeit entstanden und die Welt eroberten, ist
mir gewi. Immerhin liee sich sagen, da sie das
groe Alte nicht zu erreichen brauchen, um es in
gewissem Sinn dennoch zu bertreffen verstehen Sie
mich recht, ich bin nicht die Frau, Paradoxe zu
machen, ich meine das bertreffen einfach so, da
diese neuen Dinge Zeit und Gegenwart fr sich haben,
deren Ausdruck sie sind, soda sie den Kindern der
Zeit, der Jugend, unmittelbarer und beglck ender zum
Herzen sprechen. Aufs Glck lichsein aber schlielich
k ommt's an.
Und darauf, antwortete August, worin man es
findet, das Glck . Etliche suchen und finden es nur im
Stolze, in der Treue und Pflicht.
Gut, vortrefflich. Und doch hat die Erfahrung mich
gelehrt, da ein Leben der Pflicht und des Dienstes an
anderen fters eine gewisse Herbigk eit zeitigt und der
Leutseligk eit nicht zutrglich ist. Mit Frau von
Schiller verbindet Sie, wie es scheint, ein Verhltnis
der Freundschaft und des Vertrauens?
Ich will mich eines Wohlwollens nicht rhmen, das

ich nicht meinen Eigenschaften, sondern meinen


Gesinnungen zu dank en habe.
O, das hngt wohl zusammen. Mich will fast
Eifersucht ank ommen, da ich den Platz der
stellvertretenden Mutter, auf den ich ein wenig
ambitioniere, besetzt finde. Verzeihen Sie mir, wenn
ich mir trotzdem die mtterliche Anteilnahme nicht
ganz verwehren lasse und frage: Haben Sie wohl auch
unter Personen, die Ihnen dem Alter nach nher
stehen, als Schillers Witwe, den einen oder anderen
Freund und Vertrauten?
Sie neigte sich gegen ihn bei diesen Worten. August
sah sie mit einem Blick e an, in dem Dank bark eit und
verlegene Scheu sich mischten. Es war ein weicher,
trber, trauriger Blick .
{267}Das hat sich, antwortete er, freilich nie so
recht fgen und geben wollen. Wir berhrten's ja
schon, da unter meinen Altersgenossen sich so
mancherlei Gesinnungen und Strebungen hervortun,
die einem reinen Vernehmen im Wege sind und zu
immerwhrenden Accrochements fhren wrden, ohne
die Zurck haltung, die ich mir auferlege. Die
Zeitlufte, finde ich, verdienen als Motto gar sehr den
lateinischen Spruch von der siegreichen Sache, die den
Gttern und der besiegten, die dem Cato gefallen hat.
Ich leugne nicht, da ich dem Verse seit langem die

gefhlteste Sympathie entgegenbringe, der heiteren


Gefatheit wegen, womit die Vernunft sich darin ihre
Wrde salviert gegen die Entscheidung des blinden
Schick sals. Dies ist das Seltenste auf Erden; das
Gemeine ist eine schamlose Untreue gegen die causa
victa und ein Kapitulieren vor dem Erfolge, das mich
erbittert wie nichts in der Welt. Ach, die Menschen!
Welche Verachtung hat die Epoche uns lehren k nnen
fr die Lack aienhaftigk eit ihrer Seelen! Vor drei
Jahren, anno 13, im Sommer, als wir Vater bewogen
hatten, nach Tplitz zu gehen, war ich in Dresden, das
damals von den Franzosen besetzt war. Die Brger
feierten folglich den Napoleonstag mit
Fensterbeleuchtung und Feuerwerk . Im April noch
hatten sie den Majestten von Preuen und Ruland
mit weigek leideten Jungfrauen und Illumination
gehuldigt. Und der Wetterhahn brauchte sich nur aufs
Neue zu drehen Es ist garzu erbrmlich. Wie soll sich
denn auch ein junger Mensch den Glauben an die
Menschheit bewahren, wenn er die Verrterei der
deutschen Frsten erlebt hat, die Felonie der
berhmten franzsischen Marschlle, die ihren Kaiser
in der Not verlieen
Sollte man sich auch wohl erbittern, mein Freund,
ber das, was garnicht anders sein k ann, und gleich
den Glauben an die Menschheit ber Bord werfen,
wenn Menschen sich wie Menschen benehmen nun

gar gegen einen Unmenschen? Treue {268}ist gut und


mit dem Erfolge zu laufen nicht schn; aber ein Mann
wie Bonaparte steht und fllt nun freilich einmal mit
dem Erfolge. Sie sind sehr jung, aber mtterlich
wnschte ich Ihnen, Sie mchten sich an dem
Verhalten Ihres groen Vaters ein Beispiel nehmen,
der damals am Rheine oder Maine die Feuer zum
Gedenk en der Leipziger Schlacht so heiter geno und
es ganz natrlich fand, da was dem Abgrund k hn
entstiegen, schlielich doch zum Abgrund
zurck msse.
Er hat aber nicht geduldet, da ich gegen den
Mann des Abgrundes zu Felde zge. Und, lassen Sie
mich das hinzufgen, er hat mir vterliche Ehre damit
erwiesen; denn die Jnglingsart, die sich dazu drngte
und dafr pate, die k enne ich und verachte sie aus
Herzensgrund, diese Laffen vom preuischen
Tugendbund, diese begeisterten Esel und Hohlk pfe in
ihrer schmuck en Dutzendmnnlichk eit, deren platten
Burschenjargon ich nicht hren k ann, ohne vor Wut
zu zittern
Mein Freund, ich mische mich nicht in die
politischen Streitfragen der Zeit. Aber lassen Sie mich's
gestehen, da Ihre Worte mich auf eine Weise traurig
machen. Vielleicht sollte ich mich freuen, wie die liebe
Schillern es tut, da Sie zu uns Alten stehen, und doch

will es mich schmerzlich, mich schreck haft berhren,


wie die leidige Politik Sie von Ihren Altersbrdern,
Ihrer Generation isoliert.
Ist doch, erwiderte August, die Politik ihrerseits
nichts Isoliertes, sondern steht in hundert Bezgen,
mit denen sie ein Ganzes und Untrennbares an
Gesinnung, Glauben und Willensmeinung bildet. Sie ist
in allem brigen enthalten und gebunden, im
Sittlichen, Aesthetischen, scheinbar nur Geistigen und
Philosophischen, und glck lich die Zeiten, wann sie,
ihrer unbewut, im Stande gebundener Unschuld
verharrt, wann nichts und niemand, auer ihren
engsten Adepten, ihre Sprache spricht. In solchen
vermeintlich unpolitischen Perioden ich mchte sie
Perioden politischer Latenz nennen ist {269}es
mglich, das Schne frei und unabhngig von der
Politik , womit es in stiller, doch unverbrchlicher
Entsprechung steht, zu lieben und zu bewundern. Es ist
leider nicht unser Los, in einer so milden, Duldung
gewhrenden Zeit zu leben. Die unsrige hat ein
scharfes Licht von unerbittlicher Deutlichk eit und lt
in jedem Dinge, jeder Menschlichk eit, jeder Schnheit
die ihr inhrente Politik aufbrechen und manifest
werden. Ich bin der Letzte zu leugnen, da daraus
mancher Schmerz und Verlust, manche bittere
Trennung entsteht.
Was besagen will, da Sie nicht unbek annt mit

solchen Bitterk eiten geblieben sind?


Allenfalls, sagte der junge Goethe nach k urzem
Schweigen, indem er auf die wippende Spitze seiner
Stiefelette niederblick te.
Und wrden Sie wohl wie ein Sohn zur Mutter
davon sprechen mgen?
Es ist Ihre Gte, erwiderte er, die mir schon das
Allgemeine entlock t hat; warum sollte ich nicht das
Besondere hinzufgen? Ich k annte einen Jngling,
etwas lter als ich, den ich mir zum Freunde
gewnscht htte: von Arnim mit Namen, Achim von
Arnim, aus preuischem Adel, sehr schn von Person,
sein ritterlich froh enthusiastisches Bild drck te sich
schon frh in meine Seele ein und blieb ihr
gegenwrtig, ob ich ihn gleich immer nur sporadisch,
in lngeren Abstnden wiedersah. Ich war noch ein
Knabe, als er erstmals in meinen Gesichtsk reis trat. Es
war in Gttingen, wohin ich meinen Vater hatte
begleiten drfen, und wo der Student sich uns heiter
bemerk bar machte, indem er, am Abend nach unserer
Ank unft, auf der Strae ein Vivat auf Vater
ausbrachte. Seine Erscheinung k onnte den lebhaftangenehmsten Eindruck auf uns ausben, und der
Zwlfjhrige verga sie nicht, weder im Trumen noch
im Wachen.
Vier Jahre spter k am er nach Weimar, k ein

Unbek annter {270}mehr im poetischen Reich: der


romantisch-altdeutschen Geschmack srichtung mit
geistreicher Schwrmerei, oder sage ich: mit
gemtvollem Witze hingegeben, hatte er unterdessen,
in Heidelberg, zusammen mit Clemens Brentano jenen
Volk sliederschatz, genannt Des Knaben Wunderhorn
gesammelt und an Tag gegeben, welchen die Zeit mit
Rhrung und Dank bark eit aufnahm, war doch die
Kompilation aus ihren eigensten Neigungen geboren.
Der Verfasser legte Besuch ab bei meinem Vater,
herzlich belobt von diesem fr seinen und seines
Genossen reizvollen Beitrag, und wir Jungen schlossen
uns aneinander. Es waren glck liche Wochen. Niemals
bin ich froher gewesen, meines Vaters Sohn zu sein, als
damals um seinetwillen, da es den Nachteil an Jahren,
Ausbildung, Verdiensten wettmachte, worin ich gegen
ihn stand, und mir seine Aufmerk samk eit, seine
Achtung und Freundschaft zuwandte. Es war Winter.
In allen Leibesk nsten geschick t, auch hierin dem
Jngeren sonst weit berlegen, k onnte er, zu meiner
Wonne, in einer doch bei mir in die Schule gehen: Er
lief nicht Schlittschuh, ich durfte es ihn lehren, und
diese Stunden frischer Regung, in denen ich es dem
Bewunderten zuvortun, ihn unterweisen k onnte, waren
die glck lichsten, die mir das Leben gebracht hat ich
erwarte, offen gestanden, k eine glck licheren von ihm.
Abermals vergingen drei Jahre, bis ich Arnimen

wiederbegegnete in Heidelberg, wohin ich anno 8 als


Student der Rechte k am, wohl empfohlen an mehrere
ansehnliche und geistreiche Huser, vor allem an das
des berhmten Johann Heinrich Vo, des Homeriden,
mit welchem Vater seit seinen Jenaer Tagen befreundet
war, und dessen Sohn Heinrich zu Zeiten den Dr.
Riemer bei uns als Hauslehrer vertreten hatte. Ich will
nur gestehen, da ich Vo den Jngeren nicht
sonderlich liebte; die vergtternde Hingabe, die er
meinem Vater widmete, langweilte mich eher, als da
sie mich ihm gewonnen {271}htte; ich mu ihn eine
zugleich enthusiastische und langweilige Natur nennen
(diese Mischung k ommt vor), und ein Lippenleiden, das
ihn noch zu der Zeit, als ich in Heidelberg eintraf,
hinderte, seine ak ademischen Vorlesungen abzuhalten,
machte ihn nicht eben anziehender. In seinem Vater,
dem Rek tor von Eutin, dem Dichter der Luise, tat eine
andere Zusammengesetztheit des Charak ters sich
hervor: es war die von Idyllik und Polemik . Die
huslich-gemtlichste Natur, gehegt und gepflegt von
der wack ersten Gattin und Hausmutter, war er im
Oeffentlichen, Gelehrten und Literarischen ein
Kampfhahn, der auerordentlich den Federk rieg, die
Disputation, die scharfen Aufstze liebte und bestndig
in frohem und verjngendem Zorn gegen Gesinnungen
zu Felde zog, welche einem aufgek lrten

Protestantismus, der antik isch k laren Menschlichk eit,


die er meinte, zuwider waren. Das Voische Haus
also, meinem Vaterhause nahe befreundet, war mir in
Heidelberg ein zweites Vaterhaus und ich ihm ein
zweiter Sohn.
So war es nicht nur ein freudig Erschreck en,
sondern auch Betroffenheit und Bedenk lichk eit, die
mich ank amen, als ich, schon bald nach meiner
Ank unft, dem Schwarmbilde meiner Knabenzeit, dem
Genossen frischer Winterlust, auf der Strae von
ungefhr in die Arme lief. Ich hatte auf die Begegnung
gefat sein drfen oder mssen und in der Tiefe meiner
Seele stndlich mit ihr gerechnet, denn ich wute, da
Arnim hier lebte, da er hier seine Zeitung fr
Einsiedler, ein witzig vertrumtes und rck gewandtes
Organ, die Stimme der neuen romantischen
Generation, herausfrderte, und wenn ich mich recht
prfte, mute ich mir gestehen, da eben dies mein
erster, heimlicher Gedank e gewesen war, als man mir
Heidelberg zum Schauplatze meiner Fuchsenzeit
bestimmt hatte. Wie nun der Freund vor mir stand,
beengten mich Glck und Verlegenheit, und ich glaube
wohl, da ich rot und bla wurde vor {272}ihm. Aller
Zwiespalt und Parteihader der Zeit und ihrer neben
einander wohnenden Geschlechter fiel mir aufs
Gewissen. Ich wute wohl, wie man bei Vossens ber
den frommen, verschnenden Kultus der Vorzeit, der

deutschen und christlichen, dachte, als dessen


Reprsentant von Arnim sich mehr und mehr
hervorgetan hatte. Ich fhlte auch, da die Zeiten
freier Kindheit, da ich mich in Unschuld hatte
zwischen den Lagern bewegen drfen, vorber seien,
und die Herzlichk eit, mit der jener, schner und
ritterlicher von Erscheinung als je, die Bek anntschaft
mit mir wieder aufnahm, beseligte und verstrte mich
auf gleiche Weise. Er ergriff meinen Arm und nahm
mich mit sich zum Buchhndler Zimmer, wo er seinen
Tisch hatte; aber obgleich ich ihm anfangs Einiges
ber Bettina Brentano zu berichten hatte, die ich
k rzlich zu Frank furt bei meiner Gromutter oft
gesehen, half sich doch bald ein stock endes Gesprch
nur noch mhsam weiter, und ich litt schwer darunter,
ihm den Eindruck unjugendlicher Stumpfheit erweck en
zu mssen, der sich denn schlielich in seinen Blick en,
seinem unwillk rlichen Kopfschtteln zu meiner
Verzweiflung unverhohlen k undtat.
In den Hndedruck , mit dem ich mich von ihm
verabschiedete, suchte ich etwas von dieser
Verzweiflung und von der Sehnsucht zu legen, ihm die
Zrtlichk eit, die mein Knabenherz fr ihn gehegt,
bewahren zu drfen. Bei Vossens aber, denselben Abend
noch, k onnte ich nicht umhin, von der Begegnung
Bericht abzulegen und fand die Lage schlimmer als ich

sie mir vorgestellt. Der Alte war im Begriffe, gegen


diesen Burschen, wie er sich ausdrck te, diesen
Jugendverderber und dunk elmnnischen Beschniger
des Mittelalters literarisch vom Leder zu ziehen und
eine Streitschrift gegen ihn loszulassen, die ihm, so
hoffte er, Aufenthalt und Wirk samk eit in Heidelberg
verleiden werde. Sein Ha auf das tck ischspielerische, verfhrerisch-widersacherische Treiben
der romantischen Literato{273}ren entlud sich in
polternden Worten. Er nannte sie Gauk ler ohne
wahren historischen Sinn, ohne philologisches
Gewissen und von verlogener Piett, da sie die alten
Texte, die sie ans Licht zogen, frech verflschten, unter
dem Vorgeben, sie zu verjngen. Vergebens wandte ich
ein, da Vater doch einst das Wunderhorn sehr
freundlich aufgenommen habe. Von seiner
gleichmtigen Gte abgesehen, versetzte Vo, ehre und
schtze mein Vater die Folk lore und jedwedes
Nationelle in einem ganz anderen Sinn und Geist als
jene deutschtmelnden Poetaster. Im brigen stehe sein
alter Freund und Gnner ganz ebenso, wie er, zu
diesen patriotischen Frmmlern und Neok atholik en,
deren Verherrlichung des Vergangenen nichts als
tck ische Anschwrzung der Gegenwart und deren
Verehrung fr den groen Mann hchst unrein sei, da
sie einzig darauf abziele, ihn auszubeuten und ihren
Zweck en vorzuspannen. Kurzum, wenn mir an seiner,

des Rek tors, vterlicher Freundschaft und seiner Liebe


und Frsorge irgend gelegen sei, so htte ich mich
jedes Umganges und Wiedersehens mit Arnimen strick t
zu entschlagen.
Was soll ich Ihnen weiter sagen? Ich hatte zu whlen
zwischen diesem wrdigen Mann, den alten Freunden
des Vaterhauses, die mir ein Heim in der Fremde boten,
und dem abenteuerlichen Glck einer verbotenen
Freundschaft. Ich resignierte. An Arnimen schrieb ich,
da der Platz, den ich nach Geburt und eigener
berzeugung in den Parteiungen der Zeit einnhme, es
mir verwehre, ihn wiederzusehen. Es war eine
Knabenthrne, die das Papier dieses Briefes netzte, und
sie zeigte mir, da die Neigung, der ich nun absagte,
einer Lebensepoche angehrte, der ich entwachsen
war. Ich suchte und fand Entschdigung in der
brderlichen Verbindung mit Heinrichen, dem
jngeren Vo, ber dessen Langweiligk eit und
Lippenleiden mir die Gewiheit hinweghalf, da seine
Begeisterung fr Vater rein von aller Verschmitztheit
war.
{274}Charlotte lie es sich angelegen sein, dem
Erzhler fr diese k leine Beichte zu dank en und ihn
ihrer Teilnahme zu versichern an einer Prfung, die
er, so drfe man sagen, wie ein Mann bestanden habe.
Wie ein Mann, wiederholte sie. Es ist eine recht

mnnliche Geschichte, die Sie mir da vertrauten, aus


einer Mnnerwelt, will sagen einer Welt der Prinzipien
und der Unerbittlichk eit, vor der wir anderen Frauen
denn doch immer mit halb respek tvollem, halb
lchelndem Kopfschtteln stehen. Wir sind Kinder der
Natur und der Toleranz im Vergleiche mit euch
Gestrengen, und ich frchte, wir k ommen euch
dessentwegen manchmal wie elbische Wesen vor. Ob
nicht aber ein gut Teil der Anziehung, die unser armes
Geschlecht auf euch ausbt, sich aus der Erholung vom
Prinzipiellen erk lrt, die ihr bei uns findet? Wenn wir
euch sonst gefallen, pflegt euere Prinzipienstrenge ein
Auge zuzudrck en, sie pflegt sich dann als wenig
stichhaltig zu erweisen, und die Geschichte der
Empfindsamk eit lehrt, da alte Familien- und
Ehrenzwiste, hergebrachte Gegnerschaft der
Gesinnungen und so fort durchaus k ein Hindernis
bilden fr unzerstrbar leidenschaftlichste
Herzensbndnisse zwischen Kindern solcher
berlieferung, ja da dergleichen Hindernisse dem
Herzen gar noch ein Anreiz sind, ihnen ein
Schnippchen zu schlagen und seine eigenen Wege zu
gehen.
Das mag es denn eben wohl sein, sagte August,
wodurch die Liebe sich von der Freundschaft
unterscheidet.
Gewi. Und nun lassen Sie mich fragen Es ist

eine mtterliche Frage. Sie haben mir von einer


verhinderten Freundschaft berichtet. Geliebt haben
Sie niemals?
Der Kammerrat blick te zu Boden und wieder zu ihr
auf.
Ich liebe, sagte er leise.
Charlotte schwieg mit dem Ausdruck von Bewegtheit.
Ihr Vertrauen, sagte sie, rhrt mich ebenso sehr
wie der Inhalt dieser Nachricht. Offenheit gegen
Offenheit! Ich will {275}Ihnen gestehen, warum ich
mich zu der Frage entschlo. August, Sie haben mir
von Ihrem Leben erzhlt, Ihrem so lobenswerten, so
bevorzugten, so hingebungsvollen Sohnesleben, wie
Sie Ihrem lieben groen Vater ein so treuer Helfer sind,
seine Wege machen, seine Schriften hten, den
Prellbock abgeben zwischen ihm und der Welt der
Geschfte. Sie sollen nicht glauben, da ich, die
schlielich auch wei, was Opfer ist und Verzicht, ein
solches Leben selbstlosen Liebesdienstes nicht sittlich
zu schtzen wte. Und doch, da ich's nur sage,
waren die Gefhle, mit denen ich Ihnen zuhrte, nicht
ganz ungemischt. Es schlich sich etwas wie Sorge, wie
Aengstlichk eit und Unzufriedenheit zwischen sie
hinein, ein Widerstreben wie man es gegen das nicht
recht Natrliche, nicht recht Gottgewollte empfindet.
Ich meine, Gott hat uns nicht geschaffen er hat uns

das Leben nicht gegeben, damit wir uns seiner


entuern und es in einem anderen, sei es auch das
teuerste und erhabenste, gnzlich aufgehen lassen.
Unser eigenes Leben sollen wir fhren, nicht in
Selbstsucht und indem wir andere nur als Mittel dazu
betrachten, aber doch auch nicht in Selbstlosigk eit,
sondern selbstndig und aus eigenem Sinn, in
vernnftigem Ausgleich unserer Pflichten gegen andere
und gegen uns selbst. Habe ich nicht recht? Es ist
unserer Seele nicht es ist nicht einmal durchaus
unsrer Gte und Milde zutrglich, nur fr andere zu
leben. Gerade heraus, ich wre glck licher gewesen,
wenn ich aus Ihren Mitteilungen einige Zeichen einer
vorhabenden Emanzipation und Verselbstndigung vom
Vaterhause htte ablesen k nnen, wie sie Ihren Jahren
wohl zuk me. Sie sollten einen eigenen Hausstand
begrnden, sollten heiraten, August.
Ich gedenk e in den Stand der Ehe zu treten, sagte
der Kammerrat mit einer Verbeugung.
Vortrefflich! rief sie. Ich rede mit einem
Brutigam?
Das ist vielleicht zuviel gesagt. Wenigstens ist die
Sache noch nicht publique.
{276}Ich bin jedenfalls hocherfreut und sollte
Ihnen bse sein, da Sie mir erst jetzt Gelegenheit
geben, meine Glck wnsche anzubringen. Ich darf
wissen, wer die Erwhlte ist?

Ein Frulein von Pogwisch.


Mit Vornamen ?
Ottilie.
Wie reizend! Es ist wie im Roman. Und ich bin dazu
die Tante Charlotte.
Sagen Sie nicht Tante; sie k nnte Ihre Tochter
sein, erwiderte August, wobei der Blick , mit dem er sie
betrachtete, nicht nur starr, sondern eigentmlich
glasig wurde.
Sie erschrak und errtete. Meine Tochter Was
fllt Ihnen ein! stammelte sie, von einem Gefhl der
Spuk haftigk eit angerhrt bei der Wiederk ehr dieses
Wortes und dem Blick , der es begleitete, und der den
Eindruck machte, als sei es ohne Willen und
Bewutsein, aus der Tiefe gesprochen worden.
Aber ja! beteuerte er, indem er sich in heitere
Bewegung setzte. Ich scherze nicht oder nur wenig,
ich spreche brigens nicht von Aehnlichk eit, die wre
freilich mysteris, sondern von Verwandtschaft, und die
k ommt in der Welt millionenfach vor. Offenk undig,
Frau Hofrtin, gehren Sie zu den Personen, deren
Grundbilde die Jahre wenig anhaben k nnen, die sich
in der Zeit wenig verndern oder richtiger, deren
reifere Erscheinung fr Ihr Jugendbild besonders
durchsichtig bleibt. Ich bin nicht so dreist, Ihnen zu
sagen, da Sie aussehen wie ein junges Mdchen, aber

man mu nicht das zweite Gesicht haben, um durch die


Hlle der Wrde ganz leicht des jungen Mdchens,
beinahe des Schulmdels gewahr zu werden, das Sie
einst waren, und alles, was ich behaupte, ist, da
dieses junge Mdchen Ottiliens Schwester sein k nnte,
woraus denn mit mathematischer Schlssigk eit folgt
oder vielmehr: womit zusammenfllt, was ich
behauptete, nmlich, da sie Ihre Tochter sein
k nnte. Was ist Aehnlichk eit! Ich behaupte k eine
Gleichheit {277}der Einzelzge, sondern die
Schwesterlichk eit der Gesamterscheinung, die Identitt
des Typus, dies allem Junonischen Ferne, dies Leichte,
Liebliche, Zierliche, Zrtliche, das ist es, was ich das
Schwesterliche, das Tchterliche nenne.
War es eine Art von Nachahmung, von Ansteck ung?
Charlotte sah den jungen Goethe mit demselben starr
gewordenen und etwas glsernen Blick e an, den er
vorhin auf sie gerichtet hatte.
Von Pogwisch von Pogwisch wiederholte sie
mechanisch. Und dann fiel ihr ein, da sie ber
Charak ter und Herk unft des Namens nachgedacht
haben k nnte. Das ist preuischer Adel, Schwertadel,
Offiziersadel, nichtwahr? fragte sie. Diese
Verbindung wird also etwas sein wie die von Leyer und
Schwert. Ich achte den Geist des preuischmilitrischen Menschenschlages aufrichtig. Wenn ich
sage: Geist, so meine ich Gesinnung, Zucht, Ehrliebe,

Vaterlandsliebe. Wir verdank en diesen Eigenschaften


unsere Befreiung vom Joch der Fremden. In diesem
Geist, dieser berlieferung ist Ihre Verlobte wenn ich
ihr diesen Namen denn geben darf also
aufgewachsen. Ich berlege, da sie unter diesen
Umstnden nicht gerade eine Bewunderin des
Rheinbundes, eine Anhngerin Bonapartes sein wird.
Diese Fragen, erwiderte August ablehnend, sind
ja durch den Gang der Geschichte berholt und
beigelegt.
Gottlob! sagte sie. Und die Verbindung erfreut
sich der Gnnerschaft, der vterlichen Zustimmung
Goethe's?
Vollk ommen. Er ist der Meinung, da sie die
entschiedensten Aussichten erffnet.
Aber er wird Sie verlieren oder doch viel von
Ihnen. Erinnern Sie sich, ich habe Ihnen die eigene
Lebensgrndung eben noch selber angeraten! Wenn
ich mich nun aber in meinen alten Jugendfreund,
unsern teueren Geheimen Rat versetze er wird des
vertrauten Helfers, des trefflichen Kommissionrs
verlustig gehen, wenn Sie das Haus verlassen.
{278}Es ist an nichts dergleichen gedacht,
erwiderte August, und nichts, zu Ihrer Beruhigung sei
es gesagt, wird sich zum Nachteil meines Vaters
verndern. Er verliert den Sohn nicht, indem er eine

Tochter gewinnt. Es ist vorgesehen, da wir die


bisherigen Gastzimmer droben im zweiten Obergescho
beziehen, es sind allerliebste Stuben mit dem Blick
auf den Frauenplan. Aber Ottiliens Reich wird,
versteht sich, nicht auf sie beschrnk t sein; sie wird
auch in den darunter gelegenen Gesellschaftsrumen
walten als Dame des Hauses. Da das Haus wieder ein
weibliches Oberhaupt da es endlich eine Herrin
bek ommt, ist ja nicht der letzte Gesichtspunk t, unter
dem meine Heirat fr begrenswert gilt.
Ich verstehe und k ann mich nur wundern, wie
meine Gefhle schwank en. Eben noch war ich besorgt
fr den Vater und bin es auf einmal nun wieder fr den
Sohn. Meine Wnsche fr diesen erfllen sich auf eine
Weise, die, ich will es nur gestehen, manches von einer
Enttuschung, von einer Nicht-Erfllung hat eben
weil eine Beruhigung von wegen des Vaters damit
verbunden ist. Ich bin nicht sicher, ob ich Sie recht
verstand: Sie haben das Wort Ihrer Erk orenen?
Es ist, erwiderte August, einer der Flle, in
denen es der Worte am Ende nicht mehr bedarf.
Nicht einmal bedarf? Der Worte der Worte. Sie
entwerten, mein Freund, ein feierlich Ding, indem Sie
es in die Mehrzahl versetzen. Das Wort, mein Lieber,
das ist etwas anderes als Worte, das will gesprochen
sein und zwar nach reiflichster berlegung, nach
sorglichstem Zgern. Drum prfe, wer sich ewig bindet.

Sie lieben, Sie haben es mir alten Frau, die Ihre Mutter
sein k nnte, zu meiner tiefen Rhrung gestanden. Da
Sie wiedergeliebt werden ich zweifle nicht daran.
Ihre angeborenen Verdienste bieten mir dafr das
einleuchtendste Gewhr. Wonach ich mich aber mit
einer gewissen mtterlichen Eifersucht frage, ist, ob
Sie wahrhaft und nur um Ihrer eigen {279}sten
Eigenschaften willen, ganz als Sie selbst geliebt
werden. Als ich jung war, habe ich mich oft mit
Schreck en in die Seele reicher und darum
vielumworbener junger Mdchen versetzt, die zwar in
der glck lichen Lage sind, nach Belieben unter des
Landes Jnglingen zu whlen, aber niemals ganz sicher
sein k nnen, ob die Huldigungen, die sie empfangen,
ihnen selbst oder ihrem Gelde gelten. Nehmen Sie
irgend einen k rperlichen Mangel, ein Schielen, ein
Hink en, eine k leine Verwachsenheit hinzu, und Sie
denk en sich ganze Tragdien aus, die sich in der Seele
eines solchen unselig gesegneten Geschpfes abspielen
Tragdien des Schwank ens zwischen der Sehnsucht zu
glauben und nagendem Zweifel. Mir schauderte, wenn
ich dran dachte, da solche Wesen zu der Frivolitt
gelangen mssen, ihren Reichtum als persnliche
Eigenschaft aufzufassen und sich zu sagen: Liebt er
auch nur mein Geld, so ist dieses doch mein, und
unabtrennbar von mir, es k ommt fr mein Hink en auf,

und also liebt er mich trotz meinem Hink en Ach,


verzeihen Sie, dieses gedachte und unausdenk bare
Dilemma ist eine alte fixe Idee, der stndige Angst- und
Mitleidstraum meiner Mdchentage, soda ich noch
heute mich in Geschwtzigk eit verliere, wenn ich drauf
k omme, ich k omme aber einzig darauf, weil Sie,
lieber August, mir als der reiche Jngling erscheinen,
der zwar so glck lich ist, whlen zu k nnen unter den
Tchtern des Landes, aber auch allen Grund hat, zu
prfen, warum er gewhlt wird: ob wahrhaft
seinetwegen oder um hinzuk ommender Eigenschaften
willen. Dieses Persnchen sehen Sie mir die
nonchalante Bezeichnung nach, es ist Ihre eigene
anschauliche und bildhafte Beschreibung der Kleinen,
die sie mir eingibt, diese bestimmt mich, sie ein
Persnchen zu nennen, und da Sie ihr Bild in eine
gewisse tchterliche oder schwesterliche Beziehung zu
meiner eigenen Person gebracht haben, gibt mir ja ein
Anrecht auf nachlssige Redeweise, so als sprche ich
von mir selbst Verzeihen Sie, {280}ich werde gewahr,
da ich nicht ganz genau mehr wei, was ich sage.
Dieser Tag hat mir groe geistige und gemtliche
Anstrengungen gebracht ich k ann mich an
seinesgleichen nicht erinnern. Was ich aber zu sagen
angefangen, das mu ich zu Ende fhren. Kurzum, dies
Persnchen Ottilie, liebt sie Sie wie Sie da sind, ohne
Umstnde, oder liebt sie Ihre Umstnde, die die eines

berhmten Sohnes sind, soda sie eigentlich den Vater


liebte? Wie sorgsam geprft will eine solche Sache sein,
bevor man sich bindet! Mir, die ich Ihre Mutter sein
k nnte, liegt es ob es ist meine Pflicht und Aufgabe,
Sie auf die Bedenk lichk eiten hinzuweisen. Denn auch
des Persnchens Mutter k nnte ich Ihrer Schilderung
nach ja sein, und wenn in Goethe's Augen diese
Verbindung die entschiedensten Aussichten eroeffnet,
wie Sie sich ausdrck ten oder wie er sich ausgedrck t
hat, so mag das immerhin damit zusammenhngen,
da ich, das ehemalige Persnchen, diesen Augen einst
wohlgefiel, woraus ja eben folgt, da ich Ihre Mutter
sein k nnte, und was es so sehr genau zu prfen gilt,
das ist, ob Sie es eigentlich sind, der sie liebt, oder ob
Sie am Ende auch hier nur der Reprsentant und
Kommissionr Ihres Vaters sind. Da Sie den Ritter
Arnim liebten und gern sein Freund htten sein
mgen, wenn es nach Ihrem Herzen gegangen wre,
sehen Sie, das war eine eigene Sache und eine Sache
Ihrer Generation, aber dieses hier, so k ommt mir vor,
ist vielleicht nur eine Sache zwischen uns Alten. Daher
meine Sorge. Glauben Sie nicht, da ich ohne Sinn fr
den Reiz einer Verbindung bin, mit der, wenn ich so
sagen darf, was die Alten sich versagten und
versumten, von den Jungen nachgeholt und
verwirk licht wrde. Und doch mu ich Sie auch wieder

auf das hchst Bedenk liche der Sache entschieden


hinweisen, da es sich sozusagen um Geschwister
handelt
Sie legte die Hand im gehk elten Halbhandschuh
ber die Augen.
{281}Nein, sagte sie, verzeihen Sie, mein Kind, es
ist wie ich vorhin schon gestehen mute, da ich
nmlich meiner Worte und, um die Wahrheit zu sagen,
schon meiner Gedank en nicht mehr in vollem Umfange
sicher bin. Sie mssen mich alte Frau entschuldigen
ich k ann nur wiederholen, da ich mich eines Tages
wie dieses, mit Anforderungen wie er sie mir brachte,
berhaupt nicht entsinne. Es focht mich eben ein
veritabler Schwindel an
Der Kammerrat, der whrend der letzten Minuten
sehr gerade, ja starr auf seinem Stuhle gesessen hatte,
raffte sich bei diesen Worten eiligst davon auf.
Um Gott, rief er, ich mu mich ank lagen ich
habe Sie ermdet, es ist ganz unverzeihlich! Wir haben
vom Vater gesprochen, das ist meine einzige
Entschuldigung, denn dieses Thema, obgleich gar
k eine Aussicht ist, damit zu Rande zu k ommen, lt
einen so leicht nicht Ich ziehe mich zurck und
htte es (er schlug sich mit der Handwurzel gegen die
Stirn) nun gar beinahe getan, ohne mich des Auftrags
zu entledigen, der meine einzige Legitimation war,
Ihnen zur Last zu fallen. Er nahm sich zusammen und

sagte leise, in leicht vorgebeugter Haltung: Ich habe


die Ehre, der Frau Hofrtin die Willk ommsgre
meines Vaters zu bermitteln und sein Bedauern
zugleich, da er sich nicht sogleich wird blick en lassen
k nnen. Er sieht sich durch einen Rheumatism im
link en Arm etwas in seiner Bewegungsfreiheit
eingeschrnk t. Er wrde es sich aber zur Ehre und
Freude rechnen, wenn Frau Hofrtin nebst Dero
Lieben, Kammerrat Ridels und respek tiven Demoiselles
Tchtern, den k ommenden Freitag, also in drei Tagen
von heute, um halber 3 in k leinem Kreise bei ihm zu
Mittag speisen wollten.
Charlotte hatte sich, leicht schwank end, ebenfalls
erhoben.
Recht gern, antwortete sie, vorausgesetzt, da
meine Verwandten auf den Tag noch frei sind.
{282}Ich darf mich beurlauben, sagte er in
geschlossener Verbeugung und in Erwartung ihrer
Hand.
Sie trat, etwas schwank end, auf ihn zu, nahm seinen
jungen Kopf mit dem Back enbrtchen, dem
Wuschelhaar zwischen ihre Hnde und k te ihn, wie
es bei seiner entgegengeneigten Haltung nicht
unbequem war, mit zarten Lippen auf die Stirn.
Leb' er wohl, Goethe, sagte sie. Hab' ich
Ungereimtes geredet, so verge er's, ich bin eben die

Frischeste nicht. Vorher waren schon Rose Cuzzle und


Dok tor Riemer und die Schopenhauerin da, und
auerdem gab es noch Mager und das Weimarer
Publik um, und alles war fr meine Verhltnisse
bertrieben interessant. Geh' er, mein Sohn, ber drei
Tage k omm' ich zu Mittag, warum denn nicht? Hat er
doch auch so manches Mal seine sauere Milch bei uns
gehabt im Deutschordenshause. Mgt ihr euch leiden,
ihr Jungen, so nehmt euch, tut's ihm zu Liebe und seid
glck lich in eueren Oberstuben! Ich habe k einen
Beruf, euch davon abzureden. Gott mit ihm, Goethe,
Gott mit ihm mein Kind!

{283}Das

siebente Kapitel

O, da es schwindet! Da das heitere Gesicht der Tiefe


sich endigt, schleunig, wie auf den Wink eines launisch
gewhrenden und entziehenden Dmons, in nichts
zerfliet und ich emportauche! Es war so reizend! Und
nun, was ist? Wo k ommst Du zu dir? Jena? Berk a?
Tennstdt? Nein, das ist die Weimarer Steppdeck e,
seiden, die heimische Wandbespannung, der
Klingelzug Wie, in gewaltigem Zustande? In hohen
Prchten? Brav, Alter! So sollst du, muntrer Greis, dich
nicht betrben Und ist's denn ein Wunder? Welche
herrlichen Glieder! Wie sich der Busen der Gttin,
elastisch eingedrck t, an die Schulter des schnen
Jgers sich ihr Kinn seinem Hals und der
schlummererwrmten Wange schmiegte, ihr
ambrosisches Hndchen das Handgelenk seines
blhenden Armes umfate, womit er sie wack erst
umschlingen wird, Nschen und Mund den Hauch
seiner traumgelsten Lippen suchten, da zur Seite
erhht das Amorbbchen halb entrstet, halb
triumphierend seinen Bogen schwang mit Oho! und
Halt ein! und zur Rechten k lug die Jagdhunde schauten
und sprangen. Hat dir das Herz doch im Leibe gelacht
ob der prchtigen Composition! Woher gleich? Woher?

Versteht sich, es war der l'Orbetto, der Turchi war's


auf der Dresdener Galerie, Venus und Adonis. Sie haben
ja vor, die Dresdener Gemlde zu restaurieren?
Vorsicht, Kinderchen! Das k ann ein Unglck geben,
wenn ihr's bers Knie brecht und Stmper heranlat.
Gestmpert wird in dieser Welt da euch der Teufel.
Weil sie vom Schweren und Guten nicht wissen und alle
sich's leicht machen. Keine Bedrftigk eit was soll
denn dabei herausk ommen? Mu ihnen von der
Restaurationsak ademie in Venedig erzhlen, ein
Direk tor und zwlf Professoren, die sich ins Kloster
schlossen zum allerprek rsten Geschfte. Venus und
Adonis Amor und Psyche wre zu machen,
{284}lngst schon, von den Guten erinnert mich
manchmal Einer daran, wie ich's befohlen; k nnen mir
aber auch nicht sagen, woher ich die Zeit nehm. Sieh
dir die Psyche-Kupfer von Dorigny im Gelben Saal
einmal wieder genauestens an, die Idee zu erfrischen,
dann magst du's wieder verschieben. Warten und
verschieben ist gut, es wird immer besser, und dein
Geheimstes und Eigenstes nimmt dir k einer; k einer
k ommt dir zuvor, und macht' er dasselbe. Was ist auch
Stoff? Stoff liegt auf der Strae. Nehmt ihn euch,
Kinder, ich brauch ihn euch nicht zu schenk en, wie
ich Schillern den Tell geschenk t, da er in Gottes
Namen sein hochherzig aufwiegelnd Theater damit
treibe, und ihn mir doch vorbehielt frs Llich-

Wirk liche, Ironische, Epische, den herk ulischen Demos,


den Herrschaftsfragen nichts angehn, und den
behglichen Tyrannen, der mit des Landes Weibern
spat. Wartet, ich mach es bestimmt noch, und der
Hexameter sollte euch reifer und mit der Sprache
einiger sein, als je im Reinick e und im Hermann.
Wachstum, Wachstum. Solange man wchst und die
Krone breitet, ist man jung, und auf unserer
gegenwrtigen Stufe, bei so schner Erweiterung
unseres Wesens sollten wir Amor und Psyche
angreifen: aus hoch-fhigem Alter, tief erfahrener
Wrde, von Jugend gek t, sollte das Leichteste,
Lieblichste k ommen. Niemand ahnt, wie hbsch das
wrde, bis es hervortrte. Vielleicht in Stanzen? Aber
ach, man k ann nicht alles leisten im Drang der
Geschfte, und manches mu sterben. Willst du wetten,
da auch die Reformations-Kantate dir noch
verk mmert? Donner auf Sinai Der Morgenduft
weiter Einsamk eit, das ist mir sicher. Zu den
Hirtenchren, den k riegerischen, k nnte Pandora
helfen. Sulamith, die Geliebteste in der Ferne Einzig
ist mir das Vergngen seiner Liebe Tag und Nacht.
Das sollte schon Spa machen. Aber die Hauptsache
bleibt Er und die gesteigerte Lehre, das Geistige,
immerfort miverstanden vom Volk , die Verlassenheit,
das Seelenleiden, die hchste Qual und dabei

{285}trsten

und strk en. Sollten merk en, da man,


alter Pagane, vom Christentum mehr los hat, als sie
alle. Aber wer macht die Musik ? Wer redet mir zu,
versteht es und lobt's, bevor es vorhanden? Htet euch,
so ungetrstet werd' ich die Lust verlieren, und dann
seht zu, womit ihr auch nur irgend wrdig den Tag
begeht! Wr' Er noch da, der vor so manchen Jahren
schon zehne sind's von uns sich weggek ehrt! Wr' Er
noch da, zu spornen, zu fordern und geistreich
aufzuregen! Hab ich euch nicht den Demetrius
hingeworfen wegen der albernen Schwierigk eiten, die
ihr mir mit den Auffhrungen machtet, da ich ihn
doch vollenden wollte und k onnte zur herrlichsten
Totenfeier auf allen Theatern? Ihr seid schuld, mit
euerer stumpfen Alltagszhigk eit, da ich wtend
verzagte und Er mir und euch zum zweitenmal und
endgltig starb, da ich's aufgab, sein Dasein aus
genauester Kenntnis fortzusetzen. Wie ich unglck lich
war! Unglck licher wohl, als man sein k ann durch
andrer Verschulden. Tuschte dich die Begeisterung?
Widerstand dir heimlich der eigene Herzenswunsch
und redlichste Vorsatz? Nahmst du die ueren
Hindernisse zum Vorwand und spieltest den Groller im
Zelte? Er, er wre imstande gewesen, starb ich vor
ihm, den Faust zu vollenden. Um Gottes willen! Man
htte testamentarische Vork ehrungen treffen
mssen! Aber ein bitterster Schmerz war es eben doch

und bleibt's, ein schlimmes Versagen, eine abscheuliche


Niederlage. Allworber denn auch der ausdauernde
Freund sich beschmt zur Ruhe begeben.
Was ist die Uhr? Erwacht ich in die Nacht? Nein,
vom Garten blinzelt es schon durch den Laden. Es wird
sieben Uhr sein oder nicht weit davon, nach Ordnung
und Vorsatz, und k ein Dmon wischte das schne
Tableau hinweg, sondern mein eigener Sieben UhrWille war's, der zur Sache rief und zum
Tagesgeschft, wachsam geblieben dort unten im
nhrenden Tal, wie der wohlgezogene Jagdhund, der so
gro und fremd-verstndig {286}auf Venus' Verliebtheit
blick te. Achtung, das ist, wie er leibt und lebt, der
Hund des Gotthardus, der fr den siechen Sank t
Rochus das Brot wegschnappt vom Tisch seines Herrn.
Die Bauernregeln sind heute einzutragen ins RochusFest. Wo ist das Taschenbuch? Link s im Fach vom
Schreibsek retr. Trock ner April ist nicht des Bauern
Will'. Wenn die Grasmck e singt, ehe der Weinstock
sprot ein Gedicht. Und die Hechtsleber. Ist ja
Eingeweideschau urltesten Schrotes und Kornes. Ach,
das Volk . Erbreich-traulich-heidnisch Naturelement,
nhrendes Tal des Unbewuten und der Verjngung!
Mit ihm zu sein, umschlossen von ihm beim
Vogelschieen und Brunnenfest oder wie damals zu
Bingen am langen, geschirmten Tisch beim Wein, im

Dunst des schmorenden Fetts, des frischen Brotes, der


auf glhender Asche bratenden Wrste! Wie sie den
verlaufenen Dachs, den blutenden, unbarmherzig
erwrgten am allerchristlichsten Fest! Im Bewuten
k ann der Mensch nicht lange verharren; er mu sich
zuweilen wieder ins Unbewute flchten, denn darin
lebt seine Wurzel. Maxime. Davon wute der Selige
nichts und wollte nichts davon wissen, der stolze
Krank e, der Aristok rat des Geistes und der Bewutheit,
der groe, rhrende Narr der Freiheit, den sie darum,
absurd genug, fr einen Volk smann halten (und mich
fr den vornehmen Knecht), da er doch vom Volk e rein
nichts verstand und auch von Deutschheit nichts
nun, dafr liebt ich ihn, ist mit den Deutschen ja nicht
zu leben, sei es in Sieg oder Niederlage sondern in
zarter, hochk rnk licher Reine, sprde dagegenstand,
unfhig unterzutauchen, immer vielmehr nur in
Sanftmut gemeint, das Geringe als Seinesgleichen zu
nehmen, es zu sich und zum Geiste emporzusteigern auf
Heilandsarmen. Ja, Er hatte viel von Ihm, auf den ich
mich verstehen will in der Kantate, und
ambitionierte auch noch auf den erfinderischen
Geschftsmann in k indlicher Groheit. Kindlich? Nun,
er war Mann gar sehr, Mann im berma und bis zur
Unnatur, denn {287}das rein Mnnliche, Geist,
Freiheit, Wille, ist Unnatur, da er denn vor dem
Weiblichen einfach albern war: seine Weiber sind ja

zum Lachen, und dabei das Sinnliche als


anstachelnde Grausamk eit. Schreck lich, schreck lich
und unausstehlich! Und ein Talent in alldem, eine
hochfliegende Khnheit, ein Wissen ums Gute, weit
ber alles Gesinde und Gesindel hinaus, einzig
ebenbrtig, einzig verwandt, ich werde nicht
Seinesgleichen sehen. Der Geschmack im
Geschmack losen, die Sicherheit im Schnen, die stolze
Prsenz aller Fhigk eiten, Fazilitt und Fertigk eit des
Sprechens, unbegreiflich unabhngig von jedem
Befinden, der Freiheit zu Ehren, verstehend aufs
halbe Wort und antwortend mit uerster Klugheit,
dich zu dir selber rufend, dich ber dich selbst
belehrend, immer sich vergleichend, sich k ritisch
behauptend, lstig genug: der spek ulative, der intuitive
Geist, wei schon, wei schon, sind sie nur beide
genialisch, so werden sie sich auf halbem Wege Wei
schon, darauf k ams an, da auch der Naturlose, der
Nichts-als-Mann, ein Genie sein k nne, da Er eines
sei und an meine Seite gehre, auf den groen Platz
k ams an und die Ebenbrtigk eit und auch darauf, aus
der Armut herauszuk ommen und sich ein Jahr fr jedes
Drama leisten zu k nnen. Unangenehmer,
diplomatisierender Streber. Mocht ich ihn jemals? Nie.
Mochte den Storchengang nicht, das Rtliche, die
Sommersprossen, die k rank en Back en, nicht den

k rummen Rck en, den verschnupften Hak en der Nase.


