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).

IIDinanuel Carl Diez


Briefwechsel und
Kantische Schriften
Wissensbegriindung
in der Glaubenskrise
Tiibingen-Jena
(1790-1792)
Herausgegehen von
Dieter Henrich
Unter Mitwirkung von
Jurgen ~eyenschops
Mit Beitragen von
Johann L. Doderlein · Anton F. Koch
Pol Schmoetten · Marcelo Stamm
Violetta ~aibel

Klett-Cotta
Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII

I. Diez zwischen Kant und Fichte

X 1. Restitution eines Verges sen en. Erste Einleitung XVII


a. Diez im rapiden Gang der nachkantischen
Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
b . Diez' Papiere im Uberblick . . . . . . . . . . XXXIII
c. Anlage und Motivation der Kommentierung XLII
)I 2. Der selbstdenkende Kantianer. Zweite Einleitung LI
a. Wissenschaftliche Ambition und Freundesnahe LI
b. Begri.indungsprobleme im Anschlu.B an Kant LVI
c. Die Kantische Philosophie und das Christen-
tum .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXX
3. Erklarung der Arbeitsanteile, Danksagung . . . XCIV
/( 4. Kurzbiographien von Immanuel Carl Diez, Fried-
rich Immanuel Niethammer, Friedrich Gottlieb
Si.i.Bkind und Johann Benjamin Erhard . . . . . IC

II. Erlauterungen zur Ausgabe

1. Prinzipien der Edition . . . . . . . . . . . . . CIX


2. Prinzipien der Kommentierung . . . . . . . . CXIV
3. !cinerarium zu deutungsbedi.irftigen Au.Berungen
i.iber philosophische Grundfragen . CXIX
4. Abki.irzungs- und Siglenverzeichnis . . . . . . . . CXXI

v
lnhaltsverzeichnis lnhaltsverzeichnis

III. Briefe und Schriften C 3 Von F. G. SiiEkind, 10. September 1790 185
C 4 Von F. G. SiiEkind, 20. September 1790 187
1. Textgruppe A: Diez an Niethammer 3 C 5 Von F. G. SiiEkind, 6. November 1790 203
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . 5 C 6 Von F. G. SiiEkind, 2. Dezember 1790 213
A 1 An K. H. Gros, 25. April 1790 7 C 7 Von F. G. SiiEkind, 5. Januar 1791 221
A 2 An F. I. Niethammer, 9. Mai 1790 11 C 8 Von F. G. SiiEkind, 14. Januar 1791 223
A 3 An F. I. Niethammer, 19.-22. Juni 1790 16 C 9 Von F. G. SiiEkind, 26. Februar 1791 230
A 4 An F. I. Niethammer, 2. September 1790 33 C 10 Von F. G. SiiEkind, 29.-31. Marz 1791 244
A 5 An F. I. Niethammer, 12. Oktober 1790 39 C 11 Von F. G. SiiEkind, 2. Juli 1791 249
A 6 An F. I. Niethammer, 5. Dezember 1790 41 C 12 Von F. G. SiiEkind, 5. Juli 1791 252
A 7 An F. I. Niethammer, 9. Marz 1791 50 C 13 Von F. G. SiiEkind, 9. Juli 1791 255
A 8 An F. I. Niethammer, 11. April1 791 61 4. Textgruppe D: Diez an die Eltern . . 257
A 9 An F. I. Niethammer, 13. Mai 1791 65 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . 259
A 10 An F. I. Niethammer, 28. Juni 1791 69 D 1 An die Eltern, 20. April 1792 261
A 11 An F. I. Niethammer, 12. Juli 1791 74 D 2 An die Eltern, 21.- 30. April 1792 263
A 12 An F. I. Niethammer, 7. August 1791 79 D 3 An die Eltern, 29. Mai -1. Juni 1792 282
A 13 An F. I. Niethammer, 13. November 1791 86 D 4 An die Eltern, 24.-27. Juli 1792 296
A 14 An C. F. Kielmeyer, 2. Dezember 1791 89 D 5 An die Eltern, 24.-29. Oktober 1792 309
A 15 An F. I. Niethammer, 5. Dezember 1791 90 D 6 An die Eltern, 23. Januar 1794 318
A 16 An F. I. Niethammer, 20. Januar 1792 93 5. Textgruppe E: Letzte Briefe . . . . . . . . 321
A 17 An F. I. Niethammer, 20. Februar 1792 96 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . 323
A 18 An F. I. Niethammer, 2. Marz 1792 98 E 1 An F. I. Niethammer, 28. Marz 1794 325
A 19 An F. I. Niethammer, 16. April1 792 100 E 2 An F. I. Niethammer, 25.-27. Juli 1794 328
A 20 An F. I. Niethammer, 20. April1 792 101 E 3 An F. I. Niethammer, 10. August 1794 331
2. Textgruppe B: Schriften . . . . . . . . . . 103 E 4 An F. I. Niethammer, 3. Oktober 1794 334
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . 105 E 5 An F. I. Niethammer, 6. Januar 1795 . . 337
B 1 Uber die RechtmaEigkeit der Unterschrift E 6 An F. I. Niethammer, 1. Hiilfte Februar 1795 338
unter die symbolischen Bucher . . . . . 107 E 7 An F. I. Niethammer, 2. April1 796 340
B 2 Uber die Moglichkeit einer Offenbarung E 8 An F. I. Niethammer, 10. Mai 1796 . . . . . . 345
(friihere Fassung) . . . . . . . . . . . . . 115
B 3 Uber die Moglichkeit einer Offenbarung
( spatere Fassung) . . . . . 139 IV. Kommentar
B 4 Uber Matthaus XXIV,29ff. 151
3. Textgruppe C: SiiEkind an Diez 163 1. Kommentargruppe A: Diez an Niethammer 353
Vorbemerkung . . . . . . . . . . 165 A 1 An K. H. Gros, 25. April 1790 355
C 1 Von F. G. SiiEkind, 1. Juni 1790 167 A 2 An F. I. Niethammer, 9. Mai 1790 . . 360
C 2 Von F. G. SiiEkind, 7. Juli 1790 173 A 3 An F.I.Niethammer, 19.-22.Juni 1790 376

VI VII
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis

A 4 An F. I. Niethammer, 2. September 1790 412 C 12 Von F. G. SiiEkind, 5. Juli 1791 633


A 5 An F. I. Niethammer, 12. Oktober 1790 425 C 13 Von F. G. SiiEkind, 9. Juli 1791 636
A 6 An F. I. Niethammer, 5. Dezember 1790 432 4. Kommentargruppe D: Diez an die Eltern 639
A 7 An F. I. Niethammer, 9. Marz 1791 451 D 1 An die Eltern, 20. April 1792 . . 641
A 8 An F. I. Niethammer, 11. April1791 462 D 2 An die Eltern, 21.-30.April 1792 647
A 9 An F. I. Niethammer, 13. Mai 1791 469 D 3 An die Eltern, 29. Mai -1. Juni 1792 672
A 10 An F. I. Niethammer, 28. Juni 1791 478 D 4 An die Eltern, 24.-27. Juli 1792 689
A 11 An F. I. Niethammer, 12. Juli 1791 484 D 5 An die Eltern, 24.-29. Oktober 1792 703
A 12 An F. I. Niethammer, 7. August 1791 487 D 6 An die Eltern, 23. Januar 1794 719
A 13 An F. I. Niethammer, 13. November1791 497 5. Kommentargruppe E: Letzte Briefe . . . . . 725
A 14 An C. F. Kielmeyer, 2. Dezember 1791 503 E 1 An F. I. Niethammer, 28. Marz 1794 727
A 15 An F. I. Niethammer, 5. Dezember 1791 507 E 2 An F. I. Niethammer, 25.-27. Juli 1794 737
A 16 An F. I. Niethammer, 20. Januar 1792 511 E 3 An F. I. Niethammer, 10. August 1794 746
A 17 An F. I. Niethammer, 20. Februar 1792 515 E 4 An F. I. Niethammer, 3. Oktober 1794 749
A 18 An F. I. Niethammer, 2. Marz 1792 517 E 5 An F. I. Niethammer, 6. Januar 1795 . . 757
A 19 An F. I. Niethammer, 16. April1792 523 E 6 An F. I. Niethammer, 1. Halfte Februar 1795 760
A 20 An F. I. Niethammer, 20. April1792 525 E 7 An F. I. Niethammer, 2. April1796 767
2. Kommentargruppe B: Schriften . . . . . . 527 E 8 An F. I. Niethammer, 10. Mai 1796 . . . . . . 779
B 1 Uber die RechtmaEigkeit der Unterschrift
unter die symbolischen Bucher . . . . . 529
B 2 Uber die Moglichkeit einer Offenbarung V. Berichte und Ubersichten
(friihere Fassung) . . . . . . . . . . . . . 534
B 3 Uber die Moglichkeit einer Offenbarung 1. In Vorfeldern des ldealismus. Aufgaben, Gange und
(spat ere Fassung) . . . . . . . . 543 Kontexte der Diez-Forschung . . . . . . . . . . . . 789
B 4 Uber Matthaus XXIV, 29 ff. 549 a. Auf dem Weg zu einer Diez-Ausgabe . . . . . . 789
3. Kommentargruppe C: SiiEkind an Diez 555 b. Die Ausgabe innerhalb einer Erklarung der Ent-
C 1 Von F. G. SiiEkind, 1. Juni 1790 557 stehung des Idealismus . . . . . . . . . . . . . 797
C 2 Von F. G. SiiEkind, 7. Juli 1790 566 c. Das Verfahren der NachlaEforschung . . . . . 809
C 3 Von F. G. SiiEkind, 10. September 1790 580 d. Stand und Ergebnis einiger NachlaEforschungen 815
C 4 Von F. G. SiiEkind, 20. September 1790 582 e. Verwicklungen in und urn Niethammers
C 5 Von F. G. SiiEkind, 6. November 1790 591 NachlaE . . . . . . . . . . . . . . . . . . 832
C 6 Von F. G. SiiEkind, 2. Dezember 1790 601 2. Die Uberlieferung von Diez' Manuskripten 858
C 7 Von F. G. SiiEkind, 5. Januar 1791 609 a. Geschicke einer Familie . . 858
C 8 Von F. G. SiiEkind, 14. Januar 1791 611 b. Die Thbinger Dieziana . . . . . . . . 872
C 9 Von F. G. SiiEkind, 26. Februar 1791 616 c. Erganzungen und Resiimee . . . . . 882
C 10 Von F.G.SiiEkind, 29.-3l.Marz1791 624 d. Anhang: Ubersicht zum Erbgang Diez 894
C 11 Von F. G. SiiEkind, 2. Juli 1791 629 3. Erhaltene Dieziana auEerhalb dieser Ausgabe 896

VIII IX
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

4. Ein Brief Reinholds uber Diez und die Reorgani- 3. SchattenriE Friedrich Gottlieb SuEkind . 1059
sation der Elementarphilosophie ( eingeleitet und 4. Portrait Friederika Louisa Carolina Diez . 1060
ediert von Marcelo Stamm) . . . . . . . . . . . . 898 5. Handschriftenprobe von Diez . 1061
a. Die Elementarphilosophie im Umbruch . . . . 898 6. 'llibingen mit dem Stift . . . . . 1062
b. Karl Leonhard Reinhold an Johann Benjamin 7. GrundriE des 'llibinger Stifts . .1063
Erhard, 18. Juni 1792 . . . . . . . . . . . . . 911 8. Teilansicht des 'llibinger Stifts . 1064
5. Inhalt der Monographie ,Grundlegung aus dem Ich" 915 9. Lageplan des 'llibinger Stifts . . 1065
10. Christoph Matthiius Pfaffs Unterschrift im
'llibinger Konkordienbuch . . . . . . . . . . 1066
VI. Begleittexte 11. , Wiederholdtisches" Haus in Gottingen . . 1067
12. Jenaer Markt und ,Heiligenstiidtisches" Haus . 1068
1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 921 13. ,Pft.indelsches" Haus in Jena . 1069
2. Anton Friedrich Koch - Die symbolischen Bucher
der evangelisch-lutherischen Kirche als Gegenstand Personenindex . . . . . . . . . . . . . 1071
der Kritik in der Aufkliirungszeit und bei Immanuel
Carl Diez . . . . . . . . . . . . . . . . 924
a. Ursprung der symbolischen Bucher . . . . . . . . 926
b. Streitfragen zu Diez' Lebenszeit . . . . . . . . . . 937
c. Diez' Gedankengang und die Diskussion mit SuE-
kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961
3. Anton Friedrich Koch - Diez' Kritik der Moglichkeit
einer Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 987
a. Der Offenbarungsbeweis im spiiten 18. Jahrhun-
dert . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 987
b. Erinnerung an Lessings Fragmentenstreit . . . . . 1006
c. Diez' Argumentation im Uberblick . . . . . . . . 1013
4. Pol Schmoetten - Aspekte des Lebens in Jena im
Sommer 1792. Einft.ihrung zum Verstiindnis der
Briefe an die Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1033

VII. Bildteil
Bildlegenden . . . . . . . . . . . . . . . 1055
Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . 1057
1. Schattenrill Immanuel Carl Diez . 1057
2. Schattenrill Friedrich Immanuel Nietharnrner . 1058

X XI
Vorwort

Vorwort

Immanuel Carl Diez lebte von 1766 his 1796. Vom Herbst
1790 his zum Friihjahr 1792 war er Repetent im Thbinger
Stift, also zu einer Zeit, wahrend der Hegel, Holderlin und
Schelling als Stipendiaten in dieser Anstalt studierten. Im Herbst
1791 entschloE er sich, von der Theologie Abschied zu nehmen.
Zum Sommersemester 1792 bezog er als Student der Medizin
die Universitat Jena. Seine Glaubenskrise und den Gewissens-
konflikt., in den sie ihn als kiinftigen wiirttembergischen Pfarrer
zog, suchte er mit Hilfe seiner philosophischen Studien und
mit der Kritik an der Theologie seiner Thbinger Lehrer zu
losen, die sich fur ihn aus diesen Studien ergab. Sie galten
Kants Werk und ebenso der Theorie von Reinhold, die gerade
im Erscheinen begriffen war. Er wies nach, daE Reinholds Theo-
rie nicht haltbar ist. Aber auch Kant schien ihm bei der Dar-
stellung seiner Erkenntnisse und bei den Folgerungen aus ihnen
nicht konsequent zu verfahren. So sah er sich zu dem Projekt
einer eigenen Theorie im kantischen Geiste genotigt., das zwar
unausgeftihrt blieb, von dem er aber schon im Friihjahr 1791
gesprochen hat. Mit seiner Theologiekritik suchte er im Thbinger
Stift und weithin dariiber hinaus zu wirken. Als er nach Jena
kam, hat er Reinhold selbst seine Kritik an dessen Philosophie
vorgetragen und ihn damit in eine Systemkrise gebracht. Diez
hat also zu der Zeit, als Hegel, Holderlin und Schelling die
ersten Schritte auf dem Weg zur Selbstandigkeit taten, im selben
Institut zu einer Konzentration auf Grundfragen der Philo sophie
und zu einer selbstiindigen Orientierung iiber sie gedrangt,
urn auch in den Grundfragen der Theologie seiner Zeit einen
sicheren Stand gewinnen zu konnen.
Daraus erklart sich das Unternehmen, die in betrachtlicher
Zahl auf uns gekommenen Papiere dieses Repetenten zu ver-
offentlichen. Leider fehlen unter ihnen die eigentlich philoso-
phischen Ausarbeitungen. Aber aus seinen Briefwechseln und
seinen Schriften zur Theologiekritik liiEt sich doch die Anlage

XIII
Vorwort

seiner Untersuchungen zu Kant und Reinhold verlaElich er- I.


kennen. Diez' Korrespondenz erschlieEt zudem das Lebensge-
ftihl und den Uberzeugungskampf einer Generation von Tii- Diez zwischen
binger Stiftlern in Lebensnahe zu Hegel und seinen Freunden Kant und Fichte
weit deutlicher als irgendeine bislang bekannte Quelle. Sie
erganzt weiterhin vielfach unser Wissen iiber die Verhaltnisse
an der Universitat Thbingen und in Gottingen und Jena, den
heiden bedeutendsten deutschen Universitatsstadten des aus-
gehenden achtzehnten Jahrhunderts.
Der Edition der Briefe und Schriften gehen in dieser Ausgabe
Einleitungen des Herausgebers voran, die unabhangig vonein-
ander gelesen werden konnen. In ihnen sollen die Situation,
in der die Niederschriften zustande kamen, das Profli von Diez
sowie seine Stellung in der Friihgeschichte der idealistischen
Philosophie in einem ersten Umrill verdeutlicht werden. Der
Edition folgen ein umfangreicher Kommentar sowie Berichte
des Herausgebers iiber den Gang der Forschungen und zur
Uberlieferungsgeschichte der edierten Autographen. Ihnen fol-
gen wiederum einige Begleittexte von Mitarbeitern nach, die
dazu dienen sollen, Zusammenhange aufzuklaren, innerhalb
deren einige der edierten Texte verstanden werden miissen.
Den AbschluE machen einige Abbildungen. Sie mogen die Ein-
driicke von der Welt, die in der Lektiire der edierten Briefe
aufgehen, noch weiter verdichten.
Der Edition soli eine Monographie mit dem Titel Grundlegung
aus dem lch nachfolgen. Ihre Aufgabe ist es, Diez' Denkversuch
innerhalb der Tiibinger Konstellation und diese Konstellation
selbst zu untersuchen, auf deren Verwandlung er hinwirken
wollte. Sie wird weiter auch den Problemen nachgehen, welche
sich aus Diez' Denkversuch ergeben und welche die drei Stu-
dienfreunde seiner Repetentenzeit aus derselben Denk- und
Erfahrungsart heraus zu viel weiter ausgreifenden philosophi-
schen Leistungen geftihrt haben. So ist sie als das Gegenstiick
zur vorausgehenden Monographie Der Grund im Bewlffitsein zu
verstehen, deren Thema die Entstehung von Holderlins Phi-
losophie innerhalb der Jenaer Konstellation gewesen ist.

XIV
Restitution eines Vergessenen

1.
Restitution eines Vergessenen.
Erste Einleitung

a. Diez im rapiden Gang der nachkantischen Philosophie

Wer ist Immanuel Carl Diez? Fast jeder wird sich so fragen,
dem dieser Band in die Hand kommt, und niemand mu.IS sich
deshalb etwas vorwerfen. Denn Diez war his vor gut drei Jahr-
zehnten ganzlich unbekannt. Was inzwischen iiber ihn mitgeteilt
wurde, gehort in die Vorgeschichte dieser Edition. Sie bringt
also einen Menschen und seine Papiere, die schnell und lange
so gut wie vollig vergessen gewesen sind, in jene den Sog der
Zeit iibergreifende Gegenwart, die hervorgeht aus einer ersten
Drucklegung und aus der Erinnerung, welche die kommentie-
rende Arbeit an seinen Papieren ermoglicht.
Da.IS Diez' Papiere unter die gesicherten Quellen zur Ge-
schichte des Lebens und Denkens im ausgehenden achtzehnten
Jahrhundert eintreten, la./St sich aber nicht als eine Sensation
von etwa der Art feiern, wie es die Entdeckung der Schriftrollen
von Qumran war oder wie es die Entdeckung von Papyri mit
Platons spaten Vorlesungen ware, wenn es denn einmal zu ihr
kommen sollte. Diez hat kein Werk geschaffen oder entworfen,
das nach einem Studium urn seiner selbst willen verlangt. Zwar
hat er selbstandig und mit Energie nach einer Lebensorien-
tierung aus seinen Gedanken gesucht. Dabei hat er Kants Lehre
auf eine Weise neu entfaltet, die auch wegen der Folgerungen,
die aus ihr hervorgehen, durchaus interessieren kann. Ande-
rerseits ist er aber weitgehend von Kants Leistung abhangig
geblieben. Zudem tragen seine Texte viele Ziige von jugend-
lichem Eifer und einem noch nicht abgerundeten philosophi-
schen Bildungsstand. Werden also seine Papiere aus dem Dunkel
gehoben, in dem sie iiberkommen sind, so geschieht das um-
willen des besonderen lnteresses an der Zeit und den Kontexten,
in denen Diez gelebt, gearbeitet und auch gewirkt hat.

XVII
-
Diez zwischen Kant und Fichte Re titution eine Verge enen

Die ft.infundzwanzig Jahre, die mit der Veroffentlichung von Problemlagen nicht durch chauten, innerhalb derer sie zu ihren
Kant Kritik der reinen Vernunjt begannen und die hi zur Ver- Konzepten gekommen waren.
offentlichung von Hegel Phiinomenologie des Geistes reichen, Uber ein olche Geschehen kann man sich nicht genug
fallen mit einer Periode von taunenswerter Kreativitat zusam- wundern, solange nicht zu verstehen i t, wie es hat zustande
men. Die neue Beweglichkeit der deutschen Sprache, die wah- kommen konnen. Zwar gab es schon immer zwei einander
rend der vorausgehenden Jahrzehnte gewonnen worden war, entgegengesetzte Formeln, nach denen man sich zu ihm ver-
ermoglichte Hochleistungen auf vielen Gebieten des Denken halten konnte. Mit der einen halt man ich an Hegel, der
und Gestaltens. Der Philosophie kam in dieser Bewegung eine sein eigenes System als notwendige Konsequenz aller voraus-
so groEe Bedeutung zu, daE die ihr zugehorigen Werke dieser gehenden ver tand, die in ihrem Verhaltni zueinander nichts
Zeit noch heute und auf aile absehbare Zeit uberall in der als Stufen auf dem Weg zur von ihm selbst angemessen for-
Welt Profll ~~d An ehen de Denken in deutscher Sprache mulierten Wahrheit sein ollten. Die andere ist die Forme!
be timmen. Ahnliches gilt, wie chon oft gesagt worden ist, mancher Kantianer. Sie datieren mit Reinhold und Fichte den
nur ft.ir Rang, Vielfalt und Wirkung der Philosophie im nach- Beginn einer Periode des Verfall philo ophischer Bildung und
perikleischen Athen. Wissenschaft, die nur als abschreckendes Beispiel in Erinnerung
Sieht man von der unvergleichlichen Bedeutung der grie- bleiben sollte. Doch die erste der heiden Formeln wird obsolet,
chi chen Grundung phase der Philosophie ab, so unter cheiden sobald man e gelernt hat, in Hegels Denkart die von ihm
sich beide Perioden auch durch die Wei e ihrer inneren Glie- selb t nicht beherrschten Vorau setzungen am Werk zu sehen.
derung. Ari totele hat zwar eine Begriffsformen entwickelt, Die zweite Forme!, die der Kantianer, kann den nicht iiber-
urn Platon wider prechen und eine ganz andere Weltbeschrei- zeugen, der auch nur bei einem der Denker, die auch von
bung als er gewinnen zu konnen. Dennoch laEt ich kaum Fichte ausgegangen waren, Einsichten begegnet i t, die ich
uber ehen, in welchem Sinne er Platons Schuler blieb. Vor nicht ohne weitere in den kantischen Rahmen ft.igen, die
allem aber ist immer offensichtlich gewesen, daE beide im aber doch Grundfragen der Philosophie beriihren. Fallen aber
we entlichen uber dieselben Fragen und innerhalb derselben aile solche Formeln aus, die auf die Parteinahme fur eine der
Art zu denken und zu argumentieren miteinander uneins waren. Positionen der Vergangenheit hinauslaufen, dann muE versucht
Dagegen schlieEt ich die kla ische Periode der Philosophie werden, das Ge chehen al ganze auf eine Weise zu erklaren,
in Deutschland zu ihrer unverwech elbaren Einheit uber einen welche durch keine Position vorgegeben i t, die innerhalb
Bruch zusammen, der auch die Weise zu fragen und zu denken seiner hervortrat.
betroffen hat. 'frotz der Ver icherung der bedeutend ten unter Die Aufgabe, die damit ge tellt ist, gliedert sich in einen
den Nachfolgenden, immer von Kant ihren Ausgang zu nehmen, sachlich-philo ophischen und einen histori chen Problemkom-
haben Kant elbst und eine Schuler in deren Werken kaum plex auf. Deren Losungen, wenn ie denn beide gegeben werden
noch etwas von dem wiedererkennen konnen, wa Kants eigenes konnen, greifen ineinander und konnen einander wech elseitig
Denken bewegte. Zudem ist die schnelle Abfolge der Sy tem- tiitzen. Wa die Sache der Philosophie selbst betrifft, so miiEte
entwurfe, die ich auf Kant bezogen, noch einmal von der man e ver tehen, die Griinde aufzudecken, au denen sich
Dynamik eines tandigen Sich-Uberholen gekennzeichnet. Zu Kants Denken und die Entwiirfe formieren, die dann o weit
seinen Folgen gehorte ein mehrfach wiederkehrender Wech- von ihm abgewichen sind - und zwar o, daE ie noch iiber
selstreit zwischen bedeutenden Denkern, der immer ergebnislos ihre Gegensatzlichkeit hinweg, vielleicht auch gerade wegen
blieb und dem man e auch ansieht, daE die Str itenden die ihr, als motivierte Denkmoglichkeiten in einem Gesamtkonzept

XVIII XIX
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

von Philo sophie einen Platz finden. 1 Die historische Frage muE Grundsatzliche zielendes Denken begi.instigt und in der ein
sich dagegen auf den Verlauf des Geschehens selbst konzen- Zwang oder eine Inspiration zur Selbstverstandigung aus sol-
trieren. Das Interesse, das dabei leitend ist, hat darauf zu gehen, chem Denken besonders nachhaltig wirken. In einer solchen
die Wendepunkte in diesem Geschehen zu identifizieren, an Umgebung gewinnt dann auch die Verstandigung unter denen,
denen eine Verwandlung der Denkweise und der Grundanlage die ihr ausgesetzt sind, eine erhohte Bedeutung und zuweilen
des Philosophierens nahegelegt, vielleicht gar auch unabweisbar sogar Vorrang fUr das, was jeder von ihnen fur sich zu leisten
geworden war. Die Problemlagen, die an solchen Wendepunkten vermag. Wo immer sich dies so verhalt, da wird auch verstandlich,
vorgeherrscht haben, miiEten sich wohl zu den philosophischen warum sich Wendungen aus den Werken, die in solchen Um-
Sachfragen ins Verhaltnis bringen lassen, die im Blick auf das gebungen zustande kamen, nur mit Miihe und indirekt erschlie-
Geschehen als ganzes aufzubringen sind. Sie sollten es uns Een lassen. Denn es ist Ziel der Werke, Einsichten zu begriinden,
aber zudem auch verstandlich machen, warum das Geschehen und nicht zugleich auch noch, die Situationen festzuhalten, in
in der Rapiditat ablief, die fur es in der Tat charakteristisch denen diese Einsichten gewonnen worden sind. Und doch flieEt
ist. War doch noch zu Kants Lebzeiten der ProzeE der nach- in die Einsichten und in ihre Begriindung ein, was sie in der
kantischen Entwicklung his zur ersten Konzeption von Hegels Situation motivierte und iiberzeugend werden lieK Das ist urn
spekulativer Logik fortgeschritten. so mehr dann der Fall, wenn mit dem, was niedergeschrieben
DaE Immanuel Carl Diez aus dem Dunkel zuriickgerufen und mitgeteilt wurde, weit von zuvor und andernorts Gelaufigem
wird, in das mit Ausnahme ganz weniger die Menschen jeder und Erwartbarem abgewichen wurde. Wenn uns aber die Si-
Epoche, die vergeht, eintreten, ist Folge der Verwunderung tuation und die Debatten entzogen sind, in denen die Ermu-
iiber den rapiden ProzeE der nachkantischen Philosophie und tigung und die Vergewisserung dazu aufk.amen, bleiben wir
der historischen Nachfrage, die sie nach sich gezogen hat. vor den iiberkommenen Texten zunachst in der Verwunderung
Wenn das Studium der Philosophen, die urn ihrer Werke willen dariiber zuriick, wie sie iiberhaupt haben zustande kommen
von sich aus ihre Epoche iiberdauerten, nicht selbst schon konnen.
diesen ProzeE zu erklaren erlaubt, dann muE man in ihm Das ausgehende achtzehnte Jahrhundert war eine Zeit, in
nach solchen Wendepunkten suchen, die in der Abfolge ihrer der vertraute Mitteilung unter Freunden und der spontane Aus-
Werke und selbst auch ihrer Manuskripte nicht deutlich genug druck von Gemeinsamkeit im Freundesbund, die aile Konven-
hervortreten. tionen durchbricht, zu einem Lebensmuster geworden waren,
Es liegt nahe zu erwarten, daE Wendungen dieser Art am das selbst auf eine Konvention hin tendierte. Zudem war dies
ehesten in Umgebungen eintreten konnen, in denen besondere die Zeit der biirgerlichen Zirkel und Clubs, der freimaurerischen
Verstandigungsverhaltnisse herrschen. Sie bestehen dort, wo Geheimbiinde und dann auch der teils asthetisch, teils politisch
viele Menschen in einer Umgebung leben, die ein auf das orientierten Versammlungen. Das alles konnte die Bedeutung
modifizieren und verstarken, welche die Verstandigung unter
1 Freunden auf dem Wege zur Selbstandigkeit und wahrend einer
Solche Versuche hat der Hrsg. publiziert in: ,Kant und Hegel - Versuch
der Vereinigung ihrer Grundgedanken", in: Selbstverhiiltnirse. Gedanlcen und Zeitenwende immer hatte und haben wird. Aus den Biographien
Auslegungen zu den Grundjragen der klassirchen deutschen Philosophie, Stuttgart von Hegel, Holderlin und Schelling war immer schon bekannt,
1982, S. 172-208, und ,Grund und Gang spekulativen Denkens", in: Me- daE sie wahrend der Zeit ihrer Anfange in diesem Sinn Freund
taphysik nach Kant?, hrsg. zusammen mit Rolf-Peter Horstmann, Stuttgart
fureinander gewesen sind.
1988 (= Veroffentlichungen der International en Hegel-Vereinigung Bd. 17),
S.83-120. Von Hegel wissen wir zudem, daE die Nahe zu diesen Freun-

XX XXI
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

den wahrend zweier Phasen eines Lebens fUr sein Denken geteilt oder auch propagiert wurde, 6 und zudem die zum ersten
bedeutsam gewesen ist: wahrend der Studienzeit im 'llibinger Rang in Deutschland aufstrebende Universitat in der Nahe der
Stift2 und zu Beginn seiner Zeit als Hauslehrer in Frankfurt. 3 Hauptstadt Sachsen-Weimar-Eisenachs, die ihrerseits als Kapi-
Die Situationen, in denen der freundschaftliche Austausch zum tale der Dichtkunst die Anziehungskraft der Landesuniversitat
Alltag gehoren konnte, waren die des gemeinsamen Studiums noch verstarkte. In unsere Verwunderung i.iber den ProzeE der
im Tiibinger Stift und die eines groEeren Freundeskreises si.id- nachkantischen Philosophie kann also zunachst auch die Tat-
lich der Taunushohe in der Freien Reichsstadt und im benach- sache eingehen, daE gerade diese heiden Orte, und also wohl
barten Kleinstaat Hessen-Homburg. Aber es war nicht diese auch das Widerspiel zwischen heiden, dies en ProzeE aufkommen
Umgebung, aus der die neuen Impulse ins Gesprach der Freun- lieEen und nahezu zur Ganze umfangen haben.
de eingriffen. Holderlin war ebenso wie zwei andere in diesem Hegel, Holderlin und Schelling sind aus der Tubinger Uni-
,Bund der Geister"" inzwischen in Jena gewesen, und der ,Nach- versitat hervorgegangen. Aile drei gelangten spater nach Jena/
hall aus Jena" tonte noch machtig in ihm,5 als er Hegel wieder Holderlin aber als erster und zu einer Zeit, als Fichte gerade
begegnete, so wie er auch das Nachdenken der heiden anderen mit seiner Lehre begonnen hatte und der weitere Gang der
Freunde in Bewegung hielt. nachkantischen Philosophie damit zur Entscheidung stand. Hol-
So sind es eigentlich zwei Orte und Situationen, die offenbar derlin hat in Jena auch die philosophische Position erreicht,
freundschaftlichen Austausch fur das Denken fruchtbar werden an die sich seine Hamburger Freunde anschlossen und mit
lieEen und an denen Wendungen in der Geschichte der nach- der er Hegel in Frankfurt beeindruckte. 8 Aber viele Voraus-
kantischen Philosophie eingeleitet werden konnten: die Uni- setzungen fur das, was spater die drei Tiibinger i.iber aile Dif-
versitaten Tiibingen und Jena. Sie konnten kaum verschiedener ferenzen hinweg verband, mi.issen sie doch schon wahrend
sein. Tiibingen war unter der Konkurrenz mit der vom Herzog der Zeit ihres Studiums erworben haben. Wie aber konnte
begi.instigten Hoben Karlsschule in Stuttgart noch im Abstieg Tiibingen in seiner Rand- und theologischen Wagenburgstel-
in Richtung auf eine Hochschule vor allem fur die Theologen lung die Selbstandigkeit und das Vertrauen in die eigenen
Wurttembergs. Die Theologie unterstand aber einem mit dem Moglichkeiten aufkommen lassen, das die drei Freunde dazu
Staat verkoppelten Kirchenregime, das eine Dogmatik forderte befahigte, so bald in die Entwicklung der nachkantischen Phi-
und durch das Vorschreiben von Lehrbi.ichern de facto ver- losophie einzugreifen?
bindlich machte, die den Tendenzen der Aufk.larungstheologie Dieser Frage ist seit langem nachgegangen w0rden, so daE
entgegenwirken sollte und konnte. Jena aber war das Zentrum eine sehr gewichtige Literatur zur Fri.ihgeschichte der drei Tii-
des Kantianismus, der von Professoren in mehreren Fakultaten binger akkumuliert worden ist. 9 Doch sind die Quellen sparlich

2
Hegel bewahrte aus der Korrespondenz seiner friihen Zeit nahezu einzig
6
Vgl. J)as lcantische Evangelium '~ Der Friihlcantianismus an der Universitiit Jena
die Briefe auf, welche er im AnschluE an seine ftinfjiihrige Studienzeit iro von 1785-1800 und seine Vorgeschichte. Ein Begleitlcatalog, hrsg. von Norbert
Ttibinger Stift von den Freunden Schelling und Holderlin erhielt. Hinske, Erhard Lange und Horst Schropfer, Stuttgart 1993.
7
3
Vgl. Christoph Jamme, ,Bin ungelehrtes Buch "-Die philosophische Gemeinschajt Holderlin als Hauslehrer und Schriftsteller (1794), Schelling als auEeror-
zwischen Hotderlin und Hegel in Franlrjurt 1797-1800, Bonn 1983, 2 1988 dentlicher Professor (1798) und Hegel als Habilitand (1801).
8
(= Hegel-Studien, Beiheft 23). Vgl. vom Hrsg. Der Grund im Bewufltsein - Untersuchungen zu Holder/ins
4
Sindair an Hegel, 5. Februar 1812 (Briife von und an Hegel, hrsg. von Denlcen (1794-1795), Stuttgart 1992.
9
Johannes Hoffmeister, 4 Bde. Hamburg 1952-1960, Bd.1, S. 395). Dabei ist es bemerkenswert, daE mit der Ausnahme der gelehrten Dissertation
5
Holderlin an Niethammer, 24. Februar 1796 (StA VI.1 S. 202f., S. 202). von Panaj otis Kondylis (Die Entstehung der Dialelctilc. Eine Analyse der geistigen

XXII XXIII
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

geblieben. Die wichtigsten unter ihnen sind die Briefe, die Auch von Diez ist als Teilnehmer die Rede. Dabei wird er
zwischen den Freunden nach dem Weggang Hegels und Hol- dadurch hervorgehoben, daB er als Repetent vorgestellt und
derlins von Tubingen gewechselt worden sind, und die Berichte, daB die Position, die er einnahm, dadurch erwahnt wird, daB
die schon im fri.ihen neunzehnten Jahrhundert von denen ein- ihn der Verfasser des Berichts ,diesen kantischen enrage" nennt.
geholt worden sind, die an ihren Biographien Interesse hatten. 10 Diese Nachricht war iiber einen Artikel von Albert Schwegler
Ihrem Gewicht nach werden sie bei weitem i.iberragt von den in den ]ahrbiichern der Gegenwart:Z auch in Johannes Hoffmei-
Manuskripten der Freunde und von den Texten, die Schelling sters Dokumente zu Hegels Entwicklung 13 eingegangen. Dort stieB
schon aus dem Tubinger Stift heraus veroffentlicht hat. Die ich auf sie, als ich die Quellen durchmusterte, aus denen hatte
aber werfen eben gerade die Fragen auf, wie sie a us der Situation verstandlich werden konnen, wie sich junge Studenten binnen
ihres Entstehens motiviert gewesen sind und welche Bemi.i- so kurzer Zeit i.iber Kant und bald auch i.iber Fichte zur Ei-
hungen urn und Notigungen zur Verstandigung ihnen also vor- genstandigkeit hinwegsetzen konnten. Die Art, wie Diez' Name
ausgelegen haben. im Bericht Leutweins auftauchte, begri.indete die Hoffnung,
Das fuhrt zuri.ick zu Immanuel Carl Diez und zu den Grunden, daB dann, wenn man seine Argumentationsweisen kennen wi.ir-
seine Texte mitzuteilen und seine Gedanken aus ihnen zu er- de, man auch die Moglichkeit besser verstehen wi.irde, daB
schlieBen. Diez war vier Jahre alter als Hegel und Holderlin von Thbingen aus in die Entwicklung der nachkantischen Phi-
und wahrend der Zeit Repetent im Thbinger Stift, in der sie losophie hat eingegriffen werden konnen. Wie es dazu kam,
mit dem theologischen Studium begannen und der ji.ingere daB der bloBen Nennung von Diez' Namen nunmehr ein CEuvre
Schelling das philosophische Studium gerade aufnahm. In fri.i- aus den fUr eben diese Entwicklung so bedeutsamen Jahren
hen Quellen zur Biographie der drei Freunde trat sein Name zugeordnet werden kann, ist dem Bericht unter dem Titel In
nur an zwei Stellen auf. Die eine von ihnen findet sich in dem Voifeldern des Idealirmus zu entnehmen 14•
Bericht Leutweins, des Primus' der Stiftsklasse, die der Klasse Die zweite Quelle aus fri.iher Zeit, in der Diez' Name auftaucht,
Hegels und Holderlins vorausging, i.iber Hegels fri.ihere Stu- ist nicht, so wie der von Leutwein, ein Bericht aus erster Hand,
dienzeit. Dort wird von haufigen Konversationen berichtet, wel- wurde also nicht von einer Person niedergeschrieben, die Diez
che die Philo sophie von Kant und Reinhold 11 zum Inhalt hatten. kannte. Sie findet sich in Christoph Theodor Schwabs Holder-
Nicht Hegel, wohl aber Schelling soll an ihnen teilgehabt haben. linbiographie. 15 Diez wird von Schwab als einer der Wurttem-
berger erwahnt, mit denen Holderlin wahrend seines Aufent-
Entwiclriung von Hiilderlin, Schelling und Hegel bis 1802, Stuttgart 1979) haltes in Jena Kontakt hatte. Diese Nachricht kann nicht zu-
Unt~rsuchungen fehlen, welche den Weg der drei Tiibinger in Beziehung treffen, da Diez Jena langst verlassen hatte, als Holderlin dort
aufemander untersuchen. Dazu fehlten offenbar noch wichtige Vorausset- eintraf. So muB Schwabs Nachricht aus einer Uberlieferung
zungen.
kommen, die schon im Verblassen war, in der aber von Diez
Vor allem .Karl Rose~anz i.iber Hegel (Georg Wilhelm Friedrich Hegelr
10

Leben, Berl~ 1844), Christoph Theodor Schwab i.iber Holderlin (cf. Anm. 15)
und G.~· Plitt bzw. Fntz Schelling i.iber Schelling (in: Aus Schellings Leben 12
-In Brzejen, hrsg. von G. L. Plitt, Leipzig 1869 f.). !ahrbii.cher der Gegenwart 1844, S. 675-678.
13
Dokumente zu Hegelr Entwicklung, hrsg. von Johannes Hoffmeister, Stuttgart
11
yg1. vom Hrsg..,Leutwein i.iber Hegel. Ein Dokument zu Hegels Biographie", 1936, S. 428-430.
m: !!egel-Studzen 3 1965, S. 39-77, S. 56 f. Die von Leutwein gleichfalls 14
erwalmte? Konv~rsattonen i.iber Fichte konnen zu jener Zeit nur Fichtes Vgl. unten S. 789ff.
15
Versuch e~ner Crztz!r. aller. O.!fenbarung, Konigsberg 1792, gegolten haben, im Christoph Theodor Schwab, ,Holderlins Leben", in: ders. (Hrsg.), Friedrz·ch
Unterschied zu Leutwems Erinnerung (ebd. S. 57). Holder/in's siimmtliche Werke, 2 Bde. Stuttgart, Ttibingen 1846, Bd. 2 S. 284 f.

XXIV XXV
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

etwas bekannt war und in der nahtlos eine Beziehung zwischen ein Gewicht hatten, das dazu ausreichte, den zu dieser Zeit
ihm und Holderlin anzunehmen war. Geht man davon aus, ersten Kantianer, der zu einer allgemein beachteten neuen Po-
daE Holderlin wahrend der Monate seines Aufenthaltes in Jena sition gelangt war, auf einen anderen Weg zu drangen. Sie
zu seiner philosophischen Konzeption gelangte, dann konnte hatten fur Reinhold dieses Gewicht, obwohl er irn Jenaer Zen-
man wohl darauf kommen, auch dies mit Diez' Aufenthalt in truro der deutschen Philosophie lebte und am philosophischen
Jena und mit dessen eigenem Philosophieren in einen Zusam- Debattieren unter den dortigen Kollegen und Studenten i.iber
menhang zu bringen. Doch sind in Schwabs Zeugnis beide Jahre unausgesetzt teilgenommen hat.
irrigerweise zur selben Zeit nach Jena versetzt. Zudem ist un- Daraus sind zwei Ri.ickschli.isse zu ziehen, die dem Interesse
sicher, ob in dieser Uberlieferung i.iberhaupt an eine Verbindung am Wirken dieses Ti.ibinger Repetenten eine weitere Begri.in-
zwischen Diez und Holderlin im Philosophieren gedacht war. 16 dung geben. Zunachst einmal laEt sich davon ausgehen, daE,
Da Diez, als er im April 1792 nach Jena ging, die Theologie wer gleich nach seinem Weggang von Ti.ibingen den ersten
verlassen hatte und sich zu einem eiligen Medizinstudium an- Philosophen beeindrucken konnte, der nach Kant einen eigenen
schickte, blieb auch noch zu fragen, inwieweit er wahrend Systementwurf veroffentlicht hatte, auch in Ttibingen eine phi-
seiner Jenaer Zeit weiterhin dazu imstande gewesen sein mochte, losophische Debatte in Bewegung halten und innerhalb ihrer
in philosophischen Debatten eine Rolle wie die zu spielen, von zu eigenstandigen Entwi.irfen anregen konnte. Die zweite
der Leutwein aus Ttibingen berichtet hat. SchluEfolgerung betrifft die philosophische Situation an der
Wahrend der Iangen Vorbereitungszeit zu diesem Band ist Universitat Jena. Reinholds Systemkrise, die von Diez ausgelost
dann aber ein neues Dokument in der Gestalt eines Briefes von worden war, blieb auEerhalb Jenas unbemerkt. Denn Reinhold
Karl Leonhard Reinhold zutage gekommen. In ihm berichtet publizierte nunmehr zunachst einmal eine Theorie der Freiheit
Reinhold i.iber die Kritik an seinem eigenen System der Ele- des Willens und gab dabei nicht zu erkennen, daE er seine
mentarphilosophie, die er irn Sommer 1 792 von Diez zu horen Elementarphilosophie, die er mit drei Bi.ichern propagiert hatte,
bekam. Reinhold gibt in diesem Brief an seinen begabtesten in ihrer urspri.inglichen Form gar nicht mehr vertrat. 18 Doch
Schi.iler Johann Benjamin Erhard die bedeutsame Erklarung seinem engeren Umkreis konnte das nicht entgehen.
ab, vor allem durch Diez' Kritik zu einer Veranderung in der Zu diesem Umkreis aber gehorte Friedrich Immanuel Niet-
Grundanlage dieser seiner Theorie genotigt gewesen zu sein. 17 hammer, der seinerseits mit Diez befreundet und der Adressat
Dies Dokument macht klar, daE die Argumentationen von Diez von dessen Briefen aus Ttibingen gewesen war. Als Holderlin
dann zweieinhalb Jahre nach Diez in Jena eintraf, wurde
16 derselbe Niethammer zu seinem philosophischen ,.Mentor". 19
In Anbetracht der engen Verbindung zwischen Karl K.Iupfel und Christoph
Theodor Schwab (Klupfel hatte eine Schwester Schwabs geheiratet) liegt lnzwischen lehrte Fichte in Jena, traf aber bei Niethammer
d1e Verrnutung nahe, daJ$ Schwabs Nachrichten zurnindest zurn Teil von gegeni.iber seinem System, das in der Methodologie mit Rein-
Karl K.lupfel und von dessen Vater Friedrich August Klupfel bzw. von Diez'
?chwester sta=en, die Friedrich August K.lupfels Frau war. In ihren Er- 18
I~erungen und deren rnoglicherweise rnehrfachen rnundlichen Ubertragung
Es bedarf groJSer Aufrnerksamkeit und einer Vororientierung, die nur aus
konne!:l solche Daten und Nachrichten weitgehend entstellt worden sein. der Kenntnis der Debatte urn Reinholds Elernentarphilosophie im Jahr
(Vgl. Uberlieferung von Diez' Manuskripten (V 2), S. 870f. und S. 885f.) 1792 ko=en kann, urn irn zweiten Teil von Reinholds Briife iihe1· die
17 KantischePhilosophie, Leipzig 1792, der nach Reinholds Systemkrise erschien,
VgL Reorganisation der Elernentarphilosophie (V 4), S. 912f. Der Brief ist text- nicht nur seine neue Theorie des Willens, sondern auch die Folgen der
krinsch herausgegeben und ko=entiert von Marcelo Stamm in: System/r.rise. Systernkrise herauszulesen.
Die Eler:zentaryhilos~hie in der Dehatte (1789-1794), Stuttgart 1998, II.2.2.1 19
(V erwe1se auf Kapitelnurnerierung). Vgl. auch Cadi VI. 2. d und VII. 5. Holderlin an Nietha=er, 24. Februar 1796 (cf. Anm. 5), S. 203.

XXVI XXVII
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

holds erstem System iibereinstimmt, auf einige ebender Vor- selbst noch nicht iibersah, ins Verwundern und zu Nachfragen
behalte, die Diez zuvor schon gegeniiber Reinhold begriindet gekommen, die ihr noch ganz fernliegen muEten. Ist dann
hatte. weiter auch noch klar, daE die Konstellationen an der Thbinger
Innerhalb von Jena, und zwar zwischen zwei ehemaligen und der Jenaer Universitat bei der Ausbildung dieses Prozesses
Stiftlern, wiederholte sich damit eine Situation, die unter an- die Zentren waren, dann tritt deutlich ein Muster hervor, durch
deren Vorzeichen Jahre zuvor in Tubingen selbst bestanden das der Weg gerade von Immanuel Carl Diez unser Interesse
hatte. Dabei war Diez in der Frage nach dem richtigen Aus- auf sich ziehen muK
gangspunkt fur eine philosophische Theorie mit Fichte und Zum einen gehorte Diez der Generation von Studenten im
nicht mit Reinhold in Ubereinstimmung. Schon in Tubingen Thbinger Stift an, die der Generation unmittelbar vorausging,
war er dazu gelangt, daE die philosophische Begriindung vom der Hegel, Holderlin und Schelling angehorten. Die Doku-
SelbstbewuEtsein der Spontaneitat in Wissen und Handeln ihren mente, die von seiner Hand iiberkommen sind, geben uns
Ausgang zu nehmen habe. Die Begriindungsart, die Reinhold nun einen Einblick in die Denkart und die Lebensprobleme
und die Fichte im AnschluE an dieses Prinzip gebrauchten, dieser Generation, der weit deutlicher und konkreter ist als
hat Diez dagegen als verfehlt angesehen. Auch darin war Niet- alles, was wir von der Studienzeit der drei jiingeren Freunde
hammer spater mit ihm einig, und er hat in diesem Sinn Holderlin wissen. Diez hat aber auch wahrend ihrer Studienzeit im Stift
seinen philosophischen Rat weitergegeben?0 SchlieElich hat gewirkt. Er hat dort die Kantische Philosophie propagiert, hat
Niethammer auch das Thema, das in der Theologiekritik von aus ihr eine Fundamentalkritik der Thbinger theologischen
Diez im Zentrum stand, die Frage nach der Moglichkeit einer Dogmatik entwickelt, hat Debatten iiber Reinhold angeregt
Offenbarung, in mehreren Biichern weiter verfolgt. Im Winter und aus seiner Reinholdkritik heraus eine eigene Theorie phi-
1794/ 95 war er besonders intensiv mit ihm befaEt und hat losophischer Begriindung projektiert. Seine Theologiekritik
sicher auch mit Holderlin dariiber gesprochen, worauf dieser wirkte mit darauf hin, daB sich die Thbinger Professoren der
sich seinerseits beziehen konnte? 1 theologischen Dogmatik mit ihren Universitatsschriften gegen
FaiSt man dies alles zusammen, dann wird vollends deutlich, Kant und in einem damit gegen die Kantauslegung wand-
welches die guten Griinde dafur sind, Diez, den unbekannten ten, die Diez vertrat. 22 All dies vollzog sich in Gegenwart der
Repetenten, Philosophen und Apostaten von der fur Wtirttem- drei jiingeren Freunde und ging Holderlins und Schellings
berg maEgebenden Theologie, aus der Anonymitat und Ver- ersten Veroffentlichungen, in denen sie eine Wendung iiber
gessenheit heraustreten zu lassen. Seiner Zeit ist nicht zu ver- das Kantische Denken hinaus vollzogen, nur urn wenige Jahre
argen, daE sie iiber ihn hinweggegangen ist. Doch wir sind voran.
vor dem ProzeE der nachkantischen Philosophie, den die Zeit Zum anderen war Diez noch ein zweites Mal, und diesmal
an der Universitat Jena, in eine Konstellation einbezogen, die
20
fur den Gang der nachkantischen Philosophie Bedeutung hatte.
In dem Buch Der Grund im Bewufitsein (GiB) sind die Anregungen, die
Holderlin von Niethammer erhalten konnte, unter Abblendung der voraus-
Er brachte Reinhold dazu, seine Elementarphilosophie voll-
gehenden Debatten i.iber Reinhold herausgearbeitet worden, in denen Diez standig umzugestalten. Das hatte Folgen nicht nur ftir Reinhold
und Johann Benjamin Erhard die fUr Reinhold maEgebenden Argumente selbst, sondern fiir die methodologischen Reflexionen seiner
geliefert hatten. Das Buch Gill war von vornherein als Gegensti.ick zu einer
Abhandlung i.iber die Tt.ibinger Voraussetzungen des Idealismus angelegt,
die schlieElich zur Monographie Cadi angewachsen ist. 22
21
Vgl. Cadi XI. 3. Vgl. Cadi IX. 3.

XXVIII XXIX
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

Schuler und damit auch fur den friihen Widerstand, den Fichte ihm allein wissen wir, daB er zu den Problemen der Funda-
in Jena erfuhr, und dann auch fur die Rolle Nietharnmers, der mentalphilosophie und der Methode der philosophischen Be-
Ende 1794 sein Philosophisches Journal begriindete und der griindung durch ihn selbst Erarbeitetes zu sagen hatte. Nur
Holderlin wahrend seiner philosophischen Selbstverstandigung von ihm kann auch gesagt werden, daB er durch seinen EinfluB
beriet, mit deren Ergebnis Holderlin wiederum seine Hom- auf Reinhold direkt in den ProzeE der nachkantischen Philo-
burger Freunde und Hegel beeindruckte. sophie eingriff. Und kein anderer ist so wie er sowohl in To-
Obwohl Holderlin Diez in Jena gewill nicht begegnete und bingen als auch in Jena innerhalb der Debatte dariiber prasent
obwohl Holderlins Denken auch solchen Motiven folgte, die gewesen, wie Kants Denken richtig zu erklaren und weiterzu-
ftir Diez im eigentlichen Philosophieren noch ganz ohne Be- ftihren sei.
deutung waren, 23 gibt es doch auch zwischen den Reaktionen Es ist allerdings nicht zu erwarten, daE dadurch, daE zwischen
beider auf Fichtes Auftreten eine Gemeinsamkeit: Vom Ich aus- Kant und den Anfangen der Thbinger Freunde Problemlagen
zugehen und die Philo sophie mit einer Ich-Lehre zu begriinden und der Verlauf von Debatten sichtbar gemacht werden, die
galt heiden fur das richtige Verfahren. Aber eine Herleitung Grundfragen der Philosophie und der Religionstheorie in einem
aller Wissensgehalte aus diesem Ich schien heiden gleicher- betrafen, an der Stelle des Bruches zwischen Kant und denen,
maBen gegen Sinn und Moglichkeit einer philosophischen Be- die ihm in einer ganz anderen Denk- und Mitteilungsart nach-
griindung zu verstoBen?4 folgten, nunmehr eine Kontinuitat zu statuieren ist. Die In-
Nun ist Diez nicht der einzige seiner Generation im Ttibinger kommensurabilitat zwischen dem kantischen und dem speku-
Stift, von dem Anregungen fur die Studien und die Selbstver- lativ-idealistischen Denken ist kein bloEer Schein. Sie verschwin-
standigung der drei jiingeren Freunde ausgingen. 25 Aber von det also nicht dadurch, daB ein Zwischenglied zwischen beide
eingeftigt wird. Im Blick auf die Debatten, die den Urspriingen
der Thbinger Variante dieses Idealismus vorausgingen, la.Et
23 DaE Jacobi und in Verbindung mit seinem Impuls auch Platon eine phi- sich aber deutlicher erkennen, durch welche Motive die drei
losophische Bedeutung zukomme, die auf derselhen Ebene wie Kants Phi- jiingeren Stiftler auf ihren Weg und zum niemals vorbehaltlosen
losophie zur Geltung zu bringen sei, ist eine Uberzeugung, in der Holderlin
und Schelling iiber ihre Differenzen hinweg rniteinander iibereinstimmten. AnschluE an Fichte geftihrt wurden. In einem damit wird so
Aus ihr ergibt sich auch die Besonderheit ihres philosophischen Einsatzes deutlich, daB ihnen Bemiihungen urn Klarheit in Grundfragen
- im Faile Schellings auch noch gegeniiber dem selbst schon von Jacobi des Denkens und zumindest ein Ansatz zu selbstandiger Theo-
beriihrten Fichte, dem Schelling (anders als Holderlin) zunachst weitgehend, riebildung vorangegangen sind. Sie muEten also nicht kraft
wenn auch in eigenstandiger Weise, folgen wollte.
24
eigener Anstrengung wie aus einem Nichts auf den Weg zu
Vgl. E 2 S. 328 Z. 16ff. und GiB, insbesondere S. 92ff.
25 den Konzeptionen fmden, mit denen sie freilich alles, wodurch
Martin Brecht hat darauf hingewiesen, daE auch die Repetenten Gottlob
Christian Rapp, Karl Philipp Conz und Christoph Gottfried Bardili, zwischen sie sich in Thbingen anregen lassen konnten, bei weitem iiber-
deren Arbeiten es im iibrigen enge Zusammenhange der Anregung gab, trafen.
Kant zu friiher Zeit rezipiert haben. Die griindliche Aufklarung dieser Damit ist die Stellung Immanuel Carl Diez' im ProzeE der
Zusammenhange ware von gro~em Interesse. Doch gibt es keinen Hinweis
darauf, daB von ihnen oder irgendeinem anderen Stiftler vor Diez im
griindlichen Durchgang durch Reinholds Werk ein eigenes fundamental-
Skizzen zur Kant-Beziehung von Rapp (S. 390-393), Conz (S. 393 f.) und
philosophisches Programm formuliert worden ist (vgl. Martin Brecht, ,Die
Bardili (S. 394 f.) sowie die soeben erschienene Arbeit von Michael Franz,
Anfange der idealistischen Philo sophie und die Rezeption Kants in 'llibingen
Schellings Tzibinger Platon-Studien., Gottingen 1996 (= Neue Studien zur
(1788-1795)", in: .Beitrii.ge zur Geschichte der Universitii.t Tzibingen 1477-1977,
Philosophie Bd.ll), mit Bemerkungen zu Conz und Bardili (S.138-149)).
hrsg. von Hansmartin Decker-Hauff u. a., 'llibingen 1977, S. 381-428, mit

XXXI
XXX
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

nachkantischen Philosophie so weit bestimmt, daE zugleich sind, wird zudem in Gestalt einer besonderen Auflistung dieser
auch i.iber die Gri.inde Rechenschaft gegeben ist, die zur Ausgabe Textstellen verwiesen. 28
seiner Papiere geftihrt haben. tiber die Gehalte und die Ar-
gumentationen seines Denkens wird in einer zweiten Einleitung
berichtet. Der Bericht gri.indet sich seinerseits auf Untersu- b. Diez' Papiere im Uberblick
chungen, von denen erst im Laufe der ErschlieEungsarbeit an
Diez' Schriften deutlich geworden ist, daE sie noch weit mehr DaB Diez' philosophische Position und seine Stellung in der
Raum als die Edition selbst beanspruchen wi.irden. Diese Un- nachkantischen Philosophie nur mit so viel Mi.ihe aus den er-
tersuchungen erganzen die Edition nicht nur in dem Sinn, daB haltenen Texten herauszuheben sind, wird dem gewiE unwill-
sie aus dem, was die Texte mitteilen, weitere Folgerungen ziehen kommen sein, der sich diesen Texten mit der Erwartung auf
oder daE sie in deren Voraussetzungen und Folgen vordringen. eine philosophische Lekti.ire zuwendet, die zudem wenigstens
Es hat sich vielmehr gezeigt, daE aus den i.iberkommenen Texten an der Oberflache des Textsinnes nicht zugleich wieder Schwie-
nur Diez' Gedanken zur Theologiekritik in ausreichender Be- rigkeiten macht. Die i.iberkommenen Texte von Diez' Hand
stimmtheit hervorgehen. Das erklart sich aus den Entstehungs- sind fur die Nachgeborenen Dokumente, die sich zur Ganze
bedingungen der uns i.iberkommenen Dokumente und mehr erst durch Kommentierung und durch Untersuchungen, die
noch aus ihrer Uberlieferungsgeschichte. 26 Die Philosophic und ihr vorausgehen und an sie anschlieEen, in ihrer Bedeutung
ihre Grundlegungsfragen stehen nur im Mittelpunkt der Briefe, fur die Theoriegeschichte verstehen lassen. Das folgt zu einem
die Diez aus Ti.ibingen an Niethammer nach Jena sandte. Aber guten Teil schon allein daraus, daE die meisten von ihnen
auch in ihnen werden die Gedanken von Diez nur skizziert. Adressaten haben, die mit den erorterten Themen vertraut ge-
Die wichtigsten Thesen sind so gar nur erwahnt oder angedeutet, wesen sind. Zudem wird in ihnen dann auch die Vertrautheit
wobei Diez mehrfach auf philosophische Manuskripte verwies, mit Streitfragen und die Erinnerung an Gesprache, die den
die Ieider nicht zu dem gehoren, was uns erhalten wurde. Ni~.derschriften vorausgingen, bereits vorausgesetzt.
Dieser letzte Umstand ist es, der eine ErschlieEungsarbeit in Ahnliches gilt auch ftir die erhaltenen Schriften von Diez. Sie
abgesonderten Untersuchungen unerlaElich macht. Ihr Ergebnis sind keine Manuskripte, die zur Veroffentlichung bestimmt ge-
soli moglichst bald nach der Edition veroffentlicht werden, ein wesen waren, dann jedoch vom Druck zuri.ickgehalten wurden.
Inhaltsverzeichnis auch dieser weiteren Veroffentlichung kann Allenfalls konnten sie als Vorform fur solche Manuskripte gelten.
aber jetzt schon mitgeteilt werden. 27 Auf die zumeist extrem In ihnen ist vielmehr eine Argumentation zusammengefaEt oder,
knappen AuEerungen von Diez innerhalb der vorliegenden Do- ohne jede Politur im Stil, skizziert, die Diez seinen Freunden
kumente, die einige der Themen betreffen, die ftir Grundle- vorlegte, womit er sie urn Pri.ifung ersuchte oder deren Meinung
gungsfragen der Philo sophie von einer Bedeutung ersten Ranges zu heeinflussen versuchte. Diese Freunde waren gleichfalls
Theologen und mit ihm eines Alters, und die Themen der Texte
26 waren Fragen, die bei der Entscheidung dari.iber, ob man noch
Vgl. unten S. XXXIIIff. und Uberlieferung von Diez' Manuskripten (V 2).
27
Das Inhaltsverzeichnis von Gadl ist unten auf den Seiten 915-918 abge-
weiterhin in Wurttemberg ein geistliches Amt wi.irde anstreben
dr~~t. Leider haben es die Arbeitsgiinge im Jena-Programm ausgeschlossen, konnen, eine zentrale Bedeutung hatten: die Frage, ob man die
Ed1t10nen und Monographie gleichzeitig zu veroffentlichen. Daraus ergibt ahverlangte Unterschrift unter die Bekenntnisschriften wi.irde
sich fur den Leser die grofSe Unbequemlichkeit, daiS noch nicht auf die
Seitenzahlen, sondern nur auf die Kapitel von Gadl verwiesen werden 28
Vgl. unten S. CXIXf.
kann, was der Herausgeber zu entschuldigen bittet.

XXXII XXXIII
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

leisten konnen, die Frage, ob es iiberhaupt moglich ist, sich Zugleich mu.Bten sie aber auch der Bestimmung geniigen, in
davon zu iiberzeugen, daE von Gott eine Offenbarung an die Debatten innerhalb des Stifts und in Freundeskreisen von ehe-
Menschen erging, und die Frage, ob die christliche Bibel als maligen Stiftlern der Priifung unterzogen und verteidigt zu
Dokument einer solchen Offenbarung angenommen werden werden. Urn diese Praxis zu verstehen, muE man sich dessen
konnte. Diese Fragen waren fur Diez, der auf dem einmal ein- erinnern, daE die Disputationen in der Universitat zu Diez'
geschlagenen Weg ins wiirttembergische Pfarramt in Gewissens- Zeit noch eine herausragende Rolle spielten. Auch die Profes-
not geraten war, von bedrangendem Gewicht. Doch hatte er soren veroffentlichten regelmaEig Schriften, die nur fur die
zur Zeit der Niederschrift der Aufsatze seine negativen Schlu_g- Disputationen innerhalb der eigenen Universitat bestimmt wa-
folgerungen schon gezogen. Sie bedurften nur noch der neuer- ren. Die Studenten wurden ins Disputieren eingeiibt, urn die
lichen Bewahrung vor seinen Freunden, auf deren Zustimmung Theoreme der Lehrer und die Glaubensartikel der Kirche ver-
er hoffte, was darauf hinauslief, daE er auch ihnen de facto eine teidigen zu konnen, und den Repetenten fiel dabei eine ihrer
Stellungnahme wie die seine nahelegte. In seinen Begriindungen vielen Aufgaben zu. 31 Da aber im Tiibinger Stift wahrend einer
setzt Diez nicht nur die gemeinsame Ausbildung und friihere Umbruchszeit eigentlich alle, die selbstandig dachten, dazu
Gesprache mit den Freunden voraus. Er schlie.Bt seine eigenen gezwungen waren, eine von den Lehrern nicht vorgegebene
Begriindungen zugleich auch an das an, was in der theologischen Verstandigung iiber ihren Lebensweg zu frnden, wurde diese
Literatur der Zeit zu diesen Fragen bereits vorgetragen worden Disputationspraxis von einer Voriibung fur einen fest ins Auge
war. Da heute auch Experten die theologische Literatur des gefa.Bten Beruf zu einem Medium eben dieser Selbstverstan-
ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts nur noch unvollkom- digung umgewidmet.
men iiberschauen, enthalt diese Edition zwei Begleittexte, die Was den Texten von Diez, die auf diese Weise zustande kamen,
in den versunkenen Zusammenhang einfuhren sollen. 29 die Eignung zu einer der Kommentierung nicht bediirftigen
Waren uns die philosophischen Manuskripte von Diez gleich- Lektiire entzieht, la.Bt ihnen deshalb aber auch eine Qualitat
falls erhalten geblieben, dann wiirde sich wahrscheinlich zeigen, zuwachsen, die ein Interesse noch ganz anderer Art auf sich
daE sie Texte der Verstandigung von etwa derselben Verfassung ziehen kann. SchlieElich wird diese Qualitat aber auch beim
gewesen sind. Diez hat namlich nur einmal davon gesprochen, AufschluE iiber die Konstellation, in der Diez' Denken seinen
daE er an eine Veroffentlichung zu einem philosophischen The- Platz hat, von einiger Bedeutung sein konnen. Bevor darauf
rna dachte. 30 Die Texte, die er dennoch niederschrieb, miissen eingegangen wird, 32 sollen aber die Gruppen der Texte zunachst
also zunachst einmal seiner Selbstverstandigung gedient haben. etwas naher charakterisiert werden, die uns iiberkommen sind
und die in diesem Bande veroffentlicht werden.
In der Gruppe A sind die Briefe, die Diez an Niethammer
29
Die heiden Texte von Anton Friedrich Koch enthalten auch eine Analyse nach Jena sandte, bevor er selbst nach Jena aufbrach, mit zwei
der Position, die Diez eingenommen hat und zu begrunden versuchte. Fur
B 1 und die Fragen, die mit der Unterschrift unter die symbolischen Bucher
vereinzelten Briefen zusammengenommen, die Diez wahrend
zusammenhiingen, hat der erste dieser Begleittexte (VI 2) zur Ciinze die 31
Aufgabe, die frir Diez' Philosophieren im ersten Buch von Cadi ausgefrihrt ,,n den en Orationen und Disputationen sollen die Repetenten die vorderste
worden ist. Uber die Einfuhrung in die Probleme von B 2 und B 3, die Stuhle occupieren, und mit ihrem Exempel opponendo denen andern vor-
im zweiten Begleittext (VI 3) gegeben wird, gehen aber sowohl der Kom- gehen" ( Statuten der Fiirstlichen Theologirchen Stipendii zu TU.bingen, Stuttgart
mentar wie auch Cadi V. 1 hinaus. 1752, Kapitel 2 ,Von den Repetenten, und ihren Verrichtungen", § 28,
30
Eine Kritik von Kants 'franszendentaler Asthetik (vgl. A 13 S. 87 Z. 30 - S. 23).
32
S. 88 Z. 5). Vgl. Der selbstdenkende Kantianer (I 2).

XXXIV XXXV
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

dieser Zeit an andere Freunde richtete. In ihnen wird vor allem SuEkinds Gettinger Studienzeit fallt nahezu vollstandig mit
Reinholds Elementarphilosophie erertert und kritisiert. Zudem der Zeit zusammen, wahrend der Diez seine philosophisch ge-
teilt Diez den Gang seines Kantstudiums und seiner Theolo- haltvollen Briefe an Niethammer richtete und wahrend der die
giekritik und manches uber deren Aufnahme in Tubingen mit. Schriften der Gruppe B entstanden. SuEkind berichtet Diez
Auf ihren Gipfel kommen diese Mitteilungen mit dem Brief uber die Meinungen der Gettingen Theologen, die er zu den
vom 5. Dezember 1791 (A 15). Diez gibt darin die Nachricht Themen von Diez' Theologiekritik eingeholt hatte. Vor allem
uber seine Apostasie von der Theologie, in einem aufs Hechste aber vollzieht sich in dieser Korrespondenz der Meinungsstreit
gesteigerten polemischen Ton, der von kantischen Motiven zwischen SiiEkind, der seinen christlichen Glauben, den er
durchsetzt ist und in dem sich zugleich seine Befreiung aus schwanken sieht, verteidigen will, und Diez, der auf dem Weg
langwahrender Gewissensnot ausdruckt. Die kurzeren Briefe, zur Apostasie eine ganze Reihe von Argumentationen entwickelt.
die darauf folgen, betreffen uberwiegend die Vorbereitungen Sie lassen sich aus SuEkinds Antwort deutlich und manchmal
auf das Medizinstudium und auf den Aufenthalt in Jena. sogar im Zitat entnehmen. Philosophische Themen treten in
In Gruppe B werden vier von Diez uberkommene Manuskripte dieser Briefgruppe zuruck. Dagegen entfaltet SuEkind auch ein
mitgeteilt. Sie sind in der Zeit vom Fruhjahr 1790 his zum buntes Bild vom Leben in der Universitat Gettingen. Im iibrigen
Fruhjahr 1791 entstanden und im Zusammenhang mit Briefen gibt es nur wenige Dokumente, in denen ein Streit urn Be-
an Freunde und Jahrgangsgenossen des Stiftes uberliefert wor- wahrung oder Preisgabe des christlichen Glaubens auf so be-
den. In der Abhandlung Uber die Mi/glichkeit einer Offenbarnng, wegende Weise von nicht erschutterbarer Freundesnahe um-
die in zwei Fassungen erhalten ist, wird eine alte Frage der griffen und getragen ist.
theologischen Apologie mit kantischen Mitteln negativ beant- In der Grnppe D finden sich die wenigen Briefberichte aus
wortet (B 2, B 3). Die erste Schrift Uber die Rechtmi!fligkeit der der Jenaer Zeit von Diez, die offenbar wegen ihrer besonders
Unterschrijt unter die symbolischen Bucher (B 1) bestreitet die interessanten, zum Teil dramatischen Inhalte aufbewahrt worden
RechtmaEigkeit, eine solche Unterschrift zu ford ern, mit Rechts- sind. Er schrieb sie fur seine Verwandten und Freunde nieder,
grunden und untersucht zugleich die Motive und die Folgen unter denen sie zirkulierten, urn zuletzt an die Eltern als ersten
einer solchen Forderung. Die vierte Schrift Ober Matthiius Adressaten zuruckgegeben zu werden. Die theoretischen The-
XXIV, 29if (B 4) ist die Skizze einer Bibelinterpretation, die men der Briefe, die zwischen Niethammer, SuEkind und Diez
zeigen will, daE jede Exegese, welche dieses Kapitel textgerecht gewechselt wurden, hatten in diesen Berichten uberhaupt keinen
erschlieEen will und ihm also nicht a us einer Vormeinung hera us Platz. Diez schildert seine Reise nach Jena sowie seinen Alltag
eine Konsistenz aufzwingt, im Widerstreit zwischen zwei meg- und wichtige Ereignisse in und urn Jena mit einer Ausftihr-
lichen Auslegungsarten enden muE, womit erwiesen sein soli, lichkeit, die von anderen Briefquellen kaum je erreicht worden
daE der Text nicht als offenbarte Wahrheit gelten darf. Die ist. Er zieht uns in nacherlebbaren Bildern hinein in den Alltag
Themen dieser Abhandlungen werden vielfach auch in den dieser Hauptstadt der Philosophic in der Zeit, wahrend der
Briefgruppen A und C beruhrt. Diez ZU Schillers Tischgesellschaft geherte und wahrend der
Die Grnppe C enthalt die Briefe, die Diez' nachster Freund er Reinhold an seiner Elementarphilosophie irremachte.
Friedrich Gottlieb SuEkind wahrend seines Aufenthaltes in Get- In der Grnppe E kennen nur einige wenige der viel zahlrei-
tingen an Diez gerichtet hat. Diez' Gegenbriefe haben sich cheren, aber zumeist unzuganglichen Briefe mitgeteilt werden,
ebensowenig finden lassen wie die Briefe von Niethammer, die Diez nach seinem Abschied und his zu seinem Tod in Wien
die den Briefen von Diez in der Gruppe A korrespondieren. an Niethammer gerichtet hat. Sie wurden in die Ausgabe auf-

XXXVI XXXVII
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

genommen, weil auch sie noch interessante philosophische Der Ubersicht iiber die ftinf Textgruppen dieser Ausgabe
Nachrichten enthalten und weil sie zum Bild von den Lebens- sollte noch etwas zu Diez' heiden Briefpartnern hinzugeftigt
verhaltnissen der Zeit in Jena, in Thbingen und in den Orten werden. Ihre Lebensdaten sind ebenso wie die von Diez in
beitragen, an denen sich Diez wiihrend seiner Reisen aufhielt. Stichwortbiographien gesondert zusammengestellt.38 Doch soll-
Von Diez' Hand sind neben dem bereits abgedruckten Spe- te auch hier der Hinweis darauf nicht fehlen, daE beide eine
cimen33 noch einige amtliche Schriftstiicke, vereinzelte Briefe, bedeutende Karriere gemacht haben. Niethammer wurde zu-
vor allem aber drei umfangreiche Reiseberichte und ein langer nachst Professor der Philosophie und dann der Theologie in
Bericht an den Kirchenrat iiber die Wiener Leichenbeschau Jena. In mehreren Schriften bemiihte er sich darum, auf
erhalten? 4 Die Publikation dieser Berichte wurde von dieser kantischer Grundlage eine Theorie der Religion zu entwik-
Ausgabe ausgeschlossen, weil sie keinen Bezug aufDiez' Denken keln, innerhalb derer ein neu bestimmter Begriff von Offen-
und auch keine Berichte vom Leben in den Universitiiten der barung einen Platz fmden kann. 39 Als einer der Anreger Hol-
Zeit enthalten. Sie eignen sich zudem fur eine separate Publi- derlins,40 als Begriinder des Philosophischen Journals, als Mit-
kation, die moglichst von einem Historiker des Medizinalwesens angeklagter Fichtes im Atheismusstreit und als personlicher
iibernommen werden sollte. Er konnte dann in seiner Kom- Freund von Schelling und Hegel hat er an der gesamten
mentierung auch iiber das hinausgehen, was in der Biographie Entwicklung der idealistischen Philosophie in Jena Anteil ge-
von Diez 35 und in der Kommentierung zu den Briefen der nommen. Als Theologieprofessor gelangte er dann nach Wiirz-
Gruppe A, D und E iiber Diez' Mitteilungen zu medizinischen burg und iiber die Erweiterung des bayerischen Territoriums
Themen36 und zu den medizinischen Schriften enthalten ist, nach Bayern, wo er zunachst im Ministerium des Inneren die
die Diez zum Druck gebracht hat. 37 Verantwortung fiir die Reform der Gymnasien iibernahm und
spater, nunmehr als strenger Lutheraner, als Oberkonsistorialrat
an der Spitze der protestantischen Kirche Bayerns stand.
33
In Wilhelm G. Jacobs, Zwischen Revolution und Orthodoxie? Schelling und SiiEkinds gesamter Lebensweg stand unter dem Zeichen der
seine Freunde im Stift und an der Universitat Tiibingen. Texte und Untersuchungen,
Stuttgart-Bad Ca.nnstatt 1989, S. 199-211, vgl. Gadl III und V. l. Auseinandersetzung, die sich zuerst in dem Briefw-echsel mit
34
Eine Liste der i:iberkommenen Dieziana, in der fur die Ak.ten keine Voll- seinem Freund Diez niedergeschlagen hat. Er wurde schon als
stiindigkeit angestrebt wird, findet sich unter V 3. Thbinger Repetent zum Bundesgenossen der von Diez attak-
35 Die ausft.ihrliche Biographie schlieEt das erste Buch von Cadi ab (Kapitel kierten Theologie ihrer Thbinger Lehrer. In zahlreichen Ver-
X. 1-3), wahrend diese Edition nur eine Kurzbiographie enthiilt (vgl. Kurz- offentlichungen hat er sie gestiitzt und erweitert. Bald schon
biographien (I 4), S. IC f.). wurde er zum Professor im dogmatischen Fach an der Ttibinger
36 Nimmt man Diez' Mitteilungen in den hier gedruckten Texten mit den von
ihm se1bst veroffentlichten Schriften und den von der Publikation, die ein
Fakultat und damit in der Sache zum Nachfolger von Storr.
philosophisches Interesse zur Grundlage hat, ausgeschlossenen Texten zu-
sammen, so ergibt sich ein sehr vielgestaltiges und ungewohnlich reich- zwei Fassungen vor, als Disputationsschrift (Tt.ibingen 1794) und in er-
haltiges Bild der Medizin und des Medizinalwesens der Zeit. Es im Zu- weiterter Gestalt fUr den Buchhandel (Tt.ibingen 1795). Ihr ging Diez'
sammenha.ng mit der Medizingeschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts kleine Schrift Ueber die Methode in der Arzneymittellehre, Jena 1793, voraus
wirklich angemessen erschlieEen kann nur ein Medizinhistoriker vom Fache. (vgl. D 5/ 21). Zu diesen selbstiindigen Publikationen kommen noch kleinere
Ich hoffe, daE die in der Kommentierung und in der Biographie zu findenden medizinische Texte (vgl. die Liste unter V 3).
Ausft.ihrungen dem kritischen Urteil dennoch einigerma.Een sta.ndhalten, 38
Vgl. Kurzbiographien (I 4).
obwohl sie von Laien aus vielerlei Quellen und Hilfsmitteln zusammenge- 39
Vg1. Cadi XI.2-4.
tragen worden sind. 40
37
Vgl. Gill 8. 113-126.
Diez' medizinische Dissertation Rudimenta methodologiae medicae liegt in

XXXIX
XXXVIII
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution cines Vergessenen

Ihm folgte er dann auch in dessen Stuttgarter Amtern nach, ihn mit einigen der wichtigen Krankenanstalten des deutschen
wurde Oberhofprediger und Konsistorialrat, urn - ahnlich wie Sprachraums bekannt gemacht,44 und wegen seines klug raso-
Niethammer in Bayern - schlie~lich als Direktor des Stu dienrates nierenden Berichts aus Wien erhielt er ein Belobigungsdekret
die Verantwortung fur das gesamte wiirttembergische Bildungs- des Stuttgarter Kirchenrates. 45 Methodologe der Medizin war
wesen zu iibernehmen. er durch seine Veroffentlichungen ohnedies geworden, so da~
In den Briefen an Niethammer und von Sii~kind wird der es also auch denkbar ist, da~ er im Streit zwischen den me-
Leser also zum Zeugen einer Bemiihung, in Glaubensfragen dizinischen und naturphilosophischen Schulen der Jahrhun-
zur Klarheit und zu einer Entscheidung zu gelangen, die Sii~­ dertwende zur Philosophic zuriickgezogen worden ware. Schon
kind und Niethammer noch lange fortgesetzt haben. Nietham- durch das, was er in seinem kurzen Leben produzierte, kann
mer hat seine Position einer auf idealistischen Pramissen auf- er im Zusammenhang mit den philosophierenden Arzten seiner
gebauten Religionsphilosophie noch mehrfach neu bestimmt, Zeit genannt werden, mit Marcus Herz in Berlin, mit Johann
ehe er zur alten Kirchenlehre und in die Nahe Storrs zuriick- Albrecht Hinrich Reimarus in Hamburg und mit Johann Ben-
kehrte. Sii~kind wurde sich seiner eigenen Entscheidung wah- jamin Erhard in Niirnberg. Mit letzterem ist er durch seinen
rend seiner Repetentenzeit sicher, hat dann aber die storrische eigenstandigen Kantianismus und seine Reinholdkritik, aber
Position, die sich ihm in seiner eigenen Glaubenskrise und im auch durch die gemeinsame Freundschaft mit Niethammer
Streit mit Diez befestigt hatte, immer wieder aufs neue gegen ohnedies eng verbunden. 46 Erhards Argumente sind im iibrigen
theologische Lehren, die aus der nachkantischen Entwicklung so haufig Thema in Diez' Briefen, da~ es geraten erschien, den
hervorgegangen waren, und in weit ausgreifender Polemik gel- Stichwortbiographien, welche diese Ausgabe enthiilt, auch eine
tend gemacht, so gegen Niethammer, gegen Fichte, gegen Schel- solche von Erhard hinzuzufugen. In der Monographic Grund-
ling, gegen de Wette und damit implizit auch gegen Hegel legung aus dem lch ist Erhards Position, und zwar in einer
und schlie~lich auch gegen Schleiermachers Glaubenslehre. 4 l Kontrastierung zu der von Diez, ausfuhrlich analysiert worden. 47
So waren also Diez' Briefpartner innerhalb ihrer Zeit Manner Doch Diez' Leben wurde abgebrochen. Wir erinnern uns
von Bedeutung, wenn sie auch mit ihren Leistungen nicht tiber seiner, weil er in Konstellationen lebte und in ihnen seine
diese Zeit hinausreichten. Ware Diez nicht schon im Alter von Argumente entwickelte, die fUr den Gang der nachkantischen
drei~ig Jahren gestorben, so hatte er wohl auch eine akade- Philosophic bedeutsam und fruchtbar gewesen sind.
mische Karriere durchlaufen. Medizinische Vorlesungen hat er
gleich nach der Riickkehr aus Jena gehalten,42 und bald ging
auch die Nachricht urn, er werde nicht lange auf eine au~er­
ordentliche Professur zu warten haben. 43 Seine Reisen hatten Studien zur Geschichte von Stadt und Universitiit Tzibingen im Zeitalter der
Franziisischen Revolution, Ttibingen 1981 (= Contubernium. Beitrage zur
41
Geschichte der Eberhard-Karls-Universitat Thbingen, hrsg. von Hansmartin
Den Positionen von Niethammer und von SiifSkind sind in Gadl eigene Decker-Hauff u. a., Bd. 31), S. 119 und HSA Stuttgart A 274 Bi.i 23). K.iel-
Abhand.lungen gewidmet; vgl. Gadl XI zu Niethammer und XII zu SiifSkind. meyer kiindigt in seinem Brief an die Eltern vom 18. September 1794 die
42
Eine Ankiindigung ft.ir das Wintersemester 1794/ 95 ist unter den Dieziana Ernennung von Diez zum a. o. Professor an (vgl. A 14/ 1).
erhalten. Die Belege dafiir, dafS Diez' Vorlesungen wirklich stattfanden, 44
Vgl. die Biographje in Gadl X. 2 und 3.
sind in E 4/ 4 genannt. 45
Vgl. die Biographie in Gadi X. 3, sowie E 8/ 9.
43
Der Ius-Professor Tafmger erwahnt in einem Gutachten zur Verbesserung 46
Diez' Reaktion auf Erhards friihe Texte wird in Gadi VII. 4 erschlossen.
der Universitat cine Bemiihung von Diez' Vater, seinem Sohn cine solche 47
Anstellung zu besorgen (vgl. Uwe Jens Wandel, Verdacht von Democratismus? Vgl. Gadi XIII.

XL XLI
Diez zwi chen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

c. Anlage und Motivation der Kommentierung ?iez er~tillte seinerseits die gleiche Pflicht gegeniiber den
Semen, selt er selbst in Jena eingetroffen war. Seine Berichte
In den Texten dieser Edition sind die philosophi chen Passagen sind aus dem Moment geschrieben und ftir die Lektiire derer
von geringerem Umfang als die, in denen die Fragen erortert bestimmt, die an seinem Wohlbefinden Anteil nahmen, die
werden, welche die jungen Theologen bedrangten. Aber auch aber auch ~oglichst viel aus dem literarischen Doppelstern
beide Themenbereiche zusammengenommen dominieren nicht Jena un~ We1m~r erfahren wollten. So sind seine Erziihlungen,
den gesamten Textbestand. Fast aile Briefe enthalten Mittei- wenngleich wemger fliissig als die sugkinds geschrieben, einem
lungen vom Leben und aus der Umgebung der Briefschreiber kommentierten Fotoalbum vergleichbar und anschaulicher als
und reagieren auf Mitteilungen, die er selbst zuvor erhielt. Sie etwa ein Tagebuch, das immer auf die eigenen Erinnerungen
wurden nahezu ailesamt geschrieben, als sich die, die einander dessen, der es ftir sich niederschrieb, rechnen kann. Nur die
nahestanden, noch nicht lange getrennt hatten. Die Thennung spiiten Briefe von Diez an Niethammer haben nicht diese Qualitat
hatte einen der Briefpartner an einen Ort geftihrt, der fur die, von Reportagen. Sie enthalten nur Nachrichten, Impressionen
die zuri.ickblieben, grogtes Interesse hatte. und Mitteilungen iiber Plane, welche eine Zukunft betreffen
Diez war begierig auf Berichte aus dem Mekka der deutschen die Diez dann genommen worden ist. '
Philosophie und wiinschte auch, dag die Argumente, die er Wer die Briefe dieser Ausgabe nach der Abfolge ihrer Daten
erwiihnte, iiber Niethammer in den Kreis der Studenten und durchliest und sich dabei nicht auf die theoretischen Erorte-
Kollegen von Reinhold gelangen mochten. Er versuchte, Niet- rungen einlagt, die eine angestrengtere Aufmerksamkeit ver-
hammers Berichte durch eigene Berichte aus dem Vaterland langen, der kann sich in ein Panorama des ausgehenden acht-
ein wenig zu vergelten. Dadurch sind Szenen aus Ttibingen zehnten Jahrhunderts versetzt frnden. Er erfahrt sehr viel von
und seiner weiteren Umgebung in Diez' Briefe eingegangen, den Reisen nach Gottingen und nach Jena und vom Alltag
die Niethammer nicht aus der schwabischen Presse hatte er- der Gelehrten und der Studenten in Thbingen, in Gottingen
fahren konnen. und in Jena wahrend der Zeit, als in Frankreich die Revolution
Siigkind ging zum Studium nach Gottingen, der als Ort der in ihrem Gang begriffen war. Auch kann er sich ein deutliches
Wissenschaften, nicht der Philosophie, angesehensten Univer- Bild vom Unterschied zwischen diesen Universitaten machen
sitat der Zeit. Diez erwartete nun, dag er ihm von den Meinungen so wie er den jungen Freunden und iiberhaupt allen informierte~
Zeitgenossen vor Augen stand.
der Gottinger Theologen zu den Fragen wi.irde berichten kon-
Nach anfanglichem Zogern wurde bei der Kommentierung
nen, die sie untereinander besprochen hatten und zu denen
der Briefe die sehr erhebliche Miihe in Kauf genommen, auch
wegen ihres brisanten Gehalts in den Publikationen der Pro-
diese Seiten ihres Gehaltes recht weitgehend aufzuschliegen
fessoren klare Augerungen nicht zu erwarten waren. Im iibrigen
und mit weiterem Hintergrund zu versehen. Mit wenigen Aus-
hatte SiiEkind an einen dieser Professoren Diezische Agita-
nahmen sind aile in den Texten erwiihnten Personen kommen-
tionsbriefe gelangen lassen48 und in diesem Zusammenhang
tiert worden. Diese Ausnahmen betreffen Personen, die in den
von seinen Reaktionen zu berichten. Aber Si.igkind erft.illte
Reiseberichten figurieren, und Personen wie etwa Dienstboten,
seine Freundespflicht auch dadurch, dag er Diez am Gottinger
von denen angenommen werden darf, daE die Anschaulichkeit
Leben mit vielen seiner Details, Anekdoten und Curiosa in
und die Bestimmtheit der Berichte nicht verliert, wenn sie un-
einnehmendem, entspanntem Plauderton teilnehmen lieK
identifiziert bleiben. Der Aufwand an Kommentierungsarbeit,
48 der den Nachrichten i.iber Lebensumstande und Ereignisse der
Vgl. C 6 S. 215 Z.l6ff. und C 6/20, sowie Gadl VIII. 3.

XLIII
XLII
Diez zwi chen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

Zeit gegolten hat, iibertraf innerhalb der Edition den Aufwand zur Eingrenzung der Kommentierungsaufgabe immer auch als
ftir die Kommentierung der theoretischen Textteile bei weitem. unbegriindet erscheinen konnen.
Seinerseits wurde er nur noch von dem Aufwand iibertroffen, Im Laufe der langen Zeit, wahrend der die Ausgabe entstand,
der zu erbringen war, urn Diez' Denken in seinem Gesamtzu- sind aber noch ganz andere Griinde hinzugekommen, die gerade
sammenhang monographisch zu erschlieEen und in den Gang einen Philosophen in der Rolle des Editoren bewegen konnen.
der nachkantischen Philosophie hineinzustellen. Wo der Kom- Auch von ihnen soil am SchluE dieser Einleitung gesprochen
mentar nahelegt oder verlangt, daE dies geschieht, sind in ihm werden. Sie gehoren zwar nicht zu dem, was sich notwendig
Verweise auf die Monographie Grundlegung aus dem lch zu aus dem Geschaft des Editors ergibt. So mogen sie in dem,
finden. 49 Zu den Kommentaren iiber die Lebensumstande und was manchen, der zu dieser Ausgabe greift, motiviert, vielleicht
alles, was mit ihnen zusammenhangt, sollte aber sogleich auch auch keinen Platz haben. Doch sie machen einen guten Teil
angemerkt werden, daE sie nicht von Wissenschaftlern stammen, des Horizonts und der Erfahrungsart aus, welche historische
zu deren Fach die Zeit- und die Lokalgeschichte der Orte Untersuchungen umgreifen, die ftir die Diez-Ausgabe in un-
gehoren, iiber die in den Briefen berichtet wird. Es war notig, gewohnlich hohem MaEe zu erbringen waren. Sie konnten
sich jeweils ab ovo in zahlreiche, oft sehr weit voneinander auch gerade den Philosophen, die doch wohl zumeist diese
abliegende Literaturen einzuarbeiten, aus denen Nachweise und Ausgabe nutzen werden, von Interesse oder gar aus Eigenem
Kommentierungen zu gewinnen waren. auch schon vertraut geworden sein. In jedem Fall gehoren sie
un mag gefragt werden, warum der Herausgeber auf diese zu dem, was historische Arbeit in einer Nahe zu Erfahrungen
ausgiebige Kommentierung dennoch nicht verzichtet hat. Einige halten kann, die im Philosophieren freikommen: Historische
Griinde daftir sind naheliegend genu g. Da die Briefe nun einmal Untersuchungen geschehen immer vom Standort in der eigenen
zu einem guten Teil von konkreten Umstanden und Ereignissen Zeit und Welt aus. Gewill wollen sie eine vergangene Zeit und
berichten, sind sie nur dann zu verstehen, wenn die Kommen- Welt erschlieEen. Was da aber erschlossen wird, bleibt doch
tierung recht weit ausgreift. Zudem betreffen diese Berichte lange insofern relativ auf den Standort des Historikers, als es
vor allem das Leben in drei Universitatsstadten, an deren Ge- nicht eben die Dichte und Fiille annimmt, in der dem Historiker
schichte wahrend des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts die eigene Gegenwart vertraut ist. Die Vergangenheit, die er
ohnedies ein Interesse besteht, das bereits viele Publikationen zuriickruft, wird ihm tiber die Jahre hinweg doch immer noch
ins Leben gerufen hat. Auch wird manches bisher Unbekannte wie eine Schattenwelt erscheinen. Sie kann dies als Welt auch
iiber berlihmte oder doch bekannte Zeitgenossen berichtet.
50 dann immer noch bleiben, wenn er mit einzelnen Personen in
Unter solchen Umstanden hatte jede konkrete Entscheidung ihr in eine Beziehung kommt, die so vielgestaltig wird, daE er
meinen kann, mit ihnen wirklichen Umgang zu haben.
Wahrend seiner Arbeit kann es aber irgendwann schlieElich
49
Vgl. Anm. 27. doch zu einem Umschlag kommen. Dann gewinnt die vergan-
50
Urn die Nachweise des Kornmentars vollstandig nutzen zu konnen. rnussen gene Welt ftir ihn auf einmal dieselbe Konkretheit wie die
die zahlreichen Verweise auf andere Kommentarpunkte beachtet werden.
die aber der Leser, der nur den jeweiligen Textzusarnmenhang erschlossen
eigene Gegenwart. Er gelangt dahin, sich in seiner Imagination
haben will, hiiufig ubergehen kann. Urn weitere Kornrnentare zu Personen durch sie in etwa so bewegen zu konnen wie in der eigenen
aufzufinden, mug man den Personenindex benutzen. Komrnentare zu Per- Zeit. Er weiE dann nicht mehr nur, sondern es wird ihm un-
sonen von besonderer Bedeutung in Diez' Umkreis, bei denen die Kon- mittelbar bewuEt, daE auch zu dieser Zeit eine uniiberschaubare
sultation des Indexes besonders angeraten ist, werden am Beginn durch
ein Verweiszeichen ,( ?)' ausgezeichnet.
Fiille von personlichen Beziehungen unter Menschen gehorte,

XLIV XLV
Diez v.vischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

von denen jeder nur wenige kennenlernen konnte. Sein Bild Philosophie und der Theologie der Zeit erworben, dann konnen
von den v.rirklichen Lebensverhaltnissen geht so weit ins Detail, wir an diesen Debatten teilnehmen, als wiiren wir bei ihnen
daE er sich den Ablauf eine Tages und daE er sich aile die gegenwiirtig. Zugleich lernen wir die Menschen kennen, die
Einrichtungen vorzustellen vermag, die in diesen Alltag ein- sich als Freunde aneinander wendeten und die ihre person-
griffen und die in ihm zu nutzen waren. lichsten Bekenntnisse in sie einflieEen lieEen. Der Umschlag
Uber die en Umschlag verwandelt sich sein BewuEtsein dann wird aber zum anderen auch daraus begunstigt, da.B sie sich
in einer Weise, die durchaus mit dem verglichen werden kann, selbst in ihre Umgebung stellen und uber sie so viel und
was eine Meditation zu bewirken vermag. Er wird aus der vielgestaltig erziihlen, daE ihre Welt ihre Orkusnatur ablegen
naturwuchsigen Selbstbeziehung in seiner Welt und Zeit her- und zu leibhaftiger Gegenwart auch fur die Nachgeborenen
au gehoben, und in seinem Leben greift die Erkenntnis Platz, kommen kann.
daB seine eigene Gegenwart nur eine unter vielen und daB Zwischen dieser Wirkung, welche von den hier edierten Tex-
ie nicht weniger vergiinglich ist als die Epoche, die ihm Ver- ten als Ensemble ausgehen kann, und dem Motiv, dessentwegen
gangenheit i t und der er sich zugewendet hat. Die Menschen die Edition uberhaupt in Gang gebracht wurde, liiJ~t sich nun
der Vergangenheit werden damit allererst vollstiindig gleichen aber auch noch ein Zusammenhang herstellen. Aus Diez' Texten
Rechts mit ihm seiher. Das aber heiEt das gerade Gegenteil sollen Voraussetzungen jener Kreativitiit erkliirt werden, die im
davon, daB er sie, ohne es zu bemerken, immer von sich und Thbinger Stift wenig spiiter freigesetzt worden ist. Sie markieren
seinen Erfahrungen her versteht und erschlieEt. Zu dem, was zudem eine Form selbstiindigen Argumentierens im AnschluE
die Zeitlichkeit des Lebens ausmacht, gehort, daB jedes Leben an Kant, die bereits auf Reinholds Werk eingegangen und in
vergeht, daB aber in ihr auch jedes Leben seine eigene Ge- der die Notwendigkeit zu einer neuen Begrundung des Kan-
genwart, die jeweils nur eine ist, ganz erftillt. In diesem Sinne tianismus anerkannt war. Auch in der philosophischen Situation,
ist sie, urn einem bekannten Wort von Ranke einen metaphy- die sich in Jena selbst entwickelte, haben Diez' Argumentation en
sischen Sinn zu geben, ,unmittelbar zu Gott'. Ist die All-Einheit Folgen gezeitigt. Sie gehoren also, wenn auch mit einem be-
der Welt in der Zeit, so ist alles, was im eigentlichen Sinn scheidenen Platz, der Geschichte des nachkantischen Denkens
Grund ist, jeweils Jetzt und ist dieses auch ganz. an, und mehr noch zur Erkliirung von deren Gang und deren
Mit solchen Reflexionen wird offensichtlich uber das nuch- Potentialen. In Diez' Texten ist dieser Gang zugleich mit der
terne Geschiift des Historikers hinausgegriffen. Sie haben aber Krise eines Lebenswegs verbunden, in die wir mit seltener Kon-
die Arbeit am einmal begonnenen Unternehmen in zunehmen- kretheit Einblick erhalten. Diez' Texte versetzen uns damit in
dem MaEe begleitet. Auch gehoren sie wirklich zu den sekun- ein Lebensschicksal, das sich mit den Motiven verbunden hatte,
diiren Rechtsgrunden fur die Weise und das AusmaB der Kom- die in Kants Werk freigesetzt worden waren, und zugleich in
mentierung. Mir selbst ist aus der Zeit, in der die nachkantische ein Stuck der Lebenswelt, in die das kantische Denken hinein-
Philosophie ihren Gang vollzog, keine Quelle bekannt, die so wirkte. In einem damit machen sie freilich auch deutlich, wo-
wie diese jenen Umschlag im BewuEtsein dessen begunstigt, durch sich die Leistungen der wenigen uber ihre Zeit hinaus-
der ihr ausgesetzt wird. Das liegt zum einen daran, daB die ragenden Denker aus dieser ihrer Zeit erhoben haben, in die
theoretischen Debatten, die in diesen Texten geftihrt werden, doch ihr Leben gebunden war und aus der die Motive auch
so eng wie nur irgend moglich mit Lebensfragen und mit der ihrer Werke und vor allem die Macht, die von ihnen ausging,
Orientierungsnot derer verbunden sind, welche die Texte ge- hervorgingen. Wenn denn ein so rapider Gang wie der der
schrieben haben. Sind einmal die Voraussetzungen aus der nachkantischen Philosophie nur durch die Aufkliirung der Kon-

XLVI XLVII
Diez zwischen Kant und Fichte Restitution eines Vergessenen

stellationen, in denen er sich vollzog, verstandlich gemacht wer- Im Fri.ihjahr 1964 kam ich nach Wien, urn die Umstande
den kann, dann gehort auch diese Perspektive zu dem, was zu seines Todes zu klaren und nach Spuren seines Nachlasses zu
entfalten die Aufgabe von Konstellationsforschung ist. 51 suchen. Dort bekam ich dann die Wiener Totenprotokolle in
Nachdem nun bereits ein nicht zur Forschung im strikten die Hand - Dokumente aus dem System, i.iber das Diez 1796
Sinne gehoriges Motiv, das in die Gestalt dieser Ausgabe einging, seinen letzten langeren Text verfaEt hatte. 52 Spatestens von da
zur Sprache gekommen ist, mag zum SchluE noch ein anderer an hielt der archaologischen Ausgraberfreude der Gedanke die
motivierender Gedanke mitgeteilt werden, der gleichfalls die Waage, in einer Art Trauer- und Restitutionsarbeit begriffen
oft trockene Arbeit begleitet und belebt hat: Nur selten offnet zu sein, die zwei Jahrhunderte i.ibergreift. Das Interesse an
sich die Aussicht, das Leben und das Denken eines Menschen der Formationsgeschichte der nachkantischen Philosophie und
a us vollstandiger Vergessenheit, die nur den bloEen Nachnamen die Gunst einiger Funde hatten mir die Moglichkeit i.iberant-
ausgenommen harte, wieder heraufzurufen. DaE gerade aus wortet, diesen Diez, dessen Lebenshoffnungen unerfullt ge-
genau ebender Zeit und aus den Konstellationen, derentwegen blieben waren, in dem, freilich geringsten, Substitut gelebten
die Erwahnung seines Namens Interesse auf sich zieht, so viele Lebens wiedererstehen zu lassen, das die historische Erinnerung
Texte von ihm gefunden werden konnten, hat jene Aussicht zu geben vermag.
zusatzlich anziehend gemacht. Sie spielte in den Plan dieser Er war nur einer unter unzahlbar vielen, fur die man in ihm
Edition und schlieElich auch der Monographie hinein, in der eine inkommensurable Stellvertretung sehen mag. Bis ins Zen-
die Gedanken von Diez erschlossen und in ihrem Zusammen- truro jenes BewuEtseins, von dem zuvor die Rede war und
hang lokalisiert Werden - zunachst in der illusorischen Hoff- das begreift, wodurch jedes einmal gelebte Leben in sich selbst
nung, diese Aufgabe lasse sich in einem Buch kleinen Formats ein Absolutes realisiert, gelangt der Gedanke vom erinnernden
losen. Ri.ickruf eines verlorenen Lebens zwar nicht. Er kann aber von
Zu der archaologischen ErschlieEungsarbeit gehorte aber diesem BewuEtsein umgriffen werden und so eine bedeutsame
auch die Suche nach Dokumenten tiber das Leben von Immanuel Verbindung mit ihm eingehen. 53 Aber auch fur sich allein konnte
Carl Diez. Aus den Dokumenten, die sich Stuck urn Stuck dieser Gedanke ein guter Begleiter der Forschung sein. Der
einstellten, und aus dem, was aus seinen Texten hervorging, Lebensgang eines jeden Menschen kann nur in der Erinnerung
begann sich allmahlich ein Profu und dann auch die lebensvolle zu einem Ganzen werden. Was jeder jeweils fUr sich selbst
Gestalt dessen herauszubilden, dem die ErschlieEungsarbeit gewinnen muE, hat doch auch eine Entsprechung in der Be-
galt. Fri.ih schon war dann aber auch zu erfahren daE Diez mi.ihung darum, ein kleines CEuvre, seine Wirkung und den
wenige Jahre nach seinem EntschluE, nicht Pfarr:r, sondern Gang eines fri.ih geschwundenen Lebens samt der Motivbe-
Arzt zu werden, an einer Infektion gestorben ist, die ihn wahrend wegung, die es durchzog, der Vergessenheit abzugewinnen. So
eines Aufenthalts zur weiteren Ausbildung im Allgemeinen kann also die Frage ,Wer ist Immanuel Carl Diez?', die den
Krankenhaus in Wien niedergeworfen hatte. Das fri.ihe Erloschen Anfang zu dieser ersten Einleitung machte, unter vielen anderen
seines Lebens war insofern also auch durch die Folgerungen 52
Der Bericht (=die Relation) i.iber die Wiener Totenbeschau hat sich nach
bewirkt, die er in seiner Gewissensnot aus seinem an Kant langem Suchen im Stuttgarter HSA., A 282 Bi.i 1136/ 1 finden lassen. Er ist
orientierten Philosophieren gezogen harte. 20 Seiten lang und kann als Diez' souveranste Niederschrift angesehen
werden (vgl. Gadl X. 3).
53
51 Vgl . vom Hrsg. Kon.stellatzonen.
. Probleme und Debatten am Ursprung der idea- Vgl. vom Hrsg. Der Gang des Andenlcen.s. Beobachtungen und Gedanken zu
listi.schen Philosophie (1789-1795), Stuttgart 1991, S. 37f. Hiilderlin.s Gedicht, Stuttgart 1986, S. 155.

XLVIII IL
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

auch eine Antwort in einem Sinn frnden, der sich nur indirekt
aus den Interessen der Forschung, wohl aber im AnschlufS an 2.
Aufgaben der Philosophie erklaren Iafk Der selhstdenkende Kantianer.
Zweite Einleitung

a. Wissenschafdiche Ambition und Freundesnahe

Die Briefschaften und Schriften von Diez, die uns iiberkommen


sind, erlauben es uns, ein Bild von seinem intellektuellen Profil
und von der Entwicklung seiner Gedanken zu zeichnen. Die
Ziige dieses Bildes konnen sogar so deutlich ausfallen wie bei
kaum einem, der nicht als philosophischer Autor hervortrat
und der doch in der Ausbildung des GesamtbewufStseins seiner
Zeit eine wenn auch bescheidene Stelle hatte. 'frotz der er-
heblichen Anzahl der Texte von Diez' Hand, welche in diesem
Band vorgelegt werden, zwingt aber die Uberlieferungslage54
zu einer geduldigen Rekonstruktionsarbeit, bis die Entwicklung
von Diez' Gedanken angemessen nachvollzogen werden kann 55 .
Die Untersuchungen, die dies leisten und die Diez' theoretische
Bemiihungen in der Konsteliation, in der sie aufkamen, und
auch durch ihre Wirkungen lokalisieren, miissen deshalb von
dieser Edition getrennt und in einer zweibandigen Monographie
veroffentlicht werden. Doch auch die Ausgabe der Briefe und
Schriften, die von ihm iiberkommen sind, hat iiber den Ort
und iiber die Grundziige seines Denkens einen ersten AufschlufS
zu geben. Das soli in dieser zweiten Einleitung geschehen, die
unabhangig von der ersten soli gelesen werden konnen und
in der deshalb einige wenige Mitteilungen zu Diez wiederholt
werden. Sie konzentriert sich auf die heiden Themenbereiche,
die in Diez' Arbeit jederzeit eng miteinander verfugt gewesen
sind: die Grundlegungsfragen des philosophischen Wissens und
die Wege und die Irrwege bei der Verstandigung iiber ein

54
Vgl. In Vorfeldern des Idealismus (V l) und Uberlieferung von Diez' Ma-
nuskripten (V 2).
55
Vgl. oben S. XXXII und XXXIII f.

L LI
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

Handeln a us gutem Willen und tiber die im Leben des Menschen Freundesnahe ist uberhaupt eine der wesentlichen Bedin-
spontan aufkommende und unabweisbar begriindete Religion. gungen sowohl ftir den Gehalt wie auch ftir die Erhaltung der
Bevor damit begonnen wird, sollte deutlich gemacht werden, meisten dieser Texte. Sie zeigen eine Verstandigungsart, die
dag die Quellen, die so ungewohnlich dicht liegen, doch nur das vertraute Gesprach in den Stiftsstuben und auf den Spa-
einem kurzen Abschnitt in Diez' Leben zugehoren, das wenig ziergangen der Studienzeit in die Briefform iiberftihrt. Und
nach der Vollendung seines dreigigsten Jahres erloschen ist. sie gehen Lebensfragen nach, ftir die im Studiengang selbst
Zudem sollen einige der Bedingungen namhaft gemacht wer- kein Platz vorgesehen war, obwohl sie gerade den Problemen
den, unter denen diese Texte zustande gekommen sind. Diez' gelten, von deren Losung der eigene Stand in dem den Stiftlern
Texte, aus denen wir Aufschlug tiber seine Bemuhungen er- vorbestimmten Beruf als Pfarrer ganzlich abhangig sein mugte,
halten, aus der Philosophie seiner Zeit und gegen die Theologie, auf den aile diese Studien ausgerichtet waren. So sind die
in die hinein er ausgebildet wurde, eine eigene Uberzeugung Briefe zumeist vertrauliche Schreiben. Oft wird in ihnen die
zu gewinnen und zu begrunden, wurden vom April 1790 bis Sorge geaugert, sie konnten vor Augen kommen, fur die sie
zum Ende des Jahres 1791 in und urn Thbingen niederge- nicht bestimmt waren.
schrieben. Diez war 24 Jahre alt geworden, als er den ersten In die Briefwechsel geht auch ein Zug von Selbstbewugtsein
der hier publizierten Briefe absandte. Gut eineinhalb Jahre und Gruppensolidaritat ein, der seinen Grund in dem schwa-
spater stand sein Entschlug fest, zur Medizin uberzugehen. bischen Studiensystem hat: Die Begabung und die Studienlei-
Die Briefe, die noch his zu seinem Weggang nach Jena folgten, stung der Schuler wie der Studenten war von fruh auf einer
sind uberwiegend mit den Vorbereitungen zu seinem neuen standigen vergleichenden Kontrolle unterworfen. Da der Un-
Lebensplan befagt. Nur wenige Bemerkungen in seinen spateren terricht his weit tiber das zwanzigste Lebensjahr hinaus einer
Mitteilungen bestatigen und erweitern das Bild, das aus den Regulierung unterlag, die alle Studenten eines Jahrganges in
Texten dieser kurzen Zeit hervorgeht. vielen Lehrveranstaltungen und Ubungen zusammenhielt, mug-
Zu der Zeit, in der die Folge der uberkommenen Texte be- te unter den Besten eines Jahrganges eine innere Zuordnung
ginnt, wirkte Diez in seinem zweiten Vikariat. Sein theologisches begunstigt werden. Sie begriff dann auch die Stiftler anderer
~.schlugexamen lag eineinhalb Jahre zuruck. Wenige Monate Jahrgange ein, die in der Rangordnung gleichfalls weit oben
spater wurde er Repetent im Thbinger Stift. Die Folge der standen. 57 Freundschaft und gehaltreicher Austausch tiber groge
Quellen, die den Gang seiner Gedanken und die zum Teil auch Distanzen in der Lokationsliste hinweg haben im Stift kaum
deren Wirkung dokumentieren, endet mit dem Eklat seines je aufkommen oder gar dauern konnen. Diese Tendenzen wur-
Abschieds von dem Beruf des geistlichen Lehrers. Die Berichte den noch bestarkt durch die Aufmerksamkeit, die Ermutigung
a us ~ena an die Familie waren nicht zur Mitteilung von Gedanken und auch die Nachsicht, welche die Besten der Jahrgange im
best1mmt. Aus der Zeit nach der Ruckkehr nach Jena haben Stift fast immer gefunden haben. Gerade auf sie waren die
sich nur wenige Briefe finden lassen. 56 Obgleich auch in ihnen
noch philosophiert wird, sind sie doch nicht, wie die Dokumente
57
a~s der Zeit vor dem Bruch mit der Theologie, durchweg be- Das Lokation system im Thbinger Stift war im Vergleich mit dem der
Hoben Karlsschule das noch weniger elaborierte. In Stuttgart wurden die
summt ~on de~ Willen zur Klarheit im Uberzeugungskampf, Lozierungen monatlich vorgeno=en und wirkten sich auf die Uniform
auch mit den e1genen und nachsten Freunden. und die alltiiglichen Lebensablaufe aus. Vgl. dazu Herzog Karl Eugen von
"Wiiruemherg und seine Zeit, hrsg. vom Wtirttembergischen Geschichts- und
56
Vgl. unten S. 849ff. Altertums-Verein, 2 Bde. Esslingen 1907-1909, Bd. 2 S. 22-24.

L/1 LIII
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

Hoffnungen eines Landes konzentriert, das sich seiner Eigenart tausch zwischen Niethammer und Diez, waren im folgenden
bewuBt und das urn sein Ansehen im ,Ausland' besorgt war Jahrgang als Siebenter und als Fiinfter loziert. Man darf an-
und das, wie es seit Ianger Zeit die Ubung war, seinen Geistlichen nehmen, daB ihnen Diez, bevor er ihr Freund wurde, eher wie
den hochsten Platz unter denen einraumte, denen eine aka- eine Art Mentor begegnet war. Diez spricht auch, wiewohl mit
demische Ausbildung geboten war. Von ihnen wurde darum Zuriickhaltung, iiber die dem Briefwechsel vorausliegende Zeit
durchaus auch erwartet, daB sie imstande waren, in der Wissen- in etwa aus dieser Rolle heraus (z. B. A 3 S. 18). Niethammers
schaft Leistungen zu erbringen, mit denen sie nicht nur in friiher Gang nach Jena war freilich Grund genug daftir, daB
Schwab en, sondern im ganzen Deutschland Ehre einlegen konn- sein Gewicht auch ftir Diez schnell anwuchs. Eigentliche Freund-
ten. Ebenso sollten sie als Volkslehrer der Kirche ihres Landes schaft, die auch im ,Du' bezeugt ist, kam erst in Jena zustande,
deren Glaubenslehre auch vor dem Forum der avanciertesten wenngleich gewill auch aufgrund der schon im Stift ~?d dann
Theorien der Zeit entwickeln und verteidigen konnen. Daraus in der Korrespondenz gemeinsam ausgetragenen Uberzeu-
erklart sich die Ermutigung zum weiten Ausgriff und zu einer gungskrisen. In den Briefwechseln ist schlieBlich noch Gottlob
gewissen Selbstandigkeit im jeweils eigenen Studiengang. Sie Christian Rapp eine Bezugsperson von Bedeutung. Er warder
hatten dann freilich zumeist andere Folgen als die, welche sich Primus des vorausgehenden Jahrgangs und mit Diez schon zu
die Oberen im Kirchenregime versprachen. DaB man schon Beginn der Briefwechsel in einem Gesprach iiber die neueste
friih daran gewohnt war, Aufmerksamkeit und Auszeichnungen Philosophie, was durchaus fi.ir das Ansehen von Diez' philo-
zu gewinnen, hat sicher mit dahin gewirkt, auch dann noch sophischer Kompetenz im Stift spricht. Denn schon als Magister
ambitioniert und selbstbewuBt aufzutreten, wenn Ziel und Ge- galt Rapp als ,kraftvoller und erfolgreicher Bearbeiter der Phi-
halt der erbrachten Leistungen den Erwartungen der Oberen losophie".59 SiiBkind hat an ihm, als er aus Jena und nunmehr
entgegengingen. als Autor eines Buches zur kritischen Philosophie zuriickkam,
Diez war zwar wohl in seinem Verhalten alles andere als eine gewisse Arroganz beobachtet, die auch von Schelling, der
auftrumpfend, sondern eher von einer auch durch haufiges ebenfalls Klassenbester war, vielfach bezeugt worden ist. 60
Krankeln bewirkten Timiditat. Die Emphase vieler seiner Mit- DaB die Briefwechsel geftihrt worden sind, hat seinen Grund
teilungen und ihr steiler polemischer, manchmal auch ironischer in der Praxis, den Besten der Jahrgange aus den genannten
Ton haben also weit mehr seine Glaubenskrise und die An- Grunden Gelegenheit zu ,gelehrten Reisen' zu geben und ihnen
strengung der Befreiung aus ihr zum Grund. Auch diesen Zu- dabei auch ein erganzendes Studium an ander.en Universitaten
sammenhang muB man in den Tonlagen von Diez' Korrespon- zu ermoglichen. Auch wirklich auf eine solche Reise zu gehen,
denz mitwirken horen. Dennoch schwingt in seiner, des Dritten war ftir die Stiftler hoher Lokation nahezu selbstverstandlich
seiner Promotion, Zuwendung zu Karl Heinrich Gros, dem geworden. So konnte Si.iBkind seine Ausbildung zunachst fi.ir
Primus, sowohl Respekt wie, auch im vertrauten ,Du', die Nahe ein halbes und dann ftir ein ganzes Jahr in Gottingen fortsetzen.
der Klassenbesten untereinander mit. Friedrich Gottlieb SuB- Niethammer hatte die Erlaubnis, mit einem Familienstipendium
kind, dem Diez sein ,erster und hester Freund"58 war, folgte
ihm in der Lokation als Vierter nach. Friedrich Immanuel Niet- 59 ,Philosophiae strenuus et felix cultor" nach einem Stiftszeugnis von 1787
hammer und Christoph August Klett, der dritte im Briefaus- (AEvSt, K. I F. 10,4 (20), Testimonia Examinandorum 1754-1793).
60 Vgl. Martin Brecht, ,Eine Controverse Schellings wiihrend seiner Studienzeit
58
Vgl. C 3 S. 185 Z. 26; in C 2 S. 173 Z. 15f. nennt SiiEkind Diez seinen (1794 )", in: F. W. J Schelling, Briefe und Dolcumente, hrsg. von Horst Fuhr-
,iiltesten und vertrautesten Freund". mans, 3 Bde. Bonn 1962-1975, Bd.2 8.546-554.

LIV LV
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

nach Jena zu gehen; mit einem Stipendium des Kirchenrats ihm aus auch ein wichtiger Impuls in die weitere philosophische
konnte er seinen Aufenthalt verHingern. Rapp war im Sommer Entwicklung eingehen konnte, war bald und mit der Folge
und Herbst 1790 auf seiner gelehrten Reise zunachst in Jena von Jacobis weiteren Publikationen immer deutlicher abzuse-
und dann auch fur einige Wochen in Gottingen. hen. 1789 hatte Jacobi durch die Publikation einer neuen Auflage
des Spinozabuches 63 die Mitteilung seiner eigenen philosophi-
schen Gedanken im wesentlichen abgeschlossen. Die gegenuber
b. Begriindungsprobleme im AnschluE an Kant Diez urn ein wenig jungeren im Stift lieL~en sich alsbald und
im Ernst auf den Grundentwurf dieser Gedanken ein. 64 Die
Die eineinhalb Jahre von Diez' Entwicklungsgang, die aus einer etwas alteren waren von Jacobi und von dem Spinozismus,
dichten Quellenfolge belegt sind, fallen in eine der wichtigsten den er zu neuem Leben erweckt hatte, nur am Rande beruhrt.
Perioden der Ausbildung der deutschen Philosophie auf ihrem Mehr Aufmerksamkeit zog Jacobis K.ritik an einigen Kantischen
Weg hin zum spekulativen Idealismus. Kants Hauptwerke zur Lehren, vor allem an Begriff und Rolle des ,Ding an sich' auf
theoretischen und zur praktischen Philosophie waren wahrend sich.65 Das entsprach der Art der Beachtung, welche dies Werk
der letzten neun Jahre erschienen. Aber die Debatte uber sie zur gleichen Zeit in der offentlichen philosophischen Debatte
hatte erst allmahlich eingesetzt; die Nachfolge, die sie bald in fand. Der Streit urn Spinoza, von Jacobi ausgelost, hatte mit
brei tern Strome fanden, hatte erst vor wenigen Jahren begonnen. den Stellungnahmen von Herder und Kant seinen Hohepunkt
Dennoch war durch den Aufgang von Kants Ruhm die Karte zunachst einmal uberschritten. 66 1m Brennpunkt der offentlichen
der philosophischen Orientierungspunkte bereits grundlich ver- Aufmerksamkeit standen nunmehr fur einige Jahre Kants Phi-
andert worden. Die Publikationen der Philosophen, die vor losophie der Moral und der Religion sowie die Frage nach der
Kant zu Ansehen gekommen waren, beschrankten sich beinahe Grundlegung der Kantischen Theorie insgesamt.
auf neue Auflagen ihrer Lehrbucher. Die Kontroversen zwi- Karl Leonhard Reinhold war der zweite Autor, der das phi-
schen Empiristen und Leibnizianern waren zum Erliegen ge- losophische GesamtbewuEtsein aus Motiven veranderte, die von
kommen. Sie wendeten sich nunmehr beide gegen Kant und Kants Werk nicht hatten abgelesen werden konnen. Es ist be-
nahmen dabei zugleich seine Fragestellungen und oft auch kannt, daiS von ihm der Versuch ausging, die kantische K.ritik
einige seiner Einsichten auf. DaiS Riicksicht auf Kants Theorien auf ein neues und nunmehr allererst sicheres Fundament zu
geboten war, wurde durch die literarische Tat allgemein aner- stellen. Er nahm AnstoE daran, daiS sich in der Kritik der
kannt.61 rein en Vernunft keine Herleitung der vielfa]tigen Grundbegriffe
In der auf Kant bezogenen Debatte waren aber auch schon von Wissensweisen findet, die bei Kant durchgangig in Anspruch
neue Stimmen laut geworden, deren Motive sich nicht aus genommen sind- damit aber auch keine fur die Unterscheidung
Kants Werken allein herleiteten. Den Anfang dazu hatte Friedrich
Heinrich Jacobis Werk gemacht. Sein Spinozabuch62 von 1785 63
Breslau 2 1789.
hatte auf der Stelle ein gewaltiges Echo ausgelost. DaiS von 64
Vgl. vom Hrsg. Konstellationen ( cf. Anm. 51), S. 155 -159 und S. 205-212.
65
In der Beilage zu seiner Schrift David Hume iiber den Glauben oder ldealismus
61
Vgl. E~st Platners Bemerkung in der neuen Ausgahe seiner Philosophischen und Realismus. Ein Gespriich, Breslau 1787, die unter dem Titel ,Ueber den
Aphorzsmen, Bd.1 Leipzig 1784, zitiert in A 7/ 22. transcendentalen Idealismus" steht.
62 66
Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, Im Jena-Programm (vgl. S. XCV) wurden alle Zeitschriften Deutschlands
Breslau 11785. durchgesehen, mit dem im Text erwiihnten Ergebnis.

LVI LVII
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

und Zuordnung der Wissensweisen selbst, die das Vernunft- die Intensitat der Debatte iiber den genauen Sinn und die
subjekt ausbildet. Reinholds philosophisches Projekt ging darauf Haltbarkeit von Reinholds Projekt hervor. Im Sommer 1792
aus, diesem doppelten Mangel durch eine Theorie abzuhelfen, war sie im wesentlichen beendet. Reinhold sah sich nun Ein-
die auf einen einzigen obersten Grundsatz gegriindet ist, der wanden ausgesetzt, die es ihm ratsam erscheinen lieEen, sein
selbst nicht erwiesen werden kann, der aber eine vom Bewugt- Projekt selbst zu iiberdenken und dessen Ausbau vor der Of-
sein bezeugte fundamentale Tatsache ausdriickt. Er ist es, der fentlichkeit vorerst nicht weiter fortzusetzen.
dann aile an ihn anzuschlieEenden Satze sowohl wohlbestimmt Diez hat an der Ausbildung dieser Einsicht einen Anteil
als auch ausgewiesen sein laEt. 67 Als Reinhold im Friihjahr gehabt, der fur Reinhold selbst von groEer Bedeutung war. 70
1789 mit diesem Projekt hervortrat, stand er aufgrund seiner Damit, daE er Diez' Einwande akzeptierte, war er zu einer
Briefe iiber die Kantische Philosophie bereits in dem Ruhrn, Umbildung seiner Systematik veranlaEt, die fur seine gesamte
der stimmgewaltigste unter denen zu sein, welche die kantische weitere Entwicklung bestimmend sein sollte. Vor der Offent-
Wahrheit proklamierten und auslegten. So muEte sein Werk lichkeit wendete sich Reinhold aber zunachst der Ausarbeitung
die Aufmerksamkeit all derer auf sich ziehen, die ihrerseits einer Theorie des Willens zu. 71 Er suchte damit ein Desiderat
dabei waren, sich das Kantische System zu erschlieEen und zu erfullen, das in Kants praktischer Kritik ebenso offen ge-
es auf die fur ihr Leben und Denken wesentlichen Fragen blieben war wie in Kants theoretischer Kritik der systematische
anwenden zu lernen. Aufbau einer philosophischen Terminologie, die von Reinholds
Die heiden Jahre, denen die Schriften und die philosophi- Elementarphilosophie hatte nachgeliefert werden sollen.
schen Briefschaften von Diez zugehoren, fallen mit der Zeit Etwa zur selben Zeit, in der Reinhold schon davon ablieE,
zusammen, in der Reinholds Werk weiter ausgefuhrt wurde seine Elementarphilosophie offentlich durchzusetzen, trat Gott-
und in der es einen neuen Konzentrationspunkt der philoso- lob Ernst Schulze, im Grunde schon verspatet, aber offentlich
phischen Literatur ausmachte. 1790 und 1791 hat Reinhold wirksam, mit seinem skeptischen Angriff hervor, 72 der direkt
zwei weitere Biicher veroffentlicht,68 in denen er seine "Ele- gegen die Elementarphilosophie gerichtet war, der aber ebenso
mentarphilosophie" zu verbessern, zu verdeutlichen und zu auf die Kantische Philosophie selbst zielte. Wahrend Diez in
verteidigen suchte. Beiden Banden sind Erwiderungen auf je Jena Medizin studierte, war also die Situation der philosophi-
zwei Rezensionen beigegeben, in denen das jeweils voraus- schen Theorie, die sich von Kant her zu orientieren suchte,
gehende Buch Reinholds einer Kritik unterzogen worden war. durch Unsicherheit und vorerst auch durch einen scheinbaren
Die heiden letzten der Erwiderungen sind von Friedrich Karl Stillstand gekennzeichnet. Zumindest der Stillstand wurde
Forberg und Johann Benjamin Erhard verfaEt, die damals junge beendet, als Fichte mit seinem Entwurf einer eigenen Elemen-
Freunde und Studenten Reinholds waren. 69 Auch daraus geht

(Forberg). In der neuen Ausgabe dieser Schrift Reinholds, Hamburg 1978,


67
Die notwendige, von Reinhold auch beachtete, aber im Erkenntnisanspruch wurden diese von Reinhold selbst annotierten Aufsiitze weggelassen.
70
seiner Theorie nicht durchgiingig respektierte Unterscheidung zwischen Vgl. oben S. XXVI.
einem Definitions- und einem Beweisprogramm hat zur Folge, daiS Status 71 vgl. Anm.18.
und Anspruch seiner Theorie unbestimmt und kontrovers werden konnten 72
Aenesidemus oder ii.ber die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold
und muBten. Vgl. Stamm, Systemlcrise ( cf. Anm. 17), I. 4.3.1, und Cadi VI. b.4. in lena geliiferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des Skep-
68
Cf. A 3/ 21 und A 8/ 23. ticismus gegen die Anmaassungen der Vernunftkritik, erschienen anonym und
69 ohne Ortsangabe zur Ostermesse 1792.
In der A8/ 23zitiertenFundamemrchri.ft S. 139-182 (Erhard) und S. 183-221

LVIll LIX
Diez zwi chen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

tarphilosophie auftrat. 73 Sie verband Kants Subjektbegriff, der dium folgte, ging aus einem Lebensinteresse an Klarheit von
durch Spontaneitat definiert war, mit Reinholds Grundsatzlehre ganz anderer Art hervor. Es war das Interesse daran, in den
in einer Weise, die durch Art und Tiefgang ihrer Begriindung Fragen nach dem Grunde aller Religion, nach der Haltbarkeit
gegen den neuen Skeptizismus gewappnet sein sollte. eines theologischen Lehrsystems, nach der Wahrheit der christ-
Aber die Denkbewegungen, welche nach dem En de von Rein- lichen Lehre seiher und nach dem Verhaltnis einer auf dem
holds Wirkung und unter dem EinfluE von Jacobi und dem Freiheitsgedanken begriindeten Moral zur christlichen Religion
neuen Skeptizismus in Gang gekommen waren, hatten Motive und zur Religion iiberhaupt zu sicheren Uberzeugungen zu
ergeben, die sich iiber das Medium von Fichtes neuer Lehre kommen. So waren es Zweifel am iiberkommenen Glauben
und Methode alsbald zu weiteren selbstandigen Einsatzen und und an den Grundlagen der Lehre, ft.ir die der christhche
Leistungen ausbilden sollten. Die folgenreichsten von ihnen, Pfarrer und ,Volkslehrer' einzutreten hatte, die nur im Medium
die von Schelling und von Holderhn, hatten ihre Wurzeln in des philosophischen Gedankens entweder behoben oder zu
den Stuben und Debatten des Thbinger Stifts und in den einer vom Uberkommenen abweichenden Einsicht werden soil-
Jahren, die unmittelbar an Diez' und seiner Freunde Verstan- ten. Von Kants Werk ging, wie zuvor von keinem anderen, die
digungsbemiihung anschlossen. Von dem philosophischen Wer- Hoffnung aus, in aile diese Fragen eine neue und dauerhafte
degang der jiingeren konnen wir bisher nur weit weniger wissen Klarheit zu bringen. Auch schienen Kants eigene Intentionen
als von dem der alteren Stiftler, die aber doch mit den jiingeren darauf zu gehen, die Uberzeugungen, aus denen ein mensch-
im Stift fUr Jahre zusammenwohnten oder gar ihre Repetenten liches Leben zu ft.ihren ist, in einem mit einer verlaElichen
waren, so daE ihre Probleme und Debatten auch die jiingeren Grundlage fur die Philosophie insgesamt zu kliiren und zu
erreichten. Dies ist der wichtigste der Griinde, die den Texten, sichern.
aus denen Diez' und seiner Freunde Bemiihung zu erschheEen Aber Kant hatte auch wie kein anderer Denker seiner Zeit
ist, ein Interesse zuwachsen lassen, das weit iiber den Gehalt deutlich werden lassen, daE es ft.ir die Verstandigung in den
und den Rang ihrer Argumentationen hinausgreift. Grundfragen der Religion und der sitthchen Lebensft.ihrung
Ein anderer Grund ergibt sich aus der Problemlast, die Diez unabweisbare Voraussetzung ist, die Grundfragen der Philo-
und seine Freunde dazu genotigt hat, in die philosophische sophie insgesamt beantworten zu konnen, und zwar im Zu-
Verstandigung einzutreten und sie mit solchem Nachdruck vor- sammenhang einer neuen Grundlegung, die tiefer reicht und
anzutreiben. Ihre Begabung und ihr Interesse ft.ir die Philo sophie die anders angelegt ist als die der Systeme, die von Leibniz
rein als solche war von unterschiedhcher Intensitat. Diez' und von Locke konzipiert worden waren. Eben darin war zu
Wunsch, auch als Arzt den Gang der philosophischen Debatten einem guten Teil die Anziehungskraft, die Kants Werk auf die
weiter zu verfolgen, zeigt, daE er eine Neigung zum Philoso- jiingeren Zeitgenossen ausiibte, begriindet, daE es die Philo-
phieren urn seiner selbst willen entwickelt hatte. Aber es gibt sophie, die sie in ihren Schulen kennengelernt hatten, nicht
keine Hinweise darauf, daE Diez, Niethammer und SiiEkind nur kritisierte, sondern durch die Kraft seiner Argumentationen
schon wahrend ihrer friiheren Studien die Philosophie bevor- ersetzte und iibertraf. In einem damit wares aber durchgangig
zugten. Die philosophische Arbeit, die dem theologischen Stu- auf die Folgerungen aus seinem System innerhalb der prakti-
schen Philosophie so bezogen, daE es in der theoretischen
73 diese Folgerungen nicht nur vorausnahm oder absehen lieE,
Fichte hat das Manuskript, in dem er seine Wissenschaftslehre zuerst auf
dem Papier konzipierte, bekanntlich Eigne Meditationen iiber ElementarPhi-
sondern im Gang der theoretischen Begriindung solchen Be-
losophiegenannt (AA ll3 8.21-177). griffen eine Schliisselsteilung gab, an die sich Schliisselbegriffe

LX LXI
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kanrianer

der praktischen Philosophie anschlieEen lieEen. Kants Ausgang Theoreme nur aus dem gekliirten Grundzusammenhang des
vom Subjekt des Erkennens, das im Gedanken ,,ch denke" Systems heraus entkraftet werden konnten. 76 Einige der Schuler
ein eigenti.imliches, nicht weiter zu hintergehende Wissen von und Freunde Kants entsprachen auch dieser Herausforderung.
sich hat, und die Weisen von Spontaneitiit oder Selbsttatigkeit, Karl Leonhard Reinhold war der erste und der prominenteste
die Erkenntnis ermoglichen und die in der Einheit dieses Sub- unter ihnen.
jekt und der Form seines Ich zentriert sind, waren dafur die Indem er aber seine Verteidigung der Lehre Kants in der
bei weitem wichtigsten Beispielfcille. Kants Werk war, zumindest Gestalt einer von Grund aus neu aufgebauten Theorie des
untergri.indig, als ganzes durchstimmt von jenem rousseauischen Vo~~tellungsvermogens fuhrte, hat er die Situation derer vollig
Interesse daran, den Menschen in dem Leben, das er fuhren verandert, deren Selbstverstiindigung ihren Ausgang in den
muE, zu verstehen und aus solchem Verstehen "seine Rechte", Impulsen und Perspektiven hatte, die sie Kant verdankten. Fiir
wie Kant sich ausdri.ickte, )lerzustellen". 74 Aber die fuhlbare sie stand nunmehr die Alternative zur Entscheidung an, ob
Gegenwart dieses Interesses hatte der Reinheit und der Kraft sie sich bei der Verteidigung von Kants Kritizismus allein auf
der Konzentration in die Probleme der Theorie keinen Abbruch dessen eigene Argumente und Texte oder auch auf Reinholds
getan. Kant war Philosoph im Dienst der Menschheit und ganz Begriindungen stiitzen sollten. Reinhold selbst nahm fur sich
ebenso im Dienst der reinen Selbsterkenntnis der Vernunft - in Anspruch, daE sie sich durch groEere Klarheit und VerlaE-
und zwar in einer Einheit, wie sie sich friiher wohl nur im lichkeit auch gegeni.iber Kant auszeichnen und eben deshalb
Werk Platons vorgebildet findet. Das aber verpflichtete seine fur die erfolgreiche Verteidigung des Kritizismus gegen Gegner
Schi.iler, die ihm urn des ersten Dienstes willen mit Enthusiasmus wie etwa Jacobi unentbehrlich seien.
zustimmten, zugleich auf die ni.ichterne Arbeit an den Problemen Hatte er damit i.iberzeugt, so ware jene Alternative zugunsten
der philosophischen Grundlegung urn ihrer selbst willen. eines Kritizismus entfallen, der von nun an durch den Einklang
Nicht aile haben sich dieser Pflicht auch wirklich unterzogen. zweier Schulhaupter, des Konigsberger Meisters und Reinholds,
Es gab Kantianer, die sich der Kantischen Denkart, die so viele zu definieren gewesen ware. Doch davon konnte keine Rede
enthusiasmierte, beinahe nur wie einer neuen Sprachregelung sein. Reinhold hatte sehr bald dari.iber zu klagen, daE ihm
anschlossen und sie so zu einer Modestromung werden lieEen. von Kantianern und Antikantianern gleichermaEen vorgehalten
Andere Kantianer wendeten die Prinzipien des Konigsberger wurde, seine Argumentationen seien nicht in Ubereinstimmung
Meisters auf von ihm bisher nicht bearbeitete Gebiete wie mit Kant und auch in sich selbst nicht haltbar. Doch damit
etwa die Rechtstheorie oder die christliche Religionslehre an. war nicht fur jeden ausgemacht, daE man sich von Reinhold
Sie konnten dabei von der Kantischen Grundlegung ausgehen, wie von einem fUr einen Moment tauschenden lrrlicht abwenden
ohne sie zu groEerer Durchsichtigkeit bringen zu mi.issen. 75 und sich nunmehr wieder allein an Kants Wortlaut halten konnte.
Gerade darauf, daE dies geschehen mi.isse, drangten aber einige Dagegen standen zumindest zwei Gri.inde: Reinhold hatte sich
der scharfsinnigen Kritiker von Kant entweder ausdri.icklich doch mit Recht denen angeschlossen, die i.iber die Grundlagen
oder dadurch, daE ihre Einwande gegen einzelne Kantische von Kants Kritik weitere Aufkliirung verlangten. Durch die Tat-
sache aber, daE er mit einem gegeni.iber Kant nahezu offen-
74
sichtlich abweichenden Begri.indungsprogramm auftrat, war die
AA XX S. 44.
In der Re~tstheo-:ie Gottlieb Hufeland, in der Moraltheologie Karl Heinrich
75
76
Heydenre1ch und rm System der christlichen Theologie Karl Friedrich Stiiud- Das gilt insbesondere ftir Friedrich Heinrich Jacob~ in gewissem Umfang
lin. aber auch ftir Johann August Heinrich Ulrich (vgl. A 2/ 13).

LXII LXIII
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

Frage danach, wie sich das kantische Begriindungsprogramm Reinhold etablierten philosophischen Szene einen spaten Auf-
durchsichtig darstellen und abschlieEend rechtfertigen laEt, urn tritt. Fichte erfuhr, wahrscheinlich zu seiner Uberraschung,
so dringlicher geworden. Sie muEte nun aber zugleich im Blick eine Reaktion, die durch andere Reaktionen als die seine auf
auf das beantwortet werden, was in Reinholds eigenem Be- die zuvor von Reinhold etablierte Lage vorgepragt gewesen
griindungsversuch gut motiviert und was dennoch in ihm von war. Diese Reaktion konnte in ganzlich voneinander abwei-
Grund aus verfehlt gewesen war. chenden Formen erfolgen: in Jena, wo Fichte lehrte, in der
Nachdem sich diese Problemlage einmal ausgebildet hatte, Gestalt einer von einer Kritik am Methodenprogramm Rein-
konnte man ihr als Kantianer nur dann entsprechen, wenn holds vorgebildeten K.ritik nunmehr auch an seiner Wissen-
man sich zugleich als selbstandig denkender Kantianer aus- schaftslehre, in Tiibingen aber durch den Auftritt von Schelling,
wies.77 Unter denen, die bereits an einer Universitat lehrten, der sich binnen weniger Monate als erster in Deutschland
haben nur wenige dieser Beschreibung entsprochen. Jeder von der Wissenschaftslehre anschloE, dabei aber Ideen und Ar-
ihnen hat in dem Spannungsfeld zwischen Reinhold und Kant gumente ins Spiel brachte, die er Fichtes Publikationen selbst
eine jeweils andere Position bezogen. 78 Derjenige, der sich den gar nicht verdanken konnte.
Intentionen von Reinhold am engsten anschloE, ist Johann Diese Entwicklungen lassen sich erst dann erklaren, wenn
Gottlieb Fichte gewesen. Er teilte aber die Kritik an Reinhold deutlich geworden ist, daE es neben der Reaktion einiger Do-
insoweit, als er es fur notwendig ansah, dessen neues Ablei- zenten auf Reinhold und der Reaktion von Fichte auf die durch
tungsverfahren ftir die Kantischen Grundbegriffe und Grund- Reinhold geschaffene Lage noch eine andere Reaktion auf sie
theoreme durch ein neuerlich ganzlich verandertes Verfahren gegeben hat. Sie laEt sich fast nur nicht publizierten Werken
zu ersetzen, das aber dennoch dem reinholdischen Muster eines entnehmen und ist nur zu erkennen, wenn die Gedankenarbeit
methodologischen Monismus folgte. Mit ihm verwandelte sich und die Dialoge und Debatten durchsichtig gemacht worden
die Philosophie, die an Kant anschlieEen wollte, noch viel wei- sind, die in Tiibingen und in Jena stattfanden. Es war dies
tergehend als schon auf dem Weg, der zu Reinhold und wieder die Reaktion zweier ,selbstdenkender' junger Kantianer, denen
von ihm weggeftihrt hatte. in solchen Debatten eine besondere Stellung zugewachsen war.
Obwohl aber zwischen Reinholds Beginn als selbstandiger Der Zeit nach ging ihre Reaktion der der prominenteren Phi-
Theoretiker und den ersten Schriften Fichtes zur Wissenschafts- losophen voraus. Und sie formierte sich unter Bedingungen,
lehre nur fiinf Jahre vergingen, hatte Fichte doch in der mit die ihr die Moglichkeit gaben, noch vor dem Auftritt Fichtes
auf andere junge Philosophen, aber auch personlich auf Rein-
hold selbst einzuwirken und Eindruck zu machen. Von diesen
77
Der Titel dieses zweiten Einleitungstextes mit der Forme! ,selbstdenkender heiden jungen Kantianern, namlich von Johann Benjamin Er-
Kantianer" schlieEt sich an einen Untertitel Reinholds zurn 11. Abschnitt hard und von Immanuel Carl Diez, konnen wir ein deutliches
irn 2. Teil seiner AuswahL vermirchter Schrifien, Jena 1797, S. 232, an. In Portrat zeichnen. Bisher gibt es keinen Grund zu der Annahme,
sein Portrat unter ,Der selbstdenkende Kantianer (spricht)" hat Reinhold
einige Ziige Johann Benjamin Erhards eingearbeitet. Die Unterscheidung
daE noch andere am Werke gewesen sind und EinfluE gewonnen
zwischen ,selbstdenkenden" und vorn Buchstaben Kants abhiingigen Kan- haben, fiir die dieselbe Charakterisierung im vollen Umfang
tianern war in der Zeit jedoch allgernein irn Gebrauch. zutrifft. 79
78
Zu denen, die unter dern Eindruck von Reinhold allmiihlich zur Forrnulierung
von in Grenzen selbstiindigen Positionen bewogen wurden, gehorten der 79
Erlanger Johann Heinrich Abicht und der Hallenser Johann Sigisrnund Die Voraussetzungen und Anliisse, aus denen Reinholds Systernkrise her-
Beck. verging, sind in dern Buch von Marcelo Stamm (cf. Anrn. 17) untersucht.

LXIV LXV
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

Diez hat als Bewohner und als Repetent des Tubinger Stifts d~r Theorie der Religion moglich oder notwendig werden.
Reinhold und Kant in einem Zug studiert. Er hat eine Kritik D~ez hatte. das BewuEtsein, damit eben der Intention zu folgen,
an Reinhold ausgefiihrt, die ihm auch im Schiilerkreis Reinholds dte auch m Kants Werk selbst leitend war, und zugleich zu
eine fur Reinhold bedeutsame Stimme sicherte. Das geschah Thesen gefuhrt zu werden, die weit von denen der ihm be-
in der Absicht, die Intentionen Kants und die fur die Kritik kannten Kantianer ablagen. 82 Wirklich hat er mit seinem Ar-
der reinen Vernunft grundlegenden Argumente gegen Reinhold beitsgang, der die Begriindung des Wissens und die Frage
erneut, aber a~ch auf neue Weise in Kraft zu setzen. Es geschah nach der Begriindbarkeit von Handeln und Glauben immer
aber in der Uberzeugung, daE dafiir ein neuer Ansatz und zugleich im Blick hatte, dem entsprochen, was Kants Philo-
Aufbau in der Begriindung gewonnen werden muE, der in der sophie auszeichnet und was ihn selbst schnell auf deren Seite
Sache, aber nicht im Wortlaut der Texte, Kant entspricht. Urn gezogen hatte.
dahin gelangen zu konnen, hat Diez schon zu Anfang des Bevor nunmehr auf die Situation der Theorie der Religion
Jahres 1791 den Plan zu einer eigenen , Theorie der ersten eingegangen wird, die unter dem Eindruck, den Kant machte,
Griinde aller Philosophie" gefaEt. 80 eingetreten war und in der auch Diez seine Stellung zu ihr
Da sich unter den Texten, die von Diez' Hand iiberkommen zu beziehen hatte, sollen noch die Bedingungen genannt wer-
sind, keine seiner Niederschriften zur theoretischen Philo sophie den, unter denen sich das Kantstudium von Diez und seinen
befinden, konnen die Anlage und der Aufbau seines Planes Freunden vollzog.
Sie fanden sich in eine Diskussion versetzt, die schon weit
zu einer Theorie solchen Texten nicht einfach nur entnomrnen
entwickelt und ziemlich komplex geworden war. Drei von Kants
werden. 'frotz der groEen Zahl der Dieziana, die nun vorgelegt
Hauptschriften waren erschienen. Die Kritik der Urteilskraftwar
werden konnen, und unangesehen dessen, daE sie viele De-
als dritte im Friihjahr 1790 herausgekommen, blieb aber ohne
batten und Argumentationen im AnschluE an Kant enthalten,
wichtige Auswirkung auf die Ausbildung ihres Verhaltnisses
muE das Profll jener Theorie der ersten Griinde doch aus
zu Kant. Wohl aber batten sie eine Literatur zu Kant zu be-
ihnen herausgehoben und in hohem MaEe erschlossen werden.
riicksichtigen, die zu erheblichem Umfang angewachsen war
Das geschieht in Untersuchungen, die in diesem Band keinen
und die standig weiterwuchs. Man konnte und muEte sich,
Platz fmden konnen.81 Aber zwei Ziige von Diez' selbstandig
wie Leutwein spater es erinnerte, ,in kantische Literatur sehr
begriindendem Kantianismus treten doch ganz deutlich her-
stark einlassen", 83 wenn man sich Kants Werk selbst verstandlich
vor. Zum einen soli der Gedanke von der Selbsttatigkeit des
mach en wollte. Die Zeitschriften und Rezensionsblatter brachten
Subjekts in allen Begriindungen zum eigentlichen Ausgangs-
in dichter Folge neue Beitrage zur Kantdebatte heraus. Zum
prinzip werden. Zum anderen sollen die Grundlegungsfragen
ruhigen, immer wiederholten Studium Kants iiber Jahre hinweg
der theoretischen Philosophie, obwohl sie einer Antwort be-
hlieb unter dem in Lebensfragen und in Gewissensnot be-
diirfen, die fur sich allein stehen kann, doch in standiger
griindeten Problemdruck nicht genug Zeit. Zudem galten Kants
Beziehung auf die Folgerungen und Anwendungen erwogen
Schriften als schwierig in hohem MaEe, und das auch darum,
werden, die aus jeder Antwort auf sie in der Ethik und in
weil sich die Intentionen Kants, die auf ein philosophisches
System gingen, noch nicht in geniigender Bestimmtheit ab-
Die Entwicklung von Erhards eigensciindiger Position, die im Mai l792for-
muliert werden konnte, wird in Gadl XIII erkliirt. 82
80
Vgl. A 3 8.19 Z.24-26.
Vgl. C 9 S. 233 Z. 22. 83 vgl. VOID Hrsg. ,Leutwein uber Hegel" (cf. Anm. ll), S. 56.
81
Vgl. Gadi VII.

LXVII
LXVI
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

zeichneten. Nach zwei Jahrhunderten der Arbeit an Kants Werk Bestatigung von deren Zweckbestimmung durch den Verfasser
wissen wir, daE sie sich ohne selbstandigen Nachvollzug aller der ,Critik' selbst berufen, ,allenthalben das Wichtigste und
Kantischen Problemverfugungen und Begriindungen iiberhaupt ZweckmaEigste auszuheben". 86 Darin lag ein Grund daftir, sich
nicht zu einer Deutlichkeit bringen lassen, die Kants Intentionen auch in anderen Gebieten guten Gewissens solcher Erlaute-
wirklich entspricht. 84 rungsschriften zu bedienen. In Diez' Arbeit gewann darum fur
Dieser Tatsache wurde in jenen Jahren auf seine Weise Rein- die praktische Philosophie eine dem Werk Schultz' vergleich-
holds Versuch zur Neubegriindung der kritischen Lehre gerecht. bare Rolle der Versuch einer Moralphilosophie des Jenaer Pro-
Wer nicht hinter die Entwicklung zuriickfallen und sich einer fessors Carl Christian Erhard Schmid. 87 Schmid hatte seinerseits
moglicherweise hochst wichtigen Hilfe zur Verstandigung iiber einen weiteren Versuch unternommen, die Lehren der Kritik
Kant entschlagen wollte, dem muEte dieser Versuch nun sei- der reinen Vernun.ft in Ubersicht zu bringen. Er hatte ihn mit
nerseits zu einem unumgehbaren Konzentrationspunkt der einem W(irterbuch zum leichtern Gebrauch der Kantischen Schrzjten
theoretischen Arbeit werden. Das aber ftihrte dazu, daE die erganzt, das spater, von der Ubersicht abgetrennt, noch in
Bemiihung, sich Reinholds Werk iibersichtlich zu machen und vielen Auflagen erschienen ist. 88 Im Ausgang von solchen Er-
es im Ganzen zu beurteilen, die Bemiihung iiberlagern konnte, lauterungsschriften und zugleich im Eingehen auf Reinholds
Kants Werk in dessen eigenem Sinn zu erschlieEen. neues System bildete sich in einem fUr die Zeit typischen Gang
Daraus versteht es sich wenigstens zu einem Teil dann auch, auch Diez' Vertrautheit mit Kants eigenem Werk aus. Die Arbeit
daE selbst die Besten und die FleiEigsten im Kantstudium zu an den Originaltexten von Reinhold war dabei mindestens
den Mitteln griffen, die zu beschleunigter und erleichterter ebenso intensiv wie die an Kants Kritik der reinen Vernun.ft
Aneignung von Kants Werk bereits zur Verftigung standen. Sie hat eine kritische Durchsicht durch Reinholds Theorie und
Kant selbst hatte aus der Einsicht, daE die Idee und der Be- eine immanente Kritik an ihr zum Ergebnis gehabt, die an
griindungsgang seiner Kritik hartnackigem Widerstand und Genauigkeit jede andere Reinholdkritik der Zeitgenossen er-
Millverstand ausgesetzt seien, die Publikation von Erlauterungs- reicht und i.ibertrifft. Die Textbasis im CEuvre Kants blieb da-
schriften begiinstigt. Der Konigsberger Mathematiker und Hof- gegen schmal, wenngleich sich von ihr her in einem Studium,
prediger Schultz konnte sich im Vorwort zu seinen Erliiuterungen das alle vom Kirchendienst noch freien Krafte in Anspruch
iiber des Herm Professor Kant Critik der reinen Vernunjt 85 auf die nahm, die eigene Uberzeugung entfaltete. Und diese Basis war
nicht dieselbe bei allen, auf deren Meinung man achtete. So
84 war die Energie von Diez' Repetentenkollegen Gottlob Christian
In der Vorrede zu seiner Kritik der Urteilskrafi hat Kant selbst geschrieben,
daE ihm angesichts des verwickelten Problems, das er aufzulosen versuchte,
nur die klare Darlegung des Prinzips dieser Losung gelungen sei (KdU 86
Schultz war mit solchen Wendungen, die er in der Vorrede seiner Erliiu-
S. IX f.). Dasselbe gilt in noch hoherem MaEe fur die Deduktion der Ka-
terungen zitierte, durch Kant als Kommentator vor der Offentlichkeit au-
tegorien in der KdrV. Eine Interpretation muJS also die Kantischen Voraus-
torisiert (vgl. A 3/ 5). Zusiitzlich war sein Buch in einer Rezension (von
setzungen identi£zieren und sod ann einen durchsichtigen Begri.indungsgang
Christian Gottfried Schi.itz) der ALZ Nr.162 vom 12. Juli 1785, S.41-44,
im Blick auf die Kantischen Texte, aber zugleich selbstiindig aufbauen.
Nr. 164 vom 14. Juli 1785, S. 53-56, Nr. 178 vom 29. Juli 1785, S.ll7 f.,
Schon in seinem fri.ihen Werk Einzig miiglicher Beweisgrund zu einer De-
Nr. 179 vom 30. J uli 1785, S. 121-124, Nr. 179 Beilage vom 30. J uli 1785,
monstration des Daseins Gottes (1763) hat Kant sich einen Leser gewi.inscht,
S. 125-128 nachdri.icklich empfohlen worden (S. 128).
der ,ki.ihne Blicke auf das Ganze eines Versuchs [wirft] und (...] vornehmlich
87 "vgl. A 2/ 12.
die Beziehung [betrachtet], die die Hauptsti.icke desselben zu einem ti.ich-
88
tigen Bau haben konnten" (AA II S. 67). Vgl. A 2/ 12 und die Einleitung von Norbert Hinske zum Neudruck der
85
Konigsberg 1784. 4. Auflage von 1798, Darm tadt 1976.

LXVIII LXIX
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

Rapp auf Kants moralphilosophische Schriften und Theorien eigentlich christlichen Lehre und Kants Philosophie Uberein-
konzentriert. 89 Diez richtete dagegen aile seine Argumente an stimmung und wechselseitige Erganzung besteht und daE die
dem Ergebnis seiner Aneignung der Grundlehren von Kants Kantische Reform in der Theorie mit der reinen Lehre Christi
theoretischer Philosophie aus. Wahrend das Reinholdstudium zur Vollendung der Menschheit zusammenwirken werde.
in einer negativen SchlufMolgerung hinsichtlich der Haltbarkeit Kant selbst schrieb in der Uberzeugung, daE seine Kritik
von Reinholds Theorie insgesamt endete,90 ging Diez' eigener begriinden konne, was Rousseau nur gesehen und ausgespro-
Plan zu einer Theorie der ersten Griinde ailer Philosophie chen hatte: den Zusammenhang des BewuEtseins von der Selbst-
darauf a us, Kants Konzeption von der Art und der Folgeordnung tatigkeit, das in jed em Menschenleben wirksam ist, mit der Uber-
einer philosophischen Begriindung in einem Aufbau, der sich zeugung vom Bestand einer in Gott zentrierten Weltordnung,
bei Kant selbst nicht findet, und zugleich mit einem aus der die im guten Herzen und Willen der Menschen unwiderstehlich
Kritik an Reinhold gescharften Reflexionsniveau neu zu ent- und diesseits aller Theorie aufkommt. 93 Er hatte die Aufgabe
wickeln. Es bedarf eines erheblichen Aufwands, diesen Plan seines Denkens von dem Ziel her verstanden, wesentliche In-
im Zusammenhang von Diez' Kritik an Reinhold zu rekonstru- teressen des Menschen vom Druck skeptischer Skrupel freizu-
ieren, die his in die feinsten Verzweigungen von dessen Theo- setzen und sie ihrer selbst sicher werden zu lassen. Er meinte,
rieentwurf ging. 91 damit der wirklichen Befreiung des guten Willens und seines
Gewissens und dann auch der Rechtsanspriiche des Vernunft-
wesens einen unverzichtbaren Dienst zu leisten.
c. Die Kantische Philosophie und das Christentum Diese Uberzeugung Kants tritt in seinem gesamten Werk
vielfa]tig hervor. Aber Reinhold hat ihr nicht nur einen zum
Reinhold hatte in den Briefen iiber die Kantische Philosophie., die Extrem gesteigerten Ausdruck, sondern auch eine besondere
seinen friihen Ruhm begriindeten, die eigentlich epochale Lei- und weitergehende Ausdeutung gegeben. Er verband Kants
stung Kants darin gesehen, Vernunft und Herz des Menschen aus der praktischen Philosophie gewonnene Moraltheologie mit
miteinander versohnt zu haben. So wie Jesus ein Evangelium einer These iiber den eigentlichen Gehalt des christlichen Evan-
des reinen Herzens begriindete, in dem die Religion mit der geliums. Damit hat er einen Komplex von Fragen zu bewegen
Moral vereinigt ist, so hat die eigene Zeit durch Kant ein anderes versucht, der fur Kants Zeitgenossen und die an sein Werk
und neues Evangelium erhalten - das Evangelium der Vernunft, anschlieEende Epoche von hochstem Interesse war.
das "den einzigen Erkenntnisgrund fest setzt, der von Moral Auch ohne die im Wiener Kloster geiibte Rhetorik Reinholds
zur Religion durch den Weg der Vernunft fuhrt". Dieser Lehr- wiiren diese Fragen gewill zur gleichen Bedeutung und Do-
begriff gewahrt der Religion der reinen Vernunft Einheit des minanz gekommen. Kant hatte die Zuordnung von Vernunft,
Systems und verspricht ihr fur aile Menschen "eben dieselbe Moral und Religion einpragsam genug und auf eindrucksvoll
Ausbreitung", die der reine Lehrbegriff des Christentums der neue Weise als Perspektive und als Problem ausgearbeitet. Er
Moral verschafft hat. 92 Damit ist angezeigt, daE zwischen der

89 Philosophie, in Buchform zuerst erschienen zur Ostermesse 1790, S. 183


Vgl. A 2/ 16. (vgl. A 9/ 8).
90
Vgl. A 13 S. 87 Z. 26ff. 93
Im Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars, im 4. Buch des Emi/e(Jean-
91
Vgl. Gadl VI und VII. Jacques Rousseau, CEuvrescompletes, hrsg. von Bernard Gagnebin und Marcel
92
Am Schlug des sechsten Briefes im ersten Band der Briefi iiber die Kantische Raymond, Pari 1959 ff., Bd.lV S. 565-635).

LXX LXXI
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

hatte damit eine Problemlage, die schon seit Jahrzehnten als Die Theologen der christlichen Kirche hatten dagegen i.iber
allbedeutsam galt und die das BewuEtsein des Zeitalters wie die Frage nachzudenken und zu entscheiden, ob und inwie-
keine andere beherrschte, auf neue Weise zur Entscheidung weit die Kantische Morallehre samt der aus ihr hergeleiteten
gestellt. Sie hatte in jedem Faile das wichtigste der Medien Moraltheologie mit dem eigentlichen Gehalt der Lehre Jesu
abgegeben, i.iber das die Kantische Reform der Theorie in das von Nazareth zusammenfallt. Eine Alternative dazu, die aber
ZeitbewuEtsein eingriff. In Beziehung auf es muEte sich zum noch immer eine Harmonie zwischen Kantianismus und Chri-
guten Teil auch die Leistungskraft des kantischen Denkens stentum behaupten lieB, konnte dahin gehen, die Besonder-
insgesamt fur die Selbstverstandigung der Vernunftwesen ent- heit der christlichen Offenbarungslehre an die Moraltheologie
scheiden. Kants nur anzuschlieBen. Das konnte entweder so geschehen,
Insonderheit stellte Kants Zuordnung fur die Theologie seiner daB sich die Wahrheit der Offenbarung als eine Erweiterung
Zeit eine Herausforderung, eine neue Moglichkeit und eine der Moraltheologie selbst begri.inden laBt, oder aber so, daB die
Aufgabe zu fernerer Ausbildung dar. Sehr bald ist sie als solche Notwendigkeit einer durch Vernunft i.iberhaupt nicht mehr
verstanden und aufgenommen worden. Sie war auch nicht ab- begri.indbaren Offenbarung aus den Grunden der Moraltheo-
zuscheiden von der Beurteilung und der Aneignung von Kants logie wenn nicht zu erkennen, so doch zu beglaubigen ist.
Neubegri.indung der theoretischen Philosophie rein als solcher. Zu der Zeit, in der Diez und seine Freunde miteinander
So ist es kein Zufall, daB - mit Reinhold beginnend - gerade korrespondierten, war aus Kants eigenem Werk zu heiden
die bedeutendsten Denker der nachkantischen Philosophie bei- Problemstrangen noch keine hinreichend bestimmte Antwort
nahe ausnahmslos aus der Theologie hervorgingen. Die Hin- herzuleiten. (1) Was die Begri.indung der Moraltheologie an-
wendung dieser Ex-Theologen zur philosophischen Grundwis- langt, so fand man in Kants Werken bereits verschiedene Fas-
senschaft und dies, daB die Theologie selbst sich unter dem sungen, die nur mit Gewalt in Ubereinstimmung miteinander
Druck kantischer Bezugspunkte umbildete, sind zwei Folgen, gebracht werden konnten. Wir wissen heute, daB sie mit Va-
die aus derselben Voraussetzung hervorgingen. rianten und auch Phasen im Denken Kants bei der Begri.indung
In dem Komplex der Fragen aber, die von Kants Reform der Geltung des Sittengesetzes selbst im Zusammenhang ste-
der Religionstheorie aufgegeben waren, mi.issen nun zwei Pro- hen.94 In der Folge sind noch weitere Varianten in der Be-
blemstrange voneinander unterschieden werden (1, 2). Der eine gri.indungsweise der Moraltheologie hinzugetreten. 95 Kant ist
gehorte in die Zustandigkeit der Philosophen, wahrend der niemals dazu gekommen, dieses ftir die Wirkung seiner Phi-
andere unmittelbar in die christliche Theologie als solche hin- losophie so bedeutsame Theorem Schritt urn Schritt zu einer
einwirkte. Zwischen heiden hestand dennoch ein durchgangiger von da an verbindlichen Fassung auszuarbeiten. Die Grundfigur
Z~samm~~hang: Eine Aufgabe fi.ir den Philosophen war es, des Gedankens lag fest und war, davon war Kant mit Rousseau
d.1e Beg:undungen ~on Kants Moraltheologie zu pri.ifen und i.iberzeugt, in der nati.irlichen sittlichen Vernunft entdeckt, nicht
s1e zu emem Inbegnff von nati.irlich-praktischer Religion aus-
94
zuarbeiten - und zwar so, daB zugleich auch die allgemeinen Vgl. vom Hrsg. ,Der Begriff der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom
Grundlagen der praktischen Philosophie zur Begri.indung der Faktum der Vernunft", in: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken.
Festschrift for Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag, hrsg. von Dieter
Moraltheologie in ein klar bestimmtes Verhaltnis gebracht wur- Henrich, Walter Schulz und Karl-Heinz Volkmann-Schluck, Tubingen 1960,
den. War doch die sittliche GewiBheit nach Kant der einzige S. 98-110.
95
Grund, von dem ausgehend ferner noch eine verlaEliche Ver- Vgl. vom Hr g. ,The Moral Image of the World", in: ders., Aesthetic Judgment
nunfttheologie entwickelt werden konnte. and the Mora/Image of the World, Stanford 1993, S. 3-28.