Aber die Augen verge ich nicht, solang ich lebe, die
blau-tiefen, sanften und k hnen, die Erlser-Augen
Christus und Spek ulant. War ich voller Mitrauen!
Merk te: er wollte mich exploitieren. Schrieb mir den
erzgescheiten Brief, um den Meister fr die Horen
zu k riegen, die er darauf gegrndet, wo du doch, Lunte
riechend, heimlich schon mit Unger zum Abschlu
gek ommen. Und dann insistierte er wegen Faust fr die
Horen und fr Cotta, rgerlichst, da er doch ganz
allein unter allen begriff, um was es ging bei dem
objek {288}tiven Stil seit Italien, wissen mute, da ich
ein andrer und der Lehm trock en geworden. Lstig,
lstig. War hinter mir her und urgierte, weil er k eine
Zeit hatte. Aber nur die Zeit bringts heran. Zeit mu
man haben. Zeit ist Gnade, unheroisch und gtig,
wenn man sie nur ehrt und sie emsig erfllt; sie besorgt
es im Stillen, sie bringt die dmonische Intervention
Ich harre, mich umk reist die Zeit. Thte aber das Ihre
allenfalls schneller, wr er noch da. Ja, mit wem sprech
ich ber Faust, seitdem der Mann aus der Zeit ist? Er
wute alle Sorgen, die ganze Unmglichk eit und die
Mittel und Wege wohl auch, unendlich geistreich und
duldsam-frei, voll k hnen Einverstndnisses den
groen Spa betreffend und die Emanzipation vom
nicht-poetischen Ernst, da er mich nach Helena's
Auftritt trstlich bedeutete, aus der Cohobierung des

Spuk s und der Fratze zum Griechisch-Schnen und zur


Tragdie, der Verbindung des Reinen und des
Abenteuerlichen mchte wohl ein nicht ganz
verwerflicher poetischer Tragelaph entstehen. Er hat
Helena noch gesehen, hat ihre ersten Trimeter noch
gehrt und seinen groen und vornehmen Eindruck
bek undet, das soll mich strk en. Er hat sie gek annt,
wie Chiron, der Rastlose, den ich nach ihr fragen will.
Er hat gelchelt beim Zuhren, wie ichs fertig
gebracht, jedes Wort mit antik ischem Geist zu
durchtrnk en Vieles erlebt ich, obgleich die
Lock e Jugendlich wallet mir um die Schlfe! Durch
das umwlk te, staubende Tosen Drngender Krieger
hrt ich die Gtter Frchterlich rufen, hrt ich der
Zwietracht Eherne Stimme schallen durchs Feld
Mauerwrts! Da lchelte er und nick te:
Vortrefflich! Das ist sank tioniert, darber bin ich
beruhigt, das soll unangetastet sein, er hats
vortrefflich gefunden und hat gelchelt, soda ich
auch lcheln mute und mein Lesen zum Lcheln
wurde. Nein, auch darin war er nicht deutsch, da er
lchelte ber das Vortreffliche. Das tut k ein Deutscher.
Die schauen grimmig drein dabei, weil sie nicht wissen,
da Kultur {289}Parodie ist Liebe und Parodie Er
nick te und lchelte auch, als der Chor Phbos den
Kenner nannte. Doch tritt immer hervor; Denn das

Hliche Sieht er nicht, Wie sein heiliges Aug Niemals


den Schatten sieht. Das gefiel ihm, darin erk annt er
sich, fand es auf sich gemnzt. Und dann wandte er ein
und tadelte, es sei nicht recht gesagt, da Scham und
Schnheit nie zusammen, Hand in Hand, den Weg
verfolgen: Schnheit sei schamhaft. Sagt ich: Warum
sollte sie? Sagt er: Im Bewutsein, da sie, dem
Geistigen entgegen, das sie reprsentiert, Begierde
erregt. Sag ich: Soll die Begierde sich schmen; aber
die tut's auch nicht, im Bewutsein vermutlich, da sie
das Verlangen nach dem Geistigen reprsentiert. Hat
er mitgelacht. Es lacht sich mit niemandem mehr. Hat
mich dahier gelassen in dem Vertrauen, da ich den
Weg ins Holz schon wissen, den bindenden Reif schon
finden wrde fr die Totalitt der Materie, die das
Unternehmen erfordert. Sah der alles. Sah auch, da
der Faust ins thtige Leben gefhrt werden mu
leichter gesagt, als getan, aber wenn Sie dachten,
mein Bester, das sei mir neu . Hab ich ihn doch gleich
damals, als alles noch ganz dumpf und k indisch-trbe
war, beim Lutherwerk statt Wort, Sinn und
Kraft bersetzen lassen: die That.
Dunque! Dunque! Was ist heute zu thun? Ermanne
dich zu frhlichem Geschft! Sich zur Ttigk eit
erheben, Nach der Ruhe sanftem Schatten, Wieder in
das rasche Leben Und zur Pflicht, o welche Lust! Klingk lang. Das ist der k leine Faust, die Zauberflte, wo

Homunculus und der Sohn noch Eines sind im


leuchtenden Kstchen Was gab es also, was fordert
der Tag? O Tod, es ist ja das Gutachten ber den IsisSk andal, die widrigste Kalamitt, fr Serenissimum
abzufassen. Wie man vergit dort unten! Nun k ommt
der Tag-Spuk wieder herauf, das ganze Zeug, da ist
auch das Konzept zum Geburtstagscarmen an Excellenz
von Voigt Himmel, es will ja gemacht und mundiert
sein, am siebenundzwanzigsten ist der Geburts{290}tag,
und viel ist es nicht, was ich habe, eigentlich nur ein
paar Verse, wovon einer taugt: Ob nicht Natur zuletzt
sich doch ergrnde? Das ist gut, das lt sich hren,
das ist von mir, das mag den ganzen Quark tragen,
denn natrlich wirds ein schick licher Quark wie so
vieles, es ist nur, da das poetische Talent gesellig
vorspricht, man erwartets von ihm. Ach, das poetische
Talent, zum Kuck uck damit, die Leute glauben, das sei
es. Alsob man noch vierundvierzig Jahre lebte und
wchse, nachdem man mit vierundzwanzig den
Werther geschrieben, ohne hinauszuwachsen ber die
Poesie! Alsob es die Zeit noch wre, da mein Kaliber
sich im Gedichte machen gengte! Schuster, bleib bei
deinem Leisten. Ja, wenn man ein Schuster wre. Die
aber schwtze, man werde der Poesie untreu und
verzettele sich in Liebhabereien. Wer sagt euch, da
nicht die Poesie die Liebhaberei ist und der Ernst bei

ganz was anderem, nmlich beim Ganzen? Dummes


Gequak , dummes Gequak ! Wisse nicht, die Dusselk ppe,
da ein groer Dichter vor allem gro ist und dann
erst ein Dichter, und da es ganz gleich ist, ob er
Gedichte macht oder die Schlachten schlgt dessen, der
mich in Erfurt ansah, mit lchelndem Munde und
finsteren Augen und hinter mir her sagte, absichtlich
laut, da ich's hren sollte: Das ist ein Mann und
nicht Das ist ein Dichter. Aber das Narrenvolk
glaubt, man k nne gro sein, wenn man den Diwan
macht, und bei der Farbenlehre, da wr mans nicht
mehr
Teufel, was gab es da? Was k ommt da herauf von
gestern? Das Pfaffenbuch, das Professoren-Opus gegen
die Farbenlehre, Pfaff heit der Tropf, schick t mir
bestens seine dreisten Abstreitungen zu, hat die
Unverschmtheit, sie mir ins Haus zu schick en,
tak tlose deutsche Zudringlichk eit, htt ich zu sagen,
man wiese solche Leute aus der Gesellschaft. Aber
warum sollen sie nicht meine Forschung bescheisen, da
sie meine Dichtung beschissen haben, was ihre Buche
hergaben? Haben die Iphi {291}genie solange mit dem
Euripides verglichen, bis sie ein Trdel war, haben mir
den Tasso verhunzt und die Eugenie leidig gemacht mit
ihrem Gewsche von marmorglatt und marmork alt,
Schiller auch, Herder auch und die schnatternde Stal
auch, von der Niedertracht nicht zu reden. Dyck

heit die sk ribelnde Niedertracht. Demtigung, da


ich den Namen wei, seiner gedenk e. Niemand wird
ihn wissen nach fnfzehn Jahren, wird so tot sein, wie
ers heute schon ist, aber ich mu ihn wissen, weil er
mit mir in der Zeit ist Da sie urteilen drfen! Da
jeder urteilen darf. Sollte verboten sein. Ist eine
Polizeisache, meiner Meinung nach, wie Ok ens Isis.
Hrt sie urteilen, und dann verlangt von mir, da ich
fr Landstnde sei und Stimmrecht und Prefreiheit
und Ludens Nemesis und des teutschen Burschen
fliegende Bltter und den Volk sfreund von Wielands
filius. Greuel, Greuel. Zuschlagen soll die Masse, dann
ist sie respek tabel, Urteilen steht ihr miserabel.
Aufschreiben und sek retieren. berhaupt sek retieren.
Warum gab ichs an Tag und gabs preis zu ffentlichen
Handen? Man k ann nur lieben, was man noch bei sich
hat und fr sich, was aber beschwtzt ist und besudelt,
wie soll man dran weitermachen? Htte euch die
merk wrdigste Fortsetzung gemacht von der Eugenie,
wollt aber ja nicht, da man euch ein Gutes tue, so
willig man wre. Man wollte sie schon amsieren, wenn
sie nur amsabel wren! Ist aber ein mrrisch
ungespig Geschlecht und versteht nicht das Leben.
Wei nicht, da nichts davon brig bleibt ohne
etwelche Bonhommie und Indulgenz, ohne da man in
Gottes Namen ein Auge zudrck t und fnfe gerade sein

lt, damit's nur bestehe. Was ist denn all


Menschenwerk , That und Gedicht, ohne die Liebe, die
ihm zu Hilfe k ommt, und den parteiischen
Enthusiasmus, ders zu was aufstutzt? Ein Dreck . Die
aber thun, als wren sie wohl auf dem Plan, das
Absolute zu fordern und htten den Anspruch verbrieft
in der Tasche. Verdammte Spielverderber. Je dmmer,
je saurer das {292}Maul. Und doch k ommt man immer
wieder, das Seine vor ihnen auszubreiten,
vertrauensvoll mg es euch nicht mifallen.
Da ist mir die morgenfreundliche Laune getrbt und
k orrosiv angehaucht von rgerlichem Sinnieren ! Wie
stehts denn berall? Was ist mit dem Arm? Tut als brav
weh, wenn ich ihn hintberlege. Immer denk t man, die
gute Nacht wirds bessern, aber es hat der Schlaf die
alte Heilk raft nicht mehr, mu es wohl bleiben lassen.
Und das Ek zem am Schenk el? Meldet sich auch zur
Stelle mit gehorsamstem Guten Morgen. Weder Haut
noch Gelenk e wollen mehr mittun. Ach, ich sehn mich
nach Tennstdt zurck ins Schwefelwasser. Frher
sehnt ich mich nach Italien, jetzt in die heie Brhe,
da sie die verhrtenden Glieder lse; so modifiziert das
Alter die Wnsche und bringt uns herunter. Es mu
der Mensch wieder ruiniert werden. Ist aber doch ein
gro, wunderbar Ding um diesen Ruin und um das
Alter und eine lchelnde Erfindung der ewigen Gte,
da der Mensch sich in seinen Zustnden behagt und

sie selbst ihn sich zurichten, da er einsinnig mit


ihnen und so der Ihre wie sie die Seinen. Du wirst alt,
so wirst du ein Alter und siehst allenfalls mit
Wohlwollen, aber geringschtzig auf die Jugend herab,
das Spatzenvolk . Mchtest du wieder jung und der
Spatz sein von dazumal? Schrieb den Werther, der
Spatz, mit lcherlicher Fixigk eit, und das war denn
was, freilich, fr seine Jahre. Aber leben und alt
werden danach, das ist es erst, da liegt der Spielmann
begraben. All Heroismus liegt in der Ausdauer, im
Willen zu leben und nicht zu sterben, das ist's, und
Gre ist nur beim Alter. Ein Junge k ann ein Genie
sein, aber nicht gro. Gre ist erst bei der Macht,
dem Dauergewicht und dem Geist des Alters. Macht und
Geist, das ist das Alter und ist die Gre und die Liebe
ist's auch erst! Was ist Jugendliebe gegen die geistige
Liebesmacht des Alters? Was fr ein Spatzenfest ist das,
die Liebe der Jugend zur Jugend, gegen die
schwindlichte {293}Schmeichelei, die holde Jugend
erfhrt, wenn Altersgre sie liebend erwhlt und
erhebt, mit gewaltigem Geistesgefhl ihre Zartheit
ziert gegen das rosige Glck , worin lebensversichert
das groe Alter prangt, wenn Jugend sie liebt? Sei
bedank t, ewige Gte! Alles wird immer schner,
bewuter, bedeutender, mchtiger und feierlicher. Und
so fortan!

Das heie ich sich wiederherstellen. Schaffts der


Schlaf nicht mehr, so schaffts der Gedank e. Schellen
wir also nun dem Karl, da er den Kaffee bringt; ehe
man sich erwrmt und belebt, ist gar der Tag nicht
einzuschtzen und nicht zu sagen, wies heut um den
Guten steht und was er wird leisten mgen. Vorhin war
mir, als wollt ich marode machen, im Bette bleiben und
alles sein lassen. Das hatte der Pfaff gemacht, und da
sie meinen Namen nicht wollen dulden in der
Geschichte der Physik . Hat sich aber wieder auf die
Beine zu bringen gewut, die liebe Seele, und der
Labetrank mag ein briges thun Das denk ich jeden
Morgen beim Schellen, da der vergoldete Griff vom
Glock enzug garnicht hierher pat. Wunderlich
Stck chen Prunk , gehrt eher nach vorn in den
Weltempfang, als ins k lsterlich Geistige hier, ins
Reservat des Schlafs und die Hamsterhhle der Sorge.
Gut, da ich die Stuben hier einrichten lie, das stille
und k arge, das ernste Reich. Auch gegen die Kleine
wars gut, da sie she: nicht nur fr sie und die Ihren
war das Hinterhaus recht als retiro, sondern auch fr
mich selbst, wiewohl aus anderen Grnden. Das war
la sehen Sommer vierundneunzig, zwei Jahre nach
dem Wiedereinzug in das geschenk te Haus und dem
Umbau. War die Epoque der Beitrge zur Optik , o,
mille excuses, ihr Herrn von der Gilde, zur Chromatik
natrlich nur allenfalls, denn wie sollte wohl Einer

sich an die Optik wagen, der nicht in der Mek unst


beschlagen, und sollte sich unterfangen, Newtonen zu
widersprechen, dem falschen, k aptiosen, dem
Lgenmeister und Schutzherrn des Schulirrtums, dem
Verleumder des Himmels{294}lichts, der da wollte, da
sich das Reinste aus lauter Trbnissen, das Hellste aus
Elementen zusammensetze, die dunk ler allsamt als es
selber. Der schlechte Narr, der hartstirnige Irrlehrer
und Weltverdunk eler! Man darf nicht mde werden,
ihn zu verfolgen. Da ich das trbe Mittel begriffen, und
da das Durchsichtigste selbst schon des Trben erster
Grad, da ich erfunden, da Farbe gemigt Licht, da
hatt ich die Farbenlehre am Schnrchen, der Grundund Eck stein war da gesetzt, und k onnt auch das
Spek trum mir k eine Pein mehr machen. Alsob es k ein
trbes Mittel wre, das Prisma! Weit du noch, wie du
das Ding vor die Augen nahmst im geweiten Zimmer
und die Wand, der Lehre entgegen, wei blieb wie eh
und je, wie auch der lichtgraue Himmel drauen nicht
eine Spur von Frbung zeigte und nur wo ein Dunk les
ans Helle stie, Farbe entsprang, soda das
Fensterk reuz am allerlustigsten bunt erschien? Da
hatt ich den Schuft und sprachs zum ersten Mal vor
mich hin mit den Lippen: Die Lehre ist falsch! und es
bewegten sich mir vor Freude die Eingeweide, wie
damals, als sich mir k lar und unverleugbar, nicht

anders als ichs in gutem Einvernehmen mit der Natur


zuvorgewut, das Zwischenk nchlein k undthat fr die
Schneidezhne im Kiefer des Menschen. Sie wolltens
nicht wahrhaben und wolltens aber nicht wahrhaben
jetzt mit den Farben. Glck liche, peinliche, bittere
Zeit. Man machte sich lstig, wahrhaftig, man spielte
den insistierenden Quaerulanten. Hattest du nicht
gezeigt mit dem Knchlein und der Metamorphose der
Pflanzen, da Natur dir's nicht abschlug, den einen
und anderen Blick in ihre Werk statt zu tun? Aber sie
wollten dir den Beruf zu der Sache nicht glauben, sie
zogen abgeneigte Gesichter, sie ruck ten die Schultern,
wurden verdrielich. Du warst ein Strenfried. Und du
wirsts bleiben. Sie lassen dich alle gren und hassen
dich bis in den Tod. Nur die Frsten, das war ein
anderes. Soll ihnen unvergessen sein, wie sie meine
neue Passion respek tierten und frderten. {295}Des
Herzogs Hoheit, so brav wie immer, gleich bot er
Raum und Mue, mein Aperu zu verfolgen. Die beiden
Gothaer, Ernst und August, der Eine lie mich in
seinem physik alischen Kabinett laborieren, der andere
verschrieb mir aus England die schnen,
zusammengesetzten, die achromatischen Prismen.
Herren, Herren. Die Schulfchse wiesen mich ab wie
einen Pfuscher und Quengler, aber der Frst Primas in
Erfurt hat all mein Experimentieren mit der
gndigsten Neugier verfolgt und den Aufsatz damals,

den ich ihm schick te, mit eigenhndigen


Randbemerk ungen beehrt. Das macht, sie haben Sinn
fr Dilettantism, die Herren. Liebhaberei ist nobel und,
wer vornehm, ein Liebhaber. Dagegen gemein ist alles,
was Gilde und Fach und Berufsstand. Dilettantism!
ber euch Philister! Ahndete euchs wohl je, da
Dilettantism ganz nah verwandt dem Dmonischen und
dem Genie, weil er ungebunden ist und geschaffen, ein
Ding zu sehen mit frischem Aug, das Objek t in seiner
Reinheit, wies ist, nicht aber, wie Herk ommen will, da
mans sehe, und nicht wie der Tro es sieht, der von
den Dingen, den physischen und den moralischen,
immer nur ein Bild hat aus zweiter Hand? Weil ich von
der Poesie zu den Knsten k am und von denen zur
Wissenschaft und mir bald Bauk unst und
Bildhauerk unst und Mahlerey war wie Mineralogie,
Botanik und Zoologie, so soll ich ein Dilettant sein. La
dirs gefallen! Als Junge hab ich dem Straburger
Mnster abgesehen, da dem Turm eine fnfspitzige
Krnung zugedacht war, und der Ri hats besttigt.
Der Natur aber soll ichs nicht abmerk en? Alsobs nicht
Alleines wre, das Alles; alsob nicht nur der was davon
verstnde, der Einheit hat, und die Natur sich nicht
dem nur vertraute, der selber eine Natur
Die Frsten und Schiller. Denn der war ein
Edelmann auch, von Kopf bis zu Fen, ob er es gleich

mit der Freiheit hielt, und hatte die Natrlichk eit des
Genies, ob er der Natur gleich rgerlich-strflichen
Hochmut erwies. Ja, der nahm teil und {296}glaubte und
trieb mich an, wie immer mit seiner reflek tierenden
Kraft, und als ich ihm nur den ersten Entwurf sandte
zur Geschichte der Farbenlehre, da hat er mit groem
Blick das Symbol einer Geschichte der Wissenschaften,
den Roman des menschlichen Denk ens darin erk annt,
der draus wurde in achtzehn Jahren. Ach, ach, der hat
was gemerk t, der hat was verstanden. Weil er den
Rang hatte, das Auge, den Flug. Wr der noch, er risse
mich hin, den Kosmos zu schreiben, die umfassende
Geschichte der Natur, die ich schreiben mte, auf
die's mit der Geologie bei mir von jeher hinauswollte.
Wer k anns denn als ich? Das sag ich von allem und
k ann doch nicht alles tun unter Verhltnissen, die
mir die Existenz machen und sie mir rauben zugleich.
Zeit, Zeit, gib mir Zeit, gute Mutter, und ich tu alles.
Als ich jung war, sagte mir Einer: Du gibst dir die
Miene auch, als sollten wir hundertundzwanzig Jahre
alt werden. Gib sie mir, gute Natur, gib mir so wenig
nur von der Zeit, ber die du verfgst, gemchliche,
und ich nehm allen andern die Arbeit ab, die du getan
sehen mchtest und die ich am besten mache
Zweiundzwanzig Jahre hab ich die Stuben, und
nichts hat sich bewegt darin, als da das Kanapee
wegk am aus dem Studio, weil ich die Schrnk e

brauchte bei sich mehrenden Ak ten, und der Armstuhl


hier am Bett k am hinzu, den die Oberk ammerherrin
mir schenk te, die Egloffstein. Das war aller Wechsel
und Wandel. Aber was ist nicht hindurchgegangen
durchs Immergleiche und hat drin getobt an Arbeit,
Geburt und Mhsal. Solche Mhe hat Gott dem
Menschen gegeben! Da du redlich dich beflissen, was
auch werde, Gott mags wissen. Aber die Zeit, die Zeit
ging drber hin. Steigts dir doch auf siedendhei,
jedesmal, wenn du ihrer gedenk st! Zweiundzwanzig
Jahre ist was geschehen darin, haben was vor uns
gebracht unterweilen, aber es ist ja beinah schon das
Leben, ein Menschenleben. Halte die Zeit! berwache
sie, jede Stunde, jede Minute! Unbeauf{297}sichtigt,
entschlpft sie, dem Eidechslein gleich, glatt und
treulos, ein Nixenweib. Heilige jeden Augenblick ! Gib
ihm Helligk eit, Bedeutung, Gewicht durch Bewutsein,
durch redlich-wrdigste Erfllung! Fhre Buch ber
den Tag, gib Rechenschaft von jedem Gebrauch! Le
temps est le seul dont l'avarice soit louable. Da ist die
Musik . Hat ihre Gefahren fr die Klarheit des Geistes.
Aber ein Zaubermittel ist sie, die Zeit zu halten, zu
dehnen, ihr eigentmlichste Bedeutendheit zu
verleihen. Singt die k leine Frau Der Gott und die
Bajadere, sollte sie nicht singen, ist ja beinah ihre
eigene Geschichte. Singt sie Kennst du das Land mir

k amen die Thrnen und ihr auch, der LieblichHochgeliebten, die ich mit Turban und Schal
geschmck t, sie und ich, wir standen in
Thrnenglanz unter den Freunden. Sagt sie, der
gescheite Schatz, mit der Stimme, mit der sie gesungen:
Wie langsam geht doch die Zeit bei Musik , und ein wie
vielfaches Geschehen und Erleben drngt sie in einen
k urzen Zeitraum zusammen, da uns bei interessiertem
Lauschen eine lange Weile verflossen scheint! Was ist
Kurzweil und Langweil? Lobte sie weidlich frs Aperu
und stimmte ihr zu aus der Seele. Sagte: Liebe und
Musik , die beiden sind Kurzweil und Ewigk eit und
solchen Unsinn. Las ich den Siebenschlfer, den
Totentanz, aber dann: Nur dies Herz, es ist von Dauer;
aber dann: Nimmer will ich dich verlieren; aber dann:
Herrin, sag, was heit das Flstern; aber endlich: So,
mit morgenroten Flgeln Ri es mich an deinen Mund.
Es wurde spt in der Vollmondnacht. Albert schlief ein,
Willemer schlief ein, die Hnde ber dem Magen
gefaltet, der Gute, und wurde gefoppt. Es war ein Uhr,
als wir uns trennten. War so munter, da ich dem
Boissere durchaus noch auf meinem Balcon mit der
Kerze den Versuch mit den farbigen Schatten zeigen
mut. Merk te wohl, da sie uns belauschte auf ihrem
Sller. Euch im Vollmond zu begren Habt ihr heilig
angelobet . Jetzt htte er auch noch etwas drauen
bleiben k nnen. Avanti!

{298}Recht

guten Morgen, Ew. Excellenz.


Ja, hm. Guten Morgen. Setz es nur hin. Sollst auch
einen guten Morgen haben, Carl.
Besten Dank , Ew. Excellenz. Bei mir k ommt's ja
nicht so drauf an. Aber haben Ew. Excellenz wohl
geruht?
Passabel, passabel. Ist das k urios, jetzt hab ich
doch wieder gedacht aus alter Gewohnheit, du wrst
der Stadelmann, als du hereink amst, der langjhrige
Carl, von dem du den Namen geerbt hast. Mu doch
wunderlich sein, Carl gerufen zu werden, wenn man
eigentlich das mein' ich eben, wenn man eigentlich
Ferdinand heit.
Dabei fllt mir garnichts mehr auf, Ew. Excellenz.
Das ist unsereiner gewohnt. Ich hab auch schon mal
Fritz geheien. Und eine Zeitlang sogar Battista.
Accidente! Nenn ich ein bewegtes Leben. Battista
Schreiber? Aber deinen zweiten Namen sollst du dir
nicht nehmen lassen, Carl. Machst ihm Ehre, schreibst
eine nette, reinliche Hand.
Dank e ergebenst, Ew. Excellenz. Steht zur
Verfgung wie immer. Wollen Ew. Excellenz vielleicht
gleich wieder aus dem Bett heraus was dik tieren?
Wei noch nicht. La mich erst einmal trink en.
Mach vor allem den Laden auf, da man sieht, was mit
dem Tage los ist. Dem neuen Tag. Ich habe doch nicht

verschlafen?
Keine Spur, Ew. Excellenz. Es ist k napp nach
sieben.
Also doch nach? Das k ommt, weil ich noch etwas
gelegen hab und Gedank en gesponnen. Carl?
Wnschen, Ew. Excellenz?
Haben wir von den Offenbacher Zwieback en noch
einen ausreichenden Vorrat?
Ja, Ew. Excellenz, was meinen Ew. Excellenz mit
ausreichend? Ausreichend wie lange? Fr einige Tage
reichen sie schon noch.
Du hast recht, ich habe mich nicht ganz gehrig
ausge{299}drck t. Aber das Gewicht lag auf Vorrat.
Einige Tage, das ist k ein Vorrat.
Ist es auch nicht, Ew. Excellenz. Oder doch nur ein
beinahe erschpfter Vorrat.
Ja, siehst du? Mit anderen Worten: fr einen Vorrat
reicht es nicht mehr.
Genau so, Ew. Excellenz. Ew. Excellenz wissen es
eben schlielich doch am besten.
Ja, ganz zuletzt wird es wohl meistens darauf
hinauslaufen. Aber ein Vorrat, der zu Ende geht, und
bei dem man den Boden sieht, das hat was
Schreck haftes, dazu darf man es garnicht k ommen
lassen. Man mu vorsorgen, damit man nicht aufhrt,
aus dem Vollen zu schpfen. Vorsorgen ist berall so
wichtig.

Da haben Ew. Excellenz ein wahres Wort


gesprochen.
Freut mich, da wir k onsentieren. Und also mssen
wir an die Frau Schffin Schlosser in Frank furt
schreiben, da sie neue schick t, einen derben Kasten
voll, ich bin ja postfrei. Vergi nicht, mich an den
notwendigen Brief zu erinnern. Ich geniee diese
Offenbacher sehr gern. Sind eigentlich das Einzige,
was mir um diese Stunde schmeck t. Weit du, frische
Zwieback en sind schmeichelhaft fr alte Leute, denn
sie sind rsch, und rsch ist hart, aber sprde und
beit sich leicht, und so hat man die Illusion, mit
Leichtigk eit Hartes zu beien wie die liebe Jugend.
Aber Ew. Excellenz, solche Illusionen haben Ew.
Excellenz doch wahrhaftig nicht ntig. Wenn Einer
noch aus dem Vollen schpft, dann, mit Verlaub, doch
wohl Ew. Excellenz.
Ja, das sagst du so. Ah, das hast du gut gemacht,
k ommt gar holde Luft herein, Morgenluft, s und
jungfrulich, wie das einen lieblich zutraulich
umfchelt. Ist doch himmlisch jedesmal wieder aufs
neue, die Verjngung der Welt aus der Nacht fr uns
alle, fr Alt und Jung. Da sagt man immer, da Jugend
{300}nur zu Jugend gehre, aber die junge Natur k ommt
ganz unbefangen zum Alter auch: Kannst du dich
freuen, so bin ich dein, und dein mehr, als der Jugend.

Denn die hat ja gar fr die Jugend den rechten Sinn


nicht, den hat nur das Alter. Wr ja auch schauerlich,
wenn nur das Alter zum Alter k me. Soll fr sich
bleiben, soll auen bleiben Wie sieht der Tag denn
aus? Eher dunk el?
Eher ein bischen dunk el, Ew. Excellenz. Die Sonne
ist bedeck t, und weiter oben haben wir auch nur hie
und da ein Stck chen
Warte einmal. Geh erst hinber und sieh nach dem
Barometer und nach dem Thermometer auen vorm
Fenster. Aber mach deine Augen auf.
Gleich, Ew. Excellenz. Es hat 722 Millimeter
Barometerstand, Ew. Excellenz, und 13 Grad Raumur
Auentemperatur.
Sieh mal an. Dann k ann ich mir die Troposphre
schon denk en. Ziemlich feucht dnk t das Windchen
mich auch, wie's hereink ommt, West-Sd-West, nehm'
ich an, und der Arm spricht sein Wrtchen
desgleichen. Wolk enmenge fnf oder sechs, die
grauliche Nebel-Bedeck ung mag frh gar sehr nach
Niederschlag ausgesehn haben, aber jetzt hat der Wind
sich lebhafter erhoben, wie auch die Wolk en zeigen,
die ziemlich schnell aus Nordwest ziehen, wie gestern
Abend, und ist im Begriff, die Deck e zu zerreien, sie
flchtig fortzutreiben. Es sind langgezogene Kumulus,
Haufenwolk en in der untern Region, stimmt das? und
hher stehen leichte Zirri und Windbume und

Besenstriche bei stellenweise durchblick endem


Himmelsblau entspricht's ungefhr?
Entspricht ausgezeichnet, Ew. Excellenz. Die
Besenstriche oben erk enn' ich aufs Wort so
hingefegt.
Ich vermute nmlich, der obere Wind geht aus Ost,
und auch wenn der untere im Westen bleibt, werden
die Kumulus {301}allmhlich aufgelst werden, wie sie
sich vorwrts bewegen, und statt dessen wird es die
schnsten Schfchen streifen- und reihenweis geben.
Kann sein, da wir mittags reinen Himmel haben, der
sich aber nach Tisch wieder trben k ann. Es ist ein
wank elmtiger, ungewisser Tag von widersprechenden
Tendenzen Siehst du, das mu ich noch vollk ommen
lernen, nach dem Barometerstand die Wolk engestalt zu
beurteilen. Frher hat man sich fr diese oberen
Beweglichk eiten garnicht recht interessiert, aber jetzt
hat ein gelehrter Mann ein ganzes Buch drber
geschrieben und eine hbsche Nomenk latur
aufgestellt, ich hab' auch was dazu beigetragen: die
paries, die Wolk enwand, die hab' ich namhaft
gemacht, und so mgen wir das Unbestndige anreden
und ihm auf den Kopf zusagen, zu welcher Klasse und
Art es gehrt. Denn das ist des Menschen Vorrecht auf
Erden, da er die Dinge bei Namen nennt und ins
System bringt. Da schlagen sie sozusagen die Augen

nieder vor ihm, wenn er sie anruft. Name ist Macht.


Soll ich das nicht aufschreiben, Ew. Excellenz, oder
haben es schon Herrn Dr. Riemer gesagt, da er es sich
vielleicht notiert?
Ach was, ihr mt nicht so aufpassen.
Man soll aber doch nichts umk ommen lassen, Ew.
Excellenz, auch nicht in einem groen Haushalt. Und
das Buch ber die Wolk en, das hab ich wohl liegen
sehn nebenan. Worum Ew. Excellenz sich alles
k mmern, da mu der Mensch sich schon wundern.
Den Interessenbezirk von Ew. Excellenz, den k ann man
geradhin universell nennen.
Dummk opf, wo nimmst du denn solche Ausdrck e
her.
Ist aber doch wahr, Ew. Excellenz. Soll ich nun
nicht erst mal eben nachsehen, was die Raupe macht,
das schne Exemplar von der Wolfsmilchraupe, ob sie
auch frit?
Die frit nicht mehr, die hat genug gefressen, erst
drauen und dann bei mir in der Observation. Die hat
schon angefan {302}gen, sich einzuspinnen, wenn du
nachguck e willst, so thu's, man sieht ganz deutlich,
wie sie den Spinnsaft absondert aus ihrer Drse, bald
wird sie verpuppt sein, ein Cocon, und es soll mich doch
wundern, ob wir's erleben, da sich die Wandlung
vollzieht und die Psyche daraus hervorschlpft, ihr
k urzes, leichtes Flatterleben zu fhren, wofr sie als

Wurm soviel gefressen.


Ja, Ew. Excellenz, das sind so die Wunder der Natur.
Wie ist es denn nun mit dem Dik tieren?
Recht, ja, es sei. Ich mu das Gutachten fr Seine
k nigliche Hoheit den Groherzog machen wegen der
vermaledeiten Zeitschrift. Nimm das weg hier, sei so
gut, und gib mir die Notizenbltter und den Bleistift,
die ich da gestern bereit gelegt.
Hier, Ew. Excellenz. Da ich Ew. Excellenz nur
lieber die Wahrheit sage: Herr Schreiber John ist
nmlich auch schon da und hat fragen lassen, ob es
nicht was fr ihn aufzunehmen giebt. Aber ich tt'
mich so freuen, wenn ich dableiben drft', und k riegte
das Gutachten erst mal dik tiert. Fr Herrn Bibliothek Sek retr wird ja nach dem Aufstehen immer noch
Dienst genug
Ja, bleib nur, mach dich nur fertig. John k ommt mir
immer frh genug ob er schon meistens zu spt
k ommt. Mag nachher drank ommen.
Dank e Ew. Excellenz recht von Herzen.
Ganz angenehmer Mensch, von leidlicher Gestalt und
geschick ten Manieren bei der Aufwartung und im
nheren Dienst meiner Person. Und das
Einschmeichelnde k ommt nicht aus Berechnung oder
nur zum Teil sondern aus redlicher Ergebenheit, mit
einiger Eitelk eit gemischt, und aus natrlichem

Liebesbedrfnis. Eine zrtliche Seele, gutartig und


sinnlich und hats mit den Weibern. Ich glaub, da er
quack salbert, weil er sich nach der Rck k ehr von
Tennstdt was {303}zugezogen. Vermut ich recht, so
k ann er nicht bleiben. Werd mit ihm reden mssen
oder August beauftragen nein, den nicht, Hofmedicus
Rehbein. Im Bordell trifft der Jngling das Mdchen
wieder, das er geliebt, und das ihn auf alle Weise
gek nechtet und geqult hat, wofr er nun
Wiedervergeltung bt. Hbscher Vorwurf. Wre was gar
Heiter-Hartes und Eindringliches daraus zu machen,
gerade in bester Form. Ach, was k nnte man Stark es
und Merk wrdiges anbieten, wenn man in einer freien,
geistreichen Gesellschaft lebte! Wie ist die Kunst
gebunden und durch matte Rck sichten eingeschrnk t
in ihrer natrlichen Khnheit! Das ist ihr aber
vielleicht auch wieder gut, und sie bleibt geheimnisvollmchtiger, gefrchteter und geliebter, wenn sie nicht
nack end geht, sondern schick lich verhllt und nur hie
und da ihre angeborene Verwegenheit erschreck end
und entzck end einen Augenblick offenbart.
Grausamk eit ist ein Haupt-Ingrediens der Liebe und
ziemlich gleichmig auf die Geschlechter verteilt: die
Grausamk eit der Wollust, die Grausamk eit des
Undank s, der Unempfindlichk eit, des Unterjochens
und Maltraitements. Die Lust am Leiden und am
Erdulden der Grausamk eit brigens ebenso. Und noch

fnf, sechs andere Verk ehrtheiten wenn es


Verk ehrtheiten sind aber das mag ein moralisches
Vorurteil sein , welche in chymischer Verbindung,
ohne da noch was andres hinzuk me, die Liebe
machen. Wre die liebe Liebe aus lauter
Perhorreszibilitten zusammengesetzt, das Lichteste
aus lauter uneingestndlichen Dunk elheiten. Nil luce
obscurius? Sollte Newton doch recht haben? Nun, la
gut sein, jedenfalls ist der Roman des europischen
Gedank ens dabei herausgek ommen.
Zudem k ann man nicht sagen, da jemals das Licht
soviel Irrsal, Unordnung, Verwirrung, solche
Blostellung des Unentbehrlich-Respek tablen fr den
boshaften Angriff angerichtet htte, wie berall und
tglich die Liebe tut. Karl Augusts doppelte Familie, die
Kinder, dieser Ok en hat den Frsten {304}innerhalb
der Staatsverhltnisse angegriffen, wird er sumen,
wenn man ihn reizt und eben nur reizt, die
Familienverhltnisse anzugreifen? Mu dem Herrn das
unverblmt zu verstehen geben, um ihn zu lehren, da
das Verbot des Blattes, der chirurgische Schnitt, das
einzig Raisonable und Heilsame und nicht der
Verweis, die Bedrohung oder gar die Aufregung des
Fisk als gegen den k atilinarischen Frechdachs, da
man ihn auf dem Wege Rechtens belange, wie der
wrdige Vorsitzende der Landesdirek tion es will.

Wollen mit dem Geiste anbinden, die Guten. Sollen die


lieber bleiben lassen. Haben k eine Ahnung. Der redet
ebenso gewandt und unverschmt, wie er druck en lt,
gibt ihnen Repliquen, wenn er sich berall bequemt,
der Vorladung zu folgen, viel besser, als sie je eine zu
parieren wissen, und dann haben sie die Wahl, ihn auf
die Hauptwache zu setzen oder ihn triumphierend
abziehen zu lassen. Ist auch ganz unschick lich und
unleidlich, einen Schriftsteller herunterzuputzen wie
einen Schulk naben. Dem Staate hilfts nichts und der
Kultur schadets. Das ist ein Mann von Kopf, von
Verdienst; wenn er auerdem den Staat untergrbt,
mu man ihm das Instrument dazu nehmen, punk tum,
aber ihn nicht bedrohen, da er in sich gehe und sich
in Zuk unft bescheidener halte. Gebt doch einem
Mohren bei Strafe auf, da er sich wei wasche! Wo
soll denn die Beschrnk ung, die Bescheidenheit
herk ommen, wo doch die Verwogenheit und Frechheit
ihrer Natur nach unbedingt? Treibt ers nicht einfach
fort wie bisher, so wirft er sich auf die Ironie, und vor
der steht ihr vollends hilflos. Ihr k ennt die Auswege des
Geistes nicht. Zwingt ihn mit halben Manahmen zu
einer Verfeinerung, die nur ihm zutrglich und nicht
euch. Wre einer Behrde gerad anstndig, hinter
seinen Finten herzulaufen, wenn er sich in Scharaden
und Logogryphen ergeht, und den Oedipus zu machen
zu solcher Sphinx! Wrde mich fr sie in Grund und

Boden schmen.
{305}Und die fisk alische Klage! Wollen ihn vor das
Sanhedrin ziehen, aus welcher causa? Hochverrat,
sagen sie. Wo in aller Welt ist hier Hochverrat? Kann
man Verrat heien, was Einer in aller brgerlichen
Oeffentlichk eit verbt? Schafft doch Ordnung in
eueren Kpfen, ehe ihrs im Namen der Ordnung
aufnehmt mit einem geistreichen Destruk teur! Der
druck t euch die Klage mit Noten ab und deponiert, er
wolle alles haark lein als wahr erweisen, was er
geschrieben, da denn wegen Aussage der Wahrheit
k einer bestraft werden k nne. Und wo ist das Gericht,
dem ihr in dieser gespaltenen Zeit euch getrauen
k nnt, die Sache zu unterwerfen? Sitzen nicht in
Fak ultten und Dik asterien Leute, von demselben
revolutionren Geiste belebt wie der Snder, und wollt
ihrs erleben, da er freigesprochen und gar noch
belobt aus dem Saale geht? Wr noch schner, da ein
souverner Frst innerste Fragen einem
zeiterschtterten Gerichtshof sollte zur Entscheidung
vorlegen! Nimmermehr ists eine Rechtssache und darf
es nicht werden. Polizeilich, unter der Hand und ohne
Aufregung der Oeffentlichk eit ist zu handeln. Man
ignoriere den Herausgeber ganz und gar, man halte
sich an den Druck er und verbiete dem bei persnlicher
Haftung den Druck des Blattes. Still durchgreifende

Ausmerzung des bels und k eine Rache. Sie sprechen


wirk lich von Selbstrache und fhlen das Schreck liche
nicht eines solchen Bek enntnisses! Wollt ihr in
falschem Ordnungsdienst die Greuel dieser Tage
vermehren und die Roheit einladen, sich ein Fest zu
machen? Wer steht euch dafr, da nicht die gereizte
Stupiditt einen Mann, der immer verdient, in der
Wissenschaft eine glnzende Rolle zu spielen, mit
Hetzpeitschen lederweich trak tiert und grlichst
mihandelt? Da sei Gott vor und mein lebhaft
beweglich Gutachten! Bist du's, Carl?
Bin's, Ew. Excellenz.
Ew. Kniglichen Hoheit gndigste Befehle so schnell
und {306}genau, als in meinen Krften steht,
auszufhren, habe ich jederzeit fr meine erste
Pflicht
Etwas langsamer vielleicht, wenn man bitten darf,
Ew. Excellenz!
Mach, du Thranfunzel, und abbrevier' wie du
k annst, sonst ruf' ich den John!

Und so weiter. Euer Kniglichen Hoheit
unterthnigst treu gehorsamster. Das wr's erst
einmal. Ist alles durchgestrichen, was ich notiert hab'.
Schreib's vorderhand so ins Halb-Reine! Es ist nicht
fertig, ist noch zu expressiv und auch noch nicht recht
k omponiert. Ich mu, wenn ich's vor mir habe, noch

mildernd und ordnend darber hingehen. Mach's


leserlich; wenn du k annst, noch vor Tische. Jetzt will
ich aufstehen. Kann jetzt weiter k eine Briefe dik tieren,
nein. Das hat zuviel Zeit genommen, und ich hab' fr
den Morgen noch eine Menge anderes. Une mer
boire und dann sind's tglich nur ein paar Schluck .
Mittags brauch ich das Geschirr, verstehst du, sag' es
im Stall. Zur Nimbus-Bildung wird es nicht k ommen,
wird heut nicht regnen. Ich will im Park die neuen
Baulichk eiten besehen mit Herrn Oberbaurat Coudray;
k ann sein, da er mit zum Essen k ommt, k ann sein
auch Herr von Ziegesar. Was haben wir denn?
Gansbraten und Pudding, Ew. Excellenz.
Stopft tchtig Maroni in die Gans, das sttigt.
Will's ausrichten, Ew. Excellenz.
Es k ommt vielleicht auch von den Professoren der
Zeichenschule noch einer oder der andere mit. Ein Teil
der Schule zieht ja von der Esplanade ins Jgerhaus.
Mu das inspizieren. Leg' mir den Schlafrock hier ber
den Stuhl. Ich schelle, wenn ich dich zum Haarmachen
brauche. Geh. Und Carl? La mir die Collation schon
etwas vor zehn Uhr anrichten oder doch k eine Minute
spter! Ich will vom k alten Rebhuhn haben und ein
{307}gutes Glas Madeira dazu. Man ist doch k ein ganzer
Mensch, ehe man nicht was Herzstrk endes im Leibe
hat. Der Coffee in der Frh ist mehr fr den Kopf, aber

fr's Herz ist erst der Madeira.


Versteht sich, Ew. Excellenz, und fr die Poesie ist
beides bentigt.
Mach dich aus dem Staube!
Heiliges Wasser, k alt und rein, heilig nicht
minder in deiner Nchternheit, als die
sonnenfeuerbindende Labe-Gabe des Weins! Heil dem
Wasser! Heil dem Feuer! Heil dem stark en und treuen
Herzen, sagen wir doch: der Treuherzigk eit, die das
Frhe, Reine und Erstgegebene, das Ursprngliche,
langweilig und gering vernutzter Verfeinerung, tglich
wieder als seltenes Abenteuer erleben mag! Heil der
Verfeinerung, welcher Treuherzigk eit froh-gewaltig
integriert! nur sie ist Kultur, nur sie ist Gre. Fische
sie wimmeln da, Vgel sie himmeln da das war
hbsch. Vgel sie himmeln da war ein recht feierlich
hochrumiger Spa. Sie sprechen wohl von
himmelnden Augen hab ich aus der dummen
Schwrmerei, dem ins Frmmelnde verspttelten
Zeitwort im Handumdrehen ein luftig-heiter-groes
Schau- und Daseinsbild gemacht. Knnte beitrgig sein
zur Definition des Einfalls Wasser es fliee nur! Erde
sie steht so fest! Strme du, Luft und Licht! Feuer nun
flammt's heran Feier des Elements auch in der
Pandora schon, darum hie ichs ein Festspiel. Wollen
bestimmt das Fest gesteigert erneuern in der zweiten
Walpurgisnacht Leben ist Steigerung, das Gelebte ist

schwach, geistverstrk t mu mans noch einmal leben.


Hochgefeiert seid allhier Element' ihr alle vier! Das
steht fest, das soll den Schluchor machen des
mythologisch-biologischen Balletts, des satyrischen
Natur-Mysteriums. Leichtigk eit, Leichtigk eit hchste
und letzte Wirk ung der Kunst ist Gefhl der Anmut.
Nur nicht die stirnrunzelnde Erhabenheit, die, sei's
auch in Glanz und Schiller, tragisch erschpft dasteht
als Produk t der Moral! Tiefsinn soll lcheln Er soll
ber {308}haupt nur mit unterlaufen, sich fr den
Eingeweihten heiter ergeben, so wills die Esoterik der
Kunst. Bunte Bilder dem Volk , dahinter fr die
Wissenden das Geheimnis. Sie waren ein Demok rat,
mein Bester, der den Vielen so geradehin glaubte das
Hchste bieten zu sollen edel und platt. Aber Menge
und Kultur, das reimt sich nicht. Kultur, das ist
auserlesne Gesellschaft, die sich ber das Hchste
disk ret verstndigt mit einem Lcheln. Und das
Augurenlcheln gilt der parodischen Schalk heit der
Kunst, die das Frechste gibt, gebunden an wrdigste
Form, und das Schwere, gelst in llichen Scherz
Den Badeschwamm hab ich lange schon,
handsames Exemplar festsitzender Tief-Tierheit in
thaletischer Urfeuchte. Bis zum Menschen hat das Zeit.
In welchem Grunde bildetest du und dutest dich gro,
sonderbar Lebensgerst, dem man das weiche Seelchen

nahm? Im gischen Meere gar? Hattest du wohl ein


Pltzchen an Kypris' irisierendem Muschel-Thron? Mit
Augen, blind berschwemmt von der Flut, die ich aus
deinen Poren drck e, seh ich den neptunischen
Trionfo, das triefende Getmmel von Hippok ampen und
Wasserdrachen, von Grazien des Meeres, Nereiden und
hornstoenden Tritonen um Galatheas
farbenstreuenden Wagen hinziehen durchs
Wellenreich Das ist eine gute Gewohnheit, dies
Ausdrck en berm Genick , abhrtend frs Ganze,
solang du da den k alten Sturz schreck haft-behaglich
duldest, ohne da es dir den Atem verschlgt, gingest
du auch, wenn's nur der neuralgische Arm erlaubte,
ohne Zagen ins Flubad, wie vormals, wenn du,
ungezogener Narr, mit nchtlichem Aufrauschen,
langen, triefenden Haars, den spten Brger
phantastisch erschreck test. Alles geben die Gtter, die
Unendlichen, ihren Lieblingen ganz Alt ist die
Mondnacht, da du es, aus der Ilm steigend, tief belebt
und im reinen Rausch deiner Haut, in die Silberluft
redetest aus begeisterter Selbstergriffenheit. So
verhalfen dir eben die Nack engsse zum
Galatheagesicht. Eingebung, Ein {309}fall, Idee als
Geschenk physischer Stimulation, gesunder Erregung,
glck licher Durchblutung, antischer Berhrung mit
Element und Natur. Geist ein Produk t des Lebens,
das auch wieder in ihm erst wahrhaft lebt. Sind auf

einander angewiesen. Lebt eines vom anderen. Macht


nichts, wenn der Gedank e vor Lebensfreude sich besser
dnk t, als er ist auf die Freude k ommts an, und
Selbstgeflligk eit macht ihn zum Gedicht. Freilich,
Sorge mu bei der Freude sein, Sorge ums Rechte. Ist ja
doch der Gedank e auch der Kummer des Lebens. Wre
das Rechte also des Kummers und der Freude Sohn. Vom
Mtterchen die Frohnatur Aller Ernst entstammt
dem Tode, ist Ehrfurcht vor ihm. Aber Grauen des
Todes, das ist das Verzagen der Idee weil das Leben
versagt. Wir gehen all in Verzweiflung unter. Ehre
denn auch die Verzweiflung! sie wird dein letzter
Gedank e sein. Dein ewig letzter? Frmmigk eit wre, zu
glauben, da ins schwarze Verzagen des
lebenverlassenen Geistes einst der Freudenstrahl
hheren Lebens bricht.
Mit dem Staube nicht der Geist zerstoben Liee
mir Frmmigk eit schon gefallen, wenn nur die
Frommen nicht wren. Wr schon ein gut Ding darum
und um die still hoffende, ja vertrauende Verehrung
des Geheimnisses, htten nur nicht die Narren in
ihrem Dnk el eine Tendenz und arrogante
Zeitbewegung daraus gemacht, einen dreisten JugendTrumpf, Neu-Frmmigk eit, Neu-Glaube, NeuChristentum, und httens mit jederlei Duck muserei,
Vaterlnderei und feindselig bigottem Gemtsmuff

verbunden zur Weltanschauung sinistrer


Grnschnbel Nun, nun, wir waren auch arrogant,
mit Herder damals in Straburg gegen das Alte, wo du
den Erwin besangst und sein Mnster und dir den Sinn
fr das bedeutende Rauhe und Charak teristische nicht
wolltest verzrteln lassen durch die weiche Lehre
neuerer Schnheitelei. Wr den Heutigen wohl nach
dem Herzen, ginge den gothischen Frmmlern recht
lieblich ein, weshalben eben dus un {310}terdrck test
und schlossest es aus vom Gesammelten, da dir erst der
Sulpiz, mein guter und wohltuender, mein traulichgescheiter Boissere, das Gewissen geschrft fr die
Weglassung und Verleugnung und dich in heilsame
Beziehung gesetzt zum Alten-Neuen, in Beziehung zur
eigenen Jugend. Sei dank bar dem oberen Wohlwollen,
der eingeborenen Begnstigung, da das AergerlichBedrohliche zu dir k am in feinster und redlichster,
gesittet ehrerbietiger Gestalt, als der Gute von Kln mit
seinem Treusinn fr wrdiges, k irchliches und
volk stmliches Wesen, altdeutsche Bauk unst und Bilder
und dir Augen machte fr Vieles, was du nicht hattest
sehen wollen, fr den Eyck und die zwischen ihm und
Drer und frs Byzantinisch-Niederrheinische. Da
hatte man auf seine alten Tage sich mhsam von der
Jugend, die das Alter zu strzen k ommt, abgesperrt um
des eigenen Bestehens willen und sich vor allen
Eindrck en neuer und strender Art zu hten gesucht,

um sich zu bewahren, und auf einmal tut sich dir, zu


Heidelberg damals, bei Boisseres auf dem Saal, eine
neue Welt auf von Farben und Gestalten, die dich aus
dem alten Geleis deiner Anschauungen und
Empfindungen zwingt, die Jugend im Alten, das Alte
als Jugend , und du fhlst, was fr eine gute Sache das
ist, die Kapitulation, wenn sie Eroberung ist, und die
Unterwerfung, wenn sie die Freiheit schenk t, weil sie
aus Freiheit geschieht. Sagt ich dem Sulpiz. Dank t es
ihm, da er gek ommen war in aller festen,
bescheidenen Freundlichk eit, mich zu gewinnen mich
vorzuspannen, versteht sich, dazu k ommen sie alle
seinen Plnen mit der Vollendung des Doms von Cln.
Gab sich alle Mh, mich die eigene vaterlndische
Erfindung des altdeutschen Bauwesens sehen zu lassen,
und da die Gothik mehr gewesen, als die Frucht der
verfallenen rmischen und griechischen Architek tur.

311}Hier soll meist das Fratzenhafte,


Das ein dstrer Wahnsinn schaffte,
Fr das Allerhchste gelten.

Macht aber seine Sache so geschick t und gescheit, der


Junge, so bestimmt und artig, und k am alles bei ihm bei
aller Diplomatie aus solcher Redlichk eit, da ich ihn
lieb gewann und seine Sache gleich mit. Ist ja so

schn, wenn der Mensch eine Sache hat, die er liebt!


Macht ihn selber schn und sogar die Sache selbst
wenns eine Fratze. Mu ich doch in mich
hineinlachen, wenn ich denk , wie wir bei seinem
ersten Besuch, anno 11, hier miteinand laborierten,
ber seine niederrheinischen Kupfer gebck t, die
Straburger und Clnischen Risse und des Cornelius
Illustrationen zum Faust, und uns Meyer erwischt bei
so fragwrdigem Geschft. Kommt herein, guck t auf
den Tisch, und ich ruf: Da sehen Sie einmal, Meyer, die
alten Zeiten stehen leibhaftig wieder auf! Der wollt
seinen Augen nicht trauen, womit ich mich abgab.
Murrt und murmelt Mibilligung ber das Fehlerhafte,
das der junge Cornelius aus dem altdeutschen Stil
fromm bernommen und sieht mich gro an ein bers
andere Mal, da ich gleichgltig darber hingehe, den
Block sberg, Auerbachs Keller lobe und die Bewegung
von Faustens Arm, wie er ihn der Kleinen bietet, einen
guten Einfall nenne. Ist vollends verblfft und schnappt
nach Luft, da ers erlebt, da ich die christliche BauBarbarei nicht vom Tische fege, sondern die Grundrisse
der Trme denn doch erstaunlich finde und mich zur
Bewunderung verstehe der Groheit der Pfeilerhalle.
Lenk t ein, k nurrt, nick t, sieht die Risse an, sieht mich
an, gibt zu, macht den Polonius It is back 'd lik e a
camel Ein Anhnger, ein im Stich gelassener,
verratener Anhnger. Gibts etwas Lustigeres, als den

Verrat an den Anhngern? Ein Vergngen, diebischer,


als dies, ihnen zu entk ommen, sich von ihnen nicht
festhalten zu lassen, sie zum Narren zu haben,
{312}einen greren Spa, als ihre offenen Muler,
wenn man sich selbst berwindet und die Freiheit
gewinnt? Die ist freilich leicht mizuverstehen, mag
wohl aussehen, alsob man damit auf die falsche Seite
geriete, und die Frmmler glauben, man frmmle mit
ihnen, da uns doch nur auch das Absurde freut, wenn
wir uns drber aufk lren. Narrheiten sind interessant,
und es soll einem nichts unzugnglich sein. Wies denn
wohl eigentlich mit den neuen k atholisch gewordenen
Protestanten sei, hab ich den Sulpiz gefragt; das mcht
ich nher k ennen, ihren inneren Weg, und wie sie
denn so dazu k ommen. Meint er: Viel hat da Herder
getan und seine Philosophie der Geschichte der
Menschheit, aber die Gegenwart auch, die
welthistorische Richtung Nun, das sollt ich k ennen,
das ist was Gemeinsames, ist immer was Gemeinsames
da, auch mit den Narren, nur nimmt sichs
verschiedentlich aus und zeitigt Verschiednes. Die
welthistorische Richtung Throne bersten, Reiche
zittern darauf sollt ich mich auch verstehen, das ist
mir, irr ich nicht, auch ins Leben gefahren, nur
schenk ts dem Einen den Jahrtausendgeist, macht ihn
vertraut mit der Gre, den Andern macht es

k atholisch. Hat freilich auch mit der Tradition zu tun,


der Jahrtausendgeist, wer sich auf die nur verstnde.
Wollen die Tradition mit Gelehrsamk eit und Historie
sttzen, die Narren, als wr das nicht gegen alle
Tradition! Die nimmt man an, und dann gibt man von
vornherein etwas zu, oder man nimmt sie mit nichten
an und ist ein rechter k ritischer Philister. Aber die
Protestanten (sagt ich zum Sulpiz) fhlen die Leere und
wollen drum einen Mystizismus machen, da doch,
wenn etwas entstehen mu und nicht gemacht werden
k ann, es der Mystizismus ist. Absurdes Volk , versteht
nicht einmal, wie die Messe geworden ist, tut, als
k nne man eine Messe machen. Wer drber lacht, ist
frmmer als die. Werden nun aber glauben, du
frmmelst mit ihnen. Werden dein altdeutsch Bchlein,
das Rhein- und Mainheft ber den {313}Hergang der
Kunst durch die dunk le Zeit fr sich in Anspruch
nehmen und deine Ernte geschwinde ausdreschen, um
mit den Strohbndeln im patriotischen Erntefest
einherzustolzieren. La sie, sie wissen nichts von
Freiheit. Die Existenz aufgeben, um zu existieren, das
Kunststck will freilich gek onnt sein; gehrt mehr
dazu als Charak ter, gehrt Geist dazu und die Gabe
der Lebenserneuerung aus dem Geist. Das Tier ist von
k urzer Existenz; der Mensch k ennt die Wiederholung
seiner Zustnde, die Jugend im Alten, das Alte als
Jugend; ihm ist gegeben, das Gelebte noch einmal zu

leben, geistverstrk t, sein ist die erhhte Verjngung,


die da der Sieg ist ber Jugendfurcht, Ohnmacht und
Lieblosigk eit, der todverbannende Kreisschlu
Bracht er mir alles, der gute Sulpiz, in seiner
Artigk eit und lieben Erflltheit, blo gemeint, mich
vorzuspannen, wute nicht, was er mir alles brachte
und nicht htte bringen k nnen, htt nicht die Lampe
der Flamme geharrt, die sie entzndet, wr ich nicht
in Bereitschaft gewesen fr die Intervention, mit der so
Vieles begann, die mehr in die Wege leitete, als blo
das alt-deutsche Bchlein. Anno eilf war er hier bei
mir, und Jahr fr Jahr darauf k am die Hammer'sche
bersetzung mit der Vorrede ber den von Schiras,
k am das Geschenk der Begeisterung, das spiegelnde
Wiedererk ennen, das heiter-mystische Traumspiel der
Metempsychose, gehllt in Jahrtausendgeist, den der
Timur des Mittelmeers, mein dster-gewaltiger Freund
erregte, die Vertiefung k am in die Jugend der
Menschheit Glaube weit, eng der Gedank e , die
fruchtende Fahrt hinab zu den Patriarchen und die
andere Reise dann, ins Mutterland, angetreten in
vorwissender Bereitschaft: Doch wirst du lieben, es
k am Marianne. Braucht er nicht zu wissen, wie alles
zusammenhngt, sag ihm nicht, wies mit seinem
Kommen begann vor fnf Jahren, wr auch nicht recht,
tt ihm was in den Kopf setzen, war nur ein Instrument

und ein Vor {314}spann selbst, da er mich vorspannen


wollt in aller Ergebenheit. Wollt eines Tages sogar bei
mir schreiben lernen, damit er besser k nnt seine
Sache propagieren, und hatte sichs in den Kopf gesetzt,
den Winter in Weimar zu leben, da er mirs abguck e
und sich zum Schreiben Rats hole bei mir. Lat das,
Freund, sagt ich, meine Heiden da machen mirs, der
ich doch selbst ein Heide bin, oft zu arg. Wr nichts fr
euch, wrdet blo auf mich reduziert sein, und das wr
zu wenig, denn ich k ann nicht allezeit mit euch sein.
War ein Liebeswort. Gab ihm solche wohl mehr. Lobte
seine k leinen Beschreibungen und sprach: Gut sind sie
und recht, denn sie haben den Ton, und der ist immer
die Hauptsach. Ich k nnts wahrscheinlich nicht halb
so gut, weil ich den frommen Sinn nicht habe. Und
dann las ich ihm aus der Italienischen Reise, wo ich
den Palladio gepriesen nach Herzenslust und das
Deutsche vermaledeit mit Klima und Architek tur. Hatt
er Thrnen in den Augen, der Gute, und ich versprach
ihm flugs, die wtige Stelle zu streichen, damit er she,
was fr ein braver Kerl ich sei. Hab ich doch ihm zu
Gefallen auch aus dem Divan die Diatribe weggelassen
aufs Kreuz; das Bernsteink reuz, die westlich-nordische
Narrheit. Zu bitter fand ers und hart und bat um
Verwerfung. Gut, sagt ich, weil ihr es seid, solls
auenbleiben. Ich wills meinem Sohn geben, wie
manches sonst, womit ich die Welt htte vor den Kopf

gestoen. Der verwahrt es mit Piett, so la ich ihm


den Spa, und ist eine Ausk unft zwischen Verbrennen
und vor den Kopf stoen Aber er liebt' mich auch
war so glck lich ber meine Teilnahme an seinen
frommen Schartek en, nicht nur um seiner Sache, nein,
auch um meinetwillen. Ein Zuhrer comme il faut, wie
war er angemutet von der k rzesten Nacht und dem
Liebeschnaufen Auroras nach Hesperus, da ichs ihm las
zu Neck arelz auf der Reise im k alten Zimmer.
Treffliche Seele! Hat mir ber die Verwandtschaft des
Divan mit Faust die hbschesten, instink tivsten Dinge
gesagt und war allerwege {315}ein guter Reisegefhrte
und -Vertrauter, dem man sich gern erffnete im
Wagen und bei der Eink ehr ber die Geschichten des
Lebens. Weit du die Fahrt von Frank furt nach
Heidelberg, wo du ihm von Ottilien sprachst bei
erscheinenden Sternen, wie du sie lieb gehabt und um
sie gelitten, und geheimnisvoll faseltest vor Klte,
Excitation und Schlfrigk eit? Ich glaube, er hat sich
gefrchtet Schne Strae von Neck arelz die Hhe
hinauf durchs Kalk gebirge, wo wir Versteinerungen
fanden und Ammonshrner. Oberschefflenz Buchen
Wir aen in Hardheim zu Mittag im Wirtsgarten. Da
war die junge Bedienerin, die es mir anthat mit ihren
verliebten Augen, und an der ich ihm demonstrierte,
wie Jugend und Eros aufk ommen frs Schne, denn sie

war unhbsch, aber erz-attrak tiv und wurd es noch


mehr vor schmig-spttischer Erhhtheit, da sie merk t,
der Herr sprch von ihr, was sie ja merk en sollt, und
er merk ts auch natrlich, da ich nur sprach, damit
sie merk e, ich sprche von ihr, hatt aber eine
musterhafte Haltung in solcher Bewandtnis, weder
gniert noch unfein das ist k atholische Kultur und
war von der heiter-gnstigsten Gegenwart, als ich ihr
den Ku gab, den Ku auf die Lippen.
Himbeeren, auf denen die Sonne steht. Erwrmter
Fruchtgeruch, unverk ennbar. Kochen sie ein im Hause?
Ist doch die Jahreszeit nicht. Ich hatts in der Nase. Ist
ein gar lieber Duft und reizend die Beere, schwellend
vom Saft unter der sammtenen Trock enheit, warm vom
Lebensfeuer wie Frauenlippen. Ist die Liebe das Beste
im Leben, so in der Lieb das Beste der Ku, Poesie der
Liebe, Siegel der Inbrunst, sinnlich-platonisch, Mitte
des Sak raments zwischen geistlichem Anfang und
fleischlichem End, se Handlung, vollzogen in
hherer Sphre, als das da, und mit reinern Organen
des Hauchs und der Rede, geistig, weil noch
individuell und hoch unterscheidend, zwischen
deinen Hnden das einzigste Haupt, rck geneigt, unter
den Wimpern den lchelnd ernst vergehenden
{316}Blick in deinem, und es sagt ihm dein Ku: Dich
lieb und mein ich, dich, holde Gotteseinzelheit,
ausdrck lich in aller Schpfung dich, da das Zeugen

anonym-k reatrlich, im Grund ohne Wahl, und Nacht


bedeck ts. Ku ist Glck , Zeugung Wollust, Gott gab sie
dem Wurme. Nun, du wrmtest nicht faul zu Zeiten,
aber deine Sache ist eher doch das Glck und der
Ku, flchtiger Besuch der wissenden Inbrunst auf
rasch verderblicher Schnheit. Auch ists der
Unterschied von Kunst und Leben, denn die Flle des
Lebens, der Menschheit, das Kindermachen ist nicht
Sache der Poesie, des geistigen Kusses auf die
Himbeerlippen der Welt Lottens Lippenspiel mit dem
Kanarienvogel, wie sich das Tierchen so lieblich in die
sen Lippen drck t und das Schnbelchen dann den
Weg von ihrem Munde zum anderen macht in
pick ender Berhrung, ist gar artig infam und
erschtternd vor Unschuld. Gut gemacht, talentvoller
Graaff, der schon von Kunst so viel wut wie von Liebe
und heimlich jene meint, wenn er diese betrieb,
spatzenjung und schon ganz bereit, Liebe, Leben und
Menschheit an die Kunst zu verraten. Meine Lieben,
meine Erzrnten, es ist getan, zur Leipziger Messe ists
ausgegeben, verzeiht mir, wenn ihr k nnt. Mu, meine
Besten, noch euch und euern Kindern ein Schuldner
werden fr die bsen Stunden, die euch meine
nennts, wie ihr wollt, gemacht hat. Haltet, ich bitt
euch, Stand! War um die Jahreszeit, da ichs schrieb,
in grauen Spatzenzeiten. Fiel mir genau wieder ein,

der Brief, wo mir dies Frhjahr die Erstausgabe wieder


zu Handen k am und ich das tolle Gemchte zum
erstenmal wieder durchging nach soviel Jahren. War
k ein Zufall, mute mir vork ommen, gehrt zum
brigen als letztes Glied, die Lek tre, von alldem, was
begann mit Sulpizens Besuch, gehrt zur
wiederk ehrenden Phase, zur Lebenserneuerung,
geistverstrk t, zur hoch-heiteren Feier der
Wiederholung brigens glnzend gefgt, das Ding,
Respek t, mein Junge, vorzglich, das psychologische
{317}Gewebe, der dichte Reichtum an seelischem Beleg.
Gut, das Herbstbild des Blumen suchenden Irren. Nett,
wie die liebe Frau ihre Freundinnen durchdenk t fr
den Freund und an jeder was auszusetzen findet, ihn
k einer gnnt. Knnte schon aus den
Wahlverwandtschaften sein. Soviel gescheite Sorgfalt
bei soviel Gefhlsverlorenheit und Sehnsuchtsstrmen
gegen die Schrank en des Individuums, die
Kerk ermauern des Menschseins. Verstehe schon, da es
einschlug, und wer damit anfing, ist eben doch k eine
Katze. Wie etwas sei leicht, wei, der es erfunden und
der es erreicht. Leicht, glck lich wie Kunst, ists durch
die briefliche Composition, das Momentane, das Immerneu-Ansetzen, ein welthaft Beziehungssystem
lyrischer Einheiten. Talent ist, sichs schwer zu
machen und zu verstehen auch wieder, wie man sichs
leicht macht. Mit dem Divan ists ganz dasselbe,

wunderlich, wie es immer wieder dasselbe ist. Divan


und Faust, schon recht, aber Divan und Werther sind
ja Geschwister noch mehr, besser gesagt: dasselbe auf
ungleichen Stufen, Steigerung, geluterte
Lebenswiederholung. Mg es immer und ins Unendliche
so weiter gehen, sich ein bendes Gewinnen in die
Ewigk eiten steigern! Vom Kssen ist reichlich die
Rede, im frhen, im spten Liede. Lotte am Klavier, und
ihre Lippen, die man nie so reizend gesehen, da es war,
alsob sie sich lechzend ffneten, die sen Tne zu
schlrfen, war das nicht Marianne schon, ak k urat,
oder richtiger: wars diese nicht wieder, wie sie Mignon
sang, und Albert sa auch dabei, schlfrig und
duldsam? War schon wie ein Festbrauch diesmal,
Ceremonie, Nachahmung des Ur-Gesetzten, feierlicher
Vollzug und zeitlos Gedenk spiel, weniger Leben, als
erstmals, und auch wieder mehr, vergeistigtes Leben
Gut denn, die hohe Zeit ist geschlossen, und diese
Verk rperung seh ich nicht wieder. Wollts, ward aber
bedeutet, ich sollts nicht, da heit es entsagen, neuer
Erneuerung ausdauernd gewrtig. Bleiben wir! Die
Geliebte k ehrt wieder zum Ku, immer jung, (eher
ap{318}prehensiv nur freilich; zu denk en, da sie in
ihrer der Zeit unterworfenen Gestalt, alt, auch
daneben noch irgendwo lebt, nicht eben ganz so
behglich und billigenswert, wie da auch der Werther

fortbesteht neben dem Divan.)


Aber dieser ist besser, zur Gre gereift, bers
Pathologische rein hinaus, und das Paar ist musterhaft
worden, hheren Sphren entgegengesteigert. Wird dir
der Kopf doch hei, wenn du denk st, was sich der
Grnschnabel damals im Motivierungsraptus alles
geleistet. Gesellschaftsrebellion, Adelsha, brgerliche
Gek rnk theit, mutest du das hineinmengen, Tlpel,
ein politisch Gezndel, das alles herabsetzt? Der Kaiser
hatte ganz recht, es zu tadeln: Warum habt ihr doch
das gemacht? Ein Glck nur, da mans nicht achtete,
mit den brigen Leidenschaftlichk eiten des Buchs in
den Kauf nahm und sich versichert hielt, es sei auf
unmittelbare Wirk ung nicht abgesehn. Dummes,
grnes Zeug und obendrein subjek tiv unwahr. War
doch meine Stellung gegen die oberen Stnde sehr
gnstig, will ich unbedingt nachher fr den vierten
Teil des Lebens dik tieren, da ich dank dem Goetz, was
auch an Schick lichk eiten bisheriger Literatur darin
mochte verletzt sein, gegen die obern Stnde sogar
vorzglich gestellt war Wo ist mein Schlafrock ?
Schellen dem Carl zum Frisieren. The readiness is all
es k nnte Besuch k ommen. Angenehmer weier
Flanell, auf dem sichs so gut die Hnde im Rck en
verschrnk t. Ging darin morgens den Bogengang
gegen den Rhein auf und ab zu Wink el bei den
Brentano's und den Altan bei Willemers auf der Mhle.

Traute sich niemand, mich anzureden dabei, aus Scheu


vor meinen Gedank en, obgleich ich manchmal an
garnichts dachte. Ist ganz behaglich, alt und gro zu
sein, und Ehrfurcht ist notwendig. Ja, wohin nicht
schon berall hat mich der milde Rock begleitet,
husliche Gewohnheit, die man mit sich auf Reisen
nimmt, um sein bleibend Selbst damit zu verteidigen
und Trutz zu bieten dem Fremden. So mit dem
{319}silbernen Becher, den ich mir einpack en la
berall hin und den erprobten Wein auch dazu, da
mirs nirgend fehle und sich die brigens lehr- und
genureiche Fremde nicht strk er erweise als ich und
meine Gewohnheit. Man hlt auf sich, man beharrt auf
sich mk elt da Einer was von Erstarrung, ists dumm
gemk elt, denn gar k ein Widerspruch ist zwischen
Beharren, dem Trachten nach Lebenseinheit, dem
Zusammenhalten des Ich und der Erneuerung, der
Verjngung: all'incontro, diese gibts nur in der
Einheit, im sich schlieenden Kreis, dem
todverbannenden Zeichen Mach mich schn,
Figaro, Battista, oder wie du schon heit! Mach mir
das Haar, das Stoppelfeld hab ich mir selber schon
weggestrichen, du nimmst einen ja bei der Nase,
wenns an die Lippe k ommt, burische Gewohnheit,
k ann ich nicht ausstehen k ennst du die Geschichte
von dem Studenten und Suitenreier, der sich vor

seinen Kumpanen verma, den alten Herrn von Stande


an der Nase zu ziehen und sich als Bartscherer bei ihm
introduziert', da er ihn denn heimlich vor aller Augen
am Giebel nahm und ihm das wrdge Gesicht daran
hin- und herzog, worauf der Streich aufk am und den
alten Herrn vor Verdru der Schlag rhrte, der Suitier
aber vom Sohn im Duell frs Leben was abk riegte?
Kenn' ich nicht, Ew. Excellenz. Kommt aber doch
auf den Geist und Sinn an, worin man jemanden an der
Nase fat, und Ew. Excellenz k nnen versichert sein
Na, schon gut, ich hab's lieber eigenhndig. Ist ja
auch bei mir von einem Tage zum andern nicht gar viel
vorfindig. Sorg' aber frs Haar, ich will's gepudert, und
auch ums Eisen magst du es hier und hier ein bischen
legen, man ist ein ganz anderer Mensch, wenn das
Haar aus der Stirn und den Schlfen ist und seinen
Sitz hat, da ist die Fregatte erst k lar zum Gefecht, ist
der Kopf erst k lar, denn zwischen Haar und Hirn, da
gibts Relationen, ein ungek mmt Hirn, was soll das
taugen. Weit du, {320}am adrettesten war's doch in
der Frhzeit, mit Cadogan und Haarbeutel, davon
weit du nichts mehr, bist gleich in die Epoche des
Schwedenk opfes hineingeplatzt, aber ich k omm' weit
her, hab' mich durch soviel Lufte
hindurchgeschlagen, den langen, den k urzen Zopf
mitgemacht, die steifen, die schwebenden
Seitenlock en man k ommt sich vor wie der Ewige Jude,

der durch die Zeiten wandert, immer derselbe, indes


ihm, er merk t's k aum, die Sitten und Trachten am
Leibe wechseln.
Mu Ew. Excellenz gut gelassen haben, das
gestick te Kleid dazumal, der Zopf und die Ohrrollen.
Ich will dir sagen: es war eine nette, schick lich
gebundene Zeit, und Tollheit war mehr wert auf dem
Hintergrunde, als heutzutag. Was ist denn die Freiheit
auch, sag', wenn sie nicht Befreiung ist. Ihr mt auch
nicht glauben, da es damals k ein Menschenrecht gab.
Herren und Knechte, nun ja, aber das waren
Gottesstnde, wrdig ein jeglicher nach seiner Art, und
der Herr hatte Achtung, vor dem, was er nicht war,
vorm Gottesstande des Knechtes. Insonderheit weil in
den Zeiten die Einsicht noch mehr verbreitet war, da
man, ob vornehm oder gering, das Menschliche immer
ausbaden mu.
Na, Ew. Excellenz, ich wei nicht, am Ende hatten
wir Kleinen doch mehr auszubaden, und ist immer
sicherer, da man's nicht gerad' so ank ommen lt auf
die Achtung des groen Gottesstandes vorm k leinen.
Sollst recht haben. Wie willst du, da ich mit dir
streite? Du hast mich, deinen Herrn, unter dem Kamm
und unter dem heien Eisen und k annst mich zwick en
und brennen, wenn ich dir opponier', so halt' ich
k lglich den Mund.

Haben gar feines Haar, Ew. Excellenz.


Du meinst wohl: dnn.
Bah, dnn fngt's grad' nur erst an ber der Stirn
ein bischen zu werden. Ich meine: fein, das einzelne; ist
ja seidenweich, wie sonst bei Mannsbildern selten.
{321}Auch gut. Bin aus dem Holz, aus dem Gott mich
geschnitzt hat.
Gleichmtig-mimutig genug gesagt? Unbeteiligt
genug an meinen natrlichen Eigenschaften?
Parucchieri mssen immer schmeicheln, und der Mann
nimmt die Gewohnheiten des Standes an, dessen
Hantierung er eben bt. Will meiner Eitelk eit Zuck er
geben. Denk t wohl k aum, da auch Eitelk eit
verschieden Format hat und verschiedenen Impetus,
da sie tiefe Beschftigung, ernstlichst nachdenk liche
Selbstbeschaulichk eit, autobiographischer Furor sein
k ann, insistenteste Neugier nach dem Um und Auf
deines physisch-sittlichen Seins, nach den weitlufigverschlungenen Wegen und Dunk el-Laborationen der
Natur, die zu dem Wesen fhrten, das du bist, und das
die Welt bestaunt, also da ein Schmeichelwort wie
seines, unsre k reatrliche Beschaffenheit berhrend,
nicht als leichter, oberflchlicher Ich-Reiz und Kitzel
wirk t, wie er meint, sondern als herzaufstrende
Anmahnung glck lich-schwersten Geheimnisses. Bin
aus dem Holz, aus dem Natur mich schnitzte. Punk tum.
Bin wie ich bin und lebe, des Wortes gedenk , da wir

unbewut stets am Weitesten k ommen, frisch ins Blaue.


Schon recht, schon brav. Und all das instndig
autobiographische Betreiben? Stimmt nicht just zum
resoluten Prinzip. Und wills auch dem Werden nur
gelten, der didak tischen Darweisung, wie ein Genie
sich bildet, (was auch schon scientifische Eitelk eit,) so
liegt doch immer die Neugier zum Grund nach dem
Stoff des Werdens, dem Sein, das ein Gewordensein
auch und weither k ommendes Lebensergebnis. Denk en
die Denk er doch ber das Denk en, wie sollte der
Werk ende nicht ber den Werk er denk en, wenn wieder
Werk daraus wird und wohl einmal all Werk nur hocheitle Vertiefung sein mag ins Phnomen des Werk ers,
ein egocentrisch Werk ? Fein-feines Haar. Da liegt
meine Hand auf dem Pudermantel. Pat zum fein-feinen
Haare garnicht, ist k ein schmal-vergei {322}stigt
Edelpftchen, sondern breit und fest,
Handwerk erhand, vermacht von Hufschmied- und
Metzgergeschlechtern. Was mu an Zartheit und
Tchtigk eit, an Schwche und Charak ter, infirmit
und Derbheit, Wahnsinn und Vernunft, ermglichter
Unmglichk eit sich glck lich-zufllig verbunden,
durch die Jahrhunderte sich familir herangemischt
haben, damit am Ende das Talent, das Phnomen
erscheine? Am Ende. Erst eine Reihe Bser oder Guter
bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude der

Welt hervor. Den Halbgott und das Ungeheuer, dacht


ich sie nicht zusammen, als ich das schrieb, nahm ich
nicht eins frs andere und wut ich nicht, da es ohn
einiges Entsetzen in der Freude, ohne das Ungeheuer
im Halbgott nicht abgeht? Bse und gut was wei
Natur davon da sie nicht einmal von Krank heit und
Gesundheit viel wei und aus dem Krank en Freude und
Belebung schafft? Natur! Zuerst bist du mir durch mich
selbst gegeben ich ahnde dich am tiefsten durch mich
selbst. Darber gabst du mir Bescheid: Erhalten
Geschlechter sich lange, so k ommts, da, ehe sie
aussterben, ein Individuum erscheint, das die
Eigenschaften seiner smtlichen Ahnen in sich begreift
und alle bisher vereinzelten und angedeuteten Anlagen
vereinigt und vollk ommen ausspricht. Sauber
formuliert, sorgsam-lehrhaft bemerk t, den Menschen
zu bessrer Kenntnis, Wissenschaft der Natur,
besonnen abgezogen vom eignen nicht geheueren Sein.
Egocentrisch ! Es soll wohl Einer nicht egocentrisch
sein, der sich Naturziel, Rsum, Vollendung, Apotheose
wei, ein Hoch- und Letztergebnis, das herbeizufhren
Natur sich das Umstndlichste hat k osten lassen! Aber
war nun diese ganze Anzucht und Brgerheck e, dies
Sich k reuzen und gatten der Sippen durch die
Jahrhunderte, wo der aus Nachbarlandschaft
zugewandert Gesell nach Brauch die Meisterstochter
freite, die grflich Lak ai- und Sarctorsdirn dem

geschwornen Landmesser oder studierten Amtswalter


sich copuliert, war dies Quodlibet von
Stammesblutwerk nun so {323}sonderlich glck haft
gnstig und gottbetreut? Die Welt wirds finden, da es
zu mir fhrt, in dem Anlagen, gefhrlichste, durch
Charak terk rfte, die man woanders hernahm,
berwunden, genutzt, verk lrt, versittlicht wurden,
zum Guten und Groen gewendet und gezwungen. Ich
ein Balance-Kunststck genauer Not, k napp
ausgewogner Glck sfall der Natur, ein Messertanz von
Schwierigk eit und Liebe zur Fazilitt, ein Nur-gerademglich, das gleich auch noch Genie mag sein, Genie
ist immer ein Nur-eben-mglich. Sie wrdigen, wenns
hoch k ommt, das Werk , das Leben wrdigt k einer.
Ich sag euch: Machs Einer nach und breche nicht den
Hals!
Was wars mit deiner Ehescheu, deinem fliehenden
Verbots- und Unsinnsgefhl vor brgerlich
fortsetzender Verbindung nach dem Muster der Ahnen,
zweck losem Weiter-Laborieren ber das Ziel hinaus?
Mein Sohn, Frucht lock eren Behelfs, mibilligt
libertinischer Bettgenossenschaft, er ist ein Drber
hinaus, ein Nachspiel, wei ich das nicht? Natur
schaut k aum noch hin und ich hab die Grille, zu
thun, als drft und k nnt ichs in ihm noch einmal
beginnen, verk uppel ihn mit dem Persnchen, weils

vom Schlage derer, vor denen ich floh, ok ulier uns das
preuisch Blut, damit das Nachspiel noch einen
Ausk lang auch habe, bei dem Natur ghnend und
achselzuk k end nach Hause geht. Ich wei Bescheid.
Aber Bescheid wissen ist eins, ein andres das Gemt.
Das will sein Recht quand mme auch gegen das k alte
Wissen. Es wird stattlich und freundlich aussehen
vorerst, im Hause wird eine Lilli walten, mit der galant
der Alte scherzt, und will es Gott, so wird man Enk el
haben, lock ige Enk el, Schattenenk el, den Keim des
Nichts im Herzen, ohne Glauben und Hoffnung wird
man sie lieben von Gemtes wegen.
Sie war ohne Glauben, Liebe und Hoffnung, Cornelia,
das Schwesterherz, mein weiblich Neben-Ich, zum
Weibe nicht geschaffen. War nicht ihr Gattenek el das
physische Gegenstck {324}zu deiner Eheflucht?
Indefinibles Wesen, bitter-fremd auf Erden, sich selbst
nicht und k einem verstndlich, harte Aebtissin, im
ersten unnatrlichen, verhaten Kindbett wunderlich
verdorben und gestorben das war dein leiblich
Geschwister, das einzige, das mit dir, zu seinem
Unheil, von vier anderen, die frhsten Tage berlebte.
Wo sind die anderen, das allzu schne Mgdlein, der
stille, eigensinnige, fremdartige Knabe, der mein
Bruder war? Lngst nicht mehr da, entschwunden
gleich wieder und k aum beweint, soweit ich mich
entsinne. Geschwistertraum, k aum noch erk ennbar,

dreiviertel vergessen. Zum Bleiben ich, zum Scheiden


ihr erk oren, gingt ihr voran und habt nicht viel
verloren. Ich lebe an eurer Statt, auf eure Kosten,
wlze den Stein fr fnfe. Bin ich so egoistisch, so
lebenshungrig, da ich mrdrisch an mich zog, wovon
ihr httet leben k nnen? Es gibt tiefere, verborgenere
Schuld, als die wir wissentlich empirisch auf uns laden.
Oder rhrt dies seltsame Gebren fr Ein bedeutend
Leben, sonst aber fr den Tod, daher, da der Vater
doppelt so alt war, als die Mutter, da er sie freite?
Gesegnet Paar, begnadet, den Genius der Welt zu
schenk en. Unglck lich Paar! Das Mtterchen, die
Frohnatur, verbrachte die besten Jahre als Pflegenonne
eines dek repiten Tyrannen. Cornelia hate ihn
vielleicht nur, weil er sie in die Welt gesetzt; war aber
der morose, berufsunttge Halbnarr, der Eigenbrtler
und lastende Pedant, dem jeder Luftzug die mhsame
Ordnung strte, der qurulierende Hypochondrist,
nicht hassenswert auch sonst? Du hast viel von ihm,
Statur und manches Gehaben, die Sammel-Lust, die
Frmlichk eit und Polypragmosyne, verk lrtest seine
Pedanterie. Je lter du wirst, je mehr tritt der
gespenstische Alte in dir hervor, und du erk ennst ihn,
bek ennst dich zu ihm, bist mit Bewutsein und
trotziger Treue wieder er, das Vater-Vorbild, das wir
ehren. Gemt, Gemt, ich glaubs und wills. Das Leben

wre nicht mglich ohne etwelche Beschnigung durch


wrmenden Gemtstrug, {325}gleich drunter aber ist
Eisesk lte. Man macht sich gro und verhat durch
Eiseswahrheit und vershnt sich zwischenein, vershnt
die Welt durch frhlich-barmherzige Lgen des Gemts.
Mein Vater war ein dunk ler Ehrenmann will sagen,
er war das spte Kind betagter Eltern und hatte einen
Bruder, der k lrlich verrck t war und in Verbldung
starb wie schlielich auch der Vater. Urahne war der
Schnsten hold, o ja, von frhlich aufstutzenden
Gemtes wegen, der Textor war es, meiner Mutter
Vater, ein Schlemmer, k alt gedacht, und
Schrzenjger, schimpflich ertappt von grimmigem
Gatten, aber ein Wahrtrumer dabei, der Gabe der
Weissagung teilhaftig. Wunderlich Gemisch!
Wahrscheinlich mut ich all meine Geschwister tten,
damits in mir ansprechend-genehmere Formen
annahm, weltgewinnende ist aber hinlnglicher
Wahnsinn brig in mir, als Untergrund des Glanzes,
und htt ich das Aufrechthalten in Ordnung nicht
ererbt, die Kunst sorgfltiger Schonung, eines ganzen
Systems von Schutzvorrichtungen wo wr ich! Wie ich
den Wahnsinn hasse, die verrck te Genialitt und
Halbgenialitt und schon das Pathos, die excentrische
Gebrde, die Lautheit verachte und in der Seele meide,
ich k anns nicht sagen, es ist unaussprechlich.
Khnheit das Best und Einzige, unentbehrlich aber

ganz still, ganz schick lich, ganz ironisch, in


Convention gebettet, so will und bin ichs. Da war der
Kerl, wie hie er, von Sonnenberg, den sie den
Cimbrier nannten, von Klopstock k ommend, wild und
wst gebarend, wenn auch gutherzig im Grund. Sein
gro Geschft war ein Gedicht vom Jngsten Tag, tolles
Unternehmen, toll ohne Hflichk eit, apok alyptisch
Unwesen, entsetzlich energumenisch vorgetragen. Mir
ward bel, wie mir beim Armen Heinrich bel wurde.
Schlielich strzt das Genie sich aus dem Fenster.
Abwehr, Abwehr. Fahr hin!
Nur gut, da er mich anstndigst zurechtmacht,
wrdig elegant ein wenig nach alter Zeit. Wenn Besuch
k ommt, werd {326}ich mit gemessener Stimme zu
beiderseitiger Beruhigung gleichgltige Dinge reden
und nach nichts weniger aussehn, als nach Genie und
Umbratilitt, woran die liebe Mittelmigk eit halb
ngstlich, halb belustigt sich auferbauen mchte. Sie
haben einander dann immer noch genug zu melden von
meinem Msk lein, dieser Stirn, den vielbeschrieenen
Augen, die ich, zufolg den Bildern, nebst Kopfgestalt
und Mund und mittelmeerlndischem Teint ganz
einfach von Mutters Mutter habe, der selig
Lindheymerin, verehelichten Textor. Was ist es mit
unsrer physiognomischen Hlle? Das alles war vor
hundert Jahren schon da und wollte damals nicht mehr

besagen, als eine rstig-gescheite, braun-handsame


Weibsnatur. Dann schliefs in der Mutter, die von ganz
andrem Schlag, und wurde in mir zum Ausdruck , zur
persona und Apparence dessen, was ich bin, nahm
eine geistige Reprsentanz an, die es sonst k eineswegs
besa und nie htt zu gewinnen brauchen. Mit welcher
Notwendigk eit spricht mein Physisches mein Geistiges
aus? Knnt ich nicht meine Augen haben, ohne da es
just Goethes Augen wren? Auf die Lindheymers aber
halt ich; wahrscheinlich sind sie das Brvst und Beste
in mir. Freut mich zu denk en, da der Frhsitz, nach
dem sie sich nannten, dem rmischen Grenzwall ganz
nah ist, in der Wettersenk e, wo antik es und
Barbarenblut von je zusammenflo. Daher k ommts und
daher hast dus, den Teint, die Augen und die Distanz
vom Deutschen, den Blick fr seine Gemeinheit, die an
tausend nhrenden Wurzeln zerrende Antipathie
gegen das Sack ermentsvolk , aus dem und dem
zuwider du lebst, zu dessen Bildung berufen du dies
unbeschreiblich prek re und penible, nicht nur durch
Rang, auch durch Instink t schon isolierte Leben fhrst,
erzwungenen Ansehns, ungern zugestanden, da sie
dran flik k en, wo sie k nnen, ich sollt nicht wissen,
da ich im Grunde euch smtlichen zur Last? Wie
vershnt man sie? Ich habe Stunden, wo ich sie
herzlich gern vershnte! Es mt doch {327}gehen
und ging zuweilen da doch von ihrem Mark , dem

Sachs'schen, Luther'schen sovieles auch in dir, woran


du dich in breitem Trotze freust, aber nach deines
Geistes Form und Siegel nicht umhin k annst, es in
Klarheit und Anmut und Ironie emporzulutern. So
traun sie deinem Deutschtum nicht, sprens wie einen
Mibrauch, und der Ruhm ist unter ihnen wie Ha und
Pein. Leidig Dasein, im Ringen und Widerstreit mit
einem Volk tum, das doch auch wieder den Schwimmer
trgt. Soll wohl so sein, wehleidig bin ich nicht. Aber
da sie die Klarheit hassen, ist nicht recht. Da sie
den Reiz der Wahrheit nicht k ennen, ist zu
bek lagen, da ihnen Dunst und Rausch und all
berserk erisches Unma so teuer, ist widerwrtig, da
sie sich jedem verzck ten Schurk en glubig hingeben,
der ihr Niedrigstes aufruft, sie in ihren Lastern
bestrk t und sie lehrt, Nationalitt als Isolierung und
Roheit zu begreifen, da sie sich immer erst gro und
herrlich vork ommen, wenn all ihre Wrde grndlich
verspielt, und mit so hmischer Galle auf Die blick en,
in denen die Fremden Deutschland sehn und ehren, ist
miserabel. Ich will sie garnicht vershnen. Sie mgen
mich nicht recht so, ich mag sie auch nicht, so sind
wir quitt. Ich hab mein Deutschtum fr mich mag sie
mitsamt der boshaften Philisterei, die sie so nennen,
der Teufel holen. Sie meinen, sie sind Deutschland,
aber ich bins, und gings zu Grunde mit Stumpf und

Stiel, es dauerte in mir. Gebrdet euch, wie ihr wollt,


das Meine abzuwehren, ich stehe doch fr euch. Das
aber ists, da ich zum Reprsentanten geboren und
garnicht zum Mrtyrer; fr die Vershnung weit eher,
als fr die Tragdie. Ist nicht Vershnung und
Ausgleich all mein Betreiben und meine Sache Bejahen,
Geltenlassen und Fruchtbarmachen des Einen wie des
Anderen, Gleichgewicht, Zusammenk lang? Nur alle
Krfte zusammen machen die Welt, und wichtig ist
jede, jede entwick elnswert, und jede Anlage vollendet
sich nur durch sich selbst. Individualitt und
Gesellschaft, Bewutheit {328}und Naivitt, Romantik
und Tchtigk eit, beides, das andre immer auch und
gleich vollk ommen, aufnehmen, einbeziehen, das
Ganze sein, die Partisanen jedes Prinzips beschmen,
indem man es vollendet und das andre auch
Humanitt als universelle Ubiquitt, das hchste,
verfhrerische Vorbild als heimlich gegen sich selber
gerichtete Parodie, Weltherrschaft als Ironie und
heiterer Verrat des Einen an das Andre, damit hat
man die Tragdie unter sich, sie fllt dorthin, wo noch
nicht Meisterschaft, wo noch mein Deutschtum nicht,
das in dieser Herrschaft und Meisterschaft besteht,
reprsentativer Weise besteht, denn Deutschtum ist
Freiheit, Bildung, Allseitigk eit und Liebe, da sies
nicht wissen, ndert nichts daran. Tragdie zwischen
mir und diesem Volk ? Ah, was, man zank t sich, aber

hoch oben, im leichten, tiefen Spiel will ich


exemplarische Vershnung feiern, will das magisch
reimende Gemt umwlk ten Nordens mit dem Geist
trimetrisch ewiger Blue sich gatten lassen zur
Erzeugung des Genius. So sage denn, wie sprech ich
auch so schn? Das ist gar leicht, es mu von Herzen
gehn
Meinten Ew. Excellenz grad was zu mir?
Wie? Nein. Ich sagte wohl irgendwas? Dann war es
nicht zu dir. Dann wars so bei mir selbst gesprochen.
Ist das Alter, weit du, da fngt der Mensch an, mit
sich selbst zu mummeln.
Das ist wohl nicht das Alter, Ew. Excellenz, sondern
blo die Lebhaftigk eit des Denk ens. Haben gewi auch
in der Jugend gern mal schon mit sich selbst
gesprochen.
Da hast du auch recht. Kam sogar viel fter vor, als
heute bei gesetzten Jahren. Ist ja ein bischen nrrisch,
mit sich selbst zu reden, und Jugend ist nrrische Zeit,
da pat es, aber spter eigentlich nicht mehr. Ich
rannt herum, es pochte was in mir, da sprach ich den
Halb-Unsinn mit, und es war ein Gedicht.
Ja, Ew. Excellenz, das war ja nun wohl eben, was
man die geniale Eingebung nennt.
{329}Meinetwegen. So nennens, dies nicht haben.
Spter dann mssen Vorsatz und Charak ter

aufk ommen fr die nrrische Natur, und was sie


leisten, ist uns im Grunde verstndig-werter. Lt du
mich endlich? Mut doch mal fertig werden. Ist schon
recht, von dir aus, da du dein Geschft fr die
Hauptsache hltst, mssen aber die Vorbereitungen
zum Leben im richtigen Verhltnis bleiben zu ihm
selbst.
Seh ich ein, Ew. Excellenz. Es soll aber doch alles
nach advenant sein. Schlielich wei man, wen man
unter den Hnden hat. Hier wr der Handspiegel.
Schn, schn. Gieb mir das Klnisch Wasser fr
mein Taschentuch! Ah ja, ah gut! Ist eine gar liebliche,
belebende Erfindung, gabs schon in Haarbeutels
Zeiten, hab mein Leben lang die Nase hineingesteck t.
Der Kaiser Napolon roch auch von oben bis unten
danach, wollen hoffen, da es ihm auch auf Helena
nicht dran mangelt. Die k leinen Beihilfen und
Wohlthaten des Lebens, mut du wissen, werden zur
Hauptsache, wenns mit dem Leben selbst und den
Heldentaten gar und zu Ende. So ein Mann, so ein
Mann. Da haben sie nun seine Unbndigk eit
eingeschlossen in unbezwingliche Meeresweiten, damit
die Welt Frieden habe vor ihr und wir hier in Ruhe ein
bischen k ultivieren mgen Ist auch ganz recht, denn
es ist die Zeit der Kriege und Epopen nicht mehr, der
Knig flieht, der Brger triumphiert, k ommt jetzt ein
ntzliches Aevum herauf, ihr sollt sehen, da es mit

Geld und Verk ehr, Geist, Handel und Wohlstand zu tun


hat, wo man denn glauben und wnschen k nnte, da
selbst die liebe Natur zur Vernunft gek ommen sei und
allen verrck ten, fieberhaften Erschtterungen fr
immer abgesagt htte, damit Frieden und Wohlhaben
fr immer gesichert wren. Ganz erquick liche Idee,
habe garnichts dagegen. Aber wenn man sich
einbildet, wies so einem Stck Element zu Mute sein
mu, dessen Krfte in der Stille zwischen Wasserwsten
erstick t werden, so einem gefes{330}selten, an aller
That gehinderten Riesen und zugeschtteten Aetna, in
dem es k ocht und whlt, ohne da das feurige Innere
mehr einen Ausweg findet, wo du denn wissen mut,
da zwar die Lava vernichtet, aber auch dngt, da
wirds einem doch gar bek lommen zu Sinn, und man
fhlt sich zum Mitleid versucht, ob denn schon Mitleid
gar k ein zulssig Gefhl in solchem Fall. Aber da er
seine Eau de Cologne noch habe, wie ers gewohnt ist,
das mcht man doch wnschen. Ich geh hinber, Carl,
sag es Herrn John, er soll sich blick en lassen.
Helena, Sank t Helena, da Der da sitzt, da das so
heit, da ich sie suche, die mein einziges Begehren, so
schn wie reizend, wie ersehnt so schn da sie den
Namen mit des Prometheus Marter-Felsen teilt, die
Tochter und Geliebte, die ganz mir und nicht dem
Leben, nicht der Zeit gehrt, und nach der allein das

dichtende Verlangen mich schmiedet an dies


lebensgraue, unbezwingbare Werk ist doch ein
wunderlich Ding das Gewebe des Lebens, der
Schick sale. Siehe, die ausgeruhte Arbeitssttte,
morgentlich ernchtert, neuer Besitzergreifung
gewrtig. Da sind die Subsidia, die Hilfsquellen, die
Stimulantien, die Mittel zur Eroberung gelehrter
Welten zu produk tivem Zweck . Wie brennend
interessant alles Wissen wird, das ein Werk bereichern
und unterbauen mag und zum Spiele taugt. Dem
Unzugehrigen verschliet sich der Geist. Aber freilich
wirds immer mehr, was dazu gehrt, je lter man wird,
je mehr man sich ausbreitet, und treibt mans so fort,
wirds bald nichts Unzugehriges mehr geben. Das hier
ber Mibildung der Gewchse und
Pflanzenk rank heiten mu ich weiter lesen, heut
Nachmittag, wenn ich dazu k omm, oder abends; die
abweichenden Bildungen und das Monstrose sind
hchst bedeutend dem Freunde des Lebens, ber die
Norm belehrt das Pathologische vielleicht am tiefsten,
und dir ahnt zuweilen, als mchten von der Seite der
Krank heit her die k hnsten Vorste ins Dunk el des
Lebendigen zu vollbringen {331}sein Schau, da
wartet manch Stck Geist und Welt der k ritischen
Freude, Byrons Korsaren und Lara, schnes, stolzes
Talent, darin ist fortzufahren, in der Gries'schen
Calderon-bersetzung auch, und des Ruck stuhl ber

die deutsche Sprache regt manches auf, will auch


bestimmt Ernesti's Technologia rhetorica weiter
studieren. Dergleichen k lrt das Bewutsein und
schrt die Lust. Auf all die Orientalia wartet
Herzogliche Bibliothek schon ein bischen lange. Sind
lngst die Termine zur Rck gabe abgelaufen. Geb sie
aber nicht her, k eins davon, k ann mich vom Rstzeug
nicht entblen, solang ich im Divan lebe, und
Bleistiftstriche mach ich auch noch hinein, wird
niemand muck sen. Carmen panegyricum in laudem
Muhammedis Teufel noch mal, das
Geburtstagsgedicht! Anfang: Von Berges Luft, dem
Aether gleichzuachten, Umweht, auf Gipfelfels
hochwaldiger Schlnde Ist eine etwas herrische
Zusammenziehung: ein Gipfel von Schlnden, mssens
mir durchgehen lassen, ist doch ein k hn aufrufend
Bild, Schlund ist Schluck , sollens nur schluck en, Dieser
Gipfel ernste Wand war auch schon sowas. Zweitens
k ommt der Dichtergarten, nicht ganz geheuer durch
luftige Geschosse der Eroten, drittens die k ultivierte
Geselligk eit, die Mars zerschmettert, und endlich bei
trstend wiederk ehrendem Frieden, k ehrt, zweimal
k ehrt, machen wir aus der Not eine Absicht, k ehrt
unser Sinn sich treulich zu dem Alten, worauf sich
erhalten reimt, und rasch auch noch die Menge, von
der jeder nach eigenem Willen schalten will, gut,

wenn du dich nach dem Dik tat dahinterstellst, bringst


du die Strophen in zwanzig Minuten zusammen.
Das Sttzwerk und Roh-Material, das hielt sich
garnicht fr roh, gedachte durchaus schon an und fr
sich was zu sein, Zweck seiner selbst und nicht dazu
da, da Einer k omme und presse ein winzig Flschchen
Rosenoel aus dem Wust, worauf man den Trdel auch
k nnte wegwerfen. Woher nimmt man {332}die
Frechheit, sich einen Gott zu dnk en, um den alles
rings umher eine Fratze sein soll, die er nach seinem
Gefallen braucht, einzig rck strahlendes All im All
der Natur, der auch seine Freunde, oder was ihm
vork ommt, blo als Papier ansieht, worauf er schreibt?
Ist es Frechheit und Hybris? Nein, es ist auferlegte und
in Gottes Namen getragene Wesensform so verzeiht
und geniet, es ist nur zur Freude Warings Reise
nach Schiras, recht ntzlich; Memorabilien des Orients
von Augusti, verhalf zu manchem; Klaproths Asiatisches
Magazin; Fundgruben des Orients, bearbeitet durch
eine Gesellschaft von Liebhabern, fr instndigere
Liebhaberei wars eine Fundgrube allerdings, gesellige
Krrner. Die Doppelzeilen des Scheichs Dschelleddin
Rmi mu ich wieder durchgehen, die Hellstrahlenden
Plejaden am Himmel Arabiens auch, und bei den Noten
wird das Repertorium fr Biblische und
Morgenlndische Literatur entschiedne Dienste leisten.
Da ist auch die Arabische Sprachlehre. Mu mich in

der Zierschrift wieder ein bischen ben, das strk t die


Kontak tnahme. Kontak tnahme, tiefes Wort, viel
aussagend ber unsere Art und Weise, dies bohrende
Sich vertiefen in Sphre und Gegenstand, ohne das
mans nicht leistete, dies Sich vergraben und Schrfen
besessener Sympathie, die dich zum Eingeweihten
macht der liebend ergriffenen Welt, soda du mit freier
Leichtigk eit ihre Sprache sprichst und niemand das
studierte Dtail vom charak teristisch erfundenen soll
unterscheiden k nnen. Wunderlicher Heiliger! Die
Leute wrden sich wundern, da einer fr ein Bchlein
Gedichte und Sprche mit soviel Reisebeschreibungen
und Sittenbildern sich nhren und aufhelfen mu.
Wrdens schwerlich genialisch finden. In meiner
Jugend, der Werther macht eben Furor, war Einer, der
Bretschneider, ein Grobian, besorgt um meine Demuth.
Sagt mir ber mich die letzten Wahrheiten, oder was
er dafr hielt. Bild dir nichts ein, Bruder, mit dir ist
nicht soviel los, wie dich das Lrmen will {333}glauben
machen, das dein Romnchen erregt! Was bist du schon
fr ein Kopf? Ich k enne dich. Urteilst meist schief und
weit im Grunde, da dein Verstand ohne langes
Nachdenk en nicht zuverlssig ist, bist auch k lug
genug, Leuten, die du fr einsichtig hltst, lieber
gleich recht zu geben, als da du eine Materie mit
ihnen durchdisk urriertest und zgst es dir auf den

Hals, deine Schwche zu zeigen. So bist du. Bist auch


ein unbestndig Gemt, das bei k einem System beharrt,
sondern vom einen zum andern Extremo berspringt
und ebenso leicht zum Herrnhuter wie zum Freigeist zu
bereden wre, denn beeinflubar bist du, da Gott
erbarm. Hast dabei eine Dosis Stolz, schon unerlaubt,
da du fast alle Leut auer dir fr schwache Creaturen
hltst, da doch du der Allerschwchste, nmlich zu
dem Effek t, da du bei den Wenigen, die dir gescheid
gelten, garnicht im Stand bist, selbst zu prfen,
sondern richtest dich nach dem allgemeinen Urteil der
Welt. Heut sag's ich dir einmal! Einen Samen von
Fhigk eit hast du schon, ein poetisches Genie, das
dann wrk t, wenn du sehr lange Zeit einen Stoff mit
dir herumgetragen und in dir bearbeitet und alles
gesammelt hast, was zu deiner Sache dienen k ann
dann gehts allenfalls, dann mag es was werden. Fllt
dir etwas auf, so bleibts hngen in deinem Gemt oder
Kopf, und alles, was dir nur aufstt, suchst du mit dem
Klumpen Ton zu verk neten, den du in der Arbeit hast,
denk st und sinnst auf nichts anderes als dies Objek t.
Damit machst dus, und weiter ist nichts an dir. La dir
k eine bunten Vgel in Kopf setzen von deiner
Popularitt! Ich hr ihn noch, den Kauz, war so ein
Wahrheitsnarr und Fex der Erk enntnis, garnicht
boshaft, litt wohl noch selber gar unter der Schrfe
seines k ritischen Einblick s, der Esel gescheidter Esel,

melancholisch scharfsinniger Esel, hatt er nicht recht?