LXXII LXXIII
Diez zwi chen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

et:wa vom Philosophen vor ihr und fur sie aufgebaut. Wenn Fragen ihren Platz, die das Verhaltnis dieser sittlichen Ver-
aber diese Figur vom Philosophen erschlossen und nachvoll- nunftreligion zu der Lehre und der Uberlieferung des Chri-
zogen wird und wenn dabei zugleich auf eine innere Schli.is- stentums betreffen. Zumal die theologischen Lehrer der Dog-
sigkeit zu achten ist, die ihrerseits wieder in Beziehung auf matik und der Ethik waren vor sie gestellt. Sie lassen sich so
vielerlei Zusammenhange in der Theorie insgesamt beurteilt voneinander unterscheiden, dafS die Antworten auf sie zugleich
werden muE, o eroffnet sich ein weiter Spielraum ftir die auch eine Folgeordnung ausmachen: Die Art der Antwort auf
nahere Ausarbeitung des moraltheologischen Grundgedankens. die vorausgehende ermoglicht es i.iberhaupt erst, in die folgende
Dessen jeweilige Besetzung zeigte schon in Kants Werk Ver- Frage einzutreten.
schiebungen in der Gesamtkonzeption an, die auch durch Als erste ergibt sich die Frage, ob die christliche Moral mit
eine tiefere Auffassung des moraltheologischen Gedankens der Moral des guten Willens nach der kantischen Analyse durch-
selbst veranlaEt werden konnten. In der Folge und von den aus oder doch in allem Wesentlichen in Ubereinstimmung ist.
Nachfolgenden ist in diesen Spielraum eine noch weit groEere Kant selbst hatte es nahegelegt, auf sie die positive Antwort
Vielfalt von moraltheologischen Entwi.irfen hineingestellt wor- zu geben - unter anderem dadurch, dafS er schon in der Kritik
den. So wie Kant die Vielzahl der Varianten seiner Moral- der reinen Vernunft den Gottesbegriff, ,den wir jetzt ftir den
theologie niemals in eine Ubersicht gebracht hat, so sind auch richtigen halten", nicht aufEinsichten der spekulativen Vernunft,
die Entwi.irfe seiner Nachfolger bisher niemals in Beziehung sondern auf das ,aufSerst reine Sittengesetz unserer Religion"
aufeinander erschlossen und zur Entscheidung gestellt worden zuri.ickfti.hrte. 98 Hat einer ftir sich i.iber diese Frage entschieden,
- weder in der Zeit der Vorherrschaft der Kantischen Moral- so schlieEt sich ihm eine zweite an sie an, die so lautet: Ist die
theologie noch auch his heute. 96 Im. i.ibrigen laEt sich auch Religion Jesu mit der Religion der praktischen Vernunft ganz
dahingehend argumentieren, daB es Kants Lehre von den oder im Wesentlichen identisch? Rousseau hatte die Religion
Ideen, die konstitutiv in die Grundlagen seiner Moraltheologie des savoyischen Vikars, aus dessen Glaubensbekenntnis Kant
eingeht, gar nicht erlaubt, eine seinen rousseauischen Uber- die Anregungen zum Aufbau seiner Moraltheologie gewann,
zeugungen entsprechende Begri.indung der Postulatenlehre zu- der Kirchenlehre mit ihren nach Rousseau durchaus entbehr-
zulassen, wenn nicht auch in die Ideenlehre selbst eingegriffen lichen Theologumena entgegengesetzt. Der Gehalt dieser Re-
wird. 97 ligion des Herzens entsprach aber der Vernunftreligion des
(2) In dem zweiten Problemstrang, der die Klarheit tiber Deism us- also jener Religion, die ,easy first and plain"99 gewesen
die Kantische Fundierung der Religion durch die Ethik des sein soli und die erst durch Priesterherrschaft mit Mysterien
guten Willens bereits voraussetzen moE, haben zumindest drei umgeben wurde. Wer diese Religion als die eigentlich christliche
verstand, wie es Rousseau wirklich tat, als er sich als Christ
nach dem Wissen seines Herzens bekannte, der mufSte die
96
Christian Wilhelm F1i.igge veroffentlichte in den Jahren 1796 und 1798 in Lehren ihres Gri.inders von den Lehren des nunmehr herr-
zwei starken Oktavbiindchen einen Versuch einer historisch-lcritischen Dar-
stellu71j5 des bisheri.gen Einjlusses der Kantischen Philosophie auf alle Zweige 98
derwz.rsenschciftlichen un.dpralctischen Theologi.e (Druckort Hannover, eudruck KdrV A 817 f./B 845 f.
Hildeshe~_l982). Vor allem im ersten Biindchen (S. 205-285) findet sich
99
Matthew Tindal, Chri.stianitg as old as creation, 01·: The gospe~ a republication
eine gute Ubersicht i.iber Kantische Positionen in der Moraltheologie, die of the religion of nature, London 1730, zitiert nach Emanuel Hirsch, Ge-
aber _nicht aus einer Einsicht in die Grundlagen und Spannungen in diesem schichte der neuem evan.gelischen Theologi.e im Zusammenhang mit den allgemei-
3
KantJschen Theorem gegeben ist. nen Bewegun.gen des europiiischen Denlr.ens, 5 Bde. Giitersloh 1967, Bd. 1
97
Vgl. vom Hrsg. ,Grund und Gang spekulativen Denkens" (cf. Anm. 1). S.326 Anm.

LXXIV LXXV
Diez zwi chen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

chen den kirchlichen Glaubens ystems unterscheiden. Er muEte gab sich mit genau kalkulierter Vorsicht rein nur als philoso-
ich zumindest der Reform der Theologie anschlieEen, ftir die phische Interpretation der heiligen Schrift. So war sie weder
nach manchen, die ihm vorausgingen, zuletzt Semler eingetreten als ftir die Philosophie als solche verbindliche Theorie noch
war. Thrzufolge gehort zum Glauben nicht das System der Theo- auch als christliche Theologie ausgegeben. Kant hielt sich in
logie, ondem nur das, was im Leben der 1enschen unmittelbar den Grenzen der reinen Vemunft und der Kompetenz ihrer
praktisch werden kann. 100 Die Behauptung der Identitat von Kritik und ihrer Fahigkeit, Hypothesen zu entwerfen: So lieE
Vemunftreligion und Christentum lief also nonvendig auf eine er unbestimmt, was jenseits dieser Grenzen etwa noch an-
Kritik der theologi chen Lehrtradition des Christentums hinaus. nehmbar zu machen ware. Damit lieE er es ebenso offen, ob
Kants eigene Stellung zu dieser Frage war bi 1792 nicht die Theologie der Kirche diese Interpretation auch fur sich
deutlich auszumachen. Es sprach aber viel daftir, sie in der selbst annehmen wolle und konne. Und er entschied nicht
achbarschaft von Rou seaus Deismus und der neologischen dariiber, ob die Kritik der autonomen Vernunft denen, die
Reform zu sehen. 1792 erschien dann als Aufsatz in der Ber- ihre Wahrheit einsahen, den Glauben an die Wirklichkeit einer
linischen Monatsschrift der erste Teil der Religion innerhalb der Offenbarung und an die Wirklichkeit der Offenbarung in Jesus
Grenzen der blofien Vernurift. 101 Durch sie wurde deutlich, daE Christus auch weiterhin ermoglichen konne. Kant hat zu dieser
Kant bereit war, die Analysen seiner Lehre vom guten Willen Frage niemals in aller Klarheit ein entscheidendes Wort gesagt.
o zu e!:Weitem, daE sie AnschluE an einige Lehren der christ- Die meisten Dokumente sprechen aber daftir, daE er ftir sich
lichen Uberlieferung find en konnte, den en zuvor ein Platz unter selbst eine solche Offenbarung nicht angenommen hat. Manche
den deistischen Glaubensartikeln verweigert worden war: Die scheinen zu zeigen, daE er es auch ftir unmoglich hielt, den
Lehren von der Erbsiinde und von der Versohnung der Men- Glauben an eine solche Offenbarung zu begri.inden. 102
scherr mit Gort fanden nun ein Aquivalent in dem Lehrsystem Mit der Frage nach der Moglichkeit einer Offenbarung waren
der Vernunftmoral - allerdings in einer Erklarung, die sie ganz Philosophie und Theologie nun aber schon seit langerem kon-
in Lehren der Kritik der praktischen Vemunft eingliederte. frontiert. 103 Sie war auch schon in der Weise gestellt worden,
Doch damit harte Kant noch nicht Stellung bezogen zu der in der sie dann von Diez unter kantischen Pramissen aufge-
dritten Frage, auf die bei der Verhaltnisbestimmung der Ver- nommen worden ist: Ob es namlich dem Menschen moglich
nunftmoral auf der einen Seite zum Christentum und zur christ- sei, i.iber den gottlichen Ursprung einer Lehre, die sich als
lichen Theologie auf der anderen eine Antwort zu geben war: Offenbarung ausgibt, zu einer hinreichenden GewiEheit zu kom-
Er hatte nichts dariiber gesagt, ob es auch vor dem Forum men. Als aber die Philosophie Kants zur Philosophie ihrer Zeit
der Vernunft zulassig sei, an Christus als an einen Gesandten aufgestiegen war und ihre unwiderstehliche Kraft gezeigt hatte,
Cortes zu glauben, in dessen Lehre und Leben eine von Gott muEte die christliche Theologie selber und von sich aus diese
ausgehende Botschaft an die Menschheit erging, auch weiter Frage in der durch Kants System freigesetzten Perspektive auf-
noch zu glauben an die Gottheit des Gottgesandten, der durch bringen.
seinen Kreuzestod die Versohnung der Menschen mit Gort Gleichzeitig mit der Korrespondenz zwischen den Stiftsfreun-
vollzogen oder vorbereitet hat. Kants erweiterte Religionslehre den kam auch diese theologische Bewegung in Gang. Neben
dem ersten Bezugspunkt in Kant hatte sie als zweiten Bezugs-
100
Vgl. ebd., Bd. 4 S. 48 ff., insbesondere S. 69-73. 102
101 Vgl. Gadl IX.2.
"Ueber das radikale Bose in der menschlichen atur", in: Berlinirche Mo- 103
natsschrifi April 1792, S. 323-385. Vgl. C 9/ 37.

LXXVI LXXVII
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

punkt auch die Lehre von Jacobi im Blick zu behalten. Sie ihnen her zu argumentieren. Nur so konnten die Aussagen der
lief darauf hinaus, zusammen mit allen philosophischen Syste- Offenbarung im Ganzen einer ~itik des Systems der christ-
men auch dem Kantischen den Nachweis entgegenzustellen, lichen Religion" verstanden und gerechtfertigt werden.
daB jedes philosophische System den Menschen auf endliches Der ehemalige Stiftler und Gottinger Theologe Karl Friedrich
Wissen und auf eine nur subjektive GewiEheit eingrenze. In Staudlin hat als erster Jdeen" zu einem solchen System pu-
keinem dieser Systeme konne die Wahrheit der Religion und bliziert. 105 Sie erschienen zur Herbstmesse 1791 und konnten
wirkliches Wissen von Gott einen Platz finden. Es sei darum somit in die Korrespondenz der Ti..ibinger Freunde und in die
anzuerkennen, daB alles wirkliche Wissen von Gott, auch das, Ausbildung von Diez' Gedanken nicht mehr eingreifen. Johann
welches Deism us und Kantianismus ftir auf Vernunft gegriindet Heinrich Tieftrunks Censur des christlichen protestantirchen Lehr-
hielten, in einem Geschehen begriindet ist, das vom Menschen begriffs nach den Prinzipien der Religionskritik106 und Fichtes
aus gesehen ,Glauben', von Gott aus gesehen aber ,Offenbarung' Versuch einer Critik aller Offenbarung 07 sind in den Zusammen-
genannt werden muK Jacobi meinte mit ,Offenbarung' zwar hang dieses Programms zu stellen. In den folgenden Jahren
etwas ganz anderes als die christlichen Theologen seiner Zeit, erschienen weitere Arbeiten derselben Zweckbestimmung. Un-
namlich nicht AufschluE tiber hochste und letzte Dinge, sondern ter ihnen sind Niethammers Buch tiber Religionals Wzssenschaft 08
das in die Erfahrung eingehende unmittelbare Wissen von der und Carl Christian Erhard Schmids Philosophirche Dogmatik 109
Welt und von anderen Menschen. 104 Aber es gab doch gute hervorzuheben. Zwischen Diez' und Schmids Argumenten be-
sachliche Griinde daftir, seinen Argumenten ftir eine solche stehen enge sachliche Beziehungen. 110
Offenbarung auch in der iiberkommenen Offenbarungstheo- Die Ti..ibinger Professoren Gottlob Christian Storr und Johann
logie ein Gewicht zu geben. Friedrich Flatt wollten in ihrer Lehre und in ihren Schriften
So schien ftir die christlichen Theologen eine doppelte Auf- der gesamten von Kant ausgehenden Entwicklung entgegen-
g.abe gestellt: Gegen Jacobis Ausweitung des Offenbarungs- wirken und dabei auch den Folgerungen entgegentreten, die
smnes und die mit ihr verbundene Gefahr eines Verlustes des sen, von Fichte, Niethammer und Schmid im AnschluB an Kant
was der christlichen Offenbarungslehre eigentiimlich war, sollte gezogen worden sind. Storr, der zuvor schon als Apologet einer
am Vernunftursprung der Gottesbeziehung festgehalten werden. orthodoxen Kirchenlehre gegen die aus den neueren exegeti-
lm AnschluE an Kant aber war i..iber die Moglichkeit einer schen Verfahren gezogenen Folgerungen hervorgetreten war,
Offenbarung und einer Vergewisserung von ihrer Wirklichkeit verteidigte damit sein eigenes theologisches Lehrsystem. Fi..ir
zur Klarheit zu kommen. Dies ganze Unternehmen hatte zudem den Ti..ibinger Unterricht hatte es die groBte Bedeutung. 111 Auch
den Anspri..ichen zu geniigen, die von Kant aufgerichtet worden Flatt war Schuler Storrs, und aile Freunde, die an dem Brief-
wa~~n: Di.e Untersuchung hatte - gemaB dem Programm einer wechsel teilnahmen, waren tief in sein System eingearbeitet.
Knt~- d1e "Quellen" auch der religiosen und der theologischen
105
Begriffe und Erkenntnisse ins BewuBtsein zu bringen, urn von ldeen zur Kritilc des Systems der christlichen Religion, Gottingen 1791.
106
1. Teil Berlin 1791, 2 1796, 2. Teil Berlin 1794, 3. Teil Berlin 1795.
107
Konigsberg 1792 (zur Ostermesse), vgl. Gadi IX.2.
104 Jaco b is Schuler Thomas Wizenmann hat dann in einem bedeutenden lOS
Anonym, Neustrelitz 1795.
und auch von Kant beachteten (vgl. Kdp V 260) Aufsatz im Deutschen 109
Jena 1796.
Museum vom Februar 1787 Jacobis Gedanken in einer Kritik von Kants 110
Moraltheologie in Richtung auf eine theologische Offenbarungslehre gel- Vgl. B 2/ 5 und Gadi V.l.
111
tend gemacht. Vgl. Gadi II.

LXXVIII LXXIX
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

Zu denen, die in der Offentlichkeit bestritten, die Kantische ausftihrlicher zu entwickeln, lieEen einigermaEen deutlich er-
Kritik laufe zumindest auf gewichtige Einschrankungen der kennen, daE diese auf praktischer Vernunft begrundete Theorie
Bezugnahme auf Offenbarung in der Religion und in der christ- mit der Glaubenslehre des Christentums in guter Ubereinstim-
lichen Lehre hinaus, soilte nach wenigen Jahren auch SuEkind mung sei. In der Gruppe dieser Autoren ragte weiter noch
gehoren. 112 So ist also in der Korrespondenz zwischen den Karl Heinrich Heydenreich 117 hervor.
Freunden sowohl die Fruhphase eines Uberlegungsganges zu Die Autoren, welche zu den drei Fragen des eigentlich theo-
sehen, der sich in dem von Kant gesetzten Rahmen seiner logischen Problemkomplexes schrieben, sind nicht allesamt auch
Moraltheologie entfalten mu.Ete, wie auch ein Dokument ft.ir Theologen von Beruf gewesen, obwohl sie als Theologen aus-
die Bildungsgeschichte von Niethammer und SuEkind, den hei- gebildet worden waren. Fichte verstand sich schon als Philosoph,
den Briefpartnern von Diez, hin zu ihrem eigenen spiiteren Carl Christian Erhard Schmid und Niethammer waren Profes-
Lebenswerk. soren der Philosophie, wenn sie auch bald zu Professoren der
Die Frage nach einer von Kant her zu grundenden Uber- Theologie avancierten. Tieftrunk blieb immer Philosophiepro-
zeugung von der Wirklichkeit einer Offenbarung ist die dritte fessor. So wird es noch auffalliger, da.E mit der Position, zu
und letzte der drei Fragen, welche die Kantische Neubegriin- der sich Diez im Laufe von eineinhalb Jahren hinarbeitete, die
dung in Hinsicht auf das Verhaltnis praktischer Vernunftwahrheit radikalste in dem Kreis der Positionen bezogen wurde, durch
zum Christen tum aufbringen muEte. 113 Die erste, die nach dem die die kantische Wahrheit zur christlichen Religion ins Ver-
Verhaltnis von kantischer zu christlicher Moral, war schon zuvor haltnis gesetzt werden kann: Diez bestritt aus kantischen Grun-
mehrfach positiv beantwortet worden. Was Reinhold in dieser den nicht nur die Moglichkeit einer Offenbarung. Er leugnete
Sache behauptet hatte, war von dem Jenaer Theologen Johann daruber hinaus auch noch, daE kantische und christliche Moral
Wilhelm Schmid in seinem Werk Ueber den Geist der Sittenlehre zur Ubereinstimmung zu bringen sind. Weiterhin bestritt er,
]esu und seiner Apostel 114 im Blick auf die Bucher der Bibel in daE aus der Vernunftreligion des guten Willens irgendwelche
extenso dargelegt worden. Diese Antwort wurde von denen Sti.itzung fur eine christliche Kirchenlehre zu gewinnen ist. So
vorausgesetzt, die erkliiren woilten, daE die praktische Ver- bildete er aus kantischen Einsichten, die er sich zueignete, die
nunftreligion Kants und die Religionslehre Jesu ganz oder im er aber auch in seiner eigenen Weise entwickelte, ein Arsenal
wesentlichen miteinander ubereinstimmen. Auch diese These gegen die christliche Theologie insgesamt, so wie sie ihm in
war nach Reinhold mehrfach in extenso entfaltet worden, so Ti.ibingen beigebracht worden war. Und er wendete dies Arsenal
vor ailem von Johann Heinrich Tieftrunk in seinen Buchern bald auch gegen die Lehre des Begri.inders des Christentums
Einzigmifglicher Zweck]esu 115 und Versuch einer Kritik der Religion (und in einem damit gegen aile ,positive' Religion) - wiewohl
und aller religiosen Dogmatik mit besonderer Riicksicht auf das dies in den Papieren nicht ebenso deutlich hervortritt. Si.iEkind
1
Christentum 16 • Aber auch aile die Autoren, deren Absicht es quittierte den Empfang von Diez' Offenbarungskritik, indem
war, Kants Moraltheologie rein nur als philosophische Theorie er dies en Text ,Deine antichristliche Abhandlung" nannte. 118
Eine Position, die aus Kantischen Priimissen so weitgehende
112
Vgl. Cadi XII. 1 und 2.
Folgerungen ableitete und gegen die christliche Lehre steilte,
113
Vgl. oben S. LXXVI.
114 117
Cf. A 4/ 10, vgl. C 6/ 28. Vor allem durch seine Betrachtungen iiber die Phifosophie der natiiriichen
115
Halle 11789, 2 1793. Religion, 2 Bde. Leipzig 1790f.
116 118 c 9 S. 230 Z. 3 in Beziehung auf B 2.
Vom Verjasser des einzig miigiichen Zweclcs ]esu, Berlin 1790.

LXXX LXXXI
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

ist in gedruckter Form, soviel ich weill, weder vorher noch lange Zeit voraus, wahrend der alle drei Freunde in der Vor-
nachher vertreten worden. Ware sie vor dem Erscheinen von bereitung auf den Beruf des Pfarrers ihre Uberzeugungen zu
Kants und Fichtes Religionsschriften publiziert worden, so hatte priifen und zu stabilisieren suchten. Niethammer hat in seiner
sie sich wohl in die lange Geschichte der clandestinen Literatur Selbstbiographie iiber die Zweifel berichtet, die ihm beim Stu-
zur Religionskritik einordnen miissen. In fast allen deutschen dium der theologischen Morallehre in Beziehung auf die Halt-
Staaten ware sie von der Zensur aufgehalten oder sogar von barkeit von deren Fundament gekommen waren. 122 Die Krise,
der Polizei unterdriickt worden. Auch ware zu erwarten gewesen, in die er so geriet, verwies ihn auf das Studium der kritischen
daB die meisten der kantisch inspirierten Moralphilosophen Philosophie und lief.S ihn sehnlichst wiinschen, zu dieser Phi-
und Theologen sich von ihr distanziert hatten. Nachdem die losophie unter der Leitung Reinholds, der wie kein anderer
Schriften Kants und Fichtes erschienen waren, hatte sie es zur ,Einweihung' in deren ,Geheimnisse' geeignet schien, einen
aber schwer gehabt, sich ihrer Ubereinstimmung mit d~!l In- sicheren Zugang zu finden. Diez' Briefwechsel mit Niethammer
tentionen Kants noch zu versichern. Man muB Leutweins Auf.Se- setzt mit Niethammers Ankunft bei Reinhold in Jena ein. Das
rung iiber Diez, die ihn den ,Kantischen Enrage" nennt, wohl Geschenk eines Verwandten hatte ihm seinen Lebenswunsch
auch darauf beziehen, daB er aus Kant religionskritische Fol- erfiillt. Aber das philosophische Gesprach zwischen den Kor-
gerungen zog, mit deren Radikalitat er sich an den auBersten respondenten hatte sich zuvor schon his zum Austausch von
Rand des Spektrums der auf kantischer Grundlage moglichen Argumenten entfaltet, auf die im Briefwechsel zuriickverwiesen
Positionen und in den Verdacht einer Nahe zu Positionen in werden konnte.
der franzosischen Nationalversammlung brachte. 119 Es ist nicht Zur gleichen Zeit traf SiiBkind in Gottingen ein. Er war und
schwer, sich klarzumachen, was es bedeutete, daB eine solche blieb glaubiger Christ; und er beschwor Diez, seinen Freund,
Position von einem Repetenten eingenommen wurde, dessen geradezu, die Untersuchung iiber die Vereinbarkeit von Kan-
Aufgabe es war, die angehenden Pfarrer Wiirttembergs in ihren tischer Philosophie und Christentum ,mit der skrupulosesten
Studien anzuleiten und zu iiberwachen. SiiBkind reagierte nur Gewissenhaftigkeit" zu ftihren. 123 Der Kantischen Philosophie
auf eine der Komponenten von Diez' Position, als er sie scherzend insgesamt als Theoretiker zu widerstehen, dazu fand er sich
mit dem Tod eines der fUr das Ttibinger Stift zusdindigen ebensowenig imstande wie zu einem Saito mortale in einen
Konsistorialrate in einen Zusammenhang brachte, 120 der zu- "blinden" Glauben. Er wurde in jener Zeit am meisten gescheut
gleich Siif.Skinds eigener Lehrer gewesen war. 121 und zugleich doch vielen auf vielerlei Weise vorgeworfen. So
Den Briefwechseln mit Niethammer und SiiBkind liegt eine fiirchtete SiiBkind urn seinen eigenen Glauben und wiinschte
zugleich "sehnlich", "das Christentum gerettet zu sehen": ~ie
119
Trennung wiirde meinem Herzen (so) schwer fallen, als mir in
Diez scheint tatsiichlich mit dem Gedanken gespielt zu haben, Apostel
des kantischen Evangeliums in Frankreich zu werden (vgl. C 10 S. 247
meinem Leben irgendeine Trennung von einem geliebten Ge-
Z. 34 und C 10/20). Das setzt sein Bekenntnis zur Republik voraus, genstand gefallen ist". 124 Zugleich aber verwies er zuriick auf
impliziert aber auch, da~ Diez die revolutioniiren Franzosen als der kan-
122
tischen Lehre bediirftig beurteilte. So wird er also wohl auch die Religions- Vgl. vom Hrsg. Konstelfationen (cf. Anm.51), S.143f. in Beziehung auf
unci Kirchenpolitik der Revolutioniire schon zu so fri.iher Zeit nicht nur Niethammers theologische Disputationsschrift De persuasz'one pro revefatione,
mit Beifall bedacht haben. (Eine Ubersicht iiber diese Politik gibt Michel eiusque stabz'lz'endae modo rationis praeceptis consentaneo, Jena 1797, der als
Vovelle in La Revolution contre LEglise, Briissel 1988). Anhang eine unpaginierte Selbstbiographie beigegeben ist.
120 123
Vgl. C 9 S. 230 Z. 3ff. C 5 S. 208 Z. 33 - S. 209 Z. 2.
121 124
Gadi XII. 1. C 5 8.208 Z.18-21.

LXXXII LXXXIII
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

die vorausliegende Verstandigung der Freunde, in der sich den, die von sich aus dahin gelangt waren, in der Kantischen
heide in einer ,.heterodoxen" Uberzeugung einig gewesen wa- Philosophie ein Mittel zur Befreiung der christlichen Wahrheit
ren. 125 Ausgeschlossen schien es ihm nicht, daB sich seine Uber- zu sich seiher zu erkennen. Aber ihm war der Weg hestimmt,
zeugung doch noch in der Richtung forthewegen und umbilden Pfarrer der Kirche Wiirttembergs zu werden. So stand er seit
konnte, in die Diez nunmehr in immer rapiderer Abfolge zu vielen Jahren unter dem Eindruck und Einflug nicht nur von
gehen hegann. Und so sah er im Studium der Kirchengeschichte, deren Institutionen, sondern auch unter dem Einflug der in
das er nun aufnahm, auch den Vorteil, im auBersten Fall nicht Thhingen und ftir die Volkslehrer dieser Kirche gelehrten Theo-
auf den Pfarrerberuf angewiesen zu sein und statt seiner ,Pro- logie. Beides, die Forderungen der Staatskirche an ihre kiinftigen
fessor Historiae" werden zu konnen. 126 Pfarrer sowie Anlage und Gehalt der Lehre, welche Staat und
Diez selhst sprach aher schon im Juni 1790 davon, dag Kirche hegiinstigten, wirkten zusammen dahin, dag sich Diez
sich ihm durch sein Kantstudium, iiber dessen Stand er be- in die Konsequenz seiner Apostasie gewiesen sah. Wie dicht
richtet, ,der Entschlug zu der Hingst iiherdachten Apostasie" und wirksam die Atmosphiire und der Druck waren, die in
hetrachtlich hefestigt habe. 127 Wir miissen annehmen, dag da- Thhingen aile Bewegungen der Verstandigung umgaben und
mals noch diese Apostasie nur die vom Beruf des Pfarrers beeinfluBten, hezeugt auch SiiBkind, wenn er aus Gottingen
gewesen ist. Denn Siigkind erinnert seinen Freund aus jener schreiht: ,[... ] seit einiger Zeit ftihle ich's doch mehr als jemals,
Zeit nur als einen Heterodoxen. Und Diez selhst sagt noch daB ich unter andern Menschen als Storrianern lehe und daB
zu Beginn des Briefwechsels nicht nur, dag ihm der Beweis man sich des Einflusses anderer nicht erwehren kann". 130
fur die Wahrheit der Offenharung aus den Wundern (Christi Die Lehenssituation der Freunde zu Beginn des Briefwechsels
und der Apostel) ,his itzt hefriedigend war". 128 Er schliegt und die Gedanken, die sich in der Zeit des Briefwechsels aus-
es auch nicht aus und scheint sogar eine kleine Hoffnung gehildet hahen, erschliegen sich nur dann zur Ganze, wenn
darauf zu setzen, dag sich ihm erweisen moge, ein Uhergang man den heinahe durchgangigen Bezug auf die Theologie, in
aus Prinzipien der praktischen Vernunft zur Gotteswiirdigkeit die hinein sie ausgehildet worden waren, auch im Einzelnen
und ,dann vielleicht" zur Gottlichkeit der Offenharung lasse nachvollzieht. In dieser Edition sollen dazu die zahlreichen
sich fmden. 129 Doch der Sog, der a us der Art der Kantischen Kommentare verhelfen, in denen die vielfa]tigen Bezugnahmen
Betrachtungen hervorging, in die er eingetreten war, wurde auf die Dogmatik von Gottloh Christian Storr immer auch knapp
binnen weniger Monate so stark, daB Diez mit dem Fundament erklart werden. An anderer Stelle wird die Theologie dieses
des theologischen Lehrsystems auch sein christlicher Glaube bedeutenden Systematikers im Zusammenhang dargestellt. 131
zusammenbrach. Doch hatte seine Lehre fur die Position, die Diez bezog, eine
Diez hatte wohl nicht so schnell die Uberzeugung gewonnen, so groBe Bedeutung, daB auch hier einige Bemerkungen iiher
dag Christentum und Kantische Philosophie unvereinhar sind, das Eigentiimliche von Storrs Lehre nicht fehlen sollten.
ware sein Begriff vom Christentum durch Lehrer gepragt wor- Storr gehrauchte die Mittel der neueren Bihelexegese mei-
sterlich, aher auf der Grundlage einer Hermeneutik, welche
125
Vgl. C 4 8.192 Z. 26£ und 8.198 Z. 4 ff~ C 5 8.206 Z. 29£; auch Cadi X l. den Voraussetzungen derer, die diese Methoden entwickelt hat-
126
Vgl. C 9 8. 232 Z. 33 - 8. 233 Z. 3. ten, diametral entgegentrat. Nach Storr ist es zwar notig, im
127
Vgl. A 3 8.19 Z. 10-13.
128
A 3 8. 18 Z. 26-28.
13

131
° C 4 8.198 Z.17-20.
129
Vgl.A38.19Z.3-7. Cadi II.

LXXXIV LXXXV
Diez zwischen Kant und Fichte Der selhstdenkende Kantianer

Gebrauch der textkritischen Verfahren und der orientalistischen Dogmatik wurde Storr von seinen Zeitgenossen und seinen
Wissenschaft iiber den historischen Ursprung der Schriften des Schiilern hoch geschatzt, wegen dieser Kompositionskraft sogar
Neuen Testaments und die Integritat ihrer Uberlieferung zur bewundert. 133 Wahrend der Studienjahre der Freunde war der
Klarheit zu kommen. Ist aber einmal gesichert, daE und in philosophische Unterricht in Ttibingen durch die Krankheit
welchem Sinn sie authentisch iiber Leben und Lehre von Jesus des Professors ftir theoretische Philosophie beeintrachtigt. 134
von azareth berichten, dann miissen sie ganz aus dem eigenen Von Storr war in der Folge mehr als von den Philosophen zu
Zusammenhang ihrer Mitteilungen heraus auf- und angenom- lernen, was es heiEt, ein Lehrsystem aus einem CuE zu kon-
men werden. Es ist unzulassig, in ihnen das, was ftir die Vernunft zipieren und folgerichtig zu begriinden.
einsichtig und in der subjektiven Religion der Lebenspraxis Sowohl in der Apologie wie in der philosophischen Unter-
annehmbar ist, von dem zu sondern, fur das solches nicht weisung wurde Storr aber durch seinen Schuler Johann Fried-
gelten soli, und dies andere dann aus den Zeitumstanden zu rich Flatt unterstiitzt. Bis 1792 gehorte er als Extraordinarius
erklaren, in denen die Apostel schrieben und an die sie, oder der philosophischen Fakultat an. Flatt hatte in der Theorie der
auch schon Jesus selbst, sich in ihrer Mitteilungsart angepaEt Kausalitat eine eigene Steilung bezogen, in der Komponenten
haben. Ein als authentisch erkanntes Evangelium muE ohne der wolffischen und der lockeschen Schule miteinander ver-
aile Einschrankungen als Gottes Wort, auf die Autoritat Gottes bunden waren, die aber auch auf Jacobi und Kant Ri.icksicht
selbst hin und im glaubenden Vertrauen auf ihn angenommen nahm und die zugleich gegen beide formuliert worden ist. 135
werden. Daraus folgt, daE - die Authentizitat der Queilen vor- In der Folge hat sich Flatt als Kritiker Kants und dann auch
ausgesetzt - Jesus als Gottes Sohn, sein Tod als Grund der Reinholds vielfach hervorgetan, his er schlieElich, und zwar
menschlichen Beseligung anzuerkennen und seine Lehre als aufgrund der theologischen Schriften, die er gleichfails vorge-
gottliche Mitteilung aufzunehmen sind. Fiir die theologische legt hatte, zum vierten Professor in der theologischen Fakultat
Apologie folgt daraus wiederum, daE sie die Griinde zu ent- aufstieg. Nachdem Storr in die hoheren Kirchenamter nach
kraften hat, die aufgeboten wurden, urn zu zeigen, daE sich Stuttgart zu gehen hatte, war es Flatts Sache, den Widerstand
d~r Mensch einer Offenbarung und ihren ,positiven' Lehren der Ti.ibinger Theologie gegen die theologischen und die phi-
mcht unterwerfen kann und daE ein Glaube an die in Christus losophischen Zeittendenzen zu organisieren. 136
geschehene Erlosung mit seinem sittlichen SelbstbewuEtsein Flatts Kritik an Kant und Reinhold wurde von Diez, wie seine
im Widerstreit steht. Dariiber hinaus hat die Dogmatik die Briefe an Niethammer zeigen, mit groEer Aufmerksamkeit be-
Aufgabe, den Sinn der christlichen Lehre, sei es aus den Queilen, achtet. Doch stand den Ti.ibinger Studenten weit deutlicher als
sei es im AnschluE an die Bekenntnisschriften 132 umfassend Flatts Lesern an anderen Orten vor Augen, daE aile seine Ar-
und mit systematischer Konsistenz durch aile Glaubenslehren
133 u
hindurch zu verdeutlichen. Wegen seines Scharfsinns in der vgl. C 8 S. 226 Z. 34 - S. 227 Z. 7.
134
bibelkritischen Argumentation, mehr aber noch wegen der gro- Der bedeutende Leibnizianer Gottfried Ploucquet konnte seit einem
Een systematischen Konsequenz und Kompositionskraft seiner Schlaganfall im Jahr 1782 keine Vorlesungen halten, hatte aber weiterhin
den Lehrstuhl inne, so da.E nach seinen Thesen wiihrend des Magister-
examens auch die philosophischen Disputationen stattfanden.
135
132 storrs gedruckte Dogmatik erkliirt sich in ihrem Titel Doctrinae chri.stianae 136
Cadi II.
pars theoretica e sacri.s literi.s repetita (Stuttgart 1793) als eine Dogmatik Was aus den Briefen Flatts an Si.iBkind hervorgeht, die sich bei den
~er ersten ~· Storr hat aber alternierend mit dieser auch Vorlesungen Nachkommen der Familie eines Bruders von Si.iBkind erhalten haben
uber Dogmatik vom zweiten Typ gehalten (ebd. Vorrede S. III). (vgl. In Vorfeldern des Idealismus (V 1), S. 830 und Cadi XII. 2).

LXXXVI LXXXVII
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

beiten zum Ziel batten, die wiirttembergische Kirchenlehre zu Unter solchen Umstanden wurde die Krise im Glauben an
stutzen, was zu dieser Zeit mit der Annahme und der Verteidigung die so verstandene christliche Lehre, in die ein junger Theologe
von Storrs Dogmatik. beinahe identisch war. In eben dem Ma!Se, Ieicht geraten konnte, beinahe unmittelbar auch zu einer Ge-
in dem Diez die Konsistenz von Storrs Dogmatik. durchschaute wissensnot, die seinen weiteren Lebensweg ganzlich in Frage
und in dem er Flatts Schriften in deren Dienst gestellt sah, wurde stellte. Diese Not mu!Ste urn so schneidender werden, je weniger
er dahin geftihrt, Storrs Lehre mit ebenso gro!Ser Folgerichtigkeit der Kandidat fi.ir das Pfarramt sein skrupuloses Gewissen mit
zu widersprechen. Das aber bedeutete ftir ihn, Kants Erkennt- Ausdeutungen der Kirchenpraxis und mit Distanzierungen zu
nistheorie, seine Ethik und die mit ihr verbundene Konzeption ihr zu beruhigen imstande war. Es la!St sich auch gut nach-
eines moralischen Glaubens so zu entwickeln, daiS an keiner vollziehen, wie die Tatsache, durch die eigenen Lehrer und
Stelle ein Kompromill mit Storrs Dogmatik auch nur moglicher- das offizielle Kirchenregime des Landes in eine solche Not
weise eingegangen werden konnte. Ein solcher Kompromill wiir- gesto!Sen zu sein, dahin wirken konnte, daiS schlie!Slich auch
de, wie Diez jederzeit absah, dem systematischen Geist dieses die Polemik gegen dieses Regime und seine Trager selbst
Lehrers und seiner Schule Ansatzpunkte zur Polemik gegen scharf und schneidend wurde. Das Verlangen nach Freiheit
Kant und zur Restitution der Kirchenlehre bieten. So hat die im Denken und Sich-Orientieren kam in solcher Polemik in
innere Konsistenz von Storrs Dogmatik mit darauf hingewirkt, Einheit mit dem Verlangen nach der Beruhigung des Gewissens
daiS Diez auch in der Ethik und der Religionstheorie zum selbst- zum Ausdruck. Die Krafte, die so freigesetzt wurden, konnten
denkenden Kantianer geworden ist. dabei dort, wo hohe Begabung in sie einging, fri.ihreife Lei-
DaiS aber Diez Storr mit solcher Leidenschaft entgegentrat, stungen aus sich herausbilden, von denen man vermuten darf,
erklart sich wiederum daraus, daiS Storr seine Aufgabe ganz daiS sie unter anderen Umstanden schwerlich erreicht worden
ernst nahm, Lehrer nicht nur von Gelehrten, sondern der ki.inf- waren.
tigen Pfarrer Wtirttembergs zu sein. Storr entfaltete zwar sein Diez' Begabung, die nicht so brillant wie die der Primi mancher
dogmatisches System in reiner Sachlichkeit vor seinen Zuhorern. Stiftsjahrgange war, hat ihn unter der Last seiner Gewissensnot
Aber er redete ihnen zudem oft auch ins Gewissen. Als Sti- in der theoretischen Philosophie zum Entwurf der Position
pendiaten des Herzogs und als kiinftige Volkslehrer batten sie eines selbstdenkenden Kantianers geftihrt, der zu seiner Ei-
ftir ihn die Pflicht, sein Lehrsystem gri.indlich zu priifen, sich genstandigkeit durch die Kritik von Reinholds System gekom-
dann aber klarzumachen, daiS sie es ehrlicherweise nicht wi.irden men war. In der praktischen Philosophie gelangte er dahin, im
auf sich nehmen konnen, von ihm und damit von der Kir- Gegenzug zu Storrs Theologie einen enragierten Kantianismus
chenlehre auch im Grundsatzlichen abzuweichen und dennoch zu formulieren. Zusammen mit der Theologiekritik, die Teil
eine Anstellung als christlicher Volkslehrer anzustreben und seines theoretischen Konzeptes war, veranlaEte ihn dieser Kan-
anzunehmen. Die Unterschrift unter die Bekenntnisschriften tianismus zur Apostasie nicht nur vom Pfarrerberuf, sondern
der Kirche, die vor jeder festen Anstellung zu leisten war, schlieElich auch von der christlichen Lehre selbst. Da er aber
verstand Storr als Verpflichtung darauf, deren Gehalt in ihrero seine Konzeption und die Kritik der Dogmatik, die aus ihr
eigenen Unterricht zu vertreten, und zwar auf der Grundlage folgte, innerhalb des Ti.ibinger Stifts und in Briefen auch nach
138
des Unterrichts, den sie ihrerseits in ihrem theologischen Stu- auEen mitteilte und zuzeiten wohl auch propagierte, hat er
dium erhalten hatten. 137
138
Vgl. A 1 und zum Briefwechsel mit Gottlieb Jakob Planck C 6 S. 215
137
Vgl. vom Hrsg. Konstellationen (cf. Anm. 51), S. 194f. Z. 17 mit C 6/ 20 und Cadi VIII. 3.

LXXXVIII LXXXIX
Diez zwischen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

bei denen, die seinen Argumenten ausgesetzt waren, wiederum als Diez, seit dem Beginn seiner Studien an den Debatten
die philosophische Selbstverstandigung und die Pri.ifung der teilgenommen, welche die Situation des an Kant anschlieEenden
eigenen Stellung gegeni.iber der christlichen und der storrischen Denkens nach dem Auftreten von Jacobi und von Reinhold
Lehre stimuliert. bestimmt hatten. Dabei wurde er mit den Argumentationsweisen
Nachdem er zum Medizinstudium in Jena eingetroffen war, von Diez und seinen Repetentenkollegen bekannt. So konnte
hatte seine kritische Arbeit an Reinholds Werk noch eine ihrer er sich auf sie beziehen und zugleich a us seiner hohen Begabung
bedeutendsten Wirkungen: Er veranlaEte Reinhold selbst zur heraus nunmehr ein weiteres Mal selbstandige Gedankengange
Preisgabe seines ersten Systems. 139 Damit trug er zugleich zur entwerfen, die schlieElich nach dem Auftreten von Fichte zur
Formierung eines Widerstandes gegen den Typ von Systematik ersten eigenstandigen Aneignung der Wissenschaftslehre ge-
bei, den Reinhold anstrebte, und damit indirekt auch zur schnel- fuhrt haben.
len Reaktion in Jena auf die von Fichte entwickelte neue Form Daraus ergaben sich wiederum Moglichkeiten, auch in der
reinholdischer Elementarphilosophie. 140 Nach der Befreiung aus Religionstheorie zu anderen SchluEfolgerungen zu kommen
seiner Gewissensnot und unter dem Zwang, das Medizinstudium als Diez. Diese Moglichkeiten schlossen eine Verwandlung des
schnell abzuschlieEen, konnte ihn sein philosophisches Inter- Sinnes der Rede von Offenbarung ein, die ihrerseits zur Folge
esse, das weiterbestand, nicht mehr zu selbstandigen Leistungen hatte, daE der Gegensatz gegen die Ti.ibinger Dogmatik nicht
fi.ihren. auch zur Ri.icknahme von Kants Moraltheologie auf ein Minimum
In Tubingen, das er vorerst hinter sich gelassen hatte, trugen und zur Apostasie vom Christentum so unausweichlich fuhrte,
aber sein kantianisierender Angriff auf Dogmatik und Kirchen- wie es fur Diez der Fall gewesen war. 143 Wenn aber auch Schelling
lehre sowie dessen wirkliche und befurchtete Wirkungen unter und seine Freunde dem Glauben, der im sittlichen BewuEtsein
den Studenten wesentlich dazu bei, daE sowohl Flatt als auch seinen Ursprung hat, einen viel weiter ausgreifenden Gehalt
Storr mit auf Kant bezogenen Schriften auftraten. 141 Sie sollten als Diez zusprachen, womit er sich zu einer durchgebildeten
dazu dienen, Kantianismus und Dogmatik ohne jede Reduktion Weltsicht erweiterte, so blieben sie doch in einer Hinsicht von
der letzteren auf die Lehre Kants als mit den kantischen Prin- zentraler Bedeutung mit ihm eines Sinnes: Die Grundzi.ige dieser
zipien v~reinbar zu zeigen. Mit dieser Wendung in der Tubinger Weltsicht mi.issen im von aller Theorie unberii.hrten Selbstbewufitsein
Theolog1e waren Hegel, Holderlin und mehr noch Schelling des Menschen aufgewiesen werden. Sie kann und darf ihm
k~nfrontiert. Auf sie haben aile drei in jeweils anderer Weise also nicht durch eine Allianz zwischen rationaler Argumentation
w1ederum reagieren mi.issen. und als vorgegebene Wahrheit hinzunehmender Lehre aufge-
Schelling kam dabei zuzeiten sehr in die Nahe von Diez' drangt oder abgenotigt sein. Das gilt auch dann noch, wenn
radikaler Religions- und Kirchenkritik. 142 Aber er hatte, anders diese Weltsicht fur Offenbarung in dem von ihnen neu be-
stimmten Sinn aufgeschlossen ist. Storr, Flatt und spater auch
139
Nach Reinholds Bericht an Erhard vom 18. Juni 1792 (vgl. Reorganisation Si.iEkind haben konsequenterweise gegen diese Sinnverschie-
der Ele~entarphilosoph1e (V 4), S. 912£.), textkritisch ediert von Marcelo bung in der Rede von Offenbarung als einer VerfaJschung der
Stamm m Systemlcrise (cf. Anm. 17). christlichen Lehre ihren Protest erhoben. Fi.ir Schelling und
140
Vgl. oben S. LXIV£.
141
seine Freunde war sie dagegen die Voraussetzung daftir, auch
Gadl IX. 3.
142 Am d
. ~utlich~ten in Briifen iiber Dogmatirm.us und Kritizismus, erschienen
m: Phzlosophzsches Journal einer Gesellrchqft Teut.rcher Gelehrten, Bd. 2 1795, 143
H.3 8.177-203; Bd.3 1795, H.3 8.173-239. Gad.I IX. 4, XI. 4 und XVII.

XC XCI
Diez zw1schen Kant und Fichte Der selbstdenkende Kantianer

der christlichen Rede vom Geist, der Freiheit und Leben schafft, kliirt ist, eben das SelbstbewuEtsein eingesetzt, das Leitgedanke
zu einem reinen Ausdruck zu verhelfen. auch derer gewesen ist, die spater Kant und, was die ji.ingeren
So vielgliedrige und zugleich folgenreiche Zusammenhange Tiibinger Studenten betrifft, in gewisser Weise auch Diez gefolgt
wirklich durchsichtig werden zu lassen, kann nicht die Aufgabe sind. Freilich hat er in keiner Weise abgesehen, zu welchen
einer Einleitung in die Edition der Briefe und kantischen Schrif- Einsichten und zugleich in welche Schwierigkeiten die Philo-
ten von Diez sein, die uns erhalten geblieben sind. Sie muE sophie noch gefuhrt werden sollte, die nunmehr auch in Be-
sich darauf beschranken, die Stellung von Diez innerhalb der ziehung auf dieses Prinzip als solches zu einer in jeder Hinsicht
Entwicklung der nachkantischen Philosophic in allgemeinsten deutlichen Verstandigung und Rechenschaft zu gelangen ver-
Umrissen erlautert zu haben. suchte. So war also Diez' Denken und Wirken von Problem-
Diez war nach allem, was wir wissen, der erste, der im feldern umstellt, die zu bebauen iiber seine Krafte ging und
Tiibinger Stift das Programm einer eigenstandigen Theorie die sogar jenseits seines Horizonts lagen. Doch darin unter-
iiber die ersten Griinde aller Philosophic entwarf und der in scheiden sich seine Versuche am Ende nicht grundsatzlich von
unmittelbarem Zusammenhang damit einen Kantianismus in den Werken der GroEeren, die einmal seine Studenten gewesen
der Ethik und der Theorie der Religion entwickelt hat, der sind.
sich der Tendenz der Zeit und auch Kants eigener Verfahrensart
verweigerte, Kantianismus und christliche Religion nach dem
Verstandnis, das ihm selbst als verbindlich gelehrt worden
war, fur vereinbar zu halten. Fiir Diez war das Prinzip, auf
das sich seine Argumentationen in heiden Richtungen ihrer
Ausbildung und Anwendung griindeten, ein und dasselbe. Er
hatte es auch an den Ausgangspunkt seiner Theorie der ersten
Griinde aller Philosophic gestellt, wenn er es auch nicht, so
wie Reinhold und spater Fichte, als das eine Prinzip gebraucht
hatte, aus dem fur sich allein aile philosophischen Begriin-
dungen in einer Ableitungskette herausgezogen werden kon-
nen.144 Dies Prinzip ergab sich ihm aus dem SelbstbewuEtsein
des Menschen von seiner Selbsttatigkeit. In je anderer Weise,
aber mit aufeinander bezogenen Folgerungen, begriindet und
bestimmt dieses SelbstbewuEtsein, was ihm als verniinftig gel-
ten und was er ohne einen Stillstand in seinem Denken und
ohne Not in seinem Gewissen als leitend fur die Fiihrung
seines Lebens anerkennen kann.
Damit hat Diez zu sehr fri.iher Zeit als Prinzip eines Kan-
tianismus, der iiber sein eigenes Verfahren hinreichend aufge-

144
E 2 S. 328 Z. 16ff. und Gad! VI. 2.d und VII. 5.

XCII XCIII
Diez zwischen Kant und Fichte Erkliirung der Arbeitsanteile, Danksagung

Kommentierungsarbeit ftir mehrere Jahre nahezu. Sie wurde


3. wieder vitalisiert, als Anton Friedrich Koch, zunachst als wis-
Erklarung der Arbeitsanteile, Danksagung senschaftliche Hilfskraft, in sie eintrat. Von 1979 an wurde ftir
ihn eine Sachbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft
bewilligt. Zur Zeit von deren Auslaufen war eine Textfassung
In einem Forschungsberichri 45 werden Arbeitsgange erlautert nach den Editionsprinzipien erstellt., und es lag ein Rohkom-
und die Probleme dargelegt., die auf dem Weg zu der Ausgabe mentar zum Textbestand der Gruppen A his C vor. Auch war
zu losen waren oder zuri.ickgestellt werden muEten. An dieser die Suche nach einigen wichtigen Nachlassen ein gutes Stiick
Stelle sollen die Personen und Institutionen genannt werden, vorangebracht worden. Nach meiner Ubersiedlung nach Miin-
die an der Arbeit einen Anteil hatten. chen, wo Anton Friedrich Koch eine fiir Forschung bestimmte
Von den ersten Ansatzen der Ausgabe his zu ihrer Verof- Assistentenstelle erhielt., konnte Pol Schmoetten mit einer Teil-
fentlichung sind vierunddreiEig Jahre vergangen 146 . Wcihrend stelle zur Editionsarbeit hinzutreten. Seine Aufgabe war es, die
dieser Iangen Zeit, in der die Edition immer nur eine Neben- Kommentierung von Diez' Briefberichten aus Jena (Gruppe D)
beschaftigung des Herausgebers war, haben die Mitarbeiter voranzubringen und einen Einleitungstext zum Verstandnis die-
an ihr zweimal gewechselt. Zu keiner Zeit stand fur sie mehr ser Briefgruppe zu erarbeiten. Er schied im Jahr 1985 wieder
als die Stelle eines einzigen Mitarbeiters zur Verfiigung, die aus, nachdem die Grundlagen fur diese Editionsteile erstellt
oft geteilt war und die gelegentlich durch Hilfskraftmittel er- waren. Wahrend der Vorbereitung auf seine Habilitation und
ganzt werden konnte. wahrend seiner Dozentenzeit trat die Diez-Arbeit auch bei An-
Zunachst hat Johann Ludwig Doderlein mit mir zusammen ton Friedrich Koch immer mehr in den Hintergrund. Fiir lan-
die Ausgabe erstellen wollen. Wir haben die ersten Transkrip- gere Zeit hestand noch die schlieElich doch nicht erftillte Hoff-
tionen der Textgruppe A und die ersten Recherchen gemeinsam nung, mit ihm zusammen die Kommentierung zu En de ft.ihren zu
ausgeftihrt. Er hat dann auch mit einem Stipendium der Thyssen- konnen. Abgeschlossen hat er aber die heiden Begleittexte,
Stiftung die Aufgabe der selbstandigen Kommentierung, vor welche die Verstehbarkeit der Texte der Gruppe B sichern sol-
allem der Briefgruppe D, iibernommen, hat zu ihr aber schon len.
allein wegen einer Augenerkrankung doch nur einen ersten Seit 1985 hat das Bayerische Staatsministerium dem Her-
Anfang machen konnen. Wahrend der Jahre der Zusammen- ausgeber ein Forschungsprogramm im Rahmen seines Pro-
arbeit mit ihm hestand in Berlin und dann in Heidelberg eine gramms zur Forderung der ,Spitzenforschung' angeboten und
Arbeitsgruppe interessierter Studenten, die zum Teil als Hilfs- eingeraumt. Sein Ziel war die Aufklarung der Bedingungen
krafte an den Arbeiten mitwirkten und unter denen wegen ungewohnlicher philosophischer Produktivitat an der Univer-
ihrer Beitrage zu Recherchen Hannelore Hegel besonders zu sitat Jena und in einem damit der Genese von Holderlins Phi-
nennen ist. losophieren - also ein historisches Thema, mit dem sich der
Nach dem Ausscheiden von Johann Ludwig Doderlein ( er Herausgeber ebenso lange wie mit der Thbinger Konstellation
schenkte spater dem Herausgeber die ihm gehorenden Briefe beschaftigt hatte. Unterdessen hatte sich aber auch ergeben,
der Gruppe A an Niethammer und den Brief E 6) ruhte die daE Diez am Anfang seines Jenaer Aufenthaltes in die Ausbil-
dung dieser Situation einbezogen gewesen war. Als Mitarbeiter
145
Vgl. In Vorfeldern des Idealismus (V 1), S. 789ff. im Jena-Programm hat es Marcelo Stamm iibernommen, Karl
146
In Hegei-Studien 3 1965, 8.276-287, wurde sie bereits angekiindigt. Leonhard Reinholds Systemkrise innerhalb der Jenaer Kon-

XCIV XCV
Diez zwischen Kant und Fichte Erklii.rung der Arbeitsanteile, Danksagung

stellation zu analysieren und seinen Brief vom 18. Juni 1792 zu dem Holderlinbuch Der Grund im Bewufltsein 149 sein soli.
an Erhard zu kommentieren, in dem Reinhold i.iber Diez' ftir Wahrend dieser Zeit ist der Kommentar gegeni.iber den ersten
ihn selbst so bedeutsame Argumentationen berichtet. 147 Die Fassungen, vor allem durch die Arbeit von Ji.irgen Weyenschops,
Arbeit an der Diez-Edition lief zuniichst separat weiter. Zu durchgangig auf einen weit hoheren Stand gehoben worden.
Anton Friedrich Kochs Untersti.itzung nahm nunmehr Ji.irgen Er hat zudem nach zwei vorausgehenden Kollationierungen
Weyenschops seine Tatigkeit auf. Als 1992 die Untersuchungen die Textrevision gemill den Editionsprinzipien organisiert und
zu Holderlin abge chlossen waren und geplante Arbeiten von in die Druckvorlage i.ibertragen. Marcelo Stamm hat bei der
anderen Mitarbeitern im Jena-Programm nicht zu Ende gefuhrt gesamten Arbeitsplanung der letzten Zeit mitgewirkt und ins-
worden waren, ist der AbschluE der Arbeit an Diez und die besondere die Kommentare zu Reinhold i.iberarbeitet, zu einem
lntegration seiner Position in die Entwicklung der nachkanti- Teil auch neu er tellt. Mit dem Herausgeber ist das Kommen-
schen Philosophie zur Hauptarbeit auch des Jena-Programms tarprogramm wiihrend aller Arbeitsphasen aufgestellt und im-
geworden. Violetta Waibel war nunmehr fur sie, und zwar mit mer wieder durchgearbeitet worden. Der gesamte Kommentar
dem Schwerpunkt auf den Nachweisen von Verwandtschafts- ist zuletzt von ihm weitere Male durchgearbeitet und ergiinzt
beziehungen, angestellt, bis sie im Sommer 1995 austrat. Das worden. Auch die Begleittexte wurden mehrfach durchgear-
beeintriichtigte in der Folge die notwendige letzte Revision beitet und zum Teil weitgehend umgestaltet. Fur die Konsistenz
von Angaben zu Diez' Verwandtschaft, worauf hier leider hin- und VerliiElichkeit der Verweise innerhalb des Kommentars
gewiesen wcrden muK Als Hilfskrafte batten Andrea Schulze hat Ji.irgen Weyenschops die Verantwortung i.ibernommen. Die
und Tobias Rosefeldt an der Erstellung von anderen Nachweisen Richtigkeit der Ermittlung von Lebensdaten und insbesondere
und an ihrer Kontrolle einen Anteil, Christian Klotz als Lehr- Verwandtschaftsbeziehungen wird von Violetta Waibel verant-
stuhlassi tent bei der abschlieEenden Textrevision. Hildegard wortet. Fi.ir aile anderen Aspekte der Edition hat der Heraus-
Randolph in Heidelberg sowie Gertraud Bi.icherl und Ursula geber die Verantwortung zu i.ibernehmen, bei der er freilich
Martin in Mi.inchen haben verliiElich die Erstellung von sehr in vielem von der Verlilllichkeit der Arbeit nicht weniger und
umfangreichen 'I)'poskripten und Dateien besorgt. auch mehrfach wechselnder Mitarbeiter abhiingig ist.
Mit dem allmiihlichen Austritt von Anton Friedrich Koch eben den drei UniYersitaten, ihren philosophischen Semi-
au allen Arbeitsgangen hat Ji.irgen Weyenschops dessen Auf- naren und den erwahnten Stellen, welche zur Ermoglichung der
gabcn ganz ubernommen. Von 1992 an hat sich dann auch Editionsarbeit beigetragen haben, ist sie von sehr vielen Per-
die Arbeit des Herausgebers auf die Diez-Edition und die sonen und Institutionen in der einen oder anderen Weise un-
Ni derschrift der Monographie Grundlegung aus dem Ich 148 kon- tersti.itzt worden. Im Bayerischen Staatsministerium wurde die
zentriert, welche die Edition erganzt und zugleich Gegensti.ick Arbeit insbe ondere von Hans Otto Zimmermann und Klaus Espe
vertreten und ge ti.itzt. In der Verwaltung der Ludwig-Maximi-
147
Vgl. unten . 898ff. lians-Universitiit Mi.inchen hat Bernd Aust ihr in besonders
14
K Da vorab . mitgeteilte Inhaltsverzeichnis dieser Monographic findet sich chwierigen Situationen vor dem AbschluE sehr geholfen. Uber
untcn s. 915 rr. Als in Konstellationen (cf. Anm. 51), S. 9, eine Ubersicht lange Zeit hinweg gaben ihre fachliche Hilfe die Kollegen des
iiber den Publikation plan zur er ten Phase des Jena-Programms gegeben Archivs de Evangelischen Stifts, der Handschriftenabteilung der
wur·dc, war noch die bald durch den Gang der Niederschrift widerlegte
Voraussetznng in Kraft, die Denkver uche von Diez konnten durch eine
Bibliothek und des Archivs der Universitat Ttibingen, des Lan-
Abhandlung lokalisiert und erschlossen werden, die ihren Platz innerhalb
149
de Editionsbandcs selb t findcn wi.irde. Stuttgart 1992, de facto er chienen erst im Februar 1993.

XCVI XCVII
Diez zwischen Kant und Fichte Kurzbiographien

deskirchlichen Archivs und des Holderlin-Archivs der Wtirt-


tembergischen Landesbibliothek in Stuttgart sowie des Deut- 4.
schen Literaturarchivs in Marbach. Auski.infte gab en viele andere Kurzhiographien von
Archive in Wtirttemberg sowie Archive in Jena, Weimar, Gotha, Immanuel Carl Diez, Friedrich Immanuel Niethammer,
Erlangen und an zahlreichen anderen Orten. Neben den reichen Friedrich Gottlieb Siillkind und Johann Benjamin Erhard
Bestanden der Bayerischen Staatsbibliothek konnten besonders
die alten Bestande der Universitatsbibliothek der Mi.inchner
Ludwig-Maximilians-Universitat unter von ihr sehr gro.Bzi.igig Immanuel Carl Diez 150
eingeraumten Bedingungen benutzt werden. Martin Brecht, Mi-
chael Franz, Ulrich Joost und Volker Wahl haben ein Revisions- 8. April 1766 Geboren in Stuttgart als Sohn des herzoglichen
exemplar des Kommentars durchgesehen und fUr den Bereich Hofarztes Carl Philipp Diez und seiner Frau
ihrer Fachkompetenz Erganzungen und Verbesserungen vorge- Maria Augusta, geb. Bilfinger
schlagen. Einige von ihnen, aber ebenso auch Hermann Ehmer, 1767 Der Vater wird Stadt- und Amtsarzt ftir die
Eugen Neuscheler, Friedrich Seck und andere haben wahrend Amter Ti.ibingen und Bebenhausen, seit 1768
vieler Jahre wichtige Auski.infte gegeben und Vorschlage ge- ist er au.Berordentlicher, seit 1796 ordentlicher
macht. Aus dem Familienbesitz der Nachkommen von Diez, SuE- Professor in der medizinischen Fakultat
kind und C. A. Klett, G. C. Storr und F. I. Niethammer wurden
Kenntnisse und i.iberkommene Nachla.Bteile zuganglich gemacht 1780 Nach Besuch der Lateinschule und Privatun-
Als Helfer seien insbesondere erwiihnt: Eberhard Bechstein, Dieter terricht in Tiibingen Eintritt in die Kloster-
und Klaus Doderlein, die Familie Baron von Haniel-Niethammer, schule Bebenhausen
Sixt Hau.Bmann, Auguste Schimpf und llse von Waldenfels. (MTi.i am 29. 10. 1780)
Den Mitarbeitern, den Forderern und den Helfern der Aus- 1783 Eintritt in das Ti.ibinger Stift, loziert als Dritter
gabe sage ich auch an dieser Stelle meinen bleibenden Dank seines Jahrgangs
fi.ir ihre Beitrage zum Gelingen der Arbeit. Ein besonderer
1785 Magisterexamen
Dank gilt Marcelo Stamm und Ji.irgen Weyenschops. Nach vielen
Verzogerungen und manchen kritischen Situationen auf dem 1786 Besuch bei Johann Jacob Hess in Zi.irich
langen Weg der Ausgabe haben sie mit ihrem personlichen 1788 Konsistorialexamen, Vikar in Neuenhaus
Einsatz und in einer harmonischen Zusammenarbeit mit mir
dahin gewirkt, da.B die oftmals begri.indete Furcht, das Unter- 1789 Vikar in Bebenhausen, lebt wieder im Ti.ibinger
nehmen mi.isse ein Torso bleiben, sich doch nicht bewahrheitet Stift, Beginn der Studien von Kant und Rein-
hat. Schlie.Blich sei auch Volker Schafer besonders gedankt. In hold
der Revisionsphase der Ausgabe hat er an ihr als ganzer ein 1790 Reise nach Augsburg und Mi.inchen
aktives Interesse genommen und vieles zu ihrer Verbesserung
beigetragen. 22. Okt. 1790 Mit einem neuerlichen Konsistorialexamen ist

150
Mi.inchen, im August 1996 Vgl. die in Gadi X. 1-3 enthaltene Biographie und die Darlegungen zu
Dieter Henrich seinem Bildungsgang, ebd. III.

XCVIII IC
Diez zwischen Kant und Fichte Kurzbiographien

die Ernennung zum Repetenten im Tiibinger Friedrich Immanuel Niethammer 151


Stift abgeschlossen
Friihjahr 1791 Aufsatze gegen Reinhold und die Tiibinger 26. Marz 1766 Geboren in Beilstein in Wurttemberg als Sohn
Theologie des Diakons (spateren Stadtpfarrers) Johann
Projekt einer eigenen Theorie der ersten Griin- Elias Niethammer und seiner ersten Ehefrau
de aller Philosophie Eleonore Elisabeth Dorner

Herbst 1791 AbschliefSende Reinholdstudien im Schwarz- 1780 Niedere Klosterschule in Denkendorf


wald, BeschlufS zum Abschied von der Theo- 1782 Niedere Klosterschule in Maulbronn
logie
1784 Eintritt in das Tubinger Stift
27. April 1792 Immatrikulation zum Medizinstudium in Jena,
1786 Magisterexamen
in Schillers Tischgesellschaft
1789 Konsistorialexamen, bleibt als Senior im Tu-
Sommer 1792 Bewirkt Reinholds Systemkrise, Opponent in
binger Stift, Privatunterricht inner- und aufSer-
Forbergs Disputation fur die venia legendi halb des Stifts
1793 Erste medizinische Veroffentlichung Uber die April 1790 Mit Familienstipendium ( spater mit Stipendium
Methode der Arzneimittellehre aus dem Kirchenfonds) Studium bei Reinhold
1794 Aufenthalte in Bamberg und Wurzburg, Riick- in Jena, im Herbst Reise nach Gottingen
kehr nach Tiibingen April/ Hauslehrer bei Buchhandler und Verleger Et-
21. Okt. 1794 Promotion zum Dr. med., dabei zugleich Erhalt Dezember 1791 tinger in Gotha, Arbeiten und Rezensionen fiir
der venia legendi die Gothaischen Gelehrten Zeitungen
1794/95 Vorlesungen in Tiibingen, Spitalarzt beim Vater 1792 Wieder in Jena, Arbeiten fur Schiller und die
Allgemeine Literatur-Zeitung
Oktober 1795 Reise nach Wien zur Fortsetzung der Ausbil-
dung als Arzt am Allgemeinen Krankenhaus August 1792 Verteidigung der zweiteiligen Disputations-
schrift De vero revelationis jundamento fur die
1. Juni 1796 Gestorben in Wien
venia legendi und das Amt eines Adjunkten
der Philosophischen Fakuldit

151
Neben den biographischen und bibliographischen Nachschlagewerken vgl.
Julius Di:iderlein, Unsere Vliter. Kirchenrat Christo/ Doderlein, Oberconsisto-
rialratlmmanuel von Niethammer undHofrat Ludwig von Doderlein, Erlangen,
Leipzig 1891; Niethammers Selbstbiographie bis zum Jahr 1797 in De
persua.rione (cf. Anm. 122) ohne Seitenzahlen am Schlu~ des Bandes; Mi-
chael Schwarzmaier, Friedrich Immanuel Niethamme1; ein bayerischer Schul-
n!fomzator, Mi.inchen 1937, und Cadi Xl.1-4.

c Cl
Diez zwischen Kant und Fichte Kurzbiographien

1793 AuEerordentlicher Professor in Jena Friedrich Gottlieb SiiEkind 152


Dezember 1793 Aufenthalt bei Baron von Herbert in Klagenfurt
17. Febr. 1767 Geboren in Neuenstadt am Kocher als Sohn
Mai 1794 Ri.ickkehr nach Jena des Diakons Johann Gottlieb Si.iEkind und von
Mai 1795 Erstes Sti.ick des von ihm begri.indeten Philo- Johanne Regine, geb. ReuE, einer Enkelin Jo-
sophischen Journal hann Albrecht Bengels

1797 AuEerordentlicher Professor der Theologie in 1772 Nach dem Tod des Vaters in Stuttgart im Haus
Jena, Ehe mit Rosine Eleonore von Eckardt, des Leibarztes Albrecht Reichardt ReuE, des
verwitwete Doderlein GroEvaters mi.itterlicherseits, einem Zentrum
des Stuttgarter Pietismus, Besuch des Stutt-
1798 Verwicklung in den ,Atheismusstreit' urn Fichte garter Gymnasiums, Privatunterricht durch den
1804 Ordentlicher Professor der Theologie in Wurz- Konsistorialrat Karl Heinrich Rieger, einen
burg Freund der pietistischen Familie

1806 Konsistorial- und Schulrat des bayerischen 1783 Eintritt in das Thbinger Stift, haufige Besuche
Mainkreises in Bamberg bei Gottlob Christian Storr, dessen Frau seine
Tante ist
1807 Oberstudien- und Oberschulrat im Ministeri-
um des Innern in Mi.inchen, verantwortlich fl.ir 1785 Magisterexamen
die Reform der Gymnasien 1788 Konsistorialexamen, Vikar in DuElingen
1808 AuEerordentliches, 1822 ordentliches Mitglied 1790/ 91 Gelehrte Reise, Aufenthalt in Gottingen
der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
ab Juli 1791 Repetent im Thbinger Stift
1809 Oberkirchenrat im Ministerium des Innern
1794 Erste Veroffentlichung (innerhalb seiner Uber-
1818 Rat im protestantischen Oberkonsistorium setzung einer Disputationsschrift von Storr) Be-
Bayerns merkungen uber den aus Principien derpraktischen
Vernuift hergeleiteten Ueberzeugungsgrund von
1826 Entlassung aus dem Amt des Oberstudienrats
der Mi/glichkeit und Wirklichkeit einer Offenba-
1845 Ende der Tatigkeit im Oberkonsistorium rung in Beziehung aufFichte ~ Versuch einer Critik
1. April 1848 Gestorben in Mi.inchen aller Offenbarung, Beginn der Tatigkeit als Re-

152
Neben den i.iblichen biographischen und bibliographischen Nachschla-
gewerken vgl. Zum Andenken an Friedrich Gottlieb von Si!flkind, Stuttgart
1829 in der Buchdruckerei des Schwiiliischen Merkurs, und Gad.I VIII. 2
und XII. 1-4.

CIJ CIII
Diez zwischen Kant und Fichte Kurzbiographien

zensent u. a. fur die Tiibingischen Gelehrten An- Johann Benjamin Erhard 153
zezgen
Vikar in Stuttgart 8. Febr. 1766 Geboren in Niirnberg als Sohn emes Nurn-
berger Handwerkerehepaars
1795 Diakon in Drach, ( erste) Ehe mit Friederike
Luise Volz 1776/ 77 Besuch der Lateinschule, abgebrochen
1798 Vierter Professor der Theologie in Tiibingen, 1777/78 Arbeit als Drahtzieher und Graveur im Betrieb
Mit-lnspektor des Tiibinger Stifts des Vaters, gelegentlich einiger Privatunter-
richt, aber iiberwiegend universal angelegtes
1804 Dritter Professor der Theologie, zweiter Super-
Selbststudium
attendent des Ttibinger Stifts
seit 1786 Nach vorausgehendem Studium von Wolff, Spi-
1805 Oberhofprediger und Konsistorialrat sowie noza und Lambert Lektiire von Kants Werken,
Oberstudienrat in Stuttgart, als Konsistorialrat ,gliickliche Tage meines Lebens" bei der Lek-
beauftragt mit der Ausarbeitung einer neuen tiire der Kritik der praktischen Vernunft
Liturgie
1788/90 Studium der Medizin in Wtirzburg
1814 Direktor des Studienrates, damit verantwortlich
fiir das gesamte wiirttembergische Schulwesen Winter 1790/ 91 Mit Unterstiitzung des Vaters der Braut Auf-
enthalt in Jena bei Reinhold. Erste Veroffent-
12. Nov. 1829 Gestorben in Stuttgart lichung im Rahmen von Reinholds Schrift
Uber das Fundament des philosophischen Wissens.
Freundschaft mit Niethammer, Schiller, Fried-
rich von Hardenberg, Baron Franz von Paula
von Herbert u. a.
1791/92 Auf Reisen, zunachst i.iber Hamburg und Ko-
penhagen zu Kant in Konigsberg, Beginn der
Distanzierung von Reinholds Theorie, zuriick
iiber Jena nach Klagenfurt zu Baron von Her-
bert, mit ihm durch Norditalien, zuriick nach
Niirnberg
1792 Erhards philosophisches Nachdenken fiihrt zu
153
Neb en den biographischen und bibliographischen Nachschlagewerken vgl.
Karl August Varnhagen von Ense, Denkwii:rdigkeiten des Philosophen und
Arztes]ohannBenjaminErhard, Stuttgart, Ttibingen 1830; Helmut G. Haasis
in J B. Erhard, tiber das Recht des Volkes zu einer Revolution, Mi.inchen
1970, S. 203 -241; Alain Perrinjaquet, Du droit du peuple ajaire la 7Yfuolution,
Lausanne 1993, und Gadl XIII.

CIV
cv
Diez zwischen Kant und Fichte

einer selbstandigen Begriindung der Methode II.


der Transzendentalphilosophie als Analysis.
Hinweise auf diese Position in Briefen an Rein- Erlauterungen zur Ausgabe
hold, der Erhard iiber die Bedeutung der Ar-
gumente von Diez ftir die Neuformulierung
seiner eigenen Elementarphilosophie berichtet.
Medizinische Promotion in Altdorf mit der Dis-
sertation Idea organi medici, Heirat
1792/ 97 Praktizierender Arzt und vielgestaltige Tatig-
keit als Schriftsteller und Herausgeber eines
Journals in Niirnberg
1794 Anwerbung durch einen Betriiger in amerika-
nische Dienste, Reise zu Baron von Herbert
und mit ihm durch Oberitalien nach Zurich,
Besuch einiger der letzten Vorlesungsstunden
von Fichtes erster Vorlesungsreihe iiber die
Wissenschaftslehre, Streitgesprache mit Fichte,
Ruckreise nach Niirnberg, Briefe an Nietham-
mer und Schiller iiber und gegen Fichte
1797 Anstellung durch den preuEischen Minister von
Hardenberg in Ansbach fur staatsrechtliche Ar-
beiten
1799 Umzug nach Berlin und Besuch der dortigen
medizinischen Kurse
1800/ 27 Erfolgreiche Praxis in Berlin
1822 Obermedizinalrat
28. Nov. 1827 Gestorben in Berlin

CVJ
Prinzipien der Edition

1.
Prinzipien der Edition

a. Grundlegendes

Die theoretischen Schriften von Diez und die Briefe von Diez
und Si.iKkind werden in einer textkritischen Ausgabe vorgelegt,
deren Prinzipien sich an den Grundsatzen heutiger Studien-
ausgaben orientieren. Der Aufwand einer historisch-kritischen
Ausgabe, wie er ftir Klassiker auch der Philosophie inzwischen
selbstverstandlich geworden ist, ware angesichts der Tatsache
nicht zu rechtfertigen, daK die Bedeutung von Diez' Texten
zumindest ebenso in dem historischen Kontext, in dem sie
entstanden, wie in ihnen selbst gelegen ist. Anstelle einer di-
plomatisch-getreuen Wiedergabe der zu edierenden Texte steht
also hier eine nach Gesichtspunkten der Lesbarkeit behutsam
modernisierte Fassung, die dabei doch das Ziel hat, in Laut-
und Formenstand sowie Rhythmus so wenig wie moglich ein-
zugreifen. Resultat ist somit ein allen Forschungszwecken ge-
ni.igender Text, der in Verbindung mit einem dem Umfang
nach begrenzten Apparat samtliche Daten liefert, die bei der
Interpretation der Schriften und Briefe eine Bedeutung erlangen
konnen, und der zugleich die Historizitat der Originale weit-
gehend bewahrt. Nach dieser MaKgabe wurden folgende Regeln
entwickelt und in Anwendung gebracht.

b. Textgenese

1) Die i.iberkommenen Briefe liegen aile im Original vor, so


daK die Ausgabe insoweit auf einen einheitlichen Fundus zu-
ri.ickgreifen kann. Demgegeni.iber sind die theoretischen Schrif-
ten durch verschiedene Textzeugen i.iberliefert. Wahrend die
Schrift B 1 in einem Manuskript aus der Hand von Diez, die
Schriften B 3 und B 4 nur in von einem unbekannten Abschreiber

CIX
Erlauterungen zur Ausgabe Prinzipien der Edition

angefertigten Fassungen vorliegen, existieren ft.ir die Schrift in FuEnoten angemerkt. Gleiches gilt ft.ir die Relativpronomina
B 2 zwei Textzeugen, einer aus der Feder von Diez und ein ,das" und ,was".
zweiter aus der Feder des Abschreibers, wobei die Version des
Abschreibers neben geringftigigen orthographischen und sti- 4) In den vereinzelten Fallen offenkundiger Verschreibungen
listischen Eigentiimlichkeiten auch inhaltliche Abweichungen werden Wortstamm oder grammatische Form korrigiert und
aufweist, die moglicherweise darauf schlieEen lassen, daB es der Originalwortlaut in einer FuEnote angemerkt.
sich urn die Abschrift einer spateren Fassung handelt. Aile
Abschriften sind mit Korrekturen, Streichungen sowie Ergan-
zungen a us der Hand von Diez versehen, so daB sie als autorisiert d. Darstellungs- und Gestaltungsprinzipien
gelten konnen. Fiir B 1, B 3, B 4 folgt die Ausgabe jeweils dem
Wortlaut der einzigen Textzeugen. Irn Fall von B 2 folgt die 5) Absatze werden gemaE dem Original wiedergegeben. Irn
Wiedergabe dem Originalentwurf von Diez. Treten in der Ab- Original finden sich jedoch, wie oft in der Zeit, deutlich und
schrift Abweichungen des Wortlautes auf, die nicht im Text offenbar bewuEt unterschiedene groEere und kleinere Wort-
selbst wiedergegeben werden konnen, so werden die entsprechen- zwischenraume zwischen einem Satzende und dem darauf fol-
den Passagen des Originalentwurfes durch Kapitalchen markiert genden Satzanfang, die Gliederungsfunktion haben. Solche
und der abweichende Wortlaut der Abschrift wird, ebenfalls groEeren Abstande werden als Absatze, die kleineren Abstande
in Kapitalchen gesetzt, im Apparat wiedergegeben. als lange Gedankenstriche wiedergegeben.

6) Zusatze im Original werden unabhangig davon, wo sie auf


c. Orthographie, Zeichensetzung und Flexionsformen dem Blatt auftreten (z. B. iiber der Textzeile oder am Rand),
durch spitze Klammern gekennzeichnet. In den Schriften von
2) Orthographie und Zeichensetzung werden unter Wahrung Diez kommen Zusatze von verschiedener Hand vor. Insoweit
des Lautstandes und des Rhythmus stillschweigend gemaE den ihre Urheber eindeutig identifizierbar sind, werden diese durch
Regeln des Duden modernisiert. Worter und andere Textteile hochgestellte GroEbuchstaben nach der SchlieEung der spitzen
in Fremdsprachen sowie vom Verfasser vermutlich als fremd- Klammern ausgewiesen: ,0" fur Diez im Original, ,S" fur Ab-
sprachliche Ausdriicke gemeinte Worter und Textteile werden schreiber im Original, ,D" fur Diez in der Abschrift und ~"
i~ entsprechender Weise behandelt. Dagegen bleiben gelegent- fiir Abschreiber in der Abschrift (vgl. Regel 1).
hch auftretende Wortbildungen, die aus Wortstamm und Flexion
verschiedener Sprachen zusammengesetzt sind, als solche un- 7) Streichungen im Original, soweit sie von sachlichem Interesse
verandert bestehen. sein konnen und deren Wortlaut noch lesbar ist, werden im
Apparat nach ,gestr." angemerkt. In den Schriften werden samt-
3) Historische Wort- und Flexionsformen bleiben grundsatzlich liche Streichungen angemerkt, soweit dies moglich ist, unter
erhalten. Nur in den seltenen Fallen, in welchen solche Fle- Angabe der Urheber dieser Streichungen.
xionsformen erhebliche Verstandnisschwierigkeiten des Textes
nach sich ziehen konnten, werden diese modernisiert. - Werden 8) Liicken im Textbestand, etwa infolge von Unlesbarkeit oder
im Original die Konjunktionen , dann" und ,wann" im Sinne von Beschadigungen des Papiers, werden durch drei Punkte
von ,denn" und ,wenn" bzw. umgekehrt verwendet, so ist dies in eckigen Klammern angezeigt und im Apparat beschrieben.

ex CXI
Erlauterungen zur Ausgabe Prinzipien der Edition

9) Unsichere Textbestande werden im Apparat mit Fragezeichen 14) Einfache Unterstreichungen im Original werden in der
wiederholt, alternative Lesarten nach ,Var.:" angegeben. Ausgabe durch einfachen Kursivsatz, doppelte Unterstreichun-
gen durch gesperrten Kursivsatz wiedergegeben. Sperrungen
10) Erganzungen durch den Herausgeber, vor allem von Worten im Original, soweit diese in den von einer unbekannten Schrei-
oder Wortbestandteilen, aus Grunden der Semantik werden berhand verfertigten Kopien der Schriften B 2-4 auftreten
mit Ausnahme der Auflosung von Abkurzungen (vgl. Regel und dort offenkundig eine Entsprechung zu Diez' Unterstrei-
11) mittels eckiger Klamm ern angezeigt. chungen in der Vorlage darstellen, werden in der Wiedergabe
wie diese kursiviert. Neben solchen Originalsperrungen zusatz-
11) Kurzel und Abkurzungen, insbesondere solche, die fur lich auftretende Unterstreichungen werden durch hochgestellte
Personen-, Orts- oder sonstige Namen, auch fur akademische ,u" markiert, so da:B sich folgendes Schriftbild ergeben kann
und andere Titel, fur Literaturtitel oder Wahrungs- und MaE- (Beispiel: 0 zusiitzliche Unterstreichun!f). Fur die Faile, in welchen
angaben stehen, werden stillschweigend in ganze Worte auf- sich solche Unterstreichungen Diez bzw. der unbekannten
gelost, unangesehen dessen, daE damit lnformationen uber Schreiberhand zuordnen lassen, wird dies in Fu:Bnoten ange-
den Abkurzungsgebrauch der Schreiber verlorengehen konnen. merkt.
Von dieser Praxis ausgenommen sind auch heute noch ge-
brauchliche Abkurzungen wie beispielsweise ,etc." oder ,usw.", 15) Vom Herausgeber gestrichene Textteile (z. B. Dittographien)
Unterschriftskurzel und die Bucher der Bibel. Abgekurzte Da- werden im Apparat wiedergegeben.
tierungen der Briefe werden in eine fur aile Briefe einheitliche
Form gebracht. Nicht vollig eindeutige, aber wahrscheinliche 16) Die Originalpaginierung wird im Text an der Stelle des
Auflosungen werden in eckigen Klammern wiedergegeben. Seitenumbruchs durch einen senkrechten Strich markiert, der
Zweifelhafte Auflosungen werden in einer Fu:Bnote und mit am Rand kursiv mit der alten und der neuen Seitenzahl wie-
einem Fragezeichen versehen wiederholt. derholt wird. 1m Faile der Schrift B 2, die in zwei Versionen
vorliegt, werden am Rand die senkrechten Striche mit einem
12) Zahlen von eins his zwolf innerhalb des fortlaufenden hochgestellen 0 fur Original bzw. A fur Abschrift versehen.
Textes, ebenso Ordinalzahlen werden ausgeschrieben. Davon
konnen numerische Angaben innerhalb von Tab ellen und Uber- 17) Die Anordnung von Datierungen, Unterschriften und Zu-
sichten, wie etwa Wahrungsangaben, ausgenommen sein. satzen des jeweiligen Schreibers w:~rd in Anbetracht dessen,
da:B jeder Text mit einer eigenen Uberschrift und Datierung
13) Geographische Bezeichnungen (Namen von Orten, Flussen, eingeleitet wird, in etwa dem Original angenahert.
Territorien etc.) werden, urn die Orte eindeutig identifizierbar
zu machen, in der heute gebrauchlichen Schreibweise wieder- 18) Die Wiedergabe von Uberschriften sowie von Textpassagen,
gegeben. Von in der Zeit ublichen Schreibweisen von Perso- die durch Einruckung als Haupt- und Leitsatze hervorgehoben
nennamen abweichende Fassungen dieser Namen werden in sind, wird dem Original angenahert.
ein.e in der Zeit ubliche und zur Identifikation geeignete Schreib-
weise gebracht. Abweichungen des Originaltextes werden in
heiden Fallen im Apparat nach ,Orig.:" vermerkt.

CXII CXIII
Erliiuterungen zur Ausgabe Prinzipien der Kommentierung

Hier finden sich auch Kurzbiographien von Diez sowie von


2. Friedrich Immanuel Niethammer, Friedrich Gottlieb SiiEkind
Prinzipien der Kommentierung und Johann Benjamin Erhard. Dem Bericht iiber die Uberlie-
ferung von Diez' Manuskripten (y 2) ist als Anhang eine Uber-
sicht iiber die Personen beigegeben, die fur das Verstandnis
a. Grundlegendes des Erbganges von Diez von Bedeutung sind.
Vor der Kommentierung eines jeden Textes folgt eine kurze
Erste Aufgabe des Kommentars ist es, dem Leser durch Sach- Manuskriptbeschreibung des Originals. Die Notation des Kom-
und Worterklarungen, gegebenenfalls auch Ubersetzungen, mentars eines Briefes oder einer Schrift beginnt stets mit der
durch Zitatnachweise und durch Aufzeigen der Parallelstellen Ziffer 1.
innerhalb des Textes das Verstandnis der Schriften und Briefe
von und an Diez teils zu erleichtern, teils allererst zu ermogli-
chen. Dari.iber hinaus werden personen-, ereignis- und theorie- b. Themen des Kommentars
geschichtliche Zusammenhange so aufgewiesen und erlautert,
daE in Verbindung mit der Monographie des Herausgebers 1) Aile, auch nicht namentlich genannte Person en, die in die
Grundlegung aus dem lch die Lebens- und Gedankenwege von Lebens- und Studienkontexte von Thbingen, Jena und Got-
Diez fur den Leser i.ibersichtlich werden konnen. Die Verhalt- tingen gehoren, werden kommentiert. Von der Kommentierung
nisse, aus denen heraus die Briefe und Schriften handeln, ge- nicht beri.icksichtigt werden solche Personen, die in einem ganz-
horen zu Lebensbereichen ganz unterschiedlicher Art. Sie sind lich kontingenten Zusammenhang zu den Briefautoren bzw.
ebensosehr Thema fur die Kultur- und Geistesgeschichte, die -empfangern und ihren jeweiligen Lebensverhaltnissen stehen,
Philosophie- und die Theologiegeschichte, die Medizingeschich- so in den Berichten i.iber Reisen am Rande erwahnte Personen.
te wie fur die allgemeine Ereignis- und die Lokalgeschichte sowie
die Familiengeschichte und die Genealogie, urn nur die wichti- 2) Tatsachen der Ereignisgeschichte auf lokaler wie auf i.iber-
geren Forschungsgebiete zu nennen. Die Nachweise, die auf allen regionaler Ebene werden erlautert, soweit sie zum Verstandnis
diesen Gebieten zu geben waren, konnten zur Verstehbarkeit der Briefe beitragen konnen.
des Textes nur bei verschieden groEem Aufwand und Umfang
fiihren. Sie werden dann abgebrochen, wenn diese Verstehbar- 3) Theoriegeschichtliche Zusammenhange werden mit Verwei-
~eit gesiche~ scheint und wenn es auEerdem moglich geworden sen auf die zeitgenossische Literatur erlautert.
1st, daE we1ter ausgreifende Forschungsinteressen an die er-
brachten Nachweisresultate ankni.ipfen konnen. Enthalt der Kom- 4) Fremdsprachliche, dialektale und idiomatische Satze und
mentar Passagen, die von untergeordneter Bedeutung sind, so Ausdriicke in Text und Kommentar werden iibersetzt, soweit
sind sie urn der Erleichterung der Ubersicht willen in Petit gesetzt. ein eindeutiges Verstandnis derselben nicht ganz allgemein
Fi.ir einige Problemzusammenhange, wie etwa die kirchen- vorausgesetzt werden kann oder aber auf eine spezifische Be-
un.d the?logiekritischen Schriften der Gruppe B als auch die deutung ausdriicklich hingewiesen werden soli.
Bnefbenchte aus Jena in der Gruppe D, konnen neben dem
Kommentar auch die in den Abteilungen I und VI versammelten 5) War ein nach den vorangegangenen Prinzipien erforderlicher
Einleitungs- und Begleittexte weiteren AufschluE vermitteln. Nachweis nicht moglich, wird dies ausdriicklich angemerkt.

CXIV cxv
Erliiuterungen zur Ausgabe Prinzipien der Kommentierung

c. Modalitaten der Kommentierung xika entnommen sind, werden nicht eigens ausgewiesen. Haufig
verwendete Literatur wird in Siglen angegeben 1• Andere mehr-
6) Die Personen- und Sachkommentare sind im Stile von Kurz- fach zitierte Literatur erscheint nur bei ihrer ersten oder der
biographien und -charakteristiken gehalten. Sie bemiihen sich Stelle ihrer wichtigsten Nennung mit ihrem vollen Titel, an
jeweils urn so mehr urn Ausftihrlichkeit, je weniger die Personen den iibrigen Stellen werden Kurztitel mit Verweisen auf diese
und die Sachverhalte als allgemein bekannt vorausgesetzt wer- Hauptnennung angegeben.
den konnen. Dabei ist besondere Aufmerksamkeit auf die Tti-
binger und Jenaer Lebensverhiiltnisse, Konstellationen und De- 10) Handschriftliche Quellen und Autographen werden, soweit
batten gerichtet. Aber auch auf die Gottinger Verhiiltnisse wird allgemein verbreitete und verla.Bliche Abdrucke vorliegen, nach
dann etwas niiher eingegangen, wenn sie mit Thbingen oder diesen, ansonsten nach dem Original zitiert. In der Textwie-
Jena im Zusammenhang stehen. dergabe der gedruckten Literatur und handschriftlicher Quellen
folgt der Kommentar, abweichend von dem bei der Edition
7) Ein Hauptakzent in der Kommentierung von Personen wurde der Texte eingeschlagenen Weg, buchstabengetreu dem Original-
darauf gelegt, die wichtigsten Stationen eines Lebensweges wortlaut. Alle Arten von Hervorhebung in der Vorlage werden
und/ oder einer theoretischen Entwicklung bis in die Zeit nach- unterschiedslos durch Kursivdruck wiedergegeben, ebenso Her-
zuzeichnen, zu der die hier publizierten Texte geschrieben vorhebungen des Herausgebers, die jedoch als solche angemerkt
wurden, urn auf diese Weise mogliche Perspektiven zu rekon- werden. Auslassungen und Ergiinzungen des Herausgebers in-
struieren, welche die Briefautoren und -empfanger vor Augen nerhalb von Zitaten sind durch eckige Klammem gekennzeichnet.
hatten. Der weitere Lebensgang und spiitere Werke und Lei-
stungen der kommentierten Personen frnden nur in dem M:ille 11) Die Abwiigungen, die aufgrund von inhaltlichen Abwei-
Beriicksichtigung, wie durch sie ihr Profll eine charakteristische chungen der Quellen untereinander, insbesondere was Namens-
Auspriigung erhiilt oder aber aus den spiiteren Lebenszeug- schreibweisen und Lebensdaten anlangt, erforderlich werden
nissen Riickschliisse auf die Zeit der Briefwechsel moglich wer- konnen, werden nicht ausdriicklich angemerkt.
den. Nachla.Bforschungen wurden nur dann angestellt, wenn
Aussicht hestand, eine Korrespondenz mit Diez, Niethammer 12) Auf Angaben und Nachweise zum Mi.inz- und Geldwesen
oder Sii.Bkind aufzufmden oder nachzuweisen. Ihre Ergebnisse der Zeit wird wegen des Fehlens verla.Blicher Umrechnungs-
werden in den Kommentar einbezogen. tabellen verzichtet. 2

8) Auf die allgemeine Forschungsliteratur wird nur in besonders


begriindeten Fallen verwiesen. Auch wurde nur dann versucht, d. Lokalisation der Kommentare
Akten und sonstige Archivalien an mehr als einem Uberliefe-
rungsort aufzufinden und nachzuweisen, wenn davon weitere 13) Die Kommentierung personen- wie sachbezogener Zusam-
inhaltliche Aufschli.isse zu erwarten waren. menhiinge erfolgt in der Regel an einer Hauptstelle, die nicht

9) Nachweise, die dem Deutschen Biographischen Archiv und 1


Vgl. das Ahkiirzungs- und Siglenverzeichnis (ll4).
2
dem Deutschen Biographischen Archiv (Neue Folge) sowie den Fiir Diez' Briefe aus Jena konnen aber hilfsweise die Miinztabellen im
heute allgemein verftigbaren Standardworterbi.ichern und -le- Anhang von GAS Bd. 3 S. 479 f. herangezogen werden.

CXVI CXVII
Erliiuterungen zur Ausgabe !cinerarium

immer mit dem ersten Auftreten im Text identisch sein muK


Im Faile von Personenkommentaren sind diese Haupteintrage 3.
an dem Nachweis der Lebensdaten erkennbar. Die Kommen- Itinerarium zu deutungshediirftigen AuBerungen
tierung kann durch umfassende Ausfuhrungen an der betref- iiher philosophische Grundfragen
fenden Stelle oder durch Verweisungen in Gestalt von expliziten
Einzelverweisen oder aber von Generalverweisen auf den Per-
sonenindex ( vgl. Regel 14) geschehen. Die Kommentarziffern In der Uberlieferungsgeschichte der Diez-Texte, die im Besitz
werden im Text unmittelbar nach dem zu kommentierenden der Tiibinger Universitatsbibliothek sind, wird eine Erklarung
Stichwort gesetzt. Treten sie nach einem Satzende auf, so be- dafur erwogen, warum Diez' philosophische Niederschriften
ziehen sie sich auf eben diesen Satz bzw. die vorangegangenen nicht erhalten blieben 3 : Friedrich August Kliipfel, Diez' Vetter
Satze als Ganzes. und der Mann seiner Schwester, die als einzige der Geschwister
beim Tod der Eltern noch lebte, hatte wahrscheinlich ein groEe-
res Interesse an Texten, in denen die theologischen Grundfragen
e. Verweistechnik seiner Generation ausgetragen wurden. Jedenfalls sind uns rein
philosophische Texte, an denen Diez gearbeitet hat, nicht iiber-
14) Innerhalb des Kommentars wird haufig auf andere Text- liefert. Daraus folgt, daB Diez' Erwagungen zu philosophischen
stellen oder zusatzlich zu beriicksichtigende Kommentaran- Grundfragen mit ziemlich groEem Aufwand aufgrund von An-
merkungen verwiesen. Dies geschieht durch Angabe der Brief- deutungen innerhalb der Briefe an Niethammer und von SuE-
bzw. Schriftennummer und der entsprechenden Seitenzahl bzw. kind rekonstruiert werden miissen. Das geschieht im ersten
Kommentarziffer (z. B. ,vgl. A 7 S. 60' oder ,vgl. A 7/ 23'). Bei Buch der Monographie Grundlegung aus dem lch. Doch soil es
Personenkommentaren kann der Personenindex Hinweise auf auch innerhalb der Ausgabe von Diez' Autographen etwas Ieich-
weitere Kommentarstellen zur betreffenden Person enthalten. ter gemacht sein, wichtige AuEerungen von Diez gesammelt
In den Fallen, in denen an anderer Stelle wichtige allgemeine vor Augen zu bekommen, die auf seine Arbeit an Grundle-
Informationen zur Person gegeben werden, ist der Verweis auf gungsfragen der Philosophie hinweisen.
den Personenindex auch durch einen dem Namen nachgestellten
Pfeil in Klamm ern ,(? )" besonders hervorgehoben. An folgenden Stellen finden sich AuEerungen von Diez:

(1) zu von ihm verfaEten A 6 S.44 Z.32-35; A 7 S.51


oder geplanten Z. 27; A 7 S. 57 Z. 36f.; A 8 S. 63
philosophischen Texten: Z. 20f.; A 11 S. 78 Z. 24; C 9
S. 232 z. 10

3
Vgl. Uberlieferung von Diez' Manuskripten (V 2), S. 868.

CXVIIJ CXIX
Erlauterungen zur Ausgabe Ahkiirzungs- und Siglenverzeichnis

(2) zur Kritik an A 3 S. 24 Z. 19 ff.; A 6 S. 45


Reinholds Theorie Z. 4ff.; A 7 S. 53 Z. 6ff.; A 7 S. 59 4.
insgesamt: Z. 34ff.;A8 S. 63 Z. 18-20; A 11 Ahkiirzungs- und Siglenverzeichnis
S. 78 Z.19f.; A 13 S. 87 Z.26-
30; E 2 S. 328 Z. 16ff.; sowie
AA Akademieausgaben der Werke von Kant, Fichte, Schel-
Reinholds Brief an Erhard vom ling und Hegel (ist durch den Zusammenhang nicht
18. Juni 1792 (S. 911-914) eindeutig, welche Ausgabe gemeint ist, wird dem .,A.A."
der Name vorangestellt)
(3) zu von Kant und seinen A 3 S. 19 Z. 24- 26; A 6 8. 47 ADB Allgemeine Deutsche Biographie. Auf Veranlassung und
Auslegern abweichenden Z. 18ff.; A 13 S. 87 Z. 26 - 8. 88 mit Untersti.itzung Seiner Majestaet des Konigs von
Bayern Maximilian II. hrsg. durch die historische Com-
Ergebnissen: Z.3 mission bei der Konig!. Academie der Wissenschaften.
56 Bde. Leipzig 1875-1912
(4) zu einem langeren A 16 S. 94 Z. 13ff. AEvSt Archiv des evangelischen Stifts, Thbingen
Disput mit Storr: ALZ Allgemeine Literatur-Zeitung, Jena 1786ff.
Baggesen-Briefwechsel Aus ]ens Baggesen's Briefo.;echsel mit Karl Leonhard
Diese Augerungen verlangen nach einer Erklarung in einem Reinhold und Friedn.ch Heinrich Jacob~ hrsg. von
Karl Baggesen und August Baggesen. 2 Bde. Leipzig
Zusammenhang, der zugleich die Position deutlich werden liiBt, 1831
auf die Diez hingearbeitet hat. Diez' Argumente in der Debatte Beytrage Karl Leonhard Reinhold, Beytriige zur Berichtigung bis-
tiber die Grundlagen der theologischen Dogmatik von Storr he·riger Miflverstiindnisse der Philosophen, 2 Bde. Jena
und tiber einzelne Argumente in Reinholds Theorie werden 1790-1794
aus den Briefen und Schriften selbst hinreichend verstandlich. DBA Deutsches Biograplzisches Archiv. Eine Kumulation aus
Auch sie werden aber in jener Monographie in ihrem Zusam- 254 der wichtigsten biographischen Nachschlagewerke
fur den deutschen Bereich his zum Ausgang des neun-
menhang entwickelt und erlautert. zehnten Jahrhunderts, Mikrofiche Edition. hrsg. von
Bernhard Fabian. Miinchen u. a. 1982
DLA Marbach Deutsches Literaturarchiv Marbach
Faber Die Wiirttembergischen Familien-Stiftungen nebst genea-
logischen Nachrichten iiber die zu dense/ben berechtigten
Famifien, hrsg. von Ferdinand Friedrich Faber, 24 Hefte,
Stuttgart 1853-1858 (Neudruck mit Berichtigungen
von Adolf Rentschler, hrsg. v. Verein fur Wurttember-
gische Familienkunde Stuttgart, 24 Hefte Stuttgart
1940-1 941)
Gadl Dieter Henrich, Grundlegung aus dem lch (Ms., die Pu-
blikation wird fur En de 1998 angestrebt)
GAS Goethes amdiche Schriften, Veroffentlichung des Staats-
archivs Weimar, hrsg. von Willy Flach u. a., 4 Bde.
Weimar 1950-1987 (Bd. 2 in 2 Teilbiinden)
GiB Dieter Henrich, Der Grund im Bewufitsein. Untersuchun-
gen zu Holderlins Denken (1794-1795), Stuttgart 1992

cxx CXXI
Erliiuterungen zur Ausgabe Abki.irzungs- und Siglenverzeichnis

GMB Christian Sigel, Das evangelische Wiirttemberg. Seine Kir- MJ Matrikelverzeichnis der Universitiit Jena. 8. August
chenstellen und Geistlichen von der Reformation an his 1788 bis 27. April1797, erstellt durch das Jena-Projekt,
auf die Gegenwart. Ein Nachschlagewerlc, (masch.) 14 lnstitut ftir Philosophie, Lehrstuhl II, Ludwig-Maxi-
Bde. [o.O.) 1910-1932, 2. Hauptteil: Generalmagi- milians-Universitiit Mi.inchen (Ms.)
sterbuch. Mitteilungen aus dem Leben der evangeli- MK.i Das Album der Christian-Albrechts-Universitiit zu Kief
schen Geistlichen von der Reformation an bis auf die 1665-1865, hrsg. von Franz Gundlach, K.iel 1915
Gegenwart. Ein Nachschlagewerk in alphabetischer MSt ,.,National-Verzeichnill der Zoglinge der Hohen Carls-
Ordnung (LKA Stuttgart) schule von der Entstehung bis zur Aufhebung der
GoA Giittingische Anzeigen von gelehrten Sachen, Gottingen Anstalt" und ,.,National-Verzeichnig der Stadt-Studi-
1753 ff. renden der Hohen Carlsschule", in: Heinrich Wagner,
GoZ Gothaische Gelehrte Zeitungen, Gotha 1774 ff. Geschichte der Hohen Carls-Schule, 3 Bde. Wtirzburg
Grimm Deutsches Wrirterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm, 1856-1858, Bd.1 S. 342-415 und 425-449 und Bd. 3
16 Bde. Leipzig 1854-1954 Register und Nachtriige
GSA Weimar Goethe-Schiller-Archiv Weimar MTt.i Die Matri!cefn der Universitiit 'Hibingen, hrsg. in Ver-
HSA bindung mit der Wtirttembergischen Komrnission ft.ir
Hau ptstaatsarchiv
Landesgeschichte an der Universitiit Thbingen., Bd. 3
IB Intelligenzblatt 1710-1817, bearbeitet von Albert Bi.irk und Wilhelm
KdpV Immanuel Kant, Kn'ti!c der pra!ctischen Vernunjt; Riga Wille, Thbingen 1953
1786 MWt.i Die Matri!cel der Universitiit Wiirzburg, hrsg. von Se-
[zitiert nach der Originalausgabe] bastian Merkle, Mi.inchen., Leipzig 1922, Person en- und
KdrV Immanuel Kant, Kriti!c der reinen Vernunft; Riga 1781 Ortsregisterband bearb. von Alfred Wendehorst, Berlin
(A), 2 1787 (B) 1982 (= Veroffentlichungen der Gesellschaft ft.ir Friin-
[wenn nicht ausdri.icklich auf die erste Auflage Bezug kische Geschichte, Reihe 4 Bd. 5)
genommen wird, zitiert nach der Originalausgabe der NA Schillers Wer!ce. Nationafausgabe, im Auftrag des Goethe-
zweiten Auflage] und Schiller-Archivs und des Schiller-Nationalmu-
KdU Immanuel Kant, K1i.tilc der Urteilrlcrafi Berlin., Libau 1790 seums hrsg. von Julius Petersen und Norbert Oellers,
[zitiert nach der Originalausgabe) Bd. 1 ff. Weimar 1943 ff.
LA. LB Landesarchiv, Landesbibliothek NDB Neue Deutsche Biog.raphie, hrsg. von der Historischen
Leu be Martin Leube, Geschichte des Tii.binger Sifts, 3 Bde. Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wis-
Stuttgart 1921-1936 (=Blatter ftir wi.irttembergische senschaften, Bd. 1 ff. Berlin 1953 ff.
Kirchengeschichte, Sonderhefte 1, 3, 5) [Band 3 wird NDBA DeutschesBiog.raphischesArchiv, Neue Folge bis zur Mitte
zitiert nach der zweiten Auflage, die unter dem Titel des 20. Jahrhunderts, Microfiche-Edition hrsg. von Wil-
erschien: Das Tii.binger St!fi 1770-1950. Geschichte li Gorzny, Mi.inchen u. a. 1989 ff.
des Tiibinger Stijts, Stuttgart 2 1954) NhSB Niethammer-Stammbuch (in Privatbesitz4 )
LKA Stuttgart Landeskirchliches Archiv Stuttgart ONB Wien Osterreichische Nationalbibliothek Wien
MGo Die Matn'lcel der Georg-August-Universitiit zu Giittingen OSA Wien Osterreichisches Staatsarchiv Wien
1734-1837, im Auftrag der Universitiit hrsg. von Gotz Pfeilsticker Neues Wiirttembergisches Dienerbuch, bearb. von Walther
von Selle, Hildesheim, Leipzig 1937 (= Veroffentli- Pfeilsticker, 3 Bde. Stuttgart 1957-1974
chungen der Historischen Kommission ftir Hannover,
RGG Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwiirter-
Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und
buch for Theologie und Refig.ionswissenschajt, hrsg. von
Bremen IX) (mit einem Hilfsband ebd. 1937)
Kurt Galling u. a., 6 Bde. Tt.ibingen 3 1957-1965
MHe DieMatrilcel der UniversitiitHelmstedt, Bd. 3 1685-1810,
bearb. v. Herbert Mundhenke, Hildesheim 1979 (==
Veroffentlichungen der Historischen Kommission ftir 4
Niedersachsen und Bremen Bd. 9) Vgl. dazu In Vorfeldern des Idealismus (V 1), S. 838.

CXXII CXXIII
Erlauterungen zur Ausgabe

SA, SB Staatsarchiv, -bibliothek III.


Sammlung Varnhagen Staatsbibliothek Berlin, PreuBischer Kulturbesitz,
Sammlung Autographa, Sammlung Varnhagen, z. Zt. Briefe und Schriften
Biblioteka Jagiellonska Krakau
StA Friedrich Holderlin., Siimtliche Werke. Stuttgarter HOI-
derlin-Ausgabe, hrsg. von Friedrich Beiliner, Adolf Beck
und Ute Oelmann., 8 Bde. (in mehreren Teilbiinden)
Stuttgart 1946-1985
StadtA, StadtB Stadtarchiv, -bibliothek
sw Schwiibisches Wlirterbuch, auf Grund der von Adelbert
v. Keller begonnenen Sammlungen bearb. von Her-
mann Fischer, zu Ende gefiihrt von Wilhelm Pfleiderer,
6 Bde. (Bd. 6 in 2 Teilbiinden) Thbingen 1904-1936
SwCh Schwiibische Chronik, Stuttgart 1786ff.
ThHSA Weimar Thiiringisches Hauptstaatsarchiv Weimar
TRE Theologische Realenzyklopiidie, hrsg. von Gerhard Krau-
se und Gerhard Muller, Bd. 1 ff. Berlin, New York
1976 ff.
ThA 'Ribingische gelehrte Anzeigen, Tubingen 1783 ff.
UA, UB Universitatsarchiv, -bibliothek
UAJ Universitatsarchiv Jena
UAT, UBT Universitatsarchiv Tubingen, Universitatsbibliothek
Thbingen
UBE Universitatsbibliothek Erlangen
WLB Stuttgart Wurttembergische Landesbibliothek Stuttgart

Bibelstellen werden entweder nach der deutschen Ausgabe Biblia, Das ist: die
gantze Heil Schrijft Alten und Neuen Testaments, Nach der Teutschen Uebersetzung
D. Martin Luthers; Mit vorgesetztem Inhalt eines ]eden Capite Is und Anzeige derer
andern SchrijtcStellen, welche man hier und ad mit Nutzen dagegen halten kan.
Nebst einer Vm-rede Herrn Christoph Matthaei lfaf!ens, Thbingen 1758, oder nach
der griechischen Ausgabe von Johann Jacob Griesbach Novum testamentum
graece; textum adfidem codicum, versionum etpatrum emendavit et lectionis varietatenz
adjecit, 2 Bde. Halle 1775-1777, zitiert. Dabei werden fur die Bucher der Bibel
die allgemein ublichen Abkurzungen verwendet.
Querverweise innerhalb dieser Ausgabe nennen neben den Seitenzahlen die
Abschnittsnummer und den Kurztitel desjenigen Textteiles, auf den verwiesen
wird. 5

5
Zur Technik der Verweise auf den Text der Briefe und Schriften sowie auf
den Kommentar vgl. die Prinzipien der Kommentierung (II 2), Regel 14,
S. CXVIII.

CXXIV
1.
Textgruppe A:
Diez an Niethammer
Vorbemerkung

Friedrich Immanuel Niethammer hatte kurz nach Ostem 1790


Jena erreicht, urn im Studium bei Karl Leonhard Reinhold
philosophische Klarheit i.iber die kritische Philosophie und Ant-
wort auf die ihn bedrangenden Fragen zu finden, wie die
christliche Religion verstanden und der Glaube begri.indet wer-
den konne. Die vorausgehenden Gesprache mit Immanuel Carl
Diez aus der gemeinsamen Zeit im Ti.ibinger Stift wurden nun
in der Form des Briefwechsels fortgefuhrt, bis auch Diez selbst
nach dem Ubergang zum medizinischen Studium in Jena eintraf.
Die Briefe von Diez lassen den Fortgang seiner eigenen phi-
losophischen Verstandigungsbemi.ihungen und damit viel von
der Entfaltung einer von Diez zu einem erheblichen Teil mit-
gepragten Diskussionslage in und urn das Ti.ibinger Stift er-
kennen. In diese Briefgruppe eingefi.igt, werden im folgenden
je ein Brief von Diez an Karl Heinrich Gros und Carl Friedrich
Kielmeyer mitgeteilt, die weitere Einblicke in Diez' Verbindun-
gen und in seine Aufkliirungsbemi.ihungen geben.

5
A l An Gros, 25. April 1790

AI
Immanuel Carl Diez, Stuttgart
Sonntag, den 25. April 1790
An Karl Heinrich Gros, Ludwigshurg

Stuttgart', den 25. April 1790

Lieber Gros 2, fur Deine Bemerkungen i.iber den Dir zugeschick-


ten Aufsatz 3 bin ich Dir sehr verbunden, und nichts ware mir
5 Ieider, als wenn Du Dich wegen meiner Bitte urn baldige Zu-
ri.icksendung in denselben eingeschriinkt hiittest. Babe nun
die Geduld, noch ferner anzuhoren, was ich hiebei denke. 4

Offenbar ist Deine Erinnerung gegri.indet, daE in meinem Auf-


10 satz auf den glaubenden Haufen zu wenig Ri.icksicht genommen
ist. Es hiitte wenigstens mehr ausdri.ickliche Erwiihnung des-
selben3 geschehen sollen, aber wenn Du nun fur diesen aus
der Ungebundenheit der Lehrer an einen festgesetzten Typus
traurige Folgen beftirchtest, glaubst Du nicht, daE Fi.irsorge
15 der Obrigkeit fur geschickte und fur gewissenhafte Lehrer die-
sen Folgen vorbeugen konnte? Wird wohl damit, daE man
sagt, die Obrigkeit hat kein Recht, an Symbole zu binden, ihr
alles Recht, ftir Religion zu sorgen, entzogen? lch fuhle wohl,
wie ich hier vielleicht eine BloEe anbiete, und (wie) man in
:<o diesen der Obrigkeit noch i.iberlassenen Dispositionen, fur ge-
schickte Lehrer zu sorgen, schon wieder die Grundlegung des
alten Zwangs finden konne. Denn muE es ihr nicht freigelassen
werden, den MaEstab der Geschicklichkeit zu wiihlen; oder
wird sie nicht mit jedem vorgeschriebenen MaEstabe, wenn
:<s er auch mit der moglichsten Genauigkeit angegeben ist, wenn
sie will, nach Belieben spielen konnen? Aber dann, glaube ich
sagen zu di.irfen, sind die, die die Obrigkeit vorstellen, eben

• Orig.: ,derselben«

7
Briefe A 1 An Gros, 25. April 1790

1/2 auch Usurpatoren. I Wollen sie dies nicht sein, so konnen sie hatte, zufa1ligerweise in die Han de bekam, sagt im ersten Stiicke
Freiheit des Glaubens allgemein verstatten, ohne daE einzele seines philosophischen Magazins, nachdem er die Frage auf-
Glieder, die durch Autoriditen geleitet werden miissen, dabei geworfen harte, ob die Kirche ihre Lehrer verpflichten konne,
Schaden nehmen und Schaden bringen wiirden. Was sollte ft.ir sehr schon: , Wie laEt sich denken, daE der, welcher Unterricht
sie zu furchten sein, wenn Lehrer aufgestellt wiirden, die im 5 5 verlangt, seinem Lehrer schon zum voraus die Wahrheiten vor-
Besitze der zur eigenen Untersuchung notigen Kenntnisse und, schreiben konne, die er ihm vortragen soll?" 8 Ich sehe wohl,
welches ebenso wichtig ist, der zur Mitteilung der gemachten so ganz passend ist dies nicht gesagt. Man kann sagen, die
Entdeckungen notigen Lehrweisheit stiinden, die von Eifer ft.ir Kirche sage zu den Konsistorialraten, lehret uns Religion, ohne
die Sache, die sie betreiben, beseelt und durch Gewissenhaf- ihnen die Vorschriften zu geben, und dann stellen die Rate
tigkeit bei ihren Unternehmungen sich leiten lieEen? Parteien 10 10 eben ihre Unterlehrer auf, die das lehren sollen, was sie lehren
wiirden entstehen, aber nicht Parteien, die Zwist zur Folge wiirden. Aber vielleicht laEt sich dann doch hier wieder fragen:
batten, sondern Parteien, die groEere Einigkeit hervorbrachten. Konnen die Rate den von ihnen aufgestellten Lehrern bei der
Doch hier sehe ich, daE ich mich ein wenig in eine Feenwelt Ubertragung des ihnen gegebenen Lehrauftrags Einschrankun-
verirre und daE das Andenken an die Personen, die urn uns gen machen, die ihnen nicht gemacht waren? Doch Antwort
sind, mich zuriickftihren miissea. Aber doch folgt, glaube ich, 15 15 und Gegenantwort mogen hier fortlaufen, wie sie wollen, ich
wieder so viel aus dem Gesagten, daEh die Bediirfnisse des will hier abbrechen und nur die Frage, ist es nicht eine natiirliche
glaubenden Haufens an sich einen allgemeinen Lehrtypus nicht Reflexion, die Eberhard machte, aufwerfen und eine andere,
notwendig machen, und so weit bist Du ohne Zweifel mit mir auch in ihm vorkommende9, iibrigens auch sonst bekannte
einverstanden. Und wo sind dann nun die Umstande, die es Bemerkung noch anfuhren. Der Lehrer ist von gewissen Lehren
notig zu machen scheinen, jene Fesseln 5 anzulegen, die nicht 20 20 des aufgestellten Lehrtypus nicht iiberzeugt. Entweder gehoren
den Bosen, gerade die Bessern driicken? Wenn man hier Ur- diese Lehren in die Sphare des gemeinen Christen oder nicht.
sachen und Folgen weiter verfolgt, wahrlich man muE fast Ist der letzte Fall, was tun sie in dem allgemeinen I Lehrtypus? 3/4
Determinist werden, wenn die Galle nicht iiberlaufen solle. Raben sie praktische Wichtigkeit - ich nehme den ersten Fall -,
U~d ?o:h nach allem diesem, wenn ich ganz die Welt nehme, befodern sie den Aberglauben, wie kann der Lehrer schweigen?
Gesetzt aber, er wolle schweigen, den Aberglauben schonen,
Wie. s1e 1st, -~ann ich doch durchaus die Verpflichtung auf sym- 25 25

bohsche Bucher, auch wenn sie zehnmal besser sind als die wird man nicht, wenigstens von gewissen Seiten her, dies Still-
unserigen, nicht zugeben. Mag es sein, daE zu den ersten Zeiten schweigen fur Verwerfung der symbolischen Bucher ansehen
.</3 I der Reformation ein consensus tacitus 6 des Volkes den Kon- und auslegen? 10 Doch dies sind Gedanken, die, weiter beriihrt,
sistorien ein Recht iibertrug, einen Typus festzusetzen ( ein zum Teil im vorigen Briefe 11 enthalten sind.
Punkt, __ worin ich_ Di~ recht zu geben wieder sehr geneigt bin), 30 30

so verauEerten s1e em unverauEerliches Rechr7, so bleibt doch Was Du mir in Deinem Briefe von Bestimmungen jener Papiere 12
?er Gebrauch unrechtmaEig. Eberhard, den ich heute, nachdem fur den Druck am Ende sagtest, so muE ich Dir deswegen,
wenn Du im Ernste glaubest, daE meine Absichten dahin gehen
1ch Deinen gestern abend erhaltenen Brief genauer gelesen
konnen, erklaren, daE ich weit davon entfernt bin. Was ich in
35 der Sache zu sagen weill oder fur mich denke, ist im Grunde
a Orig.: »miissen« dem Publikum oft und langst und nachdriicklich genug gesagt. 13
b gestr.: »ceteris paribus« Auch bin ich mir wohl bewuEt, daE ich, was doch auch ein

8 9
Briefe A 2 An Niethammer, 9. Mai 1790

momentulum hat, in den Herrn Rezensenten nicht Grose fmden


wiirde, die ebenso freundschaftlich urteilen. A2
Immanuel Carl Diez, llibingen
Zum Schlusse will ich Dich - Iache nicht - urn Riicksendung Sonntag, den 9. Mai 1790
dieses Blattes bitten, urn es ad acta legen zu konnen. 14 Denn 5 An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
ich werde das vorangegangene 15 aufbehalten.

Lebe wohl, mein Lieber! Ich bin ganz der Deinige. Thbingen, den 9. Mai 1790
Dz.
Wertester Freund,

5 Ihren Brief vom 20. April 1 habe ich ohngefahr die vorige Woche
erhalten und nahm mir vor, sogleich mit Ihrem Kommissionar
zu antworten 2, aber his itzt bin ich noch nicht ins Kloster
zuriickgekommen, weil ich auch noch einige Tage hier auEer
demselben zubringen wollte 3 . Die Veranlassung, die mich treibt,
10 einen Posttag friiher zu schreiben, ist eine Neuigkeit, die ich
vielleicht Ihnen doch spater als andere schreibe und wegen
der Sie vielleicht zum voraus die beliebigen MaEregeln ergriffen
haben - die Beforderung Herrn Rektor Schmids auf die Stadt-
pfarrei Wendlingen. 4 WriEte ich, was Sie getan haben wollten
15 und was sich machen lieEe, es ware bereits geschehen. Ge-
genwartig finde ich nur das notig, daE ich Sie an die Bokische5
AuEerung, die Ihnen aber vielleicht ohnehin erinnerlich ist,
erinnere, niimlich die, daE ein Mann, der sich bereits in praxi
und zwar publica als Schulmann gezeigt habe, auf den Platz
20 miisse.

Nun haben Sie, was ich Ihnen zu schreiben habe, und itzt will
ich Ihnen erst fur Ihre freundschaftliche Zuschrift danken. Auch
die allgemeine Nachricht, daE Sie bei R[einhold] 6 eine gute Auf-
25 nahme gefunden haben und daE R[einhold] Ihnen gefallen habe,
war mir schon sehrwillkommen, daich his itztvon Klett7 vermutlich
wegen meiner bisherigen Unstetigkeit keine Nachricht erhielt.
Bohnenberger8 bekam ich Ieider (!) auch nicht zu sprechen, der,
weil er seinen Brude~ in Stuttgart nicht antraf, sogleich forteilte.
30 Itzt fallt eben desto mehr auf Sie, das Sie uns, mir und Klett -

10 11
Briefe A 2 An iethammer, 9. Mai 1790

ich nehme die en wohl mit allem Fug ex con ensu praesumto 10 Wir haben mi.indlich schon hievon etwa miteinander geredt21,
hinzu - zu chreiben haben, und kaum werden Sie un erer eu- aber bei mir, glaube ich, haben ich die Zweifel nun in etwas
gierde genug iiber Reinhold, iiber sein offentliches und Privat- modifiziert, und sie treten vielleicht in etwas bes erer Gestalt
betragen11, iiber Schmid 12, Ulrich 13, Doderlein 14, Grie bach 15 und hervor, wenn sie o vorgetragen werden. Die aufgeworfene
andere, i.iber allgemeine Lebensart, wie iiberhaupt fremde Luft s 5 Frage ist: Was antworten un die Besitzer der philo ophierenden
schmecke, u w.a sagen konnen. Doch Sie wissen, daE wir nicht Vernunft auf die Frage, gibt es einen Erkenntnisgrund ftir das
bloE eugierde sind und daiS wir unsere Maxim en jener hoheren Dasein Gottes? Ich antworte mit Reinhold: Sie teilen sich in
Priifung zu unterwerfen wi en, die von dem Subjektiven sich zwei Hauptparteien, in eine bejahende und verneinende. Und
wegwenden muE und andere nicht als Mittel anzusehen sich wenn man mir nun entgegenhalt, daE zwi chen ja und nein
112 erlaubt I JG 10 noch die dritte Antwort, weder ja noch nein moglich sei, so
gebe ich in allweg 22 die Moglichkeit einer kritischen Partei,
Unerwartet wird ~men die fri.ihe Ankunft Rapps 1\ aber des to die wir ja in der Kanti chen haben, zu, aber zweifle, ob eine
angenehmer die Uberraschung durch die elbe gewesen sein. I
solche kritische Partei bisher unter den Besitzern der philo- .413
In Stuttgart haben wir noch ein gutes Teil miteinander rein- ophierenden Vernunft exi tiert habe. Nicht so kann ich mich
holdisiert, und wahrlich, da ich noch so vielen leeren Raum 15 15 mit den Unterabteilungen dieser ersten Abteilung zufrieden
vor mir habe und durchaus keine euigkeiten weiE, wi.iEte geben. Offenbar i t eine dritte Partei der bejahenden Haupt-
ich auch in meinem Briefe an Sie, die Sie itzt an der Quelle partei23 nicht nur moglich, ondern auch wirklich. E gibt Phi-
itzen und mit vollen Ziigen Thren Durst stillen konnen, nicht losophen,a die die Griinde ftir das Dasein Gottes in und auEer-
Be eres zu tun, al die Bemerkungen Thnen zu i.iber chreiben, halb dem Gebiete der Vernunft uchen und auch zu fmden
die mir gestern (in veram remb) bei einer sehr ge torten und 20 20 glauben. Doch, wird Reinhold vielleicht hier agen, die e Partei
haufig unterbrochenen Wiederlesung des er ten Buch in Rein- kann nicht besonder in censum genommen werden; das Fun-
hold Theorie pp. 17 beigingen. Ein Feld von Neuigkeiten fallt dament, auf das sie baut, i t kein anderes, al das de Theisten
mir d~ch ein, aber teils habe ich elbst noch nicht ganz sichere und das de Supernaturali ten. 24 Ich will die Antwort meinetwegen
achnchten, und dann, hoffe ich, wird Thr benannter Korre- gelten lassen, aber ich bin doch nicht imstande einzusehen,
spondent18, der hiebei bes er unterrichtet i t, hievon achricht 25 25 ob es sich alsdann mit den Gegensatzen b) d) p. 81 unten 25

geben, ich meine die Anwesenheit der Vi itatoren im Kloster 19. o ganz richtig verhalte. Ein wichtigerer Fehler bei die er hi-
Auf den Fall, daE ie hievon keine achricht erhalten haben, torischen Unter uchung 26 cheint mir darin zu liegen, daE das
werde ich Ihnen im nach ten Briefe de to be er dienen konnen. Thema derselben nicht be timmt genug au gedri.ickt i t, o
abgefaEt ist, daiS, wenn die Stimmen ammlung nun ange tellt
30 wird, das Stimmengeben leicht so ausfallen kann, daE Stimmen
Meine Bemerkungen i.iber das erste Buch in Reinhold gehen 30
~uer t ~uf die Stimmen ammlung in der philo ophischen Welt fUr iibereinstimmend genommen werden, die viell icht ehr
uber d1e Frage vom Erkenntnisgrunde des Da eins Gottes und verschieden sind b. Reinhold holt die Stimmen ein auf die Frage:
da aus der elben gezogene Resultat fUr das Kantische System. 20

a ge tr.: »(oder will man dem, der sich mit einer 0/Tenbarung befa.Bt, den

a vom Hr g. gestr.: »genug« (Dittographie) · amen des Philosophen ab prechen?)«


b 0 . .
b »in veram rem«? ng.: »It«

13
12
Briefe A 2 An Niethammer, 9. Mai 1790

Gibt es einen Erkenntnisgrund fur pp.? Aber was heillt nun te, dag also die Prinzipien schon gegeben sein miigten, wenn
Erkenntnisgrund? Nach p. 75 unten mug der Sinn der aufge- ich die Moglichkeit oder Unmoglichkeit derselben dartun wollte.
worfenen Frage sein: Gibt es zureichende Gri.inde fur die Uber- Wer wiirde aber nach der Moglichkeit derselben fragen, wenn
zeugung, dag pp.?27 Aber wie unbestimmt ist nun der Ausdruck sie uns schon in der Wirklichkeit gegeben waren? Mich diinkt:
zureichende Gri.inde? Der narnliche kann mir nun mit ja und 5 5 Das Interesse gebietet die Untersuchung, aber ohne eine Art
nein antworten, oder ein anderer sagt ja, und ich sage nein, derselben vorzuschreiben; erst die Natur des Gegenstandes,
und wir sind doch iibereinstimmend. Ich kann mit nein ant- i.iber den die Untersuchung angestellt werden soil und von
worten und doch weder Skeptiker noch Atheist sein. Der eine dem ich zum voraus einsehe, dag Moglichkeit und Wirklichkeit
fordert Demonstration zur Zulanglichkeit, der andere will beede zugleich eingesehen werden miissen, zeigt mir, dag ich nicht
ausdriicklich unterschieden wissen? 8 Wenn ich nun nach dieser 10 10 ob pp.? sondern wie? fragen miisse. 33
Reflexion die p. 81 als dieser oder jener Sekte eigentiimlich
3/ 4 aufgestellten I Behauptungen durchgehe und ebenso auch die Ich habe noch zwei Bemerkungen, aber Sie werden denken,
als von drei Parteien jedesmal einmi.itig behaupteten Satze naher es sei des Geschwatzes genug. Sie haben recht, ich denke auch
betrachte, so kann ich Herrn Reinhold meinen geringen Beifall so. Also nur noch einen herzlichen Grug an Rapp. Ich empfehle
nicht geben. Rechnen Sie Demonstration zur Zulanglichkeit, 15 15 mich Ihrem freundschaftlichen Andenken und bin
ist das erste a) b) c) di9 den angegebenen Sekten nur eigen?
Und sondern Sie Demonstration und Zulanglichkeit, wahrlich, Ihr wahrer Freund, Dz.
so geben auch die Sekten die ihnen als eigentiimlich beigelegten
Satze vielleicht grogenteils auf. Fi.ir die Gegensatze will ich
nicht die narnliche Bemerkung wiederholen - denn auch hier 20
hat sie eben den Einflug -, urn nicht weitlaufig zu werden.
Aber wie steht es nun mit dem daraus gezogenen Resultat?
Soil dieser so schwankend bestimmte consensus und dissensus
jedem, der je in seinem Leben pp. 30 so merkwi.irdig sein? Und
spricht seine Stimme nur ftirs Kantische System? 25

§ III gefcillt mir der Ausdruclc: ,Das lnteresstf - - - schqfft diesen


lcritischen Zweifel in die Frage um: Wie pp.?"3 1 gar nicht. Das
U:t~resse, ~as die Untersuchungen iiber allgemeingi.iltige Prin-
z~plen.. g~b1etet, notigt mich noch nicht von der Frage: Sind 30
~1e moglich? auf die: Wie sind sie moglich?; sondern, soviel
1ch d~n Beweis 32 gefagt habe, liegt der Grund hievon darin,
dag. d1e Argumentation bei der Beantwortung der ersten Frage
aus mneren Grunden der Prinzipien selbst gefuhrt werden miiB-

a gestr.: »der Menschheit«

14 15
Briefe A 3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

zu verdanken haben wird, mit den Kantischen Begriffen, so


A3 daE ich wuEte, was man bei jedem zu denken habe oder
Immanuel Carl Diez, Thbingen denken konne. Die nahere Bekanntschaft verschaffte mir Kants
Samstag, den 19., Sonntag, den 20., Lektiire selbsten, von dem ich nun die transzendentale Asthetik
und Dienstag, den 22. Juni I 790 5 und Analytik mit der moglichsten Aufmerksamkeit gelesen habe.
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena Die voile Wirkung aber, die gegenwartig vorhanden ist, brachte
erst Schultza durch seine Erlauterungen5 hervor. In der Tat ein
herrliches Buch, von dem ich aber durchaus nicht einsehen
Tiibingen, den 19. Juni 1790 kann, wie es Anfangern wenigstens fur sich zur Einsicht und
10 zum Verstandnisse des Kantischen Systems verhelfen salle. Man
Ich komme von einem trefflichen Morgenspaziergange zuriick. nehme auch nur, was es ist, und es rouE in die Augen springend
und wir sind Freunde genug, urn nun, da ich mich hinsetze, sein, daE es ohne Studium Kants selbsten diese Wirkung nicht
an Sie zu schreiben, Ihnen unverhohlen das Resultat desselben 5 haben kann. Es ist eine der 884 Seiten starken Vernunftkritik
darzulegen, so wie es vor mir liegt. Wir sind ja ohnehin nicht in 174 Seiten konzentrierte Inhaltsanzeige. 6 Wer soil nun durch
s? versc~ieden wie Kategorien und Anschauungen, die erst 15 Schultzb ohne Kant das I Kantische System kennenlernen? Aber 1/2
emes Dntten zur Vereinigung bediirfen, und dann haben wir als trefflich gelungene Inhaltsanzeige wird das Buch neben Kant
ja in unserm gemeinschaftlichen Freunde Klett das Schema 1, die herrliche Wirkung hervorbringen, die wahl gelungene um-
?as uns.. beede vereinigt. Zudem ist ja der Gegenstand, den 10 stiindliche Inhaltsanzeigen oder Ausziige bei weitlaufigen wis-
1ch beruhren werde, ganz etwas fur unsern Markt, und die senschaftlichen Abhandlungen besonders immer haben miissenc.
Ware taugt in Ihren und meinen Kram. 20 Sie werden sich wahl von selbst vorstellen, daE bei der Beant-
wortung der aufgeworfenen Frage auch auf das, in welcher Zeit
Wir ~aben wirklich einen herrlichen Morgen. Natiirlich fuhrte jener Besitz errungen worden sei, Riicksicht genommen wurde.
er m1ch fUr das Tor hinaus, ich stiirkte mich mit dem Getranke 15 Ich fing im Herbste die Lesung der Kantischen Kritik an, zu
des beriihmten Philosophenbrunnen2 und setzte eine Musterung einer Zeit, wo noch keine Reinholdische Theorie7 zu haben war
meiner Kantischen Ideen fort, die gestern abend schon in etwas 25 und wo also, weil die oben angefuhrte, durch Reinhold hervor-
angefange~ hatte ~nd die nun so gliicklich ausfiel, daE ich gebrachte Wirkung fehlte, alles tauben Ohren gepredigt wurde.
glaube, mrr schme1cheln zu diirfen, in einem solchen Besitze Der Nutzen war gering, aber doch nicht einem Zero gleich, weil
der Kantischen Grundsatze zu sein daE ich nicht nur eine 20 diese Lektiire doch einige Vorbereitung fUr Reinhold leistete.
his_torische, sondern auch eine dogm~tische Einsicht derselben Endlich erhielt ich Reinhold, aber ich konnte kaum den histo-
bemahe ganz mir zutraue. (StoEen Sie sich an dem Ausdrucke JO rischen Teil und den Anfang des zweiten Buches lesen, so ward
,~og~atisch" ~icht; die Kiirze empfahl mir ihn, wenn ich gleich ich durch Bebenhausen8 genotigt, das Buch ganz his auf den
f~r d1e Ech~e1t desselben nicht stehen kann.? Natiirlich erhob Anfang des Februars beiseite liegen [zu lassen] ; aber von da an
Sich a~ch d1e Fra~e, wi~ ich zu diesem Besitze gelanget sei; 25
und die Antwort 1st: Remhold familiarisierte mich durch sein
vortref~ches Buch\ dem, es mag sich nun mit der Wahrheit 3
Orig.: »Schulze«
der ~arm au_fgestellten Behauptungen verhalten, wie es will, b Orig.: »Schulze«
Kant1sche Philo sophie ihre weitere Verbreitung einst groEenteils c Orig. : »miisse«

16 17
Briefe A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

wa:ena, eine dreiwochentliche Unterbrechung und einige kleine der dritte Beweis, der hochst unschicklich ofters den Narnen
Re1sen ausgenommen, Reinhold und Kant und Schultzb beinahe eines testirnonii Spiritus Sancti erhhlt und aus inneren Argu-
m.~in e~ziges. Geschiifte. Ich kann nicht bergen, da:B bei diesem rnenten gefuhrt wird, iibrig 17, und in Hinsicht auf dies en desperiere
Ruckblicke d1e teure Eigenliebe, wenn ich besonders noch an ich nicht ganz, sehe aber noch nicht, was aus dem Kindlein
die vielen v:rlorenen Nachlnittage dabei dachte, ihre Rechnung 5 5 werden soli. Mich diinkt, es seie vielleicht moglich, aus Prinzipien
fand, und S1e als Freund und Kenner des menschlichen Herzens der praktischen Vemunft die Gotteswiirdigkeit und dann viel-
a~s ei?en:r u~d frernder Erfahrung werden die Ruhmredigkeit, leicht die Gottlichkeit derselben herzuleitena. Bis itzt ist dies
die wrrklich rn der Erziihlung liegt, gerne verzeihen. Einiges nichts als ein finsteres Herumtappen, und wer weill, ob hier
Interesse rnu:B die Erziihlung doch fur Sie haben als die Ge- nicht schon eine Sophistikation und notwendige illusion der
schichte eines Kantianers, der noch dazu zurn Teil vielleicht die 10 10 tauschenden Vernunft zugrunde liegt. Nur das sehe ich als eine
veranlassende Ursache war, welchec Sie zum Reinhold- und Kan- klare Folge davon ein, da:B der EntschluJS zu der langst iiber-
tianismus hestimmte. 9 Zurn Muteinsprechen darf ich sie nicht dachten Apostasie betrachtlich durch diese Reflexionen befestigt
vorhalten, da Sie, Verwegener, Mut und Begiinstigung des Gli.ick.s worden ist. Aber Sie bitte ich, diesen Punkt doch auch in De-
g~nug haben, aber von rneinern Spaziergange kann ich Sie noch liberation zu nehmen und womoglich Herro Reinholds Meinung
~cht endas~en. Ich bin heute Beichtiger. 10 Urn so Ieichter rnu:Bten 15 15 dariiber mit ihren Grunden einzuholen. Die Herannahung der
Sich nun m:rne ~ugen, gewaffnet durch die Kantischen Teleskope, Beichtstunde 18 heillt mich abbrechen.
auch auf d1e chnstliche Religion wenden, aber da sahe ich nichts
als transzendentalen Schein und statt objektiver Erkenntnisse Ich fahre fort und mu:B Ihnen nun gleich sagen, da:B, so schon
leere Hirngespinste. II Ich habe die transzendentale Dialektiki 2 uns Storr zusprach, dem Herro Jesu durch unsere Besserung
noch gar nicht angesehen, als insofern [er] die Priimissen zur 20 20 und, wenn sie angefangen habe, durch Fortsetzung derselben
. ng der Paralog1srnen,
Priifu . Antinomien und des Ideals voran- und durch Besserung anderer Freude zu machen, und so selrr
schic~t, und also die Anwendung der Kantischen Grundsatze ich auch mir und ihrn diese Freude zu rnachen geneigt bin,
von ihm noch nicht gelemt. Aher es bangt mir fur aile Offen- doch imrner sub- und objektive Realitae 9 meinen Kopf durch-
barung, .wenn auch diese Weisheit nicht nur eingesehen, sondem kreuzten und da:B rnir Gedanken dabei beigingen, die aus Kan-
au~h mrr zugeeignet werden konnen sollte. Bis itzt sind dies 25 25 tischen Grundsatzen auf Resultate fuhren, die ziernlich ver-
rnerne Gedanken in der Sache. Der Wunderbeweis 13, so wie er schieden von den Kantischen zu sein wenigstens scheinen. Sie
14
von Storr gefuhrt wird und wie er mir his itzt befriedigend sind rnir aber noch zu neu und unreif, als da:B ich sie hier
.2/3 war,.muJS fallen. Denn ich suche in dernselben Izu dem gegebenen hinwerfen sollte, und ich wiirde ganz davon schweigen, wenn
B.edingten das. U~edingte und bringe in meine Erkenntnisse ich Sie nicht urn Ilrre Definitionen von sub- und objektiver
erne Vemu~emhe1t, die keine objektive Realitae 5 hat. Der Beweis JO 30 Realitat und urn das Unterscheidungszeichen derselben bitten
aus den We1~sagungen 16 ist noch nie ganz befriedigend geftihrt wollte.
worden und 1st ohnehin wo hl schwerlich als eme. von dem vongen ·
als Gattung sich unterscheidende Beweisart anzusehen. Noch ist Ohne Zweifel haben Sie auch schon die Flattische20 Rezension
von Reinholds Theorie des Vorstellungsverrnogens 21 gelesen.
a Orig.: »War«
b Orig.: »Schulze«
c Orig.: »welcher« a Orig.: »herleiten«

19
18
Briefe A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

Wie wurde sie von Reinhold selbsten aufgenommen? Gleich- nichts von etwas wissen und nicht wissen, was etwas ist. Diese
gultig kann sie ihm nicht wohl sein, teils wegen des Beifalls, Unterscheidung konnte noch durch folgendes Beispiel deutlich
den sie bei Antikantianern und Antireinholdianern finden wird,• gemacht werden. Wenn ich dem Blinden sage: hier ist vor Dir
teils wegen der Zweifel, die sie, freilich nicht immer mit den ein Gegenstand, so weiEt er, daE ein Gegenstand da ist, aber
notigen Beweisen versehen, auf den wenigen Seiten enthiilt. j 5 nicht, was er ist. In diesen Fall setzt uns Kant in Hinsicht auf
Es ist etwas komisch, daE er die verschiedenen Schulen nach- die Dinge an sich; und so <wie) man nun von dem Blinden
einander auftreten laEt, aber amEnde dann doch nicht bestimmt sagen wurde, er weill nichts von dem Gegenstande, wenn ihm
genug? 2 Mich dunkt, z. B. nicht nur der Berkeleyaner werde den gleich seine Existenz bekannt ist, so sagt auch Kant von uns,
Beweis fur das Dasein der Dinge auEer uns fehlerhaft fillden 23, wir wissen nichts von den Dingen an sich, wenn uns gleich
und so noch andere Zweifel die ich vielleicht in der Folge 10 10 ihre Existenz bekannt ist. (Ich fragte mich hier, warum ich
umstandlicher darlegen werde. Naturlich rekurriert auch hier dies schreibe. Ich schrieb's, urn Ihr Urteil zu horen, und es
der Einwurf, der auf Akantianer - von den Antikantianern ist mir nun lieb, es geschrieben zu haben, weil die Deutlichkeit
nicht zu reden - immer einen befremdenden Eindruck macht, meiner Vorstellung durch dies Schreiben gewann.)
der Einwurf, daE Kant immer behaupte, man wisse nichts von
den Dingen an sich, und doch lege er ihnen Wirklichkeit bei 15 15 den 20. Juni
und wisse also wenigstens etwas von ihnen? 4 Wenn man ihm Ich habe inzwischen die Flattische Rezension - sie ist im 39.
sagen wurde, daE Existenz eines Dinges kein Merkmal sei, das Stuck des Jahrgangs - zur Hand bekommen, und sie wird wohl
in dem Begriffe desselben angetroffen werde, und daE also der beste Leitfaden zur Mitteilung unserer Gedanken sein. 1) In-
3/4 durch die Existenz nichts von dem Begriffe gegeben \ sei, d:ill wieferne ich mit der ersten Bemerkung einig bin, wissen Sie
~an ~lso inso~ei~ no:h nichts von einem Dinge wisse, so ware 20 :zo schon;26 die zitierten Bucher7 habe ich nicht gelesen. 2) Die
d1es ill allweg ncht1g geantwortet, aber dem Akantianer, be- zwei folgenden Anmerkungen 28 unterschreibe ich gerne. 3) Uber
sanders dem philosophischen, der wohl immer leugnen wird, das zu S. 99 Gesagte29 bin ich gegenwiirtig nicht imstande zu
daE Existenz kein Merkmal des Gegenstandes sei, schwerlich urteilen. 4) Was Reinhold auf die folgende Anmerkung antwor-
faElich und befriedigend. Einem solchen wurde ich daher den tet30, ware ich begierig zu horen. 5) Wegen [S.] 162 wiirde ich
Sinn jener Worte lieber so vortragen: Kant sagt, daE die Ge- 25 25 mich so ausdrucken31 : Eine Offenbarung als gottlich zu erkennen,
ge.nstande, so wie sie von uns vorgestellt werden, verschieden muE die Idee Gottes bereits da sein. Damit wird es aber noch
se1en von den Gegenstanden, insofern sie nicht vorgestellt sind. nicht widersprechend anzunehmen, daE die Idee Gottes erst
~ der erste~ Hinsicht nennt er sie Erscheinungen, in der zweiten durch dieselbe begrundet und in mir hervorgebracht worden
Dillge a~ s1ch. Da wir nun nach seiner Hypothese mit den sei. Ich hare den Vortrag des gottlichen Gesandten und weill
Gegenstanden bloE in der ersten Hinsicht bekannt werden, JO 30 gar nicht, was ein gottlicher Gesandter ist, aber nach angehortem

~o ist er e~en da~i~ auch genotigt zu behaupten, daE sie uns Vortrage bin ich vielleicht doch in den Stand gesetzt worden,
ill der zwe1ten Hms1cht unbekannt bleiben. Damit sagt er nun ihn als den Vortrag eines gottlichen Gesandten zu erkennen.
bloE, wir wissen nicht, was sie in dieser Hinsicht sind, nicht: 6) Die Idee, allgemein geltende Satze aufzustellen, anzufechten,
wir wissen nichts von ihnen. Es ist doch zweierlei zu sagen: wenn ihre Ausftihrung bloE aus vorliegenden Erklarungen ge-
2
35 nommen werden soli, ware wohl gar zu skeptisch? 7) Sehr
gegrundet scheint mir die folgende Erinnerung des Herrn Skep-
• eingefugte halbe Zeile his zur Unleserlichkeit gestr. tikers?3 In meinem Kopf hatte sie eine kurieuse Geschichte, bis

20 21
Briefe A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

sie mein Einwurf wurde. Bei meinem ersten eigenen Lesen wurde Theorie zu sein, die nur von dem allgemein Geltenden ausgehen
ich ganz und gar nicht durch meine Reflexion darauf geleitet. und nur aus diesem folgern will. 43 Was ich hier wegen der Man-
Ich weill nicht., hat mich der § 7 anfangs in den ersten Worten nigfaltigkeit des Stoffes einri.icken sollte44, werden Sie noch aus
des Kommentars ausgeworfene 'Ifump£34 so sehr in Respekt ge- unsern mi.indlichen Unterredungen haben45, und wegen dem macht
setzt vor den Reinholdischen Behauptungen. oder was mich sonst 5 5 Klett Anfrage. 8) Den Fehler in dem Beweise fur das Dasein der
abhielt., diese in Anspruch zu nehmen. Zuerst lase ich den Einwurf Dinge auger uns46 glaube ich in der falschen Unterscheidung
in den Rintelnef'l Annalen35 - ich halte namlich das dort hieriiber oder Benennung des sub- und objektiven Stoffes47 zu finden.
4/5 Gesagte im Grund ftir das I namliche -, dachte dariiber nach Es wird mit Recht in demselben von Vorstellungen der Formen
und warf wahrlich diesem Rezensenten den namlichen 'Ifumpf des Vorstellungsvermogens auf Vorstellungen, die die Formen
hin mit der Hitze und mit der Sicherheit., mit der meine Spadille 10 10 nicht zum Gegenstande haben, geschlossen. Aber ist nun des-
[die]h sich gefahrlich auflassende Manille des Feindes ertotet. wegen in diesen objektiver, d. h. durch Gegenstande auger uns
Aher siehe da, ich erkenne, dag meine Spadille von dem andern gegebener Stoff? Wenn nur der Stoff, der in den Vorstellungen.
Spiel ist., und natiirlich gilt nun die falsche Spadille nichts. 36 Die die die Formen des Vorstellungsvermogens zum Gegenstande
Entdeckung geschah, da ich an den § 15 kam. 37 Hier glaubte ich, haben, vorkommt., subjektiv, aller anderer Stoff nicht-subjektiv,
bei der zweiten Lesung deutlich zu sehen, d~ es nicht bewiesen 15 15 objektiv genannt wird, so ftihrt die Voraussetzung des objektiven
sei, man miisse Stoff- in der Reinholdschen Bedeutung - als Stoffes durch den subjektiven noch nicht auf Gegenstande auger
einen Bestandteil der Vorstellung iiberhaupt annehmen. lch sagte uns. 48 Ersteres wird deutlich von Reinhold festgesetzt., und die
nun mit jenem Rezensenten: Ob- und Subjekt werden von der Folgerung daraus ist., wie mich diinkt., sicher. Der in und mit
Vorstellung unterschieden, insofern Vorstellung die Handlung dem Vorstellungsvermogen gegebene Stoff ist freilich subjektiver
des Vorstellens bezeichnet., und ziehe mit ihm das herzu, was 20 20 Stoff, aber auch der mit dem Subjekt gegebene Stoff ist sub-
Reinhold § 9 sagt? 8 Der Meinung bin ich noch, aber sehr will- jektiver Stoff. Das heillt nun nicht., einer sei, was der andere ist.,
kommen ist mir nun der kurze Flattische Ausdruck: Ein von und mit dem einen sei zugleich auch der andere gegeben. Zu-
dem In~alte der Vorstellung verschiedenes Objekt wird nicht gleich erhellt aber auch daraus, dag, die Priimisse zugegeben,
~gememgeltend von der Vorstellung unterschieden. 39 Ich ftige welche Reinhold voranschickt, die namlich, d~ die reinen Vor-
hier noch etwas hinzu, was zugleich zeigen mag, dag ich die 25 25 stellungen nicht-reine voraussetzen (den Vorstellungen der For-
folgende Bemerkung von Flatt auf eben der 309ten Seite des men Vorstellungen eines Stoffes in diesen Formen vorangehen
39. Stiicks nicht ganz ungegriindet finde. 40 Ich sage (ala Herzog): miissena), nicht aus dem subjektiven Stoffe (nach der ersten
Wenn ich auch einen Stoff annehme, was habe ich eigentlich Bestimmung) die Folge ftir einen objektiven oder von Gegen-
bei dem ,Entsprechen dem Gegenstande"c zu denken?-4 1 Aus dem standen auger dem Subjekte gezogen werden konne. 49 Dies ist
d~ftir substituierten Ausdrucke ,dem Objekte angehoren", dessen 30 30 aber meines Bedi.inkens von Reinhold in seinem Beweise ge-
Smn aber ebensowenig bestimmt wird, wird der Charakter des schehen. 9) Die Einwiirfe der Wolffischenb Schule. Zum Teil
Gegebenseins fur den Stoff abgeleitet. 42 Was denken Sie zu diesen habe ich iiber diese meine Gedanken beim Eingange gesagt. 50
Anmerkungen? Mir scheinen sie nicht sehr favorabel fur eine Nun ich das Blatt51 vor mir habe, finde ich notig, folgendes

a Orig.: »Rinteler«
b vom Hrsg. gestr.: »(wenn) sie« • Orig.: »mi.isse«
c verbessert aus: »des Gegenstandes« b Orig.: »Wolfischen«
Briefe A 3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

hinzuzusetzen. Wenn ich machte, daB jener Blinde von dem dem Schlusse der Rezension 64, so wird auf ihn natiirlich aus man-
Gegenstand einen Eindruck bekiime, so wiirde der Blinde sagen, chem Munde das ,Plaudite!"65 erschallen.
der Eindruck sei in dem Gegenstande gegriindet, ohne damit
einen Be griff von dem Gegenstande haben zu wollen. Man wiirde
5/6 sagen, der Blinde schreibe dem Gegenstande den I Eindruck 5 5 Wie mein Brief so weit gediehen ist, werden Sie zum Teil selbst
zu, ohne von dem Gegenstande selbst etwas zu wissen. Dies ist sehen, zum Teil muB ich es Ihnen sagen. Das verdammte Schema66
meines Bediinkens gerade das Verhiiltnis, in das uns Kant zu - ich kann nicht, ich muB schimpfen - hatte Ihre Briefe, die ich
den Dingen an sich setzet. Uber das, was von der transzendentalen kaum gelesen ihm sogleich zuschickte, mit seiner Antwort so
Giiltigkeit des Satzes der Kausalitat gesagt ist52, kann und mag lange zuriickbehalten, daB ich, urn das Abgehen der Briefe nicht
ich gegenwiirtig nichts sagen, da die Begriffe der sub- und ob- 10 10 auch ftir mich weiter aufzuhalten, etwas vorausschreiben muBte.
jektiven Realitat hier mit ins Spiel kommen und wegen dieser, Itzt hab ich Ihre Briefe, und itzt kann ich erst eigentlich Ihnen
wie ich Thnen oben53 gesagt habe, wirklich eigene, aber noch antworten.
nicht reife Ideen meinen Kopf durchkreuzen. 10) Weil ich S. 245 ff.
nicht verglichen habe, so wiirde ich voritzt den angefuhrten Beweis Raben Sie vielen Dank fur Ihre vielen Nachrichten und zum
vom Dasein der Dinge auBer uns zum Belege zitieren. 54 11) Uber 15 15 voraus ftir diejenigen, die bald nachfolgen werden. Sie sind
diesen Punkt habe ich mir vorgenommen, im nachsten Briefe ein rechter Ehrenmann, aber, werden Sie bisher gedacht haben,
Thnen umstiindlich zu schreiben,55 teils weil Sie ftir diesmal iiber- wir rechte Schandleute, Undankbare. Itzt hoffe ich, werden
hauft genug sind, teils weil meine Gedanken wohl selbst noch Sie mich ausnehmen und die Schuld auf das Schema zu legen,
nicht hinliinglich gepriift sind. Voritzt will ich zum ersten Punkt56 aber auch diesem in seiner gegenwartigen Verbindung mit dem
nur vorlaufig sagen, Reinhold scheint mir den Kantischen Begriff 20 20 Empirischen 67 es zugut zu halten wissen.
von Sinnlichkeit und Verstand verfehlt zu haben - ich zweifle
nicht, daB dies manchem eine sehr verwegene Behauptung zu DaB Sie so ein Giinstling des Gliickes sind, freuet mich recht
sein scheinen wird - und d~ er sich bei dieser Abweichung in herzlich ftir Sie, aber Anwendungen auf mich kann ich wie
~inen Widerspruch verwickle. 57 (Wegen dem zweiten Punkt58 muB Klett auch nicht machen. Doch was fallt mir I ein, haben nicht 6/7
1ch no.ch nachholen, daB mir Kants Weg auch sicherer diinke; 25 25 die Herren Kirchenratler68 nun beschlossen, dem Bebenhauser
aber em Erfolg der Reinholdischen Bemiihungen wird sein, daB Vikar nun frei mobliertes Logis (Lichter, Holz, versteht sich,
er. zum Teil li~hter ist, zum Teil lichter und gebahnter werden will's nicht darunter) und wochentlich einen Dukat zu geben
~d.~ So schemt es mir his itzt. 12) Die Erinnerung des Popu- und dadurch mich bewogen, ein in Gaisburg69 bereits ange-
larphilosophen59 ist beillend. Inzwischen diinkt mich § 7 nach nommenes Vikariat wieder abzuschreiben? ,,ch tausche auch
der oben gemachten Einschriinkung60 doch auch allgemeiner Aus- 30 30 mit keinem Konig nicht"70, wenn es instandgesetzt sein wird,
spruch der philosophischen Welt zu sein. 13) In der Erinnerung denn wahrscheinlich wird es zur Vollendung noch sechs bis
des Rezensenten oder vielmehr in der Antwort Reinholds auf acht Wochen anstehen. Doch nein, ich weiB mich zu bescheiden.
dieselbe - denn die wird ohne Zweifel in den Beitragen seinerzeit Ich habe statt einem R[einhold] einen R[oslerr', statt einem
f~lgen '. --: wiinschte ich doch, schon gezeigt zu finden, inwieweit
6
P[aulus] 72 einen S[torr] 3 , von den Weibern will ich nicht reden,
em lndlVlduum dies tun konne und es andern nicht gleichgUltig 35 35 und statt des Kollegiums iiber Logik und Metaphysik Predigten
. d 6"
sem wer e. - Wegen dem dritten Buche63 schreibe ich Ihnen das
nachste Mal meine Gedanken, wenn Sie sie anhoren mogen. Wegen a Var.: »S[chnurrer] «?

24 25
Briefe A 3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

und Kinderlehren 73 . Aber das Auf-sich-selbst-Stehen, das ich Zum Beweise, daE ich nicht meine Feder schonen will, wenn
dann erhalten werde, entschadigt ftir alles. Ihnen rate ich, was ich nichts vom Kloster mehr schreibe, sollen Sie Nachrichten
Sie freilich sich selbst raten werden, zu bleiben, solange es haben, die vielleicht doch mehr Interesse ftir Sie und Ihre
nur ohne betrachtlichen Schaden moglich ist, und ich denke, Freunde haben und die Sie wohl schwerlich in Zeitungen 82
diese Verlangerung wird Ihnen nicht schwer fallen. Mit drei 5 5 finden, ohnerachtet sie dahin gehoren. Auch im Ohringischena
Karolin haben Sie ja Nahrung fur ein ganzes halbes Jahr, und hat die franzosische Revolution die Bauren erweckt83, und man
das i.ibrige wird gewiE nicht viel mehr erfodern, und Schnur- muE es zu ihrer Ehre sagen, es ist his itzt kein Schwindelgeist,
rerische Indices74 werdena Gott und gute Leut' Ihnen immer der sich ihrer bemachtigt hat, wenn anders nicht ihre neuesten
zuschicken. Also Leibs- und SeelengenuE kann Ihnen in Jena KraftauEerungen dagegen sprechen. Nach dem, was ich gehort
nicht mangeln, und wenn Sie das eine oder das andere an 10 10 habe, haben sie den gerechtesten AnlaE, nachdri.ickliche Be-
einem andern Orte besser finden konnen, so werden Sie es schwerden zu fi.ihren. So ist z. B. das Stempelpapier84 bei ihnen
wohl schwerlich irgendwo so vereinigt finden. eingefuhrt; der Bauer, der ein Paar Ochsen hat, muE 20 MaE
Fronholz fi.ihren; bei ihren Teilungen und dergleichen sind
Sie fodern Nachrichten von der Visitation75 , urns Himmels willen, die Sporteln85 ungeheuer. Doch statt aller weiteren Spezifikation
alles lieber, was Sie nur wollen! I) Auch nur das Andenken 15 15 ihrer Bedri.ickungen darf ich nur die Veranlassung anfuhren,
daran ist mir hochst odios; 2) weiE ich fast nichts Bestimmtes die den volligen Ausbruch hervorbrachte. Sie wurden genotigt,
und Gewisses, weil ich selbst die ganze Zeit abwesend war76, nicht nur ganz allein eine Chaussee auf ihre Kosten und fron-
und auf diesen Grund sti.itze ich mich, wenn ich demi.itig um weise zu machen und sie in diesem Zustande ebenfalls auf
NachlaE bitte. So bleibt Ihnen auch noch Uberraschung i.ibrig, ihre Kosten zu erhalten, sondern nun nach allem diesem wollte
wenn Sie am Ende horen werden, was geschehen ist, und dies 20 20 man auch (risum teneas! 86) Chausseegeld von ihnen. Dies sei
verspreche ich umstandlich Ihnen zu schreiben. Doch ganz die Veranlassung, die sie in einem ordentlichen Zuge mehrere
leer sollen Sie mir nicht ausgehen. Also hier etwas, was ich Hunderte stark der Residenz zuftihrte. Daman ihre Annaherung
zuverlassig weiK Es kam in Vorschlag, man solle auch mehrere harte und ihr Verlangen, vor den Fi.irsten zu kommen, so schickte
Extraordinarios Theologiae aufstellen - Flatt wird es vielleicht dieser einen Herrn von Ri.idtb 87, I einen gescheiten und verni.inf- 7/8
wirklich auch auf den Herbst werden - und den Repetenten 25 25 tigen Mann, wie man sagt, entgegen, damit er sie vom Fi.irsten
mehrere Lesefreiheit zu ihren beliebigen Stunden77 geben. Uh- abhalten und i.iberhaupt wegen ihrer Beschwerden i.iber die zu
la.~~78 erwid~rte .hierauf: ,Das fmde ich ganz und gar nicht prabierenden88 Abgaben besanftigen sollte. Er sagte ihnen unter
nong, haben p d1e Ordinarii keinen numerum 79 nicht; und ich anderm, daE eben heutigen Tages die Bedi.irfnisse i.iberhaupt
lese die exegesia Veteris Testamenti, die christlichen Alterti.imer, gestiegen seien, daE diese mehr Aufwand und also mehr Auflagen
i.iber die symbolischen Bi.icher, ein Pastorale usw., mein Herr 30 30 erfodern, daE sie urn so billiger sein werden, dies zuzugestehen,
Collega die exegesia Novi Testamenti usw." Und noch eine da sie ja sich selbst aile besser kleiden als nur vor zehn his
Klostersneuigkeit: Magister Schwindrazheim und Kandidat Ri.i- zwanzig Jahren, und dergleichen mehr. Ein ganz alter Bauer
1" b . d d" . . 80 ergriff hierauf das Wort und sagte, er habe noch den letzten
~e 1~ sm lffilttlert. Warum, weiE ich nicht; ich glaube, auf
die Vlelen Karitionen, Karzer und Testimonia81 hin.
3
Orig.: »Wird« a Orig.: »Oehringischen«
b Orig.: »Rumelin« b Orig.: »Ried«

26 27
Briefe A 3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

Grafen gekannt; der habe doch auch mit seinen Untertanen Sehen Sie hier neue Beweggri.inde fur Schatzung unsers Vater-
gesprochen; der itzige Fi.irst habe es his itzt nicht getan; es sei landes!9t Die Ohringe~ Bauem erkennen es gar wohl. Denn
wahr, daE sie sich besser kleiden, aber das mi.issen sie verdienen. neulich kamen sie in die Stadtschreiberei zu Weinsbergb92 und
Zu des Grafen Zeiten habe freilich niemand eine Sackuhr ge- lieBen sich ein Verzeichnis unserer Taxen geben, urn die ihri-
tragen, als der Herr Graf selbst eine silbeme, welches man fur 5 5 gen auf wi.irttembergischenc FuB setzen lassen zu konnen. Es
etwas GroBes gehalten habea, aber Er sei itzt nur der Abgesandte wird Ihnen angenehm sein, bei dieser Gelegenheit zu horen,
vom Fi.irsten und habe gar zwei; ob sie dannb das auch bezahlen daB von Serenissimo93 an aile Oberforstmeister ergangen ist,
mi.iBten? Eine andere Anekdote, die man erzahlt, ist, daB von bei Kassationsstrafe94 ailes Wild, das auf die Felder komme,
drei Deputierten, die einmal beim Fi.irsten waren, einer beim zu erschieBen. Ich wurde soeben an noch etwas erinnert. Sie
Weggehen sagte, er merke schon, daE es Thro Gnaden gehe wie 10 10 teilten mir einige Threr Reisebemerkungen mit, urn mir die unan-
ihm; bei ihm sei das Weib Meister und beim Fi.irsten die Rate. genehme Erfahrung, i.iberspannte Erwartungen im Auslande her-
Der Fi.irst habe ihm nachgerufen, er solle noch einmal herein- abstimmen zu mi.issen, zu ersparen. Sie sagen dabei auf eine
kommen und das Gesagte, das er nicht recht verstanden, wie- sehr ehrenvolle Art, daB ich dagegen dienende Bemerkungen
derholen. Dann sei dieser, aber auch die zwei andem, wieder schon zu Hause werde gemacht haben, aber ich muB Ihnen
mit hereingetreten, und nachdem er dieselben Worte noch einmal 15 15 dagegen erklaren, daE, so schon und wohlgemeint alles dies ist,
wiederholt [hatte] , seien sie ohne weiters entlassen worden. Lange dies doch einen auf einer empfindlichen Seite angreifen heillet.
war die Vermutung, daB die Bauern von einem Advokaten in Denken Sie denn so gar nicht an meine Touren nach StraEburgd,
95
Heilbronn sich heimliche Instruktion geben lassen. Nun vermutet Zurich, Konstanze, ins Badische und auf den Odenwald? MuB
man gar, er sei in ihrer Mitte in einen Bauren verkleidet unter man da nicht empfindlich werden? Doch nein, es war mir sehr
dem Namen Vetter Michel. 89 Denn diesem Michel folgen aile auf 20 20 lieb, durch Thre Bemerkungen und Erfahrungen die meinigen
den Wink, und sein Gesicht sei so unbekannt, daB niemand in bestatigt zu sehen. I 8/9
ihm einen Hohenlohischen Bauren erkennen will. Gegenwartig
sollen die Bauern unruhiger werden, mehr zu Gewalttatigkeiten Ich habe Ihnen Reinholdiana schon genug vorgeplappert und
schreiten, und itzt sollen sich auch die Bi.irger zu ihnen schlagen. doch finde ich mich genotigt, es noch mehr zu tun, urn so
~ur..no~h einige Proben der Bedri.ickungen. Der Pdizeptor Ernst 25 25 mehr, als einige Nachrichten, die ich Ihnen noch zu melden
m Ohrmgenc, de~. wegen seines unzulanglichen Einkommens habe, ein neues BHittchen zu nehmen nicht lohnen wi.irden.
eine vermogliche Ohringerind geheiratet hatte, 90 muBte, weil nun Zudem war ja das Vorige nicht Sache der Neugierde, und
dies Vermogen aus dem bi.irgerlichen Gewerb heraus in einen dieser mi.issen Sie doch auch Nahrung zu verschaffen suchen.
Privatgebrauch i.ibergehe, eine Nachsteuer bezahlen. Einem Bau- Man sagt, er konne eben auch wie die meisten der Sterblichen,
ren wurden neulich bei Auslosung eines Kaufbriefes, wo der 30 30 besonders wenn sie Vorzi.ige haben, Widerspri.iche nicht sehr
96
Kauf ohngefcihr 2000 Gulden betragt, 29 Gulden abgefodert. ertragen. Man sagt, schlimme Finanzumstande vermehren oft

a vom Hrsg. gestr.: »welches man fUr etwas GroiSes gehalten habe« (Dittogra- a Orig.: »Oehringer«
phie) b 0 ng.:
' , TIvvemsperg«
T •

b hier im Sinne von »denna? c Orig.: »wirtembergischen«


c Orig.: »Oehringen« d Orig.: »Strasburg«
d 0 ng.:
. , 0 ehrmgenn«
. . e Orig. : »Kostanz«

28 29
Briefe A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

sehr seine iible Laune. (Ist seine Frau, die Sie so sehr loben, Er erinnerte sie dabei, daf.S Reinhold ein Katholik gewesen sei
auch eine gute Okonomin?) Und eben daher will man auch und also Vorsicht noch notiger mache.
eine gewisse Schreibseligkeit ableiten. Man sagt, er habe Kanten
seine Theorie vorher im Manuskript zugeschickt, aber dieser Jungfer Schwabin nebst ihrer Mutter106 laf.St sich Ihnen emp-
habe sie ziemlich kalt zuriickgegeben. 97 Was wissen Sie und 5 5 fehlen. Sie schien mir in einiger Verlegenheit zu sein, weil sie
was antworten Sie gerne auf diese ,man sagt"?98 Letzteres bemerkte, daf.S ich sie ins Gesichte faf.Ste. Aus Ihrem Briefe
kommt, wie Sie selbst vermuten werden, mir nicht ganz un- konnte ich und mochte ich nichts erzi:ihlen. Ein anders Mal
wahrscheinlich vor. Ich wiinschte, ihn noch in bessere Gegenden also ein mehreres und was Besseres.
versetzt zu sehen, damit er, Gartenphilosoph99, die Einfliisse
einer bessern Luft empfinden mochte. Ich glaube iibrigens 10 10 Rapp griif.Sen Sie mir herzlich. Wie komportiert denn er und
gerne, daf.S dieser jovialische Schriftsteller sehr viel sub die 100 Reinhold sich? Es ist mir lieb, wenn ich durch Sie von ihm
arbeitet. Sie werden vielleicht fast denken, meine Achtung ftir was hore, da ich durch Flatt nicht viel oder nichts horte.
den Mann habe sich ziemlich vermindert. Etwas ist wahr daran,
und ich fur mich ware geneigt, es einem Naherriicken dem Tafmgers Vokation 107 an Geheimen Rat Hoffmanns 108 Stelle ist
behandelten Gegenstande zuzuschreiben, und dabei bitte ich 15 15 abgegangen. I 9/10
(Sie) zu bedenken, daf.S bei mir in der Ferne oscula 101 nicht
d~s suppli.eren konnen, was auf diese Weise abgehet. Ubrigens Noch eine Anekdote 109, und mein ganzer Vorrat ist aus. Sie
k~nnen 81e auch manches durch Erklarungen von ihm sup- werden vielleicht selbst noch wissen, daf.S Oberamtmann von
plieren, und urn das wiirde ich Sie vielleicht sehr beneiden, Sulz bei seinen vor einiger Zeit hingerichteten Malefikanten
wenn ich nicht H?ffnung hatte, daf.S einige Brosamlein wenig- 20 20 herausbrachte, da.f.S sie an einem Juden in Frankreich einen
stens von Ihrem Uberfluf.S mir zuteil werden werden. Sie be- Diebstahl begangen haben, der an verschiedenen Bauren der
dauren, daf.S Reinhold nicht iiber seine Theorie lieset, und ich Gegend teils mit der Lebens-, teils mit der Galeerenstrafe be-
gratuliere Ihnen dazu, da er wohl sonst nicht Logik und Me- straft wurde, und da.f.S der Oberamtmann dies an die gehorige
taphysik102 lesen wiirde. Schwerlich wird es Ihnen an den Vor- Stelle berichtet hat. Vor einigen Tagen nun sah er mehrere
~:nntnissen. daz.u gefehlt haben, da Logik sich immer horen 25 25 Weiher vor sein Haus gefahren kommen, sie in sein Zimmer
la~set und 81e b.e1 der Metaphysik schon die notige Bekanntschaft treten und auf den Knien vor ihm liegend ihm bezeugen, da.f.S
~It .der Theor~e werden gehabt haben. Die Metaphysik wird sie die Wittfrauen seien, welche ihm ihre verlorene Ehre und
his Itzt wohlmchts als Kants transzendentale Dialektik 103 sein. Vermogen zu danken haben, und da.f.S sie gekommen seien,
(Lesen Sie doch ja bald Kant selbsten.) Miissen Sie als Magister den edlen Mann kennenzulernen, der unbekannt so sehr sich
das ganze Honorarium 104 zahlen, und haben Sie als solcher 30
30 ftir ihr Bestes verwendet habe und dem sie nie ihre Dankbarkeit
e~en? ei?enen Si~? Sie verstecken doch Ihre Magisterwiirde hinlanglich zu bezeugen wissen. Die Weiher batten ni:imlich
mch~. Ems. muf.S 1ch noch von Reinhold sagen. Le Bree 105 soll die konfiszierten Cuter zuri.ickerhalten, und die Hingerichteten
neulich be1 der Disputation offentlich vor ihm und vor Kant und die Galeerensklaven, die teils gestorben, teils verschollen
als ftirchtigen Scholastikern seine lieben Herren gewarnt haben. waren, wurden im ganzen Reiche fur unschuldig erklart. Der
35 Oberamtmann und die iibrigen Honoratiores waren auch iiber
die Weiher so erfreuet, da.f.S sie sie vier Tage lang einer urn
a Orig.: >>Le B[ret) « den andern traktierten.

30 31
Briefe A 4 An Niethammer, 2. September 1790

Itzt leben Sie wohl. Wir haben bis itzt beede das Unserige
getan. Lassen Sie uns so fortfahren, oder ist Ihre Geduld er- A4
miidet? Immanuel Carl Diez, Ttihingen
Donnerstag, den 2. September 1790
Ich bin 5 An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
Ihr
aufrichtiger Freund, Dz.
'llibingen, den 2. September 1790 1
Nota: Vergessen Sie neben Reinhold und seiner Lehre nicht
Ihre Geschichte 110 und andere Manner, U[lrich] , D[oderlein], 10 Lieber Freund,
G[riesbach], P[aulus], S[chmid]. Schade ist, da~ alles in der Sie sind ein sehr generoser, aber dabei ein sehr ungliicklicher
Zeit geschehen mu~ und nur sukzessive Apprehension des 5 Korrespondent. Alles beehren Sie reichlich mit Ihren Briefen,
Mannigfaltigen moglich ise 11 . Leben Sie wohl. dagegen gibt es immer etwas, was den Lauf derselben nicht
sehr begiinstigt. Erst wandten Sie sich an Camerer2, und wenn
Den 22. Juni 1790 15 er nicht abwesend ist, so scheint er andere Troublen, wie Sie
nachher horen werden, zu veranlassen. Nun wenden Sie sich
IO an mich, und bei mir mu~te Ihr Briefepaket auch vier Wochen
uneroffnet liegenbleiben. Ich hatte namlich auf ft.inf Wochen
eine Tour ins angrenzende Ausland 3 gemacht und nur bei Ca-
merer die Bestellung gemacht, daB Ihre Briefe an mich, deren
baldige Ankunft nach meiner Abreise ich zum voraus vermutete,
15 sogleich an Klett abgeschickt werden sollen. Und so batten
Ihre Briefe abermal ein unangenehmes Schicksal, und diesmal
konnen Sie sich dabei Liber niemand argern. Inzwischen ist
es doch argerlich. Gleich den andern Tag nach der Eroffnung
iiberschickte ich alle eingeschJossenen Briefe an die Behorde,
.20 und die iiber Feld gehenden 4 begleitetc ich mit einem Schreiben,
das den fatalen Umstand meldcte. Herrn Krais 5 konnte ich in
der Eile natiirlich nur die Me~gcschicht ·6 1ief'crn und das iibrige
nachzuschicken versprechcn. Aber nacb aiJcm die em kam ich
noch mit Herrn Camerer zu sprcchcn. D •r gut Mann i t durch
.25 kein Porto geprellt. Inzwi schcn hat •r, wi ' cr mir sagte, das
Porto auf alle einzelen, frankicrt 'J 1 und unfran ki ·rtco, Briefe
verteilt und das auf die franki •ttcn f~tiJ ·nck d ·htlg fur Sie
aufgezeichnet. Noch auffall ndcr war mir abt·r, cla(~ er mir, der
ich ihm seinen Brief und die ilun •ingetJdilos!wncn frPi gcbcn
30 wollte, neun Batzen, w khes dil' I Jiilfk d{'H Porto ausrnacht,

32
Briefe A 4 An Niethammer, 2. September 1790

da sein Brief kein Sechsteil ist, aufdrang, auf aile Vorstellungen, dienen. Glauben Sie nicht, daE ich Flattianer bin. Flatt und
daE ich es nicht ihm, sondern Herrn Niethammer tue, nicht ich sind zu sehr getrennt, da Ort und Studium uns so nahe
zuriicknahm, sondern davonlief. Es versteht sich, daE ich es verbinden konnten, als daE sich so etwas sagen lieEe. Zudem
wenigstens so nicht behalte, und ich werde nun bei der Ab- klage ich ihn wirklich eines bosen Willens (an), und nun werden
schickung neuer Briefe mit ihm davon sprechen. Denn, urn 5 5 Sie meine Gesinnungen schon gegen ihn abnehmen konnen,
Sie, lieber Mann, nicht zu lange warten zu lassen, veranstaltete wenn ich dabei noch sage, daE ich auch Schwiiche der Augen
ich gleich auf heute eine Abschickung, weil er doch einige bisweilen bemerken will. Was Thren Herrn Reinhold betrifft -
Briefe, wie er mir sagte, daliegen hat. Also wissen Sie, warurn werden Sie nicht bose, wenn ich an dem Lieblinge Thres Herzens
ich llmen schreibe und was ich eigentlich schreiben wollte. zupfe -, finde ich in der Tat mehr Enthusiasmus, als in meinem
Inzwischen kann ich nun doch damit den Brief nicht aus den 10 10 I deale eines Philosophen liegt. Der Mann hat zu viel Empfindung,
Hiinden geben, ich muE doch noch etwas hinzusetzen, wenn aber ich stelle mir Ieicht vor, wie dies den groEen Denker im
es gleich nicht eine Beantwortung Thres Briefes ist. Auf den Umgange s[einer] 3 Freunde hochst liebenswiirdig machen muK
gelehrten Teil zu antworten, mochte ich ohnehin gerne auf die Ein Kant, dem es durchaus nicht an Lebhaftigkeit und Emp-
Erscheinung des Reinholdschen Buchs7 aufschieben; was Sie findung fehlen soil, ist nicht so, ein Schultzb und ein Schmid
in demselben neue Forderungen an mich machen, kann ich 15 15 zeigen sich wirklich auch anders. Doch was sollen diese Bei-
nach meiner Reise sogleich nicht entsprechen, da ich nun pre- spiele? Thre Belege, daE Reinhold Widerspriiche ertragen konne,
digen, Briefe schreiben soil und dabei etwas aus dem Gedan- scheinen mir nicht ganz treffend. Was der dumme Mann ihm
J/ 2 kenhiiuslein bin. Vor Thre vielen giitigen Nachrichten I danke Einwiirfe macht, laEt sich freilich ertragen. Wo Mideiden rege
ich in meinem und Kletts Namen, der Thren Brief erst bekommen gemacht wird, findet Unwille nicht statt, und wenn Verachtung,
muE, recht sehr. Besonders freuten mich die Flattiana und 20 20 was der Fall bei U[lrich] 14 zu sein scheint, Wurzel gefaEt hat,
Reinholdiana und das, was Schmid~ 8 betrifft, nicht minder. so verbirgt sich bloE jener Unwille, welcher Widerspriiche nicht
Denn das ist ein Mann, den ich nach seinem schriftstellerischen ertragen kann, oder laEt er sich vielleicht gar bei der Griindung
Charakter iiuEerst schiitze. llm nehme ich niimlich nicht nur jener Verachtung entdecken. Ich muE es wieder sagen, der
fur den Verfasser des Worterbuchs 9, sondern auch fur den Mann kommt mir zu leidenschaftlich vor. Ein Beleg statt aller
10
Verfasser der in dieser Messe erschienenen Moraltheologie . 25 25 Belege, aber ein Beleg, der seinen edlen, trefflichen Charakter
(Ich habe weder Bucher noch Catalogos 11 bei der Hand, urn ins Licht setzt, ist, daE Sie selbst sagen, das Gluck des Mannes
diese Angaben zu verifizieren.) Mein Urteil von ihm ist, daE hange an dem Schicksale der Philosophie, die er sich erkoren.
er selbst iiber philosophische Systeme denke und richtig denke
und daE er durch sein gesetztes Betragen allen Kantianern Sie werden doch vielleicht begierig sein, etwas von der groEen
zum nachahmungswiirdigen Muster diene. 12 Was die Reinhol- 30 30 Reise zu horen, die so funest 15 fur unsere Briefe war. Ich habe
dischen Urteile iiber Flatt 13 betrifft, so scheint mir in der Tat I
ein besonderes Interesse noch, llmen davon zu erzahlen. Ei- 21.3"
auch etwas Bitterkeit in denselben zu liegen; oder soil es nur gentlich sollte ein Besuch einem Vetter in Augsburg 16 gemacht
Folge der Bitterkeit von Flatts Seite sein? Vielleicht lieEe sich Werden. Ich machte ihn gerne, besonders in Hinsicht auf die
sagen, es sei auch etwas Inkonsequenz darin. Das mikroskopische
Auge, das auf dem Fleck, wo es hinsieht, so gut sieht, kann 35
einmal nicht solche Einwendungen machen, die wegen Un- • Var.: »s(einem] «
wichtigkeit verachtende Abweisung in so hohem Grade ver- b Orig.: »Schulz«

34 35
Briefe A 4 An Niethammer, 2. September 1790

brter, die sich bei der Gelegenheit durch Urn- und Abwege nur Benzenwahrheiten finde, aber furs zweite werde er sich
mitnehmen lassen. In Augsburga selbst hatte ich zwar liebreiche wohl schwerlich die Beistimmung der gelehrten Welt verspre-
Verwandte, aber sonst wurde ich wenig erbaut durch den Ort. chen diirfen. Mir bangt fur den guten, rechtschaffenen Mann,
Eine Exkursion, an die ich nicht gedacht hatte, machte ich von und mich diinkt, Sie, heber Niethammer, seien in der Lage,
Augsburg aus nach Miinchen. 17 Von beeden Orten will ich 5 5 da~ Sie bei oder durch Reinhold etwas zu einer guten Aufnahme
Ihnen nichts sagen, als da~ ich erst auf der Heimreise Stattlers 18 (in der Allgemeinen Literatur-Zeitung) beitragen konnen 27 . Es
Anwesenheit in Miinchen erfuhr. Das betriibte mich herzlich, ist mir wegen dem Trosse von Zuschauern darum zu tun, die
aber zu spat ist zu spat. Von Augsburg ging ich nach Dillingen. sich zum Teil zu sehr freuen wiirden, den furchtigen Naturalisten
Sailer 19 war leider krank. Weber20, der Physiker, war sehr kom- und Atheisten da an dena gelehrten Pranger gestellt zu sehen.
plaisant. Er sprach gerne von Kantischer Philosophie, die er 10 10 Machen Sie doch, wenn Sie was konnen, was Sie konnen. Von
schatze und studiere, konnte aber doch sagen, da~, soviel er da machte ich einen Besuch im Reichsstifte Neresheim. Ich fand
das System kenne, aile ontologischen Wahrheiten dabei in Si- da an einem Pater Magnus 28 einen herrlichen Mann und einen
cherheit bleiben. Ich verlie~ auf diese Weise Dillingen sehr trefflichen Kantianer. Ich fragte ihn urn seine Meinung wegen
bald, ohnerachtet Weber auf den folgenden Tag mich eingeladen der Konsequenzen, die meines Bediinkens aus der Kantischen
hatte, wo er die logicos und metaphysicos promoviere21 . Wahre 15 15 Philosophie fur Wahrheit der christlichen Religion (hflie~en), und
Herzenserquickung und Herzenserhebung fand ich zu Hei- er gestund mir geradezu zu, da~ aile Beweise fur die Gottlichkeit
denheim in Brastbergers 22 Umgange. Ich fand in ihm nicht nur derselben und aile Dogmatik in die - Dialektik29 gehoren. Er
den hellsehenden Mann, sondern auch den rechtschaffen den- erzi:ihlte mir von einem Professor in einem benachbarten Kloste2°,
kenden. Er lebt wie ein Weiser, hat zwei Kinder von seiner der seinen Schiilern christliche Theologie vortrage, ohne ein
verstorbenen Frau 23, die er sich selbst erzieht, und ist, die 20 20 Wort von allen diesen Dingen einzumischen, und der blo~ am
Pietisten abgerechnet, geschatzt von seiner Gemeinde, wie man Ende des Kursus eine Dogmatik historisch anhange ((aber Stil-
sagt. Unsere Unterhaltungen betrafen die mit ihm vorgenom- le!)). Welche Freuden hier fur den Kosmopoliten, aber welche
menen Inquisitionen24, die Unterschrift der symbolisch[en] traurigen Aussichten fur den Wurttembergischenc Stipendiaten,
Bii[cher]b25 und die Kantische Philosophie. Seine Meinung von der in Wurttembergd sein Brot suchen will! Sehen Sie nun, wohin
25 wir itzt unser Augenmerk richten miissen. Friiher oder spater
der letztern istc, da~, was Kant sage, li:ingst anerkannte Ben- 25
zenwahrheiten seien, died [die] Philosophen niemalen, willge- I konnen solche Uberzeugungen sich bilden und festsetzen, und 3/4
schweigen ein Leibniz, iibersehen habene. All[es das] f wird er wir miissen auf aile Faile darauf gefa~t sein. 31 Untersuchen Sie
in einer eigenen Schrift26, die Gebauer zu Halle drucken la~t, also mit allem Ernste die Frage: Kann der, der keine Offenbarung
zu zeigen suchen. Ich bezeugte ihm, da~ es mich sehr freue, stricte sic dictam statuiert, christlicher Religionslehrer werden?
30 Sobald ich Mu~e erhalte, werde ich meine Gedanken aufsetzen,
einmal einen solchen Gegner auftreten zu sehen, der in Kanten 3°
mit Klett kommunizieren und dann Professor Kern 32 in Ulm
a Orig.: »Augspurg«
b Text infolge Beschadigungen durch die Siegelung nur unvollstandig lesbar
c vgl. Fu!Snote b a »den«?
b
d vgl. Fu!Snote b vom Hrsg. gestr.: »aus Kant«
e Orig.: »habe« c Orig.: »Wirt[em]bergschen«
d 0.
f vgl. Fu!Snote b ng.: »Wirtemberg«

36 37
Briefe A 5 An Niethammer, 12. Oktober 1790

zuerst sie zuschicken. Sie sehen, dag ich noch eine interessante
Bekanntschaft gemacht habe, aber auch, dag mein Papier zu AS
Ende ist. - Wegen Leibniz, di.inkt mich, geben Sie in Gottes Immanuel Carl Diez, Tiihingen
Namen heraus, was Ihnen Reinhold und andere solche Manner Dienstag, den 12. Oktober 1790
namhaft machen, wenn Sie einen Verleger finden, der Sie darum 5 An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
4
bezahlt. 33 Wegen Jungfer Schwabin schrieben Sie mir zu dunkel?

Wenn Sie nicht gem an C[amerer] sich mehr halten, so wenden Ti.ibingen, den 12. Oktober 1790 1
Sie sich an uns, Klett und mich.
10 In Ihren JubeF, lieber Niethammer, stimme ich gerne ein, soviel
PS in Eile ich kann, aber stimmen Sie nun auch in die Klaglieder ein,
5 die ich armer Hiob anstimme. Ich bin zum Repetenten ernannt. 3
Hatte der Teufel wohl eine schwarzere Plage mir aufbinden
konnen? Und stellen Sie sich vor, wie malizios die Sache ging.
In Stuttgarta4 horte ich, daE ich in Wurfkommen konne. Sogleich
ging ich zu Ruoff5 und bat instandigst urn Verschonung, von
10 da zu Klett nach Dettingen und schmiedete mit diesem Plane,
wie dem Unheil begegnet werden konne. Fest entschlossen,
alles zu versuchen, trat ich die Ri.ickreise an, und noch war
ich nicht zu Hause, als ich bereits erfuhr, daE ich's sei. Eine
schone Perspektive eroffnet sich mir inzwischen doch. 6 Bald
15 werde ich Herrn Magister Niethammer, "der zu Jena auf eine
so ruhmwi.irdige Weise seine Kenntnisse zu erweitern sucht"7,
bald unser Schema8 und bald meinen S [i.iEkindt in meiner
Mitte sehen. Das soll doch eine Gesellschaft werden, die sich
sehen lassen darf, und Kant soli dann in Tiibingen gewonnenes
20 Spiel haben und in locis 10 verlegene 11 Dogmatik trefflich re-
formieren. Ich lase gestern in Morus' Epitoma 12• Ich rede von
ihm, weil solche Bucher Ihnen wohl ebensowenig in die Hande
kommen werden, als sie mir seit einem Jahre in die Hande
gekommen sind. Ich lase "Von der Religion i.iberhaupt" 13, und
25 welche krasse Heteronomie, welche hochste Millkenntnis aller
Moral fand ich da! Mitleidig dachte ich an die Schafe, die in
der Irre gehen, aber, lieber Gott (!), den Schaferstecken, der
sie zuri.ickbringen soli, mag ich doch auch nicht ftihren.

a Orig.: »Stuttgardtcc

38 39
Briefe A 6 An Nietbammer, 5. Dezemb er l 790

Ihren Brief erhielt ich vorgestern in spater Nacht. Ich sehe,


da~ Sie darin auf einen Brief von mir warten, und ich erwarte A6
langst einen von Ihnen. Habe ich Ihnen danna nicht gesagt, Immanuel Carl Diez, Tiihingen
da~ ich wegen der Antwort aufs Literarische die Erscheinung Sonntag, den 5. Dezemher 1790
der Reinholdischen Beitrage 14 abwarten werde? Oder dachte s An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
I/2 ich es inzwischen nur ftir mich? I Ihre Gegenbemerkungen
habe ich mit Aufmerksamkeit durchlesen, und noch glaube
ich, auf das meiste antworten zu konnen. Doch tempus docturus, Den 5. Dezember 1790 1
quid sit futurus. 15 Gegenwartig habe ich unmoglich Zeit zu
schreiben. Ich mu~ durch Planckb 16 Briefe nach Gottingen IO
17
Ad no tam 4 ) 2 Die Lehre, da~ ein Erkenntnisgrund ft.ir das
schicken, Tafinger seine Bibliothek einrichten helfen 18 und ver- Dasein Gottes sowohl in als au~erhalb der Vernunft vorhanden
19
stunkene Dogmatik durchsuchen. Mir bangt fur mein Examen. 5 sei, ist kein sich selbst widersprechendes, aus Zusammensetzung
des Na- und Supernaturalismus entstandenes Koalitionssystem
Dieses Blatt schicke ich nun mit einem Briefe von Herrn Stadt- und unter die urspriinglichen Systeme aufzuzahlen. Den Beweis
schreiber20 Klett zu, damit dieser Ihnen viel und weitlaufig 15 ft.ir meine Behauptung haben Sie mir durch die privatim ge-
schreiben konne. gebene Erklarung sehr erleichtert. Nach dieser ist es ganz er-
I O kliirlich, wie man dazu kommen konne, ein System sich selbst
Leben Sie wohl und antworten Sie Gliicklicher bald und viel widersprechend zu finden, was es gewig nicht ist. Sie haben
einem geschlagenen Manne, der Ihr wahrer Freund. namlich mit Herrn Reinhold in den Begriff von Naturalismus
Dz. 20 und ebenso in den von Supernaturalismus ein Merkmal auf-
genommen, das den Widerspruch einer Vereinigung beeder
I5 Systeme nach ihren Begriffen auffallend macht, das aber andere
in ihren Be griff von Naturalism us und Supernaturalismus nicht
aufnehmen. Nach der gewohnlichen Meinung ist namlich die
Behauptung des Supernaturalisten nicht: Der Erkenntnisgrund
liegt blofi augerhalb der Vernunft. Es mag sein, da~ manche
:<o in diesem Sinne Supernaturalisten sind. Ebenso mag es auch
dogmatische Theisten [geben] , welche sagen, der Erkenntnis-
grund liege durchau.s nicht augerhalb der Vernunft. Aber eben
darum machen sie eigene Parteien aus und sind von derjenigen
Partie der bejahenden Hauptpartei zu unterscheiden, welche
25 behauptet: Es liegt nicht blofi in dem einen oder in dem and ern

der Erkenntnisgrund, sondern er kann in beeden liegen. Die


bejahende Hauptpartei teilt sich auf die Frage, liegt der Er-
kenntnisgrund in oder auger der Vernunft:, wieder in mehrere
a hier im Sinne von »denn« Parteien. Man kann namlich entweder sagen, es liegt nur in
30
b Orig.: »Plank" dem einen, oder, es liegt nicht nur in dem einen. Die ersten

40 41
Briefe A 6 An Niethammer, 5. Dezember 1790

konnen wieder sagen, es liegt notwendig nur in dem einen, Ad notam 6) Die Stoiker suchten nicht in dem angegebenen
oder, wir finden es eben nur in dem einen; es konnte zwar Vergniigen den Bestimmungsgrund zum Guten, sondern in rei-
in beeden gesucht werden, aber soviel wir itzt sehen, ist es ner Vernunfttatigkeit ohne aile Hinsicht auf Lust oder Unlust
nur in dem einen vorhanden. In dieser Subdivision haben Sie in dem schlechthin Guten, das sie ausschlie~end gut nannten.
Ihre Naturalisten und Supernaturalisten zu suchen, aber kei- 5 5 Diirfen wir nicht diese, glaube ich, echt Kantische Idee Flatt
neswegs erschopfen sie meines Bedunkens die ganze K.lasse eher zutrauen als die von Reinhold angegebene und von Kant
der bejahenden Hauptpartei. Da~ es au~er ihnen Philosophen so weit abirrende? An Stoiker hat er ohne Zweifel gedacht
gegeben habe, die entweder behaupteten, die eine Quelle oder auch an solche, die ihr Prinzip des Willens Gottes vom
schlie~e die andere nicht notwendig aus, sondern die eine Sinnlichen entfernten und sauberten. 6 I 112
flie~e eben (und die andere nicht), oder die behaupteten, es 10 10
flie~en wirklich beede Quellen, ohne da~ wir sie deswegen Ad notam 7) 3 Sie fragen: "Zu welchem Zwecke die gemachte
aus der Klasse der Philosophen ausschlie~en mussen, werden Flattische Anmerkung?" Flatt will meines Dunkens zeigen, da~
Sie wohl bei nochmaliger Uberlegung nicht in Zweifel ziehena, wieder eine merkwurdige Sekte7 ubergangen sei. Reinhold gibt
und ich werde nicht versucht werden, das, da~ sie in die Phi- nun zu, da~ sie ubergangen sei, aber halt sie nicht fUr merk-
losophenklasse gehoren, auszustreichen. (Sie erinnern sich mei- 15 15 wiirdig, weil sie keine Philosophen seien. So verstehe ich Flatt
nes Ausstreichens 3, das Sie nicht hinderte, das Geschriebene und Reinhold. Flatt hat nun, glaube ich, recht zu behaupten,
zu entziffern.) Es gibt Philosophen genug, die das Dasein Gottes daE sie als merkwurdige Sekte angesehen worden sei, und
(aus der Vernunft) beweisen zu konnen glauben und dabei weil Reinhold doch Stimmen sammeln will bei den vorhandenen
die Unmoglichkeit einer Offenbarung keineswegs behaupten, angesehenen Sekten, so ist es unerwartet, sie ubergangen ZU
und dann wieder eine andere Partei, die naturliche und gottliche 20 20 finden, und daher fmdet sich Flatt veranlasset, die Anmerkung
Offenbarung annimmtb. Das Fundament ihrer Philosophie steht zu machen, die dies sagt. Hingegen hat Reinhold recht, sie
so feste als das der Theisten und Supernaturalisten in Threm aus dem philosophischen Staate zu verweisen. Denn Alberneres
Sinne. Lassen Sie diese fiir Philosophen gelten, so miissen Sie gibt es wohl nichts als zweifeln, ob man zweifeln musse, wenn
auch jene fur Philosophen gelten lassen. man in (Zweifels)ungewi~heitb ist.
25 25

Bei dem Uberlesen dieser Note fand ich, da~ ich die Sache Ad notam 8) Hier kommen wir in die Priifung der Beweise
kurzer und deudicher hatte ausdrucken konnen. Inzwischen fUr Offenbarung8 hinein, die uns zu weit fUhren wiirde und
dunkt sie mir doch deutlich genug, urn Ihnen, derc Sie nicht die ich anzustellen noch nicht imstande bin, die aber gewill
Mi~verstandnisse suchen, die wahre Idee faB!ich und den noch Vorwurf mundlicher oder schriftlicher Unterhaltungen,
Ungrund der Reinholdschen Einteilung merklicher zu machen. 30 30 und zwar in extenso, werden wird.

Ad notam 5) Setzen Sie statt "der konsequente" "der den sym- Ad notam 9) Da Herr Reinhold doch in seinem Buche den
bolischen Biichern folgende'«~, und ich exzipiere5 nichts. Schliissel zur Kantischen Kritik geben will, so sollte man doch

a vom Hrsg. gestr.: »Werden« (Dittographie)


b Orig.: »annehmen« a zwei Satze bis zur Unleserlichkeit gestr.
c Orig.: »die« b »(Zweifels)ungewiBheit«?

42 43
Briefe A 6 An Nietha=er, 5. Dezember 1790

glauben diirfen, daE man in ihm die Beweise von dem MiE- Die weiterhin folgenden Noten 19 unterschreibe ich entweder,
verstandenhaben auffinden konnea. Sollte dies nicht aus dem oder muEa meine Antworten auf eine wiederholte Priifung der
Aufsatze Uber das Verhaltnis pp. in den Beitragen bestatiget Theorie verschieben. Eben daher werden Sie auch die Anmer-
werden? 9 Dies hat nun aber Flatt ( freilich) nicht auf die Art kungen iibers dritte Buch20 nicht so bald erhalten. Nach Herrn
gesagt, wie ich es gesagt hatte. Zudem ist aber zu bemerken, 5 5 Reinholds Selbstrezension 21 , die ich durchloffen habe, scheint
daE die Schuld davon an dem Leser liegen konne, und sie er mir da Korrektionen vornehmen zu wollen, wo ich Irrtum
also nie zu gravierend fur Reinhold werde. Dies wird dadurch zu bemerken glaube. Ich sprach einmal mit Flatten iiber eine
deutlicher, daE Flatt jene Satze und Beweise sucht. 10 falsche Bestimmung des Begriffs von Sinnlichkeit und Verstand22
und von einer zu groEen Einschrankung des Gebrauchs der
11
Notis 11. und 12. scheint mir Reinhold vollig recht zu haben. IO 10 Kategorien und suchte sie wenigstens als nicht-kantisch zu
zeigen. Er gab mir recht, aber da lacht ja Reinhold, wenn Flatt
Notas 13 - 16 behalte ich mir auf das Studium der Fundamen- von echtem Kantianismus sprechen will. 23 Er mag lachen. Ich
tallehre vor. 12 gehe inzwischen meinen Weg fort und lache vielleicht einst
mit ihm.
Nun kommen Sie in Thren Anmerkungen, die ich bisher neben 15 15

den Reinholdischen verfolgte, auf einen von Flatt nicht be-


riihrten Punkt, wo Sie aber spaterhin meiner Einwendung zu Hier, mein lieber Freund, sehen Sie meinen guten Willen, den
begegnen versprechen.13 Sie machen den Punkt nicht namhaft. Leitfaden wieder aufzunehmen, aber auch mein Unvermogen,
Ohne Zweifel ist es der Beweis zu dem § XXIV. 14 Hieriiber i~ ~el weiter zu verfolgen. Sie haben da einige Bemerkungen,
· habe ich nun vollkommene und schmeichelhafte Satisfaktion. 20 20 d1e s1ch an die Nummern der R[einhold]ischen Antwort auf die
Oder sollte ich Ihnen hievon nichts geschrieben haben? Dies Flattische Kritik anschlieEen. Der Grund meines Unvermogens,
kann ich kaum glauben. Meinen Achilles15 hielte ich gewiE den Leitfaden recht aufzufassen und ihn nach Wunsch zu ver-
VOID Kampfplatze nicht zuriick. Herrn Forberg 16 mochte ich folgen, sind einesteils die Amtsgeschafte. Ich habe erst kurz
fast als unbekannt griiEen lassen. So sehr freuet es mich, gepredigt. l Ein Locus und zwei Predigten stehen mir bald wieder .</3
bei einem Einwurfe einen fur sich gleich Denkenden gefunden 25 25 ~evor. 24 Andernteils sind meine Privatstudien wirklich auf prak-
zu haben. Einstimmen tat (dies ist kein Schwabismus) Klett tlsche Philo sophie gerichtet, wenn sie nicht auf Dogmengeschich-
17 te, die ich nie studiert hatte, gehen. Ich bin in einer Repetition
sogleich, und wir riefen iiber Reinhold oft das pauvre aveugle
aus. Ich weiE nicht, ob es bloE Eitelkeit - es ware doch der Schmidischen Moralphilosophie25 begriffen, und nach dieser
eine kahle Eitelkeit - ist, wenn ich nun auch zu wissen wi.in- gedenke ich Kants Grundlegung und Kritik der praktischen Ver-
sche, wann Forberg auf seine Kritik kam. Ich gebe Ihnen 30 30 nunft zu lesen, was alsdann weder zuviel Zeit noch Miihe kosten
keine Kommission, sich zu erkundigen, aber sagen muE ich kann. Erst nach diesem gedenke ich Reinholds Beitrage zu stu-
Ihnen, daE ich noch wiihrend Ihres Hierseins eine Parodie dieren, die ich iibrigens schon durchloffen habe und die mir
geschrieben hatte, die sich endigt: ,Und es steht also das neue Achtung fur seine Talente und guten Absichten eingepragt
Grundgesetz fest: Wenn das BewuEtsein pp., so muE die Forrn, haben, wenn ich gleich glaube, daE er dabei ein Benehmen
das Hervorgebrachte - ein Mannigfaltiges sein usw." 18 35 35 beobachtet habe, das bei bosen Leuten der guten Sache schade

a vom Hrsg. gestr.: »ich«


a Orig.: »konnen"

44 45
Briefe A 6 An Niethammer, 5. Dezember 1790

und irn Grunde auch von seiner Seite Fehler zeige. Sein Angriff phie verbreiten konnen. Ich gebe diese Hoffnung nicht ganz
auf Systeme ist zu sehr mit personlichen Ri.icksichten verbunden, au£ Ich habe sie noch, aber ich mu!S sagen, ein tagliches Schwin-
und da Philosophen und Philosophie so schwer zu trennen sind, den vermindert sie. Denn ich glaube, der Thbinger Rezensent,
so hatte er, da er es so viel mit der Philosophie lebender Manner der von dem Magister Niethammer sagte, daiS er in Jena ,auf
zu tun hat, heber auch gegen die Systeme gelindere Saiten an- 5 5 eine ruhmwi.irdige Weise seine Kenntnisse zu erweitern suche"3\
stirnmen sollen. ,Difficile est satyram non scribere."26 Sie haben wird ihn, wenn er es nicht von selbst tut, gerne urn ein gutes
recht, und ich setze hinzu: besonders bei der Lebhaftigkeit und Wort in den Vorschlag nehmen. 35 Ettinger36 eroffnet nun freilich
dem Interesse, das Reinhold an der Sache nimmt. Demohner- bessere Aussichten fur Sie, aber desto unangenehmere fur mich.
achtet di.inkt mich: Eo laudabilius est satyram non scribere.27 Es wi.irde mir sehr empfindlich fallen, Sie nicht als Bibliothek~ 7
Sie konnen nicht glauben, was das meine Achtung fur Erhard 10 10 bald bei uns zu sehen, wenn mir nicht meine Vernunft gebote,
Schmid erhoht hat, daiS Sie mir sagten, er sei Satiriker und jedes verni.inftige Wesen als Selbstzweck zu behandeln, und ich
Skoptike~ in hochstem Grad, und daiS er nicht eine Spur von
8
wiirde sehr neidisch auf Ihr Gli.ick sein, wenn nicht Schmid
Satire in seine Schriften einmischt. Ich suche einen der Griinde mich vollig i.iberzeugt hatte, daiS die Vernunft zwischen Ich, Du
zur Erklarung der Verschiedenheit (in der Verschiedenheit) des und Er und Sie keinen Unterschied mache. 38 Ich mu!S hier noch
Gegenstandes, den Sie bearbeiten. Sie sehen daraus, wie gerne 15 15 etwas beri.ihren, an das ich beim Schreiben dieser Seite schon
ich fur Reinhold alles zum besten kehre, aber ohne Note gehet oft gemahnet worden bin. Sii!Skind schrieb mir neulich, Rapp
er nicht von meinem Richterstuhl weg, so sehr es mir fur ihn sei als entschiedener Kantianer und Storrianer von Jena gekom-
leid tut. Gravierende Umstande sind auch das fur ihn, daiS er men.39 Entweder, glaube ich, weill es Si.i!Skind nicht recht oder
seine Beitrage mit so gro!Sen Lettern drucken, den Zuruf an die versteht Rapp die Sache nicht recht. Es ist entscheidend fur den
streitenden Philosophen verbo tenus 29 wieder abdrucken 30 und 20 :<o gesprochen, der doch noch nicht Kantianer sein will. Aber ich
dann den Bogen sich so zahlen la!St, daiS ich nun fur sein Buch gri.inde den Ausspruch nur halb auf meine Einsichten. Wenn
zwei Gulden vierzig Kreuzer zahlen muK Ich schatze seinen Rapp wirklich so denkt, so mages sich wohl viel auf des Theologen
Inhalt, i.ibersehe das Kleingedruckte nicht und werde nach Abzug Schmids40 Gri.inde gri.inden. Wieder eine Voraussetzung, [ aber 3/ 4
des sechsten Teils den Preis bezahlen, aber unter solchen Vor- ist diese gegri.indet, so steht es gar schlirnm urn den guten Rapp.
wanden wird das Buch eben nicht haufig gekauft. Die Lektiire 25 :<s Denn der Neffe Schmid 41 macht alle Offenbarungsschopfer la a
werde ich vornehmen, sobald es irnmer moglich ist. Es konunt Storr zu Abergliiubigen und Christum und seine Apostel zu
nun ein iiu!Seres Moment hinzu, das mich zu diesen Studiena Phantasten. 42 Dies ist noch nicht meine Uberzeugung, aber ich
mit n_euer Gewalt hintreibt. Mein Predigen und Locus-Halten ahnde sie. Der Onkel Schmid hat die Einstirnmung der christ-
hat rmch all em Vermuten nach in das Geschrei eines schrecklichen lichen Sittenlehre mit der Kantischen Moral43; aber was beweist
30 dies fur Dogmatik und Hyperphysik? Und was dann seinen Beweis
K~tianers l?e?ra~ht, und eine innere Stimme spricht nun desto
31
30
starker: Du b1st s mcht, aber such's doch zu werden. Bier haben wirklich betrifft, so habe ich seine consensum demonstrantia
Sie auch die Perspektive, von der ich im letzten Brief mit Ihnen argumenta44 in dem Locus neulich mascule refutiert. 45 Storr horte
2
redte? Sie sollen doch sehen, wie Sie bei einem Eintreten ins zu, aber da half alles nichts. Den Dissensum zeigte ich freilich
Kloster und bei einem Versetztwerden in mein ehrsames Kol- nicht, konnte ihn auch nicht zeigen, aber itzt hat er doch mehr
legium verlegene33 Dogmatik reformieren und gesunde Philoso- 35 35 Wahrscheinlichkeit fur mich, wenngleich der Neffe Schmid sagt,

a Var.: »diesen Studium"?

46 47
Briefe A 6 An Niethammer, 5. Dezember 1790

daB nach seiner itzigen Uberzeugung Christus unda Kant gar viel von dem, was Moralitiit gebiete, und das Ganze hange gar
gut rniteinander i.ibereinstimmen. 46 nicht an einer Idee, oder die eine flieEe nicht aus der andern.
Aber wer wird auf das hin urteilen? Sonst hore ich so wenig
Klett kann Ihnen noch nicht antworten, und wenn ich Ihnen von ihm, als mein Kandidat von Reinhold weiK Wir waren
eine Anfrage unbeantwortet lasse, so riihrt es daher, daE er 5 5 schon einigemal zwar beieinander, aber konnten nicht Dinge
meinen Brief auch hat. Ihre Briefe habe ich frei erhalten und von Erheblichkeit reden.
alle beliefert, Schnorrer sein Paket selbst i.iberbracht. Er hat
Briefe erwartet, i.iber Ettinger47 rasend geschimpft und sehr Warum wird denn Schmids Moralphilosophie nicht rezensiert?55
viel Bereitwilligkeit, Herrn Niethammer zu dienen, gezeigt. Den Wie wird es Brastberger gehen? Das Buch vom letzteren kenne
Brief an Ihren Bruder48 will ich einschlieEen in einen Brief an 10 10 ich noch gar nicht als nach dem, was er mir mi.indlich gesagt
meine Freunde. hat. Seine Anklage ist hart, aber zweifelsohne falsch. Ich sagte
ihm sogleich, daiS er ein erwiinschter Gegner sei, wenn er
Sie werden begierig sein, auch die Wirkungen der Antwort behaupte, daE Kant ein System von Benzenwahrheiten gebe,
auf die Flattische Rezension zu erfahren. Bei Flatt selbsten war aber bei einem gewissen Teil gewiE nicht auf Einstimmung
ich schon lang nicht, und mag auch nicht zu ihm, ehe mein 15 15 rechnen di.irfe, wenn er behaupte, daiS diese Benzenwahrheiten
Brief an Sie abgegangen ist. Er soll gesonnen sein, wie Grie- von den Philosophen bisher nicht iibersehen worden seien. 56
singer49 von AbeP 0 harte, nicht zu antworten. Publice hat er
noch keine AuEerungen getan, dasb urn so begreiflicher ist, da Was horen Sie und was urteilen Sie vom Salzmannischen In-
er wenig Veranlassung dazu hat, weil er eben i.iber ein philo- stitut?57 Sie haben es doch auch gesehen? Ein fur mich und
sophisches Buch von Cicero lieset. 51 Ein Kandidat auf meiner 20 .<.o Klett sehr interessanter Gegenstand Ihres Briefwechsels, wenn-
Stube52 , der nicht zu den geringeren gehort, wuEte gar nichts gleich meine Traume in diesem Punkt fast ausgeschlafen sind.
von einer Flatt widerfahrenen Zi.ichtigung. Und so soil es noch Ich mache jene Fragen, weil ein deutscher Graf, der sich in
viele geben, sagt mir Griesinger. !!! sind hier wohl angebracht, Italien aufhalt, seine Sohne dahin schicken mochte.
aber horen Sie, es gibt in unserm Gomorrha doch noch der
Gerechten, lassen Sie keinen Schwefelregen i.iber dasselbe fallen. 25 25 Kaum habe ich noch Raum, Ihnen mein Lebewohl beizusetzen.
Und wenn Sie unser Thbingen zum Abdera machen wollen, Leben Sie also wohl und bedenken Sie bald und gut Drren
so bedenken Sie, daE Sie entweder Demokrit sein oder uns aufrichtigen und wahren Freund,
andern Abderiten sich gleichstellen miissen. 53 Abel kenne ich Dz.
noch nicht viel. Eine Rede hielt er de regulis bene dicendi et
scribendi a sensu morali profectis 54, und es schiene mir, er spreche 3°

a.Iro ~nschluE hieran schreibt Diez die folgende Bemerkung, die sich nur auf
dte Emteilung des Textes auf dem Blatt bezieht: »Ich war gesonnen, nicht das
ganze Blatt zu iiberschreiben und also ein Couvert zu cnthehren. Aber da
sehen Sie den Schreib- und Redseligen. Er mu~ nun wieder beraufsteigen
und oben anfangen. Sie lesen vorher unten fort.« (Der Abdruck folgt der von
D1ez gegebenen Lescanweisung.)
b hier im Sinne von »was«

48 49
Briefe A 7 An Nietha=er, 9. Mii.rz 1791

Es ist lang, daiS ich Ihnen ( und Sie rnir) nicht geschrieben
A7 haben. Dies merke ich an den mancherlei Ideen, die sich mir
Immanuel Carl Diez, 'llibingen aufdringen, deutlich. Interessanter ist Ihnen wahl nichts als
Mittwoch, den 9. Marz 1791 die Rezension der Reinholdischen Beitrage in der Allgemeinen
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena 5 Literatur-Zeitung. 8 Ich ware begierig, Ihr Urteil zu horen. Horen
Sie, Treuloser, (Sie kennen ja die schalkhafte vocem 9) inzwischen
das Meinige auribus patientibus. 10 Leid ist mir, daiS ich die
Lieber Freund, Rezension nicht zur Hand bekommen kann, inzwischen habe
ich dieselbe mit vielem Fleille gelesen, und ich glaube, das
es war rnir recht angenehm, endlich auch einmal ein Zeichen 10 meiste Wesentliche ist mir gegenwartig.
des Lebens von llmen zu sehen. Ich hatte mein Stillschweigen
nicht so lange beobachtet, wenn ich nur gewu.fSt hatte, wohin 5 Die Bemerkungen des Rezensenten betreffen A), wenn ich
ich mich wenden sollte, es zu brechen. Es war das Geriicht so sagen darf, die Einleitung oder Prologomene zu dem
hieher gekommen, Sie seien bereits nach Gotha 1 abgereiset, Reinholdschen System, B) das System selbsten und seine
aber bald wurde es widersprochen. Demohnerachtet war es an 15 Teile.u
dem, daiS ich aufs Ungewisse - wohin, weill ich selbst nicht -
llmen geschrieben hatte, als ich Ihre wenigen Zeilen, wegen 10 A. a. Uber den Begriff von Philosophie. 12 Mit welchem Rechte
deren Sie sich in allweg 2 noch gegen Klett und gegen mich der Rezensent auf Unterscheidung der Mathematik von Philo-
zu rechtfertigen suchen sollten, wenn Sie nicht blo.fSe Nachsicht sophie dringe und an die Stelle derselben in der Klassifikation
wollen, erhielt. Der Grund, warum ich schreiben wollte, war 20 der Teile der Philosophie transzendentale Asthetik empfehle, so-
neben dem eigenen Verlangen, etwas von Ihnen zu wissen, wie die hiebei gemachte Bemerkung, auf was sie, (die Mathe-
Schnurrer, dessen Ungnade, wenn sie sich nicht wirklich schon 15 matik), sich grunde 13, mag ich aus dem weisen Grunde nicht
auf Sie geworfen hatte, blo.fS dadurch sich aufhalten lie.fS, da£ beruhren, weil ich tiber diesen Gegenstand zu wenig nachgedacht
die Moglichkeit einer (giiltigen) Entschuldigung doch noch habe. Aber in die Augen springend richtig schien rnir, was er
denkbar sei. Ein zarter Faden, der dazu durch unbesorgte Auf- 25 von der Unbrauchbarkeit des Begriffs Vorstellungsvermogen in
trage scharf angezogen wurde! Ich hoffe aber, daiS Sie den einer Definition der Philosophie (gesagt hat). 14 Ich hatte es vorher
Mann besanftiget haben, wenigstens schien er mir nicht sehr 20 gedacht und geschrieben und fand daher in diesen Au.fSerungen
unzufrieden. 3 eine angenehme Beistimmung.

Zu der erhaltenen Stelle4 gratuliere ich Ihnen, wenn Sie der 30 A. b. Uber den Wert der Philosophie in der praktischen Welt.
Moglichkeit von Filoustreichen5 hinlanglich begegnet haben. Hieriiber glaube ich mich von dem Rezensenten von einem
Durch die Stelle von Pranginsa6 haben Sie, glaube ich, viel 25 Irrtume zuriickgefiihrt. 15 Ein dunkels Gifiihl ( daran wiirde Rein-
Cutes, freilich vergangliches Cute, ausgeschlagen. Vielleicht er- hold vielleicht den Popularphilosophen erkennen 16) straubte
offnen sich Ihnen hier (Aussichten zu) bleibenderen Versor- sich dagegen, aber ich ergab mich doch der Demonstration
gungen.7 35 (und so mii.fSte R[einhold] sein Urteil wohl zuriicknehmen).
Itzt Bndet es sich durch Griinde unterstiitzt und sieget (bei
a Orig.: »Prangin« mir). Die reine Philosophie, von welcher wenigstens zunachst

50 51
Briefe A 7 An Niethammer, 9. Miirz 1791

die Rede sein muG, wenn nicht von ihr allein die Rede ist, ist was hat Reinhold die Natur der Idee so bestimmt, daE sie
formal. Unter die Grundsiitze dieser muE bei der Anwendung auf keinen Gegenstand von uns angewandt werden kann?
auf die wirkliche Welt etwas Empirisches suhsumieret werden. Aus dem Bewu:Btsein. Aber was soli Kant ftir Auswege tibrig-
Aber das Empirische ist nicht vollig bestimmbar, und bei der lassen? GewiE diejenigen nicht, die Reinhold namhaft macht.Z5
Subsumption muE, wie Kant sehr schon sagt 17 , der Mutterwitz 5 5 Ich traute meinen Augen kaum, als ich lase, was er geschrieben
I/ 2 leiten, den keine Schule geben kann. I hat. Es ist ein verwegenes Urteil, das ich suspensive tiber
ihn gefallt habe, und ich wtirde es zuruckbehalten, wenn ich
B. a. Das Reinholdsche System tiberhaupt. ts Der Rezensent es mir zur Schande rechnen wurde, das vielleicht wieder zu-
scheint es ein aus Begriffen demonstriertes System, ein System ri.icknehmen zu mussen, was ich in einem Briefe meinem Freun-
eines dogmatischen transzendentalen Idealismus zu schelten 10 10 de nach der ersten Duchlesung schrieb. Mir scheint der Mann
oder gibt ihm gar wirklich den Namen. Er findet an unserem erbarmlich zu irren und seiner Ehre den empfindlichsten
tiefdenkenden Metaphysiker den Erbfehler, aus Begriffen das Streich dadurch beigebracht zu haben, daE er so tiber offen
Objektive zu demonstrieren, noch in hohem Ma:Be und weiB gelassene Auswege durch die Kritik der praktischen Vernunft
es dem Leser in einem nicht sehr gtinstigen Lichte darzustellen, spricht. Er scheint zu mi:Bkennen, daE die Hypothese von
daE Kant nur zeige, es sei in dem Erkenntnisvermogen nicht 15 15 dem Dasein eines Gottes nach wie vor grundlose Hypothese
anders, jener, es musse so sein. Was das letzte betrifft, so bleibe und daE die Anwendung, die mich moralische Zwecke
hat bei diesem der Rezensent wohl am meisten Unrecht, wie zu machen notigen, nicht die Behauptung begri.inde: Es ist
mich dtinkt. Soviel ich einsehe, ist der Unterschied zwischen ein Gott, sondern die: Ich bin geniitiget vorauszusetzen, daE
~ant ~nd R[ einhold] dieser: Der erste behauptet, die Mog- ein Gott sei, wenn ich gleich zur Behauptung des Seins keine
hchkelt. der Erfahrung, der zweite, die Moglichkeit des Be- 20 20 Grunde habe. Der moralische Glaube setzt mich nicht instand
wu:Btsems vorausgesetzt, mi.isse es so sein. 19 Beede sagen, es und befugt mich nicht, meine Ideen von Gott auf ein Wesen
miisse so sein, und beede wollen es apodiktisch erwiesen haben, als wirklich anzuwenden. (Dann wiirde ich den Beweis von
aber nur unter verschiedenen Voraussetzungen, und, wie die dem Dasein Gottes aus meiner subjektiven Beschaffenheit, so
Lesewelt, wenigstens die Schriftstellerwelt urteilet, mit ver- wie es Jakob in seiner Stolpischen Preisschrift falschlich vor-
sch~eden.em Gli.icke. - - - Bis hieher20 hatte ich geschrieben, 25 25 stellee6 , haben.) Oder, weil man doch bei der Erklarung des
als Ich die Unterbrechung erhielt, die Reinholdsche Rezension moralischen Glaubens solche Ausdrticke nicht wohl umgehen
der Kantischen KritiF 1 lesen zu konnen. Es war aber nur kann, will ich auf den vorigen Ausdruck zuruckkehren und
gleichsam das Voressen, das mich zur Erwartung des wirklichen sagen: Die Grtinde des (moralischen) Glaubens sind keine
Essens geduldiger machen sollte. Ich bekam sie auf der Bi- Grunde, welche zeigen, daE es so ist, sondern, daE ich vor-
bliothek [im] voraus zu lesen und darf nun einen Monat warten, 3° JO auszusetzen praktisch genotigt bin, es sei so. 27 Wie soli aber
his sie eigentlich an mich kommt. Ich kann daher itzt nichts dann dogmatischerTheismus stattfmden oder irgendein anderer
tun, als leichte Rticksichten auf dieselbe wie Platner auf Kants -ismus, der von dem Sein etwas behauptet, was mehr ist, als
22
Kritik nehmen. Das sehe ich schon, daE er mir durch das, sich mit der Anerkennung der Grundlosigkeit aller Behaup-
w_as er tiber die Kantische transzendentale Dialektik23 [ sagt], tungen des Seins (ich sage nicht: Voraussetzungen des Seins)
die gutgemeinte Ehrenrettung(, die ich eben hingeschrieben 35 35 vertragen kann? Ich weill nicht, ob ich Dummheiten gesagt
h~be,) verdorben zu haben scheint. Inzwischen glaube ich, habe, und es will mich fast reuen, bereits schon Au:Berungen
die Sache gesagt zu haben, wie sie ist. (PS in allweg 24 ) Aus in der Sache getan zu haben. Inzwischen es bleibt, da ich

52 53
Briefe A 7 An Nietharnmer, 9. Miirz 1791

doch immer etwas sagen mufSte, durch Ausstreichen nicht men den Grundsatz voranschicken, es geschehe aber das letztere.
begegnen kann, durch Umschreiben nicht begegnen mag, (so Das Schwierige hiebei ist, daiS Reinhold wirklich zu sagen
gerne ich hier beedes hin und wieder getan harte. PS) und scheint, nur die Verkniipfung von Subjekt und Pradikat in den
es nur als die Folge eines diirftigen Voressens gegeben habe. Satzen salle durch seinen Grundsatz bestimmt werden. Allein,
Ich kehre zu dem Vorigen zuriicke. - - - Die Demonstration 5 5 man konnte sagen, Reinhold wolle nur die Verkniipfong der
aus Begriffen ist ein befremdender Vorwurf, wenn man siehet, Urteile, nicht die Verkniipfongen in den Urteilen durch seinen
daiS der Autor von einem Satze ausgehet, der ein Fakturn, Grundsatz bestimmen, etwa in dem Sinne: Ich werde von dem
~eine Defmition enthalt; allein der Rezensent sagt, glaube Satze des BewufStseins ausgehen, und die Ordnung der Satze
1ch, auch nur, daiS die Theorie sich derselben nahere, und meiner Theorie wird durch die Art, wie sie sich an diesen
wie sehr dies geschehe, scheint mir hinlanglich von ihm dar- 10 10 ankniipfen lassen, bestimmt werden. DaiS aber seine Absicht
gelegt zu sein durch die gewesen sei, einen nicht nur die Verkniipfung des Subjekts
und Pradikats bestimmenden Satz voranzuschicken, erhellt ja
B. b. Bemerkungen iiber die Teile des Systems. 28 Was er iiber deutlich genug aus der gegebenen Erklarung, daiS der Satz den
die Theorien der Sinnlichkeit, des Verstandes, der Vernunft Gattungsbegriff der Vorstellung ausdriicken soli. Dies zeigt hin-
sag~ scheint .mir ganz gegriindet zu sein. Wenigstens wiirden 15
31
15 langlich, daiS er auch den Inhalt bestimmen wollte. Wie konnte
meme Abwe1chungen nicht sehr erheblich sein. I Freilich hat es auch nur jemand einfallen, aus einem blofS die Form be-
d~r Rezen~ent mehr getan als nur Belege zu dieser Beschul- stimmenden Grundsatz eine Theorie ausspinnen [zu] wollen?
digung geliefert. Seine Bemerkungen gab en ihm auch das Recht Ebenso wird Reinhold protestieren, daiS er nur anal;yti.sche Ent-
a~sz~.ru~en: ,Welche Verwirrung!" 29, und er zeigte nicbt nur wickelungen der Grunderkliirungen aufftihrena und auf diese
willkurliches Hineinlegen der Begriffe in Definitionen, sondern 20 20 die Kantischen Resultate griinden wolle. Denn diese beschran-
auch lrrtiimer. Ich finde gegriindet, was er von Raum und ken sich nicht auf das, was aus dem Gattungsbegriffe der Vor-
Zeit, vom Begriffebilden, -verbinden, von den Kategorien und stellung folgt. Aber nehmen Sie nun die Reinholdsche Erklarung
von den Ideen sagt. Nur in dem, was er iiber die Theorie des hinzu, die der Rezensent hiebei anftihrt32, - was soli man da
Vo~st.ellungsvermogens iiberhaupt sagt, kann ich ihm nicht ganz denken? Der Satz des Widerspruchs, dessen der Rezensent
be1s~men. Er sagt, er kenne keinen einzigen hochsten syn- 25 25 hier gedenkt 33 , ist Grundlage aller Systeme oder keines Systems.
~etlschen Grundsatz der Vorstellungen, der Inhalt mii!Ste sich Das erste als der hochste Grundsatz alles Denkens, das zweite
nnmer verschieden verbinden lassen, und es wiirde also so als inhaltsleer und daher unbrauchbar fur Festsetzung des Ma-
viel hochste Grundsatze geben, als der Inhalt auf verschiedene terialen quoad materiam. Warum spricht nun der Rezensent
Weisen verbunden werden konnte. 30 Allein konnte Reinhold von ihm? Was sagt uns aber Reinhold hieriiber? Wenn ich
nicht antworten: Wenn der Inhalt seines Grundsatzes anders 3° 30 nicht irre, hat er in seiner Rezension der Kritik sehr schief
verbunden wiirde, so wiirde der herauskommende Satz nicht sich dariiber ausgedriickt? 4 Es scheint, als wolle er glauben
mehr das BewufStsein ausdriicken, und von diesem miisse man machen, er bediirfe seiner bei der Auffiihrungh seiner Theorie
seiner Behauptung nach ausgehen, also auch dahin den Angriff nicht. Doch solche Betisen 35 konnen dem Manne gewifS nicht
wenden, wenn man ihn angreifen wolle? Aber diesem Vorwurfe
ge~et ~in anderer voran, der Reinhold wenigstens Unbestimmt- 35
helt semes ~usdru.cks sichtbar macht. Rezensent sagt, Reinhold a Var.: »ausft.ihren«?

wolle nur emen d1e Form der Satze, nicht ihren Inhalt bestirn- b Var.: »Ausft.ihrung«?

54 55
Briefe A 7 An Niethammer, 9. Miirz 1791

in [den] Sinn kommen. Ehe ich schlieEe, will ich nur noch Unsers Brastbergers Untersuchungen41 habe ich neulich auch
die Bemerkung machen, daE, was der Rezensent i.iber Wirken vorgenommen. Fi.ir den guten Mann ist mir sehr bange und
u~d Leiden des Objekts und Subjekts sagt36, richtig vorkommt. so ziemlich aus gleichen Gri.inden. Die Kritik hat er erbiirm-
Hie~ finden wir vorzi.iglich Belege zu dem Vorwurfe des dog- lich miEverstanden. Er liiEt z. B. Kant die Erweislichkeit der
mattschen transzendentalen Idealismus. 37 Wie der Rezensent 5 5 absoluten Nichtexistenz der i.ibersinnlichen Dinge behaup-
Mannigfaltigkeit des Stoffes in der ersten Nummer richtig ab- ten.42 Warum haben Sie mir nie wegen diesem nichts ge-
?eleit_et finden, in der zweiten es zuri.icknehmen kann, begreife schrieben? Ich bate Sie, wo moglich, ihm ein ertriigliches Los
38
1ch mcht. Oder geschieht dies nicht? (Wenn Sie mir in Ihrer zu bereiten.43
Antwort i.iber diese Rezension schreiben, setzen Sie doch das,
was Sie verteidigen oder widerlegen, nicht aus der Zeitung 10 10 Durch die Kategorien der Modalitiit werde ich (an) eine andere
voraus, weil ich diese vielleicht nicht zur Hand bekommen wichtige Revolution in meinem Gedankensysteme erinnert, die,
kann.) wenn sie noch nicht zur Reife gediehen ist und Bestand gefunden
hat, es doch bald fmden konnte. Der Supernaturalismus zeigt
Aber nun muB ich Sie doch auch fragen: Wie wirkte die sich mir immer mehr als ein torichter Versuch, auf einem grund-
Rezensi~.n auf ~einhold? 39 Sein Kredit im publico hat gewi~ 15 15 losen Terrain sich anzubauen. 44 Ich glaube immer I mehr ein- 3/4
h~~e StoEe erlitten; und wie mag ein Flatt lachen und seine zusehen, daE, wenn Schmid diejenigen, welche sich i.ibersinn-
Conner und Anhiinger mit ihm, daE ihm Kantianer nun sagen, licher Erfahrungen ri.ihmen und Blicke in die Geisterwelt zu
er weiche in seinen Demonstrationen giinzlich von Kant ab haben vorgeben, Phantasten, und diejenigen, welche solchem
und sei~ 'Yeg sei der von Kant verworfene, mit seinem System Vorgeben Glauben beimessen, Abergliiubige nennt45 , ich unter
u~vertragliche. Es ist mir unertraglich, wenn ich ihn vor so 20 20 die erste Christum und seine Apostel und unter die zweite
v1elen auf den Pranger gestellt sehe, die nicht einsehen konnen, Klasse aile gliiubigen Theologen und die gauze Christenherde
w_ie gr~~ de~ Mann sein muBte, urn solche fehlgeschlagenen - subsumieren darf. Von beeden werden Fakta durch Hypothesen
dies wurde 1ch fur mich ohne den Rezensenten behaupten - erkliirt, wo sie die Moglichkeit des Erkliirungsgrundes nicht
Versuche wagen zu konnen. Bose haben eine Augenweide, einsehen oder von der Moglichkeit in Begriffen auf Moglichkeit
und Gu~e werden die Insolenz nach Billigkeit bestraft finden 25 25 des Objektes schlieEen. 46 Sie versuchen da aufzutreten, wo
und Memungen von seinem Talente, das sie aus der Ferne eine terra instabilis, innabilis unda ist47 , und werden durch
kannten, herabstimmen. Ungli.icklicherweise gibt er (durch sei- Hirngespenste geiifft. 48 Ich habe es schon einigen gesagt, aber
ne Fehler den Rezensenten) so viel zu tun daE sie das Cute entweder werde ich von ihnen nicht verstanden oder ist mir
nicht so auseinandersetzen und ebenso zur' Schau tragen kon- ihr Beifall nicht befriedigend. Ich nehme von den letzten einen
nen. Und er selbst wird sich bitter gekriinkt finden, sein Un- 30 30 gewissen nicht aus, der publice als tiefer Kenner des Kantischen
~echt so bald nicht einsehen, und die Gi.ite des Herzens, die Systems gepriesen ist49, urn so mehr, da er bei dem eingestan-
Ihn zu dem bewiesenen Eifer beseelte wird nun von Unwillen denen Mangel an Exzeptionen50 die Sache auf ihrem Werte
i.ib~rwii_ltigt oder_ in ihren AuEerung~n getri.ibt werden. Ich oder Unwerte beruhen zu lassen scheint. Mit Klett habe ich
we~ mc~t, w:as 1ch daherschwatze, aber das kann ich sagen: noch nicht dari.iber korrespondiert; wir werden es mi.indlich
Es Ist mrr le1d urn den guten Reinhold, und er mu~ seine 35 35 verhandeln. Was di.inkt Ihnen zu der Hauptidee? Eine ausftihr-
Insolenzen durch die geschehenen MiEtritte hart bi.iEen. Wer liche Auseinandersetzung kann ich mir nicht erlauben. Gerne
war sein Rezensent? 40 mochte ich es Schmid vorlegen, soviel moglich ohne Anwen-

56 57
Briefe A 7 An Niethamrner, 9. Miirz 1791

dungen, urn ihm die freie AuEerung zu erleichtern, aber ei- Urteil -, ich wiirde es aber noch einmal einer sorgfa1tigen
nerseits halt mich Furchtsarnkeit unter Mitwirkung der Eitelkeit Pri.ifung unterwerfen, wenn es der gelehrten Welt Initgeteilt
und Bescheidenheit, andererseits Schonung des Mannes ab. werden sollte, und dazu ware ich geneigt, teils weil die Sache
An ihn mochte ich mich auch gerne wegen einiger Bemerkungen wirklich nicht unerheblich ist, teils weil ich gerne meinem
iiber seine Moralphilosophie wenden. Was diinkt Ihnen? Das 5 5 Vater, der so viel fur mich zahlen muE, etwas Gedrucktes
Angefuhrte betrifft Griinde a priori gegen jeden Supernatura- fi.ir sein Geld von seinem Sohne zeigen mochte. Dazu ware
lismus51, aber die Abnahme dieser Binde, scheint es, laEt mich nun Paulus' Repertorium 57 sehr geschickt. Wenn die Rezen-
nun weiter sehen. Zu jenen Grunden a priori glaube ich nun senten auch spotteten, so ware die Aufnahme in eine solche
in Anwendung auf den Christianismus (auch Gri.inde) a po- Gesellschaft, als man da antrifft, schon fur den Filius ehrenvoll,
steriori52 zu besitzen. DaE der Wunderbeweis 53 nichts tauge, 10 IO und dann schelte man eben die Dummheit des Rezensenten.
bekennen groEe Theologen, die ich nicht zu nennen brauche Brachte er was Triftiges, ah, dann wiirde ohne Zweifel die
und wo ich fUr mich den Erweis noch nicht zu fuhren wage. Erinnerung eine Wichtigkeit erhalten, die dem Sohne wieder
Eine freie Zeit soil mich hieriiber, hoffe ich, bald ins Klare nicht Schande machte. Aber nun entstehet die Frage, ob der
setzen. Aber dann bleibt der Inhalt der Lehre fUr jene Theologen Aufsatz von Paulus aufgenommen werden konnte? Wenn er
I_l:Och i.ibrig. Ihnen zu zeigen, wie dieser den Ubergang ins 15 15 schlecht ist, freilich nicht, und dann mi.iEten Sie die Schande
Ubersinnliche auch nicht gestatte, ware Tauben gepredigt, und des ungenannten Freundes zudecken und den Aufsatz zuri.ick-
zur eigenen Beruhigung ware es zutraglich, wenn die Uber- nehmen; aber wenn er nicht schlecht befunden werden sollte,
zeugung davon unabhangig gemacht werden konne. Ihnen so konnte er als ein Aufsatz iiber die Weissagungen Christi
zu zeigen, wie das Cute derselben Ausspriiche des unver- zu Matth. loco citato ebensogut eine Stelle finden, als ein
dorbenen gesunden Menschenverstands 54 seien, wie es ebenso :zo 20 Aufsatz von Paulus iiber die Gabe der ersten Christen, in
zerstreut und systemlos auch bei andern angetroffen werde, fremden Sprachen zu reden zu 1. Kor. X, Xl. 58 Ich habe ge-
ist schwer zu einem hohen Grade der Befriedigung zu bringen. dacht, ich konnte zwei verschiedene Aufsatze machen, in denen
Es bleibt also nichts als Kritik des Schlechten iibrig, aber Thesis und Antithesis verteidigt wi.irden, und der Herausgeber
da weill in eigentlich dogmatischen Satzen Exegese und Phi- konnte sie als zu gleicher Zeit eingeschickt einri.icken und
losophie, die bloE mit Begriffen wirtschaftet und sie fur ob- 25 25 wegen ihres verwandten Inhaltes zusammenstellen oder, wenn
jektiv halt, wenn sie auch kein Objekt moglicher Erfahrung er dies nicht will, sie trennen. Dies aber nur auf den Fall,
betreffen, so viele Auswege zu zeigen. Ich freuete mich daher wenn Herr Paulus nicht gern freie AuEerung hatte. Machen
auEerordentlich, da mich der locus de iudicio extremo 55 auf Sie nun, was Sie wollen, nur bitte ich mir unverbri.ichliches
eine andere Entdeckung fuhrte. Da glaubte ich bei der Stelle Stillschweigen meiner Person, auch Vermeidung alles dessen
~atth. 24,29 f£.5 6 unsere theologisch-exegetische Vernunft auf JC 30 aus, was mich verraten konnte, oder ich wiinsche Ihnen im
emer wahren Antinomie zu betreffen. Unter der Voraussetzung, supernaturalistischen Sinn den Teufel auf den Buckel oder
daE Christus Wahrheit rede - dies muE die theologische Ver- einen Pfahl ins Fleisch wie dem Apostel. 59
nunft voraussetzen -, glaube ich biindig erweisen zu kon-
nen s~wohl, daE sie nicht vom jiingsten Gerichte, als auch, PS Ich habe bestimmter iiber Reinholds Behauptung wegen
daE s1e von demselben erklart werden mi.isse (und kon- 35 35 der transzendentalen Dialektik nachgedacht. Der Mann scheint
n~). Ic~ ha~e es bereits schrifdich fur mich aufgesetzt, und das theoretische und praktische Vermogen der Vernunft, wie
dies mit Fleille - das Vorige ist also von mir nicht i.ibereiltes es von Kant dargestellt wird, zu millkennen. 60 Ich Verwegener!

58 59
Briefe A 8 An Niethammer, 11 . April 1791

NB Flatt hat mich nicht angesteckt, wir sehen einander gar


nicht. Ich wandle vielleicht aber doch in seinem Dunkel. 61 Leben AS
Sie wohl. Ich bin Immanuel Carl Diez, Ttihingen
Montag, den 11. April I 791
Ihr Freund, Dz. 5 An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena

[Ttibingen,] den 9. Martius 1791


Thbingen, den 11. April 1791

Hier den treuen Handschlag, lieber Bruder Apostat! Willkom-


men in den seligen Gefllden der Befreiung von allem Aber-
1
5 glauben und Phantasterei. Meine Seele freuet sich, sooft eine
Seele entledigt wird von den Fesseln 2, die mich so hart ge-
bunden haben und die, was meine Einsicht mir noch sagt,
ohne unser Licht3 oder ohne historische Kritik., welche uns
bee de fehlten ( auch einen Storr hat die letzte i.iber dies en
4
10 Punkt nicht hinlanglich erleuchtet) , jeden Konsequenten und
der Wahrheit Getreuen ebenso binden mi.issen, so da.B er,
wenn dies nicht ist, entweder inkonsequent in seiner theo-
retischen Erkenntnis oder unmoralisch in Hinsicht auf den
praktischen Gebrauch sein muK Und wer soll sich nicht freuen,
15 wenn er eine Vernunft wieder in groEere Selbsttatigkeit gesetzt,
einen schuldhaften oder unschuldigen Irrtum ihr abgenommen
siehet? Auf nichts lenken sich daher meine Bemi.ihungen so
sehr hin, als recht viele zu diesem Ziele zu ftihren. Aber die
pauvres aveugles und die faibles enfants! 5 Sie wollen gegangelt
:<o sein, und das Licht konnen sie nicht ertragen und wissen
nicht damit umzugehen. Welche traurige Einschrankung und
welcher harte Zaum fur alle die ri.istigen Fackeltrager, die
das Licht, das ein wohltatiger Freund6 ihnen aufsteckte, aller
Welt mitteilen mochten; und in diesem Faile befinden wir
:<5 uns beede, nicht wahr, mein Lieber? Aber doch soll weder
der Nachdruck meiner Bemi.ihungen geschwacht werden, noch
mein Eifer erkalten.

60 61
Briefe A 8 An Niethammer, ll. April 179 1

Und hiemit haben Sie den Hauptgrund, warum ich wegen des wir weder dieses noch die Antworten wegen Mannigfaltigkeit 16
Aufsatzes 7 absage. Es soli ein TodesstoE fur die Hyperphysik zum Gegenstande vieler Unterhaltung machen. Inzwischen muE
werden, aber zugleich soli der Balsam mit verbunden sein, ich sagen, was auf meine Relation 17 (denn Klett hatte nicht
den man verwundeten Seelen auflegen kann. Es sollen dem Zeit, Ihren Brief zu lesen, ich habe ihm beede 18 auf die Reise 19
sehenden Teile zugleich Winke der Ftirsicht gegeben werden, 5 5 mitgegeben) erfolgte. Ich referierte, daE Herr Niethammer noch
und bladen Augen mtissen Verweisungen auf die wahre Quelle in groEem Geftihle der Sicherheit stehe und den Satz ziemlich
des Trosts und der Beruhigung statt eines Lichtschirmes [ge- tiber Einwtirfe erhaben glaube, daE seine Grtinde, auf welche
geben] sein. So kann ich nun den Aufsatz nicht schicken. Bis ich mehr als die K.lettischen Einwiirfe, als an welchen ich dem
itzt hatte ich der Hande voll zu tun. Ich muEte Brastberger Vortrage nach keinen Teil habe, gesehen hatte,a und zum Schlus-
schreiben 8 und an einem Aufsatze tiber die Moglichkeit der JO 10 se hob ich die Bemerkung aus, daE ein Mannigfaltiges kein
Offenbarung feilen, den ich zum drittenmal nun umgearbeitet Mehreres, sondern ein Unverbundenes sei und daE dies (als
9
habe . (Auch Klett nahm mir viele Zeit weg.) Nun sttirmen Eigenschaft des Stoffs) daraus geschlossen werde, weil das Ob-
Predigten auf mich ein 10, und in die Messe 11 wtirde Paulus den jekt, dem der Stoff angehore, unterschieden werden mtisse.
Aufsatz doch haben wollen. Also ratlicher ist es doch, zu Hause (Dies war doch Ihre Bemerkung?) Und weil dann dem Refe-
zu bleiben, ohnerachtet Klett mir geraten hat, getrosten Muts 15 15 renten zufolge Niethammer hoch auf dem Gaule saE, so nahmen
auf den Weg mich zu machen. 12 Denn besser ist doch besser wir uns die Freiheit, tiber den Ritter auch etwas zu lachen.
als halb so gut, und ich berge nicht, daE ich mit Hille des Wir wollen nun warten, was der neue Prophee0 bringen wird.
StiEkind, welchen Saul ich noch bekehren muE 13 und an wel- Aber wahrlich, mir ist er mehr denn Prophet, wenn er den
chem ich eigentlich meine Starke und die Scharfe meines Reinholdschen Beweis zu retten weiE, ich sage nicht, einen
Schwerts versuchen will, auf den Herbst etwas Bessers liefern 20 20 andern substituiert.Z 1 In meinem Pulte ist der Aufsatz 22 nie-
werde. Ubrigens mag ich mich wenigstens itzt so wenig Herrn dergelegt, wo Reinhold Schritt fUr Schritt verfolgt und dann
Paulus entdecken als vorher. auch nach dem Ganzen der Argumentation geprtift wird. Ich
lasse ihn liegen, his die neue Piece23 kommt. Er soll mir fremde
Damit ist etwas abgetan, was ich Ihnen in der Eile schreiben Werden, damit ich wieder tiber meine Kritik urteilen kann.
wollte. I~zt muE ich Ihnen erst noch sagen, daE Sie mich mit 25 25 Aber sowohl die Methode als der aufgewandte FleiE erhalt
Ihren Ra1sonnements tiber die Moglichkeit einer Offenbarung
14 mich his itzt im guten Vorurteile. Fast mochte ich Sie bitten,
1/ 2 mehr erfreut I haben, als wenn Sie mir auf die Einsendung die neue Reinholdsche Schrift24 auf dem Postwagen25 mir zu-
meine~ (philosophischen) Aufsatzesa 15 ( der theologische ist zu zuschicken, wenn ich nur wtiEte, Ihnen die Auslage zu ersetzen.
v~rschiedener Art) den uneingeschranktesten Beifall geschenkt A propos, Ihren Brief habe ich franko erhalten und werde den
h~tten. Ich s:he es mit Ihnen, daE unser beederseitiges Verdienst 30 30 meinigen nun nur nach Ntirnberg frankieren.
mcht groE. 1st, aber doch ist es eben eine gar herzinnigliche
Freude, he1 entdeckten wichtigen Wahrheiten zusammenzutref- Ihre gelehrte Arbeit freuet mich sehr. Schnurrer hatte mir gesagt,
26
fen, ohne daE man miteinander gegangen ist. Sie i.ibersetzen den Epiktet. Ist ihm Sextus Empiricus wohl
so fremde? Ich hoffe, es werde dadurch der (Welt der) Dienst
Wegen der Ktirze der Zeit und wegen anderer Umstande konnten 35

a gestr.: »entweder des theologischen« a Es fehlt das Pradikat zu dem Nebensatz »dlill seine Griinde (. . } c

62 63
Briefe A 9 An Niethammer, 13. Mai 1791

e~esen, daE der Unsinn eines solchen Skeptizismus, der, in


d1es Dunkle gestellt, in welchem er bisher war, so vielen un- A9
philosophischen Gegnern der neueren Philosophie ein geach- Immanuel Carl Diez, Tiihingen
te~er Ausfluchtsort blieb, im Grunde aber ein heilloser Schlupf- Freitag, den 13. Mai 1791
wmkel war, an das Licht hervorgezogen nun in seiner nackten s An Friedrich Immanuel Niethammer, Gotha 1
BloEe und Schwache dargestellt werde.

~ast hatte ich vergessen, (Thnen zu sagen,) daE Ihre Rechtfer- Tubingen, den 13. Mai 1791
tigung so ausgefallen ist, daE mir am Ende nichts daran mig-
behaglicher war, als daE Sie, nachdem Sie die triftigsten Griinde JG Klett schreibt mir vom zweiten Mai (NB Dies ist nicht das
vorgebra~ht hatten, welche, ich mochte fast sagen, beinahe aile Datum des belieferten Briefes): Si Vous ecrivez a Niethammer,
Schuld hmwegnahmen, die Schuld, welche blieb, nicht auch 5 saluez le de rna part cent et mille fois et dites lui, que je suis
abschiitteln wollten?7 Denn damit waren nun meine Vorwiirfe a mon aise et que j'attends des nouvelles de Geneve pour
( ?ie ii~rigens nicht groE und nie sehr ernstlich gemeint waren) Sextus Empiricus. - Et me voila le mieux defait de rna com-
e1gen~ch d~m BuEtuenden, wie Sie sich nannten, gemacht. 15 mission.2
Und mchts 1st mir unertraglicher, als da Vorwiirfe zu sehen,
.2/3 wo das Gefuhl des J Unrechts selbst vorhanden ist. Ich wollte 10 Zweifelsohne wird er auch auf Nachrichten von Thnen begierig
sagen, wir wollen solche Szenen vermeiden wenn es eben sein, oder konnte er mit seinen Nachrichten zu lange siiumen.
ni_~ht in dem Faile, dergleichen wir einen hatten: doch notwendig Fur beede Faile schicke ich Thnen seine Adresse: A Monsieur
ware zu sagen: Ei, warum hast Du so lange nicht geschrieben? 20 Klett au chateau de Prangins par Nyon.
Das beste wird sein, wenn wir eben einander nicht unfleigig
schreiben, und dann sind sie vermieden. 15 Meine Meinung iiber die Rezension 3, welche ich bald nach
Threm Briefe zu lesen bekam, war diese: Der Rezensent hat es
L~ter~rische Neuigkeiten weiE ich keine, als daE Flatt ange- dem Verfasser so schonend als immer moglich und so fein,
~undigt hat, er wolle lesen Criticam rationis oder Propaedeu- 2i daE es hundert Leser nicht merken werden, aber ganz richtig
28 gesagt, daE zu der Schrift jeder Titel sich besser schicken
tlcam Metaphysices , und daE Abel etwas drucken lassen wolle
iiber den EinfluE hoherer Geister. 29 Der arme Hyperphysiker! 20 wiirde als der gewahlte und daE seine historische Entwickelung
nichts weniger sei als allgemein brauchbares Kennzeichen der
Leben Sie wohl, mein Lieber, und schreiben Sie bald wichtigsten Wahrheiten bei allem Widerspruche der Philoso-
JC phen. Es wiirde immer sein, als wenn man vom consequens
Ihrem Dz. auf ein bestimmtes antecedens, ohne daE dies in der Erfahrung
25 gegeben ist, schlieEen wollte. 4 Demohnerachtet ist es fUr jede
Wenna wird's nach Gotha30 gehen? Hypothese angenehme Empfehlung, nicht Beweis, wenn der
Erfolg5 ihren Voraussetzungen entspricht.

Der Abhandlung selbsten scheint mir teils nach dem Verdienste


• hier im Sinne von »Wann«
30 des Mannes (vielleicht auch nach der Abhandlung), teils wie

64 65
Briefe A 9 An Niethammer, 13. Mai 1791

es bei freundschaftlichen Verhaltnissen 6 sich gebiihrt. das Kom- meinenden Warnung gesagt, und in casu substrata diirfen Sie
pliment gemacht. versichert sein, daE ich das Fackeltragen, das Sie bekiimpfen
und fur Ihren Teil wenigstens vermeiden wollen, mir I nie 2/3
Ob am Ende der Rezension der Rezensent sich nicht einen vorgenommen habe, daE ich aber wohl glaube, daE mein Eifer,
Irrtum zuschulden kommen lieEe, wird davon abhangen, ob 5 5 mit dem mir die Sache doch am Herzen liegt, und der, je
die Epochen I nach den Briefen8 im Teutschen Merkur oder
7
1/ 2 weiter ich selbsten gekommen bin, desto kraftvoller sich auEern
vor ihnen erschienen (was ich nicht weill) und ob der Rezensent wird, leicht zu Ausdri.icken und AuEerungen verleitet, die mehr
dies wuEte. sagen konnen, als ich sagen will. Waren Sie in Kletts Stelle,
der mein Verfahren niiher kennt, Sie wi.irden mir i.iber diesen
B:i di~_ser Gelegenheit muE ich Sie bitten, mir uberhaupt, wenn 10 10 Punkt eher zu weitgehende Vorsicht und Schi.ichternheit im
S1e mogen, Thren Anteil, den Sie an der Zeitung haben, zu Handeln vorwerfen, was mir, glaube ich, wenig zuschulden
sagen. Sie konnen sich vorstellen, daE die Sache leicht zur kommt.
Sprache kommt, und da mochte ich wissen, was ich zu vertei-
digen habe. Ich hatte geglaubt, sagte mir einer neulicha, solche Inzwischen wollen wir eben unser Lamplein leuchten lassen,
Rezensionen wiirde Niethammer nicht aufnehmen. Halt ein, 15 15 wozu meine Lage erwi.inscht ist, wo es aber noch sehr in der
war nati.irlich meine Antwort, ist er Redakteur? 9 Und dann pp. Dunkelheit mit schwachem Lichte schimmert. Was ich tue, ist,
daE ich in meinen Predigten moralische Themata nehme und
Ebenso wi.irde es mich freuen, wenn Sie mir Ihre Gedanken sie Kantisch behandle 12, und im Locus benutze ich ebenso
nicht nur wie der i.ibrigen Welt, sondern als Ihre Gedanken jede Gelegenheit, suche aber keine an den Haaren herbeizu-
mitteilten. Es ist vorteilhaft, wenn es unter so vielen auEeren 20 20 ziehen, so sehr dies bisweilen der Fall zu sein scheint, die
Erwartungen geschiehet, was ohnehin gut und ni.itzlich ist. Freundin, die Lehrerin, den selbstandigen A.6yor:;,, der im Anfang
Aher dann ware es auch gut, wenn Sie mir Schriften vorher war und immer sein wird 13, den ungewohnten fremden Augen
n~nnen, denn i.iber Rezensionen von ungelesenen oder nicht zu zeigen. Die Erscheinung ist freilich gar zu vielen fremde,
m1t Aufmerksamkeit gelesenen Schriften finden ofters Urteile und die Finsternis will es nicht begreifen. Es schmerzt mich
nicht statt. Ubrigens wird es weithin fehlen daE ich alles lese, 25 25 in der Tat eigentlich, wie das Studium in claustro hoc., cum
was Sie lesen werden. ' quo patria statque caditque 14 , darniederliegt. Es ist auch in
diesem jungen Stifte so, daE die Bessern das Gebiiude, das
Was das Fackelntragen 10 betrifft, das mir natiirlich hier beigehet, sie sich gezimmert haben, nicht verlassen, seine Fehler nicht
so dachte _ich bei Ihrer Antwort auf die AuEerung meiner Mei- einsehen wollen, und der Umstand, der die Sache verschlimmert,
nung redlich an das Reinholdische Diktum: Nur Millverstand- JO 30 ist, daE die, die sich damit beschiiftigen und den Schild des
nisse kon:':en unter denkenden Kopfen, zu denen wir nati.irlich Kantianismus auszuhiingen scheinen, viel Nichts sind. Soviel
a~~h gehoren, Verschiedenheit der Meinung veranlassen. 11 Wir ich sie kenne, kann aus dem einen doch werden, was nicht
mussen daher auch sorgsamer werden, wenn wir zum Wider- ist. Und welche unbedeutende Person wenigstens dem Anschein
sprechen schreiten. Dies sei iiberhaupt beeden Teilen zur wohl- nach und nach dem I Vorurteile (meine Person) ist, wissen Sie 3/ 4
35 aus iilteren Zeiten, und der Kausalzusammenhang der iilteren
mit der spiiteren ist ja in unserer Erscheinungswelt unverkenn-
bar. Ich glaube zwar, mit Kraft mich nun einigemal gezeigt zu

66 67
Briefe A lO An Nietha= er, 28. Juni 1791

haben, aber es gibt dann doch der Umstande so viele, die


dem Kurzsichtigen die Augen eben nicht scharfen und welche A 10
ein nicht gelauterter Wille auf so manche Art fi.ir sich benutzen Immanuel Carl Diez, Tiihingen
kann. Bis itzt ist der sichere Vorteil zustande gekommen (meinem Dienstag, den 28. Juni 1791
Di.inken nach), da~ ich gewonnen habe. 5 An Friedrich Immanuel Niethammer, Gotha

Fi.ir Si.i~kind ist mir es leid, da~ er Sie nicht mehr getroffen
haben wird. Mich freuet seine Zuri.ickkunft au~erordentlich. 15 Ttibingen, den 28. Juni 1791
Er ist mein treuer Gefahrte, wenngleich Nebenzwecke uns teilen,
aber er soli noch Respekt ftir meinen Zweck kriegen. IO Ihren Brief vom I. Juni habe ich nach der Mitte desselben
und nach der Ankunft Si.i~kinds erhalten. Ein Besuch von mei-
Schreiben Sie mir, was Sie von Gotha hieher Porto bezahlen 5 nem Schwager\ Kantische Predigten2 und (philologisch-)kritische
mi.issen, da~ ich den gefalligen Postv[erwalter] a niiher kennen- Beleuchtungen des Sundenfalls 3 erlaubten mir nicht, Ihnen
lerne. Was ich diesmal zahlen mu~, wei~ ich noch nicht. fri.iher zu schreiben, und nun habe ich zu eilen, urn es nicht
15 liinger anstehen zu lassen.
A propos, wen vermutet man als Schmids Rezensenten in der
Allgemeinen Literatur-Zeitung? 16 Der Mann spricht mit hoher 10 Die Rezension der Alterischen Ausgabe 4 babe ich soeben aus
Miene und scheint nicht der Mann fur diese Miene zu sein. den Handen gelegt, aber, Freund, erwarten Sie nicht, da~ ich
Seine Lobspruche, so richtig sie sind, charakterisieren den gro- dari.iber urteile. Sie werden selbst sehen, da~ man, urn i.iber
~en Mann nicht. Denn wer wi.irde nicht, wenn er nur wenig 20 dieselbe zu urteilen, dem Rezensenten ebenso nachgehen und
unbefangen denkt, auf dieselben auch kommen? Seine Kritik nachsehen muE, wie Rezensent Herrn Alter nachgesehen hat.
des Selbstmords 17 trifft nicht und seine Kritik des schlechten 15 Und wie sollte ich dies zu tun imstande sein, ich will nicht
Fatalism us 18 scheint mir noch schlechter. Oder bin ich dumro, sagen, ohne dies Buch, nein, bei meiner Unbekanntschaft mit
blind und toricht? Kein Reinhold, kein Rehberg 19 kann der diesem Gegenstande i.iberhaupt? Der Himmel verzeihe es dem
Rezensent sein. Etwa ein Jakob 20? Oder was gibt es sonst frir 25 unverge~lichen Wild 5, der mit seinen ewigen Zitationen von
Herren? Lakemachera\ Feith7 usw. und mit den Commentationen i.iber
:<.o die Schiffe der Griechen nach dem zweiten Buche der lliade,
Leben Sie wahl. Ich bin der Ihrige, wenn ich Fremdling nicht irre, Homers Lekti.ire (mir) so entleidet
Dz. hat, da~ ich, zu meiner Schande muE ich's bekennen, von
Homer und allen griechischen Dichtern ganz mich entfernet
habe, unerachtet ich die griechische Sprache geliebt hatte. Was
:<.s Sie zum Eingange i.iber die Behandlungsart sagen, scheint mir
ganz richtig. - Hier will ich noch die gefoderte Erklarung
wegen der Mitteilung Ihrer Gedanken als der Ihrigen anhangen.

a »Postv[erwalter] «? a Orig.: »Lakenmacher«

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Briefe A 10 An Nietha=er, 28. Juni 1791

Ich wollte nichts anders sagen als: Ich mochte bei den von chern es liingst geben wollten und sollten, nur nicht die auf
Ihnen eingeruckten Rezensionen wissen, daE der Inhalt von das wirklich Neue sich einschrankende Bibliothek. Ware uber-
Ihnen, nicht, wie die ubrige Welt, bloE daE er von einem Gothaer haupt Ihre Absicht nicht, dem Plane anderer Journale niiher
Rezensenten herruhre. Haben Sie wohl gar was Schlimmes zu bleiben, als das auf den ersten Anblick so verschieden sich
vermutet? Oh der MiEverstiindnisse! 8 5 5 ankiindigende Projekt anzuzeigen scheint, so sehe ich nicht
ei~, warum Sie lhrer Gothaer Zeitung und einer Berliner Bi-
Wegen Ihrem Plan mit einer neuen Bibliothek9 werde ich Ihnen bhothek zugleich damit das Grab bereiten wollten. 13 Vielmehr
meine Meinung umso freier sagen, je unbedeutender mein diinkt mich, ware Ihnen ja Ihre Zeitung geschickt, so vieles
Widerspruch durch den Beifall, den Sie schon haben, werden recht _sch~cklich und vorteilhaft aufzunehmen, was in jene nur
muK Ich bekenne Ihnen also geradezu, daE, soviel ich sehe, 10 10 d~_s Wirkl1ch Neue darstellende Bibliothek nicht gehorte. Beede

entweder Ihr Plan von Ihnen aufgegeben oder eingestanden wurden sehr gut nebeneinander laufen und eine der andern
werden muE, daE ein anderer Plan sich bei Ihnen eingeschlichen freund.~chaftlich die Hand bieten. Vielleicht fmden Sie durch
und einen gunstigeren Namen sich erschlichen hat. Sie wollen diese Au.Eerung die Veranlassung, wenigstens auf eine neue
uns eine Bibliothek liefern, welche uns ,nur das wirklich Neue M~difik.ation (Ihres Plans) zu sinnen und der voriibergehenden
15 Ze1tung, den Blattern du jour, [ etwas Bleibendes, etwas mehr 11.2
darstelle", und gedenken dabei, (halb)monatlich ein halbes Al- 15
phabet 10 zu liefern. Ich glaube, unsern guten Deutschena, denn als Journal anzuhiingen, das sowohl die Zeitung empfehlen,
auf diese schriinken Sie sich auch noch ein nicht so viel zutrauen als der Welt wirklich wesentliche Dienste leisten konnte. Haben
' Sie g_ute Rezensenten, so lassen Sie diese in gedoppelter Hinsicht
zu durfen, daE man mit dem wirklich Neuen, das sie jiihrlich
zu Markte tragen, zwolf Alphabete fullen kann. Zwar beginnt arbe1ten, fUr die Zeitung und fUr das neue Fachwerk, dessen
:<.o Namen ich nicht kenne, dessen bestimmte Idee ich noch nicht
es iiberall, Tag zu werden, und uberall dringt sich neues Licht 20
ein, aber die neuen Materialien, die wir erhalten, werden des- ?abe. Doch ich bescheide mich und sage Ihnen nur noch, daE
1ch mich freuen werde, auch eine Bibliothek gewohnlichen
wegen doch enge zusammengehen. Die Form ist vielleicht fast
Plans, nur besserer Ausftihrung und mit Auszeichnung vor den
jedesmal neu, aber diese wurde bisher von Journalisten und
gewohnlichen und Ehre neben den vorzuglichen Rivalen zu
Zeitungsschreibern nicht versiiumt, und eine ausfuhrliche Aus-
.25 sehen. Stillschweigen soil von mir inzwischen sorgfaltig beob-
einandersetzung derselben wurde ofters, wenn sie auch noch 25
achtet werden.
so neu ist, doch nicht Ihrem Plane angemessen sein. Sagen
Sie lieber: Ich will ein neues Rezensentengericht errichten, das
Ihre gliickliche Lage und Ihre Zufriedenheit mit derselben
die fast bestiindig nur Altes wiederkauenden Schriftsteller vor
f:euen mich sehr. Bleiben Sie, so lange Sie konnen, und exu-
sein Tribunal ziehen und die gar zu unverschiimten, hungrigen
30 lieren 14 Sie auf immer von dem Vaterlande, wenn Sie nur als
zuchtigen, die sich auszeichnenden und allenfalls etwas Neues JC
Priester oder als Theolog in demselben sich ansiedlen konnen.
mitbringenden ehren und loben und ausheben wird, so werden
Herzinniglich wiirde ich mich freuen, Sie als Collegam bei mir
Sie in der Tat etwas Verdienstliches leis ten, wenn die Ausftihrung
zu sehen. 15 Es wiirden sich, glaube ich, wenigstens bald die
gut gelingt, aber dann haben wir eben ein Journal von Ihnen,
Beriihrungspunkte finden, welche Kollegialitat und Freund-
wie Nicolai 11 und die Jenenser 12 und andere in einzelnen Fii-
35 schaft zu einem Grade bringen wiirden, welcher die Welt be-
schamen und Engel erfreuen konnte. Aber raten kann ich Ihnen
nicht dazu, vielmehr muE ich Ihnen sagen: Bleiben Sie ferne.
a Orig.: »Teutschen«

71
70
Briefe A lO An Niethammer, 28. Juni 1791

Denn, sind Sie versicbert:, man muE den Reiz des Angenebmen ten angebracbt werden konnte,a kann nicbt stattfinden. Uberdies
dem Gesetze des Guten sehr tief unterworfen baben, urn des weiE icb von (den) andern, daE sie sowohl bei alten Weibern
Freudengenusses, der einem nocb offenstebet, empfanglicb und und Philistern und sonst zum Teil wenigstens [Beifall] erhalten
fabig zu sein. Icb ftihle es gar zu wohl, wie ungli.icklicb ich haben. Auch meine Wenigkeit gehort unter diese, wie ich zu-
sein wi.irde, wenn was anders als K.rankheit und Mangel des 5 5 verlassig weill. Inzwischen werde ich doch Veranlassung zur
Notwendigen micb ungli.icklicb mebr macben konnte. Nun babe Entstehung des Geriichts gegeben haben, weil icb sowohl Kan-
icb nocb mehr als bloE Abwesenbeit dieser beeden Sti.icke, tisch als auch dunkel predigen soli. Neben allen Klagen i.iber
wie Sie sicb leicbt denken, und ich babe also frobe Stunden, Dunkelheit erhielt ich neulich doch von einem Frauenzimmer
keine tri.iben, weil icb die auEeren Eindriicke in ihren Wirkungen aufrichtig das Kompliment, sie begreife nicht, wie icb alles so
zu scbwacben gelernt babe. Aber Sie sehen es der ganzen JO 10 deutlich auseinandersetzen und teilen und auf aile moglichen
Spracbe an, wenn icb es Ihnen aucb nicbt sagen wi.irde, daiS Faile Ri.icksicht nehmen konne. Hatte ich nur die Gabe, apho-
die sinnliche Selbstliebe ihre vielen K.rankungen erleide und ristisch zu predigen, so wi.irde icb mehreren besser behagen.
daE sie dieselben wobl in Anwurf zu bringen wisse, das laBt Ihr Geri.icbte lief wohl von Stuttgartb aus. Anfangs dachte ich,
sicb von einer Tocbter der Sinnlichkeit erwarten. Icb wiirde Sie scberzen, nachher, ob nicht Ihr Freund Sie und uns zum
daber micb aucb nicbt entbalten konnen, oft Anderungen meiner 15 15 besten haben wolle. ltzt glaube ich, es sei Ihnen wohlgemeint
Lage zu wi.inscben und zu versucben, wenn nicbt im Reiche mitgeteilt, mit Reflexionen begleitet usw. Von den MeEbi.ichern 19
der Sinnlichkeit selbst eine Trennung entstanden ware und muE ich scbweigen. Leben Sie wohl und bleiben Sie mem
gewisse sinnlicbe Triebe, begi.instigt durcb fremde Unterstiit- Freund, wie ich der Ihrige,
zung, sicb i.iber andere vorzi.iglicb geltend zu macben wi.iEten. Dz.
Icb meine die Lust, welcbe aus meiner freien Zeit und dem 20 20

freien Gebraucbe derselben entstehet. Wem die ganz freie Zeit (Bunzc wird die nachste Wocbe disputieren 20, Si.iEkind wird
sicb widmet, das konnen Sie sich denken. In der beschrankteren diese examiniert21 .)
bescbaftige icb mich mit vieler Angelegenheit 16 mit Sezierung
der stinkenden Kadaver der Theologie. Aber der Gestank. d~r .
meiner Sinnlichkeit aus allem in die Nase steigt, ist, daE mem 25
Zustand, inwiefern er durch sie und ihr Affiziertwerden be-
stimmt wird, immer mebr verschlimmert wird.

Ihre Nachricbt von der bevorstehenden Inquisition 17 kann nichts


anders als ein entstelltes Geri.icbte sein. DaE die neuen Repe- JC
tenten das Augenmerk der Leute mehr, als ihnen wobl lieb
sein darf, auf sich gezogen haben, ist nicht zu verkennen. DaB
man alsdann von den einzelnen spricht und von diesem dieses,
von jenem jenes sagt, laEt sicb auch wohl denken. Aber Un- •.
zufriedenbeit mit Kapffischena Predigten 18, welche boberer Or- JJ a gestr.: »ist gewiE MiEverstiindnis«
b 0.ng.: »Stuttgardt«
a Orig.: ,Kapfischen« c Orig.: »Bonz«

72 73
Briefe A 11 An Niethammer, 12. J uli 1791

sechzehn Gutegroschen). Inzwischen wi.irde auch dies mich


All nicht dauern, wenn der Stich getroffen ware, und davon werden
Immanuel Carl Diez, 'llihingen Sie wieder bessere Nachrichten haben als ich, so wie vielleicht
Dienstag, den 12. Juli 1791 auch hievon eine Bestellung und Besorgung i.ibernehmen kon-
An Friedrich Immanuel Niethammer, Gotha 5 nen. Ich wi.irde glauben, durch diese Kommissionen wirklich
einen Unschick begangen zu haben, wenn ich nicht dachte,
Sie wissen, daiS ich das Abweisen gerne mir gefallen lasse im
Thbingen, den 12. Juli 1791 Faile, daiS Sie dadurch in unangenehme Beschwerlichkeit ver-
setzt wi.irden.
Sie werden sich wundern, Iieber Freund, schon wieder einen 10
Brief von mir zu erhalten. Wenn Sie ihn gelesen haben, so Das zweite, was mich bewog, Ihnen so bald wieder zu schreiben,
werden Sie sich nicht mehr wundern. 5 ist, daE ich auf eine argerliche Weise in meinem letzten Briefe
vergaE, Ihnen einen der vorgelegten Punkte zu beantworten.
Zuerst wi.inschte ich, daE Sie sich mit einigen merkantilischen Sie fragten mich urn meine Meinung wegen dem Nennen der
Angelegenheiten ftir mich befassen mochten, wenn es Ihnen 15 Rezensenten4 und sagten, daiS Sie bei der neuen Bibliothek
nicht zu ungelegen ist und Sie wohl konnen. Ich hatte Herrn einen Versuch damit machen wi.irden, wenn es instand zu brin-
Heerbrande' den Auftrag gegeben, auf der Leipziger Messe JO gen sei. Hier haben Sie sie, so gut ich sie zu geben imstande
fur mich auf das Repertorium der Allgemeinen Literatur-Zeitung ~ I ~
zu subskribieren, und wenn es notig sei, was ich nicht mehr
wisse, zu pranumerieren2 . Er hat es mir zugesagt, aber auf 20 Es ist unverkennbar, daiS das Nennen der Rezensenten die
mein Befragen erhielt ich neulich die Antwort von ihm, er Wirksamkeit der Rezensionen sehr bestimmen wi.irde, indem
habe die Sache - vergessen. Dies ware nun sehr unangenehm, 15 die Meinung von dem Verfasser immer in den Augen des Lesers
wenn der Ladenpreis nachher sollte sehr erhohet werden und den Wert dessen, was man lieset, bestimmen hilft. Aber eben
der Subskriptionstermin nun sollte geschlossen sein. Dem saum- damit ist zugleich auch klar, daiS der EinfluiS nur dann vorteilhaft
seligen Heerbrandt nun neue Auftrage, die er immer ungern 25 sein kann, wenn die Manner, welche sich unterschreiben, ge-
annimmt, geben, mag ich nicht. Sie konnen mir vielleicht un- achtet werden, und nur dann wirklich gut sein kann, wenn es
beschwert die notige Auskunft in Ihrem nachsten Briefe oder 20 wirklich vorzi.igliche Manner sind. Raben Sie also Manner, die
wohl gar die Bestellung i.ibernehmen. Hieher gehort auch noch vorzi.iglich sind und als vorzi.igliche Manner anerkannt werden,
die Nachricht, welche Sie neulich von Bauses Kupferstich in so kann es nicht anders als von guten Folgen fur die Bibliothek
der Zeitung erteilten. 3 Es war mir sehr angenehm zu lesen, 30 sein, wenn dieselben sich nennen. Es wi.irde dem, was sie
daiS man einen Kupferstich von Kant haben konne, aber desto geben, ftir sich schon mehr Eingang verschaffen, auch bei einem
unangenehmer, daiS er zwanzig Gutegroschen kosten solle ( denn 25 geringeren Gehalt, als der ist, mit dem sie ihr Produkt ausstatten
man wird doch den von Platner nicht mitnehmen mi.issen, und konnten, wenn sie mehr sich hervortun wollten. Aber sie werden
der Kantische wird eben die Hhlfte kosten von einem Reichstaler auch wirklich etwas Besseres zu geben sich bemi.ihen, weil
35 auch vorzi.igliche Menschen eben doch meistenteils so schwach
sind, daiS sie sowohl von seiten des Kopfes als des Herzens
• Orig.: »Herbrandt« sorgfaltiger sich zu verwahren trachten, wenn- sie sich nennen

74 75
Briefe A 11 An Niethammer, 12. Juli 1791

miissen. Aber da nun auEere Verhaltnisse ofters so beschaffen sind, seien es auch nicht lauter beriihmte Namen, so wird der
sind, daE sie einem geradezu verbieten, das eigene Urteil, sei Anblick gewill Zuschauer herbeilocken. Sei es vorerst auch nur
es auch noch so gegriindet, noch so der Wahrheit getreu und Neuheit, die die Zuschauer herbeilockt, das praktische Interesse
fern von aller Parteilichkeit, iiber ein Buch offentlich zu fallen, der Sache selbsten moE, wenn der Inhalt gut ist, sie unterhalten
so konnen Sie geradezu durch das Nennen vielleicht die Urteile 5 5 und immer mehrere herbeiziehen. Personliche Verhiiltnisse ent-
Ihrer geschicktesten Mitarbeiter iiber manches wichtige Buch ziehen Ihnen zwar vielleicht die Rezension des Mannes A, aber
sich entziehen. Sie sehen also, es kommt ganz auf den indivi- nun kommt vielleicht ein B, der frei von personlichen Verhiilt-
duellen Charakter der Mitarbeiter in jedem Fache an, es kommt nissen doch auch gut urteilet. Und gesetzt, das Buch quaestionis
auf ihre Vorziige, ihr Ansehen und Kredit und auf ihren Mut, werde nun nicht oder irrig beurteilt, was vorher nicht geschehen
was sie wagen mogen usw., an, ob sie sich nennen wollen oder 10 1o wiire, ware dieser Verlust in ein Verhiiltnis mit dem iibrigen
nicht. lch sage absichtlich: der Mitarbeiter in einem Fache, denn Gewinnst zu setzen? Gewill nicht! Nein, lieber Niethammer, geben
1) mogen die Mitarbeiter in einem Fache sich nennen, in dem Sie sich aile Miihe, so was instand zu setzen. Es kann Ihnen
anderen nicht, aber 2) miissen aile in einem Fache sich nennen nicht schwer werden, da es sich vorerst als eine gute Buchhiind-
und nicht nur einer, denn, wenn einer oder zwei sich nennen, lerspekulation empfiehlt und also von einer Seite her die Hin-
so_ waren die Verfasser fUr jede Rezension schon genauer be- 15 15 dernisse gehoben sind, und es muE Ihnen Ieicht werden, da es
ze1chnet, weil die iibrigen als Mitarbeiter doch im Stillen nach offenbar ist, daE durch eine geschickte und gute Behandlung
und nach bekannt gemacht wiirden. Ubrigens denke ich unter die Menschheit dadurch gehoben werden muE und Sie dabei
dem Schreiben wieder: Was braucht es Ziinfte und ziinftige der Unterstiitzung geschickter Manner in jedem Fache gewill
Einrichtungen? Nein! Errichten Sie eine neue Bibliothek (aber sich versichern konnen. Wenden Sie sich an Conner und Freunde,
nur keine auf's wirklich Neue sich einschrankende), bei der 20 20 bei denen Sie in Achtung stehen und wo Sie Ubereinstimmung
es Gesetz ist, daE jeder sich nenne. Ich meine, I es miisse hoffen konnen, und durch diese, so weit Sie konnen, an aile
dadu_rch der freie Sinn, den echte Kantische praktische Philo- groEen Manner, schreiben Sie in aile Welt, an A, B, C usw.:
sophie und das Beispiel unserer Nachbarn erweckt, begiinstigt Untersuchet, priifet, besseret (nicht: iinderet) meinen Plan, ich
und befodert werden, und der republikanische Geist, der allein will nicht andere Plane, aber helft mir den meinigen vervoll-
der edle Freiheitsgeist ist, miisse dadurch mehr in die Seelen 25 25 kommnen, befodern, ausfuhren. Seid mir unter der aufgestellten

unserer deutschen Gelehrten gebracht werden. Aber es ist daher Bedingung willkommene Mitarbeiter. I Und bei der Ausfuhrung 3/4
von Wichtigkeit, daE es vorerst nur edle, angesehene und ge- wachen Sie mit allem Fleill iiber die Gesetze der Wurde und
achtete Manner tun und daE dabei alles auf eine anstandige, des Anstands, allen EinfluE von Personlichkeiten wenden Sie
edle, wiirdige Weise geschehe. Versichern Sie sich daher solcher auch aus Sorge fur Ihr Journal sorgfaltig ab. Denn, wenn viele
5
Manner, an welche Sie sich wenden und mit Vorteil wenden 3° 30 Rezensenten mit personlichen Rezensionen prostituieren , so ver-

konnen. Tun Sie voritzt Verzicht aufVollstandigkeit der Anzeigen, liert das Journal sein Ansehen. Und glauben Sie, die Sache muE
und w~~n Sie ~s nicht bei allen Fachern zustande bringen konnen, gut gehen. Wenn ein Schmid wegen personlichen Verbindungen
so schriinken S1e es auf diejenigen ein, wo Sie es zustande bringen. Reinhold nicht rezensieren darf oder mag, so tritt ein Rehberg
?ie Re_zensionen miissen zuverlassig gewinnen, weil sich, wie auf, und wenn die Rehberge, schiichtern gemacht, nun sich zu-
Ich vong gesagt habe, jeder besser besinnt, ehe er seinen Namen 35 35 riickziehen, so spricht das Stillschweigen oder tritt ein beschei-

hinsetzt. Und wenn Sie nun mit einem Bande auftreten, wo dener Schuler auf oder spricht ein Schmid und nennt sich. Denn
lauter gute Rezensionen kommen und die Verfasser genannt warum sollen Privatverbindungen gesetzte, anstiindige, iiberdach-

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Briefe
A 12 An Niethammer, 7. August 1791

te und i.iberlegte offentliche Urteile ftir aile Faile unmoglich


machen? Ich muJS zum Schlusse eilen, weil ich mich verspatet A 12
habe, und sage Ihnen also nur noch, daiS Sie Ihre Zeitung dabei Immanuel Carl Diez, 'llibingen
nicht sollen untergehen lassen. Wenn Sie sie fUr Inhaltsanzeigen Sonntag, den 7. August 1791
bestimmen, die von Urteilen sich enthalten, so werden Sie durch 5 An Friedrich Immanuel Niethammer, Gotha
Ihre Zeitung und Bibliothek miteinander6 bewerkstelligen, was
kein anderes Institut von den vorhandenen zu leisten vermag:
1) fri.ihe Anzeige der Bi.icher, 2) reife Urteile i.iber dieselben. Ti.ibingen, den 7. August 1791

Eine Konkurrenz von Rezensenten und Kollisionen derselben, 10 Hier haben Sie zwei Blatter von Klett. Er wiederholet, daiS er
welche durch freie Einladungen, (die Sie vielleicht) an Unbe- mir einen Brief geschickt habe (nicht in einem Briefe an mich,
kannte auch ergehen lassen mi.iJSten, [entstehen konnten,] wird 5 sondern nach dem, was er Ihnen geschrieben hat), und ich
Ihre Vorsorge schon zu verhi.iten wissen. wiederhole, daiS ich mit Wissen wenigstens nichts erhalten habe
und Verschleudern von mir nicht wohl supponieren kann, was
Gerne mochte ich auch noch manches i.iber Reinholds Versuche 7 15 auch Klett seinerseits tun wird.
schwatzen. Aher Raum und Zeit sind zu kurz. So viel sage ich
Ihnen kurz, daiS der Mann mir zu rei.issieren scheint und daB 10 Ihre Rezensionen in die auslandische Zeitung 1 sind mir nicht
ich mich seinem studio bald ex professo wieder widmen werde. zu Gesicht gekommen, so wie ich die Zeitung selbst noch nie
Aber wie er die Klippe von der Mannigfaltigkeit8 vorbeisegeln gesehen habe. Die von Bi.ichlings Paliiphat2 kann ich nicht be-
kann, ist mir unbegreiflich. Wie er sie vorbeisegeln wird, und 20 urteilen, weil ich den Urteilen und ihrem Grunde, ohne die
zwar in Gesellschaft des groJSen Propheten9, das erwarte ich Bi.icher zu haben, nicht nachgehen kann, und diese habe ich
begierig und halte es nur durch Hilfe dieses Gottesmannes 15 nicht. Aher wegen der Rezension der Reisen ins mittagliche
10
moglich . Nachstens werde ich meinen nach dreimaliger Um- Frankreich3 erlauben Sie mir etwas zu sagen.
arbeitung zustande gekommenenAufsatz i.iber dieselbe 11 wieder
vornehmen. Meine noch bevorstehende Vakanz 12 soli Reinhold 25 Ich hatte sie gelesen, ehe ich von ihrem Verfasser wuJSte. DaiS
ganz gewidmet werden. Bis itzt ist mir jeder Locus, den ich sie ein Selbstdenker geschrieben haben mi.isse, dachte ich so-
zu halten habe, Bestatigung in meiner Apostasie. Ich lege dabei 20 gleich, unerachtet das Votum als Konformation nach andern 4
jedesmal das Ansehen des Neuen Testaments zum Grunde und sich anki.indigte. Es war mir urn so angenehmer, (diese Ein-
suche so konsequent zu sein als moglich und komme dann stimmung mit meiner Meinung zu finden,) als ich kurz vorher
dabei immer auf - Ahsurditaten. 13 - Ich habe nicht mehr Zeit, 50 diese gegen Andersdenkende verteidigen muJSte. Aber vielleicht
meinen Brief zu i.iberlesen. Leben Sie wohl. Dieses Blatt ist eben dies machte, daiS ich glaubte, das Urteil des Rezensenten
besonders in Eil geschrieben. 25 sei nicht mit gehoriger Vorsicht abgefafk Ich hatte sie zwar
siegend verteidigt, allein dies machte mir auch gegenwiirtiger
Dz. (sowohl unter als nach dem Streite), daiS die Zeiten noch nicht
gekommen seien, wo man so entscheidend sprechen konne,
i.iberhaupt Werke des Geschmacks betreffend, dann aber auch
30 in Ri.icksicht auf das vorliegende Werk., da£ die Urteile gar zu

78 79
Briefe A 12 An Niethammer, 7. August 1791

leicht schief ausfallen konnen, wenn man komme, urn dasselbe fast entscheidend behaupten, daE Wahrheit auf diese Weise
zu kritisieren, und nicht strenge Aufmerksamkeit auf den Zweck mehr gewinnen mi.isse, weil das Bestreben inniger werden muE,
und Plan des Verfassers, so wie auch auf die Klasse von Lesern, ihre innere Kraft zu zeigen, da wir so wenig auf auEere Be-
welche er sich zum Ziele gesetzt hat, habe. Wissen Sie nun gi.instigung zahlen di.irfen, durch unser Urteil als solches so
aber auch, wer der Salzburger Rezensent 5 sein soli? Man sagt: 5 1 5 wenig zu bewirken hoffen konnen.
6
Werkmeister , der Hofprediger. Ich gebe die Nachricht nicht
fiir gegriindet aus; aber warum sollte es nicht moglich sein, Ich rnache keine Anwendung auf die vorliegende Rezension,
d~E ein..Wr nun dies von uns und von vielen abgehende Urteil
7
wo die Entdeckung Ihres Namens vielleicht urn so mehr un-
fallen konnte? Und wollten Sie diesem Manne, der meinetwegen gi.instige Urteile derer, die Sie nicht (gehorig) kennen, erwecken
vollig unrichtig geurteilt hat, sagen: Schiffe nach Anticyra?8 Ich 10 10 wi.irde, als es gar zu ungewohnt und bei einer so kleinen
muE Sie hiebei an noch etwas erinnern, was Sie freilich von Zeitung zu befremdend ist:, noch frernde Rezensionen vorzu-
selbsten nicht auEer Augen lassen werden, was ich aber doch nehmen9, aber ich denke, daE [Sie], wenn Ihre Bibliothek 10
wegen der Wichtigkeit:, die es hat, gerne auch fiir mich sage. zustande kommt und Sie vielleicht beri.ihrnte Manner nicht in
Sold bekommen, diese Reflexion ihren Lesern und Mitarbeitern
Dem verniinftigen Manne ist bei allem, was er nicht ftir sich 15 15 ans Herz zu legen haben werden, jenen Hoffnungen, bei diesen
behalt:, sondern andern sagt und mitteilt:, darum zu tun, daE rnehr zweckmaEige Anstrengung zu erwecken.
das, was er sagt:, Eingang fmde. Aus diesem Grunde siehet er
sich genotigt:, auf die Meinungen, welche man von ihm hat - Wie gehet es mit der Bibliothek? Soli Anonymitat abgeschafft,
richtiger- oder unrichtigerweise, gilt gleichviel -, Riicksicht zu (gesetzlich eingeftihrt oder durch Nachsicht) gestattet werden?
n~hmen, weil diese Meinungen eben einmal den Eingang be- 20 .20 Ich denke, wenn man unziernliche Ausbri.iche abzuhalten weill,
stnnmen helfen, den das Seinige finden wird. Schwerlich wird so rnuE es in der Tat zur Befoderung freierer, mutigerer und
er sich entgegenhalten, daE an den Urteilen solcher nichts scharferer Denkungsart wirken, wenn, urn einen Ihrer Lieb-
g~leg.en sei, denn solche Bestimmungsgriinde wirken oft bei lingsausdri.icke zu gebrauchen, kein Geheirngericht 11 gestattet
wrrkhch achtungswi.irdigen Mannern, urn welche es uns zu tun wird.
ist:, oft bei Mannern, die uns in Riicksichten auf andere Zwecke 25
wichtig werden, und ein Zweck fmdet bei allen statt:, der fur Wegen der iiber eine neue TafeP 2 der Wissenschaften 13, nach
sich s~lbsten achtungswiirdig ist:, namlich der, Wahrheiten zu welcher die Facher geordnet werden sollen, (mitgeteilten Ideen)
v~:breit~n, w~nn man auch nicht durch Einsicht gerade in die bin ich umso schi.ichterner, etwas zu sagen, als Sie sagen, daE
Kopfe Sle brmgen kann. So wird er dann ofters einen Ton Sie sich dieselben noch nicht ins klare gebracht haben. Inzwi-
o.der e~e Einkleidung sich versagen mi.issen, weil sie nach der 30 30 schen Ihnen meinen guten Willen und wohl zugleich auch
emma~ ihm. entgegenstehenden - meinetwegen irrigen - Mei- mein Unverrnogen zu zeigen, will ich diese Schi.ichternheit
nung ihn rucht kleiden wi.irde, und vielleicht wird er dann auf mich nicht abhalten lassen, einiges zu sagen.
di~se Weise wirklich zu einer Sprache geleitet, welche der Wahr-
heit besser ni.itzet als jede andere. Er wird der Starke der Ich sehe mich genotigt:, vorher Ihnen wieder beizusetzen, was
Gri.inde so gar nichts vergeben, daE er ihre Wirksamkeit vielleicht 35 35 Sie rnir mitgeteilt haben: "Unsere zu einern Ganzen verbundenen
I/ 2 mehr ~rhohet:, als geschehen ware, I wenn er den Schmuck. Vorstellungen sind 1) entweder Selbstzweck, und dann heiEen
den er ihr nun entziehet:, wirklich gegeben hatte. Ja, ich mochte sie Wissemchcift in unbestimmter Bedeutung des Worts, 2) oder

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Briefe A 12 An Niethammer, 7. August 1791

sie sin~ nur .der .Grund irgendeiner ihnen gemaEen Darstellung Bei der dritten Nummer frage ich: Ist es erfoderlich, daE ein
und heillen m d1eser Beziehung, und wenn das Geschick, ihnen Aggregat von Vorstellungen Mittel sei, Wissenschaften und Kun-
ge.mill darz~stellen hinzukommt:, Kiinste, 3) oder sie sind bloE ste zugleich andern mitzuteilen, urn den Namen der Sprache
Mit~el, ~m W1ssenschaften und Kiinste and ern mitzuteilen, Spra- zu verdienen? MuEte nicht Wissenschaft:, inwiefern sie Mittel
che_. m eme~ transzendentalen Bedeutung dieses Worts. 4) Ferner 5 5 ist, die Kunst mitzuteilen, auch Sprache genannt werden, und
dr~cken s1e ~ntweder aus, wie etwas sein und geschehen muE, zwar, da sie Grund irgendeiner ihr gemiiEen Darstellung werden
Wzssenschcift m enger Bedeutung, oder wie etwas sein und ge- kann und somit zum Wesen der Kunst gehort:, in Rucksicht
schehen kann, Theorie, oder wie etwas ist und geschieht oder auf sich selbsten diesen Namen erhalten? Wiirde alsoa nichtb
war un.d ges~~ah, Geschichte. So erscheinen die AuEerungen jedes Aggregat von Vorstellungen Wissenschaft, Kunst und Spra-
der. ?e1steskrafte nach den Kategorien der Relation und Mo- 10 10 che werden konnen? Ich weiE nicht:, ob z. B. das Aggregat von
dahtat und geben also notwendig ein vollkommenes System." Vorstellungen, das ich deutsche Sprache nenne, sich nicht hiezu
qualifizierte.
Das, .was Sie ~ier sagen, scheint mehr auf Bestimmung des
BegriffS von Wisse.nschaft abzuzielen, als einen Leiifaden zur Warum wollen Sie dem Aggregate von Vorstellungen, das mir
Rango~dnung an d1e Hand zu geben. DaE ich Wissenschaften 15 15 sagt:, wie etwas sein und geschehen mufi, den Namen der Theorie
von Kunsten und Sprachen zu unterscheiden habe oder daE versagen und dem zuerkennen, welches sagt:, wie etwas sein
Wisse~schaften nach einer enger bestimmten Deutung von und geschehen lcann? Ich sehe nicht ein, wie Sie aus dem mufi
Theonen und Geschichte sich unterscheiden kann ich wohl und lcann daftir argumentieren konnen, und darin miiEte wohl
"":'is sen, ohne d~s mindeste fur Rangordnung de~ Wissenschaften der Grund liegen.
(m der unbestlillillten oder engen Bedeutung) gewonnen zu 20 :zo
2/3 haben. I Das charakteristische Merkmal der Geschichte scheinen Sie auch
nicht deutlich hervorgezogen zu haben, weil in jeder empiri-
Ein Aggregat von Vorstellungen oder, wie Sie sagen, ein Ganzes schen Wissenschaft eben das angetroffen wird, was Sie von
ve~bundener Vorstellungen, das Selbstzweck ist:, erhalt noch dieser sagen, und insofern auch jede Geschichte genannt werden
kemeswegs den Namen Wissenschaft. Nach dem gewohnlichen 25 :<5 konnte. Was ist nun das Merkmal, das Geschichte im besonderen
Sprac~gebrauch erteilt das Merkmal systematischer Anordnung Sinne bezeichnet?
erst d1esen Namen. Erteilt man ihn auch dem rhapsodistisch
~nge?rdneten Ganzen von Vorstellungen, so wird wohl schwer- Glauben Sie nicht:, daE diese Bemerkungen etwas anders sein
li~h m dem Selbstzwecksein der Grund aufgesucht werden sollen als Beweise, daE Sie Ihren Sinn nicht bestimmt dargelegt
durfen. Zudem kommt keinem Aggregat von Vorstellungen das 30 30 oder ich ihn nicht fassen konnte. Inzwischen setze ich noch
Selbstzwecksein absolute zu. folgendes bei.

!edes A~?regat von Vorstellungen kann der Grund irgendeiner Der Form nach konnen die Wissenschaften nicht in einen Rang
Ihm gemaEen Darstellung werden, und ein Geschick, ihm gemiiE
darzustellen, kann hinzukommen. Es muEte also jedes Aggregat 35 a gestr.: »das, was Sie als Wissenschaft in unbestimmter Bedeutung festgesetzt
haben«
v~n Vorstellungen in dieser Beziehung Kunst genannt werden
konnen. b gestr.: »mit Kunst und Sprache?«

8.2 83
Briefe A 12 An Niethammer, 7. August 1791

gesetzt werden, der die eine der andern vorsetzt. Die Form, auch augerdem eine Anft.ihrung. Besonders sollten Sie an den
die wissenschaftliche Behandlung des Stoffes, ist eine und soli Urteilen iiber Stiiudlin24, Storr, Hofacke~5 bemerken, wieviel
3/4 bei allen Wissenschaften, eben I weil sie Wissenschaften sind, Subjektives in die Bemerkungen der Reisenden einfliege.Z6
gleich angetroffen werden.
5 5 Es ist mir leid, dag ich das Fiillebornische Magazin 27 nicht zu
Den Stoff machen vorhandene oder erst zu realisierende Ge- sehen bekomme. Eine Anzeige 28 von dem Inhalte eines Stiicks
genstiinde aus. Diese konnen nach der Tafel der Kategorien hatte mich vorher schon liistern nach demselhen gemacht.
bestimmt werden.
Die Kantiana bin ich nicht sehr geneigt anzukaufen, weil der
Reinholds neue Schrift 14 habe ich schon zweimal gelesen, mit 10 IO Autor selbst eine Sammlung derselben angekiindigt hat. 29
grogem Vergniigen. Ich gehe niichstens auf den Schwarzwald 15,
was Ihnen auch wegen der Briefe zu wissen zu tun ist, und Leben Sie wohl. Ich bin ganz der Ihrige.
da werde ich meine Studien abermal mit ihm eroffnen. Der
Anfang der Anzeige 16 ist mir zu Gesicht gekommen. Ich durchlief Diez.
sie gelegenheitlich; sie schien mir keinen andern Wert zu haben 15
als den ihr das angezeigte Buch gibt.

Siigkind hat sich eigenmiichtig aus der Verlegenheit gerissen. 17


18
Prosektors Antwort wird durch Camerer 19 laufen. 20

An die Weissagung von Jerusalem hatte ich inzwischen nicht


gedacht oder vielmehr an den dariiber zu liefernden Aufsatz.Z0
I~h gedenke auch, meine Zeit wichtigeren Dingen urn desselben
mcht zu entziehen. Vielleicht werde ich einmal mehrere theo- 25
logische Herzenserleichterungen zumal mir erlauben. Jeder Lo-
21
cus beinahe offnet mir neue Aussichten oder Einsichten, seit
i~h freier s~he. Neulich trug ich aus Gelegenheit der Messia-
msch~n We1ssagungen Siitze vor, die notwendige Konsequenzen
des emmal festgesetzten Ansehens des Neuen Testaments sind, 50
aber demselben nicht zur Ehre gereichen. Vielleicht ein anders
Mal davon.

Unter dem Schreiben fallt mir ein, dag, wenn es Ihnen einmal
an Materie gebrechen sollte, das Blatt der Deutschen Zeitung22 55
zu ergiinzen, Sie Berichtigungen von Halems Anmerkungen
23 a Orig.: »Hofaker«
iiber unser Stift einriicken konnten. Vielleicht verdient es

84 85
Briefe A 13 An Niethammer, 13. November 1791

Von Klostersverbesserungen 4 kann ich Ihnen noch nichts mel-


A 13 den, weil noch nichts geschehen ist. Morgen erwarten wir einen
Immanuel Carl Diez, Ttihingen Besuch von Serenissimus, der urn zehn Uhr zur Prorektorwahl
Sonntag, den 13. November I 791 hieherkommen wird. 5 Urn neun Uhr werden sich die Senatoren
An Friedrich Immanuel Niethammer, Gotha 5 versammeln, und Schnurrer hat deswegen fur gut befunden,
den Brief auf heute abend bald sich auszubitten. Aber das
muE ich Ihnen noch melden, daE der Generalsuperintendent
Thbingen, den 13. November 1791 Dapp 6 durch Storr dem ehrsamen Repetenten-Collegio den Wink
zugehen lieEe, in ihren Predigten mehr ad captum populi sich
Herr Schnurrer hat mir offeriert, ihm ein Briefchen zum Ein- 10 zu akkommodieren, weil die Scabini7 ( oder Kirchenzensoren,
schluE zu geben. Ich profitiere von der Gelegenheit, Ihnen Sie kennen ja dieses Geschlecht?) sich beschwert batten.
einige Notizen beizubringen, die ich Ihnen gerne mitteilen 5
mochte. Wegen dem Repertorium zur Allgemeinen Literatur-Zeitung hat
Heerbrandts Ladendiener, Hennings 8 genannt, an seinen Vater
Selbstgehorte AuEerungen von ihm i.iber Sie habe ich keine. 1 15 nach Jena geschrieben zu subskribieren, notigenfalls zu priinu-
Es mag ein Vierteljahr sein, daE ich den Mann, einige Minuten merieren; wenn Sie nachsehen wollen9, ist es mir lieb. Nicht
ausgenommen, nicht gesprochen habe. Aber von S [i.iEkind]a 10 lieb ist mir, wenn die vorbemeldte Nachricbt an Paulus und von
habe ich gehort - was Sie nun selbst in seinem Briefe2 werden da wieder an Gaab 10 kommen sollte.
gelesen haben -, daE die Verzogerung einer Antwort von ihm
keinen and ern Grund harte, als weil Sie bestimmtere Nachrichten .20 Si.iEkind laEt Sie bitten, Goritza 11 zu sagen, daE er ihn wissen
nachstens zu schreiben versprochen batten. Er war deswegen lassen solle, ob er das Geld von ihm empfangen babe oder
in Verlegenheit und schrieb eben nicht. 15 nicbt.

Zu den neuen gi.instigen Veranderungen Ihres Schicksals 3 gra- Sie verlangen zu wissen, wie es mit der kritiscben Philosophie
tuliere ich Ihnen von Herzen. Nicht mit Neide, aber mit dem .25 bei mir stehe. - Ihren Pregizer beimzugeben, mi.iEte icb sagen,
Wunsche, ebenso von dem Gli.icke begi.instigt zu werden, lase sehr kritisch. 12 - Meine neuesten Schwarzwalder Untersucbun-
ich das wenige, was Sie mir meld ten. Freilich werden Sie denken, 2° gen1 3, die ich aber inzwiscben nicbt wieder vorgenommen babe,
man mi.isse ebenso auf dasselbe einzuwirken trachten und es fielen dabin aus, daE Reinholds Theorie durcbaus nicht pro-
zwingen wie Sie; aber dies zu tun, sind so manchem einerseits bebaltig seih, weder in Ri.icksicbt auf die Grundlage, noch in
die zwingenden Eigenschaften nicht gegeben, andererseits die 30 Ri.icksicbt auf die davon geschehenen Ableitungen. Aber voll-
Gri.inde nicht (bei ihm) vorhanden, sie, soweit er sie hat, spielen kommen blieb icb von allem i.ibrigen, was er i.iber den Zustand
und in ihrer Wirkung sich auEern zu lassen wie Sie. Und dies 25 der Pbilosopbie sagt, i.iberze~e;t und, daE die Kantische Dar-
ist mein trauriger Fall. stellung der transzendentalen Asthetik nicbts tauge, davon glau-

a Orig.: »Goriz«
b 0. .
ng.: »seJen«

86 87
Briefe A 14 An Kielmeyer, 2. Dezember l 791

be ich nun zur eigenen Einsicht gelangt zu sein. 14 Die Aus-


einandersetzung dieses konnte der Gegenstand einer schrift- A 14
stellerischen Arbeit mit der Zeit werden, wenn ich, urn rneinen Immanuel Carl Diez, Ti.ihingen
Plan - Reise-Veniarn zu erhalten - durchzusetzen, genotigt Freitag, den 2. Dezemher 1791
werde zu schreiben. Sonst wird es, glaube ich, nicht geschehen. 5 An Carl Friedrich Kielmeyer 1, Stuttgart

Der Ihrige, Dz. Ttibingen, den 2. Dezernber 1791

Ich bin Ihnen, rnein Iieber Freund, fur Ihre Willfahrigkeit sehr
verbunden, urn so rnehr, als Sie rnir die angenehme Aussicht
5 eroffnet, jederzeit zu ihr rekurrieren zu diirfen, wenn ich ihrer
benotigt werde. Gegenwiirtig ist das letztere der Fall noch nicht.
Sie werden selbst sehen, ob Sie daraus abnehmen di.irfen, daE
Sie sich eine kleine Ubereilung zuschulden kommen (liegen),
wenn Sie mich mit so vieler Zuversicht als den Apostatam Theo-
10 logiae Sacrosanctae und als einen ki.inftigen Proselyten Ihrer ver-
schleierten Gottin 2 ( oder - fillt rnir erst ein - als einen Bauren,
der sich von der Hexe hudeln 3 lassen will) annehrnen. Es ist mir
sehr leid, daE ich i.ibrigens nicht rnehr mit Ihnen in der Sache
sprechen kann. 4 Es ware gar viel auch von den Theologie-Bauren
15 zu reden, urn daraus den Wert des Zustandes, in welchern die
Medizin-Bauren sich befinden, zu schatzen. PfaffS, den ich neulich
ev
W£ I nag6bcp6 sprach, machte rnir Hoffnung, Sie hier zu sehen, J/.2
aber vielleicht sind Sie durch Ihre Bauren-Jungen gebunden, so
dag die Hoffnung wohl unerftillt bleiben wird. Soviel ich hore,
.<o befindet sich Pfaff wohl.

A propos, mein lieber Doktor und Professor, wollen Sie nicht


Beobachter (auf) der Sternwarte zu Danzig werden?7 In geheim
sei's Ihnen gesagt, dag Pfleiderer8 den Auftrag hat, jernand
.25 dahin vorzuschlagen. Von Kapff ist der An trag schon abgelehnt,
und nun wird er an Bohnenberger9 ergehen, der ihn wohl auch
ausschlagen wird. Kornmen Sie hieher, rnein Iieber Hevelius 10,
und machen Sie die Sache richtig. Das Gehalt ist 200 Dukaten.

30 Leben Sie wohl mit Ihrer Verschleierten.


Ihr Dz.

88 89
Briefe A 15 An Niethammer, 5. Dezember 1791

wegen Einrichtung meiner Equipage6, Kleider, Leinwand usw.


A 15 Ich gedenke ungefahr zwei Jahre da zu bleiben. Machen die
Immanuel Carl Diez, Ti.ihingen Umstande ein funftes Halbjahr notig, so wollen wir schon sehen;
Montag, den 5. Dezemher 1791 itzt liegen nur zwei Jahre im Plan. Die Collegia werde ich
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena 1 5 ohngefahr in folgender Ordnung horen: I. Naturgeschichte, Bo-
tanik, Chemie, Physiologie, II. Anatomie, Pathologie und Se-
miotiP, materia medica8 und Pharmazie, III. Therapia generalis 9
Thbingen, den 5. Dezember 1791 und Formulare 10, Chirurgie und Accouchement 11 und zugleich
den Anfang der praktischen Medizin, welche IV. mit Clinicum
Freund, eine Nachricht, die Ihnen ebenso unerwartet sein wird, 10 verbunden, wie auch mit der Chirurgie fortgesetzt wird. Da
als ich. sie Ihnen mit Freuden gebe! Ich, Magister Immanuel konnen Sie nun die Preise meiner Kollegien bestimmen, wenn
Carl D1ez, Repetent an dem herzoglichen Stifte allhier, bin mit 5 keine aA.A.6tQLa 12 mit einlaufen. Sonst sehen Sie auf ein be-
der bon gre, mal gre gegebenen Einwilligung meiner Eltern hagliches Stubchen, ertragliche Kost, welche der transzenden-
e~tsch~ossen, die hochheilige Theologie, unempfindlich gegen talen Freiheit, wenn sie die Sinnenwelt bestimmen J will, nicht I/2
d1e Re1ze, welche die Metze durch eine falsche Schminke sich 15 zu vie! Hindernisse in den Weg legt, so wie auch auf andere
a~fge~age? h~t, und unempfmdlich gegen den Hurenlohn, den Begunstigungen derselben, welche sie nach der Verbindung,
Sie mu nnt. emer Gewillheit, die sie sonst nirgends hat und 10 in Welcher sie einmal mit diesem Sinnenwesen stehet, notig
auch auEer ihr selten bei Versprechungen stattfindet, verspricht, hat. Besonders bin ich auch begierig zu horen, was der Medicinae
zu verlasse~ und aufnachste Ostern Jena, sage lena, zu beziehen, Studiosus mit seinem Magister seu Doctor Philosophiae 13 an-
~m allda. emer neuen Gottin 2, der Medizin, zu huldigen und 20 fangen soli. Schatzen Sie auch bier Vorteile und Aufwand nach
ihrem Dten~~e mich zu weihen. Sie werden glauben, einen ihrem Verhaltnisse zueinander. Ich babe meinen Eltern von
Traum zu horen, aber trauen Sie meinen und Ihren Sinnen, 15 jahrlichen 3-400 Gulden gesprochen und muE bekennen, daE
es ist nackte voile Wahrheit, nicht auf Hirngespinste3 sich griin- ich wunschte, die zwei Jahre samt der Reise mit ungefahr 800
dend, sondern objektiv im hochstem Grad. Ich babe meinen Gulden bestreiten zu konnen. Klett schrieb mir neulich: ,,ch
EntschluE entscheidend gefaEt, babe die bestimmte Erkli:irung 25 esse, urn mich zu erhalten und mich zu Geschaften zu starken."

meiner ~!tern, babe Schnurrer im Vertrauen die Sache angezeigt Das ist ohngefahr der Geist, aus dem Sie meine Wtinsche be-
und be1 Herrn Prosektor4 in dieser Absicht bereits auf die 20 stimmena konnen.
5
Splanchnologie mich angesagt. Erwarten Sie itzt nicht die Er-
z~hlung, wie all dies zugegangen ist; nach vier Monaten sollen Lieb ware mir's, wenn Sie mir einen ostensiblen Brief schrieben,
Sie ~lies ~ies aus meinem Munde des Iangern und des breitern, 30 dem man aber nicht anmerkte, daE er deswegen geschrieben
so VIe! S1e wollen, vernehmen. Itzt bitte ich Sie nur urn das ist. Legen Sie ein Beibli:ittchen bei, in welchem Sie mir die
vollkomme~s~e Stillschweigen hieruber gegen jedermann und 25 particularia ins Ohr raunen, und hier mogen Sie allein von den
urn Ihre Beihilfe, meine Plane auf die nachsten zwei Jahre aufs Reisekosten sprechen. Melden Sie mir dabei, was Sie auf Ihrer
genaueste zu verzeichnen. Geben Sie mir zu dem Ende Rat- Reise uber Erlangen, Gotha gebraucht haben, wovon ich als
sc.hlage, ~ach~chte~ usw., welche Sie ftir gut finden. Vor allen
D~gen b1tte tch S1e urn ein Verzeichnis der Ausgaben, die a
IDich wahrscheinlicherweise treffen konnen, und Ratschlage 30 vom Hrsg. gestr.: »ZU«

90 91
Briefe
A 16 An Niethammer, 20. Januar 1792
einer alten Nachricht sprechen und meine Kosten i.iberschlagen
kann. Noch merke ich an, da.E ich inkliniere, einen groBen Teil
A 16
meiner Reise nicht in dem Postkarren 14, sondern zu FuB zu
Immanuel Carl Diez, Ttihingen
machen, und wi.insche zu Jena an der Seite meines Freunds
(mit einem Nachsatz von Friedrich Gottlieb SiiEkind)
Niethammer in einer Postchaise 15 auf- und einzufahren. 5
Freitag, den 20. Januar 1792
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
Ich hatte den ungli.icklichen Gedanken, beim Eintritt ins Re-
petenten-Kollegium mein Haar abschneiden zu lassen. 16 Seit
dem Herbst lasse ich's wieder wachsen.
Tt.ibingen, den 20. Januar [1792] a1
10
Leben Sie wohl.a17
Wenn Sie blo.B fur mich zu sorgen (hatten), dann, lieber Freund,
Dz. ware es freilich unverzeihlich, meinen (so wichtigen und pres-
s santen Brief), den ich am Anfang des Dezembers geschrieben
und den Sie seit dem En de des Dezembers beantworten konnten,
so lange unbeantwortet zu lassen. Aber da Sie freilich so viele
andere Geschafte gehabt haben mogen, die Sie mehr beschaJ-
tigten, so mag es hingehen, und nehmen Sie inzwischen die
10 Verzogerung des Klettischen Briefes als Ungli.ick oder als Strafe
hin, den ich Ihnen hier beilege. Ich wollte ihn taglich abgehen
lassen, aber immer sagte ich mir, daB ja alle Tage ein Brief
kommen konne, den ich wieder beantworten mi.isse, und so
ging es bis auf heute, wo ich sehe, daB ich auf diese Weise
15 vielleicht auf den Tag warten mi.iBte, wo die Eulen bocken
werden 2.

Vor Ihr Briefchen aus Gotha danke ich. Die genannten Rezen-
sionen kann ich nimmer zum Inhalte meines Briefes machen,
:<.o da die Stucke schon aus meinen Handen gegangen waren und
ich sie inzwischen nicht mehr zuruckbekommen konnte.

Von Ihrer Tante3 werde ich vor dem Schlusse des gegenwartigen
einen Brief erwarten. Prosektor habe ich nichts offeriert, ohn-
:<.5 erachtet ich ihn taglich spreche. 4 Wirklich haben wir ein prach-
tiges Subjekt auf der Anatomie. Es ist ein !anger, junger, durrer

3
gestr.: »Den Brief von Prosektor muJS ich anders legen.« a vom Hrsg. gestr.: »1791«

92 93
Briefe A 16 An Niethammer, 20. Januar 1792

Kerl, an dem sich die Nerven exzellent demonstrieren lassen. nicht einfiel, ihn daran zu erinnern. Ich bin nun urn so begieriger
Aher leider (!) habe ich Osteologie5 und Splanchnologie6 noch darauf, da Sie mit sehr bedenklicher Miene fragen, ob ich
nicht recht innen. Inzwischen gedenke ich mit der erstern we- keinen Skandal daran genommen habe. Schicken Sie mir's im-
nigstens, die insertionem musculorum7 abgerechnet, es ins reine merhin - in jedem Fall soli Ihnen von allem Schaden, den es
zu bringen. 5 5 etwa bei mir anrichten mochte, nichts zur Last kommen. -
Noch eine Bitte! Waschen Sie doch den langen Gorias 15 (Goritza)
Wirklich erwarten wir im Kloster Direktor Ruoff und Direktor tiichtig, daE er mich noch nicht benachrichtigt hat, ob er das
Hochstetter8 wegen der Bauarrangements 9 . Ein neuer Koch ist Geld, das ich ihm vor wenigstens fU.nf Monaten schickte, erhalten
statt des Kuglers angenommen; 10 Bediente und Aufwarter von habe. Es ist doch wegen des moglichen Falls, daE es verloren
18-24 Jahren, die nebst freier Kost 30-36a Gulden Lohner- 10 10 gegangen ist, argerlich. 17
halten sollen, werden aufgesucht. 11
Leben Sie recht wohl! Mit wahrer Freundschaft der Ihrige,
Schon seit einigen Tagen habe ich mich mit Storr herumge-
schlagen.12 Der Erfolg war, daE jeder auf seiner Meinung blieb. SiiEkindb
Mehreres, will's Gott, miindlich. Itzt genug. 15
1/2 Ihr Dz. l

Schnorrer lieE ich fragen, ob er nichts an Sie babe. Er lie~


danken und mir sagen, daE er von Ihnen einen Brief erwarte.
Neulich sagte er mir, es miissen Jlammende Schwerter" 13 zwi- 20
schen Jena und hier die Kommunikation hemmen und mich
wird er recht auslachen, daE ich noch keinen Bri:f babe.

Adieu
Dz.b 25

Nur mit ein paar Worten setz' ich tausend herzliche GriiEe bei
- ein andermal will ich endlich auch einmal wieder einen eigenen
Brief an Sie schreiben. 14 Sie fragen in dem Brief, ob mir Seyffer 15
das Gedicht an Madame R. kommuniziert habe? Der bose JO
Mensch sagte kein Wort davon, und mich argerte es nachher
genug, daE mir's gerade in der Viertelstunde, da ich ihn sprach,

a Var.: »30-SOcc?
b n·Ies~s posts~Iptum
.
steht im Original nach dem folgenden Absatz, dern
a Orig.: »Gorizcc
Postskriptum Fnedrich Gotdieb Si.iEkinds.
b ong.:
· »s··uskind«

95
94
Briefe A l 7 An Niethammer, 20. Februar 1792

Memorial urn meine Dimission 3 erst heute abgegangen ist. Hab'


A 17 ich diese, dann soil Ihnen I sogleich Nachricht davon zugehen, 1/2.
Immanuel Carl Diez, Tiibingen damit Sie festmachen konnen, wann es mit Festmachung des
Montag, den 20. Februar 1 792 Logis sich aufschieben laEt. ·
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena 5
DaE Ihre Briefe besteilt worden sind, sagen Ihnen zum Teil
die zwei anliegenden. Der an Ihren Herrn Vater4 ist abgegangen
Thbingen, den 20. Februar 1792 und der an Schnurre~ ebenfails i.iberliefert. Letzterer laEt sich
Ihnen empfehlen. - Rapp schrieb mir diesen Morgen - ich
Sie dauren rnich, mein lieber Niethammer, daE Sie so mit Ge- 10 bin wegen einer vori.ibergehenden Maladie in meinem Haus -
schaften i.iberhaufet sind. Da werden Sie ja kaum Ihres Lebens nach Entbietung seines GruEes durch 1'5 Cl'5t' 6 (welche Ideen-
frob, wenn Sie sich so i.iberlegen 1 lassen. Inzwischen freuet s assoziation, Herr Niedheimer7, hat ihn wohl zu diesem hebriii-
mich's, an Ihnen einen Kameraden meines Leidens zu haben, schen GruEe verleitet?). Bohnenb[erger] 8 hat mir vor einiger
denn mir, wie ich hoffe proxime Medicinae Studioso, wird es Zeit geschrieben, er woile mir das Geld nachstens schicken.
nicht viel besser gehen. 15 Wer aber immer noch nichts erhalten hat, ist der Rapp. Si.iEkinda
hat an Camerer9 geschrieben und erwartet Antwort. Ich weill
Sie schreiben mir, ich soile Tuch zu meinen Kleidern mit- IO nicht, ob Sie wissen, daE Ihr Krippendorf10 bier ist. Er hat
bringen und das Tuch in Jena erst verarbeiten lassen. Dabei zwei Eleven bei sich, die er in die Schule schickt, und den
ging uns der Zweifel bei, ob auch dies nicht zu viel getan einen will er bier konfirrnieren lassen.
ware. Denn unsere besten Thcher sind ja siichsische Ti.icher, 20
und man soilte also denken, auch das Tuch soilte besser in Leben Sie wohl und geben Sie mir bald Antwort. Ich bin
Jena gekauft werden. Sind Sie so gi.itig - ich nehme Sie bei IS
Ihrem Wort - , sogleich hieri.iber Nachricht zu erteilen. Denn Ihr Dz.
ich will in dieser Hinsicht die Equipierung so lange anstehen
lassen. Ebenso ware es mir sehr lieb, wenn Sie zugleich wegen
den Halsti.ichern und ihrem Zuschnitt mich berichten wollten.
Stiefel- und Schuhwaren, wie soil ich's denn da machen? Tragt .20
man auch Halbstiefel?

E.inen Pralektionszettel hoffe ich nachstens im Inteiligenzblatt


zu finden? Wie angenehm ware mir's, wenn Sie rnich alsdann
auch schon die Stunden wissen lassen konnten, welche ungefahr 25
gewahlt werden werden. Sie wissen, wie gerne man eine neue
Lebensbahn vorher so genau, als es sein kann, sich verzeichnet.

D~e Perspektive, die ~.ie mir auf Kost und Logis eroffnen, ist
mrr sehr angenehm. Ubrigens muE ich Ihnen sagen, daE das JO a Orig.: »Siiskind«

96 97
Briefe A 18 An Nietha=er, 2. Miirz 1792

wenn sie Ihnen nicht schon bekannt ist! SchloEprediger Hoch-


A 18 stetter7 hat ProzeE mit einer Hure, die ihn angibt, und wird
Immanuel Carl Diez, 'llihingen sich zwar vor Gericht, aber nicht in dem Privaturteile der Leute
Freitag, den 2. Marz 1792 retten; sie suchte ihn hier auf, und bei den ersten Konferenzen,
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena s die vor dem Tore geschehen, sah man ihn ihr die Hand reichen
und den Weg traulich fortsetzen (und dergleichen). Leben Sie
wohl und empfehlen Sie mich unsern Landsleuten8 aufs beste.
Tiibingen, den 2. Martius 1792
Ihr Dz.
Meine Dimission, lieber Freund, ist nun vom Herzog dekretiertl,
und itzt kann sie aile Tage hier ankommen, wo sie bereits bekannt
ist. Die Sensation, die die Nachricht erregte, ist meist Verwunde- 5
rung, und es sei doch was Unerhortes, ist die Sprache (besonders
der Weiher) und zu spat, in meinem Alter und in meiner Lage
umzusatteln. Inzwischen bei dem Mannerpublikum fmdt der
Schritt doch Approbation, und ich, preisgegeben den verschie-
denen Urteilen, freue mich, nur bald in Jena zu sein. Sie bereiten 10
mir eine gute Statte, und des Lebens wollen wir, aller Arbeit, die
uns auf dem Hals sitzt, ungeachtet, uns froh machen.

Sie schreiben mir, vor Ende des Aprils werde ich nicht abreisen
112 dlirfen, ich gedenke doch, es in der Mitte zu tun, werde dabei I aber 15
auf Thre Nachricht der Meinung bleiben, daB es nicht sein miisse.
Conz2 ist bereits das Reisegeld dekretiert, und wenn er nun gleich
den Zeitpunkt noch nicht weill, wenn 3 er abreisen darf- er muE
die Publikation der Statuten 3 abwarten -,so wird er (doch) gewill
20
uns besuchen. Ein Student von hier, Eggel4 von Ohringenb, wird
auch auf Ostern nach Jena abgehen; okonomische Wissenschaften
und Studien5 fuhren ihn dahin.

Ich hoffe, bald etwas von Ihnen zu sehen.

Noch eine Neuigkeit! Flatt ist nun zu Marklins 6 Stelle ernannt;


er befindet sich gegenwartig deswegen in Stuttgart. Noch eine,

a hier im Sinne von »wann«


b Orig.: »Oehringen«

99
98
Briefe A 20 An iethammer, 20. April 1792

A 19 A20
Immanuel Carl Diez, Erlangen Immanuel Carl Diez, Uhlstadt
Montag, den 16. April 1792 Freitag, den 20. April 1792
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena

Erlangen, den 16. April 1792 Uhlstadtai, den 20. April 1792

Nun bin ich auf dem Wege nach Jena, und dieser Brief wird Guten Morgen, lieber, lieber Freund! Es wird keine zwei Stun den
eilen miissen, urn mir noch zuvorzukommen. Inzwischen ist mehr anstehen, wenn Sie dies lesen, so werde ich selbst in
es mir lieb, wenn er mir noch zuvorkommt und Ihnen sagt, 5 5 Ihre Arme eilen oder, da ich schon lange in dieselben eile,
da~ ich wohl ohne Fehl his Donnerstag 1 mittags oder abends mich selbst in Ihre Arme werfen diirfen. Doch(!) auch mit dem
bei Ihnen eintreffen werde. Eben diese Nachricht haben Sie Werfen konnte es iibel abgehen. Also kurz und gut, zwei Stun den
die Giite, den Hohenlohern (EggeF, Schmid3 , Meister4) von ungefcihr nach Lesung dieses Briefs werden Sie mich selbst
ihrem Landsmann Eggel, meinem Reisegesellschafter, zugehen bei Ihnen sehen. Wir reisen in einer Gesellschaft von Kaufleuten,
zu lassen. Leben Sie wohl und bereiten Sie mir meine Statte, JO 10 unter welchen vier zu Pferd sind. Diese sind jederzeit voran
wo ich Ihnen dann miindlich ftir Ihre bisherige Freundschaft und machen Quartier, und diesen gebe ich diesen Brief mit,
danken werde. der Sie mit neuen Bitten bestiirmt. Die erste ist, da~ Sie in
Dz. den Gasthof zum Baren 2 in der Vorstadt mochten wissen lassen,
wo mein Logis ist, damit ich meinen Koffer gleich vor dasselbe
15 hinftihren lassen kann. Dieser folgen die Bitten, / da~ Sie den 1/2
Perruquenmacher und den Barbier bald zur Hand schaffen.
Wahlen Sie den ersten so, da~ ich ihn behalten kann; letztern
werde ich nicht behalten, weil ich mich sonst selbst rasiere.
Mittag kann ich etwa noch im Wirtshause in der Gesellschaft
20 der Kaufleute halten. Schlie~lich werden Sie ersucht, meinem
Kutscher, wenn es sein kann, eine Riickfuhr zuzuweisen. Er
ist von Erlangen, hat eine gute Chaise (mit 20 Pferden) und
fcihrt, wohin man will. 3

100 101
Briefe

aFreund Goritzb griiEen Sie mir herzlich und bleiben Sie mein 2.
Freund, so wie ich der Textgruppe B:
Schriften
Ihrige, Dz.
5
Unsere Ankunft in Jena soil gegen zehn his elf Uhr hin ge-
schehen.

• gestr.: »Konnten Sie einem Landsmanne«


b Orig.: »Gi:iriz«

102
Vorbemerkung

Von den Schriften von Immanuel Carl Diez sind, abgesehen


von zwei medizinischen Publikationen und einer medizinischen
Expertise ft.ir den Kirchenrat:, nur die im folgenden veroffent-
lichten Texte der theologischen Selbstverstandigung und der
Aufk.larung und Agitation im K.reise der Freunde und Schick-
salsgenossen erhalten. Von der Schrift, welche die Unmoglichkeit
einer Offenbarung mit den Mitteln der Kantischen K.ritik zu
erweisen versucht, sind zwei Fassungen iiberkommen, die beide
mitgeteilt werden. Eine weitere Schrift argumentiert gegen die
Rechtma~igkeit der von den kiinftigen Pfarrern verlangten Un-
terschrift unter die "symbolischen Bucher". Schlie~lich ist eine
exegetische Schrift tiber Matthaus XXIV, 29 ff. erhalten. In ihr
versucht Diez, aus der Annahme der Wahrhaftigkeit Jesu und
der gotdichen Inspiration des Bibel-Textes eine Antinomie von
unausweichlichen Interpretationen zu entwickeln, womit nach
kantischem Vorbild die Unhaltbarkeit jener Annahme demon-
striert werden soli. Diez hat zumindest die Veroffentlichung
dieser letztgenannten Schrift erwogen und mit Friedrich Im-
manuel Niethammer erortert.

105
B 1 Unterschrift unter die symbolischen Biicher

B 1
Immanuel Carl Diez
Uber die RechtmaBigkeit der Unterschrift
unter die symbolischen Bucher
(Vor dem 25. April 1790) 1

Eine Untersuchung iiber unsere Unterschrift der symbolischen


Biicher2 mug sich in die zwei Abschnitte teilen: 1) iiber den lnhalt.,
2) iiber die Griinde der Unterschrift, welche uns vorgelegt ist.