Hatt er nicht dreimal recht, oder doch zweieinhalbmal
mit allem, was er mir unter die Nase rieb von
Unbestndigk eit, Unselbstndigk eit und
Bestimmbark eit und dem Genie, das {334}eben nur zu
empfangen und lange auszutragen, subsidia zu whlen
und zu brauchen wei? Wr all das Studien-Werk zeug
dir berall bereit gewesen, htt nicht die Zeit schon
eine Schwche und Neugier frs Orientalische gehabt,
bevor du ank amst? Hast du den Hafis entdeck t auf
eigene Hand? Der von Hammer hat ihn dir entdeck t
und artig bersetzt; als du ihn lasest, anno Ruland,
wardst du ergriffen und bezaubert von einem Buche
geistiger Mode, und da du nicht lesen darfst, ohne
gestimmt, befruchtet und verwandelt zu werden, ohne
die Lust zu k osten, auch dergleichen zu machen und
produk tiv zu werden an dem Erlebten, begannst du
persisch zu dichten und fleiig-unersttlich an dich zu
ziehen, was du zu dem neuen reizenden Geschft und
Mask enspiele brauchtest. Selbstndigk eit, mcht
wissen, was das ist. Er war ein Original, und aus
Originalitt er andern Narren gleichen tht. Da war
ich zwanzig und lie schon die Anhnger im Stich,
machte mich lustig ber die Originalittsgrimasse der
genialen Schule. Ich wute, warum. Ist ja Originalitt
das Grauenhafte, die Verrck theit, Knstlertum ohne

Werk , empfngnisloser Dnk el, Altjungfern- und


Hagestolzentum des Geistes, sterile Narrheit. Ich
verachte sie unsglich, weil ich das Produk tive will, das
Weibheit und Mannheit auf einmal, ein empfangend
Zeugen, persnliche Hochbestimmbark eit. Nicht
umsonst seh ich dem wack ren Weibe hnlich. Ich bin
die braune Lindheymerin in Mannsgestalt, bin Scho
und Samen, die androgyne Kunst, bestimmbar durch
alles, aber, bestimmt durch mich, bereichert das
Empfangene die Welt. So solltens die Deutschen halten,
darin bin ich ihr Bild und Vorbild. Welt-empfangend
und welt-beschenk end, die Herzen weit offen jeder
fruchtbaren Bewunderung, gro durch Verstand und
Liebe, durch Mittlertum, durch Geist denn Mittlertum
ist Geist so sollten sie sein, und das ist ihre
Bestimmung, nicht aber als Originalnation sich zu
verstock en, in abgeschmack ter Selbstbetrachtung und
{335}Selbstverherrlichung sich zu verdummen und gar
in Dummheit, durch Dummheit zu herrschen ber die
Welt. Unseliges Volk , es wird nicht gut ausgehen mit
ihm, denn es will sich selber nicht verstehen, und jedes
Miverstehen seiner selbst erregt nicht das Gelchter
allein, erregt den Ha der Welt und bringt es in
uerste Gefahr. Was gilts, das Schick sal wird sie
schlagen, weil sie sich selbst verrieten und nicht sein
wollten, was sie sind; es wird sie ber die Erde
zerstreuen wie die Juden, zu Recht, denn ihre Besten

lebten immer bei ihnen im Exil, und im Exil erst, in der


Zerstreuung werden sie die Masse des Guten, die in
ihnen liegt, zum Heile der Nationen entwick eln und
das Salz der Erde sein Es hstelt und k lopft. Das ist
der Dmpfige. Nur vorwrts. Nur in Gottes Namen
herein!
Ergebenster Diener, Herr Geheimer Rat.
So, John, sind Sie's. Willk ommen und nher. Frh
aus den Federn heut.
Ja, Excellenz treibt's immer zeitig zu den
Geschften.
Nicht doch. Euch mein' ich. Ihr seid frh an der
Sonne heut.
O, ich, Verzeihung, ich war mir's nicht vermutend,
da von mir sollte die Rede sein.
Wie denn, das nenn' ich ein berbescheiden
Miverstehn. Ist der Studiengenosse meines Sohnes, der
wack ere Lateiner und Rechtsgelahrte, der flssige
Kalligraph der Rede nicht wert?
Ich dank e gehorsamst. Und wenn so, so war ich
nicht gewrtig, da das erste Morgenwort aus so
verehrtem Munde sollte ein Vorwurf sein. Denn anders
k ann ich die werte Bemerk ung nicht deuten, da ich
heute mich zeitig zur Arbeit gemeldet. Wenn der
Zustand meiner Brust und lngeres Husten vor
Einschlafen, soda dieses erst spt erfolgt, mich

manchmal zu lngerer Ruhe ntigen, so dacht' ich


mich versichert halten zu drfen, da die hohe
Menschlichk eit des {336}Herrn Geheimen Rates Und
brigens ist festzustellen, da trotz meiner gemeldeten
Anwesenheit die Dienste des Carl zum Frh-Dik tat
bevorzugt wurden.
Ei, geht doch, Mann, wie stellt er sich und trbt
sich unntz den Morgen. Insinuiert mir
Schonungslosigk eit der Worte und macht zugleich den
Bitteren ber allzu viel Schonung der That. Dem Carl
hab ich aus dem Bett was dik tiert, weil ich ihn eben
um mich hatte. Es war nur was Amtliches, fr euch
k ommt viel was Besseres dran. Auch hab' ich nichts
bles gedacht bei meinen Worten und wollt' euch nicht
hecheln. Wie sollt' ich euerer leidigen Schwche nicht
achten und ihr nicht Rechnung tragen. Wir sind doch
Christen. Er ist lang aufgeschossen, ich mu ja
aufblick en zu ihm, wenn ich vor ihm stehe, und dann
das viele Sitzen im Bcherstaube berm Papier. Da wird
die junge Brust denn leicht dmperich, es ist
berhaupt eine Jugendk rank heit, und reifend besiegt
man's. Ich hab' auch Blut gespuck t mit zwanzig und
steh' heut' noch recht fest auf den alten Beinen, wobei
ich gern die Hnd' auf den Rck en thu' und als die
Schultern zurck , da die Brust sich wlbt, seht ihr,
so, ihr aber lat euere Schultern hngen und die Brust
versack en, ihr seid zu nachgiebig, in aller

christlichen Humanitt sei's euch gesagt. Sie sollten


dem Staube ein Gegengewicht suchen, John, sich, wann
es nur gehen will, aus dem Staube machen, hinaus in
Wiese und Wald, untern offenen Himmel, zu wandern,
zu reiten, ich hab's auch so gemacht und mich
herausgerappelt. Ins Freie gehrt der Mensch, wo er
die bloe Erde unter den Sohlen hat, da ihre Sfte
und Krfte k nnen in ihn aufsteigen, ber seinem Kopf
die himmelnden Vgel. Die Civilisation und das Geistige
sind gute Dinge, sind groe Dinge, wir mchten's uns
ausgebeten haben. Allein ohne die antische
Compensation, wie wir's einmal nennen wollen, sind sie
ruins fr den Menschen und schaffen Krank heit, auf
die er dann wohl noch stolz ist um ihretwillen und
hangt ihr an {337}wie etwas Ehrenvollem und sogar
Vorteilhaftem; denn Krank heit hat ja auch ihr
Vorteilhaftes, sie ist ein Dispens und eine Befreiung,
aus Christentum mu man ihr vieles verzeihen, und ist
so Einer dann prtentis, speisewhlerisch, genschig,
trunk liebend, lebt sich selbst statt der Herrschaft und
arbeitet selten zur rechten Zeit, so k ann er gewi sein,
da man sich's dreimal berlegt, ehe man sich den
christlichen Mund verbrennt und ihm Vorhaltungen
macht, etwa weil er die k rnk elnde Brust auch noch
mit Toback reizt, soda der Dampf davon zuweilen
sogar aus seiner Stube dringt, ins Haus hinein und

denen zur Last fllt, die ihn durchaus nicht leiden


k nnen. Ich meine den Toback dampf, nicht euch, denn
ich wei, da ihr mich bei alldem leiden k nnt, da
ich euch lieb bin und es euch schmerzt, wenn ich mit
euch hadere.
Sehr, Excellenz, Herr Geheimer Rat! Bitterlich,
dessen bitt' ich versichert zu sein! Ich hre es mit
wahrem Entsetzen, da der Rauch meiner Studienpfeife
trotz allen Vorsichtsmaregeln soll durch die Ritzen
gedrungen sein. Ich k enne doch die Aversion des Herrn
Geheimen Rates
Die Aversion. Und eine Aversion ist eine Schwche.
Sie bringen die Rede auf meine Schwchen. Es ist aber
von Ihnen die Rede.
Ausschlielich, verehrtester Herr Geheimer Rat. Ich
leugne k eine davon und unterwinde mich k eines
Versuches, sie zu entschuldigen. Nur bitte ich, mir
gtigst zu glauben: wenn ich ihrer noch nicht Herr zu
werden vermochte, so gewilich nicht, weil ich dabei
auf meine Krank heit pochte. Ich habe k einen Anla,
auf meine Brust zu pochen, ich habe Anla, daran zu
schlagen Das ist mein tiefster Ernst, wenn Excellenz
sich auch zu belustigen belieben. Meine Schwchen,
ich will sogar Laster sagen, sind unverzeihlich; aber
k eineswegs unter Berufung auf mein k rperliches
Leiden berlasse ich mich ihnen zuweilen, sondern aus
Verstrung der lieben, leidigen See{338}le. Wr' es doch

vermessen, die ungeheure Menschenk enntnis meines


Wohlthters daran zu erinnern, da wohl die plane
Fhrung, die dienstliche Pnk tlichk eit eines jungen
Mannes darunter leiden mgen, wenn er sich in einer
Krisis des Gemtes, einer Umwlzung seiner
Gesinnungen und berzeugungen befindet, die sich
unter dem Einflu, ich mchte beinah' sagen: unter
dem Druck e einer neuen und zwingend bedeutenden
Umgebung in ihm vollzieht und die ihn sich fragen
lt, ob er eigentlich im Begriffe ist, sich zu verlieren
oder sich zu finden.
Nun, mein Kind, ihr habt mich von den k ritischen
Wandlungen, die in euch vorgehen, bis dato nicht viel
wissen und merk en lassen. Worin sie bestehen, worauf
ihr mit euren Allusionen hinauswollt, vermut' ich. Lat
mich offen sein, Freund John. Ich habe von dem
politischen Ik arusflug, den perfek tionistischen
Leidenschaften eurer frhen Tage nichts gewut. Da
ihr es wart, der vordem jenes wagehalsige und
frstenhassende Libellum gegen die Bauernfron und
zugunsten einer hchst radik alen Verfassung an Tag
gegeben, war nicht zu meiner Kenntnis gelangt, ich
htte euch sonst, trotz euerer guten Handschrift und
Kenntnisse nicht in meinen Hausstand aufgenommen,
wofr mir denn von wrdigen Mnnern in hohen und
hchsten Behrden manch Wrtchen der

Verwunderung, ja des Tadels zuteil geworden. Versteh'


ich recht und auch mein Sohn hat mir dergleichen
Andeutungen wohl schon gemacht , so seid ihr im
Begriffe, euch diesen Dnsten zu entringen, euere
umstrzlerischen Verirrungen abzutun und euch in
Dingen der Staatsraison und irdischen Regimentes
redlich ins Rechte und wrdig Erhaltende zu denk en.
Allein ich schtze, da dieser Klrungs- und
Reifevorgang, den ihr stolz genug sein solltet, euch
selbst und euerem tchtigen Verstande und Herzen,
nicht aber irgendwelchen Einflssen, oder gar einem
geflissentlichen Druck e von auen
zu{339}zuschreiben, ich schtze, da er unmglich
zur Erk lrung sittlichen Troubles und gestrter
Conduite dienen k ann, da er ja offenk undig ein
Vorgang der Genesung ist und fr Seele wie Leib nur
heilsame Wirk ungen zeitigen k ann. Sind doch diese
beiden so innig auf einander bezogen und in einander
verwoben, da k eine Wirk ung auf das eine auszugehen
vermag, ohne auch das andre segensreich oder unselig
zu affizieren. Meint ihr, euere revolutionren Grillen
und Exzesse htten nichts zu schaffen gehabt mit dem,
was ich den Mangel an antischer Ausgleichung
nannte fr Civilisation und Geist, den Mangel an
frischem und gesundem Leben am Busen der Natur, und
euere Krnk elei und Dmpfigk eit sei im Leiblichen
nicht ganz dasselbe gewesen wie im seelischen Bereiche

jene Grillen? Das ist All-Eines. Tummelt und lftet


euren Krper, verschont ihn mit Brantewein und
Toback sbeize, und ihr werdet in eurem Gehirne auch
die rechten, der Ordnung und Obrigk eit geflligen
Gedank en hegen. Entschlagt euch vollends des leidigen
Widersprechungsgeistes, des verunnaturenden Dranges
nach Weltverbesserung, k ultiviert den Garten euerer
Eigenschaften, trachtet, euch im wohlttig
Bestehenden tchtig zu erweisen, und ihr werdet
sehen, wie auch euer Leibliches sich zu heiterer
Stmmigk eit befestigen, zum soliden Gefe des
Lebensbehagens erstark en wird. So weit mein Rat,
wenn ihr ihn hren wollt.
Oh, Excellenz, wie sollt' ich nicht! Wie sollt' ich so
tief erfahrenen Rat; so weise Direk tion nicht mit der
gefhltest dank baren Aufmerk samk eit empfangen!
Auch halt' ich mich berzeugt, da auf die Lnge die
trstlichen Zusicherungen, die ich vernehmen durfte,
sich vollauf bewhren und erfllen werden. Nur eben
jetzt noch, vorderhand da ich's gestehe , wo in der
erlauchten Atmosphre dieses Hauses die Wandlung
meiner Gedank en und Meinungen sich k ritischmhsam vollzieht, in dieser Zeit des berganges von
einer Gesinnungs{340}welt zur anderen ist begreiflicher
Weise mein Zustand noch reichlich verworren, von
Qual und Abschiedsweh nicht frei und so denn auch

vielleicht nicht ohne Anspruch auf milde Nachsicht.


Was sag' ich Anspruch! Welchen Anspruch htt' ich!
Aber die Hoffnung auf solche Nachsicht wag' ich
submissest zu bek unden. Ist ja mit jener Wandlung und
Bek ehrung der Verzicht auf manche weit grere,
wenn auch unreife und k nbische Hoffnung und
Glubigk eit verbunden, die zwar Schmerzen und Zorn
mit sich brachte, zwar den Menschen in leidenden
Widerstreit zum wirk lichen Leben versetzte, aber doch
auch seine Seele trstete und trug, und sie zum
Eink lang mit hhern Wirk lichk eiten stimmte. Dem
Schwrmerglauben zu entsagen an eine revolutionre
Reinigung der Nationen, an eine zur Freiheit und zum
Rechte geluterte Menschheit, k urz an ein Reich des
Glck es und Friedens auf Erden unter dem Szepter der
Vernunft, sich in die harte, wenn auch wohl
sthlende Wahrheit zu finden, da immer und ewig der
Drang der Krfte ungerecht und blindlings hin und
wider wogen und erbarmungslos die eine der andern
bermacht bettigen wird, das ist nicht leicht, das
strzt in bitteren und ngstigenden innern
Widerstreit, und wenn bei so beschaffnen Umstnden,
in solchen Wachstumsnten der junge Mensch einmal
bei der Kmmel-Bouteille Erheiterung sucht oder seine
abgemdeten Gedank en in den Rauch der
Toback spfeife wohlttig einzuhllen trachtet, sollte
er nicht bei Oberen, deren gewaltige Autoritt nicht

ohne Anteil ist an solchen Umwlzungen, auf einiges


milde Nachsehen rechnen drfen?
Nun, nun, das nenn' ich Rhetorik ! An euch ist ja
ein pathetisch listenreicher Advok at verloren oder
vielleicht noch nicht verloren gegangen. Ihr wit eure
Schmerzen fr andre unterhaltend zu machen, und
also seid ihr ja nicht nur ein Redner, sondern sogar ein
Dichter, obgleich zu diesem Titel der politische Furor
nicht stimmen will, denn Politik er und {341}Patrioten
sind schlechte Dichter, und die Freiheit ist k ein
poetisches Thema. Aber da ihr euere angeborene
Rednerk unst, die euch zum Literaten und Volk smann
disponierte, dazu benutzt, mich in ein so schlechtes
Licht zu setzen und es so hinzustellen, als htte mein
Umgang euch des Glaubens an die Menschheit beraubt
und euch ihrer Zuk unft wegen in cynische
Hoffnungslosigk eit gestrzt, hrt, das ist nicht
wohlgetan. Mein' ich's nicht gut mit euch, und wollt
ihr's mir verargen, wenn meine Ratschlge euer
individuelles Wohl unmittelbarer im Auge haben, als
das der Menschheit? Bin ich darum ein Timon?
Miversteht mich nicht! Ich eracht' es durchaus fr
mglich und wahrscheinlich, da unser neunzehntes
Jahrhundert nicht einfach die Fortsetzung des
frheren sei, sondern zum Aufgang einer neuen Aera
bestimmt erscheint, worin wir an dem Anblick einer

ins Reinste vorschreitenden Menschheit uns werden


erquick en drfen. Freilich sieht's auch wieder gar sehr
danach aus, als wollte eine mittlere Kultur gemein
werden, um nicht zu sagen eine mittelmige, zu deren
Geprge es unter anderm gehrt, da viele, denen es
nichts angeht, sich ums Regiment bek mmern. Von
unten haben wir den Wahn der jungen Leute, in die
hchsten Angelegenheiten des Staates mit einwirk en
zu wollen, und von oben die Neigung, aus Schwche
und bertriebener Liberalitt berall mehr
nachzugeben als billig. Lehrt mich aber die
Schwierigk eiten und Gefahren eines zu groen
Liberalismus k ennen, der die Anforderungen der
einzelnen hervorruft, soda man vor lauter Wnschen
zuletzt nicht wei, welche man befriedigen soll. Man
wird immer finden, da man von oben herab mit zu
groer Gte, Milde und moralischer Delik atesse auf die
Lnge nicht durchk ommt, bei Ntigung, eine gemischte
und mitunter verruchte Welt in Ordnung und Respek t
zu halten. Mit Strenge auf dem Gesetze zu bestehen, ist
unerllich. Hat man nicht sogar angefangen, in
Dingen der Zurechnungsfhigk eit von
{342}Verbrechern weich und schlaff zu werden, indem
rztliche Zeugnisse und Gutachten oft dahin gehen,
dem belthter an der verwirk ten Strafe
vorbeizuhelfen? Es gehrt Charak ter dazu, in solcher
allgemeinen Erweichung fest zu bleiben, und so lob' ich

mir den jungen Physicus, den man mir neulich


rek ommandierte, Striegelmann mit Namen, welcher in
hnlichen Fllen immer Charak ter zeigt und noch
k rzlich bei dem Zweifel eines Gerichtes, ob eine
gewisse Kindsmrderin fr zurechnungsfhig zu halten,
sein Zeugnis dahin ausgestellt hat, da sie es
allerdings sei.
Wie beneid' ich Physicus Striegelmann um das Lob,
das Ew. Excellenz ihm spenden! Ich werde von ihm
trumen, ich wei es, und mich an seiner
Charak terfestigk eit erheben und gewissermaen
berauschen. Ja, auch berauschen! Ach, ich habe
meinem Gnner nicht alles gestanden, als ich ihm von
den Schwierigk eiten meiner inneren Umbildung
sprach; es drngt mich, Ihnen wie einem Vater und
Beichtiger Alles zu bek ennen. Mit meiner
Gesinnungswandlung, meinem neuen Verhltnis zu
Ordnung, Erhaltung und Gesetz ist nicht nur Kummer
und Abschiedsweh verbunden um der unreifen Trume
willen, denen es gilt Valet zu sagen, sondern noch
andres, id est es ist pnible auszusprechen ein
ungek annter, ein herzk lopfend schwindlichter
Ehrgeiz, unter dessen Zudrang ich ebenfalls wohl zur
Bouteille, zum Pfeifenrohr greife, teils, um ihn zu
betuben, teils auch wieder, um mich mit ihrer Hilfe
tiefer und heier in die so neuen Trume zu versenk en,

in denen er sich manifestiert.


Hm. Ein Ehrgeiz? Und welcher Art?
Er hat seinen Ursprung in dem Gedank en an die
Vorteile, die das innere Bek enntnis zur Macht und zum
Gesetz vor dem Widersprechungsgeiste voraushat.
Dieser ist Martyrertum, aber die Bejahung der Macht
bedeutet fr das Gemt schon den Dienst an ihr und
die Teilhaberschaft an ihrem Genusse. Dies {343}sind
die neuen, herzauftreibenden Trume, worein dank
meinem Reifeproze die alten sich verwandelt haben.
Item, da die Bejahung der Autoritt allbereits den
geistigen Dienst an ihr bedeutet, so werden Excellenz
es begreiflich finden, da es meine Jugend
unwiderstehlich drngt, die Theorie ins Prak tische zu
bertragen, und das fhrt mich zu der Bitte, zu der
dies unverhoffte Privatgesprch mir erwnschte
Gelegenheit gibt.
Die wre?
Ich brauche gewi k ein Wort darber zu verlieren,
wie teuer mir meine gegenwrtige Kondition und
Beschftigung ist, die ich der Studienbek anntschaft
mit Dero Herrn Sohn verdank e, und wie unendlich ich
die Frderung durch den zweijhrigen Aufenthalt in
diesem mir und der Welt teueren Hause zu schtzen
wei. Andrerseits wre es absurd, mir meine
Unentbehrlichk eit einzubilden, denn ich bin Einer
unter Mehreren, die Eurer Excellenz fr die

Hilfsarbeiten zur Verfgung stehen, als da sind der


Herr Kammerrat selbst, Herr Dok tor Riemer, Herr
Bibliothek ssek retr Kruter; sowie auch noch der
Bediente. Zudem bin ich mir wohl bewut, Euerer
Excellenz in letzter Zeit Anla zur Klage gegeben zu
haben, eben infolge meiner Wirren und Dmpfigk eit,
und habe berall nicht das Gefhl, da Excellenz
besonderes Gewicht auf meine Gegenwart legen, wobei
unter andrem die bertriebene Lnge meiner Person,
meine Brille und die leidige Blattrigk eit meines
Gesichtes eine Rolle spielen mgen.
Nun, nun, was das betrifft
Meine Idee und brennendes Desideratum ist, aus
dem Dienst Eurer Excellenz in den Staatsdienst
hinberzuwechseln und zwar in eine Sparte desselben,
die meinen neuen gereinigten berzeugungen eine
besonders gnstige Gelegenheit zur Bettigung bietet.
In Dresden lebt ein Freund und Gnner meiner armen,
wenn auch wrdigen Eltern, Herr Hauptmann
{344}Verlohren, als welcher persnliche Beziehungen zu
einigen Spitzen der preuischen Censur-Behrde
unterhlt. Wenn ich Excellenz gehorsamst bitten
drfte, bei dem Herrn Hauptmann Verlohren ein
brieflich Wort der Rek ommandation, das meiner
politisch-sittlichen Metamorphose anerk ennend
gedchte, fr mich einzulegen, damit er mich vielleicht

fr eine Weile bei sich aufnimmt und seinerseits mich


an gehrigem, erwnschtem Orte empfiehlt, soda
mein passionierter und urgenter Wunsch, just auf der
Stufenleiter der Censur-Behrde meinen Weg zu
machen, sich erfllte ich wre dem Herrn Geheimen
Rat, wie schon immer, nun aber zu wahrhaft
unsterblicher Dank bark eit verbunden!
Nun, John, das wird sich machen lassen. Auf den
Brief nach Dresden soll's mir nicht ank ommen, und es
sollte mich freuen, wenn ich dazu helfen k nnte,
diejenigen, die bestellt sind, gegen das Gesetzlose zu
wirk en, trotz eueren eigenen einstigen
Versndigungen zu mildem Entschlusse zu bewegen.
Was ihr mir von dem Ehrgeiz gesteht, der mit euerer
Sinnesnderung verbunden ist, will mir denn freilich
nicht ganz behagen. Aber ich bin's gewohnt, da
manches an euch mir nicht behagt, und ihr mgt es
zufrieden sein, denn es trgt bei zu meiner
Bereitwilligk eit, euch weiterzuhelfen. Ich werde
schreiben lat sehen, wie es sich fassen lt da es
mich hchlich freuen sollte, wenn einem fhigen
Menschen Zeit und Raum gelassen wrde, seine
Verirrungen einzusehen, zu vermeiden und in reine
Thtigk eit aufzulsen, und wie ich nur wnschen
k nne, da dieser humane Versuch gelingen und zu
hnlichen in der Folge berzeugung und Mut geben
mge. Wird es so recht sein?

Herrlich schn, Euer Excellenz! Ich ersterbe


wahrhaft in
Und meint ihr wohl, da wir nun fr den
Augenblick von eueren Geschften k nnten zu meinen
bergehen?
Oh, Excellenz, es ist ganz unverzeihlich
Ich stehe hier und blttere in den Gedichten des
Divan, der {345}sich letzthin um ein paar ganz artige
Stck chen vermehrt. Ich habe da einiges suppliert und
geordnet, auch war schon die Masse bedeutend genug,
sie in Bcher zu teilen seht ihr, Buch der Parabeln,
Buch Suleik a, Buch des Schenk en Da soll ich nun
einiges fr den Damenk alender geben Im Grund
widersteht mir's. Ich mag die Steine nicht aus der sich
rndenden Krone brechen und zwischen Zeiger und
Daumen vorweisen. Auch zweifl' ich, ob sich das
Einzelne wird schtzbar erweisen; das Einzelne ist's
nicht, es ist das Ganze; ist ja ein drehend Gewlbe und
Planetarium; und ich zgre zudem, einem befremdeten
Publico etwas vorzulegen von diesen Machenschaften
ohne die Noten, den didak tischen Kommentar, den ich
vorbereite, um die Leserschaft in Gesinnung, Sitten und
Sprachgebrauch des Ostens historisch einzufhren und
sie so zum grndlich-heiteren Genu des Gebotenen
tchtig zu machen. Andererseits mag man ja auch
wieder nicht den Sprden spielen, und der Wunsch, mit

seinen k leinen Neuigk eiten und gefhlten Scherzen


vertrauensvoll hervorzutreten, ist der Verbndete der
uern Neugier. Was, meint ihr, soll ich in den
Kalender geben?
Dies hier vielleicht, Excellenz: Sagt es niemand,
nur den Weisen Es ist so geheimnisvoll.
Nein, das nicht. Ist mir zu schade. Ist eine gar
wunderliche Einflsterung und Kaviar frs Volk . Mge
im Buch stehen, aber nicht im Kalender. Ich halt's mit
Hafisen, der auch der reinen berzeugung war, da
man den Menschen nur alsdann behagt, wenn man
ihnen vorsingt, was sie gern, leicht und bequem hren,
wobei man ihnen denn auch etwas Schweres,
Schwieriges, Unwillk ommenes gelegentlich mit
unterschieben darf. Ohne Diplomatie geht's auch in der
Kunst nicht ab. Ist ja ein Damenk alender. Behandelt
die Frauen mit Nachsicht Das wrde passen, geht
aber auch nicht von wegen der k rummen Rippe. Willst
du sie biegen, sie bricht. Lt du sie ruhig, sie wird
noch k rmmer Das verstiee auch gegen die
Diplo{346}matie, und man k ann's nur im Buche mit
unterschieben. Mge meinem Schreiberohr Liebliches
entflieen. Das wr' so dergleichen. Und sonst dies und
jenes Heitere, Artige oder Innige, wie hier: Hans Adam
war ein Erdenk lo und dies vielleicht von dem bangen
Tropfen, dem Kraft und Dauer geschenk t wird, da er
als Perle in Kaisers Krone prangt, sowie noch dies

hier von vorigem Jahr: Bei Mondenschein im Paradeis,


von Gottes zwei lieblichsten Gedank en. Was meint er?
Sehr wohl und schn, Excellenz. Ferner vielleicht
das bewundernswerte Nimmer will ich dich verlieren?
Sie sind so schn, diese Verse: Magst du meine Jugend
zieren Mit gewaltger Leidenschaft.
Hm. Nein. Das ist der Frauen Stimme. Ich nehme
an, da die Damen lieber die des Mannes und Dichters
vernehmen. Also das Vorhergehende: Findet sie ein
Hufchen Asche, Sagt sie: der verbrannte mir.
Sehr wohl. Ich gestehe, da ich gern mit einem
eigenen Vorschlag durchgedrungen wre. So habe ich
mich mit froher Zustimmung zu begngen. Warnen
mchte ich vor Die Sonne, Helios der Griechen, das
mir der Revision zu bedrfen scheint. Helios der
Griechen und das Weltall zu besiegen ist k ein
sprachreiner und gebildeter Reim.
Ei, der Br brummt wies Brauch seiner Hhle.
Lassen wir's gut sein. Wir werden sehen. Setzt euch,
wenn's gefllig, ich will aus meinem Leben dik tieren.
Fertig zu Diensten, Euer Excellenz.
Lieber Freund, steht noch einmal auf! Sie sitzen auf
dem Scho Ihres Rock es. Geht das eine Stunde, so sieht
es nachher abscheulich aus, zerdrck t und
zerk nautscht, und in meinen Diensten habt ihr euch's
zugezogen. Lat beide Sche in schonender Freiheit

vom Stuhle hngen, ich bitte euch.


Verbindlichsten Dank der Frsorge, Excellenz.
So k nnen wir anfangen, oder vielmehr fortfahren,
denn Anfangen ist schwerer.
{347}In dieser Zeit war meine Stellung gegen die
oberen Stnde sehr gnstig. Wenn auch im Werther
die Unannehmlichk eiten an der Grenze zweier
bestimmten Verhltnisse

Froh, da er fort ist, da der Eintritt des Frhstck s
uns unterbrach. Kann ich den Kerl doch nicht leiden,
Gott verzeih mirs, k nnt sich k eine Denk ungsart
zulegen, in der er mir nicht wider die Duldsamk eit
ginge, ist mir mit der neuen eher fataler noch, als mit
der alten, und wrs nicht leicht gewesen heut, mit dem
Brief des Hutten an Pirk heimer, den ich in den
Papieren hatt, mit den tchtigen Gesinnungen unseres
Adels von damals und mit den Frank furter
Zustnden, ich wr mit dem Menschen nicht
durchgek ommen. Nehmen wir zu den Vogelmsk lein
einen derben Schluck dieser sonnigen Gabe gegen den
blen Geschmack in der Seele, den mir der Bursche
zurck lie! Warum hab ich ihm eigentlich den Brief
nach Dresden versprochen? Aergere mich, da ich's
that. Es ist nur, da mich gleich die gefllige
Abfassung reizte, die Freude am Ausdruck und an der
artigen Wendung ist eine Gefahr, leicht lt sie uns

das Handlungsmige des Wortes vergessen, und


dramatisch formuliert man Meinungen fr Einen, der
sie allenfalls htte. Mut ich ihm zusagen, seinem
unappetitlichen Ehrgeiz Suk k urs zu leisten? Was gilts,
der wird ein Zelot der Ordnung, ein Torquemada der
Gesetzlichk eit. Der wird die Jungens sek k ieren, die
auch mal von Freiheit trumten. Ich mut das Gesicht
wahren und ihn loben fr seine Bek ehrung, ist aber
ein gar dmlicher Jammer damit. Warum bin ich gegen
die Freiheit s der Presse? Weil sie nur
Mittelmigk eit bewirk t. Das einschrnk ende Gesetz
ist wohlttig, weil eine Opposition, die k eine Grenzen
hat, platt wird. Die Einschrnk ung aber ntigt sie,
geistreich zu sein, und das ist ein sehr groer Vorteil.
Gerade und grob mag der sein, der durchaus recht hat.
Eine Partei aber hat nicht durchaus recht dafr ist
sie Partei. {348}Ihr steht die indirek te Weise wohl an,
worin die Franzosen Meister und Muster sind, da die
Deutschen nicht meinen, sie htten das Herz auf dem
rechten Fleck , wenn sie mit ihrer werten Meinung
nicht gerade herausfallen. So bringt mans nicht weit
im Indirek ten. Kultur, Kultur! Die Ntigung regt den
Geist auf, mehr mein ich nicht, und dieser John ist ein
dmprichter Schafsk opf. Ministeriell oder oppositionell,
es ist bei ihm gehupft wie gesprungen und denk t
noch, es wr ein ergreifend Ereignis, die Umwlzung

seiner dmlichen Seele


War ein widrig qulend Gesprch mit dem Menschen,
wie ich erst nachtrglich recht gewahr werde. Hat mir
das Mahl geschndet mit Harpyen-Dreck . Was denk t
der von mir? Wie denk t er, da ich denk e? Denk t
wohl, er denk t nun wie ich? Esel, Esel aber was rger
ich mich so ber ihn? Kann das sein, da ich ber den
einen Aerger hab, der schon mehr einem Gram hnlich
sieht oder doch der grndlichsten Sorge und
Selbstbefragung, die sich nicht auf sowas wie ihn die
sich nur auf das Werk zu beziehen pflegt und alle
Abschattungen der Besorgnis und des bangen Zweifels
umfat da denn das Werk das objek tivierte
Gewissen ? Tatengenu, das ist's. Die schne, die
groe Tat, das ist's. (Was denk t der von mir?) Faust
mu ins Tatleben, ins Staatsleben, ins
menschheitsdienliche Leben gefhrt werden, sein
Streben, um dessentwillen er erlst werden soll, mu
gropolitische Form annehmen, der andere, der
groe Dmprichte sahs und sagts und sagt mir nichts
Neues damit, nur da er freilich, wie er schon war, gut
reden hatt, weil ihm dies Wort Politik nicht Mund
und Seele verzog wie sauer Obst, ihm nicht Aber
wozu hab ich Mephistopheles? Der ist gut, mich
schadlos zu halten dafr, da Fausten die Geister des
Ruhms erscheinen der groen Tat. Pfui, schme dich,
da du nach Ruhm verlangst! Im Pult die Notizen, la

sehen. Mitnichten! Dieser Erdenk reis Gewhrt noch


Raum zu groen Taten. Erstaunenswrdiges soll
geraten, Ich fhle Kraft {349}zu k hnem Flei Ist
gut. Zu k hnem Flei ist trefflich, wrs nur nicht
eben leider aufs Leidige bezogen. Doch k anns und darfs
nicht fehlen, da dieser Strmische, Enttuschte sich
von der metaphysischen Spek ulation zum IdealischPrak tischen wendet, soll er die Schule des
Menschlichen an Teufels Hand ergrndend
durchschmarutzen. Was war er, und was war ich, als er
in seiner Hhle steck te und philosophisch die Himmel
strmte, dann seine eng-erbrmliche Geschichte mit
dem Misel hatt? Der Knabendumpfheit, der
genialischen Lpperei wollen Lied und Held
entwachsen ins Objek tive, in handelnden Weltsinn und
Mannesgeist. Aus der Gelehrten-Spelunk e, der GrbelGrube an Kaysers Hof Schrank en hassend, das
hhere Unmgliche begehrend, so mu der ewig
Bemhte sich denn bewhren auch hier. Nur frag ich
mich, wie Weltsinn und Mannesreife sich mit der alten
Unbndigk eit vertragen? Politischer Idealism,
Weltbeglck erplne ist er ein sehnsuchtsvoller
Hungerleider geblieben nach dem Unerreichlichen?
Das war ein Einfall. Sehnsuchtsvolle Hungerleider,
notieren wir das, an schick licher Stelle solls
eingeflochten sein. Liegt eine Welt von

aristok ratischem Realism darin, und nicht deutscher


k anns zugehen, als wo Deutsches mit Deutschem
gezchtigt wird Bund mit der Macht denn, um
handelnd das Bessere, das Edel-Wnschbare
herzustellen auf Erden. Da er scheitert, da Herr wie
Hof bei seinen Expek torationen fr Ghnen vergehen
wollen und der Teufel eingreifen mu, durch freches
Radotieren die Situation zu retten, ist ausgemacht. Der
politische Schwrmer wird gleich zum matre de
plaisir, physicien de la cour und magischen
Feuerwerk er herabgesetzt. Auf das Karneval freu ich
mich. Kann da einen reichen Mask enzug mit
mythologischen Figuren nebst geistreicher
Narrenteiding entwick eln, die in Wirk lichk eit, an
Serenissimi Geburtstag oder bei k aiserlicher
Anwesenheit, zu teuer k men. Auf diese Spe lufts
bitter satyrischer Weise hinaus. Vorher aber mu es
ihm {350}Ernst sein, mu er zum Glck e der Menschen
regieren wollen, und die Laute des Glaubens wollen
gefunden sein, aus dieser Brust sind sie zu schpfen. Wo
hab ich's? Die Menschheit hat ein fein Gehr, Ein
reines Wort erreget schne Thaten. Der Mensch fhlt
sein Bedrfnis nur zu sehr Und lt sich gern im
Ernste raten. La ich mir gefallen. Gott selber, das
Positive, die schpferische Gte k nnte im Vorspiel dem
Teufel so erwidern, und mit ihr halt ichs, mit dem
Positiven halt ichs, ich habe nicht das Unglck , in

der Opposition zu sein. Auch ists die Meinung garnicht,


da Mephisto zu Worte k omme in Kaysers Pfalz. Faust
will nicht, da er die Schwelle zum Audienzsaal
berschreite. Verbittet sichs, da in Gegenwart der
Majestt Verblendung und Gauk elei in Wort und That
sich irgend hervortun. Magie soll endlich und
Teufelstrug entfernt sein von seinem Pfad hier, wie
bei Helena. Denn der auch gestattet Persephone die
Wiederk ehr nur unter dem Beding, da alles brige
mit redlich menschlichen Dingen zugehe und der
Werber sich ihre Liebe rein aus eigener Kraft und
Leidenschaft gewinne. Bemerk enswerte Korrespondenz.
Einen wei ich, der ber die Klausel wachen wrd,
wenn er noch wachte Und doch ist da eine andere,
an der alles hngt, von der allein all-berall die
Mglichk eit abhngt, das Stock end-Jugendalte wieder
in Flu zu bringen die Bedingnis des Leichtmuts und
absoluten Scherzes. Nur im Spiel und in der Zauberoper
ist Rettung; nur wenn ich denk en darf: die Possen da,
k ann ichs vollenden. Und was k nnen denn auch Sie,
mein Bester, gegen das Spiel, den hhern Leichtsinn
haben, der Sie das Wort vom nicht-poetischen Ernst
so gern im Munde fhrten und in den
Erziehungsbriefen, autorisiert von Ihrem Denk er, das
aesthetische Spiel schon allzu lehrhaft fast gefeiert
haben? Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer.

Und wo man schwer nimmt das Leichte, ist auch der


Ort, das Schwerste leicht zu nehmen.
Ist das nicht meines Gedichtes Ort, so hat es k einen.
Die {351}k lassische Walpurgisnacht (ich k omme ab in
meinen Gedank en von der politischen Szene; merk s
wohl, da ich nicht ungern mich davon abtreiben lasse
und fhl im Grunde, da mir wohler wre, htt ich erst
beschlossen, sie auszulassen, was ich eben schon im
Gesprch mit dem dmprichten Esel fhlte und mich
drob rgerte allein schon weil es schad ist um die
vorgemerk ten Verse) Die k lassische Walpurgisnacht,
um denn an Freudiges, hchst Hoffnungsvolles zu
denk en, ah, das soll mir ein grandioser Spa werden,
der denn doch den hfischen Mummenschanz gewaltig
berbieten soll, ein Spiel, schwer von Idee, von
Lebensgeheimnis und witzig-trumerischer, ovidischer
Erluterung der Menschwerdung, ohn alle
Feierlichk eit, stilistisch aufs Allerleichteste und
lustigste geschrzt, menippeische Satire ist ein
Luk ian im Hause? ja, nebenan, wei wo er steht,
Subsidium, ich will ihn wieder lesen. Wies in der
Magengrube zieht bei dem Gedank en, wozu mir, ganz
unvorhergesehener Weise, durch trumerischste
Erfindung der Homunculus noch gut geworden, wer
htte denk en k nnen, da er zu ihr, der Schnsten, in
unbndig-lebensmystische Beziehung treten, gut
werden wrde zu nek k isch-scientifischer, neptunisch-

thaletischer Begrndung und Motivierung des


Erscheinens sinnlich hchster Menschenschnheit!
Das letzte Produk t der sich immer steigernden Natur
ist der schne Mensch. Der Winck elmann verstand
was von Schnheit und sinnlichem Humanismus. Htte
seine Freude gehabt an diesem bermut, die
biologische Vorgeschichte des Schnen in seine
Erscheinung aufzunehmen; an der Imagination, da
Liebesk raft der Monade zur Entelechie verhilft, und
da sie, als Klmpchen organischen Schleims im Ozean
beginnend, durch namenlose Zeiten des Lebens holden
Metamorphosen-Lauf durchmit hinauf zum edelliebenswrdigsten Gebilde. Das Witzig-Geistigste im
Drama ist Motivierung. Sie liebten sie nicht, mein
Bester, empfanden sie als {352}ungro, hieltens fr
k hn, sie zu verachten. Allein Sie sehen, es gibt eine
Khnheit der Motivation, die sie dem Vorwurf des
Kleinlichen denn doch entrck t. Ist je der Auftritt
einer dramatischen Gestalt so vorbereitet worden?
Versteht sich, es ist die Schnheit selbst, da sind
besondere Anstalten geraten und geboten. Versteht
sich ferner: es will ganz unter der Hand, ganz
ahndungsweise nur zu verstehen gegeben sein. Auf
mythologischen Humor, auf Travestie ist alles zu
stellen, und tiefsinnig naturphilosophische Insinuation
widerspreche hier der leichten Form, wie strenge

Pracht des Vortrags, der Tragdie entliehen, im


Helena-Ak t der intriganten Trughandlung satyrisch
widerspreche. Parodie ber sie sinn ich am liebsten
nach. Viel zu denk en, viel zu sinnen gibts beim zarten
Lebensfaden, und von allen Besinnlichk eiten, die die
Kunst begleiten ist diese die seltsamst-heiterste und
zrtlichste. Fromme Zerstrung, lchelnd
Abschiednehmen Bewahrende Nachfolge, die schon
Scherz und Schimpf. Das Geliebte, Heilige, Alte, das
hohe Vorbild auf einer Stufe und mit Gehalten zu
wiederholen, die ihm den Stempel des Parodischen
verleihen und das Produk t sich spten, schon
spottenden Auflsungsgebilden wie der
nacheuripideischen Komdie annhern lassen
Kurioses Dasein, einsam, unverstanden, gespielenlos
und k alt, auf eigene Hand in einem noch rohen Volk e
die Kultur der Welt von glubiger Blte bis zum
wissenden Verfall persnlich zu umfassen.
Winck elmann Genau genommen k ann man
sagen, es sei nur ein Augenblick , in welchem der
schne Mensch schn sei. Merk wrdiger Satz. Wir
erwischen im Metaphysischen den Augenblick des
Schnen, da es, bewundert viel und viel gescholten, in
melancholischer Vollk ommenheit hervortritt, die
Ewigk eit des Augenblick s, den der vergangene Freund
schmerzlich vergttlichte mit jenem Wort. Teurer,
schmerzlich scharfsinniger Schwrmer und Liebender,

ins Sinnliche {353}geistreich vertieft! Kenn ich dein


Geheimnis? Den inspirierenden Genius all deiner
Wissenschaft, den heute bek enntnislosen
Enthusiasmus, der dich mit Hellas verband? Denn dein
Aperu pat ja eigentlich so recht nur aufs MnnlichVormnnliche, auf den im Marmor nur haltbaren
Schnheitsmoment des Jnglings. Was gilts, du hattest
das gute Glck , da der Mensch ein masculinum ist,
und da du also die Schnheit masculinisieren
mochtest nach Herzenslust. Mir erschien sie in Jugend-,
in Frauengestalt Aber auch nicht durchaus, und ich
versteh mich schon auf deine Schliche, denk auch mit
heiterster Offenheit des artigen blonden
Kellnerburschen vorigen Sommer auf dem Geisberg
oben in der Schenk e, wo Boissere wieder dabei war in
k atholischer Disk retion. Singe du den andern Leuten
und verstumme mit dem Schenk en!
Gibts irgend was in der sittlichen, der sinnlichen
Welt, worein vor allem mein Sinnen sich innigst
versenk t hat in Lust und Schreck en dies ganze Leben
lang, so ists die Verfhrung, die erlittene, die ttig
zugefgte, se, entsetzliche Berhrung, von oben
k ommend, wenns den Gttern so beliebt: es ist die
Snde, deren wir schuldlos schuldig werden, schuldig
als ihr Mittel und als ihr Opfer auch, denn der
Verfhrung widerstehen, heit nicht aufhren,

verfhrt zu sein, es ist die Prfung, die niemand


besteht, denn sie ist s, und als Prfung schon selbst
bleibt sie unbestanden. So beliebt es den Gttern, uns
se Verfhrung zu senden, sie uns erleiden, sie von
uns ausgehn zu lassen als Paradigma aller Versuchung
und Schuld, denn eines ist schon das andre. Ich habe
nie von einem Verbrechen gehrt, das ich nicht htte
begehen k nnen Dadurch, da man eine Tat nicht
begeht, entzieht man sich dem irdischen Richter, nicht
dem oberen, denn im Herzen hat man sie begangen
Die Verfhrung durchs eigene Geschlecht mchte als
Phnomen der Rache und hhnender Vergeltung
anzusehen sein fr selbst gebte Verfhrung des
Nark issos {354}Betrung ist sie ewig durch das
Spiegelbild seiner selbst. Rache ist ewig mit der
Verfhrung, mit der durch berwindung nicht zu
bestehenden Prfung verbunden so hat Brahma dies
gewollt. Daher die Lust, das Entsetzen, womit ichs
bedenk e. Daher das produk tive Grauen, das mir das
Gedicht erregt, das frh getrumte, immer
verschobene, noch zu verschiebende, vom Weib des
Brahman, der Paria-Gttin, worin ich Verfhrung
feiern und schaurig verk nden will, da ichs
bewahre und immer vertage, ihm Jahrzehnte des Inmir-Ruhens und Werdens gnne, ist mir das Merk mal
seiner Wichtigk eit. Ich mags nicht abtun, hege es bis
zur berreife, trage es durch die Lebensalter, mge

die junge Empfngnis eines Tags sich hervortun als


geheimnisschweres Sptproduk t, ausgelutert,
k ondensiert durch die Zeit, k napp aufs uerste,
gleich einer aus Stahldrhten geschmiedeten
Damaszenerk linge, so schwebt mir sein Endbild vor.
Wei sehr genau die Quelle, woher mirs k am vor
unzhligen Jahren, wie Der Gott und die Bajadere
auch: die verdeutschte Reise nach Ostindien und
China, produk tive Schartek e, irgendwo unterm
literarischen Alt-Hausrat mu sie schimmeln. Wei
aber k aum mehr, wie sichs ausnahm an seinem Orte,
sondern nur noch, wie sichs bang gestaltet in mir zu
geistigstem Zweck e, das Bild hochedler, selig-reiner
Frauen, die zum Flusse wandelt, tgliche Erquick ung
zu schpfen, und dabei nicht Krugs noch Eimers
bedarf, da sich ihren frommen Hnden die Welle
herrlich zur k rystallnen Kugel ballt. Ich liebe diese
k stliche Kugel, die das reine Weib des Reinen tglich
in heiterer Andacht nach Hause trgt, k hl-tastbares
Sinnbild der Klarheit und Ungetrbtheit, der
unangefochtenen Unschuld und dessen, was sie in
Einfalt vermag. Schpft des Dichters reine Hand,
Wasser wird sich ballen Ja, ich wills ballen zur
k rystallenen Kugel, das Gedicht der Verfhrung, denn
der Dichter, der vielversuchte, der verfhrerischvielverfhrte {355}k anns immer noch, ihm bleibt die

Gabe, die das Zeichen der Reinheit. Nicht auch dem


Weibe. Da die Flut ihr den Himmelsjngling gespiegelt,
da sie sich im Anschaun verloren, gttlich einziges
Erscheinen ihr das tiefste Leben verwirrt, versagt sich
ihr die Welle zur Formung, sie strauchelt heim, der
hohe Gatte durchschauts, Rache, Rache waltet, die
Heimgesuchte, die Schuldlos-Schuldige schleppt er zum
Todeshgel, schlgt ihr das Haupt ab, womit sie ewige
Reize erblick t, aber dem Rcher droht der Sohn, wie
die Witwe dem Gatten ins Feuer, so der Mutter ins
Schwert zu folgen. Nicht so, nicht so! Es ist wahr, am
Schwerte starrt nicht das Blut, es fliet wie aus
frischer Wunde. Eile! Fge wieder zum Rumpf das
Haupt, sprich dazu dies Gebet, segne mit dem Schwerte
die Fgung, und sie ersteht. Grauen der Sttte.
berk reuz zwei Krper, der Mutter edler Leib, der Leib
der gerichteten Verbrecherin vom Paria-Stamm. Sohn,
o Sohn, welch bereilen! Das Haupt der Mutter setzt er
auf der Verworfenen Leichnam, heilts mit dem
Richtschwert, und eine Riesin, Gttin erhebt sich, die
Gttin der Unreinen. Dichte dies! Balle dies zu federnd
gedrngtestem Sprachwerk ! Nichts ist wichtiger! Sie
ward zur Gttin, aber unter Gttern wird ihr Wollen
weise und wild ihr Handeln sein. Vor dem Auge der
Reinen wird das Gesicht der Versuchung, das selige
Jnglingsbild, weben in Himmelszartheit; aber senk t
sichs ins Herz der Unreinen hinab, regt es Lustbegier,

rasend-verzweifelte, darin auf. Ewig dauert


Verfhrung. Ewig wird sie wiederk ehren, die
verstrend gttliche Erscheinung, die sie vorbereilend
streifte, immer steigend, immer sink end, sich
verdsternd, sich verk lrend, so hat Brahma dies
gewollt. Vor Brahma steht die Grausenhafte, mahnt ihn
freundlich, schilt ihn wtend aus verworrenem,
geheimnisberlastetem Busen, aller leidenden
Creatur k ommts bei des Hchsten Erbarmen zugute.
Ich denk e, Brahma frchtet das Weib, denn ich
frcht es, {356}wie das Gewissen frcht ich ihr
freundlich-wtendes Vor-mir-stehen, ihr weises Wollen
und wildes Handeln, und so frcht ich das Gedicht,
verschiebs durch Jahrzehnte, wissend doch, da ichs
einmal werd machen mssen. Sollt das
Geburtstagscarmen manipulieren, die Italienische Reise
weiter zusammenstellen; will aber dies Alleinsein am
Pult und die gute Madeira-Wrme zu k uriosgeheimerem Werk e nutzen. Schpft des Dichters reine
Hand

Wer ist's?
Einen recht schnen Tag, Vater.
August, du. Nun, sei willk ommen.
Str' ich? Ich will nicht hoffen. Du pack st so
geschwinde weg.