5 I. Inhalt unsere~ Unterschrift der symbolischen Biicher

Die Worte, in welchen der Inhalt zu suchen ist, lauten: ,His


libris subscribo sincera mente manuque'? In der Tat4 eine
formule, welche, wenigstens auf den ersten Anblick, mancher
10 Bestimmungen fahig ist! Man kann fragen: In welcher Hinsicht
soli ich unterschreiben und inwieweit soli ich dem Inhalte
dieser Biicher unterschreiben? Es kann Verbindungsformel, den
Inhalt zu lehren, sein oder Bekenntnis, d~ ich ihn glaube,
und beedes wieder mehr oder weniger, in grogerer oder ge-
15 ringerer Ausdehnung. So viel wird fur denjenigen, der die
Formel den Absichten derjenigen, die sie gebrauchen, gemag
erklaren will und der im Vortrage des Lehrers Einmischung
von Irrtiimern, die weiter gelehrt und verbreitet werden solien,
unrecht findet, bald klar, dag jene Formel, sie mag zunachst
20 Glaubensbekenntnis oder Verpflichtung zur Lehre I sein, zu- I/ 2
gleich damit das eine oder das andere ist. Man will keine
Lehrer, die ihre Lehre nicht glauben, und von dem Glaubenden
setzt man voraus, er lehre seinen Glauben. Aber eben der
Grundsatz, dag eine Formel so erklart werden miisse, wie sie
25 derjenige nimmt, der sie einftihrt oder gebraucht, wird uns
bald den Aufschlug geben, inwieweit wir diesen Biichern un-
terschreiben solien, so sehr jene Worte an sich das ,inwieweit"

3
verbessert aus: »der«

107
Schriften B 1 Unterschrift unter die symboliscbeo Bi.icber

erweitern oderverengern konnten. Man konnte mit jenen Worten II. Griinde der Unterschrift
auf den ganzen Inhalta oder nur auf das Wesentliche desselben
unterschreiben und dies Wesentliche nach Gutbefinden wieder ~ie Unterschrift enthiilt entweder die bestimmte Erklarung der
mehr oder weniger ausdehnen oder vielleicht auch gar nicht Ubereinstimmung mit den Konsistorialraten oder keine. In jeder
auf den Inhalt unterschreiben, sondern durch die Unterschrift s 5 Hinsicht gibt es besondere Griinde zu iiberlegen, aber es gibt
nur so viel anzeigen wollen, man wolle im Geiste der Verfasser auch allgemeine Griinde fUr beede Teile.
dieser Bucher an der Verbreitung der von ihnen und mir ft.ir
gottlich gehaltenen Religion fortarbeiten. Alles dies sind mog- A. Allgemeine Grunde
liche Erklarungen der vorgelegten Formel an sich; aber wer
2/3 zweifelt, daE die Formel in dem Sinne I genommen, daE man 10 10 Warum laBt man uns danna auf symbolische Biicher unter-
dadurch azif den Geist dieser Bucher unterschreibe, dem Geiste schreiben, ist eine sehr natiirliche Frage jedes Kandidaten 6,
derjenigen, die sie uns vorlegen, durchaus widerspreche? Wer und die Antwort, die man ihm gibt, ist: Ohne einen allgemeinen
muG nicht so billig sein einzugestehen, daB auch Unterschrift Lehrtypus wurden die traurigsten Folgen entstehen, und den
auf den ganzen Inhalt nicht von ihnen gefodert werde? Aber angenommenen, der in jenen Biichern enthalten ist, zu erhalten
wer weiE auch nicht, daB sie Unterschrift auf das Wesentliche 15 15 und dazu jenes Mittel zu gebrauchen, I berechtigt sie der von 4/ 5
des Inhalts fodern, und wem ist nicht mehr oder weniger be- der ganzen Gesellschaft ihnen gegebene Auftrag. Es fragt sich
kannt, immer genau genug bekannt, was nach ihnen dies We- also:
sentliche ist? Und somit wuBte nun jeder, was seine Unterschrift
sagen solle.b Unterschreibe ich also die symbolischen Bucher, a) Ist ein allgemeiner Lehrtypus notig? Es ist wahr, ein ortho-
so erklare ich damit, wenn anders meine Unterschrift das sagt, 20 20 doxer Fruhprediger, ein arianischer Mittags- und ein sozinia-
was sie sagen solle: Ich glaube und will lehren, was, soviel mir nischer Abendprediger scheinen groBe Verwirrung zu stiften. 7
bekannt ist, nach der Meinung der Konsistorialrate 5 der we- Aber welches waren dann bei einer genaueren Ansicht die
sentliche Inhalt dieser Bucher ist, oder, wenn meine Unterschrift Folgen dieser Verwirrung? Der groEe Teil, der ohnehin auch
dies nicht sagt, so ist sie gar keine Erkliirung als hochstens itzt sich nicht viel urn Religion oder gar nicht urn dieselbe
die, daE ich die Religion Christi fur gottliche Religion halte, 25 25 bekiimmert, wiirde ohne Zweifel etwas offentlicher aile Religion
3/4 und wenn man den Geist jener I Manner sehr verfeinert, auch verachten. Aber was verlore die Kirche? Was der Staat? Soviel
diese nicht. Es ist gefragt: Was sind Deine Uberzeugungen? Und sehen wir ohnehin, daB nicht Grunde der Religion, sondern
die Unterschrift, welche antwortenc soil, antwortet alsdann durch- Furcht vor biirgerlichen Strafen ihn von Verbrechen abhalten
aus auf die Frage nicht [und] ist so beschaffen, daB der Fragende und daE er sich alles erlaubt, auf was keine Strafe gesetzt ist
30 oder was verborgen ungestraft bleibt. Der geringere Teil, der,
nicht weiE, ob er in oder auBer den symbolischen Buchern, JC
vi.el weniger, in welchem Teile (der symbolischen Bucher) er so gut er's kann, iiber Religion selbsten nachdenkt, wird sich
d1eselbe suchen solle. So verhalt es sich mit dem Inhalte der bald in Sekten teilen, dem einen oder dem andern anhangen,
Unterschrift; aber welches sind die hiebei zu uberlegenden aber demohnerachtet, solange offentliche Aufhetzungen ver-
boten sind und Feindseligkeiten auch nur anfcinglich ernstlich
a verbessert aus: »auf das Ganze des Iohalts«
b gestr.: »Fragt man nun weiter«
a hier im Sinne von »denn«
c verbessert aus: »antwortet«

109
108
Schriften B 1 Unterschrift unter die symbolischen Bi.icher

verwehrt werden, ruhig und friedlich nebeneinander wohnen, [und] den Pfarrherrn gewaltsam zum Unterschreiben vorgelegt,
5/6 und praktische Religio~. wird vielleicht dabei I gewinnen, wenn wie dann noch namentlich von der Weigerung eines Pfarrers
jeder Gott nach seiner Uberzeugung verehren kann. Von dieser zu Dettingen in dem Konsistorialarchiv (Akten) zu finden sein
Seite her durfen wir auch den Ersatz hoffen, wenn von Seite sollen. 11 Wie manches Individuum des Landes uberhaupt fanda
des gro!Sen Haufens, der sich nun desto freier absondert, in 5 5 durch Ausschlie!Sung von Amtern, Verspottungen, Ungerech-
Hinsicht auf Kinder und Kindeskinder Verlust fur die Kirche tigkeiten usw., wenngleich nicht durch ausdruckliche, hiezu
entstehen sollte. Oder finden wir Widerlegungen dieser Rai- angewandte Zwangsmittel seine freie Erklarung sehr einge-
sonnements in Heilbronn, wo aufs verschiedenste denkende schrankt! Kurz, der Furst und die Rate, nicht die Gemeinden
und sprechende Prediger auftreten 8, im Badischena, wo keine ft.ihrten den neuen Lehrtypus ein, ohne daiS ich damit leugnen
Unterschrift der symbolischen Bucher eingeft.ihrt ist9, in Nord- 10 10 wollte, daiS in gewissen Fiillen in Rucksicht auf gewisse Mill-
amerikah, wo Katholiken, Protestanten, Reformierte, Quaker, brauche auch das Volk die Wahrheit eingesehen haben moge.
Herrnhuter usw. durch keine Symbole gebunden neben- und Doch gesetzt, die Gemeinden und ihre Glieder I haben aus 7/8
untereinander wohnen? Und gesetzt, christliche Religion ginge wahrer Uberzeugung die symbolischen Bucher angenommen
nach Aufhebung der symbolischen Bucher nach und nach ver- ~nd ihre Einfuhrung verlangt, so gaben sie damit nur ihre
loren, wurden wir dann blo!S in menschlicher Verkehrtheit, die 15 15 Ubereinstimmung in streitigen (itzt nicht angefochtenen) Ar-
gottliche Offenbarungen schnode hintansetzt, den Grund zu tikeln, in welchen Luther von der hergebrachten Lehre abwich,
suchen haben? Durfen wir nicht glauben, daiS eine gottliche zu erkennen und dann sind sie nicht sowohl als neue Gemeinden,
Religion bei aller Gewissensfreiheit im wesentlichen wenigstens sondern als die ecclesia renascens 12 anzusehen, und die ge-
sich immer erhalten (hatte)t:<? Aber es fragt sich noch: machten Fragen, wann, wo hat die Gesellschaft jenes Recht
20 20 Fursten und Raten ubertragen, werfen sich von neuem auf.
10
b) Hat die Gesellschaft dem Consistorio das Recht ubertragen, Aber es mag nun geschehen sein oder nicht, es konnte nie
einen allgemeinen Lehrtypus zu bestimmen, oder es gesetzt, rechtma!Sigerweise geschehen. Warum sind die [symbolischen]
den angenommenen zu erhalten? Nie ist dies wirklich geschehen, Bucher eingefuhrt? Urn die jetzige Lehre zu erhalten. Wenn
6/7 und nie I kann es rechtma!Sigerweise geschehen. Selbst zu den aber nun eine andere, was jeder, der sich nicht fur infallibel
Zeiten der Reformation, wo es am ehesten geschehen zu sein 25 25 halt, wenigstens fur moglich halten muE, noch richtiger ware,
scheinen konnte, wurde der in den symbolischen Buchern ent- soli sie nicht eingeft.ihrt werden konnen, weil die jetzige im
haltene Lehrtypus in unserem Lande wenigstensd von der Ge- Besitzstand ist? La!St sich wohl hierauf antworten, wenn die
sellschaft nicht angenommen und die Erhaltung desselben von Gesellschaft anderer Meinung werde, so werde sie diese sym-
der Gesellschaft dem Consistorio nicht ubertragen. Die sym- bolische Bucher, die nicht auf immer angenommen seien, schon
bolischen Bucher wurden einmal erst nach dem Ubertritt zur 30 30 abschaffen? Aber wie soil der gro!Sere Haufen, der nicht lieset,

neuen Lehre eingeft.ihrt, ohne die Gemeinden daruber zu fragen, anderer Meinung, wiire sie auch die bessere, werden konnen,
wenn ihm nur hergebracht-orthodoxe Lehrer (gegeben) wer-
den? I Und wiire es auch moglich, ist es nicht widerrechtlich, 8/9
a Orig.: »Baadischen« einer Meinung, die doch die bessere sein kann, soviel an uns
b Orig.: »Nord-Amerika« 35 ist, den Eingang [zu] erschweren?
c gestr.: »mi.iJStc«
d gestr.: »weder«, ebenso »(nicht)« a gestr.: >>sich«

110 111
Schriften B 1 Unterschrift unter die symbolischen Bi.icher

So ist also die an uns ergehende Auffoderung zur Unterschrift nung zu hegen, die er hegt, wird die wachende Polizei der
Folge einer irrigerweise das Wohl der Gesellschaft sich zum Rate 13 ihn nicht notigen, bisweilen wenigstens Wahrheit zu
Ziel setzenden Usurpation, und jede geleistete Unterschrift Be- verletzen oder sein Schicksal ihren Entscheidungen preiszu-
statigung derselben, sei es nun durch Anerkennung der prii- geben? Er kommt nicht nur auf die Kanzel zu stehen, wo er
tendierten Rechte oder durch Unterwerfung gegen die Gewalt, 5 5 sich wenden, ausweichen, hinter biblischen Redensarten sich
die sie souteniert. verstecken kann, sondern er kommt auch in den Fall, I diese 10111
Redensarten erklaren unda Zweifel der achtungswi.irdigstenb
B. Besondere Gri.inde Glieder seiner Gemeinde losen zu miissen, welches ihm beedes
durch offenbare Widerlegung der Konsistorialmeinungen in
a. fur den Unterschreibenden, der die Formel dem 10 10 gewissen Fallen, die eben nicht gerade durch Neuerungsdrang
Sinne der Konsistorialrate gemiill nimmt und Reformiersucht herbeigeftihrt sein mi.issen, sicherer und
Ieichter erreichbar zu sein scheinen kann. Gesetzt, seine Auf-
~n~eder glaubt er die Ubereinstimmung mit den Konsisto- fiihrung sei hier so, dag Polizeikommissare und Sykophanten 14
:lalraten sowohl zur Unterschrift als zur Fi.ihrung des ihm von ihn den Ohern nicht deferieren 15 konnen oder dag unterrichtete
1hnen anvertrauten Amtes notwendig oder nicht. Wie unsicher 15 15 Obere ihn nicht vor ihr Tribunal ziehen - ein Fall, der, wenn
gri.indet er im ersten Faile wegen der Veranderlichkeit mensch- er itzt nicht schwer ist, nach veranderten Einsichten immer
licher Einsichtena sein augeres Gluck (, insofern es sich auf schwerer werden konnte -, wird auch bei der aufs beste ge-
diese Unterschrift gri.indet). 1m zweiten Faile ist ihm die Er- ftihrten Sache seine Kunst vermogend sein, die Fesseln 16, die
wagung eben der Gri.inde notig, welche wir nun anftihren miis- er freiwillig auf sich genommen hat, so tragen zu lehren, dag
9/10 sen in Hinsicht auf I .2C :<.o sie, ich will nicht sagen, ihn nicht driicken (dies abzuwenden
ist wohl unmoglich), sondern dag sie ihn nicht verwunden?
b. den Unterschreibenden, ohne mit den Absichten Es Imag weithin blog Beschwerlichkeit sein, was die Unterschrift 11/ J:<.

der Konsistorialrate iibereinzustimmen, (denn a mug der symbolischen Bucher ihm verursacht, Beschwerlichkeit, wel-
sehen, dag er in die Lage von b kommen kann). che Kunst erleichtern, mindern, heben kann; aber wird sie nie
:<.s mehr mit sich fiihren? Und wenn dieser Fall eintritt, steht es
Das Faktum bei diesem ist, dag er, aufgefodert von den Raten, wohl noch bei uns, die Fesseln ebenso abzulegen, als wir sie
durch Annahme der vorgeschriebenen Formel die Uberein- freiwillig iibernommen haben? Wenn es uns itzt schon schwer
stimmun~ mit ihnen an den Tag zu legen, der Formel sich wird, die Aufopferungen auEerer Vorteile zu machen, welche
z"'.'ar ~~client, aber dabei der Meinung ist, dadurch noch nicht die Unterschrift fodert, deren wir uns mit Straubung unsers
30 Gewissens unterziehen, wenn wir uns derselben unterziehen,
seme Ubereinstimmung an den Tag gelegt zu haben. Verletzt JC
er nun damit nicht die Gesetze der Wahrhaftigkeit oder die wird es uns dann Ieichter werden, dem zu folgen, der uns itzt
Ge~etze d~r Aufrichtigkeit wenigstens oder wohl beeder zu- schon sagt: Wer nicht hasset pp.? 17
glelch, da 1hre Gesetze und die Beobachtung derselben schwer
zu trennen sein werdenb? Gesetzt aber, er sei befugt, die Mei-

a gestr.: »noth[wendig]« • verbcssert aus: »s[eineJ«


b gestr.: »S ["einer]«
b Orig.: »wird«

113
112
Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (friihere Fassung)

Sind nun wohl die angeftihrten Grunde so beschaffen, daB


das aus ihnen gezogene Resultat: B2
Unterschrift der symbolischen Bucher ist Bestatigung Immanuel Carl Diez
einer schadlichen Usurpation, die, je nachdem die Uber die Moglichkeit einer Offenbarung (friihere Fassung)
Vermogensumstande des Unterschreibenden sind, 5 (Mitte his Ende Januar 1791) 1
sein auEeres Gluck mehr oder weniger aufs Spiel
setzt, die, wenn sie itzt nicht mit Unrecht verbunden
ist, ihn doch der Gefahr aussetzt, seine innere Ruhe Wenn die Miiglichkeit einer O.ffenbarung geleugnet wird und die
zu verlieren, wenn sie diesen Verlust nicht notwendig Grunde dazu von der UnzweckmaEigkeit2 hergenommen wer-
mit sich fuhrt, 10 den, so scheint die Sache von einer Seite angegriffen zu werden,
bezweifelt oder verworfen werden muE? von welcher aus ein Beweis wohl am wenigsten zur volligen
5 Befriedigung ausgeftihrt werden kann. Der Grund hievon liegt
nicht darin, als ob man etwa zweifeln konnte, daE Gott immer
zweckmaEig handle. Ein solcher Zweifler miiEte einen Grund
angeben, warum das rein verniinftige Wesen unzweckmaEig
handeln konnte. Er miiEte sich ALSO SOGLEICH AUFa dem Wege
10 ertappen, der ihn zum Beweise, daE da~ UnzweckmaEige zweck-
maEig werden konne, fuhren (wiirde) 0 h. Oder andere wenigstens
worden sehen, daE er zu zeigen versuche, wie das bloE ver-
niinftige Wesen aus andern als vernunftigen Bestimmungsgriin-
den handeln, d. h. die Vernunft Unvernunft sein konnte. Es
15 bliebe also dem Gegner der Moglichkeit einer Offenbarung
unbestritten, daE Gott nichts UnzweckmaEiges tun werde, aber
wie will er dannc nun beweisen, daE Gott durch Mitteilung
einer Offenbarung etwas UnzweckmaEiges tun wiirde? Wer die
UnzweckmaEigkeit einer Handlung beurteilen will, der muE
20 die Zwecke der Handlung, I urn welcher willen sie verrichtet 1/ 0 2
werden soli, und das Verhiiltnis der Handlung zu diesen Zwek-
ken als Mittel kennen. Wer will nun die Zwecke Gottes in
diesem Faile bestimmen? 1st es dannd gerade notwendig an-
zunehmen, daE bloE religiose Zwecke (d. h. Zwecke, die die
25 Religion als Religion, als das durch Erkenntnis Gottes und

a
»ALSO AUF«
bvon Diez gestr.: »solltecc
c hier im Sinne von »denncc, so auch der Wortlaut der Abschrift
d hier im Sinne von »denn«, so auch der Wortlaut der Abschrift

114 115
Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (fri.ihere Fassung)

unsers Verhaltnisses zu ihm die Menschen bessernde und be- grofS, wieviel grofSer mufS die Schwierigkeit bei dem zweiten
gluckende Mittel, zur Absicht haben) ihn bestimmen, eine Of- werden. Und doch werden diese Forderungen nicht als uber-
fenbarung mitzuteilen? Ich will itzt nicht daruber streiten, ob trieben angesehen werden konnen. Zum Erweise des Satzes:
Besserung und Begluckung DER3 Mensch en Gottes letzterb Zweck ,Offenbarung ist unzweckmafSig, also unmoglich", gehort not-
sei. Es soli zugegeben werden, dafS Gott bei dem, was er auf s 5 wendig der Erweis ihrer Untauglichkeit zu irgendeinem Zwecke.
dieser Erde tut, Besserung und Begli.ickung zum letzten Zwecke Will man die willkurliche Einschrankung: ,zu einem religiosen
habe. Nun (mussen aber) 0 c jene Naturalisten3 beweisen, daE Zwecke", machen, so fehlet der Beweis, und wenn sie auch zu-
eine Offenbarung weder als nachstes noch als untergeordnetes gegeben wird, so mufS doch (das, was oben beruhrt ist.,) 03 be-
Mittel zweckmafSiges Mittel zu diesem Zwecke sein konne. Sagen wiesen werden, [narnlich] da.IS die Fahigkeit zu der naturlichen
sie, Offenbarung konne nichtd nachstes Mittel auf eine zweck- 10 10 Religion in jeder Hinsicht und unter jeden Umstanden zu dem
mafSige und Gottes wurdige Weise sein, weil die Fahigkeit des vorgesetzten Zwecke hinreichendes Mittel sei und Offenbarung
Menschen zu einer naturlichen Religion Offenbarung uber- alsoh bei dieser als gegeben erwiesenen Fahigkeit unter allen
flussig mache, so ist dies nicht genug. Sie miissen auch bewei- Umstanden und in jeder Hinsicht zu demselbenc uberflussig
sen, da.IS die Offenbarung also in jeder Hinsicht und unter und zu seiner Bewerkstelligung unnotig sein wurde. Wo ist
jeden Umstanden °uberflussigesue Mittel sein wurde. Wer siehet 15 15 aber dies geleistet? Und gesetzt., es sei wirklich geleistet, so ist
aber nicht, dafS dies, wenn nicht ein vergebliches, ein sehr man von einem gratis angenommenen Satze ausgegangen. I 3/ 0 4
schweres I und - darf man es nicht sagen? - von (jenen) 0 f
Naturalisten noch nicht ausgeftihrtes Unternehmen sei? Gesetzt
aber, sie lciinnten I ODER IiA"TTENg es erwiesen, so mu.IS auch das Einen glucklicheren und zur Erreichung jener Absicht taugli-
noch zur Behauptung ihres Satzes erwiesen werden, daE Of- 2.0 20 cheren Weg hat der Rezensent der bekannten Kleukerischen
fenbarung auch nicht als untergeordnetes Mittel zu DEM HOCH- Schrift4 in der Allgemeinen Literatur-Zeitung Nr. 388 von 17905
STEN ZwECKEh, d. h. zunachst als Mittel zu einem and ern Zwecke, eingeschlagen. Sein Mittelbegriff ist die Unfahigkeit des Men-
der vielleicht wieder nur Mittel zum letzten Zwecke ist, in dern scherr, eine Offenbarung zu erkennen. Aber daiS er den einge-
Plane der Gottheit eine Stelle finden konntei. Es ware ja moglich, schlagenen Weg glucklich verfolgt hat oder daiS es leicht sei,
daiS sie zunachst nur als Mittel zu den Zwecken x, y, z gebraucht 2.5 :25 ihm nachzusehen und daraus die Sicherheit seines Laufes zu
wurde und dafS diese Zwecke erst Mittel zum letzten Zwecke beurteilend, scheint bezweifelt werden zu mussen. Seine eigenen,
sein wiirden. War nun die Schwierigkeit bei dem ersten Punkte die ganze Argumentation darstellenden Worte sind: ,Durch Ver-
nunftmiifSigkeit., d. h. durch Konsequenz und gesetzmii.ISigen Zu-
sammenhang mit allen andern gepruften Einsichten mufS sie
a »DEScc
30 sich von willkiirlichen Zusammensetzungen und Traumereien
b nur in der Abschrift gesperrt
der Phantasie unterscheiden; I dies kann sie nur dann, wenn sie .2fA3
c von Diez gestr.: »sollen«
d von n·1ez gestr.: »S«

e Unterstreichung von Diez


f von n·1ez gestr.: »den« • von Diez gestr.: »dies zu«
g ODER SlE FIA'rrEN
b verbessert aus: »aher«
c von Diez gestr.: »zureichend«
h DEN HOCHSTEN ZWECKEN
d verbessert aus: »beurteilt«, in der Folge von Diez gestr.: »Werden ZU«
i Orig.: »konnte«, in der Abschrift von Diez in »konnte« verbessert

117
116
Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (fri.ihere Fassung)

aus der nati.irlichen Wirksamkeit dem nati.irlichen Vermogen aller manchem Leser der Rezension wird sogar ein Unwille i.iber ver-
menschlichen Erkenntnisse erkli.i.rbar und begreiflicha, also selbst meintliche Kantische Absurditaten7 beigegangen sein. Was soli
nati.irlich und Vernunfterkenntnis ist, weil die Sinne uns unrnit- danna, mag mancher gedacht haben, die Forderung, man mi.isse
telbar keine Gottheit vorstelien konnen."6 Auf diese Behauptung sich die Gottheit unmittelbar durch die Sinne darstelien konnen;
werden zweifelsohne aile Verteidiger der Moglichkeit einer Of- 5 5 und wenn wir dies nicht konnen, was folgt dannb daraus? Und
fenbarung einwenden, da£ die Pramisse gerne zugegeben werde, so werden wohl, die sogenannten Kantianer ausgenommen, I
ohne damit genotigt zu sein, die daraus gezogene Folgerung aile gedacht haben, und jene gewagte Behauptung worden sie
anzuerkennen. Sie werden sagen, die Form de~ Offenbarungs- daher, urn wenig zu sagen, I sehr unzulassig und gar zu verwegen
erkenntnis, d. h. das Erkennen, mi.isse freilich nati.irlich zugehen finden. Demunerachtet will ich es wagen, diese gewagte Behaup-
und aus der nati.irlichen Wirksamkeit und dem nati.irlichen Ver- 10 10 tung mit Grunden zu untersti.itzen und hiebei die neue philo-
mogen der menschlichen Erkenntnis erkli.i.rbar und begreiflich sophische Kunstsprache ganz zu vermeiden such en, da die Freun-
sein, aber daraus folge gar nicht, da~ das Erkannte> der Stoff, de der neuen Philosophie ohnehin bei so invidieusen 8 Gelegen-
0 heiten die Verbindung mit ihrer Freundin zu verbergen trachten
4/ 5 nicht von Gott entsprungen sei.l Diese Antwort wird (aus manchem
Munde) schneli da sein, aber ehe der Rezensent damit geschlagen soliten. Ich hoffe, mir soli es urn so Ieichter werden, da ich noch
sein soli, mi.issen wir ihm die Gegenfrage erlauben, wie dann 15 15 nicht zu den Eingeweihten gehore undc nochd nichte die Grade
der Stoff als das von Gott Entsprungene und [als das] als gottliche durchloffen habe, nach welchen man in den Orden aufgenommen
Belehrung Gegebene erkannt werden konne. Und da mancher wird. Ich werde die gewohnliche philosophische Sprache ftihren.
a~ftreten und behaupten konnte, da~ wenigstens bei dem, der Mit welchem Erfolg es geschehen werde, stehet his itzt dahin.
die Offenbarung unmittelbar empfangt, auch der Form nach die
Erkenntnis i.ibernati.irlich sein und also sein Erkenntnisvermogen 20 :<.0

erhohet werden und, sei es nun auf Momente oder bleibend, fDie Frage konnte so gesteliet werden:
i.ibermenschlich sein mi.isse, wenn er die Offenbarung zu emp-
fangen o?~~ in ihren Besitz zu gelangen imstande sein soli, so Kann ich zu einer Wirkung B (Gott als) 0 die (auf) 0 i.iber-
wolien wrr uberhaupt die Gegenfrage machen: Wie konnen Men- nati.irliche (Weise wirkende) 0 Ursacheg annehmen?
schen erkennen, da~ eine Erkenntnis dem Stoffe oder der Fonn 25
~nd de~ ~toffe nach i.ibernati.irlich sei? (Eine der Form nach Es verstehet sich von selbsten, da~ der Begriff von ,i.iberna-
ubernaturliche und dem Stoffe nach nati.irliche Erkenntnis wird ti.irlich" bestimmt werden muK (Nati.irlich ist, was der Natur
m~n hier unter den aufzuzahlenden Fallen nicht aufstelien.) Erst
IDlt der gri.indlichen Beantwortung dieser Frage ist der von dem a hier im Sinne von »denn«
Rezen~enten g~~~chte Versuch ganz und auf immer abgetrieben. JO b hier im Sinne von »denn«?
DaE dies unmoglich sei und da~ der Rezensent den nervumc c von Diez gestr.: »eben in diejenigen Grade«
d von n·1ez gestr.: , b.m ausz«
a:gumentandi zum vollkommenen Erweis seines Satzes ganz rich-
ug getroffen habe, ist eine gewagte Behauptung. Ich glaube, e von Diez gestr.: »durchcc
f von Diez gestr.: »Dem eben getanen Versprechen zuwider kann ich doch
nicht umh.in, zuniichst die Sache bloE nach einem in der Kantischen Philosophie
ab von Diez
.
in Original und Abschrift gestr... MS~
. angenommenen Satze zu beurteilen.«
von Dtez gestr.: »Erkenntnis«
g von Diez gestr.: »A als die Ursache«
c in der Abschrift gestr.: »probandi«

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Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (friihere Fassung)

gemaE oder vermoge der Natur ist. Und) 0 Natur ist nach dem das Nati.irliche I in EINER ANDERN, ANDERSa bestimmten Bedeu- 4/A5
allgemeinen Einverstandnis entweder (in formaler Bedeutung) tung, die andere das Ubernati.irliche, dessen Bedeutung wir
die notwendige Beschaffenheit eines Dings, ohne welchea es suchen, enthalt. (Wirmi.issen daher) 0 zur Bestimmung der Merk-
nicht dies Ding ware, oder (in materialer Bedeutung) der In- maleb, durch welche das Nati.irlichec und Ubernati.irliche der
begriff der Dinge, die da sind. 9 Der so bestimmten Bedeutung 5 5 erkennbaren Natur (unterschieden wird,) 8d iibergehen, und wo
von nati.irlich kann i.ibernati.irlich nicht entgegengesetzt oder sollten wir nun diese finden konnen als in den verschiedenen
vonb demselben unterschieden (werden) 0 . Was von dem Na- Arten der Erkennbarkeit? Allein hier ist in unsern philosophi-
6/07 ti.irlichen in I diesem Sinn unterschieden ist, wi.irde wohl nicht schen Systemen, das Kantische ausgenommen, alles unbestimmt
iibernati.irlich, sondern unnati.irlichc zu nennen sein. Es mu.B und unerortert oder gar unberiihrt gelassen. Verweiset man
also ein gewisser Unterschied UNTERd dem Nati.irlichen (in der JO 10 mich auf den Unterschied der Erkenntnisse, der daher entstehet,
eben bestimmten Bedeutung) vorhanden und das Nati.irliche daE einiges durch Empfinden, anderes durchs Denken erhalten
in zwei Klassen zu teilen sein, davon die eine das in einem sei, so deckt sich die Unbestimmtheit der Begriffe nur noch
andern engeren Sinn nati.irlich Genannte, die andere das (in weiter auf. Denn was heillt dann nun die auf iibernatiirliche
einer auch erst zu bestimmenden Bedeutung) i.ibernati.irlich Weise wirkende Ursache? Die durchs Denken, Empfinden oder
Genannte begreift. Die Natur ist entweder der Inbegriff der IS 15 beedes wirkende Ursache? (So wirkt Gott immerdar. Oder) 0 die
(Dinge, insofern sie) 0 e erkennbar sind oder insofern sie nicht auf eine bestimmte Weise durchs Denken und Empfinden wir-
erkennbar sind. (Ich nehme hier erkennbar in keinem andern kende Ursache? Aber welches ist dann die bestimmte Weise? Die
Sinn, als daE es das bezeichnet, von dem man wissen kann, durch menschliche Krafte nicht mogliche Wirkungen hervor-
da~ es innerhalb desf Inbegriffs der Dinge, welche sind, sei.) bringende? Aber was ist dann das (Merkmal des) 0 durch mensch-
Wurde nun das Nichterkennbare (oder das, von dem ich nicht 20 20 liche Krafte nicht Moglichen? Diese Frage ist besonders in Hin-
~~sen k~nn, ob es ist oder nicht,)o i.ibernati.irlich genannt, so sicht auf (Erkenntnis denjenigen vorzulegen, die in einer vor-
ware es Ja unverni.inftig, auf eine Ubernati.irliche Ursache zu geblichen Offenbarung Mysterien finden und, ohne andere Data
SCHLIESSEN, DENN DIES HIESSE JA, AUF EINE URSACHE SCHLIESSEN, als die Lehre selbsten zu Hilfe zu nehmen,)Oef aus der Beschaf-
VONg der ichh gar nicht wissen kann, ob sie Ursache ist oder fenheit der hohen Erkenntnisse, die in einer Lehre enthalten
nicht. Es muE also die erkennbare Natur eine Unterabteilungi 25 25 sind, auf Gott als den Urheber schlieEen.gto I h 7/ 0 8
zulassen und wieder zwei Klassen begreifen, deren die eine
a EINER ANDERS
b von n·1ez gestr.: »nun«
a so auch Abschrift, Orig.: »welches« c von Diez gestr.: »der erkenn«
b von n·1ez gestr.: »ihr«
d von Diez gestr.: »miissen wir daher«
c verbessert aus: »iibernatiirlich«
e von Diez gestr.: »diejenigen aufzuwerfen«
d ZWISCHEN
f Orig.: »welche«, in der Abschrift (wahrscheinlich von Diez) gestr.
e von Diez gestr.: ,erkannten D«
g von Diez gestr.: »Sie«
f verbessert aus: »der«, von Diez gestr.: »Natu(r]« h von Diez gestr.: »Sie miissen die Merkmale des an sich Moglichen angeben,
g SCHLIESSEN, VON
und wenn sie nur relative Unmoglichkeit behaupten, die Notwendigkeit zeigen,
. von n·Jez gestr.: »nicht weill, ob sie«
h
daJS das dem Menschen an sich Mogliche durch diese oder jene Umstiinde
' verbessert aus: »Unterschied« unmoglich geworden ist.«

120 121
Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (friihere Fassung)

aDiejenigen, welche den Begriff des Ubernatiirlichen durch au- fragt oder unbehutsamerweise das zu beantworten versucht, was
Eerordentlich oder nicht-natiirlich erkli:iren, entgehen dem Vor- sich (verniinftigerweise) 0 nicht fragen lasset, wenn man ube-
wurfe der Unbestimmtheit keineswegs. 11 Denn urn einen be- stimmteua Begriffe VERMEIDENb UND UMGEHENc will?d 12
stimmten Begriffvon auEerordentlich (uND NATi.JRLicHP zuh haben,
muE ich wenigstens wissen, was ordentlich (oder natiirlich) 0 ist, 5 5 Wenn nun die FRAGE AUCH soe gesteliet wird:
und ein bestimmtes Merkmal des Ordentlichen (oder Nati.irli- Kann man irgendeine Belehrung als eine gottliche
chen)0c besitzen. Verweiset man mich auf die Ubereinstimmung Belehrung erkennen?
mit den Gesetzen der Naturd als dem Merkmale der Ordentlichkeit Und [wenn] Gott (dabei) 0 ganz auf natiirliche Weise wirkenf
(und Natiirlichkeit) 0, so muE ich die Gesetze der Natur kennen sol.L so wiirde der nachteilige EinfluE der gemachten Bemer-
und das Recht haben zu schlieEen, daE, wenn etwas den Gesetzen 10 10 kungen, wenn sie gegriindet sein soliten, doch NICHT SICHg ver-
der Natur meiner Erkenntnis zzifolge widerspricht oder wenigstens bergen lassen. Was heillt gottliche Belehrung? Eine von Gott
nicht gemiill ist,e Gott dasselbe durch Abanderung oder Auf- GEGEBENE? Es IST ALLES VON GOTT GEGEBENE BELEHRUNG, UND
hebung der Gesetze bewirkt habe. Ruft man mir hier entgegen: WENN ER BALD IN EINEM WEITEREN, BALD (IN EINEMP ENGEREN
Nicht die Abanderung oder Aufhebung der einmal festgesetzten SINNE URHEBER DERSELBEN ISyh, SO bestimme man denselben.
Naturgesetze, die freilich auEer dem Horizonte des Menschen 15 15 Ist gottliche Belehrung diejenige, deren Inhalt ich so gewill an-
sind, solien das Merkmal der AuEerordentlichkeit sein und, gibt nehmen darf, als ob Gott sie selbsten gegeben hatte? Und soli
[es] doch nie ein anderes (oder etwa das des Ungewohnlichen, etwa hochste Evidenz das Merkmal davon sein? Die Einwiirfe
I das, wenn es angenommen wird, jede seltene Erscheinung zurn hiegegen ergeben sich sogleich. Nimmt man Kriterien von dem
Produkt des auf iibernatiirliche Weise wirkenden Gottes machen Vermogen des Menschen her, so sind ja die vorigen Einwen-
wiirde,P so ist die gerechte Foderung eines bestimmten Begriffs 20 20 dungen wieder da. Inzwischen bestimme man den Begriff, wie
n~e befriedigt und die gerechte Klage (iiher Unbestimmtheit)0 man will, und die gemachten Bemerkungen seien wahr, halbwahr
me abgewandt. Soli man sich mit dem unbestimmten Merkmale I
oder falsch, erheblich oder unerheblich, die aufgeworfene Frage
begniigen, -~o ist dem Aberglauben und Unglauben ebensogut
das Tor geoffnet als dem rechten Glauben den man einftihren a von Diez unterstrichen
I
will.g hUnd wie kanni man sich versichen: daE mani mit einer 25 b verbessert aus: wermeidetcc, von Diez gestr.: »odercc
verniinftigen Frage sich beschaftigt, daE ~an nicht ungereirnt c VERMEIOEN OOER UMGEHEN
d von Diez nachtraglich im Originalentwurf und in der Abschrift gestr.: »Die
Folge hievon ist keine andere, als daiS man, urn den Ausdruck eines bekannten
• von Diez gestr.: »Auch« Schriftstellers zu gebrauchen, alsdann den belachenswerten Anblick gibt, einer
b (UNO NICHT-NATURLICH)D ZU den Bock melkt, der andere das Sieb unterhiilt.«
c von Diez gestr.: »haben« e FRAGEa SO
d von n·1ez gestr.: »kennen« a von Diez gestr.: »auchcc
e von Diez gestr.: »ich« f von Diez gestr.: »lassen will«
r von n·1ez gestr.: »der« g SICH NIGHT
g von Diez gestr.: ,;(iberhaupt aber muE« h GEGEBENE?a WENNER (ABER)D BALD IN EINEM WEJTEREN,BALD IN EINEM ENGER EN
h von n·1ez gestr.: »Wenn« S!NNE URHEBER (EINER BELEHRUNG) 5 ~ IST

i »Und wie kann« fehlt im Original a von Diez gestr.: »Und«


l »man« fehlt im Original ~ von Diez gestr.: »derselben«

122 123
Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (friihere Fassung)

ist, WIE ES MIR VORKOMMT, DOCHa ZU leugnen, und die Gri.inde zureichenden Gri.inde zu ihren Behauptungen. Es fragt sich
davon scheinen mir durchaus nicht an das Bisherige gebunden also nun:
zu sein. Man konnte also, wenn man will, das Folgende als einen
zweiten Versuch ansehen. Wie kann ich wissen, d~ A allein (die Ursache zu
5 5 dem vorhandenen B ist?) 0 a
*
** hEs erhellet von selbsten, dag ich den Inbegriff der moglichen
Ursachen von B und die Gri.inde wissen mug, welche aile anderen
(Der einzige mogliche Weg,) 0 h zu der Wirkung B die Ursache auger A ausschliegen. Ohne dies wi.irde jede Behauptung in
A bestimmt angebencd zu konnen, ist, dag ich weiKe A ist, (A 10 10 der Sache wieder nur willki.irlich oder erbeten sein.
kann) 0 B hervorbringenr, und zwar (kann es) 0 einzig und allein
B hervorb~ingen.g Diese Forderungen (sind gegen)Oh denjeni- Machen wir nun die Anwendung auf die Verteidigung der Mog-
?en: der erne solche Angabe in irgendeinem Faile leisten will, lichkeit einer Offenbarung und geben wire zu, dag der Mensch
md1spensabel, und wenn er die eine oder die andere nicht wisse, dag ein Gott sei, gestatten wir auch noch, (dag er ihn) 0
erftillt hat, I so ist seine Behauptung durch Kunst oder durch Jj 15 als moglichen Urheberd einer Lehre in jenem besondern (mir
Gunst erschlichen. Gesetzt nun, er wisse das erste und das unbekannten und unbestimmten) Sinn kenne; wie will man
zweite, aber das dritte nicht, so kann er niemalen das Verspro- erweisen,
c~ene (leisten) 0 . Er hat hinlangliche Gri.inde zu sagen: A kann
d1e Ursache von B sein, aber niemalen: A ist die Ursache von dag der Mensch einsehen konne, Gott sei die einzigee
B; es mi.igte dann seine Unwissenheit oder sein Nichtwissen 2G 2o mogliche Ursache der Belehrung B?
ihm Fua IGEBENi, mogliche Kenntnisse ftir wirkliche zu nehmen.
D~nn wi.irde aber Unwissenheit i.iberhaupt die besten Dienste Er wird es doch nicht aus der Lehre, meinetwegen auch aus
leisten, oder es wi.irde unmoglich gemacht, irgendeine Thesis 13 sie begleitenden Umstandenf schliegen sollen. Denn zu jeder
geltend zu machen. Verstandige und Unverstandige hattenl die Wirkung sind ja mehrere Ursachen moglich. Soli er es aus
25 dem schliegen, was er von Gott weill? Aber damit, dag er ihn
als umoglicheug Ursache weig, weig I er ihn ja nicht als die
a WlE MICH DUNKT, DOCH
b
c

von tez gestr.: nEs werden zwei Wege versucht, urn«
verbessert aus: »anzugeben.«
. gestr··· nMan schli eEet entweder aus dem Gegebenen oder a pnon.•
ed von Diez . · a von Diez gestr.: nUrsache von B sein kann?«
von Dtez gestr.: nlm letzteren Fall mu" t'ch . d " b von Diez gestr.: »Entweder liegt der Grund in A (allein) 0 oder in B (allein) 0 ,
r . '~ WISsen, a'~"
von Dtez gestr.: nkann« (oder zum Teil in A und zum Teil in B, oder ganz) 0 in beeden oder auEer
s von n·tez gestr.: nDies heiEt: Ich muE die Wirklichk . A, . M"glichkeit
denselben.«
als Ursache von B und . . . e1t von seme o c von Diez gestr.: nihm«
. seme Notwend1gkelt als Ursache zu B wenn B vorhanden,
vorhan d en sem soli, wissen.« ' d von Diez gestr.: »j[ener]«
h von n·1ez gestr.: nan«
e Hervorhebung nur in der Abschrift
i FuG UNO RECHT GEBEN r von n·1ez gestr.: »ill·ch t«
i von n·1ez gestr.: nnun« g Unterstreichung von Diez

1.2.4 1.2.5
Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (fri.ibere Fassung)

ueinzige moglicheua Ursache. Wie soli er also wissen konnen, bestimmt dem A zuschreiben. Zu dem verlangten Erweise nuna
daE Gott bestimmt die Ursache des B sei?b Seinen Denkgesetzenc muE er den Inbegriff aller moglichen Ursachen kennen und
(zufolge ist es ihm erlaubt und) 0 muE er zwar von dem Bedingten die Gri.inde besitzen, die ihn berechtigen, alle anderen auszu-
auf die Bedingung und von der Bedingung auf das Bedingte schlieEen. Wie soli aber der Mensch in Hinsicht auf irgendeine
i.ibergehen. (ER WIRD DAHER,d WENN ER DAS EINE ODER DAS 5 5 Belehrung in diesen Fall kommen, ohne Herzenski.indiger und
ANDERE NICHT HAT,e BEl ERWACHTER WIRKSAMKEIT DER VERNUNFT Nierenpri.ifer 14, ohne Kenner der Natur, ihrer Krafte und Wir-
UNABLASSid streben, dasselbe zu fmden.g)O Aber es WARE (JE- kungsart zu sein? Diese Forderungen sind freilich hochgespannt,
NENh D ENKGESETZENi) 0 i ganzlich zuwider, wenn er, urn zum aber konnte der Menschb sich denselben entziehen und dennoch
Ziele zu gelangen, bei dem Ubergange von dem Bedingten zu gew!fi wissen, daE eine Belehrung Offenbarung ist? GroEen I
d~r Bed~ngung eine bestimmte Bedingung annehmen wollte, 10 10 PRATENTIONENc STELLEN SICH MITd Recht groEe Gegenforderun-
d1e er mcht als die bestimmte, wirkliche oder einzig mogliche gen entgegen, aber wie es gewohnlich gehet, die Pratentionen
erkannt hat; die einzig mogliche ist aber nicht nur die er allein werden auch wieder herabgestimmt, wenn man die Unmog-
~ich ~denk~nuk k_ann, sondern, was ein groEer 1' Unterschied lichkeit einsiehet, die Gegenforderungen zu erfullen. Ich zweifle
1st, d1e allem usemul kann, und das letzte ist ihm nicht durch also keineswegs, daE ich nun die Pratentionen (der VERTEIDIGER
das erste erwiesen. Ebenso wird er zwar, wie er die Bedingung 15 15 DERe MOGLICHKEIT EINER 0FFENBARUNG) 0 zuf HOCH ANGESETZT
A als Ursache von B einsiehet, das B suchen, aber wenn er es HABEN WERDEg. Man wird mir einwenden, ein solches GewiE-
find~t,. ~d [:~L es doch nie, wenn er den verlangten Erweis wissen wi.irdeh Allwissenheit und Untri.iglichkeit voraussetzen,
der Emz1gke1t des A als Ursache von B nicht hat, n deswegen die freilich den Menschen nicht gegeben seieni. Nur dasjenige
Gewillwissen werde verlangt, soviel es Menschen moglich ist.
.20 Ich antworte, eine solche Bestimmung: ,soviel es Menschen mog-

a Unterstreichung von Diez lich ist'', sei eine gar zu vage Bestimmung, und damit sei eine
b n· Ttir geoffnet, die auch den Schwiirmer und Phantasten entwischen
. v~ tez ~estr.: »Wer und Wir sehen vielmehr ganz sicher und unz[ ...) Es
tst unmoglich, es einzusehen, denn nach allen« lasse. Sollte aber eine Barriere gezogen werden konnen, die nur
e von Diez gestr.: »kann er (mul$ er zwar von dem B)O ohne Verletzung deml. Supernaturalisten den Ausgang gestattete ((was )m aber
d erselben mcht«
d von n·tez gestr.: »und«

e von Diez gestr.: »so wird« a verbessert aus: »aber«


f DAHER WIRD ER BE! ERWACHTER WIRKSAMKEIT DER VERNUNFT WENN ER DAS b von Diez gestr.: »gewi[/$]«
EINE ODER DAS ANDRE N ICHT HAT, UNABLASSIG ' c von Diez gestr.: »haben gewohnlich«
: von Diez gestr.: »Er wird sie suchen« d PRATENTIONEN STELLT MAN MIT
verbessert aus: »denselben« e verbessert aus: »einer«
i ..
. WARE EBEN DENSELBEN DENKGESETZEN f VERTEIDIGER DES MOGL!CHEN SUPERNATURALISMUS (so NENNE ICH SIE UM DER
J von Diez gestr.: >>denselben« KORZE WILLEN) ZU
k Unterstreichung von Diez g HOCH WERDE ANGESETZT HASEN
1
Unterstreichung von Diez h von Diez gestr.: ,freilich«
m Unterstreichung von Diez i so auch Abschrift, Orig.: »sei«
n von Diez nachtr"gl1'ch · 0 · . J von Diez gestr.: »Verteidiger«
111
nje« a ngmalentwurf und Abschrift gestr.: ,dasselbe
k von Diez ge tr.: »welche«

126 127
Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (frlihere Fassung)

nicht durch neue unbestimmte Merkmalea geschehen diirfte), gegebene Belehrung B sei ihnen von Gott als seine
so wird immer dabei eine Unterscheidung des WiEbarenb vor- Belehrung mitgeteilet.
kornmen miissen, die seiner Wissenschaft, daE die Lehre B von
Gott sei, das Gewillwissen in der strengen Bedeutung, auch wie Dies heiEt mit andern Worten: Es ist dem Menschen als wahr-
es bei Menschen moglich ist, nicht beilegen IaEt. Es wird nie s 5 scheinliche Hypothese moglich, eine gegebene Belehrung als
die Evidenz stattfinden, die bei mathematischen Satzen statthat. gottliche Belehrung zu erkennen.
Es werden Vorstellungen von concretis und abstractis aufgeft.ihrt
werden konnen, denen das Gewillwissen auch von den Apolo- Ich wurde den vorgesetzten Gegenstand durchaus nicht hin-
geten I des moglichen Supernaturalismus in einem hoheren Grade langlich bearbeitet zu haben glauben, wenn ich ihn nicht auch
zugestanden wird. (Allein ich mochte sagen) 0 c, das Gewillwissen 10 10 von dieser Seite untersucht hatte. Die vorgebliche geringe An-
13/0 14 hat ke~e _Grade.d I e DA DER BEWEIS ABERf dieser Behauptung zahl des gewissen Wissens der Menschen und (die) 0 elende
zu we1t fuhren und andere Streitigkeiten herbeiziehen konnte, Beschaffenheit (des menschlichen Wissens uberhaupt) 0 - die
so mag dies vorbeigehen, und zwar urn so mehr, als ohnehin aber nach einer (von kompetenten Mannern) 016 angestellten
mancherg. ~ verbis simus faciles!" 15 sagen und gerne )lochst- Priifung (des Vermogens zu wissen) 0 a nicht so traurig und
wahrscheinlich_ vermuten" mit dem Ausdrucke "gewill wissen"h 15 15 nicht so I bedenklich sein soli-, wiirde die strengen Forderungen
vertausc~en _wrrd. Nach solchen wurde nun eingestanden, daB unvernunftig fmdenb und vielleicht in der schonsten Harmonie
das GewillWissen, auch wie es bei Menschen in andern Dingen Zwecke namhaft machen lassen, die Gott bewegen konnten,
statthat, bei _einer wirklichen Offenbarung nicht stattfinden wiir- den Menschen eine Belehrung zu geben, die sie fur seine Aus-
de. Thre Memung ware: spruche zwar nicht ganz gewiE, aber doch mit der hochsten
20 20 Wahrscheinlichkeit aufnehmen konnten. Ich werde DAHER NUN
Es ist mof?li~h, daE die Menschen mit uberwiegenden AUCHc diese Meinung prufen.
wahrscheinlichen Grunden vermuten konnen, eine
Es wurde zu viel Wiederholung des oben Gesagten vorkommen,
wenn ich nun ausfiihrlich zeigen wollte, wie man nach meiner
Einsicht auch hier nicht wisse, was man wolle. d (Ich werde
von n·Jez gestr.: »formiert werd[en]«
a 25
b von n· 1ez gestr.: »dabei«
c von Diez gestr.: »Mich dlinkt aber«
a von Diez gestr.: »(ich meine, nach der Meinung denkender Miinner, die
d von Diez gestr · »Ich "1~ . . diesen Gegenstand mit Fleill und Mlihe sehr kom«
muJS E .b b. · . weJ nur das geWJJS, was 1ch notwendig fur wahr halt en
. s gi t a er kern notwendigeres Notwendiges « b von Diez gestr.: »lassen«
e von Diez gestr · »Zwar unte cl ·d · . .
·· . rs 1e1 et man absolute Notwendigkeit und relative, c DAHER AUCH
un d d as Notwend1gere karm d · · · ·· d
.
na ch (emem
)0 h"
mzugekomm
as1emge sem, was ich unter gewissen Umstan en
d. d von Diez gestr.: »(Sucht man das Merkmal in der Lehre, und) 0 Ist die
N d" . enen neuen Umstand vertauschen muK Aber Ie ausgemachte und Gottes wlirdige Wahrheit Ausspruch der Gottheit, wieviel
otweGn -~~!helt: welche ein Ingrediens der Gewillheit sein soli, darf nicht relativ und -vielerlei Offenbarungen haben wir dann nicht. Sind seltene Begebenheiten
sem. evvu~ eit der K · h d f .
d er '<vernu
T nf E ill SIC t ar von kemem Umstande abhiingen als von das Kennzeichen., wieviel gibt es dann nicht Ausspri.iche der Gottheit? Kommen
t s muJS a! b 1 N .
f · so a so ute Otwendigkeit zu der GewiJSheit pp. Allew.« sie in Verbindung miteinander vor, was blirgt mir (alsdann) 0 , daiS in dieser
DA (ABER)A DER BEWE!S
g n·Iez Verbi.ndung ei.ne Erkliirung der beisti.nlmenden Gottheit sei? Kenne ich die
von gestr.: »Sagen wird« Umstiinde nicht aus der eigenen Erfahrung, und babe ich nur Relationen
h von n·1ez gestr.: »im stre« aufrichtiger Zeugen, was verburgt mir ihre Geschicklichkeit? Gutrnlitigkeit nicht,

128 129
Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (friihere Fassung)

auch nicht Besorgnisse zu erregen suchen, wie bedenklich es logisch-moglich ista, ist deswegen noch nicht real-moglich, wenn
sei, eine so wichtige Sache auf Hypothesen zu griinden 17, und die reale Moglichkeit gleich die logische voraussetzet. Wenn
wie wegen der Folgen, die daraus entstehen konnten,a keine also der zugestandene Unterschied nicht wieder zuri.ickgenom-
solche Veranstaltung als moglich anzunehmen sei)o. Ich be- men werden und der Erweis einer realen Moglichkeit uns mog-
schranke mich auf die (Untersuchung der Erfodernisse) 0 h zu 5 5 lich sein soli, so mi.issen wir ein bestimmtes Merkmal derselben
einer guten Hypothesec. besitzen. Ohne dieses wiirden aile unsere Hypothesen, sie be-
treffen einen Gegenstand, welchen sie wollen, in einem traurigen
Es ist I notwendiges Erfodernis einer Hypothese, daiS sie einen Zustande (sein) 0 . Der Erklarungsgrund konnte gedacht werden,
mi/glichen Erklarungsgrund aufstelle. Denn ,obgleich Hypothe- aber ob er mehr als bloJSe Erdichtung, ob er wirklich usein
sen bloJS erdichtete Erklarungsgriinde sind, so setzt doch eine 10 10 konneuh, das ware uns unbekannt. Inzwischen werden wir von
verniinftige Erdichtung immer etwas voraus, was nicht erdichtet, dieser traurigen Verlegenheit befreiet, da wire die Uberein-
sondern vollig gewill ist, namlich die Moglichkeit des Gegen- stimmung mit den Bedingungen irgendeiner Erfahrung bald
standes selbst, denn sonst ist sie blol"Se Schwarmerei. Zu jeder als das MERKMAL (DER REALEN M6GLICHKEIT) 0 ENTDECKENd mus-
Hypothese gehort daher zuerst, daiS die Moglichkeit I des Ge- sen. Denn was erfahren werden kann, von dem sagen wir,
gen~tandes, den man zum Erklarungsgrunde gegebener Dinge 15 15 es konne (realiter) sein. Realmoglich ist also, was mit den
anrummt, apodilctisch gewill sei". Diese von einem fremden formalen BEDINGUNGEN (DER ERFAHRUNG) 0 UBEREINSTIMMTe20,
Sc~iftsteller e~tlehnten Worte 18 stellen eine Regel auf, die keines und eine solche reale Moglichkeit des Erklarungsgrundes muJS
we1teren Bewe1ses bedarf. Ehe wir aber einen Gebrauch von erwiesen sein, wenn die Erklarung nicht bloJS I auf einem
~ersel~en machen konnen, miissen wir den Begriff von Mog- erdichteten Grunde ruhen soll. Dazu wird aber erfodert, daiS
lichkeit aufzuklaren suchen. 20 20 wir die formalen Bedingungen der Erfahrung angeben und
zeigen, wie diese in dem aufgestellten Erklarungsgrunde zu-
Es .ist ein groJSer Unterschied, den die ganze Welt eingesteht, treffen.
zwischen ,gedacht werden konnen" und ,sein konnen". Da
nun abe~ bee~es durch ,moglich sein" ausgedriickt wird, so Nun wird auch der auJSerste Skeptizismus 2 1 dasjenige, Iwodurch
haben WIT ZWischen logischer und realer Moglichkeit (zu un- 25 25 er zu dem, was er Erfahrung heiJSt, gelangt, so wie die iibrige
terseh e1·den.)S ·19. Das Merkmal der logischen Moglichkeit ist d1e
. Welt das, wodurch sie zu ihrer Erfahrung gelangt, Empfrndung
Abwesenhe1t ernes Widerspruches in dem Begriffe von dem heissen. Als Skeptiker und Dogmatiker miissen wir daher nur
Gegegstande. Denn wovon der Begriff sich nicht widerspricht, dann reale Moglichkeit annehmen konnen/ wenn wir sehen,
(das) kann gedacht werden, ist logisch moglich. Was aber daE etwas von uns empfunden und durch das Vermogen, das
30 Empfundene darzustellen, vorgestellt werden konnte? 2 Unsere

Mangel
b. d an Widerspruch nicht, elgene
· Kraft, gleiche
· ·
Begebenhe1ten · g1 eJ·ch e
m
u
ver m ung zu setzen, nicht E · . .. . . . a so auch Abschrift, »ist« fehlt im Original
. d ..
Be1 en niiheren Bestimm · s 1st rrur unmoglich, vers1chert zu se1n, b Unterstreichung von Diez
d M km
ungen es er als mu!S das aus der Beschaffe nh eJt·
d er erkannten Wahrheit« c von Diez gestr.: »aber«
a von Diez gestr.: »von Gott wohl" d MERKMAL ENTDECKEN
b von n·lez gestr.: »Erfodernisse« e BEDINGUNGEN ( !RGENDEINER ERFAHRUNG) D UBEREINSTIMMT
c von Diez gestr.: »und werde« r von n·1ez gestr.: »da«

130 131
Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (friihere Fassung)

Erfahrung ist aber freilich nicht jede Erfahrung. Wenn es andere zwischen Denkbarkeit und Realitata noch nicht die reale Mog-
Wesen gibt, so haben diese vielleicht eine andere Art zu er- lichkeit derselben. Uberschreiten wir die Sinnenwelt - so sei
fahren.23 Es kann daher real-mogliche Gegenstande geben, die es mir Kiirze halber erlaubt, die Natur, insofern sie Gegenstand
unserer Erfahrungsart widersprechen, deswegen aber doch real- unsere,.h (rnoglichen oder wirklichen) Erfahrung ist, zu nennen
moglich sind, weil sie damit nicht den Bedingungen jeder Er- 5 5 - und wollen wir jenseits derselben etwas als gewiE oder als
fahrungsart widersprechen. 24 Nur konnen aber wir, die wir an wahrscheinlich oder als unwahrscheinlich oder als falsch auf
unsere Erfahrungsart gebunden sind, deswegen keinen Aus- irgendeine Weise festsetzen, so wollen wir, wie der Reformator
spruch iiber ihre reale Moglichkeit wagen und nichts auch nur der Philosophie VORTREFFLICH SICHc ausdriickt, da uns anbauen,
vermutungsweise bestimmen, will geschweigen, entscheiden wo instabilis tellus, innabilis unda29 ist; so versucht, wie eben-
und festsetzen. Wiirden wir demunerachtet von einem gewissen 10 10 derselbe sagt, unsere Vernunft ihre Fliigel zu liipfen, wo sie
Gegenstandea eine in ihrer Ubereinstimmung mit den forrnalen auch nicht einen Augenblick von der Stelle kommen kann? 0
Bedingungen unserer Erfahrung nicht erweisliche, denselben
vielleicht widersprechende Bestirnrnung wagen, so wiirden wir Es bedarf nun keiner weitern Auseinandersetzung, wie diese
iiber das Gebiet der uns entscheidbaren realen Moglichkeiten, erste Bedingung einer verniinftigen Hypothese bei derjenigen
durch verftihrerischen Schein geblendet, ausschweifen; wir rno- 15 I
15 zutrifft, die uns Gott als den Mitteiler einer Lehre im bestimmten
gen nun das Dasein jenes Gegenstandes noch so gewiE wissen oder unbestirnrnten Sinne darstellt. Diese willd auf die hand-
oder nicht? 5 Noch sonderbarer lb und auffallender ist das Wagen greiflichste Weise auf die tellus instabilis und innabilis unda
der Bestimmung, wenn wir das Dasein des Gegenstandesc nur uns versetzen und mutet der erbarmlich millkannten Vernunft
wegen DEM NOTWENDIGEN ZUSAMMENHANGd mit der Beschaf- zu, da zu fliegen, wo sie sich nicht das mindeste bewegen
fenheit unsers Subjekts26 annehrnen, den Gegenstand selbsten 20 20 kann. Sie lockt in die iibersinnlichen Gegenden, und die Ver-
aber nur durch Begriffe, die den Gegenstand selbsten nicht nunft, welche (sich)o nicht kennt, irret hin und her, ohne eine
27 Briicke zu finden, die sie hiniiberftihren (und) 0 e einen festen
darstellen , denken. Denn nun konnen wir weder den Gegen-
stand noch die Bestirnrnung des Gegenstandes in seiner Uber- Schritt oder sicheren Tritt in denselben rnachen lassen konnte.
einstimmung mit den forrnalen Bedingungen unserer Erfahrung Mit einern Worte: Sie stellet einen Erklarungsgrund auf, dessen
zeigen. Man provoziere28 ja nicht auf andere Erfahrung oder 25 25 Moglichkeit wir nicht kennen und wo der Versuch eines Beweises
Erfahrungsart. Wir konnen I JA NICHT DIE REALE MoGLICHKEIT nur durch Affung leerer Hirngespenste31 entstehen kann.
EINER ANDERN ERFAHRUNGSART BEWEISEN.e Die Denkbarkeit einer
andern Erfahrung ist kraft des unabanderlichen Unterschiedes #
##
• von Diez gestr.: »(dessen Dasein ich vielleicht aus subjektiven Grunden (der
Natur meines Subj)«
b von Diez gestr.: »iSt«
c von Diez gestr.: »ZWar wissen, annehmen« a von n·1ez gestr.: »einer«
d b . d
DES NOTWENDIGEN ZUSAMMENHANGS nur m er Abschrift gesperrt
e JA, (EBEN WElL EINE ANDERE ERFAHRUNGSART UNSERE ERFAHRUNGSART NICHT c SICH VORTREFFLICH
IST,)Da DIE REALE MOGLICHKEIT EINER ANDERN ERFAHRUNGSART (NICHT)D BEWEISEN. d von Diez im Original gestr.: »UOS«, in der Abschrift erhalten
a von Diez gestr.: >>nicht« e von Diez gestr.: »kann. oder ohne«

13.2 133
Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenharung (friihere Fassung)

Bis hieher habe ich die Moglichkeit einer Offenbarung bestritten. Ursache demonstriert, so mug sie den Fehlschlug a posito con-
Die Behauptung derselben geschiehet in einem gedoppelten sequente ad antecedens (ponendum) 034 machen.
Sinn: Der AN GRIFF DERSELBEN MUSSTEa also auch auf zwei Seiten
GEREN. DER EINWURF IST VON MIR AUFb beeden Seiten der nam- Die zweite Klasse, die nur hochste Wahrscheinlichkeit zu fodern
liche, aber auf jeder mit anderen Gri.inden untersti.itzt.c Meine s 5 sich bescheidet, suche ich nicht aus EINEM IHR FREMDEN, UN-
11/ A1.2 Thesis 32 ist: I GEKANNTEN ODERa migkannten Systeme zu widerlegen. Ich fo-
dere nur, dag sie logische und reale Moglichkeit unterscheiden
Der Mensch kann nie einsehen, dag er eine Erkliirung soli, und wenn sie den Unterschied anerkannt hat, dag (sie) 0
Gottes in irgendeiner Belehrung vor sich hat. Erfahrung, die sie sich einbilden und erdichten kann, mit der-
10 10 jenigen, die sie als moglich kennt, nicht verwechseln mochte.
19/ 020 ,Gewig einsehen"d und ,hochstwahrscheinlich einsehen" ist I Sornit mug sie einsehen, dag sie aus einer eingebildeten Er-
der Unterschied, der die Verteidiger der Antithesis in zwei fahrung, die sie nicht als real-moglich kennt, einen Erklarungs-
Klassen teilt. grund aufstellt, also das erste Erfodernis zu Begri.inldung der 201 °21
Wahrscheinlichkeit, ohne das Wahrscheinlichkeit auf keinem
Der ersten Klasse, die Gewigheit will, antworte ich mit dem 15 15 Grunde ruhet, versaumt. Wenn i.ibrigens dieser, wie mich di.inkt,
hochst einfachen bekannten logischen Grundsatze: Jede Wir- ebenso gegri.indete als fagliche Vorwurfvon geringerem Gewicht
kung kann mehrere Ursachen haben? 3 Dieser schneidet den zu sein scheinen solite, b so kann ich nicht umhin, die Frage
nervum jeder Argumentation, die Gewigheit begri.inden will, zu machen, warum Gott die Menschen in einer so wichtigen
nach meiner Einsicht (entzwei) 0 . Gehet sie von der Bedingung Sache mit Hypothesen gleichsam abspeisen sollte, und zum
auf ein ex hypothesi vorhandenes Bedingtes (i.iber) 0 e und ist 20 20 Schlusse aus dem Schriftsteller, der mir das erste Kriterium
sie auch imstande, auf eine befriedigende Weise zu zeigen, einer guten Hypothese so schon darstellte, 35 auch ein zweitesc
dag A mogliche Ursache von B sei - was ich meines Orts in vorzi.iglich in Hinsicht auf gewisse I Anwendungen, die diese 12/A13
diesem Faile nicht glaube, hier aber gratis zugebe -, so ist srE Klasse bei ihrer Behauptung doch vor Augen hat, mit seinen
DOCH IN DIESEM FALLE NIE IMSTANDE, Af als die einzige mogliche Worten anzuftihren. Sie sind folgende: ,Sodann", fahrt er fort,
Bedingung zu B zu beweisen, (und hat also keinen Grund, sie 25 25 ,mug jede Hypothese auch zuliinglich sein, urn daraus a priori
gew!fl als die wirkliche anzunehmen) 0 . Gehet sie von dem Be- die Folgen, welche gegeben sind, zu bestimmen, mithin mug
dingten aus und hat sieg nicht vorher A als die einzige mogliche man hiezu nicht wieder neue hilfleistende Hypothesen notig
haben, denn sonst sind sie aile verdachtig, weil jede an sich
eben dieselbe Rechtfertigung notig hat." 36

a ANGRIFF MUSSTE
b GESCHEHEN. ME!N EINWURF IST AUF
c von Diez gestr.: »Er ist der« a E!NEM FREMDEN,tt UNGEKANNTEN~ ODER
d von Diez gestr.: »oder« u von Diez gestr.: »ihr«
e von Diez gestr.: »aus« P von Diez verbessert aus: »unhekannten«
f S!E JA DOCH N!CHT FAH!G, A b von Diez gestr.: »ZUm Schlusse die«
g von Diez gestr.: »auch« c von Diez gestr.: »mit seinen Worten anzufti..hren und«

134 135
Schriften B 2 Moglich.k.eit einer Offenharung (friihere Fassung)

Beeden Teilen aber, sowohl dem Verteidiger der Thesis als iibersehen liiEt. Ich sehe ferner A, aber X, Y, Z nicht; warum
dera Antithesis37 , wiirde eben derselbe nach den Bemerkungen soli ich es nun A zuschreiben und X, Y, Z als Ursachen aus-
iiber die Unbestimmtheit des Begriffs Offenbarung zurufen: schlieEen? Ich kann mir das Factum B sonst nicht erkliiren.
Wo ist denn aber die Notwendigkeit, das Factum B zu erklaren?
(Unus) 0 b hircum mulget, alter cribrum ponit. 38 5 5 Die Notwendigkeit ist freilich nicht da, aber warum soli ich
es nun nicht annehmen und der hochsten Wahrscheinlichkeit
Anhangc folgen, wenn jene fehlt? Sollte es sich Deinem Auge entziehen,
1st A die Ursache zu B? (wie)Da Du hier dem Grundsatze folgst, was mir am besten zur
Erkliirung dient, das nehme ich an? Solltest Du den Wert einer
Ich stimme mit ein, daB, alles wohl erwogen, keine andre Ursache IO 10 unerwiesenen Erkliirung, sei sie auch noch so befriedigend, die
anzugeben sei, aber damit finde ich mich noch nicht berechtigt, gegebenen Folgen zu erkliiren, miEkennen? Wolltest Du einer
dem Bejahenden beizufallen, wenn ich gleich den Verneinenden eingestandenen unerwiesenen Erkliirung gemiiE Dein Betragen
den Beifall versagen (miiEte)D. Wo sollte ich den Entschei- einrichten, Deine Studien anordnen, Dein Ausseres (und In-
dungsgrund hernehmen? Er kann nicht in B noch in den dasselbe neres)8 bestimmen? Und warum sollte es hier nicht ohne allen
begleitenden Umstiinden c, d usw. liegen, denn ab effectu valet 15 15 Nachteil geschehen konnen? Bedenke, was Du sagst: dem Un-
consequentia ad aliquam causam, sed non ad determinatam erwiesenen folgen und ihm die hohe Wichtigkeit geben, die es
causam A.1 9 Er kann nicht in A liegen. Es ist zwar wahr: ubi nach der GroBe des Gegenstands fordert? Eine als Erkliirung
ponitur causa, ibi ponitur effectus;40 aber wie soil dann gezeigt hochst befriedigende, aber doch unerwiesene Erklarung zur
werden, daB bei dem vorhandenen B die causa A die posita Basis Deiner (Ent)Dschliisse machen und ihr den hochsten Ein-
sei? Ist gleich nach meiner Einsicht das vorhandene B nicht 20 20 fluE verstatten? Was wirkt in gleichgiiltigen Dingen hochste Wahr-
possibile durch C, D, so habe ich doch zu bedenken, da£ scheinlichkeit, wannb sie nicht GewiEheit hat? Es miiEte sowohl
(ich) 8 bei dem Mangel an zureichenden Kenntnissen von C, die Begriffe von Wahrscheinlichkeit, Moglichkeit, Wirklichkeit auf-
D und bei den unvollstiindigen Nachrichten aus einer aber- kliiren, als iiber die Ungleichheit des Verhaltensc auffallende Be-
gliiubischen, wundervollen und aller historischen Kritik man- lehrungen geben, wenn man Spielfalle etwa analysieren und eine
gelnden Zeit einen zu gewagten Ausspruch tue; daB vielleicht 25 25 Vergleichung anstellen wollte. Gesetzt, es werden unter vier Spie-
zu hohe Schiitzung des B mich dasselbe zu hoch ansetzen, lenden vierzig Karten so verteilt, daB jeder neun erhalte, und die
die Ausspriiche des gesunden Menschenverstands 41 , der sich iibrigbleibenden vier seien dem in dem eminenteren Sinn Spie-
unter den ungiinstigsten Umstiinden I aufs vorteilhafteste ent- lenden zu kaufen erlaubt. 42 Wird der vierte, wenn die vorherge-
wickeln und erhalten kann, in moralischen Dingen, die doch henden drei gepaEt haben und er zur Erkliirung dieser Erschei-
dem gemeinsten Menschenverstande offen stehen miissen, iiber- 30 30 nung die hochstbefriedigende und hochstwahrscheinliche, aber
eilterweise mit iibermenschlichen Verstandseinsichten verwech- eben nicht erwiesene Hypothese machen darf, daB sie gewisse
seln und nun unter Mitwirkung der von Jugend auf geniihrten Karten nicht haben, die ihm ein gewonnenes Spiel geben wiirden,
Achtung und Ehrfurcht die iibrigen Flecken und Schwiichen wird er das sonst nicht zu wagende Spiel nun I wagen und die

• »der« fehlt im Original a von Diez gestr.: »Wenn«


b von Diez gestr.: »alter« b hier im Sinne von »wenn«
c Anhang nur in der Abschrift vorhanden c vom Ahschreiber gestr.: »merkliche«

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Schriften B 3 Moglichkeit einer Offenbarung (spi.itere Fass ung)

Karten kaufen, in dem Faile, daE ein hohes Beet steht? Dies hohe
Beet sind einige Batzen, und der vorsichtige Spieler, der seiner B3
Batzen schont, wird nicht spielen. Die Fiille sind verschieden. Immanuel Carl Diez
Und worinnen? In der Gewillheit oder in der Wichtigkeit des Uber die Moglichkeit einer Offenharung (spatere Fassung)
Gegenstandes? Einmal das erste nicht, wohl aber das zweite. Der 5 (Anfang his Mitte Marz 1791) 1
richtig denkende Spieler ist im Besitze der Umstande, die ihn
entscheiden lassen, was das Passen bewirkt habe, wie ich es bei
B nicht bin. Er kennt den Charakter der andern Spielenden, wie Eine gottliche Offenbarung, die fur mich gottliche Offenbarung
ich den Charakter des A nicht kenne, und wenn er auEer den sein soli, muE ich als eine solche erkennen. Wenn Gott Einsicht
mangelnden Karten auch andre Hindernisse des Spielens verrnu- 10 gewisser Wahrheiten entweder mir oder einem andern, der
ten kann und muE, so muE auch ich in A Hindernisse vermuten, mein Lehrer sein soli, unmittelbar mitgeteilt hat oder, wenn
die es hindern konnten, das vorhandne B hervorzubringen. Der 5 er sogar selbst auf Erden kommt, dieselbe mitzuteilen, und
Spieler hat auch noch den Vorteil, daE er die Sphiiren der Ursachen ich und andre sind nicht imstande, den mitgeteilten Unterricht
gewisser hat als ich, der ich den Ubergang ins Ubernati.irliche als von Gott entsprungen durch richtige Schli.isse einzusehen, so
machen will, ohne zu wissen, ob ich dahin gehen kann und muK 15 ist mir aller Unterricht, den ich erhalte, doch nicht das, was
Die Wichtigkeit ist freilich bei meinem zu erkliirenden B groEer; mir gotdiche Offenbarung sein soli. lch mufl wissen, dafi der
aber was soli dies? Lasse das Beet des Spielers steigen, wird er 10 Unterricht von Gott ist, oder er ist mir nicht giittlicher Unterricht?
d:um eher entrieren? Aber bei dem Spieler konnen in gewissem So wird also bei der Untersuchung von der Moglichkeit einer
Smn eher nachteilige Folgen entstehen, bei dem glaubenden Su- Offenbarung aile i.ibrige Untersuchung unnotig gemacht, sobald
pernaturalisten nicht. Und warum nicht? Soli es indifferent sein, 20 ich die Unmiiglich!ceit, eine Offenbarung uals solcheu zu erlcennen,
ob gottliche Autoritat gewisse Ausspri.iche bestatigt oder nicht? eingesehen habe.
15
(Werde ich .auf gleiche Weise sie zu berichtigen, zu bestirnmen
suchen, meme Bemi.ihungen einschriinken oder nicht?)A Was mir Man unterscheidet bei allen Uberzeugungen, ob sie auf Ge-
die Beleuchtung der gewohnlichen Handelsweise sagt, das muE willheit oder Wahrscheinlichkeit ruhen. Wir mi.issen also auch
zu~ feste~ EntschluE werden, wenn ich den Erkliirungsgrund 25 sehen, ob die Uberzeugung, daE ein gewisser Unterricht von
philos~phisc~.b~leuchte, wenn ich in ihm ein Objekt denkbarer, Gott sei, auf GewiEheit oder Wahrscheinlichkeit gegri.indet wer-
aber rucht moglicher Erfahrung bemerke und den Unterschied .20 den konnte.
der Denkbarkeit und Moglichkeit richtig in seiner Wichtigkeit
aufgefaEt habe. D_as erste, uGriindung auf Gewillheitu, fmdet schlechterdings
30 mcht statt. Ich mi.iEte immer vom Unterricht als Wirkung auf
Sei nun A oder C oder X die Ursache zu B. Es ist nach meiner Gott als Ursache zuriickgehen, aber es ist schlechterdings un-
Einsic~~ nicht moglich, es zu bestimmen, und Hypothesen er- .25 erlaubt, von dem Bedingten einen regressus auf eine bestimmte
~alten u berall nur so weit EinfluE ins Praktische, als man genotigt Bedingung zu machen, und dies miiEte hier notwendig der
ISt, nach Hypothesen sich zu richten. Wie weit dies der Fall Fall sein, auch wenn man nicht aus dem Unterricht allein oder
sein darf, konne und solle, entscheiden Pflichten und Umsdinde. 35 gar nicht aus demselben, sondern aus andern datis auf dieselbe
schlieEen wollte. Sei es die Lehre, oder sie begleitende Um-
Jo stiinde, aus welchen wir schlieEen wollen, wir machen bei jener

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Schriften B 3 Moglichkeit einer Offenharung (spatere Fassung)

oder bei dieser den regressus a conditionato ad determinatam ihm durch dasselbe ausgedriickt werden. - uExistenz ist also
conditionem3, welcher schlechterdings unerlaubt ist,- man den- kein konstitutiver, sondern ein Verhiiltnisbegriff. u
ke nur an den Grund der Regel, welche verbietet, in disjunktiven
Schliissen a consequente ad antecedens modo ponente4 zu Da.B das Verhiiltnis, das durch das Pradikat der Existenz den
schlie.Ben. Das zweite, ucriindung auf Wahrscheinlichkeitu, for- s 5 Gegenstiinden beigelegt wird, ein Verhiiltnis sei, das sie zu unserem
dert eine genauere Untersuchung. Es erhellt von selbst, da~ Erkenntnisvermogen haben, und nicht etwa ein Verhiiltnis, das
dasjenige, was als wahrscheinlicher Erklarungsgrund zu einem ein Gegenstand zum andern hat, erhellt aus der Natur der Ver-
Phanomene aufgestellt werden soli, als Ursache der zu erkla- hiiltnisse eines Gegenstands zu dem andern. Denn wenn ich auch
renden Wirkung wenigstens seiner Moglichkeit nach eingesehen nur einen Gegenstand vor Augen habe, so kann ich ihm das Pradikat
sein muK Es ist auch, diese zugegeben, mancherlei einzuwen- 10 10 der Existenz ohne aile Hinsicht auf einen andern beilegen, was
den, aber vorerst werde der angefuhrte Punkt Gegenstand unsrer nicht geschehen konnte, wenn es ein Verhiiltnis eines Gegenstands
Untersuchung. zu einem zweiten ausdriickte. Noch deutlicher wird dies, wenn
wir bedenken, da.B kein andres Verhiiltnis der Gegenstiinde zu-
uMiiglichkeitu des Begrijfs von einem Objekte und Moglichkeit einander stattfindet als entweder 1) ein kategorisches oder das
des Objekts sind zwei sehr verschiedene Dinge, und wir miissen 15 15 des Subjekts in einem Urteile ( das Verhaltnis der Substantialitat)
daher beide sorgfaltig unterscheiden. Die erste sagt, da.B sich oder 2) ein hypothetisches ( das der Kausalitat) oder 3) ein dis-
das Objekt denken lasse, nicht, da.B es sein oder existieren junktives ( das der Gemeinschaft der Substanzen); denn keines
konne, welches erst durch die Moglichkeit zweiter Art ausgesagt dieser Verhaltnisse wird durch das Pradikat der Existenz ausge-
wird. Da nun auch die Moglichkeit zweiter Art von den Ver- driickt 7 Vielme[hr] ist es fur sich klar, da.B von ukeinem Verhii.ltnisu
teidigern der Moglichkeit einer Offenbarung behauptet wird, 20 20 der uGegenstii.ndtf die Rede sein konne, ehe ihre Existenz ausge-
so miissen wir vor allen Dingen den Begriff der Existenz un- macht ist. uExistenz driickt also ein Verhiiltnis des Gegenstandes
tersuchen. zum Erkenntnisvermogen aus.u

uExistenzu ist kein konstitutives Pradikat, d. h. es zeigt uns keinen Erkenntnisvermogen kann ich in einer weitern oder engern
Bestandteil des Objekts an. 5 Zwar ist es, wenn es zu dem Begriffe 25 25 Bedeutung nehmen. Entweder verstehe ich unter demselben
eines Objekts hinzukommt, ein neues Pradikat desselben, aber blo.B das Denkvermogen oder begreife ich zugleich das Emp-
es ist deswegen kein Pradikat, das etwas Neues uinu demselben findungsvermogen (den au.Bern und inneren Sinn) mit. (Jenes
setzt. Wurde ich sagen, da.B durch das Pradikat der Existenz ist die engere, dieses die weitere Bedeutung.) Soli nun das
zu dem Objekte etwas Neues in demselben hinzukomme, so Pradikat der Existenz das Verhaltnis des Gegenstands zum Denk-
wiirde ich ja bei dem Hinzukommen jenes Pradikats nicht mehr 30 30 oder zum Empfindungsvermogen ausdriicken?8 Offenbar das
das vorige Objekt haben. Wenn in dem Objekte A zu den letzte. Denn der Gegenstand im Verhiiltnis zum Denkvermogen
Merkmalen a, b, c das Merkmal d hinzukommt, so ist das A oder zum Verstande ist der gedachte Gegenstand, (der Gegen-
urn ein Merkmal vermehrt und also nicht mehr dasselbe. 6 Wenn stand, inwieferne er gedacht wird) 0 . Das Gedachtwerden des
nun durch ein Pradikat nichts Innerliches, nichts dem Gegen- Gegenstands zeigt aber nie seine Wirklichkeit an, sonst konnte
stande an sich (ich mochte sagen: in sich) Zukommendes bei- 35 35 man nie fragen, ob der gedachte Gegenstand auch ein wirklicher
gelegt wird, so mu.B ihm etwas Relatives durch dasselbe bei- sei, und es wiirde sonst analytisch auseinander folgen: Der
1/ 2 gelegt, so mu.B ein Verhaltnis des Gegenstands I zu etwas au.Ber Gegenstand, den ich denke, ist ein wirklicher Gegenstand. Wenn

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Schriften B 3 Moglichkeit einer Offenbarung (spatere Fass ung)

nun aber das Pradikat der Existenz kein Verhaltnis zu mir, aber das in Zeit und Raum Gesetzte ein Mannigfaltiges oder
insofern ich denke, oder zu meinem Verstand ausdruckt, so Vieles sein miisse, erheilt aus dem, daE es in Zeit und Raum
muE es ein Verhaltnis zu mir, insofern ich empfmde, oder zu gesetzt wird. 10 Denn es ist keine Zeit und kein Raum die kleinste
meiner Sinnlichkeit ausdrucken. (Ein Drittes gibt es nicht, da Zeit und der kleinste Raum; es kann daher auch das dieselben 3
es ein Verhaltnis zu mir ausdrucken soil.) 0 Existenz druckt s 5 Erftiilende nie das Kleinste sein, es muE daher Teile haben,
also ein Verhaltnis des Gegenstandes zu meinem Empfmdungs- ein Mannigfaltiges sein. Verhalt es sich nun also mit der Be-
vermogen aus. 0 schaffenheit der Objekte, so ist die Objektivitat eines Begriffs
nichts anders als seine Anwendbarkeit und Beziehbarkeit auf
Der Gegenstand, dem ich nun das Pradikat der Existenz beilege, Erscheinungen, d. h. auf Gegenstande, inwiefern ihre Vorsteilung
muE entweder ein Empfundenes oder ein mit dem Empfun- 10 10 durch Bedingungen des Erkenntnisvermogens (bestimmt wird.

denen nach objektiven (von den Objekten geltenden) Gesetzen Denn Zeit und Raum sind subjektive Bedingungen)D oder ur-
Zusammenhangendes sein. 0 Das Verhaltnis des Gegenstandes, sprungliche Beschaffenheiten desselbenh, vermoge welcher je-
das durch das Pradikat der Existenz ausgedruckt wird, ist also der Gegenstand, der vorgesteilt wird, irgendwo und irgendwann
entweder ein mittelbares oder ein unmittelbares. 09 - Aber nun sein muEc. Der Beweis von dieser Subjektivitat der Vorstellungen
entsteht die Frage: Wie erhalt das Pradikat der Existenz 0 ob- 15 15 Raum und Zeit kann darin gesucht werden, daE das Sein in

jektive Realitat 0 , d. h. Anwendbarkeit auf Objekte? Diese Frage denselben den Gegenstanden unabhangig von aller Erfahrung,
z~rfcillt in ~ie zwei Fragen: 1) Welches sind die Objekte, die a priori, vor ailer Erkenntnis beigelegt wird. Was aber den
Dmge an Sich oder die Erscheinungen? 2) Was berechtigt zu Gegenstanden vor ihrer Erkenntnis beigelegt wird, das muE
der An:vendung auf die eingeraumten Objekte? (1) Kann ich seinen Grund in der Beschaffenheit des erkennenden Subjekts,
auf ~bJekte_ pp.? 2) Wann darf ich den Begriff der Existenz 20 :<.o insofern es Gegenstande darstellt 11 , (in der Sinnlichkeit) haben.
auf em bestimmtes Objekt B anwenden?a)D Dies kann aber nur als die ursprungliche Art und Weise, nach
welcher das Vermogen tatig ist, als die ursprungliche Hand-
Was die erste Frage betrifft, so setzen wir aile Objekte in Zeit lungsweise oder Form des Vermogens stattfmden. lch kann
und Raum. Entfernen wir diese, so haben wir kein Objekt nicht umhin, im Vorbeigehen die Anmerkung zu machen, daE
.25 auch der nicht in Zeit und Raum gesetzte Gegenstand, welchen
~ehr.. Das, (was)A librigbleibt, wenn ich den Gegenstand nicht 25
uichud von dem bloEen Begriff nicht zu unterscheiden weiE
m Zeit und Raum setze, ist der Begriff. Es ist daher leeres
(wobei also aile Anwendung auf Objekte und alle objektive
~ch~ttenwerk, wa_s ich v~n Obje_ktivitat des Be~riffs sage, wenn
2/3 Ich Immer nur mit Begriffen spiele und nicht 1 ein in Zeit und Realitat wegfallen wurde), doch nicht der Gegenstand an sich
Raum gesetztes Mannigfaltiges setze, auf welches ich den Begriff oder der Gegenstand, inwiefern er von meinem Vorstellungs-
30 vermogen unabhangig ist, sondern der Gegenstand, inwiefern
als auf den Gegenstand beziehe und anwende. Das in Zeit 30
er gedacht wird, sein wiirde. Man hatte also wieder das von
und Rau~ ge~etzte Ma~nigfaltige (Viele) so (verbunden)D, daE
der Form des Denkvermogens Hinzugekommene zu bestimmen
es n~r Ems macht, Wird der Gegenstand, auf den ich den
Begnff anwende oder mit dem ich den Begriff verkniipfe. DaE
a Orig.: »dieselbe«
3 b von Diez gestr.: »(z. B. denjenigen)0 «
verbessert aus: »Wann darf ich einen bestimmten Begriff A auf ueinu Objekt
B anwenden?« c von Diez gestr.: »(, bestimmt wird)0 «
b d Klammerbemerkung his zur Unleserlichkeit gestr., wahrscheinlich durch Diez
gestr.: »aus«, wahrscheinlich durch Diez

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Schriften B 3 Moglichkeit einer Offenbarung (spatere Fassung)

und abzusondern. Wo ist dies geschehen? Es bleibt also, we- Zeitbedingungen gekniipft ist. Ebensowenig darf uns die Ko-
nigstens unter den gemachten Voraussetzungen: 0 Das Pradikat existenz der Ursache und Wirkung, z. B. des geheizten Ofens
der Existenz kann nur in Hinsicht auf Erscheinungen objektive und der Warme in der Stube 13, irremachen. Denn es ist ja
Realitat erhalten. 0 nicht von einem Zeitablazife, sondern von der Zeitordnung oder
5 s der Ordnung der Objekte in der Zeit die Rede, und da ist es
Aber nun kommt die zweite Frage: Was berechtigt mich, dieses ja notwendig, zuerst die Ursache und dann die Wirkung zu
Pradikat auf ein Objekt anzuwenden? Auf blo~e Begriffe hin, setzen. 14 Wenden wir nun diese Bestimmungen des Begriffs
schlechthin a priori darf ich es durchaus nicht. Empfmdung von Existenz auf den Begriff der 0 Mi/glichkeit eines Gegenstandesu
und Wahrnehmung der Empfindung mu~ hinzukommen. Dies an, so sehen wir von selbst, da~ auch diese nur durch Erfahrung
hei~t aber keineswegs, da~ ich es nicht komparativ a priori, 10 10 ausgemacht werden kann. Nicht das dem Begriff nach nicht
d. h. nach Gesetzen, welche micha den Zusammenhang eines Widersprechende, sondern das,a (wovon ich aus Erfahrung sein
Nicht-Empfundenen mit einem Empfundenen lehren, tun diir- Verhaltnis zu meiner Erkenntnis kenne, ist dem Gegenstande
fe. 12 So darf ich z. B. nach dem Gesetz der Kausalitat zu dem, nach oder real-moglich. Dies)D la~t sich (aber)D, wie wir ge-
was geschieht, eine Ursache als existierend annehmen. Hiebei sehen haben, durch blo~e Begriffe durchaus nicht ausmachen.
wissen wir aber blo~, dcy'Jund wieetwas (namlich im Verhaltnisse 15 15 Man darf daher weder eine neue Substanz noch eine neue
der Ursache zur Wirkung), nicht was existiert. - Ferner ist zu Modifikation einer Substanz als moglichb (von einem Gegen-
bedenken, da~ der Grundsatz der Kausalitat nur in der Er- stande)D ausgeben, wenn man ihre Existenz nicht durch Er-
3/4 scheinungswelt Anwendbarkeit auf Objekte hat und da~, I da fahrung bewahren kann. Ein gefhigelter Mensch z. B. kann ge-
seine Anweisung die ist, da~ ich zu dem, was ich in der Zeit dacht werden ohne Widerspruch der Begriffe, aber (seine Mog-
antreffe, etwas annehme, was in der Zeit, welche nun die Be- 20 20 lichkeit dem Gegenstande nach oder)D seine reale Moglichkeit
dingung der Gegenstande, inwiefern sie erscheinen, ist, vor- la~t sich aus Begriffen nicht demonstrieren. Es mu~ einer exi-
hergesetzt werden mu~, ich immer von Ursache zu Ursache stiert haben, wenn wir zu sagen befugt sind, ein gefliigelter
aufsteigen miisse ( denn das Gebot, zu dem in der Zeit Ange- Mensch kann existieren; denn die empirischen Gesetze, nach
troffenen etwas vorher in der Zeit zu Setzendes anzunehmen welchen wir zu der Erscheinung ein Subjekt oder eine Ursache
und zu suchen, ist immer das namliche) und nie zu einer 25 25 annehmen miissen, d. h. die Grundsatze der Substantialitat oder

letzten Ursache kommen konne. Es erhellt daher auch, daE Kausalitat konnen uns nicht vermittelst des notwendigen Zu-
der Begriff einer letzten Ursache nie objektive Realitat habe, sammenhangs einer wahrgenommenen Empfmdung mit seinem
dab er nicht auf Erscheinungen pa~t und diese doch allein die Dasein auf sein Dasein leiten. Inzwischen scheinen die gewohn-
z~r Anwendung des Begriffs gegebenen Objekte sind. Die Ein- lichen Urteile diesen Behauptungen sehr entgegen zu sein. 15 Ich
~Isch~ng der Zeitbedingungen in den Begriff der Ursache als 50 30 wiirde z. B. dem gewohnlichen Urteile gem~ gar wohl sagen

emes m der Zeit vorher sich Befmdenden, das ein andres not- konnen: Es ist real-moglich, d~ mein Freund seine Meinungen
wendig zur Folge hat, darf durchaus nicht befremden. Denn von dem Pradikat der Existenz auf diese Vorstellungen nicht
es is~~~ nur vo~ dem Begriff der Ursache, insofern er objektive andert, und doch habe ich es noch nie erfahren, ob er auf diese
Reahtat hat, dte Rede, in welcher Hinsicht er notwendig an
a von Diez gestr.: »was existierenkann, ist real-moglich. Ob aber etwas existieren
konne,«
a (wahrscheinlich von Diez) gestr.: »mit«
b verbessert aus: »daher« b von Diez verbessert aus: »real-moglich«

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Schriften B 3 Moglichkeit einer Offenbarung (spatere Fassung)

Vorstellungen seine Meinung geiindert hat oder nicht. Ware nun die Welt und die Menschen. Ja, was noch mehr ist, derjenige,
ein solches Urteil falsch oder wahr? Ohne Anstand wahr, nicht der diesen Glauben unverwerflich legitimiert hat, soli in seiner
als ob hier eine Befugnis eintrate, ohne Erfahrung etwas als Kritik der Urteilskraft 16 (die ich noch nicht gelesen habe) dies en
real-moglich auszugeben, sondern eben, weil das Urteil auf Er- Glauben auch in theoretischer Hinsicht zur Erklarung der Welt-
fahrung gegriindet ist. Es ist mir namlich Erfahrungssatz, daE 5 s phiinomene empfehlen; und wer wird nicht, wenn er einen
Selbstdenker auf noch so gegriindete Vorstellungen, die ihnen Gott als Weltschopfer und Weltregenten glaubt, mit Hille dieses
fremde sind, ihre Meinung ungeiindert gelassen haben. Nun sub- Glaubens Begebenheiten der Welt erklaren? Dies mag jedem
sumiere ich auch auf Erfahrung meinen Freund unter die Selbst- unverwehrt bleiben und mit dem besten Fuge geschehen, solang
denker und meine Vorstellungen, die ich als die Meditationen er seine Erklarung nicht fur objektiv richtig (als den Objekten
4/ 5 des I tiefsinnigsten Philosophen auf keine eigenliebige3 Weise 10 10 gemag), sondern seinen Erklarungsgrund blog als subjektiven
sehr gegriindete Vorstellungen [... ]fahrungb unter die ihm frem- Behelf zur Erkliirung ausgeben will. Was aber eine Erklarung
den Vorstellungen und nehme nun keinen Anstand, von [... ] besage, die objektiv unzureichend befunden wird, und welche
von der Gattung gilt. Nur etwas mug ich ihm noch zu Gemiit Bestimmungen erfordert werden, dasselbe fest zu glauben, be-
ftihren, das d[... ] vermindern und die neuen Vorstellungen mit darf keiner Erlauterung. Man nimmt ihn, wie gesagt, als sub-
den alten vielleicht vertrauter machen [ka]nn. Eben damit, daE 15 IS jektiven Behelf zum Erklaren und verstattet ihm ohne praktische
das Pradikat der Existenz eines Gegenstands als das Pradikat Notwendigkeit keinen praktischen EinfluK Diese praktische Not-
seines Verhaltnisses zu unsrem Erkenntnisvermogen angegeben wendigkeit fmdet aber nur bei Handlungen statt, die schlechthin
wird, wird durch die Behauptung der Unerweisbarkeit eines verrichtet werden miissen, und unter diese zahlt man das Er-
Gegenstands nicht die absolute Nichtexistenz desselben behaup- kliiren nicht. Die aufgestellte Hypothese mochte also so tauglich,
tet, sondern nur die Erweisbarkeit seiner Existenz for uns ge- 20 20 als man will, zum Erklaren befunden werden -was bei manchem
leugnet. - Kehren wir nun zu dem Zweck unsrer Untersuchung Beurteiler dessen, was erklart wird, nicht in hohem Mage statt-
zuriick, so sehen wir von selbst, dag ein gedoppelter Fehler fmden diirfte -, so ware doch der Bestimmungsgrund, sie an-
begangen wird, wenn man zu dem Unterrichte A eine Wirkung zunehmen, nicht sehr wirksam. Notwendige praktische Zwecke,
Gottes als die Ursache desselben annimmt. Erstlich nehmen wir deren Erreichung ohne das Dasein eines moralischen Weltre-
eine letzte Ursache an, und der Grundsatz der Kausalitat la:Et 25 25 genten nicht stattfinden wi.irde, bestimmen mich, den objektiv
uns, sofern er objektive Realitat hat, nie bei einer Bedingung ungegriindeten Glauben an ihn anzunehmen. Wo sind solche
als der letzten stille stehen, sondern heigt uns in indefinitum Zwecke, die mich den Glauben an ihn als Ursache einer Of-
zu einer vorhergehenden iiber[zu]gehen. Zweit~ns nehmen wir fenbarung anzunehmen bestimmen sollen? Wer sieht nicht viel-
?ie reale ~oglichkeit dessen an, was dem Begriffe nach moglich mehr, dag sie nie existieren konnen, da der Mensch die einzige
1st, was WIT aber durch keine Erfahrung bewahren konnen. 30 30 (fehlende und notwendige)D Bedingung, moralisch zu handeln
- dies sind die schlechthin zu verrichtenden Handlungen -,
Nun kommt (aber)D ein andrer wichtiger Umstand hinzu. Man durch den Glauben an Gott, welchen er dem Glauben an ihn
glaubt das Dasein Gottes und ebenso seine Wirksamkeit auf als Urheber einer Offenbarung voranschicken muE, bereits er-
ganzt hat? Was werden nun aile Hypothesen, die Gott als Urheber
a von Diez verbessert aus: ,eigentliche« 35 einer Welt aufstellen? Bestimmung des Begriffs von objektiver

b. Die rechte obere Ecke des Blattes ist abgerissen. Daher riihren diese und Realitat und Wi.irdigung des Glaubens zeigt den mannigfaltigen
d1e folgenden Liicken. lrrtum und die Unerheblichkeit dessen, was etwa mit Grunde

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Schriften B 3 Moglichkeit einer Offenbarung (spatere Fassung)

behauptet werden konnte. Wegen der Anwendung auf eine aber doch planen Gang der Rede nicht passend und als Ak-
bestimmte Offenbarung 17 kann ich nicht umhin, noch einige kommodation25 einer poetischen Stelle eines Propheten wegen
Gedanken zur Pri.ifung vorzulegen. des volligen Mangels einer Spur von Akkommodation, etwa
eines tva JtAT]QW{}] 26, ebensowenig in dem Zusammenhang
Exegese und Philo sophie, welche jene vorgezeichneten Grenzen 5 5 tauglich; und was sollte denn alsdann V. 31 besagen? - 2)
der von uns bestimmbaren oder erkennbaren Objekte und Sollen diese Vorboten Eu{h~wc; [-~.Eta (gleich nach)D t~v -frP.I:'\jJLv27
i.iberhaupt die neue Kritik der Vernunft sowohl in theoretischer eintreten. Dies ist ohneh(in) die nati.irliche, zweitens die durch
als praktischer Hinsicht nicht anerkennt, werdena bei der Schat- die Begriffe der Ji.inger und die Parallelstellen Mark. 13,24
zung jener Lehre, von welcher der Ubergang auf Gott als Ur- und Luk. 21,25 bestatigte Erkliirung. Was ist nun die -frP.I:'\jJLc;?
heber derselben geschehen soil, [ma]ncheb Auswege in dog- 10 10 Nach dem ganzen Kontext ein Ungli.ick, das die Ji.inger, wenn
18
5/6 maticis , wenn diese gegen I [ ... ]c [g]eft.ihrt werden, fmden, nicht aile, doch groEenteils erleben sollten. Dies ist die Erklarung
daE es wohl der Mi.ihe wert sein wird, andre Spuren aufzu[ ... ] der meisten Ausleger28 und meines Bedi.inkens die allein gi.iltige.
[...] sem Zwecke lei ten. Und sollten diese nicht in Matth. 24,29 ff. Was auf diesen Fall ft.ir die Weissagung und die Ehre des
anzutreffen sein? 19 Hier [... ] [d]urch den Erfolg widerlegt. 20 Propheten folgen wi.irde, erhellt von selbst. 29 Allein Herr Storr,
Die Gri.inde sind ohne weitere Ausft.ihrung folgende: 1) Christus 15 15 der den ersten Punkt zugibe 0, macht wegen des zweiten31 den
verki.ind[ ... ] Vorboten einer herrlichen Zukunft21 seiner Person Versuch einer neuen Erklarung, der uns die Widerlegung aus
und eine sichtbare Erscheinung als Richter und Regent der dem Erfolge ebenso aus der Hand wenden soli, als es in der
Welt. [De]nn a) fragen die Ji.inger nach diesem; dies erhellt Apologie des Propheten Johannes versucht ist. 32 Er versteht
aus dem Ausdruck und den damaligen Meinungen ( cf. Koppii unter der -frP.I:'\jJLc; das noch fortdauernde Ungli.ick des Ji.idischen
Excursus I ad Ephesios de voce atwv oiitoc;);22 b) ist kein 20 20 Volks (siehe Dissertatio, 179033 ); und den Grund hiezu findet
Grund anzunehmen, daE sich Jesus dieser Antwort entziehen er in V. 22 (so (un)Dgi.instig dieser auch nach dem Zusammen-
wolle; c) ist die Antwort nirgends anders zu suchen als hier. hang Init V. 20, 21 und allen vorhergehenden Versen zu sein
25,31 f. kann nicht entgegengesetzt werden, a) weil die Kap. scheint). Dann argumentiert er: 1) Die Dauer der Belagerung
2~ und 25 in einer solchen Verbindung stehen, daE das letzte sei von keinem EinfluE auf die Christen gewesen; 2) ihre Ab-
mchts Neues anzuzeigen scheint, ~) weil diese Worte mehr 25 25 ki.irzung daher keine Wohltat fur sie; deswegen seien 3) unter
Ri.ickweisung auf die Worte quaestionis und Erklarung dersel- EXAEXtol:c;34 die Edle[n] unter den Juden zu verstehen; und
ben, also Bestatigung derselben zu sein scheinen, y) weil bei nun wirft er 4) den Zweifel auf, wie dann eine langere Dauer
Mark. und Luk., wo eben diese Fragen und eben diese Antwort der Belagerung das so weit zerstreute ji.idische Volk hatte auf-
23
zu suchen sind , der (als Anhang hinzugeft.igte) Inhalt des reiben konnen. Man kann ihm einwenden: a) Die -frP.I:'\jJLc;, wenn
25. Kap. fehlt. 6) Aus diesen Gri.inden wi.irde sehr unschicklich 30 30 sie auch ganz auf die Belagerung eingeschrankt werde, sei von
hier .eine .poe?sche Schilderung einer andern Begebenheit24 wichtigem Einflusse sowohl auf die (nach Pellaa) geflohenen
statmert; s1e ware aber i.iberdem in dem zwar nachdrucksvollen, und auf die zuri.ickgebliebenen Christen ( denn nur ein groEer
Teil war geflohen?5 und daher ihre Abki.irzung eine Wohltat
a Orig.: »Wirdoc fur sie. b) Die Ausweichung durch eine andre Deutung des
b Beschadigung am unteren Blattrand
35 ExAEXtoc; habe zu sehr den neutestamentlichen Sprachgebrauch
c Die linke ober~. Ecke des rechten Blattes ist abgerissen (vgl. eben S. 146
Anm. b). Daher ruhren cliese und die folgenden Lucken. a Orig.: »Pellreoc

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Schriften B 4 Uber Matthiius XXIV, 29 ff.

gegen sich. c) Bei dem oux av £m1YfrTJ :rr;aoa oag~ 36 sei gar
nicht an zerstreute Mitglieder des judischen Yolks, sondern an B4
die im Lande uberhaupt lebenden, ohne Zweifela mehrere Chri- Immanuel Carl Diez
sten mitgerechnet, zu denken. d) Mu~ Storr das ocp~ea'frm37 Uber Matthaus XXIV, 29 ff.
von der Beseligung durchs Evangelium verstehen; aber was 5 (Wahrscheinlich zwischen dem 21. Februar
berechtigt ihn zu dieser Einschrank.ung? Sprachgebrauch? Wenn und dem 9. Marz 1791) 1
dies auch zugegeben werden mu~, so schickt sie sich doch zu
seiner Erklarung, wie es scheint, nicht. Er setzt diese Juden- tiber Matth. XX177;29if
bekehrung nach der 'fi'A.t:'tjnc; und das Ende der {}A.t:'tjn<; und das Konnen diese Worte vom Ende der Welt oder von der Zu-
Ende der Welt in Einen Zeitpunk.t. Sollen die Juden nun im 10 kun..f'? Christi zum jiingsten Gericht erklart werden?
Himmel bekehrt werden? Oder will er jetzt erst die bei der
ganz gewohnlichen Erkliirung von dem Ende der Welt ge- 5 Eu'fr£wc; 3 in einem sensu latiori zu nehmen und etwa mit Hinsicht
brauchte Nachhilfe mit dem cu'fr£wc; auch zu Hilfe nehmen? 38 auf die Petrinische Stelle zu erkliiren, wo es heille, 1000 Jahre
Ich glaube fast nicht, urn so mehr, dab in der Verwerfung seien bei Gott wie ein Tag\ ware ebenso unphilologisch als
derselben ohne Zweifel der Grund des neuen Versuchs zu 15 unphilosophisch. Eu'fr£wc; hat keine andre Bedeutung als: so-
suchen ist. Aber uberdies mu~ er durch die in Apologie l. c. gleich, plotzlich; und diese Worte lassen keine weite Ausdehnung
schwach gegrundete Bedeutung des ycvca (natio) 39 und eine 10 zu, wenngleich ein mehr oder weniger bei dieser Ausdehnung
wieder dem Zusammenhange nicht sehr gem~e Deutung des statthat. Dieses mehr oder weniger haben wir aber nicht nach
Cl ;,r~ 1

o,;av LuTJ'tc :rr;avta 'taiha40 eine Art nachhelfen, die, mit den dem Ma~stabe zu schatzen, welchen Gott gebraucht; und wenn
vorigen Grunden zusammengenommen, seine Erklarung durch- 20 wir auch zugeben mussen, da~ in Beziehung auf Gott dasjenige,
ausc unzulassig macht. was nach menschlicher Berechnung sehr spata erfolgt, sehr bald,
15 plotzlich erfolgend vorgestellt werden kann, so mussen doch
Sollten diese Bemerkungen nicht ungegrundet sein, was wollen Anzeigen entweder in der Rede selbst oder in dem Zusam-
wir weiter Zeugnis?4 1 menhange gegeben sein, welche uns diese Beziehung naher
einsehen lassen, als hier geschieht. Wir mussen also dem cu'I'Mwc;
die gewohnliche Bedeutung: plotzlich, in dem gewohnlichen
20 Sinne lassen. Es fragt sich nur, mit was es zunachst verbunden
werden musse; ob mit den Worten !!Eta 't~v 'frA.t:'tjnv 5 oder mit
dem verbo? Dem Sinne nach wird es das namliche sein oder
wenigstens keinen betrachtlichen Unterschied hervorbringen,
ob ich die Worte so verbinde: nach der 'frA.t:'tjn<; wird es plotzlich
25 geschehen, oder so: plotzlich nach ded}A.t:'tjnc;wird es geschehen.
Wenn Christi Sinn dahin gegangen ware, da~ er Eu{Mwc; mit
dem verbo verbunden und einen unbestimmten Zeitraum zwi-
a gestr.: »wenigstens« schen der Zeit der frA.'i:'tjn<; und der Zeit der Sonnenverfinsterung
b Wort bis zur Unleserlichkeit gestrichen
c Wort bis zur Unleserlichkeit gestrichen a vom Abschreiber gestr.: »ist,«

151
150
Schriften B 4 Uber Matthi.ius XXIV, 29 ff.

sich gedacht hatte, so worden wohl nahere Bestimmungen der Grund hierzu gerade in dem Satz, der die Abkiirzung der
1/2 Worte seinen Sinn zu erkennen gegeben haben. l Da aber diese -frA.hjnc; verkundigt, und er leitet die Sache so ein: Er behauptet
nahern Bestimmungen fehlen, so nehmen wir die Worte so, erstlich, die Iangere oder ki.irzere Dauer der Belagerung Jeru-
wie sie ohnehin nach der Stellung der Worte zunachst genom- salems wi.irde von keinem erheblichen EinfluE auf die Christen
men werden mussen. Wir verbinden das Ev-frtwc; zunachst mit 5 5 gewesen sein. 9 Allein hiebei scheint er sowohl die -frAX'\jJtc; in
dem flEta tT]v -frAX·\jJLv, und nehmen daher nicht sowohl eine einem zu eingeschrankten Sinne zu nehmen, als auch in dem,
pliitzliche Verfinsterung der Sonne an, als daE sie sich plotzlich was er von den Folgen der -frA.T'\j!tc; sagt, eine zu gewagte Be-
flEtU tT]v -frA.T'\jnv verfinstern werde. hauptung aufzustellen. Mancher Ausleger fmdet vielleicht gar
Ursache zu zweifeln, ob Christus die Belagerung Jerusalems
Nun entsteht aber die wichtige Frage, was durch jene -frA.i:'\jJL~ JO IO vor Augen gehabt habe. Inzwischen, wenn dies auch zugegeben
bezeichnet werde. Wurde etwas bereits Vergangenes bezeichnet, wird, (soil die {}A.T'\jJtc; etwa nur die Belagerung begreifen)A,
so muEte Christus sich geirrt oder seine Junger getauscht haben, wie Herr Doktor Storr damit anzuzeigen scheint, daE er nur
oder die Verfmsterung der Sonne ware bereits vorgegangen von dem Einflusse der Dauer der Belagerung spricht? War die
und ware nicht von einer eigentlichen Verfinsterung, die beim -frAT'\jJtc; nicht da, ehe die formliche Belagerung anfmg? Oder
Weltende vorgehen soli, zu verstehen. Wurde etwas noch Dau- 15 15 horte sie mit derselben auf? Es ist wahr, die -frAT'\jJtc; war unter
erndes oder Bevorstehendes bezeichnet, so konnte die Verfm- der Belagerung am hochsten, aber sie mag auch noch vor und
sterung in alleweg6 buchstablich zu verstehen sein und miiBte nach derselben groE und auch in Hinsicht auf die Junger und
vielleicht buchstablich verstanden werden. die mit ihnen lebenden uchristenua groE gewesen sein. Gesetzt
aber, die -frAT'\jJtc; sei ausschliessend in die Belagerung zu setzen,
Herrn Doktor Storrs Dissertatio, 1790, erklart die {}A.i:'\jJLV ~IJ.EQWV 20 :<-o sollte deswegen ihre Abki.irzung fur die Christen keine Wohltat
exdvwv auf die letzte Weise. 7 Die Grunde, warum sie als etwas gewesen sein? I Herr Doktor Storr gesteht ihr selbst immer 3/ 4
noch Dauerndes anzusehen sei, werden in V. 22 gesucht. Allein, einigen EinfluE zu; aber er wird doch etwas hoher anzusetzen
wenn ich diesen Vers in seiner Verbindung mit V. 20, 21 be- sein, als er ihn anzusetzen scheint. Er setzt namlich dabei von
trachte, so finde ich vielmehr das Gegenteil. Christus sagt seinen den Christen voraus, eos mature aufugisse 10, und zitiert dazu
Jiingern, sie sollen beten, daE die Zeit der Flucht nicht in den 25 25 LeE, Uber die Religion, T. II, p. 559. Dieser sagt aber nur, daE
Winter falle (y. 20), denn die -frA.T'\jnc; werde alsdann sehr groE ein groEer Teil der Christen nach Pella, einer Stadt jenseits des
sein (y. 21 ), so groE, daE alles aufgerieben wurde, wenn die Jordans, geflohen sei.11 Sollten wir also nichtb Zuri.ickgebliebene
-frA.T'\j!tc; auch langwierig ware; wegen der exA.ExtG:>v 8 aber solle (annehmen) 0 und sowohl in Hinsicht auf diese, als wegen der
sie abgekiirzt werden (y. 22). Offenbar wird hier die Beschaf- Nahe der Armeen auf die i.ibrigen die Verki.irzung der -frAX'\jJtc;,
.</3 I
f~nheit der-frA.T'\j!tc; als der Grund angegeben, warum die Jiinger 50 30 wenn sie auch nur die Belagerung begreifen sollte, von wich-
d~e Fl~cht auf den Winter verbitten sollen, zugleich aber wird tigem Einflusse glauben, ihre ki.irzere Dauer als eine Wohltat
~1e -frA:L'\j!Lc; als abzukiirzend verkiindigt. Wo soli nun der Grund fur die Christen ansehen di.irfen? Brachte der Friede, der auf
liegen, der -frA.T'\j!tc; die lange Dauer beizulegen, die ihr Herr Jersualems Zerstorung folgte, nicht wesentliche Vorteile vor
~?ktor Storr gibt? Was soli uns berechtigen, dem, was fur die
Junger Bestimmungsgrund zur Flucht werden soli und welchem 55
sie durch die F1ucht sich sollen zu entziehen suchen, jene a Unterstreichung von Diez
weite Ausdehnung zu geben? Herr Doktor Storr findet den b von n·•ez gestr.: , fi.ur d.1e«

152 153
Schriften B 4 Ub er Matthaus X:XN, 29 ff.

die uchristenua mit sich? Begreift nun aber die Zeit der ttA.I:·IjJL~ ausrotten sollen, dag keine jiidische Nachkommenschaft, fUr
etwa aucb einige Zeit vor und nach der Belagerung, wie wir die Gott babe sorgen wollen, mehr hiitte zur Welt kommen
oben vermuteten, (so diirften wir urn so weniger Anstand neh- konnen. 13 Allein, was notigt uns dann bei dem oux av eawttl']
men zu glauben, dag)Db die kiirzere oder liingere Dauer der naaa aag1; 14 an die durch die weite Welt zerstreute Mitglieder
ttA.I:'IjJL£, wennc sie auch vorziiglicb auf den jiidischen Staat (be- 5 5 des jiidischen Yolks zu denken? Es scheint, wenn wir das Yolk
zogen wird)Dd,e von erheblicherem Einflusse auf die Christen im jiidischen Lande vor Augen haben und etwa die auch im
(gewesen sei)nr. Lande befindlichen Christen, die meist Ingeborne des Lands
gewesen sein mogen, dabei nicht iibersehen, so wiirden die
Die zweite Behauptung Herrn Doktor Storrs ist, d~ der Ausgang Worte einen befriedigenden und vielleicht dem Sinne Christi
der Belagerung nicht so beschaffen se:i, d~ die Abkiirzung der- IO 10 gemiiBen Sinn geben, der Zusammenhang natiirlich sein und
selben fur eine Wohltat fur die iibrig gebliebnen Juden gehalten schwerlich erhebliche Schwierigkeiten sich dagegen setzen. Herr
15
werden konneY Allein dies diirfte (entweder als nicht hieher Doktor Storr hat aber noch einea Bedeutung fur das £aw'l'tl]
gehorend (weil von den Juden bier, wo von exA.t::x-rol:£ die Rede aufgestellt, die neue Schwierigkeiten zu erregen scbeint. Er
ist, nicht die Rede sein kann) zugegeben werden, oderB)D, wenn wilL man solle es von der Beseligung durch das Evangelium
16
exA.Ex-ro( auch von den Juden verstanden werden konnte und 15 15 verst eben. Allein, wenngleich die awttl]OO!!EVOL in den zitierten
wenn auch von den Belagerten aile entweder ermordet oder in Stellen Matth. 24,13 und 10,22 zu ibrer Seligkeit durchs Evan-
Gefangenschaft weggefuhrt und da den Tieren grogtenuteilsuh gelium gelangen, so heigt deswegen acbscattm' 7 iiberhaupt,
vorgeworfen worden sind, (so liege sich)D doch noch behaupten\ wie sich's von selbst versteht, noch nicbt: durch das Evangelium
d~ hA.cx-rol:£ der Juden die friihe Beendigung der Belagerung zur Seligkeit gelangen. Hier aber V. 22 bei acbscattm gerade
Wohltat geworden sei. (Es wiirde also auf keinen Fall aus dieser 20 :<.o an Beseligung durch das Evangelium zu denken, ist urn so
4/5 Behauptung fur Herrn Doktor Storr etwas folgen.)D I schwerer, als acbscattm bier die Bedeutung von Beseligung gar
nicht zu haben scheint. Es diinkt mich viel natiirlicher, dem
Was die Storrische Erkliirung am wenigsten empfiehlt, ist die acpscattm bier nur die Bedeutung von "erhalten werden" zu
dritte Behauptung, die zu Hilfe genommen wird. Herr Doktor geben, so d~ der Sinn ware: Es wiirde alles aufgerieben werden,
Storr sagt, er sehe nicht ein, warum eine tangere Dauer der 25 25 wenn die ttA.I:'IjJL£ I nicht abgekiirzt wiirde. Es kommt aber durch 5/6
Belagerung das ganze, durch so viele und so weit voneinander V. 29 ein besondrer Umstand hinzu, der die Storrische Bedeu-
endegene Gegenden zerstreute jiidische Yolk so sehr hiitte tung von awttfjvm18 verwerflich macht. Hier heiBt es (nach
der Storrischen Erkliirung), dag nach der ttA.I:'IjJL£ das Weltende
sogleich erfolgen werde. Will nun Herr Doktor Storr die ttA.I:'IjJL£
a Unterstreichung von Diez
JO des jiidischen Yolks erst mit dem Ende der Welt aufhoren
b von Diez gestr. : »warum sollte«
c von Diez gestr.: »Wir«
lassen, so miigten die nach der ttA.I:'IjJL£ durchs Evangelium zu
d von Diez gestr.: »beziehen«
beseligenden Juden erst in der andern Welt nach dem Ende
e von Diez gestr.: »nicht« der gegenwiirtigen durchs Evangelium beseligt werden. Ist aber
f von Diez gestr.: »sein« dies, warum soli alsdann die ttA.I:'IjJL£ der Juden Hindernis an
g vom Hrsg. gestr.: »wenn EXA« (Dittographie)
h Unterstreichung von Diez
i von Diez verbessert aus: »behauptet werden« a gestr.: >>neue«

154 155
Schriften B 4 Uber Matthaus XXIV, 29 ff.

ihrer Beseligung durchs Evangelium sein? Warum sollen sie Levit. 32 25,41 ft.ir Familie, Jer. 8,3 aber ft.ir Nation gebraucht. Es
jetzt nicht schon, da die tl-A.i:'tjJL~ ex hypothesi noch dauert, in erhellt von selbst, daE nach diesem Beweis die Bedeutung ,Nation"
jener Welt durchs Evangelium beseligt werden? Aus diesem von y£v£a perquam rara33 ist, da sie nur Jer. 8,3 steht, daE sie
allem erhellt, daE sowohl die Griinde, von welchen die Dis- hier wegen des <puA.aL V. 30 sich nicht sehr anbietet und daE
sertatio ausgeht, die vorgeschlagene Erklarung der {tA.I'tjJL£ fest- 5 5 <puA.~ ft.ir Nation nur in dichterischen Stellen angetroffen wird,
zusetzen, als auch die Erkliirung, die dieselbe ft.ir das ow~£Lv 19 Jesus hier aber nach der vorgeschlagenen Erkliirung sich gar
notig macht, so beschaffen sind, daE wir derselben nicht folgen nicht dichterisch ausdriicke. Es ist auch noch zu bemerken, [daE]
konnen und -&A.I'tjJLv also wie gewohnlich 20 von (dem)A (zur Zeit Y£V£a (Jer.l.c.) in Beziehung auf Eine Generation I eines Yolks 7/8
der Apostel)Daverflossenen Elende im jiidischen Lande erkliiren, verstanden werden konne und <pUA~ in den andern Stellen viel-
die Sonnenverfinsterung usw. aber, wenn wir Chris tum Wahrheit 10 10 leicht auch dahin einzuschriinken sei.
reden lassen wollen, als verflossen annehmen. Nicht geringe
Bes6itigungen scheinen auch darin zu liegen, daE V. 33 das Diese weitliiufigen Untersuchungen machte uns nur Herrn Dok-
2
'Lorp:;£ :n:;av1:a 1:aiha ' von Herrn Doktor Storr iibersetzt werden tor Storrs Scharfsinn notig, der es am besten geft.ihlt zu haben
muE (Dissertatio p. 40): cum ista omnia et ucalamitas longa 0 scheint, daE eine fur die Einsichten Christi giinstige Erkliirung
jud~icae gentis et ufmisu calamitatis exitum habebunt pp. 22 Sollte 15 15 dieser Stelle von dem Weltende nicht durch eine seltsame Be-
Christus, wenn er dies sagen wollte und wenn er als der erleuch- deutung von dem Eu-frEW£ oder durch eine unnatiirliche Ver-
6/ 7 I
teteste Prophet den Blick in den so bestimmten Gang der Schick- bindung desselben mit dem verba moglich werde, sondern
sale des jiidischen Yolks und der Welt geworfen hat, sich so aus- daE, wenn sie moglich sei, sie durch eine andre als die ge-
gedriickt haben: owv LO'Y]"t£ :n:;av1:a 1:ail1:a (u!-LEL£ ot !-La'frYJwL) 23? wohnliche Bestimmung des {tA.I'tjJL£ versucht werden miisse.
Ich nehme hiebei keinen Anstand, auch auf das aufmerksam zu 20 20 Wenn wir ihm aber in dies em Yersuche nicht beistimmen, miissen
machen, daE in dem ganzen Kapitel die Rede sich zuniichst zu wir alsdann nicht annehmen, daE Christus entweder geirrt oder
d.~n Aposte~ wendet und daE also das LO'Y]"t£ wirklich auf die seine Junger getiiuscht habe oder daE die Sonnenverfinsterung
Junger zu z1ehen [ist] und [man] es nicht etwa durch ein ,wenn gar nicht buchstiiblich zu verstehen und als vergangen anzu-
man gesehen haben wird" iibersetzen diirfe. Was ferner die an- sehen sei? I 8/9
genommene Bedeutung von y£v£a 24 fur Nation betrifft, so schickt 25 25
sie sich nic~t nur gut in den Zusammenhang bei der vorgeschla- Diejenigen, welche diese Worte auf die Zerstorung Jerusalems
gen~n Erklarung, sondern ist fur dieselbe auch notwendig, aber deuten 34, sind vor allen Dingen auf die Frage der Jiinger V. 3
0 ~ s.1e nur ~aula rarior, ob sie auch usui loquendi consentanea 25 aufmerksam zu machen. Man liiEt sie entweder nur nach der
~e1, 1st zweife!haft. Der Erweis in der Neuen Apologie 26 p. 324 f. Zeit der Zerstorung Jerusalems und nach den derselben vor-
1st, daE y£v~a V. 34 eben die Bedeutung hat wie <puA.at27 V. 30 30 30 angehenden Zeichen fragen, oder sie fragen auch nach der
(~as ~lie, die hier keine Prophezeiung vom Weltende finden 28• Periode des Messias, in welcher sein Reich anfange; und dies
fur ~~mme des Vo~s nehmen). <l>uA.~ entspreche dem i1 M~a C29• kann wieder in dem gedoppelten Sinne genommen werden,
Familie, das z. B. Mich. 2,3, Zach. 14,17£ eine Nation bedeute, so daE entweder die Yerbreitung seiner Religion oder seine
und Y£V£a werdevonPhilo30 ofters, aber auch von der Septuaginta31 herrliche Zukunft zum Weltgericht verstanden wird; 3 Hammond

a von Diez gestr.: »Schoo« a gestr.: »Oder«

156 157
Schriften B 4 tiber Matthaus XXIV, 29 ff.

und die, die ihm folgen, erklaren das ouvr£A.na ,;ou atwvo~35 Frage der Junger vortragen, so scheint's, als hatten wir bei
von dem Ende der Zeit, durch welche der judische Staat be- einem Markus das :rtavta "t'aiJ'ta nicht nur mit Hinsicht auf
stehen soil. Allein es ware sehr willkurlich, (dem)Aa unbestimm- die Zerstorung des Tempels, auf die sich das vorangehende
ten auvt£A.ua ,;ou at&voc; eine solche Bestimmung zu geben. 36 'taiJ'ta bezieht42, (sondern)D etwa in dem Sinne, daE es dem
Glucklicher ist vieileicht die Vermutung, daE das 'tl 1:0 OT]flELOV s 5 atwv mJLO<; gleichkame, zu nehmen, und Lukas laEt die Junger
Tfjc; ouv't£A£Lac; LOU at&voc; 37 nach dem ,;(, "t'O OTJ!J.ELOV, (hav freilich nur nach der Zerstorung Jerusalems 43 fragen, ailein
flEAATI :rtav"t'a ,;au,;a OUV't£A£1:oftm38, Mark.b 13,4 oder nach warum soilten wir nicht annehmen, daE er entweder die Frage
Luk. 21, 7, wo statt des OUV"t'£A£'Loftm y£v£oftm39 steht, zu er- nur unvoilstandig mitteilt oder die Zerstorung Jerusalems und
klaren sei. Allein diese Erklarung (wurde)Dc nicht sehr glucklich dieab ouv'tEA.ELa LOU atwvoc; als zwei in Einen Zeitpunkt fallende
(sein)Dd, ohne daE man damit leugnen woilte, die Erzahlung 10 10 Begebenheiten, so wie es die Junger zu vermuten schienen,
des einen Evangelisten konne durch die des andern beleuchtet voraussetzte?
werden. Es ist bekannt, daE nach den judischen Begriffen, die
noch Begriffe der Junger waren, ein herrliches Kommen des Nach dieser Bestimmung des Wortsinns (von ouv'tEAeLa LOU
Messias und eine glanzende Periode seines Reichs erwartet atwvoc;)A mussen wir also annehmen, daE die Junger weder
wurde. So gewill es daher ist, daE bei Propheten ein Ungliick, 15 15 bloB nach der Zerstorung Jersualems noch nach der Verbreitung
das ein Volk betrifft, als ein Kommen des Herrn vorgestellt der christlichen Religion, die seit derselben his auf unsre Zeit
wird, so unwahrscheinlich wird (es)A durch diese Vorurteile erfolgte, fragten. Beantwortet ihnen nun Christus diese Frage
der Junger, die ohnehin hier schwerlich im begeisterten Tone oder nicht? Wenn wir glauben soilen, er habe sie unbeantwortet
eines Propheten sprechen, die :rtagouo(av 'LOU Xgwwi:J 40 bloB gelassen, wo finden wir die Grunde dazu? Wenn er sie aber
von dem Kommen Christi zu der Zerstorung Jerusalems als 20 20 beantwortet hat, wo soil er sie anders als Kap. 24,29 f. beant-
9/10 einem Strafgerichte zu verstehen. I wortet haben? Etwa 25,3lf.? Aber 1) fehlt bei Markus und
Lukas der Inhalt des 25. Kapitels, und bei Markus wenigstens
Diesem gemaE ist das OUVLEA£La 'LOU at&voc; zu verstehen und ware die eine Halfte der Frage gar nicht beantwortet. 2) Das
entweder geradezue auf das Ende der Welt, wie es haufig in 'tO't£44 Kap. 25,1 und der I ganze Tenor beider Kapitel setzt 10/11
der Bibel vorkommt, z. B. Matth. 28, 20f, oder mit Rucksicht 25 25 das 24. mit dem 25. in eine solche Verbindung, die die Be-
auf den gewohnlichen Unterschied der Juden zwischen C'V schreibung einer verschiedenen Begebenheit gar nicht erwarten
:"!H'! und ~~:"'! C'5V atwv oii"Loc; und atwv fA.EA.A.wv (cf. Koppii liiEt. 3) Die Beschreibung von der Zukunft Christi 25,31 f. ist
Excursus I ad Ephesios ) 41 zu erklaren. - Und wenn wir nun nicht nur gleich mit der 24,29 f., sondern scheint auch auf sie
die andren Evangelisten vergleichen und sehen, wie sieg die zuruckzuweisen. Wir mussen also, wenn Christus die Frage
30 der Junger nach seiner herrlichen Erscheinung beantwortet
a vom Abschreiber gestr.: »das«
haben soil, die Antwort durch Kap. 24,29 f. angezeigt glauben,
b vern Abschreiber gestr.: »13«
und dies scheinen noch andre Grunde zu bestatigen. Wir haben
45
c von Diez gestr.: »konnte« bereits erwahnt, daE die Propheten als Dichter in ailweg groEe
d von Diez verbessert aus: »scheinen«
Staatsrevolutionen durch Verfinsterung der Sonne und der-
e von Diez gestr.: »oder mit Riicksicht«
r von D'1ez gestr.: »schlechthin« a verbessert aus: »das«
g gestr.: »das« b vom Abschreiber gestr.: >>Ende der Welt«

158 159
Schriften B 4 Uber Matthiius XXIV, 29 ff.

gleichen vorstellen konnen. Aber sollen wir in unsrer Stelle Man sehe den Vortrag ihrer Frage bei den Evangelisten und
dichterische Schilderungen annehmen? Es konnte freilich sein, die obigen Bemerkungen uber diese Stellen. Scheint nun Jesus,
daE Jesus da, wo er als Prophet auftritt, sich prophetische wenn Matth. 24, 29 f. nicht auf die Zerstorung Jerusalems be-
Schilderungen erlaubt. Nur tritt dieser Fall hier nicht ein. Denn zogen wird, diesen Irrtum nicht nur nicht zu benehmen, sondern
1. erwarten wir hier die Schilderung einer Begebenheit, wo 5 5 auch zu begunstigen? Was Kap. 24,34 gesagt ist, konnten sie
jene Umstiinde buchstablich zutreffen konnten, und es wiirde bei ihrer Voraussetzung nicht anders verstehen als, man wisse
also leicht eine Verwechslung jener sehr verschiedenen Be- die Zeit nicht, wenn die Zerstorung Jerusalems 0 nebst der 0
gebenheiten veranlaEt haben, die in dieser Verbindung tiber- ouvt£A.Ha tou atwvo~ kommen werde. Was soil denn aber der
dies beinahe notwendig ist und fur die Junger werden muBte. Grund sein, daE Jesus dem Irrtume der Junger nicht nur nicht
2. Wtirde es mehr ein poetischer raptus 46 zu sein scheinen, 10 10 begegnete, sondern ihn besonders durch das £u'fr£wt; fA-Eta ti]v
der die Rede Jesu nicht schon ziert und den Gang des zwar 'frA.i:'tjnv noch begiinstigte? Es war ja nicht notig, ihnen zu sagen,
nachdriicklichen, aber doch planen Ausdrucks sehr start. daE die beeden Begebenheiten durch einen groEen Zeitraum
3. Konnen wir diese Verse auch nicht wohl als Entlehnung getrennt sein wurden. Es ware genug gewesen zu sagen, daE
oder Akkommodation einer prophetischen Stelle ansehen, weila man nur diesselben nicht verbinden durfe, wenn sie gleich
alsdann wahrscheinlich ein tva :rtA'Y]QWitfl oder eine ahnliche 15 15 vielleicht miteinander sich ereignen wurden, welches aber kei-
FormeL die Akkommodation anzuzeigen, vorangehen wiirde. 47 nem Menschen kund werde.
4. Was sollte dann den poetischen Redensarten des 31. Verses
besonders entsprechen? Ein solches Sammeln der Christen, als Ubrigens erhellt zugleich, daE in Hinsicht auf die tropische
(zunachst und lange Zeit)D nach der Zerstorung Jerusalems Erkliirung die Hauptschwierigkeit doch bleibe, namlich die,
statthatte, fand schon vor derselben statt. Diese Griinde zur 20 .20 daE Christus die Frage nach der ouvtEAELa gar nicht beantworte.
Bestatigung der Behauptung, daE 24, 29 f. nicht von einer tro- Und nun bliebe also statt der Frage, warum Christus dem
pischen Verfinsterung der Sonne48 usw. verstanden werden kon- Irrtume wegen der engen Zusammensetzung jener zwei Bege-
ne, sind urn so dringender, je weniger wir der Behauptung benheiten so wenig begegne, immer die schwierigere Frage
ausweichen konnen, daE die Junger nach dem Ende der Welt zuriick., warum Christus auf die Hiilfte der Frage gar nicht
oder nach der herrlichen Erscheinung Christi, (des Messias)0, 25 .25 antworte.
fragen.

Indessen begunstigt doch ein Umstand die tropische Erkliirung


11/12 der. genannten v~~se g~gen die Erklarung VOID jungsten I Welt~
genchte un~ erhoht d1e Schwierigkeit, welche das cu'fr£w~ be1 30
der letztern rmmer verursacht. Es ist auffallend daE die Junger
die Zerstorung des Tempels und die ouvt£A.;Lav wu atwvo~
als zwei zugleich eintreffende oder unmittelbar aufeinander
folgende Begebenheiten in Einen Zeitraum zu setzen scheinen.

• gestr.: »es«

160 161
3.
Textgruppe C:
Siillkind an Diez
Vorbemerkung

Friedrich Gottlieb SiiEkind wurde wenige Jahre nach den hier


publizierten Briefen an Immanuel Carl Diez, seinen Herzens-
freund, zum Verteidiger der Grundlagen der Tiibinger theo-
logischen Orthodoxie. Als Friedrich Immanuel Niethammer im
Mai 1790 zum Philosophiestudium nach Jena ging, bezog SuE-
kind die Gettinger Universitat. Seine Briefe an Diez geben
AufschluE i.iber Verlauf und Rang von theologischen Uberle-
gungen, die schlieElich in der Entgegensetzung der Positionen
von Storr und SiiEkind einerseits und dem jungen Schelling
andererseits geendet haben. Die Gegenbriefe von Diez sind
uns nicht i.iberkommen.

165
C 1 Von Si.ii&kind, l. Juni 1790

C I
Friedrich Gottlieb SiiBkind, Gottingen
Dienstag, den I. Juni I 790
An Immanuel Carl Diez, Tiibingen

Gottingen, den 1. Juni 1790

Es ist nun, lieber Diez, bereits ein Monat verflossen, seit ich
mich in Stuttgart von Dir getrennt habe 1, und Du hast vielleicht
5 schon fruher erwartet, da:E ich Dir, meinem Verspruch gema:E,
schreiben wiirde. Die Hauptursache, warum ich's nicht eher
tat, war- nicht Mangel an Freundschaft, sondern - der Gedanke,
da:E ich mich vorher mit der neuen Welt, in der ich jetzt bin,
etwas bekannter machen wollte, ehe ich Dir eine Schilderung
10 derselben und eine Beschreibung meiner bisherigen Schicksale
in derselben giibe. Sollte dieser Brief demohngeachtet Iauter
fur Dich uninteressante Dinge enthalten, so magst Du entweder
auf meine schlechte Beobachtungsgabe schimpfen oder aber
-was immer besser ware- die Kleinigkeiten, die ich Dir schreibe,
15 durch das Vergro:Eerungsglas der Freundschaft betrachten und
(so) etwa ein bisgen interessanter finden, als sie an sich sind.

Ich kam (urn ab ovo anzufangen) den dritten Abend nach


meiner Abreise von Hause nach zwo meist schlaflos zugebrach-
20 ten Niichten und allerlei mit dem Postwagenfahren verbundenen
Miihseligkeiten, die ich gleich anfangs in vollem Ma:Ee erfuhr,
- gliicklich in Frankfurt an 2 . Unter jene Beschwerden rechne
ich hauptsiichlich ein paar Gesellschafter, die mir nur gar nicht
nach meinem Geschmack waren, iibrigens aber zu mancherlei
:25 Bemerkungen Anla:E gaben, welche sich aber schriftlich nicht
wohl mitteilen lassen. Kurz, sie fielen mir ( ohne mich im ge-
ringsten zu beleidigen) so beschwerlich als dem Gellert seligen
Andenkens sein gelber Henker auf der Landkutsche, und ware
mein Beutel hinliinglich gefUllt, so hiitte ich damals wie Gellert
30 geschworen: ,Diesmal auf der Landkutsche gefahren und nie

167
Briefe C l Von Sugkind, l. Juni 1790

wieder!" 3 Von den schonen Gegenden, durch die der Weg geht, Zeit auf dem Krankenbette, durch nahe Furcht des Tods be-
von der herrlichen Lage Heidelbergs und von dem beriihmten wogen, sich mit seiner Magd 15, mit der er ein paar junge Physiker
Fa~ daselbst wirst Du wohl keine Beschreibung erwarten. In erzeugt hatte, trauen lieK) AuEer Seyffer und Bunza habe
Frankfurt selbst war fur mich wiederum wenig Interessantes. ich indessen Planckh, Spittler 1\ Gmelinc 17 und Eichhorn ken-
34
Ich nahm in den zwei Tagen, die ich da war, den Iangen Goritz 5 s nengelernt. Du wei~est, daE der letztere und der erstere in
zu meinem Cicerone, und alles, was ich in seiner Begleitung literarischer Riicksicht fur mich die interessantesten sind. Hier
sah, waren - herrliche Aussichten (besonders wenn man, was eine kurze Schilderung! Eichhorn ist der freundschaftlichste,
wir den ersten Nachmittag taten, auf dem Mainh fahrt), schone artigste und einnehmendste Mann von der Welt, mit dem ich
J 112
Lustgarten und Lusthauser, flotte und den Luxus aufs hochste auEerst gerne umgehe. Schnorrer muE mich gut recommendiert
treibende Kaufleute, breite und lange Stra~en, schon gebaute JO 10 haben, denn er nahm mich sehr hoflich auf und erzeigte mir
Hauser, (ein treffliches Naturalienkabinett), die stinkende Ju- gleich den zweiten Tag die Ehre, mich selbst auf meinem Zimmer
dengasse mit ihren schmutzigen Bewohnern (welche zum Teil ~u ~esu~en. Ich war nun viermal bei ihm, und einmal speiste
vollig wie die Stipendiaten mit schwarzen Manteln und weillen 1ch m semem Hause. Seine Frau ( der ich natiirlicherweise auch
Uberschlagen einhergehen) 5 und endlich - viele reizende Mad- aufgewartet und- nach Landessitte- ziichtiglich die Hand gekiiEt
chen. Von Frankfurt aus ging's ununterbrochen fort his Kasselc, 15 15 habe und es noch after zu tun gedenke) ist eine sehr gute und
wo ich mich wieder zweieinhalb Tage aufhielt und die Herr- artige Dame und seine alteste Tochter - ein Madchen von 14
lichkeiten dieses schonen Orts und der trefflichen Gegend besah, Jahren- ein sehr schones und gescheites Kind, die dich unterhalt,
d. h. die Bildergalerie, das Museum und den Wei~ensteind. Ich wie wenn sie bereits 20 ware. 18 Der Vater ist ein arger, arger
wurde hier mit einem gewissen Manne6 bekannt, der (wie er Ketzer und sehr offen in Mitteilung seiner Ketzereien. Nach Th-
mir sagte) im Sinne hat, ein Philanthropin7 zu errichten und 2c .20 bingen, meint er, sollte man einen jungen Heterodoxen als Lehrer
mich vorlaufig dazu werben wollte. Es steht aber nicht ganz der Dogmatik setzen, dieser wiirde dem gesunkenen Studium
richtig in cerebro. Ubrigens hater eine Frau mit drei Tochtern ,
8
d~r ~eologie wieder aufhelfen, denn die orthodoxe Theologie
die ich auch kennenlernte. Das Nahere etwa einmal miindlich. se1 fur unsre aufgekliirten Zeiten nimmer 19 und werde sich auch
- Von Kassele kam ich dann endlich vollends hieher und bin gewill nimmer lange erhalten. (Beilaufig: Tt.ibingen steht hier in
25 schlechtem Rufe, - Planck, Spittler und Eichhorn - aile fingen
nun gerade drei Wochen hier. Mein Logis 9 ist diejenige Stube, 25
in welcher Freund Eichhorn 10 seine Studentenjahre zugebracht13 gleich beim ersten Besuch davon an, d~ das Stipendium inAbsicht
und auch Bardili 11 , Klemmfl 2 und Dein Freund Kielmeyerg auf Studien so sehr im Verfall ware.) Die Religion Jesu, so wie
gewohnt haben. (Du kannst dem letztern von seinem Freund sie in den Evangelisten steht, halt er fur die reinste, geistigste,
Lichtenberg 14, der geradeiiber logiert, sagen, daE er vor einiger wohltatigste Religion, aber - die Apostel., besonders Paulus mit
30 seinem Brief an die Hebraer, hatten alles wieder verdorben?0 Er
stellte gegen mich ganz ohne Riickhalt den Satz auf, d~ unsere
a Orig.: »Goriz«
-.auf unumstoElichen Grunden beruhende Philosophie - die
b Orig.: »Mayn«
Richtschnur sein miisse, nach welcher es zu bestimmen sei, was
c Orig.: »Cassel«
d Orig.: »Weissenstein«
a Orig.: »Bonz«
e Orig.: »Cassel« b 0.
ng.: »Plank«
f Orig.: »Ciemm«
c Orig.: »Gmehlin«
g Orig.: »K.ielmaier«

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Briefe C 1 Von Si.iKkind, 1. Juni 1790

Wahrheit in der Bibel sei oder nicht. Man miisse daher das Prinzip darum kommen sie nie zusarnrnen. Und woher kann diese Ver-
der Akkornrnodation21 annehmen, darnit man die Ausspriiche der schiedenheit in verschiedenen Kopfen anders herkornrnen als von
Bibel mit der Philosophic vereinigen konne; ob aber die Verfasser subjektiven Ursachen, von Nebenvorstellungen, mit denen viel-
des Neuen Testaments sich wirlclich alclcommodiert haben, sei eine leicht die Hauptidee zufallig verwebt ist, von verschiedener Or-
ganz andere Frage. Du siehest, daB er glaubt, sie haben selbst 5 5 ganisation, Bildung [p]p. Und doch hangt von dies em Subjektiven
nicht die Wahrheit gewuEt. Ubrigens sagt er, die Wunder Jesu, oft das ganze System eines Menschen ab. Kann also Wahrheit,
die irn Neuen Testament erzahlt werden, haben allen fidem hi- so wie wir sie erkennen, was Objektives sein?27 Welchem Kopf
storicam ftir sich. Ob er aber- wenigstens in Riicksicht auf Jesum erscheint sie gerade irn rechten Lichte, in ihrer wahren Gestalt?
- die Schliisse, die man aus den Wundern macht22, gelten liillt, Doch genug hievon28, und auch diesmal genug von Eichhorn! I 2/3
dariiber muE ich mich erst niiher bei ihrn erkundigen. Vielleicht 10 10
ist Dir's noch unbekannt, daE er kiirzlich (in einem der neusten Was Plancka betrifft, so fand ich an ihrn einen offenen, biedern
Stucke seiner Bibliothek) eine Abhandlung iiber die Geistesgaben Schwaben, der mich gleich herzlich freute und allemal freut,
der ersten Christen geschrieben hae3, in welcher er auf Storrs Ein- wenn ich zu ihrn komme. Er ist, soviel ich bisher merkte, als
wendungen24 gegen seine Erkliirung von yA.woon A.aA.Etv (1. Kor. Dogmatiker freier als St[orr] und irn Grunde ein Heterodoxer,
XIIIY5 antwortet und alle Geistesgaben ganz natiirlich erkliirt. 15 15 wie ungefahr ich bin. Wenigstens fand ich ihn in der Lehre
Mich hat er noch nicht iiberzeugt, daE yA.woon oder yA.woocu£ de satisfactione29 und de inspiratione 30 zu meiner groEen Freude
A.aA.Etv das heiEen konne, was er will. Uberhaupt ist die Abhand- bei einem Diskurs auf einem Spaziergang ganz gleichdenkend
lung, insofern sie Antwort auf Storrs Einwiirfe ist, etwas fliichtig mit rnir. (Es versteht sich, daE Du diese so wie andere Nach-
geschrieben, und Eichhorn hat auf einige Haupteinwiirfe gar nicht richten, (besonders auch von Eichhorn), nicht am unrechten
geantwortet. 26 Es war dem lebhaften Manne zu miihsarn, die trock- 20 :<.o Orte mitteilst; ich mochte den guten Mann nicht in den Verdacht
ne Disputation genau zu studieren. Mit Storr (sagte er zu mir) der Heterodoxie bringen.) Seine Kirchengeschichte ist das ein-
kornrne er in Ewigkeit nicht zusammen, und daran hat er wohl ~-ige Kollegium, das ich regelmaEig besuche. Er ist, was das
recht. Ich habe bei dieser Gelegenheit einen rnir schon oft auf- AuEerliche des Vortrags betrifft, nicht sehr angenehm und liest
gefallenen Ged~en aufs neue bestatigt gefunden, dies en niimlich, alles wortlich ab. Der neueren Exegese, d. h. derjenigen, die
daE aile unsre Uberzeugungen und die verschiedenen Systeme, 25 25 z. B. Eichhorn hat, ist er nicht sehr hold und auEerte einrnal
die sich verschiedene Mens chen in ihrem Kopfe bilden, irn Grunde, gegen mich, daE sie schuld an dem Verfall eines griindlichen
wenn man sie in ihre ersten Bestandteile zerlegt und auf ihre Studiums der Theologie ware. Ich glaube, er hat in gewisser
ersten Prinzipien reduziert, zuletzt auf einem gewissen Schein, Art recht. Wenigstens dachte ich, man sollte nach E[ichhorns]
Gefiihl, Empfmdung oder wie man's nennen will, beruhen, welche Prinzipien lieber nicht exegeEieren, als die Leute gegen seine
in verschiedenen Kopfen verschieden sind. Man kornrnt zuletzt JO 30 eigene Uberzeugung bereden wollen, der Schriftsteller habe

auf Grundsatze, die dem einen wahrscheinlich vorlcommen, ohne dies und jenes sagen wollen [p]p. Aus Plancksb Munde teile
daB er sie eigentlich erweisen kann, und die dem andern nicht ich Dir noch die Nachricht mit, daE die Gottinger unsern Storr
so vorkornrnen, wiederum ohne daE er das Gegenteil erweisen mit 1600 Talern (beinahe 3000 Gulden) Gehalt erkaufen woll-
ten.31
kann. Eine und ebendieselbe Idee, auf die man endlich bei der
Analysierung eines Systems kornrnen wiirde, hat in Storrs Kopf 35
eine ganz andere Modifikation, erscheint in einem ganz andern a Orig.: »Plank:«
Licht, hat ein ganz anderes Gewicht als in Eichhorns Kopf- und b Orig.: »Planks<<

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Briefe C 2 Von Si.ifSkind, 7. Juli 1790

Du kannst mir nun schreiben, ob ich ki.inftig fortfahren soli,


Dir auf die Art wie in diesem Briefe ferner mitzuteilen, was C2
ich sehe, hare, spreche, besonders den Inhalt meiner theolo- Friedrich Gottlieb SiiEkind, Gottingen
gischen Unterhaltungen. Mittwoch, den 7. Juli 1790
5 An Immanuel Carl Diez, 'llibingen
Sonst ist his jetzt mein haufigster Umgang mit Bunza gewesen,
der nicht weit von mir wohnt und mich gleich anfangs iiberallhin
begleitete. Vergniigen gibt's hier freilich nicht sehr vieles, weil Gottingen, den 7. Juli 1790
alles den .E1eill aufs hochste treibt. Dies ist mir das Unangenehmste,
daiS man den fleilligen Professoren so schwer zur rechten Stunde IO Deinen Brief, lieber Diez, erhielt ich den 22. des vorigen Monats,
kommt. Will man zu ihren Damen, so riskiert man ebenfalls, ver- und es war nicht moglich, balder als his jetzt zu antworten.
geblich zu laufen, das eine Mal ist's ihnen nicht wohl, das andere 5 Du wirst mir dies nicht iibelnehmen, wenn ich Dir sage (was
Mal sind sie nicht angekleidet [p]p., und doch rouE man na[tiir]lich Du aus dem Vorfall mit Schnorrer und Storr 1 schon selbst
auch ihnen aufwarten. Man muE daher, wenn mannichtLangeweile schlieEen kannst), daB ich so unbegreiflich viele Briefe zu
haben will, hier arbeiten; und das tue ich nun freilich auch. AuBer 15 schreiben habe (- seit dem Empfang Deines Briefs ein volles
einigen literarischen Streifereien und leichter Lektiire ( woz [u] Dutzend und meist solche, die mich Zeit, Miihe und zum Teil
eine Lesegesellschaft, in der ich bin, Gelegenheit gibt) habe ich 10 Zwang kosteten -), daiS mir wirklich ein groEer Teil meiner
mich hinter Storrs Apologie der Apo[kalypse]3 2 [ge]macht. Jetzt, Zeit dadurch geraubt wird und des to weniger fur die iibrigbleibt,
da mein Vetter ReuE 33 von seiner Reise zuriickgekommen ist, an die mir das Schreiben eine so angenehme Beschaftigung
habe ich im Sinn zu sehen, ob [ich] auf der Bibliothek eine 20 ware. Ware es moglich, so hattest Du gewiE alle 14 Tage einen
angemessenere Beschaftigung finde; denn jenes Buch kann ich Brief von einem vollen Bogen - denn ich habe Dir so viel zu
auch im Vaterlande lesen. Solange R[ euE] nicht da war, konnte 15 sagen, und es ware mir wahrhaftig das Angenehmste, mit Dir
ich, da ich sonst keinen Bekannten auf der Bibliothek habe, sie als meinem altesten und vertrautesten Freunde, den ich (Du
nicht ganz frei benutzen, denn man darf kein Buch selbst her- darfst glauben, daiS das wahre Empfindung und nicht sachsische
ausnehmen. 25 Verstellung ist) in der Entfernung womoglich noch mehr als
in der Nahe schatze und liebe - mit Dir also recht viel nach
Lebe wohl, lieber Diez, und schreibe mir recht bald. Du adres- 20 Herzenslust i.iber literarische und nicht-literarische Dinge zu
34
sierst den Brief in die PrinzenstraEe, ins Wiederholdtischeb plaudern. So bleibt nun manches der miindlichen Unterredung
~aus. Es ist mir lieber, wenn Du ilm gerade an mich laufen aufbehalten, welches im Grunde auch wieder in gewisser Ri.ick-
lassest und das Porto an mich ri.icken willst, als wenn Du ihn 30 sicht besser ist.
in mein Haus zum EinschlieEen schickst.
25 Mit dem, was Du mir von Schnurrer und Storr schriebst, hast
Dein Du mir einen wahren Freundschaftsdienst erzeigt. Du kannst
S. denken, daB ich sogleich an den wiisten Mann schrieb. Du
warst iibrigens selbst Zeuge der au.Berordentlichen Zerstreuung,
a Orig.: »Bonz« in der ich die letzten Tage meines Stuttgarter Aufenthalt zu-
b Orig.: »Wiederholdische« JO brachte 2, und der wiiste Mann, der sich dies hatte vorstellen

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Briefe C 2 Von Sii!Skind, 7. Juli 1790

konnen, hatte mir's nicht zumuten sollen, ihm zu schreiben, Kantische Philosophie, wahrend daE ich elender Wicht meine
urn so mehr, da er mir's harte zutrauen konnen, ich wi.irde alte philosophische Schlafsucht noch nicht verloren und Rein-
(was auch wirklich geschehen ware) nicht abreisen, ehe ich holds Briefe i.iber die Kantische Philosophie8, die ich schon
seine Briefe und Pakete (die er i.ibrigens nicht bloE, wie er 14 Tage im Hause habe, noch nicht einmal zu lesen gewi.irdigt
sagt, fi.ir mich geschrieben, sondern durch deren Besorgung 5 5 habe. Hier ist iiberhaupt von Kantischer Philosophie nicht viel
i.~h ihm ebensowohl einen Dienst getan habe) erhalten harte. die Rede. Eichhorn klagte mir, daE sie, so wenig er ihr auch
Ubrigens war nun weiter nichts zu tun, als daE ich mich selbst ihren Nutzen absprechen wolle, doch in Jena Schaden stifte,
b~i ihm anklagte, daE ich ihm bisher nicht geschrieben und weil die i.ibrigen Wissenschaften dariiber vernachlassigt werden.
mcht gedankt hatte, und, ohne mich entschuldigen zu wollen - Der eigentliche Gottingische Philosoph, Feder9, ist bekanntlich
( wiewohl ich im Vorbeigehen nicht umhin konnte, ihn merken 10 10 kein Kantianer und liest, wie ich's dieser Tagen einmal anhorte,
zu. lassen, mit was er mich harte entschuldigen konnen), urn ziemlich in der popularen Manier. Besucht hab' ich I ihn noch 1/2
seme groEmi.itige Verzeihung bitten muEte. LaEt er mir diese nicht, werd' es aber nachstens tun, urn so mehr, da er eine artige,
G.nade angedeihen, wohl und gut! Wo nicht, so liegt mir auch wenngleich noch junge Tochter 10 hat, die ich neulich an einem
mchts daran, und ich Iache i.iber seine liebevollen Blicke. DaE dritten Ort in Gesellschaft mehrerer Darnen kennenlernte.
ich etwas von seiner Unzufriedenheit durch Dich erfahren habe, 15 15
lieE ich ihn nicht merken. Ubrigens bitte ich Dich urn die Die Folge Deines Briefs ftihrt auf Lichtenberg. Der eigentliche
Freundschaft, daE Du sobald als moglich zu ihm gehst und Grund seiner ehlichen Trauung war Vaterliebe fUr seine Kinder,
den Eindruck, den mein Brief ( der auch einige orientalische welche nach bi.irgerlichen Gesetzen sonst nicht hatten erben
Brocken enthielt) gemacht hat, mit Deinem Scharfblick auszu- [p]p. konnen. Ob Gewissensbisse dabei wenigstens mitgewirkt
spahen suchst. - An Storr und seine Frau habe ich ebenfalls 20 20 haben, weiE ich nicht. Begreiflich ware es aber auch bei einem
gleich ein paar Tage darauf geschrieben, und hoffentlich wird so gescheiten Mann, wie Lichtenberg ist, doch immer. 11
mir doch die liebe Schwabin 3 wieder gut sein und gut bleiben,
und Du sollst mir keinen Verweis mehr geben darfen. DaE es Dein Urteil iiber den angeblichen Verfall des Klosters 12 unter-
nun freilich die gute Lebensart auf ihrer Seite erforderte, rnir schreibe ich im ganzen sehr gerne, nur di.inkt rnich, daE vielleicht
wieder zu antworten, versteht sich. Aber was meinst Du? 25 25 ehrnals etwas mehr griindliche philologische Kenntnisse im
ganzen genommen da gewesen sein mogen als jetzt, wo der
K[ie~eyer] ist in der Tat am Anfang einer glanzenden Laufbahn. philosophische oder philosophisch-sein-sollende Geist des Zeit-
Sage thm, daE Kastner4 sehr alt und lebenssatt sei, und wer alters die Wirkung, wenigstens bei vielen, hervorbringt, daE
anders als er kann sein Successor werden! - Ich fi.ir rneine sie sich, urn philosophische Kopfe zu scheinen, mitunter auch,
Person gedenke, wenigstens fUr jetzt die Pressen nicht heill 30 30 urn keine harte Nug beigen zu mi.issen, der lieben Philologie
z~ ma~hen, .aber Rapp wird nachstens in Jena ( er ist noch schamen. Im ganzen mag aber doch Deine Behauptung, dag
mcht h1er) em philosophisches Produkt5 erscheinen lassen. Er unsre Zeiten nicht schlimrner seien, sich immer rechtfertigen
studiert unter Schmida6 und Reinhold mit dem groEten Eifer lassen. Es lieEe sich manches dariiber sagen, es wi.irde aber
(in Gesellschaft des Magister Paulus aus Conzens Prornotion 7) zu weitlaufig. - Die Anekdote von Gaab ( dem ich mein Kom-
35 pliment zu machen bitte) ist recht gut.

a Orig.: »Schmidt« Eichhorn ist bei aller seiner ausgebreiteten Gelehrsamkeit und

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Briefe C 2 Von Si.i!Skind, 7. Juli 1790

~elumfassenden Genie doch oft sehr superfiziell. Seine neuliche sino, den man von Anfang an bis auf unsere Zeiten herab aus
AuEerung, von der ich Dir schrieb 13, verstand ich so: Die Apostel der Bibel hera us erklart habe, hatte vorbeugen miissen. - Naher
(von diesen und von ihrer Akkommodation ist eigentlich die bestimmtea er's (ich glaube absichtlich) in jener Stunde seines
Rede) mogen manches, was nicht wahr sein kann, weil's gegen Collegii nicht, von welcher Art die lrrtiimer in der Bibel sein
unsere Philosophie ist, wirklich geglaubt haben; aber man darf 5 5 konnten und durften. Du wirst es aber nun mit obiger AuEerung
dies nicht offentlich sagen, deswegen rouE man das Prinzip leicht in Verbindung setzen konnen. - Die in dieser Stunde
der Akkommodation in solchen Hillen zu Hilfe nehmen. Dies geauEerten Grundsatze wiederholte er nun bei dem gedachten
schien mir seine eigentliche Meinung zu sein, und ich fand Besuch zum Teil und wandte sie auf den Brief an die Hebraer
wenigstens in der Art, wie er sie vortrug, nicht gerade eine auf folgende Art an. Wenn der Brief von Paulus sei und man
Beleidigung; denn ich kann's ihm nicht verdenken, wenn er 10 10 nehme keine Akkommodation an, so haben die Verteidiger
nicht so geradezu gegen mich sagt: Die Apostel haben Unsinn eines stellvertretenden Opfertodes 18 allerdings recht. Allein
geredet, wiewohl er dies in Rucksicht auf den Brief an die man miisse die iibrigen weniger bestimmten Stellen vom Tode
Hebraer zwar nicht mit den namlichen Worten, aber doch mit Jesu I zum Grunde legen und nach diesen den Brief an die .</3
nicht viel gelinderen Ausdriicken sagte. Seine Grundsatze, wie Hebraer ( durch Hilfe der Akkommodation), nicht jene Stellen
ich sie nun a us einer Stunde, in der ich hospitierte ( da er 15 15 nach diesem Brief erklaren. Im Brief an die Romer z. B. stehe
gerade von der Materie de inspiratione 14 handelte), und aus bloE, daE der Tod Christi, insofern er seine Lehre bestatigt
einer ganz neuerlich gehabten Unterredung ziemlich deutlich und was dadurch Beweggrunde zur Tugend gegeben habe,
zusammenstellen kann, sind en gros folgende. Es ist ein Un- unsere Begnadigung bewirke. (Alles gewohnliche Dinge, auf
terschied zwischen der christlichen Religion selbst und den die ich einiges vorbrachte, aber, weil es zu weit fuhrte und
Biichern des Neuen Testaments zu machen. Die christliche Re- 20 :<.o [ich] sah, daE der Mann sehr cavaW~rement zu Werk geht,
ligion selbst, so wie sie Jesus lehrte, ist durch unbestreitbare mich nicht tief einlieK) - Allein (fuhrer fort) es sei ihm nicht
Wunder als gottlich legitimiert, und auch die Apostel haben moglich zu glauben, daE der Brief an die Hebraer von Paulus
Wunder getan und sind daher Gesandte der Gottheit. Thre sei. Beweisen konne er dies nicht historisch, und darum lasse
Lehre erhielten sie teils durch mundlichen Unterricht Jesu, er ihn auch publice als Pauli gelten und lege bloE die Griinde
teils wurden sie durch das JtVEUjla aywv' 5 (was es nun auch 25 25 pro et contra vor - allein sein Gefiihl sage ihm, daE ihn Paulus,
sei) weiter davon belehrt, und Paulus erhielt seine Lehre auch dem ganzen Ton und Stil des Briefs nach, nicht geschrieben
wieder teils mittelbar durch Uberlieferung anderer von Jesu, haben konne, und die Antwort, die man darauf gebe ( er sei
teils OL' anoxaf-:tnjJEW£ 16. Die Satze, den Inhalt der Religion, urspriinglich hebraisch geschrieben, und daher komme diversitas
hatten also nur die Apostel einmal, und nun brauchte es, wenn styli), heille nichts, weil der Brief gewill (vide Storr 19) griechisch
sie schrieben, nicht wieder einer neuen Wirkung Gottes, einer 30 30 geschrieben sei [p]p. Du siehst aus dem bisherigen, daE er zwar
b~sondern Inspiration. Sie trugen nun, jeder nach seiner Art, Wunder, aher nicht die Konsequenzen zugibt, die Storr aus den-
d1e Lehre, die sie einmal im Kopf hatten und mit der sie so selben herleitet20, weil er die Inspiration der Bucher des Neuen
vertraut geworden waren, in ihren Schriften, in Anwendung Testaments leugnet21 und also annimmt, die Verfasser haben in
auf besondere Faile, vor. Freilich seien sie dabei nicht vor denselben entweder sich zu Irrtiimern akkommodiert oder wirk-
all em lrrtum verwahrt gewesen, aber ( arrige aures! 17) das hieEe 35 35 liche lrrtiimer, in der Meinung, es seien Wahrheiten, vorgetragen,
auch von Gott zu viel gefordert, denn so konnte man auch
beweisen, daE Gott auch allen lrrtumern, Narrheiten und Un- a Orig.: »bestimmt«

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Briefe C 2 Von S i.i ~k.ind, 7. Juli 1790

die Lehre Jesu, die sie nicht recht verstanden, entstellt. Das Genie rouE ich irnmer mehr bewundern. Was das fUr eme
22
letztere gab er, glaube ich, mir privatim zu verstehen, hielt es Kirchengeschichte ist, wenn man sie mit der vergleicht, die
aber der Klugheit gemaE, nicht gerade in extenso davon zu wir gehort haben 27 , ja, ich darf sagen, wenn man sie mit allen
handeln; und das letztere23 ist die Methode, die er publice ge- mir bekannten Kirchengeschichten (Spittlers 28 ausgenommen)
braucht und die im Grunde nichts Neues ist. Es kann sein, daE 5 5 vergleicht! Ich mochte Dir gerne Deinen Wunsch, die Hefte
ich mich irre, aber so, scheint mir's, lassen sich seine AuEerungen Dir zuzuschicken,29 erfullen, allein, einmal wiirde das Porto ftir
24
~teinander vereinige~. Es ist aber auch leicht moglich, daE Dich und mich gar zu viel ausmachen, da es nach und nach
seme verschiedenen AuEerungen davon herkommen, daB er gehen miiEte und die Bogenanzahl sich sehr vermehrt (ich
selbst kein festes System hat. Denn das habe ich schon mehrmals habe schon 15 Bogen) - und dann kann ich das Manuskript
bei dem Manne gefunden, daB er sich nicht immer gleich bleibt 10 10 unmoglich entbehren; denn - wundere Dich nur - ich bin seit
und, weil er selbst iiber manche Punkte noch nicht im reinen einigen Wochen mit Leib und Seele der Kirchengeschichte
ist, manchmal inkonsequent in seinen verschiedenen AuEerungen ergeben, lasse Kritik, Arabisch, Exegese wenigstens insoweit
ist. Er ist auEerst fliichtig, kann unmoglich lange auf einem liegen, daB ich die Bibliothek nicht dazu benutze und nur
Punkt bleiben ( daher es auch sehr schwer ist, sein System im durch Umgang mit Eichhorn usw. darin zu profitieren suche.
Zusammenhang von ihm herauszubringen) und weill, da ihm 15 15 Mein Plan ist kurz zu sagen dieser: kiinftig Kritik und orien-
so vielerlei Ideen durch den Kopf laufen, oft (wie er mir selbst talische Literatur ganz als Nebensache [ zu behandlen, in der 3/4
gesagt hat) nimmer recht, was er vor einiger Zeit iiber eine Exegese nur so viel zu tun, als notig ist, urn immer noch ohne
gewisse Materie geschrieben, gesagt oder gedacht hat. Daher Brille sehen zu konnen, und dann Kirchengeschichte zu meinem
kommt es auch, daB er manchmal, nachdem man iiber eine Hauptstudium zu machen. Die Manner, die mich so umgestirnmt
Mater~e ihn fragt, sagen kann: Ich hab' jetzt das Ding nimmer 20 :<.o haben, sind Spittler und Planck3 . Die erste Veranlassung dazu
recht un Zusammenhang vor Augen, nicht die Ubersicht iibers war nicht lange, nachdem mein erster Brief an Dich abgegangen
Ganze, es kommt mir aber, wenn ich mich dieses oder jenes war. Ich kam namlich eines Nachmittags zu Spittler, der mich
Punkts noch recht erinnere, so oder so vor [p]p. Von den Ant- von Anfang an mit ausnehmender Freundschaft, weit mehr, als
worten, die z. B. Storr auf so manche Einwendungen der Hete- ich's erwarten konnte, aufgenommen hat und sich (wenn es
rodoxen25 gegeben hat, scheint er gar keine Notiz zu nehmen; 25 25 nicht eitel klingt, in einem vertraulichen Briefe den Ausdruck
und sein fliichtiger und rascher Geist erlaubt ihm auch nicht, zu gebrauchen) bald fur mich zu interessieren schien. Wir kamen
solche trocknen und Miihe machenden Schriften durchzustu- auf das Studium der Kirchengeschichte zu sprechen, von dem
dieren. DaB und warum ich fur den Mann bei dem allem groBe ich ihm schon vorher gesagt hatte, daB es nicht meine Sache
Hochachtung habe, versteht sich von selbst. Seine Frau 26 ist eine sei. Ich legte ihm die Griinde vor, die mich abgehalten hatten,
schone, ~ge und wie es scheint recht gutmiitige Dame, so wie 30 30 mich in dasselbe tiefer einzulassen. Allein der Mann wuEte mir
auch er em recht guter Mann ist. diese in der anderthalbstiindigen Unterredung, die ich mit ihm
harte und die mir sehr merkwiirdig bleiben wird, so zu wider-
Planck~ Ierne.. ich beinahe jeden Tag und jede Stun de seines legen, mir das Studium der Kirchengeschichte von so vielen
Kollegmms hoher schatzen, und sein historisch-philosophisches Seiten zu empfehlen, mir einen so schonen Plan, nach dem ich

a Orig.: »Plank« a Orig.: »Plank«

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Briefe C 2 Von Si.iJSkind, 7. Juli 1790

dieses Studium ohne Nachteil meiner Bestimmung treiben konn- ware, wenn Du, ein gutes, artiges Weibchen zur Seite, Pastor
te, vorzulegen und mich so fur ihn und seine VorschHige ein- Loci gewesen und nach einem Jahr Dein ehrlicher SiiEkind
zunehmen, daE ich nur noch wenig Bedenklichkeit mehr hatte, als Vikarius oder Tafelritter zu Dir gekommen, sich an Deinem
seinem Rat zu folgen. Das Siegel driickte vollends Plancka darauf, hiiuslichen Gliick erquickt, mit einer guten Flasche Neckarwein 3 ,
und nun ward beschlossen, gleich damit anzufangen, daE ich 5 5 durch trauliche Gesprache und den schalkhaften Witz Deines
Kirchengeschichte meine Hauptbeschiiftigung sein lieK Jetzt fing Weibchens gewiirzt, sich gelabt, in den Ferien fur Dich gepredigt
ich erst an, nachzuschreiben und das Vorhergehende aus Plancks und nach einiger Zeit gar Dir einen kernhaften Jungen aus
Manuskript nachzuholen30, weil ich mir jetzt vorgesetzt hatte, der Taufe gehoben, d. h. in seinem Namen dem Satan und
nicht nur etwa ein Vierteljahr, sondern noch nachsten Winter seinem Pomp entsagt und ein guter Christ zu sein versprochen
hierzubleiben, das Kollegium ganz zu horen, seinen Privatumgang 10 10 hiitte! In der Tat, ich hatte fast Lust, bose iiber Dich zu sein,
vorziiglich auch zu diesem Zweck und die Bibliothek, sobald daE Du's nicht geworden bist. Doch wiir' ich noch baser auf
ich einmal den Grundrill meiner Kirchengeschichte im Kopf Dich gewesen, wenn Du, wie der jetzige Pastor, hintennach
hatte, zum Studium derselben aus Quellen zu benutzen. Mit zur Dankbarkeit eine konstanzische Demoiselle ins Ehbett ge-
welchem Erfolg ich das tun werde, mug die Zeit lehren; aber nommen hattest. 35 Herr - das ist mir unausstehlicher als alles
ich bin doch recht begierig, was Du dazu sprichst. Mehr als 15 15 Unterschreiben auf symbolische Biicher. Ich glaube fast, ich
argerlich ware mir's freilich, wenn ich mein Vorhaben, niichsten werde am En de noch mit gut em Gewissen eine Pfarre annehmen,
Winter noch hier zu bleiben, bei meiner Mutter nicht durchsetzte, und wer weiE, ob ich 6 -ca bdycLa cpQovwv36, nicht in Deinem
denn in diesem Fall wiirde es freilich auf dem Duglinger Vikariae 1 Fall untergelegen ware. Von Planckb (des sen Meinung ich
urns Studium der Kirchengeschichte schlecht aussehen. Ich hoffe schon fur mich noch vor Empfang Deines Briefs eingeholt
aber, es soli mir gelingen, wenigstens habe ich an meine vier 20 20 hatte) hast Du ganz falsche Nachrichten. Erstens kann er nicht
32
Onkels dringende Briefe deswegen geschrieben und auch Storr gesagt haben, er habe keine symbolischen Biicher unterschrie-
und seine Frau 33 gebeten, mir zur Ausfuhrung meines Vorhabens ben; denn man unterschreibt hier (wie er mir selbst sagte)
behilflich zu sein. Aber nun auch an Dich, lieber Diez, eine zwar nicht die Formulam Concordiae, aber doch die Augs-
ebenso angelegentliche Bitte. Sage noch keiner Seele etwas davon, burgische Konfession. 37 Zweitens kann er unmoglich gesagt
?ag ich hier .bleiben will, und weder jetzt noch in Zukunft 25 25 haben, unsere Formel I wiirde er nicht annehmen; denn es 4/5
Jemand, dag 1ch mich auf Kirchengeschichte lege, und noch war, als er noch in Stuttgart war, sein ernstlichster Wille,
weniger, dag ich ein Manuskript vom Planckischenb Collegia Pfarrer in DuElingen zu werden, wie ich nicht nur vorher
habe. Ich habe zu dieser Bitte hinlangliche Griinde, welche an- schon von meinem Pfarrer38 wugte, sondern auch hier aus
zufuhren zu weitliiufig wiire. Ob ich hier bleibe und also erst Plancksc eigenem Munde gehort habe. Drittens, was die Haupt-
etwa gegen das En de des Mais iiber Berlin, Leipzig [p]p. wieder 30 JO sache ist, er behauptete ausdriicklich gegen mich, man diirfe
nach Hause komme, muE sich in ein paar Wochen entscheiden. mit gutem Gewissen, auch bei entgegengesetzter Denkungsart,
iiber gewisse Punkte, symbolische Biicher, selbst Formulam
Dag Du . nicht Pfarrer in O[ber]t[iirkheim] geworden bise4, Concordiae nicht ausgenommen, unterschreiben; denn die Un-
was sollich dazu sagen? Denke einmal, wie artig das gewesen
a Orig.: »Nekkarwein«
a Orig.: , Plank« b Orig.: »Plank«
b Orig.: »Plankischen« c Orig.: »Planks«

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Briefe C 2 Von Si.iEkind, 7. Juli 1790

terschrift sage blog, man wolle nicht gegen diese Bucher lehren Nur noch etwas von dem nicht-literarischen Teil meines hiesigen
( und das sei wegen sonst unvermeidlicher Verwirrung beim Lebens. Die eigentlichen Divertissements, die man hier hat,
Volk sehr notig und konne auch von jedem versprochen wer- sind nicht sehr zahlreich - ich war aber doch, dem Konige
den. Wo man anderer Meinung sei, musse man eben schweigen von Englanda zu Ehren, an seinem Geburtstage40 auf einem
oder beim Allgemeinen stehen bleiben.) Es lasse sich aus 5 5 glanzenden Piquenique, versteht sich ohne zu tanzen. Augerdem
der Geschichte zeigen, dag man bei Einftihrung der symbo- kannst Du Dir vorstellen, dag ich, der von jeher dem schonen
lischen Bucher keinen anderen Zweck gehabt habe, als eine Geschlecht so hold war, die Gelegenheiten, die sich mir hier
Norm aufzustellen, gegen die man nicht lehren sol~ nicht aber anbieten, nicht versaume. Ubrigens ist der Ton unter Frauen-
die Lehrer zum Vortrag alles dessen, was darin stehe, zu zimmern, die man nicht wahl kennt, etwas steif. Die ange-
verbinden. Auf diesen Beweis aus der Geschichte, der der 10 lO nehmsten Stunden habe ich in Spittlers Hause, in das ich aile
ganzen Untersuchung eine andere Gestalt geben mugte, wirst Wochen ein paarmal ( und weiterhin vielleicht noch ofter) nicht
Du nun sehr begierig sein. Aber hier - Punktum hievon. Ich blog urn seines, sondern in der Tat auch urn ihres Umgangs
mug daftir sorgen, dag Du mit Verlangen auf meinen nachsten willen gehe und wo mir's, besonders seitdem ich Inaher bekannt 5/6
Brief wartest. - Nur noch uber die Rolle, die wir bei der bin und also auf einem ungenierteren Fug sein kann, sehr
administratione Sacrae Coenae und Baptismi39 spielen oder 15 15 wahl gefallt. Sie ist unstreitig eine der gebildetsten, feinsten,
spielen sollen, ein paar Worte. Ich gebe Dir, was Du in Riick- unterhaltendsten Damen41 , noch weit schalkhafter als diejenige,
sicht auf die letzte sagst, gerne zu, d. h. ich gestehe ein, daE welcher gegenuber Du gerne wieder sitzen mochtest. Seyffer
die Einrichtung, die man bei uns hat, Taufzeugen hinzustellen, - der angenehmste Gesellschafter und ein herzlich guter, freund-
zu fragen [p]p., sehr unschicklich und ins Lacherliche fallend ist. schaftlicher Mann - ist aile Tage da und der intimste Freund
Hingegen kann ich an der administratio Sacrae Coenae wirklich 20 20 vom Hause. Spittler, der groge Gelehrte, ist so Iustig, wie ich
nichts Unschickliches finden, weil ich mir nicht vorstellen kann, nicht Ieicht einen Professor gesehen habe. Er geht ( das wirst
wie es dann anders zu machen ware. Das Frappante liegt doch Du noch nicht wissen) nachstens mit dem beruhmten Putter42
wahl nur in der Menge der Kommunikanten, nicht in der Sache als kurhannoverischerh Deputierter zur Kaiserwahl nach Frank-
selbst; denn ich mochte wissen, wie es Christus selbst anders furt43, ein Umstand, aus dem man schliegen kann, in welch
hatte machen konnen, als dag er jedem seiner Junger den Kelch 25 25 gutem Kredit er bei der Hannoverischen Regierung stehen
und ein Stuckchen Brat ( das meinetwegen statt der run den eine mug, die ihn, wenn er gleich nicht Juriste von Profession ist,
Quadratf?rm gehabt oder eine sechs- oder achteckigte Figur ge- abschickt. -
wesen sem mag) gab mit den Worten: Nehmet, esset [p]p. Ob er
den Jungern den Bissen in den Mund oder in die Hand gab, Zu Seyffer, den ich augerst gerne habe, kame ich noch ofter,
~eill ich n~n ,Freilich nicht;. aber das ist mir wenigstens inso~ern 30 30 wenn er nicht so viel zu arbeiten hatte und dabei haufig nicht
ems, dag 1ch s ebensowemg unter meiner Wtirde halte, emer zu Hause anzutreffen ware. Wenn ich hier bleibe, freue ich
Person ein Stuckchen Brat geradezu in den Mund - als in die mich auch auf Staudlin44 • Dag unser Planckc ein herrlicher
Hand zu geben. Bequemer fur den Geistlichen mochte es wohl Mann in mehr als Einer Rucksicht ist, weillest Du selbst. Unter
sein, meinetwegen auch dem augren Anstand gemager sein, es
zu machen wie die Reformierten; aber nur soviel kann ich nicht 35 a Orig.: »Engelland<<
einsehen, wie meiner Wt.irde durch die eine oder die andere Art b Orig.: »churhannoverischer<<

der Austeilung was vergeben werden soli. c Orig.: »Plank«

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Briefe C 3 Von Si.i.&kind, 10. September 1790

unsern ji.ingeren Landsleuten komme ich viel zu Bunz, der in


meiner Nahe wohnt ( er lai:St Dich gri.if.Sen) und zu Glocker•45, C3
der als Hofmeister eines Grafen hier ist. [p]p. Friedrich Gotdieh SiiBkind, Gottingen
Freitag, den 10. September 1790
Den Brief erhaltst Du durch die Hand der Madame Gmelinb46, s An Immanuel Carl Diez, Tiihingen
die nach Wtirttembergc reist, halte ihn also doppelt in Ehren.
DaiS das meiste, was darin steht, nur for Dich ist, werde ich
nicht zu erinnern notig haben. Richte Dich also darnach, und Gottingen, den 10. September 1790
- schreibe mir bald. Ich bin mit der wahrsten Freundschaft
unaufhorlich 10 Ich weill wahrhaftig nicht, lieber Diez, was ich von Dir denken
soil! Es sind bereits zwei voile Monate verflossen, daiS ich Dir
Dein 5 meinen zweiten, ziemlich weitlaufigen Brief geschrieben habe;
S. und bereits seit einem Monat warte ich mit der grof.Sten Ungeduld
jeden Dienstag und Donnerstag auf Antwort von Dir - aber -
NS Was macht denn unser Iieber Klett? Gri.if.Se ihn vielmal 15 alles vergebens!' Meinen Brief hast Du doch erhalten; es ist nicht
von Freund Kotzebuh47 . - Noch eins: Was macht meine anders moglich, da ich weill, daiS die Briefe, die ich zugleich mit
Korrespondenz von B. 48 in Deinem Kasten? 10 dem Deinigen abschickte, richtig eintrafen- Krankheit hat Dich
doch auch nicht am Schreiben gehindert; dies hattest Du mir
doch zu wissen tun lassen, da Du weillest, daiS Du mir nicht
gleichgi.iltig bist - lange Abwesenheit von Ttibingen kann doch
auch beim Vikar von Bebenhausen nicht stattfinden - treulos ist
15 Diez doch auch nicht geworden; ich wi.iEte nicht, wie das zuginge
- was bleibt also i.ibrig, urn das Ratsel ( denn wahrhaftig, das ist
mir's in voilem Ernst) zu erklaren? DaiS Dein Brief an mich verloren
gegangen?- Nun, ich will das einstweilen annehmen, so unwahr-
scheinlich mir's an sich ist, nur urn mich einigermaf.Sen zu be-
.20 ruhigen. Denn wahrhaftig, lieber Diez, ganz ruhig kann ich
nicht sein, his Du mir (ich bitte Dich, so bald als moglich) selbst
den AufschluE dari.iber gibst. Wenn's so fortgeht, so werden wir
einander fremd - und das darf einmal nicht geschehen. Es sind
nicht leere Worte - es ist Drang meines Herzens, Dir dies recht
.25 nachdri.icklich zu sagen und Dich nochmals ernstlich zu versichern,
wie sehr mir ein Brief von Dir, meinem ersten und besten Freunde,
Bedi.irfnis ist. In 14 Tagen rechne ich jetzt ganz gewill darauf.
a Orig.: "Gloker«
b Orig.: »GmehJin« DaiS ich nachsten Winter noch hierbleibe, ist seit mehreren
c Orig.: »Wirtemb[erg)cc 30 Wochen ganz entschieden.2 Ich bin vorzi.iglich auf Deine Ge-

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Briefe C 4 Von Siillkind, 20. September 1790

danken i.iber mein neues Studium, von dem ich Dir irn letzten
Briefe schrieb, begierig. C4
Friedrich Gottlieb SiiEkind., Gottingen
Staudlin habe ich schon gesprochen. Was ist's danna mit Kapffil? Montag, den 20. September 1790
Wird er nachsten Winter hieherkornrnen? 3 - Rapp wird wohl s An Immanuel Carl Diez, Tiihingen
jetzt in Berlin sein - und vielieicht erst in vier Wochen bier
I/.2 eintreffen. I
Gottingen, den 20. September 1790
Den Faden unserer eigentlichen Korrespondenz kann ich dies-
mal aus Mangel an Zeit nicht aufnehmen - werd' es aber tun, 10 Lieber Diez!
sobald ich von Dir einen Brief habe. Ich wartete auch gestern
noch auf einen - und da ich keinen erhielt, so wolite ich Dir 5 Meinen durch Plancka Dir zugeschickten Brief wirst Du erhalten
nur in alier Eil diese wenigen Zeilen schreiben, die ich jetzt und daraus ersehen haben, daB ich Dich wegen Deines mir
sogleich Planckc, der mit Madame Spitder und Professor Hugo 4 so unbegreiflich langen Stillschweigens wenigstens nicht ver-
in ein paar Stunden abreist5, zuschicken mu.K Ratte ich nicht 15 dammt habe. Der Deinige hat mir nun das Ratsel gelost; und
6
an den Herzog und das Konsistorium7 zu schreiben gehabt, ich antworte nun, meinem Verspruch gemaE, gleich ein paar
so hattestd Du einen langern Brief. - Plancke wird auch, aber 10 Tage nach dem Empfang desselben.
nur auf kurze Zeit, nach Thbingen kommen. Wenn Du kannst,
so suche ihn doch zu sprechen. - Spitder kommt vielieicht, Zuerst von den symbolischen Biichern. - Du verlangst, ich
wenn die Kaiserwahl bald vorbei ist8, auch noch nach Wtirt- .20 soli die Sache auch mit meinen hiesigen Freunden in MuEe
tembergf. iiberlegen. Dieser Forderung kann ich nur insofern Geni.ige
15 leisten, daE ich Dir von dem einige Nachricht gebe, was ich
Lebe wohl, mein Lieber! Nochmals - gib mir bald einen Beweis, schon vorher mit ihnen dari.iber gesprochen habe. Denn Planck
daE Du mich nicht vergessen habest. und Spitder sind nicht hier 1 - Lefl 2 habe ich gestern nicht
.25 angetroffen und komme i.iberhaupt nicht viel zu ihm ( er ist
Dein Prorektor, hat viel zu schaffen, man kommt ihrn fast nur des
S. :<o Sonntags geschickt, und er ist im ganzen mein Mann nicht),
habe auch noch gar nicht mit ihm dari.iber geredt. (Es soli
NS kiinftig geschehen.) Und Feder (zu dem ich gerad in dieser
Gri.iEe Webe:r.9 - empfiehl rnich Gaab, Conz [p]p. 30 Sache wegen seines ehrlichen Charakters Zutrauen habe) traf
ich vor ein paar Tagen, da ich ausftihrlicher mit ihrn sprechen
• hier im Sinne von »denn« .25 wolite, nicht allein an. AuEer diesen kommen allenfalls noch
b Orig.: »Kapf« Eichhorn und Schleusn~3 in Betracht, mit denen ich schon
c Orig.: »Plank" vorher, aber auch nicht so ganz ausftihrlich, davon geredt
d Orig.: »hattest«
e Orig.: »Plank« a Orig.: »Plank«
f Orig.: »Wirtemberg« b Orig.: »SchleuEner<c

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Briefe C 4 Von Si.i!Skind, 20. September 1790

habe. Uberhaupt muB ich bemerken, daB es mit meinen lite- 3) Schleusnd behauptet, man miisse schlecbterdings vortragen,
~arisc_h~n Diskursen mit den hiesigen Gelehrten nicht ganz so was in den symboliscben Biichern stehe, aucb wenn man's
1st, Wie s ehmals bei Storr war4 • Ich komme natiirlich zu keinem nicht glaube. Man sei dazu als Lehrer angenommen; und das
so oft als zu Storr, und Diskurse von der Art wie iiber die Volk kniipfe nun einmal seine ganze Moral seine Beruhigung
symbolischen Bucher ftihren so weit, daB man die Sache beinahe 5 5 [p]p. an solcbe ihm von Jugend an gelaufigen Vorstellungen.
nicht auf einmal erschopfen kann, wenn man auch (was doch Z. B. die Lebre von der Gottheit Christi sei praktiscb bocbst
oft nicht der Fall ist) allein bei dem Manne ist und nicht wichtig fur das Volk. Sie erleichtere ihm seinen Glauben an
ur:terbrochen wird. Du muBt also mit wenigerem zufrieden Gott, sein Vertrauen zu ihm, seine Furcht vor ihm, indem sie
sem, ~Is Dir vielleicht lieb ist, und nahere Bestimmungen dieses in Christo gleichsam einen menschlicben Gott aufstelle, der
oder Jenes Punkts erst kiinftig, wenn ich etwa wieder Gelegenheit 10 10 den sinnlichen Begriffen und der Fassungskraft der meisten
f~_de, erwarten. Zuerst nun eine Reihe von Meinungen dieser Menschen angemessener sei als der abstrakte Gott der natiir-
Manner - und dann will ich Dir sagen, wie mir die Sache jetzt lichen Religion. Wer daber I dem Volk jene Lebre entziebe, I/ .2
vorkommt. den sollte man - was glaubst Du wohl? - aufkniipfen!!! Glaube
iibrigens ja nicbt, daB der Mann deswegen so sprecbe, wei!
1) Feder auBerte einmal nur gelegenheitlich gegen mich, daE Jj 15 Storrs Geist einfacb oder siebenfacb auf ibm rubte! Nicbts
er glau~e, d_ie meisten Lehren unserer symbolischen Bucher weniger! Er gestand mir dabei, daB er fiir seine Person von
l~ssen s1ch Immerhin verteidigen, und von denen, die man der Dreieinigkeitslehre5 nicht iiberzeugt sei.
me~~ ?laube, darfe man ja nur schweigen. Wenn man nur die
gehonge Vorsicht und Moderation (die ohnehin notig sei, um 4) Planc/c}l Meinung bah' icb Dir im Allgemeinen scbon ge-
das Vo~ nicht zu verwirren) anwende, so sei der Zwang der 20 .20 schrieben. Hier also das Nabere, was ich vor einigen Wochen
symbolisc?en ~iicher nicht so beschwerlich. Man miisse ja nicht mit ihm spracb. 6 Icb erfuhr nun erst, daB er den Satz, symbo-
g~rade llll~- semen Meinungen herausplatzen - (Griinde und lische Biicher seien gleich bei ihrer Entstehung bloB als Norm,
nahere Erlauterung muB ich, wie gesagt, erst horen). gegen die man nicht lehren solle, aufgestellt worden, nur unter
I einer gewissen Einscbrankung verstebe; namlich bloB von der
2) E_ichhorn sieht ebenfalls die symbolischen Bucher als Vor- 25 ' .25 Augsburgischen Konfession, welcbe hierzulande allein unter-
schnften an, gegen die man nicht lehren soli. Man solle zwar schrieben wird. Von dieser bebauptete er, sie sei ihrer ersten
nicht anders _reden als man denke, aber man brauche ja nicht Absicht nach bloB eine Norm, die man nicbt iiberschreiten
alles so besti~t zu sagen, da ohnehin unsre Dogmatik ein solle, und suchte dies aus den Umstanden, unter denen sie
Ge:vebe ~nnouger Subtilitaten und Bestimmungen sei. Man verfaBt wurde, zu erweisen. Man babe namlicb (wie ibr Inhalt
hleibe hei den Schriftausdriicken, wo man zweifelhaft oder 30 30 zeige) bloB die Absicbt gehabt, Antithesen gegen die Katholiken
anderer Meinung sei - und wo man doch einer naberen Er- [p]p. aufzustellen, jene Lehren der Katholiken als Irrtiimer
klarung nicht ausweichen konne, trage man die Sacbe bistorisch darzustellen und sich durch die Verwerfung dieser Irrtiimer
vor. (Du muBt iibrigens nicht vie! Aufklarung von diesem er- von ihnen zu unterscheiden. Diese Irrtiimer sollten nun die
~arten - auch wenn ich mich noch naher mit ibm dariiber
e~zulassen versuchen wollte - man kann den Mann, wie ich Jj
~Ir scbon neulich schrieb, nicht festhalten, am wenigsten bei a Orig.: >>Schleu!Sner«
emer solcben Untersuchung.) b 0.
ng.: , pJanks«

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Briefe C 4 Von Si.iJSkind, 20. September 1790

Lehrer der neuen Partie dem Volk nicht vortragen, d. h. sie dagegen lehre. So gar ein R[ uoff] wlirde, wenn man ihm He-
sollten das, was in der Augsburgischen Konfession verdammt terodoxie gestunde, nur dies verlangen, man solle sich in der
war, nicht lehren, d. h. nichts gegen sie lehren. - Du siehst Stille von der reinen Lehre zu uberzeugen suchen und indessen
selbst, was sich gegen diesen Beweis einwenden liiEt. Ich mug - von den streitigen Punkten schweigen. Ja noch mehr - solang
ge~teh~n, daE ich selbst einen stringenteren erwartet hatte ( denn 5 5 man mir nicht ausdriiclclich jene hartere, unrechtmaEige Erkla-
be1 memem letzten Brief wuEte ich noch nicht einmal so viel rung der Unterschrift vorlegt, so darf ich sie nicht nur in jenem
davon; wir kamen in dem Diskurs, von dem ich Dir damals gelindern, rechtmaEigen Sinn (nichts gegen symbolische Bucher
Nachricht gab, davon ab und auf eine andere Materie, ehe ich zu lehren) nehmen, sondern die Billigkeit verpflichtet Inich
den ~eweis gefordert hatte). Vielleicht habe ich jedoch eine sogar, den Konsistorialraten zuzutrauen, sie nehmen sie selbst
Id~e. ubersehen oder millverstanden, und ich werde gelegen- 10 10 in jenem gelindern Sinn, weil nur dieser der rechtmaEige ist
he1tlich noch einmal Init Planck davon reden. Doch was niitzte und ich niemand gerad das Schlimmste zutrauen soli, wenn
uns auch der unwidersprechlichste Beweis? Denn wir haben ich nicht ausdrucklich davon versichert bin. (Was sagst Du zu
ja auch die Formulam Concordiae, diesen Stein des AnstofSes dieser doch wirklich ingeniosen Wendung?) In jedem I Fall .2/3
fur jeden, der seine liebe Vernunft nicht unter den Gehorsarn darf ich also Init gutem Gewissen unterschreiben, weil ich als
d~s blindesten Glaubens zu zwingen gelernt hae - und von 15 15 Prediger das Versprechen, nichts gegen die symbolischen Bucher
d1eser sagt Plancka selbst, sie sei ihrer ersten Absicht nach zu lehren, ja wohl halten kann. Hingegen als Professor der
etwas mehr als Norma docendi, gegen die man nicht anstofSen Dogmatik in Tiibingen (setzte Planck hinzu) wi.irde er nicht
soli. Aher (nun Bihrt er fort) dazu hatte man kein Recht - die unterschreiben. 8 Wenn man ihn vozierte, so muEte er erklaren,
Gesellschaft hat uberhaupt kein Recht, jemand zu zwingen, daB er die Formulam Concordiae nicht annehmen konne, weil
daE er etwas Bestimmtes lehren soli. Sie hat nicht das Recht, 20 .20 er sich als Profissor der Dogmatilc (merke dies wohl) nicht ent-
mir die Alternative vorzulegen: Entweder kein Amt - oder alles halten konnte, in der Lehre de peccato originali und de Sacra
gelehrt, was in gewissen symbolischen Buchern steht! Nun ist's Coena gegen die Bestimmungen der Formula Concordiae9 zu
freilich Pflicht des ehrlichen Manns, nicht zu unterschreiben, lehren. (Er nimmt namlich in jener den von der Formula Con-
wenn man ihm bei oder durch die Unterschrift bestimmt und cardiae verdammten Satz an: das peccatum originale sei bloB
ausdriiclclich erklart, man fordere von ihm, alles zu lehren, was 25 .25 impedimentum des Guten, die Kriifte selbst habe der Mensch
[p]p. - .Die ~ord.erung mag so ungerecht sein, als sie will, so nicht verloren 10 - und in dieser ist er, glaube ich, Zwinglianer. 11
berechngt Sie illlch doch nicht zur Falschheit. Aber das ist ja Dies sei aber unter uns gesagt.) Aber ein Prediger habe dies
~un ~er Fall du~chaus ~cht. Man ist heutzutage uberall, selbst gar nicht notig, weil er solche Subtilitaten gar nicht zu beruhren
m Wurttemb.erg , so welt gekommen, daE man jene ungerechte verpflichtet sei und in jedem Fall sich ja an die Schriftausdrucke,
Forderung mcht macht. Der Geist unseres duldsamen Zeitalters JO 30 selbst in der Trinitatslehre z. B., wenn er nur nicht gar Sozi-
hat s~lbst Konsistorialrate (wie sich Planck ausdruckte), ohne nianer12 sei, halten konne.
daB s1e's merkten, uberschnellt; sie denken selbst bei der Un-
terschrift nicht daran, mehr zu fordern, als daE man nicht Hier hast Du nun - zwar nicht jenen Beweis aus der Geschichte
der Augsburgischen Konfession und der Formula Concordiae,
35 der Dir, (wie Du meinst), wenn er wahr ware, auch als einem
a Orig.: »Plank« Naturalisten erlauben wurde, ein Pfarramt anzunehmen; aber
b ong.:
· »w·Irtemberg« doch andere Grunde, die mir wenigstens (wenn's nicht anders

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Briefe C 4 Von Si.iKk.ind, 20. September 1790

auch bei mir zum Naturalismus kommt) immer mehr einleuch- die Go!:tlichlceit der Religion ]esu, aber doch die Wahrheit gewisser
~en. Aber darin bin ich nicht Deiner Meinung, daE man unter symbolischer Lehren leugne oder bezweifle, doch diesen Biichern
Jener Voraussetzung auch als Naturalist Prediger sein konne - ,,sincera mente manuque subscribere(( 16 (so lautet die Forme!), ohne
wenigstens nicht als Naturalist im eigentlichen Sinn. 13 Wenn wieder in dem Alctus des Unterschreibens einer Unwahrheit mich
ich die Wunder Jesu, seine Auferstehung, die Gottlichkeit seiner 5 5 schuldig zu machen, noch auch in der wirlclichen Fiihrung meines
Religion [p]p. verwerfe, wie will ich mir in Katechisationen Amts unehrlich und pjlichtvergessen handeln zu miissen? Ich setze
~elfen, ~hne gegen meine Uberzeugung zu reden? Was will voraus (woriiber Du, soviel ich weiE, jetzt mit mir einverstanden
Ic.h z. B. m der Lektion am Ostertag sagen? Wie meinen Kindern bist), daE es nicht erlaubt sei und gegen den Begriff eines
die Gottlichlceit der Lehre Jesu (nicht in Deines Paters 14 Sinn) ehrlichen Mannes streite, das zu lehren und als seine Meinung
beweisen? Und das und noch vieles andere, das in den christlichen 10 10 vorzutragen, Iwas man nicht glaubt. Alles reduziert sich demnach 3/ 4
Religionsunterricht verwebt ist, mufi ich beriihren und kann auf die zwo Fragen: 1) Involviert die Unterschriftauf symbolische
es doch als Naturalist nicht beriihren, ohne entweder dagegen Bucher, daE ich mich verbindlich mache, alles, was darin steht,
zu reden oder anders zu reden, als ich denke. Jenes darf ich zu glauben ( oder zu lehren) oder nur, nicht dagegen zu lehren,
nicht, dieses soli ich nicht! Was Rats? Dein Ulmer Prediger, mithin von dem, was ich nicht glaube, zu schweigen oder
!<ern, mag mir Nutzen stiften und mit Wtirde sprechen - aber 15 15 unbestimmt zu reden? Und wenn das letztere ist, gibt's nicht
Ich kann mir nicht vorstellen, wie er bei seiner Uberzeugung, 2) wenigstens in der wirlclichen Amt.ifiihrung Faile, wo ich un-
es gebe keine Offenbarung im strengen Sinn, ganz ehrlicher ehrlich zu handeln genotigt bin, wenn ich in gewissen Punkten
Volkslehrer sein kann, oder bestimmter, wie er, ohne seine nicht orthodox denke?
Ehrlichkeit zu verletzen, von Gottlichkeit der Lehre Jesu, von
sei~:r Aufer.~tehung (was er doch unstreitig zu Zeiten wird 20 20 Was die erste Frage betrifft, so ist a) dies doch unleugbar, daE
beruhren mussen) sprechen kann. Ich wiinschte, Du hattest die Formel der Unterschrift an und for sich schlechterdings
ihn hieriiber gefragt. Oder glaubt er, Jesus sei auferstanden nicht den Sinn haben mufi, ich wolle alles glauben und lehren
[~ ]p., so is.t er ~ein Naturalist im strengsten Sinn e. - Doch [p]p., sondern ebensogut den Sinn haben kann, ich mache
dies war eigentlich ein UO'tEQov rtQO'tEQov 15, denn ich hatte mich verbindlich, die symbolischen Bucher als die Norm an-
vorh~r noch sagen soli en, wie mir jetzt ( abstrahendo von Na- 25 25 zusehen, gegen die ich nie lehren wolle. Ich habe also, solang
tu~ahs~us und nur vorausgesetzt, ich sei heterodox, wie w:ir's die Gesellschaft oder die Reprasentanten der Gesellschaft, die
beide bisher waren) die Sache vorkommt. Ich will ohne weiteres mich in Pflichten nehmen, mir nicht ausdrucklich eine bestimmte
meine Vorstellung hiehersetzen und dabei zwischen eigenen 1 Erklarung jener unbestimmten Forme! vorlegen und mich auf
und fre~.den Id~en, die sich mit den meinigen verbunden J die bestimmt erklarte Formel in Pflichten nehmen - an und
haben mogen, kemen Unterschied machen. JG 30 fur sich die Wahl zwischen zwei gleich moglichen Erkliirungen
der Forme!. Es steht mir also, solang ich nicht nahere Kenntnis
"V_orer~t bemerke ich, daE ich die Frage von der RechtmaEigkeit habe, in welchem Sinn jene die Formel nehmen, ganz jre~ die
~rchhcher Symbole iiberhaupt ganz absondern will, weil dies gelindere Erklarung zu wahlen. Ja, b) ich gehe noch einen
em gar zu weites Feld ist, in das wir uns miindlich schon so Schritt weiter - ich mufi sogar in dubio, wenn bloE von einer
oft eingelassen h.~b.en, ~nd weil sich, wie ich glaube, die Frage 35 35 Gesellschaft iiberhaupt die Rede ist (d. h. aile anderen Ruck-
von der ~echt~aEigkeit der Unterschrift auch ohne jene ab- sichten, individuelle Umstande, personliche Eigenschaften und
machen laEt. D1e Frage ist bloK Kann ich, wenn ich zwar nicht Denkungsart gewisser Mitglieder der Gesellschaft pp. beiseite

19.2 193
Briefe C 4 Von Si.iBk:ind, 20. September 1790

gesetzt), - ich mug sogar in dubio die gelindere Erklarung noch weiter. Ich sage sogar c), auch in non-dubio darf ich die
wahlen. Ich bin i.iberzeugt, nicht nur, dag man kein Recht hat, gelindere Erklarung wahlen, d. h. wenn ich auch privatim weig,
mir die Formel in jenem strengeren Sinn abzunotigen (siehe dag ein oder der andere Konsistorialrat, als ein Teil der Ge-
Plancka oben), sondern ich finde auch, dag die Gesellschaft sellschaftsreprasentanten, der strengeren Erklarung zugetan ist,
bei der gelinderen Erklarung gewinntb, dag es ihr zutraglicher 5 5 so darf ich doch, solange mich nicht das ganze Kollegium publice
ist, nicht alles, was in syrnbolischen Bi.ichern steht, nicht aile aufdieseErkliirungausdriicklichverpjlichtet 17, mit gutem Gewissen
die unfruchtbaren Subtilitaten und feinen Lehrbestimmungen unterschreiben. Was geht mich jene Grille an, die ein einzelnes
vorzutragen, zu denen mich die strengere ErkHirung verpflichten oder meinetwegen ein paar mi.irrische Individua des Kollegiums
wi.irde. Wahres praktisches Christentum gewinnt offenbar durch als Privatpersonen habena? Was der Mann privatim denkt oder
Vermeidung unni.itzer Bestimmungen, z. B. in der Lehre de 10 IO traumt, das hat doch wahrlich ftir mich keine verpflichtende
Sacra Coena. Bin ich nun nicht, in dubio, verbunden, die in Kraft. Er mug mir's offentlich erklaren, und das ganze Kollegium
Ri.icksicht auf das Wohl des Ganzen zutraglichere (gelindere) mug ihm beistimmen, sonst brauche ich gar j keine Notiz davon 4/5
Erklarung zu wahlen und in dubio zu glauben, d~ auch die zu nehmen. Lex non obligat, nisi promulgata. 18 Und promulgata
Gesellschaft das wolle, was ihrem eigenen Wohl am angemes- ist doch jene lex nicht, die nur im Kopf eines Individuums
sensten ist? Und gerade das geschieht, oder ich bin (ceteris 15 15 existiert oder etwa privatim geaugert ist. In der Tat, lieber
paribu.s) ein urn so brauchbarerer Volkslehrer, je mehr ich mit Diez, ich bin noch ebenso fest i.iberzeugt, dag diese Distinktion
Verme1dung aller biblisch unerweislichen Bestimmungen die gegri.indet ist und wirklich nicht wenig in der Sache aufklart,
simplen und in ihrer Unbestimmtheit oft weit mehr als bei als damals, da ich sie brauchte, urn Camerer 19 in dem Brief, den
den subtilsten Bestimmungen wirksamen Wahrheiten der Bibel Du, ich glaube, noch in Ttibingen gelesen hast, auf seine Einwi.irfe
- aber diese d~nn r~cht p~aktisch, mit aller Starke und ~cirme 20 I .20 zu antworten. - Ich wi.irde sogar, glaube ich, hochst sonderbar
- vortrage. W1rd mcht d1e Gesellschaft, die mich zu ihrem handeln, wenn ich jene Privaterklarung eines oder einiger Kon-
Lehrer annimmt, wollen, dag ich ein so brauchbarer Lehrer 1 sistorialrate, die doch keine auctoritatem publicam hat ( denn
sein soil als moglich? Bin ich nicht verbunden, in dubio ihr von dieser ist doch wahrhaftig hier allein die Rede), gerade als
das zuzutrauen? Und bin ich nicht verbunden, mich zu be- die wahre annehmen wollte. Die Herrn sind ja sonst so frei,
streben, dag ich der ni.itzliche Lehrer ftir die Gesellschaft auch 2i .25 deutlich und vernehmlich zu sagen, was sie von ihren Unterge-
wirklich sei, solang mich diese nicht selbst durch eine Ein- benen verlangen;20 warum nicht auch in diesem Fall? Sie mi.issen
schrankung, die sie mir ausdriicklich macht, hindert, es zu sein? in der Tat nicht das Herz haben, eine strengere und bestimmtere
Abe~. sie hin~ert mich ja nicht, sie macht mir ja diese Ein- Erklarung festzusetzen, sonst batten sie's schon lang getan. Ihre
schrankung mcht, solang sie mir nicht jene strengere, manchen Unbestimmtheit ist also stillschweigende Billigung der gelindern
Nutzen.' den ich stiften kann, vereitelnde Erklarung der Un- 30 JO Erklarung. - Was mir Camerer immer einwandte, d~ alles darauf
terschr1ftsformel ausdriicklich vorlegt. Ergo bin ich in dubio ankomme, in welchem Sinn die ersten Urheber der symbolischen
verbunden, die gelindere Erklarung anzunehmen. - Ich gehe Bucher die Unterschrift zur Pflicht gemacht haben - und d~
diese ganz zuverlassig die Formel im strengeren Sinn genommen
habenb -, finde ich immer noch nicht beweisend. Was gehen
a Orig.: »Plank«
b verb~ssert ?us: »daB das Wohl der Gesellschaft mit jener strengeren Erkliirung a
b
vom Hrsg. gestr.: »an« (Dittographie)
0.
unverembar JSt« ng.: »habe«

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Briefe C 4 Von SiiBkind, 20. September 1790

mich jene alten Knasterbiirte an? Ich hab's doch nur mit der aber es l~t sich aus dem ganzen Hergang schlie~en, wenn
jetzt lebenden Generation zu tun, und dieser konnten doch jene man's auch nicht ausdri.icklich wi.i~te, d~ man ihm dies verboten
alten Theologen keine Gesetze vorschreiben, in welchem Sinn hat.) Einmal, ich kann aus dem ganzen Vorgang unmoglich was
sie ihre Lehrer in Pflichten nehmen salle. Ware dies, so miiEten anderes schlie~en, als d~ es Principium des Konsistoriums sei,
wir jetzt- und mi.i~ten i.iberall (wenigstens) noch dieselbe Forme! s 1
5 denjenigen nichts anzuhaben, die nur nichts gegen symholische
haben, mit der man gleich nach der Entstehung der Formula Bi.icher lehren - und was heillt das anders als: das Konsistorium
Concordiae unterschrieb. Aber wer will mir das beweisen, daB verlangt die Unterschrift in jenem gelinderen Sinn! - In der Tat,
die jetzt in Wrirttemberga i.ibliche Formel durch eine unbezwei- lieber Diez, es war mir noch nie so klar, d~ man, ohne seine
felte Tradition von jenen Alten auf uns herabgeerbt sei? Es ist Ehrlichkeit zu verletzen, unterschreiben konne, als gerade jetzt,
nicht einmal moglich. Pfaff unterschrieb anders als wi.f.2 1 - man IO 10 da ich diesen Brief schreibe, und wie sehr wi.inschte ich, d~
hiitte es ihm wohl in jenem Fall nicht hingehen lassen -, und es auch bei Dir so ware! Da~ Brastberger ebenso denkt, folgt,
in jedem Lande ist die Forme! wieder anders. - Nun d) noch soviel ich einsehe, unwidersprechlich aus seiner A~erung, er
ein Argument, das gerade fur uns am stiirksten beweist und zu halte sich noch ftir den ehrlichen Mann, wenngleich andere
dem Du mir selbst in Deinem Brief verholfen hast. Gerade wir anders denken. - Was aber nun
Wtirttemberger b haben nicht einmal notig, uns mit den bisher IS 15
ausgefuhrten Betrachtungen zu beruhigen, sondern wir haben 2) den zweiten Punkt betrifft, so ftige ich nur noch ein paar
sogar eine positive, faktirche, authentirche Erkliirung unseres Konsi- Worte bei. Du gabst Brastberger selbst zu, I Ki.inste und Wen- 5/6
storiums vor uns, dafi es die Unterschnjt azf symbolirche Bucher nur dungen oder (wie ich's lieber nennen mochte) vorsichtige Un-
in dem gelinderen Sinn verlangt. Der Beweis fur diese Behauptung bestimmtheit in Dingen, die olmedies nichts ni.itzen, wenn sie
liegt in Deinen Nachrichten von Brastberger22, fur die ich Dir 2C 20 naher bestimmt werden - lassen den ehrlichen Mann noch
sehr verbunden bin. Du kannst mir nun nimmer einwenden, durchschli.ipfen, und setztest nur hinzu: es sei hochst unange-
was Du mir ( wo ich nicht irre) vormals einwandtest, Brastberger nehm, und es konnen auch Fiille eintreten, wo die Kunst nicht
habe revoziert; denn Du hiiltst ihn nun selbst ftir einen ehrlichen, zureiche. Ich gebe Dir in Ri.icksicht aufs erste recht, und in
standhaften Mann. Wir haben also an ihm ein Beispiel eines Ansehung des letztern hat Brastberger geantwortet, da~ bei
vom Consistorio unleugbar als heterodox erkannten Mannes (sei- 25 25 der wirklichen Fi.ihrung des Amts auf dem Lande die Schwie-
ne Versuche i.iber Religion und Dogmatik und seine Preisschrift rigkeiten doch weit geringer sich zeigen als [p]p. Ich habe mir
iiber die symholischen Bi.icher mogen vielleicht noch auffallen- ebenfalls wiihrend meines Vikariatlebens 23 , wie Du schon wei-
dere Beweise hievon sein als seine Predigten). Und was tat das Best, immer noch, selbst bei Sacra Coena (was mir das Aller-
Konsistorium? Gerne wi.irde man's freilich gesehen haben, we~ unverdaulichste ist) zu helfen gewu~t, und Disputen, Einwen-
er revoziert hiitte; er tat es nicht, und man lie~ ihn doch IIl 30 30 dungen (p]p. von pfiffigen Zuhorern kommen publice ohnehin
seinem Amt, ohnerachtet man wu~te, d~ er gewill nicht alle, nie und privatim gewi~ so selten vor, da~ es vielleicht nur alle
vielleicht nur wenige symbolische Lehren vortragen wi.irde - 20 Jahre einmal geschieht, da~ man auf diese Art in einige
man verbot ihm blo~, fernerhin dagegen zu schreiben und zu Verlegenheit kommt, aus der ich mir doch am Ende gegen
lehren. (Dies Verbot steht nun zwar nicht in Deinem Briefe; einen Bauren auch noch helfen wollte, ohne unehrlich zu han-
35 deln. Aber freilich setze ich, wie schon beri.ihrt, immer einen
a Orig.: »Wirtemb[erg] « solchen Heterodoxen voraus, der doch noch ein christlicher
b Orig.: »Wirtemberger« Supernaturaliste ist. Als Naturalist wi.irde ich zittern und beben,

196 197
Briefe C 4 Von SiiBkind, 20. September 1790

sobald ich meinen Du~linger hochgelehrten Michele gegen das Naturalismus zugeht, so kann ich Deinen medizinischen Plan
Haus kommen sahe.Z4 - nicht so geradezu verwerfen. Aber besinne Dich doch noch,
ob dann wirklich auch Kantische Philosophie und Offenbarung
D~ Kantianismus dem christlichen Supernaturalismus nicht so unvereinbare Dinge sind! LaEt sich denn vom moralischen
gunstig sei und vielmehr zum Naturalismus fiihre, dachte ich 5 5 Beweis der Existenz Gottes kein Ubergang zur Beweiskraft
schon, ehe Du mir dasselbe in Rucksicht auf Deine Person der Wunder machen? Du mu~t da& besser wissen als ich Un-
schriebst. Ich meine, wir haben auch schon mundlich davon geweihter. - Bei alledem prophezeie ich Dir eben doch immer
gesprochen. Da~ es mir lieber ware, wenn Du beim alten noch, Du werdest Repetent, und in dieser Qualitat, gleich
bisherigen Glauben bliebest, darf ich Dir wohl sagen. Aber, dem Pater bei Neresheim 28, ,christliche Theologie ohne dia-
liebster Diez, mir selbst schwindelt's ebenfalls vor dem Ge- 10 10 lektischen Schein vortragen, hochstens am Ende jedes Locus
danken, da~ vielleicht auch mir die Stutze entrissen werden alte Dogmatik historisch anhangen." 29 WeiEt Du, was mein
kiinnte, auf der mein Glaube an christliche Offenbarung bisher Steckenpferd sein wird, wenn ich auf dem alten Karrengaul
im ganzen so sicher ruhte. D~ mir hie und da schon in der Dogmatik nimmer fortkomme? - Dogmengeschichte. Diese
W[urttemberg] vorubergehende Bedenklichkeiten gegen macht wirklich (nati.irlich nur ein Teil davon) mein Studium
Wahrheit und Beweiskraft der Wunder aufstiegen, weiEt Du 15 15 aus. Ich habe namlich, hauptsachlich nach Plancks Heft, den

- aber es waren meist Anwandlungen einer grubelnden Laune, Kursus der Kirchengeschichte ziemlich durchgemacht und mir,
die wieder verflogen. Aber wahrlich, seit einiger Zeit fuhle was hochst notig war, Tabellen verfertigt. Nun flng ich bereits
ich's doch mehr als jemals, da~ ich unter andern Menschen vor mehreren Wochen an, mir eine besondere Materie zu wah-
als Storrianern lebe und da~ man sich des Einflusses anderer len, die ich aus Quellen studiere. Denn Quellenstudium ist's,
nicht erwehren kann. Ich fange an, dem Gedanken mehr Raurn 20 .20 worauf Planck und Spittler sogleich drangen, sobald ich das

zu geben, daE das Storrische exegetisch-dogmatische System Ganze einmal durchgemacht hatte, alles andere sei nichts.
einer Erschutterung in seinen Grundfesten - in der Lehre lch wahlte mir nun die Geschichte der Opferideen in der
von der Inspiration25 - fahig sei, und sehe im Geist die aufs Lehre vom Abendmah130, stiere seit mehreren Wochen I alle 6/7
Ganze sich erstreckende Veranderung voraus, welche ein paar . Patres, alte Liturgien und ungeheure Folianten auf der Bi-
Hauptideen, von denen unser verehrungswurdiger Storr aus- z; .25 bliothek durch, exzerpiere und notiere, was ich in meinen

geht, anders gestellt und modiflziert, notwendig nach sich Kram Taugliches flnde, und wei~ nun noch nicht, wie das
ziehen mussen. Ich bin noch nichts weniger als umgestimrnt. Ganze, das noch vieles Lesen und Degustieren erfordert, aus-
aber es ahndet mir, eine Umstimmung ware nach und nach fallen wird. Es fmdet sich, wenn man eine solche Materie
bei mir moglich - und daran ist alsdann niemand schuld anfangt, gelegenheitlich so manches, das man auch gern mit-
30 nehmen mochte, und dies macht zwar eine Untersuchung die-
als Eichhorn und Freund Tychsen26 . Der letzte ist zwar nicht JC
so beri.ihmt, aber darum nicht weniger gelehrt und nicht we- ser Art desto nutzlicher, aber halt auch desto mehr auf. Ge-
niger Genie als jener; ein junger, lustiger Mann, mit dern s:hmack flnde ich wirklich, das kann ich nicht leugnen, an
ich nach und nach ganz auf einen vertrauten Fu~ gekonunen d1esem Studium, und ich denke, daE ich mich in Kritik und
bin, weil er beinahe ist wie unsereiner Ich hielt ihn anfangs orientalischer Literatur wohl nie mehr viel einlassen werde.
35 35 (w~ £v n:aQ66cp 31 - von Schnurrer hast Du mir gar nichts
fur ganz anderer Art als Eichhorn ;her ich fand, daE er
e b enso fr e1' d
enk . jener. - 0 Schleichere,
t Wie ' 'here.t27
Schle1c geschrieben - Eichhorn sagte mir neulich, daE ich einen Brief
Was wird noch aus uns werden. Wenn's freilich mit Dir dern von ihm zu gewarten hatte.) Vielleicht arbeite ich am Ende

199
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Briefe C 4 Von S i.i~kind, 20. September 1790

32
die benannte Materie zu einem Spezimen furs Konsistorium von der Kegelbahn in Grone 335 her (wo er mich vor ein paar
aus. Planck sprach gleich anfangs vom Drucken - aber ich Tagen urn einige Groschen vernommen hat) kenne. - Lieb
sorge, die guten Herrn erwarten zu viel von meiner Wenigkeit. wi.irde mir's freilich sein, wenn uns (was gewiE geschieht)
Spittlers Ahwesenheit war mir freilich nicht angenehm - doch unser Schicksal wieder vereinigte und Du in freund schaftlichen
habe ich im ganzen, glaube ich, fur das Studium selbst nicht 5 5 (warum hast Du dies Wort unterstrichen? Raben wir denn
viel verloren; da man ohnehin in Diskursen eigentlich nicht auch schon feindselige geftihrt??) Diskursen Deine Philosophie
vie!, was das Detail betrifft, ausmachen kann und das Allge- mit mir teilen konntest. Aber ich sorge, es sei altioris indaginis
meine, gewisse Gesichtspunkte, Vorteile [p]p., vorher schon res 36 .
abgemacht werden konnte. Spittler selbst hat auch das Detail
der Kirchengeschichte nimmer so ganz wie Planck im Kopf, 10 10 Zu dem Vergni.igen, das Dir Deine abermalige gelehrte Wall-
weil er sich gar nicht mehr damit abgibt. Ubrigens hat Spittler fahrt37 gemacht hat, gratuliere ich Dir von Herzen. Wenn Du
wenigstens mich noch keinen anmaEenden Stolz ftihlen las- nur aufs Fri.ihjahr mit mir ausfliegen konntest. Man schmeckt
sen, so sehr ich auch mit dieser Besorgnis hieherkam. Er doch (wenigstens mir geht es so) ein Vergni.igen der Art
begegnete mir von Anfang an auf eine - nicht herablassen- doppelt an der Seite eines Freundes. Es tut mir wirklich leid,
de, sondern eigentlich vertrauliche Art, so wie man einen 15 15 daE ich ohne Rapp weiterziehen muK Er ist bereits (wie
Freund des Hauses behandelt - und dies nahm mich urn so mir Magister Morike38, der mit seinem Bruder39 von Berlin
mehr ftir ihn ein, je weniger ich's erwartet hatte. Ich freue aus hier angekommen ist, sagt) wieder in Jena40 und sol!
mich sehr darauf, wenn er und seine Frau wieder hieher- nachstens hieherkommen. Ist er dennb schon zum Repetenten
kommen. voziert?4 1 - Was Kapffc treibt, daE er erst aufs Fri.ihjahr hieher
2C 20 will, begreife ich nicht. 42 Was macht denn der Philosophus
Kantische Philosophie bin ich freilich auch jetzt noch nic~t Stein-Jordan-Klett?4 3 Gri.iEe mir besonders den letztern tau-
gesonnen zu studieren. Ich beruhige mich immer noch daU:Ut, sendmal. Ist auch er immer noch so skrupulos wegen der
daE ich meine subjektiven Verstandesgesetze aufs Objekuve symbolischen Bi.icher?
i.ibertrage, weil's meine Natur so mit sich bringt und ich gleich- .
sam aus mir selbst hinausgehen wi.irde, wenn ich's anders .2j 25 Noch eins! Was machst Du mit meinen Briefen? Du siehest,
machte. Mein Credo ist mit Mendelssohna: ,.,Was ich als wahr daE noch mehrere und bekanntere Leute darin kompromittiert
nicht denken kann, das macht mich als Zweifel nicht unruhig sind als in dem Deinen. (Ich werde ki.inftig NB nur die An-
7/8 - (wenigstens gewohnlich nicht)." 33 Dies ist der I Grund meiner fangsbuchstaben setzen.) Ich bitte Dich doch also ja urn alles
popularen Philosophie, die freilich weder so demonstrativ ist, in der Welt willen, sei vorsichtig im Erzahlen und laE' mir
noch so vieles weiE als die Leibnizisch-Wolffischeb. - Ubrigens .% ! Jo doch ja keinen Brief liegen. Am besten war's, sie, sobald sie
wi.irdest Du Dich wundern, wenn Du hieher kiimest und siihest, l beantwortet sind, dem Vulkan zu opfern. Klett magst Du i.ibri-
wie wenig man hier von Kantischer Philosophie spricht. Der gens mitteilen - unter eben den Klauseln - was Du willst. 44
einzige, der dari.iber liest, ist Buhle34, den ich his jetzt nur

a Orig.: »Grohnde«
3 b Var.: »dann<<
Orig.: »Mendelsohn« c 0.
ng. : »Kapf«
b Orig.: »Wolfische«

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Briefe C 5 Von Si.iKk.ind, 6. November 1790

Antworte mir bald, lieber Diez, besonders wegen der symbo-


lischen Bucher, und lebe recht wohl! Ich bin mit der warmsten cs
Freundschaft Friedrich Gotdieb SiiEk.ind, Gottingen
Samstag, den 6. November 1790
Dein 5 An Immanuel Carl Diez, Ttihingen
S.

Gottingen, den 6. November 1790

Liebster Diez!

5 Bei der Beantwortung Deines letzten ebenso groBen als mir


angenehmen Briefs 1 will ich mir zuerst die symbolischen Bucher
vom Halse schaffen und dann uber das ubrige mich expekto-
rieren2. Also zuerst einige Anmerkungen uber jene! 1) Durch
Deine Einwendungen gegen meine negative Verpflichtung der
10 symbolischen Bi.i.cher glaube ich doch noch nicht ganz ge-
schlagen zu sein. a) Du setzest zuerst "einen Lehrer, der Trinitat,
Erbsunde, Genugtuung [p]p. gar nie, weder pro noch contra,
heruhrt, also nicht gegen die symbolischen Bucher lehrt", und
fragst nun, ob ich wohl glaube, dieser habe seine Verpflichtung
15 erfUllt? R[espondeo:] Allerdings, wenn's nach dem von Dir
eingestandenen und selbst in dieser Sache (nur mit einer and ern
Modifi.kation) angewandten Grundsatz beurteilt wird: Lex non
valet, nisi promulgata. 3 Er mag es ftir sich mit der unumstoB-
lichsten GewiBheit uberzeugt sein, daB die Religionsherrn mit
20 der Unterschrift einen and ern Sinn verbinden; (aber) sie haben's
ihm ja nicht gesagt, sie haben ihn ja nicht auf diesen Sinn
verpflichtet, er handelt also nicht gegen seine Verpflichtung,
wenn er einen andern ebenso moglichen Sinn des Gesetzes
solange annimmt, his man's ihm handgreiflich demonstriert,
25 dies sei nicht der wahre Sinn des Gesetzes. b) Dein Syllogismus
cornutus 4 treibt mich so gar nicht in die Enge, daB ich ihn
vielmehr herzhaft an dem einen Horn, das er mir entgegenstoBen
will, packe. Du schlieBest so: ~ie Religionsherrn halten den
Inhalt der symbolischen Bucher ftir christliche Lehre, also ist's
30 ihre Pflicht zu gebieten, daB der Lehrer sie lehren, nicht nur,

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Briefe C 5 Von SuBkind, 6. November 1790

daB er nicht gegen sie lehren soli." Nego consequentiam. 5 Kon- Religion gehorige Satze muB er lehren, sonst ist er kein Reli-
nen danna nicht diese Herren jenen Inhalt fur christliche Lehre ~~nsl~hrer, und insofern diese wesentlich zur Religion gehorigen
halten, aber dabei so vernunftig und duldsam sein, dag sie Sa.tze m den symbolischen Buchern stehen, so wird er positive
einsehen, es sei Despotismus, jemand zu zwingen, was er lehren - ~ Ansehung der niiheren Bestimmungen, Entwicklungen, Er-
soli? Konnen sie nicht so bescheiden sein zu glauben, ihre s
1
5 we1terungen dieser Satze aber negative verpflichtet. Aber nun
Religionsherrschaft bestehe bloB darin, daB sie Unordnungen gehe ich noch einen Schritt weiter als Du. Der Lehrer wird
verhuten sollen, welche aus der uneingeschrankten Freiheit zu offenbar (per promulgationem quam maxime publicam) 9 nicht
lehren, was jedem einfallt, entstehen wi.irden - aber dabei zu nur zum Religions-, sondern zum christlichen Religionslehrer an-
glauben, daB es eine Uberschreitung der Grenzen ihrer recht- genommen. Es wird schlechterdings - und mit Recht - voraus-
maBigen Herrschaft sein wurde, wenn sie (was zu Verhi.itung JO 10 gesetzt, der Lehrer einer christlichen Religionspartei sei doch

der Unordnung gar nicht notig ist) gebieten wiirden, was man wenigstens ein Christ, wenn er auch weder Lutheraner, noch
lehren soli? Es ist weder meine noch irgendeines Religionsherrn Z~?lianer, noch sonst ein -aner ist. Man kann nicht sagen: Die
Pflicht, das, was ich oder er fUr Wahrheit halten, andem aufzu- Religwnsherrn haben nirgends publice erkliirt, daE sie das zum
dringen; bloB dies ist die Pflicht der letztern - videre, ne quid wesentlichen Inhalt der symbolischen Bucher rechnen, daE ein
res publica christiana detrimenti capiat6 . Aber das heillt doch 15 15 Jesus gelebt, das und das getan und als gottlicher Gesandter

nicht, Schaden nehmen lassen, wenn man in Sachen, die kein eine. neue Religion ( sie mag nun bestehen, in was sie will)
Gegenstand des Zwangs, sondern der Uberzeugung sind, keinen gestiftet habe. Das versteht sich von selbst - versteht sich so
Zwang anwendet. 2) Brastberger betreffend - so weill ich nicht, offenbar, daB wohl niemand daran zweifeln wird - sonst wiiren
wie sich bei mir - schon von langerer Zeit her - die Idee ja. die Religionsherrn keine christlichen Religionsherrn - kurz,
:ZO WIT mogen hinsehen, WO wir wollen, SO sto.Ben wir auf diese
festgesetzt hat, man habe ihm bei jener Gelegenheie die Weisung 2C
gegeben, kunftig wenigstens in seinen Religionsvortriigen von Vora~ssetzung, und wenn nichts ware, so ware doch jeder Sonntag
den ihm angeschuldigten Irrtumern zu schweigen, wenn er auch und Jeder Festtag der unwiderlegbarste, offentlichste Beweis,
nicht gerade die orthodoxen Lehren vortragen wolle. 8 Ich sehe 1 daE es ebenso notorisch vorausgesetzt wird, wir seien Christen,
nun jetzt erst, daB sich diese Meinung bei mir eingeschlichen ; als man voraussetzt, wir glauben einen Gott. Du wirst leicht
25 s~hen, wo ich hinaus will. Der Nichtchrist (im unbestimmtesten
hat, ohne daB ich weill, ob sie auf einer einmal gehorten sichern 25
Smne des Worts) kann ebensowenig als der Atheist Religions-
historischen Nachricht beruht; und lasse es jetzt auf sich beruhen.
l~hrer werden - denn er soll nicht nur Religions-, sondern christ-
3) In Ansehung des folgenden oder der Vorstellung, durch welche
lzcher Religionslehrer werden - und die Religionsherrn I haben I/.2
Du Dir jetzt hilfst, gebe ich Dir insofern recht, daB ich auch
es ~urch hundert und tausend notorische Fakta und Au.Berungen
glaube, man werde ( unerachtet des obigen von der negativen 3 0 so offentlich als moglich erkliirt, daB sie den Satz, die christliche
Verpflichtung) wenigstens auf den wesentlichen lnhalt der sym- 31
R~ligion (uberhaupt genommen - ihre Satze mogen alsdann
bolischen Bucher positive verpflichtet. Ich Stelle mir namlich die
sem, welche [sie] wollen) ist Lehre eines gottlichen Gesand ten,
Sache so vor: Etwas muB irgend in diesen Buchern enthalten
~ein, :on dem der Religionslehrer, eben weil er Religionslehrer
u.nd das Neue Testament ist principium cognoscendi 10, - daE
Sie diesen Satz zum wesentlichen Inhalt der symbolischen Bucher
1st, rncht schweigen darf und kann - gewisse wesentlich zur 35 r~~hnen. Gehort dies zum wesentlichen Inhalt der symbolischen

Bucher, auf den wir - wie Du annimmst 11 - positive verpflichtet


Werden, so darf der Religionslehrer davon nicht schweigen, so
a hier im Sinne von »denn«

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Briefe C 5 Von SiiEkind, 6. November 1790

muB er die Geschichte Jesu - wenigstens das Wesentliche davon ihn nichts angehende Person, redend, schlieBend, empfindend,
- vortragen, so muE er frank und frei heraus lehren: Jesus war urteilend iiber den Tod Jesu, einzufuhren - es ist seine Uber-
ein gottlicher Gesandter, und seine Lehre ist Wahrheit! Der Na- zeugung, daB der Tod Christi Ursache unserer Seligkeit sei -
turalist kann also, diinkt mich, nach Deinen Grundsatzen nicht wenn er auch keine satisfactionem vicariam 13 annimmt. Kurz -
einmal ,den Aktus des Unterschreibens mit gutem Gewissen ver- 5 5 als heterodox ungefahr auf die Art, wie ich's bisher war, getraue
richten." Doch - wenn er's auch konnte, so stiirzen sich ihm, ich mir, ohne Verletzung meiner Ehrlichkeit, freilich hie und da
wie Du selbst es bemerkt hast, beim ersten Schritt, den er im nicht ohne Beschwerlichkeit durchzukommen; als Naturalist aber
Amte tut, uniibersehbare Schwierigkeiten entgegen. Du hilfst Dir wiirde ich jedesmal mit Zittern und Beben meine Kirche betreten.
aus diesen Schwierigkeiten oder glaubst Dir daraus zu helfen, Ich glaube,jener lcann (wenn ja die Sache so ausgedriickt werden
wenn Du nur immer sagst: Der Christ denkt [p]p., die Schrift 10 I 0 soil) seine wahre Meinung unter zweideutigenAusdriiclcen versteclcen 14
sagt [p]p. Du gehst sogar so weit, daB Du glaubst, der Naturalist (ich wiirde lieber sagen: Er kann die ailgemeinen Wahrheiten,
komme noch besser zurecht als der heterodoxe Christ. Aber, insofern und insoweit sie praktisch sind, z. B. die Lehre vom
lieber Diez, mir ist dies schlechterdings undenkbar. 12 Mehr als Tod Jesu als der Ursache unserer Seligkeit - vortragen und die
hundertmal miiBte der Naturalist z. B. in der Osterkinderlehre naheren, subtileren, eben damit unfruchtbaren Bestimmungen
sagen: Der Christ glaubt - der Christ denkt - die Schrift sagt 15 15 z. B. von der stellvertretenden Strafe - weglassen); dieser hingegen,
- [p]p. Er miiBte aile die Beweise fur die Glaubwiirdigkeit der der Naturalist, kann es nicht einmal und kann daher kein geistliches
Auferstehung stilo relativo erzahlen, miiBte bei jedem neuen Amt annehmen, wenn es auch nicht dem wesentlichen Inhalt
Perioden beinahe seine allerliebsten F1ickformeln wiederholen, der symbolischen Bucher zuwider ware, ein Naturalist zu sein.
urn sein Gewissen nicht in Unruhe zu setzen ( denn bei jedern - - Was Du von der Pflicht des weisen Lehrers sagst, dem
kategorischen Satz spricht er gegen seine Uberzeugung) - und 20 ' :<.o Zuhorer, dessen Auge es noch nicht ertragen kann, den heilen
was in ailer Welt wiirde daraus werden? Wie unausstehlich mi.iEte Tag nicht zu zeigen 15, hat meinen ganzen Beifal4 und ich setze
es sein, einem solchen Vortrag zuzuhoren? Der Mann wi.irde, je hinzu, daft ich so gewill als von irgend etwas davon iiberzeugt
gewissenhafter er die ihm von der traurigen Notwendigkeit auf- bin, daB weder Du noch ich, wenn wir auch 80 Jahre erreichen,
gelegte Forme! wiederholte, desto mehr bei seinen Zuhorern irgendeine Dorfgemeinde im Vaterland bekommen werden, die
zum Gelachter werden - und dann pariere ich tausend gegen 25 :<.5 auch dann schon imstande ware, den heilen Tag zu ertragen.
eins, er kann's doch nicht vermeiden, daft ihm nicht hie und Der gemeine Mann ist (wenigstens nach meinen Vikariatserfah-
da ein Satz herausfahrt, den er ex sua persona sagt und den er rungen) im Jahr 1790 noch ebenso unaufgeklrui: als im Jahr
doch nicht glaubt. Ganz anders ist's doch gewill mit dem bloE 1690, und ehe er des Grads von Aufklarung fahig ist, den (nach
heterodoxen Christen- wenigstens wenn era la Diez et Si.iBkind Deiner Bemerkung) die Kantische Philosophie bezielt, muB er
3 0 erst den Grad theologischer Aufklarung erreichen, den z. B. die
heterodox ist. Er hat doch einen festen Grund - er hat doch JC
die Bibel, aus der er frei heraus, ohne seiner trberzeugung nahe Storrischen Vorsteilungsarten mit sich bringen. - Mit andern
zu treten, argumentieren und auf die er verweisen darf - er ~orten: Ehe er des Naturalismus ohne Schaden empfanglich
kann aile ihre Ausdriicke beibehalten, kann ex sua persona fast wrrd, miissen erst gereinigtere christlich-theologische Vorsteilun-
immer reden - weil er in offentlichen Vortragen die Wahrheiten gen bei ihm herrschend werden, weil / jede Aufklarung stufen- .2/3
55 35 Weise gehen muK DaB er noch nicht einmal die letztere hat, ist
in einem unbestimmten Dunkel lassen, mit einem unbestirrunten
ein Beweis, da!S er noch unendlich weit von der Kapazitat zu
A~sdru~ de~ aber Wahrheit ist, vortragen kann. Er hat z. B. ?ar
rncht nong, d1e ganze Karwoche hindurch den Christen, als eme dem erstern entfernt ist und daft der naturalistische Lehrer ( wenn

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er ja doch ein Amt annimmt) seinen Naturalismus ganz ruhig wirklich Kantische Philosophic so ganz unvereinbar mit dem
noch ein paar Generationen verbergen kann, ohne sich den Vor- Christentum ist! Dein neuer Collega, Rapp 20, ist von Jena als
wurf machen zu miissen, daB er seinen Zuhorern ein wohltiitiges der entschiedenste Kantianer, aber zugleich auch als der ent-
Licht 16 entziehe. schiedenste Storrianer zuriickgekommen. 21 Wer von Euch bei-
5 5 den hat nun recht? Ich weiB gewill, daB er die Gottlichkeit
Nun ware noch der Punkt vom Verhaltnis der Kantischen Phi- der Lehre Jesu so fest als irgendwas glaubt und durch Kantische
losophic zum Christentum iibrig. Ich hatte zwar einiges gegen Philosophie wirklich orthodoxer geworden ist. - - Doch jetzt
das, was Du davon schreibst, zu erinnern, aber ich bin ein genug hievon!
armer Laie und furchte Unsinn zu schwatzen, wenn ich mich
dariiber einlasse. Aber das kann ich Dir nicht bergen, liebster 10 IO DaB meine Prophezeiungena in ihre volle Erft.illung gegangen
Diez, daB mir Deine AuBerungen tief zu Herzen gegangen sind22, wuBte ich, ehe Dein Brief ankam. Niethammer war gerade
sind und den Wunsch aufs neue in mir rege gemacht haben, damals hier23 ( er kam etwa vor sechs Wochen mit Rapp und
wen~ ich zuriickkomme, selbst auch Kantische Philo sophie .zu I ist vor zehn Tagen wieder zuruck), und wir waren auf nichts
begieriger als auf Dein Benehmen dabei. Meine Wenigkeit be-
stud1eren. Rechne es mir nicht als Schwachheit an, wenn tch
Dich bier in allem Ernst versichere, daB ich Dir und mir sehnlich 15 I IS hauptete, Du wurdest Dich in die Umstande fugen und ohne
wiinsche, das Christentum gerettet zu sehen. Ich stehe nicht weitere Gegenversuche die Kutte anziehen. 24 Dies ist nun auch
daft.ir, daB ich mich nicht auch einmal auf irgendeinem Wege geschehen, und es ist offenbar das beste, was Du tun konntest.
davon trenne - aber, mein Lieber, das weill ich, die Trennung So sehr ich gewill aufrichtiges Mitleiden mit Dir babe, daB
wiirde meinem Herzen (so) schwer fallen, als mir in meinem Dir auch bier alles so ganz gegen Deine Wunsche gegangen
Leben irgendeine Trennung von einem geliebten Gegenstand lC .20 ist, so hoffe ich doch auf der andern Seite, Du werdest die
gefallen ist. Es ist wahrhaftig nicht bloB das Iiebe Brot und Lage, wenn Du einmal eingeschirrt bist, nicht so schrecklich
17
die gemachliche Rube, die ich fur den avftgwnov aaQXL%0V fmden, als sie Dir jetzt vorkommt. Das Repetentenleben ist
dabei fin de- ich denke, der, der die Vogel des Himmels nahrees, doch immer, ohnerachtet der vier puncta exclamationis25 , an
wurde auch mich in jedem Fall, selbst mit Weib und Kindern, sich besser als das Hofmeisterleben; das letztere ware doch
nicht verhungern lassen - es ist das Edle, Erhabene, unsern 25 .25 nur in Riicksicht auf den nicht namhaft gemachten ( aber von
Bedurfnissen Angemessene, das die Lehre Jesu selbst auch in mir verstandenen) Punkt und in Rucksicht auf kunftige Aus-
Ansehung gewisser eigentumlicher Vorstellungen hat, was me~n sichten in einem andern Fach (wiewohl dies noch problematisch
Herz so stark an sie fesselt und selbst auch dann noch an s1e ware, denn Du hattest wahrhaftig nicht bei jeder Stelle Medizin
fesseln wurde, wenn ich, durch Philosophic genotigt, ihr das fur Dich studieren konnen?6 - erwunscht gewesen. In Ansehung
letzte Lebewohl gesagt hatte. Du wirst einen volligen Pietisten JC 30 dieser wird die Zeit scbon lehren, was zu tun; indessen ginge
zu horen glauben - aber ich bin wahrhaftig in meiner jetzigen ich ruhig meinen Gang fort und suchte ubrigens, d buva'tov,
Lage so sehr als jemals davon entfernt; 19 es ist Ausdruck der 'tO E~ Ef.tOU, f.tEL<l Jt<XV'tWV avftgdmwv ELQ'YJVEUELV 27 . Vielleicht
Empfindung, die Dein Brief selbst in mir erregt hat. Ich birte tragt auf der andern Seite auch die Freude, nun einen Repetenten
Dich, Iieber Diez, urn Deinet- und urn meiner willen, uberlege vor sich zu sehen, etwas dazu bei. - Ich meines Orts bin auch
es nochmals mit der skrupulosesten Gewissenhaftigkeit, ob danna 35

a hier im Sinne von »denn« a Orig.: »Prophezeiuungen«

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in Ri.icksicht auf die vier ersten puncta exclamationis sehr frob. gelegenheitlich etwas zu meiner Verteidigung sagen willst, so
daf.S ich aus dem engen Kreise des Vaterlandes auf eine Weile sage nur, Du wissest gewif.S, da:LS Magister Bauer schon vorher
herausgekommen bin. Es tragt gewif.S sehr viel dazu bei, sich in Wurf gekommen sei und wahrscheinlich auch dann Repetent
i.iber solche unangenehmen Verhaltnisse mehr wegzusetzen, geworden ware, wenn man mich ebenfalls dazu gemacht hatte.
wenn man eine Zeitlang in einem erweitertern Kreise, in man- 5 5 - - Schreibe mir nun auch recht fleillig, wie's danna jetzt bei
nigfaltigeren Verhaltnissen und unter allerlei Menschen gelebt Euch - besonders aber mit Dir - geht. Wie in aller Welt benimmt
hat. lch denke, mir wird dieses einst, wenn ich in eben die sich dannb Herr Kapff?35 Sage ihm, nebst meinem vielfachen
Lage komme, in der Du bereits bist, urn so mehr zustatten Gruf.S, daf.S das Logis fur ihn in der Niihe von Seyffer bereits
3/4 kommen, je mehr es gerade fi.ir mich, I bei meiner Erziehung, bestellt sei und er einziehen konne, sobald er wolle. Die Iiebe
36
bei meinem Naturell [p]p. Bedi.irfnis war. Ubrigens jetzt schon 10 10 Theologie wird unserm Mathematiker nun wohl manchen H ...
Repetent geworden zu sein, ware mir der fatalste Streich ge- Sakr. auspressen! Weif.St Du, was ich gewi.inscht hatte? Nachsten
wesen. Ich muf.S doch auch davon noch reden. Da:LS ich es Sommer, wenn ich zuri.ickkomme, Bibliothek~ 7 bei Euch zu
diesmal schon werden sollte, wirst Du wissen. 28 Rieger29 hatte werden und auch in den Locus zu gehen38 . Ich ging wirklich
auch bereits ( das sage ich aber nur Dir) einen Brief an mich ernstlich damit urn, an Schnurrer zu schreiben und ihn zu fragen,
vor der Session geschrieben, in dem er mir geradezu sagt, sie 15 15 ob nicht die Stelle his auf meine Zuri.ickkunft unbesetzt bleiben
mi.i:LSten hei dem Mangel an Leuten auch mich schon dazu konnte? Teils aber besorgte ich, wegen des Wunderlichs39 eine
machen, und mir im Namen des Konsistoriums bedeutet, ich Fehlbitte zu tun, die mir bei diesen Umstiinden sehr unangenehm
solle mich nur jetzt ungesaumt mit Rapp auf den Weg machen. gewesen ware; teils wollte ich dem Niethammer, der eben des-
Nun fiel's ihm aber doch noch ein, die Sache lief.Se sich vielleicht wegen wirklich an Schnurrer schrieb40, nicht im Wege stehen.
noch abandern, so da:LS meine, nur ein paar Wochen zuvor in 20 :zo Also werd' ich nun wohl wieder ein gemeiner Vicarius werden.
meinem offiziellen Brief ans Konsistorium geauf.Serte Bitte um - Meinen Bruder41 werd' ich wohl nicht notig haben, Dir und
ein liingeres Ausbleiben mir gewahrt werden konnte. 30 In der Kapff zu empfehlen. Wenn er Euch weder zum Beten noch in
Session also, da die Herrn an mich kamen, (sagte er,) es ware die Prozession42 kommt, so wundert Euch nicht, denn ich habe
mir doch zu gonnen, wenn mir jene Bitte gewahrt wi.irde, und, ihn angewiesen, Euch ohne weiteres nicht zu kommen43 . Schreibe
da ohnedies von dem Magister Baue~ 1 auch die Rede war, so 25 25 mir doch auch hie und da, wie er sich benimmt und wie Du

dekretierten aile, diesen zum Repetenten zu machen und mich ihn findest. - Weberc ist ja nun Schriftsteller.44 Herr Kanzler Le
noch in Gottes Namen mit der Vokation zu verschonen. 32 Man Bret schrieb mir dies neulich mit dem Beisatz, ob ich nicht auch
k~nn .dies~m nach eigentlich nicht einmal sag en (was man - durch irgendein Skriptum mir literarische Existenz verschaffen
Wie mrr meme Mutter mit vieler Betri.ibnis schreibt- ihr nachsagt), wolle? lch bin aber noch zu nichts entschlossen - mein tractatus
Jo historicus i.iber die Opferideen (Du hast doch niemand nichts
daf.S si~ sich. die Repetition fur dies mal abgebeten haben un? JC
urn memetwillen der Magister Bauer eingeschoben worden ser; gesagt?) ist noch lange nicht fertig. 45 Das Ding erfordert verdammt
wiewohl ich mich lediglich nichts darum beki.immerte, wenn's viel Stieren und Degustieren oder, wie Spittler sich ausdri.ickt,
auch so ware und einige derer, die nach dem Bauer sind, (etwa
auch Herr Schnurrer urn seines Neveu 33 willen) ein bisgen un-
ge~alt~n auf ~ch waren. 34 Genug - ich bin jetzt noch in der 35 a hier im Sinne von »denn«
b h'1er 1m Sinne von »denn«
0

Fre1hert und bm dari.iber unsaglich froh. Ubrigens behalte den


c Orig.: »Weeber«
ganzen Hergang der Sache vor Dich - und wenn Du allenfalls
211
210
Briefe C 6 Von SiiBkind, 2. Dezember 1790

rechts und links Herumreiten, weil die Materie fast durch aile
Jahrhunderte durch fortlauft und in so viele andere eingreift. C6
Storrs Disputation46 babe ich bereits auch gelesen, - der Mann Friedrich Gottlieb Siillkind, Gottingen
steht doch nie stille - das hat er aufs neue bewiesen. - Die Donnerstag, den 2. Dezember 1790
Nachrichten von der philosophischen Synode - 47 sind hier schon 5 An Immanuel Carl Diez, Tiibingen
bekannt. Feder48 sagte zu mir, es sei ein ganz artiges, lustiges
Ding, verrnutlich aus Schwaben; es sei wenigstens gedruckt wie
die Flattischen Schriften. Buhle kenne ich noch nicht weiter. Er Gottingen, den 2. Dezember 1790
ist mehr Philolog als Philosoph.
10 Liebster Diez!
49
Von der Umstimrnung der Begriffe von Theopneustie (ftir
die ich iibrigens derzeit noch gar nicht entschieden bin) viel- 5 Soeben erhalte ich Deinen Brief nebst den Einschliissen und
leicht ein andermal - denn ich muE jetzt schlie.Ben. Lebe wohl, will, da Rapp iibermorgen friih abreist, soviel die Zeit erlaubt,
liebster Diez, und schreibe bald sogleich wieder antworten.
15
Deinem Fur Deine Beschreibung Eures Repetentenlebens danke ich
S. 10 Dir recht sehr - Du kannst Dir nicht vorstellen, wie begierig
ich darauf war und wie sehr das Interesse, das man an solchen
NS Rapp la.Bt Dich vielmal grii.Ben. Er ist nun wieder ziemlich Nachrichten nimmt, durch den Aufenthalt im Auslande ver-
besser0, darf aber doch noch nicht abreisen. Er wird schwerlich 2C starkt wird. Der Spielklub 1, den Ihr zusammenmacht, ist nun
viel vor dem neuen Jahre eintreten konnen. Weber griiEe von freilich eine verdammte Neologie2, in Ansehung deren ich
mir - auch Gaab meinen GruE oder Kompliment. 15 Euch von Herzen wiinsche, daE sie geheim bleiben moge.
Sonst mochte wahl unser Gnadigster notig finden, nicht nur
von einer Reformation der Glieder, sondern von einer Re-
~?rmatione capitis ( oder capitum) et membrorum 3 zu sprechen.
Ubrigens gefallt mir dieser Klub besser als der Advokatenklub,
:<o zu dem ich mich, wenn ich auch spielte, nie schlagen wiirde.
Wie sieht's danna mit dem Bibliothekariat aus? Niethammer
( der, wie Dir bekannt ist, von bier a us an Schnurrer schrieb4 ,
es ihm auf nachsten Sommer aufzuheben) scheint seinen Plan
geandert zu haben. Denn er schrieb neulich, daE er aufs
:<s neue in vorteilhafte Thaktate mit Ettinger treten werde. ((Dies
sage ich aber sub rosa 6.)) Ich hatte damals den Gedanken
ebenfalls, mich bei Schnurrer auf nachsten Sommer urn diese

a hier im Sinne von »denn«

213
212
Briefe C 6 Von Si.igkind, 2. Dezember l 790

Stelle zu meld en - die mir ( da ich schwerlich sogleich nach Auch erwartete ich etwas ganz anderes, als ich fand, namlich
meiner Riickkunft Repetent werde) in mehr als Einer Riicksicht eine eigentliche Persiflage des Kantischen Systems und der
die allererwiinschteste Stelle ware. 7 Allein teils wollte ich Niet- Verteidiger desselben als philosophischer Papste. Aber das ist's
hammern nicht im Wege stehen; teils ftirchtete mein Stolz nun wirklich nicht, da die Popularphilosophen schlimmer als
urn der wahrscheinlichen Konkurrenz mit Wunderlich8 willen s 5 die Kantianer wegkommen und die letzten eigentlich gar nicht,
eine abschlagige Antwort - teils hab' ich meinem Oncle9 auf sondern bloE der wahrlich hochst-unphilosophisch-intolerante
den Fall, daiS er seinen Vicarius his dorthin verlore, schon ~einhold geziichtigt werden, was ich ihm herzlich gonnte. Der
halb versprochen, zu ihm zu gehen. Dies letztere ware mir Uberbringer dieses Briefs 18 (iibrigens der warmste Verteidiger
nun freilich das allerunangenehmste, und ich weill nun nicht, desselben) wird Dir vielleicht erzahlen, wie ungleich heftiger
was aus dem gereisten Magister werden wird. Aus Deinem 10 10 und unanstandiger noch als in Schriften er privatim gegen
Brief sollte ich fast schlieEen, daiS man dem Niethammer seinen Antikantianer, namentlich gegen Flatt schimpft. 19 Es scheint,
Wunsch gewahren wolle; und wenn er nun abstrahiert, so die Theologen, denen man ehmals mit Recht den Geist der
weill ich nicht, ob ich nicht doch noch einen Versuch machen lntoleranz vorwarf, haben nun ihre Rolle zu schimpfen, an die
sollte. Als bloEer Senior 10 nach Thbingen zu sitzen, ware mir Philosophen abgegeben. Dies sei unbeschadet meiner Hoch-
natiirlich weit nicht so lieb. Wenn Niethammer zu Ettinger 15 15 achtung gegen Kantische Philosophie, die ich auch bei meiner
geht, so hat das iibrigens den Nachteil fiir mich, daiS er nicht, diirftigen Kenntnis derselben doch bewundere, gesagt! Uber
wie wir's ausgemacht hatten, mit mir nach Berlin [p]p. reist. Deinen Brief an P[lanckp0, insofern er auf diese Philosophie
I/ .2 Inzwischen Deus providebit 11 • I und ihr Verhaltnis zur christlichen Religion Bezug hat, kann
ich jetzt doch ein paar Worte nicht zuriickhalten. Ich begreife
Trefflich ware es (iibrigens), wenn wir so bald wieder in Tu- 20 20 nicht, wie Du die christliche Moral als etwas mit Kant so gar
bingen zusammenkamen. Ich wollte Euch auf meiner Bibliothek Unvereinbares ansehen kannst; 2 1 Kant leugnet doch (wie ich
zusamt Euren Kutten und Martinsgansen 12 etc. auslachen, und mich ganz bestimmt gelesen zu haben erinnere22 und auch
lachen miiEte ich besonders, wenn ich bei dem Orden der von Rapp 23 weill) die Brauchbarkeit der Ideen von Gott und
lustigen Bruder das Essen petieren lassen [p]p. 13 miiEte. Aber einem kiinftigen Leben fiir einen nach dem reinen Sittengesetz
14
freilich, das verdammte Geld ware doch auch so eine Sache! 25 25 handelnden oder handeln wollenden Menschen gar nicht. Moral
- Wenn Du so fortfahrst 15 und Rapp auch anfangt, Kantisch- wird freilich vor der Religion gegriindet, und der eigentliche
dogmatische Locos zu halten, so werde ich wohl mit meiner Beweggrund oder Verpjlichtungsgrund zur Tugend beruht freilich
Rockenphilosophie 16 im Locus einst eine sonderbare Figur gar nicht auf der Hoffnung kiinftiger Belohnungen, d. h. ich soli
machen. Vermutlich wird jetzt Abel doch auch mehr Kantische nicht deswegen das Cute tun, weil es mir jetzt und kiinftig Vorteile
Ideen in Umlauf bringen - ich hore, ~r inkliniere immer mehr JC 30 bringt - mein I hO'chster und letzter Beweggrund mulS etwas anders 2/3
ad Kantianismum. Die Nachricht von der neuesten philosophi- als Gliickseligkeit sein. Aber ein Antrieb, eine Ermunterung, eine
schen Synode 17 hab' ich auch gelesen. Ich will nicht leugnen, Unterstiitzungfur meinen sinkenden Mut beim Kampf der Thgend
daiS Flatt Verfasser ist, aber seinen Stil miiEte er doch recht - darf doch (wenn mich nicht alles irrt) die Aussicht auf ein
absichtlich und wahrlich mit groEer Miihe geandert haben. kiinftiges Leben sein. Ich sehe nicht, wie dabei eine Heteronomie
35 des Willens herauskommen soli. Mein Wille gibt sich selbst das
Gesetz - d. h. ich bin iiberzeugt, daiS ich nicht urn der kiinftigen
a Orig.: »RokenPhilosophie«, Var.: »Robenphilosophie«? Belohnungen willen gut handeln muE, sondern aus Achtung

.214 .215
Briefe C 6 Von SiiEkind, 2. Dezember 1790

gegen das reine Sirtengesetz, ich bin iiberzeugt, d:ill ich so zu - und andere von diesen unabhangige Beweggriinde. In Anse-
handeln verbunden ware, wenn's auch keinen Gort und kein hung der letztem ware es doch hochst unbillig, wenn man von
kiinftiges Leben gabe; und in dieser Uberzeugung, aus diesen Christo - dem popularen Moralisten - fordem wollte, da~ er
vom kiinftigen Leben unabhangigen Beweggriinden handle ich a
ein System der Moral la Kant harte vortragen, ein hochstes
gut. Aber ich bin nicht der Mensch, der nur wollen diirfte, urn 5 5 Prinzip desselben I und zwar gerade das Kantische totidem ver- 3/ 4
das zu tun, was ihm das reine Sirtengesetz befiehlt und wozu bis26 harte aufstellen und daraus recht systematisch aile Pflichten
ihn dieses als das hochste Prinzip seines Handelns verpflichtet; harte deduzieren sollen. Aber was er als Volkslehrer tun konnte,
ich bin auch ein sinnlicher Mensch, und es kommen Zeiten, wo das tat er ge~, d. h. er griindete seine Moral auf dieselben
ich schlechterdings zu schwach ware, blo~ aus reiner Achtung Griinde wie Kant, nur trug er diese Prinzipien, wie er's mu~te,
fUrs Gesetz meine Pflicht zu erfullen. Ich verbinde also gewisse 10 10 in einem popularen Gewand vor. Die Regel: Alles, was ihr wollt,
Emzunterungen (die Ideen von einem kiinftigen Leben) mit den d:ill euch [p]p?7, ist schon mehrmals mit dem Kantischen Prinzip
eigentlichen Verpflichtungsgriinden zur Tugend, urn durch diese einer allgemeingiiltigen Maxime fUr identisch erkliirt worden?8
Ermunterungen meine Krafte zu beleben und meinen Mut zu Ich weill wohl, d:ill die Identitat nicht so vollkommen ist und
starken. Noch einmal - ich erinnere mich ganz bestimmt noch das Kantische Prinzip weit mehr umf:illt; aber in gewissen Grund-
aus der Lektiire von Schultz'3 Erlauterungen24, d:ill dies Kants 15 15 ideen kommen doch, wie mir's scheint, beide zusammen, und
Meinung ist, und ich begreife nicht, wie er anderer Meinung in dem Zusammenhang, in dem Jesus das Prinzip vortrug, war's
sein konnte, solang er die Menschen Menschen sein l~t und genug, es mit dieser Modifikation vorzutragen - denn er trug
sie nicht zu Engeln macht. Er nimmt ja (wenn mich nicht alles keine allgemeinen Prinzipien der Moral vor, sondem was er
triigt) eben zu diesem Behuf das Dasein Gortes und einer un- vortrug, waren gelegenheitliche Au~erungen, waren Grundsatze,
sichtbaren Welt an, weil (dies sind ohngefahr seine eigenen Worte, 2C :<o die auf vorliegende spezielle Pflichten angewandt und also, urn
die mir noch im Gedachtnis geblieben sind) ,die Gesetze der sie desto intuitiver zu machen, nicht in ihrer gro~ten Allgemein-
Sittlichkeit ohne einen Gort und ein kiinftiges Leben fur uns heit vorgetragen wurden. Offenbar warder Satz, wie ihn Christus
zwar Gegenstande des Beifalls und der Bewunderung, aber we- ausdriickte, popularer, intuitiver als das Kantische Prinzip, das
nigstens nicht immer wirksam genug waren, uns auch zur wirk- eben wegen seiner gro~eren Allgemeinheit der Fassungskraft
lichen Ausiibung derselben zu bringen". 25 Ich schlie~e daraus, 25 :<5 des rohen Yolks nicht so nahe lag. Auch sonst trug Jesus Be-
da~ nach dem Kantischen System der Wert der Tugend nicht weggri.inde zur Tugend vor, die ( unabhangig von Belohnungen)
aufgehoben wird, wenn wir mit der Vorstellung des reinen Sit- wahrhaftig ebenso edel und erhaben sind als das Kantische
tengesetzes als dem eigentlichen Prinzip unserer Handlungen Prinzip. Ich weill wirklich nichts Gro~eres als die so haufig
~uch noch die Ideen von einem kiinftigen Leben, wenigstens vorkommende Idee, deswegen recht zu handeln, weil man da-
9
rn gewissen Fallen, wo es uns zu schwer wiirde, blo~ aus reiner j( JO durch Gort - dem Vollkommensten ahnlich wirdF Die eigene

Achtung ~ jenes zu handeln, auf die angegebene Art verbind~n. Wurde der Tugend, die sie unabhangig von allen Belohnungen
Und nun d1e Anwendung hievon auf die christliche Moral! Hier hat, kann doch wirklich nicht richtiger und zugleich f:illlicher
isfs nun doch unleugbar, d:ill Christus beiderlei Beweggri.inde dargestellt werden als durch die Idee: Du wirst dadurch dem
zur Tugend braucht - die Aussicht auf kiinftige Belohnungen Vollkommensten ahnlich! Denn unverkennbar liegt dabei der
35 Gedanke zum Grund: Die Tugend an sich, ohne Riicksicht auf
Vorteile, ist das Erhabenste, Edelste, Liebenswi.irdigste, und wir
a Orig.: »Schulz'« sind urn ihr selbst willen dazu verpflichtet. Ich getraute mir, bei

216 217
Briefe C 6 Von Si.iEkind, 2. Dezember 1790

genauerem Nachsuchen noch mehrere von Belohnungen unab- ich aber die Gottlichkeit der christlichen Religion nicht preis -
hangige Beweggriinde zur Thgend in der christlichen Moral auf- ich wiirde in diesem Fall (wie Planck und Rapp) meine Uber-
zufinden; allein es mag jetzt genug sein. Wenn dies richtig ist, zeugung davon auf den von Betrug und Schwarmerei gleich
so fragt sich nur noch, ob ihr das zum Vorwurf gereichen konne, entfernten Charakter Jesu (wie ihn die Evangelisten schildern)
daE sie neb en den angefuhrten Verpflichtungsgriinden auch noch 5 33
5 griinden. Vermutlich wird Planck in seiner Antwort Dich darauf
andere Ermunterungsgriinde gebraucht:, die von kiinftigen Be- verweisen, und ich sehe wohl, daE Dir dies nicht befriedigend
lohnungen hergenommen sind? Das Obige, das ich nicht wie- sein wird, weil Du, soviel ich merke, iiberhaupt die Moglichkeit
derholen will, vorausgesetzt:, sehe ich schlechterdings keinen irgendeiner Offenbarung oder doch die Moglichkeit:, eine Of-
Grund zum Vorwurf, es miiEte dann dieser sein, d~ die Moral fenbarung zu beglaubigen, leugnest. Ich wiinschte, Du legtest
Jesu die von Belohnungen unabhangigen Verpflichtungsgriinde 10 I O mir Deine Griinde dafur noch einmal mit der moglichsten Deut-
nicht so philosophisch-genau von den andern Ermunterungs- lichkeit und Popularitat vor. 34 Vielleicht war's doch moglich, d~
griinden unterscheidet und jene im Gegensatz gegen diese nicht ich sie kapierte. - Endlich rouE ich noch das beifugen, daE mir
so ausdriicklich, als man's von einem Philosophen fordem kann, Rapp (die Gottlichkeit der Religion Jesu vorausgesetzt) doch nicht
als das eigentliche oberste Prinzip der Moral auszeichnet. Die so unrecht zu haben scheint:, wenn er behauptet:, nach der Kan-
Antwort:, die ich mir gebe, liegt schon in der obigen Bemerkung, 15 IS tischen Philosophie find en keine philosophischen Einwiirfe gegen
daE Christus kein System vortragen wollte und konnte. Kurz - die Geheimnisse derselben statt. Eben weil wir durch unsre
ich getraute mir, die Moral Christi ganz gut mit der Kantischen Vemunft nichts von iibersinnlichen Dingen wissen, so konnen
4/5 ( der ich wirklich nicht Imehr so abgeneigt wie vorher, wenngleich wir auch durch diese Vernunft keine Einwendungen gegen die
noch nicht daftir entschieden bin) zu vereinigen. - Etwas An- Belehrungen machen, die uns (ex hypothesi) Gott:, der doch die
m~ung konnte es freilich scheinen, daE ich Dir hier auf zwei 2C 20 iibersinnlichen Dinge kennen muE, von denselben gibt. Alles
vollen Seiten eine Sache demonstriere, iiber die Du schon un- kame daher nur auf die erste Frage von der Gottlichkeit der
endlich mehr als ich gedacht:, gelesen und geredt hast - allein Lehre Jesu nach Kants System an, und wenn diese bejaht werden
ich kann Dir nicht helfen, und wenn ich ( woftir ich nicht ganz kann, so scheint mir wirklich nichts konsequenter als Storrianis-
stehen kann) denn doch geirrt habe, so hoffe ich, Du werdest mus.35
m1c. h' '
' EV JtVEUflUl:L I
JtQUOTYJl:0£ 30, zurechtweisen. Aber noch etwas.
2.l 25

D~ gegen den Wunderbeweis die namlichen Einwendungen


31 An Rapp wirst Du, denke ich, sicher den liebenswiirdigsten
der Kantischen Philosophie stattfinden wie gegen den physiko- Deiner Kollegen finden. Es tut mir sehr leid, daE er geht. Ich
theologischen pro existentia De?2, habe ich, wo ich nicht irre, habe bei naherem taglichem Umgang manche sehr schatzbare
D~ _schon in friiheren Zeiten zugegeben - hingegen rouE ic~ Seite an ihm gefunden und sehr frohe Stunden mit ihm zu-
Drr Jetzt sagen, daE ich seit einiger Zeit, teils durch eigene rrur Jl 30 gebracht. 36
b~ld mehr, ~ald weniger stark aufgefallene Bedenklichkeiten,
te~s d~rch D1skurse mit PlancP und Rapp veranl~t:, auch ohn_e Webers Kanon 37 habe ich auch gelesen. Er hatte damit zu
R_ucks1cht auf Kantische Philosophie mehr als sonst dazu inkli· Hause bleiben38 konnen. Ich habe mich dariiber so geargert:,
mere, den Wunderbeweis iiberhaupt aufzugeben. Deswegen gebe daE ich das Buch beinahe, wie Puff. 39 seine Miitze, hinter die
35 Tiire geworfen hatte. Behauptungen, die nichts weniger als
neu sind, gibt er ft.ir eigene Erfindungen in einem so imposanten
• Orig.: »Plank« Ton aus, daE man ihn I daftir streichen mochte. So ist das, 5/6

218 219
Briefe
C 7 Von Si.igkind, 5. Januar 1791

was er von dem Ursprung der Sekte der Ebioniter sagt40, eine
von Walch (in seiner Ketzergeschichte) erfundene Hypothese 41 , C7
und er gibt sie ganz als seine Erfindung aus, ohne Walch mit Friedrich Gottlieb SiiEkind, Gottingen
einem Wort zu nennen. Die ganze Hypothese vom Evangelium Mittwoch, den 5. Januar 1791
42
der Nazarener ist nichts weniger als neu, sondern eigendich 5
An Immanuel Carl Diez, Ttihingen
die gewohnliche Meinung - und der Mensch ist noch so un-
verschamt, daE er am Ende sich iiber die Gelehrten, die dari.iber
streiten, ob Markus oder Matthaus [p]p. zuerst geschrieben Liebster Diez!
habe (vide Storr43), lustig macht und in allem Ernst glaubt,
man werde jetzt, wenn man seine Hypothese einmal wisse, gewill JC
In der Tat, Du bist ein ganzer Bursche! Denn Du hast mir eine
aufhoren zu streiten!! Armer Weber! recht schatzbare Freundschaft durch Deine Erklarungen gegen
5 Schnorrer erwiesen 1, und ich danke Dir daftir von ganzem
Aber jetzt muE ich aufhoren. Lebe wohl, lieber Diez, und liebe Herzen. Ich hoffe, die Sache werde nun wirklich keinen Anstand
stets
mehr haben, nachdem Du sie so gut eingeleitet hast. Deine
15 AuEerungen gegen Schnorrer haben vollkommen meinen Sinn
Deinen getroffen - und ich habe ihm dies in beiliegendem Brief so
S. 10 deutlich gesagt, daE er so wenig als Storr, an den zugleich
hier ein Brief [beiliegt], mehr daran zweiflen wird. - Wegen
Niethammer hatte ich nur gewiinscht, bestimmtere Nachricht
von Dir zu erhalten, ob er wirklich abstrahiert und Schnorrer
dies geschrieben hat2 , denn ich habe his auf diese Stunde
15 weiter nichts von seinen EntschlieEungen erfahren, als was ich
Dir neulich schrieb. Ich schlieEe aber fast aus Deinem Discours
mit Schnurrer, daE er abstrahiert haben muK - Den Spekle 3
braucht man nicht bei der Sache. - Aber ich muE eilen (Deinen
Brief erhielt ich erst gestern nachts ), denn die Post geht urn
20 ll Uhr. Noch einmal meinen herzlichsten Dank! Lebe wohl
und schreibe mir, so bald Du weiEt, wie sich die Sache entwickelt
hat!

Dein
25 S.

220 221
Briefe C 8 Von Si.iEkind, 14. Januar 1791

Gottingen, den 5. Januar 1791


cs
NS DaE Du meinem Bruder4 Briefe einschlieEest, ist mir ein Friedrich Gottlieb Siillkind, Gottingen
groEer Gefallen. Aber er soli Dir entweder das Porto ( das doch Freitag, den 14. Januar I 791
1/2 nicht so I klein ist) ersetzen oder auch Briefe von Dir vicissim5 5 An Immanuel Carl Diez, 'llihingen
einschlieEen. Das Offnen6 hat gar nichts zu sagen. - Gratuliere
auch zur BesoldungsverdopplungF Sind's jetzt 100 Gulden?
Gottingen, den 14. Januar 1791
Viele Gri.iEe an Mozart.a8
Dein kleines Briefgen vom 7. Januar, lieber Diez, erhielt ich
gestern und habe mich heute sogleich bei Staudlin wegen
5 Pranginsa 1 erkundigt. Seiner Versicherung nach ist es in jeder
Ri.icksicht die beste Stelle, die man sich nur wi.inschen kann,
und er spricht beinahe mit Entzi.icken von den gli.icklichen
Tagen, die er da verlebt habe. Die Dame 2 ist von Seiten des
Verstandes und Herzens gleich vorzi.iglich (Staudlin korrespon-
10 diert noch immer mit ihr) und eine wirklich recht solide -
aber dabei ebenso angenehme und artige - Frau, mit der es
ganz herrlich zu leben ist. Die Zoglinge 3 (Staudlin weill nur
von zweien) sind vorziiglich fahige Kopfe, die dem Hofmeister
sehr viele Freude machen. Von Seiten des Charakters hat der
15 altere - ein Junge von elf Jahren - entschiedene Vorzi.ige vor
dem ji.ingern, der ein kleiner coquin 4 und double-chien 5 sein
soli. Jener, der altere, hat schon sehr gute mathematische Kennt-
nisse. Dazu kommt die reizendste Gegend in der Welt am
Genfer Seeh, welche den Aufenthalt hochst angenehm macht
20 - nicht zu vergessen, daE i.iberhaupt in Ri.icksicht auf aile phy-
sischen Bediirfnisse (Kost, Logis [p]p.) aufs beste gesorgt ist
und die geistigen Bedi.irfnisse in der einsamen Lage durch
eine sehr schone Bibliothek der Dame (bei welcher der Hof-
meister zugleich (den) Bibliothekar macht) wenigstens zum
25 Teil befriedigt werden. (Kantiana - dies ist eine notula von
mir - werden aber freilich mitgenommen werden mi.issen.)

a Orig.: »Brangins<<
a Orig.: »Mozhardt« b Orig.: »Genfersee«
Briefe C 8 Von uBkind, 14. Januar 1791

Ubrigens braucht man nicht einmal seine 25 Karolin , weil Soviel ich weiE, ganz gut. Feinde hat er freilich (wie sich zum
man alles mogliche ( ogar Briefporto) frei und zu De pen en6 voraus vermuten laEt), da er gleich anfangs als ein junger
keine Gelegenheit hat. So bald aber der Hofmeister gefallt, wird' Fremdling mit so vorteilhaften Bedingungen hieherkam; be-
an Erhohung des Salariums nicht fehlen. Vielleicht kommt e senders scheint mir's ( unter uns gesagt, NB), Eichhorn ei er
in einigen Jahren auch wieder zu einer Reise nach England j 5 ein Dorn im Auge, weil er auch Exeget ist, und jener befurchtet,
in Gesellschaft der Dame, welche eine EngHinderin 7 ist - und ein Zulauf konnte durch den I jungen Professor wenigstens J/.2
wenn der Hofmeister o lange aushalt, wiirde er wohl auch verrnindert werden - allein auf der andern Seite weiE ich doch
den altern auf Reisen begleiten diirfen. 8 Da Stehen unter Herrn nicht das geringste, daE diese Lage der Sachen unangenehme
Renz 9 ist Millver tand. Be agter Herr i t weiter nichts als der Folgen ftir ihn hatte oder haben konnte. Bekanntschaften, d. h.
12
Amtmann oder SchultheiE loci und hat dem Hofmeister schlech- H IO genauere Bekanntschaften, hater auEer den Landsleuten nicht
terdings nicht zu befehlen, wa ihm auch, da er ein ziemliches viele - er geht seinen Gang ruhig fort und befmdet sich dabei
Phlegma ist, sehr leid tun wiirde. Kurz - Staudlin meint, Klett am besten. Ob er als Professor Beifall hat, kann ich nicht sagen,
solle sich recht gliicklich schatzen, wenn er diese Stelle be- weil ich noch kein Urteil gehort habe. Inzwischen hat er doch
kommen konne; denn er ei noch nie o gliicklich gewe en 15-20 Zuhorer in einer Dogmatik, welches zum Anfang aller
als wahrend der Zeit, da er sie hatte. Ich glaube auch aile 15 Ehren wert i t. Denn es ist hier wegen der groEen Konkurrenz
Gute, was Staudlin davon sagt, gar gerne; denn er ist nicht eine eigene Sache mit der Menge von Zuhorern, und wenn
weniger als Windbeutel. Professor Schmid, der (wie Du wi en einer nicht chon vorher ein allgemein beriihmter Mann (wie
wirst) gegenwartig hier ist und dabei war, als ich mit Staudlin z. B. Eichhorn) ist, so geht es mit dem Kredit immer ehr
von der Sache sprach, timmte beinahe noch einen hohern Iangsam. Selb t Spittler, des en Auditorium jetzt immer voll-
Ton an. 10 Er kennt namlich die ganze Lage ebenfalls sehr genau, 21 .20 gepfropft ist, fmg mit ehr wenigen an. - Ich glaube iibrigen ,
weil er zu gleicher Zeit mit Staudlin sich in Prangins 3 aufhielt Staudlin wird nach und nach, be onder wenn er ich einmal
und auch mit der Dame ehr wohl bekannt wurde. (DaE die es auch als Schrift teller mehr bekannt gemacht hat, ebenfalls
,Bekanntsein" weder bei Stiiudlin noch bei Schmid in partem ini- emporkommen. LeEens Periode ist ohnedies voriiber, und
stram zu ver tehen i t, braucht wohl keiner Erinnerung. Staudlin Schleusner3 ist auch kein ftirchterlicher ebenbuhler. Aber kein
versichert, die Dame sei gar nicht auf den leichten franzosischen 2.' .25 Freudenleben hat eben doch im Grunde ein hiesiger Profe or,

FuE, ~nd e werde beim Hofmeister hauptsachlich auch a.uf be onders zu Anfang, nicht; denn er muE chaffen wie ein
moralische Soliditat gesehen.) - Nach dieser Schilderung, d1e, E el und kann, wenn's nicht recht gut geht, er t - kein Weib
wie gesagt, meines Erachten allen Glauben verdient, wird nun erhalten. - - - Wie Planck Deinen Brief13 aufgenommen hat,
wohl Klett keinen An tand mehr haben, die Stelle anzunehmen, kann ich Dir nicht agen; denn er hat kein Wort davon gegen
JO mich geiiuEert (ich habe ihm den Brief geschiclct, weil ich selbigen
~~d i_ch la . e ihm dazu von ganzem Herzen gratulieren. Staudlin 31

laEt Ihn bitten, ihm die Zeit einer Ahreise 11 vorher bekannt Tag verhindert wurde, selbst hinzugehen) - und ich mochte
werden zu la sen, weil er ihm Briefe mitzugeben wiin chte. nicht davon anfangen, weil ich ihn nicht auf die Vermutung
bringen mochte, ich hatte den Brief gele en, indem ich nicht
Du frag t bei dieser Gelegenheit, wie es Staudlin hier gehe. - wuEte, wie er die aufnehmen wiirde. Ich denke aber, er wird

a Orig.: »Brangin« a Orig.: »SchleuBner«

224
Briefe C 8 Von Si.iEk.ind, 14. Januar 1791

Dir gewill antworten. Der Aufschub kommt wohl nur von seinen Satze so fest(halten und) aneinanderketten konne. "Wir anderen
vielen Geschaften her, die diesen Winter teils wegen eines (setzte er lachelnd hinzu) werfen, wenn wir einen Einfall haben,
neuen Kollegiums (Kirchengeschichte, besonders Geschichte ibn plotzlich wieder weg und substituieren einen neuen, sobald
des kanonischen Rechts fur Juristen), teils wegen eines neuen jener nicht recht mehr taugen will. Aber Storr halt alles so fest
Bands seiner Religionsgeschichte 14 sehr gehauft sind. Die Art, 5 5 und schlingt alles so ineinander, dag keiner seiner Satze ohne
wie Du ihm schriebst, hat mir ganz gefallen - nur das einzige den andern bestehen kann." Die .Augerung kam mir sehr wahr
fiel mir dabei ein, dag Du vielleicht for ihn etwas zu konzis vor, so cavalif~rement es auch gesprochen war. - - Schnorrer
geschrieben, d. h. Deine Ideen, besonders in Hinsicht auf Kan- schrieb vor einiger Zeit einmal an Eichhorn, er hoffe, ich werde
tische Philosophie, etwas zu wenig entwickelt hast. Er ist viel- mit orientalischen Kenntnissen sehr bereichert nach Hause kom-
leicht zu wenig mit Kantischer Philosophie bekannt, als da.E IO 10 men. Wie sich der gute Mann betriigen wird! Ich werde kaum
er ganz in den Sinn Deiner .Augerungen eindringen konnte. noch arabisch lesen konnen. Eichhorn iibrigens habe ich's gesagt,
- Ich erinnere mich zwar, dag mir dies schon damals beifiel daE ich keine orientalia hier treibe. - I 4/3
und ich Dir's schreiben wollte - weill aber nicht, wie es karn,
d~ ich's nicht schrieb. Es ist aber auch wirklich vielleicht zu Wegen des Bibliothekariats hat mir mein Brude2° weiter nichts
weit getriebene Besorgnis von mir. Ubrigens hater gewill Deinen 15 15 geschrieben, als dag Storr gesagt habe, ich werde es wohl haben
Brief wohl aufgenommen, wenn er gleich der Kantischen Phi- konnen., wenn ich's wolle. Ich wunschte sehr, nun bald voile
losophie nicht ganz hold zu sein oder ihr doch nicht die Wich- Gewillheit zu haben. Was mich allein inkommodiert, ist, d~ ich
tigkeit beizulegen scheint, die Du und 100 andere ihr beilegen. mit BengeF' in Kollision komme. (Meine Mutter, gegen die ich
- Meinen tractatus aus der Dogmengeschichte 15 habe ich ihrn was verlauten lief~, d~ ich gerne Bibliothekar werden mochte,
und Spittler zu lesen gegeben. Beide haben sehr gunstig davon :<.O .20 riet mir's gestern aus diesem Grunde sehr ab.) Das beste ist
geurteilt, und besonders Spittler kann mir's nicht oft genug ein- noch, dag ich, ohne zu liigen, sagen kann, die Sache sei schon
schiirfen, dag ich der Kirchengeschichte treu bleiben soil. (Ich eingeleitet gewesen, ehe ich etwas von Bengel wugte. Und wirk-
wlinschte sehr, d~ Du ubrigens das, was ich hier nur fur Dicb lich war auch das, was Du mir aus Schnurrers Munde schriebst,
schreibe, weil ich von Dir keine Milldeutung beftirchte, auch nachdem Du Dich schon fur mich gemeldet hattest, das erste
nur fur Dich behieltest.) Ob der 'fraktat gedruckt wird, weill 25 .25 Wort. 22 Ich tue jetzt, als ob ich gar nichts davon wligte, und
ich noch nicht- ich komme sehr ungem ans Autorwerden, wenn habe gegen Storr und Schnorrer in meinen Briefen kein Wort
ich gleich voraussehe, dag es, wenigstens mit der Zeit, doch davon merken lassen. Daher mug ich auch Dich bitten, d~ Du
geschehen wird, und zwar im Fach der Kirchengeschichte. 16 - gegen niemand Dich merken lassest, Du habest mir von der
Storr wird nun aufs neue durch Eichhorn die Hande voll zu Kollision mit Bengel was geschrieben. Schnorrer, der ihm anfangs,
tun bekommen. Die Versuchungsgeschichte 17 und das Protevan- 50 30 soviel ich hore, Hoffnung gemacht haben mug, scheint doch,
18
gelium werden nun in der Bibliothek vorgenommen werden, 1 dem mit Dir gefuhrten Diskurs nach, ihn im Grunde nicht recht
und tiber die Ausgiegung am Pfingstfesrt 9 wird wohl auch nacb- zu goutieren. Ubrigens werde ich die Sache, wenn's gegen Bengel
stens eine heterodoxe Abhandlung von ihm darin vorkomroen. zur Sprache kommen sollte, schon so vortragen, daE Schnorrer
Der Mann raumt immer weiter auf. - Eine sehr charakteristische nicht dabei kompromittiert wird. Schreibe mir jetzt nur recht
.Augerung tiber Storr mug ich Dir doch noch beisetzen. Er fand 55 35
bald, d~ mein Wunsch erfullt sei.
es namlich, da wir ohnliingst einmal von Storr sprachen., unbe-
greiflich, d~ dieser Mann so systematisch sein und aile seine

226 227
Briefe C 8 Von Si.i/Sk.ind, 14. Januar 1791

Uber die Vereinbarkeit der Kantischen und christlichen Moral23 liebe also meine Feinde, genau zu reden, eigentlich darum,
nur dies einzige! Nach der Bibel wird etwas Pflicht:. weil Gott wei! ich an dem hochsten Ideal aller moralischen Vollkommenheit
es will, oder ich soli etwas deswegen wollen, weil Gott es will. sehe, dafi Liebe der Feinde etwas moralisch Cutes ist. Nicht der
- Das ist wahr; aber der Satz ist zweideutig und inferiert Au- fremde Wille bestimmt mich dazu, sondern ich selbst bestimme
tonomie oder Heteronomie, je nachdem ich ihn verstehe. Will s 5 mich dazu, weil ich mich durch Betrachtung des hochsten Ideals
3/4 ich I gehorchen, weil Gott:. insofem er mein Richter ist, es will, moralischer Gi.ite i.iberzeugt habe, es mi.isse etwas moralisch
so ist das nun freilich eine Heteronomie, auf die das Moralgesetz, Cutes sein. Dies, meine ich, babe Christus Matth. VI sagen
nach Kant wenigstens, nichta als auf sein erstes Prinzip, ge- wollen, wo er uns (eigentlich nicht auf den Willen, sondern)
gri.indet werden dar£. Will ich aber etwas, weil Gott:. in.sofern auf das Beispiel des Vaters im Himmel verweist. 24 - Dies ware
er das moralisch-vollkommenste Wesen ist, es will, d. h. will ich IO 10 salvo meliore iudicio meine Meinung.
etwas deswegen, weil es moralisch gut ist:, so ist das Autonomie.
Der Wille Gottes ist die Norm meines Wollens und Thns, nicht Uber Frickersa schnellen Tod 25 habe ich mich sehr gewundert.
insofern es Wille Gottes - sondern insofern es ein guter oder Hat ihm Kapffb die Leichpredigt gehalten?
der beste Wille - ist:. dem ich nachahmen soli. Es ist ein Ideal,
das mir die Bibel vorstellt, urn mir durch ein Beispiel, das ich 15 15 Meine Abreise von hier wird vor Anfang Aprils nicht vor sich
n~r ansehen dar£, die Erkenntnis dessen, was gut ist, zu er- gehen. Lebe wohl, Iieber Diez, und schreibe bald
lelchter~. Ich kann z'."'ar ~uch vor mich erkennen, was gut ~st, I Deinem S.
aher meme Erkenntrus wrrd offenbar unendlich erleichtert, ID-
~em_ ~ie durch die Betrachtung des Beispiels Gottes gleichsam
mtultlv gemacht wird. Warum nicht soli gezeigt werden konnen, 20 20 NS Den Brief an Gaab gib meinem Bruder26, daE er ihn selbst
,daE Gottes Wille mein Wille ist", sehe ich nicht ein. Mein uberbringt:. und wenn Du das Brieflein an meinen Bruder durch
Wille (wenn ich ein moralisch gutes Wesen bin) ist ein guter Vollmar27 i.iberschickst:. so befiehl ihm, es nur meinem Bruder
W:ill~, d. h. ich will alles das, ohne Ausnahme, was gut ist. Nun selbst in die Hand zu geben, weil es halb offen ist.
:-"ill J~ Go~ gewill auch alles, was gut (moralisch gut) ist. Also
1st sem Wille mein Wille. Weil wir nun beide, Gott und ich. 25
im allgemeinen dasselbe wollen und weil ich zum voraus ver-
sichert bin, daE Gott schlechterdings nichts wollen und tun
kann, als was moralisch gut ist:, so kann ich mich, wo ich etwa
zweifelhaft bin, ganz ohne Gefahr zu irren an sein Beispiel
h~lten. Ware_ ich z. B. zweifelhaft, ob das reine Sittengesetz 30
L1ebe der Femde von mir fordere, so betrachte ich das Beispiel
dessen, der schlechterdings nichts anders tun kann, als was
morali~ch g~t ist. Ist er gegen seine Feinde wohltiitig, so fordert
das reme Sittengesetz gewill Liebe der Feinde von mir. Ich

a Orig.: »Friker«
b 0.
a Var.: »Moralgesetz, nach Kant, wenigstens nicht« ng.: »Kapf«

228 229
Briefe C 9 Von SiiEk.ind, 26. Februar 1791

den, dag Du mir vor allen Dingen ein helleres Licht anziinden,
C9 d. h. mir den Unterschied zwischen logischer und realer Mog-
Friedrich Gottlieb SiiBkind, Gottingen lichkeit weit deutlicher (besonders per exempla illustrantia)
Samstag, den 26. Fehruar 1 791 machen mugt, ehe ich meinen Weg weiter verfolgen kann. Der
An Immanuel Carl Diez, Tiihingen 5 Kantianer scheint eben doch iiberall auch in Ausdriicken durch,
so sehr er sich unter dem Mantel der gewohnlichen philoso-
phischen Sprache verbergen will. 5 - I I /.2
Gottingen, den 26. Fehruar 1791
Ubrigens ist die Sache so weitlaufig, dag ich Dir (wenn ich
1
Deine antichristliche Abhandlung heber Diez, ist vorige Woche
, IO auch alles verstiinde) doch nicht versprechen konnte, noch,
wohlbehalten hier angekommen als Pendant zu der Nachricht solange ich bier bin, mich ins Ganze einzulassen. lch bin nur
von Riegers Tode2 . Ratte das der selige Mann noch erfahren, 5 noch etwa vier Wochen bier, mochte gerne noch einige andere
dag die Repetenten realem und vielleicht gar auch logicam Pensa absolvieren, babe auch erst noch das ltalienische zu
possibilitatem revelationis bestreiten - er ware wahrhaftig noch lernen angefangen und verspare daher manches auf meine wei-
friiher gestorhen. - Doch, Scherz beiseite! Du hast mir einen IS tere Reise, auf der ich im Postwagen oder abends und morgens
grogen Gefallen damit getan, dag Du die Sache ausfi.ihrlich in der Herberge dariiber weiter zu meditieren urn so mehr
zu Papier zu bringen Dir die Miihe genommen hast; 3 aber bei 10 mir vorgenommen habe, da ich andere Dinge aus Mangel an
mir wird's vielleicht langere Zeit brauchen, his ich mit der Biichern, die ich nicht mit mir schleppen kann, liegen lassen
Beurteilung des Aufsatzes ganz ins reine komme, als bei Dir muK Vielleicht komme ich dann mit eben der Uberzeugung,
die Abfassung desselben. Nicht einmal das Verstehen desselben .20 die Du hast, ins orthodoxe Vaterland zuriick; vielleicht aber
geht so Ieicht als Du glaubst. Du empfiehlst mir Festhaltung auch nicht. Beedes ist (real?) moglich. Indessen bitte ich Dich
des Unterschieds zwischen logischer und realer Moglichkeit, 15 also nochmals recht bald urn die vorlaufigen notigen Aufschliis-
und ich babe nach Durchlesung des Ganzen den letztern Teil se. - Von Plancks Antwort auf Deinen ersten Brief hast Du
(S. 9a-llt wieder besonders vor mich genommen, weil hier mir nichts geschrieben. Aus Deinem mir eingeschlossenen neuen
6
der Hauptpunkt sitzt, welcher mich ( der ich nichts von einem .25 Brief babe ich freilich gemerkt, dag er Deiner Meinung nicht
apodiktischen, wohl aber von einem wahrscheinlichen Beweis muB gewesen sein. Aber wie hat er sich in Ansehung der
fur Existenz Gottes, Revelation etc. etwas statuiere) am meisten 20 Kantischen Ideen verhalten? - tiber Deinen neulichen Brief
interessiert. Allein gerade in der Hauptsache, in Ansehung d~r will ich, wenn sich's schickt, Gelegenheit nehmen, mit ihm zu
gedachten Distinktion zwischen logischer und realer Moglichke~t reden. Bisher ist's noch nicht geschehen. Aber schwerlich wird
30
konnte ich, aller Miihe unerachtet, zu keiner festen Gewillheit er Deine Ideen ganz kapieren, urn so mehr, wenn er den Aufsatz
~cht verlangen sollte, was bisher auch noch nicht geschehen
kommen, wie sie zu verstehen sei. Ein paar treffende Exernpel
batten _mU: vielleicht auf die rechte Spur verholfen; aber so 25
tappte tch rmmer herum, meinte bald da, bald dort den rechten
I tst. - Rapp wird wohl nicht glauben, daB er seinen Kant nicht
verstehe;7 er ist bei alledem, dag er sich zu Zeiten von einer
Punkt erhascht und wohl gar den Verfasser des Aufsatzes i.iber sehr einnehmenden und liebenswiirdigen Seite zeigen kann,
35
einigen Unrichtigkeiten ertappt zu haben, und babe vielleicht j doch sehr von sich eingenommen und hat von seinem Meister
- ganz die Spur verfehlt. Indessen will ich Dir doch rneine ~einhold eine Dosis von Intoleranz und jezuweiliger Grobheit
Anmerkungen dariiber zuschicken, die Dich iiberzeugen wer- 30 Im Disputieren mitgebracht, die mich sehr frappierte. Uberhaupt

.230 .231
Briefe C 9 Von SiiEkind, 26. Februar 1791

konnte ich manche Anmerkung i.iber ihn machen, die ich aber zu werden; aber ich suche mich doch in den Stand zu setzen
zuri.ickbehalte. Dabei mu~ ich aber sagen, da~ ich ihn doch daE ich auf den Fall der Not auch zu was anderm als zu eine~
urn der guten Seite willen, die er auch an sich hat, immer Th_eologen brauchbar bin. Das i.ibrige i.iberlasse ich ruhig der
gerne habe. Sage ihm, ich lasse den Klindworthle 8 schon grii~en, Zeit und den Umstanden, und wenn ich nicht Naturalist werde
und die bekannte Dame9, bei welcher er in der Qualitat eines 5 5 (was ich immer noch nicht glaube), so mache ich mit Freuden
0
Hofpoeten gestanden, werde ihn nachstens zum Gevattefl' die gewohnliche Karriere im Vaterland. Das Studium der Ge-
gewinnen; erwarte aber, da~ er nicht anders als in schonen schichte sehe ich hauptsachlich von der Seite an, von welcher
4/3 Reimen (auf den Brief) antworte. - I es mir Freund Spittler immer vorsteilt - als Mittel zur Bildung
~es Geistes und Herzens, das fur beide offenbar weit wohltatiger
Du schreibst, da~ er gegen Deinen Aufsatz nichts einzuwenden IO 10 1st als das Wurzel- und Variantensuchen. Schreiben werde ich
wisse. Das hie~e ja gestanden, da~ er seinen Glauben an di- jetzt nichts, aber nach meiner Zuriickkunft werde ich, wenn
vinitatem religionis christianae aufgebe. Ich glaube aber, er nicht au~ere Umstande, von welchen es zum Teil abhangt, (es
wird diesen doch durch irgendeinen Nebenweg in salvum __ zu hindern,) eine etwas weitlaufige Arbeit 13 anfangen, zu der mich
bringen wissen. Wenigstens mii~te sehr schneil eine totale An- Spittler und Planck aufgefordert haben. Du sagst aber niemand
derung mit seinen Uberzeugungen und Grundsatzen vorge- 15 15 nichts, ohnehin scheints, man wisse im Stipendio schon mehr
gangen sein, die mir ein wahres psychologisches Ratsel ware. von meinem Studio, als mir lieb ist. Was sentiert man denn
- Noch eins von ihm! Wei~t Du, da~ er mit - des Postmeisters dariiber? Hast Du an Schnurrer noch nichts gemerkt, da~ er
Tochter von Schorndorf11 versprochen ist? Er hat es mir zwar sich wieder, wie vor meiner Abreise, i.iber "die Veranderlichkeit
nicht gesagt; ich habe es aber - erst nach seiner Abreise - meiner Plane" Iustig macht? Mein Bruder 14 schreibt mir, man
zuverlassig hier erfahren. Wenn es aber Dir und andern nicht 26 20 wolle im Stipendio wissen, da~ ich was Historisches drucken
schon vorher bekannt war, so bitte ich Dich, nichts merken lasse. Du kannst jedermann sagen, da~ es nicht wahr ist. Auf
zu lassen. - Mit Gaab habe ich lediglich nichts, als d~ ich D_ein_e ki.inftige "Theorie 3 der ersten Gri.inde aller Philosophie" 15
ihm einmal, meist aus Ri.icksicht aufmeinen Bruder, geschrieben h~n 1ch sehr begierig. Verwegen I nenne ich Dich deswegen 3/4
[habe] und er mir geantwortet hatY Er schreibt mir, d~ er mcht und bitte Dich nur, die Theologie doch nicht ganz liegen
das Studium der Geschichte aufgegeben und sich wieder ans 25 5 zu lassen. - Da~ Koppe tot ist, wirst Du wissen. Er war kaum
2 16

Syrische [p]p. gemacht habe; kann es auch gar nicht billigen, 40 Jahre alt und ist ein au~erordentliches Beispiel von einem
da~ ich gerade das Gegenteil tue. (Vermutlich ist es Wind.) Mann, der im Flug die glanzendste Laufbahn durchmachte.
Ich inzwischen habe mich's noch nicht reuen lassen und werde Erst hier Professor mit dem unbegrenztesten Beifall, dann Su-
es auch ki.inftig nicht tun. Es ist doch auf aile Faile gut, ein p~rintendent, Konsistorialrat [p]p. in Gotha und plotzlich darauf,
von dogmatischen, d. h. veranderlichen Uberzeugungen unab- 30 30
W!e er hier eben gesti.irzt werden sollte, Konsistorialrat in Han-
hangiges Studium zu haben, das einem, wenn aile Stricke bre- nover. Wo er war, war er beinahe die Seele von allem, was
chen, doch wenigstens einen moglichen Ausweg noch i.ibriglaEt. vorging, und in Hannover hatte er vielleicht mehr als der Minister
Ich rechne zwar noch nicht aufs Auswandern, d. h. ich setze zu bedeuten. Au~er seinem vielumfassenden Genie und seiner
mir in Wahrheit nicht in den Kopf, Professor Historiae irgendwo unbegrenzten Tatigkeit waren's vorziiglich die maurerischen

a
• verbessert aus: »werde ihm niichstens einen Gevatterbrief« gestr.: »aller Grii(nde] «

.232 .233
Briefe C 9 Von SiiBkind, 26. Februar 1791

Verbindungen 17, welche ihn so sehr poussierten 18 und zu dem Ich lasse mir's auch gefallen. - An unseren lieben Mozart•31
bedeutenden Mann machten, der er in seinem Wirkungskreise 1000 herzliche Gri.iEe und Gli.ickwi.inschungen auf den Weg.
war.- Er solle in seinem Pranginsb mich nicht vergessen.

Meine Ahreise von hier wird, wie ich schon beri.ihrt habe, 5 5 Lebe wohl, mein Lieber, und schreibe bald
in vier bis ftinf Wochen (gegen En de des Marz) vor sich
gehen. Da ein Brief acht Tage Iauft, so richte es darauf, dcill Deinem S.
mich derjenige, den ich noch gewill von Dir erwarte, noch
hier antrifft. Nachher kannst Du mir nicht mehr schreiben, (NS] Die beiliegenden Briefe schicke nur aile meinem Brude22 . I 4/5
auEer etwa nach Jena, wo ich ohngefahr 14 Tage zu bleiben 10 10
und von da aus ohne langen Aufenthalt nach Hause zu eilen (Beilage zu] S. 9 a - S. 11 33
gedenke. Von hier aus namlich geht's nach Helmstede, Berlin,
sodann i.iber Halle, Wittenberg, Dessau - nach Leipzig ..und Die Frage ist:
Jena - und von da i.iber Erlangen gerade nach Hause. Uber
Helmstedtb ftihrt mich der Weg ohnehin; ich will also, wenn 15 15 ,K.ann der Mensch in irgendeinem Fall auch nur mit
sich's schickt, einen oder zwei Tage da bleiben und Herrn Wahrscheinlichkeit erkennen, daE Gott die (unmit-
Bruns 19 und Henke20 besuchen. (Pfaff21 wird dieser Tage hieher telbare) Ursache irgendeiner Wirkung (Belehrung)
und dann gegen Ostern hin nach Wtirttembergc kommen.) B ist?" Oder mit andern Worten: ,,st es wahrschein-
Ob ich von Magdeburg aus etwa auch eine Wanderung ins liche Hypothese, welche einen gewissen Erfolg (Leh-
Kloster Berged22 mache, weiE ich noch nicht. In Berlin gedenke 20 20 re) B aus einer unmittelbaren Wirkung Gottes er-
ich ohngefahr 14 Tage zu bleiben. Teller23, Spalding24, Nicolaie, .. ?"
kl art.
Bieste~ 5 , Gedike 26 [p]p. werden nati.irlich besucht. Halle -
28
der Ketzer Bahrdt27 und der verehrungswi.irdige Nosselt , Wenn eine Hypothese wahrscheinlich sein soli, so muE vor
nebst Semler29 - (Eberhard? Jakob?) [p]p. Viel kommt im allen Dingen die Moglichkeit dessen, was man zum Erklarungs-
Grunde bei all diesen fli.ichtigen Gelehrtenbesuchen nicht her- 25 25 g:unde annirnmt, ausgemacht sein (S. 9 b). Wenn es also gar
aus, aber irn ganzen ist's doch urn der vielen kleineren Vorteile ?lCht mifglich ist, daE Gott die Ursache einer gewissen Belehrung
willen, welche eine solche Reise gewahrt und welche zusam- 1st, so folgt von selbst, daE die Hypothese, welche Gott zur
mengenommen doch eine nicht unbedeutende Totalsumme wirkenden Ursache macht, nichts taugt. Die Frage ist also vor
ausmachen, der Mi.ihe wert zu reisen. - Zu Ende Mais oder allen Dingen diese:
Anfang Junius werde ich wieder zu Hause sein, und dann 50 30

soli ich ja gleich unter Eure Mitte aufgenommen werden?o ,,st's moglich, daE Gott den Menschen unmittelbare
Belehrungen mitteilt? 1st eine Offenbarung moglich?"
a Orig.: »Helmstiidt« Oder - bestimmter zu reden: ,La:Bt sich die reale
b Orig.: »Helmstiidt« Moglichkeit einer Offenbarung beweisen?"
c Orig.: »Wtrtemh[erg] «
d Orig.: »Bergen« a Orig.: »Mozardt«
b 0.
e Orig.: »Nikolai« ng.: »Brangin«

234 235
Briefe C 9 Von SuEkind, 26. Februar 1791

1) "Real-miiglich ist (S. 9 b), was erfahren werden kann. Nun (logisch-miiglich) sein, und es kann doch nicht existieren ( es
ist (S. 10) dasjenige, wodurch man zur Erfahrung gelangt, Emp- ist nicht real-mi/glich). Es ist z. B. logisch moglich, daE ein
fmdung. Real-moglich ist also, was empfunden und durch das Korper in der Luft nicht sinkt; denn ein Korper, der die Schwer-
Vermogen, das Empfundene darzustellen, vorgestellt werden kraft nicht hat, laEt sich ohne Widerspruch denken, Iwenngleich 6/ 7
kann." - Hieriiber bemerke ich folgendes. 5 5 aile uns bekannten Korper diese Schwerkraft haben, welche
sie dem Mittelpunkt der Erde zutreibt. Wenn es aber gleich
a) hatte ich gewiinscht, daE diese Definition von real-moglich, an und ft.ir sich logisch-miiglich ware, daE ein Korper in freier
im Gegensatz zu logisch-moglich, durch Beispiele erlautert wor- Luft nicht zu Boden siinke, so ist es doch nicht real-miiglich.,
5/6 den ware. Denn so, wie die Sache j hier ausgedriickt ist, kann d. h. es kann in der Korperwelt, die ein Objekt unserer Erfah-
ich mich nicht dareinfinden und furchte, das Ganze nicht zu 10 10 rungen ist, kein Korper nicht zu Boden sinken; weil jeder
verstehen. Ich sehe nicht ein, was damit gesagt oder aufgeklart ~o~er die Schwerkraft hat. Ich weill nicht, ob das Beispiel
werden soil, daE fur den Ausdruck "erfahren" der Ausdruck nchug gewahlt ist; inzwischen kann ich mir schlechterdings
"empfinden" substituiert wird. Entweder muE ich mit dem letz- a~f keine andere Art zwischen logischer und realer Moglichkeit
tern Ausdruck einen falschen Begriff verbinden, oder es ist emen Unterschied denken als auf diejenige, welche diesem
offenbar unrichtig, wenn jener durch diesen erkliirt wird, denn 15 15 Beispiel zum Grunde liegt. Ich will einstweilen annehmen, das
der Begriff von real-moglich scheint mir durch die Erkliirung Beispiel sei passend, und nun sehen, was daraus folgt. Es scheint
(was empjunden werden kann) viel zu sehr eingeschrankt zu niimlich daraus zu folgen, daE Widerspruch oder Abwesenheit
werden, wenn "empfinden" nach dem gewohnlichen Sprach- des Widerspruchs ebensogut (wenngleich mit verschiedenen
gebrauch genommen wird. Es ist z. B. real-moglich, daE sich Modifikationen) der wesentliche Charakter des Real- als des
der Charakter eines Menschen total verschlimmert oder ver- 20 20 Logisch-Moglichen und -Unmoglichen ist; oder - mit andern
bessert. Aber wie liiEt sich denn das empfinden? - Allerdings :Vo~te~ - es scheint daraus zu folgen, daE logisch-miiglich das-
(ist vielleicht die Antwort) laEt sich's empfinden, d. h. aus den Jeruge 1st, "was an undfor sich ( ohne Ri.icksicht auf ein gewisses
Handlungen, Red en [p] p. des Menschen, welche ein Gegenstand systema rerum) keinen Widerspruch in den Teilbegriffen, welche
der sinnlichen Wahrnehmung sind, erkennen. Allein ich frage den Begriff des Ganzen konstitutieren, enthalt"; - und daE
25
nun: Heillt man das empfinden? Sagt man im gewohnlichen 25 hingegen real-miiglich nur dasjenige ist, "was in Ri.icksicht auf
Sprachgebrauch von einem Menschen, von dem man schlechte da~ systema rerum, welches ein Objekt unserer Eifahrungen ist,
Streiche sieht oder hort: Ich habe empjunden, daE er ein Schu~ke kemen Widerspruch enthalt". Ein Korper, der in freier Luft
ist? Kurz, ich sehe nicht, was gewonnen oder aufgeklart Wird, ohne Unterstiitzung nicht sinkt, ist logisch-miiglich., weil sich an
wenn man real-moglich auf diese Art erklart, und die erste und for sich ein solcher Korper ohne Widerspruch (in einem
Defmition (was eifahren werden kann) ist mir wenigstens deut- 30
30 an~ern denkbaren systema rerum, in welchem den Korpern
licher, wenn ich mir nicht anders etwas ganz Falsches unter keme Schwerkraft eingedri.ickt ware) denken laEt; aber er ist
real-moglich denke. Denn. (wie gesagt) ich verstehe den Un- real-unmiiglich., weil ein solcher Korper in Ri.icksicht auf das
terschied zwischen logisch- und real-moglich nicht ganz und systema rerum, welches ein Objekt unserer Erfahrungen ist,
muE bloE raten, was etwa darunter gemeint sein konnte. d. h. in Ri.icksicht auf dasjenige System, in welchem jeder Korper
35 S:?werkraft hat und haben muE, ein Widerspruch sein wi.irde.
Es kann namlich (dies ist der mutmaEliche Sinn jener Distink- 35 ' K~nnte hingegen ein solcher Korper in unserm Weltsystem ohne
tion) etwas an und fur sich frei von innerem Widerspruch W1derspruch gedacht werden, d. h. ware nirgends, an keinem

236 237
Briefe C 9 Von SuEkind, 26. Februar 1791

7/ 8 Ort und I zu keiner Zeit, weder in Ri.icksicht auf das Ganze spruch stehe, da ich den nexus rerum so unvollstandig kenne
des Weltsystems (welchem das Gesetz der Schwere bei dieser und nicht wissen kann, ob nicht dieser nexus es mit sich bringt,
Einrichtung notwendig zum Grunde liegt), noch in Ri.icksicht daE ich z. B. (vorher) sterbe, was nati.irlich mit meiner Ri.ickkunft
auf einzelne Teile desselben, kurz - ware nirgends weder eine iro Widerspruch stehen wi.irde. Und doch lr.ann es (nach dem
auEere noch eine inn ere Hindernis in dem Weltsystem, in welchem 5 5 Sprachgebrauch der ganzen Welt) sein, daE ich auf jene Zeit
der Korper A eine Stelle einnimmt, welche dem freien Schweben zu Hause bin. Der Begriff, scheint's also, mi.isse anders bestimmt
des Korpers A in der Luft widersprache, so konnte dieser oder eingeschrankt werden. Aber woher die Bestimmung neh-
Korper A wirklich in der freien Luft schweben, d. h. (nach roen? Wie den Begriff einschranken? Etwa so:
S. 9 b) sein Nicht-Fallen in der freien Luft ware real-miiglich.
Wo keine Hindernis da ist, welche der Existenz eines gewissen 10 10 Real-miiglich ist, dessen Existenz mit nichts im nexus
A im Wege steht, da sagen wir, dieses A lr.ii'nne sein ( existieren). rerum, soweit er mir jetzt belr.annt ist., im Widerspruch
Nun ist (S. 9 b) dasjenige real-moglich, was sein kann. Mithin steht.
ist dasjenige real-moglich, dessen Existenz im ganzen nexu
rerum existentium keine Hindernis im Wege steht. - Nun ist Soweit komme ich nun mit meinen Vermutungen tiber den
aber jede Hindernis der Existenz ein Widerspruch in Beziehung 15 15 Be griff von logisch- und realmoglich und mit meinen Versuchen,
auf die Existenz, d. h. es ist widersprechend, daE etwas existieren roir denselben deutlich zu machen. Es kommt nun darauf an,
sollte, dessen Existenz durch irgend etwas anderes verhindert ob ich den rechten Punkt getroffen habe oder nicht. Was mich
wird. Jedes Hindernis der Existenz (d. h. jede Sache, welche aber in meiner Vermutung bestarkt, ist
die Existenz einer andern B wirlr.lich verhindert oder sie nicht
zur Existenz kommen laEt) ist etwas mit der Existenz des B 20 .20 b) noch ein anderer Gesichtspunkt, aus dem ich die in dem
Inkompatibles oder ihr Widersprechendes. Diesem nach lassen vorliegenden Aufsatz gegebenen Defmitionen betrachten muK
sich nun, di.inkt mich, folgende Defmitionen geben: ,Real-miiglich ist, was erfahren oder empfunden und durch das
Vermogen, das Empfundene darzustellen, vorgestellt werden
Realmiiglich ist, dessen Existenz schlechterdings mit lcann", (S. 9 b, 10). Ich vermisse hier eine meines Erachtens
nichts im ganzen nexu rerum existentium im Wider- 25 .25 in einem Aufsatz fur einen Nicht-Initiierten34 hochst notwendige
spruch steht Bestimmung des Worts lcann. Defmitum (sit venia verbo!) ne
ingrediatur definitionem. 35 Ich muE I hier notwendig fragen: 9/ 10
Es folgt hieraus von selbst, daE wir eigentlich eine vollstandige Ist das Jcann" von logischer oder realer Moglichkeit zu ver-
Einsicht in den ganzen nexus rerum haben mi.issen, wenn wir stehen? Da ich hieri.iber auch im Verfolg des Aufsatzes keine
30 (ausdri.ickliche) Entscheidung finde, so bleibt mir nichts i.ibrig,
in irgendeinem Fall beurteilen wollen, ob etwas A real-moglich 30
sei, d. h. ob nicht irgend etwas im nexus rerum sei, das mit als wiederum - durch Vermutungen mir zu helfen. Mein Satz
8/9 der Existenz des A im Widerspruch stehe. I Aber auf diese Art ist:
konnten wir schlechterdings von keiner Sache in der Welt ihre
reale Moglichkeit behaupten. Denn wie will ich z. B. behaupten, Entweder ist die bose vocula36 .,.,lr.ann" von realer Mog-
35 lichkeit zu verstehen - oder von logischer. Im ersten
es sei reale Moglichkeit da, daE ich auf den Sommer wieder 35
zu Hause sei, d. h. wie will ich behaupten, daE meine Ri.ickkunft Fall verstehe ich schlechterdings nicht, was damit ge-
auf den Sommer mit nichts im ganzen nexu rerum im Wider- sagt sein soil; im zweiten Fall scheint mir die Definition

.238 .239
Briefe C 9 Von Siigkind, 26. Februar 1791

des Aufsatzes mit derjenigen, welche ich soeben (Nr. Erfahrungsart widersprechenden) Gegenstande wagen und
a) aufgestellt habe, einerlei zu sein. nichts auch nur vermutungsweise bestimmen." Dies ware dann,
wenn mich nicht alles triigt, einerlei mit dem obigen:
aa) Im ersten Fall also wiirde die Definition von real-moglich
auf folgende Art lauten: 5 5 ,Realmoglich ist, dessen Existenz mit nichts in dem
mir bekannten nexus der Dinge im Widerspruch steht."
Real-mii'glich ist etwas, wenn reale Mii'glichkeit da ist,
daiS es erfahren oder empfunden wird, d. h. wenn Soviel iiber den Begriff selbst! Nun
man erfahren oder empfinden kann, daiS es erfahren
oder empfunden werde. 10 10 2) zur Anwendungdavon auf die Moglichkeit einer Offenbarung.
Ich bemerke hieriiber nur dies, daE ich mich in die ganze
Es ist sichtbar, daiS dies keinen Sinn gibt und daiS das unerkliirte Frage von Moglichkeit der Offenbarung nicht finden oder daE
,kann" immer wieder rekurriert. Kurz - das ,kann", (welches ich nicht begreifen kann, wie nach irgendeinem System die
in der Definition von realer Moglichkeit vorkommt), kann nicht Moglichkeit bezweifelt werden konne. Ich will mich deutlicher
von realer Moglichkeit (selbst) verstanden sein; dies ware gegen 15 15 erklaren. - Die Frage kann namlich I hier bloE von physischer 11/ 1.2
aile Gesetze einer Definition. - Doch eben deswegen wird Moglichkeit sein, d. h. die moralische Moglichkeit (Zweckma-
ohne Zweifel auch dies die Meinung des Aufsatzes nicht sein, Eigkeit, Gotteswiirdigkeit [p]p.) gehort gar nicht in diese Un-
sondern tersuchung. Ob Gott in der moralischen Beschaffenheit der
Menschen, in ihrer Bestimmung oder sonst in irgend etwas
bb) es ist von logischer Moglichkeit zu verstehen. Demnach 20 20 Denkbarem im ganzen nexus rerum Griinde fmden konne, den
I 0/1 I ware I Menschen unmittelbare Belehrungen mitzuteilen oder zu ver-
sagen, ob also eine Offenbarung in dieser Riicksicht real-mifglich
real-miiglich dasjenige, dessen Erfahrung ( oder Emp- sei oder nicht, dies alles gehort nicht hieher. Es ist bloE die
fundenwerden) keinen Widerspruch in sich enthalt. Frage davon: ,Steht es in den Kriiften des Allmiichtigen, dem Men-
25 schen Belehrungen mitzuteilen? Und hat der Mensch Rezeptiviti.it,
DaiS dies der wahre Sinn des Aufsatzes sei, wird dann auch d. h. ist der Mensch als ein verniinftiges Wesen imstande, sie zu
d~rch S. 10 bestatigt, woes heifSt: ,,Es kann Gegenstande geben, empfangen?" (NB ,zu empfangen", nicht: ,zu erkennen, daE er
d1e unserer Eifahrungsart widersprechen, deswegen aber doch sie von Gott empfangen" und nicht etwa auf einem andern
real-mifglich sind, weil sie damit nicht den Bedingungen jeder Wege, z. B. durch Eingebung einer schwarmerischen Einbil-
Erfahrungsart - widersprechen." Was also einer gewissen Er- 30 JO dungskraft, erhalten hat. - Dies gehort wieder nicht hieher.)
fahrungsart nicht widerspricht oder (welches einerlei ist) dasje- - Den Streitpunkt so gestellt ( und ich denke, in dies em Sinn
nige~ dessen Erfahrenwerden keinen Widerspruch in sich enthiilt, sprachen bisher Dogmatiker und Philosophen von Mii'glichkeit
das 1st real-moglich. Aber nun wird ebenda bemerkt, daiS for der Offenbarung37), scheint mir die Unterscheidung zwischen
un: bloE. das realmoglich sei, was unserer Erfahrungsart nicht logischer und realer Moglichkeit gar nicht hieher zu gehoren.
35
~de~spncht.,Wir (heillt's gleich nach den angeftihrten Worten), 35 Fragen, ob es in Gottes Kraften stehe, Belehrungen mitzuteilen,
d1~ WIT an unsre Erfahrungsart gebunden sind, konnen deswegen heillt fragen, ob Gott allmachtig sei, und fragen, ob der Mensch
kemen Ausspruch tiber die reale Moglichkeit jener (unserer imstande sei, Belehrungen von ihm zu empfangen, heiEt fragen,

240 241
Briefe C 9 Von Si.iBkind, 26. Februar 1791

ob der Mensch vernunftig sei. Es ist gar nicht die Frage der Uberzeugung gekommen sein, daE er allmachtig sei. Aber
von Moglichk.eit im philosophischen Sinn, sondern von Mog- ein allmachtiger Gott, der seine vernunftigen Geschopfe zu
lichkeit im physischen Sinn, d. h. vom Dasein der Kri.ifte, welche belehren die Krafte nicht haben sollte, ist ein logischer Wi-
zum Erteilen und zum Empfangen einer Belehrung erforderlich derspruch, und was logisch-widersprechend ist, das ist schlech-
J:</13 sind. I s 5 terdings real-unmoglich. (Nach S. 9 b: ,Reale Moglichk.eit setzt
logische voraus".) Es ist also vollig real-unmifglich, dafl Gott nicht
D<ill ich, als vernunftiges Wesen, die Kraft habe, eine Belehrung die Kri.ifte oder das Vermogen haben sollte, sich zu cflenbaren oder
zu empfangen, das weill ich als Faktum - und wer wird bei gewisse ldeen auf irgendeine Art in des Menschen Seele zu erweclcen,
einem Facto, das er vor Augen sieht, oder bei einer Erfahrung, d. h. es ist apodiktisch gewiE, daE eine Offenbarung physisch-
die er an sich selbst taglich macht und an andern taglich sieht, 10 10 moglich ist.
noch fragen, ob jenes und ob diese logisch- und real-moglich
sei? DaE aber Gott die Kraft habe, eine Belehrung mitzuteilen,
dies enthalt nicht nur keinen innern Widerspruch, sondern es
folgt notwendig aus dem Begriff eines allmachtigen Wesens.
Denn es ist ein analytischer Satz: ,Das allmachtige Wesen mug 15
auch die Kraft haben, Belehrungen mitzuteilen, d. h. es kann
durch keine entgegenwirkenden physischen Hindernisse davon
abgehalten werden." Ob Hindernisse anderer Art eine solche
Belehrung logisch- oder real-unmoglich machen, d. h. ob nicht
eine solche Belehrung mit den ubrigen Eigenschaften Gottes 20
und mit gewissen andern Umstanden und Dingen im ganzen
nexu rerum im Widerspruch stehen wiirde, dies gehort ganz
und gar nicht hieher, sondern zur Frage von der ZweckmaEigkeit,
Gotteswurdigkeit [p]p. einer Offenbarung. - Wie hingegen jene
Behauptung, ,daE der Allmachtige die Kraft habe, den Menschen 25

zu belehren" ein ,vergebens versuchter Flug der erbarmlich I


millkannten Vernunft in tellurem instabilem 38 [p]p." genannt
werden konne (S. 11 ), kann ich schlechterdings nicht fassen.
Das weiE doch die Kantische Vernunft ebenso gewiE wie jede
andere, wenngleich aus andern Grunden, daE Gott allmachtig 30

ist. Der unumstoEliche Kantische moralische Glaube involviert


doch ebensogut wie die Theorie der andern Systeme den Glau-
13/14 ben an einen allmachtigen I Gott. Ich mag zu der Uberzeugung
von der Existenz dieses Gottes gekommen sein wie ich will,
so ist das doch in Riicksicht auf meine Vorstellung von seiner 35

Allmacht eins. - Ein allmachtiger Gott ist ein allmachtiger Gott,


ich mag nun durch spekulative oder praktische Vernunft zu

.24.2 .243
Briefe C 10 Von Si.ifSkind, 29.-31. Marz 1791

deutlicher ist mir jetzt die Sache, aber demungeachtet zweifle


c 10 ich sehr, ob ich so geschwind wie Herr Griesinge~ meinen
Friedrich Gottlieb SiiBkind, Gottingen Beifall geben werde, es mag nun tarditas oder capacitas ingenii6
Dienstag, den 2 9 ., und Donnerstag, den 31. Marz I 791 schuld daran sein. Wenigstens die Folgerungen, die in Ansehung
An Immanuel Carl Diez, Tiibingen 5 der Moglichkeit einer Offenbarung aus den Kantischen Prin-
zipien gezogen werden, glaube ich, auch aile diese Prinzipien
selbst zugegeben, immer noch widerlegen zu konnen. Ob die
Gottingen, den 29. Marz 1791 Widerlegung statthaft sein werde, wird etwa mein nachster
Brief entscheiden. Plancks Urteil uber den Aufsatz weiE ich
Deinen neuen Aufsatz 1, Iieber Diez, babe ich vori6~ Woche 10 noch nicht, er hat ihn aber und wird Dir vermutlich, sobald
erhalten und bin Dir aufs neue daftir verbunden. (Uber) die er Zeit hat, selbst antworten. Uber den Brief7 hingegen babe
Zugabe 2 babe ich sogleich auf beiliegenden Blattern3 mein s ich mit ihm geredet. Den ersten Brief (sagte er mir) babe er
unvorgreifliches Urteil niedergeschrieben, und es wird Dir wohl nicht verstanden, aber aus dem zweiten babe er gemerkt, wo
nicht unerwartet sein, daE ich glaubte, darauf antworten zu Du hinauswollest, und gesehen, daE Herr Diez ein denkender
konnen. Du wirst mir's nicht i.ibelnehmen, wenn ich Dir gera- 15 Kopf sein mi.isse. Uhrig ens konne man dem, fur welch en Zweifel
deheraus sage, daE ich wi.inschte, Du mochtest mit unmittelbaren der Art ein Gewicht haben, eigentlich nicht antworten. Meta-
Angriffen dieser Art auf die christliche Religion etwas weniger 10 physisch strenge Beweise ftir die Offenbarung gebe es freilich
rasch verfahren und Dich einstweilen begni.igen, die Festung (auch ohne Rucksicht auf Kantische Philosophie) nicht; wer
von der Seite mit desto groEerem Nachdruck zu besturmen, aber nun doch solche verlange und sich nicht bei den wahr-
von welcher Du es vorher schon angefangen hattest. Ich glaube, 20 scheinlichen und freilich weniger strengen beruhige, dem konne
es kommt dabei vor jetzt mehr heraus. Bei Angriffen der andern man weiter nicht viel zur Uberzeugung sagen [p ]p. Im Grunde
Art sind der Auswege, die dem Exegeten i.ibrigbleiben, gar zu 15 mag er recht haben - und ich bin schon !angst der Meinung,
viele - ich wenigstens wi.irde, wenn es je dazu kommen sollte, daE eben am Ende bei den verschiedenen Uberzeugungen
weit eher durch Kantische als durch diese Waffen zur Ubergabe der Menschen alles oder doch das meiste (ceteris paribus) von
gezwungen werden. - Ubrigens bin ich diesmal in meiner Ge- 25 dem subjektiven, durch 1000 uns unbekannte und von uns
genantwort einige philologische Beweise schuldig geblieben. unabhangige Ursachen bei verschiedenen Subjekten verschie-
Es ist i.ibel, sich an solche Dinge zu machen, wenn man keine 20 den bestimmten Gewicht der vorgelegten Entscheidungsgri.inde
Bucher hat und wegen Kurze der Zeit sich nicht mehr darauf , abhi:ingt. 8 So haben z. B. die aus der ganzen Geschichte des
einlassen kann, das eine da-, das andere dorther zusammen- Lebens, der Reden und Taten, des intellektuellen und moralischen
30 Charakters Jesu [p]p. hergeleiteten Beweise fur seine gottliche
zuholen. Die wenigen Bucher, die ich mit mir nahm, sind bereits
in eine Kiste, die ich von bier aus nach Hause schicke, gepackt, Sendung in dem an ein gewisses Gefuhl innerer, historischer
und ich bin uberhaupt, da ich in ein paar Tagen abreise und 25 Wahrscheinlichkeit gewohnten Kopf eines Planck ein solches sub-
noch eine Menge Briefe zu schreiben babe, schon zu sehr jektives Gewicht, daE er (wie ich gewill glaube) die metaphy-
distrahiert4 . Du muEt Dich also damit begnugen, daE ich's so sischen Subtilitaten, (mit) welchen sich dagegen streiten lillt,
35 selbst dann, wenn er nichts darauf zu antworten wi.iEte, doch
gut machte, als ich konnte. - Den philosophischen Teil des
Aufsatzes babe ich gelesen, verspare aber aus der angeft.ihrten nicht sehr achten, sondern seinem subjektiven Wahrscheinlich-
Ursache die Antwort noch. Nur soviel kann ich Dir sagen - 50 keitsgeftihl trotz aller entgegenstehenden metaphysischen Mog-

244 245
Briefe C 10 Von SiiEk.ind, 29.-31. Marz 1791

lichkeiten folgen wi.irde. Ob und wie weit ich auch in diesem zu versprechen; ich bin nicht sehr gliicklich im Behalten der-
Fall bin und wie ich iiberhaupt auf aile Hille (soweit nii.rnlich selben, will iibrigens tun, was ich kann. 16 - Von Pfaff schrieb
meine gegenwiirtige Einsicht reicht) veritatem religionis christia- ich nichts, weil ich damalP Grund hatte zu glauben, die Sache
nae retten wiirde, - dies naher zu erklaren, reichen die Grenzen sei noch gar nicht in Wt.irttemberga bekannt, und es mir eben
des Briefs und der Zeit nicht zu; ich miiEte ganze Bogen voll- 5 5 doch unter den damaligen Umstanden besser zu sein schien,
schreiben; wir wollen das Weitere auf miindliche Unterredung wenn Iieber gar niemand nichts davon erft.ihre. Es kommt oft
ausgesetzt sein lassen. Nur soviel kann ich zur Antwort auf Deine zufalligerweise so etwas doch weiter als einem lieb ist, wenn
Frage sagen, d~ ich gar nicht im Sinne habe, wie Rapp keine auch der, dem man's sagt oder schreibt, es sonst niemand als
feste Uberzeugung in der Sache zu suchen9, weil doch die fe- etwa wieder seinem vertrautesten Freunde und dieser wieder
stesten veranderlich sind. - Entweder verstehe ich diese AuEe- 10 10 dem seinigen [p ]p. mitteilt, und am En de weiE man eben doch
I/ 2 rung nicht - oder \ sie ist ziemlich absurd. nicht, ob's nicht dem, den es betrifft, doch Nachteil bringen
kann. Du muEt dazu nehmen, daE damals auch hier die Sache
Meine Abreise ist auf den 4. April festgesetzt. Bis Berlin reise noch nicht so publik war und ich dem, der mir's sagte, Still-
ich Extrapost mit einem jungen Berner Patrizier 10, der hier schweigen versprochen hatte. Siehe es also nicht als Milltrauen
studierte. Er hat einen eigenen Wagen, in dem sich's bequemer 15 15 an! - ]etzt hat sich freilich die Sache Ieider (!) geandert. Schon
als in den elenden Postkarren sitzen laEt; urn deswillen und auf der Hieherreise bekam er in Braunschweig ein Rezidiv 18,
weil ich doch auf diese Art nicht allein bin, ist mir die Gelegenheit es besserte sich zwar wieder, so daE man ihm zu Anfang seines
ganz erwiinscht. Nach Kloster Bergeau werde ich, wenn mich hiesigen Aufenthalts gar nichts anmerkte, allein seit etwa zehn
nicht anders eben diese Gesellschaft hindert, allerdings gehen. Tagen hat sich's wieder merklich verschlimmert. Es ist zwar
Aber die Kantianer ft.irchte ich ein wenig. Doch will ich immerhin 20 20 den einen Tag weit besser als den andern, aber verwirrt sieht's
zu einem oder dem andern auch einen Gang wagen. In Jena eben doch jeden Tag im Kopfe aus. - Man ist in groEer Ver-
langer als hochstens 14 Tage zu bleiben geht aus wichtigen legenheit, wie man ihn nach Wt.irttemberg bringen soli - dem
Grunden (unter denen der vom Beutel hergenommene der Bedienten kann man ihn nicht wohl allein anvertrauen, und
12
wichtigste ist) nicht an. Kantische Philosophie bei Schmidb doch, wer soli sonst mit ihm? Rasend ist er iibrigens gar nicht,
privatim zu horen, ware diese Zeit viel zu kurz - und ich halte 25 25 wie der Menschenfreund in dem Gothaer Blatt vorgibt 19 - nur
iiberhaupt auf Lektionen darin, wenn sie auch einen ganzen zuweilen etwas heftig, sonst aber mehr triibsinnig oder lustig-
Monat wahrten, nicht viel. Schreiben kannst Du mir nirgends konfus. Es schmerzt in der Seele, den Menschen, der eines
hin als nach Jena. Du muEt es aber so richten, daE der Brief bessern Schicksals so wiirdig ware, in diesem Zustand sehen
((in Paulus' Haus 13 adressiert)) noch vor der Mitte Mais da zu miissen! Ubrigens wi.inschte ich, daE Du auch jetzt noch
30 30 diese Nachrichten so wenig, als es sein kann, bekannt werden
ankommt; denn nach der Mitte gedenke ich schon wieder weg
zu sein. Wenn ich nur Niethammer noch antreffe. Ich weill lieEest. - Unserm lieben Klett, wenn er noch da ist, nochmals
nicht, ob (er) nicht seine Stelle gleich nach Ostern 14 antreten eine gliickliche Reise und 1000 herzliche Gri.iEe. Es tut mir
15 sehr leid, ihn nicht mehr anzutreffen; ich wiiEte auEer dem
muE • - Anekdoten getraue ich mir nicht soviel wie Webd
,Apostel des Kantischen Evangeliums in Frankreich"20 keinen,
a Orig.: »Bergen«
b Orig..: »Schmidt«
c Orig.: »Weeber« a Orig.: »Wirt[emberg] «

246 247
Briefe C 11 Von Siigkind, 2. Juli 1791

den ich mir lieber als ihn zum naheren literarischen und freund-
schaftlichen Umgang gewiinscht hatte! Wenna wir freilich jetzt C11
einander wieder sehen, weiE der Himmel! Inzwischen wird Friedrich Gotdieb SiiBkind., Stuttgart
dieser wenigstens Dich und mich, wie ich hoffe, bald wieder Samstag, den 2. Juli 1791
gliicklich zusammenbringen und uns doch einige Jahre Freud' 5 An Immanuel Carl Diez, Trihingen
und Leid miteinander zu teilen vergonnen. Ich hoffe, dies soil
mir den Stand der Knechtschaft21 , dem ich oft mit bangen
Vorgeftihlen entgegensehe, so ertraglich als moglich machen. Stuttgart, den 2. Juli 1791 1
Indessen lebe wohl, mein lieber Apostel, und begleite mit Dei-
nem apostolischen Segen auf seine weiteren Wanderungen 10 Nur ein paar Worte, lieber Diez, weil die Zeit nicht mehr
erlaubt. Mein gestriges Examen2 ging ganz gut vorbei. Es
Deinen 5 waren Iauter Texte von den operationibus gratiae - der meinige
S. Phil. 2,12. 13 3 • Du kannst Dir vorsteilen, wie wenig angenehm
mir's gewesen ware, iiber diese Materie ex professo zu pre-
NS Schnorrer hat mir wegen des Nicht-Bibliothekar-, sondern 15 digen4. Ich ergriff also die Storrische Erklarung der Steile5
Repetent-Werdens einen schalkhaften Brief geschrieben und urn so lieber, weil ich, diese angenommen, eine andere Idee
mir den groEen Trost gegeben, daE nicht einmal eine Stube 10 zum Hauptsatz machen und die opera Spiritus Sancti, die
23
mit einem Kabinett mehr ftir mich iibrig sei!!22 Deus providebit! im 13. Vers liegen soilten, mehr als Nebenidee auf die Seite
steilen und im zweiten Teil, der meist nur angefangen wird,
NS Den 31. Martius. Mit Pfaff hat sich's in zwei Tagen wieder 20 mehr nur beriihren als ausftihren konnte. Ich machte zum
so gebessert, daE er gestern noch die Reise nach Wtirttemberg Thema: die Pflicht des Christen, das Beste seiner Bruder durch
angetreten hat. 15 Arbeiten an ihrer Besserung zu befordern. I. Die Pflicht selbst.
II. Wie der Gedanke, unsere Besserung ist Gottes Werk, uns
zur Erfiiilung dieser Pflicht ermuntern soil. 6 lch hatte kaum
den Punkt I absolviert und Punkt II angefangen, so hieE es:
satis est. Auf aile Faile hatte ich aber doch mich so uber
20 die Gnadenwirkungen auf meinem Papier ausgedriickt, daE
ich meiner Uberzeugung nichts zu vergeben und doch auch
dem Vorwurf der Heterodoxie nicht ausgesetzt zu sein glaubte.
Kurz - man war zufrieden im Consistorio, wenngleich gewisse
andere Leute mir die Abweichung von der hergebrachten Er-
25 klarung nicht verzeihen konnten . . .7 -

Im Consistorio nun examinierte Flatt8 uber eben den Locus,


in den die Texte einschlugen9, lieE aber nicht sowohl die
Lehre exegetisch beweisen, als die argumenta philosophica
30 gegen sie durch uns widerlegen. Ich hatte ein paar dubia
• hier irn Sinne von »Wann«

248 249
Briefe C 11 Von Si.iEkind, 2. Juli 1791

zu losen, die ich mit Recht ftir nichts bedeutend erkliiren zu machen sein.- Dein Brief n[ach] 3 Jena ist noch nicht da. 19
konnte und erkliirte. Griesinger 10 examinierte i.iber den Locus - Wenn Du mir schreibst, so tue es erst his i.iber acht Tage.
de gratia, praedestinationell, brachte mir allerlei - i.ibrigens Vermutlich reise ich his morgen ins Unterland 20 und komme
bekannte - Argumente ftir den Determinismus, Fatalismus erst am Samstag21 wieder.
I/ 2 [p]p., I die ich beantworten sollte, die aber zum Teil so be- s 5
schaffen waren, daE kein Mensch anders darauf antworten Dein
konnte als: wir wissen's nicht. Ich ergriff auch diese Partei, S.
wir ftihrten einen Diskurs i.iber Unhegreiflichkeit so mancher
gottlichen Veranstaltungen, i.iber Eingeschranktheit unserer In Eil.
Einsichten in Ansehung der gottlichen Absichten, in Ansehung 10
des ganzen nexus rerum 12 [p]p., und am Ende wurde von
Griesinger selbst erkliirt, daE er die mir vorgelegten argumenta
selbst nicht anders - als so - zu beantworten wi.iEte, wenn- I
gleic~ die ~tworten - eben nicht befriedigend waren. Heute,
als WIT be1 1hm waren, 13 fing er noch einmal davon an, und 15
wir kamen endlich darauf hinaus, daE eine Antwort, die man
gestern nicht wohl geben durfte - namlich die Hypothese
einer anoxm:a01:am~ JtclVtWv 14 - die einzige, gewissermaBen
befriedigende Losung jener Zweifel enthalte. Griesinger mach- !1
te den Aufgeklarten und gab zu verstehen, daE er ftir sich 2G
diese Ketzerei glaube. - Der neue Konsistorialrat 15 endlich 1
examinierte - i.iber das letzte Evangelium und zeigte sich
nicht gerade als einen groEen Exegeten. Ubrigens bin ich
mit der Behandlung des Konsistoriums ganz zufrieden. Sie
begegneten mir so, wie ich's nur erwarten konnte, und be- 25 1
sonders auch Dein Herr Dodte 16 ( ut vulgo dicet 3Y7 war sehr
human. - 1

I
Jetzt wird's wohl i.iber 14 Tage nicht mehr anstehen, his ich
komme. Wenn Du was tun kannst, daE die ftinf Stipendiaten 30
auf der Mompelgarderl> Stube 18, die ich doch vermutlich werde
beziehen mi.issen, ausgetrieben werden, so tue es. Es ist mir
sehr unangenehm, nicht allein zu sein. Doch es wird nicht viel

• »dicet«? Var.: »gnaretcc?


b Orig.: »Mompelgardter« a Var.: »v[on]«

250 251
Briefe C 12 Von Si.iEkind, 5. Juli 1791

meine Magregeln darnach nehmen. Ich mug sagen, dag mir


c 12 zum Anfang besonders sehr daran liegt, einen Platz zu haben,
Friedrich Gottlieb SiiBkind, Stuttgart wo ich ungestort arbeiten kann. Ich sehe, dag es notig ist,
Dienstag, den 5. Juli 1 791 mich mit Fleill wieder Iin die Beschiiftigungen hineinzuarbeiten, J/2
An Immanuel Carl Diez, Tiihingen 5 die mir unter den bisherigen Zerstreuungen etwas fremde ge-
worden sind; ich wi.inschte sehr, in Ansehung mehrerer Punkte,
die nach und nach bei mir zur Sprache gekommen, aber his
Stuttgart, den 5. Juli 1791 jetzt noch unentschieden geblieben sind, je eher, je lieber ins
reine - und aus dem Gewirre herauszukommen, in dem sich
Ohne Zweifel hast Du, lieber Diez, gestern einen Brief von IO mein Kopf in Ansehung seiner Uberzeugungen jetzt mehr als
mir erhalten, in dem ich Dir von meinem Examen einige Nach- je befindet. 5 Dag dazu ungestorte Muge notig ist - und be-
richt gab und zugleich schrieb, dag ich auf acht Tage eine 5 senders bei mir notig ist - liigt sich leicht begreifen.
Reise ins Unterland 1 machen wiirde. Aus dieser ist nun nichts
geworden und vermudich wird auch nichts mehr daraus werden. Mein Bruder6 schrieb mir heute, dag der Locus des ki.inftigen
Demungeachtet habe ich vor dem Ende der niichsten oder 15 Montags bereits an mich kame und Du ihn, wenn ich noch
dem Anfang der darauffolgenden Woche noch nicht im Sinn, nicht da ware (was freilich der Fall sein wird), fur mich i.iber-
zu Euch zu kommen. Fast immer werde ich hier sein, Du kannst IC nehmen wolltest. Ich weig nicht, wie das zu verstehen ist.
mir also schreiben, wenn Du willst. Vorzi.iglich wi.inschte ich Wenn meine Arbeiten (eigentlich) sogleich nach dem Examen
nun baldige Antwort zu erhalten, was ich denn eigentlich fur anfangen, so folgte freilich daraus, dag ich jenen Locus alsdann
eine S~ube beziehen soli. Die Mompelgarder Stube soli nicht 20 wieder heimgeben 7 mi.igte. Allein ich diichte, es schadete Euch
nur mit vier Stipendiaten, sondern auch mit H[ ansers ]2 siimt- nichts, wenn Ihr so komplaisant wiiret und mich die nachsten
lichen Effekten angeft.illt sein, und das ist mir eine fatale Sache, 15 14 Tage noch als non-examinatum betrachtetet, mithin in Gottes
w:enn ~ch auch die Gefahr, bald wieder wegziehen zu mi.issen, Namen Euren Zirkel ohne Ri.icksicht auf den neuen Kollegen
mcht m Anschlag bringe. Soviel ist gewig, dag ich auf den absolviertet. 8 In welcher Region der lieben Dogmatik streift
Winter mir eine Stube ohne Kabinete nicht gefallen lasse - 25 Ihr danna gegenwiirtig herum? 9
im iiugersten Fall, glaube ich, mi.igte ein Schlogprediger4 wei-
~hen. -~oil ic~ jetzt auf die Mompelgarder ziehen, so konnte X Zahns Wi.irttembergischeb Reformationsgeschichte 10 habe ich
1ch, dunkt m1r, fordern, dag die darauf hausierenden Stipen- kiirzlich auch gesehen und ein wenig degustiert. Sie schien
dia~en entfernt wiirden - aber ich mag mich freilich nicht gern mir nicht in Plancksc Geist'' geschrieben zu sein. Hat Dir dieser
gle1ch ~nfangs mit Schnorrer abwerfen. Ich mag deswegen auch 30 noch nicht geantwortet? 12
noch mcht an Schnorrer schreiben, sondern wi.inschte vorher
durch _Dich zu erfahren, wohin.. er ~ich dann 3 eig~ndich jetzt 25
1 Bei Gras machte ich neulich einen Besuch. 13 Er sagte mir, dag
- ~nd 1m Fall, dag H[anser] zuruckkame, auf den Wmter setzen er Dir niichstens schreiben werde. Ich war gerne bei ihm -
will. Wolltest Du Dich bei ihm - nur vor Dich - erkundigen
und mir dann Nachricht davon geben, so werde ich alsdann a hier im Sinne von »denn«
b 0.
ng.: »Wirtemb(ergische]«
• bier im Sinne von »denn« c Orig.: »Planks«

.25.2 .253
Briefe C 13 Von Si.i~kind, 9. Juli 1791

einige seiner AuEerungen - er ist eben immer noch der alte


Gros - will ich Dir lieber miindlich als schriftlich sagen. c 13
Friedrich Gottlieb SiiEkind, Stuttgart
Nun leb' Er indessen wohl und sag' Er seinem Creur, daE der Samstag, den 9. Juli 1791
Pedant jetzt bald kommen werde. 14 5 An Immanuel Carl Diez, 'llibingen

Dein
S. I Stuttgart, den 9. Juli 1791

NS m Lieber Diez, Herr .M , 3 1 ist allerdings sehr giitig, daE er mir ein
15
Werkmeister hab' ich noch nicht treffen konnen. Er ist vie! in so angenehmes Logis in Deiner Nachbarschaft anweist. Fur
Hohenheim. 5 diesen Sommer ist es mir insofern ganz recht, als ich alleine
bin; allein, wenn er es auf diese Art dahin zu bringen glaubt,
daE ich auch nachsten Winter mich damit begniigen soil, so
irrt er sich sehr. Ich werde ihm heute auch schreiben und ihm
vorHiufig darauf deuten. Deus providebit!2
10
DaE ich in meinem guten Zutrauen zur Kollegialitae zu weit
gegangen bin, ist mir herzlich leid. DaE Du iibrigens (bei so
bewandten Umstanden) wegen des Locus gar keinen Versuch
gemacht hast, ist mir ganz lieb - es ware wirklich nicht tanti,
15 und daE es mir im Ernst nie einfallen wird, mich dem, was
ich schuldig bin, zu entziehen, weillest Du zum voraus. Ich
werde also meine Schulden zu seiner Zeit mit Dank abtragen
- nur wird es von nachsten Montag iiber acht Tage, d. h. den
18. Juli, noch nicht geschehen konnen, denn vermutlich komme
.20 ich erst den 19. nach Tiibingen. Indessen beordre Meister
Vollmarh, daE er meine Sa chen (die mein Bruder4 von DuE-
lingen5 bereits wird haben hereinkommen lassen) noch vor
meiner wirklichen Ankunft auf die Stube bringt, damit mich
am Einziehen nichts aufhalt. Fiir Sessel wird die Dame vis a
.25 vis von meiner Stube sorgen. Aber eine Kutte 6 hab' ich noch
nicht bestellt. Die Langsamkeit des Konsistoriums oder Gehei-

254 255
Briefe

men Rats oder - - setzt mich jetzt doch diesfalls noch in 4.