Ja, Kind, was heit stren. Strung ist alles. Kommt


drauf an, ob die Strung dem Menschen lieb oder leid
ist.
Eben das ist die Frage auch hier. Und ich schwank e
in ihrer Beantwortung, denn nicht mir mu ich sie
stellen, sondern dem, was ich bringe. Ohne das wr'
ich zu zweifelhafter Stunde nicht eingebrochen.
Ich freue mich, dich zu sehen, was du auch bringst.
Was bringst du denn?
Da ich denn da bin, ist mein Erstes: Hast du gut
geschlafen?
Dank ' dir, bin soweit erquick t.
Hat dir das Frhstck geschmeck t?
Ganz k rftig. Du frgst ja wie Rehbein.
La, ich frage fr eine ganze Welt. Verzeih' auch,
was hattest du gerade Interessantes vor? War's die
Lebensgeschichte?
Nicht ak k urat. Lebensgeschichte ist's immer. Aber
was bringst du? Mu ich dir's extorquieren?
Es ist Besuch gek ommen, Vater. Ja. Besuch von
auswrts und aus der Vorzeit. Abgestiegen im
Elephanten. Ich hrt' es schon, bevor das Billet k am. In
der Stadt ist der Trouble gro. Eine alte Bek annte.
{357}Bek annte? Alt? Mach nicht solche Anstalten!
Hier ist das Billet.
Weimar, den zweiundzwanzigsten Wieder in ein
Antlitz zu blick en So bedeutend geworden

Geborene Hm. Hm, hm. Kurios. Nenn' ich eine recht


k uriose Vorfallenheit. Du nicht auch? Aber la einmal,
ich hab auch was fr dich, worber du dich wundern
und wozu du mir gratulieren sollst. Gib nur Acht!
Hier, wie gefllt dir's?
Ah!
Gelt, da machst du groe Augen. Und die soll man
machen. Ist recht etwas zum Groe Augen machen, eine
Sache des Lichtes, des Schauens. Hab's aus Frank furt
geschenk t bek ommen fr meine Sammlung. Gleichzeitig
k amen einige Mineralien vom Westerwald und vom
Rhein. Aber dies ist das Schnste. Wofr hltst du's?
Ein Kristall
Das will ich meinen! Ist ein Hyalit, ein Glasopal,
aber ein Prachtexemplar nach Gre und
Ungetrbtheit. Hast du so ein Stck schon gesehn? Ich
k ann's nicht genug anguck e und nicht ohne Sinnen.
Das ist Licht, das ist Przision, das ist Klarheit, was?
Das ist ein Kunstwerk oder vielmehr ein Werk und
Offenbarungsgebilde der Natur, des Kosmos, des
geistigen Raumes, der seine ewige Geometrie darauf
projiziert und sie rumlich macht! Siehst du die
genauen Kanten und schimmernden Flchen, durch
und durch ist das genaue Kante und schimmernde
Flche, ideelle Durchstruk turiertheit nenn' ich mir
das. Denn es hat ja das Ding nur eine, es gnzlich

durchdringende, es von innen nach auen ganz und


gar ausmachende, sich immer wiederholende Form und
Gestalt, die seine Achsen bestimmt, das Kristallgitter,
und das macht ja eben die Durchsichtigk eit, die
Affinitt solcher Verk rperung zum Licht und zum
Schauen. Willst du meine Meinung hren, so sag' ich,
da die k olossalisch-gediegene Kanten- und FlchenGeometrie {358}der gyptischen Pyramiden auch diesen
geheimen Sinn hatte: die Beziehung zum Licht, zur
Sonne, es sind Sonnenmale, Riesenk ristalle,
ungeheuere Nachahmung geistig-k osmischer EinBildung von Menschenhand.
Das ist hoch-interessant, Vater.
Und ob. Und ob. Hat es ja auch mit der Dauer zu
thun, mit Zeit und Tod und Ewigk eit, da wir denn
gewahr werden, da bloe Dauer ein falscher Sieg ist
ber Zeit und Tod, denn sie ist totes Sein und k ein
Werden mehr seit ihrem Beginn, weil sich bei ihr der
Tod gleich an die Erzeugung anschliet. So dauern die
k rystallinischen Pyramiden hinaus in die Zeit und
berdauern die Jahrtausende, aber das hat nicht Leben
noch Sinn, es ist tote Ewigk eit, es hat k eine
Biographie. Aufs Biographische k ommt's an, und allzu
k urz und arm ist die Biographie des Frhvollendeten.
Siehst du, so ein sal, ein Salz, wie die Alchymisten alle
Kristalle einschlielich der Schneeflock en nannten (es
ist aber k ein Salz in unserem Fall, es ist Kieselsure) so

ein sal hat nur einen einzigen Augenblick des Werdens


und der Entwick lung, es ist der, da die Kristall-Lamelle
aus der Mutterlauge herausfllt und den Ansatzpunk t
abgibt zur Ablagerung weiterer Lamellen, wodurch
denn der geometrische Krper schneller oder
langsamer wchst und eine ansehnlichere oder
geringere Gre gewinnt, allein relevant ist das weiter
nicht, denn das k leinste dieser Gebilde ist ebenso
perfek t wie das grte, und seine Lebensgeschichte war
abgeschlossen mit der Geburt der Lamelle, nun dauert
es nur noch in die Zeit, wie die Pyramiden, vielleicht
Millionen Jahre, hat aber die Zeit nur auer ihm,
nicht in ihm selbst, will sagen: es wird nicht lter, was
ja nicht bel wre, aber es ist tote Bestndigk eit, und
da es k ein Zeitleben hat, k ommt daher, da ihm zum
Aufbau der Abbau fehlt und zum Bilden das
Einschmelzen, das heit: es ist nicht organisch.
Allerk leinste Kristallk eime sind zwar noch nicht
geometrisch, nicht k antig und flchig, sondern
rundlich und {359}hneln organischen Keimen. Allein
das ist nur Aehnelei, denn der Kristall ist Struk tur
ganz und gar, von Anfang an, und Struk tur ist licht,
durchsichtig und gut zu schauen; hat aber einen
Hak en damit, denn sie ist der Tod, oder fhrt zum
Tode, welcher sich beim Kristall gleich an die Geburt
schliet. Niemals Tod und ewige Jugend, das wre,

stnde die Wage ein zwischen Struk tur und


Entbildung, Aufbau und Einschmelzung. Steht aber
nicht ein, die Wage, sondern von Anbeginn berwiegt
im Organischen auch die Struk turierung, und so
k ristallisieren wir und dauern nur noch in der Zeit,
gleich den Pyramiden. Aber das ist de Dauer,
Nachleben in der ueren Zeit, ohne innere, ohne
Biographie. Tiere auch dauern so, wenn sie
ausstruk turiert und erwachsen sind, nur mechanisch
noch wiederholen sich dann Ernhrung und
Propagation, immer dasselbe, wie die Auflagerung beim
Kristall, die ganze Zeit, die sie noch leben, sind sie
am Ziele. Auch sterben sie ja frh, die Tiere,
wahrscheinlich aus langer Weile. Halten die
Ausstruk turiertheit und das Am Ziele sein nicht lange
aus, es ist zu langweilig. Oede und sterbenslangweilig,
mein Lieber, ist alles Sein, das in der Zeit steht, statt
die Zeit in sich selbst zu tragen und seine eigene Zeit
auszumachen, die nicht geradeaus luft nach einem
Ziel, sondern als Kreis in sich selber geht, immer am
Ziel und stets am Anfang, ein Sein wre das,
arbeitend und wirk end in und an sich selber, soda
Werden und Sein, Wirk en und Werk , Vergangenheit
und Gegenwart ein und dasselbe wren und sich eine
Dauer hervorthte, die zugleich rastlose Steigerung,
Erhhung und Perfek tion wre. Und so fortan. Nimm es
als Randbemerk ung zu dieser lichten Anschaulichk eit

und verzeih mein Didak tisieren. Wie steht's mit dem


Heumachen im groen Garten?
Ist gethtigt, Vater. Aber ich bin mit dem
Bauersmann berquer, der wieder nichts zahlen will,
weil er sagt, mit dem Mhen und Abfahren sei's schon
beglichen und es sei eigentlich er, der {360}noch was zu
fordern habe. Aber ich la es dem Schelmen nicht
durchgehn, sei ruhig, er soll dir das gute Grummet
schon angemessen entgelten, und sollt ich ihn vor
Gericht schleppen.
Brav. Du bist im Recht. Man mu sich wehren.
corsaire, corsaire et demi. Hast du schon nach
Frank furt geschrieben wegen des Abzugsgeldes?
Noch nicht de facto, Vater. Mein Kopf ist voller
Entwrfe, aber ich zgere noch etwas Hand ans
Resk ript zu legen. Was fr ein Brief mu das nicht
sein, womit wir die Sottise von der Beraubung der
brigen Brger zurck weisen wollen! Wrde und
Ironie mssen da eine niederschmetternde, zur
Besinnung zwingende Verbindung eingehen. Das darf
man nicht bers Knie brechen
Du hast recht, ich verzgert' es auch. Die gnstige
Stunde dafr will abgewartet sein. Noch bin ich guten
Muts der Erlassung wegen, denn ich k ann nicht
glauben, da die erste, patzige Antwort von Dalberg
selber k am, dem alten Gnner, dem Freunde der

Literatur. Knnte man ihm nur direk t und persnlich


schreiben, aber das k nnte nur ich, und ich darf nicht
hervortreten.
Auf k einen Fall, Vater! In solchen Affairen bedarfst
du der Deck ung, des Wandschirms. Das ist eine hohe
Bedrftigk eit, der Genge zu thun ich geboren zu sein
die Ehre habe. Was schreibt denn die Frau
Hofrtin?
Und bei Hofe, wie steht's?
Ach, es ist viel Kopfzerbrechens in Sachen der
ersten Redoute beim Prinzen und der Quadrille, die wir
heut Nachmittag wieder ben mssen. Keineswegs
herrscht schon ein k larer Beschlu der Kostme
wegen, die zuerst bei der Polonaise ihre Wirk ung thun
sollen, von dieser aber steht eben nicht fest, ob sie
eine bunte Parade ad libitum sein oder eine bestimmte
Idee veranschaulichen soll. Vorlufig sind, auch
{361}wohl des prak tisch greifbaren Materials wegen,
die Wnsche sehr individuell. Der Prinz selber insistiert
darauf, einen Wilden vorzustellen, Staff will einen
Trk en geben, Marschall einen franzsischen Bauern,
Stein einen Savoyarden, die Schumannin besteht auf
griechischer Tracht und die Ak tuarius Rentschin auf
einem Grtnermdchen.
Hre, das ist du dernier ridicule. Die Rentschin ein
Grtnermdchen! Sie sollte ihre Jahre k ennen. Man
mu dagegen einschreiten. Eine rmische matrona ist

alles, was man ihr bewilligen k ann. Wenn der Prinz


auf den Wilden prtendiert, so wei man ohnedies, wie
er's im Sinne hat. Er wrde sich mit dem verhutzelten
Grtnermdchen Spe erlauben, da es zum Sk andal
k me. Ernstlich, August, ich htte Lust, die Sache
selbst in die Hand zu nehmen, zum wenigsten die
Polonaise, als welche nach meinem Dafrhalten nicht
bunt und willk rlich sein drfte, sondern auf einen
Nenner gebracht werden oder doch eine lose, sinnige
Ordnung aufweisen mte. Wie in der persischen
Poesie, so ist's berall, da nur das Vorwalten eines
oberen Leitenden, k urz, was wir anderen Deutschen
Geist nennen, wahre Genugthuung bringt. Ich htte
einen artigen Mummenschanz im Kopf, wovon ich wohl
der Ordner und auch der ansagende Herold sein
mchte, denn mit sinnig-k urzem Wort und auch mit
einiger Musik von Mandolinen, Guitarren und
Theorben mte alles begleitet sein. Grtnermdchen
gut, es k nnten nette junge florentinische
Grtnerinnen k ommen und in grnen Laubgngen
bunten Flitter k nstlicher Blten feilbieten. Grtner,
brunlichen Gesichts, mssten sich den Zierlichen
anpaaren und strotzend Obst zu Mark te bringen,
soda in geschmck ten Lauben die ganze Flle des
Jahres, Knospe, Bltter, Blume, Frucht sich den
heiteren Sinnen anbte. Nicht genug damit, mten

einige Fischer und Vogelsteller mit Netzen, Angeln und


Leimruten sich unter die schnen Kinder mischen, und
es gbe ein wechselseitiges Ge{362}winnen und Fangen,
Entgehen und Festhalten artigsten Styls, das von dem
Aufzuge ungeschlachter Holzhauer zu unterbrechen
wre, denen die Rolle zufiele, im Feinen die
unentbehrliche Grobheit zu vertreten. Alsdann so sollte
der Herold die griechische Mythologie hervorrufen, und
den Anmut verk ndenden Grazien folgten auf dem Fu
die besinnlichen Parzen, Atropos, Klotho und Lachesis,
mit Rock en, Schere und Weife, und k aum sind dann
auch die drei Furien vorber, welche aber, versteh'
mich recht, sich nicht wst und anstig darstellen,
sondern als einnehmende, wenn auch leidlich
schlangenhafte und boshafte junge Frauenzimmer
erscheinen mten, so schleppte sich auch schon
wuchtend ein wahrer Berg und lebender Kolo, mit
Teppichen behngt und turmgek rnt, heran, ein
veritabler Elefant, dem eine zierliche Frau mit
stachelndem Lenk stabe im Nack en se, whrend
droben auf der Zinne die hehrste Gttin
Ja, aber Vater! Wo nehmen wir denn einen
Elefanten her, und wie k nnte ein solcher im Schlo
Geh, sei k ein Spielverderber! Das fnde sich schon,
das liee sich schon fingieren und ein tierisches
Aufgebude mit Rssel und Zhnen bei einigem guten
Willen zum abenteuerlichen Schein sich allenfalls auf

Rder stellen. Die geflgelte Gttin, mein' ich, dort


oben, das wre Victoria, die Meisterin aller
Thtigk eiten. Aber zur Seite schritten in Ketten zwei
edle Frauengestalten, deren Bedeutung der Herold
amtsgem zu entfalten htte, denn es sind Furcht
und Hoffnung, in Ketten gelegt von der Klugheit,
welche sie beide dem Publico als arge Menschenfeinde
dar- und blostellen mte.
Die Hoffnung auch?
Unbedingt! Mindestens mit soviel Recht, wie die
Furcht, wrde sie blogestellt. Bedenk e doch, wie
lppisch s und entnervend sie die Menschen
illusioniert und ihnen einflstert, da sie sorgenfrei
und nach Belieben werden leben dr {363}fen und das
Beste sicherlich irgendwo zu finden sein msse. Was
aber die rhmliche Victoria angeht, so nhme gleich
Thersites sie zum Ziel seines widrig verk leinernden
Gegeifers, unertrglich dem Herold, der den
Lumpenhund mit seinem Stabe zchtigen mte, soda
die Zwerggestalt sich k reischend k rmmte und sich
zum Klumpen ballte, aus dem Klumpen aber wrde vor
aller Augen ein Ei, das blhte sich und platzte auf, und
ein grulich Zwillingspaar k rche heraus, Otter und
Fledermaus, wovon die Eine im Staube davonk rche,
die Andere schwarz zur Deck e flge
Aber bester Vater, wie sollten wir das wohl machen

und auch nur scheinbar zur Anschauung bringen, das


platzende Ei und die Otter und Fledermaus!
Ei, mit nur etwas Lust und Liebe zum sinnigen
Augenschein wre auch das zu leisten. Aber damit
drfte der berraschungen noch k eineswegs ein Ende
sein, denn nun sollte ein vierbespannter Prachtwagen
heranglnzen, vom charmantesten Buben gelenk t, und
darauf se ein Knig mit gesundem Mondgesicht unter
dem Turban, welche beide zu prsentieren ebenfalls
Herolds Hofgeschft wre: das Mondgesicht, das wre
Knig Plutus, der Reichtum, aber in dem entzck enden
Lenk erk naben mit dem Glitzergeschmeid im schwarzen
Haar htten all-alle die Poesie zu erk ennen in ihrer
Eigenschaft nmlich als holde Verschwendung, welche
dem Knig Reichtum Fest und Schmaus verschnt, und
er brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, der
Rack er, so blitzten und sprngen goldne Spangen und
Perlenschnre und Kamm und Krnchen und k stliche
Juwelenringe, um die die liebe Menge sich balgte, unter
den Schnippchen hervor.
Du machst es gut, Vater! Spangen, Juwelen und
Perlenschnre! Du meinst wohl: Ich k ratz den Kopf,
reib' an den Hnden
Es k nnten ja billige Faxen und Rechenpfennige
sein. Mir {364}ist es nur darum zu thun, die spendende
und verschwendende Poesie zum Reichtum in
allegorische Beziehung zu bringen, wobei denn etwan

an Venedig zu denk en wre, wo die Kunst wie eine


Tulipane wuchs, genhrt vom ppigen Boden des
Handelsgewinns. Der Plutus im Turban mte zum
reizenden Buben sagen: Mein lieber Sohn, ich habe
Wohlgefallen an dir!
So drfte er's aber k einesfalls fassen und
ausdrck en, Vater. Es wre
Es wre sogar zu wnschen, da man's einzurichten
vermchte und k nnte k leine Flmmchen auf dem und
jenem Kopfe erscheinen lassen, welche der schne
Lenk er als die gresten Gaben seiner Hand
umhergesandt htte, Flmmchen des Geistes, sich
haltend an einem, entschlpfend dem andern, rasch
aufleuchtend da, nur selten daurend, den meisten
traurig ausgebrannt wieder verlschend. So htten wir
Vater, Sohn und Heiligen Geist.
Das ginge beileibe und absolut nicht, Vater, von der
mechanischen Unausfhrbark eit noch ganz abgesehen!
Der Hof wrde unruhig. Es wre gegen die Piett und
entschieden blasphemisch.
Wieso? Wie magst du solche Huldigungen und
artigen Allusionen blasphemisch nennen? Die Religion
und ihr Vorstellungsschatz sind ein Ingrediens der
Kultur, dessen man sich denn heiter-bedeutsam
bedienen mag, um ein Allgemein-Geistiges im
behaglich-vertrauten Bilde sichtbar und fhlbar zu

machen.
Aber doch k ein Ingrediens wie ein anderes, Vater.
Das mag das Religise wohl sein fr deine berschau,
aber nicht fr den durchschnittlichen Festteilnehmer
und auch nicht fr den Hof, oder doch heute nicht
mehr. Es richtet sich zwar die Stadt nach dem Hof,
aber doch auch der Hof nach der Stadt, und gerade
heut, wo in Jugend und Gesellschaft die Religion so sehr
wieder zu Ehren gek ommen
{365}Nun, basta, so will ich mein k leines Theater
wieder einpak k en, mitsamt den Spiritus-Flmmchen,
und zu euch sprechen, wie die Phariser zum Judas: Da
sehet ihr zu! Es htte zwar noch allerlei angenehmes
Getmmel folgen sollen, der Zug des groen Pan, das
wilde Heer mit spitzohrigen Faunen und Satyrn auf
drren Beinen und wohlmeinenden Gnomen und
Nymphen und Wilden Mnnern vom Harz, allein das
alles la ich auf sich beruhen und mu sehen, es
anderswo unterzubringen, wo mich eure modischen
Sk rupel in Frieden lassen, denn wenn ihr k einen Spa
versteht, bin ich nicht euer Mann. Wovon sind wir
denn abgek ommen?
Abgek ommen sind wir vom berbrachten Billet,
Vater, ber das man sich wohl zu beraten und zu
verstndigen htte. Was schreibt Frau Hofrtin
Kestner?
Ja, so, das Billet. Du hast mir ja ein billet-doux

gebracht. Was sie schreibt? Nun, ich hab auch was


geschrieben, lies das lieber erst, un momentino, hier, es
ist fr den Diwan.
Man sagt, die Gnse wren dumm; O glaubt mir
nicht den Leuten! Denn eine sieht einmal sich rum,
Mich rck wrts zu bedeuten. Ja, ja, recht hbsch,
Vater, recht artig oder auch unartig, wie man es
nimmt, und zur Antwort will es nicht sonderlich
taugen.
Nicht? Ich dachte. Dann mssen wir uns eine
andere ausdenk en, und sie darf prosaisch sein, denk '
ich, die bliche an distinguierte Weimar-Pilger: eine
Einladung zum Mittagessen.
Das ohnehin. Das Briefchen ist sehr
wohlgeschrieben.
O, sehr. Was meinst du, wie lange das Seelchen
daran gesponnen.
Man sieht wohl nach seinen Worten, wenn man dir
schreibt.
Ein unbehaglich Gefhl.
Es ist die Zucht der Kultur, die du den Menschen
auferlegst.
{366}Und wenn ich tot bin, werden sie Uff! sagen
und sich wieder ausdrck en wie die Ferk el.
Das ist zu befrchten.
Sag nicht befrchten. Du solltest ihnen ihre Natur

gnnen. Ich bedrck ' sie nicht gerne.


Wer spricht von Bedrck en? Und wer nun gar von
Sterben? Du wirst uns noch lange ein zum Guten und
Schnen anhaltender Herrscher sein.
Meinst du? Ich fhl' mich heut aber garnicht zum
besten. Der Arm thut weh. Hab auch mit dem
Dmpfigen wieder ennui gehabt und auf den Aerger
lange dik tiert, das schlgt sich unweigerlich dann aufs
Nervensystem.
Das heit: hinbergehen und der Billetschreiberin
aufwarten wirst du nicht; mchtest auch den Beschlu
ber das Billet lieber noch aufschieben.
Das heit, das heit. Du hast eine Art, Folgerungen
zu ziehen nicht sehr zart, du rupfst sie frmlich, die
Folgerungen.
Verzeih, ich taste im Dunk eln wegen deiner
Empfindungen und Wnsche.
Nun, ich auch. Und im Dunk eln munk elt's denn
wohl gespenstisch. Wenn Vergangenheit und
Gegenwart eins werden, wozu mein Leben von je eine
Neigung hatte, nimmt leicht die Gegenwart einen
spuk haften Charak ter an. Das nimmt sich recht wohl
aus im Gedicht, hat in der Wirk lichk eit aber doch was
Apprehensives. Du sagst, das Vork ommnis macht
Rumor in der Stadt?
Nicht wenig, Vater. Wie willst du, da es k einen
machte? Die Leute rotten sich vorm Gasthaus

zusammen. Sie wollen die Heldin von Werthers Leiden


sehen. Die Polizei hat Mhe, die Ordnung aufrecht zu
halten.
Nrrisches Volk ! Die Kultur steht nun aber doch
unglaublich hoch in Deutschland, da es solch
Aufsehen macht und {367}solche Neugier erregt.
Pnible, Sohn. Eine pnible, ja gruliche Sache. Die
Vergangenheit verschwrt sich mit der Narrheit gegen
mich, um Trouble und Unordnung zu stiften. Konnt' sie
sich's nicht verk neifen, die Alte, und mir's nicht
ersparen?
Du fragst mich zuviel, Vater. Du siehst, die Frau
Hofrtin ist vllig in ihrem Recht. Sie besucht ihre
lieben Verwandten, die Ridels.
Natrlich doch, die besucht sie genschiger Weise.
Denn Ruhm mcht' sie naschen, ohne Gefhl dafr, wie
Ruhm und Berchtigtheit peinlich in einander gehen.
Und da haben wir nur erst einmal den Auflauf der
Menge. Wie wird die Gesellschaft sich erst excitieren
und sich moquieren, die Hlse reck en, tuscheln und
ugen! Kurzum, man mu das nach Krften verhten
und unterbinden, mu die besonnenste, festeste und
zgelndste Haltung einnehmen. Wir geben ein
Mittagessen in k leinem Cirk el, mit jenen Verwandten,
halten uns sonst aber fern und bieten der Gier nach
Aufregung k einerlei Handhabe

Wann soll es sein, Vater?


In ein paar Tagen. Demnchst einmal. Das rechte
Ma, die rechte Distanz. Man mu einerseits Zeit
haben, die Dinge ins Auge zu fassen und sich von
Weitem an sie zu gewhnen, andererseits sie nicht zu
lange sich vorstehen lassen, sondern sie hinter sich
bringen. Gegenwrtig sind Kchin und Hausmagd
ohnedies mit der im Schwunge seienden Wsche
beschftigt.
bermorgen werden wir sie in den Schrnk en
haben.
Gut, so sei es ber drei Tage.
Wen laden wir ein?
Das Nchste mit einer k leinen Zuthat von
Fremderem. Eine leicht erweiterte Intimitt wird sich
in diesem Falle empfehlen. Item: Mutter und Kind nebst
schwgerlichem Paare; {368}Meyer und Riemer mit
Damen; Coudray oder Rehbein dazu allenfalls; HofKammerrat und Hof-Kammerrtin Kirms und wer
denn noch?
Onk el Vulpius?
Abgelehnt, du bist nicht k lug!
Tante Charlotte?
Charlotte? Du meinst die Stein? ber deine
Vorschlge! Zwei Charlotten sind eine Kleinigk eit
zuviel. Sagt ich nicht: Vorsicht, Besonnenheit? Kommt
sie, so haben wir eine hchst zugespitzte Situation.

Sagt sie ab, so gibt's auch dem Gerede Nahrung.


Aus der Nachbarschaft sonst: Herr Stephan
Schtze.
Gut, lad' den Schriftsteller ein. Auch ist Herr
Bergrat Werner von Freiberg, der Geognostik er, in der
Stadt. Den k nnte man bitten, da ich eine Ansprache
hab'.
So sind wir zu sechszehn.
Mag Absagen geben.
Nein, Vater, sie k ommen schon alle! Der Anzug?
Parre! Den Herren wird Frack mit Distink tionen
empfohlen.
Wie du befiehlst. Die Gesellschaft trgt zwar
amik ales Geprge, aber ihre Anzahl rechtfertigt einige
Formalitt. Auch ist's eine Aufmerk samk eit fr die von
auswrts.
So denk ' ich.
Nebenbei hat man das Vergngen, dich wieder
einmal mit dem Weien Falk en zu sehen, dem
Goldnen Vlie, htt' ich fast gesagt.
Das wre ein sonderbares, fr unsern jungen
Brustschmuck allzu schmeichelhaftes Versprechen
gewesen.
Es wre mir trotzdem beinahe untergelaufen
wahrscheinlich weil diese Begegnung mich anmutet wie
eine nachzuholende Egmont-Szene. Du hattest in den

Wetzlarer Tagen noch k einen spanischen Hofprunk ,


dich diesem Klrchen darin zu zeigen.
{369}Du bist bei Laune. Sie dient nicht eben, deinen
Geschmack zu bessern.
Ein berschrfter Geschmack lt auf verdrieliche
Laune schlieen.
Wir haben wohl beide noch Geschfte heut
Morgen.
Dein nchstes wre, ein Krtchen
hinberzuschreiben?
Nein, du sprichst vor. Ist weniger und mehr. Du
prsentierst meine Empfehlung, meinen
Willk ommsgru. Es werde mir nchstens zu Mittag viel
Ehre sein.
Eine sehr groe wird es fr mich sein, dich zu
vertreten. Ich durft' es selten bei bedeutenderem Anla
thun. Nur Wielands Begrbnis wre allenfalls zum
Vergleiche heranzuziehn.
Ich seh' dich bei Tische.

{370}Achtes

Kapitel

Charlotte Kestner hatte es nicht schwer gehabt, die


allerdings unmige Versptung, mit der sie am 22sten
an der Esplanade bei Ridels eingetroffen war,
aufzuk lren und zu entschuldigen. Einmal an Ort und
Stelle, endlich in den Armen ihrer jngsten Schwester,
neben der gerhrten Blick es der Gatte stand, war sie
von jedem genaueren Rechenschaftsbericht ber die
Erlebnisse entbunden gewesen, die sie den Vormittag,
ja einen Teil des Nachmittags gek ostet hatten, und erst
in den folgenden Tagen k am sie unter der Hand und
von Gelegenheit zu Gelegenheit, teils befragt, teils
ihrerseits sich erk undigend, auf die gefhrten
Gesprche zurck . Selbst der von dem letzten Besucher
im Elephanten berbrachten Einladung auf den
dritten Tag entsann sie sich erst nach Stunden mit
einem Ja, richtig!, nicht ohne mit einer gewissen
Dringlichk eit die Zustimmung der Ihren zu dem Billet
einzufordern, das sie nach ihrer Ank unft in das
berhmte Haus gesandt.
Ich habe nicht zuletzt und vielleicht zuerst an dich
dabei gedacht, sagte sie zu ihrem Schwager. Ich sehe
nicht ein, weshalb man nicht Beziehungen
wahrnehmen sollte, die, mgen sie noch so beraltert

sein, lieben Verwandten ntzlich werden k nnten.


Und der Geheime Land-Kammerrat, der auf den
Kammerdirek tor in herzoglichen Diensten aspirierte,
namentlich weil durch diese Ernennung sein Gehalt,
auf das allein er seit den Verlusten der Franzosentage
angewiesen war, eine bedeutende Aufbesserung
erfahren wrde, hatte dank bar gelchelt. Thatschlich
wrde es nicht das erste Mal sein, da der
Jugendfreund seiner Schwgerin sich seiner Laufbahn
gnstig erwies. Goethe schtzte ihn. Er hatte dem
jungen Hamburger, der Hauslehrer in einer grflichen
Familie gewesen war, die Stel {371}lung als Erzieher des
Erbprinzen von Sachsen-Weimar verschafft, die er
einige Jahre lang eingenommen. Bei den
Abendgesellschaften der Madame Schopenhauer war
Dr. Ridel fters mit dem Dichter zusammengetroffen,
hatte aber in seinem Hause selbst nie verk ehrt, und es
war ihm mehr als angenehm, da Charlottens
Erscheinen ihm den Zutritt dazu verschaffte.
brigens war von dem bevorstehenden Mittag am
Frauenplan, zu dem auch Ridels denselben Abend noch
eine schriftliche Einladung erhalten hatten, in den
folgenden Tagen immer nur flchtig und unter der
Hand, so, als sei die Sache der Familie zwischendurch
ganz aus dem Gedchtnis entschwunden, und mit einer
gewissen abbrechenden Hast die Rede. Da nur das
k ammerrtliche Ehepaar, nicht auch ihre Tchter,

gebeten war, deutete ebenso wie die Vorschrift des


Frack s auf einen mehr als familiren Charak ter der
Veranstaltung, was mitten in anderen Gesprchen von
ungefhr angemerk t wurde, worauf man nach einer
Pause, whrend der die Erfreulichk eit oder
Unerfreulichk eit der Feststellung allerseits still
erwogen zu werden schien, den Gegenstand wieder
wechselte.
Es gab nach langer, durch Briefwechsel nur
notdrftig berbrck ter Trennung soviel zu berichten,
zu gedenk en und auszutauschen. Die Schick sale und
Zustnde von Kindern, Geschwistern und
Geschwisterk indern standen zur Errterung. Manchem
Gliede der k leinen Schar, deren Bild, wie Lotte ihnen
das Brot austeilte, in die Dichtung eingegangen und
zum heiteren Besitz der allgemeinen Anschauung
geworden war, blieb nur wehmtig nachzutrauern.
Vier Schwestern waren schon in der Ewigk eit, voran
Friederik e, die Aelteste, eine Hofrtin Dietz, deren fnf
hinterbliebene Shne jedoch allesamt stattliche
Lebensstellungen an Gerichten und in Magistraturen
einnahmen. Unvermhlt war nur die Vierte, Sophie,
geblieben, verstorben gleichfalls vor nun schon acht
Jahren im Hause ihres Bruders Georg, des prchtigen
Mannes, nach dem Charlotte, {372}gewissen Wnschen
entgegen, ihren Aeltesten genannt, und der, nachdem

er eine reiche Hannoveranerin geheiratet, als


Nachfolger seines Vaters selig, des alten Buff, die
Amtmannsstelle zu Wetzlar zur eigenen und
allgemeinen Zufriedenheit verwaltete.
berhaupt hatte der mnnliche Teil jener bildhaft
gewordenen Gruppe sich entschieden lebensbrver, zum
Ausharren tchtiger erwiesen, als der weibliche die
beiden lteren Damen ausgenommen, die in Amalie
Ridels Stube saen und ber ihren Handarbeiten das
Gewesene und Gegenwrtige besprachen. Ihr ltester
Bruder Hans, derselbe, der einst mit dem Dr. Goethe so
besonders herzlich gestanden und an dem WertherBuch, als es eintraf, so k indlich-unbndiges Vergngen
gehabt hatte, bte als Kammerdirek tor beim Grafen
von Solms-Rdelheim eine ansehnlich-ausk mmliche
Thtigk eit; Wilhelm, der Zweite, war Advok at, und
wieder ein anderer, Fritz, stand als Hauptmann in
niederlndischen Heeresdiensten. Was gab es beim
Sticheln und beim Gek lapper der Holznadeln ber die
Brandt-Mdel zu sagen, Annchen und Dorthel, die
Junonische? Hrte man von ihnen? Gelegentlich.
Dorthel, die Schwarzaugige, hatte nicht jenen Hofrat
Cella genommen, ber dessen abgezirk eltes Werben der
muntere Kreis von damals, voran ein unbeschftigter
Rechtsprak tik ant, der auch fr schwarze Augen nicht
unempfindlich gewesen war, sich so derb lustig
gemacht hatte, sondern den Dr. med. Heler, der ihr

aber frh durch den Tod war entrissen worden, soda


sie denn nun lange schon einem Bruder in Bamberg
den Hausstand fhrte. Annchen hie seit
fnfunddreiig Jahren Frau Rthin Werner, und
Thek la, eine Dritte, hatte an der Seite Wilhelm Buffs,
des Prok urators, ein zufriedenstellendes Leben
verbracht.
All dieser wurde gedacht, der Lebenden und der
Geschiedenen. Aber so recht belebte Charlotte sich
doch jedesmal erst, das zarte Pastellrot, das sie so
verjngend gut k leidete, trat auf {373}ihre Wangen,
und sie befestigte mit wrdiger Kinnsttze den immer
etwas zum Wack eln geneigten Kopf, wenn auf ihre
Kinder, ihre Shne die Rede k am, Leute, die jetzt in
den vierziger Jahren und in so stattlichen
Lebensverhltnissen standen wie Theodor, der MedizinProfessor, und Dr. August, der Legationsrat. Des
Besuches dieser beiden bei ihrer Mutter Jugendfreund
auf der Gerbermhle wurde aufs neue erwhnt, wie
denn berhaupt der Name des nahe wohnenden
Gewaltigen, dessen Existenz, so hoch sie sich immer
abgesondert, mit diesem ganzen Lebens- und
Schick salsk reise seit Jugendtagen verflochten blieb,
sich, halb vermieden, immer wieder in das Gesprch
der Schwestern stahl. Zum Beispiel gedachte Charlotte
einer Reise, die sie vor fast vierzig Jahren mit Kestnern

von Hannover nach Wetzlar getan, und auf der sie zu


Frank furt die Mutter des flchtigen Freundes besucht
hatten. Sie waren einander so gut geworden, das junge
Paar und die Rtin, da diese sich in der Folge zur
Gevatterschaft beim jngsten Kestner'schen
Tchterchen bereit erk lrt hatte. Derjenige, der seiner
eigenen Aussage nach am liebsten all ihre Kinder aus
der Taufe gehoben htte, war damals in Rom gewesen,
und die Mutter, die eben eine k urze, berraschende
Anzeige seines groen Aufenthaltes von ihm
empfangen, hatte sich in innig stolzen Reden ber das
auerordentliche Kind ergangen, die Lotte wohl
behalten hatte und jetzt ihrer Schwester wiederholte.
Wie fruchtbar-frderlich und hchsten Gewinn
bringend, hatte sie gerufen, msse nicht eine solche
Reise fr einen Menschen seines Adlerblick s fr alles
Gute und Groe sein, segenvoll nicht nur fr ihn,
sondern fr alle, die das Glck htten, in seinem
Wirk ungsk reis zu leben! Ja, so war dieser Mutter das
Los gefallen, da sie laut und offen diejenigen
glck lich pries, denen es vergnnt war, dem
Lebensk reis ihres Kindes anzugehren. Sie hatte die
Worte einer Freundin, der seligen Klettenbergerin
angefhrt: Wenn ihr Wolfgang nach {374}Meintz
reise, bringe er mehr mit, als andere, die von Paris und
London zurck k men. Er habe, verk ndete die
Glck liche, ihr in seinem Briefe versprochen, sie auf

der Rck reise zu besuchen. Dann msse er alles


haark lein erzhlen, und dazu sollten smtliche
Freunde und Bek annte ins Haus geladen sein und
herrlich trak tiert werden pompos solle es hergehen
und Wildpret, Braten, Geflgel sollten wie Sand am
Meere sein. Es sei dann wohl nichts daraus geworden,
vermutete Amalie Ridel, und ihre Schwester, die auch
dergleichen gehrt zu haben meinte, lenk te das
Gesprch wieder auf ihre eigenen Shne, deren gut
gezogene Anhnglichk eit und schick lich regelmige
Besuche denn auch ihr Gelegenheit zu einiger
mtterlicher Ruhmredigk eit gab.
Da sie die Schwester damit nachgerade etwas
langweilte, mochte ihr bewut werden. Und da
ohnedies die Toilettenfrage fr den bewuten Mittag
natrlich zu besprechen war, so verriet Charlotte der
Kammerrtin unter vier Augen ihren vorhabenden
sinnigen Scherz, diese heiter-bedeutsame Idee des
Volpertshausener Ballk leides mit der ausgesparten rosa
Schleife. Es geschah so, da sie die Jngere nach ihren
eigenen Plnen fragte, und, danach selbst befragt, sich
erst in ein zgernd-verschmtes und lchelndes
Schweigen hllte, dann aber mit ihrer literarisch und
persnlich erinnerungsvollen Absicht errtend
hervortrat. brigens hatte sie dem Urteil der
Schwester vorgegriffen, ihm gewissermaen dadurch

vorgebaut, da sie deren Mibilligung fr Lottchens,


der Jngeren, k altes und k ritisches Verhalten zu ihrem
Einfall im Voraus eingefordert hatte. So wollte es
freilich nicht viel besagen, da Amalie ihn allerliebst
fand mit einem diesem Urteil nicht genau
zugehrigen Gesichtsausdruck und indem sie gleichsam
trstend hinzufgte, falls der Hausherr selbst die
Anspielung nicht auffassen sollte, so werde sicher einer
der Seinen sie bemerk en und ihn darauf hinweisen.
brigens war sie dann nicht mehr auf den Punk t
zurck gek ommen.
{375}Soviel von den Unterhaltungen der wieder
vereinigten Schwestern. Es steht fest, da diese ersten
Tage von Charlotte Buffs Aufenthalt in Weimar ganz
aufs Husliche beschrnk t blieben. Die neugierige
Gesellschaft hatte auf ihr Erscheinen zu warten; das
Publik um sah sie auf k leinen Gngen, die sie mit der
Kammerrtin durch die lndliche Stadt und den Park
unternahm, beim Tempelherrenhaus, bei der
Lauterquelle und an der Klause, auch abends wohl
noch, wenn sie, abgeholt von ihrer Zofe, in Gesellschaft
ihrer Tochter und etwa noch Dr. Ridels von der
Esplanade zu ihrem Gasthof am Mark te zurck k ehrte;
und viel wurde sie erk annt wenn nicht unmittelbar
als sie selbst, so durch Schlufolgerung von ihrer
Begleitung auf ihre Person, und, die sanften,
distinguiert blick enden blauen Augen still geradeaus

gerichtet, hatte sie manch scharrendes Umwenden von


Leuten zu erlauschen, die eben mit pltzlich
hochgezogenen Brauen oder auch einem Lcheln an
ihr vorbergegangen waren. Ihre wrdig-gtige, ein
wenig majesttische Art, Gre zu erwidern, die ihren
stadtbek annten Verwandten galten, und in die man
mit Genugtuung sie mit einbezog, wurde viel bemerk t.
So k am, nur mit Zurck haltung vor-erwhnt, eher
in innerlich gespanntem Schweigen erwartet, der
Mittag oder Nachmittag der ehrenvollen Einladung
heran; eine Mietsk utsche, die Ridel teils mit Rck sicht
auf den Staat der Damen und auf seine eigenen
Schuhe, denn dieser verhngte 25. September neigte
zum Regnerischen teils aus allgemeinem Respek t vor
dem Anla bestellt hatte, hielt vor dem Hause, und die
Familie, die am spteren Vormittag einem k alten
Frhstck nicht viel Ehre erwiesen hatte, bestieg sie
gegen halb drei unter den Augen einiger halb Dutzend
k lein-residenzlicher Neugieriger, die sich wie zu einer
Hochzeit oder einer Beerdigung unvermeidlich um den
wartenden Wagen versammelt hatten, auch von dem
Kutscher sich ber das Ziel der Fahrt hatten
{376}unterrichten lassen. Bei solchen Gelegenheiten
begegnet die Bewunderung der Gaffer fr die an der
Ceremonie stattlich Teilhabenden meistens dem Neide
eben dieser auf die Unbeschwerten im Alltagsk leide, die

nichts damit zu thun haben und sich im Stillen sogar


selbst ihres Vorteils bewut sind, soda bei den Einen
Geringschtzung mit dem Gefhl Ihr habt's gut!, bei
den Anderen Hochachtung und Schadenfreude sich
mischen.
Charlotte und ihre Schwester nahmen den hohen
Fond ein, Dr. Ridel, den Seidenhut auf dem Scho, im
Frack mit modischen Schulterwlsten und in weier
Binde, ein Kreuzchen und zwei Medaillen auf der
Brust, hatte mit seiner Nichte auf der recht harten
Rck bank Platz genommen. Auf der k urzen Fahrt, die
Esplanade entlang, durch die Frauenthorstrae zum
Frauenplan ward k aum ein Wort gewechselt. Eine
gewisse Aufsparung persnlicher Lebendigk eit, eine
innere Vorbereitung, gleichsam hinter den Kulissen,
auf die zu bewhrende gesellschaftliche Ak tivitt
herrscht gewhnlich auf solchen Wegen, und hier gab
es besondere Umstnde, die Stimmung nachdenk lich, ja
unbehaglich zu dmpfen.
Das Verwandtenpaar ehrte Charlottens Schweigen.
Vierundvierzig Jahre. Sie hingen dem nach mit
teilnehmendem Lebensgefhl, nick ten der Lieben von
Zeit zu Zeit lchelnd zu und berhrten auch wohl
einmal streichelnd ihr Knie, was ihr Gelegenheit gab,
eine rhrende Alterserscheinung, das allerdings
ungleichmig auftretende, zuweilen verschwindende,
zuweilen recht auffallende Wack eln ihres Kopfes in

einem freundlichen Zurck -Gren aufgehen und sich


darin rechtfertigen zu lassen.
Dann wieder betrachteten sie verstohlen ihre Nichte,
deren Distanzierung von diesem ganzen Unternehmen
zu Tage lag und offenbar bis zur Mibilligung ging.
Lottchen die Jngere war dank ihrer ernsten,
tugendhaften und opferbereiten Le{377}bensfhrung
eine Respek tsperson, deren Zufriedenheit oder
Unzufriedenheit ins Gewicht fiel, und die ablehnende
Verschlossenheit ihres Mundes war mitbestimmend fr
die allgemeine Schweigsamk eit. Da ihre Strenge
insbesondere der anzglichen, jetzt unter einem
schwarzen Umhang verborgenen Toilette ihrer Mutter
galt, wuten alle. Am besten wute es Charlotte, und
der unwiederholte Beifall ihrer Schwester hatte sie
auch nicht ganz ber die Vortrefflichk eit ihres
Scherzes beruhigen k nnen. Oftmals hatte sie
zwischendurch die Lust daran verloren und nur aus
Hartk pfigk eit, weil die Idee einmal gefat war, daran
festgehalten, wobei es ihr zur Beruhigung diente, da
ja nur geringe Vork ehrungen ntig gewesen waren, um
ihre Erscheinung von damals wieder herzustellen, denn
Wei war ja ein fr allemal ihre notorisch bevorzugte
Tracht, auf die sie ein Recht hatte, und nur in den
rosa Schleifen, besonders in der an der Brust
fehlenden, bestand der Schulmdel-Streich, der ihr

denn doch, wie sie da sa, mit ihrer hohen,


aschfarbenen, in einen Schleierstreifen gefaten und
in rundlichen Lock en zum Halse hngenden Frisur, bei
einigem Neide auf die nichtssagende Kleidung der
anderen, ein Herzk lopfen trotzig-diebischer und
erwartungsvoller Freude verursachte.
Da war der unregelmige Kleinstadt-Platz, auf
dessen Katzenk pfen die Rder rasselten, die
Seifengasse, das gestreck te Haus mit leicht
abbiegenden Seitenflgeln, an dem Charlotte mit
Amalie Ridel schon mehrmals vorbergegangen war:
Parterre, Bel-Etage und Mansardenfenster im mig
hohen Dach, mit gelb gestreiften Einfahrtthoren in
den Flgeln und flachen Stufen zur mittleren Hausthr
hinauf. Whrend die Familie von der Kutsche stieg, gab
es vor diesen Stufen schon eine Begrung zwischen
anderen Gsten, die, aus entgegengesetzten
Richtungen zu Fue herangek ommen, hier
zusammentrafen: Zwei reifere Herren in hohen Hten
und Pellerinen {378}mnteln, in deren einem Charlotte
den Dr. Riemer erk annte, schttelten dort einem
dritten, jngeren die Hand, der ohne Mantel, im
bloen Frack und nur einen Regenschirm in der Hand,
aus der Nachbarschaft gek ommen zu sein schien. Es
war Herr Stephan Schtze, unser trefflicher Belletrist
und Taschenbuch-Editor, wie Charlotte erfuhr, als die
Fugnger sich den Vorgefahrenen zuwandten und

unter Verbindlichk eiten, bei seitlich geschwungenen


Cylindern, eine erfreute Bewillk ommnung mit obligaten
Vorstellungen sich abspielte. Riemer wehrte
humoristisch hochtrabend ab, als man ihn mit
Charlotte bek annt machen wollte, indem er der
Zuversicht Ausdruck gab, da die Frau Hofrtin sich
eines schon drei Tage alten Freundes erinnern werde,
und ttschelte vterlich die Hand Jung-Lottchens. Das
that auch sein Begleiter, ein etwas gebck ter
Fnfziger mit milden Gesichtszgen und strhnig
erblichenem langem Haar, das unter seinem hohen Hut
hervorhing. Es war k ein Geringerer als Hofrat Meyer,
der Kunstprofessor. Er und Riemer waren direk t von
beiderseitigen Amtsgeschften hierhergek ommen,
whrend ihre Damen auf eigene Hand sich einfinden
wrden.
Nun wollen wir hoffen, sagte Meyer, whrend man
ins Haus trat, in dem bedchtig stak k ierten Tonfall
seiner Heimat, worin sich etwas Bieder-Altdeutsches
mit auslndisch-halbfranzsischen Ak zenten zu
mischen schien, da wir die Chance haben, unseren
Meister in guter und heiterer Condition, nicht taziturn
und marode anzutreffen, damit wir des qulenden
Gefhls entbrigt sind, ihm beschwerlich zu fallen.
Er sagte es, zu Charlotte gewandt, gesetzt und
ausfhrlich, offenbar ohne Gefhl dafr, wie wenig

ermutigend diese Worte eines Intimen auf einen NeuHereintretenden wirk en muten. Sie k onnte sich nicht
enthalten, zu erwidern:
Ich k enne den Herrn dieses Hauses sogar noch
lnger, als Sie, Herr Professor, und bin nicht ohne
Erfahrung in den Schwank ungen seines
Dichtergemtes.
{379}Die jngere Bek anntschaft ist gleichwohl die
authentischere, sagte er unerschttert, indem er
jeder Silbe des Comparativs geruhig ihr Recht
widerfahren lie.
Charlotte hrte nicht hin. Sie war beeindruck t von
der Noblesse des Treppenhauses, in das man
eingetreten war, dem breiten Marmorgelnder, den in
splendider Langsamk eit sich hebenden Stufen, dem mit
schnem Ma verteilten antik en Schmuck berall. Auf
der Treppenruhe schon, wo in weien Nischen
Broncegsse anmutiger Griechengestalten, davor auf
marmornem Postament, ebenfalls in Bronce, ein in
vortrefflich beobachteter Pose sich wendender
Windhund standen, erwartete August von Goethe mit
dem Bedienten die Gste, sehr gut aussehend, trotz
einiger Schwammigk eit der Figur und Gesichtszge,
mit seiner gescheitelten Lock enfrisur, Auszeichnungen
auf dem Frack , in seidenem Halstuch und Damastgilet,
und geleitete sie einige Stufen gegen die
Empfangsrume hinauf, mute aber gleich wieder

umk ehren, um Nachk ommende zu begren.


Es war der Bediente, auch sehr herrschaftlich-adrett
und wrdig, obgleich noch jung, in blauer Livree mit
Goldk npfen und einer gelb gestreiften Weste, der
Ridels und Kestners nebst den drei Hausfreunden
vollends hinauffhrte, um ihnen beim Ablegen
behilflich zu sein. Auch zu Hupten der Staatstreppe
war's edel-prchtig und k unstreich. Eine Gruppe, die
Charlotte als Schlaf und Tod zu bezeichnen gewohnt
war, zwei Jnglinge darstellend, von denen einer dem
andern den Arm um die Schulter legte, hob sich dunk el
glnzend ab von der hellen Flche der Wand zur Seite
des Entree's, welchem ein weies Relief als Sopraport
diente, und vor dem ein blau emailliertes Salve in
den Fuboden eingelassen war. Nun also! dachte
Charlotte ermutigt. Man ist ja willk ommen. Was soll's
da mit taciturn und marode? Aber schn hat's der
Junge bek ommen ! Am Kornmark t zu Wetzlar wohnt'
er modester. Da hatt' er {380}meinen Scherenschnitt an
der Wand, geschenk t ihm aus Gte, Freundschaft und
Mitleid, und grt' ihn morgens und abends mit Augen
und Lippen, wie es im Buche steht. Hab' ich ein
Sonderrecht, dies Salve auf mich zu beziehen oder
nicht?
An der Seite ihrer Schwester trat sie in den
geffneten Salon, etwas erschrock en, weil, ihr

ungewohnter Weise, der Diener die Namen der


Eintretenden, auch ihren, Frau Hofrtin Kestner!,
frmlich ausrief. In dem Empfangsraum, einem KlavierZimmer, das, elegant genug, doch im Verhltnis zu der
Weitlufigk eit des Aufganges durch seine eher migen
Proportionen etwas enttuschte und sich durch
flgellose Thren gegen eine Perspek tive weiterer
Gemcher aufthat, standen schon ein paar Gste, zwei
Herren und eine Dame, in der Nhe einer riesigen
Juno-Bste beisammen und unterbrachen ihr
Geplauder, um den Gemeldeten, vielmehr Einer von
ihnen, wie diese wohl wute, mit hohen Augenbrauen
und sich zur Vorstellung bereit machend
entgegenzublick en. Da aber im selben Augenblick
schon der Livrierte die Namen weiterer Gste
verk ndete, nmlich des Herrn Hofk ammerrat Kirms
und seiner Gattin, die mit dem Sohn des Hauses
hereintraten, und denen die Damen Meyer und Riemer
auf dem Fue folgten, soda, wie es in k leinen
Verhltnissen und bei k urzen Wegen zu sein pflegt, die
Geladenen pltzlich und fast mit einem Schlage
beisammen waren, so wurde diese Vorstellung
allgemein, und Charlotte, Mittelpunk t eines k leinen
Gedrnges, machte durch Dr. Riemer und den jungen
Herrn von Goethe die Bek anntschaft aller ihr noch
fremden Personen auf einmal, der Kirms sowohl wie des
Oberbaurats Coudray und seiner Frau, des Herrn

Bergrat Werner aus Freiberg, der im Erbprinzen


wohnte, und der Mesdames Riemer und Meyer.
Sie wute, welcher von Bosheit, zum mindesten bei
den Frauen, wahrscheinlich nicht freien Neugier sie
sich darstellte und begegnete ihr mit einer Wrde, die
ihr schon durch die {381}Notwendigk eit auferlegt war,
das durch die Umstnde sehr verstrk te Zittern ihres
Kopfes im Zaum zu halten. Diese Schwche, von Allen
mit unterschiedlichen Empfindungen bemerk t,
k ontrastierte sonderbar mit der Mdchenhaftigk eit
ihrer Erscheinung in dem weien, flieenden, aber nur
k nchellangen, vor der Brust von einer Agraffe faltig
gerafften Kleide mit dem blarosa Schleifenbesatz,
worin sie auf k nappen und schwarzen, gestck elten
Knpfstiefelchen zierlich und seltsam dastand, das
aschgraue Haar gerade ber einer k laren Stirn
aufgebaut, von Gesicht freilich unrettbar alt, mit schon
hngenden Wangen, zwischen denen ein niedlich
geformter, etwas verschmitzt lchelnder Mund
eingebettet war, einem naiv gerteten Nschen und in
sanft-mder Distink tion blik k enden VergimeinnichtAugen So nahm sie die Prsentation der
Mitgeladenen und ihre Versicherungen entgegen, wie
entzck t man sei, sie einige Zeit in der Stadt zu haben,
und wie geehrt, einem so bedeutsamen, so
denk wrdigen Wiedersehen beiwohnen zu drfen.

Neben ihr hielt sich, von Zeit zu Zeit im Knix


versink end, ihr k ritisches Gewissen, wenn man
Lottchen die Jngere so nennen darf, die weitaus
Jngste der k leinen Gesellschaft, die durchweg aus
Personen, schon wrdig an Jahren, bestand, denn
selbst Schriftsteller Schtze war auf Ende vierzig zu
schtzen. Die Pflegerin Bruder Carls wirk te recht herb
mit ihrem glatt in der Mitte gescheitelten und ber die
Ohren gezogenen Haar und in ihrem schmuck losen
dunk el-lila Kleide, das am Halse mit einer fast
predigerhaften gestrk ten Rundk rause abgeschlossen
war. Sie lchelte abweisend und zog die Brauen
zusammen bei den Artigk eiten, die man auch ihr,
besonders aber ihrer Mutter sagte, und die sie als
herausgeforderte Anzglichk eiten empfand. Auerdem
litt sie, nicht ohne Rck wirk ung auf Charlotte, die sich
aber dieses Einflusses tapfer erwehrte, unter der
jugendlichen Herrichtung der Mutter, die, {382}wenn
nicht schon in dem weien Kleid, das allenfalls als
Nuance und Liebhaberei hingehen mochte, so zum
mindesten in den vermaledeiten rosa Schleifen bestand.
Ihr Inneres war zerrissen von dem Wunsch, die Leute
mchten den Sinn dieses unschick lichen Putzes
verstehen, damit sie ihn nicht sk andals fnden, und
der Angst, sie mchten sie nur um Gottes willen nicht
gar verstehen.
Kurz, Lottchens humorloser Unwille ber das Ganze,

grenzte an Verzweiflung, und Charlotte war sensitiver


und ahnungsvoller Weise gezwungen, ihre
Empfindungen zu teilen und hatte k eine k leine Mhe,
den Glauben an die Vortrefflichk eit ihres wehmtigen
Scherzes aufrecht zu halten. Dabei htte k eine Frau
viel Grund gehabt, sich aus Eigenwilligk eiten ihrer
Toilette in diesem Kreise ein Gewissen zu machen und
den Vorwurf der Exzentrizitt zu frchten. Ein Zug zu
aesthetischer Freiheit, ja zur Theatralik herrschte
durchaus in der Kleidung der Damen, zum Unterschied
von dem offiziellen Aeueren der Herren, die bis auf
Schtze smtlich in ihren Knopflchern irgendwelche
Dienstauszeichnungen, Medaillen, Bnder und
Kreuzchen trugen. Nur allenfalls die Hofk ammerrtin
Kirms machte eine Ausnahme: als Frau eines sehr
hohen Beamten hielt sie sich offenbar an strenge
Dezenz der Erscheinung gebunden, wobei man von den
bergroen Flgeln ihrer seidenen Haube schon wieder
absehen mute, die bereits ins Phantastische fielen.
Madame Riemer aber sowohl eben jene Waise also, die
der Gelehrte aus diesem Hause heimgefhrt wie die
Hofrtin Meyer, eine geborene von Koppenfels, zeigten
in ihrer Tracht sehr stark die Note des Knstlerischen
und Persnlich-Gewagten: jene im Geschmack einer
gewissen intellek tuellen Dsternis, einen vergilbten
Spitzenk ragen auf dem schwarzen Sammt ihres

Gewandes, das elfenbeinfarbene, habichtartig


profilierte und dunk el-geistig blick ende Angesicht vom
nchtig herabfallenden, wei durchgezogenen und als
gedrehte {383}Lock e die Stirn verfinsternden Haare
eingefat, diese, die Meyer, mehr als allerdings recht
reife Iphigenie stilisiert, einen Halbmond an dem gleich
unter dem losen Busen sitzenden Grtel ihrer am
Saume antik bordierten, citronenfarbenen Robe von
k lassischem Fall, auf die vom Kopfe herab eine
Schleierdraperie dunk lerer Farbe flo, und zu deren
k urzen Aermeln die Meyern modernisierender Weise
lange Handschuhe angelegt hatte.
Madame Coudray, die Gattin des Oberbaurats,
zeichnete sich auer durch die Bauschigk eit ihres
Rock es durch einen breit schattenden und
schleierumwundenen Corona Schrter-Hut aus, der ihr,
die hintere Krempe in den Rck en gebogen, auf den
herabfallenden Ringellock en sa; und selbst Amalie
Ridel, etwas entenhaft von Profil, hatte ihrem Ansehen
durch k omplizierte Aermelk rausen und einen k urzen
Schulter-berwurf von Schwanenpelz einige malerische
Seltsamk eit zu geben gewut. Unter diesen
Erscheinungen war Charlotte im Grunde die alleranspruchsloseste und dennoch in ihrer betagten
Kindlichk eit und ihrer von Kopfwack eln
durchbrochenen Wrdenhaltung die rhrendauffallendste und merk wrdigste, zum Spott oder zur

Nachdenk lichk eit auffordernd, wie das gequlte


Lottchen frchtete: zum Spott. Diese war bitter
berzeugt, da zwischen den Weimarer Damen manch
boshafte Verstndigung stattfand, als die k leine
Gesellschaft sich nach der ersten Vorstellung in
einzelne Gruppen ber das Zimmer hin aufgelst hatte.
Den Kestners, Mutter und Tochter, zeigte der Sohn
des Hauses das Gemlde ber dem Sofa, indem er die
grnseidenen Vorhnge, mit denen es zu verhllen
war, besser auseinander zog. Es war eine Copie der
sogenannten Aldobrandini'schen Hochzeit; Professor
Meyer, erk lrte er, hatte sie einst freundschaftlich
angefertigt. Da dieser selbst herzutrat, widmete August
sich anderen Gsten. Meyer hatte statt des Cylinders,
in {384}dem auch er gek ommen, ein sammtenes
Kppchen aufgesetzt, das zu dem Frack sonderbar
huslich wirk te, soda Charlotte unwillk rlich nach
seinen Fen sah, ob sie nicht vielleicht in
Filzpantoffeln steck ten. Das war nicht der Fall,
obgleich der Kunstgelehrte in seinen breiten Stiefeln
ganz hnlich schlurfte, als sei die Vermutung
zutreffend gewesen. Die Hnde hielt er behaglich auf
dem Rck en und den Kopf gelassen zur Seite geneigt,
schien berhaupt in seiner Haltung den sorglosen
Hausfreund herauszuk ehren, der auch nervsen
Neulingen von seiner Seelenruhe ermutigend

mitzuteilen wnscht.
So sind wir denn vollzhlig, sagte er in seiner
bedchtig und gleichmig stock enden Redeweise, die
er sich von Stfa am Zrichsee durch viele rmische
und Weimarer Jahre bewahrt hatte und die von
k einerlei Mienenspiel begleitet war, so sind wir denn
vollzhlig und drfen gewrtig sein, da unser
Gastgeber sich ehestens zu uns gesellt. Es ist als nur zu
begreiflich zu erachten, wenn erstmaligen Besuchern
sich diese letzten Minuten durch eine gewisse
Bangigk eit der Erwartung ein wenig dehnen.
Gleichwohl sollte es ihnen lieb sein, sich an die
Umgebung und ihre Atmosphre vorderhand einmal
gewhnen zu drfen. Ich mache es mir gern zur
Aufgabe, solche Personen im Voraus ein wenig zu
beraten, um ihnen die exprience, die ja immer
bedeutend genug bleibt, leichter und erfreulicher zu
gestalten.
Er betonte das franzsische Wort auf der ersten Silbe
und fuhr unbewegten Gesichtes fort:
Es ist nmlich immer das Beste, (er sagte das
Beschte) wenn man sich von der Spannung, in der
man sich unvermeidlich befindet, nichts oder doch
mglichst wenig anmerk en lt und ihm in der
thunlichsten Unbefangenheit, ohne alle Zeichen von
Aufregung entgegentritt. Damit erleichtert man beiden
Teilen die Situation sehr wesentlich, dem Meister

sowohl wie sich selbst. Bei seiner allempfnglichen


Sensibilitt {385}teilt sich ihm nmlich die Bek lemmung
des Gastes, mit der er rechnen mu, im Voraus mit, sie
steck t ihn gleichsam schon von Weitem an, soda auch
er, seinerseits, einem Zwang unterliegt, der mit der
Milichk eit der andern in unzutrgliche
Wechselwirk ung treten mu. Das weitaus Klgste bleibt
es immer, sich vllig natrlich zu geben und zum
Beispiel nicht zu glauben, man msse ihn gleich mit
hohen und geistreichen Sujets, etwa gar von seinen
eigenen Werk en, unterhalten. Nichts ist unratsamer.
Vielmehr empfiehlt es sich, ihm von einfachen und
k onk reten Dingen der eigenen Erfahrung harmlos
vorzuplaudern, wobei er denn, der des Menschlichen
und Wirk lichen niemals satt wird, schnellstens
aufzutauen pflegt und in die Lage k ommt, seiner
teilnehmenden Gte behaglichen Lauf zu lassen. Ich
brauche nicht zu sagen, da ich bei alldem nicht eine
Vertraulichk eit im Sinn habe, die den Abstand auer
Acht lt, in dem er sich von uns allen befindet, und
der er denn doch auch wieder, wie manches warnende
Beispiel zeigt, ein schnelles Ende zu bereiten wei.
Charlotte sah den lehrhaften Getreuen nur blinzelnd
an whrend dieser Rede und wute nicht, was
entgegnen. Unwillk rlich stellte sie sich vor und fand
sich auffallend befhigt, es sich einzubilden wie

schwierig es Fremdlingen, die an Lampenfieber litten,


fallen mute, aus solcher Ermahnung zur
Unbefangenheit, Nutzen fr ihren Gleichmut zu ziehen.
Die gegenteilige Wirk ung, dachte sie allgemein, war
das Wahrscheinlichere. Persnlich war sie gek rnk t
durch die Einmischung, die in dieser
Maregelerteilung lag.
Recht vielen Dank , sagte sie schlielich, Herr
Hofrat, fr Ihre Hinweise. Schon mancher wird Ihnen
dank bar dafr gewesen sein. Vergessen wir aber doch
nicht, da es sich in meinem Fall um die Erneuerung
einer vierundvierzigjhrigen Bek anntschaft handelt.
Ein Mensch, erwiderte er trock en, der jeden Tag,
ja jede {386}Stunde ein anderer ist, wird auch ein
anderer geworden sein nach vierundvierzig Jahren.
Nun, Carl, sagte er zu dem in der Richtung auf die
Zimmerflucht vorbergehenden Bedienten, wie ist die
Laune heut?
Durchschnittlich jovial, Herr Hofrat, antwortete
der junge Mann. Nur einen Augenblick spter, an der
Thr stehend, deren Flgel, wie Charlotte das zum
ersten Male sah, in die Wand hinein zu schieben
waren, verk ndigte er ohne viel Feierlichk eit, indem
er den Ton sogar gemtlich fallen lie:
Seine Excellenz.
Daraufhin begab Meyer sich zu den anderen Gsten,
die aus ihrer zerstreuten Conversation

zusammengetreten waren und sich in einigem Abstand


von den gesondert vor ihnen stehenden Kestner'schen
Damen hielten. Goethe k am bestimmten und k urzen,
etwas abgehack ten Schrittes herein, die Schultern
zurck genommen, den Unterleib etwas vorgeschoben,
in zweireihig gek npftem Frack und seidenen
Strmpfen, einen schn gearbeiteten silbernen Stern,
der blitzte, ziemlich hoch auf der Brust, das wei
batistene Halstuch gek reuzt und mit einer
Amethystnadel zusammengesteck t. Sein an den
Schlfen lock iges, ber der sehr hohen und gewlbten
Stirn schon dnnes Haar war gleichmig gepudert.
Charlotte erk annte ihn und erk annte ihn nicht von
beidem war sie erschttert. Vor allem erk annte sie auf
den ersten Blick das eigentmlich weite Geffnetsein
der eigentlich nicht gar groen, dunk el spiegelnden
Augen in dem braun getnten Gesichte wieder, von
denen das rechte betrchtlich niedriger sa, als das
link e, dies naiv groe Geschau, das jetzt durch ein
fragendes Aufheben der in sehr feinen Bgen zu den
etwas nach unten gezogenen ueren Augenwink eln
laufenden Brauen verstrk t wurde, einen Ausdruck , als
wollte er sagen: Wer sind denn all die Leute? Du
lieber Gott, wie sie ber das ganze Leben hinweg die
Augen des Jungen wiedererk annte! braune Augen,
genau genommen, {387}und etwas nahe beisammen, die

aber meistens als schwarz angesprochen wurden, und


zwar, weil bei jeder Gemtsbewegung und wann war
sein Gemt nicht bewegt gewesen! die Pupillen sich so
stark erweiterten, da ihre Schwrze das Braun der
Iris schlug und den Eindruck beherrschte. Er war es
und war es nicht. Eine solche Felsenstirn hatte er sonst
k eineswegs gehabt, nun ja, ihre Hhe war dem
dnnen Zurck weichen des brigens sehr schn
angewachsenen Haares zuzuschreiben, sie war einfach
ein Produk t der blolegenden Zeit, wie man sich zur
Beruhigung sagen wollte, ohne da rechte Beruhigung
dabei herausk am; denn die Zeit, das war das Leben,
das Werk , welche an diesem Stirngestein durch die
Jahrzehnte gemetzt, diese einst glatten Zge so
ernstlich durchmodelliert und ergreifend eingefurcht
hatte, Zeit, Alter, hier waren sie mehr als Ausfall,
Blolegung, natrliche Mitgenommenheit, die htte
rhren und melancholisch stimmen k nnen; sie waren
voller Sinn, waren Geist, Leistung, Geschichte, und
ihre Ausprgungen, sehr fern davon, bedauerlich zu
wirk en, lieen das denk ende Herz in freudigem
Schreck en k lopfen.
Goethe war damals siebenundsechzig. Charlotte htte
von Glck sagen k nnen, da sie ihn jetzt wiedersah
und nicht fnfzehn Jahre frher, zu Beginn des
Jahrhunderts, wo die schwerfllige Beleibtheit, mit der
es schon in Italien angefangen, auf ihre Hhe

gek ommen war. Er hatte diese Erscheinungsform lngst


wieder abgelegt. Trotz der Steifigk eit des Gehens, die
aber auch an manches immer schon Charak teristische
erinnerte, wirk ten die Glieder jugendlich unter dem
ausnehmend feinen und glnzenden Tuch des
schwarzen Frack s; seine Figur hatte sich im letzten
Jahrzehnt derjenigen des Jnglings wieder mehr
angenhert. Die gute Charlotte hatte manches
bersprungen, besonders was sein Gesicht betraf, das
dem des Freundes von Wetzlar ferner war, als es ihr
schien, {388}da es durch Stadien hindurchgegangen,
die sie nicht k annte. Einmal war es in mrrische
Dick igk eit mit hngenden Wangen verwandelt
gewesen, soda es der Jugendgenossin weit schwerer
gefallen wre, sich darin zurechtzufinden, als auf
seiner gegenwrtigen Stufe. brigens war etwas
Gespieltes darin, nach dessen Wozu man sich fragte:
hauptschlich durch die Unschuldsmiene schlecht
motivierter Verwunderung ber den Anblick der
wartenden Gste; aber es schien zudem, alsob der breit
geschnittene und vollk ommen schne, weder zu
schmale noch zu ppige Mund, mit tiefen Wink eln,
welche in der Altersmodellierung der unteren Wangen
ruhten, an einer bermigen Beweglichk eit litte,
einem nervsen Zuviel von rasch einander
verleugnenden Ausdruck smglichk eiten, und auf eine

unaufrichtige Art in der Wahl zwischen ihnen


schwank e. Ein Widerspruch zwischen der gemeielten
Wrde und Bedeutendheit dieser Zge und dem
k indlichen Zweifel, einer gewissen Kok etterie und
Zweideutigk eit, die sich, bei etwas schrg geneigtem
Kopf, darin malten, war unverk ennbar.
Beim Hereink ommen hatte der Hausherr mit der
rechten Hand nach seinem link en Arm dem
rheumatischen Arm gefat. Nach ein paar Schritten
ins Zimmer lie er ihn los, machte stehen bleibend der
Allgemeinheit eine liebenswrdig ceremonielle
Verbeugung und trat dann auf die ihm zunchst
stehenden Frauen zu.
Die Stimme denn nun sie war vllig die alte
geblieben, der k langvolle Baryton, in dem schon der
schmale Jngling gesprochen und vorgelesen, es war
sehr wunderlich, ihn, um einiges schleppender
vielleicht und gemessener aber etwas Gravittisches
war auch einst schon darin gewesen aus der
Altersgestalt wieder ertnen zu hren.
Meine lieben Damen, sagte er, indem er jeder eine
Hand reichte, Charlotten die rechte und Lottchen die
link e, dann aber sogar ihrer beider Hnde
zusammenzog und sie zwischen den {389}seinen hielt,
so k ann ich Sie denn endlich mit eigenem Munde in
Weimar willk ommen heien! Sie sehen da jemanden,
dem die Zeit lang geworden ist bis zu diesem

Augenblick . Das nenne ich eine treffliche, belebende


berraschung. Wie mssen unsere guten
Landk ammerrats sich nicht gefreut haben ber so
lieb'erwnschten Besuch! Nichtwahr, es mu nicht
gesagt sein, wie sehr wir es zu schtzen wissen, da
Sie, einmal in diesen Mauern, an unserer Thr nicht
vorbergegangen sind!
Er hatte lieb-erwnscht gesagt, dank dem halb
verschmten, halb genieerischen Ausdruck , den sein
lchelnder Mund dabei gehabt, war die zarte
Stegreifbildung gar reizend herausgek ommen. Da
dieser Zauber sich mit Diplomatie verband, mit einem
vorbedachten, die Dinge vom ersten Worte an
entschieden regelnden Ausweichen, war Charlotten
nur zu deutlich schon aus der Bedchtigk eit und
berlegtheit seiner Worte war es zu erraten. Im Sinne
der Regelung zog er Nutzen daraus, da sie ihm nicht
allein gegenberstand, sondern mit ihrer Tochter,
hielt, alle vier Hnde zusammentuend, seine Rede im
Pluralischen und sprach auch von sich nicht
persnlich, sondern sagte wir, zog sich hinter sein
Haus zurck , indem er es als denk bar hinstellte, da
die Besucherinnen an unserer Thr auch htten
vorbergehen k nnen. brigens hatte er das reizende
lieb'erwnscht im Zusammenhange mit Ridels
gebildet.

Seine Augen gingen etwas unstt zwischen Mutter


und Tochter hin und her, aber auch ber sie hinaus
gegen die Fenster. Charlotte hatte nicht den Eindruck ,
da er sie eigentlich she; wessen er aber im Fluge
gewahr wurde, war, wie ihr nicht entging, das jetzt
ganz unbezhmbare Nick en ihres Kopfes: fr einen
k urzen Moment schlo er mit einem bis zur
Erstorbenheit ernsten und schonenden Ausdruck die
Augen vor der Wahrnehmung, k ehrte aber aus dieser
betrbten Zu{390}rck gezogenheit im Nu und als sei
nichts geschehen wieder zu verbindlicher Gegenwart
zurck .
Und Jugend, fuhr er fort, ganz gegen Lotte, die
Tochter, gewandt, fllt uns da wie ein goldener
Sonnenstrahl ins verschattete Haus
Charlotte, die bisher nur angedeutet hatte, es sei
doch selbstverstndlich gewesen, da sie an seiner Tr
nicht vorbergegangen sei, griff hier mit der flligen
und offenbar verlangten Vorstellung ein. Es sei ihr
Hauptwunsch gewesen, sagte sie, ihm dieses ihr Kind,
Charlotte, ihre Zweitjngste, aus dem Elsa bei ihr zu
Besuch auf einige Wochen, unter die Augen zu stellen.
Sie sprach ihn mit Excellenz an bei diesen Worten,
wenn auch rasch und undeutlich, und er verwies es ihr
nicht, bat sich k eine andere Anrede aus, vielleicht weil
er mit der Betrachtung der Prsentierten beschftigt
war.

Hbsch, hbsch, hbsch! sagte er. Diese Augen


mgen unter der Mnnerwelt schon manches Unheil
angerichtet haben.
Das Compliment war dermaen k onventionell und
pate auf die Pflegerin Bruder Carls so ganz und
garnicht, da es schon fast zum Himmel schrie. Das
herbe Lottchen bi sich denn auch mit wegwerfend
gequltem Lcheln schief in die Lippe, was ihn
bestimmen mochte, seine nchsten Worte mit einem
dahinstellenden Jedenfalls zu beginnen.
Jedenfalls, sagte er, ist es recht, recht schn, da
es mir denn doch auch einmal vergnnt ist, von der
wack eren Schar, die unser lieber seliger Hofrat mir
damals im Schattenri sandte, ein Mitglied in natura
vor mir zu sehen. Harrt man nur aus, so bringt die Zeit
alles heran.
Das glich einem Zugestndnis; die Erwhnung der
Scherenschnitte und Hans Christians bedeutete etwas
wie ein Abgehen von der Regelung, die Charlotte
sprte, und so war es wohl unrecht von ihr, da sie ihn
auch noch erinnerte, er habe im{391}merhin schon die
Bek anntschaft zweier ihrer Kinder gemacht, nmlich
Augusts und Theodors, als sie sich die Freiheit
genommen, ihn auf der Gerbermhle zu besuchen.
Gerade den Namen jenes Landsitzes htte sie vielleicht
nicht aussprechen sollen, denn er sah sie, nachdem er

von ihren Lippen gek ommen, einen Augenblick mit


einer Art von Entgeisterung an, zu schreck haft, als
da man sie bloem Sich besinnen auf die Begegnung
htte zuschreiben k nnen.
Ei freilich doch! rief er dann. Wie k onnte ich das
vergessen! Verzeihen Sie diesem alten Kopf! Und statt
etwa auf den vergelichen Kopf zu deuten, streichelte
er, wie beim Hereink ommen mit der Rechten den
link en Arm, auf dessen leidenden Zustand er offenbar
aufmerk sam zu machen wnschte. Wie geht es den
prchtigen jungen Mnnern? Gut, das dachte ich mir.
Das Wohlergehen liegt in ihren trefflichen Naturen, es
ist ihnen eingeboren k ein Wunder bei solchen Eltern.
Und die Damen sind angenehm gereist? fragte er
noch. Ich will es glauben; die Streck e Hildesheim,
Nordhausen, Erfurt ist k ultiviert und bevorzugt, gute
Pferde meist, gute Verk stigung mehrfach am Wege
und mig expensiv, Sie werden k aum mehr als fnfzig
Thaler netto bezahlt haben.
Er sagte es, indem er dieses gesonderte
Zusammenstehen auflste, sich in Bewegung setzte und
die Kestners zur brigen Gesellschaft
hinbermanvrierte.
Ich nehme an, sprach er, da unser vortrefflicher
Juvenil (damit war August gemeint) Sie schon mit den
wenigen werten Anwesenden bek annt gemacht hat.
Diese ebenfalls schnen Frauen sind Ihre Freundinnen,

diese wrdigen Mnner Ihre Verehrer Er begrte


der Reihe nach Madame Kirms in der Haube, die
Baurtin Coudray im groen Hut, die geistige Riemer,
die k lassische Meyer und Amalie Ridel, der er schon
vorhin, beim lieb'erwnschten Besuch von Weitem
einen sprechenden Blick gesandt hatte, und drck te
dann, wie sie da {392}standen, den Herren die Hand,
mit Auszeichnung des stadtfremden Bergrates Werner,
eines freundlich gedrungenen Fnfzigers mit frischen
uglein, einer Glatze und lock igem weiem Haar am
Hinterhaupt, die rasierten Wangen behaglich in den
stehenden, von der weien Binde umwick elten, das
Kinn frei lassenden Kragen seines Hemdes geschmiegt.
Ihn ersah er mit einer k leinen, nach hinten und
seitlich gehenden Bewegung des Kopfes und einem
verstndig ermdeten, das Formelle abtuenden
Ausdruck , als wollte er sagen: Ah, endlich, was soll
der Unsinn, da haben wir etwas Rechtes, einer
Gebrde, die auf Meyers und Riemers Gesichtern einen
der Eifersucht abgeheuchelten, gnnerischen Beifall
hervorrief, und wandte sich nach Absolvierung der
anderen dem Geognostik er auch gleich wieder
angelegentlich zu, whrend die Damen Charlotten
umdrngten, indem sie sie tuschelnd und sich mit
Fchern schtzend befragten, ob sie finde, da Goethe
sich sehr verndert habe.

Man stand noch eine Weile in dem von der


k lassischen Riesenbste beherrschten, mit gestick ten
Wandbordren, Aquarellen, Kupfern und Oelgemlden
geschmck ten Empfangszimmer umher, dessen Sthle,
schlicht von Form, symmetrisch an den Wnden, neben
den wei gerahmten Tren und vor den Fenstern
zwischen ebenfalls wei lack ierten
Sammlungsschrnk en angeordnet waren. Durch die
vielen berall aufgestellten Schauobjek te und k leinen
Altertmer, die geschliffenen Chalcedon-Schalen auf
Marmortischchen, die geflgelte Nik e, die den
bedeck ten Sofatisch unter der Hochzeit zierte, die
antik en Gtterbildchen, Larven und Faunen unter
Glasstrzen auf den Schubschrnk en, machte der
Raum einen k unstk abinettartigen Eindruck . Charlotte
lie den Hausherrn nicht aus den Augen, der mit
gespreizten Beinen, in bergerader, zurck gelehnter
Haltung, die Hnde bei gestreck ten Armen im Rck en
zusammengelegt, in seinem seidenfeinen {393}Leibrock ,
auf dem der Silberstern bei jeder Bewegung blitzte,
dastand und abwechselnd mit einem und dem anderen
der mnnlichen Gste, mit Werner, mit Kirms, mit
Coudray, Conversation machte, vorlufig nicht mehr
mit ihr. Es war ihr lieb und recht, ihm unter der Hand
zusehen zu k nnen und nicht mit ihm sprechen zu
mssen, was nicht hinderte, da treibende Ungeduld
sie erfllte, das Gesprch mit ihm fortzusetzen, da sie

es als dringliche Notwendigk eit empfand, whrend


doch wieder die Beobachtung seines Verk ehrs mit
anderen ihr auf irgend eine Weise die Lust dazu
austrieb und sie berzeugte, da derjenige, dem gerade
der Vorzug zuteilwurde, es nicht sehr gut hatte.
Ihr Jugendfreund wirk te beraus vornehm, darber
war k ein Zweifel. Seine Kleidung, die einst bermtig
gesucht gewesen, war jetzt gewhlt, hinter der letzten
Mode mit Gemessenheit etwas zurck haltend, und das
leicht Altfrnk ische darin mochte wohl harmonieren
mit der Steifigk eit seines Stehens und Tretens und
zusammen damit den Eindruck der Wrde erweck en.
Obgleich aber sein Gehaben das breit Aufgepflanzte
und Zurck genommene hatte und er den schnen Kopf
hoch trug, schien es dennoch, als stnde jene Wrde
nicht auf den festesten Beinen; es war, wen er auch vor
sich hatte, in seiner Haltung etwas Schwank endes,
Unbequemes, Befangenes, das in seiner Unsinnigk eit
den Beobachter ebenso beunruhigte wie den jeweiligen
Gesprchspartner, indem es diesem den sonderbarsten
Zwang auferlegte. Da jedermann fhlt und wei, da
es Sachlichk eit ist, worauf die natrliche Freiheit und
selbstvergessene Unmittelbark eit des Benehmens
beruht, so flte diese Gezwungenheit ganz von selbst
die Ahnung mangelnder Anteilnahme an Menschen
und Dingen ein und war danach angethan, auch den

Partner auf eine ratlose Weise dem Gegenstande


abwendig zu machen. Die Augen des Hausherrn hatten
die Gewohnheit, aufmerk sam auf dem Gegenber zu
{394}ruhen, solange dieser ihn im Sprechen nicht
ansah, sobald er aber den Blick auf ihn richtete,
abzuschweifen und ber seinem Kopfe unstt im
Zimmer herumzugehen.
Charlotte sah dies alles mit Frauenscharfblick , und
man k ann nur wiederholen, da es ihr ebensoviel
Furcht davor einflte, das Gesprch mit dem Freunde
von einst wieder aufzunehmen, wie es sie auch wieder
mit dem Gefhl dringlichster Notwendigk eit erfllte,
dies zu tun. brigens mochte vieles von den
Eigentmlichk eiten seines Benehmens auf Rechnung
des nchtern-vorlufigen Vor-Tisch-Zustandes zu setzen
sein, der ihm zu lange dauerte. Mehrmals sah er mit
fragend erhobenen Brauen zu seinem Sohne hinber,
dem die Verantwortung eines Hausmarschalls
zuzuk ommen schien.
Endlich nherte sich ihm der Bediente mit der
erwnschten Meldung, und rasch abbrechend
verk ndete er sie der k leinen Versammlung.
Liebe Freunde, man bittet uns zur Suppe, sagte er.
Damit trat er auf Lotte und Lottchen zu, nahm sie mit
einer gewissen Contretanz-Zierlichk eit bei den Hnden
und erffnete mit ihnen den Eintritt in den
anstoenden sogenannten Gelben Saal, wo heute

gedeck t war, weil das weiterhin gelegene Kleine


Ezimmer fr sechszehn Personen nicht ausgereicht
htte.
Der Name Saal war leicht bertrieben fr den
Raum, der die Gesellschaft nun aufnahm, doch war er
gestreck ter als der eben verlassene und wies seinerseits
gleich zwei weie Kolossalk pfe auf: einen Antinous,
melancholisch vor Schnheit, und einen majesttischen
Jupiter. Eine Suite von k olorierten Kupfern
mythologischen Gegenstandes und eine Copie von
Tizians Himmlischer Liebe schmck ten die Wnde.
Auch hier thaten hinter offenen Thren Durchblick e
in weitere Rumlichk eiten sich auf, und besonders
hbsch war der der Schmalseite durch eine Bstenhalle
auf den umrank ten Altan und die zum Garten
hinabfhrende Treppe. Die Tafel war {395}mit mehr als
brgerlicher Eleganz, mit feinem Damast, Blumen,
silbernen Armleuchtern, vergoldetem Porzellan und
dreierlei Glsern fr jedes Couvert gedeck t. Es
bedienten der junge Livrierte und ein lndlich
rotbck iges Hausmdchen in Hubchen, Mieder,
weien Puff-Aermeln und dick em, hausgeschneidertem
Rock .
Goethe sa in der Mitte der einen Lngsseite
zwischen Charlotte und ihrer Schwester, denen sich
zur Rechten und Link en Hofk ammerrat Kirms und

Professor Meyer, weiterhin einerseits Mme Meyer und


andererseits Mme Riemer anreihten. August hatte
wegen Herren-berschusses das Prinzip der Bunten
Reihe nicht ganz einhalten k nnen. Er hatte den
Bergrat seinem Vater gegenber placiert und ihm zum
rechten Nachbarn Dr. Riemer geben mssen, mit dem
er sich selbst in die Gesellschaft Lottchens, der
Jngeren teilte. Link s von Werner, Charlotten
gegenber, sa Mme Coudray, an die Dr. Ridel und Mme
Kirms sich schlossen. Herr Stephan Schtze und der
Ober-Baurat nahmen die Schmalseiten der Tafel ein.
Die Suppe, eine sehr k rftige Brhe mit
Mark k lschen darin, hatte rings herum bereit
gestanden, als man seine Pltze einnahm. Der
Hausherr brach mit einer Bewegung, die etwas
Weiheak tartiges hatte, sein Brot ber seinem Teller. Er
nahm sich im Sitzen viel besser und freier aus, denn im
Stehen und Gehen; vor allem htte man ihn sitzend fr
grer geschtzt, als die aufrechte Haltung ihn zeigte.
Aber es war wohl die Situation selbst, der
gastgeberisch-hausvterliche Vorsitz bei Tische, der
seiner Erscheinung Bequemlichk eit und Behagen
verlieh: er schien sich in seinem Elemente darin zu
fhlen. Mit groen Augen, in denen es schalk haft
blitzte, blick te er in dem noch schweigenden Kreise
umher, und wie er mit der Gebrde des Brotbrechens
gleichsam die Mahlzeit erffnete, so schien er das

Gesprch anstimmen zu wollen, indem er in seiner


bedchtigen, k lar artik ulierten und wohlgeordneten
Sprechweise, die {396}diejenige eines in
Norddeutschland gebildeten Sddeutschen war, in die
Runde sagte:
So wollen wir den Himmlischen Dank wissen, liebe
Freunde, fr dies heitere Beisammensein, das sie uns
aus so freudig-wertem Anla bereiten, und uns des
bescheidenen, treu bereiteten Mahles erfreuen!
Damit begann er zu lffeln, und alle thaten
desgleichen, nicht ohne da die Gesellschaft mit
Blick en, Nick en und schwrmerischem Lcheln sich
ber die Vortrefflichk eit der k leinen Rede
verstndigt , unter einander sich gleichsam bedeutet
htte: Was will man machen? Er trifft es immer aufs
schnste.
Charlotte sa eingehllt in den Eau de Cologne-Duft,
der von der Person ihres Nachbarn zur Link en
ausging, und bei dem sie sich unwillk rlich des
Wohlgeruchs erinnerte, an dem nach Riemers
Worten das Gttliche zu erk ennen war. In einer Art
von ungengendem Traumdenk en erschien ihr dieser
Eau de Cologne-Duft, frisch wie er war, als die
nchterne Wirk lichk eit des sogenannten Gottesozons.
Whrend ihr Hausfrauensinn nicht umhin k onnte,
festzustellen, da die Mark k lschen tatschlich treu

bereitet, das heit: musterhaft lock er und fein von


Substanz waren, hielt ihr ganzes Wesen in einer
Spannung, einer Erwartung aus, die sich gewissen
Regelungen trotzig entgegensetzte und k eineswegs
darauf verzichtete, mit ihnen fertig zu werden. In
dieser Hoffnung, die nher zu bestimmen schwierig
gewesen wre, fhlte sie sich bestrk t durch ihres
Nachbarn behaglich-freieres Verhalten als
Vorsitzender seines Gastmahls und wieder
beeintrchtigt durch den Umstand, da sie, wie
freilich unvermeidlich, an seiner Seite sa und nicht
ihm gegenber: denn wieviel gnstiger ihren inneren
Bestrebungen wre es gewesen, ihn Aug' in Auge vor
sich zu haben, und wie sehr htte es die Aussicht
verbessert, da ihm die Augen aufgingen fr ihre
sinnreiche Tracht, die das Mittel {397}dieser
Bestrebungen war! Sie wnschte sich eiferschtig an
des frhlich blick enden Werners Stelle, gespannt auf
die Anrede, die sie von der Seite zu gewrtigen hatte,
da sie ihr doch lieber frontal und bei gerader Sicht
begegnet wre. Aber ihr Tischherr wandte sich nicht
besonders an sie, sondern sprach allgemein zur
Nachbarschaft, indem er nach einigen Lffeln Suppe
die beiden Weinflaschen, die in silbernen Unterstzen
vor ihm standen, (gegen die beiden Enden des Tisches
hin stand auch je ein Paar) eine nach der anderen
etwas schrg hielt, um die Etik etts zu lesen.

Ich sehe, sagte er, mein Sohn hat sich nicht


lumpen lassen und uns zwei lbliche
Herzensstrk ungen aufgetischt, von denen die
vaterlndische es mit der welschen aufnehmen k ann.
Wir halten fest an der patriarchalischen Sitte des
Selbst-Einschenk ens sie bleibt dem Kredenzen durch
dienstbare Geister und dem prezisen glasweisen
Herumreichen vorzuziehen, das ich nicht leiden k ann.
Auf unsere Art hat man freie Hand und sieht seiner
Flasche an, wie weit man's mit ihr gebracht. Wie
denk en Sie, meine Damen, und Sie, lieber Bergrat? Rot
oder wei? Ich meine: die heimische Rebe zuerst und
den Franzen zum Braten oder, der wrmenden
Grundlage wegen, erst gleich von diesem? Ich will fr
ihn einstehen, dieser Lafite von achter Ernte geht
recht mild ins Gemt, und ich fr mein Teil verschwr'
es nicht ganz, da ich nicht spter noch bei ihm
ank lopfe, aber freilich ist der eilfer Piesporter
Goldtropfen hier ganz danach angethan, monogame
Neigungen zu erweck en, wenn man sich einmal mit
ihm eingelassen. Unsere lieben Deutschen sind ein
vertrack tes Volk , das seinen Propheten allzeit soviel zu
schaffen macht, wie die Juden den ihren, allein ihre
Weine sind nun einmal das Edelste, was der Gott zu
bieten hat.
Werner lachte ihm nur erstaunt ins Gesicht. Kirms

aber, ein Mann mit schmalem, von lock igem grauen


Haar bedeck tem Oberk opf und schweren Augenlidern,
erwiderte:
{398}Excellenz vergessen, es den schlimmen
Deutschen zugute zu rechnen, da sie Sie
hervorgebracht haben.
Das Beifallsgelchter, das Meyer zur Link en und
Riemer schrg gegenber anstimmten, verriet, da sie
mit ihren Ohren bei dem Gesprch um den Hausherrn,
nicht bei ihren Nachbarn waren.
Goethe lachte ebenfalls, ohne die Lippen zu trennen,
vielleicht um den Verfall seiner Zhne nicht blick en zu
lassen.
Wir wollen das als einen passablen Zug gelten
lassen, sagte er. Und dann erk undigte er sich bei
Charlotte, was sie zu trink en wnsche.
Ich bin des Weins nicht gewhnt, antwortete sie.
Er benimmt mir zu leicht den Kopf, und nur um der
Freundschaft willen nippe ich wohl ein wenig mit.
Wonach ich eigentlich fragen mchte, ist die Quelle
da. Sie wies mit dem Kopfe auf eine der ebenfalls
aufgestellten Wasserflaschen. Was mag es sein?
O, mein Egerwasser, erwiderte Goethe. Ihre
Neigung bert Sie ganz recht, der Sprudel k ommt mir
nicht aus dem Haus, unter allen Nchternheiten der
Erde ist er es, mit dem ich die besten Erfahrungen
gemacht. Ich schenk e Ihnen ein davon unter der

Bedingung, da Sie doch auch von diesem goldenen


Geiste ein wenig k osten und unter der weiteren, da
Sie die Sphren nicht vermischen und mir k ein Wasser
in Ihren Wein tun, was eine sehr ble Sitte ist.
Er besorgte an seinem Orte das Einschenk en,
whrend weiter gegen die Tischenden hin sein Sohn
und andererseits Dr. Ridel das Geschft versahen.
Unterdessen wurden die Teller gewechselt und ein
berback enes Fisch-Ragot mit Pilzen in Muscheln
serviert, das Charlotte, obgleich es ihr an Elust
fehlte, sachlich als ausnehmend schmack haft
beurteilen mute. Gespannt auf alles, von einer still
forschenden Aufmerk samk eit erfllt, fand sie diesen
Hochstand der Kche sehr interessant {399}und schrieb
ihn den Ansprchen des Hausherrn zu, besonders da
sie, jetzt wie auch spter, beobachtete, da August mit
seinen melancholisch versten und soviel weniger
blick stark en Vater-Augen fast ngstlich fragend zu
ihrem Tischherrn hinbersah, besorgt, ob er das
Gericht gelungen finde. Goethe hatte sich als Einziger
zwei von den Muscheln genommen, lie dann aber die
zweite fast unberhrt. Da bei ihm, wie man zu sagen
pflegt, die Augen weiter gingen als der Magen (oder als
die Zhne), zeigte sich auch nachher bei dem
vorzglichen Filet, das, mit Gemsen reich garniert,
auf langen Schsseln herumgereicht wurde, und wovon

er sich so berreichlich auf den Teller hufte, da er


zuletzt die Hlfte brig lie. Dagegen trank er in
groen Zgen, vom Rheinwein sowohl wie vom
Bordeaux, und sein Einschenk en, das wie jenes
Brotbrechen jedesmal etwas Ceremonielles hatte, galt
vorzugsweise ihm selber. Die Piesporterflasche zumal
mute bald ausgewechselt werden. Sein ohnedies
dunk el getntes Gesicht trat im Lauf der Mahlzeit in
noch entschiedeneren Kontrast zu der Bleiche des
Haars.
Seiner eingieenden Hand, welche, von einer
gek ruselten Manschette eingefat, mit ihren k urz
gehaltenen, wohl geformten Ngeln bei aller Breite
und Krftigk eit etwas geistig Durchgebildetes hatte
und mit fester Anmut den Flaschenleib umfate, sah
Charlotte immer wieder mit der eindringlichen und
etwas benommenen Aufmerk samk eit zu, die whrend
dieser Stunden nicht von ihr wich. Ihr spendete er
wiederholt vom Egerwasser und fuhr gleich anfangs
darber sich auszulassen fort, indem er in seiner
langsamen, ohne Monotonie tieftnenden und
besonders k lar artik ulierten Sprechweise, bei der nur
manchmal nach Stammesart die Endk onsonanten
wegfielen, von seiner ersten Bek anntschaft mit diesem
zutrglichen Brunnen erzhlte, und wie er sich
alljhrlich davon durch die sogenannten
Franzensdorfer Krugfhrer nach Weimar k om{400}men

lasse, auch in den letzten Jahren, wo er den


bhmischen Bdern fern geblieben, zu Hause
systematische Trink k uren damit durchzufhren
gesucht habe. Es lag wohl an der auergewhnlich
przisen und deutlichen Redeweise, bei der sein Mund
sich hchst angenehm, in halbem Lcheln bewegte,
und die etwas ungewollt Durchdringendes,
Beherrschendes hatte, da man ihm allgemein dabei
zuhrte am Tische, wie denn whrend der ganzen
Mahlzeit das Einzelgesprch dnn und sporadisch blieb
und, sobald er zu sprechen begann, immer wieder die
gemeinsame Aufmerk samk eit sich dem Hausherrn
zuwandte. Er k onnte dies k aum verhindern oder
hchstens dadurch, da er sich mit betonter Disk retion
zu einem seiner Nachbarn neigte und sehr gedmpft
das Wort an ihn richtete; aber selbst dann lauschte
man herber.
So war es, als er, nach dem guten Wort, das
Hofk ammerrat Kirms fr das Volk der Deutschen
eingelegt, Charlotten sozusagen unter vier Augen
Person und Vorzge ihres anderen Tischherrn zur
Rechten zu erk lren begann: ein wie hoch um den
Staat verdienter Mann und hervorragender
Wirtschaftsprak tik us er sei, die Seele des
Hofmarschallamts, dabei ein Freund der Musen und
feinsinniger Liebhaber der dramatischen Kunst,

unschtzbar als Mitglied der in diesem Jahre neu


gegrndeten Hoftheater-Intendanz. Fast htte es
ausgesehen, als wollte er sie zur Unterhaltung an
Kirms verweisen, sie sozusagen nach dessen Seite
abschieben, wenn er nicht doch die Erk undigung nach
ihrem eigenen Verhltnis zum Theater daran gek npft
und vermutet htte, gewi werde sie ihren Aufenthalt
dazu benutzen wollen, sich von der Leistungsfhigk eit
der Weimarer Bhne ein Bild zu machen. Er stellte ihr
seine Loge zur Verfgung, wann immer sie Lust haben
werde, sie zu benutzen. Sie dank te vielmals und
antwortete, da sie persnlich am Comdiespiel immer
viel Freude gehabt habe, da aber in ihren Kreisen
geringes Interesse dafr vorhanden gewesen, {401}auch
das Hannver'sche Theater nicht danach angetan
gewesen sei, den Sinn dafr zu beleben, weshalb sie
denn, von Lebenspflichten ohnedies immer stark in
Anspruch genommen, sich diesem Genu einigermaen
entfremdet finde. Das berhmte, von ihm geschulte
Weimarer Ensemble k ennen zu lernen, werde ihr aber
sehr lieb und wichtig sein.
Whrend sie sich so mit etwas k leiner Stimme
uerte, hrte er, den Kopf gegen ihren Teller geneigt,
Verstndnis nick end zu, indem er zu ihrer Beschmung
einige Brsel und Kgelchen, zu denen sie in Gedank en
ihr Brot zerk rmelt, einzeln mit dem Ringfinger
auftupfte und sie zu einem ordentlichen Hufchen

zusammenlegte. Er wiederholte seine Einladung in die


Loge und wollte hoffen, da die Umstnde es erlauben
mchten, ihr eine Auffhrung des Wallenstein zu
zeigen, die, mit Wolff in der Titelrolle, eine sehr
ansehnliche Darbietung sei und schon manchen
Fremden beeindruck t habe. Danach fand er es selber
drollig, wie eine doppelte Ank npfung, die an das
Schiller'sche Stck und die an das Tafelwasser, ihn auf
die alte Burg zu Eger in Bhmen brachte, in der die
vornehmsten Anhnger Wallensteins niedergemacht
worden, und die ihn als Bauwerk hchlich
interessierte. Von dieser begann er zu sprechen und
brauchte sich dabei nur von Charlottens Teller
abzuwenden und die intime Dmpfung seiner Stimme
aufzuheben, um sogleich wieder die ganze Tafel zu
Zuhrern zu haben. Der sogenannte Schwarze Turm,
uerte er, etwa von der ehemaligen Zugbrck e
gesehen, sei ein gar groartiges Werk , dessen Gestein
wahrscheinlich vom Kammerberge stamme. Dies sagte
er zu dem Bergrat, indem er ihm fachlich-vertraulich
zunick te. Die Steine, so berichtete er, seien
ausnehmend k unstreich behauen und so
zusammengesetzt, wie sie am besten der Witterung
htten widerstehen k nnen, soda sie beinahe die
Form gewisser loser Feldk rystalle bei Elbogen htten.
Und im Anschlu an diese Formverwandtschaft k am er,

{402}sehr

belebt und mit glnzenden Augen, auf einen


mineralogischen Fund zu sprechen, den er auf einem
Wagen-Ausfluge in Bhmen, auf der Fahrt von Eger
nach Liebenstein gemacht, wohin ihn nicht nur das
merk wrdige Ritterschlo, sondern auch der dem
Kammerberge gegenber sich erhebende und geologisch
sehr lehrreiche Plattenberg gelock t.
Der Weg dorthin, so schilderte er mit viel
Anschaulichk eit und Laune, sei halsbrecherisch
schlecht gewesen, mit groen, wassergefllten Lchern
berst, deren Tiefe nicht zu berechnen gewesen, und
sein Begleiter im Wagen, ein dortiger Beamter, habe in
tausend Aengsten geschwebt, angeblich um seine, des
Erzhlers Person, in Wirk lichk eit aber ganz
unverk ennbar um seine eigene, soda er ihn immerfort
habe beruhigen und ihn auf die Tchtigk eit des
Kutschers habe hinweisen mssen, der seine Sache so
gut verstanden habe, da Napolon, htte er den
Menschen gek annt, ihn zu seinem Leibk utscher
gemacht haben wrde. In die groen Lcher sei er
behutsam mitten hineingefahren das beste Mittel, ein
Umwerfen zu vermeiden. Wie wir denn nun, so ging
die Erzhlung, auf der auch noch steigenden Strae
im Schritte dahinhumpeln, gewahr' ich etwas zur Seite
am Boden, was mich denn doch bestimmt, ganz sacht
vom Wagen zu steigen und mir das Ding nher
anzusehen. Nun, wie k ommst du daher? Ja, wie k ommst

denn du daher? frage ich, denn was blick t mir da aus


dem Schmutze glnzend entgegen? Ein FeldspatZwillingsk rystall!
Ei, der tausend! sagte Werner. Aber obgleich er
mutmalich Charlotte vermutete es und hoffte es
beinahe der Einzige am Tische war, der so recht
wute, was das sei, ein Feldspat-Zwillingsk rystall, so
zeigten sich doch alle entzck t ber des Erzhlers
Begegnung mit dem Naturspiel und zwar ganz
aufrichtig; denn er hatte sie so erquick end dramatisch
gestaltet, und namentlich das herzlich erstaunte und
erfreute Hinabre{403}den auf den Fund Ja, wie
k ommst denn du daher? war so reizend gewesen, so
neu und rhrend und mrchenhaft hatte es gewirk t,
da ein Mensch und was fr ein Mensch! einen
Stein mit Du anredete, da k eineswegs nur der Bergrat
dabei auf seine Kosten k am. Charlotte, die mit gleicher
Anspannung den Sprechenden wie die Zuhrer
beobachtete, sah Liebe und Freude auf allen
Gesichtern, zum Beispiel auf demjenigen Riemers, wo
sie sich ganz eigentmlich mit dem maulenden Zuge
mischten, der dort immer waltete; aber auch auf
Augusts Gesicht, ja auf dem Lottchens erk annte sie sie,
und besonders in den sonst trock en-unbeweglichen
Zgen Meyers, der sich an Amalie Ridel vorbei gegen
den Erzhler vorbeugte, um an seinen Lippen zu

hngen, sah sie eine so innige Zrtlichk eit sich


abspiegeln, da ihr selbst, sie wute nicht wie, die
Thrnen in die Augen traten.
Es war ihr nichts weniger als willk ommen, da nach
dem k urzen Privatgesprch, das der Jugendfreund mit
ihr gepflogen, seine Rede immer endgltiger der
ganzen Tafelrunde galt, teils weil diese danach
verlangte, teils aber auch, wie Charlotte sich nicht
verhehlte, der Regelung gem. Und doch k onnte sie
sich eines charak teristischen, man mchte sagen:
mythisch gestimmten Wohlgefallens an diesem
patriarchalischen Monologisieren des vorsitzenden
Hausvaters nicht erwehren. Eine alte Wortverbindung
und dunk le Erinnerung k am ihr dabei in den Sinn und
setzte sich hartnck ig in ihr fest. Luthers
Tischgesprche, dachte sie und verteidigte den
Eindruck bei sich gegen alle physiognomische
Unstimmigk eit.
Essend, trink end und einschenk end, zwischendurch
zurck gelehnt und die Hnde ber seiner Serviette
gefaltet, sprach er weiter, meist langsam, in tiefer
Stimmlage und gewissenhaft nach dem Worte suchend,
zuweilen aber auch lok k erer und geschwinder, wobei
dann die Hnde sich wohl zu Gesten lsten, die groe
Leichtigk eit und Anmut hatten. Sie {404}erinnerten
Charlotte daran, da er gewohnt war, mit
Schauspielern Didask alien des Geschmack s und der

theatralischen Wohlgeflligk eit zu halten. Seine Augen


mit den eigentmlich gesenk ten Auenwink eln
umfaten die Tischgesellschaft mit Glanz und
Herzlichk eit, whrend sein Mund sich regte nicht
immer gleich angenehm: seine Lippen schienen
zeitweise von unschnem Zwange verzogen, der
qulend und rtselhaft zu beobachten war und das
Vergngen an seinem Sprechen in Unruhe und Mitleid
verwandelte. Doch schwand der Bann meist rasch
wieder, und dann war die Bewegung dieses schn
geformten Mundes von so wohliger Liebenswrdigk eit,
da man sich wunderte, wie genau und unbertrieben
das homerische Epitheton ambrosisch, mochte man
es auch noch nie auf die Wirk lichk eit angewandt
haben, diese Anmut bezeichnete.
Er sprach noch von Bhmen, von Franzensbrunn,
von Eger und dem gepflegten Reiz seines Tales,
schilderte ein Kirchen- und Ernte-Dank fest, dem er
dort beigewohnt, die fahnenbunte Prozession von
Schtzen, Znften und urwchsigem Volk , welche,
gefhrt von schwer geschmck ter, Heiligtmer
tragender Klerisei, von der Hauptk irche ber den Ring
gezogen sei. Dann, mit gesenk ter Stimme,
vorgeschobenen Lippen und einem Unheilsausdruck ,
der doch auch wieder etwas episch Scherzhaftes hatte,
wie wenn man Kindern Schauriges erzhlt, berichtete

er von einer Blutnacht, die jene merk wrdige Stadt in


einem Jahrhundert der spteren Mittelzeit gesehen,
einem Judenmorden, zu dem sich die Einwohnerschaft
jh und wie im Krampf habe hinreien lassen und von
dem in alten Chronik en die Kunde gehe. Viele Kinder
Israel nmlich htten zu Eger gelebt, in mehreren
ihnen zugewiesenen Gassen, wo denn auch eine ihrer
berhmtesten Synagogen nebst Hoher Judenschule, der
einzigen in Deutschland, gelegen gewesen sei. Eines
Tages nun habe ein Barfer Mnch, der offenbar
fatale red{405}nerische Gaben besessen, das Leiden
Christi von der Kanzel herab aufs
erbarmungswrdigste geschildert und die Juden als die
Urheber alles Unheils emprend dargestellt, worauf ein
zur Tat geneigter und durch die Predigt auer sich
gebrachter Kriegsmann zum Hochaltar gesprungen sei,
das Kruzifix ergriffen und mit dem Schrei: Wer ein
Christ ist, folge mir nach! den Funk en in die
hochentzndliche Menge geworfen habe. Sie folgte ihm,
auen fand Gesindel jeglicher Art sich dazu, und ein
Plndern und Morden begann in den Judengassen,
unerhrt: die unseligen Bewohner seien in ein gewisses
schmales Gchen zwischen zweien ihrer Hauptstraen
geschleppt und dort gemetzelt worden, dergestalt, da
aus dem Gchen, welches noch heute die Mordgasse
heie, das Blut wie ein Bach herabgeflossen sei.
Entk ommen sei diesem Wrgen nur ein einziger Jude,

nmlich dadurch, da er sich in einen Schornstein


gezwngt und dort verborgen gehalten habe. Ihn habe
nach hergestellter Ruhe die reuige Stadt, welche
brigens von dem damals regierenden rmischen Knig
Karl dem Vierten fr das Vork ommnis ziemlich
empfindlich gepnt worden sei, feierlich als Brger von
Eger anerk annt.
Als Brger von Eger! rief der Erzhler. Da war er
denn was und fand sich prchtig entschdigt. Er hatte
vermutlich Weib und Kinder, sein Hab und Gut, all
seine Freunde und Verwandten, seine ganze
Gemeinschaft verloren, vom stick enden Drange des
Rauchfanges, worin er die grlichen Stunden
zugebracht, noch ganz zu schweigen. Nack t und blo
stand er da, war aber nun Brger von Eger und am
Ende noch stolz darauf. Kennt ihr die Menschen
wieder? So sind sie. Sie lassen's ber sich k ommen mit
Lust, da sie das Grulichste begehen, und genieen
nach gek hltem Mtchen auch noch die Geste reuiger
Gromut, womit sie die Schandtat abzugelten meinen,
was sein Rhrendes neben dem Lcherlichen hat. Denn
es k ann im Kollek tiven von Tat ja k aum, sondern nur
von Geschehen {406}die Rede sein, und man betrachtet
solche Ausbrche besser als ink alk ulable
Naturereignisse, die der Seelenlage der Epoche
entsteigen, wobei denn selbst noch das zu spt

k ommende Eingreifen einer doch immer vorhandenen


bergeordneten und k orrigierenden Humanitt eine
Wohltat ist: in unserm Falle das Dasein der rmischen
Majestt, welche so gut es geht die Ehre der
Menschheit rettet, indem sie eine Untersuchung des
argen casus anstellt und den zustndigen Magistrat
formell mit einer Geldstrafe belegt.
Man htte das grausige Vork ommnis nicht sachlichberuhigender und k hl-vershnlicher k ommentieren
k nnen, als er es tat, und das, fand Charlotte, war
wohl die rechte Art der Behandlung, wenn dergleichen
bei Tische ertrglich sein sollte. Charak ter und
Schick sal der Juden blieben noch eine Weile sein
Gegenstand, wobei er Bemerk ungen auffing und
gleichsam mit verarbeitete, die von einem oder dem
anderen Tafelgast, Kirms, Coudray, auch der
gescheuten Meyer, gelegentlich eingeworfen wurden.
Er uerte sich ber die Eigenart jenes merk wrdigen
Volk es mit abrck ender Ruhe und leicht belustigter
Hochachtung. Die Juden, sagte er, seien pathetisch,
ohne heroisch zu sein; das Alter ihrer Rasse und
Blutserfahrung mache sie weise und sk eptisch, was
eben das Gegenteil des Heroischen sei, und wirk lich
liege eine gewisse Weisheit und Ironie selbst im Tonfall
des einfachsten Juden nebst entschiedener Neigung
zum Pathos. Dies Wort aber sei hier genau zu
verstehen, nmlich im Sinne des Leidens, und das

jdische Pathos eine Leidensemphase, die auf uns


andere oft grotesk und recht eigentlich befremdend, ja
abstoend wirk e, wie denn ja auch der edlere Mensch
vor dem Stigma und der Gebrde der
Gottgeschlagenheit Regungen des Widerwillens und
selbst eines natrlichen Hasses immer in sich zu
unterdrck en habe. Sehr schwer seien die aus
Gelchter und heimlicher Ehrfurcht ganz einmalig
gemischten Gefhle eines guten Deutschen zu
{407}bestimmen, der einen wegen Zudringlichk eit von
derber Bedientenhand an die Luft befrderten
jdischen Hausirer die Arme zum Himmel reck en und
ihn ausrufen hre: Der Knecht hat mich gemartert
und gestupt! Jenem Durchschnitts-Autochthonen
stnden solche stark en, dem lteren und hheren
Sprachschatz entstammenden Worte garnicht zu
Gebote, whrend das Kind des Alten Bundes
unmittelbare Beziehungen zu dieser Sphre des Pathos
unterhalte und nicht anstehe, ihre Vok abeln auf seine
platte Erfahrung groartig anzuwenden.
Das war ja allerliebst, und die Gesellschaft erheiterte
sich nicht wenig fr Charlottens Geschmack etwas zu
laut ber den wehk lagenden Hausirer, dessen
mittelmeerlndisch-pittoresk es Gebahren der Sprecher
zu bestem Wiedererk ennen nachgeahmt oder doch in
rasch einsetzender und wieder aufgehobener Mimik

angedeutet hatte. Charlotte selbst mute lcheln, aber


sie war zu wenig bei der Sache, und zu viele Gedank en
k reuzten sich in ihrem Kopf, als da sie es in der
Belustigung weiter als bis zu diesem etwas mhsamen
Lcheln gebracht htte. Der Einschlag von Devotion
und Liebedienerei im Beifallslachen der Runde flte
ihr eine ungeduldige Verachtung ein, weil es ihr
Jugendfreund war, dem er galt, allein eben deshalb
fhlte sie sich auch wieder persnlich davon
geschmeichelt. Natrlich hatten sie gerhrt zu sein von
der wie an seinem Munde zu sehen war nicht immer
mhelosen Freundlichk eit, mit der er ihnen aus seinem
Reichtum spendete. Hinter allem, was er gesellig zum
Besten gab, stand ja sein groes Lebenswerk und
verlieh seinen Aeuerungen eine Resonanz, die eine
unverhltnismige Dank bark eitsreak tion begreiflich
machte. Das Seltsame war auerdem, da sich in
seinem Falle das Geistige auf eine sonst nicht
vork ommende Weise, fr den Respek t nicht mehr
unterscheidbar, mit dem Gesellschaftlich-Amtlichen
vermischte; da der groe Dichter {408}von ungefhr
und auch wieder nicht nur von ungefhr zugleich ein
groer Herr war, und da man diese zweite
Eigenschaft nicht als etwas von seinem Genie
Verschiedenes, sondern als dessen weltlichreprsentativen Ausdruck empfand. Der abrck ende
und jede Anrede umstndlich machende Titel