Unkosten - denn vermutlich diirfte ich mir keine anschaffen, Textgruppe D:
wenn die neuen Statuten in Richtigkeit wiiren. Da dies nicht Diez an die Eltern
ist., so sei so gut und sorge mir fur eine, bedenke aber, daB
1/2 ich kein Riese bin. I- Einen Tisch hab' ich auch noch nicht 5
bestellt. Kannst Du einen honetten und nicht gar kleinen zu
kaufen bekommen, so bitte ich, es zu tun. Sonst geht mir jetzt
nichts bei.

Mit dem Reformationsplan ist es ( wie mir Georgi? vor ein IC


paar Tagen bei einem Konzert sagte) nun endlich so weit ge-
kommen, daE er vom Consistorio dem Geheimen Rat iibergeben
ist. Die wichtigste Veriinderung ( sagte er) sei diese, daE kiinftig
auch die Magister loziert werden und die Repetenten mehr
zu tun, aber auch mehr Auctoritiit erhalten sollen. 8 Naheres 15 1
weiE ich nichts. Das Bauwesen ist zwar dekretiert, aber wie
9
gebaut werden soli, dariiber ist man immer noch nicht einig.
Parturiunt montes. 10 -

Wegen der Briefe habe ich nach Jena noch nicht geschrieben, 2G
weil man mich auf der hiesigen Post versicherte, daE sie gewill
wieder retour laufen, wenn sie nach Jena kommen. Paulus wi.irde
sie gewill, da sie an ihn adressiert sind 11 und er weiE, daE ich
wieder im Lande bin, zuriickgeschickt haben, wenn sie an ibn
gekommen wiiren. Was iibrigens den Deinen 12 betrifft, so muBt 25
Du auf der Tiibinger Post darnach fragen und es bestellen.
Kommen sie nicht bald, so will ich dann doch noch schreiben,
so sehr ich auch glaube, daE es nichts nutzt.
JC
Viele Empfehlungen von den Meinigen -

Dein

S.

256
Vorbemerkung

Aus Jena schrieb der vom theologischen Repetenten zum Me-


dizinstudenten gewandelte Immanuel Carl Diez Berichte an seine
Eltern, Verwandte und an Freunde, die zu Handen seines Vaters
gingen. Diese Briefe setzten, anders als die vorausgehenden, bei
ihren Adressaten kein ausgebildetes philosophisches oder theo-
logisches Interesse voraus. Sie geben aber anschauliche Berichte
von Diez' Leben und Umgang und damit zum Teil neue Nach-
richten aus erster Hand iiber die Lebensverhiiltnisse in Jena
und Weimar und also im wichtigsten intellektuellen Zentrum
Deutschlands. Die Kommentierung dieser Berichte konzentriert
sich auf die Verhiiltnisse an der Jenaer Universitat und ist deshalb
nicht unter den Anspruch gestellt, auch in allen anderen Details
moglichst erschopfende Nachweise zu geben.

259
D 1 An die Eltern, 20. April 1792

D1
Immanuel Carl Diez, Jena
Freitag, den 20. April 1792
An die Eltern, Ttihingen

Jena, ich sage lena,


den 20. April 1792

Liebste Eltern 1,
5
ich beeile mich, llmen Nachricht von meiner gliicklichen Ankunft
zu geben. Die umstiindlichern Nachrichten verschiebe ich noch
auf eine bessere Zeit, da die, die mir heute noch iibrig ist -
und heute mu~ ich den Brief abgeben 2 - durch das Nachtessen
10 und einen Besuch, den ich bei Herrn Professor Paulus machen
werde, besetzt ist. Ich habe niimlich sogleich nach dem Mit-
tagessen, zu dem ich gerade noch recht kam und das auf dem
Zimmer des Herrn Magister Goritza ( weil Herr Professor Schiller3
mit seiner Frau4 gegenwiirtig auf einer Reise nach Leipzig ab-
15 wesend ist) in Gesellschaft seines Eleven, eines Herrn von
Fichardh5, und Herrn Magister Niethammers eingenommen wur-
de, Herrn Professor P[aulus] seine Briefe iiberbracht, und er
hatte nun die Giitigkeit, mich zu einer Abendgesellschaft ein-
zuladen, die er Herrn I Professor Schmid (Gustel!6 dem Mo- I/2
20 ral-Schmid! 7) aus Gie~enc zu Ehren bringt. Ich werde daselbst
noch einen meiner kiinftigen Lehrer, Herrn Batsch 8, Professor
der Botanik, hier antreffen, so wie andere werte Manner (Gustel!
Reinhold pp.) und hoffe, recht vergniigt zu sein. Argerlich is
es, da~ ich das verdammte Schwiibeln noch an mir habe, aber
.25 Geduld haben, sanften Mut! Es wird schon anders kommen,
und was nicht is, kann werden. (Anmerkung: Ich mu~ mir das

a Orig. : »Goriz«
b Orig.: »Fikkard<<
c Orig.: »Giessen«

261
Briefe D 2 An die Eltern, 21.- 30. April 1792

,is" angewohnen, weil ich das ,igt'' nicht durchfti~en ka~


und das ischt" wohl ebenso auffallend ist als das ,emeweg D2
,.. 10 d . Immanuel Carl Diez, Jena
tiber dem ich heute von Herrn Doktor Mereau un memen
11
Landsleuten derb ausgelacht wurde.) Samstag, den 21., Mittwoch, den 25.,
5 Donnerstag, den 26., und Montag, den 30. April 1792
Fur mein Zimmer bin ich zu fruh gekommen, denn es war An die Eltern, 'llibingen
(noch) nicht ausgescheuert. Doch itzt gli:inzt schon ~es zu-
sammen, und neben dem, daE Stube und Kammer schon .auf- Jena, den 21. April 1792
2/J gewaschen sind, prangen in dem Zimmer zwischen I den we~Een
Umhangen zwei schone Spiegel.- Doch die Fortsetzung.dte~er 10 Ich wiirde kaum mich entschlieEen konnen, eine Beschreibung
Beschreibung ein anders Mal. 12 Fur diesmal nur noch die Wte- meiner Reise hieher aufzusetzen, da sie so ganz unerheblich
derholte Versicherung, daE ich recht gesund und wohl, recht 5 ist, wenn nicht einerseits ein Versprechen, sie zu liefern, mich
heiter und lustig, und auf den Fall, daE meine Heite~ke~t etwa bande und andererseits der Vorwand der Unerheblichkeit, der
Furcht erregen sollte, setze ich hinzu, recht freud1g m den giitigen Freunden so leicht leerer Vorwand zu sein scheinen
besten Vorsatzen mich hier befinde. Meine Bitte und Wun~ch, 15 kann, eben durch die Erzahlung in seiner Statthaftigkeit gezeigt
auch bald Nachrichten von Ihnen zu horen, wird, hoffe Ich, werden sollte. Bei diesen Grunden aber und bei der Nachsicht,
bald erftillt werden. 10 die ich von meinen Freunden hoffen darf, mag es geschehen,
dag meine Feder niederschreibt, was in meinem schwachen
Haben Sie die Gutigkeit, diese Nachrichten meinen Freunden Gedachtnis von meinen schwachen Bemerkungen noch zuriick-
geblieben ist. 1
pp. 13 mitzuteilen, welchen ich m1ch
. so Wie· Ihn en gehorsarn 2°
und bestens empfehle
15 Die Besuche, die im Vaterlande gemacht worden sind, gehoren
noch nicht zur Reisegeschichte. Ich gehe sogleich zu dem Post-
Ihr
wagen2, den ich in Ground den 13. April friih morgens urn
gehorsamster Sohn,
25 J halb ein Uhr bestieg? Meine Gesellschaft war schlafrig, ich
Carl.
auch, und so lernten wir uns erst mit dem anbrechenden Tage
20 kennen, da wir in Ground im Wirtshause nicht beisammen
PS Wegen dem schlimmen Wetter werde ich die Adressen (nach
· ai4 , d em IC
· h IDI"ch. pp ., ent- waren, Herrn Eggel\ bisherigen iuris utriusque studiosum in
W[eimar]) von Herrn Do k tor Ma1er lb t
Ti.ibingen aus Ohringena ausgenommen. Beim Erwachen und
weder fruher abgehen lassen mussen oder so bald mcht se 5 J(
ubergeben konnen. Tagwerden fand ich in dem Schnarcher, der zu meiner Seite
war, einen Offizier. Er nannte sich Herr von Brodereus (wenn
25 ich ihn recht verstanden habe), Hauptmann in pfa]zischen Dien-
sten, schien ein alter und guter Mann zu sein. Er reisete in
die Gegend von Regensburgb, urn einen Bruder, der ein Te-

a Orig.: »Oehringen«
b Orig.: »Regenspurg«
3
Orig.: »Maier«

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Briefe D 2 An die Eltern, 21.- 30. April 1792

stament Fremden zugunsten gemacht hatte und seinem Tode ziergang, wahrend dessen ich mich aus meiner Schreibtafel6
nun nahe war, wo moglich zu disponieren, es noch abzuandern. unterhielt. Nach dieser gewahrte ein Schweinhandlersmadchen
Vor mir sa~ au~er Eggel ein Student aus Stuttgart, namens von acht Jahren, das seinem Vater nach Dinkelsbuhla vergeblich
Heuchelina aus Aalen5, der uns auch da verlieK Vor allen andern entgegengegangen war und nun auf dem Heimwege ihr Thn
aber hatte genannt werden sollen eine Chirurgus-Frau aus Re- 5 5 und Lassen mir erzahlte, I sehr viel Unterhaltung, und endlich 1/2
gensburgh, die nun mit Sehnsucht ihrer Heimat zueilte, nachdem vereinigte ich mich mit meiner Postwagengesellschaft wieder.
sie in Zeit von einem halben Jahr 900 Meilen durchreiset hatte. Wir schliefen von Feuchtwangen bis Ansbachb, und da wir
Sie hatte namlich eine Tochter einem Bruder zugefuhrt, der hier ankamen, durchirrten Eggel und ich die Stra~en, bis
schon seit 30 [Jahren] in Frankreich in Lorientc zu Hause ist. Er umgespannt war. Die Stadt schien uns ordentlich zu sein,
ist gegenwartig Mitglied der Nationalversammlung und gar ein 10 IO soviel wir sehen konnten, wiewohl wir zum Teil in sehr enge
braver, reicher und vornehmer Bruder. Sie wu~te gar vieles zu Gassen kamen, aber mit Freuden bestiegen wir unsern Wagen
erzahlen, aber Zittern ergriff sie (noch), wenn sie daran dachte, wieder, urn unserem Ziele naher zu kommen. Gegen ein Uhr
wie sie einst:, da sie mit ihrem Bruder, Schwagerin usw. auf hin waren wir endlich so glUcklich, in Nurnberg anzukommen,
der Post reisete, plotzlich von 50-60 halb nackten und wilden und nach eingenommenem Mittagsmahle trennte sich die Ge-
Bas-Bretons umringt und mit blo~en Schwertern und Sabeln 15 15 sellschaft. Die Chirurgus-Frau eilte, ihre muden Glieder zu
bedrohet wurden. Die Post namlich hatte die Nieder-Bretagner erquicken, Barbier und Perruquenmacher warteten des Herrn
auf den Gedanken gebracht, da~ die Postkutsche Aristokraten Hauptmanns, ihn auf seinem Zimmer zu saubern, damit er
ftihre, und nur mit vieler Muhe konnten sie uberzeugt werden, . seine Besuche abstatten [konne], und auch wir eilten, da die
da~ der Herr derselben un bon patriote sei. - Das Wetter, das Erlanger Kutsche vier Uhr zur Abreise uns bestimmt hatte,
wir hatten, war vortrefflich, die Wege gut, und die Gegenden 20 :<.o unsere Gange zu machen. Die Stadt war ziemlich lebhaft, da
stellten uns ofters vortreffliche und weit ausgedehnteAussichten gerade Wochenmarkt gewesen und Sonnabend war. Auffallend
dar, die dennd aber auch wieder mit eingeschrankteren un.d war uns die Nurnbergische Liebhaberei zu Vogeln, denn bei-
minder angenehmen abwechselten. Vorzuglich schon war d1e nahe vor jedem Hause hingen eines und mehrere Kefiche!
Aussicht:, da wir auf die Hohe von Ellwangen kamen, und Eine befremdende Anzeige dieser Liebhaberei erhielten wir
so an mehreren andern Orten, die ich aber so wenig mehr 25 :<.s gleich unter dem atillern Tore der Stadt, wo die Burger-Schild-
gegenwiirtig habe als die Dorfer, durch welche wir gekommen wache an dem Schilderhauslein ein Wasserschopferle (Schil-
sind. Von den Stadten kann ich nur so viel sagen, daE Aalen derhauschen wli~te ich wohl zu sagen, aber Wasserschopfer-
weit tiefer in meinen Augen sank, als es war, da ich es un- ~hen will nicht gehen) angebunden hatte. Es ist gut, da~
gesehen mir vorstellte, und da~ Dinkelsbuhle, das mir vorher I lCh zu dieser Schildwache zuruckkehrte, denn ohne dies ware
auch gar zu unbedeutend war, bei seinem Anblick bedeutender JC ! JO mein Schweinauer Bettelbube entwischt. Schweinau ist ein
Ort nahe vor Nurnberg und voll von den argsten St[r]eif-
wurde. Von da aus machte ich einen vergnugten Abendspa-
bettlern. Einen gro~en Beweis gaben uns zwei Bettelbuben.
Diese begni.igten sich nicht nur damit nicht:, da~ sie betend 8
• Orig.: »Heugelin«
eine Viertelstunde mit uns liefen, sondern, urn uns zu ge-
b Orig.: »Regenspurg«
c Orig.: »LOrient«
a Orig.: »Dinkelsp[iihl] «
d hier im Sinne von »dann«
b 0.
ng.: »Anspach«
e Orig.: »Dinkelspiihl«

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Briefe D 2 An die Eltern, 21.-30. April 1792

winnen, setzten sie auch noch andere Triebfedern in Bewe- irren, wenn sie nicht durch zweier Zeugen Mund bestiitigt
gung. ,,hr rotbackichte Gnaden, sind Sie doch so giitig pp.", worden ware. Doch ich will die Sache nicht verfechten. Ich
(rufte er uns zu); aber als Feind aller Liige konnte ich es lege mich zu Bette und wiinsche wohl zu ruhen. I
unmoglich zugeben, daE ihm nun was gereicht wurde, und
das Almosen war nun verwirkt. Ware die Frau Chirurgussin s 5 PS In Erlangen war ich auch bei Professor Loschgea 13 und mit
etwas jiinger gewesen, so wi.irde ohne Zweifel einer der Cha- ibm auf dem theatro anatomico. 14 Die Chausseegeldeinnehmer
peaux9 durch ,schoner Herr Hochzeiter" zum Almosen ver- im Bambergischen, die vornehmen Herren, die in ihrer Stube
sucht worden sein, denn auch das ist, wie der Conducteur sitzen, werde ich auch nicht vergessen.
uns versichert, eine ihrer Floskeln. Nach meinem Besuche in
Ni.irnberg bei Vetter Ruof£1° - Pfarrer Eisenbach'' war nicht 10 10 Fortsetzung, den 25. April 1792
zu Hause - eilte ich noch auf die sogenannte Feste oder
Burg, dem Rat der altern Frau Doktor Tafmgerin 12 zufolge, In Weimar sahe ich gestern einen Taubenschlag ersterer Art
und ich kann sagen, daE es mich nicht reuet, ihrem Rat gefolgt mit Tauben, und nun zuriick nach Erlangen. - Von den Pro-
zu haben. Die Aussicht ist ganz vortrefflich. - Auf dem Weg fessoren, an die ich von Herrn Doktor Tafinger Adresse erhalten 15
nach Erlangen versuchte ich in Tennenlohea das beriihmte 15 15 hatte, sahe ich Hofrat Breyer 16, unsern Landsmann, und Herrn
Farrenbacher Bier. Erhielten wir es wirklich echt, so kann Professor Bayer 17 gar nicht. Ersterer war verreiset, und was
ich sagen, daE es bei mir einen sehr geringen Wert hat. Ich den zweiten betrifft, so verfehlten wir einander wechselseitig,
konnte es gar nicht trinken, vermutlich, weil ich das weille er mich und ich ihn. Herrn Hofrat Wendt 18 sprach ich in seinem
Bier iiberhaupt nicht mag. Sonst muE ich eine Art von Tau- Hause ziemlich lange, was ohne die bereits angefuhrte Adresse
benschlag noch bemerken, die ich hier das erstemal sah. Er 20 20 mir wohl nicht gelungen ware. Er schien mir vir gravis zu sein,
bestund in nichts anders als in einem formlichen Hauschen wie wir Lateiner sagen; Frau Hofrat Schiitzb, die hiesige Aspa-
von Holz, das auf den Seiten in der unteren Gegend mit sia'9, halt ihn fur einen Pedanten. Wenn es wahr ist, daE er
Offnungen versehen auf einem zehn his zwolfFuE hohen Balken dem Verfasser von Sophiens Reisen 20 bei der Zeichnung des
aufgesteckt und im Hofe aufgestellt ist. Weit haufiger siehet , Less 21 zum Original gedient habe, so werden Sie Ieicht denken,
man an Scheuren und Hiiusern in gleicher Hohe langlichte 25 1 25 daE es mir noch wichtiger sein muE, ihn gesehen zu haben.
Verschliige zum gleichen Zwecke sich hinziehen. Sie werden Die meiste Freundschaft erfuhr ich wohl von Professor Abicht22 •
meine Malerskunst schon bewundern miissen, wenn ich Ihnen Er ftihrte mich in den Klub und auf Herrn Doktor Raus 23
die vordere Seite eines solchen Verschlags hinmale. Sie ist Kegelbahn. Unsere Unterhaltungen miteinander waren geringe.
comme c;a:b Die Seitenwande sind ganz schmal, ungefahr etwas I Ich wiirde ihn eben deswegen wohl mehr aufgesucht haben,
iiber einen Schuh breit, - aber was fillt mir nicht ein? Erst JC 30 aber die Bogen, die er noch fUr die Messe zu schreiben hatte24,
unter dem Schreiben gehet mir bei, daE ich die Tauben, lieEen es nicht zu. Wir kamen also nur in Rekreationsstunden
wenn ich nicht sehr irre, nie gesehen habe, und was ich vo~ zusammen. Einen merkwi.irdigen Schuler hat er gegenwiirtig,
der Bestimmung dieser Hiiuschen sage, Vermutung von rolf einen Schuhmachersgesellen, der, was er von Zeit und Geld
und Herrn Kameralist Eggel war; allein ich miiEte mich sehr seinem Handwerke, das er gut verstehet, und seinen sonstigen

a Orig.: »Tenneloh« a Orig.: »Loschke«


b Es folgt eine Zeichnung. b 0.
ng.: »Sch··UZ«

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Briefe D 2 An die Eltern, 21.- 30. April 1792

Bediirfnissen abgewinnen kann, auf Philosophie und Mathe- konnte. Er war aus Lindau und seine schone Prinzipalin, die
matik verwendet. Aller Gegenvorstellungen unerachtet will er nebst ihrem Manne zugegen war, aus Niirnberg.
in den Gelehrtenstand iibertreten, allein his itzt machte es
Mangel an Unterstiitzung ihm unmoglich. Im Klub sprach ich Den 14. April abends waren wir in Erlangen angekommen,
Herrn Prokanzler Kliiber25, Herrn Hofrat (?) Geiger2\ Herrn 5 5 den 17. morgens friih vor funf Uhr fuhren wir weg, und zwar
Professor Hanlein27 und machte besonders Bekanntschaft mit mit einem Mietkutscher.37 Dieser mu~te sich unterwegs mit
28
dem Hofmeister des Herrn Hofrat Wendt. Er heillt Gorwitz. seinen Pferden freih;~.lten und unsere (zusammen vier Zentner
und wurde mir gar bald ein Iieber Mann. Wir hatten viel Umgang schweren) Koffer und uns in einer guten Chaise mit zwei Pferden
in den zwei Tagen, die ich in Erlangen war, miteinander, und an Ort und Stelle bringen. Dafur zahlten wir ihm drei Karolin
da er vorher bei vier Jahre hier (in Jena) gewesen war, so 10 10 und dem Knechte einen Laubtaler Trinkgeld. Dies war wohl

wu~te er mir gar viel von Jena zu erzahlen. Er ft.ihrte mich in Vergleichung mit dem Postwagen nicht viel, da ich fur meinen
auf den Altstadter Berg, in den botanischen Garten, und er- Teil von Gmiind his Niirnberg fur den Postwagen nebst dem
wiinschter konnte mir nichts sein, als daE ich den Jenenser Kondukteur, Packer und den Postknechten 11 Gulden 39 Kreu-
PralektionszetteF9 bei ihm fand. Auf den Altstadter Berg kam zer zu bezahlen hatte. 38 Zudem warder Weg hieher urn mehrere
ich nachher wieder, da mich Abicht in sein Gartenhaus fuhrte, 15 15 Meilen weiter, aber noch weit groEer warder Vorteil in Ri.icksicht

wo der Abend zugebracht werden sollte, das aber nachher mit ~uf unsere Bequemlichkeit und Wohlbefinden. Unser Weg ging
der nahegelegenen Kegelbahn des Herrn Doktor Rau, wohin uber Bamberg nicht Coburg zu, sondern Kronach 3 zu. Den
dieser uns abrufen lieE, vertauscht wurde. Hier legitimierten ersten Tag fuhren wir bei dem besten Wetter und durchaus
die Ti.ibinger Herren sich als gute Kegler, und wenn die Quen- den schonsten Gegenden his nach Lichtenfels, das drei his
stedts30 - Namen der Kugeln - Pudel machten 31 oder wenige 20 .20 vier Meilen von Bamberg entfernt ist. In Bamberg hielten wir

trafen, so machten Kant oder Wolffb in meiner Hand - der Mittag und durchliefen ein wenig die Gassen, wo wir die schonen
abtriinnige Abiche 2 wu~te ihn nicht so gut zu behandeln - Madchengesichter bisweilen und die hiifilichen Altweibergesich-
ziemliche Niederlagen. Von der Gesellschaft waren Doktor Rau,4 J
ter ofters zu bewundern Gelegenheit batten. In Lichtenfels
.
Magister L"1ppert33, Rektor des Gymnasiums, Herr Besenb eckc3 , ward uns bange, als wir elf Fuhrwagen, zwei Chaisen und vier
.25 Reiter bereits antrafen, aber doch fanden wir auch noch Her-
Konrektor, ( eine schone Gruppe, besonders durch den schonen 25
Anblick der Rauischen Perruque) Abicht und wir zwei, E[ggel] berge, und zwar gli.ickliche Herberge, denn nun kamen wir
und ich. Nachher verabschiedete ich mich von der Frau Doktor zu einer Gesellschaft Kaufleute, 13 Kopfe stark, die ganz eben
Rau 35, bei der ich den Tag vorher Koffee getrunken hatte, aber den Weg zu machen hatte. Dies gewahrte uns zwei wichtige
doch noch ohne den HandkuE, der hier so viel im Schwange Vorteile: 1) daE wir wegen des Wegs nun ohne Sorge sein
JO durften, die uns vorher sehr dri.ickte, da wir einen Kutscher
gehet. (!) Im Wirtshause (bei Herrn Toussaint Zum goldenen JC
Fisch) hatte ich das Vergni.igen, einen Kaufmann anzutreffen, batten, der den Weg weder i.iber Coburg noch i.iber Kronachb,
der vor weniger Zeit noch in Livorno war und von Magister was weiter ist, aber mehr Chaussee hat, wu~te; 2) daE wir
Faber36, seinem und meinem Freunde, gar viel mir erzahlen nun I i.iberall bessere Einkehr und wohlfeilere Zeche fanden. 3/4
Von Lichtenfels ging es, wie es hieE, iiber den Forst einen
• Orig.: »Gorwiz«
a Orig.: »Cronach<<
b Orig.: »Wolf«
b Orig.: »Cronach«
c Orig.: »Besenbek«

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Briefe D 2 An die Eltern, 21.- 30. April 1792

ganz terribelen Weg, der uns aber mehrere Stunden abschnitte. von seinen zwei Bedienten war der eine ein gar lieblicher
Meist mu~te man laufen, und da kann ich Ihnen gar nicht Mensch. Er war beinahe der geringste in der Gesellschaft, aber
sagen, wie die Leute auch die geringsten Fu~steige aufs ge- der gro~te von Person, und seine sanftlautende Stimme har-
naueste wu~ten. Ein treffenderes Beispiel kann ich wohl nicht monierte vortrefflich mit seinem bescheidenen Benehmen (ich
anftihren, als wenn ich Ihnen sage, da~ einer der Gesellschaft 5 5 gabe etwas, wenn ich ihn noch mehr sprechen horen konnte ),
den Weg von Danzig nach Leipzig, einen Weg von 80 Meilen, das i.iberall sichtbar war. Er hie~ Geiger und der andere, der
20 Meilen ausgenommen, die er gefahren war, in zehn Tagen ein rustiger Kaufmannsdiener war, Drechsel, verwandt mit einem
ganz zu Fu~ zuruckgelegt hat; aber er erzahlte auch, daB der Drechsel, den ich in Augsburg40 kennengelernt hatte. Die zweite
Weg tiber aile Garten, Wiesen und alles hinein gegangen sei Chaise hatte Herr Steinmez mit seinem Tochtermanne und
und da~ er drei oder vier Wochen nach seiner Zuhausekunft 10 10 seinem Sohne inne. Der erste war ein sehr gebildeter Mann.
gar nicht habe ausgehen konnen. Mag auch irgend etwas ver- Er mahnte mich gar oft an Haller41 , der, wenn er die Rolle
gro~ert oder vermindert sein, so schien es mir doch nach ihm eines etwas alten, gesetzten, feinen und kultivierten Mannes
und nach den Zeugnissen der andern, da~ er in der Hauptsache spielt., mir ihn kopiert zu haben schien. Sein Tochtermann war
Glauben verdiene. Durch die Gesellschaft wurde der Weg kurz- ein guter junger Mann, der noch nicht viel die Welt gesehen
weiliger, der sonst ganz entsetzlich langweilig und ohne einen 15 15 hatte und das erstemal nun mit seinem Schwiegervater und
Boten gar nicht gefunden worden ware. Nachmittags kamen Schwager nach Danzig reisete, aber seine Sachen, glaub' ich,
wir bei Judenbach (wo wir auf die Coburger Poststra~e trafen) wohl verstehet. Der Sohn war eben der, der die Fu~reise von
in den beruhmten Thuringer Wald, und nicht viel vor der Danzig gemacht hatte und bei dieser Reise als einen trefflichen
Nacht erreichten wir das sogenannte neue Wirtshaus. Dies neue Kutscher sich zeigte. Er kutschierte abwechslungsweise mit sei-
Wirtshaus ist eine kleine halbe Stunde von dem sogenannten 20 2.0 nem Vater. Ein dritter Kaufmann war Scheuermann, der Harlekin
Sattelpa~39 (wenn ich es recht schreibe), wo (einige wenige) der Gesellschaft. Dieser hatte einen Markthelfer bei sich, der
Sachsen-Meiningischea Soldaten liegen, die Reisenden um Na- mehr den Bedienten machte und auf Engelhards Chaise sa~,
men, Ort pp. zu befragen, entfernt und ein gar altes Haus von ! wenn er fahren durfte. Diese drei Kaufleute handelten mit
Brettern. Inzwischen gewahrte es uns doch Schutz vor dero Nurnberger Ware. Noch waren von der Gesellschaft ein Herr
entsetzlichen Sturm und Regen, der uns noch auf dem W~ge
25 25 Kraft aus Schweinau, wie der vorige und die folgenden zu
uberfallen hatte und die ganze Nacht fortwahrte. Wie gli.ickhch Pferde, ein Mann voller Schwanke und, wie es schien, von
priesen wir uns da, da~ wir den offenen Postwagen, der nach~s vielem Verstande, Herr Bi.irgermeister Barthe, der in Miene
passierte, nicht bestiegen hatten! Und wie vergniigt waren W1f und Blick au~erst viel von dem alten Herrn Hensler in Dorn-
nun, die Gesellschaft, mit der ich Sie doch auch bekannunachen stetten42 hatte, ebenfalls ein lustiger Bruder, der den das Deut-
JO 30 sche radbrechenden Franzosen oder den Betrunkenen vortreff-
mu~, getroffen zu haben.
lich machte. Noch einmal nach Dornstetten ftihrte mich ofters
Herr Engelhard hatte eine Chaise mit drei Pferden, zwei Kauf- der letzte Gesellschafter, Herr Vogel, ein Kiirschner aus Niirn-
mannsbediente und einen Buchhandler auch aus Nurnberg herg, der mit seinem Gesichte mich gar sehr an die alte Frau
bei sich. Er war ein etwas gemeiner Bonmotist., heiter und gut; Stadtschreiberin43 erinnerte. Er war der gesetzteste und machte
35 die Narrenstreiche nicht mit, die wir in dem alten neuen Wirts-
hause trieben. Des Todes Bitterkeit zu vertreiben wurde namlich
3
Orig.: »Sachsen-Meinungische« stille Musik gemacht. Herr Engelhard war der Kantor in einem

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Briefe D 2 An die Eltern, 21.- 30. April 1792

gar schonen Aufzuge. Er hatte die Perruque des Herrn Steinmez haben, und die Waldstrecken bei Reichenbach, Gernsbacha (be-
sich aufgesetzt, einen Schlafrock angezogen, mit einer Hand- sanders auf die sogenannte Herrenwiese), Herrenalbb usw. 46 dur-
zwel44 sich umgiirtet, eine urn den Hals getan und einen treff- fen sich wohl neben denjenigen sehen lassen, die man von Ju-
lichen Schnauzbart sich gemacht. So stellte er sich dann, denbach his Grafenthal und Saalfeld zu befahren hat. Saalfeld
nachdem er allen die Instrumente ausgeteilt hatte (his auf j 5 gewahrte einen sehr angenehmen Anblick, da beinahe aile Hauser
4/5 Herrn I Vogel, der den Dudelsack nicht annahm), oben an den der Stadt mit Schiefer bedeckt waren. Schiefer ist namlich hier
Tisch, den die Musiker umgaben, lie./Se bald Solos, bald Tuttis in Menge zu haben. Er ist's, der die Wege im Walde besser
spielen, spielte bald Allegro, bald Adagio, und wer nun lachte macht, und da sind an den Wegen ganze Schichten von Schiefer
oder sein Instrument nicht, wenn sich's gehorte, gespielt hatte, zu sehen, so wie an andern Orten Felsenstiicke. Der Weg von
bekam - einen schwarzen Strich ins Gesicht. Nachdem die JO 10 Saalfeld aus zieht sich nun ohngefcihr sechs Meilen an der Saale
Gesellschaft auf solche Weise beru./Set war, ging's zu den Karten. durch ein angenehmes Tal his nach Jena hin, wiewohl er einem
Eine Partie spielte ,Heraus und Hinein", eine andere 1000, o~e~s bange machen kann, wenn er in der Mitte der Berge sich
(nicht 100) und 1, und Eggel und ich Piquet. Bald nachher hinz1ehet und oben Berge und unten Prazipisse47 hat, die an
gingen wir zu Tische, und nach aufgehobener Tafel wurde der Saale sich endigen; und so, wie wir den Weg machen mu./Sten,
nun Streue gemacht. Die Ofenhitze, der Rauch und Staub, Jj 15 war er ohnehin nicht angenehm. Noch vor Uhlstadtc, unserem
sowie der Sturm und Regen hattena zwar leicht aile Lust einem letzten Nachtquartier, drei Meilen von hier, iiberfiel uns ein Wetter,
benehmen konnen. Ich kann aber doch versichern, daE ich das fur den folgenden Tag gro./Se Kalte und Schnee und Wind
mit vieler Lust auf meine Streue mich legte und recht wahl und Regen nach sich brachte. Das machte aber alles nichts; ich
schlief. Meiner lieben Mutter hatte zwar der Koffer, der auf war doch sehr freudig, Jena erreicht zu haben. Mein Freund
der Chaise unter freiem Himmel bleiben mu./Ste, vielen Kummer 20 20 Niethammer, den ich durch die Reitende hatte benachrichtigen

gemacht, wenn sie's gewu./St hatte. Allein da der Koffer emballiert lassend 48, ft.ihrte mich ebenso freudig nach Hause. Barbier und
war, auf meine Veranstaltung dazu noch mit Brettern bedeckt ~erruquenmacher waren sogleich auf dem Platze, und kaum war
wurde, die Chaise nahe am Fenster stund, das Wetter ihn schutzte, Ich aus den Handen derselben, so setzte ich mich mit Freund
die Kaufleute von nichts als Sicherheit sprachen und der Haus- . Niethammer, Goritze, seinem Eleven Herrn von Fichardf aus
25 Frankfurt und dem von ungefahr dazugekommenen Doktor Me-
knecht noch uberdies wachen und nachsehen muEte, so war 2J
ich ruhig. Doch war es beim Erwachen mein erstes: Ist der reau, einem Juristen, zu Tische. Sonst gehoren zur Tischgesell-
Koffer noch da? Under- warda. Der Weg durch den Thuringer schaft Schiller und seine Frau und der Kammerassessor von
Wald ist in der Tat auch weder so unsicher noch so schlecht, Stein49 aus Weimar, der hier studiert. Erstere sind in Dresden,
als man ihn macht. Man trifft immer zerstreute Hofe und Ort- 1 letzterer ist zu Hause, und his auf ihre Zuruckkunft speisen wir
30 auf unsern Zimmern. Diese sind in einer Suite. Jeder hat seine
schaften an; Herr Steinmez erbot sich, einen Hut voll Geld offen 30
durch den Wald zu tragen, und, was nun bei dieser Gesellschaft 45 a 0 .
wohl anging, ich lie.IS den Hirschfanger im Kutschentruchl.e · ng.: »Gerspach«
b 0.
Die Gegenden und Wege hatten nichts Befremdendes ftir nuch. ng.: »Herrenalp«
Unsere Schwarzwalder wiirden sich gratulieren, solche Wege zu c Orig.: »Ulstetten«
d 0.
ng.: »lassen und ftihrte«
e Orig.: »Goriz«
f 0.
a Orig.: »hatte« ng.: »Fik.kard«

.273
.27.2
D 2 An die Eltern, 21.-30. April 1792
Briefe

h~b Jahr da~en wird. Ich rouE ftir Logis und Aufwartung,
eigene groEe und geraumige Stube mit einer Nebenstube. Ich
Mobel usw. fur dies halbe Jahr 15 Taler (27 Gulden) zahlen,
logiere in der Mitte, und da sollten Sie nur sehen, in welcher
und bloE von einem Umstande, der sich auf den Herbst andern
Pracht und Herrlichkeit. Ich sitze wirklich auf einem schonen
wird, hangt es ab, daE ich nicht 19 oder 20 Taler (33 oder 35
Kanapee, schreibend an einem der vier Tische, die ich auf meinem
5 Gulden) zahlen muK ,Das is nun zu viel", rouE ich mir selbst
Zimmer habe. AuEer diesen vier braunen Tischen, deren zwei s
sag~n. Der Aufwand ftir dies halb Jahr laEt sich gar wohl mach en,
groEer, zwei kleiner sind, zieret mein Zimmer eine eingelegte
da 1ch auf zw?lf Taler gefaEt war, und ich wiirde ihn gemacht
Kommode, ein halb Dutzend Sessel von gleicher Farbe mit den
h~ben, wenn 1ch auch ganz freie Hand gehabt hatte, was aber
Tischen und gleichem Uberzuge mit dem Kanapee (und) ein Ofen,
rncht war, urn den groEen Vorteil, so nahe bei meinen Landsleuten
der auf metallenen FuEen stehet. WeiEe Vorhange sind an den
10 ~u sein, zu erkaufen. Denn Sie glauben gar nicht, was mir dies
Fenstern angebracht, welche jedes nur ein Stuck ausmachen (aber JO
m den ersten Tagen besonders eine Wohltat war und wie wenig
sehr schmal sind), und zwischen den Fenstern prangen zwei
es zu~_Nachteil ist, denn wir haben aile zu viele und zu dringende
Spiegel. In dem Nebenzimmer stehet meine Bettlade, ein Pu-
Geschafte, als daE wir viel zum Plaudern zusammensitzen konn-
derstuhl, auf dem ich mich frisieren lasse, ein Bucherstand und ten. Goritzb wird ubrigens bald uns verlassen. 53 Denn wenn er
ein Kasten, der zwei Abteilungen hat, eine ftir Bucher und die I5
54
gl~ich sein Logis auch ftir diesen Sommer bestanden hat, so
andere ftir Kleider. Neben diesem stehet noch ein Tischgen mit 15 wrrd er doch mit seinem Eleven nachstens einen Garten beziehen
einem Lafoii0 und Becher von Zinn, das zum Waschen jeden wo er im Gartenhause drei Appartements ftir sich. seinen Eleve~
Morgen geftillt wird. Hab' ich was zu befehlen, so darf ich nur und Herrn von Stein hat. Dieser hat es nun freilich wie der
meiner Thre zugehen, und ich kann noch im Zimmer an einer 1 Vogel im Hanfsamen, und wenn ich seine Rheinweinbouteille
5/6 Glocke ziehen, Idie mir sogleich eine der Aufwiirterinnen herstellt.
.20 n~ben meinem Wasserglas uber Tisch sehe, so kann ich wohl
(PS Der schonen Gipsdecke und der grunen Tapeten nicht zu 20 rnc_ht s~gen, daE es zur Erhohung meiner gegenwiirtigen Gliick-
vergessen.) Schaue ich zum Fenster hinaus so habe ich den seligkelt diene. Vielleicht kann ich spaterhin von meiner Kost
weltberuhmten Jenenser Markf 1 unter mein~n Augen, und sehe (mehreres) sagen. Itzt begnuge ich mich damit, im allgemeinen
i~h in die linke Ecke des vor mir liegenden Teils (gegen Mittag) zu sagen, daE sie gut ist und daE ich die Schwabenkost und
hin, so stellt sich mir der obere Teil eines Berges dar, dessen 25 besonders die Repetentenkost gar nicht vermisse. Nur will mir
~bli~k mich immer in die angenehme Tauschung versetzt, als :M das nicht ein, daE man mit der Suppe die Loffel wegnimmt und
sahe 1ch etwa den Spitzbergo2 vor mir und als konnte ich auf - denken Sie nur, wie absurd!- das Gemiis mit der Gabel essen
ei~e halbe Stunde langst demselben hin sogleich in 'llibingen muK Ich und Niethammer speiseten heute alleine, ich konnte
sem. Ich habe also Ttibingen ganz nahe bei mir, und nun ge- ~aum mich enthalten, nicht den Loffel wieder zu nehmen, aber
schiehet es mir weit Ieichter, dasselbe zu missen, da Sieja wissen, 30 lch tat es ebensowenig, als ich die Schwabensprache auch in
daE man ein Gut, das man haben kann, ofters gerne entbehret. JG unserem vertrauteren Zirkel mir erlaube. Das ist nun eine sehr
Wenn Sie nun diese Herrlichkeit bewundert haben, so muE ich unangenehme Seite meines hiesigen Aufenthalts. Denn der ganze
Ihnen nicht nur sagen, daE der Anblick - besonders der Auf- Akzent verliert sich ohnehin so leicht nicht, die i, ui usw. zu
w~rterinnen - vielleicht die gefaEte Idee gar sehr vermind~rn
wurde, sondern auch, daE die Herrlichkeit nicht langer als dles
a »Umstande«?
b 0.
ng.: »Goriz«
a Orig.: »Spizberg«
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Briefe D 2 An die Eltern, 21.- 30. April 1792

unterscheiden habe ich gar nicht gelernt, und die scht statt der ich auch bei Gottling. Ob die andern ihnen folgen werden -
st schliipfen noch gar zu Ieicht iiber die Zunge, gewisser Pro- von Hufeland erwarte ich es gar nicht, auch von SchleuEner
vinzialismen nicht zu gedenken. Man lacht oder staunt nicht nicht - und ob die Invitationen beim wieder umgehenden
nur uber die "eineweg"55 , sondern man darf auch nicht sagen, Zirkel auch umkehren werden, wird die Zeit lehren. Genug,
"es schlagt mir gut zu", jn die Vakanz gehen", Jaufen" (dies s 5 ich wurde dadurch mit diesen Mannern inzwischen besser be-
ware soviel als springen) usw. kannt, und wenn die Invitation auch wiederkommt, so bin ich
doch nicht obligiert, selbst Klub zu geben. Magister Nietham-
Fortsetzung, den 26. April 1792 mer, Magister Tennemann61, Herr Tschink•62 (aus Wien, ist Ver-
fasser eines groEen Teils der Predigerkritiken63 , hat auch einen
64
Von den Gesellschaften, in die ich komme, und von dem Urn gang, 10 10 Geisterseher geschrieben und befindet sich nun hier, urn kri-
den ich gewohnlich habe, kann ich his itzt wenig sagen. Einige tische Philo sophie zu studieren) waren auch bei einzelnen Klubs
der hiesigen Professoren, namlich Hufeland 56, Paulus, Reinhold, und geben fur sich keine. Sonst machte ich bei meiner Haus-
Batsch und Gottling57, sowie auch Magister Goritz• und ein frau 65, bei Herrn Konsistorialrat Kriige~6 , Hofrat Eber und
Herr SchleuEne~ 8 , der bei der Literatur-Zeitung angestellt ist, seiner Frau 67 und bei mehreren Professoren Besuche; und eines
geben aile Mittewoche Klub. 59 Die Zeit der Zusammenkunft 15 15 Spaziergangs, den ich in Gesellschaft der Madame Reinhold 68,
ist acht Uhr, und urn zehn his elf Uhr gehet man auseinander. einer Tochter Wielands, und der Mamselles Seidler69, zweier
Karten werden nicht gegeben, aber desto mehr wird geplaudert Tochter des ehemaligen Konsistorialrats und Prinzeninstruktor
und gespeist. Eine Tafel mit Gebratenem, Schinken, Zungen, Seidler70 in Weimar (die eine erinnerte mich ofters an den
Butterbrot, Gebackenem und einem vortrefflichen Wein ist das Bruder GusteF 1 in -) und in Gesellschaft meiner Landsleute,
erste,_ was die nicht zu Nacht speisenden Herren versammelt 2C l :<.o N[iethammer] und G[oritz], Herrn von Fichardsc und des Herrn
und 1hren Mund offnet. Nun stehen bald mehrere zusammen, ~ Tschinkd machte, [ist] auch noch [zu] erwahnen. Der Nachmittag
bald einige in die Ecken (Doktor Mereau, ich weill nicht mehr war vortrefflich, nur etwas zu heiK Desto angenehmer war es
Professor oder Doctor legens juris habe ich vergessen) und uns, da wir an den Ort unserer Bestimmung kamen, dem aile
plaudern und erzahlen sich, was sie Gutes wissen. An litera· Wankheimer-72 und alle Tiller-Ta]chen73 weichen miissen. Es
74
25 ist die sogenannte Trie.Bnitze , und ich habe beinahe geschwo-
rischen Neuigkeiten fehlt es hier an der Quelle, aus welcher 25 '
so viele ausflieEen, nicht, und der altern Anekdoten wird auch ren, aile Monat einmal eine Wallfahrt in Gesellschaft eines Buches
nicht gespart. Noch bin ich zwar keine acht Tage hier, aber dahin zu machen. Ich hore iibrigens, solcher angenehmen Platze
doch war schon dreimal in dieser Zeit Klub. Er wurde niimlich soli es noch mehrere geben, aber aile verderbt der Anblick
6/ 7 dem ehelmaligen Jenenser, Professor Schmid aus GieEen , zu
60 der iiberall ins Gesicht fallen den kahlen Berge, die unser ganzes
Ehren angestellt, der hier war, aber nun wieder abgereiset ist. 30 JO Tal begrenzen.

I
Ein gliicklicher Zufall fur mich, auch in Riicksicht auf die .Kluh·
g~sell~chaft. Denn den ersten dieser Klubs gab Paulus, welc~er
die Gute hatte, mich in denselben einzuladen. lhm folgte Rew·
hold, der den andern Tag den Klub hatte, und gestern war
I a Orig.: »Tschenk«
b Orig.: >>Krieger«
c Orig.: »Fik.kard«
d 0.
ng.: >>Tsch enk«
a Orig. : >>Goriz« e Orig.: »Driiseniz«

276 277
Briefe D 2 An die Eltern, 21.- 30. April 1792

Ein lustiger Studentenritt war mein Ritt nach Weimar, den 24. von der Einladung zu profitieren. Ich mugte versprechen, vor
April. Diese Ritte sind so verftihrerisch und dabei so kostspielig, Ende der Ferien wiederzukommen, und es kann urn so eher
dag die Pferde-Philister wohl nicht iibel tun, ehe man aufsitzt, geschehen, als Dom Karlos 86 die nachste Woche aufgeftihrt
sich pranumerieren zu lassen. Augerdem mug man Spitzruten werden soli. Mit welchem Vergniigen er und die Frau Musaus
noch besonders erkaufen und Sattelgeld erlegen. Von den Prei- 5 5 und ihre Schwester des Herrn Doktor Majersa sich erinnerten,
sen will ich itzt nicht reden und nur sagen, dag wir gliicklicb kann ich nicht sagen, und da mag die schwabische Aussprache
und wohl bald an Ort und Stelle waren. Goritza und Fichardb mir wohl recht zur Empfehlung gedient haben, da sie, (die
namlich reiseten mit. Sie liegen ihre Pferde in Weimar stehen Weiher namlich), ofters Herrn Maje~ in mir zu horen meinten.
und fuhren mit Extrapost noch nach Erfurt, urn die Assemblt~e Dies ist wohl ihm kein Kompliment, aber er mag es hingehen
des Coadjutors75 zu besuchen. Ich iiberbrachte meine Adressen 10 10 lassen87 , da es ein desto grogeres ftir mich ist. In der Komodie
an die Frau Professor Musaus 76, Steuerrat Ludecus77, Bergrat sah ich auch Herrn Goethec.ss Die Acteurs machten ihr Sach
und Leibmedikus Buchholz 78, und ich kann die genossene und wohl besser als die Stuttgarter, das Haus ist zwar nicht kostbar
zu hoffende Freundschaft nicht genug riihmen. Bei der erstern zugerichtet und nicht sehr geraumig, aber es gefiel mir auch
trank ich den Koffee, und da nach diesem das Karolinchen mehr (von auEen hab' ich's nicht betrachtet), die Musik schien
des Herrn Prasidenten von Kotzebuec79, welches der Frau Pro- 15 1 15 mir der Stuttgarter nicht gleich zu kommen, aber das Ballett
fessor in die Kost gegeben ist, zum Vorschein kam, wiinschte ! war schlecht. Zur Nacht speiste ich, wie gesagt, nicht; nur Fische,
ich nichts mehr, als die junge Frau Doktor Tafingerin 80 in meine Braten, Butter und Kase speiseten wir statt des Abendbrots.
Stelle setzen zu konnen. Nachher ging ich mit der Frau Professor Nach diesem setzte ich mich zu Pferde und ritt alleine nach
82
in die Komodie 81 , und da kam ich neb en seine Frau Mutter Hause, nicht als batt' ich Gesellschaft nicht finden konnen,
zu sitzen, die mit uns heimging und das Abendbrot speiste. 16 1 20 denn es waren in meinem Wirtshause wohl 15 Studenten, die
Zwischen dem Kaffee und der Komodie besuchte ich Ludecus, ' aile wieder zuriickgingen, und ich glaube mehr als 50 in der
den ich aber nicht traf, den Park, der mir ziemlich wohl gefiel Komodie gesehen zu haben, sondern weil ich gern allein ritt.
und noch neue Anlagen erhalt, und Herrn Buchholz. Bei ihrn Ratte Hassenkamp 89 sich nicht auf einen Besuch bei Paulus
waren zwei Pommeraner, die mit Floren urn den Arm und Hut angesagt gehabt, so hatte ich doch seine und seiner Frau und
ihren Konig 83 betrauerten, und Professor Hamilton84 aus Erfurt. 15 25 des Herrn Stallmeister Seidlers 90 Gesellschaft gehabt, was dem
Er ist ein vortrefflicher Physiker, und wenn ich Physik gehort Alieinreiten natiirlich vorgegangen wiire. Mein Schimmelchen
habe und meine Reise nach Gotha85 mache, so wird auch (er) trug mich gliicklich nach Hause, und ich mag wohl der erste
meine Folgsamkeit gegen Einladungen kennenlernen. Der Herr gewesen sein, der zu den Toren Jenas wieder einritt. I 7/8
Bergrat war augerst freundschaftlich. Ich sollte den andern
Tag bei dem Balle sein Cast werden, aber so gerne ich an JG 30 Den 30. April. - Heute soli ich endlich meine Kompendien
dieser Freude teilgenommen hiitte und so begierig ich war, erhalten, die ich nun iiber 14 Tage in die Arbeit geg[eben]
die Schonen Weimars, welche wohl recht schon sind, kennen- habe 91 , und nun miissen meine Briefschaften abgehen, die ich
zulernen, so waren es doch der nisi zu viel, die mich hinderten, auf die Nacht auf die Post geben werde. Merken Sie sich doch,

a Orig.: »Goriz« a Orig.: »Maiers«


b Orig.: »Fikkard« b Orig.: »Maier«
c Orig.: »Kozebue« c Orig.: »Gothe«

278 279
Briefe D 2 An die Eltern, 21.-30. April 1792

lieher Papa, den Tag der Ankunft, damit ich sehen kann, ob ten Umgangs muEte ich auf ein Kollegium unt[ er] schreiben. Es
ich die gliickliche Route Herrn Schnurrers 92 nicht etwa durch unterhiilt aher zugleich auch die Bekanntschaft mit der kritischen
Zufall gleich treffe. Bin ich hier mehr eingewohnt, so werde Philosophie und wird (mich) mancher ander[en] Zeit und Miihe
ich iiber die hiesigen Gegenden und die Sitten der Studenten i.iberhehen, die ich ihr doch sonst widmen wiirde. Gerner hatte
pp. wieder Nachrichten gehen. Itzt wiirde mich nichts mehr 5 5 ich die Asthetik 100 von ihm gehort, aber wol[lte] ich die Stunde
freuen, als bald erwiinsch [te] Nachrichten von meinen Freunden von 4-5 hesetzen, so hatte ich Naturgeschichte 101 , die ich zu
zu horen. 93 Sollten etwa Briefe von meiner Seite ausbleiben meinem groEen Leidwesen weglassen [muE], wenn ich mich nicht
oder spate kommen, s [o] wird doch wohl mein Tagwerk, das iiberhaufen oder meine Arbeitsstunden zerreillen will, genommen.
mir fur diesen Sommer aufgelegt wird, mich entschuldigen.94 DieAnzahl der Stunden [ist] nun ziemlich groE, aher doch gedenke
JC IO ich nun leicht noch funf his sechs Privatstunden alle Tag zu ge-
Von 7-8 Uhr hore ich Botanik bei Batsch, einem allerliebsten winnen, die z[ur] Verdauung desjenigen, was durch Augen und
Miinnchen, das edeldenkend und freundschaftl[ich] in hohem Ohren eingehet, dienlich sein werden. An Zeit zum Essen und
Grade ist, Gelehrsamkeit und Kopf nicht minder hat. Von 8-9 'llinken, S[pa]zierengehen und Schlafen kann es deswegen nicht
Uhr lieset Giittling Chemie, der nun mit seinem Chemica alle fehlen.
andern verdrungen und als Chyrniste auEerordentliche Achtung 15 15

hat, besonders als Prakti[ker,] denn an ein Milllingen der Expe- Die Schwahische Chronik 102, auf die wir Schwaben an jedem
rimente sei hei ihm gar nicht zu denken. Er bewies sich mir Posttage mit Begierde warten, brachte m[ir] auch heute eine
bereits _sehr freundschaftlich, und nach seiner Riickkunft von Wei- nicht uninteressante Neuigkeit. Ich hatte sie zwar im Vaterlande
1
mar wrrd er durch Herrn Buchholz 95 ( oder die entfemtere ! schon erfahren konn[en], allein, da ich sie nicht erfuhr, so
20 freuet mich's, daE ich's itzt weill, daE Freund Pfizer
103 die
Ursa[che] zu nennen, Herrn Doktor Majera aus Ttibingen) es 2C
wohl noch mehr werden. Von 9-10 Uhr wird's zu Loder96 gehen, Lehre von d[en] gerichtlichen Klagen und Einreden in der
[der] iiher Physiologie liest. Ich kenne den weltheri.ihmten Prii- Akademie vortragen werde; aber am ersten Posttage war di[e]
paratensammle~7 noch nicht von Angesicht zu Angesi[ cht,] aber Freude recht groE, da ich Niethammer plotzlich mit dem Blatte
auch in ihm wird mir Buchholz einen Gonner und Freund scherr- in der Hand in meinem Zimmer sah und Kliipfels 104 und Dapps 105
106
ken. Nach ihm, von 10-11, lieset Voigt98, Professor de[r] Physik. 25 25 Bedienstung meldte. DaE wir mit eben der Begierde Gaahs
Er ist mir der fremdeste von denen, die ich gesehen habe, aber Bedienstung horten, verstehet sich von selhsten. Aher wie werde
ich denke, auch mit ihm leicht in Bekanntsch[aft] kommen zu ich mich freuen, wenn es einmal kommt: Knapp 107, Oberamt-
konnen und ebenso durch seine Vorlesungen wohl befriedigt zu mann zu A[Ipirshach] us[w.] Dann werf' ich mich aufs Pferd
werden. Zweimal die Woche, dienstags und freitags, lieset Ba~ch und reite an dem Berge hin, his ich Tiihingen hahe.
30
(von 1-2 Uhr) einen Nachtrag zu seinem botanischen Collegw. 30
Eine traurige Stun[ de,] aher indispensahel. Von 2-3 Uhr lieset Und nun Ieben Sie allesamt wohl und hedenken Sie fleiEig
Loder seine zweite Stun de iiher Physiologie. Von 3-4 Uhr schlieBet Ihren
den Re [igen] der Kollegien Reinhold i.iher Logik und Metaphys~:
99
Magister Diez
Zur gehorsamen Danksagung fur die bereits erwiesen[e] Hof- . zu
35 Jena im Heiligenstadtischen
lichkeit und zur leichteren Unterhaltung seines mir sehr erwiinsch- .JJ
Hause 108 .
a Orig.: »Maier«

280 281
Briefe D 3 An die Eltern, 29. Mai- 1. Juni 1792

den Herren Kiilbel ahnelt und viel Schustersphysiognomie hat,


D3 so mag ich ihn doch sehr wohl leiden. Er hat Verstand, Wis-
Immanuel Carl Diez, Jena senschaft und einen guten Charakter, wie es scheint. Ich habe
Dienstag, den 29., Mittwoch, den 30. Mai, auch ofters au!Ser Tische Umgang mit ihm und seinem Eleven,
und Freitag, den 1. Juni 1792 5 mit welchen beeden ich noch in eine besondere Verbindung
An die Eltern, Tiihingen getreten bin, die mich zu ihrem Schuldner macht. Wir haben
namlich ausgemacht, wenn wir allein sind, franzosisch zu spre-
chen, und wer den Vertrag verletzt, mu!S - eine dicke (gestan-
Jena, den 29. Mai 1792 dene) Milch auftischen. Ich wurde Ubertreter des Gesetzes,
10 und die dicke Milch ist nun ohne Gnaden verwirkt. Der Eleve

~enn man von dem Tische kommt, so spricht man gerne vom ist ein guter junger Mensch, hat ebenfalls Kopf und Kenntnisse
T1sche, und Sie werden es also sehr verzeihlich finden, wenn und wird daher nach einem halben Jahre sich selbst i.iberlassen
ich die Fortsetzung meiner Nachrichten gerade vom Tische 5 werden, allwo alsdann der Vater, der Geheime Assistenzrat
anfan?e. Ich werde es recht anstandig machen und zuerst von Voigt5 in Weimar ( ein bedeutender Mann, der vorigen Winter
der T1schgesellschaft sprechen. 1 Diese hat sich inzwischen sehr 15 hieher geschickt wurde, die Studentenorden aufzuheben und

vermehrt. Mit dem Ende der Ferien2 stie!Sen Krusea3 mit seinem Unruhen beizulegen, und der seinen Auftrag so vortrefflich
Eleven, Herrn Voigt\ und Herr von Stein zu demselben. Alle ausrichtete ) 6. a Wir waren nicht acht Tage beieinander, so kam
drei sehr artige, brave und gute Leute! Der letzte, welcher lv Schiller und seine Frau, mit deren Ankunft unser Tisch in ihr
bereits Kammerassessor cum voto in Weimar ist, demunerachtet Haus sich verpflanzte. 7 Er, so sehr er sich in die Brust werfen
20 und eine hohe Miene annehmen kann, ist doch wirklich der
aber hier ganz Student ist und juridische und kameralistische
Collegia horet, hat in einem au!Serordentlich hohen Grade das gefa]ligste und geselligste Mann, leutselig und teilnehmend an
G~i.ick, vo? allen, mit denen er umgehet, geliebt zu werden. dem Lose derer, denen er ni.itzlich werden kann, wie es von
N1cht so liebenswi.irdig und nicht so empfehlend sind die zwei Jj einem gro!Sen und vortrefflichen Manne zu erwarten ist. Die
and:rn. ~useh hat sehr viel Schustersphysiognomie in seinem Stolze Haltung seiner I Person mag wohl viel von seiner Er- J/2
25 ~iehung in der Akademie herriihren, was mir urn so glaublicher
G.es1ch~e,. ahnelt dabei noch in etwas gewissen Herren Ki.ilbeL
d1e be1 emem unserer ehemaligen Kriege zwischen Lateinern ~st, da er neulich versicherte, daB er viele Jahre lang sich immer
und D.e~.tschen die letzten gegen uns untersti.itzt haben, und m Acht zu nehmen gehabt hatte, mit denen, mit welchen er
was mrr uber alles unangenehm ist, er hat eine sehr undeutliche JC gegangen sei, nicht immer gleichen Schritt halten zu wollen.
Aussprache. Letzteres nicht nur fur mich, wie Sie kurz daraus ?eine Gesundheit hat sich wieder befestigt, aber noch legt sie
30 1hm viele Vorsicht auf und befindet sich zum Teil wirklich noch
abnehmen konnen, daiS er mir selbst neulich erzahlte, sein
Schulrektor hatte ihm beim Exponieren ofters gesagt: ,Das nicht gut. 8 Madame Schiller, so unerheblich vielleicht ihre auEern
mag wohl gut sein, was Er sagt, aber, mein Iieber Sohn, ich Vorzi.ige sind, so reell scheinen ihre innern Vorzi.ige zu sein.
~erstehe nic?t, was Er sagt." Wenn es nun gleich auch roir 2.i
Hausfrau scheint sie gerade nicht zu sein - was von einem
ofters gesch.ehe~ daB ich ihn nicht verstehe, wenn er g!eich I Fraulein auch nicht zu erwarten ist und was sie vielleicht nicht
35 sein will- aber geschickt in and ern weiblichen Arbeiten, geschickt

3
Orig.: »Cruse«
a Verb fehlt
b Orig.: »Cruse«

2.83
282.
Briefe D 3 An die Eltern, 29. Mai- 1. Juni 1792

im Zeichnen, rechtschaffen, gefillig, gut und, was alles mit einem nicht gar angenehm sind, aber noch weniger will ihm behagen,
Worte sagt, ihrem Manne lieb und wert und, ich glaube, ihres daE er immer immediate aufs Essen Kollegien hat. Unsere Mit-
Mannes wiirdig. So kennen Sie also meine Tischgesellschaft, tagsstunde ist niimlich eins his zwei, und vor halbzwei gehet
wenn Ihnen Niethammer, Coritza und der Eleve9 des letzten es nicht leicht ans Essen. Aus diesem Crunde muE ich auch
bekannt sind. Dieser weillt sehr viel und ist ein guter Mensch, j
1
5 zweimal die Woche (wenn Batsch sein Publikum lieset) 12 mir
scheint mir aber in seinem Wissen und Riisonieren etwas zu das Essen aufs Zimmer tragen lassen, weil dieser von eins his
viel von einem gewissen Professor R[osler] 10 in T[iibingen] zu zwei lieset. Armer K[napp] 13, hab' ich bei dieser Celegenheit
haben, und er wiirde daher in mancher Cesellschaft weniger schon oft gedacht, wie wenig wiirde dies dir behagen! CewiE
geschont und geachtet sein, wenn ihm nicht die groEe Achtung, hatte es auch, wenn ich es vorher gewuEt hatte, mich bestimmen
in der sein Hofineister hier allgemein stehet, zustatten kame.'' JC 10 konnen, nicht zu dieser Cesellschaft zu stoEen, aber sie zu
verlassen, wird es nicht leicht Bestimmungsgrund werden kon-
So viel Cutes ich Ihnen aber nun von meiner Tischgesellschaft nen. I Statt des Abendtisches habe ich nun mein Butterbrot 2/3
gesagt habe und so viel ich noch zu sagen wiiEte, so wenig und ein Clas Bier, das ich nach geendigter Arbeit vor dem
(Cutes) weill ich Ihnen vom Tische selbst zu sagen. Ich babe Spaziergange allein und in Cesellschaft, je nachdem es kommt,
nur den Mittagstisch. Eine Anderung, die ich mit dern Anfange 15 15 verzehre. In dieser Absicht muE mir nun am Wochenmarkte
meiner Kollegien machte und machen muEte, wenn ich mir die Aufwiirterin einen Butterweck (eine Butterballe) kaufen,
nicht sehr wesendiche Vorteile entziehen wollte, und urn so und ich knete sie in eine topperne Schale ( eine Schale von
eher rnachen konnte, als Kruseb und Voigt auch nicht zu Nacht Stein von einem Topfer), urn die14 Butter besser aufbewahren
speisen. ~er auch eine Anderung, die mich besonders in der und nach Belieben verzehren zu konnen. Urn mein Bier, das
Hinsicht Uberwindung kostete, als der Nachttisch wirklich weit 2C :<o ich zum Abendbrot trinke, habe ich mir eine Anzahl topperne
besser ist als der Mittagstisch. Abends bekommt man ofters K.riige angeschafft und lasse mit Schiller und Coritza Kostritze~
deliziose Suppen zu essen und Milchspeisen, die ich Ihnen Bier kommen, das ich allein von den hiesigen Bieren mit einiger
aber so wenig als die ersten zu benennen und zu beschreiben Lust trinken kann. Wein und Koffee trinke ich nur in Cesell-
weiK Nur eines weiE ich zu benennen: Igelchen, eine Art KloBe schaften und bei Lustpartien; sonst ist morgens und mittags
(iibersetze ich dies Kniipflein, so machen Sie sich eine zu geringe 25 :<5 Wasser mein Trank. Bei dieser Diiit befinde ich mich herrlich
Vorstellung) in einer siiEen Briihe, die von den Mandeln, mit wohl und, ich mochte sagen, besser als in Tiibingen. Wenigstens
welchen sie ausgesteckt sind, diesen Namen erhalten. Fische ein malum, mit dem ich in Tiibingen immer zu kiimpfen hatte
sind auch ofters auf dem Nachttische, da der Mittagstisch imroer ( das, weswegen ich die Pillen mit auf den Weg nahm), stellt
nichts (siehet) als gewohnliche Suppen und Rindfleisch mit sich beinahe gar nicht ein. Desto mehr machen aber meine
30 Kollegien mir Indigestionen, und ich werde doch in etwas Ihr
einer Briihe, in der bisweilen Spargenenden (NB die unternc J(
und beinahe nichts von oberen) hin und wieder zu sehen Mitleiden rege machen, wenn ich Ihnen sage, daE ich aile Tage
sind, oder etwa statt dessen Schweinefleisch und Salat, gebra· von sieben his zwolf und zwei his vier Stunden habe, ohne
tenes Kalbfleisch und Salat. Dinge, die dem schwabischen Magen durch einen dies academicus 15 und ohne durch einen Locus-Tag 16
erfreut zu werden. Wirklich wiire diese Menge von Stunden mir
a Orig.: »Goriz«
b Orig.: »Cr[use]« a Orig.: »Goriz«
c Var.: »untere« b Orig.: »Kosterizer«

284 285
Briefe D 3 An die Eltern, 29. Mai- l. Juni 1792

recht zum gro~en Nachteil, wenn ich nicht gli.icklicherweise einen Pfingstsamstage an his auf den Montag nach der Pfmgstwoche
Freund gefunden hiitte., der mir zur gro~en Erleichterung wird. lesen Loder, Voigt und Gottling gar nicht, aber Reinhold und
Er heillt Brehmer 17 und ist aus Li.ibeck3 , von rneinern Alter und ~atsch lesen schon wieder mit dem Donnerstage dieser Woche.
bereits wie ich Theologe gewesen. Seinen theologischen Kursus Uber diese Tage gehet, fahrt, reitet alles, was gehen und fahren
hat er drei Jahre lang hier in Jena und eineinhalb [Jahre) in s 5 und ~eiten kann. Wie ich sie zugebracht habe, mogen Sie mit
Gottingen gernacht, und nun nach Endigung desselben war er gene1gtern Ohre von mir selbsten vernehmen. Sonnabends, da
bereits eineinhalb Jahre zu Hause. ltzt wird er zweieinhalb Jahre wir hei Tische waren, kam Mereau, die Tischgesellschaft in seinen
hier bleiben und dann auf ein Halbjahr nach Berlin gehen. Garten zu sich auf eine Tasse Kaffee und zu des Herrn Geheimen
Welche Wunsche' 8 dies in mir rege rnacht, wird Ihnen noch vie! Assistenzrat Voigts auf ein Abendbrot einzuladen, was auch von
begreiflicher werden, wenn ich Ihnen sage, da~ er seine Wis- JC 10 der ganzen Gesellschaft angenommen wurde. Mereau ist Doctor

senschaft ganz vortrefflich bearbeitet. Das, was er hort und lieset, I iuris legens und wird niichstens als Bibliothekar mit Besoldung22
weill er ganz vortrefflich zusammenzufassen und unter allgemeine 1 aufgestellt werden, wo er alsdann eine Altenburgerin23 - er ist
~esichtspu~te ~u stellen. Er hat dabei ein au~erordentlich gli.ick- 1 von Gotha - , die sehr hi.ibsch sein soli, zur Frau sich hieher
liches Gedachtrns, und Sie konnen sich also denken, welchen hole.n wird. Er ist sehr lebhaft, freundschaftlich, dienstfertig und
vortrefflichen Vorschub er mir leistet bei den Repetitionen, die IS 15 gut m hohem Grade. Ohne Zweifel wird er den Herren Juristen

wir ofters gerneinschaftlich anstellen. Ich rni.i~te immer mit als Diplomatiker und, glaub' ich, sonst auch als Schriftsteller
Schande neben ihm stehen, wenn er nicht blo~ vier oder funf ~ekannt sein. 24 Sein Garten, von dern er i.ibrigens ein Zimmer
lffi Gartenhause und den freien Zutritt in den Garten fur sich
Stunden des Tags hiitte und mit weit rnehr Vorkenntnissen hieher
gekommen wiire., da er bereits bei Murray 19 Botanik und Gmelin und .seine Gesellschaft einzeln und insgesamt blo~ sich gemietet
20 hat, 1st sehr gut gelegen, weitliiufig und hat besonders im Hause,
Chemie gehort, auch sonst weit mehr i.iber dieses Fach liingst 2C
gelesen hat. Wirklich wi.irde die Verbindung mit diesem Men- das vom Besitzer und seiner Familie bewohnt wird, eine sehr
schen einzig und allein so viele Vorteile fur den hiesigen gute Aussicht. In diesern Garten war ich schon mehrmal und
Aufenthalt mir geben, d~ ich rnich durch sie allein gli.ick- k_ann_ nun auch allein hingehen, wenn ich will. Man belustiget
lich schiitzen mi.i~te, und schon oft kam ich in Versuchung, die Sich m demselben durch Kegelschieben, durch eine SchaukeL
25 die in der Scheuer ist, durch Stelzengehen und durch Schub-
i.ibrigen mir wegzuwi.inschen, urn diese desto besser geniegen 2l
zu konnen, aber ich karn wieder zuri.ick, wenn er mir das Gli.ick karrenft.ihren, wann und wie es beliebt. Auf diese abwechselnden
Bewegungen, konnen Sie sich leicht denken, schmeckte das
rn~in~r Verbind~ngen pries. Dieser Verbindung unerachtet ble~bt
Ahendbrot vortrefflich, das der Herr Geheime Assistenzrat der
mtr die Last memer Kollegien sehr dri.ickend, und die Perspekuve
Gesellschaft auftischte. Es bestund aus Fleischwerk aller Art und
ist mir nicht angenehrn, d~ ich so gar mit Schwiinzu [ng] einiger 30 aus Gebackenem, Torten und Kuchen. Der Wein, der serviert
Kollegien(, die ich nicht horen werde,) immer ungefabr sechs Jl
wurde., war Rheinwein. Bei der Gesellschaft waren noch au:Ber
~tunden haben werde., das letzte halbe Jahr ausgenommen, wo
1[ch), urn rneinen Patienten (lachen Sie nur!) desto besser ab- dem Herrn Geheimen Assistenzrat, seiner Frau 25 und Mamsell
w Tochter6, welche keine der schonen Weimarischen Schonen ist,
. onnen, nur vier Stunden I nehrnen werde. 21 . 1e
3/ 4 w art.~n20 zu k"
Madame Griesbach27 und Professor Paulus. Die Frau des letzteren
erwunscht mtr unter dies en Umstiinden die Pfingstferien [smd],
die gegenwiirtig sind, konnen Sie sich leicht vorstellen. Voro Ji
35
wa: nicht wohL und der Mann der ersten blieb nicht zugegen,
Weil er mit seiner Frau, die aber nachher wieder kam, durch
3
Orig.: »Li.ibek«
Besuche abgerufen wurde. Ich erhalte vielleicht ein anders Mal

287
286
Briefe D 3 An die Eltern, 29. Mai- 1. Juni 1792

mehr Gelegenheit, von den Voigtschen zu sprechen, und komme habe; und hier kam noch Hargensa35, ein Schuler von Voss 36
nun also auf den folgenden Tag. Nach einer Danksagungsvisite und ebenfalls ein Mediziner, zu uns. Auch dieser ist einer meiner
bei Voigts in Griesbachs Hause speisete ich mit Reinhold zu guten Bekannten, und ihn und Varnhagenb mag wohl eine Anek-
Mittage. 28 Mit diesem Manne stehe ich ganz auf dem FuEe, wei- dote am besten kenntlich machen, die er uns erzahlte und die
chen ich mir nur wiinschen konnte, und ich fand in ihm den s 5 ~~ Ihnen nun auch zum besten gebe. Es war vom Neide der
Mann, den ich hoffte; aber erlassen Sie mir fur diesmal29 eine Arzte die Rede, und einen trefflicheren Beleg hatte er wohl nicht
weitlaufigere Schilderung von ihm. Er kiindigte mir sogleich an, auffinden konnen als folgenden. Es halt sich eine Frau hier auf,
da.E er nicht gewohnt sei, gro.Ee und zahlreiche Gastereien zu die schon seit geraumer Zeit einen gewaltigen tumor cysticus
geben, weil er nicht gewohnt sei, fur so kostbare Mahlzeiten an (auf dem Riicken) hat. Vielleicht bediirfen einige meiner Lese-
gewissen Tagen die iibrige Zeit hindurch durch hungrige But- IG IO rinnen einer Erlauterung hier wie Madame Reinhold. So horen
terbrote sich auszuhungern, und weil er seine Freunde, die er Sie also, wie es Hargens dieser erlauterte. ,Es ist ein Buckel",
sich einlade, genie.Een wolle. Ich denke, diese Rede charakterisiert sagte er, ,aber nicht wie der meinige", auf seinen Hocker hin-
ganz seinen Tisch. Er speiset gut; eine Zitronengerste, vortreffliche weisend. ,Der meinige ist von Anfang an, aber diese Frau hat
Spargeln, mecklenburgischea Schinken, ein gebratener Kapaun ihn erst im Alter erhalten. Er ist dabei entsetzlich gro.E und
und Reiskuchen nebst einem recht guten Wein machten unser IS 15 muE bei 40 Pfund schwer sein. Er ist so gro.E -" und hier trat

Mittagsmahl aus, an dem er, seine Frau 30 ( eine Tochter von Wie- er zu Varnhagenc hin, des sen Brust und Bauch nur einen vorderen
land), ein Westfaleb und ich teilnahmen. Der Westfalec studiert Hocker machen, ohne da.E er deswegen des hinteren Hackers
schon einige Jahre hier Medizin und ist ein guter Kopf und missen mii.Ete, legte seine Finger an die Achseln an und fuhr
4/5 angenehmer Gesell. I Sein Name ist von Varnhagend • Bei dem herunter bis an die Hiifte - ,als ich hier vorzeichne." Diesen
31

20 gewaltigen tumor cysticus nun hat Loder ( ein hiesiger Professor


Kaffee kam noch ein Ungar Liedemanne3 , ein Theologe und 21
2

ein sehr artiger und geschickter junger Mann. Seine Landsmann- d~~ Medizin) !angst ins Auge gefa.Et und in ihm ein prachtiges
schaft, dies gelegenheitlich anzufi.ihren, belauft sich auf 64 Kopfe, Praparat sich ersehen, weswegen er auch der Frau von Zeit zu
Ungarn und Siebenbiirger zusammengerechnet; die Anzahl der Zeit Geld zuflie.Een lie.E, urn sich des Thmors zu versichern und
neuangekommenen Studenten iiberhaupt ist etwas weniger als ~ ja nichts abgehen zu lassen. Aber der Thmor zog nicht
25 ~der das wachsame Auge Starksd3 7 und der Starkianer auf
300, und da nicht 200 abgegangen waren, so mag die gesamte 2i
Anzahl der Studenten nun 900-1000 sein?3 Nach dem Essen Slch, und da nun Loder schon so viele Anspriiche auf ihn hatte,
8? wu.Eten sie nichts anderes zu tun, als die Frau zu bereden,
unterhielt uns Reinhold gro.Eenteils auch mit Vorlesen aus Allwills
Briefschaften von Jacobi£'!4, die eine sehr interessante Lekture Sle wollen sie kurieren, und ihr Einschnitte zu machen, die das
sind. Nac~ dem Spazi~rgange waren wir in seinem ~arten z~- J! Fett des schonen Thmors schwinden machten, und so das schone
30
sammen, m welchen 1ch ebenfalls freien Zutritt zu Jeder Zeit Priiparat des Feindes verderben. Sie waren aber doch noch iiber
Erwarten gliicklich, und es soli ihnen gelungen sein, da.E die
• Orig.: »meklenburgische«
b Orig.: »Westfilinger«
a Orig.: »Harchens«
c Orig.: »Westfalinger« b 0.
ng.: »Farrenhagen«
d Orig.: »Farrenhagen« c 0 .
ng.: »Farrenhagen«
e Orig.: »Lidemann« d 0.
ng.: »Starkes«
f Orig.: »Jakobi«

.289
.288
Briefe D 3 An die Eltern, 29. Mai- 1. Juni 1792

Frau ihren Thmor nun an StarP zugesagt habe. Itzt wu.Bte Loder ihren zwei Kindern43, die wir mitnahmen, an dem heitern Abend
in der Verzweiflung nichts mehr zu tun, als sechs oder acht sehr vergni.igt. Tschink, der sich als Wiener ohnehin nicht mit
Louisdor seinen Gi.instlingen dem zum Preise vorzulegen, der Butterbrot aushungern kann, hat den Nachttisch bei Reinhold
ihm die testamentliche Versicherung von der Frau zuwege bringen gewohnlich, und ich speiste nun nach der Spazierfahrt mit (Niet-
wi.irde, da.B er den Thmor haben solle? 8 So stehen nun die s 5 hammer war schon bei einer andern Gartenpartie engagiert).
Sachen, und ich ftir meinen Teil werde nicht ermangeln, Ihnen Wir hatten aber vor Tische etwas von ti.irkischer Musik gehort
die weitere Geschichte des Thmors mitzuteilen, wie ich sie er- und erhoben uns also in Zeiten, Tschink und ich. Wir gingen
fahren werde. Montags blieb ich nachmittags bei Schiller auf der Stelle nach, und so kamen wir in einen artig erleuchteten
sein Billiard his gegen funf Uhr hin, und, nachdem Tee getrunken Garten, an welchen ein Balkon stieg, auf dem die Musik sich
und Zeitungen gelesen waren, ging's zu Goritzb in seinen Garten IIi 10 horen lieK Beede das erstemal hier und i.iberhaupt in einem
auf die Kegelbahn. Sie konnen denken, da.B auch dieser Garten Wirtshause, wugten (wir) uns nicht gleich zu benehmen, aber
mir offenstehet, und wenn Sie ja denken sollten, da.B ich so ich entdeckte bald Hofrat Ebersa und Bottige~, den Hofmeister
doch in zu wenige Giirten Zutritt habe, so will ich Ihnen sagen, des Herrn oder Grafen von Di.irckheimc45, welchen ich kenne,
5/6 da.B ich noch in drei Eberische Giirten, der Mutter, der I Tochter und so horchten wir also urn etliche Pfennige, solange es uns
(Madame _Danovius? 39 und d~s S~hnes, des Hofrat ..Eb~rs e~- 15 ! 15 beliebte, aber es beliebte nicht zu lange, weil der Wind von
geladen bm, da.B nnch Starke m semen Garten ausdrucklich em- einer nicht weit endegenen Pftitze unangenehme Geri.iche uns
geladen hat, da.B der Griesbachische Garten, der einer der schon: zuftihrte und wir die Ohren nicht mehr auf Unkosten der Nasen
sten ist und in dem ich auch bei Griesbach und nachher bei ergotzen wollten. Da der Abend zu angenehm war, als dag wir
Voigt, der bei ihm logierte, schon war, gar leicht besucht werden nach Hause gehen konnten, so begaben wir uns noch in das
kann, und dag Reinhold noch hinter dem Hause ein Gartchen ~ .20 naheliegende Paradies, einem Platze nahe an der Saale, auf wel-
hat, neben welchem ein bedeckter Gang hingeht, der zur R~­ chem zwei Alleen, die eine mit fruchtbaren Baumen besetzt, die
genzeit sich gut benutzen lassen mag. 40 Da Schiller und die andere mit einem regular abgeschnittenen Gebiische von Hag-
i.ibrigen zum Nachtessen gingen, ging ich mit Krused heirn und buchen und Lindenbaumen besetzt, den Wiesgrund, auf dem
verzehrte mit ihm die Reste vom vorgestrigen Gouter. So werden . Erlen und Weiden stehen, durchschneiden; und hier wandelten
Sie denken, gehe es gar zu flott zu, aber, wi.irde Frommann 2j .25 wir bald in clunkier Nacht, bald im durchbrochenen Schatten
seligen Andenkens sagen, das Luderleben horte noch nicht auf der Baume, bald im hellen Mondglanze ein paarmal auf und ab
Den and em Morgen kam Tschink ( aus Wien, wie ich Ihn~~ und gingen endlich nach Hause, und damit hatten auch meine
schon gesagt habe, der Verfasser eines zweiten Geistersehers ' Pfmgstfeierlichkeiten ein Ende. Denn, wenngleich heute Klub-
und von dem in dieser Messe Wundergeschichten42 herauskoro- tag46 ist, so werde ich doch nicht in denselben kommen, da
men) auf unser Zimmer und proponierte Niethammer u~d roir J( 30 Hufeland ihn heute gibt. Denn ich bin his daher so viel in
eine Spazierfahrt mit Madame Reinhold nach Burgau. Wrr nah- denselben eingeladen worden, dag, wenn die Invitationen wie-
men's an und fuhren des Abends dahin und waren rrut. ihr und derkommen, ich beinahe in die Notwendigkeit gesetzt werde,
entweder mich selbst zum Mitgliede anzubieten oder auszuwei-
a Orig.: »Starke«
b Orig.: »Goriz« a Plural von »Eber«?
c Orig.: »Starke« b 0 ng.:
. »Bott
.. ch er«
d Orig.: »Cruse« c Orig.: »Durkheim«

290 291
Briefe D 3 An die Eltern, 29. Mai- l. Juni 1792

chen. Dafur aber habe ich heute (ich werde zu diesem j!eute" Die Nachrichten, die ich von dem hiesigen Werte der Miinzsorten
nicht die Anmerkung machen diirfen, da£ unter dem Schreiben geben kann, sind folgende: 1 Carolin mit runden Schilden =
aus dem 29. der 30. Mai wurde) zwei Neuigkeiten erhalten, die 6 Taler 12 Groschen, mit eckigten Schilden = 6 Taler 10 Gro-
ich auch noch hersetzen muK Goritz 3 , der von Erfurt iiber Weimar schen; eine Louisdor [=] 5 Taler 12 Groschen. Diese Sorte
zuriickkam, hat Herrn Kruseb ein Dekret von Weimar mitgebrach~ 5 5 von Miinzen ist mir vorziiglich zur Ausbezahlung der Kollegien
da£ er Kammerarchivarius daselhst sei und daE seine Besoldung notig; Gottling muEte ich zwei solche Stucke pranumerieren
mit dem Monat Julius anfangen werde. Die andere ist, daB Ma- und Loder, der nun erst subskribieren lieE und itzt wieder
gister Niethammer an die Stelle des nach GieEen abgegangenen verreiset ist, habe ich solche zwei Stucke noch zu bezahlen.
Schmids als Adjunkt der philosophischen Fakuldit ernannt worden (Er hat ungefahr 100 Zuhorer, die ihm fUr (dies halbe Jahr)
ist. 47 Diese Nachricht bitte ich nicht gleich in das Publikum zu 10 IO jeder ebensoviel zu bezahlen haben; konnen Sie sich nun wun-
bringen, weil er die Sache dem Konsistorium noch nicht angezeigt dern, daE er, urn mit einem Thmor ins Testament zu kommen,
6/ 7 und dieses I seine Bewilligung noch nicht gegeben hat. Demohn-
48
acht Louisdor bietet?) Eine Dukat gilt 3 Taler 2 oder 3 Groschen,
49
erachtet mages Heinerike der Frau Schwabin und ihrer Jungfer je nachdem sie sind. (Mein Reiterchen lieE ich Reinhold zu
Tochter, wenn sie anders noch Jungfer Braut ist50 - wenn in der rei ten, der nun aber doch ein Regiment von 2-300 solcher
Schwabischen Chronik doch nur auch Vermahlungen angezeigt 15 15 Reiter eingezogen hat, und auch nur fUr dies halbe Jahr.) 57
wiirden - , nebst meiner und Nietharnmers Empfehlung melden. Ein Laubtaler = 1 Taler 15 Groschen. Ein Konventionstaler =
Diesen Sommer hat er nun zwei Disputationen zu schreiben und 1 Taler 10 Groschen ( drei solche Taler sind das Honorarium
zu verteidigen. 51 Die eine pro venia docendi, die ihm langst au_~­ ftir Botan:ik, Naturgeschichte und Physik, verstehet sich, fur
erlegt war und bei der ich !angst zum Opponenten geladen bin)-, jedes drei solche Taler). Auch kursieren hier Sechsbatzner,
20 deren einer = 5 Groschen 8 Pfennig, und fur einen Dreibatzner
die andere fur die neu erlangte Wurde, die ihm heute unnachlaBlich 20
auferlegt wurde. 53 Der Gebrauch, den er von der venia docendi kann ich zehn Pfitzauf, deren jeder einen Dreier (3 Pfennig)
bisher gemacht hat, war mit ausgezeichnetem Beifall verbunden. kostet und die mir zum gewohnlichen Friihstiicke, was ich
Er lieset natiirliche Theologie;54 und unerachtet Hofrat Schi.itzc oben zu bemerken vergessen habe, unter dem leidigen Namen
55
zu dieser Stunde eine Fortsetzung der Literargeschichte ha~. so . der Windbeutel dienen, haben. Den sachsischen Namen ,der
25 Windbeutel" vertausche ich gar gerne mit dem vaterlandischen
hat er doch eine Anzahl von ungefahr 100 Zuhorern. Freilich 2.i
mag die Neugierde Anteil an den bisherigen Besuchen [gehabt]d ,der Pfitzauf", und es freuet mich allemal, wenn ich zu Niet-
haben und das, daE er es gratis lieset, die Anzahl vermehren, hammer sagen kann: ,Da, sehen Sie einen Pfitzauf".
aber sie zeugt dann doch von dem guten Kredit, in dem er st~het,
und Tschink sagte mir gestern, daB Ahlmanne5 6, ein Holstemer, . Mit Hofrat Eber, dem Postmeister, habe ich wegen der Briefe
30 ?eredt. Erversicherte, von Ludwigsburg auch immer seine Briefe
der ein geschickter Mensch ist, ganz mit Entziicken aus einer der l
Vorlesungen heimgekommen sei. m ftinf Tagen zu haben. Mir wurde dies I Gluck noch nie 7/8
zuteil. lnzwischen hat er mir den Rat gegeben, unter den drei
Posttagen einen nach dem andern zu versuchen, die Zeit der
a Orig.: »Goriz«
b Orig.: »Cruse«
Ankunft und des Abgehens mir zu bemerken und dann zu
c Orig.: »Schi.iz«
35
~ehen, ob ich den Weg nicht treffe; er wolle dabei die Briefe
d vom Hrsg. gestrichen: »gehort«
Jedesmal rekommandieren. Die Reichspost kommt hier an sonn-
e Orig.: »Ahlemann« tags, dienstags und donnerstags in der Nacht, gehet hier ab

293
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Briefe D 3 An die Eltern, 29. Mai- l. Juni 1792

dienstags, donnerstags und sonnabends in der Friihe urn ein, stetten sehr brave und liebe Leute65 wohnen; wenn er in die
zwei Uhr. Ich erhalte also den Brief erst den Tag nach der Gegend kommt, so wird er sie nun auch heimsuchen.
Ankunft in der Friih und mu~ sie abgeben den Tag vorher
urn acht, neun Uhr oder auch noch spater. Mit diesem Briefe Von meinem zweiten Besuche in Weimar, wo ich Dom Karlos
werde ich es nachsten Freitag versuchen, in der Meinung, d~ s 5 aufftihren sah66, vergaE ich etwas zu erzahlen. Ich denke, es
er den Donnerstag darauf in Thbingen ankomme, und Briefe, sei genug, (wenn ich sage,) daE die Komodianten dabei sehr
die am Dienstag da auf die Post kommen, denke ich, sollte ich gezeigt haben, was ihnen fehlt. Angenehmer war mir, daE ich
am Montag haben. Mein dickes Briefpaket, das ich neulich Herrn Ludecusa traf, was Buchholz von seinen Wasserverbes-
abgehen lie~, kostete nicht mehr als vier Groschen, aber ich serungen - er gab einer Gegend, die nur stinkendes Wasser
glaube, auch dunner wiirde es ebensoviel gekostet haben. Der IO 10 hatte, ein Mittel, es zu reinigen - und von den Weinverbesse-
Brief, den ich neulich nach Coburg frankiert erhielt, kostete rungen - er korrigierte sauergewordene fremde Weine und
mich ein Groschen sechs Pfennig, da hingegen der nur nach hat sich in der Hamburger Zeitung angeboten, dies Geheimnis
Niirnberg frankierte zwei Groschen, und wenn ich nicht irre zu verkaufen, das andere gab er frei - erzahlte, und daE wir
(- ich irre nicht - ), sechs Pfennig kostete. Das 'fraglohn fti~ statt des Herrn von Thrckeb67 - auch 68 ein Kammerassessor
den Brieftrager wird dem Ti.ibinger gleichkommen; es ist dre1 15 15 von Meiningenc, der hier studiert - Herrn von Stein zu uns
Pfennig. 58 bekamen.

Ich empfehle mich nun allen braven und lieben Leuten nicht
Den 1. Juni. Ein gliicklicher Tag! Er brachte mir Briefe von ' nur in Reichenbach und Dornstetten, sondern vorziiglich auch
meinen lieben Eltern, KliipfeP 9, Knapp und Sii~kinda und :on
20 20 in Thbingen, Stuttgart, Weinsbergd, (Dettingen pp.) und wie
Buchholz in Weimar. Beantworten kann ich die Briefe rucht die Orte aile heiEen mogen 69, zum giitigen und freundschaft-
mehr60, da ich die geschriebenen noch auszufertigen Miihe babe, lichen Andenken und bin mit allen Gesinnungen der Achtung,
aber desto mehr danke ich fur dieselben. Die vom Dienstag, Liebe und Freundschaft
dem 22. Mai, erhielt ich wie die vom 24. und 25. geschriebenen
heute erst. Wenn es die Konvenienz meiner Freunde erlaubt, 80 2S Ihr I. C.Dz.
bitte ich, auch ihre Briefe zusammenzulegen, denn das dickere
und diinnere Paket scheinen gleich viel zu kosten. Schneller als
die Briefe scheint die Zeitung zu laufen. 61 Wir erhielten heu~e
schon die Montagszeitung, und es war mir sehr erfreulich. die .
Nachrichten von Fischers 62 (!), Krinnf' 3, Eben? Beforderung zu .ii
lesen. Auch freute es mich sehr meinem Freunde Brehmer, der
die Zeitung mitlas und tiber d~n geringen Preis des Ho~es in
Reichenbach sich wunderte, sagen zu konnen, d~ in dteseJ]l
Reichenbach sowie in dem dabei erwahnten Stadtchen Dorn· a Orig.: »Ludekus«
b 0.
ng.: »Ttirk«
c 0.
ng.: »Meinungen«
d 0.
ng.: »Weinsperg«
a Orig.: »Siiskind«

295
294
Briefe D 4 An die Eltern, 24. - 27. Juli 1792

Hiebern, Priigeln, und wer weill, was geschehen ware, wenn


D4 der Offizier nicht bald nachgegeben hatte. Damit war nun in
hnmanuel Carl Diez, Jena etwas Ruhe geschafft, aber noch keine Satisfaktion geleistet.
Dienstag, den 24., Donnerstag, den 26., Man sprach nun von nichts anders als Entfernung der Jager,
und Freitag, den 27. Juli 1792 5 versam~elte sich,. vereinigte sich, und alles fi.ihrte nun wenig-
An die Eltern, Tiibingen stens semen knot1chten Pri.igel. Diese Priigel sind die Favorit-
stocke der hiesigen Studenten, und sie haben ihnen den Namen
Ziegenhainefl ohne Zweifel von dem benachbarten Orte Zie-
Jena, den 24. Juli 1792 genhainb gegeben6, so wie etwa unsere 'llibinger Studenten,
10 ~enn sie ..die gleiche Mode hatten, Lustnauer, Derendinger pp.
Die Unruhen unter den Studenten, von denen ich neulich' fuhren wurden. Den andern Tag soli vom Senat ein schriftliches
schrieb, daE sie auch nach jenem gro~en Thmule stattgefunden ~~ndae angeschlagen worden sein, daiS sie ihre Ziegenhainerc,
hatten, wahrten wirklich in solchem Ma~e fort, da~ einige der s Sabel usw. niederlegen, sich ruhig betragen sollen usw. Dies
Professoren (privatim) sich vereinigten, nach Weimar zu schrei- Mandat wurde sogleich abgerissen, und alles stromte nun wieder
3
ben, und urn Steuerung gegen diese Unordnung baten. Den 15 auf den Markt zusammen, und ehe es Mittag war, war beinahe
14. Juli (samstags) ri.ickten daher ungefahr 60 Mann Jager und kein Student mehr zu sehen, I der nicht die Schleife auf dem 112
10-15 Husaren hier ein, und zu gleicher Zeit wurde ein Mand~t Hute trug, die die Landsmannschaft bezeichnete, zu welcher
angeschlagen, welches ich Ihnen hier beilegen will, weil es rolf JC 1 er sich hielt. Zunachst unter meinem Fenster war eine Bude
4
doch keine uninteressante Beilage zu sein scheint. Man kann in der drei Frauenzimmer zwei his drei Stunden lang an eine~
sich leicht vorstellen, da~ sie fiir den Studenten i.iberhaupt .20 fort mit .Ausmessen und Anheften zu tun hatten. Der Nachmittag
und dann fUr gewisse insbesondere keine angenehme Erschei- war ruhig, aber ein des to schrecklicherer Auftritt war des Abends.
nung waren. Diese erlaubten sich auch hin und wieder Fop- Ich weill nicht, waren schon viele Studenten gegen das Verbot
pereien, weil sie sich gegen die wenigen Mann stark genug Jj der Attroupements zusammen oder wollten nur die Soldaten
dachten, aber doch war der Respekt im iibrigen so groE, d~ sich zeigen, um die gedrohte Stiirmung der Wache desto eher
25 zu unterdri.icken. Genug, die Soldaten marschierten auf 8, und
man ruhigere Nachte bekam. Erst am Montag ( (den 16. Juli))
ereignete sich der Vorfall, der gro~ere Unruhen anrichtete. DJe nachdem nun die Burschen durch das Geschrei, ein Student
Jager namlich mu~ten ihre Parade machen, und mehrere der werde geschleppt, aus allen Wirtshausern, aus allen Enden und
· ]" r 21 Ecken herbeigebracht waren, so stunden Burschen und Soldaten
Studenten sahen zu. Einem derselben wurde von emem age
auf den Fu~ getreten, da der Offizier kommandiert hatte, daE mit Hau- und Schie~gewehr gegeneinander. 9 Ein Wunder ist's,
30 daE es nicht zum formlichen Angriff kam, da die Erbitterung
sie abfallen5 sollten, dies veranla~te einen Wortwechsel oder
vielleicht einen Schimpfwechsel, und der Offizier lie~ de~ Stu- von heeden Seiten aufs hochste gekommen und die Insolenz
denten sogleich setzen oder, wie sie hier zu sagen belieben, . und der Mutwille von der einen Seite auJSerordentlich war. Sie
schleppen. Ein gro~erer Schimpf konnte der Studente~ehre 2i rissen die Ziigel der Pferde hin und her, schwungen immer die
nicht angetan werden, als da~ ein Student und dazu in ewern
solchen Fall geschleppt werden sollte. Sie bestiirmten den Of- aOrig.: , Ziegenl1ayner«
0.
fizier sogleich mit Bitten und Forderungen, den Studenten a~f
b
ng.: , ziegenllayn«
c 0.
freien Fu~ zu setzen, durchliefen aile Stra~en, erschienen nut
ng. : , ziegenllayner«

297
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Briefe D 4 An die Eltern, 24.- 27. Juli 1792
10
Sabel in die Augen der Soldaten, und einer, namens Seebach , die Geschichte des Tages. Gottl[ing] harte nicht gelesen, weil
ein Kursachse 3 , setzte, ich weill nicht mehr, den Degen oder die (er) - was ich hiemit Ka[pfi]l 9 melde 3 - seine Hand nicht ge-
Pistole dem Wachtmeister auf die Brust mit den Worten: Jlerr brauchen kann. (Also nur noch weiter Geduld haben, sanften
Wachtmeister, ich dachte, wir fangen den Tanz an". Aber einige Mut, mein lieber Ka[pff] !) Aber ich muiS gestehen, mit einiger
wenige der Studenten, vorziiglich Dahl 11, ein Livlanderl> (der, s 5 Bangigkeit machte ich mich auf den Weg, als mich die Glocke
wenn ich nicht irre, den Aufsatz, der den Weimarischen Kom- zu Loder rief. Ich sahe wirklich bald von ferne den Trupp, der
2
missarien iibergeben wurde, gemacht und iibergeben hatteY • sich versammelt hatte, und was auf dem Weg dahin vor mir
hielte die Wut der andem zuriick und brachte die Soldaten begriffen war, stellte sich auch bald zu ihrer Seite. Sie lachten
durch Zureden und Vorstellungen zum Abmarsch. Nun wurde oder vielmehr lachelten, da ich kam, und wer mich kennt, wird
die Verbiindung noch inniger, sie schwuren ihm aile, fur einen 10 10 sich wohl denken, daiS ihnen meine Freundlichkeit nicht entste-
Mann zu stehen, und es wurde beschlossen, nicht eher zu ruhen, hen20 konnte. ,Loder lieset nicht" ruften sie mir entgegen. ,Loder
his Satisfaktion gegeben sei. Von allem diesem sahe und horte lieset" war meine Antwort, und ich setzte meinen Weg fort. Sie
ich kein Wort. Ich war auf eine botanische Exkursion mit Doktor fingen nun zu pfeifen an, d. h. zu deutsch, ich wurde ausgepfiffen,
1
Schenke 13 (Prosektor), Brehmer und einem Gothaner, Storch \ i aber was kehrte mich's? Ich traf noch einige an, die gleiches
ausgegangen, aiS wahl ganz ruhig ein Stiickchen Schinken in 15 I 15 Los getroffen hatte, und ich wollte mich bald dem namlichen
Zwatzencl5 , da die Verfechter der akademischen Freiheit so rout- Schicksale unterwerfen, da ein junger Herrnhute~ 1 mir klagte,
vall auf dem Markte standen, und fand bei meiner Zuhausekunft daiS er nicht das Herz hatte, zu Voigt zu gehen, und doch diese
alles ruhig und stille ( denn Dahl harte nun Ruhe geboten und Stunde nicht gem versaumen mochte. Ich hatte weniger Lust
harte sein Wort dazu gegebenY 6 , und, weil weder Conz n~ch
17
hinzugehen, da ich ofters nicht zu Voigt gehe und ihn gerade
Niethammer zu Hause waren, so erfuhr ich auch nichts, da Ich 2f ' 20 bei seinem gegenwiirtigen Abschnitte nie besuchen wollte, aber
schlief, als sie zu Hause kamen, und schon ausgegangen war, I dem guten Scheurer1>22, der sich sonst viel an mich adressiert,
als sie den andern Morgen erwachten. Stellen Sie sich also m~ine konnte ich nicht entstehen23 . Wir fanden den Weg frei, aber
Verwunderung vor, als ich bei Batsch kaum ein paar Zuhor~r Voigt lase nicht. In der Zwischenzeit konnte ich immer mehr
fand und dann horen muEte, daiS ausgemacht sei, es solle. keiD sehen, wie die, welche Mappen ftihrten, ausgepfiffen wurden,
25 25 und spazierenzugehen auf dem Markte wurde keinem Mappen-
Kollegium besucht werden. Einer, der sich herbeigeschlichen
harte, sagte noch dazu, bei Loder wollen sie sich mit Sab~ln trager vergonnt. Es war mir verdammt iirgerlich, da ich bei Voigt
-4/3 vor den Eingang stellen, \ aber all dies kam mir nicht so bedenklich noch mehr Gelegenheit hatte zu sehen, wie diese Schrecknisse
vor, als his ich zu Hause von Conz die Erzahlungen .von gester~ so manchen Furchtsamen zuriickhielten und ein Zwischenauftritt
harte. Er hatte den Auftritt mit angesehen, und em Urnstan j( immer mehrere und mutigere Pfeifer versammelte. Es wurde
fillt mir da bei, den ich doch noch aus seiner Erzahlung nachholen
30
niimlich wieder ein Anschla~4 gemacht, daB sie Ziegenhainera 5,
muK Nach dem Abzug der Soldaten lagerten sich die Studenten Sabel Pistolen pp. ablegen, sich ruhig verhalten und den Gang
auf dem ganzen Markte, zogen ihre Pfeifen heraus un~ s~ellte~ der Untersuchung abwarten sollten. Dies beleidigte sie hochlich.
so die wahren Rauberszenen 18 dar. Itzt wurde ich beg1eng au Sie batten versprochen, ruhig zu sein, und nun Befehle! Nein,

a »melde«?
a Orig.: »Chursachse«
b Var.: »Schnurer«?
b Orig.: »Lieflander«
c Orig.: »Zwetsen«
c Orig.: »Ziegenhayner«

298 299
Briefe D 4 An die Eltern, 24.-27. Juli 1792

das war nicht zu tolerieren. Ich wollte eben rneinen Freund den Zug nach Kotschau, gewiE ebenso viele hatten sich in andere
Kruse, den ich irnrner besser verstehen Ierne, zurn schwarzen Gegenden zerstreur9 ; und Niethammer, Conz und ich begannen
Brette (in Tubingen schwarze Tafel) hinftihren, als das Mandat nun den Zug nach Mereaus Garten, urn da eine Tasse Kaffee
3/ 4 schon wieder abgerissen war, und alles sturrnte I nach Hause, zu trinken. Sie glauben nicht, wie rnir es so wohl war, da£ dieser
urn seine Ziegenhainer'l, seine Sabel usw. zu holen. Was der s 5 Zug aus der Stadt war. Ich hatte so viele Gelegenheit gehabt,
Schwertfege~ 6 noch von Sabeln hatte, wurde sogleich aufge- den Studenten in seiner ganzen Erbii.rrnlichkeit zu sehen, und
kaufet, und der Mittag karn nicht herbei, so ward der EntschluE ihre Anfuhrer, deren ich einige sprach, waren wohl am wenigsten
gefa.Et, Jena zu verlassen und nicht eher als his nach geleisteter geneigt, es zu leugnen. Aber nicht nur die Studenten, auch die
Satisfaktion urnzukehren. Der Termin war gesetzt auf den fol- Philisterseelen ( deren auch unter dern Senate anzutreffen sind,
genden Tag, rnorgens fruh nach vier Uhr. Dern Senat wurde der JC 10 wie Sie Belege noch horen sollen) zeigten 3 sich in ihrer ganzen
Gehorsarn aufgekundet; der Prorektor lieE Dahl und einige an- Gerneinheit. Gewill, was jener seinem Bruder nur in der GroBe
dere zu sich rufen, sie stehen in keiner Verbindung rnehr mit eines Glufenknops auf den Mund setzen30 zu konnen wettete,
ihrn, lieEen sie ihrn sagen, wenn er etwas von ihnen wolle, solle das hatten sie, mit Ehren zu rnelden, zurn voraus des weit groEeren
er zu ihnen kommen. Weil viele geklagt hatten, der Prorektor Erfolges gewill angenommen, wenn damit das Dableiben der
bringe ihre Beschwerden nie vor, so lieE der Senat ihnen noch 15 15 Studenten zu erkaufen gewesen I wiire. Itzt ist dieser Haufe 4/5
urn zwolf Uhr das Anerbieten rnachen, sie sollten vier aus dem zuri.ickgekehrt, aber doch die Heffe3 1 blieb zuruck, und die Zu-
Senate sich wahlen, zu denen sie Vertrauen hatten, die ihre Sache riickgekehrten rnuEten doch wenigstens auEer Jena etwas buEen.
verfechten worden usw., aber alles urnsonst, von Kotschau 27 (aus) Soviel konnten die Herren Senatoren doch von sich erhalten,
wollen sie kapitulieren 28, und so blieb es beirn Entschlu~ ab- da£ sie nicht nach Kotschau nachschickten, was ihnen Freilich
zureisen. Ich hatte keine Reisebestellungen zu rnachen und be- 21 20 urn so leichter werden rnuEte, da die Hauptsache 32 - die Ent-

suchte also rneine Kollegien nach wie vor (und zwar unausge- fernung der Jager - doch nicht von ihnen abhing. In Kotschau
pfiffen). Batsch und Loder lasen ihre Stun den, Reinhold die roei- - einern kleinen Dorfchen - konnten die Studenten sich nicht
nige nicht, aber er wurde disponiert, die nachfolgende zu lesen. halten wegen Mangel an Nahrungsmitteln. Nun ging der Zug
Des~o eifriger waren die Reisebestellungen anderer, urn so roehr, . nach Weimar, wo sie ubemachten wollten, aber die Schlagbaurne
als s1e keinen geschickteren Zeitpunkt zur Abreise find en konnten. 2i 25 wurden ihnen vorgezogen, und nachdern sie stundenlang in der

Erschrocken lieEen die Philister ihre Schuldherren das Reise- Mittagshitze vor dern Tore da geharret hatten, so wurden sie,
gepacke zusarnrnenrnachen, ohne sich entgegenzusetzen. Einer nachdern sie ihre Gewehre abgelegt und ihre Fahnen zusarn-
sagte seinern Mietsmanne, der Herzog rnuEte alles bezahlen, mengewickelt hatten, unter der Bedeckung von vier Husaren
weil er nicht freiwillig, sondem durch seine Beleidigungen ge- und 24 Jagem durch die Gerbergasse in der Vorstadt i.iber den
30 Schweinrnarkt abgefuhrt, von wo aus sie noch his Nohra33, dern
drungen gehe, und da der bereits erwahnte Seebach den Wi- :;
derwillen seines Mietsmanns rnerkte, karn er gleich mit acht letzten Weirnarischen Grenzorte, zogen. Hier quartierten sie sich
seiner Landsleute, aile mit gezogenen Hiebem, ihrn guten Willen landsmannschaftsweise in die Hauser ein, schliefen in den Stillen
zu rnachen. Wagen mit Koffem gingen nun ab, und 400 begannen und Heuboden, lagen zurn Teil krank - einige wurden krank hie-
den folgenden Tag (am Donnerstag, dern 19. Juli) zusaroroen hergebracht - und schrieben nun Briefe aus dem Lager bei Nohra.

a 0.
ng. : »zeigte«
a Orig.: »Ziegenhayner«

301
300
Briefe D 4 An die Eltern, 24. -27. Juli 1792

Fortsetzung, den 26. Juli 1792 lungen, und es ware doch beinahe wahr geworden, was ein
vorangegangenes Geriicht ausgestreuet hatte, daE sie Weimar
Sie sollen sich wohl sehr gut in Nohra amiisiert habena, wie bekriegt hatten. Sie wurden so lange aufgehalten, ehe sie zu
mir eben einer der Mitgezogenen erzahlte. Seine Erzahlung Weimar kamen, daE die Ungarn besonders ernstlich auf Ein-
ist glaubwiirdig, da er ein sehr gesetzter Mensch ist und nur 5 5 hauen antrugen und allein eingehauen hatten, wenn nicht bald
notgedrungen mit volliger Millbilligung des ganzen Benehmens die Abfuhrung iiber den Schweinmarkt erfolgt ware. Man schrie
mitzog. Es ist ein Herrnhuter34, aus Danemark gebiirtig, und tiber Verraterei, und der Unwille und die Erbitterung stiegen
eine meiner liebsten Kollegienbekanntschaften. Sie hatten Mu- so hoch, daE die Luft von dem wiederholten Geschrei: ,Nie
sikanten, Frauenzimmer usw. aus Erfurt, reiseten nach Erfurt mehr nach Jena, nie, nie!" erscholl. Sie waren schon abgefuhrt,
und Weimar hin und her, stellten Tanze an, und ihren Todfeind 10 IO als die Deputierten kamen, welche sich nun fur sich an jenen
Ulrich exequierten35 sie zum voraus. Sie steinigten oder sti.irzten Sekretar und durch diesen42 an das Geheime Konsilium, das
ihn, was ich nicht mehr weiE, in effigie36 ins Wasser. Die Ver- versammelt wurde, wandten. Es war niemand zugegen als
handlungen mit dem Consilio in Weimar gingen nach dieser Schmaus oder SchnauEa43, Goetheb und der in einem dervorigen
Erzahlung iiber Erwarten gut. Er kann freilich nicht mehr er- Briefe erwahnte Voigt. Die Deputierten widerlegten nun das
1
zahlen als aus dem Munde der Deputierten, und man weiE, 15 15 Geri.icht, als kame der Haufe von der Anziindung Jenas und
wie Studenten erzahlen, wie sie mit Prorektor, Ephorus usw. als ware die Besti.irmung Weimars beabsichtigt gewesen. Nach
gesprochen hatten. Dazu kommt noch, daE diese vielleicht nicht des jungen Voigts Erzahlung wurde ihnen geantwortet, daE
nur, urn ihre Personen zu heben, logen, sondern auch, um schlechterdings von Kapitulationen nicht die Rede sein di.irfe,
einen tobenden, wiitenden Teil sanfter zu machen. Inzwischen dag es sie nichts angehe, ob und welche Soldaten der Herzog
spricht doch so manches fur die Meinung, daE (man) mehr 20 .20 zu Jena halte, daE die Jager wegkommen werden nach been-
Nachgiebigkeit von Seiten des Konsiliums bewiesen hat, als digter Kommission, weil die Regierung nie willens gewesen
man bewiesen zu haben den Schein haben will. 37 sei, sie Ianger dazulassen, daiS die Auftritte vom 10. Juni an,
d. h. nach dem Tumult mit Polizo44, ununtersucht und unbestraft
Vier Deputierte der Studenten fingen die Unterhandlungen in bleiben sollen, weil man es als Verirrungen junger, zum Teil
Weimar an. Ahlmannh, ein Holsteiner, Wachter38 , ein Ungar, 25 .25 verfuhrter Menschen ansehe pp. Inzwischen wurden nicht nur
Mallinkrodtc3 9, ein Westfaled und Naporra40 aus Danzig waren mit den Deputierten in Weimar Verhandlungen gepflogen, son-
dieselben. Sie waren in Kotschau zuriickgeblieben, urn, wenn dern der erwiihnte Sekretiir kam am Sonnabend auch noch ins
der hiesige Senat nachschicken sollte, unterhandeln zu konnen. Lager, schickte am Sonntag Bier und Schink.en dahin und brachte
5/6 Den Weiterziehenden war aus Weimar I ein Sekredir ent-
41
am Montag eine Handschrift - ohne Zweifel einen Protokollex-
gegengeschickt, der ihnen viel von einer guten Aufnahme in 50 JO trakt45 - ihnen entgegen. Mit den Jagern hatten die Studenten
Weimar vorsprach, und nun wurden die Zuriickgelassenen zu- so ziemlich, was sie wollten. Amnestie fur jene Polizos-Nacht
riickberufen. Inzwischen zerschlugen sich aber die Unterhand- hatten sie nie verlangt. Mit der verlangten Absetzung Ulrichs
hat es seine eigene Bewandtnis. Die Minister hatten gebeten,
a Orig.: nhiitten« sagen die Studenten, nicht darauf zu dringen, und die Suspension
b Orig.: »Ahlemann«
c Orig.: »Mallingrot« a Orig.: »Schnaus«
d Orig.: »Westfalinger« b 0,.
ng.: »G"th
o e«

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Briefe D 4 An die Eltern, 24.-27. Juli 1792

desselben in Rucksicht auf sie bewilligt, aber mit dem Beding, wurden. Von den Studenten hatte sich in der Stadt das meiste
daB es nicht ins Protokoll kommen solle. Wirklich ist auch der wieder versammelt, und ein Zug von mehr als 300 war den
Geheime Justizrat Walch46 als derjenige aufgestellt, an welchen Zuruckkommenden entgegengezogen. Fruhmorgens waren die-
sie ihre bei der Kommission anzubringenden Beschwerden ab- se im Lager aufgebrochen, mit bloiSen Schwertern und we-
geben sollten, und die Studenten wenden sich nun mit mehreren s 5 henden Fahnen (die sie aber doch vor der Wache senken
Dingen an ihn, und er nimmt sie an. Sie batten das Entgegen- und einstecken moiSten) (und mit Musik) zogen sie durch
komrnen eines Deputierten des Senats verlangt. Nun ist man Weimar und erst recht feierlich ward ihr Zug, da sie hier
zweifelhaft, ob Walch und Doderlein, die am Sonntage vom Senate ankamen. Sie sahen freilich zum Teil wie Teufel aus und wie
nach Weimar ans Konsilium geschickt [worden waren], fur sich Zigeuner; so waren sie von der Sonne verbrannt, und so
6/7 oder auf hohere I Anweisung bei ihrer Ri.ickreise am Montag 10 10 entstellte sie das aufgesteckte Laub. Inzwischen war es doch
nahe vor Jena die nachkommenden Studenten abwarteten und schon anzusehen, als die 7-800 auf dem groiSen weiten Markt
sie bekomplimentierten47 . Doderlein ist zu nichts zu gut, der, an den Hausern hin in ein Viereck sich stellten ( der Markt
da mitten unter den Unruhen ihm ein Standchen gebracht, er- ist beinahe ein vollkommenes Viereck, vollig rechtwinklicht).
kHirte, daiS er fur ihr Zutrauen danke und es als einen Beweis Die Reitenden stellten sich mit der Musik in die Mitte, zur
ihrer i.ibereinstimmenden Denkungsart mit der seinigen ansehe, 15 15 Seite nahmen sie die entgegengezogenen Philister in den Kreis,
aber durch all dies kriechende Benehmen wird er den Kredit und nun lieiSen sie den Herzog, den Senat, endlich die aka-
nicht wieder heben konnen, der zu sinken anfangt. Sie verlangten, demische Freiheit hochleben. Dann sprach der Anftihrer Dahl,
daiS die Professoren repetieren sollen, was in diesen Tagen von daE sie nun das Ihrige getan batten, Gerechtigkeit geltend
ihnen versaumt worden, und ein Senatskonklusum48 bewilligte zu machen, daiS sie Mannern in die Arme I sich geworfen 7/8
es, wenn es nicht in Weimar schon geschehen ist. Paulus repetiert 20 :<.o hatten, denen sie blindlings trauen konnten, und daiS sie nun
eine seiner Stunden, in welcher die Repetition, wenn die Fort- still und ruhig sich verhalten sollen. Ihm folgte ein anderer
setzung zweckmaiSig sein soli, notwendig ist, eine andere nicht, und rief: ,Es lebe unser braver Anftihrer Dahl hoch, hoch,
wo die Repetition entbehrlich ist. Batsch lieset auf Privater- hoch!", und nun, da es an das Abziehen ging, erhob der
suchen seine Botanik wieder, aber seine Naturgeschichte nicht. Schneidermeister Weid seine Stimme: ,Es leben die Musen-
Loder repetiert nichts und soli erklart haben, daiS er eher 25 25 sohne von Jena hoch", und wie nicht anders zu erwarten,

das Amt niederlegen wi.irde. Andere repetieren gutmutig in so stimmte nun Dahl an: ,Es leben die Burger von Jena hoch!",
Extrastunden oder den gewohnlichen, soviel ich weiK Sie und alles Yolk schrie nach: ,hoch!" Sodann ging der Zug
verlangten, daiS keiner der Professoren auf dem Katheder auf nach dem Kollegiengebaude, wo sie die Fahnen mit "Vivat
das Geschehene eine Anspielung machen di.irfe, und es ist Libertas Academica" bezeichnet niederlegen durften. 49 Dieser
30 und der folgende Tag wurde noch geheiligt durch auf ein
hewilliget usw. So sehen Sie, daiS der Ruckzug noch ziemlich JC
glanzend, wenigstens dem Anschein nach glanzend, war, aber Senatskonklusum geschehene Einstellung aller Lektionen!; und
horen Sie, wie brillant der fernere Einzug war. Die Philister noch tragen sie die Feldzeichen ihres Zugs groiSenteils, Fe-
waren ihnen zu 60-70 (noch uber Walch und Doderlein hin- dernbi.ische aller Art, aber die Schwerter und Ziegenhainera5°
au_~) entgegengezogen und empfingen sie mit Biertonnen, die . ruben im Frieden, und die Busche sollen, wie die Fama sagt,
35
muden Wanderer zu bewirten. Mein Schneider Weid ftihrte 3" nicht eher abgelegt werden, als his Ulrich gerichtet ist.
sie zu Pferd an, mit Musik und mit Kanonen, die an BindHiden a 0.
hinausgezogen und bei der Ank.unft der Studenten geloset ng.: »Ziegenhayner«

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Briefe D 4 An die Eltern, 24.-27. Juli 1792

Kaum werde ich's wagen di.irfen, an diese ailgemein wichtigen ein hartes Urteil vor meinen Ohren i.iber ihn ofters ausgespro-
Gegenstande noch die Nachricht von einem mir geschehenen chen, ohne daE ich wu.Ete, daE das Urteil sich auf ihn beziehe.
freudigen Ereignisse in dieser Zeit anzuhangen. Sie wissen, Es ist gesetzlich (wer das Gesetz i.ibertritt, verwirkt gesetzlich
daE ich mein Logis zu andern mir langst vorgenommen babe. seine Fenster), daE die zu Bette Gehenden, die auf eine in
Sie wissen aus der obigen Erzahlung, wie man wichtige Markt- 5 5 andern Stadten ganz verbotene Weise ihr Aufsein noch anki.in-
szenen versaumen kann, wenn man gleich auf dem Markte digen, vorher dreimal: ,Kopfweg!" rufen. 54 Dies wurde in diesen
wohnt, und ich weiE, wie man Marktfreunde besuchen kann, unruhigen Zeiten immer mit unbandigem Geschrei und unter
wenn es was zu sehen gibt, etc. etc. Also den Markt zu verlassen, allgemeinem, wildem Gelachter gerufen und wieder gerufen
geschieht mir nicht sauer, am wenigsten unter solchen Um- und sollte, wie ich nun hore, nichts anderes bedeuten als:
standen. Ich komme nun zu Batsch51 , einem Manne, der meine 10 10 ,Ulrichs Kopf, Kopf, Kopf weg!" Diesen HaE hat er sich viel
voile Achtung und Liebe hat. Ich weill nicht, ob ich seine dadurch zugezogen, daE er besonders diejenigen, welche nicht
vortrefflich gei.ibte Denkkraft oder die Menge von Kenntnissen, bei ihm horen, bei jeder Gelegenheit seinen PrivathaE ftihlen
die er besitzt, oder seinen vortrefflichen moralischen Charakter liiEt und durch ein skoptisches 55 Betragen die erbitterten Ge-
mehr bewundern soil. Nach den bisherigen Beweisen seiner mi.iter viel wilder macht. Es kommt hinzu, daE er durch wirklich
Freundschaft wird die Beziehung seines Hauses wirklich nahere 15 15 torichte AuEerungen noch verachtlicher wird. So sagte er einigen
Verbindung mit ihm sein, aber nicht nur mit ihm, sondern Li.ibeckerna, die ein Gartenhaus gemietet haben, urn den Tag
auch, was mir sehr lieb ist, mit seiner Frau 52 . Diese ist - Sie da zuzubringen, dies gehe nicht an, weil man sonst nicht ver-
werden ja doch auch etwas von ihr zu wissen verlangen - sichert sein konne, daE sie [nicht] die Nacht da zubringen.
engelsschon, hochst sittsam, lebt sehr eingezogen und scheint Ich bemerke dabei, daE der Aufenthalt i.iber den Tag vorher
eine auEerst fleillige und getreue Hausmutter zu sein. Das 20 20 nie geri.igt wurde. Noch viel auffallender ist, da.E, da bei der
Zimmer lassen sie mir neu ausmalen, neue Fenster einsetzen; Arretierung des Studenten sogleich einige zu ihm ins Kollegium
(es) hat eine schone Kammer, gehet auf eine frequente StraEe, kamen und klagten, daB der Soldat ,dummer Junge" geschimpft
siehet zu der fahrenden Post hin (wenn ich da einmal Ka[pff], habe, er antworten konnte: I Ja, meine Herrn, man mu.E di- 9/10
Kna[pp] usw. ankommen sehe! 53 ), ist nur zwei Treppen hoch stinguieren zwischen dumm und dumm, es kommt sehr darauf
etc. Und ich bezahle ftir Bett, Mabel und Logis nicht mehr 25 25 an, wie es der Soldat gemeint hat". Waren nicht Dahl und
als jahrlich 24 Taler, da ich hier 19 Taler halbjahrlich zahl~. Herren seines Schlags vor ihm gestanden, ich glaube, Euer
Wahrhaft, so wie ich die Sache itzt ansehe - und ich sehe sle Magnifizenz batten mit dieser Verwahrung den ,dummen Jun-
ziemlich von nahem -, konnte ich mir nicht mehr wi.inschen. gen" sogleich auch erhalten. Denn gro.Eer Verstand und Einsicht
Doch ich rouE noch was Raum fi.ir morgen i.ibrig lassen und ~eien seine Sache nicht, so groE die Rolle ist, die er gegenwartig
36 JO 1st, und so vorteilhaft der Einflu.E ist, den er zur Dampfung
8/9 nun in Reinholds Garten gehen. I
mancher Unruhen schon bewiesen hat. Mich freuet nichts mehr,
den 27. Juli 1792 als wenn der komische Varnhagenb (der (eine) bucklige Me-
diziner, dessen ich vorher schon erwahnt habe und der not-
Ulrich wurde in Nohra ins Wasser geworfen und erst, da ~r
nicht sinken wollte, gesteinigt. Der arme Ulrich! Er erfuhr sew 35
Schicksal oder vielmehr seines Bildnisses hier am namlichen a Orig.: »Liibekern«
b 0.
Tage und soil sehr bose geworden sein. Schon vorher wurde ng.: »Farrenhagen«

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Briefe D 5 An die Eltern, 24. - 29. Oktober 1792

gedrungen sich selbst unter sein Kommando gestellt hat) sein


Kommando nachmacht. DS
Immanuel Carl Diez, Jena
Der Aufmarsch der Thuppen am Dienstag soli dadurch veranlaEt Mittwoch, den 24., Sonntag, den 28.,
sein. Es waren einige, die Thmult wollten, da, eben diejenigen, 5 und Montag, den 29. Oktober 1792
welche an dem Thmult vom 10. Juni vorzuglich Anteil hatten. An die Eltem, Thbingen
Sie kamen auf Dahls Zimmer und sagten ihm hastig: ,Bruder,
man will dich schleppen". ,LaEt sehen, Bruder!", sagte er, um-
hangte sein Schwert (- sie trag en sie in Bandelier -) und ging Jena, den 24. Oktober 1792
sogleich mit ihnen auf die StraEe. Auf der StraEe zogen sie 10
die Schwerter, erhoben das Geschrei ,Bursch heraus!", und Nach allem, was ich bisher horte, ist der neue ZufluE von
nach der Ordre, die die Soldaten hatten, war eben dies das Studenten tiber Erwarten groK 1m Herbst kommen immer we-
Signal zu ihrem Ausrucken. So kamen sie nun auf dem Markte 5 niger denn urn Ostern, und dann glaubte man immer, daE die
56
zusammen, und der Auftritt, den ich erzahlt habe, ergab sich. Auftritte dieses Sommers ft.ir den Anfang doch manche abhalten
15 diirften, hieherzukommen. Der Neuangekommenen sind wohl
Es wird gut sein, wenn Ulrich bald abgehet, was auf den 6. Au- bei 150, aber der Abgegangenen freilich bei 300. 1 Noch ein
gust geschiehet57 . Denn jeder andere wird besser zur Beruhigung groEer Unterschied! Inzwischen mogen noch immer mehrere
wirken. Inzwischen werden die Kollegien mit allem FleiEe be- 10 kommen, da die Kollegien noch nicht angefangen haben und
sucht, den alten Professoren Doderlein, Walch, Eckardt358, Suk- in den ersten Wochen der Kollegien immer noch mehrere ge-
kowb59 pp., den Burgern und Bauern abends Standchen gebracht, 2G kommen sind. Was den Jenensern sehr erfreulich ist, ist, daE
und die jungen Professoren, zu denen ubrigens auch Griesbach gleichsam eine neue Quelle ihnen geoffnet worden ist. Es sind
gehort, werden zu den Unterdruckern gerechnet. Vielleicht tri- zwei Wiener2 angekommen, der eine die Jura, der andere die
15 Medizin zu studieren. Sie machten den Schritt sehr zur Be-
umphiert am Ende aber doch noch die gute Sache.
fremdung ihrer Obrigkeit - denn da sie anhielten, eine pro-
Leben Sie wohl. testantische Universitat frequentieren zu durfen, sagte man ih-
nen, wie sie dazu kamen, da sie alles in - Wien lernen konnten,
Dz. und Jena!, das ware gar zu sonderbar; wenn sie etwa Gottingen
20 oder Leipzig wahlten, das ware zu verzeihen. Inzwischen, man
(Der Rezensent der Kritik aller Offenbarung60 ist - ist - Hu- erlaubte ihnen den Zug, und sie glauben nun im Himmel
feland61.) 30 unter Engeln zu Ieben. Wie ungewohnt ubrigens die delikaten
Herrn Wiener des Gehens seien, zeigte sich gestern, da sie
eine Partie nach ThieEnitz 3 - was Sie aus meinem ersten Briefe 3
25
kennen- mitmachten. Schiller, Reinhold, Batsch und ihre Frauen
Waren von der Gesellschaft, aber da wir nun von da aus den
Berg bestiegen, die prachtige Aussicht zu besehen, hielten sie's
a Orig.: »Ekkard«
b Orig.: » SUCCOW« a Orig.: »'IhigrUZ«

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Briefe D 5 An die Eltern, 24. - 29. Oktober 1792

mit den Zuriickbleibenden und bezeugten ihre groEe Verwun- suchen und nicht finden. Acht Tage vorher war sein Bruder'~
derung iiber die Starke der Damen, so groEe Spaziergange zu angekommen und soli ihm gemeldt haben, daE er keinen Sukkurs
machen. Auch sie sind zum Teil durch Reinhold herbeigezogen, mehr zu hoffen habe. Man glaubte daher anfanglich, er hatte
11:2 und man siehet, wie die Begierde, I kritische Philosophie zu I
sich bloE urn seiner Schulden willen erschossen. Nachher sagte 2/3
horen, zum Vorteil einer Universitat benutzt werden konne, 5 5 man, daE eine ungliickliche Liebe ebensoviel Anteil habe, und
deutlich. 4 - Die Abgegangenen haben manchen guten Philister nun kommt noch heraus, daE es vorziiglich aus Unzufriedenheit
in groEer Trauer zuriickgelassen. Die Kniffe, die sie brauchen, mit sich selbsten geschehen sei. Er ist niimlich schon ftinf Jahre
sich ihnen zu entziehen, sind hochst mannigfaltig. Im Vertrauen hier, hat anfanglich Theologie, dann Medizin studiert oder zu
auf die Koffer borgen die guten Leute alles, aber plOtzlich studieren vorgegeben, aber daftir musiziert, gemalt, Amour ge-
sehen sie sich ofters bloE leere Koffer zuriickgelassen. Einer 1o 10 macht, Komodien gespielt etc. Die Stelle, wo er sich erschossen
bestand5 neulich ein neues Logis, und nun gab der Philister hat, ist wirklich schon. Sie ist auf dem Fuchsberge, nahe am
gerne zu, daE der Koffer in dieses gebracht werde, aber plotzlich Fuchsturm, aber den Schadel hatte er sich erbiirmlich zerrissen,
muEte er zu seinem groEen Leidwesen horen, daE der Koffer, denn er hatte nicht nur Kugeln, sondern (auch) gehacktes Blei
statt ins neue Logis gebracht zu werden, auf die Post gekommen geladen. Er liegt nun beerdigt in Ziegenhaina 10. Von den Solen-
und mit dem Studenten iiber Berg und Tal davon sei. Ein 15 15 nitiiten des Begriibnisses weill ich nichts. 11
anderer rouE die Gabe gehabt haben, sich unsichtbar zu machen.
Mein Perruquenmacher ( der auch in Tiibingen einige Monate den 28. Oktober 1792
bei der Kernakerina6 frisiert hat, aus dem Fuldischen ist, Herrn
Ehmann7 von Bebenhausen her wohl kennt pp.) erzahlte mir, Von den oben erwahnten Wienern habe ich sogleich eine Be-
daE er ihn auch urn einige Taler geprellt habe, und da er nun 20 20 richtigung nachzutragen. Nur der eine ist ein geborner Wiener,
auf die Nachricht von seiner Entfernung gekommen sei, sich der andere ist ein gebomer Ungar, hat sich aber seit ftinf
beim Hauswirt zu beschweren, daE er ihn habe ziehen lassen, Jahren in Wien aufgehalten. Ersterer hat keine Eltem mehr
so habe er diesen wie vom Schlage geriihrt angetroffen. Denn und stehet also unter dem Pupillenamte. 12 Dies ist das Kollegium,
diesem war er 26 Taler schuldig, und ganz vorsichtig bewachte das so befremdet iiber seine Wahl von Jena war, und [es] hat
er nun seit zwei Tagen Tag und Nacht die Ausgange, aber 25 25 ihm wirklich nicht dahin, sondern nach Gottingen zu reisen
plotzlich sah er, daE alles und alles fort ist. Eine ganz eigene die Erlaubnis gegeben. Der Pupille folgte aber seinem Kopfe
Methode, sich seinen Glaubigern [zu entziehen], hatte ein Herr und ist hier. Von der Seligkeit, in der beede, der Wiener und
Poelchaub8, ein Livlanderc, welcher den Kredit seiner Lands- sein Ungar, hier schweben, war ich an demselben Abend, da
mannschaft (man heillt sie Luftliinder und Laufliinder) dadurch ~ch von ihnen geschrieben hatte, noch Zeuge. Sie waren auch
30
gar nicht erhohet hat Dieser hat sich namlich erschossen. Der JO m den Klub 13 (gebeten), der damals beim Graf Coudenhovenb 14
Coup war sehr unerwartet, unerachtet er vorher schon von der oder vielmehr seinem Hofmeister Greis 15 (denn kein Student,
Stelle z. B., wo er sich erschoE, geauEert hat, daE dies eine Stelle er sei Graf oder Magister oder Kammerassessor, kann Klub-
zum ErschieEen sei, in ein Stammbuch schrieb, man werde ihn gebender werden. Die Herrn Coudenhoven und Greis kennen
Sie, wenn ich nicht sehr irre, aus einem der vorhergehenden
• Var.: »Kornakerin«
b Orig.: »Pollchaucc a 0.
ng.: »Ziegenhayn«
c Orig.: »Lieflander« b 0'ng.: »Cudenhooven«

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Briefe D 5 An die Eltern, 24. - 29. Oktober 1792

Briefe 16) war. Die Freude leuchtete a us ihren Augen, und so ich (diesen Winter) neben der Anatomie von Lode~ 3 Materia
selig ich auch anfanglich in diesen Zirkeln war, so glaube ich Medica bei Starka2 4 und Semiotik mit Pathologie nach Grune~ 5 .
3/ 4 doch nicht, daE meine Seligkeit der ihrigen glich. I Mit der Anatomie verbinde ich Physiologie, mit der Materia
I
Medica Pharmazie, zur Semiotik und Pathologie nehme ich 4/5
26
DaE die verbindliche Einladung nach Naumburg mir nicht eher 5 5 Brendels Manuskripte , und damit haben Sie meinen ganzen
7
zur Notiz kam, ist mir sehr leid. Ich war einigemal nahe am Studienplan? Herrn Reinhold habe ich den Abschied gegeben,
EntschluE hinzureisen, aber, dachte ich, die Frau Major von aber, was mir weit, weit weher tut, ist, daE ich auch Schillers
Schierbranda 17 kennt dich vielleicht nicht einmal, und so blies Asthetik28 nicht horen kann. Er lieset sie nach Kant, privatissime
ich mein Federchen nach Weimar. Ich warda einige Tage ziemlich und auch mehr im Diskurs. Seine Gesundheit verbessert sich
vergniigt. 10 IO immer mehr, er gebraucht gegenwartig eine Badekur, die ihm
vortrefflich bekommt, und bei gutem Wetter macht er immer
Kruse ist nun von hier abgereiset und hat seinen Sitz in Weimar seine Spazierritte. Neulich machte ich auch ein Rittchen mit
aufgeschlagen. 18 In diesen Ferien war er zwar meistens noch ihm nach Kunitzh, wo man nach gut wiirttembergischerc Manier
in Voigts Hause, aber ich auch. 19 Ich habe meistens da gegessen, den Wein aus Schoppenglasern trinkt. Der Wein ist ertriiglich,
und keine Hoflichkeit war mir angenehmer, als daE der Professor 15 15 und das Glas kostet nicht mehr als 18 Pfennig (34 Pfennig
Hufeland 20 auch einmal zu Tische gebeten wurde. Nachsten gehen auf einen Dreibiitzner, welche hier kursieren). Diesmal
Sommer wird er hieherkommen, und gewiE hat ein junger schmauchten wir ein Pfeifchen zu Kaffee und ritten vergniigt
Mann noch nicht leicht seine Stelle mit so vorteilhaften Prii- wieder nach Hause, doch nur er, nicht ich. Denn ich wollte
judizen bezogen, als dieser sie beziehen wird. 2 1 Mehrere, die mein Pferd seinen Gulden, der bei uns 18 Batzen gilt, abver-
auf Ostern abzugehen gesonnen waren, werden ihm zulieb 20 20 dienen lassen, und ich war zu lange (seit Ostern) nicht geritten,
den Sommer noch hier bleiben, und die, die itzt abgehen, als daE ich mich mit dem Rittchen hatte begniigen konnen.
beklagen ihr Schicksal, das sie nicht auch in den giinstigen Ich ritt also noch nach Zwiitzend, wo ich mein Abendbrot kostete,
Zeitpunkt fallen lieK Sein Plan zu seinen Vorlesungen ist vor- weil zu Hause die Butterschale leer war. Doch! Mir fallt ein,
trefflich. Er wird Teilhaber an Loders Klinikum und iibernimmt da~ ich mich eigentlich von Weimar verirrt habe.
die innerlichen Krankheiten, da dieser die chirurgischen fiir 25 25
sich behalten wird. 22 Sein Praktikum wird er soviel moglich Ich war mehrere Mal in Wielands Haus, aber nur einmal bei
an jenes ankniipfen und immer die Krankheiten abhandeln, ihm und (urn) ihn, da ich im Park ihn zu verfehlen mit seinen
wo er zugleich die Kranken vorzeigen kann. Mit der allgemeine.n Tochtern 29 das Ungliick harte. Merkwiirdig war mir seine AuEe-
Therapie verbindet er Semiotik in einer Stunde, gibt aber dafur rung, daE die franzosische Republik Konsistenz zu erhalten
seinen Zuhorern taglich eine Konversationsstunde zum besten, 30 30
scheine, und ich bin sehr begierig, wie er nun das niichste
wo zu ihm kommen kann, wer will, und Zweifel und Einwiirfe ~al in seinem Teutschen Merkur sprechen wird. 30 Wenn ich
vortragen oder auch iiberhaupt sich mit ihm iiber die Mater~en rucht irre, so habe ich in einem der vorigen Briefe3 1 mehr von
besprechen [kann]. Ihn recht wohl zu beniitzen und vorziighch
auch am Klinikum als Praktikant teilnehmen zu konnen, studiere a Orig.: »Starke«
b 0.
ng.: »Kuniz«
c 0.
ng.: »wirtembergischer«
d 0.
a Orig.: »Schierbrandt« ng.: »Zwatsen«

31.2 313
Briefe D 5 An die Eltern, 24. -29. Oktober 1792

ihm geschrieben, wo ich mit ihm und seiner Frau bei Reinhold Es ist mir sehr lieb, diese Bekanntschaft gemacht zu haben, da
zu speisen die Ehre hatte. 32 Angenehm war mir, einen Professor der Himmel doch wohl mich noch nach Wt.irzburg ft.ihren wird 43
aus Wt.irzburg, der immediate von Kant aus Konigsberg karn, und diese Bekanntschaft mir alsdann von vielem Vorteil sein
zu treffen. Meine erste Frage war, ob er nicht Fichte gesehen, kann. Ich konnte ihn leider (!) nicht nach Wunsch sprechen, da
gesprochen oder nichts von ihm gehort hatte. Er hatte ihn 5 s ich zur Frau Professor Musaus zu eilen hatte und er bald ab-
5/ 6 nicht gesehen, und wegen Kants Teilnahme I an der Kritik reisete. Diese hat mir wieder sehr viele Hoflichkeit erwiesen und
ailer Offenbarung gab er aus Kants Munde die Erklarung, daE eine mir zugedacht, die sie ungliicklicherweise nicht wirklich
Fichte zwar das Manuskript ihm zugeschickt, er aber nicht drei erzeigen konnte. Es war namlich die Einladung Buchholz' zum
Zeilen gelesen hatte, urn keinen Anteil daran zu haben und Mittagessen. Er konnte es aber nicht annehmen, da er mit Hu-
diese Versicherung urn so eher geben zu konnen. 33 Dieser ReuE 34 10 10 feland eine Reise zu einem Patienten zu machen hatte. Sie wu/Ste
aus Wt.irzburg soil hier sehr viel Freude bezeugt haben, unsern mir gar viel von unserem Landsmanne C[onz) zu erzahlen, der
Landsmann Niethammer kennenzulernen da er von ihm schon sie mit seiner komischen Laune sehr belustigt hatte. Gelegen-
viel in Konigsberg gehort und Kant und Schultza Herrn Fichte heitlich bitte ich, ihn zu grii/Sen I und zu erinnern, wie schon 6/7
gratuliert hatten, so bald einen solchen Kommentator35 gefunden er sein Versprechen, auch etwas von sich wissen zu lassen, ge-
zu haben. Wie gehet es mit der Repetition N[iethammer]s?36 15 l S halten habe.
44
Uber die guten Nachrichten, daiS Wt.irttemberga
Soil der Wunsch des Bonmotisten Schmids ((in Gie/Senh)), der von den Franzosen verschont werde45, hatten wir viele Freude.
dem Herrn Adjunkt wiinschte, er mochte bald Abjunkt werden, Sie erzahlte dabei., in welchen Angsten sie drei Tage lang im
so bald in Erfiiilung gehen oder nicht? Es soil gegenwartig im Keller gesessen sei., da die Franzosen Wolfenbiittel belagert ha-
Werk sein, diesen wieder hieherzubringen, und zwar als - Dia- ben4\ und das Komische liillt sich wohl nicht iibersehen, wie
konus und Professor TheologiaeP 7 20 20 sie nach der Thre liefen, als gleich anfanglich eine Bombe auf
das Gewolbe fiel und iiber demselben herroilte und sie nun
Herr Reu/S ist gegenwartig Professor der Philosophie, hatte aile schrien: ,Herr Jesu, dir leb' ich, dir leid' ich pp." Von ihr
sechs Jahre lang Medizin studiert und sich dann zur Theologie wurde ich abends in eine sehr gracieuse Teegeseilschaft einge-
gewandt. 38 fiihrt. Madame Volckmannb47 war die Dame, die sie gab. Sie ist
25 eine Hamburgerin und verzehrt ihr Geld in Weimar. Die Summen,

Th qui bis seno iam mense mathesin adumbras, die sie verzehrt, hatten mich beinahe verleitet, urn ihre Hand
quando illi lucem, docte Severe, dabisP 9 zu werben, da sie noch viele Lust zu heiraten hat, aber ich
unterdri.ickte aile Antrage, die ich ausgesonnen hatte, da ich
lch konnte nicht umhin, dies Sinngedicht hinzuschreiben, das sahe, wie sie mich iiberhoren konnte. Denn nachdem ich ihr
· soeb en mem · Freund Brehmer mitteilte. Es ist von Kastner
.. 30
mrr 4o JO lange von zwei Sohnen Exters 48 vorgeschwatzt und nach dem
gemacht, da benannter Herr Severus41 im Pralektionszettel an- Befinden des Alten mich erkundigt hatte, so sagte sie mir, daiS
kiindigte, daiS er die Mathesis ad suas adumbrationes 42 lesen er einen sehr ungeratenen Sohn habe. - In dieser Geseilschaft
werde. traf ich noch einen Landschaftssyndikus an, der, seiner Bekannt-

3
Orig.: »Schulze« a 0.
ng. : »Wirtemberg«
b Orig.: »Giessen« b 0 .
ng.: »Volkmann«

314 315
Briefe D 5 An die Eltern, 24. - 29. Oktober 1792

schaft mit Herrn D. Maje.r.a unerachtet, i.iber die Thbinger Juri- Den 29. Oktober. Der Herr Geheime Assistenzrat also nahm
stenfakultat, die ihm sein Urteil reformiere49, gewaltig schimpfte, mich, da er hieher reisete, mit, und so kam ich also balder
i.ibrigens ihr doch ziernlich gewogen war. Auch traf ich da den hieher, als sonst geschehen ware. Und damit schlieEe ich diesen
Konsistorialrat Webe~5 0, der viel von Herrn Schnorrer ri.ihmte. Brief, der, so Gott will, den Franzosen nicht in die Hande
Mehr als die beeden Herren interessierte mich aber eine andere 5 5 fallen wird. Die Frankfurter Post blieb heute aus, und gestern
Person. Dies ist die Schwester von Werthers Lotte51 • Unter einem kam die Schreckensnachricht, sie seien nur noch einige Stun den
andern Namen kann ich sie Ihnen nicht produzieren. Thr Mann von Eisenach entfernt, was, wie ich heute hore, erlogen ist.
ist Gouverneur des Prinzen und sitzt, ich weill nicht mehr, in Der Bischof von Fulda56 ist mit 80 Pferden in Erfurt angekommen
welchem Collegio52 . Daher heillt sie Frau - Ratin. Sie ist in und wi.irde freilich ein schoner Bissen ftir die Franzosen sein.
Wetzlarc erzogen und kennt seit vielen Jahren her die meisten 10 10 Sie glauben sich aber in Erfurt so sicher, daE der Kurftirst
unserer Landsleute, die da gewesen sind.53 Von einem sprach von Mainz 57 sich auch dahin begeben wird. Mit ihm kommt
sie nicht zum besten, weil er hinter vaterliche Autoritat sich die Mutter vom Graf Coudenhoven58 dahin, was ich diesem
zuri.ickgezogen babe, wo es nicht hatte geschehen sollen. fur die bisher erlittenen Angste herzlich gonne. Ihnen wi.insche
ich allen, daE Sie forthin wie his daher von denselben unbesucht
Ich wi.irde wohl noch einige Tage in Weimar geblieben sein, 15 15 bleiben mochten.
wenn sich mir nicht so eine schone Gelegenheit zur Ri.ickreise
angeboten hatte. Der Herr Geheime Assistenzrat54 - ich will Paulus ist vorgestern abends mit Frau 59 und Bruder60 gli.icklich
froh sein, wenn er bald Geheimer Rat ist, denn der Titel des hier angekommen, freilich unterwegs sehr aufgehalten durch
Herrn Geheimen Assistenzrat inkommodiert mich gewaltig. Ge- reisende Fliichtlinge. Seiner Kindsmagd hat es in Schwaben6 1
7/8 legenheitlich muE ich bemerken, I daE man in Weimar auEerst 2G 20 nicht sehr gefallen. Sie sagte, die Leute tun da nichts als essen
inventieus und haushalterisch mit den Titeln ist. Den, der bereits und trinken. Mir ist's nicht wie ihr, sondern vielmehr wie einem
Regierungsrat ist, laEt man vier Stufen von Titeln durchgehen, nachstens von hier abgehenden Schweizer, der sich schon zum
und so ist es nur zu fri.ih, daE man dem, der wirklicher Geheimer voraus darauf freuet, was er nun wieder essen und trinken
Rat wird und ist, gleich den Titel des Geheimen Rats gibt. Es werde.
heiEt vorher Herr Geheimer Assistenzrat, und wenn er einmal 25 25

eine Belohnung erhalten soil, so bekommt er den Titel Geheimer Leben Sie wohl.
Rat. Bei Reinhold und Batsch zeigte sich neulich der inventieuse
Geist in diesem Fach aufs neue. Man wollte sie vom Extraor- Dz.
dinariat befordern und doch nicht zu Professoren ordinariis,
die als supernumerarii im Senate sitzen, machen. Man machte JC
sie also zu Professoren ordinariis honorariis, die nicht im Senate
55
sitzen, aber freilich ohne damit Ehre bei ihnen einzulegen·

3
Orig.: »Maier«
b Orig.: »Weeber«
c Orig.: »Wezlar«

316 317
Briefe D 6 An die Eltern, 23. Januar 1794

Anblick, Erstarrte, Halblebende, Abgezehrte, die schaudervoller


D6 als irgendeine Leiche aussahen und einen unertriiglichen Ge-
Immanuel Carl Diez, Buttstadt stank verbreiteten, so transportieren zu sehen. Hiezu kam noch,
Donnerstag, den 23. Januar 1794 dag man zehn Tote, die unterwegs gestorben waren, auf den
An die Eltern, Thbingen 1 5 Wagen fand. Mancher mu~te sich nun freilich hungrig, wenig-
stens ohne was Warmes genossen zu haben, dem Schlaf tiber-
lassen, da diejenigen, welchen die Bereitung der Suppe auf-
Buttstiidt32 (sechs Stunden von Jena), den 23. Januar 17943 getragen war, nicht hinliinglich Vorrat hatten, und das Essen,
welches mehrere Burger ihnen reichen lie~en, I nicht zureichte. J/2
Es war den verflossenen Montag4 nachmittags gegen vier Uhr, 10 lch selbst hatte vor 20 Personen diesen Abend, so auch den
als der erste Wagen mit Offiziers kam, worauf auch der General' andern Tag, kochen lassen; Rind- und Kalbfleisch mit Reis fur
saE und welcher von zwei preu~ischen Kavalleristen begleitet 5 Kranke und Sauerkraut mit Salzfleisch ftir Gesunde, ungeachtet
wurde. Diesem folgten nach und nach mehrere franzosische vier Mann preu~ische Kavalleristen mit ihren Pferden bei mir
Offiziere teils auf Leiterwagen, teils zu Fu~, nebst einigen Ma- im Quartier lagen. Die erste Nacht habe ich bis friih urn zwei
15 Uhr Patrouille mitgemacht. Es schlief niemand recht ruhig,
r.oden, welche letztere sogleich in einige vor dem Bri.icktor
hegenden Scheunen gebracht wurden. Schon war die Nacht weil zumal der Wind sehr stiirmte und bei dieser Gelegenheit
hereingebrochen, als erst der gro~te Teil des preu~ischen Kom- JC Feuersgefahr nichts Unmogliches war. - Den andern Tag be-
6
mando , welches die Franzosen, so noch gehen konnten, in kamen die gemeinen Soldaten, deren verschiedene Uniformen
zwei Linien geschlossen hatte, einri.ickte. Diesem folgte noch man nicht zusammenziihlen konnte, ihre Lohnung. 9 Was noch
20 gehen konnte, mu~te herunter auf den Markt. Dies waren aber
eine gro~e Menge Wagen und Karren, deren Zahl man zusam-
men gegen 100 schiitzte, mit Maroden und Kranken bei dunkeler kaum 200 (von 600). Mittags und abends erhielten sie viel
Nacht unter Sturm und Regen. Diese armen Menschen hatteD 15 Essen von der Biirgerschaft. Mittwochs friih bekamen sie noch
nun seit friih ftinf Uhr auf den Geschirren gelegen. Durchniillt grogtenteils Friihstiick umsonst, auch auf herzoglichen Befehl
und erstarrt, manche fast im Hemde, mu~ten sie nun warteD, aus der Steuereinnahme durchgiingig die Kranken vier Gro-
bis die Reihe an sie kam, urn abgeladen zu werden, so daB 25 schen, die Gesunden zwei Groschen. Die benachbarten Amter
es auf neun Uhr ging, als die letztern aufs Rathaus 7 als dem batten aile Pferd und Geschirre hergeben miissen, urn sie weiter
gro~en Hospital gebracht wurden. Der gro~te Teil von KrankeD 2c z~ transportieren. Von Erfurt 10, wo sie montags friih abgingen,
und Gesunden kam dahin auf die zwei Sale welche durch his zu ihrem Abgang von hier, also in 48 Stunden, starben 34 11 ,
:Vindofen geheizt worden, und in drei Stub~n; ungef<:ihr 50 und his Bibra 12, wo sie zeitig ankamen, waren schon wieder
8
30
ms Zollhaus und ungefahr 70 in drei Scheunen. Die franzosi- zehn gestorben. Erstere worden in zwei Gruben beerdigt. -
schen Offiziere, deren ungefahr 70 waren, kamen in die Gasthi:ife Der Husten, den diese Leute (fast durchgiingig) hatten, glich
~nd Biirgershiiuser. Die Maroden wurden von Biirgern, die zu 25 den von faulen Schafena 13, und auf dem Rathaus in den hohen
lhrer Aufwartung bestimmt waren, auf das Stroh in ihren Logis, mit Luftziigen versehenen Siilen, wo dazu noch geriiuchert wurde,
d. h. PP· getragen und geftihrt. Es gewiihrte den jiimmerlichsteD war die Luft mit solchem Gestank angeftillt, daE es nor wenig

a 0.
a Orig.: »Buttstadt« ng.: »Schaafencc, Var.: »Schorfen«?