Excellenz, den er fhrte, hatte ursprnglich so


wenig wie der Stern auf seiner Brust mit seinem
Dichtertum zu tun, es waren Attribute des Favoriten
und Ministers; aber diese Distink tionen hatten den
Sinn seiner geistigen Gre mit aufgenommen,
dergestalt, da sie nach einem tieferen Ursprung
dennoch mit ihr zusammen zu gehren schienen. Leicht
mglich, dachte Charlotte, da sie es auch fr sein
eigenes Bewutsein taten.
Sie hing dem nach, ungewi, ob es der Mhe wert
war, dabei zu verweilen. In dem dienstwilligen Lachen
der Anderen drck te jedenfalls das Wohlgefallen an
dieser Persnlichk eits-Kombination von Geistigem und
Irdischem, der Stolz darauf, eine unterwrfige
Begeisterung dafr sich aus, und von einer Seite her
fand sie das nicht recht und gut, auf eine Art
revoltierend. Sollte sich bei genauerer Prfung
herausstellen, da dieser Stolz und diese Begeisterung
geschmeichelter Knechtssinn waren, so war die
Berechtigung ihrer Nachdenk lichk eit und eines
gewissen damit verbundenen Kummers erwiesen. Ihr
war, als sei es den Leuten zu leicht gemacht, sich vor
dem Geistigen zu beugen, wenn es mit Stern und Titel,
in einem Kunst-Hause mit Paradetreppe wohnend, als
eleganter und glanzugiger Greis sich darstellte, dem
das feine Haar angewachsen war wie dem Jupiter dort,

und der mit ambrosischem Munde sprach. Das Geistige,


dachte sie, htte arm, hlich und irdischer Ehren
blo sein sollen, um die Fhigk eit der Menschen, es zu
verehren, auf die rechte Probe zu stellen. Sie sah zu
Riemer hinber, weil ein Wort in ihr widerk lang, das
er gesprochen und das sich ihr ins Ohr gehngt hatte:
Es ist bei alldem k ein Christentum. Nun, dann nicht,
dann also k ein {409}Christentum. Sie wollte nicht
urteilen und hatte gar k eine Lust, es mit irgend einer
der Maulereien zu halten, die der zur Gek rnk theit
geneigte Mann in seine Hymnen auf den Herrn und
Meister gemischt hatte. Aber sie schaute nach ihm, der
ebenfalls ergebensten Beifall lachte, whrend dabei ein
k leiner Wulst von Versonnenheit, Widerstand, Gram,
k urz von Maulerei zwischen seinen bemhten
Rindsaugen lag Und dann ging ihr sanft aber
eindringlich forschender Blick zwei Pltze weiter, an
Lottchen vorbei zu August, dem beschatteten und
ausschreitenden Sohn, der den Mak el trug, nicht als
Freiwilliger ins Feld gezogen zu sein, und das
Persnchen heiraten wrde: nicht zum erstenmal,
whrend des Essens, sah sie nach ihm. Schon als sein
Vater von dem geschick ten Kutscher erzhlt hatte, der
das Umwerfen auf dem lcherigen Wege zu vermeiden
gewut, hatte sie den Kammer-Rat fixiert, weil ihr
dabei die eigentmliche Art in den Sinn gek ommen
war, in der er ihr von jener miglck ten Abreise, dem

Unfall ihres Jugendfreundes mit Meyer, dem Sturz der


feierlich sich ihrer bewuten Gre in den
Straengraben erzhlt hatte. Und jetzt, beim Hin und
her Blick en zwischen dem Famulus und ihm, wandelte
pltzlich ein Argwohn, ein aufzuck ender Schreck en sie
an, der sich nicht nur auf diese beiden, sondern auf
alle Umsitzenden bezog: es k am ihr entsetzlicher Weise
einen Augenblick so vor, alsob die devote Lautheit des
allgemeinen Lachens etwas anderes bertnen und
verdeck en sollte, etwas desto Unheimlicheres, als es wie
eine persnliche Bedrohung, eine Bedrohung fr sie
selber war und zugleich die Einladung in sich trug,
sich als eine Zugehrige daran zu beteiligen.
Gottlob, es war eine sinnlose, nicht einmal bei
Namen zu nennende Anfechtung. Liebe, nur Liebe
schwang in dem Lachen rund um den Tisch und sprach
aus den Augen, die an den heiter-bedachtsam
plaudernden Lippen des Freundes hingen. Man hoffte
auf mehr und erhielt mehr. Luthers
patriarchali {410}sches Tischgesprch als sonore und
geistreiche Plauderei ging es weiter, indem es das
Thema vom Juden ein Stck noch verfolgte und zwar
mit einer bergeordneten Billigk eit, der man zutraute,
da auch sie den Rat von Eger mit einer
k orrigierenden Geldstrafe belegen wrde. Goethe
rhmte die hheren Spezialbegabungen dieses

merk wrdigen Samens, den Sinn fr Musik und seine


medizinische Kapazitt, der jdische und der
arabische Arzt htten durch die ganze Mittelzeit das
vorzgliche Vertrauen der Welt genossen. Ferner sei da
die Literatur, zu der dies Geblt, hierin den Franzosen
hnlich, besondere Beziehungen unterhalte: man mge
nur wahrnehmen, da selbst Durchschnittsjuden meist
einen reineren und genaueren Styl als der NationalDeutsche schrieben, der zum Unterschiede von
sdlichen Vlk ern der Liebe zu seiner Sprache, der
Ehrfurcht davor und der genieenden Sorgfalt im
Umgange mit ihr in der Regel entbehre. Die Juden
seien eben das Volk des Buches, und da sehe man, da
man die menschlichen Eigenschaften und sittlichen
berzeugungen als sk ularisierte Formen des
Religisen zu betrachten habe. Die Religiositt der
Juden aber sei charak teristischer Weise auf das
Diesseitige verpflichtet und daran gebunden, und eben
ihre Neigung und Fhigk eit, irdischen
Angelegenheiten den Dynamismus des Religisen zu
verleihen, lasse darauf schlieen, da sie berufen
seien, an der Gestaltung irdischer Zuk unft noch einen
bedeutenden Anteil zu nehmen. Hchst merk wrdig
nun und schwer zu ergrnden sei angesichts des so
erheblichen Beitrags, den sie der allgemeinen
Gesittung geleistet, die uralte Antipathie, die in den
Vlk ern gegen das jdische Menschenbild schwhle

und jeden Augenblick bereit sei, in ttlichen Ha


aufzuflammen, wie jene Egerer Unordnung zur Genge
zeige. Es sei diese Antipathie, in der die Hochachtung
den Widerwillen vermehre, eigentlich nur mit einer
anderen noch zu vergleichen: mit derjenigen gegen die
Deutschen, deren {411}Schick salsrolle und innere wie
uere Stellung unter den Vlk ern die
allerwunderlichste Verwandtschaft mit der jdischen
aufweise. Er wolle sich hierber nicht verbreiten und
sich den Mund nicht verbrennen, allein er gestehe,
da ihn zuweilen eine den Atem stock en lassende Angst
berk omme, es mchte eines Tages der gebundene
Weltha gegen das andere Salz der Erde, das
Deutschtum, in einem historischen Aufstande
freiwerden, zu dem jene mittelalterliche Mordnacht
nur ein Miniatur-Vor- und Abbild sei brigens mge
man solche Bek lemmungen seine Sache sein lassen und
guter Dinge bleiben, es ihm auch nachsehen, da er zu
so gewagten Vergleichen und nationellen
Zusammenstellungen greife. Es gbe noch viel
berraschendere. Auf groherzoglicher Bibliothek
befinde sich ein alter Globus, der in manchmal
frappanten Inschriften k nappe Charak teristik en der
unterschiedlichen Erdenbewohner gebe, wo es denn
ber Deutschland heie: Die Deutschen sind ein Volk ,
welches eine groe Aehnlichk eit mit den Chinesen

aufweist. Ob das nicht sehr drollig sei und sein


Zutreffendes habe, wenn man sich der deutschen
Titelfreude und ihres eingefleischten Respek ts vor der
Gelehrsamk eit erinnere. Freilich bleibe solchen
vlk erpsychologischen Aperus immer etwas Beliebiges,
und der Vergleich passe ebenso gut oder besser auf die
Franzosen, deren k ulturelle Selbstgengsamk eit und
mandarinenhaft rigoroses Prfungswesen sehr stark
ins Chinesische schlgen. Auerdem seien sie
Demok raten und auch hierin den Chinesen verwandt,
wenn sie sie in der Radik alitt demok ratischer
Gesinnung auch nicht erreichten. Die Landsleute des
Konfuzius nmlich htten das Wort geprgt: Der
groe Mann ist ein ffentliches Unglck .
Hier brach ein Gelchter aus, das denn doch noch
schallender war als das vorige. Dies Wort in diesem
Munde erregte einen wahren Sturm von Heiterk eit.
Man warf sich in den Sthlen zurck und lehnte sich
ber den Tisch, schlug auch wohl mit {412}der flachen
Hand darauf, chok iert bis zur Ausgelassenheit von
diesem prinzipiellen Unsinn, erfllt von dem Wunsch,
dem Gastgeber zu zeigen, wie man es zu schtzen wisse,
da er es auf sich genommen, ihn zu referieren und
ihm zugleich zu bek unden, fr welche ungeheuerliche
und lsterliche Absurditt man den Ausspruch erachte.
Nur Charlotte sa gerade aufgerichtet, in Abwehr
erstarrt, die Vergimeinnicht-Augen schreck haft

erweitert. Ihr war k alt. Tatschlich hatte sie sich


entfrbt, und ein schmerzliches Zuck en ihres
Mundwink els war alles, worin bei ihr die allgemeine
Lustigk eit sich andeuten wollte. Eine spuk hafte Vision
schwebte ihr vor: Unter Trmen mit vielen Dchern
und Glck chen daran hpfte ein altersnrrisches,
abscheulich k luges Volk , bezopft, in Trichterhten und
bunten Jack en, von einem Bein auf das andere, hob
abwechselnd die drren Zeigefinger mit langen Ngeln
empor und gab in zirpender Sprache eine uerste und
ttlich emprende Wahrheit von sich. Whrend aber
dieser Alb sie heimsuchte, k roch dieselbe Angst, wie
schon einmal, ihr k alt den Rck en hinab: es mchte
nmlich das berlaute Gelchter der Tafelrunde
bestimmt sein, ein Bses zuzudeck en, das in irgend
einem schreck lichen Augenblick verwahrlost
ausbrechen k nnte, also, da Einer aufspringen, den
Tisch umstoen und rufen mchte: Die Chinesen
haben recht!
Man sieht, wie nervs sie war. Aber etwas von dieser
Nervositt entsteht, rein atmosphrisch, immer, und
eine gewisse ngstliche Spannung, ob das auch gut
gehen wird, liegt stets in der Luft, wenn das
Menschliche sich in Einen und Viele teilt, ein
Einzelner einer Masse, sei es in welchem Sinn und
Verhltnis immer, abgesondert gegenber steht; und

obgleich Charlottens alter Bek annter mit ihnen allen


in gleicher Reihe am Tische sa, hatte doch dadurch,
da er allein das Gesprch fhrte und die anderen das
Publik um bildeten, diese niemals ganz geheuere, wenn
auch eben darum reizvolle Situation sich hier
{413}hergestellt. Der Einzelne blick te mit groen,
dunk el glnzenden Augen den Tisch entlang in den
Sturm von Heiterk eit, den sein Citat erregt, und sein
Gesicht, seine Haltung hatten wieder den naivunaufrichtigen Ausdruck gespielten Erstaunens
angenommen, mit dem er anfangs ins Zimmer getreten
war. Die ambrosischen Lippen regten sich dabei
schon in Vorbereitung zustzlicher Rede. Er sagte, als
es stiller geworden war:
Ein solches Wort ist nun freilich eine schlechte
Besttigung der Weisheit unseres Globus. Bei dem
dezidierten Anti-Individualismus solchen Bek enntnisses
endigt sich die Verwandtschaft von Chinesen und
Deutschen. Uns Deutschen ist das Individuum teuer
mit Recht, denn nur in ihm sind wir gro. Da dem
aber so ist, weit ausgesprochener, als bei anderen
Nationen, verleiht dem Verhltnis von Individuum und
Gesamtheit, bei allen expansiven Mglichk eiten, die es
jenem gewhrt, auch wieder sein Trbsinnig-Miliches.
Ohne Zweifel war es einiges mehr, als Zufall, da das
natrliche taedium vitae des Alters sich bei Friedrich
dem Zweiten in den Ausspruch k leidete: Ich bin es

mde, ber Sk laven zu herrschen.


Charlotte wagte nicht aufzublick en. Sie htte dabei
nur betrachtsames Nick en und hier und da beifllige
Erheiterung auch ber diese Anfhrung rings um die
Tafel festzustellen gehabt, aber ihre erregte Phantasie
spiegelte ihr vor, da unter lauter gesenk ten Lidern
hervor tck ische Blick e gegen den Sprecher zuck ten,
und sie scheute sich furchtbar, das wahrzunehmen. Ein
Zustand von Absenz, ein Verlorensein in schmerzliche
Grbelei, trennte ihr Bewutsein lngere Zeit von dem
Gesprch und hielt sie ab, seinen Assoziationen zu
folgen. Sie htte nicht zu sagen gewut, wie die
Unterhaltung dahin gek ommen war, wo sie sie von Zeit
zu Zeit wiederfand. Eine neue persnliche
Aufmerk samk eitserweisung ihres Tischherrn htte sie
fast berhrt: Er redete ihr zu, doch noch ein
Minimum (so drck te er sich aus) von diesem Kompot
zu {414}nehmen, und halb unbewut nahm sie auch
wirk lich davon. Dann hrte sie ihn von Dingen der
Lichtlehre sprechen, aus Anla gewisser Karlsbader
Glasbecher, die er nach Tische vorzuweisen versprach,
und deren Malerei, je nachdem man die Beleuchtung
leite, den merk wrdigsten Farbverwandlungen
unterliege. Er k npfte etwas Abflliges, ja Ausflliges
gegen die Lehren Newtons daran, scherzte ber den
durch ein Loch im Fensterladen auf ein Glasprisma

fallenden Sonnenstrahl und erzhlte von einem


Blttchen Papier, das er als Andenk en an seine ersten
Studien ber diesen Gegenstand und als frheste
Aufzeichnung darber aufbewahre. Es trage die Spuren
des Regens, der im undichten Zelt bei der Belagerung
von Mainz darauf gefallen. Gegen solche k leinen
Reliquien und Denk zeichen der Vergangenheit hege er
viel Piett und k onserviere sie nur zu sorgfltig, denn
es sammle sich als Niederschlag eines lngeren Lebens
allzu viel solchen sinnigen Krames an. Bei diesen
Worten begann Charlottens Herz unter dem weien
Kleid mit der fehlenden Schleife heftig zu k lopfen,
denn ihr war, als mte sie rasch eingreifend sich
nach weiteren Bestandteilen dieses
Lebensniederschlages erk undigen. Doch sah sie die
Unmglichk eit davon ein, verzichtete und verlor den
Faden der Unterhaltung aufs neue.
Beim Tellerwechsel vom Braten zur sen Speise fand
sie sich in eine Erzhlung hinein, von der sie nicht
wute, wie sie aufs Tapet gek ommen war, die aber der
Gastgeber mit groer Wrme vortrug: die Geschichte
einer seltsamen und moralisch anmutigen
Knstlerlaufbahn. Es handelte sich um eine italienische
Sngerin, die ihre auerordentlichen Gaben nur in
dem Wunsche ffentlich gemacht hatte, ihrem Vater
beizustehen, einem Einnehmer vom Monte Piet in
Rom, den seine Charak terschwche ins Elend hatte

geraten lassen. Das wundervolle Talent der jungen


Person wurde bei einem Dilettantenk onzert entdeck t,
vom Fleck e weg warb der Direk tor einer
{415}Theatergesellschaft sie an, und so lebhaft war das
Entzck en, das sie erregte, da ihr ein Musik Enthusiast beim ersten Auftreten in Florenz fr sein
Billet statt einem Scudo hundert Zechinen schenk te.
Sie verfehlte nicht, von diesem ersten Glck sgelde
sogleich an ihre Eltern reichlich abzugeben, und steil
ging es aufwrts mit ihr, sie wurde zum Stern des
musik alischen Himmels, Reichtmer strmten ihr zu,
und ihre vornehmste Sorge blieb immer, die Alten
daheim mit allem Wohlsein zu umgeben, wobei man
aufgefordert wurde, sich das verschmte Behagen des
Vaters vorzustellen, dessen Unfhigk eit sich durch die
Energie und Treue eines glnzenden Kindes
wettgemacht fand. Damit nun aber waren die
Wechselflle dieses Lebens nicht beendet. Ein reicher
Bank ier von Wien verliebte sich in sie und trug ihr
seine Hand an. Wirk lich sagt sie der Bhne Valet, um
seine Frau zu werden, und ihr Glck sschiff scheint in
den prchtigsten, sichersten Hafen eingelaufen. Der
Bank ier aber machte bank erott, er starb als Bettler,
und aus der ppigen Geborgenheit einer Reihe von
Jahren k ehrt die Frau, schon nicht mehr jung, aufs
Theater zurck . Der grte Triumph ihres Lebens

erwartet sie. Das Publik um begrt ihr


Wiedererscheinen, ihre erneuerte Leistung mit
Huldigungen, die ihr erst begreiflich machten, was sie
aufgegeben und den Menschen entzogen, als sie die
Werbung des Crsus als k rnenden Abschlu ihrer
Carrire ansehen zu sollen gemeint hatte. Dies
umjubelte Wiederauftreten nach der Episode
brgerlich-gesellschaftlichen Glanzes war der
glck lichste Tag ihres Lebens, und erst er eigentlich
machte sie mit Leib und Seele zur Knstlerin. Sie lebte
jedoch danach nur noch einige Jahre.
An diese Geschichte k npfte der Erzhler
Bemerk ungen, die sich auf die eigentmliche
Lock erk eit, Gleichgltigk eit und Unbewutheit in dem
Verhltnis der sonderbaren Person zu ihrer
k nstlerischen Berufung bezogen und, unter
entspre{416}chenden leichten und souvernen
Gebrden, das Wohlgefallen der Zuhrer an dieser Art
von Nonchalance beleben zu wollen schienen. Eine tolle
Christin! Sonderlich ernst und feierlich hatte sie es,
bei so groen Gaben, mit ihrer Kunst, und mit der
Kunst berhaupt, offenbar nie genommen. Nur um
ihrem gesunk enen Vater aufzuhelfen, hatte sie sich
berhaupt entschlossen, ihr bis dahin von jedermann
und auch von ihr unbeachtetes Talent zu prak tizieren
und es dauernd in den Dienst der Kindesliebe gestellt.
Die Bereitwilligk eit, mit der sie bei erster, nchtern

sich empfehlender Gelegenheit, gewi zum Jammer der


Impresarien, die Ruhmesbahn wieder verlassen und
sich ins Privatleben zurck gezogen, war
bemerk enswert, und alles sprach dafr, da sie in
ihrem Wiener Palais der Kunstbung nicht
nachgeweint, den Duft des Kulissenstaubes und der
ihren Rouladen und Staccati gezollten Blumenopfer
unschwer entbehrt hatte. Als freilich das harte Spiel
des Lebens es verlangt hatte, war sie k urzerhand zur
ffentlichen Produk tion zurck gek ehrt. Und nun war
eindruck svoll genug, wie die Frau mit der ihr von den
Kundgebungen des Publik ums aufgedrungenen
Erk enntnis, da die Kunst, auf die sie nie viel Gewicht
gelegt und die sie mehr oder weniger als Mittel zum
Zweck betrachtet hatte, immer ihre ernstliche und
eigentliche Bestimmung gewesen war, nicht mehr
lange hatte leben sollen, sondern k urze Zeit nach
ihrem triumphalen Wiedereinrck en ins Kunstreich
gestorben war. Offenbar war ihr dieser Lebensbescheid,
die spte Entdeck ung, da sie zu einem Dasein
wirk licher Identifik ation mit dem Schnen bestimmt
sei, nicht gem die Existenz als bewute Priesterin
nicht zuk mmlich, nicht mglich gewesen. Die
untragische Tragik im Verhltnis des begnadeten
Geschpfes zur Kunst, ein Verhltnis, worin
Bescheidenheit und berlegenheit sehr schwer zu

unterscheiden seien, habe ihn, den Berichterstatter


immer ausnehmend angesprochen, und wohl htte er
gewnscht, die Bek anntschaft der Dame zu machen.
{417}Das htten, so gaben sie zu verstehen, auch die
Zuhrer gern getan. Der armen Charlotte lag weniger
daran. Irgend etwas tat ihr weh und beunruhigte sie
an der Geschichte oder doch an dem Kommentar, den
sie erfahren. Sie hatte um des eigenen Gemtes, aber
auch um des Erzhlers willen Hoffnungen gesetzt auf
die moralische Rhrung, die von dem Beispiel thtiger
Kindestreue ausgehen wollte; dann aber hatte der
Sprecher dem wohltuend Sentimentalen eine
enttuschende Wendung ins hchstens Interessante
gegeben, alles aufs Psychologische abgestellt und fr
das Vork ommnis unentbehrlicher Geringschtzung des
Genies fr seine Kunst eine Gutheiung merk en lassen,
die sie wiederum um ihrerselbst und um seinetwillen
erk ltete und verschreck te. Aufs Neue verfiel sie in
grblerische Abwesenheit.
Das Entremet war eine Himbeer-Crme, sehr duftig,
mit Schlagrahm geschmck t, nebst Lffelbisk uits als
Zugabe. Gleichzeitig wurde Champagner gereicht, den
nun denn doch, die Flasche in eine Serviette gehllt,
der Bediente ausschenk te, und Goethe, der schon den
vorigen Weinen ausgiebig zugesprochen, trank rasch
hinter einander, wie im Durst, zwei Spitzk elche davon:
das geleerte Glas hielt er dem Diener sogleich ber die

Schulter wieder hin. Nachdem er ein paar Minuten,


einer heiteren Erinnerung nachhngend, wie sich
dann zeigte, mit seinen nahe beisammen liegenden
Augen schrg aufwrts ins Leere geblick t, was von
Meyer mit stiller Liebe und auch von den anderen mit
lchelnder Erwartung verfolgt wurde, wandte er sich
gerade ber den Tisch an Bergrat Werner mit der
Ank ndigung, ihm etwas erzhlen zu wollen. Ach, ich
mu Sie was erzhlen! sagte er wrtlich, und dieser
Lapsus oder was es war wirk te hchst berraschend
nach der bedchtig-przisen Wohlredenheit, an die er
das Ohr gewhnt hatte. Er fgte hinzu, die Mehrzahl
der ansssigen Gste habe die verjhrte Begebenheit
gewi in frohem Gedchtnis, dem Aus{418}wrtigen
aber sei sie zweifellos unbek annt, und sie sei so artig,
da sich jedermann gern werde daran erinnern lassen.
Er berichtete nun, von Anfang an mit einem
Ausdruck , der sein innerlichstes Vergngen an dem
Gegenstande erk ennen lie, von einer dreizehn Jahre
zurck liegenden Ausstellung, die von der Vereinigung
Weimarischer Kunstfreunde veranstaltet und auch von
auswrts sehr glck lich beschick t gewesen sei. Eins
ihrer angenehmsten Objek te sei eine man msse
schon sagen: uerst geschick te Copie des Kopfes der
Charitas von Leonardo da Vinci gewesen Sie wissen:
die Charitas auf der Galerie zu Cassel, und Sie k ennen

den Reproduzenten auch: es war Herr Riepenhausen,


ein erfreuliches Talent, das hier ausnehmend zarte und
lbliche Arbeit geleistet hatte: der Kopf war in
Aquarellfarben wiedergegeben, die den gedmpften
Farbenton des Originals festhielten, und das
Schmachtende der Augen, die sanfte, gleichsam
bittende Neigung des Hauptes, besonders die se
Traurigk eit des Mundes aufs reinste nachgeahmt. Die
Erscheinung verbreitete durchaus ein vorzgliches
Vergngen.
Nun war unsere Ausstellung spter im Jahre, als
sonst, zustande gek ommen, und der Anteil des
Publik ums daran bewog uns, sie lnger als blich
stehen zu lassen. Die Rume wurden k lter, und aus
k onomie heizte man sie nur gegen die Stunden des
erffneten Einlasses. Eine geringe Abgabe fr die
einmalige Entree war genehmigt, die namentlich von
Fremden erlegt wurde; fr Einheimische war ein
Abonnement eingerichtet, das nach Belieben auch
auer der bestimmten Zeit also auch zu ungeheizten
Stunden den Eintritt gewhrte.
Nun k ommt die Geschichte. Wir werden eines Tages
mit Lachen vor das liebe Charitas-Kpfchen gerufen
und haben aus eigenem Augenschein ein Phnomen von
disk retestem Reiz zu besttigen: Auf dem Munde des
Bildes, will sagen auf dem Glase, dort, wo es den Mund
bedeck t, findet sich der unver {419}k ennbare Abdruck ,

das wohlgeformte Fak simile eines von angenehmen


Lippen dem schnen Schein applizierten Kusses.
Sie denk en sich unser Amusement. Sie denk en sich
auch die heiter-k riminologische Angelegentlichk eit,
mit der wir den Fall untersuchten, die Identifik ation
des Tters unter der Hand betrieben. Er war jung das
htte man voraussetzen k nnen, aber die auf dem Glas
fixierten Zge sprachen es aus. Er mute allein
gewesen sein vor vielen htte man dergleichen nicht
wagen drfen. Ein Einheimischer mit Abonnement, der
seine sehnschtige Tat frh bei ungeheizten Zimmern
begangen hatte. Das k alte Glas hatte er angehaucht
und seinen Ku in den eigenen Hauch gedrck t, der
alsdann erstarrend sich k onsolidierte. Nur wenige
wurden mit dieser Angelegenheit bek annt, aber nicht
schwer war auszumachen, wer beizeiten in den
ungeheizten Zimmern allein sich eingefunden. Die bis
zur Gewiheit gesteigerte Vermutung blieb auf einem
jungen Menschen ruhen, den ich nicht nennen und
nicht einmal nher k ennzeichnen will, der auch
k eineswegs erfuhr, wie man ihm auf die zrtlichen
Schliche gek ommen, aber dessen wirk lich k liche
Lippen wir Eingeweihten nachher mehr als einmal
freundlich zu begren Gelegenheit hatten.
So die mit dem Lapsus eingeleitete Erzhlung, an der
nicht nur der Bergrat, sondern auch alle Umsitzenden

sich mit Verwunderung weideten. Charlotte war sehr


rot geworden. Sie war in der That bis in die Stirn, bis
in das aufgestellte graue Haar hinauf so dunk el
errtet, wie ihr zarter Teint es irgend zulie, und die
Blue ihrer Augen wirk te befremdend bla und grell in
diesem Andrang. Sie sa von dem Erzhler abgewandt,
ja frmlich von ihm weggedreht, gegen ihren anderen
Nachbarn, den Hofk ammerrat Kirms, und fast sah es
aus, als wollte sie sich an seinen Busen flchten, was er
aber, selbst sehr wohlig unterhalten von der
Geschichte, nicht bemerk te. Die arme Frau war voller
Angst, der Hausherr mchte die Verfestigung dieses
ge{420}heimen Kusses ins Nichts und ihre
physik alischen Bedingungen noch weiter errtern, und
ein Kommentar blieb denn auch, als die Heiterk eit sich
gelegt hatte, nicht aus; nur gehrte er mehr der
Philosophie des Schnen als etwa der Wrmelehre an.
Der Gastgeber plauderte von den Spatzen, die an den
Kirschen des Apelles pick ten, und von der
vexatorischen Wirk ung, welche die Kunst, dies vllig
einzigartige und eben darum reizvollste aller
Phnomene, auf die Vernunft auszuben vermge,
nicht einfach im Sinne der Illusionierung denn
k eineswegs sei sie ein Blendwerk , sondern auf tiefere
Art: nmlich durch ihre Zugehrigk eit zur
himmlischen zugleich und zur irdischen Sphre, weil
sie geistig und sinnlich auf einmal, oder, platonisch zu

reden, gttlich und sichtbar zugleich sei und gleichsam


durch die Sinne fr das Geistige werbe. Daher die
eigentmlich innig getnte Sehnsucht, die das Schne
errege, und die in der intimen Handlung jenes
jugendlichen Kunstfreundes ihren Ausdruck ihren
aus Wrme und Klte geborenen Abdruck gefunden
habe. Was dabei unsere Lachlust errege, sei die
verworrene Inadquatheit des unbelauscht
vollbrachten Ak tes. Eine Art von k omischem Weh
ergreife einen bei der Vorstellung, was der Verfhrte
empfunden haben mge bei der Berhrung seiner
Lippen mit dem k alten und glatten Glase. Genau
genommen aber sei k ein rhrend-bedeutenderes
Gebilde denk bar, als diese Zufallsmaterialisation einer
blutwarmen, dem Eisig-Unerwidernden aufgedrck ten
Zrtlichk eit. Es sei geradezu etwas wie ein k osmischer
Spa etc.
Man servierte den Kaffee gleich bei Tische. Goethe
trank k einen, sondern nahm statt dessen zu dem
Nachtisch, der dem Obste folgte und aus allerlei
Confek t, Tragantk ringeln, Zuk k erpltzchen und
Rosinen bestand, noch ein Glschen Sdweins namens
Tinto rosso. Danach hob er die Tafel auf, und die
Gesellschaft begab sich wieder ins Zimmer der Juno,
auch in das anstoende k abinetartige Seitenzimmer
hinber, das bei den {421}Hausfreunden nach dem dort

hngenden Portrait eines Renaissance-Herzogs von


Urbino das Urbino-Zimmer hie. Die noch folgende
Stunde eigentlich waren es nur etwas mehr als drei
Viertel einer solchen war recht langweilig, aber auf
eine Art, die Charlotte im Zweifel lie, ob sie sie den
Erregungen und Bek lemmungen der Tischzeit vorzge.
Gern htte sie den Jugendfreund von der Beflissenheit
dispensiert, mit der er fr Beschftigung glaubte
sorgen zu mssen. Dabei bemhte er sich hauptschlich
um die auswrtigen Gste und die, welche zum
erstenmal im Hause waren, also um Charlotte und die
Ihren sowie um Bergrat Werner, denen er
unaufhrlich, wie er sich ausdrck te, etwas
Bedeutendes vorzulegen bedacht war. Eigenhndig,
aber auch mit Hilfe Augusts und des Dieners, hob er
groe Portefeuilles mit Kupferstichen aus den Gestellen
und schlug ihre unhandlichen Deck el vor den
sitzenden Damen und dahinter stehenden Herren auf,
um ihnen die darin geschichteten
Sehenswrdigk eiten dies war sein Wort fr die
barock en Bilder vorzufhren. Dabei verweilte er bei
den obenauf liegenden immer so lange, da die
spteren nur noch durchflogen werden k onnten. Eine
Schlacht Constantins, in groen Blttern, erfuhr die
ausfhrlichste Explik ation; er wies mit dem Finger
darauf hin und her, indem er auf die Verteilung und
Gruppierung der Figuren, die richtige Zeichnung der

Menschen und Pferde aufmerk sam machte und den


Beschauern einzuprgen suchte, wieviel Geist und
Talent dazu gehre, solch ein Bild zu entwerfen und so
glck lich auszufhren. Auch die Mnzensammlung,
stck weise in Ksten aus jenem Portrait-Zimmer
herbeigetragen, k am zur Betrachtung sie war, wenn
man bei der Sache zu sein vermochte, wirk lich zum
Erstaunen k omplett und reichhaltig: die Mnzen aller
Ppste seit dem 15ten Jahrhundert bis auf diesen Tag
waren vorhanden, und der Vorzeigende betonte, gewi
mit uerstem Recht, wie glck liche Einsichten in die
Geschichte der Kunst eine solche {422}berschau
gewhre. Er schien alle Graveurs mit Namen zu
k ennen, gab auch Bescheid ber die historischen
Anlsse zur Prgung der Medaillen und streute
Anek doten aus dem Leben der Mnner ein, auf deren
Ehre sie geschlagen worden.
Die Karlsbader Glasbecher wurden nicht vergessen.
Der Hausherr gab Befehl, sie herbeizuholen, und
wirk lich zeigten sie, vor dem Licht hin und her
gewendet, sehr reizvolle Farbverwandlungen von Gelb
in Blau und Rot in Grn, eine Erscheinung, die
Goethe an einem k leinen, wenn Charlotte recht
verstand, von ihm selbst k onstruierten Apparat nher
erluterte, den sein Sohn heranbringen mute: einem
Holzrahmen, in welchem sich ber schwarz und

weiem Grunde schwachfarbige Glasplttchen hin und


her schieben und das Becher-Phnomen experimentell
wiedererstehen lieen.
Zwischendurch, wenn er das Seine getan und die
Gste fr eine Weile mit Anschauungsmaterial versehen
zu haben glaubte, ging er, die Hnde auf dem Rck en,
im Zimmer umher, wobei er von Zeit zu Zeit tief Atem
holte, mit einem k leinen, das Ausatmen begleitenden
Laut, der den Ak t einem Sthnen nicht unhnlich
machte. Auch unterhielt er sich stehend an
wechselnden Punk ten des Zimmers und im Durchgang
zum Kabinett mit unbeschftigten Gsten, denen die
Sammlungen schon bek annt waren. Merk wrdig bis
zur Unvergelichk eit war es Charlotten, ihn im
Gesprch mit Herrn Stephan Schtze, dem
Schriftsteller, zu sehen whrend sie mit ihrer
Schwester ber den optischen Apparat gebck t sa und
die farbigen Glasplttchen hin und her schob, standen
die beiden Herren, der Aeltere und der Jngere, ganz
unfern beisammen, und verstohlen teilte sie ihre
Aufmerk samk eit zwischen den Farbeffek ten und dieser
Szene. Schtze hatte die Brille, die er eigentlich trug,
abgenommen, und, sie gewissermaen verborgen
haltend, blick te er mit seinen vortretenden Augen, die
an die Sttze der Glser gewhnt waren und ohne sie
berbemht, {423}halb blind und blde schauten, in das
gebrunte und musk ulse, aber im Ausdruck

schwank ende Antlitz vor ihm. Zwischen den beiden


Autoren war von einem Taschenbuch der Liebe und
Freundschaft die Rede, das Schtze seit ein paar
Jahren herausgab, und auf das hin der Gastgeber ihn
angesprochen hatte. Goethe lobte das Taschenbuch
sehr, nannte seine Zusammenstellung geist- und
abwechslungsreich und erk lrte, die Hnde auf dem
unteren Rck en zusammengelegt, die Beine gespreizt
und mit angezogenem Kinn, da er regelmig viel
Unterhaltung und Belehrung davon habe. Er regte an,
da die humoristischen Erzhlungen, die Schtze
selbst darin verffentlichte, mit der Zeit gesammelt
erscheinen sollten, und dieser gab errtend und
strk er glotzend zu, da er selbst mit diesem Gedank en
zu Stunden wohl schon gespielt habe und nur im
Zweifel sei, ob eine solche Sammlung denn auch die
Mhe lohnen wrde. Goethe protestierte mit stark em
Kopfschtteln gegen diesen Zweifel, begrndete seinen
Widerspruch aber nicht mit dem Wert der
Erzhlungen, sondern auf rein menschliche, sozusagen
k anonische Weise: Gesammelt, sagte er, msse werden;
k omme die Zeit, der Herbst des Lebens, so msse die
Ernte in die Scheuer k ommen, das zerstreut
Gewachsene unter Dach und in Sicherheit gebracht
sein, sonst scheide man unruhig, und es sei k ein
rechtes, k ein mustergltiges Leben gewesen. Es handle

sich nur darum, den rechten Titel fr die Sammlung


ausfindig zu machen. Und seine nahe beisammen
liegenden Augen gingen suchend unter der
Zimmerdeck e umher ohne viel Aussicht auf Erfolg,
wie die lauschende Charlotte befrchtete, da sie das
deutliche Gefhl hatte, da er die Erzhlungen
garnicht k enne. Hier nun aber zeigte sich, wieweit
Herr Schtze in seinen zgernden Erwgungen
immerhin schon gelangt war, denn er hatte einen
Sammelnamen bei der Hand: Heitere Stunden dachte
er gegebenen Falles das Buch zu nennen. Goethe fand
das vortreff{424}lich. Er htte selbst k einen besseren
Titel erdenk en k nnen. Dieser sei rein-behaglich und
nicht ohne feine Gehobenheit. Er werde dem Verleger
zusagen, das Publik um anziehen und, die Hauptsache,
er sei dem Buche wie angewachsen. Das msse so sein.
Ein gutes Buch werde gleich zusammen mit seinem
Titel geboren, und da es da gar k ein Sorgen und
Zweifeln geben k nne, sei geradezu der Beweis fr
seine innere Gesundheit und Rechtschaffenheit.
Entschuldigen Sie mich! sagte er, da Baurat Coudray
sich ihm nherte. Auf Schtze aber, der seine Brille
wieder aufsetzte, eilte Dr. Riemer zu, ersichtlich um
ihn auszufragen, was Goethe mit ihm gesprochen htte.
Ganz gegen Ende der Mittagsgesellschaft k am es
noch dazu, da sich der Hausherr von ungefhr darauf
besann, Charlotten die Frh-Konterfeie ihrer Kinder

wiedersehen zu lassen, wie er sie einst von dem


rstigen Paar zum Geschenk erhalten hatte. Es
geschah, da er, bei zurck gelassenen Stichen,
Mnzen und Farbenspielen, die Kestner'schen Damen
und Ridels im Zimmer umherfhrte, um ihnen einzelne
Kuriositten seiner Ausstattung zu zeigen: die
Gtterbildchen unter Glas, ein altertmliches Schlo
mit Schlssel, das am Fenstergewnde hing, einen
k leinen goldenen Napolon mit Hut und Degen, gestellt
in das glock enfrmig verschlossene Ende einer
Barometer-Rhre. Dabei fiel es ihm ein. Jetzt wei
ich, rief er und bediente sich pltzlich intimer
Anredeform, was ihr noch sehen mt, Kinderchen!
Das alte Angebinde, die Schattenrisse von euch und
eueren rhmlichen Taten! Ihr sollt doch gewahr
werden, wie treulich ich sie durch die Jahrzehnte
verwahrt und in Ehren gehalten. August, sei mir so
gut, das Mppche mit den Silhouette! sagte er stark
frank furterisch; und whrend man noch den so
sonderbar eingesperrten Napolon betrachtete, schaffte
der Kammerrat das Faszik el von irgendwoher herbei
und legte es, da auf dem runden Tische k ein Platz
mehr war, auf den Streicher'schen Flgel, worauf er
seinen Vater und dessen Begleiter dorthin bat.
{425}Goethe zog selbst die Bnder auf und ffnete die
Klappen. Der Inhalt war ein vergilbtes und

stock fleck iges Durcheinander von bildlichen


Dok umenten und Souvenirs, Scherenschnitten,
verblaten Festpoemen in Blumenk rnzen und
Handzeichnungen von Felsen, Ortschaften, Fluufern
und Hirtentypen, wie der Besitzer sie auf verjhrten
Reisen zur Gedchtnissttze mit ein paar Strichen
aufgenommen. Der alte Herr k annte sich wenig darin
aus und k onnte das Gesuchte nicht finden. Das ist
doch des Teufels, wo ist denn das Ding! sagte er
rgerlich werdend, inde seine Hnde die Bltter
rascher und nervser durcheinanderwarfen. Die
Umstehenden bedauerten seine Bemhung und gaben
immer dringlicher ihre Bereitwilligk eit zum Verzicht
zu erk ennen. Es sei ja nicht ntig, die bloe Aussicht
darauf, das Andenk en wiederzusehen, habe es ihnen
schon wieder deutlich vor Augen gefhrt. Im letzten
Augenblick entdeck te Charlotte es selbst im Wuste und
zog es hervor. Ich hab's, Excellenz, sagte sie; da
sind wir. Und indem er das Papier mit den
aufgek lebten Profilen etwas verblfft, ja unglubig
betrachtete, erwiderte er mit Resten von Aerger in der
Stimme: Wahrhaftig, ja, Ihnen war's vorbehalten, es
ausfindig zu machen. Das sind Sie, meine Gute, artig
geschnitzt, und der selige Archivsek retr und euere
fnf Aeltesten. Das schne Frulein hier ist noch nicht
dabei. Welche sind's denn, die ich k enne? Diese hier?
Ja, ja, aus Kindern werden Leute.

Meyer und Riemer, die herantraten, gaben ein


disk retes und unanimes Zeichen, indem sie, einer wie
der andere, mit zusammengezogenen Brauen die Augen
zudrck ten und leise nick ten. Sie fanden wohl, nach
dieser Besichtigung sei es genug, und jedermann gab
ihnen recht, wenn sie wnschten, den Meister vor
bermdung zu schtzen. Man schritt zur
Verabschiedung; auch diejenigen, die im UrbinoZimmer geplaudert hatten, fanden sich dazu ein.
{426}So wollt ihr mich verlassen, Kinderchen, alle
auf einmal? fragte der Hausherr. Nun ja, wenn ihr
hinausdrngt zu Pflichten und Freuden, k ann niemand
euch schelten. Adieu, adieu. Unser Bergrat bleibt noch
ein wenig bei mir. Nicht wahr, liebster Werner, das ist
eine Abmachung. Ich habe hinten bei mir was
Interessantes fr Sie, das von auswrts
hereingek ommen, und daran wir alten Auguren uns
zur Nachfeier erquick en wollen: Versteinerte
Swasserschneck en von Libnitz im Elbogner Kreise.
Verehrte Freundin, sagte er zu Charlotte, leben Sie
wohl! Ich denk e, Weimar und Ihre Lieben werden Sie
einige Wochen zu fesseln wissen. Zu lange hat das
Leben uns auseinander gehalten, als da ich nicht von
ihm fordern mte, Ihnen whrend Ihres Aufenthalts
wiederholt begegnen zu drfen. Zu dank en ist nichts.
Bis dahin, Verehrteste. Adieu, meine Damen! Adieu,

meine Herren!
August geleitete Ridels und Kestners wieder die
schne Treppe hinab bis unter die Haustr, vor der
auer der Ridel'schen Mietsk utsche zwei weitere fr
Coudrays und das Kirms'sche Ehepaar bereit standen.
Es regnete jetzt entschieden. Gste, von denen sie sich
schon oben verabschiedet, gingen grend an ihnen
vorber.
Vater war ausnehmend belebt durch Ihre
Anwesenheit, sagte August. Er schien seinen wehen
Arm berhaupt vergessen zu haben.
Er war reizend, erwiderte die Landk ammerrtin,
und nachdrck lich stimmte ihr Gatte ihr zu. Charlotte
sagte:
Wenn er Schmerzen hatte, so sind sein Geist, seine
Rhrigk eit desto mehr zu bewundern. Man ist
beschmt, es zu denk en, und ich mache mir Vorwrfe,
mich nach seiner Plage garnicht erk undigt zu haben.
Ich htte ihm von meinem Opodeldok anbieten sollen.
Nach einem Wiedersehn, just wenn die Trennung lang
war, hat man immer Versumnisse zu bereuen.
Worin die auch immer bestehen mgen, versetzte
August, {427}sie werden nachzuholen sein, wenn auch
nicht sofort; denn allerdings glaube ich, da der Vater
nun etwas wird Ruhe halten und baldige
Wiederbegegnungen sich wird versagen mssen.
Besonders, wenn er sich bei Hofe entschuldigt, k ann er

auch an andren Geselligk eiten nicht teilnehmen. Ich


mchte das vorsorglich bemerk t haben.
Um Gott, sagten sie, das versteht sich doch
wahrlich von selbst! Unsern Gru, unsern Dank noch
einmal!
So saen sie wieder zu viert in ihrer hohen Kalesche
und ratterten durch die nassen Straen nach Hause
zurck . Lottchen, die Jngere, strack auf ihrem
Rck sitz, blick te, die Flgel ihres Nschens andauernd
geblht, gerade an dem Ohr ihrer Mutter vorbei in den
Fond des Wagens.
Er ist ein groer und guter Mensch, sagte Amalie
Ridel, und ihr Mann besttigte: Das ist er.
Charlotte dachte oder trumte:
Er ist gro, und ihr seid gut. Aber ich bin auch gut,
so recht von Herzen gut und will es sein. Denn nur gute
Menschen wissen die Gre zu schtzen. Die Chinesen,
wie sie da hpfen und zirpen unter ihren
Glock endchern, sind alberne, bse Menschen.
Laut sagte sie zu Dr. Ridel:
Ich fhle mich sehr, sehr schuldig vor dir,
Schwager, da ich's dir nur ungefragt gleich gestehe.
Ich sprach von Versumnissen, ich wute nur zu gut,
was ich damit meinte, und fahre recht enttuscht,
recht unzufrieden mit mir selbst wieder heim.
Tatschlich bin ich nicht dazu gek ommen, weder bei

Tische noch nachher, Goethen von deinen Hoffnungen


und Wnschen zu sprechen und ihn, wie ich's
bestimmtest vorhatte, ein wenig dafr zu engagieren.
Ich wei nicht, wie es geschehen und unterbleiben
k onnte, aber es wollte sich die ganze Zeit ber nicht
fgen und machen. Es ist meine Schuld und auch
wieder nicht. Verzeih mir!
{428}Das macht nichts, antwortete Ridel, liebe
Lotte; beunruhige dich nicht! Es war gar so ntig
nicht, da du davon sprachst, sondern durch deine
Anwesenheit schon und da wir den Mittag hatten bei
Excellenz, bist du uns ntzlich genug gewesen, und
irgendwie wird sich's in unserem Interesse schon
auswirk en.

{429}Neuntes

Kapitel

Charlotte blieb noch bis gegen Mitte Ok tober in


Weimar und logierte mit Lottchen, ihrem Kinde, die
ganze Zeit im Gasthaus zum Elephanten, dessen
Inhaberin, Frau Elmenreich, teils aus eigener Klugheit,
teils auch von ihrem Factotum, Mager, lebhaft dazu
angehalten, ihr mit dem Zimmer-Preise sehr
entgegenk am. Wir wissen nicht allzu viel ber den
Aufenthalt der berhmten Frau in der ebenfalls so
berhmten Stadt; er scheint brigens ihren Jahren
gem den Charak ter wrdiger Zurck gezogenheit
getragen zu haben, aber doch k einer ganz
unzugnglichen; denn war er auch hauptschlich dem
Zusammensein mit den lieben Verwandten gewidmet, so
hren wir doch von mehreren k leineren und selbst ein
paar greren Einladungen, denen sie in diesen
Wochen freundlich beiwohnte, und die sich in
verschiedenen gesellschaftlichen Cirk eln der Residenz
abspielten. Eine davon gaben, wie es sich gehrte,
Ridels selbst, und in ihrem Beamtenk reise trug sich
noch einer oder der andere dieser Empfnge zu. Ferner
sahen Hofrat Meyer und seine Gattin, geborene von
Koppenfels, und ebenso Oberbaurat Coudrays die
Jugendfreundin Goethe's einmal bei sich. Aber auch in

der eigentlichen Hofgesellschaft hat man diese


gelegentlich erscheinen sehen und zwar im Hause des
Grafen Edling, Mitgliedes der Hoftheater-Intendanz,
und seiner schnen Gemahlin, der Prinzessin Sturdza
aus der Moldau. Diese gaben Anfang Ok tober in ihrer
Gegenwart eine durch musik alische Auffhrungen und
Rezitationen gehobene Soire, und es war
wahrscheinlich bei dieser Gelegenheit, da Charlotte
die Bek anntschaft Frau von Schillers machte, die in
einem an eine auswrtige Freundin gerichteten Brief
eine sympathisch-k ritische Beschreibung ihrer
Erscheinung und Person niedergelegt hat. Auch der
Geh. Kammerrtin Ridel gedenk t diese an {430}dere
Charlotte dabei im Zusammenhang mit der
Vergnglichk eit der Dinge dieser Erde, indem sie
nmlich berichtet, wie sehr gesetzt und ausgereift die
naseweise Blondine des Romans nun unter den
Damen gesessen habe.
Bei allen diesen Gelegenheiten war Charlotte, wie
sich versteht, von vieler Ehrerbietung umgeben, und
die freundlich gefate Wrde, mit der sie die
Huldigungen entgegennahm, bewirk te bald, da diese
nicht mehr nur ihrer literarischen Stellung, sondern
ihrer Person und Menschlichk eit selber galten, unter
deren Eigenschaften eine sanfte Melancholie nicht die
am wenigsten anziehende war. Aufgeregte Gebarung,
die ihr Erscheinen hervorrief, wies sie mit ruhiger

Bestimmtheit zurck . So wird berichtet, da, als ein


berspanntes Frauenzimmer sich in einer
Gesellschaft wahrscheinlich beim Grafen Edling mit
ausgebreiteten Armen und dem Rufe Lotte! Lotte! auf
sie strzte, sie die Nrrin, zurck tretend, mit dem
Bedeuten: Migen Sie sich, meine Liebe! zur Raison
gebracht und sich brigens danach sehr gtig mit ihr
ber stdtische und Weltbegebenheiten unterhalten
habe. Bosheit, Klatsch und Gestichel verschonten sie
selbstverstndlich nicht ganz, wurden aber von dem
Wohlwollen aller besser gearteten Menschen im Zaum
gehalten; und selbst als nachtrglich man mu wohl
annehmen: durch eine Indisk retion Schwester
Amalies sich das Gercht verbreitete, die Alte sei zu
Goethe in einem Aufzuge gegangen, der von
geschmack losen Allusionen auf die Werther-Liebschaft
nicht frei gewesen sei, war ihre moralische Position
schon zu gefestigt, als da ihr das Gerede viel htte
anhaben k nnen.
Den Freund von Wetzlar sah sie bei k einem dieser
Ausgnge wieder. Man wute, da erstens eine Gicht
im Arm ihn ink ommodierte, und da er zweitens eben
jetzt mit der Revision zweier neuer Bnde der
Gesamtausgabe seiner Werk e sehr beschftigt war.
ber jenes oben sk izzierte Mittagessen am
Frau{431}enplan berichtete Charlotte ihrem Sohne

August, dem Legationsrat, in einem uns vorliegenden


Briefe, von dem man nur sagen k ann, da er stark
momentanen Charak ter trgt und geringe Bemhung,
ja etwas wie eine Gegen-Bemhung zeigt, dem Erlebnis
gerecht zu werden. Sie schrieb:
Von dem Wiedersehen des groen Mannes habe ich
Euch selbst noch wohl nichts gesagt: Viel k ann ich
auch nicht darber bemerk en. Nur so viel, ich habe
eine neue Bek anntschaft von einem alten Manne
gemacht, welcher, wenn ich nicht wte, da es
Goethe wre, und auch dennoch, k einen angenehmen
Eindruck auf mich gemacht hat. Du weit, wie wenig
ich mir von diesem Wiedersehen oder vielmehr dieser
neuen Bek anntschaft versprach, war daher sehr
unbefangen; auch that er nach seiner steifen Art alles
mgliche, um verbindlich gegen mich zu sein. Er
erinnerte sich Deiner und Theodors mit Interesse
Deine Mutter Charlotte Kestner, geb. Buff.
Ein Vergleich dieser Zeilen mit dem zu Anfang
unserer Erzhlung wiedergegebenen Billet an Goethe
zwingt zu der Bemerk ung, einer wieviel sorgsameren
inneren Vorbereitung dieses seine Form verdank t.
Aber auch der Jugendfreund hat ihr einmal, fast
schon zu ihrer berraschung, in diesen Wochen
geschrieben: Charlotte empfing sein Krtchen am 9ten
Ok tober im Elephanten, frh bei der Morgentoilette,
durch Mager, den nach der berreichung wieder aus

dem Zimmer zu entfernen nicht leicht war. Sie las:


Wenn Sie sich, verehrte Freundin, heute Abend
meiner Loge bedienen, so holt mein Wagen Sie ab. Es
bedarf k einer Billette. Mein Bedienter zeigt den Weg
durchs Parterre. Verzeihen Sie, wenn ich mich nicht
selbst einfinde, auch mich bisher nicht habe sehen
lassen, ob ich gleich oft in Gedank en bei Ihnen
gewesen. Herzlich das Beste wnschend Goethe.
Die erbetene Verzeihung dafr also, da der
Schreiber ihr {432}nicht selbst Gesellschaft leistete und
auch bis dahin sich nicht hatte blick en lassen wurde
stillschweigend gewhrt, denn Charlotte machte von
der Theater-Einladung fr ihre Person Gebrauch, nur
fr diese; denn Lottchen, die Jngere, hatte gegen
Thaliens Gaben eine puritanische Abneigung, und
Schwester Amalie war diesen Abend mit ihrem Manne
anderweitig versagt. So trug die Goethe'sche Equipage,
ein bequemer, mit blauem Tuch ausgeschlagener und
mit zwei glatthutigen Braunen bespannter Landauer,
sie allein zum Comdienhaus, wo die hannversche
Hofrtin, viel lorgnettiert, viel beneidet, aber offenbar
ohne sich durch die Neugier des Publik ums in ihrer
Aufmerk samk eit stren zu lassen, auf dem Ehrenplatz,
den noch vor k urzem so oft eine Frau sehr anderer
Erscheinung, Christiane, die Mamsell, eingenommen
hatte, den Abend verbrachte. Sie verlie die

Proszeniumsloge auch nicht whrend der groen Pause.


Man gab Theodor Krners geschichtliches
Trauerspiel Rosamunde. Es war eine gepflegte und
schn gerundete Auffhrung, und Charlotte, in einem
weien Kleide wie immer, das aber diesmal mit dunk elvioletten Schleifen garniert war, folgte ihr von Anfang
bis zu Ende mit groem Genu. Eine geluterte
Sprache, stolze Sentenzen, gebten Organen
anvertraute Schreie der Leidenschaft schlugen, der
Menschlichk eit schmeichelnd, begleitet von edel
abgemessenen Gebrden, an ihr Ohr. Hhepunk te der
Handlung, verk lrte Sterbeszenen, bei denen der
Scheidende, der Sprache bis zuletzt idealisch mchtig,
in Reimen sprach, Auftritte von stachelnder
Grausamk eit, wie die Tragdie sie liebt, und an deren
trstlichem Ende das bse Temperament selbst
festzustellen hatte: Die Hlle steht vernichtet, waren
mit k unstgerechter berlegung angeordnet. Im
Parterre wurde viel geweint, und auch Charlotten
gingen ein paarmal die Augen ber, obgleich sie sich
bei der notorischen Jugendlichk eit des Dichters innere
Ausstellungen er {433}laubte. So wollte ihr nicht
gefallen, da die Heldin, Rosamunde, sich in einem
Gedicht, das sie als Soloszene rezitierte, wiederholt
selbst mit Rosa anredete. Ferner verstand sie von
Kindern zuviel, als da ihr das Benehmen der in dem
Stck e agierenden Theaterblger nicht htte anstig

sein mssen. Man hatte ihnen den Dolch auf die Brust
gesetzt, um ihre Mutter zu zwingen, Gift zu trink en,
und, als dies geschehen, sagten sie zu ihr: Mutter,
bist so bla! Sei heiter! Wir mchten es auch gern
sein! Worauf sie noch auf den Sarg deuteten,
angesichts dessen die Szene sich abspielte, und riefen:
Sieh nur an, wie dort die vielen Kerzen frhlich
schimmern! Auch hierbei wurde im Parterre viel
geschluchzt, aber Charlotten wollten dabei die Augen
nicht bergehen. So dumm, dachte sie gek rnk t, waren
Kinder doch nicht und man mute entschieden ein
sehr junger Freiheitsk mpfer sein, um sich
Kinderunschuld so vorzustellen.
Auch um die Sentenzen, fr welche die Schauspieler
ihre geschulten Stimmen und die Autoritt ihrer
beliebten Persnlichk eiten einsetzten, stand es, so
schien ihr, nicht immer zum besten und
zweifellosesten; auch sie zeugten, wie ihr vork am, bei
aller Wrme und Geschick lichk eit ihrer Prsentation
von einem gewissen Mangel an tieferer Erfahrung und
Lebensk enntnis, die denn ja auch beim Reiterleben auf
grnem Plan nicht so leicht zu gewinnen sein mochte.
Es war da eine Tirade im Stck , ber die sie nicht
hinwegk am, sondern an der sie k ritisch-grblerisch
hngen blieb, bis sie gewahr wurde, da sie mehreres
Nachfolgende darber ganz berhrt und versumt

hatte; ja, noch beim Verlassen des Theaters dachte sie


mit Unzufriedenheit daran zurck . Es war so, da
jemand die Tollk hnheit als edel gerhmt hatte,
worauf ein reiferes Urteil die allzu groe Bereitschaft
der Menschen mibilligte, die Frechheit edel zu
heien. Habe einer nur den Mut, das Heilige und allen
Werte mit frechen Hnden anzufallen, gleich mache
man {434}ihn zum Helden, nenne ihn gro und zhle
ihn zu den Sternen der Geschichte. Aber nicht die
Ruchlosigk eit, lie der Dichter sagen, mache den
Helden aus. Diejenige Grenze der Menschheit, die an
die Hlle stoe, sei gar leicht bersprungen; es sei das
eine Wagnis, zu der nur gemeine Schlechtigk eit
gehre. Jene andere Grenze dagegen, die den Himmel
berhre, die wolle mit hchstem Seelenschwunge und
auf reiner Bahn nur berflogen sein. Das war ja
recht schn, aber der einsamen Logenbesucherin
schien es, als liefere der Autor und freiwillige Jger mit
seinen beiden Grenzen eine unerfahrene und
fehlerhafte Topographie des Moralischen. Die Grenze
der Menschheit, grbelte sie, war vielleicht nur eine,
jenseits welcher weder Himmel noch Hlle, oder sowohl
Himmel wie Hlle lagen, und die Gre, welche diese
Grenze berschritt, war mglicherweise auch nur eine,
also, da Ruchlosigk eit und Reinheit sich in ihr auf
eine Weise mischten, von der die k riegerische
Unerfahrenheit des Dichters ebenso wenig wute, wie

von der sogar enormen Klugheit und Feinfhligk eit der


Kinder. Vielleicht aber wute er auch davon und war
nur der Meinung, in der Poesie gehre es sich so, da
man Kinder als rhrende Idioten hinstelle und zwei
verschiedene Grenzen der Menschheit statuiere. Es war
ein talentvolles Stck , aber sein Talent war darauf
gerichtet, ein Theaterstck herzustellen, wie es nach
allgemeiner bereink unft sein sollte, und die Grenze
der Menschheit berschritt der Dichter nun einmal
gewi nach k einer Seite. Nun ja, die junge
Schriftsteller-Generation, es stand wohl bei vieler
Geschick lichk eit doch alles in allem etwas k laterig um
sie, und gar viel hatten die groen Alten am Ende von
ihr nicht zu frchten.
So opponierte sie und schlug sich innerlich noch mit
ihren Einwnden herum, als, nach dem letzten Fallen
der Gardine, unter Applaus und Aufbruch, der Bediente
vom Frauenplan wieder ehrerbietig bei ihr erschien
und ihr die Mantille um die Schultern legte.
{435}Nun, Carl, sagte sie, (denn er hatte ihr
mitgeteilt, da er Carl gerufen werde) es war sehr
schn. Ich habe es sehr genossen.
Das wird Excellenz freuen zu hren, antwortete er,
und seine Stimme, der erste nchtern-unrhythmische
Laut des Alltags und der Wirk lichk eit, den sie nach
stundenlangem Verweilen im Erhabenen wieder

vernahm, machte ihr bewut, da ihre Kritteleien zum


guten Teil den Zweck hatten, den Zustand von
hochmtiger und etwas weinerlicher Entfremdung zu
dmpfen, in den der Umgang mit dem Schnen uns
leicht versetzt. Nicht gern k ehrt man diesem wieder
den Rck en, das zeigte der hartnck ige Beifall der im
Parterre stehen gebliebenen Leute, der nicht sowohl
den Schauspielern Dank bark eit bezeigen sollte, als da
er vielmehr das Hilfsmittel war, sich noch ein wenig an
die Sphre des Schnen zu k lammern, bevor man es
aufgab, die Hnde sink en lie und in Gottes Namen ins
gemeine Leben zurck k ehrte. Auch Charlotte, schon in
Hut und Umhang, stand, whrend der Diener wartete,
noch einige Minuten an der Logenbrstung und
applaudierte in ihre seidenen Halbhandschuhe. Dann
folgte sie dem vorangehenden Carl, der sich wieder mit
dem Rosettencylinder bedeck te, die Treppe hinab. Ihre
vom Schauen aus dem Dunk eln ins Helle ermdeten,
aber glnzenden Augen blick ten dabei nicht
geradeaus, sondern schrg aufwrts zum Zeichen, wie
sehr sie doch wirk lich das Trauerspiel genossen hatte,
mochte das mit den beiden Grenzen auch anfechtbar
gewesen sein.
Der Landauer, mit aufgeschlagenem Verdeck , zwei
Laternen zuseiten des hohen Bock s, auf welchem der
salutierende Kutscher seine Stulpenstiefel gegen das
schrge Fubrett stemmte, hielt wieder vor dem Portal,

und der Bediente war Charlotten beim Einsteigen


behilflich, breitete auch frsorglich eine Dek k e ber
ihre Kniee, worauf er den Schlag verwahrte und sich
mit gebtem Schwunge drauen hinauf an die Seite des
Kutschers {436}befrderte. Der schnalzte, die Pferde
zogen an, der Wagen setzte sich in Bewegung.
Sein Inneres war wohnlich k ein Wunder, hatte er
doch bei Reisen gedient und ferner zu dienen ins
Bhmische und an den Rhein und Main. Das gesteppte
Tuch in Dunk elblau, mit dem er ausgeschlagen war,
wirk te elegant und behaglich, eine Kerze im Windglas
war in einer Eck e angebracht, und sogar Schreibzeug
stand zur Verfgung: an der Seite, wo Charlotte
eingestiegen war und sich niedergelassen hatte,
steck ten ein Block und Stifte in einer Ledertasche.
Stille sa sie in ihrem Wink el, die Hnde ber ihrem
Ncessaire gek reuzt. Durch die k leinen Fenster des
Paravents, der den Kutschbock vom Wageninneren
trennte, fiel zerstreutes, unruhig wechselndes Licht der
Laternen zu ihr herein, und in diesem Lichte bemerk te
sie, da sie gut getan hatte, gleich an der Seite Platz
zu nehmen, wo sie den Wagen bestiegen, denn sie war
nicht so allein, wie sie in der Loge gewesen. Goethe sa
neben ihr.
Sie erschrak nicht. Man erschrick t nicht ber
dergleichen. Sie rck te nur ein wenig tiefer in ihren

Wink el, ein wenig besser bei Seite, blick te auf die
leicht flack ernd beleuchtete Erscheinung ihres
Nachbarn und lauschte.
Er trug einen weiten Mantel mit aufrecht stehendem
Kragen, der rot gefttert und abgesetzt war, und hielt
den Hut im Scho. Seine schwarzen Augen unter dem
Stirngestein, dem jupitergleich angewachsenen Haar,
das diesmal ungepudert und fast noch ganz
jugendbraun, wenn auch dnnlich, war, blick ten gro
und mit schalk haftem Ausdruck zu ihr hinber.
Guten Abend, meine Liebe, sagte er mit der
Stimme, mit der er einst der Braut aus dem Ossian, dem
Klopstock vorgelesen. Da ich mir's abschlagen mute,
heute Abend an Ihrer Seite zu sein, auch in all diesen
Tagen unsichtbar geblieben bin, wollt' ich's mir doch
nicht nehmen lassen, Sie vom Kunstgenu heim zu
begleiten.
{437}Das ist sehr artig, Excellenz Goethe, erwiderte
sie, und hauptschlich dessenthalb freut es mich, weil
eine gewisse Harmonie unserer Seelen, wenn davon die
Rede sein k ann zwischen einem groen Manne und
einer k leinen Frau, aus Ihrem Entschlusse spricht und
aus der berraschung, die Sie mir da bereiten. Denn es
zeigt mir, da auch Sie es als unbefriedigend
unbefriedigend bis zur Traurigk eit empfunden
htten, wenn unser Abschied neulich nach den
lehrreichen Besichtigungen htte der allerletzte sein

und nicht wenigstens doch noch ein Wiedersehn sich


daran htte k npfen sollen, das ich mit wirk licher
Bereitwilligk eit als das in Ewigk eit letzte anerk enne,
wenn es nur dieser Geschichte einen leidlich
vershnlichen Abschlu geben k ann.
Einen Abschnitt, hrte sie ihn aus seiner Eck e
sagen, einen Abschnitt macht die Trennung.
Wiedersehn: ein k lein Kapitel, fragmentarisch.
Ich wei nicht, was du da sagst, Goethe,
entgegnete sie, und wei nicht recht, wie ich's hre,
aber ich wundere mich nicht, noch darfst du dich
wundern, denn ich gebe ein fr allemal der k leinen
Frau nichts nach, mit der du letzthin Poesie getrieben
am glhenden Mainstrom, und von der dein armer
Sohn mir erzhlte, da sie ganz einfach in dich und
deinen Gesang eingetreten sei und ebenso gut gedichtet
habe, wie du. Nun ja, sie ist ein Theaterk ind und hat
wohl ein beweglich Geblt. Aber Frau ist Frau, und wir
treten alle ein, wenn's sein mu, in den Mann und
seinen Gesang Wiedersehn ein k lein Kapitel,
fragmentarisch? Aber so fragmentarisch, fandest du
selber wohl, sollt' es nicht sein, da ich mit dem
Gefhle vlligen Fehlschlags an meinen einsamen
Witwensitz sollte zurck k ehren.
Hast du die liebe Schwester nicht umarmt, sagte
er, nach langer Trennungsfrist? Wie magst du da von

deiner Reise vlligem Fehlschlag sprechen?


{438}Ach, spotte meiner nicht! entgegnete sie. Ist's
doch an dem, da ich die Schwester nur zum Vorwand
nahm, um eine Lust zu ben, die mir lngst die Ruhe
stahl: nach deiner Stadt zu reisen, in deiner Gre
dich, worein das Schick sal mein Leben hat verwoben,
heimzusuchen und dieser fragmentarischen Geschichte
doch einen Abschlu zur Beruhigung fr meinen
Lebensabend auszufinden. Sag', k am ich dir recht sehr
zu unpa? War es ein ganz erbrmlich dummer
Schulmdelstreich?
So wollen wir es denn doch k eineswegs nennen,
antwortete er, ob es schon nicht gut ist, der Neugier,
Sentimentalitt und Bosheit der Leute Zuck er zu
geben. Aber von Ihrer Seite her, meine Beste, k ann ich
die Antriebe zu dieser Reise recht wohl verstehen, und
auch mir k am Ihr Erscheinen, in einem tieferen Sinne
wenigstens, nicht zu unpa; vielmehr mut' ich es gut
und geistreich heien, wenn denn Geist das obere
Leitende ist, das in Kunst und Leben die Dinge sinnvoll
fgt und uns anhlt, in allem Sinnlichen nur die
Vermummung hherer Bezge zu sehen. Zufall gibt es
nicht in der Einheit eines irgend bedeutenden Lebens,
und nicht umsonst war mir k rzlich erst, im frhen
Jahre, unser Bchlein, der Werther, wieder in die
Hnde gefallen, da Ihr Freund untertauchen mochte
im Frhen-Alten, da er sich durchaus in eine Epoche

der Erneuerung und der Wiederk ehr eingetreten


wute, ber welcher denn freilich nicht unbetrchtlich
hhere Mglichk eiten walteten, das Leidenschaftliche
in Geist aufgehen zu lassen. Wo aber das Gegenwrtige
als die Verjngung des Vergangenen sich geistreich zu
erk ennen gibt, k ann es nicht wundernehmen, da im
bedeutungsvollen Wallen der Erscheinungen auch das
unverjngte Vergangene mit zu Besuche k ommt,
verblate Anspielungen prsentierend und indem es
seine Zeitgebundenheit durch das Wack eln seines
Kopfes rhrend bek undet.
Es ist nicht schn von dir, Goethe, da du diese
Bek undung {439}so geradezu namhaft machst, wobei es
wenig hilft, da du sie rhrend nennst, denn frs
Rhrende bist du garnicht, sondern wo wir einfachen
Menschen gerhrt sein mchten, da stellst du die
Sache k hl aufs Interessante. Ich habe recht wohl
bemerk t, da du dieser meiner k leinen Schwche
gewahr geworden bist, die ber meine ganz wack ere
Gesamtverfassung garnichts besagt und viel weniger
mit Zeitunterworfenheit zu tun hat, als mit meiner
Verwobenheit in dein riesengro gewordenes Leben, die
ich nur apprehensiv und aufregend nennen k ann. Was
ich aber nicht wute, ist, da du auch die verblaten
Anspielungen meines Kleides bemerk t hast nun ja,
natrlich bemerk st du mehr, als deine abschweifenden

Augen zu bemerk en scheinen, und zuletzt solltest du's


ja bemerk en, dazu hatte ich mir den Scherz ja
ausgedacht und dabei auf deinen Humor gerechnet,
wiewohl ich nun einsehe, da es nicht sonderlich
humoristisch war. Um aber auf meine
Zeitunterworfenheit zurck zuk ommen, so la mich
doch sagen, da du wenig Grund hast, Excellenz, dich
darber aufzuhalten, denn aller poetischen
Erneuerung und Verjngung ungeachtet, ist dein
Stehen und Treten ja von einer Steifigk eit geworden,
da Gott erbarm', und deine gravittische Courtoisie
scheint mir ebenso des Opodeldok s bedrftig.
Ich habe Sie erzrnt, meine Gute, sagte er in
sanftem Ba, mit meiner beilufigen Erwhnung.
Vergessen Sie aber nicht, da ich sie im
Zusammenhang that der Rechtfertigung Ihres
Erscheinens und der Erluterung, warum ich es gut
und sinnvoll heien mute, da auch Sie mit
daherwallten im Geisterzuge.
Merk wrdig, schaltete sie ein. August, der
unausgesprochene Brutigam, erzhlte mir, du habest
seine Mutter, die Mamsell, geduzt, sie aber htte dich
Sie genannt. Mir fllt auf, da es bei uns hier
umgek ehrt zugeht.
Das Du und Sie, antwortete er, war ja auch
damals immer, {440}zu deiner Zeit, zwischen uns in der
Schwebe, und im brigen liegt ihre augenblick liche

Verteilung wohl in unseren beiderseitigen


Verfassungen begrndet.
Gut und recht. Aber da sprichst du nun von meiner
Zeit, statt unsere Zeit zu sagen, da's doch die deine
auch war. Aber es ist deine Zeit eben wieder, erneut
und verjngt, als geistreiche Gegenwart, da es die
meine blo einmal war. Und da soll's mich nicht tief
verletzen, da du so geradhin meiner nichts
besagenden k leinen Schwche gedenk st, die doch
leider eben besagt, da es meine Zeit nur gewesen.
Meine Freundin, erwiderte er, k ann denn wohl
Ihre Zeitgestalt Sie mhen und irgend ein Hinweis
darauf Sie verletzen, da Sie das Schick sal begnstigte
vor Millionen und Ihnen ewige Jugend verlieh im
Gedicht? Das, was vergnglich ist, bewahrt mein Lied.
Das lt sich hren, sagte sie, und ich will's
dank bar anerk ennen trotz aller Brde und Aufregung,
die fr mich Arme damit verbunden. Ich will lieber
auch gleich hinzufgen, was du wohl nur aus
gravittischer Courtoisie verschweigst, da es albern
war, meine Zeitgestalt mit den Emblemen der
Vergangenheit zu behngen, die der bestndigen
Gestalt gehren in deinem Gedicht. Schlielich bist du
ja auch nicht so abgeschmack t, im blauen Frack mit
gelber Weste und Hose herumzugehen, wie damals viele
verschwrmte Buben taten, sondern schwarz und

seidenfein ist dein Frack nunmehr, und ich mu sagen,


der Silberstern darauf steht dir so gut, wie Egmonten
das Goldene Flie. Ja, Egmont! seufzte sie. Egmont
und die Tochter des Volk s. Du hast recht wohl getan,
Goethe, auch deine eigene Jugendgestalt bestndig zu
machen im Gedicht, da du nun als steifbeinige
Excellenz in allen Wrden der Entsagung deinen
Schranzen die Suppe gesegnen magst!
Ich sehe wohl, erwiderte er nach einer Pause tief
und bewegt, meine Freundin hegt einige
Unwirschheit nicht nur {441}wegen meiner scheinbar
unzarten und doch nur liebevoll gemeinten Erwhnung
jenes Zeichens der Zeit. Ihr Zorn, oder ihr Leid, das als
Zorn sich uert, hat gerechteren, nur zu
ehrwrdigen Ursprung, und habe ich nicht im Wagen
auf sie gewartet um der gefhlten Notwendigk eit
willen, diesem Leidenszorn standzuhalten, seine
Gerechtigk eit und Ehrwrdigk eit anzuerk ennen und
ihn vielleicht zu besnftigen durch die herzlichste
Bitte um Vergebung?
O Gott, sagte sie erschrock en, wozu lassen
Excellenz sich herbei! Das hab' ich nicht hren wollen
und werde so rot dabei wie bei der Geschichte, die Sie
zur Himbeercrme erzhlten. Vergebung! Mein Stolz,
mein Glck , sie htten zu vergeben? Wo ist der Mann,
der meinem Freunde sich vergleichen darf? Wie ihn
die Welt verehrt, so wird die Nachwelt ihn verehrend

nennen.
Weder Demut hier noch Unschuld dort, erwiderte
er, wrden der Verweigerung des Erbetenen ihre
Grausamk eit nehmen. Zu sagen: ich habe nichts zu
vergeben, das heit auch sich unvershnlich zeigen
gegen Einen, dessen Schick sal es vielleicht von jeher
war, sich in unschuldiger Schuld zu winden. Wo das
Bedrfnis nach Vergebung ist, soll auch Bescheidenheit
sie nicht verweigern. Sie mte denn die heimliche
Seelenqual, das siedend heie Gefhl nicht k ennen, das
den Menschen durchdringt, wenn ihn ein gerechter
Vorwurf, mitten in dem Dnk el eines zutraulichen
Selbstgefhls, pltzlich betrifft, soda er einem Haufen
durchglhter Muscheln gleicht, wie sie wohl da und
dort statt des Kalk es zum Bauen verwendet werden.
Mein Freund, sagte sie, es wre mir schreck lich,
wenn der Gedank e an mich auch nur augenblick sweise
dein zutrauliches Selbstgefhl sollte verstren k nnen,
von dem fr die Welt soviel abhngt. Ich nehme aber
auch an, da diese gelegentliche Durchglhung in
erster Linie der Ersten gilt, bei der die Ent {442}sagung
gegrndet ward und zur Wiederholung begann: der
Tochter des Volk s, der du im Abreiten die Hand
reichtest vom Pferde herab; denn man liest ja
beruhigender Weise, da du dich von mir mit milderem
Schuldgefhle getrennt, als von ihr. Die Arme unter

ihrem Hgel im Badischen! Ich habe, offen gesagt,


nicht viel Herz fr sie, denn sie hat sich sehr gut nicht
gehalten und sich der Verk mmerung berlassen, da es
doch darauf ank ommt, einen resoluten Selbstzweck aus
sich zu machen, auch wenn man ein Mittel ist. Da liegt
sie nun im Badischen, dieweil andere nach ergiebigem
Leben sich eines wrdigen Witwenstandes erfreuen,
gegen dessen Wack erk eit so ein bischen apprehensives
Kopfzittern garnichts besagt. Auch bin ich ja die
Erfolgreiche als deutliche und unverk ennbare Heldin
deines unsterblichen Bchleins, unbezweifelbar und
unbestreitbar bis ins Einzelne trotz dem k leinen
Durcheinander mit den schwarzen Augen, und selbst
der Chinese, so fremdartige Gesinnungen er sonst auch
hegen mge, malt mich mit zitternder Hand auf Glas
an Werthers Seite mich und k eine andere. Darauf
poche ich und la mich's nicht anfechten, da die
unterm Hgel vielleicht mit im Spiele war, da bei ihr
die Grndung liegt, und da sie dir mglicherweise das
Herz erst erschlossen hat fr Werthers Liebe, denn
das wei niemand, und es sind meine Zge und
Umstnde, die den Leuten vor Augen stehen. Meine
Angst ist nur, da es einmal herausk ommen und das
Volk es eines Tages entdeck en mchte, da sie wohl
gar die Eigentliche ist, die zu dir gehrt in den
Gefilden, wie Laura zum Petrarc, soda es mich strzte
und absetzte und mein Bild aus der Nische risse im

Dome der Menschheit. Das ist's, was mich manchmal zu


Trnen beunruhigt.
Eifersucht? fragte er lchelnd. Ist Laura denn
allein der Name, der von allen zarten Lippen k lingen
soll? Eifersucht auf wen? Auf deine Schwester, nein,
dein Spiegelbild und ander Du? Wenn Wolk e sich
gestaltend umgestaltet, ist's nicht die{443}selbe Wolk e
noch? Und Gottes Namenhundert, nennt es nicht den
Einen nur und euch, geliebte Kinder? Dies Leben ist
nur Wandel der Gestalt, Einheit im Vielen, Dauer in
dem Wandel. Und du und sie, ihr alle seid nur Eine in
meiner Liebe und in meiner Schuld. Tatest du deine
Reise, um dich des getrsten zu lassen?
Nein, Goethe, sagte sie. Ich k am, um mich nach
dem Mglichen umzusehen, dessen Nachteile gegen das
Wirk liche so sehr auf der Hand liegen, und das doch
als Wenn nun aber und Wie nun erst immer neben
ihm in der Welt bleibt und unserer Nachfrage wert ist.
Findest du nicht, alter Freund, und fragst du nicht
auch mitunter dem Mglichen nach in den Wrden
deiner Wirk lichk eit? Sie ist das Werk der Entsagung,
ich wei es wohl, und also doch wohl der
Verk mmerung, denn Entsagung und Verk mmerung,
die wohnen nahe beisammen, und all Wirk lichk eit und
Werk ist eben nur das verk mmerte Mgliche. Es ist
etwas Frchterliches um die Verk mmerung, das sag'

ich dir, und wir Geringen mssen sie meiden und uns
ihr entgegenstemmen aus allen Krften, wenn auch der
Kopf zittert vor Anstrengung, denn sonst ist bald
nichts von uns brig, als wie ein Hgel im Badischen.
Bei dir, da war's etwas anderes, du hattest was
zuzusetzen. Dein Wirk liches, das sieht nach was aus
nicht nach Verzicht und Untreue, sondern nach lauter
Erfllung und hchster Treue und hat eine Imposanz,
da niemand sich untersteht, dem Mglichen davor
auch nur nachzufragen. Meinen Respek t!
Deine Verwobenheit, liebes Kind, ermutigt dich zu
einer drolligen Art der Anerk ennung.
Das will ich doch wenigstens davon haben, da ich
mitreden und ein wenig vertraulicher lobpreisen darf,
als die unzugehrige Menge! Aber das mu ich auch
sagen drfen, Goethe: so sehr wohl und behaglich war
mir's nicht eben in deiner Wirk lichk eit, in deinem
Kunsthaus und Lebensk reis, es war {444}eher eine
Bek lemmung und eine Apprehension damit, das la
mich gestehen, denn allzusehr riecht es nach Opfer in
deiner Nhe ich meine nicht: nach Weihrauch, das
liee ich mir gefallen, auch Iphigenie lt ihn sich ja
gefallen fr die Diana der Sk ythen, aber gegen die
Menschenopfer, da greift sie mildernd ein, und nach
solchen sieht's leider aus in deinem Umk reis, es ist ja
beinah wie ein Schlachtfeld und wie in eines bsen
Kaisers Reich. Diese Riemer, die immer muck en und

maulen, und deren Mannesehr auf dem sen Leime


zappelt, und dein armer Sohn mit seinen siebzehn
Glsern Champagner und dies Persnchen, das ihn
denn also zu Neujahr heiraten wird und wird in deine
Oberstuben fliegen wie die Mck e ins Licht, zu
schweigen von den Marieen Beaumarchais, die sich
nicht zu halten wuten wie ich, und die die
Auszehrung unter den Hgel brachte, was sind sie
denn, als Opfer deiner Gre. Ach, es ist wundervoll ein
Opfer bringen, jedoch ein bittres Los ein Opfer sein!
Unruhige Lichter huschten und hpften ber die
Gestalt des Manteltrgers an ihrer Seite. Er sagte:
Liebe Seele, la mich dir innig erwidern, zum
Abschied und zur Vershnung. Du handelst vom Opfer,
aber damit ist's ein Geheimnis und eine groe Einheit
wie mit Welt, Leben, Person und Werk , und Wandlung
ist alles. Den Gttern opferte man, und zuletzt war das
Opfer der Gott. Du brauchtest ein Gleichnis, das mir
lieb und verwandt ist vor allen, und von dem meine
Seele besessen seit je: das von der Mck e und der
ttlich lok k enden Flamme. Willst du denn, da ich
diese sei, worein sich der Falter begierig strzt, bin ich
im Wandel und Austausch der Dinge die brennende
Kerze doch auch, die ihren Leib opfert, damit das Licht
leuchte, bin ich auch wieder der trunk ene
Schmetterling, der der Flamme verfllt, Gleichnis

alles Opfers von Leben und Leib zu geistigster


Wandlung. Alte Seele, liebe, k indliche, ich zuerst und
zuletzt bin ein Opfer und bin der, {445}der es bringt.
Einst verbrannte ich dir und verbrenne dir allezeit zu
Geist und Licht. Wisse, Metamorphose ist deines
Freundes Liebstes und Innerstes, seine groe Hoffnung
und tiefste Begierde, Spiel der Verwandlungen,
wechselnd Gesicht, wo sich der Greis zum Jngling, zum
Jngling der Knabe wandelt, Menschenantlitz
schlechthin, in dem die Zge der Lebensalter
changieren, Jugend aus Alter, Alter aus Jugend magisch
hervortritt: darum war mir's lieb und verwandt, sei
vllig beruhigt, da du dir's ausgedacht und zu mir
k amst, mit Jugendzeichen geschmck t die Altersgestalt.
Einheit, Geliebte, das auseinander Hervortauchen, das
Sich Vertauschen, Verwechseln der Dinge und wie
Leben jetzt ein natrlich Gesicht, jetzt ein sittliches
zeigt, wie sich Vergangenheit wandelt im
Gegenwrtigen, dieses zurck weist auf jene und der
Zuk unft vorspielt, von der beide schon geisterhaft voll
waren. Nachgefhl, Vorgefhl Gefhl ist alles. La
unsern Blick sich auftun und unsre Augen gro sein
fr die Einheit der Welt gro, heiter und wissend.
Verlangt dich nach Shne? La, ich sehe sie mir
entgegenreiten in grauem Kleide. Dann wird wieder die
Stunde Werthers und Tassos schlagen, wie es
mitternchtlich gleich schlgt dem Mittag, und da

ein Gott mir gab zu sagen, was ich leide, nur dieses
Erst und Letzte wird mir dann bleiben. Dann wird das
Verlassen nur noch Abschied, Abschied fr immer sein,
Todesk ampf des Gefhls, und die Stunde grlicher
Schmerzen voll, Schmerzen wie sie wohl dem Tode um
einige Zeit vorangehn, und die das Sterben sind, wenn
auch noch nicht der Tod. Tod, letzter Flug in die
Flamme, im All-Einen, wie sollte auch er denn nicht
nur Wandlung sein. In meinem ruhenden Herzen, teure
Bilder, mgt ihr ruhen und welch ein freundlicher
Augenblick wird es sein, wenn wir dereinst wieder
zusammen erwachen.
Die frhvernommene Stimme verhauchte. Friede
deinem Alter! flsterte sie noch. Der Wagen hielt.
Seine Lichter schie{446}nen mit dem der beiden
Laternen zusammen, die zuseiten des Eingangs zum
Elephanten brannten. Zwischen ihnen stehend hatte
Mager, die Hnde auf dem Rck en, mit erhobener Nase
die neblig gestirnte Herbstnacht geprft und lief jetzt
auf weichen Servierschuhen ber den Brgersteig, dem
Bedienten beim Oeffnen des Schlages zuvorzuk ommen.
Natrlich k am er nicht irgendwie dahergerannt,
sondern lief wie ein Mann, dem das Laufen schon etwas
fremd ist, wrdig schwnzelnd, die Hnde mit
verfeinerter Fingerhaltung zu den Schultern erhoben.
Frau Hofrtin, sagte er, willk ommen wie immer!

Mchten Frau Hofrtin in unserm Musentempel einen


erhebenden Abend verbracht haben! Darf ich diesen
Arm offerieren zur sicheren Sttze? Guter Himmel,
Frau Hofrtin, ich mu es sagen: Werthers Lotte aus
Goethe's Wagen zu helfen, das ist ein Erlebnis wie soll
ich es nennen? Es ist buchenswert.
ENDE

Anhang

{447}Editorische

Nachbemerkung

Ein Werk des Exils, unter geradezu abenteuerlichen


Umstnden zu Ende gebracht, auerhalb des deutschen
Sprachbereichs ins Reine geschrieben, gesetzt und
gedruck t, trgt die Erstausgabe von Lotte in Weimar
und mit ihr die gesamte Reihe der weiteren Editionen
deutliche Spuren dieser Entstehung an sich. Die
sk andalsen Druck fehler des Erstdruck s (so Thomas
Manns eigener Befund) erstreck ten sich k eineswegs
blo auf orthographische Irrtmer, sondern reichten
manches Mal bis an die Grenzen der
Unverstndlichk eit und auch des blank en Unsinns
der schlimmstenfalls Ausgangspunk t falscher
Interpretation wurde. Tempora wurden verwechselt,
Artik el falsch gesetzt, Zeichen ausgespart. Aus
Kindesliebe war eine Kinderliebe geworden, aus
dem Reiz der Wahrheit ein Reiz Wahrheit, ein
philologisches Gewissen zu einem philosophischen
Gewissen. Da k lingelt das Tageslicht durch den
Fensterladen, statt zu blinzeln; es strmen Lust und

Licht und nicht Luft und Licht; statt der


Grofrstin von Sachsen-Weimar-Eisenach flieht der
Grofrst ins neutrale Bhmen; aus Werther, dem
vielbeschrieenen Bchlein, ist ein
vielbeschriebenes geworden und so fort. Ganze
Stze oder Teilstze wurden in den Erstdruck nicht
aufgenommen, obwohl sie in der Handschrift nicht
gestrichen sind: Zu ihnen gehren die berhmten
Worte, mit denen Thomas Mann auf die Aberk ennung
des Ehrendok torats der Bonner Philosophischen
Fak ultt reagierte und die er hier seinem Goethe in
den Mund legt: da ich zum Reprsentanten geboren
und garnicht zum Mrtyrer.
Schlimmen Missbrauch treibt die Stock holmer
Ausgabe auch mit Namen: Ruck stuhl, der Schweizer
Grammatik er, heit Rck sthl, Frau von Koppenfels,
die Gattin des Malers {448}Johann Heinrich Meyer,
Koppenfeld, Baron von Saint Aignan, der Gesandte
Napoleons, Saint Aignon. Nicht einmal Magers
Freund, der eifrige Sergeant, in den Druck en bisher
Rhrig genannt, hat seinen richtigen Namen
erhalten; er wird hinfort Rhrich heien.
Als der wahre Umfang der Korruptelen in den
Nachk riegsjahren mehr und mehr sichtbar wurde,
meinte der bald achtzigjhrige Thomas Mann
resignierend, es bedrfe wohl eines Herk ules, um diesen
Augiasstall auszumisten. Fr die Neuedition von Lotte

in Weimar bedeutet dies, dass eine lange


Druck geschichte von Irrtmern umgangen und die
Handschrift selbst als Leittext zu Grunde gelegt wird.
Sie zhlt zu den Schtzen der Bibliotheca Bodmeriana
in Genf, die das Autograph fr die Neuausgabe zur
Verfgung stellte. Damit k ommt der Roman nach ber
sechzig Jahren in einer Gestalt vor das Lesepublik um,
die nicht durch ihre Wirk ung beglaubigt ist, statt
dessen aber den hchst mglichen Grad an
Authentizitt aufweist.
Dabei wird der Leser, dem die historisierende
Orthographie im Laufe der Editionsgeschichte lieb und
teuer geworden ist, als Erstes eine ungewohnte
Textgestalt bemerk en, die in erheblichem Umfang ohne
solche Stilisierung ausk ommt. Zwar k ennt auch das
Manusk ript archaische Schreibungen (wie Excellenz,
Cylinder, Cohobierung), doch die Erstausgabe
bertrieb die wiederum nicht k onsequent realisierte
Tendenz, bei allen Fremdwrtern aus den k lassischen
Sprachen K und Z in C zu verwandeln. Wann, auf
welchem Wege oder durch wessen Hand dieser Versuch
einer Schreibsystematik in den Roman gelangt ist
diese Fragen sind bis heute ungek lrt.
Leitend fr die neue Textausgabe, auch fr die
Darstellung der Interpunk tion, waren die k onsequente
Orientierung am Manusk ript und der Verzicht auf jede

Art von Mischtext. Die graphische Gestalt des Romans


ist nicht dek orative Eink lei {449}dung, sondern
Bedeutungstrger. Sie wird buchstabengetreu
wiedergegeben. Hlflos und wrk en, ergetzen
und ghren, giebt und unstt, Styl und
Kniee schaffen Atmosphre, Beziehungsassoziationen
und Klangk ombinationen, die selbst beim stummen
Lesen mitschwingen. Nicht einmal die in sonstigen
Fllen nach Bedeutung oder Ausdruck funk tionslosen
Th oder Y (statt I), beziehungsweise die
Umlautschreibungen Ae, Oe, Ue, ae, oe wurden getilgt.
Die optische Wahrnehmung der historischen oder
besser: historisierten Textgestalt gehrt zur Botschaft
des Textes, und die Grapheme spielen mit in einem
auch visuell inszenierten Text. Jede Form von
Modernisierung und Popularisierung wrde nicht nur
diese Aura verderben, sondern eines der wichtigsten
Darstellungsziele Thomas Manns durchk reuzen: die
Mimik ry.
Diese orthographische Spezialitt des Goethe-Romans
ist nun wiederum Teil der allgemeinen
Zwitterhaftigk eit von Thomas Manns Schreibbild. Die
Rechtschreibpraxis des 19. Jahrhunderts war fr ihn
prgend. Die Neuerungen schlichen sich nur langsam
und ber viele Jahre hinweg in sein Schriftbild ein, so
dass Thr und Thor, Kristall und Baryton,
Kumulus und Zirrus manchmal sogar im selben

Satz friedlich nebeneinander stehen. Eine


Vereinheitlichung htte nicht nur das bunte
Nebeneinander nivelliert und uniformiert, sondern
auch bertncht, was der Text durch sich
demonstriert: Thomas Manns Schwellensituation
zwischen Klassik und Moderne, seine janushafte
Orientierung nach vorne und zurck .
Nicht leicht zu entscheiden, was bei solch doppelt
verzwick ter Sachlage als historisch legitime
Schreibung, was als orthographischer Fehler und
damit als Korrigendum zu betrachten sei. Als
Richtschnur diente die Regel: Solange eine Schreibform
in den historischen Wrterbchern seit Adelung (in der
Auflage von 1811) belegt ist, wurde sie nicht
angetastet. So htte sie eben {450}jemand schreiben
k nnen, der den Schreibak t simulierend ins Jahr 1816
zurck verlegte, oder ein Autor aus den Jahren 1936 bis
1939, der seinerseits durch seine Sozialisation dem
spten 19. Jahrhundert angehrte.
Die Neck erei des Horaz, dass selbst der gute Homer
ber seinem Riesenwerk hin und wieder eingenick t sei,
trifft auch Thomas Mann. Er war der Polyhistor nicht,
als der er der ffentlichk eit erschien. Und so war es
nahezu unvermeidlich, dass gerade in einem Werk mit
historischer Dimension einige solcher Fleck chen zu
finden sind, die schon der augusteische Ironik er beim

groen Kollegen entdeck t hat. Sie wurden nicht


retuschiert, sofern sie nicht im Laufe der
Textgeschichte nachweislich von Thomas Mann
k orrigiert wurden. Zum einen lsst sich durchaus nicht
immer zweifelsfrei ausmachen, ob er tatschlich
geschlafen oder im Gegenteil, hchst munter, eine
Umdeutung des historischen Materials beabsichtigte,
die, obwohl sachlich falsch, dem Leser doch einen
Spielraum fr Assoziation und Interpretation erffnet.
Erweisen sich aber zum anderen die schwierigen
Lesarten tatschlich als Irrtmer, so gehren sie zu
diesem historischen Dok ument hinzu, wie es ist. Hier
gilt das Wort des Autors, der whrend seiner Arbeit an
Lotte in Weimar in einem Brief (an Kuno Fiedler,
21.12.1937) wissen lsst: Ich gebe das Historische
ziemlich leichten Herzens preis.
Werner Frizen

Daten zu Leben und Werk

6. Juni 1875
Paul Thomas Mann wird als zweites Kind von
Thomas Johann Heinrich Mann und seiner Frau
Julia, geb. da Silva-Bruhns, in Lbeck geboren.
Geschwister: Luiz Heinrich (1871), Julia (1877),
Carla (1881), Vik tor (1890)
1889
Eintritt in das Katharineum
1893
Herausgabe der Schlerzeitschrift Der
Frhlingssturm
Abgang vom Gymnasium aus der Obersek unda
(heutige 11. Klasse); Umzug nach Mnchen
1894
Volontariat bei der Sddeutschen
Feuerversicherungsbank
Gefallen, erste Novelle
18941895
Gasthrer an der Technischen Hochschule

Mnchen: Kunstgeschichte, Literaturgeschichte,


Nationalk onomie
18951898
Aufenthalte in Italien mit Heinrich Mann: Rom,
Palestrina
1897
Arbeitsbeginn an den Buddenbrooks
1898
Erster Novellenband: Der kleine Herr Friedemann,
bei S. Fischer
18981899
Redak teur beim Simplicissimus (Mnchen)
1901
Buddenbrooks. In zwei Bnden, bei S. Fischer
1903
Tristan. Novellenband; enthlt die Erzhlung Tonio
Krger
3. Ok tober 1904
Verlobung mit Katia Pringsheim, geb. 24. Juli 1883

11. Februar 1905


Hochzeit in Mnchen
9. November 1905
Geburt von Erik a Julia Hedwig
1906
Fiorenza (Drama in drei Ak ten)
Bilse und ich
18. November 1906
Geburt von Klaus Heinrich Thomas
1907
Versuch ber das Theater
1909
Knigliche Hoheit
27. Mrz 1909
Geburt von Angelus Gottfried Thomas (Golo)
7. Juni 1910
Geburt von Monik a
1912

Der Tod in Venedig. Erste Arbeiten an Der


Zauberberg
Januar 1914
Bezug des eigenen Hauses Mnchen, Poschingerstr.
1
1915
Friedrich und die groe Koalition
1918
Betrachtungen eines Unpolitischen
24. April 1918
Geburt von Elisabeth Veronik a
1919
Herr und Hund
21. April 1919
Geburt von Michael Thomas
1922
Goethe und Tolstoi und Von deutscher Republik
1924
Der Zauberberg

1926
Unordnung und frhes Leid. Beginn der
Niederschrift der Josephs-Romane. Lbeck als
geistige Lebensform
10. Dezember 1929
Verleihung des Nobelpreises fr Literatur
1930
Mario und der Zauberer
Deutsche Ansprache Ein Appell an die Vernunft
1932
Goethe als Reprsentant des brgerlichen
Zeitalters
Reden im Goethe-Jahr
1933
Leiden und Gre Richard Wagners
Joseph und seine Brder: Die Geschichten Jaakobs
11. Februar 1933
Abreise nach Holland, Beginn des Exils
Frhherbst 1933

Niederlassung in Ksnacht bei Zrich


1934
Joseph und seine Brder: Der junge Joseph
Mai-Juni 1934
Erste Reise in die USA
1936
Joseph und seine Brder: Joseph in gypten
Aberk ennung der deutschen Staatsbrgerschaft.
Thomas Mann wird tschechischer Staatsbrger
1938
Bruder Hitler
September 1938
bersiedlung nach Amerik a. Ttigk eit als
Lecturer in the Humanities an der Universitt
Princeton
1939
Lotte in Weimar
April 1941
Umzug nach Kalifornien, Pacific Palisades

1942
Deutsche Hrer! 25 Radiosendungen nach
Deutschland
1943
Joseph und seine Brder: Joseph, der Ernhrer
23. Juni 1944
Thomas Mann wird Staatsbrger der USA
1945
Deutschland und die Deutschen
Deutsche Hrer! 55 Radiosendungen nach
Deutschland
Dostojewski mit Maen
1947
Doktor Faustus
April-September 1947
Erste Europa-Reise nach dem Krieg
1949
Die Entstehung des Doktor Faustus, Roman eines
Romans
Reden im Goethe-Jahr

21. April 1949


Tod des Bruders Vik tor
Mai-August 1949
Zweite Europa-Reise und erster Besuch im
Nachk riegsdeutschland. Vortrge zu Goethes 200.
Geburtstag in Frank furt am Main und Weimar
21. Mai 1949
Selbstmord des Sohnes Klaus
1950
Meine Zeit
12. Mrz 1950
Tod des Bruders Heinrich
1951
Der Erwhlte
Juni 1952
Rck k ehr nach Europa
Dezember 1952
Endgltige bersiedlung in die Schweiz, Erlenbach
bei Zrich

1953
Die Betrogene
1954
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der
Memoiren erster Teil
April 1954
Einzug in das Haus in Kilchberg, Alte Landstrae
39
1955
Versuch ber Schiller. Reden im Schiller-Jahr
8. und 14. Mai 1955
Schiller-Rede in Stuttgart und Weimar
12. August 1955
Tod Thomas Manns

Impressum

Covergestaltung: Stefan Gelberg


Coverabbildung: Archiv S. Fischer Verlag
Textgrundlage: Thomas Mann, Groe kommentierte Frankfurter
Ausgabe, Band 9.1: Lotte in Weimar, herausgegeben und textkritisch
durchgesehen von Werner Frizen, 2. Auflage. Frankfurt am Main
2003, Erstdruck des Romans: Stockholm, Bermann-Fischer Verlag
1939.
E-Book-Umsetzung: pagina GmbH, Tbingen
S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2010
Abhngig vom eingesetzten Lesegert kann es zu unterschiedlichen
Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschtzt.
Hinweise zur Zitierfhigkeit dieser Ausgabe:
Die grauen Zahlen in geschweiften Klammern markieren jeweils den
Beginn einer neuen, entsprechend paginierten Seite in der genannten
Buchausgabe.
ISBN 978-3-10-400301-6

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