318 319
Briefe

Leute darin auszustehen vermochten. lndessen blies doch der 5.


General die Flote zu dem Liede <;a ira 14, das die sieben Stabs- Textgruppe E:
offiziere und vier Subalternen, welche bei ihm waren, sangen. Letzte Briefe
Es war ein Mann von ungefahr 50 Jahren, mit abgeschnittenen
Haaren und einem grauen Oberrock, ungefahr wie ein reputier- 5
licher Schulmeister. Ich sah ihn seine Sachen einpacken (die
Bedienung war schon zum Marsch abgegangen), und auch dies
tat er singend. Unter Offizieren und Gemeinen waren zum Teil
sehr feine Leute, unter letzten auch Jungen von 14, 15 Jahren.
Unter den Toten fand man eine Weibsperson, die unter den IG
Linientruppen gedient hat. Sie ist auch im To de unter die Manns-
personen gelegt worden.

Das Streustroh hat man im Felde samt dem Ungeziefer ver-


brannt. 15 15

320
Vorbemerkung

Nach dem Ende der heiden Jahre, die Immanuel Carl Diez und
Friedrich Immanuel Niethammer gemeinsam in Jena verbracht
hatten, wurde der Briefwechsel zwischen heiden wieder aufge-
nommen. Diez' Briefe sind heute nur zum Teil erhalten oder
zugii.nglich. Sie sind auch nicht mehr von dem gleichen philo-
sophischen Gewicht wie die Briefe der Jahre 1790 und 1791.
Doch enthalten sie so viele Hinweise auf Diez' Gedanken und
auf die Thbinger und Jenaer Verhaltnisse, daE sie in die Ausgabe
aufgenomrnen werden mi.issen. Ihre Kommentierung halt sich
in dem fur die vorausgehende Briefgruppe gewiihlten Rahmen.

323
E 1 An Niethammer, 28. Miirz 1794

El
Immanuel Carl Diez, Jena
Freitag, den 28. Marz 1794
An Friedrich Immanuel Niethammer, Wien

Jena., den 28. Martius 1794

Lieber Nietharnrnerl,

5 die Auftrage, die ich aus Deinern Briefe vorn 15. Martius heute
erhielt, habe ich bereits, so viel an rnir ist, aile ausgerichtet.

Mein erster Gang war zu Meisl, der rnir die Adresse an sein
Haus 2 zusagte und sogar auch die Briefe, die ich an Dich zu
JO schicken hatte, einschlieEen will. Mir fiel nachher erst das paste
restante3 ein. DaE dies keine Verwirrung rnache, will ich sorgen.

Mein zweiter Gang war, der Madarne4 die Hand zu kiissen.


Thr i.ibergab ich die Kornmission an ihn, so wie Du sie rnir
15 i.ibergeben hast. Er war rniide von Testirnonien-Schreiben und
harte nur noch einige Stunden, auf die harangue5 an seine
Zuhorer zu denken. Ich zweifle nicht, daE sie wenigstens noch
einige Zeilen fUr Dich bewirken wird. Mir hat sie inzwischen
aufgegeben, Deinern Andenken und Deiner Freundschaft sie
20 bestens zu ernpfehlen.

Gros, der engagiert war, mit Humbolde sogleich in einen Wagen


zu steigen, urn nach Kunitzb zu fahren, muEte an Hufeland
ein Billet schreiben, urn das Schreiben sich von ihrn auszubitten. 6
25 Ob ich es erhalten werde, weill ich noch nicht. Der Erfolg
wird's zeigen.

a Orig.: »Rumbold«
b 0.
ng.: »Kuniz«

325
Briefe E 1 An Niethammer, 28. Mii.rz 1794

Die Traber wird die Vorhange besorgen, und David wird wieder des ersten wetteifern viele mit Dir, Fichte, Heusinger 1\ Forberg
Dein Gehasi sein. 7 pp., wegen des zweiten Fichte und Hederich 15 . 16

Die Fechtmeisterin8 hat Bett und Spiegel wieder zugesagt. In Leipzig kann ich Dich nicht treffen. Ich hoffe, urn diese
5 5 Zeit in Bamberg 17 zu sein, wo ich den Sommer bleiben werde.
Auch ist Dein altes Logis 9 wieder fur Dich zu haben. Ob Dein Es tut mir umso leider, je begieriger ich ware, Dich zu sprechen.
Bruder 10 das Nebenstiibchen beziehen wird, hangt davon ab, Vielleicht triffst Du Kapff noch, der gegenwartig da ist und
ob er in sein bereits gemietetes Logis einen Substituten erhalten den wir noch nicht gesprochen haben. 18 Doch ich zweifle. Gros
1/.2 kann. I Es hatte sich ihm namlich eine Gelegenheit angeboten, wird abgegangen sein. 19 Er I griiEt Dich. Unsere Briefe20 wirst
urn sechs Taler Logis, Bette, Aufwartung, Teewasser, Schuh- 10 IO Du, so Gott will, endlich einmal haben.
putzen pp. zu erhalten, und er ergriff sie, weil wir von Deinem
Wiederkommen nichts Bestimmtes und dem Nebensti.ibchen Dein Bruder gruEt Dich. LaE mich bald mehr von Dir wissen.
gar nichts wuEten, auch die Gelegenheit gar zu wohlfeil war Lebe wohl. In Eile.
under zugleich im namlichen Hause die Kost urn zwolfGroschen
haben konnte. Nun, da Dein Hauswirt das Nebenstubchen mit 15 15 Dein Dz.
dem andern zusammen repariert urn zwolf Taler geben will,
ihn bier nur drei Taler treffen, und urn die ubrigen drei Taler
Bette, Aufwartung pp. beinahe zu bestreiten sein werden, so
sucht er wieder los zu sein. Aber statt des postica occasio
calva, (dem er entgehen wollte,) sehen wir nun das arrepta 20
occasio prendens. 11

Soeben komme ich auch von Schutzina, die sich Dir wieder
empfehlen lafk
25
Reinhold wird heute ein Standchen von vielleicht 400 Studenten
mit Fackeln - die Spritzen stehen auf mogliche Feuersgefahr
schon parat -, ein Carmen und eine goldene Medaille, 20 Louis-
dar schwer, von eben denselben erhalten. 12 Morgen reiset er
ili. ~

Schutzh, der Deinen Brief verlegt hatte, hat auf gut Gluck Logik
und Meta physik und Moral in [den] Catalogus gesetzt. 13 Wegen

a Orig.: »Schiizin«
a 0.
b Orig.: »Schiiz« ng.: »Kapf«

326 327
Briefe E 2 An Niethammer, 25.-27. Juli 1794

Anwendung bei vorgestellten Dingen erwartet er durch Be-


E2 stimmungen, die das Subjekt in der Reihe der Vorstellungen
Immanuel Carl Diez, Wiirzhurg wahrnehmen kann, nicht hervorbringt. Diese Bestimmung oder
Freitag, den 25., und Sonntag, den 27. Juli 1794 das Merkmal derselben in objektive Sukzession mit Kant zu
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena 5 setzen, gehet nicht an, und dies aus dem Ulrichschen Einwurf6
(ni fallor), daE die Tone a, b, c objelctiv folgen, ohne daE a
Ursache von b pp. ist. Ich zweifle deswegen aber keineswegs,
Wiirzburg, den 25. Juli 1794 daiS Sukzession in den Begriff hinein muE, nur weiE ich die
Einschriinkung nicht zu finden, die herein muK
Du machst mich sehr begierig, lieber Niethammer, auf Deinen 10
niichsten Brief, da er rnir die Aufschliisse tiber Dein ki.inftiges Fur Reinholds Brief? danke ich und wi.insche bald ein detto
Schicksal 1 geben soil. Die Adresse will ich Dir sogleich sagen: 5 da- oder anderswoher. I 2/3
an Doktor oder Magister Immanuel Carl Diez in Tiibingen.
Denn in der niichsten Woche werde ich von hier abreisen und Zum neuen Landsmann8 gratuliere ich von Herzen. Ich wtinschte
tiber Mainz 3 pp. nach Hause rei sen. Erfreue mich doch immerhin 15 von ihm und von HaufP9 mehr durch Dich zu erfahren. An
mit Deinen Nachrichten von und aus Jena, tiber Philosophie Doktor Jiiger 10, der mit mir in Bamberg war, wirst Du ebenfalls
und Nicht-Philosophie. Was Du rnir von Fichte schriebst, war JO einen kennenlernen, der Achtung verdient. Erweise ihm, wo
mir, so wenig es auch war, angenehm. Ich erwarte, daiS Du Du kannst, wannb sein Belieben dahin stehet, etwas Angenehmes.
mir sein Programm und sein Kompendium nach Tiibingen Er hat durch Giirtner 11 pp. zwar schon einen Zirkel, aber bei
schickst. 2 Ist das Studieren nicht vergonnt, so ist das Degustieren 20 allem dem magst Du ihm noch manches tun konnen. GrtiEe
doch noch erlaubt, und darin denke ich doch immer Rich- mir beide.
tungslinien fur neue Meditationen und Erneuerung des Medi- IS
tierten zu fmden, die ihren Nutzen haben. Vom Ich auszugehen Lebe wohl
und dies als das Fundament anzunehmen, scheint mir der beste
Weg zu sein. 3 Und wie Logik pp. dieser Ich-Lehre4 erst folgen Dein Dz.
mi.issen, ist mir eben daher sehr begreiflich. Aber die Lebre
I/2 von den Gegenstiinden I auEer uns bloE ins Gebiete des Glau- :20 Klett hat mir nicht geschrieben und ich ihm nicht, schick Deinen
hens zu verweisen5, scheint mir der Notwendigkeit zu wider- Brief an ihn. Den Brief nach Leipzig 12 besorge bald.
sprechen, in die das Ich ( das so mancherlei Gedankenformen
und in den dadurch bestimmten Gedanken einen so gro!Sen JO Den 27. Juli. - Noch etwas fur Deinen Bruder 13 . Ich sprach
Spielraum hat und oft so viele Freiheit ausi.iben kann, oft so mit dem jungen Chirurg[us] 14, den ich Deinem Bruder nannte,
sehr gebunden ist) in Ri.icksicht des Vorgestellten so oft versetzt :25 was er zu tun gehabt hiitte. Er sagte mir, dcill er bei den
wird. Freilich mag der Satz der Ursache, der nun zu Hilfe Collegiis, im Clinico und Accouchemene 5 ofters hiitte aufschrei-
genommen wird, wiederum subjektive Form sein, aber seine

a Orig.: »Hauf«
a Orig.: »Maynz« b hi er un
. Sinne von »Wenn«

328 329
Briefe E 3 An Niethammer, 10. August 1794

ben miissen, immer zu Kranken und bisweilen auch zu Pro-


fessoren geschickt worden sei. Gehe einmal mit Jager zu Rate E3
und frage ihn, ob es ratlich sei, daiS Dein Bruder suche, an Immanuel Carl Diez, Wiirzhurg
3/4 Dietrichs Stelle j zu kommen. Sage ihm dabei, daB Professor Sonntag, den 10. August 1 794
Siebold 16 als ein Sparefankela 17 mir vorkomme, aber vielleicht 5 An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
doch ftir Deinen Bruder auf diese Art niitzlicher werde. Dann
wird er auch nicht wohl in der Biittnergasse logieren konnen, Lieber Niethammer,
und Dietrich vergaE ich urn das seinige zu fragen. Dein Bruder
mag daher seinen Brief an Biichsner 18 schreiben, wie es vorher heute setze ich meinen Wanderstab weiter und will Dich und
geschehen ware, aber er adressiert ihn an Hehl 19 (bei Chir- 10 Deinen Herrn Bruder 1 nur noch benachrichtigen, daiS ich nach
urg[us] Wirth 20, der Koppischen Apotheke gegeniiber), und 5 Augsburga geschrieben habe2 und die Antwort nach Ti.ibingen
dieser behalt ihn zuri.ick, wenn Dietrichs Logis und Kost besser erwarte. Hier3 kann er bei Chirurgus Muller bei der F1eischbank,
ist. welche dem Spitale weit naher ist, Logis und Kost urn (beinahe)
gleiche Preise wie bei Herrn Biichsner erhalten. Er fodert fur
Nach Briefen, die von Jager inzwischen angekommen sind, 15 den Mittagstisch nur 13 Kreuzer, das Logis, glaube ich, mit
wird er nun in Jena sein. Ich riet ihm, sich durch Dich, wenn 10 Bett monatlich einen Gulden. Der Kost macht sein abgehender
es angehet, an Euren Tisch ftihren zu lassen. 2 1 Tue es, so Du Antezessor Ehre, aber das Logis scheint kalter Natur zu sein.
kannst und er mag. Auch empfahl ich ihm Deinen Bruder, Er kann aber, so es ihm beliebt, auf der Wohnstube sein Wesen
nach der Haushaltung zu sehn. Mache ihm moglich, diese Dien- treiben. Ob er den Famulus des jungen Siebolds 4 machen will,
ste anzubieten und zu erzeigen, so Du willst. 2.0 weill ich nicht. An die Gehilfen im Spital habe ich ihn vorziiglich
15 empfohlen. Herr Brandner, der medizinische Gehilfe, wird ihm
22
Lebe wohl. Ich dubitiereb wieder, ob ich nach Mainzc gehen gerne alles Angenehme erweisen, aber ich glaube, auch Weichlin,
soli. Loder habe ich nichts davon geschrieben. 23 Lebe wohl. der chirurgische Obergehilfe, wird ihm nicht nachstehen. 5

Dein Dz. 25 Ob er heber nach Wien gehen soli, kann ich nicht entscheiden.
zo In chirurgischen Fallen kann er viel sehen und wenigstens
Ich habe nicht mehr Raum, Loder wegen des gro/Sen Ein- durch Lektiire dabei viellernen, auch im Verbinden, fast mochte
schlusses urn Verzeihung zu bitten.Z4 The es, so Du Gelegenheit ich sagen, soviel er will, sich selbst dabei i.iben. Der anatomische
hast. Der Reinholdsche Brief folgt inl[iegend]. Bald ein dito. Kursus wird ganz gelehrt und ist frei. Urn sein gutes Geld
kann er auch alles unter guter Anweisung selbst praparieren
25 (die Preise mag ihm der junge Siebold sagen6).

Dies ist mir, der ich Wien nicht kenne, der Vogel in der
Hand. Den Vogel auf dem Dache wollen nicht aile loben,
3
Var. : »Sparafankel«
b Var. : »debitiere«?
a 0.
c Orig.: »Maynz« ng.: »Augspurg«

330 331
Briefe E 3 An Niethammer, 10. August 1794

wie danna erst neuerlich einer denselben in der Salzburger Mir vergessen Sie nicht die Papiere nach Thbingen, und der
Zeitung7 schrecklich heruntergemacht hat. Inzwischen hat mir Fanger der Hirsche - zu deutsch der Hirschfanger 15 - mag in
ein artiger Mann in Bamberg, der sogenannte Sonnenbader8, allweg 16 Ihre Lenden giirten und Sie hieher begleiten.
das Institut sehr gelobt, und ich vermute, des Salzburgers
I/2 unerachtet, daE viel da zu lernen I ist, und folge Iieber dem 5 5 Leben Sie wohl
Sonnenbader, kann mich deswegen aber eben doch nicht be-
reden, den Vogel auf dem Dache in meinen Handen zu wahnen. Ihr Diez.
Das Accouchement9 ist hier nicht weit her, was das Praktische
betrifft, aber der Unterricht am Phantom und vom Buche PS An Dich. - Die bewu.Ete Geld-Konnexionen nach Wien
soli gut sein. 10 10 wirst Du auch wohl bedacht haben. - Hieher kann Dein Bruder
an Herrn Hehl bei Chirurg[ us] Wirth schreiben, was er zu
Spreche mit Jager driiber und grii.Ee mir ihn herzlich. Gele- schreiben hat.
genheitlich bitte [ich] ihm zu sagen, da.E Lieben und Schatzen
eines Freundes nicht eines sei mit Nutzen und Vergniigen von
einem haben, dabei aber per accidens zusammentreffen konne, 15
und dies En' autO<pWQ<:pbiO zu zeigen.

Heute gehe ich nach Mainzc. 11 Lebe wohl, grii.Ee mir Deinen
Herrn Bruder. Schreibe mir nach Thbingen, Du und Jager
sogleich und beide viel. Ich bin in Eile 20

mit Weile Dein Dz.

Wiirzburg, den 10. August 1794


25
PS 12 Kommen Sie nach Bamberg, was Sie auf jeden Fall tun
miissen, so wenden Sie sich an den Herrn Sonnenbader Scheu-
ring13 und grii.Een Sie mir ihn und seine Frau und aile seine
Freunde mit der Bitte - die Sie hiemit urkundlich vorlegen
mogen -, Ihnen alles Angenehme zu erzahlen. Gehen Sie nach so
14
Wien, so wird dieser die besten Nachrichten und Adressen
Ihnen mitgeben konnen.

a hier im Sinne von »denn«


b Orig.: »E:n:' atn:ocp6Q<.p«
c Orig.: »Maynz«

332 333
Briefe E 4 An Niethammer, 3. Oktober 1794

mit Fragen importuniert, aber zum Gluck mischt die Sage Sa chen
E4 mit ein, die man herzhaft widersprechen und an die man aliein
Immanuel Carl Diez, Thhingen sich halten kann. Ich wiinsche, da.B die Exemplarell, die ich
Freitag, den 3. Oktoher I 794 ihm nach Schorndor£1 2 schickte, ihn noch treffen. Wie alles
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena 5 gesiegelt war, mu.Bte ich noch ein Zettelchen einschieben: Bitten
Sie Niethammer, Gottling sein Exemplar zu geben. Willst Du
doch eins, so kann es hernachmals geschehen.
Ti.ibingen 1, den 3. Oktober 1794
Die Schwabische Aussprache habe ich nicht wieder angenom-
Lieber Niethammer, 10 men, zur I gro.Ben Billigung mancher, da ich auch nicht sachsisch, I /2
sondern blo.B korrigiert rede. Kein ,saacht" statt ,sagt", aber
,Wie geht Dir's?" Meiner Seel', diese Frage zu beantworten, 5 ,ist" statt ,ischt"! Und es behagt mir hier, wenn es gleich nicht
mu.B ich Dir den H[ ufeland] schena Brie£2 offen schicken. Ver- zuschlagt 13 •
siegle ihn, wenn Du ihn gelesen hast, und wenn Du ihn sprichst,
so frage ihn urn den Inhalt, als warest Du an ihn verwiesen 15 Wenn Batsch empfmdlich ist, da.B ich die Mitgliedschaft seiner
und hattest nichts gelesen. Schreibt mir der bose Mann auch naturforschenden Geselischaft 14 nicht auf meinen Titel setzte,
hieher nicht, was ich ihm dann wahrhaft iibelnehme, so hore 10 so sage ihm, da.B den Titel der Dissertation ich besorgte, das
ich bei dieser Gelegenheit seine miindlichen Antworten viel- Diplom Storr 15 . Mir hatte man den Titel fUr Wind ausgerechnet,
leicht durch Dich. Storr lie.B ich ihn setzen. Wenn ich das Ganze fertig habe, so
20 werde ich ihm schreiben, aber auch auf dem Titel des Ganzen
Zusatze sind, da.B ich mich von meinem Vater nun werde zum den Titel weglassen, weil - ich nicht Wind damit machen kann.
Spitalarzt3 machen lassen ( ohne offentliche Autorisierung) und 15 Oder soli ich's doch tun?
den Leuten zu Ehren, vielieicht aber zur Unehre vor ihnen
mit dem Anfang des halben Jahres vielieicht werde einen Ver- Die Tone a, b, d 6 kannst Du schlechterdings nicht umkehren,
such machen, Koliegien zu lesen. 4 25 ohne die objektive Sukzession zu verlieren, so wenig als die
Delle im Kissen und den Druck der Kugel. Das unterscheidende
Es soli mich freuen, wenn wir mit der Zeit in Priil[elctions}zettel 20 Merkmal dieser Fi:ille gib an, und zeige seine Brauchbarkeit.
kommen5, und ich bin begierig, die weiteren Aufschliisse Deines
Schicksals zu horen. Ich und Reinhard 317 haben uns alier Wahrscheinlichkeit nach
JO ganz verfehlt. Bezeuge ihm mein groBes Bedauren.
6
Paulus hat mir blo.B Hefte von H[ ufelandr gebracht, aber
kein Programm, kein Kompendium von Fichte 8 und keine Ab- 25 Jager, wenn er noch da ist 18, grii.Be mir herzlich. Das Essen
handlung von Dir9. In Stuttgart habe ich ihn und die Frau mit Fichte dachte ich mir tunlicher. 19 J[ager] riihmt Deine
Base 10 gesprochen. tiber letztere wurde ich schon schrecklich Freundschaft und bezeugte hieriiber, da.B er bei seinen Grunden

3
»Hufelandschen«? a Orig.: »Reinhardt«

334 335
Briefe E 5 An Niethammer, 6. Januar 1795

contra urn so eher von diesem Vorschlag, den ich auch ihm
machte, abgestanden hatte, als Du seine Winke von ferne her E5
in dieser Sache nicht verstanden hattest. Immanuel Carl Diez, Tiihingen
Dienstag, den 6. Januar 1795
Fur Deinen Bruder erhielt ich von A[ ugsburg] keine guten s An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
Nachrichten. 20 Aus ist's. Empfehle mich besonders Schiller.

Von Klett erhielt ich vor ein paar Tagen eine salutationem zum Ti.ibingen, den 6. Januar 1795
regressus in patriam, der ibm von Dettingen, wo ich auch schon
war, aber spater gemeldet wurde? 1 10 Lieber Niethammer,

Lebe wohl und schreibe bald und viel. 5 so stehst Du danna an der gelehrten Spitze 1 ; ich wiinsche, da:B
alles mit Ruhm und Ehre und Geld recht gut gehen moge.
Dein Dz. Die Avertissements2 babe ich zerstreuet und werde ferner fur
sie bemiiht sein. Sorge Du, da:B Heerbrandt bald ein Exemplar
erhiilt, das bei ibm fur meine Lesegesellschaft3 bestellt ist. Ein
10 andersmal mehr von dieser. Schelling4 , den ich nicht in Deinem
Namen aufforderte, hat keine Lust, etwas einzuschicken. Willst
Du, da:B ich weiter avanciere - ich lie:B ihn eben deswegen
nochmals zu mir kommen -, so benachrichtige mich hievon.

15 Ich lege Dir noch einen Brief bei, offen, teils wegen des
Ausgreifens der Siegel, teils da:B Du selbst den Inhalt einsehen
und weitere Sorge tragen kannst, wenn Seidler mich abfahren
liifSt5. Ein Gabler6, ein VogeF sind auch noch Manner, die
angegangen werden konnen. Eine baldige Nachricht zu ver-
20 schaffen, kann kein philosophisches Journal Dich hindern, Dei-
nem Freunde,

Dein Freund, Dz.

• hier im Sinne von »denn«?

336 337
Briefe E 6 An Niethammer, 1. Ha.Ifte Februar 1795

Von Augsburga habe ich durch den Oberst-Lieutenant Faber5


E6 keine bessern Nachrichten fur Deinen Bruder erhalten. 6 Dein
Immanuel Carl Diez, 'llibingen Journal7 haben wir noch nicht. Wenn Heerbrandt l langsame J/ .2
1. Halfte Februar 1795 Spedit[ion] hat, so schicke es durch andere Wege. Forberg soli
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena 5 mir die Recbnung machen und die Fortsetzungen von Fichte
per extra an Doktor Weise 8 schicken. 9

[Thbingen 1795] 1 Nil novi ex Jena! Posselts Annalen 10 fmden hier mehr Beifali
als die Horen u, den en der dritte Aufsatz und der zweite 12 alles
Lieber Niethammer, 10 verderbt hat. Auch will der vierte, den ich gut finde, nicht
behagen, vermutlich wegen des Kontrastes mit Schiller, dem
das, was dem andern in der Reihe der Erscheinungen vorhergeht, 5 sie iibermii/Sigen Beifali schenken. Der vierte ist gut, aber die
ist Ursache.a Objektive Sukzession gibt man als das Merkrnal der andere ( 1., 3. ) taugen nichts, und ein gewisser Herr von Gotha 13 ,
Erscheinungen an, welche sich unter den Begriff der Ursache der die Fata und Schicksale des jungen Baron von Werthers
subsumieren lassen. Allein der Ton b folgt auf den Ton a, auf 15 geschrieben hat, soli Autor sein.
jenen c in objektiver Sukzession, und doch wende ich den Begriff
nicht an. Der Verteidiger sagt rnir: Zwar folgen die Tone objektiv 10 Lebe wohl.
aufeinander, aber au/Ser der Reihe (der Tone) ist der Spielende
zu setzen, der in der Zeit friiher zu setzen ist. Schlecht geantwortet! Dein Dz.
Der Spielende ist zwar vor den Tonen, aber auch ein Ton vor 20
dem andern. Wo ist das neue Merkmal, das mich leitet, wenn ich Eben erhalte ich Deinen Brief. Der Ausweg ist schon getroffen.
das Warmwerden des Steines und den Sonnenschein in das Kau- 15 Heerbrandt hat es gerne angenommen. 14 Die Anzeige im In-
salverhiiltnis setze? Auch schlecht geantwortet und schlecht ge- telligenzblatt ist von rnir. 15 - Ich will Cotta 16 auch ein Exemplar
fragt! Denn die Sache beim Licht besehen, darf man nicht sagen, ansagen, denn dies wird er, hoffe ich, nehmen. Doch nein! The
die Tone a, b, c folgen aufeinander in der Reihe der Erscheinungen. 25 es nicht ft.ir mich. Er muE es fur sich und Du kannst es fur
Sie sind zwar die aufeinanderfolgenden Tone, aber in der Reihe Dich tun. Schicke es bald.
der Erscheinungen wechseln die Manouvers des Musikus, seine 20
Vorsteliungen und die Tone. Man muE innere und au/Sere Er- Dein Dz.
fahrung zusarnmennehmen, und nun zeigt sich's, daiS man beim
Warmwerden und Sonnenschein nicht ein weiteres Kriterium
braucht als objektive Sukzession, wohl aber (in jenem Fall) es zu
friihe angewandt hat. 2 25

Statt des EUQYjX.a3 ( das in meinen Ideen zutrifft) rufe ich Dir
4
noch einen GruiS zu und die Bitte, dies an Hufeland abzugeben.

a Moglicherweise ist der erste Satz gestrichen. a Orig.: »Augspurg«

338 339
Briefe E 7 An Niethammer, 2. April 179 6

welche sie fra~en 5 , und es kann daher seina, da~ ein Emeticum
E7 vom Vater das im Kragen steckende Berlin ganz auswirft:, urn
Immanuel Carl Diez, Wien alle Unannehmlichkeiten zu verhiiten. Aber oft ist mir der Ge-
Samstag, den 2. April 1796 danke unertraglich, und ich meine, ich I musse die Tour noch I/2.
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena 5 machen, sollte es auch mit dem Bettelstabe sein. A propos,
macht der Herr Bruder6 nicht Gesellschaft? Er war wohl noch
nicht in Berlin, und zweifelsohne steht sein Sinn auch dahin.
Wien, den 2. April 1796 Schreib Er mir doch ein Wortchen dariiber.

Lieber Niethammer, 10 Nachstens werdet Ihr einen andern Landsmann vielleicht bei
Euch sehen, den Herrn Magister - Nase. Er wollte uber Re-
schon lange 1 stund der reumiitige Fasching vor dem Beichtstuhle 5 gensburgb, Miinchen zu Hause reisen, aber die Kraft unserer
der Fasttage und deprezierte die Unterlassung der Schreiben Eloquenz hat ihn Prag pp. vorziehen gemacht. In einigen Wochen
nach Jena, aber erst mit dem Ende der Osterfeiertage wurde wird er abreisen und dann wahrscheinlich bald bei Euch sein.
endlich der Sieg erhalten, der den alten Sauerteig fortschaffte. 15 Mit ihm kam hier Heigelin8 an, der vor Monat und Tag (Jahr
Ich kann Dir nicht sagen, wie oft und wie lange her ich Dir und Tag) nach Hause gereiset ist. Magister Baiger9, der seit
schreiben wollte, aber immer erlahmte der Vorsatz, und itzt, 10 zehn his zwolf Jahren hier war, hat von der Polizei das consilium
da ich ihn endlich geltend mache, mu~ seine Ausftihrung be- abeundi erhalten. Hensler 10 dichtet fort und hat sich eine Lage
schleunigt werden, weil wir gehen, das Schiff zu bestellen, das erdichtet, wie manche Dichter wohl nur eine dichten konnen.
uns vielleicht morgen fortftihrt, gottlob nicht nach Hause, son- 20 Camerer 11 ging lange auch mit Schreiben an Dich urn, aber
dern nach Pre~burga. 2 Es ware unverantwortlich, in dieser Nahe nun glaubt er, werde der Pfeffer stinken, da die Mittagsstunde
nicht etwas von einer fremden Nation zu sehen, und daher 15 vorbei sei, wo Gratulationen et similia gemacht werden. Er
entschlossen wir uns, den ungarischen Wein, den wir ad ex- riihmte mir Deine Freundschaft und empfiehlt sich Dir nebst
pellendas febres nervosas 3 hier taglich trinken, ein paar Tage Jager (und Hehlc) 12 . Hiemit habe ich Dir von Landsleuten hie-
auf der ungarischen Grenze zu trinken, und hier uns des ge- 25 sigen Orts geschrieben, was Dich ungefahr interessieren kann.
genwartigen schonen Wetters zu freuen. Diese Antizipation liiJ~t Und nun von den Bekannten jenseits! Es freute mich sehr zu
Dich schon sehen, da~ Du von einer Relation ex post nicht 20 horen, da~ der Renzische Miirklin 13 in Jena ist, weil der Flug
viel zu hoffen (hast] , und ich also besser tue, itzt zu schreiben. iibers Meer hier gewi~ von keinem Genferd geschehen ist 14 •
Ich bin begierig, von Dir etwas iiber ihn zu horen. Erinnert
Was ich eigentlich Dir zu sagen habe, ist mein Wunsch, von 30 er sich meiner im Guten - Du kennst das Verhaltnis des Ex-
hier Euch in Jena besuchen zu konnen. Berlin steckt mir gar repetenten -, so gru~e mir ihn. Freund Goritze ist also wieder
zu sehr - im Kragen4 , da ich die Wien-Stadt nun so ziemlich 25
genossen habe. Freilich machen die verschlungenen Stiidte a »sein«? »Seben«, moglicherweise in »seyen cc verbessert?
Bauchgrimmen mehr als allen Propheten die heiligen Bucher, b 0 ng.:
. »Regenspurg«
c »Hehlcc?
d »Genfer«? Var.: »Ganser«?
a Orig.: »Presburg« e Orig.: »Goriz«

340 341
Briefe E 7 An Niethammer, 2. April 1796

in Jena, als studierender oder genie~ender Hofmeister? Wird Wann• Du von Reinhold keine Briefe erhaltst, so darfst Du
er zur Krippe zuriickkehren oder derverblendeten Gerechtigkeit Dich nicht wundern. Er hat, wie Meisl mir sagt23, nun sehr
nachgehen? 15 Von P[aulus] und Sch[iller] schreibst Du mir gar viel zu tun mit Schmausereien, Anreden, Vorlesungen, die er
I
-4/3 nichts. Ein Anonyrnus unter meinen Bekannten hat ein Mad- einem hohen Adel halt, und bildet sich ganz zum Weltmanne.
chen, welches der Paula 16 auf ein Haar gleicht. Sie ist eine s 5
Polakin und tut treffliche Dienste. Mehrere ungemachte Fragen Kalmann 24 ist ferne von hier, Wirtschaftsbeamter auf Purg-
kannst Du mir sponte beantworten. stallischen Gi.itern. Sein Handku~ fallt mir nicht mehr so auf,
seit ich die hiesigen Sitten gesehen habe, wo auch in dem
Deinen Brief an Wagner 17 habe ich ihm selbst zu Handen ge- Munde I jedes galant homme das dritte Wort ist: ,,ch ki.iss' 3/4
liefert, aber ihn inzwischen nicht und damals kurz gesehen, 10 10 d'Hand".
weil er mir zu sehr im Zahlen begriffen war. Er war freund-
schaftlich und dienstwillig, aber ihm ist seine und mir meine Wannb unsere Landsleute zuri.ickreisen, so werde ich ihnen
Zeit teuer, und so sehen wir uns nicht. Vielen Dank i.ibrigens ausdri.icklich aufgeben, Deinen Bruder, der inzwischen vielleicht
fur die Adresse. Meisl habe ich gefunden, und so selten ich nach Augsburg gekommen ist25, aufzusuchen. Ehmals war auch
zu ihm komme, finde ich mich doch allemal erholt. Er ist der 15 15 einer seiner Wtinsche, in das hiesige Gebarhaus aufgenommen
18
Rabe, der mich in der hiesigen Wtiste oft mit etwas speiset. zu werden, in der Hoffnung, gro~e Untersti.itzung da zu fmden. 26
Er hat personliche Zensurfreiheit und la~t sich daher manches Es ware zu erhalten gewesen, wannc er drei, vier Monate auf
19
extra kommen. Eben lese ich Erhards Apologie seines Arkesilas , seine Kosten hier gezehret hatte, und dann ware ihm ein Pliitz-
in der er den Herrn Rat Hufeland, seinen Gegner, strenge chen nebst einer Bettstatt mit Kotzen 27 pp. angewiesen worden
gekampelt20 hat, und nicht durchaus mit Unrecht. Aber was 20 20 und weiter nichts. Nati.irliche Geburten hatte er 50-60 in sechs
Vater Wieland bei diesen Aufsatzen eine komische Miene an- his acht Wochen machen und dann wieder abziehen konnen
nimmt! nach Erlegung der Summe von drei Dukaten. Du magst urteilen,
was er also verloren hat. Ich war auch aufgenommen, aber
Lotte Wieland 21 sah und sprach ich durch einen komischen ohne im Hause zu wohnen, und habe Juden- und Christenvolk,
Rencontre. Ich ritt mit einigen Freunden nach Stuttgart; im, 25 25 Ungarinnen, Slowakinnen, Schwabinn~n pp. entbunden und
NB Dettenhausef'l, Wald nahe am Gatter fuhr ein Wagen vorbei entbinden sehen. Die mancherlei Auftritte werde ich nie ver-
mit einem Herrn und Frauenzimmer. Mehr aus Raillerie als in gessen, und mir und Camerer wird der Weihnachtsabend immer
der Hoffnung, Lotte Wieland wirklich zu finden, ritt ich zum im Angedenken bleiben, wo wir nebst zwei andern beinahe
Wagen vorbei und fand zu meiner gro~en Verwunderung Lotte in einer Minute vier entbanden.
Wieland wirklich nebst ihrem Barenbei~er, Herrn Ge~ner - 3°
22
30

Ich ritt eine kleine Strecke weit mit und kehrte dann mein A propos, vielen Dank ftir den Gru~ der Madame Doderlein28,
Pferd wieder urn. deren Existenz schlechthin ich nie, sondern nur die Existenz
als Doderlein bezweifelte. Cape tibi hocF9

a hier im Sinne von »Wenn"


b hier im Sinne von »Wenn"
• Orig.: »Detenhauser« c hier im Sinne von »Wenn"

342 343
Briefe E 8 An iethammer, 10. Mai 1796

Zur Kritik der Religionsdogmatik.30 viel Gliick! Hast Du Volneys


31
Ruinen gelesen? Sie liegen noch ungelesen auf meinem Pulte; E8
[ich] habe aber im Sinn, sie wegen der Parallelen zwischen Immanuel Carl Diez, Wien
den positiven Religionen zu lesen. 32 Dienstag, den 10. Mai 1 796
j An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
Lebe wohl. Schreibe bald an

Deinen Dz. Wien, den 10. Mai 1796


Alster-Gasse Nr. 90
im zweiten Stock? 3 10 Lieber Niethammer,

5 von Herzen gerne schreibe ich Dir sogleich, weil ich es gerne
sehen werde, wann 3 ich Deine Zoglinge 1 begleiten kann, so wie
ich Dir von Herzen gratuliere, daB Du sie bekommen wirst. Vor
allem muE ich Dir den statum rerum erziihlen, wie er bei mir ist.

10 Abgesehen von dem Entrechat oder Zwischenpas 2, der durch


Deine Vorschlage gemacht wird, werde ich wahrscheinlich auf
das Spatjahr zu Hause reisen miissen. Den Monat weill ich
selbst noch nicht, aber im August oder September wird es,
wannb es geschieht, geschehen. Kann ich einen Umweg machen,
15 so wi.irde es wahrscheinlich iiber die Schweiz geschehen. Dazu
foderten mich okonomische Gri.inde auf, weil ich vielleicht -
Dir sei es ganz in der Stille und im Vertrauen gesagt - ein
Comptoir der Salzburger Zeitung, wie eines in Jena ist, in
Thbingen errichten wiirde, was mir auf meiner Hieherreise
20 chon angeboten war. 3 Aber diesen Plan wiirde ich aufgeben
oder ihm nicht dies Opfer bringen, wannc ich eine ordentliche
Reise nach Berlin4 machen konnte. Du wunderst Dich vielleicht
iiber diesen Leichtsinn, aber - stat sententia, und damit fur
diesmal genug. Dies konnte nun moglich werden, nicht wannd
:25 Deine junge Herren gelegenheitlich mit mir reisen wollten,

a hier im Sinne von nwenn«


b hier im Sinne von nwenn«
c hier im Sinne von nwenn«
d hier im Sinne von >>Wenn«

344 345
Briefe E 8 An Niethammer, 10. Mai 1796

sondern wanna ich nach Jena ihr bestellter Fiihrer wiirde. Ob DaE ich die Jungen mir aufs Herz gebunden ansehen wiirde,
dahin Deine und Herberts5 Wunsche gehen, weill ich nicht, brauche ich Dir nicht zu sagen, und dag ich hoffe, sie werden
112 aber nach Deinem Briefe I konnten sie dahin gehen. Remune- auf die Stimme ihres Fuhrers horen, versteht sich ebenfalls.
ration wiirde ich in diesem Faile keine erwarten oder keine
verlangen, als dag der Weg uber Prag und Dresden nach Jena 5 5
mit freien Reisekosten ginge. Dann glaube ich, fur mich auf Wirklich habe ich eine Relation uber einige Gegenstande der
einige Wochen nach Berlin gehen zu konnen, und damit wiirden medizinischen Polizei unter der Hand. Du weillest, dag man
meine Wunsche, wannh ich auf das Spatjahr nach Hause gehen etwas dieser Art auftragsweise bei meiner Abreise von mir
mug, so ziemlich erfUllt sein. verlangt hat. Ich beschrieb und beurteilte also den Herren
10 10 die hiesige Totenbeschau und schickte es im Februar oder
Es schimmert mir aber noch eine schwache Hoffnung entgegen, Marz ein. 9 Dies hat ihnen so ausnehmend gefallen, dag sie
dag ich vielleicht nachsten Winter hier noch ausharren konnte. mit Privatversicherungen ihrer Zufriedenheit sich nicht be-
Wurde ich aber Deine Jungen als bestellter Fuhrer (per caco- gniigten, sondern eigens ein Belobigungsdekret an mich er-
phoniam6) begleiten, so konnte ich alsdann Berlin mit Wien lieEen und noch mehr verlangten. Ich werde ihnen daher
vertauschen, und dies glaube ich fast fUr einen Gliicksstern 15 15 nachstens die Wienerische Fleischpolizei - Menschenfleisch
erster Groge nehmen zu mussen. ausgenommen - zuschicken. Du merkst Baume, daE ich ein
weiteres Reisegeld erhalten konnte, urn meinen Aufenthalt
Hier hast Du nun klaren Wein eingeschenkt und schon auf im Auslande zu - fristen. Zu Reisen und neuen Einrichtungen
mogliche Faile meine Antwort. Noch mehrere Moglichkeiten kann es aber unmoglich zureichen.
zu beantworten, setze ich hinzu, dag, wannc ich nachsten Winter 20 .20
hier bleiben mugte, was ich kaum moglich denken kann, ich Kommt Meister Schelling zu Dir, so sage ihm, dag es zufilli-
vielleicht doch zu einer Reise mit Deinen Jungen (mich) ver- gerweise mir gegluckt habe, seinen Bruder10 zu sprechen. Ein
stehen konnte. Ich hatte dann den Hinweg fUr den Herweg. seltener 'frieb nach Neuigkeiten ftihrte mich im Vorbeigehen
in unser Gesandtschaftshaus und da horte ich, dag Schelling
Ferner fragt es sich: Kommen die Jungen hieher, oder miiEten 25 .25 da gewesen sei und vielleicht noch da verweile. Ich flog in
sie in Klagenfurtd abgeholt werden? Zu dem letzten wurde ich die Gumpendorfer Kaserne, aber der Vogel, den ich suchte,
mich aegre entschliegen, so lieb es mir auf einer Seite ware, war ausgeflogen. Ich suchte ihn in den benachbarten Wirts-
das Herbertsche Haus 7 auch kennen zu lernen. Bei der geringern hiiusern, aber vergebens. Ein hinterllassenes Billet brachte ihn 3/ 4
Bekanntschaft aber mit diesen Leuten spricht auf der andern dann doch noch zu mir. Zufalligerweise kam Nast noch dazu,
2/3 Seite I ein gewisses ,,gnoti nulla cupido"8 sehr laut und gibt 3° 30 und so waren wir mit Herrn Leibchirurgus Frank 11 zu vier
vernunftigen Grunden, die eine solche Exkursion verbieten, Landsleuten einen Nachmittag und Abend zusammen. Er ist
erst ihr Gewicht. gesund, noch gerne Soldat und hofft, nach Italien rucken zu
diirfen. Hieher brachte ihn blog ein Rekrutentransport, den
a hier im Sinne von »Wenn« er hieher mit acht andern liefern mugte.
35
b hier im Sinne von »Wenn«
c hier im Sinne von »wenn« Jn Italien sieht es schlecht mit uns aus." Die Feinde sind
d Orig.: »Klagenfurth« nur noch drei Stunden von Pavia, wie man sagt. Ein Studiosus

346 347
Briefe E 8 An Niethammer, 10. Mai 1796

daher vom 29. April schreibt., daE die Regierung in Mailand (PS Die Pavianer Studenten waren vorher den eingebrachten
die Universitat in Pavia formlich geschlossen habe, mit dem franzosischen Gefangenen entgegen- und Arm in Arm mit ihnen
1
ausdriicklichen Befehl, daE sich aile Studenten, sowohl Lan- eingezogen. Das war freilich sapienti sat!?
deskinder als Auslander, sobald als moglich aus dieser Stadt
entfernen mochtenY Die Ursache sei MiEtrauen in die stu- s
dierende Jugend. Vielleicht ist es Herrn Rat Hufeland 13 nicht
unangenehm, diese Nachricht bald zu horen. Zu Prag wur-
den aus ahnlichen Grunden erst zwei Mediziner fortgeschickt,
wie aus dem Munde des hiesigen Polizeiministers erfahren
wurde. 14 10

Mit Meisl habe ich noch nicht gesprochen. Ich konnte zwar
vor dem Schlusse des Briefs noch in die Stadt eilen, aher
derlei Sachen lassen sich nicht iibers Knie abbrechen.
15
In PreEburg• 15 sprach ich neulich Liedemann, mit dem wir
immer zusammen waren. Er geht mit dem Gedanken urn, eine
Landwirtschaft zu errichten und den Kirchenrock mit dem
Pflug zu vertauschen. Er schickte Reinhold wieder einen Lands-
mann zu, durchaus der alte und also auch noch der Deinige. 20

Jager, Hehl, Camerer sind abgereiset. 16

Den BriefnachK[lagenfurt]b17 gab ich auf die Post, an W[agner]


iiberbrachte ich ihn selbst. Lebe wohl und schreibe nun, sobald 25
Du kannst., da Du siehst., daE ich begierig warte. Viele Emp-
fehlungen an Herrn Hofrat Ebers 18, griiEe Goritzc.
19
Von Nicolaisd MiEhandlung Schellings hatte ich gehort. Ich
30
bin begierig, Euch gekampelt20 zu sehen.

Dein Dz.

a Orig.: »Presburg«
b Orig.: »C[lagenfurt]«
c Orig.: ,Goriz«
d Orig.: »Nikolai[s]«

348 349
:rv.
Kommentar
1.
Kommentargruppe A:
Diez an Niethammer
A 1 An Gros, 25. April 1790

AI
Immanuel Carl Diez, 'Ilihingen
Sonntag, den 25. April 1790
An Karl Heinrich Gros, Ludwigsburg

Manuskriptbeschreibung

Standort: UBT, Md 329.


Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hohe X Breite):
21,5 X 17,6; Rander beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Papierfarbe:
chamois.
Tinte: dunk.elbraun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 4 von 4.
Besondere Bemerkungen: Papierqualitat entspricht der von B 1.

Kommentar

Zu diesem Brief vgl. auch die Erlauterungen des Begleittextes


Die symholischen Bucher (VI 2), S. 970-977.
1 Diez hefand sich im Fri.ihjahr 1790 ftir langere Zeit auEer-
halh des Stifts (vgl. A2/ 3). Einige Tage, mindestens vom
25. April (Datum des Briefes) his zum 30. April (Datum
von Si.iEk.inds Abreise nach Gottingen (vgl. C 1/ 1)), hielt
er sich in seiner Gehurtsstadt Stuttgart auf. Dort, wo seine
GroEeltern vaterlicherseits und mi.itterlicherseits ansassig
gewesen waren und sein Vater Carl Philipp Diez his 1767,
ehe er nach Thhingen ging, als Arzt praktiziert hatte, lehten
zahlreiche Verwandte (vgl. D 3/ 69 und den Entwurf zu
einer genaueren Verwandtschaftsi.ihersicht (Ms., Archiv des
Jena-Projekts)).
2 Karl Heinrich Gros (/') (1765-1840), dessen Name unter
dem Datum des 27. Oktoher 1781 in die Matrikel der Uni-
versitat Thhingen eingetragen ist (M'lli Nr. 38040 S. 305),
studierte seit 1783 im herzoglichen Stift und war Primus
der Magisterpromotion von Diez. Schon zum AhschluE sei-
nes Magisterstudiums reichte er einen ,Entwurf einer Pri.i-

355
Kommentar zu den Briefen A l An Gros, 25. April l 790

fung des Kantischen Systems" als Specimen ein. (Vgl. das in der er Konsulent der wiirttembergischen Landschaft war,
gedruckte Magisterprogramm der Universitiit Tiibingen von ein Amt, das er nach seiner Verwicklung in den Hochver-
1785.) Im April 1788 war er in die Dienste des Prinzen ratsprozeE Sinclairs und einer Verurteilung zu Festungshaft
Friedrich Wilhelm Karl (des Alteren) von Wtirttemberg niederlegen muEte (vgl. unter anderem StA VII,2 S. 317-
getreten und war als Sous-Gouverneur mit der Erziehung 320, S. 318 Z. 57-70)) war er Professor ftir Rechtswissen-
der heiden Sohne des Prinz en, Friedrich Wilhelm Karl (des schaften an der Universitat Erlangen. Daraufhin kehrte er
Jiingeren) (1781-1864), des spateren Konigs Wilhelm I. als Prasident des wiirttembergischen Kriminaltribunals nach
von Wtirttemberg, und Paul (1785 -1852), betraut. Nach Wiirttemberg zuriick, wo er spater zum Mitglied des ko-
langem Aufenthalt im Ausland kehrte der Prinz Anfang niglichen Geheimrates aufstieg. Zu seinen wichtigsten Pu-
April 1790 nach Wtirttemberg zuriick, urn sich in Lud- blikationen zahlen: Meditationes quaedam deJusto philosophiae
wigsburg, der nach Stuttgart und Hohenheim dritten Re- usu in tractando jure Romano, Erlangen 1796; De notione
sidenz Wtirttembergs, auf die Ubernahme der Regentschaft poenarum forensium, Erlangen 1798; Lehrbuch der philoso-
vorzubereiten, die er dann 1797 antrat. Hier lebte Gros phischen Rechtswissenschaft oder des Naturrechts, Ti.ibingen
als Mitglied des Hofstaates, his er als Folge eines Zerwiirf- 1802 (in mehreren Auflagen). Bereits 1795 erschien im
nisses mit dem Prinzen tiber die Erziehungsgrundsatze im 8. Heft von Schillers Horen sein Aufsatz ,Ueber die Idee
November 1792 den Dienst quittierte. (Vgl. Paul Sauer, Der der Alten vom Schicksal", S. 75-86 (vgl. NA27 S. 395). -
schwiibische Zar: Friedrich, Wiirttembergs erster Konig, Stutt- Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Gros der Empfanger der-
gart 1984, S. 29-124; zur Datierung von Gros' Ankunft in jenigen Briefe Johann Friedrich Flatts, die in der Univer-
Ludwigsburg vgl. den Brief Christoph August Kletts an sitatsbibliothek Ti.ibingen (Mi VI 2 Flatt, J F.) verwahrt
Niethammer vom 25. April 1790 (in Privatbesitz), S. 3; fur werden (nach miindlicher Auskunft von Dr. Friedrich Seck,
das Zerwiirfnis vgl. auch die Briefe Christian Friedrich Ttibingen, vom 25. Marz 1993; vgl. auch A 3/ 98 und Uber-
Schnurrers an Johann Eberhard Heinrich Scholl, Thbingen, lieferung von Diez' Manuskripten (V 2), S. 883 f.).
den 10. Dezember 1792 (S. 3; WLB Stuttgart, Cod. hist. 4o 3 Zum einen der sachliche Zusammenhang, zweitens die Tat-
295,41) und Schillers an Korner, Jena, den 21. Dezember s~.che, daE der vorliegende Brief (A 1) und der Aufsatz
1792, NA 26 S. 170-172, S. 171, sowie auch die Beobachtung ,Uber die RechtmaEigkeit der Unterschrift unter die sym-
SiiEkinds, wonach Gros ,eben immer noch der alte Gros" bolischen Bucher" (B I) an einem gemeinsamen Fundort
sei, weshalb er, SiiEkind, einige von Gros' AuEerungen iiberliefert sind (vgl. die Manuskriptbeschreibung, S. 355),
,lieber miindlich als schriftlich sagen" wolle (C 12 S. 254 wohin sie drittens sehr wahrscheinlich gemeinsam in einem
Z. 1f.).) - Nach seinem Abschied begann Gros ein Studium einzigen Ubergabevorgang aus der Hand des Bibliothekars
der Rechtswissenschaften ab Herbst 1792 in Jena, das er Friedrich August Kliipfel gelangten (vgl. Uberlieferung von
vom Friihjahr 1794 an in Gottingen fortsetzte (vgl. E 1 Diez' Manuskripten (V 2), S. 884), machen es wahrschein-
S. 325 Z. 22ff., S. 327 Z. Sf. unclE 1/6,/19). Schillerschiitzte lich, daE es sich urn eben diesen Aufsatz von Diez handelt.
seine auEerordentliche Begabung, was in einem Brief an 4 Fur die folgende Argumentation vgl. Die symbolischen Bu-
Fischenich vom 11. Februar 1793 zum Ausdruck kommt cher (VI 2), S. 970ff.
(vgl. Schiller an Bartholomaus Fischenich, Jena, den 11. 5 Vgl. AS S. 61 Z. 6 und B 1 S.ll3 Z.l8.
Februar 1793 (NA26 S.187-189, S.189)). Von 1796 his 6 Vgl. B 1 S. 110 Z. 21 - S. Ill Z. 35. Eine deutsche Entspre-
1817 (abgerechnet eine Unterbrechung von 1802 his 1804, chung dazu findet sich in dem von Gottlieb Hufeland in

356 357
Ko=entar zu den Briefen A 1 An Gros, 25. April 1790

seiner Schrift Ueber das Recht protestantischer Fiirsten unab- Briefes zugrunde gelegen haben. Vgl. dazu Die symbolischen
anderliche Lehrvorschriften fistzusetzen und iiber solche zu hal- Bucher (Vl2), S. 972f.
ten, veranlaflt durch das preussische Religionsedict vom 9. Julius 15 Das Konvolut der Schriften von Diez in der Universitiits-
1788, Jena 1788, S. 26 f., gebrauchten Terminus ,.stillschwei- bibliothek Thbingen (Md 329) enthiilt auger den in der
gende Einwilligung der Unterthanen". Gruppe B wiedergegebenen Schriften und dem vorliegen-
7 Vgl. B 1 S. 110 Z. 21 - S. Ill Z. 35 und Hufeland, Ueber den Briefkeine weiteren NachlaEstucke. Ein Brief von Gros,
das Recht protestantischer Fiirsten (cf. A 1/6), S. 5-18. auf den Diez Bezug nimmt (,in Deinem Briefe", A 1 S. 9
8 Johann August Eberhard (1739-1809, Professor fur Phi- Z. 31 ), ist auch sonst nicht uberliefert. Ebensowenig lieEen
losophie in Halle, philosophischer Gegner Kants, Verteidiger sich Briefe aus der weiteren Korrespondenz zwischen Diez
der Leibniz-Wolffischen Philosophie ), ,Ueber die wahre und und Gros (vgl. E 1 S. 327 Z. 9) ausfindig machen. Vgl. auch
falsche Aufkliirung, wie auch uber die Rechte der Kirche Uberlieferung von Diez' Manuskripten (V 2), S. 883.
und des Staats in Ansehung derselben", in: ders. (Hrsg.),
Philosophisches Magazin Bd. 1, 1. Stuck, Halle 1788, S. 30-77,
S. 56. Diez zitiert Eberhard wortgetreu mit einer kleinen Abweichung.
Der Anfang des Zitats lautet im Original: , Wie liillt es sich aber den-
ken [...)".
9 Eberhard, ,Wahre und falsche Aufkliirung" ( cf. A 1/8), S. 61 f.
10 Vgl. Die symbolischen Bucher (Vl2), S. 975f.
11 Der Brief, auf den hier verwiesen wird, ist nicht uberkom-
men. Er war der Begleitbrief von Diez bei der Ubersendung
seines Aufsatzes ,Uber die Rechtmiilligkeit der Unterschrift
unter die symbolischen Bucher" (B 1). In ihm hatte Diez
offensichtlich bereits Erliiuterungen zu seinem Text gege-
ben, aber auch auf eine rasche Rucksendung des Aufsatzes
von Gros gedriingt (vgl. A I S. 7 Z. 5 f.; vgl. auch A 1/ 14).
12 Trotz des Plurals ,Bestimmungen" und ,Papiere" ergibt sich
aus Diez' Brief an Gros kein Hinweis darauf, dag Gros
auger dem ,zugeschickten Aufsatz" (A 1 S. 7 Z. 3f.), also
dem Text ,Uber die Rechtmiigigkeit der Unterschrift unter
die symbolischen Bucher" (B 1), von Diez weitere Texte
vorgelegt erhielt (vgl. A 1/3).
13 Zur Originalitiit der Diezschen Uberlegungen vgl. Die sym-
bolischen Bucher (Vl2), S. 97 4 ff.
14 Der Bitte urn Rucksendung mag nicht nur Diez' Wunsch,
seine Argumentation uber die Unterschrift unter die sym-
bolischen Bucher vollstiindig ad acta legen zu konnen, son-
dern auch Vorsicht angesichts des politischen Gehaltes des

358 359
Kommentar zu den Briefen A 2 An Niethammer, 9. Mai 1790

wonach Niethammer den EntschluE zu dieser Reise erst


A2 aufgrund der Zusicherung eines Stipendiums aus dem wurt-
Immanuel Carl Diez, 'llibingen tembergischen Kirchenfonds faEte, konnte aus den Quellen
Sonntag, den 9. Mai 1 790 nicht belegt werden (vgl. A 5/ 2). Der Text von Julius Doderlein
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena tiber Niethammer folgt der handschriftlichen biographischen Skizze Fried-
rich Philipp Immanuel von Niethammer. Dr. philos. u. theol. Geheim.
Rat u. Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Munch en, 1766-1848,
Manuskriptheschreibung (undatiert, jedoch, wie aus dem Text hervorgeht, nicht vor 1887 abge-
schlossen) von Adolf von Lupin, des Schwiegerenkels von Niethammer
Standort: Privatbesitz. (Original in Privatbesitz; vgl. dazu auch In Vorfeldern des Idealismus
Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hohe x Breite): (V 1), S. 834).-Zwar sind die genauen Daten von Niethammers
19-19,2 X 12-12,3; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 8°; Wasserzeichen;
Papierfarbe: chamois. Abreise und seiner Ankunft in Jena nicht ermittelt worden.
T!nte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 4 von 4; Faltung: quer von Sie lassen sich jedoch niiherungsweise angeben. So datiert
hinten nach vorne, dann liings. der fri.iheste Eintrag in Niethammers Stammbuch aus Jena
Besondere Bemerkungen: S. 4 unterhalb des Unterschriftski.irzels in Blei und vom 15. April (Henriette Schutz; NhSB 1. Ordnung Bl. 157r),
in deutschen Lettern: ,Diez".
und Heinrich Eberhard Gottlob Paulus erwiihnt in einem
Brief an Schnorrer vom 22. April 1790, daB Niethammer
,indess bei uns angekommen" sei (S. 1; UB Heidelberg,
Kommentar Heid. Hs. 858; der vorangegangene Brief Paulus' stammt
vom 19. April; cf. ebd.), so daB man die Ankunft Nietham-
1 Ein Privatstipendium, vermutlich des Stadtschreibers Jo- mers in Jena auf Mitte April ansetzen kann (vgl. auch Do-
hann Philipp Krais aus Beilstein, hatte Niethammer die derlein, Unsere Jlater, S. 20 (= Lupin, Niethammer, S. 12)).
Moglichkeit eroffnet, nach Jena zu gehen, urn dort seine Einer der heiden letzten Tiibinger Eintriige in Niethammers
Schwierigkeiten im Studium der Kantischen Philosophie Stammbuch ist von Diez am 23. Miirz (NhSB 1. Ordnung
zu i.iberwinden (vgl. Niethammer, Dissertatio inauguralis de Bl. 26v) geschrieben worden. - An der Universitat Jena
persuasione pro revelatione, eiusque stabiliendae modo rationis immatrikulierte sich Niethammer am 7. Mai 1790 (MJ). -
praeceptis consentaneo, Jena 1797, Dissertation aus AnlaE der Zu Niethammers philosophischer Position und deren Ent-
Aufnahme in die theologische Fakultat mit einer ausft.ihr- wicklung vgl. Cadi XI.
li~hen Selbstbiographie (unpaginiert, S. 7); Dieter Henrich, 2 Eine Person, welche entsprechend einer Bitte oder einem
,Uber Holderlins philosophische Anfange", in: ders., Kon- Auftrag eine Besorgung i.ibernimmt oder eine Bestellung
stellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der ideali- ausrichtet (vgl. SW IV, Sp. 594 (Art.: ,Kommissio 0 "); vgl.
stischen Philosophie (1789-1795), Stuttgart 1991, S.135- auch A 6 S. 44 Z. 31, A 9 S. 65 Z. 7f. und A 10 S. 75 Z. 5).
170, S. 144 und S. 277 Anm. 98; zur Entwicklung von Niet- - Wer damit gemeint ist, konnte nicht gekliirt werden. Da
hammers Jena-Pliinen vgl. auch A2/15 und A3/ 9). Die Diez jedoch entgegen seiner ursprunglichen Absicht, ,so-
Angabe in Julius Doderlein, Unsere Jlater. Kirchenrat Christo/ gleich mit Threm Kommissioniir zu antworten", nicht schrieb,
Doderlein, Oberconsistorialrat Immanuel von M·ethammer und ,weil" er nicht sofort ins Stift zuruckk.ehrte (vgl. den fol-
Hifrat Ludwig von Doderlein, Erlangen, Leipzig 1891, S. 20, genden Brieftext und A 2/3), di.irfte Niethammers ,Kom-

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Kommentar zu den Briefen A 2 An Niethammer, 9. Ma.i 1790

missionar" jedenfalls im Stift zu suchen sein. - Philipp heute) eine kleine Gemeinde, ftir die urspriinglich einer
Gottfried Camerer, der aller Vermutung nach Niethammer der Prazeptoren der Klosterschule als Seelsorger zustandig
solche Dienste erwies (vgl. den Brief vom 2. September war. Seit der Mitte des I8. Jahrhunderts war mit dieser
I790 (A 4), S. 33 Z. 7 - S. 34 Z. 8, insbesondere A 4/ 2), Aufgabe regelmaEig ein Vikar betraut. (Mitteilung von
hatte am I6. April I 790 vom Konsistorium eine Verlangerung Dr. Hermann Ehmer, Stuttgart, vom II. Marz I993.)
der zwei Tage vorher zu Ende gegangenen Vakanz urn vier 4 Johann Philipp Schmid (I 739 -I796), Rektor der ,schola
Wochen bewilligt bekommen (vgl. AEvSt, K. IV F.10,1 anatolica" (der Lateinschule) in Ttibingen, wurde 1790
(128), Vikariatsbefehle), hielt sich also moglicherweise An- Pfarrer in Wendlingen (GMB), nachdem er zuvor, wie bei
fang Mai gar nicht im Stift auf. Kaum in Betracht kommen Beforderungen iiblich, das Konsistorialexamen in Stuttgart
diirfte auch der Ephorus des Stifts Christian Friedrich abgelegt hatte (LKA Stuttgart, A 3, Konsistorialprotokolle
Schnurrer (.l') (1742-I822), der regelrnaEig mit Nietham- I790, S. 38). Diez rechnet offenbar mit einem Interesse
mer korrespondierte. Einzelne Briefe dieses Briefwechsels Niethammers an der freigewordenen Rektoratsstelle, scheint
wurden in die Korrespondenzen Schnurrers mit Heinrich aber davon auszugehen, daE Niethammer etwa von Klett,
Eberhard Gotdob Paulus und Niethammers mit Camerer der in Wendlingen Vikar war (vgl. A2/ 7), schon informiert
eingeschlossen (vgl. unter anderem Schnurrer an Nietham- war. Zur schola anatolica vgl. Leube I, S. 59.
mer vom 10. Mai I790 (S. I; DLA Marbach, 58. 449) und 5 August Friedrich Bok (I 739-18I5), ab I767 auEerordent-
vom 2. Juli I790 (S. I; in Privatbesitz)). licher Professor an der philosophischen Fakultat der Uni-
3 Diez war zuvor mehrere Tage in Stuttgart gewesen (vgl. versitat Tiibingen und ab I770 zudem Professor am Col-
A 1/I und C I / I). Die Daten seiner Abwesenheit vom Stift legium illustre in Tiibingen, lehrte von I775 an als ordent-
lassen sich nicht ermitteln. Da die Ostervakanz bereits am licher Universitatsprofessor praktische Philo sophie, Rhetorik
I4. April zu Ende gegangen war (vgl. AEvSt, Oekonomie- und Poetik. Mit der I775 zusatzlich iibernommenen Aufgabe
Archiv, Nr. I75, Amtsgrundbuch), muE es sich urn einen als Padagogarch der Lateinschulen ob der Steig iibte er
Sonderurlaub gehandelt haben. Diez, der am I9. Mai 1789 die staatliche Schulaufsicht iiber die Lateinschulen im Siiden
auf sein Gesuch vom I6. Mai I789 hin Vikar im Kloster und Siidwesten des Herzogtums Wtirttemberg aus. I777
Bebenhausen, wenige Kilometer nordlich von Thbingen, wurde er auch Universitatsbibliothekar. Zu seinen Verof-
geworden war, hatte zwar ( entgegen seiner Bitte) vom Kon- fentlichungen zahlen, neben seiner Geschichte der herzoglich
sistorium nicht die Erlaubnis erhalten, auEerhalb des Stifts Wiirtenbergischen Eberhard Carls Universitiit zu Tiibingen im
in seinem Elternhaus zu wohnen, doch waren ihm einige Grundrisse, Tiibingen I774, unter anderem die folgenden
Sonderrechte zuerkannt worden. Er wurde den heiden Schriften: Cogitationes philosophicae de evidentia in scientiis
SchloEpredigern (vgl. A I8/ 7) und dem Subbibliothekar theoreticis, Tiibingen I766, Betrachtungen iiber die Beweise,
(vgl. A 6/ 35) gleichgestellt, von Kirchenbesuch, Vorlesun- dafi ein Gott ist, ebd. I 768, und Dissertation en De difficultate
gen und Locus (vgl. A 5/ IO) dispensiert und durfte auf inveniendi in philosophia speculativa, ebd. I767, De limite
schriftlichen Antrag hin auEerhalb des Stiftes iibernachten o/.ficiorum humanorum seposita animorum immortalitate, 2 Bde.
und Reisen unternehmen (LKA Stuttgart, A29 Nr. 312,1; ebd. I790-1792, und Quaenam sensus habenda sit ratio in
AEvSt, K. IV F. IO,I (128), Vikariats-Befehle I786-1790, doctrina morum, 2 Bde. ebd. I795-1797.
Befehle vom I9. Mai und vom 30. Juni I789; vgl. auch 6 Karl Leonhard Reinhold (.l') (1758-I823) war seit I787
A 3/ 8). - Zum Kloster Bebenhausen gehort ( damals wie auEerordendicher Professor ftir Philosophie in Jena. Zu

362 363
Ko=entar zu den Briefen A 2 An Niethammer, 9. Mai 1790

Diez' Auseinandersetzung mit seiner Elementarphilosophie Briefe an Niethammer sind erhalten (UBE, Ms. 2054, und
und zu ~e~em EinfluE auf Reinholds Selbstrevision vgl. in Privatbesitz). Wahrend seiner Zeit in Prangins wurden
Reorgarnsatwn der Elementarphilosophie 0f 4), Cadi VI. die Nachrichten wahl iiber die Eltern in Dettingen vermittelt
2.c, und Marcelo Stamm, Systemkrise. Die Elementarphiloso- (vgl. E4 S. 336 Z. 8-10 und E4/ 21). Sein Eintrag in Niet-
phie in der Debatte (1789-1794), Stuttgart 1998. - Niet- hammers Stammbuch datiert vom 17. Juni 1786 (NhSB
hammer war nach Jena gereist, urn bei Reinhold die Kan- 1. Ordnung Bl. 26r). Auch Klett trug sich mit dem , project",
tische Philosophie zu studieren (vgl. A 3/ 9). gleich Niethammer nach Jena zu gehen (vgl. den oben
7 Christoph August Klett ( /") (1766-1851), Stiftsstudent und genannten Brief Kletts an Niethammer vom 25. April 1790,
Promotionsgenosse Niethammers (MTh Nr. 38329 S. 323; S. 1 f).
Magisterprogramm Tiibingen ( cf. A 1/2) von 1786), versah 8 Johann G:otdieb Friedrich Bohnenberger (1765-1831), wie
seit dem 8. Dezember 1789 mehrere Vikariate (zuniichst Christoph August Klett ein Promotionsgenosse Nietham-
in Unterlenningen, daraufhin in Wendlingen (vgl. den Brief mers (MTh Nr. 38305 S. 322), war 1789 Vikar bei seinem
Kletts an Niethammer vom 25. April 1790, S. 2; in Privat- Vater, Gottlieb Christoph Bohnenberger (1732-1807), in
besitz), ab 24. September 1790 in seinem Geburtsort Det- Altburg bei Calw und wurde 1798 auEerordentlicher Pro-
tingen unter Teck und schlieElich, vom 14. Dezember 1790 fessor der Mathematik, 1803 ordendicher Professor der
an, wahrscheinlich als Diez' Nachfolger (vgl. A 3/ 8, A 5/ 8), Mathematik und Physik in Tiibingen. - Bohnenberger war
in Bebenhausen (AEvSt, K. IV F. 10, 1, Vikariats-Befehle mit Niethammer befreundet ( ein Brief von ihm an Niet-
1786-1790)). Ostern 1791 wurde Klett Hofmeister in Fran- hammer vom 5. Oktober 1789, in dem Niethammer geduzt
gins am Genfer See bei der Familie Guiguer (vgl. A 7/ 6). wird, ist in Privatbesitz erhalten). Er hat Niethammer zu-
Diese Tatigkeit endete im Juli 1796 nach einem mehrere mindest auf einem Teil seiner Reise nach Jena begleitet
Monate wahrenden Aufenthalt mit seinen heiden Zoglingen (vgl. Schnurrers Brief an Niethammer vom 10. Mai 1790
in Stuttgart (vgl. C 8/ 8). Aus dem ersten Jahr seines Hof- (S. 1; cf. A2/ 2)).
meisterdienstes in Prangins sind Briefe Kletts an die Eltern 9 Vermutlich Johann Christoph Friedrich Bohnenberger (geb.
erhalten (in Privatbesitz). - Die Semestral-Berichte des Tii- 1767), ,Substitut" in Stuttgart, dann ,Oberumgelter" in Tii-
binger Stifts fiir das Jahr 1797 weisen Klett ab dem 28. bingen (Pfeilsticker § 1824; Auskunft von Dr. Hermann Eh-
Juli 1797 als Hauslehrer , bey dem Baron von Leutrum zu mer, LK.A Stuttgart, vom 20. Dezember 1995).
Nippenburg" aus (AEvSt, K. I F. 8,4 (16)). Von 1802 his 10 Lat.: da ich [Ihre] Zustimmung voraussetze.
1810 war er Pfarrer in Jesingen, von 1810 an bis zu seiner 11 Vgl. unter anderem A3 S. 20 Z. 1, S. 29 Z. 29ff. und A 4
Pensionierung 1846 Pfarrer in Dettingen unter Teck (GMB). S. 34 Z. 20f.
1802 heiratete er in erster Ehe Friederike Duttenhofer 12 Carl Christian Erhard Schmid(/") (1761-1812) war nach
(1763 -1817), die Tochter des Pfarrers von Oberenzingen, seinem Studium in Jena und einer Hauslehrerstelle ab 1784
und 1818 in zweiter Ehe Friederike Benziger geb. Ehmann Adjunkt der philosophischen Fakultat in Jena. 1791 wurde
(177 6 -1850) (Familienregister der evangelischen .Kirchen- er ordentlicher Professor fUr Logik und Metaphysik in Gie-
gemeinde Dettingen/ Teck, Bd. II Bl. 353 b). - An dem Brief- Een, kehrte 1793 als ordentlicher Honorarprofessor ft.ir Phi-
wechsel zwischen Diez und Niethammer nahm auch Klett losophie ( er las iiber Logik und Metaphysik, praktische
teil (vgl. unter anderem A 3 S. 25 z. 6-9 mit A 3/ 66 und Philosophie und Naturrecht) nach Jena zuri.ick und iiber-
A 4 S. 33 Z. 11-15, S. 34 Z. 18- 20). Einige wenige seiner nahm 1798 ein theologisches Ordinariat (vgl. Geschichte der

364 365
Kommentar zu den Briefen A 2 An Niethammer, 9. Mai 1790

Universitat lena 1548/58-1958. Festgabe zum vierhundert- sowie Theodor Ludwig Lau (1660-1740), Meditationes philosophicae de
jahrigen Universitcitsjubilaum, im Auftrag von Rektor und Deo, Mundo, Homine (1717), hrsg. von Martin Pott, Stuttgart 1992 (=
Senat verfa.Bt und herausgegeben von einem Kollektiv des Philosophische Clandestina der deutschen Aufklarung, Abt. I Bd. 1). (Vgl.
Historischen lnstituts der Friedrich-Schiller-Universitat A 6/ 42 und A 10/ 17.) Von 1793 an gab Schmid, zunachst zu-
Jena unter der Leitung von Max Steinmetz, 2 Bde. Jena sammen mit Friedrich Wilhelm Daniel Snell, ab dem dritten
1958-1962, Bd. I S. 24 7 f.; au.Berdem Norbert Hinske Ein- Band (1794) allein, das Philosophische Journalfor Moralitat,
leitung zum Neudruck von Schmids Worterbuch zum lei;htern Religion und Menschenwohl heraus (4 Bde. Gie.Ben 1793-
Gebrauch der Kantischen Schriften., 4 1798, Darmstadt 1976, 1794 ), an das Niethammers Philosophisches Journal ( cf.
S. Vll -XXXII). Die erste Auflage seines "WOrterbuches er- A 10/ 9) seit dem Mai 1795 anschloK Zwischen 1796 und
schien 1786 in Jena als Teil von Schmids Schrift Critilc der 1804 erschienen in Jena vier Bande seines Psychologischen
reinen Vernurift im Grundrisse zu Vorlesungen nebst einem Wor- Magazins. 1796 veroffentlichte er in Jena eine Philosophische
terb~che zum leichtern Gebrauch der Kantischen Schriften, die Dogmatik.
zwe1te, erheblich erweiterte Auflage dann 1788 als eigenes 13 Johann August Heinrich Ulrich (1746-1813), 1769 au.Ber-
Buch. In folgenden Briefen wird darauf und auch auf ordentlicher Professor, 1776 ordentlicher Honorarprofessor
~c~ids Versuch einer Moralphilosophie, Jena 1790 (weitere, und ab 1783 ordentlicher Professor (fUr Moral und Politik)
Jeweils vermehrte Auflagen 1792, 1795, 1802), Bezug ge- an der philosophischen Fakultat in Jena (vgl. Steinmetz,
nommen (vgl. A4 S.34 Z.23ff. und A4/ 9 mit /10 sowie Universitat lena ( cf. A 2/ 12), Bd. 1 S. 244 f.), Iehrte im Sinne
A 6 S. 49 Z. 7 mit A 6/55). 1791 erschien, ebenfalls in Jena, der Leibnizschen Tradition, bezog sich aber fruh, zumeist
seine Empirische Psychologie. In Gie.Ben wurde Schmid 1792 kritisch, auf Kantische Thesen. Seine Eleutheriologie oder
als anonymer Herausgeber zweier religionskritischer Schrif- iiber Freiheit und Nothwendiglceit, Jena 1788, enthiilt eine
ten in einen Atheismusstreit verwickelt, der durch die Be- ausftihrliche Kritik der Kantischen Freiheitslehre (vgl. auch
rufung nach Jena 1793 ein fiir Schmid giinstiges Ende seine Einleitung zur Moral zum Gebrauch der Vorlesungen.,
fand (vgl. Lothar Sennewald, Carl Christian Erhard Schmid Jena 1789), worauf Christian Jacob Kraus unter Verwen-
und ~ein Verhaltnis zu Fichte. Ein Beitrag zur Geschichte der dung von Skizzen Kants in einer Rezension in der ALZ
Kantzschen Philosophie, phil. Diss. Leipzig 1929, S. 22-27). (Nr. 100 vom 25. April1788, Sp. 177-184) antwortete (vgl.
Schmids Publikation erschien unter dem Tite1 Zwey seltene antisuperna- Paul Menzer, Anmerkungen zum Abdruck der Rezension
turalistische Manuscripte eines Genannten und eines Ungenannten . Pendants in der AA VIII S. 524). Ein Einwurf Ulrichs gegen Kants
zu den Wolfenbiittelschen Fragmenten, (fingierter Erscheinungsort Berlin, Kausalitatslehre wird in Diez' Brief an Niethammer vom
in Wahrheit GieEen) 1792; darin enthalten waren: Anonym, De tribw 25. Juli 1794 (E2), S.329 Z.5-7 (vgl. E2/6), erortert.
mundi impostoribus breve compendium. De Moyse, Christo et Mahumete und Dag Ulrich diesem Einwand Wichtigkeit beimag, war auch
[Theodor Ludwig Lau ), Meditationes philosophicae de deo, mundo, homine, der wahrscheinlich von ihm stammenden Rezension des Pro-
0
· 0. [Frankfurt a.M.) 1717; vgl. dazu Wolfgang Gericke, Das Buch ,,De grammes von Christian Gottfried Schutz aus dem Jahr 1788
Tribus lmpostoribus': Berlin 1982 (= Quellen. Ausgewii.hlte Texte aus der uber die Kantische Zeitlehre (Novi Pro-Rectoris A. D. IX 1788.
Geschichte der christlichen Kirche. Neue Folge, hrsg. von Friedrich de magistratum ingressi dignitatem civibus commendat Academia
Boor und Wolfgang Ullmann, Heft 2), S. 34 f., und Winfried Schriiders Ienensis. !nest Kantianae de temporis notione Sententiae brevis
,Einleitung" in: Anonym us, Tralctat iiber die drei Betriiger. Traitt! des trois expositio, Jena 1788) zu entnehmen, die in Paulus' Bibliotheclc
imposteurs, hrsg. von Winfried Schroder, Hamburg 1992, S. VII -XLIIL vonAnzeigen undAusziigen ( cf. A 3/ 72) erschienen war (Bd. 1

366 367
Kommentar zu den Briefen A 2 An Niethammer, 9. Mai 1790

S.197-201, S. 200). - In Thbingen las Johann Friedrich Novum testamentum graece; textum adfidem codicum, versionum
~latt ~ Sommersemester 1790 Ontologie und Kosmologie, etpatrum emendavit et lectionis varietatem adjecit, 2 Bde. Halle
un Wmtersemester 1790/ 91 Metaphysik jeweils ,ad ductum 1775-1777 (weitere Auflagen); Commentatio quaMarci evan-
c~mpendii Ulri~iani", also unter Zugrundelegung von U1- gelium totum e Matthaei et Lucae commentariis descriptum esse
nchs Kompendmm lnstitutiones logicae et metaphysicae, Jena demonstrantur, 2 Bde. Jena 1789-1790.- Johann Karl Fried-
1785 (vgl. A 6/ 51). Zur Reinhold-Kritik Ulrichs, wie sie rich Hauff schrieb in einem Brief an Niethammer vom 20.
aus der zweiten Auflage der lnstitutiones, Jena 1792, her- Juli 1790 (S. 2; DLA Marbach, 58. 41 7), er habe sich ge-
vorgeht, vgl. A4/ 14. wundert, von Niethammer zu erfahren, da.B die kritische
14 Joh~nn Christoph Doderlein (1746 -1792) wurde 1782 Philosophie und nicht Doderlein und Griesbach ihn nach
zwe1ter ?rdentlicher Professor fur Theologie (Dogmatik und Jena gezogen hatten. Daraus wie auch aus einer Bemerkung
Moral) m Jena, nachdem er zuvor seit 1773 Theologie in in einem Brief Johann Gottfried Eichhorns an Niethammer
Alt?orf, zuletzt als ordentlicher Professor, gelehrt hatte (vgl. vom 10. Dezember 1790 (S. 1; in Privatbesitz), in der dieser
Stemmetz, Universitiit lena (cf. A2/ 12), Bd.l S.262). Wie sein Bedauern dariiber au.Bert, da.B Niethammer nicht wie
Joha~ Jacob Griesbach gilt er als bedeutender Neologe. ,vermuthet" schon 1788 nach Jena gekommen sei, als er
Als sem dogmatisches Hauptwerk wird seine Institutio theo- Eichhorn dort noch hatte antreffen konnen (vgl. C 1/ 10),
l~gi christiani in capitibus religionis theoreticis, nostris tempo- wird deutlich, da.B Niethammer bereits ernsthaft eine Reise
rz_bus_ accommodata., 2 Bde. Altdorf 1780-1781 angesehen, nach Jena erwogen hatte, noch bevor ihm die kritische
d~e m zahlreichen weiteren Auflagen erschien. Von 1780 Philosophie zum Problem geworden war (vgl. A2/ l).
b1s _1 792 gab Doderlein in Leipzig vier Bande einer Theo- 16 Gottlob Christian Rapp (J") (1763-1794), aus Stuttgart,
logzschen Bibliothek heraus. (Vgl. auch A 2/ 15.) Doderleins am 23. Oktober 1782 in Thbingen immatrikuliert und Sti-
zweite Frau, Rosine Christiana Eleonore geb. von Eckardt (1770-1832), pendiat, war Primus der Magisterpromotion von 1784, die
mit der er von 1790 bis zu seinem Tod verheiratet war: wurde in zweiter derjenigen von Diez vorausging. Fur das Magisterium ver-
Ehe am 19. Oktober 1797 Niethammers Frau (vgl. St~mmbaum der Frei- teidigte er am 27. August 1784 eine von ihm selbst verfa.Bte
hen·lichen Familie von Niethammer (unveroffentlichter Druck in Privat· Dissertation De sensu determinismi innoxio unter August Fried-
besitz); Doderlein, Unsere Vliter (cf. A2/ 1), 8.15, 32, 35, nennt den rich Bok als Prases. (MTh Nr. 38142 S. 311; Magisterpro-
20. Oktober; auEerdem In Vorfeldern des Idealismus (V 1), S. 789£.). gramm Tiibingen ( cf. A l/2) von 1784.) - Nach seinem
15 J~hann Jacob Griesbach (1745-1812), nach seinem Stu- theologischen Examen wurde Rapp Vikar bei seinem Onkel,
dmm in Thbingen und Halle 1771 Privatdozent und 1773 dem Pralaten und Spezial Georg Friedrich Rapp in Schorn-
au.Berordentlicher Professor fUr Theologie in Halle, wurde dorf. Am 5. Marz 1790 erhielt er vom Konsistorium die
1775 ~Is dritter ordentlicher Professor der theologischen Erlaubnis zu einer literarischen Reise ,auf die sachsischen
Fakultat nach Jena berufen, wo er insbesondere tiber Exe- Universitaten". (AEvSt, K. IV F. 10,1 (128), Vikariats-Befehle
ges~ des Neuen Testaments und Kirchengeschichte las (vgl. 1786-1790.) Am 4. Mai trafRapp in Jena ein (vgl. Doderlein,
Stemmetz, Universitiit lena ( cf. A 2/ 12), Bd. 1 S. 263). Als Unsere Vfiter (cf. A2/ l), S.20 (=Lupin, Niethammer (cf.
erster Textkritiker unternahm er es, weitgehend in den Text- ebd.), S. 12)). Er blieb den Sommer iiber dort und schrieb
~estand des Neuen Testaments einzugreifen. Zu seinen wich- eine Abhandlung Ueber die Untauglichkeit des Princips der
tigsten Veroffentlichungen zahlen: Libri historici Novi Te- allgemeinen und eigenen Gliickseliglceit zum Grundgesetze der
stamentigraece, 2 Bde. Halle 1774-1775 (weitere Auflagen); Sittlichkeit, die 1791 in Jena erschien (vgl. auch C 2 S. 174

368 369
Kommentar zu den Briefen A 2 An Niethammer, 9. Mai 1790

Z. 3lf.). AnschlieEend, von Ende September his Anfang Aus seinem Briefwechsel wird deutlich, daE
statt 1991, S.72f.)
Dezember, besuchte er Gottingen (vgl. C 5 S. 209 z. 2-4 Reinhold die Arbeiten an der TVV weit tiber das Datum
und C 6 S. 213 Z. 6) und kehrte daraufhin, inzwischen zurn der Vorrede, als dem vermeintlichen AbschluEtermin, hinaus
Repetenten ernannt (vgl. C 5/ 32), nach Wtirttemberg zuruck. fortsetzte. Bemerkungen Christoph Martin Wielands in ei-
1792 erschien sein Aufsatz ,Ueber moralische Triebfedern, nem Brief an Reinhold vom 26. August 178 9lassen schlieEen,
besonders die der christlichen Religion", in J.D. Maucharts daE die TVV noch Ende August nicht abgeschlossen war
Allgemeinem Repertorium for empirische Psychologie und ver- (abgedruckt in: Wielands Briefwechse~ hrsg. von der Aka-
wandte Wissenschaften, Bd. 1 S. 130-156 und Bd. 2 S.133- demie der Wissenschaften Berlin durch Siegfried Scheibe,
218. Ebenfalls 1792 veroffentlichte er im 3. Band der Zeit- Bd. 10,1 Berlin 1992, S. 250 f., S. 250). Sechs Wochen spiiter
schrift Amaliens Erholungsstunden einen Beitrag ,Briefe Carls konnte Reinhold dann ein Exemplar der Schrift an Friedrich
an Elise" (S. 238-266). 1793 wurde er Diakon an St. Le- Heinrich Jacobi absenden (vgl. Reinhold an Jacobi, 18.
onhard in Stuttgart (GMB). - Zu Rapps Funktion als Ver- Oktober 1789, abgedruckt in: Aus F H]acobi's Nachlafi. Un-
mittler Kantischer Ideen im Stift vgl. Martin Brecht, ,Die gedruc!cte Brieje von und an Jacobi und Andere. Nebst unge-
Anfan~e d~r _idealistischen Philosophie und die Rezeption druclcten Gedichten von Goethe und Lenz, hrsg. von Rudolf
Kants rn Thbrngen (1788 -1795)", in: Beitriige zur Geschichte Zoeppritz, 2 Bde. Leipzig 1869, Bd. 1 S. ll5 f.). Erstmals
der Universitiit Tiibingen 1477-1977, hrsg. von Hansmartin rezensiert wurde die TVV schlieElich in der ALZ vom 19.
Decker-Hauff u. a., Thbingen 1977, S. 381-428, S. 390-393 und 20. November 1789, und zwar von August Wilhelm
und, mit Bezug auf Rapps EinfluE auf Hegel, S. 399-402. Rehberg (vgl. dazu A3/ 7 und A 7/ 8). - Das erste Buch
Rapps Schrift Ueber die Untauglich!ceit wird von Fichte er- der TVV ist tiberschrieben mit ,Abhandlung tiber das Be-
wiihnt in der Rezension von Friedrich Heinrich Gebhard, dtirfnis einer neuen Untersuchung des menschlichen Vor-
Ueber die sittliche Giite aus uninteressirtem Wohlwollen, Gotha stellungsvermogens" (S. 69 -192).
1792, in der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 31. Oktober 18 Moglicherweise ist Niethammers ,Kommissioniir" gemeint
1793, Sp. 209 - 215 (= Fichte AA 1,2 S. 21-29, S. 28.). (Vgl. (A 2 S. 11 Z. 6, vgl. A 2/ 2). Briefe Philipp Gottfried Camerers
auch C 6/ 23.) an Niethammer liegen uns jedoch nicht vor, und die Briefe
17 Karl Leonhard Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des Schnurrers an Niethammer vom 10. Mai (cf. A2/ 2) und
menschlichen Vorstellungsvermiigens, Prag, Jena 1789. Das vom 25. Mai 1790 (DLA Marbach, 58.450) enthalten keine
Buch, dessen Vorrede (,Ueber die bisherigen Schicksale Nachrichten i.iber die Visitation des Stiftes (vgl. A 2/ 19).
der ~ant~schen Philosophie") vom 8. April 1789 datiert, 19 Wegen der seit Anfang des Jahres 1790 geplanten und
ersch1en lill Herbst 1789. Der Text der Vorrede war zuvor bereits 1793 in Kraft getretenen Stiftsreform war der Stiftsleitung
unter dem Titel,Ueber das bisherige Schicksal der KantischenPhilosophie" am 17. Miirz 1790 eine Visitation ,gleich nach geendigter
im April- und im Maiheft des Teutschen Merlr.urs (S. 3-37 u. S. 113-135) OsterVacanz" durch Konsistorialdirektor Adolf Karl Maxi-
und daraufnoch als eigenstiindiges Biindchen ( Ueberdiebisherigen Schic!uale milian Ruoff, Konsistorialrat Georg Friedrich Griesinger
der Kantischen Philosophic, lena 1789; diesen Titel triigt auch der zweite und Regierungs- und Konsistorialrat und Kirchenkasten-
Teil der Merlr.urcFassung) erschienen. Die heiden spiiteren Fassungen advokat Eberhard Friedrich Georgii angekiindigt worden.
sind textidentisch und unterscheiden sich von der Fassung im Teutschen Am 10. April 1790 hatte das Konsistorium i.iberdies eine
Merlr.urdurch stilistische Verbesserungen. (Vgl. Alexander von Schonborn, Punkteliste mit 87 besonders in Betracht zu ziehenden Ge-
Karl Leonhard Reinhold Eine annotierte Bibliographie, Stuttgart-Bad Cann· sichtspunkten ftir die Untersuchung durch die Deputierten

370 371
onm1entar zu den Briefen A 2 An Niethammer, 9. Mai 1790

6bersandt. nncl die Deputation fur den 19. April 179C an- ein Vemunftbeweis (Demonstration). Sie geben vor, einen
7

gei·ondigt (vgl. AEv t, II F. 5,1; zum Bericht der Depu-



solchen innerhalb , des naturlichen Gebiethes der Vernunft"
tation ooer das tift vgl. Uwe Jen- Wandel Verdacht r:on gefunden zu haben. In TVV S. 78 werden sie mit den An-
Democrati.rmw? Studien zur Geschichte ·c;on tadt und Univer- hangern der ,Natiirlichen Theologie" identifiziert. Den Su-
sitiit Tiih£ngen im Z eitalter der Fran=ii.sirchen Rer.iolution. Tti- pernaturalisten zufolge liegt der Erkenntnisgrund in der
bingen 1981 (= Contubernium. Beitrage zur Ge chich[e Offenbarung, d. h. augerhalb des natiirlichen Vernunftge-
der Eberhard- r arl -Univer iriit Tribin en., hr g. von Hans- bietes. Diez behauptet die Moglichkeit und Wirklichkeit
martin De er-Hauff u. a., Bd. 31 ). . 3 7 ff..., au.Berdem Leube einer dritten Position, die theistische Momente mit super-
III, .49.). naturalistischen verbindet (vgl. A 3 S. 21 Z. 20 f. und A 3/ 28
20 TVV .76 - 89~,.,UeberdenErkenntni grunddervornehm- sowie A 6 S. 41 Z. 3 ff. und A 6/ 2).
s en Grundwahrheit der Reli!rion~. Reinhold erklm daB 24 Vgl. zu Diez' weiterer Diskussion dieser Frage seinen Brief
iiher diesen Er ·ennmisgrund von der philo ophierenden an Niethammer vom 5. Dezember 1790 (A 6) S. 41 Z. 3 -
ernunft bisher nichts ent chieden ei., und beginnt mi[ S.42 Z. 24.
einer ammlung von Au agen zu ihm (ebd. . 78f.). die 25 Dogmatische Skeptiker und Atheisten (die heiden einander
Diez als .. timmen ammlung'"' charakteri iert (vgl. hierzu entgegengesetzten Unterparteien der verneinenden Haupt-
auch 1m Brief an Niethammer vom 5. Dezember 1790 (A 6) partei) sowie die dogmatischen Theisten behaupten gegen
S. 3 Z. 18). In der folge gliedert er olche Aus agen nach die Supernaturalisten (TVV S. 81): ,b) ,Die Frage iiber das
Positionen oder ,Partheyen"". Zunach t unter cheidet er zwei Daseyn Gottes lagt sich nicht durch Offenbarung beant-
,.,Hauptpartheyen", ·welche die Frage, ob e einen Erkennt- worten'". Skeptiker, Atheisten und Supernaturalisten be-
nisgrund fUr die Uberzeugung vom Dasein Gorte gebe, haupten gegen die Theisten: , d) ,Die bejahende Antwort
positiv beziehung weise negativ beantworten. In TYY auf die Frage iiber das Daseyn Gottes lagt sich nicht de-
S. 79 ff. steht die bejahende Partei (vgl. A 2/ 23) jener ver- monstriren'". - Gemag Reinholds Einteilungsprinzip gilt
neinenden Partei gegeniiber, die sich ihrer eits au den auch fUr die heiden verneinenden Parteien, dag ihre je-
,dogmatischen Skeptikern" und den ,Atheisten" zu ammen- weilige Hauptthese von den iibrigen drei Parteien bestritten
setzt ( vgl. A 2/ 25). Der Dis ens iiber den dabei in An pruch wird (vgl. A2/ 29).
genommenen .Begriffde Erkenntnisgrundes laEt sich Rein- 26 Den historischen Charakter dieser Untersuchung stellte
hold zufolge in einer dritten, parteilosen Po ition auflo en. Reinhold bereits in einer ,Literarischen Nachricht" in der
Zum ,.Res ultat fur da Kantische System" vgl. A 2/ 30. ALZ Nr. 231 a vom 25. September 1788, Sp. 831 f., heraus,
21 Zu weiteren Themen der Tubinger Disku ssionen Z>vischen welche die Einteilung in verschiedene Parteien ( vgl. A 2/ 20)
Diez und iethammer vgl. A3 S. 21 Z.18-20 und A3/ 26 und die These von der Entgegensetzung von jeweils drei
sowie A 3 S. 23 Z. 2-4 und A3/ 45. Parteien gegen jede Partei schon enthalt.
22 lmm er, Liberall (vgl. Grimm I, Sp. 241 f.) . Vgl. A3 S. 20 27 In TVV S. 75 wird Religion von Reinhold vom wissenschaft-
Z. 2J . lichen System der Theologie unterschieden und als Inbegriff
23 Reinhold unterteilt auch die bejahende Hauptpartei (vgl. ,gewisser Neigungen und Tatigkeit~~" verstanden. Diese Nei-
A 2/ 20) in zwei entgegengesetzte Unterparteien, die dog- gungen und Tatigkeiten gehen aus Uberzeugungen, nach Rein-
matischen Theisten und die Supernaturalisten (TVV S. 80). hold , Grundwahrheiten", hervor. Erkenntnisgriinde sind
Fur di e dogmatischen Theisten ist der Erkenntnisgrund dann die zureichenden Griinde fUr diese Uberzeugungen.

372 373
Kommentar zu den Briefen A 2 An Niethammer, 9. Mai 1790

28 In der Weise, in der Reinhold von ,zureichenden Grunden" die Frage, wie die ersten Grundsiitze moglich seien, uber-
(vgl. A 2/ 27) spricht:, bleibt es nach Diez unentschieden ftihrt werden musse (TVV S. 144 f.). In § II ( ebd. S. 129 f.)
ob ,Zuliinglichkeit" des Beweises nur dann erreicht wird' ftihrt Reinhold eine Argumentation vor, die Diez Motive
wenn eine Demonstration gegeben wird. - Vgl. zu de~ ft.ir seine eigene Erkliirung von Reinholds Begrundung lie-
heiden hieraus hervorgehenden Parteien in anderer An- fern konnte: Wer die Moglichkeit der Erkenntnisgrunde
wendung Diez' Aufsatz ,Uber die Moglichkeit einer Of- und Grundsatze ,aus inneren Grunden [... ] deutlich erkennt,
fenbarung" (fruhere Fassung) (B 2) S. 134 z. 11 - S. 135 [... ] der muE eben darum, und dadurch diese Erkennt-
Z.29. nillgrunde und Grundsiitze gefunden haben." Die Notwen-
29 Das ,erste a) b) c) d)" bezieht sich auf die Folge der digkeit solcher Grundsatze erkliirt sich eben daraus, daE
Grundthesen, die den vier Parteien (vgl. A2/ 23 und / 25) in diesem Falle ,ihre Wirklichkeit durch ihre blosse Mog-
jeweils spezifisch zuzuordnen sind. In einer zweiten Auf- lichkeit eingesehen werden" kann. Sie miiEten ,in dem
ziihlung a) bis d) fuhrt Reinhold die jeder dieser Grund- bestimmten Begriffe ihrer Moglichkeit:, als Bestandtheile
thesen entsprechende Gegenbehauptung der ubrigen drei desselben selbst vorkommen". Diez entwickelt aus einem
Parteien an. (Vgl. TVV S. 81.) nur teilweisen Verstiindnis (,soviel ich den Beweis gefaEt
30 TVV S. 82:,Wenn diese [... ] hochst auffallende Einhelligkeit habe") der Intentionen Reinholds bei der Formulierung
von drey Partheyen gegen eine einzige iiber die angeftihrten der These von § III die Auffassung, die aus inneren Griinden
~cht~gen Hauptsiitze jedem merkwiirdig seyn muB, der je geft.ihrte Beantwortung der Frage nach der Moglichkeit lasse
m semem Leben uber Religion selbst gedacht, und fur sich in die nach der Wirklichkeit uberfi.ihren. Reinhold hat
Religion gefuhlt hat: so muE ihm dieselbe noch viel merk- freilich eine ganz andere Begrundung im Sinn: Unser Le-
wiirdiger werden, wenn er bedenkt, daE diese Hauptsatze bensinteresse schlieEt es aus, den kritischen Zweifel zum
genau die Resultate sind, die sich aus der kantischen Un- Anla.B ft.ir eine giinzlich neutrale Prufung der Moglichkeit
tersuchung des Erkenntni.Bvermogens ergeben". (Vgl. oder Unmoglichkeit der Grundsatze von Moral und Religion
A2/ 20.) werden zu lassen. Untersucht werden mussen die Grund-
31 TVV S. 141: ,Das Interesse der Wissenschaften von unseren siitze auf ihre Moglichkeit hin wohl. Das Interesse lii.Bt
Pflichten und Rechten in diesem, und dem Grunde unsrer diese Untersuchung aber unter der Frage danach stehen,
Erwartung fur ein zukiinftiges Leben, und folglich auch wie sie moglich sind. In der Folge ware dann, wie Diez
das hochste Interesse der Menschheit:, schafft diesen kri- sich klarmacht, eine solche Untersuchung nur aus inneren
tischen Zweifel in die bestimmte Frage urn: Wie sind jene Grunden der Prinzipien selbst und insofern kritisch zu
allgemeingultigen Erkenntnillgrunde und Grundsatze mog- ft.ihren.
lich?" 33 Gadi VII. 5.
32 Diez hatte Schwierigkeiten beim Verstandnis der Eingangs-
these Reinholds zum zitierten § III des ersten Buches der
TVV, die doch einer Begrundung, eines ,Beweises" bedarf.
Diese Schwierigkeit wird auch durch eine Bemerkung
Reinholds im weiteren Text des § III mitbewirkt worden
sein, ,ohne weitere Erorterungen und Beweise die Behaup-
tung aufstellen" zu konnen, da.B der kritische Zweifel in

374 375
Kommentar zu den Briefen A 3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

5 Johann Schultz (1739 -1805, Hofprediger und Mathema-


A3 tikprofessor in Konigsberg), Erliiuterungen iibe-r des Herrn
Immanuel Carl Diez, Tiihingen Professor Kant Critilc der reinen Vernurift, Konigsberg 1784.
Samstag, den 19., Sonntag, den 20., Schultz (bzw. Schulze, nach dem Titelblatt der Erliiuterun-
und Dienstag, den 22. Juni 1790 gen) war von Kant als Kommentator der Kritik autorisiert
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena (vgl. Kants Brief an Schultz vom 26. August 1783 (AA X
S. 329-331 ), den Schultz in der Vorrede zu seiner Schrift,
S. 9 f., ausftihrlich zitiert).
Manuskriptheschreihung 6 Schultz' Erliiuterungen (cf. A3/ 5) sind in zwei Abschnitte
unterteilt: Erster Abschnitt. ,Versuch einer deutlichen An-
Standort: Privatbesitz.
zeige ihres [i.e. der Kritilc der reinen VernunftJ Inhalts."
AnzahJ der Lagen und Blatter: 2 Doppelblatt und 1 Einzelblatt; Format in em
(Robe X Breite): 18,5-19,1 x 11,4-11,6; Rii.nder beschnitten; Bogenfaltung:
8.14-187.- Zweiter Abschnitt. , Versuch einiger Winke zur
8°; Wasserzeichen; Papierfarbe: chamois. nahern Pri.ifung derselben." S. 188-254. - Diez bezieht
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 10 von 10; Paginierung: 1-10; sich hier auf die 17 4 Seiten des ersten Abschnittes.
Faltung: quer von hinten nach vorne.
7 Spatestens Mitte Oktober 1789 waren Exemplare von Rein-
Besondere Bemerkungen: S. 7 oben Rotstiftanstreichung.
holds Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstel-
lungsmifgens, Prag, Jena 1789, im Umlauf (vgl. A 2/ 17). Diez'
Bemerkungen i.iber seine Moglichkeit, ein Exemplar ein-
Kommentar zusehen, schlieEen nicht aus, daE er nicht sehr viel spater
als Ende Oktober in den Besitz der TVV gelangte. Sein
1 In der Kritzlr. der reinen Vernunjt (A 138/ B 177) wird dem Verweis auf die langere Unterbrechung der Lekti.ire (, his
Schema die Fun.ktion einer ,.vermittelnden Vorstellung" zwi- auf den Anfang des Februars") legt vielmehr nahe, daE
schen den reinen Verstandesbegriffen und den reinen For- seine erste Beschii.ftigung mit der TVV in den Spatherbst
men der Sinnlichk.eit zugeschrieben. Christoph August Klett fiel. Vermutlich im Dezember und Januar wurde er dann
wird auch im folgenden noch mehrfach ,Schema" genannt ,durch Bebenhausen" von der Lekti.ire abgehalten (vgl.
(vgl. A 3 S. 25 Z. 6 und Z. 18 sowie A 5 S. 39 Z. 17). A 3/ 8). - Erstmalig rezensiert wurde die TVV in der ALZ
2 Der Brunnen beim Garten des Lammwirtes, nach Rudolf vom 19. und 20. November 1789 (Nr. 357 und 358), Sp. 417-
Magenaus Lebenserinnerungen (abgedruckt in: StA VII,l 429, und zwar von August Wilhelm Rehberg. Im lntelligenz blatt
S. 394-398, S. 396) Holderlins ,k.astalischer Quell". der ALZ Nr.137 vom 2. Dezember 1789 nahm Reinhold zu der Rezension
3 In der Kritilc der reinen Vernurift (A 835 f./B 863 f.) wird die Stellung (Sp. 1138-1140), Rehberg antwortete cbd. am 30. Januar 1790
der historischen Erkenntnis entgegenzusetzende Erkenntnis (Nr. 15, Sp. 118-120). In der Rezension wird Reinhold als bloJSer Kom-
rational genannt. Diez wendet hier indes kurzerhand die mentator Kants charakterisiert. Reinhold ftihlte sich von Rehberg, den
theologische Terminologie an (Dogmatik als Entwicklung er als Rezensenten identifiziert hatte, in dieser Darstellung millverstanden.
einer Lehre in ihrem Zusammenhang), hat aber dabei wohl Rehberg versuchte in seiner Antwort diesem Eindruck entgegenzutreten
deshalb Skrupel, weil Kant nur die von ihm kritisierte Me- undhobReinholds eigene theoretischeLeistungals bereits in der Rezension
taphysik ,dogmatisch' nennt. gewi.irdigt noch einmal deutlich hervor. Rehbergs spiitere Rezension
4 Vgl. A2/ 17. (vgl. A 7 S. 51 Z. 3 ff. und A 7/ 8) von Reinholds Beytri.igen I (cf. A 3/ 21)

376 377
Kommentar zu den Briefen A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

fiel sehr vie! kritischer aus. - Auch an eine Rezension der TVV in C 5/ 32) versehen. Am 14. Dezember 1790 wurde dann
den NeuenLeipzigergelehrtenAnzeigen(Nr. 46vom 7.Juni 1790,8. 362-366) Klett Vikar in Bebenhausen (vgl. A2/ 7).
durch Karl Heinrich Heydenreich schlofS sich eine kurze Debatte im 9 In seiner Selbstbiographie, in De persuasione (cf. A2/ 1),
lntelligenzblatt der ALZ an. Heydenreich bestritt, daB eine Theorie des ( unpaginiert, S. 6 f.) berichtet Niethammer, daB er nach dem
Vorstellungsuermiigens die Theorie der Sinnlichkeit, des Verstandes und theologischen Examen als Senior (vgl. C 6/ 10, auch A 16/ 3)
der Vernunft fundieren konne, da der Vorstellungsbegriff nur der nach- ins Stift zuri.ickgekehrt sei, urn seine Studien fortzusetzen,
triiglich und durch Abstraktion gewonnene Gattungsbegriff zu den Arten und dort von einem Magister urn Unterricht in theologischer
Anschauung, Gedanke und Schlufi sei. Ein weiterer Vorwurf war, daB Morallehre gebeten worden sei, einer Materie, mit der er
Reinhold aus dem Begriff der blofSen Vorstellung mehr entwick.le, als selbst wohl wenig vertraut war. Gerade deshalb i.ibernahm
in ibm liegen konne. In seiner Zuri.ickweisung dieses Vorwurfs vom IS. er die Aufgabe und begann die einschHigigen Kompendien
Juni 1790 (IB der ALZ Nr. 80 vom 26. Juni 1790, Sp. 653-655) ki.indigte zu studieren. In seinem Bericht fahrt er fort (zitiert nach
Reinhold zugleich eine ausftihrliche Behandlung des Themas im ersten der Ubersetzung in: Dieter Henrich, ,Uber Holderlins phi-
Band der Beytriige(cf. A3/ 21) an. Heydenreich erliiuterte und bekriiftigte losophische Anfcinge", in: ders., Konstellationen ( cf. A 2/ 1),
seine Kritik in seiner Antwort (IB der ALZ Nr. 88 vorn 14. Juli 1790, S. 143 f.): ,Doch je eifriger ich untersuchte und je weiter
Sp. 718 -720). SchliefSlich verwies Reinhold daraufhin in einer kurzen ich eindrang, desto schneller und gri.indlicher schien mir
Notiz (IB der ALZ Nr. 91 vom 17. Juli 1790, Sp. 744) das Publikum das Fundament dieser Wissenschaft einzusti.irzen. Und mei-
noch einmal auf die neue Darstellung seiner Theorie im angeki.indigten ne Zweifel wuchsen so, daB es bald notwendig wurde,
ersten Band der Beytriige. (Vgl. dort den dritten Beitrag: ,.,Neue Darstellung mich von jener Unterrichtsaufgabe zuri.ickzuziehen. In die-
der Hauptmomente der Elementarphilosophie", S. 165-254, sowie den sem Zustand des Zweifels hatte ich fUr das, was i.iber die
sechsten Beitrag: ,Erorterungen i.iber den Versuch einer neuen Theorie Ni.itzlichkeit und die Bedeutung der kritischen Philosophie
des Vorstellungsvermogens", S. 373-404, dem (ab S. 405ff.) Wiederab- und i.iber die Vorteile berichtet wurde, durch die sie andere
drucke und Fortftihrungen der Debatten mit Johann Friedrich Flatt (vgl. Lehrweisen i.ibertraf und die immer mehr zunahmen, offene
A3/ 20 und / 21) unci mit Karl Heinrich Heydenreich beigeftigt sind, Ohren; und ich habe niemals etwas mehr gewi.inscht, als
insbesondere eine,Abgenothigte Gegenantwort" aufHeydenreich, S. 438- daB ich die Uberzeugung, die ich in anderen Weisen zu
446.) philosophieren vergeblich gesucht hatte, in dieser finden
8 Diez wurde am 19. Mai 1789 Vikar in Bebenhausen (vgl. wi.irde und daB es mir erlaubt sein wi.irde, ihren ganzen
A 2/3). Nicht der Dienstantritt als solcher, sondern beson- Umkreis auszuschreiten. Ich wurde jedoch teils durch die
dere Belastungen in seinem Dienst waren vermutlich der Schwierigkeiten dieses Studiums, die zu jener Zeit groBer
Grund fur die Verzogerung der Reinhold-Lekti.ire. Am waren, als sie es jetzt sind, teils durch die Furcht, welche
27. November 1789 hatte das Konsistorium an ibn die Wei- die zu jener Zeit herrschende befangene Meinung i.iber
sung ergehen lassen, sich ,unverweilt nach Bebenhausen die GroBe der Schwierigkeiten als uni.iberwindlich erschei-
[zu] begeben, und vor den erkrankten Professorem nen lieB, abgeschreckt und glaubte nicht, allein durch ei-
M. Reuchlin vicarius operae gebi.ihrend [zu] praestiren" genes Studium irgendeinen Fortschritt machen zu konnen.
(AEvSt, K. IV F. 10,1 (128), Vikariatsbefehle 1786-1790, Eine Hoffnung, die noch i.ibrig blieb, sowie mein einziger
Befehl vom 27. November 1789). - Diez hat das Beben- Wunsch gingen dahin, daE es mir erlaubt sein moge, meine
hausener Vikariat moglicherweise his zu seiner Ernennung Arbeit auf diese Philosophie unter Anleitung eines Mannes
zum Repetenten am 22. Oktober 1790 (vgl. A 5/ 19 und zu wenden, der, da er selbst in ihre Geheimnisse eingeweiht

378 379
Kommentar zu den Briefen A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

war, anderen den Zugang zu ihr leicht eroffnen konnte. S. 151 Z. 1 ff.; C 1 S. 171 Z. l3f. (insbesondere C 1/ 30) und
Auf wen wohl anders als auf Reinhold, der schon damals C 2 S. 175 Z. 37 - S. 178 Z. 28 sowie Moglichkeit einer Of-
mit solchem Ansehen durch ganz Deutschland ghinzte, konn- fenbarung (VI 3), S. 999 ff. und Gadl II). - In Storrs syste-
ten sich solche Hoffnung und solcher Wunsch wenden?" matischem Hauptwerk, Doctrinae christianae pars theoretica e
- Nach Lupin, Niethammer ( cf. A 2/ 1), S. 9, wandte sich sacris literis repetita, Stuttgart 1793 ( deutsche Ausgabe: Gottlob
Niethammer "auf Instigation [soviel wie: Anregung] seines Christian Storr, Lehrbuch zur christlichen Dogmatik, ins Deutsche
Freundes Vikar Diez" dem Studium der Kantischen Philo- iibersetzt, mitErliiuterungen aus andern, vornehmlich des Veifassers
sophie zu. Ob Lupin allerdings neb en dem hier vorliegenden eigenen, Schrifien und mit Zusiitzen aus der theologischenLitteratur
Brief von Diez, der in seiner Hand war, noch weitere Quellen seit dem ]ahr 1793 versehen von Carl Christian Flatt, Stuttgart
fur diesen Bericht, etwa aus Niethammers Gegenbriefen 1803) findet sich der Wunderbeweis in § 8.
(vgl. dazu auch In Vorfeldern des Idealismus (V 1), S. 834), 15 Vgl. Schultz, Erliiuterungen ( cf. A 3/ 5), S. 90, ("subjektive",
hatte, geht aus seinen Bemerkungen nicht verlafSlich hervor. nicht "objektive" Realitat der Ideen) mit Bezug auf KdrV
10 Hier nicht ftir Beichtvater, sondern ftir Beichtender. Diese A 326 ("Vernunfteinheit").
Selbstcharakterisierung erklart sich einerseits wohl daraus, 16 Vgl. A 3/ 13. Einen Beweis gegen die christliche Lehr~. aus
daiS Diez sich einerseits Niethammer offen i.iber seine Rai- den Weissagungen versucht Diez in den Aufsatzen ,Uber
sonnements mitteilen mochte, andererseits aber auch durch die Moglichkeit einer Offenbarung" ( spatere Fassung) (B 3),
die Tatsache, daiS eine ~eichtstunde" im Stift unmittelbar S. 148 z. 5 ff. und ,Uber Matthaus XXIV, 29 ff." (B 4) zu
bevorsteht (vgl. S. 19 Z.l5f. und A3/ l8). ftihren. In einem der drei Specimina, die er zu seinem
11 Vgl. A 7 S. 57 Z. 27 mit A 7/ 48 sowie A 15 S. 90 Z.l6 und Magisterexamen am AbschlufS seines Philosophiestudiums
B2 S.l33 Z.26. im September l 785 schrieb, befafSte sich Diez mit Obser-
12 Vgl. auch A3 S.30 Z.27f., A4 S.37 Z.l6f., A 7 S.52 Z.34 vationes quaedam ad Psalmos II, X, XLV (UBT, Mh III 68)
und A 7 S. 59 Z. 35. und also mit Bibelstellen, auf die sich der Weissagungsbe-
13 Der Wunderbeweis hatte den Status eines der drei Haupt- weis gri.indet. (Abgedruckt in: Wilhelm G. Jacobs, Zwischen
beweise ftir die Wahrheit der christlichen Lehre. Die heiden Revolution und Orthodoxie? Schelling und seine Freunde im
anderen Hauptbeweise werden im folgenden erwahnt: der Stift und an der Universitiit Tiibingen. Texte und Untersuchun-
Beweis aus den Weissagungen und der Beweis aus dem gen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, S.199-2ll.)
Inhalt und den Wirkungen der Lehre. Vgl. hierzu Mog- 17 Vgl. A3/ l3.Christoph Friedrich Sartorius (1701-1785),
lichkeit einer Offenbarung (VI3), S. 992ff. Compendium theologiae dogmaticae, editio nova Stuttgart
14 Gottlob Christian Storr(/") (1746-1805), 1776 aufSeror- 1782, § 46, S. 44-46, i.iber das ,Testimonium Spiritus Sancti".
dentlicher Professor an der philosophischen und im fol- Die erste Auflage dieses ftir die theologischen Studien in
genden Jahr an der theologischen Fakultat, lehrte von 1786 Ti.ibingen verbindlichen Handbuchs war 1764 unter dem
an als dritter ordentlicher Professor der Theologie an der Titel Positiones theologicae in usum praelectionum dogmaticarum
Universitat Tiibingen hauptsachlich im dogmatischen Fache. in Thbingen erschienen. (Vgl. dazu Christoph Kolb, ,Die
1797 wurde er Oberhofprediger und Konsistorialrat in Stutt- Kompendien der Dogmatik in Altwi.irttemberg", in: Blatter
gart. Storr verband die unter anderem auf Semler zuriick- for wiirttembergische Kirchengeschichte 51 1951, S. 3-77, be-
zuftihrende textkritische Methode mit dem Supernatura- sanders S. 56-71.)
lismus in der Dogmatik (vgl. A 8/4; B 3 S. 148 z. Sff.; B4 18 Am Samstag vor dem Abendmahlssonntag mufSte man im

380 381
Kommentar zu den Briefen A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

Rahmen eines Vorbereitungsgottesdienstes nach einer 22 In der ,Flatt-Rezension der TVV" (cf. A3/ 21), S. 310ff.,
Beic~te urn Zulas~ung zum Abendmahl nachsuchen (vgl. laEt Flatt vier ,Schulen" mit unterschiedlichen Argumenten
Martin Brecht, Kzrchenordnung und Kirchenzucht in Wiirt- gegen Reinhold auftreten: Auf den Berkeleyschen Idealis-
tembe:g vom 16. his zum 18. ]ahrhundert, Stuttgart 1967 (= mus (vgl. A 3/ 46) folgt der Wolffsche Idealismus (vgl.
Martm Brecht, Gerhard Schafer (Hrsg.), Quellen und For- A 3/ 54), darauf der Kantianismus (vgl. A 3/ 55) und zuletzt
schungen zur wiirttembergischen Kirchengeschichte Bd.l), die Popularphilosophie (vgl. A 3/ 59). Flatt schlieEt seine
S. 17-19; zur Regelung der Beichte fur die Stipendiaten Aufstellung mit der Versicherung, er wurde jeweils den
v~l. Statu~en des Fiirstlichen Theologischen Stipendii zu Tii- Schulen gemaB argumentieren, ,wenn er zu irgend einer
bzngen, wze solche aufgniidigsten Befihl des durchlauchtigsten von den angefuhrten Partheyen gehorte. Allein er kan ver-
Herzogs, Carls zu Wiirtemberg A us sammtlichen zuvor ertheilten sichern, daB er zu keiner von diesen gehore" (Ebd. S. 312).
Recessen zusammen gezogen, nach reifler Erwiigung auf die 23 Vgl. A 3/ 46.
gegenwiirtigen Zeiten eingerichtet, und von seiner Hoch-Fiirst- 24 F1att erkliirt von dem ,Berkeleyischen Idealisten", dieser
lichenDurchlauchtbestiittigetworden, Stuttgart 1752, Kapitel3 werde ,den von Hrn R. gegebenen Beweis von diesem
§ ~, S. ~7, und Hoch-Fiirstliche Visitations-Recessus for das Saze eben gar nicht iiberzeugend fmden" (,Flatt-Rezension
Stzpendzum Theologicum zu Tiibingen, [Stuttgart] 1757, §§ 2f. der TVV" (cf. A3/ 21), S. 310). Der Dogmatiker der Wolff-
S. 7-9). Der 19. Juni 1790 (Datum des Briefes) war ein schen Schule wiirde den fraglichen Einwand hingegen aus
Samstag. Vgl. A 3/ 10. immanenten Inkonsistenzgriinden bei Reinhold erheben
19 Vgl. KdrV A197/ B242 sowie A3/ 15 und A3 S.24 Z.IOf. (ebd. S. 311; vgl. A3/ 54). Das Argument fmdet sich unter
Vgl. Cadi VI. 3. a. anderem auch bei Friedrich Heinrich Jacobi, etwa in der
20 Johann Friedrich Flatt(/') (I 759-1821), seit 1785 au~er­ Beilage ,Ueber den 'fransscendentalen Idealism us" zu seiner
o~d~ntlicher Professor fur Philosophie, hielt als erster in Schrift David Hume iiber den Glauben oder ldealismus und
Thbmgen Vorlesungen tiber Kant. 1792 wurde er auf die Realismus. Ein Gespriich. Breslau 1787, S. 207-230, besonders
vierte ( auBerordentliche) theologische Professur berufen, S. 226 ff. Zu Diez' folgenden Ausftihrungen zum Existenz-
und 1798 ruckte er auf die dritte ordentliche. Er war Su- begriff vgl. B 3 S. 140 Z. 14 - S. 142 Z. 7.
pernaturalist in der Nachfolge Storrs. Zu seinen Werken 25 Vgl. A 2 S. 13 Z. 11 mit A 2/ 22.
und seiner Argumentation vgl. Cadi II und IX. 3. Durch seine 26 Vgl. ,Flatt-Rezension der TVV" ( cf. A 3/ 21 ), S. 307. Flatt
Ehe mit Johanne Christiane Friedrike verw. Hoffmann (1756-1829) kritisiert dort die lange Anmerkung in TVV S. 80-82 zur
entstand eine weitliiufige Verwandtschaftsbeziehung mit Diez (vgl. den Frage nach dem Erkenntnisgrund des Daseins Gottes. piez'
Entwurf zu einer niiheren Verwandtschaftsiibersicht (Ms., Archiv des Bemerkung, Niethammer wisse bereits von seiner Uber-
Jena-Projekts)). Sein Vater war der Konsistorialrat Johann Jakob Flatt. einstimmung mit Flatt in der Beurteilung der historischen
21 TuA 39. Stuck vom 17. Mai 1790, S. 306-312. Reinhold Resultate Reinholds in dieser Frage, ist nur teilweise aus
b~an~ortet~ die Rezension in Beytriige zur Berichtigung dem Vorbrief (A 2) zu erkliiren. Flatt hatte, anders als Diez
bzsherzger M!fiverstiindnisse der Philosophen. Erster Band, das in A 2, kritisiert, daE selbst unter Voraussetzung der Rich-
Fundament der Elementarphilosophie betrejfend, Jena 1790 (Da- tigkeit des Reinholdschen Resultates nicht einzusehen sei,
tum der Vorrede: 29. September 1790), S. 405-423. Auf warum dieses Reinhold zufolge ,gerade fur jeden merk-
S. 405-412 findet sich zunachst ein Abdruck der Rezension, wiirdig seyn miisse, der je iiber Religion gedacht und fur
ab S. 412 folgen Reinholds Bemerkungen. (Vgl. A 3/ 26.) Religion gefuhlt hat." (,Flatt-Rezension der TVV", S. 307.)

382 383
Kommentar zu den Briefen A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

Diez hatte im Vorbrief das Reinholdsche Resultat hingegen zufolge nicht allgemein wahr (zu Reinholds Priizisierung
als ,schwankend bestimmte[n] consensus und dissensus" seiner Behauptung vgl. A 6/ 4). (Vgl. ,Flatt-Rezension der
ch~r~~terisiert und insofern seine ,Merkwi.irdigkeit" ft.ir den TVV" (cf. A3/ 21), S. 307.)
religws Denkenden in Frage gestellt ( vgl. A 2 S. 14 Z. 23 f. 29 Reinhold erkliirt in TVV S. 99 i.iber den von Kant bestimm-
und A 2/ 30). Seine Zustimmung zu Flatts Kritik im vor- ten Sinn des Sittengesetzes, da.B ,fast alle [... ] dariiber
liegenden Brief lii.Bt also eine mi.indliche Vorverstiindigung einig seyn, da.B es in diesem Sinne kein Sittengesetz gebe",
i.iber diesen Punkt vermuten (vgl. A2 S. 13 Z.1 sowie A3 schriinkt diese Behauptung in einer Anmerkung jedoch auf
S. 23 Z. 4 ). Diese konnte sowohl Reinholds ,Literarische ,aile mir [i. e. Reinhold] bekannten Philosophen his auf
Nachricht" ( cf. A 2/ 26) vom September 1788 als auch die Kant und aile mir bekannten Theologen his auf - Jesus
im Jahr darauf erschienene TVV selbst zur Grundlage ge- Christus" ein. Flatt bemerkt iiber diese Anmerkung, sie
habt haben. - Diez bezieht sich in der Folge in 13 Punkten und ,konnte leicht zu dem Wahn verleiten, als ob dem Hrn
einer SchluBbemerkung auf Flatts Rezension. Im Rezensionstext selbst Verf. einige der vorziiglichsten vor-Kantischen Philosophen
waren Flatts Stellungnahmen zu Problempunkten aus Reinholds TVV unbekannt seyn." (,Flatt-Rezension der TVV" ( cf. A 3/ 21 ),
durch Gedankenstriche voneinander getrennt. Diez ni=t diese Glie- S. 307.)
derung auf und ersetzt die Mehrheit der Gedankenstriche durch Ziffern. 30 Flatt bestreitet, da.B Reinhold in TVV S. 131 eine zutreffende
Reinholds Abdruck der Rezension in Beytriige I ( cf. A 3/21 ), S. 405-412, Charakterisierung aller Skeptiker gegeben habe. Flatt zu-
hingegen erganzt den Aufbau Flatts durch eine von Diez' Anordnung folge enthalte sich der gewohnliche Skeptiker jedes Dogmas,
zu unterscheidende, den Text noch weiter untergliedernde numerische a fortiori auch des Dogmas der ,Unerweislichkeit der ob-
omenklatur, wodurch sich die Zahl der Textabschnitte gegeniiber Diez jectiven Wahrheit" (,Flatt-Rezension der TVV" ( cf. A 3/ 21 ),
mehr als verdoppelt. In seinem Brief an Nietha=er vom 5. Dezernher S. 307 f.; vgl. A 6/ 7). Reinhold antwortet darauf in Beytriige
1790 (A 6) folgt Diez dann der von Reinhold eingeftihrten Einteilung I (cf. A 3/ 21), S. 415, er habe ausdriicklich von den ,Dog-
(vgl. A 6/ l). matischen Skeptikern" gesprochen, wiihrend er die iibrigen
27 In der ,Flatt-Rezension derTVV" (cf. A 3/ 21), S. 307, werden zu den ,Popularphilosophen" ziihle.
,Sokratische Unterhaltungen. III. B. S. 305 ff." (= Johann 31 In TVV S. 162 stellt Reinhold in seiner K.ritik des Super-
Conrad Pfenninger, Sokratische Unterhaltungen iiber das Ael- naturalismus die These auf, jede historische Offenbarung
teste und Neueste aus der christlichen Welt. Ein Versuch., 3 Bde. setze die Vernunftidee der Gottheit schon voraus. Flatt
Leipzig 1786- 8 9) und ,Eberhards philos. Magazin II. B. glaubt, dieses Voraussetzungsverhiiltnis nur der Jogischen
IV. St. Nr. IV. V." ( cf. A 1/ 8) als Gegenbeispiele zu Reinholds Ordnung, aber nicht [... ] der Zeitordnung nach" einriiumen
Anspruch auf Allgemeingi.iltigkeit seiner Methode der Stim- zu miissen (,Flatt-Rezension der TVV" ( cf. A 3/21 ), S. 308),
mensammlung (vgl. A2/20) und Kontrastierung theologi- und weist Reinholds Kritik am Offenbarungsgedanken des
scher Parteien genannt. Supernaturalisten zuriick. Diez macht in der nachfolgenden
28 Flatt kritisiert zum einen, da.B in Reinholds Aufziihlung Passage den Versuch, Flatts Einwand zu priizisieren. (Vgl.
der verschiedenen Parteien diejenige fehle, welche Vernunft A6/8.)
und Offenbarung verbindet (vgl. A2 S.13 Z. 16f. und A2/ 23, 32 Die Theorie des Vorstellungsvermogens lii.Bt Reinhold zu-
fur Reinholds Replik vgl. A 6/2). Zum anderen ist Reinholds folge keine anderen als allgemeingeltende Priimissen zu
Behauptung (TVV S. 96), der Supernaturalist halte die Frei- (TVV S. 198). In der Rolle des Skeptikers sieht sich Flatt
heit fur das Vermogen, das Schlimmste zu wiihlen, Flatt in der Lage, die in der TVV aufgestellten Siitze zu bezweifeln

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Kommentar zu den Briefen A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

(vgl. A 6/ 11, 1. Teil zu ,Nota 11 ", unter anderem auch be- (S. 91), was Reinhold unter ,Objelctder Vorstellung' verstehe:
~iiglich. der von Flatt notierten Pluralitat dieser Satze). Dar- ,Etwas was vorgestellt wird?- ]a, dieses Etwas ist entweder
uber hmaus glaubt er aber, als Skeptiker bereits die Idee selbst in der Vorstellung als lnhalt enthalten, oder etwas
allgemein g:ltende Satze aufstellen zu wollen, in Frag~ von ihrem lnhalt ganz verschiedenes. Von letzteren [sic], wel-
stellen zu mussen (vgl. A 6/ 11, 2. Teil zu ,Nota 12"). (,F1att- ches eigentlich der Verf. meint, liegt nicht das mindeste
Rezension der TVV" ( cf. A 3/ 21 ), S. 308 f.) Diez zieht in zunachst in unserm BewuEtseyn". Beziiglich der Gleich-
seiner Replik auf Flatt diese heiden Einwande zusammen. setzung der Einwande von Fiirstenau und Flatt vgl. ebd.
33 Flatt erklart als Skeptiker gegen den Satz des BewuEtseins S. 91 mit dem in A 3/ 33 referierten Einwand Flatts. - Diez'
(TVV § VIL S. 200), er fuhle sich durch sein BewuEtsein Rede von dem durch Reinhold ,ausgeworfenen Trumpf"
z~ar ~urn Glauben an die Wirklichkeit einer Vorstellung, (vgl. A 3/ 34) ist moglicherweise auch in Anlehnung an die
mcht Jedoch zur Annahme eines von deren Inhalt verschie- Rintelner Rezension zu sehen, wo Reinholds Begriindung
denen Objektes genotigt (,Flatt-Rezension der TVV" (cf. des Satzes des BewuEtseins als ,emphatischer Beweis"
A 3/ 21 ), S. 309). (Vgl. A 3/ 39.) (S. 90) bezeichnet wird, wahrend Reinhold selbst in seinem
34 Reinhold zufolge ist man zur Annahme des Satzes des Kommentar des § VII den zitierten Satz in keiner Weise
BewuEtseins, der in TVV § VII aufgestellt wird, durch das hervorhebt (TVV S. 200). Vgl. auch Flatts Aufnahme der
BewuEtsein geniitigt. In TVV § VII S. 200 meint Reinhold Beweisformel in ,Flatt-Rezension der TVV" ( cf. A 3/ 21 ),
darum bezweifeln zu konnen, daE je ein Sophist den Inhalt S.309.
des Satzes des BewuEtseins geleugnet habe. Die von Diez 36 Spadille und Manille stellen im !'Hombre (Lomberspiel)
als. ,Trumpf" (vgl. A 3/ 35) charakterisierte Begriindung die heiden hochsten Triimpfe dar. Der erste Trumpf (Spa-
~emholds lautet: ,Er hatte das Bewufltseyn laugnen oder dille) ist stets Pique-As, der zweite (Manille) variiert mit
v1elmehr verloren haben miissen." (Vgl. A 6/ 12 zu der Trumpffarbe von Spiel zu Spiel und ist entweder eine
,Nota 16".) rote Sieben oder eine schwarze Zwei. L'Hombre wurde
35 In den Annalen der neuesten Theologischen Litteratur und Kir- auch alternierend mit zwei verschiedenen Kartenspielen
chengeschichte, 2. Jahrgang, Rinteln 1790, 6. Woche, S. 86-92, gespielt, so daE wahrend des Ausgebens des einen Talons
und 7. Woche, S. 97- 99, wird die TVV rezensiert. Im Ca- der andere neu gemischt werden konnte. (Vgl. Franz von
talogus Prifessorum Rinteliensium, hrsg. von Willy Hansel, Posert, Deutsche, Franzo:Sische undEnglische Kartenspiele, Leip-
Rinteln 1971, S. 86, wird Carl Gottfried Fiirstenau (1734- zig 101902, S. 36; Das neue lconigliche l1lombre nebst einer
1803).' seit 1756 ordentlicher Professor der Philosophie griindlichen Anweisung, wie Quadrille, Cinquille, Piquet nach
und Okonomie und seit 1764 zusatzlich ordentlicher Pro- jetziger Art zu spielen sind, Hamburg 141797, S. 8, 44.) - Vgl.
fessor fur Logik und Metaphysik in Rinteln, als Rezensent B2/ 42.
fur dieses Organ gefuhrt. Stilistische und inhaltliche Paral- 37 GemaE §XV der TVV, S. 230, gehort zu jeder Vorstellung
lelen zu Selbstrezensionen und eindeutig Fiirstenau zu- ,als inn ere Bedingung ( als wesentlicher Bestandtheil der
schreibbaren Rezensionen philosophischer Literatur sowie blossen Vorstellung)" ein ,Sto/f der Vorstellung". (Vgl.
das aus der Rezension selbst hervorscheinende biographi- A3/ 42.)
sche Profil des Autors machen es sehr wahrscheinlich, da.E 38 AnlaE fur die Diezsche Reformulierung des Satzes des Be-
Fiirstenau der fragliche Rezensent der TVV ist (vgl. auch wuEtseins einerseits sowie fur seine Bezugnahmen auf die
A 3/ 41 ). - In der Rezension stellt Fiirstenau die Frage ,Fiirstenau-Rezension der TVV" ( cf. A 3/ 35), auf Reinholds

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Kommentar zu den Briefen A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

§ IX in der TVV und auf Flatts ,.Erinnerung" (vgl. A3/ 33) wolle, daiS Flatt sich nicht durch sein BewuEtsein zur An-
bzw. ,Ausdruck" (vgl. A 3/ 39) andererseits ist die Doppel- nahme eines von der Vorstellung selbst unterschiedenen
deutigkeit des Vorstellungsbegriffs: Vorstellung als Hand- Objekts ,genothigt ftihle", so habe er zu beweisen, ,daiS
lung einerseits und als Produkt der Handlung andererseits. er [Flatt] das BewuEtsein laugne oder gar verlohren habe",
Reinhold nirnmt in § IX der TVV, S. 210, eine Disambi- sei aber im iibrigen auch dazu aufzufordern, ,einen strengen
guierung vor, die ftir den Handlungsaspekt den Begriff Erweis der stillschweigend angenommenen Voraussezung"
Vorstellen vorsieht und den Begriff Vorstellung ausschliefSlich zu geben, ,daE von der subjectiven Nothigung auf objective
fiir die unmittelbare Wirkung eines solchen Aktes des Vor- Nothwendigkeit und Wahrheit sicher geschlossen werden
stellens reserviert. Diez nimmt von Reinhold nur die Un- konne" (,Flatt-Rezension der TVV" (cf. A3/ 21), S.309).
terscheidbarkeit als solche auf, denn laut Diez behalt unter Diez bezieht sich vornehmlich auf den ersten Teil dieser
Anlehnung an Fiirstenau der Satz des BewuEtseins seine zweifachen Forderung. Im folgenden hebt er namlich eine
Geltung nur, ,insofern Vorstellung die Handlung des Vor- Unbestimmtheit in Reinholds Formulierung hervor, die sei-
stellens bezeichnet" (S. 22 Z. 19 f.; Hervorhebung durch den ner Ableitung des Gegebenseins eines Stoffes zugrunde
Hrsg.). In der ,Fiirstenau-Rezension der TVV" (S. 91, be- liegt und die nicht damit vereinbar ist, daiS Reinhold doch
sanders S. 97) soll im Sinne von Diez der Satz des Be- ,nur von dem allgemein Geltenden ausgehen und nur aus
wuEtseins als eine Aussage iiber Vorstellungsakte seine diesem folgern will" (S. 23 Z. 1 f.). Diez findet also Flatts
Geltung behalten konnen: Von der Handlung des Vorstel- Forderung ,nicht ganz ungegriindet", statt von der Berufung
lens ist neben dem Subjekt, welches die Handlung vollzieht, darauf, man sei ,durch das BewuEtsein genothiget" (TVV
das Objekt, als das, was kraft der Handlung vorgestellt wird, S. 200), von erwiesenen oder doch unzweideutig for-
zu unterscheiden. Die Reinholdsche Differenzierung von Hand- mulierten Satzen auszugehen, die wirklich ,allgemein Gel-
lung und Produkt des Vorstellens sei zwar einzuraurnen, aber tendes" formulieren. (In seiner Rezension hat Flatt diese
Reinhold verstehe unter der Vorstellung ausschlieElich das Pro- Unterscheidung spater (S. 312) mit der Unterscheidung zwi-
dukt des Vorstellens (TVV ebd.). DaiS aber von der Vorstellung schen einem ,Ausspruch des gemeinen Menschenverstan-
als Produkt des Vorstellens nochmals ein Objekt unterschieden des" und ,einer fur die philosophische Welt allgemeingel-
werden miisse, habe Reinhold erst noch zu beweisen. tenden Wahrheit" identifiziert (vgl. auch im folgenden unter
39 Nachdem Diez Flatts skeptische ,.Erinnerung" als ,sehr ge- ,12)", A 3 S. 24 Z. 28 ff. und A 3/ 59).) Es ist nicht sicher,
griindet" charakterisiert (vgl. S. 21 Z. 35-37), erscheint F1atts inwieweit Diez auch Flatts allgemeiner Unterscheidung zwi-
Einrede an dieser Stelle in freier Wiedergabe: Vor dero schen ,subjektiver Nothigung" und ,objektiver Notwendig-
Hintergrund der Unterscheidung zwischen dem Inhalt der keit und Wahrheit" und der skeptischen Frage danach bei-
Vorstellung und dem Akt des Vorstellens (vgl. A 3/ 38) hatte treten will, wie sich erweisen lasse, man konne von der
Flatt erklart, daiS der Skeptiker ,durch sein BewuEtseyn ersteren auf die letztere schlieEen. Auf diese Unterscheidung
nicht zur Annahme eines vom lnnhalt der Vorstellung selbst hat Gottlob Ernst Schulze zwei Jahre spater seine skepti-
unterschiedenen Objects, sich genothigt ftihle." (,Flatt-Rezen- schen Einwendungen gegen Kant und den Kantianismus,
sion der TVV" ( cf. A 3/ 21 ), S. 309; vgl. auch A 3/ 33.) auch von Reinhold, begriindet (vgl. Aenesidemus oder iiber
40 Diez nimmt auf Flatts Bemerkung ( unmittelbar im Anschlu.B die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in lena
an die in A 3/ 39 zitierte Stelle) Bezug, die von Reinbold geliiferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des
das folgende einfordert. Wenn er, Reinhold, nicht glauben Skepticismus gegen dieAnmaassungen der Vernunjtkritilc, Helm-

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Kommentar zu den Briefen A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

stedt 1792, S. 143 ff., S. 186 ff.). (Zum Begriff der ,objektiven Stoff ist dasjenige in der b}ogen Vorstellung, das den Gegenstand
Wahrheit" vgl. unter anderem TVV S. 95.) - Vgl. die zeit- , vertritt" oder ,repriisentiert", der nicht bloge Vorstellung ist (vgl. TVV
gleiche Diskussion im Briefwechsel mit SiiiSkind C 1 S. 170 S.230f.). Diez war auf TVV S.230 auch ausdriicklich durch die ,Fiir-
Z. 23- S. 171 Z. 9 und Diez' Beschaftigung mit der anderen, stenau-Rezension derTVV" (cf. A3/35), S. 91, besonders S. 97, verwiesen,
der Sache nach verwandten Unterscheidung zwischen sub- in der vom Stoff der Vorstellung ,in Unterscheidung vom Gegenstand
jektiver und objektiver Realitat A 3 S. 18 Z. 26 - 8.19 z. 31 der Vorstellung" die Rede ist. In der Begriindung des Theorems des
und A3l 19. Gegehenseins des blogen Stoffes und des Hervorgebrachtseins der blogen
41 Diez' Anspielung auf den Autor der anonym erschienenen Form in jeder Vorstellung (vgl. TVV § XVIII, S. 255) erkliirt Reinhold,
Rezension in den Annalen derneuesten TheologischenLitteratur eine Vorstellung sei nur dadurch moglich, dill ,zwey verschiedene Etwas
und Kirchengeschichte (cf. A3l 35) HiiSt sich aus der Art der [d. i. Stoff und Form] vereiniget vorkommen, wovon das eine (d. i. Form]
Formulierung des Diezschen Einwandes erklaren: Er irnitiert dem von dem vereinigten selbst unterschiedenen Subjekte, und das
darin den Fragestil des Rezensenten, der Reinhold unter andere [Stoff] dem von ihm unterschiedenen Objelcte angehiirt" (TVV
anderem auffordert zu erklaren, ,was der Leser (... ] bey S. 256, Hervorhebung durch den Hrsg.) . Diez kritisiert die Unter-
dies em Worte: Subjelct denken solle" (,Fiirstenau-Rezension bestimmtheit des Stoffbegriffs in §XV (als das ,dem Ge-
der TVV" ( cf. A 3135), S. 90). Diez stellt analog, ,ala Herzog: genstande Entsprechende") und in § XVIII (als das ,dem
die Frage, was (... ] bei dem ,Entsprechen dem Gegenstande' Objekte Angehorende") mit weiterer Riicksicht darauf, daiS
zu denken" sei. Dag Diez sich an dieser Stelle nur formal an Fiirstenau Reinhold von dieser Grunderkliirung das Gegebensein des
anlehnt, Jiigt sich aus seiner Formulierung ,a Ia" ersehen, wiihrend er Steffes ableitet (vgl. TVV S. 257). BewuiStsein ist Reinhold
hei inhaltlichen Bezugnahmen im vorliegenden Brief ausdriicklich von zufolge nur dadurch moglich, ,daiS in der blossen Vorstel-
Argumentationen ,mit" dem Rezensenten spricht (vgl. S. 22 Z.I8 und lung etwas enthalten ist, das nicht durch die Handlung
Z. 20). - Die Verwendung des Namens bzw. der Bezeichnung ,Herzog" des Gemiithes entstanden (... ] ist, sondern [... ] das bey
im Zusammenhang mit Fiirstenau lieg sich nicht aufkliiren. Aus keiner der Handlung des Subjekts vorausgesetzt wird und dem
der universitiitsgeschichtlichen Quellen (vgl. unter anderem Catalogus Objekte eigen ist, [d. h.] [... ] Gegeben ist". (Vgl. A 3140,
ProfessorumRinteliensium (cf. A 3/ 35)) ergibt sich daft.ir ein Anhaltspunlt. I 47 und I 49 sowie Cadi VI. 2. b.)
Es gibt auch keinen anderen Gelehrten dieses Namens, den Diez fur 43 Vgl. die ,Fiirstenau-Rezension der TVV" ( cf. A 3135), S. 97,
den Verfasser der Rezension hiitte halten konnen. Vermutungen, die in der aus der Kritik am Satz des BewuiStseins die Folge-
etwa auf einen Diez bekannten Spitznamen gehen konnten., sind ohne ableitungen fur grundsatzlich ,unerwiesen" erklart werden.
Grundlage in den Quellen. 44 Die ,Flatt-Rezension der TVV" ( cf. A 3121) nimmt auf das
42 §XV der TVV (S. 230) enthalt die Bestimmung des Rein- Mannigfaltigkeitstheorem nicht Bezug. Diez sieht gleichwohl
holdschen Stoffbegriffs als eines integralen Bestandteils der sachliche Griinde fur eine solche Bezugnahme, da es iiber
bloiSen Vorstellung (Diez: ,Stoff - in der Reinholdschen den Rezeptivitatsbegriff in einem Ableitungszusammenhang
Bedeutung" (S. 22 Z. 16)), auf die Diez hier Bezug niromt mit dem Theorem des Gegebenseins steht. Dariiber hinaus
(vgl. auch A 3137): Stoff sei dasjenige, ,welches dem [...] hatte Furstenau, anders als Flatt, den Beweis des Mannig-
von der Vorstellung durchs BewuiStseyn unterschiedenen faltigkeitstheorems in demselben Kontext wie Diez dezidiert
Gegenstande [... ] entspricht" (Hervorhebung durch den abgelehnt: Dieser Beweis sei "bloEe Sophisterei" (,Fiirste-
Hrsg.). (Vgl. auch TVV S.231.) In TVV S.23lf. erliiutertReinhold nau-Rezension der TVV" (cf. A3135), S. 98). Vgl. A6 S. 44
den Unterschied zwischen Stoff und Gegenstand einer Vorstellung. Der Z.15-35.

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Ko=entar zu den Briefen A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

45 Vgl. A2 S.l3 Z.l und A2/ 21 sowie A3 S.21 Z.IS-20 52 Flatt behauptet (,Flatt-Rezension der TVV" ( cf. A 3/ 21 ),
und A3/ 26. S. 311 ), der Satz der Kausalitat musse transzendentale Gul-
46 Vgl. ,Flatt-Rezension der TVV" (cf. A3/ 21), S. 310: Als Ber- tigkeit besitzen, wenn ,.,Dinge an sich etwas seyn sollen,
keleyischer Idealist wlirde Flatt Reinholds Beweis des Daseins worinn irgend etwas anders gegriindet ist, oder wodurch
der Dinge auger uns (TVV S. 299 ff.) nicht uberzeugend find en es bestimmt wird".
(vgl. A3/ 22), sondern sich vielmehr ,eine bundige Widerle- 53 Vgl. oben S. 19 Z. 23 f. mit A 3/ 19.
gung der Meinung erbitten, d~ die Vorstellung von der 54 Flatt argumentiert in der Rolle des Wolffianers (vgl. A3/ 22)
Korperwelt durch die Einwiirkung Gottes auf das vorstellende gegen Reinhold am Beispiel der These (in TVV S. 245 ff.),
Subject hervorgebracht werden konne" (vgl. A3/ 24). derzufolge Dinge an sich nicht vorstellbar seien: Durch
47 Diez kontrastiert seine Diagnose eines Beweisfehlers ge- eine Reformulierung der Beweise Reinholds in schulge-
genuber Flatt unter Bezugnahme auf eine in TVV S. 294£. rechter Form, also in der Form von Syllogismen aus deut-
eingeft.ihrte Unterscheidung: Subjektiven Stoff nennt Rein- lich bestimmten Begriffen und Prinzipien, lasse sich nach-
hold den Stoff besonderer Vorstellungen, die keinen an- weisen, dag manche seiner Schlusse keine SchluEkraft
deren Gegenstand als die Formen von Rezeptivitat und besagen. (,Flatt-Rezension der TVV" (cf. A 3/ 21), S. 311.)
Spontaneitat haben. Von ihm wird der Stoff unterschieden, Die Starke Wolffs war der schliissige Aufbau eines aile philosophischen
,der dem Gemuthe schlechterdings nur als blosser Stoff Disziplinen einschlieBenden Systems aus seinen Pramissen und den in
und von aussen her gegeben seyn muE, und den wir daher iibersichtlicher Ordnung eingefiihrten Theoremen. Nach Flatt liegt das
den objelctiven Stoff nennen wollen". Vgl. zur weiteren Ar- Defizit der TVV also insbesondere in mangelnder ,Festigkeit und Har-
gumentation in Reinhold auch ebd. §XXVIII S. 297 f. - monie" (vgl. ebd. S. 310), d. h. ,Vereinbarkeit" der Satze der TVV (ebd.
Vgl. Gadi VI. 2. b und c. S.3ll).
48 Vgl. TVV § XIX S. 299. 55 Diez bezieht sich hier auf Flatts Kritik an Reinhold in der
49 Diez kritisiert hier eine weitere, von Reinhold in Anspruch Rolle ,.,eines Vertheidigers der achten Kantischen Lehre"
genommene Argumentation fur die Annahme eines Gegen- (vgl. A 3/ 22). Er erklart, daE a) Reinholds inhaltliche Ab-
standes augerhalb der Vorstellung: Nach TVV S. 295 ff. kann weichungen von Kant ,nicht erweislich" seien und b) seine
man zur Vorstellung der Formen der Rezeptivitat und der methodischen Abweichungen auf einen weit weniger si-
Spontaneiti.it nur durch ,Abziehung" von besonderen Vor- cheren Weg ft.ihrten, als der Kants es sei. (,Flatt-Rezension
stellungen gelangen, ,.,die einen objelctiven Stoff haben miis- der TVV" ( cf. A 3/ 21 ), S. 311.) In den folgenden Briefen
sen". Wegen der Zweideutigkeit in der Rede von einem kommt Diez auf diese Einwande Flatts nicht mehr zuruck,
objektiven Stoff, die Diez vorher aufgewiesen hat, fuhrt abgesehen von einer kurzen Bemerkung in A 6 S. 45 Z. 3 ff.
aber auch diese Pramisse, die Diez nicht bestreitet, keines- Fur Reinholds Replik vgl. ebd. mit A 6/ 23.
wegs zu der Folgerung, der objektive Stoff setzte ,Gegen- 56 Vgl. A 3/ 55 unter a).
stande auger dem Subjekte" voraus. 57 Cadi VII. 2.
50 Vgl. S. 20 Z. 11 ff. und A 3/24. 58 Vgl. A3/ 55 unter b).
51 ,Blatt" meint das 39. Stuck der Tiibinger Gelehrten Anzeigen 59 Als Popularphilosoph (vgl. A 3/ 22) wurde Flatt Reinhold
mit der ,Flatt-Rezension der TVV" (cf. A 3/21); vgl. A3 daran erinnem, dag er selbst mit dem Satz des BewuEtseins
S. 21 Z. 16 f.: ,,ch habe inzwischen die Flattische Rezension ,.,einen Ausspruch des gemeinen Menschenverstandes mit
[...] zur Hand bekommen". einer fur die philosophische Welt allgemeingeltenden Wahr-

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Kommentar zu den Briefen A 3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

heit verwechselt habe" (,Flatt-Rezension der TVV" (cf. ningen (vgl. A2/7). In welcher besonderen , Verbindung
A3/ 21), S. 312). - Zur Sache vgl. A3/ 40. mit dem Empirischen" er etwa dari.iber hinaus im Juni
60 Vgl. A3 S. 22 Z.19f.: Diez zufolge hat der Satz des BewuEt- 1790 stand, wurde nicht ermittelt.
seins Geltung, insofern Subjekt und Objekt von der Vor- 68 Der Kirchenrat, die seit der GroEen Kirchenordnung von
stellung im Sinne der Handlung des Vorstellens unterschie- 1559 so benannte Zentralbehorde, war die hochste Instanz
den werden (vgl. A 3/ 38 und / 39). in den Kirchenangelegenheiten Wurttembergs. Er gliederte
61 Zu Reinholds folgender Publikation vgl. A 3/ 21; er kundigt sich in zwei Abteilungen, das geistliche Konsirtorium mit
die Beytriige I ( cf. A 3/ 21) selbst kurze Zeit spiiter im IB zwei Juristen, drei Theologen und drei Subalternen sowie
der ALZ Nr. 80 vom 26. Juni 1790, Sp. 655, an. Diez muE den weltlichen Kirchenratals die politisch-okonomische Ab-
die Nachricht auf anderem Weg, wahrscheinlich also uber teilung mit zwei Juristen, 17 Kammerriiten und 25 Subal-
Niethammer erhalten haben. Vgl. A 3/ 62. ternen (Zahlen fur das Jahr 1765). 1698 wurden beide
62 Diez erwartet eine Erwiderung Reinholds auf Flatts These, Abteilungen zu selbstiindigen Gremien erhoben. Dem welt-
daE ebenso, wie dem Publikum seine (Flatts) philosophische lichen Kirchenrat (Collegium Camerale Ecclesiasticum)
Parteigiingerschaft (vgl. A 3/ 22) gleichgi.iltig sei, es ihm oblag die Verwaltung des Kirchenkastens, d. h. der Ein-
selbst gleichgi.iltig sei, , welche Siize von irgend einem phi- nahmen aus geistlichem Gefalle und Pfarrpfri.inden, woraus
losophischen Individuum ftir allgemeingeltend oder fUr all- die Aufwendungen ftir den Unterhalt der Kirchenorgani-
gemeingi.iltig erkliirt werden" (,Flatt-Rezension der TVV" sation, des Schulwesens und der Armenfursorge, wozu auch
( cf. A 3/ 21), S. 312). In seinen ,Bemerkungen" zur Rezension Flatts das Medizinalwesen gehorte, zu bestreiten waren. Vorran-
im Anhang der Beytriige I (cl. A3/ 21), S. 422, stellt Reinhold die Frage: gige Aufgabe des Konsistoriums war es, die Wahrung der
"Wie vertragt sich diese Gleichgiltigkeit mit dem Spotte und der zu· evangelischen Konfession und Kirchenordnung zu gewiihr-
riickgehaltenen und verdorbenen Galle, die allenthalben an dieser Be- leisten. Dazu ziihlte unter anderem auch die Kontrolle der
urtheilung, und selbst an dieser Versicherung der Gleichgiiltigkeit, so Lehrtiitigkeit und des Lebenswandels der Kirchen- und
merklich ist?" Schuldiener, die mittelbar durch die vier Generalsuperin-
63 ,Flatt-Rezension der TVV" ( cf. A 3/ 21 ), S. 312, bezieht sich tendenten und durch die diesen subordinierten, fur die
auf das dritte Buch der TVV (,Theorie des Erkenntnisver- einzelnen A.mter jeweils zustiindigen Dekane (Spezial-
mogens i.iberhaupt", S. 319- 579) nur mit einer kursorischen superintendenten) in sogenannten Visitationen ausgei.ibt
Kritik an der Stellung des Satzes des Widerspruches in wurde. Die regelmiiEigen Visitationsberichte wurden auf
der Ableitungsfolge. - Vgl. A 6 S. 45 Z. 3 ff. und A 6/ 20. dem jiihrlich ein- his zweimal stattfindenden Synodus be-
64 ,Flatt-Rezension der TVV" ( cf. A 3/ 21 ), S. 312, schlieEt mit raten, zum Teil in Anwesenheit der Generalsuperintenden-
einem Zweifel hinsichtlich des erwarteten ,goldene[n] Zeit- ten. (Vgl. Bernd Wunder, ,Der schwiibische Kreis", in: Kurt
alter[ s] der Philosophie", in dem aile Philosophen ,unter G. A. Jeserich, Hans Pohl, Georg-Christoph von Unruh
der Leitung allgemeingeltender Principien, und vielleicht (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 1 Stuttgart 1983,
auch - irgend eines philosophischen Hirten, zu einer Heerde Kap. V: Die Verwaltung in den einzelnen Territorien, § 4
vereint seyn werden". S. 615-633, S. 625 f.; Friedrich Wintterlin, Geschichte der Be-
65 Lat.: Spendet Beifall! Mrdenorganiration in Wiirttemberg, Bd. 1 Stuttgart 1904,
66 Gemeint ist Klett (vgl. A 3/ 1). S. 41-43, 96f.; Wilhelm Lempp, Der wiirttembergirche Syn-
67 Klett war seit dem 8. Dezember 1789 Vikar in Unterlen- odus 1553-1924. Ein Beitrag zur Geschichte der wiirttember-

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gischen evang. Landeslcirche, Stuttgart 1959 (= 12. Sonderheft CZ1787 und weitere Auflagen), hat auch Johann Friedrich
der Blatter fur wiirttembergische Kirchengeschichte), S. 23- Flatt in dem einzigen Semester, in dem er iiber Philoso-
51, 94f.; Brecht, Kirchenordnung (cf. A3/ 18), S. 35ff.) phiegeschichte las, zugrunde gelegt. Die in der Edition gebrauchte
69 Gaisburg war eine Gemeinde nordlich von Stuttgart und Schreibweise des Namens Rosier ist aus Roslers eigener Praxis in den
ist heute als Stadtteil eingemeindet ( vgl. Miillers Grofies Akten der Universitat begri.indet (vgl. neben den zitierten Akten auch
Deutsches Ortsbuch, Bundesrepublilc Deutschland, Altgebiet. Vo!!- UAT 131/ 69).
standiges Gemeindelexilcon, bearb. von Joachim Muller, Wup- 72 Heinrich Eberhard Gottlob Paulus(/') (1761-1851) aus
pertal 24 1991-1992, 8.232, 744). Schorndorf wurde nach AbschluE seines Studiums im Stift
70 Zitat aus Niethammers vorangegangenem Brief an Diez (vgl. - 1781 war er Primus der Magisterpromotion (vgl. Magi-
Lupin, Niethammer ( cf. A 2/ 1), S. 15, der aus den Originalen sterprogramm Tiibingen (cf. A 1/ 2) von 1781) - und einer
von Niethammers Briefen zitieren konnte. Nach Diez' Tod gelehrten Reise durch Deutschland, Holland, England und
gingen Niethammers Briefe an Diez aus der Zeit vor dessen Frankreich 1789 als ordentlicher Professor fur orientalische
Abreise nach Wien im Herbst 1795 (vgl. E 7/ 1) an Niet- Sprachen nach Jena berufen, wo er Nachfolger Johann Gott-
hammer zuriick (vgl. den Brief Schnurrers an Nietharnmer fried Eichhorns wurde (vgl. C 1/ 10). 1793 wurde er dritter
vom 24. Aprill797 (S. 1; UBE, Ms. 2054 ), auch In Vorfeldern ordentlicher Professor fur Theologie, im Jahr darauf zweiter.
des Idealismus (V 1), S.834f.)). 1803 ging er als ordentlicher Professor der Theologie nach
71 Christian Friedrich Rosier (1736-1817), seit 1777 ordent- Wurzburg, und von 1811 his 1844 lehrte er als Professor
licher Professor der Geschichte in Thbingen, las haupt- fur Theologie und Philosophie in Heidelberg. Sein NachlaE
siichlich iiber Staaten- und Reichsgeschichte, auEerdem ne- befindet sich in der UB Heidelberg. (Vgl. Steinmetz, Uni-
ben Kirchengeschichte (vgl. C 2/ 27) auch Philosophiege- versitat]ena (cf. A2/ 12), Bd.1 S.262-264; Karl Alexander
schichte, wodurch er in Diez' Briefstelle mit Reinhold von Reichlin-Meldegg, Heinrich Eberhard Gottlob Paulus und
iiberhaupt erst vergleichbar wurde (vgl. das lateinische Vor- seine Zeit, nach dessen literarischem Nachlasse, bisher unge-
lesungsverzeichnis Ordo praelectionum cum publicarum tum druclctemBriefwechsel und miindlichenMittheilungen dargestellt,
privatarum in perantiqua studiorum Universitate Tubingensi 2 Bde. Stuttgart 1853; Heinrich Eberhard Gottlob Paulus,
Eberhardino-Carolina habendarum ..., [Thbingen] (UAT)). Slcizzen aus meiner Bildungs- und Lebensgeschichte zum An-
Niethammer horte bei Rosier Philosophiegeschichte (Lupin, denlcen an mein 50jahriges ]ubilaum, Heidelberg, Leipzig
Niethammer ( cf. A 2/ 1), S. 8) und disputierte auch unter 1839.) Paulus vertrat his zu seinem Tod eine rationalistische
Roslers Priisidium De commentitiis philosophiae Ammonianae Interpretation der biblischen Texte und Geschichten, was
fraudibus et nexis (vgl. das Magisterprogramm Tiibingen (cf. ihn unter anderem zu einer heftigen Polemik gegen Schel-
A 1/ 2) von 1786). Hegel und Holderlin horten ebenfalls lings Spiitphilosophie veranlaEte. In seiner friihen Zeit hatte
bei Rosier (vgl. das Magisterprogramm Tiibingen von 1790). Paulus auch groEes Interesse an der Philosophie. Das geht
Aus einem Schreiben Roslers an den Thbinger Senat vom auch aus den Kommentaren zu den von ihm gesammelt
9. Miirz 1792 geht hervor, daE er ,seit etwa 12 Jahren" herausgegebenen Schriften hervor, die als Programmschrif-
seine philosophiehistorischen Privatvorlesungen regelmiiEig ten oder zu anderen Zwecken urspriinglich innerhalb von
,nach eigenen Heften und nach Meiners Compendium" Hochschulen erschienen waren (Bibliotheclc von Anzeigen
gelesen hat (UAT, 117/ 1 H). Christoph Meiners Compen- und Ausziigen lcleiner meist Alcademischer Schrijten> theologi-
dium Grundr!fl der Geschichte der Weltweisheit, Lemgo 1785 schen> philosophischen, mathematischen>historischen und philo-

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lotfschen lnnhalts, 3 Bde. Jena 1790-1792; vgl. auch Paulus, Interessen gegeni.iber Ettinger vertreten zu haben, weswe-
Bzldungs~. und Leb:nsgeschichte, S. 128 ff.). Uberhaupt war gen Schnurrer ihn als "den wahren Schuzengel des Buches"
Paulus wahrend semer Jenaer Zeit als Mitarbeiter und Her- erachtete. "Ohne Ihre Dazwischenkunft wiirde die Sache
ausgeber vieler Zeitschriften tatig. Bereits kurz nach seinem nicht einmal das worden seyn, was sie nun doch endlich
Eintreffen in Jena wurde er zu Rezensionen in der ALZ worden ist." (Schnurrer an Niethammer, Thbingen, den
eingeladen ( ebd. S. 4 ). Herausgegeben hat er IDehrere theo- 2. Juli 1790, S. 1 f., DLA Marbach.) - Vgl. dazu A 5/ 7.
lo~is~he Zei~_schri~en, in denen er auch zahlreiche eigene 75 Vgl. A 2/ 19.
Be1trage veroffentlichte: Neues Repertorium for biblische und 76 Vgl. A2 S. 11 Z. 8f. und A2/ 3.
m_orgenlandischeLiteratur, 3 Bde. Jena 1790-1791 (vgl. dazu 77 In den Stifts-Statuten von 1752 ( cf. A 3/ 18), Kapitel2 § 11 ,
D1ez' Plan einer Publikation iiD Brief voiD 9. Miirz 1791 S. 15, heillt es zu den "beliebigen Stunden" der Repetenten:
(A'! S. 59 Z. 6f. und A 7/ 57)); Memorabilien; eine philoso- "Wofern auch einige Stipendiaten von den en Repetenten
phzsch-t~e~logische Zeitschrift der Geschichte und Philosophie eine Privat-Unterweisung begehren wi.irden, solie solche
de: Relzgzonen, dem Bibelstudium und der morgenliindischen ohne Abbruch der offentlichen LectionuiD und Collegiorum,
Lzteratur gewidmet, 8 Bde. Leipzig 1791-1796; Neues theo- die von den en Professoribus gehalten werden, mit Vorwissen
lotfsches Journal, Ni.irnberg 1795-1798. Seine ehedem pro- und Gutheissen des Inspectorats, in einer etwa leer ste-
IDmente Stellung im Stift, sein Ansehen als Gelehrter und henden Stube, geschehen." (Vgl. auch Bok, Geschichte der
seine weit ausgreifenden, auch philosophischen Interessen Universitiit zu Tzibingen (cf. A2/ 5), S.294f., zu Aufgaben
~achten ihn zu eineiD interessanten Gesprachspartner fur und Status der Repetenten vgl. S. 301 f.) In den Thbinger
d1e Besucher, die aus Schwaben nach Jena kamen. Thnen Magisterprogrammen ( cf. A 1/ 2) wurden schon lange vor
st~llte er auch seine Adresse, etwa fi.ir den EIDpfang von der Stiftsreform von 1793 Vorlesungen von Repetenten
Bnefen, zur Verftigung (vgl. Siigkind an Diez voiD 29.- 31. unter solchen Vorlesungen genannt, deren Besuch iiD Aus-
Miirz 1791, C 10 S. 246 Z. 27-30, und C 10/ 13). bildungsgang angehender Magister besonders hervorgeho-
73 Wie Niethammer Diez IDitgeteilt hat (vgl. A 3/ 70), las Rein- ben wurden. Nach der StiftsreforiD von 1793 scheinen die
hold i.iber Logik und Metaphysik. (Vgl. auch die Vorle- Repetenten in ihren Privatkollegien bzw. -vorlesungen nicht
sungsanki.indigung im IB der ALZ Nr. 45 voiD 10. April nur mehr ~esefreiheit" gehabt zu haben, sondern ihre
1~90, Sp. 355: Reinhold tragt ~ogz·k u. Metaphysik [... ] nach Veranstaltungen wurden den Stipendiaten auch mit IDehr
D1ctaten vor".) Predigten und Katechisationen gehorten zu Nachdruck eiDpfohlen. In den erneuerten Stifts-Statuten von
Diez' Vikarspflichten. 1793 werden sie angehalten, die "Vorlesungen der Profes-
74 Niethammer hatte die Aufgabe i.ibernommen, die heiden soren und Repetenten" fleigig zu besuchen (Erneuerte Sta-
Indices zu der SaiDmlung von Hochschulschriften anzu- tuten.for das Herzogliche theologische Stift zu Tii.bingen, Stuttgart
fertigen, die Schnurrer beim Verleger Ettinger in Gotha 1793, § 6 S. 7 f., vgl. hierzu auch § 17 S. 14 ("Vorlesungen
z~r Herbstmesse 1790 als Dissertationes philologico-criticae, der Repetenten im Kloster"); vgl. auch Leube III, S. 64).
szngulas primum nunc cunctas herausbrachte. Vgl. den bi- Die lnhalte dieser Vorlesungen oder Privatkollegien der Repetenten werden
bliographischen Anhang zu NiethaiDmers Selbstbiographie in den Repetenten-Statuten von 1793 ausflihrlich benannt: ,Privatkollegien.
in De persuasione (cf. A2/ 1), (unpaginiert) S. 11 f., und die Von den Repetenten wird erwartet, daE sie in dem Kloster etwa auf
Rezension der Sammlung in den ThA 77. Stuck vom 27. einem leerstehenden Zimmer, auf dem Speisesal, in der Kapelle philo-
September 1790, S. 610. Dan eben scheint er Schnurrers logische, philosophische und theologische Privatkollegien geben, und

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theils auEer dem Unterricht in der morgenlandischen Litteratur die der ganze theologische Kurs von den Studenten absolviert
Stipendiaten durch Logik, Geometrie, Psychologie und andere philo- werden konnte. (Vgl. Statuta renovata Universitatis Tubin-
sophische Wissensd1aften im eignen Erfinden und achdenken iiben, gensis ad mandatum Caroli Serenissimi Wurtembergiae ducis,
theils ihnen die Klassiker der Griechen und Romer interpretiren, und Stuttgart 1752, S. 40; Kurzer Auszug aus denen Statuten
sie auf das Richtige, Schone und Beredte in diesen Geisteswerken der Universitiit 'llibingen, sofern solche die Studiosos, ihre
b estandig aufmerksam mach en; theils sie zur Ausbildung des deutschen Aufnahme, Studia et Mores, die Lectionibus und Collegia,
Styls durch Zergliederung guter Mu ster, eigne Aufsiize, Uebersezungs- die Gradus Academicos, der Collegiorum und Gradum Aca-
iibungen anweisen. Doch miiEen dergleichen Vorlesungen immer mit demicorum, wie auch der Kost und Logien Tax betreffen,
Vorwissen des Inspektorats, und nicht zum Abbruch der offentlichen vom Jahr 1770, abgedruckt in: August Ludwig Reyscher
Lektionen und Kollegien, und ohne parteiische Nach sicht gegen die- (Hrsg.), Vollstiindig und historisch kritisch bearbeitete Samm-
jenigen gehalten werden, welche solche b es uchen. Uebrigens wird der lung der Wiirttembergischen Gesetze, 19 Bde. Thbingen 1828-
Zutritt zu den selben auch denen gestattet, welche in der Stadt studiren." 1850, Bd. XI, 3 S. 450-459, S. 451. Vgl. auch Hans-Wolf
( Statutenfor die Repetenten des Herzoglichen theologischen Stijt.r zu Tzibingen, Thiimmel, Die Tiibinger Universitiitsverjassung im Zeitalter
Stuttgart 1793, § 23 S. 15.) Daraus, daB nicht verlangt wird, dcill des Absolutismus, Tt.ibingen 1975, S. 181-183.) Uhlands Ar-
die Repetenten jede Kollision mit Vorlesungen der Profes- gument sollte also ausschlieBen, daB den Professoren durch
soren vermeiden, liiBt sich vielleicht schlieBen, daE sie wirk- Vorlesungen von neuen Extraordinarien und von Repeten-
lich ,mehr Lesefreiheit" erhalten hahen. ten groEere Konkurrenz erwachsen konnte.
78 Ludwig Josef Uhland (1722 -1803), der GroBvater des Dich- 80 Ernst Ludwig Heinrich Schwindrazheim (geb. 1768, im
ters Ludwig Uhland, war nach dem Studium Repetent in Stift seit 1787, am 11. November 1790 erneute Immatriku-
Ttibingen, ehe er 1749 Diakon in Marbach und 1753 in lation in Thbingen, vermutlich fur ein Medizinstudium, da
Thbingen wurde. 1761 wurde er ordentlicher Professor fur er spiiter Arzt in Odessa war (MTii Nr. 38423 S. 329 und
Geschichte an der Universitiit 'llibingen, 1 777 dritter or- Nr. 38795 S. 351)) und Johann Christian Benjamin Riimelin
dentlicher Professor ftir Theologie und 1780 zweiter Or- (1769 -1821 ) , Stipendiat seit 1788 (MTh Nr. 38632 S. 341)
dinarius. und Kompromotionale Holderlins, spiiter Biirgermeister in
79 Numerus - der Terminus lieB sich in den Statuten der Herrenberg und Bopfingen (vgl. StA VIII S. 180). Zur Ent-
Universitiit Thbingen und in den zeitgenossischen Akten lassung vgl. Adolf Beck, in: StA VL 2 S. 557, und den dort
und Korrespondenzen nicht nachweisen - meint hier wahr- genannten Brief Schnurrers an Niethammer vom 2. Juli 1790
scheinlich die Anzahl der Gebiete oder der Vorlesungs- (S. 4; in Privatbesitz), in dem es heillt: ,A.uch ist M[agister]
stunden, auf die das Recht eines Professor zu lesen ein- Schwindrazheim und C[andidat] [i.e. Student im zweiten
geschriinkt war. GemiiB den Statuten batten die drei Or- Studienjahr] Riimelin entlassen. Nicht eben wegen eines
dinarien der Theologischen Fakultiit in offentlichen graben Vergehens, sondern iiberhaupt wegen ihres unor-
Vorlesungen iiher die Dogmatik, Exegese des Alten und dentlichen Betragens."
Neuen Testaments und Polemik zu lesen, wiihrend der vierte 81 Diese Vermutung wird durch Schnurrer bestiitigt; vgl. das
Professor iiber Moraltheologie und Kirchengeschichte las. Zitat aus der vorausgehenden Anmerkung. Zum Diszipli-
Die theologischen Nebenfacher aber, die in Privatkollegien narwesen des Stifts vgl. Leu be IL S. 240 und III, S. 56 f.
hehandelt werden konnten, waren unter den Professoren 82 Zu diesen Zeitungen gehoren in jedem Fall der Schwiibische
in freier Absprache so aufzuteilen, daE binnen drei Jahren Merkur und die diesem beigelegte Schwiibische Chronzlc, von

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Kommentar zu den Briefen A 3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

denen man annehmen kann, da:B sie von Niethammer in 1806), 1777-1794 Regierungsrat bzv:: Geheimer Regie-
Jena gelesen wurde. Schnurrer galt die Schwiibische Chronik rungsrat in Hohenlohe-Ohringen, 1794 Ubertritt i.n badische
als wichtige und aktuelle Informationsquelle fur aile ,Wtir- Dienste (Mitteilung des Hohenlohe-Zentralarchivs Neuen-
tembergerO im Ausland, z. B. in Gottingen, Jena u.s. w." stein vom 22. August 1983). Fischer, Fii.rstentum Hohenlohe
Sie liefere ,besonders die Beforderungen meist in der ersten ( cf. A 3/ 83), S. 232, teilt mit, da:B Anfang Mai 1790 Geheimrat
Neuheit". (Christian Friedrich Schnurrer an Johann Eber- von Ri.idt in Cappel von einer Menge Bauern aufgehalten
hard Heinrich Scholl, den 21. April 1792 (S. 2; WLB worden sei.
Stuttgart, Cod.hist 4° 295, 15-52).) Vgl. auch D2 8.281 88 Von lat.: praebere - darreichen, gewahren, i.iberlassen; vgl.
Z. 16-29. Prabende (Pfri.inde) (vgl. Grimm VIL Sp. 2041).
83 Vgl. Wolfram Fischer, Das Fiirstentum Hohenlohe im Zeitalter 89 Ein Heilbronner Advokat, der als Vetter Michel in Frage
der Aujkliirung, Ti.ibingen 1958 (= Tiibinger Studien zur kame, ist in den Quellen des Jahres 1790 im Hohenlohe-
Geschichte und Politik, hrsg. von Hans Rothfels, Theodor Zentralarchiv Neuenstein nicht nachweisbar. Erst ftir das
Eschenburg, Werner Markert, Bd. 10), S. 231-240. Zu den Ende des Jahres 1791 sind Verhandlungen des Heilbronner
im gesamtem Reich aufflammenden Bauernunruhen vgl. Stadtgerichtsassessors Friedrich Jakob Krausser (1740-
Helmut Berding (Hrsg.), Soziale Unruhen in Deutschland 1812) als offizielleiD ,Rechtsfreund" der klagenden Bauern
wiihrend der Franziisischen Revolution, Gottingen 1988. mit der Ohringer Regierung dokuiDentiert (Mitteilung des
84 Ein bestempeltes Papier, das ftir Vertrage und Eingaben Zentralarchivs voiD 22. August 1983). Auch im Stadtarchiv
zu benutzen und das nur gegen eine Gebi.ihr zu erhalten Heilbronn lie:B sich die Identitat des ,Vetter Michel", aller
war (vgl. Grimm XVIIL Sp. 2342 f.; Johann Christoph Ade- Wahrscheinlichkeit ein zur Tarnung gewahlter Name (vgl.
lung, Grammatisch-kritisches Jf'(/rterbuch der Hochdeutschen C 4/ 24), nicht aufklaren (Mitteilung vom 16. November
Mundart, mit bestiindiger Vergleichung der ii.brigen Mundarten, 1989). (Zu Krausser vgl. Wilhelm Steinhilber, ,Die Familie
besonders aber der Oberdeutschen, 4 Bde. Leipzig 2 1793-1801, Krausser", in: Schwaben undFranlcen, Beilage der Heilbronner
Bd. 4 Sp. 284 (Art. ,Stampelpapier", ,Stampelgeld", ,Stiim- Stimme, Jg. 8 Nr. 12 1963, S. 4.)
peln")). 90 Johann Carl Ernst (1752-1799), ab 17~.0 Lehrer (,Prazep-
85 Sportel war eine Gebiihr, die der Untertan zu entrichten tor") in der III. Klasse am Gymnasium Ohringen, seit 1783
hatte, wenn er Leistungen der Verwaltung in Anspruch verheiratet mit der Ohringer Kaufmannstochter Juliana Do-
nehmen wollte. Sie floE unmittelbar dem beteiligten Be- rothea, geb. Seeger (1758-1820) (nach Auskunft des Ho-
amten zu und diente wesentlich zu dessen Lebensunterhalt. henlohe- Zentralarchivs Neuenstein voiD 22. August 1983
Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann sich allmiihlich und 15. Marz 1995).
der Gedanke der ausschlie:Blich staatlichen Beamtenbesol- 91 Diez legt Niethammer, der im Jena des freisinnig regierten
dung durchzusetzen. (Vgl. Adelung, Grammatisch-lcritsches Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach lebt, Gri.inde nahe,
Wl/rterbuch ( cf. A 3/ 84), Bd. 4 Sp. 224; Dietmar Willoweit, die doch auch die Heimat im HerzogtuiD Wi.irttemberg im
,Die Entwicklung des offentlichen Dienstes", in: Deutsche Vergleich schatzenswert sein lassen.
Verwaltungsgeschichte Bd. 1 ( cf. A 3/ 68), Kap. IV: Territoriale 92 Wahrscheinlich hat Diez die Nachrichten aus Weinsberg
Staatsbildung, S. 279-467, S. 346-360, S. 354.) von seiner Schwester Charlotta Augusta Neuffer erhalten,
86 Lat.: Verkneife Dir das Lachen! die dort seit einigen Jahren lebte (vgl. A 10/ 1 sowie D 3
87 FelixHeinrichLudwigFreiherr Riidtvon Collenberg (1753- S. 295 Z. 20 und D 3/ 69). Der Stadtschreiber von Weinsberg,

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Kommentar zu den Briefen A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

Johann Christian Zeller (1754-1814), und seine Frau Eli- Zurich 1774, Geschichte der lsraeliten vor den Zeiten Jesu,
sabeth Catharina Magdalena, geb. Senk.eisen, ubernahmen 12 Bde. Zurich 1776-1788, Das Leben Jesu auf Erden, ein
abwechselnd die Patenschaften fur die Kinder von Diez' Pilgrimsgesang, Zurich 1783 u. o., Bibliothek der heiligsten
Schwester (vgl. Evang. Kirchengemeinde Weinsberg Tauf- Geschichte; Beitriige zur Befiirderung des biblischen Geschichts-
bucher von _1788: 1789, 1790 und 1792; zu Zell~r vgl. studiums, 2 Theile Zurich 1791-1792, Helvetiens neue Staats-
auch Herzoglzch Wzrtembergisches Adrf!fi-Buch, Stuttgart 1790, verfassung von Seiten des Einjlusses der Religion u::d Sittlichkeit,
S. 296, und Pfeilsticker § 3037 und Faber, XLII. Zeller-Stah- Zurich 1798 und gemeinsam mit Johann Ith, Uber die Rechte
lin'sche Stiftung B b, § 4 b). Wahrend Weinsberg seit der Wende der Kirche und derenfreie Ausiibung in unserem (Helvet) Staate,
vom 1~_- und 16. Jahrhundert zum Herzogtum Wt.intemberg gehiirte, Bern 1800. Zu Hess vgl. auch Friedheim Ackva, Johann
ziihlte Ohringen zum Friinkischen Reichsk.reis, genauer zum Fiirstentum Jakob Hess (1741-1828) und seine Biblische Geschichte: Leben,
Hohenlohe-Neuenstein (vgl. Historischer Atlas von Baden-Wiirttemberg, Werk und Wirkung des Zurcher Antistes, Bern u. a. 1992 (=
hrsg. von der Kommission fur geschichtliche Landeskunde in Baden- Basler und Berner Studien zur historischen und systema-
Wt.irttemberg in Verbindung mit dem Landesvermessungsamt Baden- tischen Theologie Bd. 63). - Zeitpunkt und Anlasse der
Wt.irttemberg, Stuttgart 1972-1988, Karte VI, 2: Die territoriale Entwick- Reisen nach Stra!Sburg, Konstanz, ins Badische und auf
lung von Wt.irttemberg his 1796 einschlieElich linksrheinischer Besit- den Odenwald konnten nicht belegt werden. Die Reise
zungen, und Karte VI, 13: Herrschaftsgebiete und Amtergliederungen nach StrafSburg, seit 1790 Hauptstadt des neugeschaffenen
in Si.idwestdeutschland 1790).
franzosischen Departements Bas-Rhin, gehort zum Hinter-
93 Herzog Karl Eugen von Wurttemberg (1728 -1793) erhielt grund von Diez' Gedanken, ,Apostel des Kantischen Evan-
nach dem Tode seines Vaters, Herzog Karl Alexander seit geliums in Frankreich" zu werden (vgl. C 10 S. 247 Z. 34
1737 seine Erziehung am Hof Friedrichs des Gro!Sen und und C 10/ 20). Konstanz war zwischen 1548 und 1806 vor-
ubernahm 1744 die Regentschaft in Wurttemberg. derosterreichische Landstadt.
94 Im Beamten- und Militiirrecht ist die Kassationsstrafe, die 96 Vgl. Aspekte des Lebens in Jena (VI4), S.1036f. und Anm.
unehrenhafte Dienstentlassung, eine der hartesten Diszi- 411. Wegen der geringen Dotierung sah sich Reinhold ge-
plinarstrafen. zwungen, ,jeden Ruf auf eine andre Universitat, wo man
95 Im Herbst 1786 hatte Diez auf einer Reise nach Zurich mir flxen Gehalt geboten hatte, anzunehmen", wie er Bag-
den Freund Lavaters und Verfasser theologischer Werke gesen in einem Brief vom 8. April 1791 anvertraute (vgl.
Johann Jacob Hess (1741-1828) in Zurich besucht. Ein Baggesen-Briefwechsell 8.16-19, S. 18).
Brief an ihn vom 21. August 1788, worin Diez an diesen 97 Uber Kants Rezeption der Theorie des Vorstellungsvermo-
Besuch erinnert, ist erhalten (Zentralbibliothek Zurich, F. A. gens gibt die Korrespondenz Reinholds mit Kant und Erhard
Hess 1741 181 q Nr.139). (Vgl. Cadi X.l.) Hess war seit AufschluK Nachdem Reinhold ein Exemplar der TVV am
1777 Diakon in Zurich, 1795 wurde er Lavater vorgezogen, 18. Oktober 1789 an Jacobi abgeschickt hatte (vgl. A2/ 17),
urn das Amt des Antistes in Zurich zu bekleiden. Das um- la!St sich vermuten, daiS auch die Sendung an Kant etwa
fangreiche schriftstellerische Werk von Hess umfa!St Them en urn dieselbe Zeit abging. Als Reinhold wegen des Ausblei-
wie: Geschichte der drei letzten Lebensjahre ]esu, 3 Bde. Zurich bens einer Resonanz auf diese Sendung nachfragte, besta-
1!.7~ u. o., Geschichte und Schriften der Apostel Jesu, 3 Bde. tigte Kant am 1. Dezember 1789 Reinhold, die Theorie des
Zunch 1775 u. o., Von dem Reiche Gottes· ein Versuch ii.ber Vorstellungsvermogens zwar erhalten, aber noch nicht so
den Plan der gottlichen Anstalten und Ojf:nbarungen, 2 Bde. weit studiert zu haben, ,um ein Urtheil i.iber das Ganze

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Kommentar zu den Briefen
A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

~allen zu konnen. Das letztere behalte [ich] mir fur die (AA XI S. 17-19, S. 17.) Kant bezog sich vermutlich auf
mnst~hende Weynachtsferien vor". Kant erklarte auf ei.ne die Separatpublikation, als er sich am 12. Mai 1789 ftir
von ihm vermutete Verstimmung Reinholds weiter: Sie Reinholds ,schone Schrift, die ich noch nicht ganz durch-
scheinen mir, Theurer Mann, meinen Aufschub ftir Gleich- zulesen die Zeit habt"' gewinnen konnen" (Hervorhebung
gi.iltigkeit zu nehmen und als ob Thre von mir, ihrer Klarheit durch den Hrsg.), bedankte. Bezi.iglich der TVV erklarte
und Bi.indigkeit wegen, immer vorzi.iglich geschatzte und er dann, er sei ,.,sehr begierig auf Ihre Theorie des Vor-
bewunderte Arbeiten bey mir nur eine Stelle im Biicher- stellungsvermogens; mit welcher sich meine Critik der Ur-
schrancke find en di.irften, ohne daB ich Zeit fcinde, sie durch- theilskraft [... ] auf derselben MichaelisMesse zusammen
zudenken und zu studieren." (AA XIS. 108£., S. 108) Kant finden wird" (AA XI S. 33-39, S. 39).
hatte wegen solcher Vorzi.ige Reinholds ,Briefe iiber die 98 Eine mogliche Quelle fur diese Nachrichten i.iber Reinhold
K~?tische Philo sophie" ( cf. A 9/8) offentlich geriihmt aus Jena, die sich in 'llibingen verbreiteten, ist Johann
("Uber den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Phi- Friedrich Flatt, der in einem Brief vom 12. Februar 1790
losophie", in: AA VIII 157-184, S. 183£.). - DaB Reinhold an einen Empfcinger, der vermutlich als Karl Heinrich Gros
durchaus Nachricht(en) von Kants Reaktionen auf sein neues Werk aus zu identifizieren ist (vgl. A 1/2), schrieb: ,Was denken Sie
Konigsberg erhielt, geht unter anderem aus einem Brief an Johann von Reinholds Theorie pp.? Die orthodoxen Kantianer sollen
Benjamin Erhard vom 7. August 1791 hervor: ,Kant hat mir nicht nur sehr bose i.iber ihn seyn; u. Kant selbst hat ihm sicheren
sein Urtheil i.iber meine Theorie, gegen sein ausdri.ickliches Versprecben, Nachrichten zu Folge sein Buch, das ihm R. im Ms. zuge-
sie in den Ferien 1789 zu lesen [.. .] nicht geschrieben: [.. .] Er hat schickt hatte, sehr kalt zuri.ickgesandt. - Seine AnmaEungen
gegen Andere geiiu/Sert, er furchte, daiS ich mich in unnothigen Speku- scheinen mir zum Theillacherlich u. beleidigend zu seyn,
lationen verlore." (Abgedruckt in: Denlcwii.rdiglceiten des Philosoph~tn und und seiner neuerfundenen Pramissen bedarf, glaube ich,
Arztes Johann .Benjamin Erhard, hrsg. von Karl August Varnhagen von die Kantische Kritik nicht." (Cf. ebd.)
Ense, Stuttgart und Thbingen 1830, S. 312-316, S. 314.)- Ob Reinhold 99 Zur Gartenkultur in Jena vgl. Aspekte des Lebens in Jena
Kant ~och vor dem Erscheinungsdatum der TVV ein Ma- (VI4), S. 1042£. - Die Bezeichnung Reinholds als Garten-
nus~pt ?er
"Theorie" hatte zukommen lassen, geht aus philosoph erklart sich daraus, daE er es liebte, im Freien
der uberheferten Korrespondenz nicht hervor. Gleichwohl auf- und abwandelnd zu philosophieren. So heiEt es bei
war vor dem 12. Mai 1789 wahrscheinlich Reinholds Ah- Lupin, M'ethammer(cf. A2/1), S. 13: ,Dieser [Professor Rein-
handlun~ mit dem Titel "Ueber das bisherige Schick.sal hold] war nemlich mit Frau und dritthalbjahr. Madchen in
de: Kanuschen Philosophie" an Kant gegangen. Zu diesem einem gemietheten Garten vor dem Thor, wo Reinhold
Ze1tpunkt lagen eine im Aprilheft 1789 des TeutschenMerkur auf- und abgehend zu philosophiren und seine Gedanken
(vgl. A2/17) erschienene Fassung sowie eine i.iberarbeitete stehend zu notiren pflegte. Schiller, der auch dabei gewesen,
Separatpublikation (vgl. ebd.) "Ueber die bisherigen Schick- habe dabei geauEert: ,da sind lauter philosoph. Ideeen
sale der Kantischen Philosophie" und die mit dieser Pu- zerstreut, da muE man nur geschwind den Hut darauf dek-
blikation textidentische Vorrede der TVV vermutlich im ken.' Wahrend nun Reinhold mit Schiller und Paulus den
Manuskript (vgl. ehd.) vor. Am 9. April 1789 schrieb Rein- schmalen Gartenweg gegangen, sei er, Niethammer hei der
hold an Kant: ~mpfangen Sie, mein hochstverehrungs- Frau Professor zuri.ickgeblieben". Da Reinhold nur eine Tochter
w~_rdiger Lehrer und Freund, den heykommenden jungen hatte, niimlich sein erstes Kind, Caroline Friederike Dorothea, die am
Blutenzweig von dem Baume den Sie gepflanzt haben." 22. Oktober 1786 in Weimar geboren wurde ( vgl. Karl Leonhard Reinhold,

406 407
Kommentar zu den Briefen A3 An Niethammer, 19.-22. Juni 1790

Korrespondenzausgabe der Osterr. Alcademie der Wissenschafien, hrsg. von Theologie und Kanzler der Universitat nach Thb~gen
Reinhard Lauth u. a., Bd. 1 Stuttgart, Bad Cannstatt 1983, S. 100 Anm.!), berufen. Zu seinen Aufgaben als erster Professor gehorten
muE sich diese Episode im Garten im Fri.ihjahr oder Sommer 1790 die Vorlesungen uher Polemik oder Apologie, in denen
zugeu·agen haben. Hinter Reinholds Haus befand sich ein die Glaubenslehre der wiirttembergisch-protestantischen
weiteres Gii~tche~. und neben diesem ein bedeckter Gang, Kirche gegen aile abweichenden Lehren ~u vertei~igen
von dem D1ez spater schrieb, daE er ,zur Regenzeit sich war. Das implizierte die Polemik gegen die katholisc~e
gut benutzen lassen mag" (D 3 S. 290 Z. 20-22).- Welche Kirche, ft.ir deren Geschichte und Lehren Le Bret em
Bedeutung das Philosophieren im Garten auch im Umfeld Experte war, aber auch eine grundliche Beschaftigung mit
Reinholds gewann, liiEt sich unter anderem dem Brief der zeitgenossischen Philosophie. - In Schellings NachlaE be-
von Niethammer an Herbert vom 2. Juni 1794 entnehmen: findet sich eine Vorlesungsnachschrift einer Vorlesung i.iber Polemik
,Urn ganz wie Reinhold zu werden, hat er [Forberg] auch vom Wintersemester 1792/ 93, ft.ir das Le Bret dies Kolleg angeki.indigt
den Garten, den ..Rhld [Reinhold] hatte, in Bestand ge- hatte ( Ordo praelectionum (cf. A 3/71), Wintersemester 1792/ 93). Le
no~men!" (S. 7; ONB Wien, Autogr. 130/ 1-5.) Baggesen Bret las die Polemik in einem viersemesu-igen Cursus (UAT, J 117/ 1).
schr1eb ferner an Reinhold am 29. Juli 1795: ,Geliebtester - Er las auch in einem eineinhalbjahrigen Kurs uber die
Bruder! Ich habe Deine Methode nachgeahmt, des Vor- ganze Kirchengeschichte (HSA Stuttgart, A 202 Bu 2573
mittags mich aus dem Hause in's Grune zu verfi.igen, urn Nr. 26, unpaginiert fol. 6). Le Bret war Autor un? Her-
unter offenem Himmel, umrauscht von den Blattern der ausgeber zahlreicher Schriften zur Staaten- und Kirchen-
Biiume, zu arbeiten. Ich habe mir eine Ecke in dem schonen geschichte, auch der katholischen Kirche, sowie zum Staats-
Garten unserer Prinzessin [... ] ausgesucht, und hier sitze und Kirchenrecht, darunter: Magazin zum Gebrauch der
ich jetzt, den Sitz weihend, indem ich Dir schreibe." (Bag- Staaten- und Kirchengeschichte, vomehmlich des Staatsrechts
gesen-Briefwechselii S. 48-57, S. 48.) katholischer Regenten in Ansehung ihrer Geistlichkeit, 10 Bde.
100 Lat.: tagsuber. - Allgemein ublich war es, in den fri.ihen Ulm 1771-1788; Geschichte von Italien und allen allda ge-
Morgenstunden zu schreiben, was mit hiiufiger abendlicher griindeten altern und neuem Staaten; aus achten Quellen ge-
Geselligkeit nicht gut vereinbar ist. scMpft 10 Bde. Halle 1778-1787; Programma an religi_o
101 Lat.: Kusse. Niethammer hatte Diez uher seinen vertrauten christiana ex unico facto sit demonstrabilis? et ex qu~nam ?U-
Umgang mit Reinhold berichtet, der ihn ,nach Besuchen bingen 1787. -Am 28. Mai 1790 prasidierte er der D~sputatwn
[. · .] alsbald gekuEt" habe (Lupin, Niethammer (cf. A2/ 1), De originibus et vicissitudinibus ecclesiae Wirtember_gzcae, deren
S.14). erster Band 1790 in Tiibingen im Druck erschien.
102 Vgl. A3/ 73. 106 Heinrike Karoline (1768-1836), eine Tochter, und Hein-
103 Vgl. A3 S.18 Z.19, A4 S.37 Z.16f., A 7 S.52 Z.34 und rike Sophie geb. Thill (1748-1830), die Witwe des Th-
A 7 S. 59 Z. 35. binger Apothekers Johann Heinrich Schwab (1739 -1780)
104 Zu den Vorlesungshonoraren in Jena vgl. Diez' Mitteilun- (vgl. Die Schwab :Sche Familienstijtung Ein Auszug de~ leC:ten
gen in D 3 S. 293 Z. 4ff. Willens der Stifterin Auguste Grubener, geb. Schwab. Mzt ezn~n:
105 Johann Friedrich Le Bret (1732 -1807), ab 1763 Professor Lebensabrifi derselben und einem Stam~b~um der ..F~mzlze
ft.ir Rhetorik und Geographie am Gymnasium in Stuttgart Schwab, Stuttgart 1858, S. 29; StadtA Tiibmgen, Thbmger
und ab 1779 Lehrer der Staatenkunde an der Milidiraka- Familienbuch von Reinhold Rau, Nr. 1869: Schwab, Blatt 5,
demie in Stuttgart, wurde 1786 als erster Professor ftir und Inventare und Teilungen A 80, Bd. CXVII, Blatt 230;

408 409
Kommentar zu den Briefen A3 An Niethammer, 19.-22. ]uni 1790

Faber, XXI. Thill'sche Stiftung, § 10; Adolf Beck, in: StA 109 Der von Diez erwahnte ]ustizirrtum frndet sich samt Vor-
VI, 2 S. 549). Beide hatten sich in Thbingen in Niethamrners geschichte in mehreren Berichten der Sc~U:abischen Chronik
Stammbuch eingetragen, ,Heinrike Schwabin" im Miirz geschildert und in seinem Kern bestaugt: Jahrgang 1786
1788 (ohne Tagesdatum) (1. Ordnung Bl. 94~ und JI. S. 35. St. S. 137 f., 39. St. S. 153-155, 40. St. S. 157 f.; Jahrgang 1787 3. St.
Schwab~" am 18. September 1789 (1. Ordnung Bl.104~. S. 9, 7. St. S. 25 f., 13. St. S. 50, 25. St. S. 101, 30. St. S. 121, 31. St. S. 125,
- Zu N1ethammers Reaktion auf die Empfehlungen der 33. St. S. 134, 34. St. S. 137 f., 51. St. S. 208; Jahrgang 1788 Nr. 65 S. 132,
Tochter und Mutter Schwab vgl. auch A 4 S. 38 Z. 6. Zwei Nr. 94 S. 190; Jahrgang 1790 Nr. 74 S. 155. Der Oberamtmann
Jahre spater lieEen Diez und Niethammer iiber Diez' Eltern von Sulz, Jacob Georg Schafer (auch Schaffer oder Schaef-
GriiEe an Heinrike Schwab und ihre Mutter iibermitteln fer), erlangte mit diesem Fall einige Beriihmthe~t (v~l.
in der Erwartung von Nachrichten iiber eine baldige oder Eduard Eggert, Oberamtmann Schiijfer von Sulz. Ezn Zezt-
schon erfolgte Hochzeit (vgl. D 3 S. 292 Z. 12-16 und D 3/ 50). und Lebensbild aus dem Ende des vorigen ]ahrhunderts, Stutt-
107 Friedrich Wilhelm Gottlieb Tafinger (1760-1813), Sohn gart 1897 (= Wtirttembergische Neujahrsblatter, N. F. Bl. 2~
des Thbinger Professors fur Rechtswissenschaft Friedrich und Johann Baptist Pflug, Aus der Rauber- undFranzosenzezt
Wilhelm Tafrnger (1726 -1777), war nach seiner Promotion Schwabens. Die Erinnerungen des schwabischen MaZers aus
in Tubingen 1782 Privatdozent, his er 1786 au~erordent­ den ]ahren 1780-1840. Neu hrsg. von Max Zengerle, Wei-
licher Professor wurde. 1788 erlangte er eine ordentliche Eenhorn 1966, S. 10-14). -Die Dankbarkeitsbezeugungen
Professor zunachst in Erlangen und zwei Jahre darauf der Bauerinnen konnten nicht nachgewiesen werden.
wiederum in Thbingen. Durch seine Heirat mit Wilhelminel-Ienrike 110 Niethammer soli also wohl iiber seine personliche Ge-
Hoffmann (1770-1792), der einzigen Tochter Johann Daniel Hoffmanns, schichte, seine Studien, Unternehmungen und Gedanken
im Jahr 1788 (vgl. das Familienregister Safinger" des ev. Kirchenre- in Jena nicht zu berichten vergessen.
gisteramtes Thbingen) entstand eine weitliiufige Verwandtschaftsver· 111 Vgl. in der KdrV die zweite Analogie der Erfahrung
bindung mit Diez (vgl. A3/ 108). A 189 ff./B 232 ff., besonders A 189/ B 234: ,Die Apprehen-
108 Johann Daniel Hoffmann (1743 -1814), ab 1767 auEer- sion des Mannigfaltigen der Erscheinung ist jederzeit suc-
ordentlicher Professor und dann seit 1769 ordentlicher cessiv." Vgl. auch Schultz, Erlauterungen ( cf. A 3/ 5), S. 35,
Professor fur Staatsrecht und Reichsgeschichte an der Uni- und Schmid, Wifrterbuch (1788) (cf. A2/ 12), S. 326.
versitat Thbingen, wurde 1790 in den herzoglichen Ge-
heimen Rat in Stuttgart berufen. Hoffmann war miitterlicherseits
entfemt mit Diez verwandt (vgl. Faber, XXX. Strylin'sche Stiftung in
Thbingen, §§ 178 und 224, XLIV. Eberhard-Hoffmann'sche Stiftung, § 3,
und CXLVIII. Heller'sche Stiftung, § 57 (in Vorbereitung), XXV. Bocer'sche
Stiftung in Thbingen, § 456, XXIII. Platz-Hermann'sche Stiftung, §§ 107,
109, 160 (Billinger), sowie XXVI. Weinmann'sche Stiftung in Thbingen,
Substituierte Nr. 4. A, §§ 46 und 64; vgl. auch den Entwurf zu einer
genaueren Verwandtschaftsiibersicht (Ms., Archiv des Jena-Projekts)). Hoff-
mann und seine Frau waren mehrfach Taufzeugen bei den Geschwistern
von Diez (vgl. ev. Kirchenregisteramt Thbingen, Taufbiicher aus den
Jahren 1770 bis 1781).

410 411
Kommentar zu den Briefen A 4 An Niethammer, 2. September 1790

Tiibinger Familie Camerer von 1503 bis 1903, Stuttgart 1903,


A4 S. 36, 39.) - Wegen des Magistertitels und aufgrund seiner
Immanuel Carl Diez, Tiihingen Herkunft aus Sondelfingen bei Reutlingen diirfte er als
Donnerstag, den 2. September 1790 der Autor eines Eintrages in Niethammers Stammbuch vom
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena 18. September 1789 (NhSB 1. Ordnung Bl. 45r: ,.M[agister].
Camerer. d[e] Sondelf[in]g[en]") anzusehen sein. Das ver-
traute ,Du" in diesem Stammbucheintrag, wie es auch in
Manuskriptheschreihung Kletts Briefen an Niethammer zu fmden ist ( cf. A 2/ 7), im
Vergleich zu Diez' distanzierteren Anredeformen seines
Standort: Privatbesitz.
Stammbuchblatts ( cf. A 2/ 1) und auch in den Briefen laEt
Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hi:ihe x Breite)-
es wahrscheinlich werden, daE zwischen Niethammer und
17,7 X 10,7-10,8; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 8°; Wasserzeichen; Pa~
p1erfarbe: chamois. Camerer eine engere Freundschaft bestanden hat und daE
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 3 11J von 4 (und Adre~feld Niethammer sich daher in seinen Briefen nach Tubingen
S. 4);Adre~se: ,An / Herrn M. Niethammer"; Siegel: S. 4 Siegelspuren, Siegelstelle auEer an Schnurrer vorwiegend an Camerer adressierte
ausgeschrutten; Faltung: Brieffaltung.
Besondere Bemerkungen: S. 2 Rotstiftanstreichung. (vgl. A2/ 2). - Vor diesem Hintergrund machte Diez bei
Camerer die ,Bestellung", die an ihn gerichteten, an Camerer
eingeschlossenen Briefe Niethammers wahrend seiner ei-
genen Abwesenheit an Klett zu senden (vgl. den folgenden
Kommentar Brieftext). Spater schlug Diez dann Nieth3:~er, wohl auf-
grund der gemachten Erfahrungen, eine Anderung dieser
1 Der groEe zeitliche Abstand zum Vorbrief vom 19.-22. Praxis vor (vgl. A4 S. 38 Z. 8f.): Niethammer moge seine
Juni 1~~0 (A 3) ist vor allem mit Diez' Reise nach Augsburg Briefe doch direkt an ihn bzw. an Klett richten. - Andernfalls
und Munchen (vgl. A 4/ 16) zu erklaren. Wie sich aus A4 in Frage kiimen noch Gottfried August Camerer (1768 -1792), Stiftler
schlieEen li:iEt (vgl. S. 33 Z. 10f.), war Niethammers Ant- und Achtzehnter der Magisterpromotion von 1787 (vgl. MTti Nr. 38395,
wortbri~f auf ~ 3 En de Juli in Thbingen eingetroffen. Auf S. 327;Magisterprogramm Tzibingenvon 1787; Camerer,Familiengeschichte,
den philosoph1schen Gehalt dieses Briefes, in dem Niet- S. 33), oder Christoph Ludwig Camerer (1768 -1794 ), Vierzehnter der
hammer offensichtlich genau dem Aufbau des Diezschen Magisterpromotion von 1788 und Stiftler, ein Sohn von Sii!SkindsDuBlinger
Vo~briefes (A 3) folgte, geht Diez erst im iibernachsten Pfarrer Johannes Camerer (vgl. MTii Nr. 38389, S. 327; Magisterprogramm
Bnef vom 5. Dezernber 1790 (A 6) ein (vgl. dazu A 4 S. 34 Tii.bingen von 1788; Camerer, Familiengeschichte, S. 34, 87). Der iilteste
Z.12-14 und AS 8.40 Z.3-5). Sohn dieses Pfarrers, Johann Wilhelm Camerer (1763-1847), aus der
2 Sehr wahrscheinlich ist Philipp Gottfried Camerer (1767- Magisterpromotion von 1783, in dessen Reisetagebuch von 1794-95
1835) gemeint, der 1786 ins Stipendium aufgenommen von einem TI·effen mit Diez in Bamberg berichtet wird (vgl. Wilhelm
wu~de und 1788 in der Magisterpromotion an achter Stelle Lang, ,Aus dem Reisetagebuch des Magister J W. Camerer. 1794.1795.",
loZiert wurde. 1805 wurde er Pfarrer in Kohlstetten, 1815 in: Wiirtt. Vierteljahreshifte for Landesgeschiclue N. F.18 1909, S. 340-372,
in-~~inerzau. (Vgl. MTh Nr. 38490 S. 332; Magisterprogramm S. 344), hielt sich in den Jal1ren 1788 bis 1793 als Hofmeister der
Tubzngen (cf. A 1/2) von 1788; GMB und Ludwig Wilhelm Familie Mallet in Paris auf ( vgl. ebd. S. 340 f.) und kommt daher nicht
Otto Camerer; Johann Friedrich Camerer, Geschichte der in Betracht. Moglicherweise hat er aber gemeinsam mit Diez an einer

412 413
Kommentar zu den Briefen A 4 An Niethammer, 2. September 1790

Debatte urn die Unterschrift unter die syrnbolischen Bucher teilge- Ahnen, so daiS sich die nahe Beziehung wohl weniger durch die
nommen (vgL B 1/4). (Vgl. auch MTh Nr. 37832 S. 293;Magi..sterprogramm weitlaufige Verwandtschaft als durch den gemeinsamen Wohn- und
Tiibingen von 1783; Camerer, Familiengeschichte, S. 34, 37, 38.) Wirkungsort erkliirt (vgl. Faber, III. Fikler'sche Stiftung, §§ 847 Krais,
3 Vgl. im Brief S. 35 Z. 29 - S. 38 Z. 3. 741,616,417,254, 146,85, 56, 32, 53, 80, 136,244,396,578,678,787
4 Gemeint sind solche Briefe, die nicht mit der gewohnlichen Niethammer). Zwei der Schwestern von Niethammer heirateten spiiter
Briefpost, der auf feststehenden Kursen verkehrenden Fabr- Neffen von Krais (Sohne des iilteren Bruders Johann Christoph Krais
od~r Reitpost, sondern durch sogenannte Landboten ge- (1732 -1786), Pfarrer in Neckargroningen): Christine Auguste Wilhelmine
schickt worden. Landboten waren eine wichtige, das noch (1779-1819) heiratete 1805 Philipp Friedrich Krais (1767-1807), Amt-
aus wenigen Routen bestehende Streckennetz der Reichs- mann in Beilstein, und Dorothea Philippine (geb. 1778) heiratete in
und Landespost erganzende, aber auch mit diesen kon- zweiter Ehe 1813 Christian Heinrich Krais (1776-1821), Revisor in
kurrierende Einrichtung zum Transport von Briefen und Waldsee (vgL Faber, III. Fikler'sche Stiftung, § 787, und LXV. Fiirber-
Paketen. Eigene gesetzliche Landbotenordnungen scheint Stiftung in Calw, C, § 9 b und c, sowie Lupin, Niethammer, S. 80).
es ftir Wtirttemberg erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts 6 Sollte es sich, was wahrscheinlich ist, urn einen MeEkatalog
gegeben zu haben, aber Boten und ,Botentage" werden handeln, den Krais von Niethammer erbeten hatte, so wird
auch in Briefen der Zeit erwahnt (vgl. unter anderem die das in Leipzig erscheinende Allgemeine Verzeichnifi dere:
Briefe Si.iEkinds an die Mutter vom 16. Dezember 1788, Bucher, welche in der Frankfurter und Leipziger Oster- (Mz-
Holderlins an seine Mutter vom Juni 1790 (abgedruckt in: chaelis-) Messe des Jahres [ . .] entweder ganz neu gedrucla,
StA VI, 1 S. 54) und von Johann Friedrich Flatt an Si.iBkind oder sonst verbessert, wieder aujgelegt worden sind, auch ins-
vom 5. Februar 1796 (S. 2; in Privatbesitz); vgl. auch Rey- kiin.ftige noch herauskommen sol/en, gemeint sein, i~ dem die
scher, Wiirttembergische Gesetze ( cf. A 3/79), Bd. XV, 3 An- Neuerscheinungen einer jeden Buchmesse verze1chnet wa-
hang 1/2). ren. Weiter kann angenommen werden, daB Nie~ammer
5 Johann Philipp Krais (1737-1815), von 1773 his 1803 Stadt- den MeEkatalog der Ostermesse schickte. Denn d1e MeE-
schreiber in Beilstein, der Heimatstadt Niethammers (vgl. kataloge erschienen zu dieser Zeit jeweils nur kurz ~or
Pfeilsticker § 2185). Ihm widmete Niethammer seinen Auf- Beginn einer Messe. Die Michaelismesse aber begann ub-
satz ,Philosophische Briefe i.iber Religions-Indifferentismus licherweise am ersten Sonntag nach Michaelis, 1790 also
und einige damit verwandte Begriffe. An den Herrn Stadt- am 26. September, wahrend die Ostermesse im selben !ahr
schreiber Krais in Beilstein", der 1796 im vierten Band vom 18. April his zum 9. Mai dauerte (zu den MeEtermmen
des Philosophischen]oumals(cf. A 10/9) (S.1-80 und S. 93- vgL auch A 8/11). Die ,MeEgeschichte" wird indes schon
184) und auch als eigenes Bandchen in Jena erschien (vgl. Ende Juli in Ti.ibingen angekommen sein (vgl. A 4/1). Die
E 7/30). Krais ist wahrscheinlich der ungenannte Conner Publikationstermine der Megkataloge lassen sich aus den wiederholten
gewesen, der Niethammer durch ein Privatstipendium das Aufforderungen des Verlegers des Megkataloges, Philipp Erasmus Reich,
Studium in Jena ermoglicht hat (vgl. A2/l; vgl. auch AS an die Buchhandler erschliegen, ihre Bi.icheranzeigen rechtzeitig, d. h.
S. 40 Z. 14 -16). Eine Anfrage im Stadtarchiv Beilstein wegen vier Wochen vor Megbeginn, einzureichen, wenn die Bucher noch zur
moglicherweise nachgelassener Papiere von Krais hatte kei- Messe im Katalog angezeigt werden sollten (vgl. die Megkataloge der
nen Erfolg (Antwort vom 18. September 1989). Lupin be- Ostermesse 1776, 1779, 1784, 1786 (Anfang bzw. Ende des Katalogs);
zeichnet Krais als Onkel von Niethammer (vgL Lupin, Niethammer (cf. Michaelismesse 1777 (Ende des Katalogs)). Vgl. auch die verlagseigene
A 2/1 ), S. 29). Krais und Niethammers Vater hatten im 9. Glied gemeinsaroe Nachricht der Weidmannschen Buchhandlung am Anfang des Megkatalogs

414 415
Kommentar zu den Briefen A 4 An Niethammer, 2. September 1790

zur Michaelismesse 1791, unterzeichnet am l. Oktober 1791, aus der (vgl. A2/12). Kurz zuvor, aber im gleichen Jahr, war in
hervorgeht, daiS der MefSkatalog erst kurz vor der Messe ausgeliefert PreEburg bei Mahler anonym ein Worterbuch zur Kritik der
wurde. Seit der Ostermesse 1795 wurde der MeEkatalog vierzehn Tage reinen Vernunfi und zu den philosophischen Schrijten von Herrn
vor MefSbeginn ausgeliefert, wie aus einer Rezension des MefSkatalogs Kant (mit einer Vorrede von Samuel Heinicke) aufgelegt
in den Neuen Leipziger gelehrten Anzeigen 32. St. vom 20. April 1795, worden, das Schmid in einer Anzeige in der ALZ IB Nr. 21
S. 249 f., S. 249, zu ersehen ist. - Nicht ganz auszuschlieEen, wenn auch VOID Mai 1788, Sp. 184, als ,beynahe durchaus wortlich[en]"
weniger wahrscheinlich ist, daiS ,MeEgeschichte" einen der sogenannten Abdruck seines 1786 als Teil seiner Schrift Critik der reinen
,MefSsortimentskataloge" meint, die ,reine Novitiitenverzeichnisse auf Vernurift ( cf. A 2/12) erstveroffentlichen Wo"rterbuches be-
der Grundlage der Frankfurter und Leipziger MefSkataloge" darsteUten zichtigte. Auch die Rezensionen in den Tii.bingischen Ge-
und die halbjiihrlich, nach der Fasten- (Oster-) bzw. Michaelis- (Herbst-) lehrten Anzeigen 40. St. vom 19. Mai 1788, S. 314-318, und
Messe erscheinend, jeweils in oft his zu mehreren Bogen starken TiteUisten in der Allgemeinen deutschen Bibliothek 95. Bd. 1. St. 1790,
das neu erworbene MeEgut eines einzelnen Buchhandlers verzeichneten S.195-200, charakterisierten die PreEburger Ausgabe als
(vgl. Ernst Weber, "Sortimentskataloge des 18. Jahrhunderts als literatur· Plagiat. - Es konnte gleichwohl sein, daE Diez dieses an-
und buchhandelsgeschichtliche Quellen", in: Biicherlr.ataloge al.r buchge· onyme Worterbuch im Sinn hatte und als Arbeit von Schmid
schichtliche Que/len in der friihen Neuzeit, hrsg. von Reinhard Wittmann schiitzte. Zur Autorschaft konnte er nichts sagen, weil er
(= Referate des ... Wolfenbutteler Arbeitskreises fur Geschichte des ,weder Bucher noch Catalogos bei der Hand" hatte (vgl.
Buchwesens, 6) (= Wolfenbi.itteler Schriften zur Geschichte des Buch· den Fortgang des Textes).
wesens, Bd. 10), Wiesbaden 1985, S. 209-257, S. 216). 10 Eine anonym erschienene Schrift zur Moraltheologie aus
7 Reinhold, Beytriige I ( cf. A 3/21 ). Das Datum des Vorworts dem Jahre 1790, von der nach Diez' Wortlaut eigentlich
ist der 19. September 1790. Wahrscheinlich hatte Diez Rein- auszugehen ware, konnte nicht nachgewiesen werden. Ent-
holds ,Anki.indigung" des ersten Bandes der Beytriige in weder bezieht sich Diez, was durch den Kontext nahegelegt
der ALZ Nr. 93 vom 24. Juli 1790, Sp. 759 f., gelesen, worin wird, aber zu der Annahme einer Verschreibung (,Moral-
Reinhold ihr Erscheinen zur Michaelismesse angekiindigt theologie") notigt, auf Carl Christian Erhard Schmids Versuch
hatte, zu der sie auch tatsiichlich erschienen (vgl. die J;i- einer Moralphilosophie, Jena 1790, die jedoch unter dem
terarische Nachricht", in: IB der ALZ Nr. 143 vom 30. Ok- Autornamen erschien. Oder Diez hat das Buch von Johann
tober 1790, Sp. 1183; zur Datierung der Michaelismesse Wilhelm Schmid Ueber den Geist der Sittenlehre ]esu und
vgl. A 4/6). Somit konnte Diez das Buch, auf das er am seiner Apostel, Jena 1790, im Sinn. In ihm versucht Schmid,
12. Oktober noch wartete (vgl. A 5 S. 40 Z. 3- 5), nicht vor die Ubereinstimmung von Kants Moralphilosophie mit der
Mitte Oktober erhalten. christlichen Sittenlehre aufzuzeigen. Diez konnte beide
8 Vermutlich greift Diez hier aus Niethammers Brief diese Schmid ohne ,Catalogos" vielleicht nicht voneinander un-
Unterscheidung der Jenaer Schmids, des Theologen Johann terscheiden. In seinem Brief vom 5. Dezember 1790 iiuEert
Wilhelm Schmid (1744-1798) (= Schmida) von dem Phi- er sich dann niiher uber beide Bucher A 6 S. 47 Z. 2lff.
losophen Carl Christian Erhard Schmid (= Schmid~), durch 11 Zu den MeEkatalogen vgl. A 4/6.
Indices auf. 12 Vgl. A 6 S. 46 Z. 10-13.
9 Carl Christian Erhard Schmids Worterbuch zum leichtern Ge- 13 Offenbar hatte Niethammer in seinem Brief etwas daruber
brauch der Kantischen Schrijten erschien in der ersten selb- mitgeteilt. Zu Reinholds offentlichem Urteil uber Flatt vgl.
stiindigen Ausgabe 1788 in Jena unter dem Autornamen A3/21.

416 417
Kommentar zu den Briefen
A 4 An Niethammer, 2. September 1790

14 Aus der zweiten Auflage von Ulrichs Lehrbuch fnstitutiones Stiftung in Tiibingen, Instituierte B, §§ 28 (Diez' Gro!Svater), 14, 8, 16,
(cf. A~/13) ergibt sich, daE und wie Ulrich nach dem 32 (Jakob Friedrich Diez), 66 (Johann Friedrich Diez, geb. 1732), und
Ersch~1~en von Reinholds TVV gegen Reinholds Theorie Pfeilsticker § 2066). Zu Diez' Augsburger Verbindungen vgl. auch E 6
polenns1~rte._ Ber~chte iiber Ulrichs Polemik gegen Kant S. 339 Z. 1 und E 6/ 5.
fmden s1ch m Bnefen Reinholds an Kant vom 19. Januar 17 Vgl. A4/16.
178~ und vom I. Marz 1788 (vgl. AAX S. 496-500, S. 499£., 18 Benedikt Stattler (1728-1797), Exjesuit und his 1781 erster
sow1e S. 502 f., S. 503). Diez konnte den Berichten die er Professor ft.ir Dogmatik an der bayerischen Landesuniver-
von Niethammer und iiberhaupt aus Jena erhielt, ~ntneh­ sitat Ingolstadt. Nach Jahren der Seelsorge wurde er 1790
m_en, daE Reinhold eine Verachtung gegeniiber Ulrich ent- von Kurft.irst Karl Theodor zum geistlichen Rat und Zen-
Wickelte.
surrat nach Miinchen berufen. In zahlreichen, in schwer-
15 Frz.: ungliicklich, verderblich, unheilvoll. filli.gem Latein verfaEten Schriften griindete er seine spe-
16 ~as Ko~sistorium bewilligte am 30. Juli Diez' Antrag auf kulative Theologie auf einen Rationalismus Wolffischer Pra-
erne Re1se nach Augsburg, die Diez aber moglicherweise gung. Durch seine Schrift Anti-Kant, 2 Bde. Miinchen 1788,
schon vorher angetreten hatte (LKA Stuttgart, A 3 Konsi- der er noch im gleichen Jahr einen Anhang zum Anti-Kant
storialprotokolle, Nr. 59 1790, fol. 395). Jedenfalls' verlieE in einer Widerlegung der kantischen Grundlegung zur Meta-
er Augsburg am 3. August 1790, urn eine ,Exkursion" nach physik der Sitten, Miinchen, folgen lieE, wurde Stattler zu
Miinch~n zu machen (vgl. den Fortgang des Brieftextes). einem auch iiber die katholischen Gebiete hinaus bekannten
yon semem Aufenthalt in Augsburg sind keine Zeugnisse Gegner der Kantischen Philo sophie. (Vgl. Michael Miedaner,
uberkommen, wohl aber von seiner his zum 7. August wah- Die Ontologie Benedikt Stattlers, Frankfurt a. M., Bern, New
rend en ,Exkursion", iiber die er einen Reisebericht verfaEte York 1983 (= Europaische Hochschulschriften XX, 129).)
(UBT, Mh 732, Reise von Augsburg nach Miinchen, d. 3.-7. 19 Johann Michael Sailer (1751-1832), Exjesuit und seit 1784
Aug. 1790). In einem spateren Bericht, den er ftir seine Professor ft.ir Pastoral- und Moraltheologie an der dem Bis-
Eltern iiber seine Reise von Thbingen nach Wien im Herbst tum Augsburg zugehorigen Universitat Dillingen. Seine Ab-
1795 s~~rieb, hielt Diez fest, daE er auf jener Reise von kehr von den Lehrmeinungen seines friiheren Lehrers und
1790 em1ge Tage im Hause des mit ihm verwandten evan- Forderers Benedikt Stattler ging einher mit einer Ausein-
g~lischen Biirgermeisters von Augsburg Johann Friedrich andersetzung mit den Werken Kants, die sich in seinen
D1ez (geb. 1732) zugebracht hatte (UBT, Mh 732, Erinne- Schriften Vernuriftlehre for Menschen, wie sie sind; nach den
ru~gen an die Wiener Reise, S. 5 und S. 8). Dieser oder Bediirfnissen unsrer Zeit, 2 Bde. Miinchen 1785, und Gliick-
sem Sohn Immanuel Friedrich, der am 23. November 1789 seligkeitslehre aus Vernuriftgriinden, mit Riicksicht aufdas Chri-
(in Augsburg) geheiratet hatte, wird wohl mit dem hier stenthum. Zunachstfor seine Schuler, und dann auch for andere
erwahnten Vetter identisch sein. Aufgrund seines Alters denkende Tugendjreunde, 2 Bde. Miinchen 1787-1791, nie-
~omm~ ein zweiter Sohn, der spatere Oberst Johann Fried- derschlug. Seine Schriften, aber auch seine gelehrten und
ncb D1ez (1773-1829), kaum in Frage. Diez' Gro~vater Georg freundschaftlichen Verbindungen mit Protestanten, etwa mit
Heinrich (1696-1775) war ein Cousin von Jakob Friedrich Diez, dem Johann Kaspar Lavater und Friedrich Heinrich Jacobi, lieEen
Vater des Augsburger Biirgermeisters (vgl. Evang.-Luth. Kirchengemein- Sailer in die Kritik der katholischen Orthodoxie, namentlich
deamt Augsburg, Taufbuch 1773 (Barfti!Ser) und 'Irauungsbuch 1763 der Augsburger Exjesuiten geraten. (Unter der umfangrei-
(Barft.i!Ser), 1789 (St. Anna), 1793 (HI. Kreuz);Faber,XXVI. Weinmannsche chen Sailer-Literatur vgl. vor all em Georg Schwaiger, Paul

418 419
Kommentar zu den Briefen A 4 An Niethammer, 2. September l 790

Mai (Hrsg.),_Jo_~annMichael S~ilerundseine Zeit, Regensburg (1753-1821). (Vgl. WLB Stuttgart, Cod. hist. 8° 65-5, Ge-
1982 (= Be1trage zur Geschichte des Bistums Regensburg nealogische Sammlung von Johann Friedrich Blum, Bd. 5
Bd. 16).)
§ 14; Auskunft des genealogischen Archivs in Heidenheim
20 Joseph Weber (1753-1831) war ab 1781 Professor fur Phi- vom 26. November 1993.)
losophie und Physik an ~er Universitat Dillingen, hielt aber 24 Bereits als Repetent im Stift war Brastberger 1782 in den
a~c~ V?rlesungen iiber Okonomie, ein den philosophischen unbestimmten Verdacht der Ketzerei geraten (vgl. Leube
D1sz1plmen dem Herkommen nach zugehoriges Fach. Auch III S. 91-93), dann erneut mit seiner Schrift Versuche iiber
er suchte, wie sein Lehrer und Kollege Johann Michael Religion und Dogmatik zur BifOrderung einer rechtmiifiigen
Sailer, eine vorsichtige Rezeption kantischer Theoreme. Mit christlichen Freiheit, 2 Bde. Halle 1783-1784, in der er zwi-
seinem Versuch) die harten Urtheile iiber die kanti.sche Philo- schen dem wesentlichen Kern und den veranderlichen und
sophie zu mildern, Wurzburg 1793, wandte er sich gegen individuellen Aspekten der christlichen Religion unterschei-
die Kantkritik Benedikt Stattlers. (Vgl. Hermann 'frefzger, det (vgl. Christoph Kolb, Die Aujkkirung in der Wiirttem-
Der philosophische Entwicklungsgang von Joseph Weber. Ein bergi.schen Kirche, Stuttgart 1908, S. 50). Im November 1787
Beitrag zur Geschichte der katholischen Romantik, Freiburg bat Brastberger urn Erlaubnis, eine Predigtsammlun~. ver-
i. Br. 1933.) offentlichen zu diirfen. Dies war der Anlag fur eine Uber-
21 Ab 1578 wurde in Dillingen die Philosophie in einem drei- pr.iifung seiner Schriften durch die Konsistorialrate. Dabei
jahrigen Kursus gelehrt, wobei das erste Jahr der Logik, wurde besonders seine mit dem Akzessit (2. Preis) ausge-
das zweite der Physik und das dritte der Metaphysik ge- zeichnete Beantwortung der Preisfrage der Schnepfentaler
widmet war (vgl. Thomas Specht, Geschichte der ehemaligen padagogischen Anstalt (vgl. hierzu A 6/ 57) iiber die Not-
Universitat Dillingen (1549-1804) und der mit ihr verbun- wendigkeit von Regulierungen des Glaubens innerhalb der
denen Lehr- und Erziehungsanstalten, Freiburg i. Br. 1902, Kirchen durch Bekenntnisschriften beanstandet, welche
S. 185). Die Studenten der verschiedenen Jahrgange wurden 1787 von Christian Gotthilf Salzmann in Leipzig heraus-
auch nach ihren jeweiligen Fachern Logiker, Physiker und gegeben und im folgenden Jahr unter dem Titel Ueber den
Metaphysiker genannt ( ebd. S. 191, 194). Nach 1738 wurde Ursprung und Werth der kirchlichen Gewohnheit, durch sym-
der philosophische Kurs auf zwei Jahre reduziert (ebd. bolische Schriften den lnnhalt der christlichen Religion jestzu-
S. 195). Jahrespriifungen fanden fiir die Logiker zum Bak- setzen) mit Anwendung auf die neuesten Unionsprojecte von
kalaureat und fur die Metaphysiker zum Magisterium statt Christian Friedrich Duttenhofer in Ulm neu aufgelegt wurde.
(ebd. S. 217, 219-223). Brastberger lehnte darin die Verpflichtung auf kirchliche
22 Gebhard Ulrich Brastberger (1754 -1813), seit 1783 Diakon Symbole ab. Dies brachte ihm schlieglich eine Vorladung
in Heidenheim, 1796 Professor in Blaubeuren, wurde 1805 vor das Konsistorium fiir den 15. April 1788 ein. Kolb, der
Rektor des Gymnasiums in Stuttgart. Zu seinen Positionen die Angelegenheit ausfuhrlich behandelt (ebd. S. 50-54),
vgl. A4/ 24. weill nichts i.iber den Ausgang der Vorladung zu berichten.
23 Brastberger, in erster Ehe mit Caroline Lisett, geb. Konig Eigene Nachforschungen im Landeskirchlichen Archiv in
(1748-1786), verheiratet, war zur Zeit von Diez' Besuch Stuttgart haben keinerlei dariiber hinausgehende Hinweise
Witwer. Seine heiden Kinder sind Carolina Luisa (geb. an den Tag gebracht. Johann Gottfried Pahl (1768-1839),
1784) und Carl Friedrich (geb. 1786). Spater heiratete er der Brastberger personlich kannte und wahrscheinlich von
in zweiter Ehe Charlotta Friederica Justina, geb. Knab ihm selbst Mitteilungen i.iber den Vorgang erhielt, berichtet

4.20 4.21
Kommentar zu den Briefen
A 4 An Niethammer, 2. September 1790

in seinen von seinem Sohn Wilhelm herausgegebenen Denk- tatig war (vgl. A 6/ 36). Die Rezension der GoZ beschrankt
wiirdiglceiten aus meinem Leben und aus meiner Zeit, Thbingen sich im wesentlichen auf das Referat von Brastbergers
1840, S. 52 f.: Brastberger sei , vor die Schranken des Con- Hauptthesen.
sistoriums" berufen worden, wo er ,mit inquisitorischer 28 Magnus Faus (1763-1810), Benediktiner und Professor ft.ir
Strenge, i.iber seine Ketzereien vernommen und zurecht Philosophie und Theologie an der Klosterschule des Stiftes
gewiesen [wurde]; zugleich erhielt er, unter nachdriicklichen Neresheim, 1798 his 1800 Professor am Freisinger Lyceum,
Bedrohungen, den Befehl, nichts Theologisches mebr, weder wo er theoretische Philosophie nach Kant und praktische
in noch auEer Landes drucken zu lassen, ohne es erst der Philosophie nach Carl Christian Erhard Schmid las. 1791,
ihm vorgesetzten geistlichen Behorde zur Censur iibergeben also ein Jahr nach Diez' Besuch, wurde Faus wegen zu
zu haben." sehr an Kantischen Grundsatzen orientierten Lehrmeinun-
25 Vgl. Die symbolischen Bucher (VI2), S. 948ff. gen vor dem Augsburger Ordinariat der Heterodoxie be-
26 Gebhard Ulrich Brastbergers Untersuchungen uber Kants Cri- zichtigt, dann aber nach einem Gutachten der theologischen
tilc der reinen Vernurift erschienen bei Gebauer in Halle zur Fakultat der Universitat Dillingen doch ftir orthodox erklart
Michaelismesse 1790 (vgl. Me.fllcatalog ( cf. A 4/ 6) zur Mi- (vgl. Ludwig Reiss, Der Reichsprii.lat Michael Dobler, des ehe-
chaelismesse 1790, S. 213). - Vgl. A 7 S. 57 Z. 1-8. maligenReichsstiftes Neresheim 45. und letzter Abt 1730-1815,
27 Brastbergers Untersuchungen (1790) ( cf. A 4/ 26) wurden Kemp ten 1915, S. 43- 48). - Vgl. auch C 4 S. 192 Z. 9 und
am 15. August 1791 von Johann Benjamin Erhard in der C4/ 14.
ALZ (Nr. 222, Sp. 345-350) rezensiert (vgl. die Biblio- 29 Vgl. A3 S. 18 Z.19, A3 S. 30 Z. 27f., A 7 S. 52 Z. 34 und
graphie in: Johann Benjamin Erhard, Uber das Recht des A 7 S. 59 Z. 35.
Voiles zu einer Revolution und andere Schriften, hrsg. und mit 30 Die Durchsicht der bei August Lindner, Die Schnjtsteller
einem Nachwort von Hellmut G. Haasis, Frankfurt a.M. und die um Wissenschaft und Kunst verdienten Mitglieder des
2
1970, S. 236), wahrscheinlich auf Vermittlung von Niet- Benedilctiner-Ordens im heutigen Konigreich Bayern vom Jahre
hammer hin, der seit dem Fri.ihjahr 1791 mit Erhard be- 1750 bis zur Gegenwart, 3 Bde. Regensburg 1880-1884 ge-
freundet war. Mehrfach hat Diez Niethammer daran erinnert, nannten Konventualen der Benediktinerstifte St. Magnus
ftir eine giinstige Rezension zu sorgen (vgl. A 6 S. 49 Z. 9 in Fi.issen, Elchingen, Fultenbach, Deggingen und Irrsee,
und A 7 S. 57 Z. 7 f.). Erhard wies Brastbergers Hauptthese, welche gemeinsam mit Neresheim der niederschwabischen
Kant habe nichts wesentlich Neues vorgetragen, zuriick, Benediktiner-Kongregation S. Spiritus angehorten und so-
gestand aber zu, daE Brastberger ,vieles in der Kritik noch mit als Nachbarkloster in Frage kiimen, blieb ohne Ergebnis.
nicht genau Bestimmtes [... ] richtig aufgefunden hat", was - Vgl. C4 S.199 Z.8-ll und C4/ 14.
freilich inzwischen ,durch Hrn. Reinholds Theorie des Vor- 31 Vgl. B 1 S. 112 Z. 22ff.
stellungsvermiJ'gen, genau und ohne Doppelsinn dargelegt" 32 Johannes Kern (1756-1801), Studium in Ti.ibingen (MTi.i
sei (Sp. 345). Vgl. GadiXIII. 2 und 3. Brastbergerverteidigte Nr. 37079 S. 246 und Nr. 37267 S. 257), war von 1781 an
seine These gegen die Rezension im Vorwort zu seinen Professor der Metaphysik am Gymnasium in Ulm und wurde,
Untersuchungen iiber Kants Kritilc der practischen Vemunfi nachdem er von 1783 an neben seiner Professor mehrere
Tiibingen 1792, S. 10-21. -Am 5. November 1791 wurde Pfarrstellen gehabt hatte, 1790 auch Prediger am Ulmer
Brastbergers Schrift auch in den GoZ Nr. 88, S. 845-847, Munster. In seiner Schrift Briefe iiber die Denlc- Glaubens-
besprochen, zu einer Zeit, als Niethammer ft.ir diese Zeitung Red- undPre.flfreiheit, Ulm 1786, suchte er eine fundamentale

422 4.23
Kommentar zu den Briefen A 5 An Niethammer, 12. Oktober 1790

und unverauEerliche Denk- und Glaubensfreiheit des Men-


schen zu begriinden. Kern gab unter anderem auch mehrere AS
Aufklarungsjournale heraus, Beobachtungen zur Auftliirung Immanuel Carl Diez, llihingen
des Verstandes undBesserung des Herzens, 3 Bde. Ulm 1779-82 Dienstag, den 12. Oktoher 1790
(hrsg. gemeinsam mit Johann Martin Miller) und Schwii- An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
bisches Magazin zur Beflrderung der Aujkliirung, 2 Bde. Ulm
1786- 87. Spatere Schriften dokumentieren sein Interesse
an kantianisierenden Positionen, Die Lehre von Gott, nach Manuskriptheschreihung
den Grundlagen der lcritischen Philosophie, zum Behujfor an-
gehende Theologen, Ulm 1796 ( eigentlich 1795), Die Lehre Standort: Privatbesitz.
Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblatt; Format in em (Hohe X Breite):
von der Freiheit und der Unsterblichlceit der menschlichen Seele,
19,5-19,7 x 15,5; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Pa-
nach den Grundsiitzen der lcritischen Philosophie, zum Behuj pierfarbe: chamois.
for angehende Theologen, Ulm 1797 ( eigentlich 1796) und Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 11I 2 von 2; Faltung: quer von
Dissertatio de cognitione versa., Ulm 1798. - Vgl. C 4 S.l92 hinten nach vorne, dann liings.
Besondere Bemerkungen: mehrere Rotstiftanstreichungen.
Z. 14-23 und C 4/ 14. Ein BriefnachlaE ist nicht ermittelt
worden (vgl. In Vorfeldern des Idealismus (V 1), S. 816).
33 Niethammer ist spaterhin nicht als Herausgeber von Leibniz
aufgetreten. Kommentar
34 Vgl. A3 S. 31 Z. 4-8 mit A3/ 106.
1 Wahrend der Herbstferien in Jena unternahm Niethammer
ein Reise nach Gottingen, die ihn unter anderem auch in
den Harz, nach Kassel und Gotha ftihrte (vgl. seine "Selbst-
biographie" (cf. A2/ 1), (unpaginiert) S. 7). Ende September
traf er in Gottingen ein und ging einen Monat spater von
dort wieder nach Jena zuriick (vgl. C 5 S. 209 Z. 12f. und
C 5/ 23). -Mit diesen Zeilen antwortet Diez auf einen Brief
Niethammers, den er "vorgestern in spater Nacht" (A 5 S. 40
Z. 1) erhalten hatte, also wohl kurz nach seiner Riickkehr
aus Dettingen (vgl. S. 39 Z. 10). Niethammer wird seinen
Brief also entweder unmittelbar vor seiner Abreise von
Jena aus -in diesem Falle muEte die Beforderung allerdings
ungewohnlich lange gedauert haben (zu den Laufzeiten der
Briefe aus Jena nach Tiibingen vgl. D 2/ 92 und D 3/ 58) -
oder aber wahrend der ersten Tage seiner Reise abgesandt
haben. Diez' Brief laEt nirgends erkennen, daE er etwa
nicht nach Jena adressiert war, sondern daE er Niethammer
auf seiner Reise in Gottingen erreichen sollte. Es ware

425
4.24
Kommentar zu den Briefen A 5 An Niethammer, 12. Oktober 1790

verwunderlich, wenn Niethammer Diez von seiner Ferien- Auf das Angebot Ettingers aus Gotha (vgl. A 6/ 36), das
reise gar keine Mitteilung gemacht hatte. Da er aber mehrere Niethammer gegeni.iber Schnurrer erst im November er-
Orte besuchen wollte, von den Postlaufzeiten nach Gottin- wahnte (vgl. A 6/ 35), wird sich Niethammers ,Jubel" also
gen aber vielleicht nichts Verla.Eliches wuEte und auch keine wohl nicht beziehen. - Fur die Rechnungsjahre 1791/ 92
Adresse anzugeben hatte, ware es gut zu verstehen, wenn und 1792/ 93 fin den sich eine Berechnung und ein Ver-
er Diez bat, seinen nachsten Brief wieder nach Jena zu zeichnis der Kirchenkastenverwaltung vom 26. April 1791
richten. Auffallig bleibt dennoch, daE Diez mit keinem Wort und vom 10. Februar 1792, in denen Niethammers Stipen-
aufNiethammers Reise Bezug nimmt.- Sehr wahrscheinlich dium geftihrt wird (HSA Stuttgart, A 282 Bi.i 1136). (Vgl.
hat jener Brief auch eine Erinnerung enthalten, die philoso- A2/ 1 und die dort zitierte ,Selbstbiographie", S. 8.)
phische Diskussion urn Batt und Reinhold wieder aufzuneh- 3 Diez wurde am 8. Oktober 1790 zusammen mit vier weiteren
men (vgl. A 5 S. 40 Z. 3- 5), die jedoch erst im folgenden Stiftlern zum Repetenten ernannt (vgl. A 5/ 19 und C 5/ 32).
Brief vom 5. Dezember 1790 (A 6) begann (vgl. A 6/1). 4 Zu Diez' wahrscheinlich haufigen Aufenthalten in Stuttgart
2 Das Geheime Rats-Collegium hatte sich auf Veranlassung vgl. A 1/1 und C 1/1.
des Herzogs am 7. August 1790 mit einer Bittschrift Niet- 5 Adolf Karl Maximilian Ruoff (1734 -1809), einer von Diez'
hammers, in der er urn eine Beihilfe zu seiner Reise ba~ Taufpaten (vgl. Kirchenregisteramt Stuttgart, Taufbuch
als Gutachter fur den Herzog zu befassen. Der K.irchenrat Bd. 21 1766, S. 69), war seit 1788 Direktor des Konsistoriums
und das Konsistorium hatten Niethammer ,wegen seiner (vgl. Leube III S. 46, Christian Sigel, Das evangelirche Wiirt-
Aufftihrung sowohl als wegen seiner Kenntnisse beste Zeug· temberg. Seine Kirchenstellen und Geirtlichen von der Refor-
nisse gegeben". Da i.iber die Mittel aus dem Fonds fur das mation an bir aufdie Gegenwart. EinNachschlagewerlc, (masch.)
Jahr 1790 bereits disponiert war, beantragte der Geheime 14 Bde. [o. 0.] 1910, Bd.1 S. 191, und CXV Fortsetzung des
Rat, Niethammer ,auf die nachsten zwey Jahrgange, u. zwar Kirchenregirters der ki/niglich Wiirttembergirchen Haupt- und
von dem ki.inftigen Jahr 1791 an gerechnet, nach andern Residenz-Stadt Stuttgart., [o. 0] 1809). - Ruoffs Familie war mit
Beispielen, jedes Jahr 200f., mithin zusammen 400f." zu der Familie Diez weit!aufig verwandt. Ahnen beider Familien gehi:iren
bewilligen. Der Herzog dekretierte dies personlich am der Weinmannschen Familie an (vgl. Faber, XXVI. Weinmann'sche Stiftung,
11. August (Niethammers Bittschrift befindet sich nicht in dessen Hauptstammtafel, und zu Diez' Familie Weinmann'sche Stiftung
der Akte HSA Stuttgart, A 202 Bi.i 706; vgl. auch LKA in Thbingen, lnstituierte B, § 60, sowiezu Ruoffs Familie die Weinmannsche
Stuttgart, A 3, Konsistorialprotokolle, Nr. 59 1790, fol. 392). Stiftung in Heilbronn, § 23). Auch ergaben sich aus der Amtsverwal-
Niethammer konnte die Nachricht i.iber diese Bewilligung, tungsnachfolge des Klosters Alpirsbach, in des sen Verwaltung Angehi:irige
die schon fri.iher bei ihm eingetroffen sein muE, an Diez beider Familien iiber eine liingere Zeit standen, Moglichkeiten eines
erst in dem Brief weitergeben, den Diez ,vorgestern in anhaltenden engeren Kontaktes. (Vgl. Fiirstlich Wii1·ttemhergisches Diener·
spater Nacht" (vgl. A 5 S. 40 Z. 1 und A 5/ 1) erhielt, denn buch vom IX. his zum XIX. ]ahrhundert, hrsg. von Eberhard Emil von
der vorausliegende Brief Niethammers datiert sehr wahr- Georgii-Georgenau, Stuttgart 1877, S. 245, und Pfeilsticker §§ 1674, 2316,
scheinlich noch vom Juli (vgl. A 4/1). Auch an Hauff gab 3275 und 3276; vgl. auch Faber, XXVI. Weinmann'sche Stiftung in Thbingen,
Niethammer, nach seiner Ri.ickkehr aus Gottingen (vgl. lnstituierte B, §§14, 26, 28, 60; ebenso Faber, XCVIII. Romer'sche Stiftung
A 5/1 ), Nachricht von der Bewilligung, worauf dieser ,zu in Marbach, C. § l; XCIV Waidelich-Haug'sche Stiftung in Brackenheim,
deinem schonen Reisegeld [.. .] von Herzen" gratulierte § 121, und XXVII. Weinmann'sche Stiftung in Heilbronn, § 23). - Das
(Brief vom 6. Dezember 1790 (S. 5; in Privatbesitz)). - Amt des Klosterverwalters von Alpirsbach ist dasjenige Amt, auf das

426 427
Kommentar zu den Briefen A 5 An Niethammer, 12. Oktober 1790

Diez 1792 Gottfried Gabriel Knapp schon berufen sah, der es aber und die theologischen Loci fur die Magister. - Der Ausdruck
erst 1800 erhielt (vgl. dazu D2 8.281 Z.27f. mit D2/ 107). ,Locus' bezeichnete im Anschlug an Philipp Melanchthon,
6 Vgl. A 6 S. 46 Z. 31-33. Loci communes rerum theologicarum: seu hypotyposes theologicae,
7 Diez zitiert aus der Rezension von Schnurrer, Dissertationes Wittenberg 1521, einerseits die einzelnen Lehrstucke der
philologico-criticae (cf. A3/74) im 77. Sti.ick der TtiA vom theologischen Dogmatik, andererseits die Kapitel und Para-
27. September 1790, S. 610: ,Das Register hat Herr M. Niet- graphen, in denen von den Kompendien, den fur das Stu-
hammer, aus dem theologischen Stift, verfertigt, der seit dium vorgeschriebenen Lehrbuchern (vgl. A 3/ 17), diese
Ostern sich in Jena aufhalt, urn seine Kenntnisse auf eine Lehrstucke entwickelt wurden. Diese Loci waren in einer
ruhmwi.irdige Weise immer noch mehr zu erweitern." Of- besonderen und fur das Studium der Theologie fur augerst
fenbar geht Diez davon aus, dag es sich urn eine Selbst- wichtig erachteten Lehrveranstaltung jede Woche am Mon-
rezension Schnurrers handelt (vgl. A 6 S. 47 Z. 3-7 und tag Nachmittag zu memorieren, zu erklaren und zu debat-
A 6/ 35). tieren, und zwar in jedem der drei Jahre des theologischen
8 Gemeint ist Klett (vgl. A3 S.16 Z. 9 mit A3/ 1), der am Studiums in einem neuerlichen Durchgang durch das ge-
14. Dezember 1790 Vikar in Bebenhausen wurde (vgl. samte Kompendium. Auf diese Veranstaltungen wurde der
A 2/ 7) und der also ins Stift zuruckkehrte. Es ist denkbar, Terminus ,Locus" seit langem im ubertragenen Sinn an-
dag Diez und Klett bald nach Diez' Ernennung zum Re- gewendet. Sie wurden von jeweils drei Repetenten geleitet
petenten Kletts Bewerbung urn Diez' Nachfolge als Beben- und von den heiden Superattendenten uberwacht. (Vgl.
hauser Vikar geplant haben. AEvSt, Amtsgrundbuch ( cf. A 2/ 3); Stifts-Statuten von 1752,
9 Friedrich Gottlieb sugkind (1767-1829), Autor der Briefe Kapitel2 §§ 8 [Locus], 9 [Repetition enJ und 26 [Predigten
in Gruppe C (vgl. Cadi XII). Diez konnte damit rechnen, der Repetenten J, S. 11-14 und S. 22, sowie Kapitel4 § 5
dag Sugkind noch im Herbst als Repetent ins Stift zu- [Locus], S. 50, und Kapitel5 § 3 [Repetition en], S. 56; AEvSt,
ruckkehren wi.irde (vgl. C 5 S. 210 Z. 12£. und C 5/ 32). K. II F. 13 Nr. 1 (50), lnterims-Recesse vor das Repetenten
10 1m Stift gab es funf Ausbildungsklassen: in den heiden Collegium [vom 17. Februar 1777], IX. und X. [Locus und
Jahren des philosophischen Studiums, das dem theologi- Repetitionen]; Repetenten-Statuten von 1793 ( cf. A 3/ 77),
schen vorausging, die Novizen und die Kandidaten (fur §§ 17 [Repetitionen], 19 [Locus], 34 [Predigten der Repe-
das Magisterexamen), im theologischen Studium drei Ma- tenten], S.10-l3 und S. 22.)
gisterpromotionen (vgl. Leube III S. 57; Stzjts-Statuten von 11 , Verlegen" bier im ursprunglichen Sinn des Partizips Perfekt
1752 ( cf. A 3/18), Kapitel4 § 3, S. 48 f.). Zum Aufgabenbe- von mittelhochdeutsch ,verligen" - durch (untatiges) Lie-
reich der Repetenten zahlte neben den Predigten und Ka- gen verderben (vgl. SW II, Sp. 1225 f.; vgl. auch ,verstunkene
techisationen in der Stadt- und in der Spitalkirche die Dogmatik" A 5 S. 40 Z. 11 f.). (Vgl. A 6 S. 46 Z. 35.)
allgemeine Aufsicht i.iber die Arbeit und das Verhalten der 12 Samuel Friedrich Nathanael Morus (1736-1792, Professor
Stipendiaten. lhre wichtigste Aufgabe lag darin, das Studium fur Theologie in Leipzig), Epitome theologiae christianae. Fu-
und das Verhalten der Stipendiaten zu beaufsichtigen und turis doctoribus religionis scripsit, Leipzig 1789, erste von
sie in ihren Studien anzuleiten und zu fordern, einem ZieL vielen Auflagen his 1820. Morus' Werk war von Minister
dem auch besondere Veranstaltungen dienten, darunter die Wollner in Preugen als offizielles Textbuch fur Vorlesungen
Privatkollegien (vgl. A 3/77), hauptsachlich jedoch die re- zur Abwehr der theologischen Aufklarung vorgesehen (vgl.
gelmagigen Repetitionen fUr die Novizen und Kandidaten H. Hohlwein, Art. ,Morus", in: RGG Bd. 4 Sp. 1142).

I
428 429
Kommentar zu den Briefen A 5 An Niethammer, 12. Oktober 1790

I3 Fiir das Wintersemester I790/ 9I kiindigte der erste Theo- Geschichte des protestantischen Lehrbegrzjfs seit den Zeiter: ~er
logieprofessor und Kanzler Le Bret seine offentliche Vor- Reformation bis auf die Formulam Concordiae, 3 Bde. Le1~z1g
lesung iiber Kontroversen erstmals nach dem Lehrbuch 1781-1789, Bd. 4-6 erschien I796-I800 unter dem T1tel:
von Morus (cf. A 5/ I2) an (vgl. Ordo praelectionum (cf. Geschichte der protestantischen Theologie von Luthers To_d~ bis
A 3/ 71 ), Wintersemester I790/ 9I ). Das erkHirt, daB Diez zu der Einfiihrung der Konkordienformel; Neueste Relzgzons-
sich als Repetent mit diesem Werk beschaftigen muEte. - geschichte, als Fortsetzung Walchs, 3 Bde. Lemgo 1787-I_79~;
Sectio I der Prolegomena zu Morus' Lehrbuch hat den Titel: Einleitung in die theologischen Wissenschoften, 2 Bde. Le1pz1g
J)e notione religionis in universum". Eine deutsche Uber- 1794-I795.
setzung von Morus' Werk. die man aufgrund der von Diez 17 Planck reiste am I 0. September I 790 von Gottingen nach
in deutscher Sprache formulierten Wendung vermuten Wtirttemberg ab und nahm einen Brief SiiEkinds an Diez
mochte, erschien erst I794. mit (vgl. C 3 S. 186 Z. I3-I5). Zu den im folgenden ~r­
14 Vgl. A4 S. 34 Z.I2-14 und A4/ 7. wahnten Briefen, die Diez ihm auf seiner Riickreise mit-
15 Das falsche Genus li:iEt vermuten, daE Diez eine Nietharnmer gegeben hat, di.irfte derjenige gehoren, auf den sich SiiEkind
bekannte AuEerung aus dem gemeinsamen Bekanntenkreis mit seinem Antwortbriefvom 6. November 1790 bezog (C 5
zitiert. Zu deutsch etwa: Die Zeit wird lehren, was kiinftig S. 203 Z. Sf.). ..
sein wird. In der im Brieftext gegebenen Version bedeutet 18 Friedrich Wilhelm Gottlieb Tafinger war gerade nach Tii-
das Diktum: Er wird die Zeit lehren, was er kiinftig sein bingen berufen worden. Mit der Familie_ seines Amtsvor-
wird. gangers und Schwiegervaters Johann Damel Hoffmann war
16 Gottlieb Jakob Planck (/') (175I-I833) war nach dem die Familie Diez verwandt. (Vgl. A3/ 107.) ..
Studium in Tiibingen von I775 an Repetent im Stift, his 19 Am 21. Oktober 1790 wurde Diez nach der Ubung vor
er I780 Stadtvikar in Stuttgart und I781 Prediger und der Bestatigung zum ,wirklichen Repetenten' im Konsisto-
auEerordentlicher Professor an der Stuttgarter Militaraka- rium in Stuttgart examiniert. Zum Priifungsablauf vgl.
demie wurde, die Ende desselben Jahres zur Hohen Schule C Il/2, zum Hergang der Ernennung und Bestatigung vgl.
wurde. In einer Erinnerung an die Hohe Karlsschule wird C5/ 32.
Planck von Christoph Gottfried Bardili als einer von denen 20 Gemeint ist Johann Philipp Krais.
erwahnt, die dem ,Streben des Zeitalters nach gereinigten
Begriffen von Gott und einem vorurtheilsfreien Unterrichte"
entsprachen (,,Brief an einen Prinzen iiber die Karlsaka-
demie in Stuttgardt", in: Der Genius der Zeit, hrsg. von
August Hennings, Bd. 4 Januar his April 1795, S. 269-304,
S. 277). Diez kann Planck bereits aus dieser Zeit gekannt
und geschatzt haben. I784 wurde Planck als dritter or-
dentlicher Professor fur Theologie nach Gottingen berufen,
wo er I79I Konsistorialrat und im Jahr darauf Primarius
der theologischen Fakultat wurde (vgl. Wilhelm EbeL Ca·
talogus Prifessorum Gottingensium 1734-1962, Gottingen
I962, S. 35). Zu seinen wichtigsten friiheren Werken zahlen:

430 431
Kommentar zu den Briefen
A 6 An Nietbammer, 5. Dezember 1790

fortlaufend (Ziffer I 0 wird innerhalh der Anmerkung zu


A6 nota 9 ahgehandelt (vgl. A 6/ 10)). DaiS Diez die Ziffern 1
Immanuel Carl Diez, Tiihingen his 3 auf einem verlorenen Blatt dieses Briefes oder aher
Sonntag, den 5. Dezemher 1790 in einem vorausgehenden Brief kommentiert hat, lafSt sich
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena indes mit grofSer Wahrscheinlichkeit ausschliefSen. Gegen
die erstere Vermutung sprechen mehrere Umstande. So
heginnt der erhaltene Brieftext mit dem Datum. Die Seiten
Manuskriptheschreihung des Oktavhogens sind zudem so heschriehen, daiS Diez'
anfangliche Ahsicht offenkundig wird, den Bogen so zu
Standort: Privatbesitz.
falten, zu siegeln und dann mit einer Adresse zu versehen,
Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hi.ihe x Breite):
18?-18,9 X 11,7-11,8; Rander beschnitten; Bogenfaltung: 8°; Wasserzeichen;
daiS er allein und ohne Couvert als verschlossener Brief
Pap~erfarbe: chamois. auf den Weg gehen konnte. Erst gegen Ende des Briefes
T~te: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 4 von 4; Faltung: quer von ist Diez von dieser Absicht ahgekommen; er hat die letzte
hinten nach vorne.
Seite des Bogens noch fast zur Ganze mit Text geft.illt.
Besondere Bemerkungen: S. 4 wurde ein AdreJSfeld vorbereitet, das dann doch
fur den Brieftext genutzt wurde, vgl. A 6/ l. (Vgl. auch die Manuskriptbeschreihung S. 432.) Aus den
heiden genannten Umstanden folgt, daiS er kaum mit einem
hesonderen Blatt hegonnen hahen kann, auf dem er die
Ziffern I his 3 kommentiert hahen wiirde. DaiS er das aher
Kommentar nachtraglich tat, ist ehensowenig wahrscheinlich. - Indes
ist mit Sicherheit auszuschliefSen, daiS zwischen dem 12. Ok-
1 Das Fehlen einer Anrede Niethammers zu Beginn des Briefes toher (AS) und dem S.Dezemher (Datum dieses Briefes)
sowie der Umstand, daE der Brief scheinhar unvermittelt ein weiterer Brief an Niethammer ahging, denn Diez nimmt
,ad ~otam 4" einsetzt, gehen Anla/5, die Vollstandigkeit in in A 6 ausdri.icklich auf A 5 als seinen Jetzten Brief" Bezug
der Uberlieferung des Briefwechsels zu erortern, und zwar (A 6 S. 46 Z. 3I- 33, vgl. A 6/ 32). Die fehlenden Ziffern
sowohl hinsichtlich der Abfolge der Briefe im Ganzen als I- 3 kann Diez aher auch nicht in einem vor A 5 zu da-
auch in Bezug auf den Texthestand des vorliegenden Briefes tierenden Brief kommentiert hahen, da er in diesem Brief
A 6. Erst auf S. 45 Z. 17 frndet sich die Anrede an den vom I2. Oktoher (A 5) der Erinnerung Niethammers, eine
Freund. Der Brieftext vor der Anrede greift die Diskussion Beantwortung seiner Erwiderung auf den Brief vom I9.- 22.
der ,Flatt-Rezension der TVV" ( cf. A 3/ 2I) au s dem Brief Juni (A 3) noch schuldig zu sein, mit dem Hinweis hegegnet,
vom I9.-22. Juni (A3) wieder auf (S. 45 Z.17-21), ver- ,wegen der Antwort aufs Literarische die Erscheinung der
anlafSt durch Niethammers Antwort auf A 3 einerseits und Reinholdischen Beitrage ahwarten" zu wollen (A 5 S. 40
die von Reinhold in Beytriige I ( cf. A 3/ 2I) veroffentlichte Z. 3- 5). - Reinholds Beytrage I erschienen zur Leipziger
eigene Stellungnahme zur Rezension Flatts andererseits. Michaelismesse (vgl. A 4/7).
C:'gl. A 5 S. 40 Z. 3-5.) In der Thesenfolge orientiert sich 2 Reinhold, Beytriige I (cf. A 3/ 2I ), S. 413 f. Diez widerspricht
D1ez an der von Reinhold zur Besprechung der Flatt-Rezension hier Reinholds Ausft.ihrungen unter Punkt (4): Reinhold
neu eingeft.ihrten Nomenklatur (vgl. A 3/ 26). Jedoch werden selhst hegegnet Flatts Einwand, er hahe die (von Diez fur
von Diez nur die Ziffern 4 his 16 kommentiert, und zwar moglich erachtete) Komhination von Theismus und Super-

432 433
Kornmentar zu den Briefen A 6 An Nietharnmer, 5. Dezember 1790

naturali~mus unberi.icksichtigt gelassen, mit dem Argumen~ der TVV" ( cf. A 3/ 35) vermuten: Fiirstenau hatte die Frage gestellt, ob
daE es s1ch bei dieser Position nur urn ein ,Koalitionssystem" Reinhold ,bey dem, was er S. 99 in der Note sagt, nicht die iichten
handele, das sich sogar selbst widerspreche, nicht aber urn Stoiker ein(gefallen seien)? Diese glaubten doch wohl ein von Riicksicht
eines der ,urspri.inglichen Systeme". - Vgl. bereits A2/23 auf Vergniigen und Schmerz unabhiingiges Sittengesetz?" (S. 89)
und A3/ 28. 7 Diez bezieht sich auf die Charakterisierung der skeptischen
3 Vgl. A2 S. 13 Textanmerkung a. Schule der ,Pyrrhonisten", wie sie von Flatt unter Berufung
4 Reinhold hatte in TVV S. 96 erklart, der Freiheitsbegriff auf Sextus Empiricus gegeben wird (vgl. ,Flatt-Rezension
des Supernaturalisten beschranke sich auf ,das Vermogen, der TVV" ( cf. A 3/ 21 ), S. 307 f., Reinhold, Beytriige I ( cf.
das Schlimmste zu wahlen". In Beytriigei(cf. A 3/ 21), S. 414, ebd.), S. 415; vgl. auch ,Fi.irstenau-Rezension der TVV"
schrankt er demgegeni.iber ein, diese Behauptung gelte nicht ( cf. A 3/ 35), S. 88). (Vgl. A 3/ 30.) - Nietharnmer gab spiiter eine
von ,vielen inkonsequenten Supernaturalisten". Gleichwohl ,Probe einer Ubersetzung' von Sextus Empiricus (vgl. A8/ 26).
gelte: ,Der konsequente Supernaturalist kennt keine natiir- 8 Vgl. A 3/31. Flatt und Reinhold befassen sich mit der Frage,
liche Freyheit, die nicht Zi.igellosigkeit ware." (Vgl. A3/ 28.) ob der Begriff von Gott der Zeit- oder nur der logischen
Auf diese einschrankende Formulierung bezieht sich die Ordnung nach einer jeden Offenbarung Gottes vorausgehen
vorliegende Ersetzungsempfehlung von Diez. mi.isse. Diez sieht einen Zusammenhang zwischen Flatts
5 Vgl. lat.: excipere - einen Einspruch erheben. Vgl. A 7/ 50. Versuch, die Offenbarung gegen Reinholds Kritik zu ver-
6 Vgl. A 3/ 29. Flatt hatte unter Verweis auf TVV S. 99 gegen teidigen, und der Frage, die er spater in seinen Schriften
Reinhold polemisiert, der allen Philosophen (mit Ausnahme ,tiber die Moglichkeit einer Offenbarung" (fri.ihere Fassung)
von Kant) die Einsicht in die Natur des Sittengesetzes (B 2) und (spatere Fassung) (B 3) negativ beantwortet hat.
abgesprochen hatte. In Beytriige I ( cf. A 3/ 21 ), S. 414, er- 9 ,Ueber das Verhaltnig der Theorie des Vorstellungsvermo-
klarte Reinhold daraufhin, in Flatts Einwand zeige sich ein gens, zur Kritik der reinen Vernunft", Beitrag IV, in: Bey-
unzureichendes Verstandnis von Kants Sittenlehre. Zwar triigei (cf. A3/21), S.255-338. - Diez stimmt mit Flatt
gebe es vorkantische Philosophen, welche ,die Handlungs- darin i.iberein, dag von Reinhold Beweise fUr das ,Mig-
weise der Vernunft bey der Sittlichkeit nicht durch Wollust" verstandenhaben" Kants seitens seiner Gegner zu erwarten
erklaren. Doch mi.iEten sie, wenn sie diese ErkHirung aus seien, jedoch mit einer Begriindung, die nicht die Flatts
einem in den Dingen an sich gegri.indeten Zusammenhang ist: Wer den Schli.issel zur Kantischen Kritik geben will,
sollte auch den Beweis frihren, dag die Kritik bisher durch-
geben wollen, doch das Vergniigen an diesem Zusammen-
gangig millverstanden wurde. In der Rezension hatte Flatt
hang in ihre Erklarung einbeziehen. Andernfalls konnten
erklart, die Migdeutung der Intention der Kantischen Kritik
sie von einem Willen, der dem Vernunftgesetz entsprich~
liege sich ,daraus, dag Hr R[ einhold] von all em, was diese
gar nicht mehr reden. Diez wendet dagegen ein, dal1
Manner darinn anstossiges fanden, gerade das Gegentheil
zumindest die Stoiker die Sittlichkeit aus reiner Vernunft-
gefunden zu haben behauptet, so wenig, als aus dem vor-
tatigkeit erklaren wollten. Er meint, daE dies eine ,echt
liegenden Werke schliegen." (,Flatt-Rezension der TVV"
Kantische Idee" ist und dag Flatt bei seinem Einwand
( cf. A 3/21 ), S. 308.) (Vgl. auch A 6/23.)
gegen Reinhold zumindest die Stoiker im Sinn gehabt haben
10 Diez bezieht sich mit dieser Anmerkung auch auf die von
wird. Wie bereits im Fall von Motiven im Kontext seines Flatt-Kommentars
Reinhold mit einer separaten Ziffer 10 versehene - von
im Briefvom 19.-22. Juni (A3) (vgl. unter anderem A3/ 44) JiiEt sich
Diez im vorliegenden Brief aber nicht reproduzierte (vgl.
bei Diez auch hier eine Resonanz von Themen der ,Fiirstenau-Rezension

435
434
Kommentar zu den Briefen
A 6 An Niethammer, 5. Dezem.ber 1790

A 6/ 1) - Bemerkung Flatts im unmittelharen AnschluE an kuhrliche[r] und nur bittweise angenommene[r] Satze"
die unter A 6/ 9 zitierte Stelle, derzufolge sich in der TVV (,Flatt-Rezension der TVV", S. 310) ehenfalls ftir unzu-
,manche vo~ den. Satzen_ und Beweisen gar nicht [fin den), liinglich halt. - In Nota 16 versichert Reinhold, der Satz
a_uf welche_ s1ch d1e von Jenen [i.e. den Gegnern der Kan- des BewuEtseins fcinde auch die Zustimmung des Skeptikers
tischen Philosophie] vorgehrachten Einwendungen bezie- (vgl. A 3/ 34), der die Unterscheidung von Vorstellung und
he~" (,Flatt-Rezension der TVV" (cf A 3/ 21), S. 308). Diez Vorgestelltem nicht leugnen konne. - Im Brief vom 19.-22.
memt, daE es an Reinholds Leser liegen mochte, wenn er Juni (A 3 S. 21 Z. 35 - S. 23 Z. 5) hatte Diez ausschlieElich
dessen Theorie nicht seiher his zu den Satzen entwickeln zu dem Abschnitt Stellung hezogen, der in Reinholds Bey-
konne, gegen die sich die Gegner Kants wendeten. Zu triige I, S. 416-419, Nota 13 ausmacht. Reinholds ausdiffe-
diesen Gegnern gehorte unter anderem Flatt selbst. renzierte Replik auf Flatt gab Diez vermutlich AnlaE, sich
11 Reinhold, Beytriige I ( cf. A 3/ 21 ), S. 416: Nota 11 bestiitigt seine Kommentare his zum ,Studium der Fundamentalleh-
(gegen Flatt; vgl. A 3/ 32), Domane der Theorie des Vor- re" (vgl. Beytriigel, ,Neue Darstellung der Hauptmomente
stellungsvermogens sei die Aufstellung ,allgemeingeltender der Elementarphilosophie. Erster Theil. Fundamentallehre",
Pramissen". Reinhold hetont jedoch gegen Flatt die Sin- Beitrag IlL ebd. S. 165-254) vorzubehalten.
g~laritat des Satzes des BewuEtseins als einziger Pramisse 13 In Entsprechung zum Briefvom 19.-22. Juni (A3), in dem
mit entsprechender Allgemeingeltung. In Nota 12 wider- Diez gegeniiher dem Duktus von Flatts Rezension von einer
spricht Reinhold der von Flatt fur plausihel erklarten grund- Einriickung iiher das Theorem der Mannigfaltigkeit des
satzlichen Skepsis an der Moglichkeit der Aufstellung eines Stoffes spricht (vgl. A 3 S. 23 Z. 2- 5 und A 3/ 44), unterbricht
einzigen allgemeingeltenden Satzes mit dem Hinweis auf Diez hier wiederum, offensichtlich auf Veranlassung von
die Existenz solcher Satze in Logik und Mathematik. - Zu Niethammers Antwort auf A 3, die Folge der Flattschen
Diez' eigener Position vgl. A3 S. 21 Z. 33-35 und A3/ 32 und nunmehr Reinholdschen ,Noten" und hezieht sich im
sowie Cadi VII. 5. folgenden auf die dem Wiederabdruck der ,Flatt-Rezension
12 Reinhold, Beytriigel(cf. A3/ 21), S.416-419. - In Notal3 der TVV" in Beytriige I ( cf. A 3/ 21) vorausgehende Rein-
hetont Reinhold, daE der Satz des BewuEtseins ausschlieB- holdsche Selbstrezension der TVV (vgl. A 6/ 21). In dieser
lich das Unterschieden- und Bezogenwerden der Vorstellung Selbstrezension erortert Reinhold unter anderem Einwande
von dem hzw. auf das Ohjekt und Suhjekt ausdruckt. Der (vgl. A6/ 16) gegen das Mannigfaltigkeitstheorem (TVV
Satz behaupte hingegen nicht die Wirklichkeit der Vorstel- §XXIV).
lung oder die des von der Vorstellung unterschiedenen 14 TVV S. 283-285. Die These des §XXIV lautet: ,Wenn das
Objekts, die also von Flatt grundlos bezweifelt worden. - wirkliche BewuEtseyn moglich seyn soil, so muE der Stoff,
Nota 14 zufolge ist der Satz der Kausalitat nur zirkuliir das Gegehene, in der Vorstellung ein Mannigfaltiges, und
heweishar, insofern er bei jeglichem Vernunftgebrauch vor- die Form, das Hervorgebrachte, Einheit seyn." (S. 283) -
ausgesetzt ist. Flatts Forderung eines Beweises fur den Satz Vgl. A 3 S. 23 Z. 5-31. Zu Niethammers Position vgl. A 8
des Grundes in der TVV (,Flatt-Rezension der TVV" (cf. S. 62 Z. 35 - S. 63 Z.14.
A 3/ 21 ), S. 309) ist darum nach Reinhold nicht gerecht- 15 In Homers !lias der s6irkste Kampfer der Griechen vor
fertigt. - Nota 15 erklart gegen Flatt, nur aus einem Mill- Troja. Vgl. Kant iiher den zweiten Paralogismus: ,Dies ist
verstandnis des ersten Grundsatzes folge, daE Flatt diesen der Achilles aller dialectischen Schlusse der reinen See-
in Ahhangigkeit von der Zweifelhaftigkeit ,andere[r] will- Ienlehre, nicht etwa bios ein sophistisches Spiel, welches

436 437
Kommentar zu den Briefen
A 6 An Niethammer, 5. Dezember 1790

e~-? D?gmatiker.erkiinstelt, urn seinen Behauptungen einen auf Leonhard Creuzers Skeptische Betrachtungen iiber die
fl~chug~n Sche~ zu geben, sondern ein Schlu.IS, der sogar Freyheit des Willens mit Hinsicht azif die neuesten Theorie iiber
d1e scharfste Prufung und die gro/Ste Bedenklichkeit des dieselbe, GieJSen 1793. Zusammen mit Fichte wurde er 1798
Nachforschens auszuhalten scheint." (KdrV A351) n· des Atheismus bezichtigt. - Reinhold nennt Forberg in
h .. b d Iez
atte u er as Argument, das er offensichtlich fur sein Beytriige I (cf. A3/ 21), S. 388£., einen scharfsinnigen Kri-
schlag~ndstes Argument gegen Reinhold hielt, bisher nichts tiker, der einen Fehler in seinem Beweis des Theorems,
ge~chneben, abgesehen von einer kurzen Andeutung im ,dafi der Stoff in der Vorstellung iiberhaupt ein Mannigfaltiges
Bnefvom 19.-22. Juni (A3 S.23 Z.2-5, vgl. A3/ 44 und seyn mii.sse", gefunden habe, der aiien Rezensenten entgan-
/ 45), aus der hervorgeht, daiS der Beweis fur das Theorem gen sei. So wie der Beweis in TVV S. 282 aufgesteiit sei,
d~~ M~nnigfaltigkeit des Stoffes bereits Gegenstand der lasse er sich umkehren mit dem Ergebnis, ,daiS die Form
mundhchen Unterredung mit Niethammer war. der Vorsteiiung ein Mannigfaltiges und der Stoff Einheit
16 Friedrich Karl Forberg ( /') (1770-1843) studierte zuniichst seyn miisse". (Vgl. A 6/ 13, / 21.) Zu diesem Resultat war
ab 1786 Phil?sophie und Theologie in Leipzig und seit Diez gleichfaiis gelangt (vgl. den Fortgang des Briefes).
Herbst 1788 ill Jena. Erst nach Erscheinen von Reinholds Reinhold nahm Forbergs Priifung von Johann Christoph
TVV beschaftig.te er sich mit der Kantischen Philosophie. Schwabs Rezension der TVV in seine Fundamentschrift ( cf.
Nach dem _Magisterexamen im Friihjahr 1791 reiste er im A8/ 23) (S.183-221) auf. Forbergs anonym erschienene
Sommer m1t von Herbert nach Klagenfurt, wo er his zum Fragmente aus meinen Papieren., Jena 1796, ( vgl. auch seinen
Herbst blieb. Von Oktober 1791 an hielt er in Jena Vor· Lebenslazifeines Verschollenen) enthalten zahlreiche Hinweise
l~su~gen. Die Dissertation zum Zwecke der Disputation, auf Reinhold und Forbergs Beziehungen zu ihm.
d1e 1hm zur Erlangung der Venia legendi noch abverlangt 17 Frz.: armer Blinder. Offenkundig Teil einer haufig gebrauch-
war, v~rteidigte er am 15. September 1792 (Dissertatio phi- ten Wendung (vgl. A8 S. 61 Z.18f. und A8/ 5), die als Zitat,
losophzca de aesthetica transcendental~ Jena 1792) wobei Diez urn das es sich handeln konnte, nicht nachgewiesen wurde.
ein.er der Opponenten war (vgl. D 3/ 52). 17g3 wurde er 18 Umkehrung der These des§ XXIV der TVV (vgl. A6/ 14
Adjunkt an der philosophischen Fakultat in Jena. (Vgl. und / 16).
[Friedrich Karl Forberg], Lebenslazifeines Verschollenen, Hild- 19 Mit den ,folgenden Noten" sind offensichtlich nicht weitere
burg~ausen, .Meiningen 1840, S. 23-44, mit einigen Anga- Anmerkungen in Niethammers Antwortbrief auf A 3 ge-
ben uber seille Veroffentlichungen.) - Am 26. November meint, sondern Bemerkungen iiber im Wiederabdruck der
1793 schrieb er ein Blatt fur Niethammers Stammbuch ,Flatt-Rezension der TVV" in Beytrdge I ( cf. A 3/ 21) in der
(~SB 2. Ordnung Bl. 31 ~· Neben einem Aufsatz ,;Uber das Reinholdschen Nomenklatur (vgl. A 3/ 26) unter den Ziffern
~1sh~rige Schicksal der Theorie des Vorsteiiungsvermogens" 17-25 versammelte skeptische Positionen verschiedener
ill Fuiieborns Beytriigen zur Geschichte der Philosophie (cf. Schulen (vgl. A 3/ 22). Diez hatte diese im Briefvom 19.-22.
A ~~/27), Bd. 1 1791, S. 91-113 (vgl. auch A 12/ 28), pu- Juni (A 3 S. 23 Z. 5 - S. 24 Z. 36) unter den ( eigenen)
blizierte er zahlreiche weitere Aufsatze zur Philosophie Ziffern 8-13 bereits kommentiert.
Kants und Reinholds in Niethammers Philosophischem Jour- 20 Das dritte Buch derTVV, ,Theorie des Erkenntnisvermogens
nal ( cf. A 10/ 9) und in Schmids Psychologischem Magazin i.iberhaupt", S. 319-579, zu dem Flatt am En de seiner Re-
(~f. A 2~12). 1795 erschien in Jena und Leipzig seine Schrift zension der TVV (vgl. A 3/ 21 ), S. 312, noch eine Bemerkung
Uber dze Griinde und Gesetze .freier Handlungen als Replik gemacht hatte (vgl. A3/ 63). Diez hatte im Briefvom 19.-22.

438 439
Kommentar zu den Briefen A 6 An Nietharnmer, 5. Dezember 1790

Juni 1790 ?eschrieben, daB er aus AnlaE dieser Bemerkung 30 Reinhold, Beytriige I (cf. A3/ 21), Beitrag V: "Ueber die
auf das dntte Buch von Reinhold eingehen wolle (vgl. A3 Moglichkeit der Philosophie als strenge Wissenschaft"
S. 24 Z. 36f.). (S. 341-372) ist ein Wiederabdruck seines Artikels "Vor-
21 ,Erorterungen iiber den Versuch einer neuen Theorie des schlag und Bitte an die streitenden Philosophen", in: Neuer
Vorstellungsvermogens", Beitrag VI, in: Beytriigel (cf. Teutscher Merkur vom Oktober 1790, 8.134-160.
A ~/21), S. 373-404. Dieser Beitrag enthalt unter anderem 31 Vgl. A9 S. 67 Z.16ff. und A 10 S. 69 Z. 5 und S. 73 Z. 5-7.
Remholds Darstellung der Kritik Forbergs (vgl. A 6/ 16). 32 Diez wiederholt an dieser Stelle nahezu den Wortlaut, mit
22 V?l. ~- 3 S. 24 Z. 20 f. Diese und die folgende These von dem er in seinem Brief vom 12. Oktober (A 5) die sich
D1ez uber Reinholds Theorie der Erkenntnis lassen sich ihm durch die Riickkehr Niethammers ins Stift bietende
nu~ aufgrund einer sehr eingehenden Untersuchung von Perspektive charakterisierte (vgl. A 5 S. 39 Z. 13 ff.). Es ist ·
Re~holds Text erklaren (vgl. Cadi VII. 3). insofern ausgeschlossen, daE Diez bei seinem Ruckverweis
23 Reinhold, Beytriige I (cf. A3/ 21), S.421; zu Flatt 8.311: auf den Jetzten Brief" einen anderen als den vom 12. Ok-
,Es ist in der That lacherlich, Herrn Flatt, dem schon von tober 1790 meint (vgl. auch A 6/ 1).
so ~elen Kennern der Kantischen Philosophie und so oft 33 Vgl. A 5 S. 39 Z. 20 und A 5/ 11.
beWiesen worden ist, daB er diese Philosophie nichtverstehe, 34 Vgl. AS S. 39 Z.15f. und A 5/ 7.
von der iichten Kantischen Lehre bier sprechen zu horen." 35 Niethammer hatte sich, wie SiiEkind am 6. November an
(Vgl. A 6/ 9, A 3/ 22 und A 3/ 55.) Diez schrieb (vgl. C 5 S. 211 Z. 18f. mit C 5/ 40), als Sub-
24 "erst kurz": erst vor kurzem, namlich am Dienstag, dem bibliothekar bei Schnurrer beworben, der als Ephorus
3?. November, in der Stadtkirche. Weitere Predigten hielt gleichzeitig der Stiftsbibliothek vorstand (also der eigent-
D1ez ~~ dritten Advent (12. Dezember, Spitalkirche) und liche Bibliothekar war), nachdem der bisherige Subbiblio-
an Heiligabend (24. Dezember, Stift); die nachste ist dann thekar Christian Friedrich Weber gemeinsam mit Diez zum
erst ft.ir Drei Konige belegt (6. Januar 1791, Spitalkirche). Repetenten ernannt worden war (vgl. C 5/ 32 und / 33). In
Der ~e:orstehende Locus: ~e Sacramentis in genere, cir- einem (nicht erhaltenen) Brief vom 18. November 1790
cumclSlone et baptismo" fand in der Woche nach dem dritten hatte Niethammer wahrscheinlich Schnurrer auch von den
Advent (vgl. AEvSt, Amtsgrundbuch (cf. A2/ 3)) statt. Dem Aussichten, die Ettinger ihm eroffnet hatte (vgl. A 6/ 36),
entspricht in Sartorius, Compendium ( cf. A 3/ 17) Locus XXVI in Kenntnis gesetzt. Schnurrer antwortete am 30. N~v~mber
~e sacramentis, speciatim veteris testamenti", §§ 518 - 541, 1790: "Und wird demnachst die Rede von dem Blbhothe-
S. 419-431, und Locus XXVII "De baptismo", §§ 542-555, kariat seyn; so werde ich schon daftir sorgen, daE Sie zwar
S. 431-439. auf eine Ihnen ruhmliche Weise genannt werden, werde
25 Vgl. A 2/12. aber dabey sagen, daB Sie Ihre Absicht [... ] geandert haben.
26 ,Es ist schwer, keine Satire zu schreiben." Juvenal, Satura I Und so behalten Sie ganz freye Hand, sich mit E[ttinger]
30. Diez zitiert aus Niethammers Brief, wie der folgende einzulassen." (S. 1; in Privatbesitz) - Diez' Wendung ,in den
Satz zeigt. Vorschlag nehmen" charakterisiert Schnurrers Moglichkeiten treffend.
27 Lat.: Urn so loblicher ist es, keine Satire zu schreiben. Das Konsistorium verlangte fur die Besetzung von Repetenten-, SchloE-
28 Von griech.: 6 ax.wm;rt£ - der Nachaffer, Spotter, SpaJSma- prediger- und Bibliothekarsstellen Vorschlage von der Stiftsleitung und
cher. - Vgl. auch A 4 S. 34 Z. 22-30. vollzog auf dieser Gru ndlage eine Ernennung. Am 10. Januar 1791
29 Lat.: Dem Wortlaut nach. schickte die Stiftsleitung (Su perattendenten und Ephorus) ihren,arnilichen

440 441
Kommentar zu den Briefen
A 6 An Niethammer, 5. Dezember 1790
Vorschlag" zur Wiederbesetzung des Subbibliothekariats an das Kon-
S. 490-491; vgl. auch E 5/5). Ettinger verlegte Schnurrers
sistorium, der vorsah. SuEkind die Stelle bei seiner Ruck.kunft von
Dissertationen mit Niethammers Indices, wodurch Nietham-
Gi:ittingen im Fruhjahr 1791 zu ubertragen und sie his dahin von
mer mit ibm in Kontak.t kam (vgL A3/74). In Ettingers
Weber kommissarisch weiterversehen zu lassen_ Zwar wurden, urn der
Verlag erschienen auch die Gothaischen gelehrten Zeitungen
Form zu genugen, drei Stipendiaten nominiert, und zwar an erster
Am 12. April 1791 erteilte das Konsistorium Niethammer
Stelle Niethammer, an zweiter SuEkind und an dritter Ernst Gottlieb
die Erlaubnis, die ,Redaktion der Gothaischen Gelehrten
BengeL Aber zu Niethammer wurde angemerkt, daE er ,es zutriiglicher
Zeitung bei dem Comiss. Rath Ettinger ubernehmen zu
finde, auf eine ihm angebotene Stelle in Gotha weiteren Bedacht zu
diirfen" (LKA Stuttgart, A 3, Konsistorialprotokolle 1791,
nehmen", und von Bengel heillt es, er habe sich ftir die Stelle zwar
S. 226). Niethammer verbrachte dann wirklich den Sommer
gemeldet, man habe ihm aber als einem noch nicht examinierten
und Herbst 1791 als Hofmeister der Kinder Ettingers und
Stipendiaten keine Hoffnung machen ki:innen. Das Konsistorium indes
als Mitarbeiter mit dem Aufgabenbereich eines Korrektors
konme sich nicht zur Ernennung SuEkinds entschlieEen, sondern hat
oder Lektors, nicht aber als Redakteur der Gothaischen ge-
die Stiftsleitung per Reskript vom 19. Januar 1791 um einen neuen
lehrten Zeitungen in Gotha (vgL Selbstbiographie in De per-
Vorschlag ersucht, bei dem vor allem die Stipendiaten der heiden suasione (cf_ A2/1), (unpaginiert) S. 8; Lupin, M"ethammer
jungsten examinierten Promotionen zu berucksichtigen seien. Die Stifts- (cf ebd.), S. 18ff.; Doderlein, Unsere Jlliter (cf ebd.), S. 21;
leitung schlug am 31. Januar 1791 die Magister Immanuel Gottlieb vgl. dazu A 9 S. 66 Z. 10-12 und A 9/9). Lupin und Doderlein
Wunderlich, Rau, GleE und Klett - in dieser Reihenfolge - vor, alierdings nennen zwei Tochter Ettingers, die Niethammer zu unter-
die drei erstgenannten jeweils mit einschriinkenden Zusiitzen (Wun- richten gehabt babe. Niethammer selbst erwahnt demge-
derlich fehlten die Mittel, um mehrere Jahre ohne nennenswerte Be- genuber in einem Brief an Erhard vom 5. Oktober 1792
soldung tiitig sein zu ki:innen; Rau sei Vikar bei seinem Vater und ( cf A 9/9) Ettingers ,Jungen". Vermutlich sollte Niethammer
habe sich nicht beworben, so daiS, wenn man ihn dennoch beriefe, jedoch die Unterrichtung von Karolina Augusta Henrietta
,,eicht ein zu groEe Meinung von seinen eigenen Werthe" bei ihm (geb. 1783) und Karl Ottokar Ettinger (1785-1850) iiber-
veranlassen wurde; auch GleE sei Vikar bei seinem Vater). Das Kon- nehmen, die sich zum Abschied in Niethammers Stammbuch
sistorium lieE daraufhin die Stelle zuniichst unbesetzt. Weber versah eintrugen. Ein zweiter Sohn Ettingers, Karl Eduard, wurde
sie kommissarisch neben seinem Repetentenamt (LKA Stuttgart, A3, erst 1788 geboren. (NhSB L Ordnung BL 166~', 167~'; Aus-
Konsistorialprotokolle 1791, S. 133). Erst ein Jahr spiiter forderte das kunft der evangelisch-lutherischen Stadtkirchgemeinde Go-
Konsistorium wieder einen Vorschlag an. Bengel, der inzwischen das tha vom 8. Januar 1996-) - Das Datum, zu dem Niethammer
theologische Examen abgelegt hatte, wurde am 29. Miirz 1792 vorge- seine Stelle in Gotha angetreten hat, kann anhand mehrerer
schlagen und erhielt die Stelle (AEvSt, K.I F.14 (31)).- Vgl. zu diesem Indizien eingegrenzt werden. Aus einem Brief Schnurrers
Vorgang den Brief G 7 sowie G 8 S. 227 z. 14-35. an Niethammer la~t sich schlie~en, da~ Niethammer zwi-
36 Ca~l Wilhelm Ettinger (1736-1804) war Verlagsbuchhiind- schen dem 20. April 1791 (Datum eines nicht erhaltenen
ler m Gotha, mit Zweiggeschaften in Langensalza und Erfurt, Briefes an Schnurrer, aller Wahrscheinlichkeit nach noch
zeitweilig auch mit einer Niederlassung in Jena (vgl. Lexilcon aus Jena) und dem 23. Mai 1791 (Datum der Antwort
des gesamten Buchwesens, Bd. 2 Stuttgart 2 1989, S. 504, und Schnurrers, in der dieser davon ausgeht, da~ sich Niet-
Johann Goldfriedrich, Geschichte des Deutschen Buchhandels, hammer inzwischen in Gotha aufhalt; S. 1 f.; in Privatbesitz)
Bd! Vom Beg-inn der ldassischen Litteraturperiode bis zum in Gotha eintraf Lupin ftihrt einen nicht erhaltenen nach
Begznn der Fremdherrschcift (1740-1804), Leipzig 1909, Gotha gerichteten Brief Reinholds an Niethammer vom

442 443
Kommentar zu den Briefen A 6 An Niethammer, 5. Dezernber 1790

10. Mai 1791 an und geht davon a us, da.B Niethamrner die Schmid war Cousin, nicht jedoch Neffe Johann Wilhelm
Stelle noch im April antrat (vgl. Lupin, Niethammer (cf. Schmids. Am 29. Mi:irz 1796 wurde er auch sein Schwie-
A 2/ 1), S. 16, 18). Wahrscheinlich wegen Niethamrners be- gersohn. (Vgl. Johannes Schmid, Des Biirgermeisters zu_I_Jirsch-
vorstehender Abreise nach Gotha hauften sich Ende Miirz berg Johannes Schmid Nachkommen vo~ der er_s~en Ha!fte des
und im April die Eintrage aus Jena in seinem Stammbuch 16. ]ahrhunderts bis zur Gegenwart. Ezn Famzlzenbuch unter
(die letzten vom 26. und 28. April, gefolgt von Eintriigen Mitwirkung von Familienmitgliedern zusammengestellt, ~ei~ar
aus Jena erst vom 29. Juli und vom 22. August 1791, 1897, Tafel II, III, VI ( unpaginiert).)- Johann Karl Fnednch
NhSB 1. Ordnung Bl. 133r, 15F, 124r, 143r). Auch Schiller Hauff charakterisiert in einem Brief an Niethammer vom
schrieb sein Stammbuchblatt vom 31. Marz 1791 (abge- 2. Juni 1793 (S. 3; DLA Marbach, 58. 431) das Verwandt-
druckt in NA1 S.219, vgl. dazu NA2,II, A S.206f. und schaftsverhaltnis korrekt als das von Yettem.
GiB S. 840 f. Anm. 314) anlilllich Niethammers Abreise (vgl. 42 Carl Christian Erhard Schmid betrachtet in den §§ 13-18
dazu Niethammer an Erhard, 5. Oktober 1792 (S. 1 f.; cf. (S.ll-16) seiner Moralphilosophie (cf. A2/ 12) ,Denkarten
A 9/ 9; vgl. auch ebd. und besonders A 13/ 3)). Die Blatter i.iber Moralitat i.iberhaupt"': 1) moralische Skeptiker (§ 13~,
vom Juli und August konnen mit der Post an Niethammer 2) moralische Empiristen (§§ 14 -16), und zw~r a) morali-
gegangen sein, da das Stammbuch a us Einzelblattern bestebt sche Mystiker (§ 15) und b) moralische Sensuali~ten (§ ~6),
und solche Nachsendungen nicht uniiblich waren. Demnach schlie.Blich 3) moralische Rationalisten (§ 17). D1ez bez1~ht
kann man davon ausgehen, da.B Niethammer entweder in sichhier auf§ 15 (S. 13), wo Schmid unter andere~ schre1bt:
d~n letzten Apriltagen oder aber Anfang Mai nach Gotha ,Der Mystiker ist (1) entweder Fantast; wenn e~ s1ch selbst
gmg. Der folgende Brief von Diez ist bereits nach Gotha unmittelbarer iibernati.irlicher Erfahrungen, Emgebungen
~erichtet (vom 13. Mai 1791 (A 9), vgl. A 9/ 1). - Die Da- hoherer Geister, und hyperphysischer Blicke in die (~t~l­
tierungen mehrerer Blatter in Niethammers Stammbuch ligible) Geisterwelt und in das iiberirdische Le~~~ fahig
(I. Ordnung Bl. 162r, 163r, 166r, 2. Ordnung Bl. F-W) rna- und theilhaftig zu seyn meynt. - (2) oder Superstztzos, aber-
chen es wahrscheinlich, da.B Niethammer erst zum Jahres- glaubisch; wenn er dergleichen Facta, die der Fantast aus
wechsel von 1791 auf 1792 nach Jena zuriickkehrte (vgl. selbst eigener Erfahrung kennen will, als fremde Erfahrun-
A 15/ 1). gen annimmt, und darauf ohne eig~en Geb~auch der na-
37 Vgl. A 6/ 35. tiirlichen Sinne und der Vernunft, seme prakuschen Grund-
38 Schmid, Moralphilosophie ( cf. A 2/ 12), § 423, S. 330: ,Denn satze erbauet."' (Vgl. auch A 7 S. 57 Z. 15ff. und A 7/ 45.) -
die reine Vernunft erkennt zwischen dem verni.inftigen We- Da Diez Schmids Rede vom Mystiker als Phantasten offenbar
sen in meiner Person und in der Person eines andern und haufig auf Jesus anwandte, laE~. sich gut ver~tehen: da.B
dritten (zwischen Ich, Du und Er oder Sie) keinen Unter· iiber Kolportagen dieser seiner Au.Berungen. d1e. Memung
schied an."' entstehen konnte, i.iber die Johann Karl Fnednch Hauff
39 In seinem Brief vom 6. November 1790 (vgl. C 5 S. 209 in einem Brief an Niethammer vom 25. Juni 1791 (S. 6; cf.
Z. 2-7). Vgl. zum Thema auch C 6 S. 215 Z. 7ff. A 10/ 17) berichtete, wonach Diez die Sprache von De tribus
40 Johann Wilhelm Schmid. imposton.bus (cf. A2/ 12) gefuhrt habe, in __der Moses, Jesus
41 Der Sache nach ist Carl Christian Erhard Schmid gemeint, und Mohammed als die drei gro.Ben Betruger der Mensch-
auch wenn sich Diez hier iiber die tatsachlichen Verwandt- heir bezeichnet werden und von deren Existenz und Ar-
schaftsverhaltnisse tauscht. Denn Carl Christian Erhard gumentation das Wissen weit verbreitet war. - Wer jedoch

444 445
Kommentar zu den Briefen
A 6 An Niethammer, 5. Dezember 1790

Jesus al.s Pha~~asten begreift, wird ihn nicht als Betrii er 47 Ettinger scheint sich nicht an die Abmachungen i.iber die
heschre1ben konnen. g
Anzahl und die portofreie Versendung von Freiexemplaren
43 Johann Wilhelm Schmid, vgl. A 4/ 8 und / 10.
der Schnurrerschen Di.rsertationes philologico-criticae ( cf.
44 Lat.: Argumente~ welch~ die Ubereinstimmung beweisen. A 3/ 74) gehalten zu haben. Jedenfalls bat Schnorrer Niet-
(Vgl. A 6/ 45.) D1ez hez1eht sich wahrscheinlich auEer auf hammer in einem Brief vom 23. Mai 1791 (S. 1; cf. A 6/ 36),
Johann Wilhelm Schmids Buch Sittenlehre ]esu ( cf. A4/ 10), ftir den Helmstedter Professor Bruns, der ein Freiexemplar
das erst zur Ostermesse 1790 erschienen war, insbesondere direkt vom Verlag hatte bekommen sollen, nunmehr ein
auf ~e.ssen Jenaer Osterprogramm von 1788 De di.rciplinae Exemplar zu kaufen und per Postwagen zu i.ibersenden.
Chrzstz~nae cum principiis rationis purae con.ren.ru quaedam Er, Schnorrer, wolle, ,wenn es nicht anders seyn soli, Iieber
praemzttuntur (vgl. dazu auch C 6/ 28). das Exemplar bezahlen, als ihn Ianger daraufwarten lassen".
45 ..Refutiert" von lat.: refutare - widerlegen, zuri.ickweisen; 48 In Frage kommen die heiden Bruder Friedrich Elias (1767-
~ascule refutiert" soviel wie ti.ichtig widerlegt, zuri.ickge- 1818) und Karl Friedrich (1769-1809) (vgl. auch E 1/ 10).
Wiesen. - In der Woche vom 21. his 27. November 1790 An welchen von ihnen der Brief gerichtet war und wohin
hatte Diez wahrscheinlich fur die mittlere der drei Magi- der Brief geschickt werden sollte, konnte nicht ermittelt wer-
sterpro~otio~en (vgl. A 5/ 10 und Cadi V. 2) den Locus den. Somit sind auch die Freunde von Diez nicht zu benennen.
De sanctificatzone et bonis operibu.r gehalten ( vgl. AEvSt, Amts- 49 Georg August Griesinger (1769-1845) aus Stuttgart, An-
g~ndbuch ( cf. A 2/ 3) ), dessen Thema (die Heiligung des gehoriger der Magisterpromotion von 1788, hatte sich am
W1lle~s und die guten Werke) eine ausgezeichnete Gele- 27. Oktober 1786 in die Universitatsmatrikel eingetragen
g:nheit bot, sich mit den Argumenten ftir die Uberein- (MTi.i Nr. 38502 S. 333; Magi.rterprogramm Tiibingen ( cf.
s~~ng (,consensum demonstrantia argumenta") von A 1/2) von 1788). 1791 wurde er Hofmeister in der Schweiz
chr1stlicher Sittenlehre und Kantischer Moral auseinander- ( er erhielt am 29. Juli 1791 die Erlaubnis, in der Schweiz
zusetzen. Diez hatte diese Fragen zuvor schon mit Si.iEkind bei ,de Lully, Seigneur de Montricher dans le pals de Vaud"
diskutiert (vgl. C 5 S. 208 Z. 6 - S. 209 z. 8). In Sartorius, Hofmeister zu werden (vgl. AEvSt, K. I F. 8, 4 (16), Seme-
Compendium ( cf. A 3/17), Locus XXII ,De sanctificatione", sterbericht Georgii 1791, S. 84)), 1804 sachsischer Lega-
§§ 429-444, S. 354-367, und Locus XXIII ,De bonis ope- tionssekretar, spiiter Legationsrat in Wien (vgl.]. Hartmann,
ri.bus':, §§ 445-457, S. 367-377. In Locus XVIII J)e poe- ,Ti.ibinger Magister und Kandidaten als Hofmeister in ein-
ru.ten~a, et eius primaria parte fide",§§ 364-390, S. 312-328, heimischen und fremden Diensten", in: Besondere Beilage
wrrd nn §.385 (S. 324) als ,effectus fidei" die ,sanctificatio" des Staat.r-Anzeigersfii.r Wiirttemberg Nr. 18 vom 15. Oktober
genannt. Uber sie ist im § 307 (S. 268 £) innerhalb des Locus 1913, S. 281-288, S. 286). Er hat sich vor Niethammers
XN ,De gratia applicatrice", §§ 302-312, S. 264-275, bereits Abreise nach Jena in dessen Stammbuch eingetragen (Ti.i-
gehandelt worden. Im § 386 (S. 324 f) werden dann die ,bona bingen, 9. Februar 1790, NhSB 1. Ordnung Bl. 46r).
opera" ins Verhaltnis zu ,fides" und ,sanctificatio" gesetzt. 50 Jacob Friedrich Abel (1751-1829), von 1772 an Professor
46 Vgl.. Sc~id, Moralphilosophie ( cf A 2/12), § 123, S. 124: ftir Philosophie an der von Karl Eugen gegriindeten Mili-
,[D1e B1hel] enthalt und [Jesus] lehrt i.iberall kein Princip tiirakademie, wo er auch Schillers Lehrer war, war gerade
der Moral, aber die Vorschriften selbst dieses groBten aller (zum Wintersemester 1790/91) nach dem Tode des seit
populiiren Sittenlehrer sind (nach meiner itzigen Ueber- lang em erkrankten Gottfried Ploucquet (1716 -1790) des-
zeugung) diesem Princip gemaK" sen Nachfolger als ordentlicher Professor ftir Logik und

446 447
Komrnentar zu den Briefen A 6 An Niethammer, 5. Dezember 1790

Metaphysik in Tiibingen geworden (vgl. 11.iA 82. Stuck vom 52 Die Repetenten ftihrten in den Stuben im Stift jeweils die
14. Oktober 1790, S. 649). Zu seinen wichtigsten Schriften Aufsicht und wohnten zumeist in einem ihrer Stube zu-
die auch seine friihe Auseinandersetzung mit der Kantische; gehorigen sogenannten Kabinett, einem kleinen benach-
Philosophie belegen, gehoren: Einleitung in die Seelenlehre, barten Zimmer oder einem von den groEen Stuben abge-
Stuttgart 1786; Grundsiitze der Metaphysik, nebst einem An- teilten Stiibchen (vgl. F. Fritz; A. Schneiderhan, Baugeschichte
hange iiber die Kritik der reinen Vernurift, Stuttgart 1786; des Tiibinger Stifts, Stuttgart 1919, S. 32-39 besonders
Versuch ~·her die Natur der spekulativen Vernurifi zur Priijung S. 35 f.). Fiir das Jahr 1795 und dann erst wieder ab dem
des Kantzschen Systems, Stuttgart 1787. Wahrend seiner bei- Wintersemester 1816/ 17 ff. haben sich Ubersichten iiber
~en le~ten Semester in Stuttgart hat Abel Vorlesungen die Stubenzuteilung erhalten (AEvSt, K. V F. 9 (162-164));
u_ber d1e Kritz!r. der reinen Vernurifi und die Kritz!r. der prak- ftir Diez' Zeit lieE sich eine entsprechende Quelle nicht
tzschen Vernurifi gehalten ( vgl. Jacob Friedrich Abel Eine Quel- ausfindig machen. - Ein Kandidat ist ein Stipendiat im
lenedition zum Philosophieunterricht an der Stuttgarter Karls- zweiten Studienjahr (vgl. A 5/ 10).
schute (1773 -1782). Mit Einleitung, Ubersetzung, Kommentar 53 Demokrit von Abdera (ca. 460 - ca. 370 v. Chr.) war der
und Bibliographie hrsg. von Wolfgang Riedel, Wtirzburg wichtigste Lehrer der antiken Atomistik. - Abdera galt als
1995, S. 400) und im Sommersemester 1792 las er in Th- die Vaterstadt nicht nur von Demokrit, sondern nach einigen
bingen unter anderem iiber ,Prolegomena Metaphysices Quellen auch von anderen bedeutenden Philosophen wie
secundum theoriam Reinholdianam" ( Ordo praelectionum (cf. Leukipp und Protagoras. (Vgl. Hermann Diels, Fragmente
A 3/ 71), Sommerhalbjahr 1792, S. 8). Abel war auch seit der Vorsokratiker, Berlin 6 1952, Bd. 2 S. 70 ff., 255.) Dennoch
1782 Mitglied des illuminatenordens (,,lluminatus minor") standen die Bewohner von Abdera im Ruf der Beschrankt-
in Stuttgart unter dem Ordensnamen ,Pythagoras Abderites" heit und des Stumpfsinns. ,Abderite" war in dieser Hinsicht
(vgl. Hermann Schuttler, DieMitgliederdes Illuminatenordens sprichwortlich (vgl. E. Wellmann, ,Demokritos 6", in: Paulys
1776-1787/93, Miinchen 1991 (= Deutsche Hochschu]- Real-Encyclopiidie der classischen Altertumswissenschafi,
edition, Bd. 18), S. 14). Bd. V, 1 hrsg. von Georg Wissowa, Stuttgart 1903, Sp. 135-
51 !m Vorlesungsverzeichnis fur das Winterhalbjahr 1790/ 91 140, und G. Hirschfeld, ,Abdera 1", in: ebd. Bd.I, 1 1894,
1st angekiindigt: ,JOANNES FRIDERICUS FLATT unahora Sp. 22 f.). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wielands satirischen
methaphysicam [sic!] ad ductum compendii Ulrichiani, altera Roman "Die Abderiten, eine sehr wahrscheinliche Geschichte", der zwi-
Logicam tradet, & si quid temporis superfuerit, id uni e schen 1774 und 1780 sukzessive im Teutschen Mer/cur erschien.
Ciceronis Academicarum quaestionum libris, vel ejusdem Pa- 54 Abel hat seine Antrittsrede am Mittwoch, dem 17. November
radoxis interpretandis impendet, paratus etiam vel ad ex- 1790, fur den folgenden Donnerstag, 10 Uhr, unter dem
ponendam, & cum Lockiana, Leibnitiana & Malebranchiana vollstandigen Titel ,De regulis bene scribendi et dicendi,
comparandam Kantianam de repra:sentationum primitivarum quae ex hominis sensu morali originem trahunt" in einem
origine theoriam, vel ad enarrandam antiquiorem philosophiae gedruckten Programm angekiindigt.
de Deo historiam" ( vgl. Ordo praelectionum ( cf. A 3/ 71 ), Win- 55 Erst am 8. April 1 791 wurde Schmids Moralphilosophie ( cf.
terhalbjahr 1790/ 91, S. 7). Zu erhaltenen Nachschriften A2/ 12) in der ALZ (Nr. 108, Sp. 57-64) rezensiert (vgl.
zweier anderer Flatt-Vorlesungen vgl. Uberlieferung von auch A 9/ 16).
Diez' Manuskripten (V 2), S. 865 und Anm. 187. Zu Ulrichs 56 Vgl. A 4 S. 36 Z. 24 - S. 37 Z. 10 mit A 4/ 26 und / 27. Die
Kompendium vgl. A2/ 13. Rezension von Brastberger, Untersuchungen (1790) ( cf. A 4/ 26)

448 449
Kommentar zu den Briefen A 7 An Niethammer, 9. Mi.irz 1791

erschien in der ALZ Nr. 222 vom 15. August 1791 (cf.
A 4/27), also nahezu ein Jahr, nachdem das Buch heraus- A7
gekommen war. - Vgl. auch A 7 S. 57 Z. 7 f. Immanuel Carl Diez, Ttibingen
57 Christian Gotthilf Salzmann (I 744-1811), bedeutender Mittwoch, den 9. Marz 1791
Padagoge der Aufklarung, war von 1781 bis 1784 als Lehrer An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
an Basedows Philanthropin in Dessau (vgl. C 1/7) tatig
gewesen und hatte 1784 eine eigene philanthropinistische
Erziehungsanstalt in Schnepfenthal bei Gotha gegri.indet. Manuskriptbeschreihung

Standort: Privatbesitz.
Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hi:ihe x Breite):
21,3-21,5 X 17,7-17,9; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Papierfarbe:
chamois.
Tinte: braun; Anzahl der besd1riebenen Seiten: 4 von 4; Faltung: quer von
hinten nach vorne, dann Iangs.

Kommentar

Vgl. A 6/36. In den uns vorliegenden Briefen Schnurrers


an Niethammer fmdet sich kein Anhaltspunkt fur dieses
Geriicht (vgl. auch A 7/3). Doch hatte Niethammer noch
weitere Tiibinger Briefpartner (vgl. A2 S. 12 Z. 24£. und
A4 S. 33 Z. 5).
2 Vgl. A 2/22.
3 Aus der Zeit zwischen dem 30. November 1790 und dem
23. Mai 1791 ist kein Brief Schnurrers an Niethammer er-
halten, so daE sich hierzu nichts Weiteres ermitteln lieK
4 Vgl. A 6/36.
5 Eine Anspielung auf Ettingers viel beklagte UnzuverHissig-
keit (vgl. A6/47).
6 Es handelt sich urn eine Hofmeisterstelle in Prangins am
Genfer See, die zuvor Karl Friedrich Staudlin innegehabt
hatte. Niethammer schlug das Angebot, sie zu beziehen,
aus. SiiEkind beschrieb sie auf Staudlins Bericht hin in
seinem Brief an Diez vom 14. Januar 1791 (vgl. C 8 S. 223
Z. 3 - S. 224 Z. 27) ausfuhrlich fur Klett, der am 19. Februar
1791 vom Konsistorium die Erlaubnis erhielt, sie anzuneh-

450 451
Kommentar zu den Briefen A 7 An Niethammer, 9. Miirz 1791

men (vgl. LKA Stuttgart, A 3, Konsistorialprotokolle 1791, der Mathematik ~atte daselbst nur transcendentale Aes-
S. 133). Klett trat die Stelle nach Ostern an. Sein erster thetik genannt werden mi.issen" ($ehberg-Rezension der
Brief aus Prangins an die Eltern ist am Ostersonntag, dem Beytriige I" ( cf. A 7/ 8), Sp. 202 f.), denn ,.,die speciellen Lehr-
24. April 1791, datiert (in Privatbesitz). siitze der Mathematik sind nicht aus der Natur der Sinn-
7 Schon seit langerem war die Rede davon, daE Niethammer lichkeit [... ] erweislich, sondern erfodern noch besondere
vielleicht in Tiibingen Repetent werden konne. DaE er dazu Modificationen jenes Vermi)gens" (Sp. 203).
wirklich begri.indete Aussicht hatte, geht aus einem Brief 14 Rehberg halt Reinholds Definition der Philosophie als ,.,Wis-
Schnurrers an Niethammer vom 19. Juni 1791 hervor (in senschaft desjenigen, was durch das blrfte Vorstellungs- Vermiigen
Privatbesitz). Schnorrer schreibt (S. 3): ,.,Das ist mir sehr bestimmt ist" (Reinhold, Beytragei (cf. A 3/ 21), S. 59), zwar
angenehm, daE Sie aus dem Consistorium vorliiufig das ftir sachlich angemessen, weist aber den Anspruch auf kiinf-
Anerbieten der Repetenten Stelle erhalten haben." Die Kon- tige Allgemeingeltung ftir diese Definition zuri.ick, weil sie
sistorialprotokolle enthalten keinen direkten Hinweis auf die Reinholdische ,.,Bestimmung des Begriffs vom Vorstel-
ein solches ~erbieten". lungsvermogen" bereits voraussetze ($ehberg-Rezension
8 Rezension von Reinholds Beytrage I ( cf. A 3/ 21) in der der Beytrage I" ( cf. A 7/ 8), Sp. 203). Zu Diez' nachfolgender
ALZ Nr. 26f. vom 28. Januar 1791, Sp. 201-214. Der an- Bemerkung vgl. Cadi VII. 5.
onyme Rezensent war August Wilhelm Rehberg (vgl. For- 15 Rehberg kritisiert, daE Reinhold die Bedeutung der Phi-
berg, Lebenslauj eines Verschollenen (cf. A 6/ 16), S. 31; For- losophie ftir die Praxis und insbesondere die seines ersten
bergs Bericht (vgl. A 7/ 39) legt auch nahe, daE Reinhold allgemeingeltenden Grundsatzes (vgl. Reinhold, Beytragei
alsbald von Rehbergs Autorschaft wuEte). Rehberg hatte (cf. A3/ 21), S.93ff. und S.365ff.) zum Nachteil der Phi-
zuvor bereits Reinholds TVV im November 1789 in der losophie seiher iiberschatze ($ehberg-Rezension der Bey-
ALZ rezensiert (vgl. A 2/ 17). triige I" ( cf. A 7/ 8), Sp. 204). Er bezieht sich dabei auf Rein-
9 Lat.: die Stimme, die Rede. holds zweiten und ftinften Beitrag: ,.,Ueber das Bedi.irfnill
10 Lat.: mit geduldigen Ohren. die Moglichkeit und die Eigenschaften eines allgemeingel-
11 Dieser Einteilung entspricht im Text der $ehberg-Rezen- tenden ersten Grundsatzes der Philosophie", Beytrage I,
sion der Beytriige I" ( cf. A 7/ 8) ein groEer Absatz in Sp. 205, S. 91-164, und ,.,Ueber die Moglichkeit der Philosophie als
nach welchem der Rezensent fortfahrt: ,.,Nun in Absicht strenge Wissenschaft", S. 339-372.
auf das System der Wissenschaft selbst [... ]". Diez bezeichnet 16 In den ,.,Erorterungen i.iber den Versuch einer neuen Theorie
das Vorausgehende mit dem Buchstaben A und als ,Pro- des Vorstellungsvermogens" (Beytriige I ( cf. A 3/ 21 ), 6. Bei-
legomene", das Nachfolgende mit B und gliedert die heiden trag) bezieht Reinhold gegen die Rezensionen der TVV
Textteile weiter mit Hilfe von Kleinbuchstaben. Stellung: Deren Autoren wi.irden im ,.,dogmatischen Schlum-
12 ,.,Ueber den Begriff der Philosophie" ist der Titel des ersten mer" verharren und ihre ,.,gedruckte Traume" i.iber die TVV
Reinholdischen Beitrags, Beytrage I ( cf. A 3/ 21 ), S. 1-90. (ebd. S. 377) wi.irden im besten Faile eine solche $i.icksicht"
Rehberg bespricht ihn in seiner Rezension der Beytriige I auf Reinholds ,.,kritisch-skeptische Erinnerungen" sichtbar
(cf. A 7/ 8), Sp.202f. machen, ,.,die aufs hochste ein dunkles Gefiihl einer millfal-
13 In Beytrage I ( cf. A 3/ 21 ), S. 88 f., erkliirt Reinhold, die ligen Storung ihres Schlummers anki.indiget" (Hervorhe-
formale theoretische Philosophie umfasse erstens Mathe- bung vom Hrsg.). Als Beispiel ftir einen solchen Rezensenten
matik und zweitens allgemeine Logik. Rehberg meint, statt nennt Reinhold an dieser Stelle Johann Georg Heinrich

452 453
Ko=entar zu den Briefen A 7 An iethammer, 9. Mii.rz 1791

Feder (vgl. Feder, ,Rezension der TVV", in: GoA, 14. St. tungen zur philosophischen Geschichte, Bd. 1 Leipzig 2 1784.
vom 23. Januar 1790, S. 129 -139). In einer eben dieser In der unpaginierten, zweiseitigen Vorrede ,Zur neuen Aus-
Erwahnung Feders zugeordneten solitaren Anmerkung am gabe" heillt es im letzten Absatz: ,Cern, sehr gem hatte
Ende der Beytriige I erklart Reinhold, Feders Rezension sei ich mich iiber Kants Critik der rein en Vernunft allenthalben
ein ,Beleg [seiner, Reinholds,] Charakteristik der Popularphi- weidaufig ausgebreitet, wenn es in so engen Schranken
losophie" (Beytriigel, S. 451). Diez, der die SchluiSpassagen des Raums und des Endzwecks moglich gewesen ware.
der Beytriige I offensichtlich mit groEer Sorgfalt las, folgte Ich ftihle es ganz, wie unbedeutend die Ri.icksichten sind,
dem Riickbezug der Anmerkung Reinholds auf die zuge- die ich hie und da auf dieses wichtige Werk genommen
horige ( ohne Anmerkungsziffer verbliebene) Textstelle im habe." Platner (1744-1818) war ab 1770 auiSerordendicher
sechsten Beitrag. Aus der Zusammenftihrung beider Stellen und von 1780 an ordentlicher Professor der Medizin in
sah er sich zu der Vermutung berechtigt, aus der Sicht Leipzig. Er las zugleich iiber Logik, Metaphysik, praktische
Reinholds sei fur den Popularphilosophen der Rekurs auf Philosophie und Asthetik und wurde 1801 auch auEeror-
ein ,dunkles Geftihl" charakteristisch. - Vgl. zum Thema dentlicher und bald darauf ordentlicher Professor der Phi-
auch A 3/ 30 und A 3/ 59. losophie.
17 KdrV A 133/ B 172. 23 Vgl. A3 S.l8 Z.l9, A3 8.30 Z.21-29, A4 S.37 Z.16f.
18 Diez bezieht sich auf Sp. 206 der ,Rehberg-Rezension der und A 7 S. 59 Z. 35.
Beytrage I" ( cf. A 7/ 8) und zieht zugleich den Ausdruck 24 Vgl. A 2 S. 13 Z. 11 mit A 2/ 22 .
.,dogmatischer transzendentaler Idealismus" hinzu, den Reh- 25 Reinhold behauptet (,Reinhold-Rezension der KdrV" (cf.
berg in Sp. 214 gebraucht.- Daraus, daiS Diez die Rezension A 7/ 21 ), Sp. 433 f.), Kant habe nur die Grundlosigkeit ,der
~icht zur Hand bekommen kann" (S. 51 Z. 8), liilSt sich Uebertragung der Formen der Ideen auf Dinge an .~ich"
erklaren, daE er die Kritik des ~rbfehlers" (S. 52 Z. 12) erwiesen. Solange jedoch die Unmoglichkeit dieser Uber-
entgegen dem Text der Rezension (vgl. Sp. 205) nicht zu tragung noch nicht bewiesen sei, was nur aus der Natur
Ab ), sondern zu Ba) rechnet. Die Zasur gehort mitten in der Idee qua Vorstellung geschehen konne, bleib~. es kri-
den dritten Satz des Absatzes vor ,und weilS es dem Leser tischen Philosophen unbenommen, entweder den Ubertra-
[... ]" (S. 52 Z. 13 f.). Zur Diezschen Einteilung der Rezension gungsgrund auEerhalb der ~igenthiimlichkeiten", also der
vgl. A 7/ 11. Verfassung der theoretischen Vernunft als solcher zu suchen,
19 Gadi VII.6 und Stamm, Systemlcrise (cf. A2/ 6), 1.3. etwa in der Verfassung der praktischen Vernunft, die in
20 Diez setzt den Gedankengang von ,B. a." auf S. 54 Z. 5 Verbindung mit einer neuen Art von Erkenntnis gesetzt
nach den drei Gedankenstrichen fort. Werden konnte (,neuer dogmatischer Theismus"), im Inbegriff
21 Die Rezension erschien anlaiSlich der dritten Auflage der der Erscheinungen, der mit der Form der Idee als unbe-
Kritilc derreinen Vernuriftin der ALZ Nr. 54 f. vom 18. Februar dingter Einheit in Verbindung gebracht wird (,Kantisch-
1791, Sp. 425-435. Sie ist wie aile Rezensionen in der spinozistischer Atheismus"), in der iibernati.irlichen Offenba-
ALZ anonym erschienen. Doch kann man aus ihrem Text rung (,Kantisch-philosophischer Supernaturalismus"), oder
die Autorschaft Reinholds leicht erkennen, so daiS es also aber auch die ,absolute Grundlosigkeit des Gebrauchs der
nicht notwendig ist vorauszusetzen, daE Diez eine Mitteilung Ideen auEer dem Gebiet der Erfahrung" zu behaupten
iiber den Verfasser erhalten hat. (.,dogmatisch-lcritischer Slcepticismus"). Als ,Kantisch-philoso-
22 Ernst Platner, Philosophische Aphorismen nebst einigen Anlei- phischen Supernaturalismus" identifiziert und prognostiziert

454 455
Kommentar zu den Briefen A 7 An Niethammer, 9. Miirz 1791

Reinhold hier bereits die Position, die wenig spater Storr Rehberg durch Gegeni.iberstellung verschiedener Para-
mit Hilfe SiiKkinds besetzte (vgl. Gotdob Christian Storr, graphen aus der TVV illustriert.
Annotationes quaedam theologicae ad philosophicam Kantii de 30 Vgl. die $ehberg-Rezension der Beytrage I" ( cf. A 7/ 8),
religione doctrinam., Tiibingen 1793). Sp. 206: ,Es lassen sich so viel hochste Grundsatze angeben,
26 Ludwig Heinrich Jakob, Dissertatio philosophica, in qua quae- als Verbindungen unter dem Inhalte ( der Materie, oder
ritur, an sint qfficia, ad quae hominem natura obligatum esse, Gegenstande, wie man es nennen wilL) eines solchen an-
demonstrari nequeat, nisi posita animorum immortalitate, Lei- geblich einzigen hochsten synthetischen Satzes moglich
den 1790. Deutsch 1790 in Ziillichau: Beweis for die Un- sind."
sterblichlceit der Seele aus dem Begrzjfe der Pjlicht Eine Preis- 31 Vgl. die $ehberg-Rezension der Beytrage I" (cf. A 7/ 8),
schrzfi mit einiger Veriinderung von dem Verjasser selbst aus Sp. 206: ~- R. sagt zwar selbst (Beytr. S. 115) daK die
dem Lateinischen iibersetzt. In der Vorrede (S. XV f) wird hochsten Grundsatze nur die Form, nicht die Materie andrer
der Begriff des subjektiven Beweises wie folgt definiert: Satze, nicht die Subjecte und Pradicate andrer Urtheile,
,Ein subjektiver Beweill ist aber ein solcher, wo man aus sondern nur ihre Verkniipfung bestimmen. Allein er ver-
gewissen Beschaffenheiten seines Subjekts auf das Daseyn laugnet seinen eignen Ausspruch wieder, indem er als einen
eines andern Dinges schlieKt, das mit diesen Beschaffen- ersten und hochsten Grundsatz aller Philosophie" den Satz
heiten nothwendiger Weise zusammenhangt." Zu Jakobs des BewuKtseins aufstellt, der ,doch unleugbar den Inhalt"
Beweisart vgl. auch B 2 S. 132 Z. 17 ff. und B 2/26. - Jakob bestimmt.
(1759 -1827) war seit 1789 auKerordendicher und ab 1791 32 In seiner Rezension der Beytriige I ( cf. A 7/ 8), Sp. 213 oben,
ordentlicher Professor fur Philosophie in Halle. Er war An- verweist Rehberg auf TVV S. 485 (eigentlich S. 484), wo
hanger der Kantischen Philosophie, die er in zahlreichen Reinhold von den Grundsatzen des reinen Verstandes sagt,
Schriften vertrat und erklarte. sie seien eines Beweises weder fahig noch bediirftig, und
27 Gadi V. 3. konstatiert einen starken Kontrast zwischen dieser Behaup-
28 Diesem Einschnitt entspricht in der ,Rehberg-Rezension tung und der Kritik der reinen Vernunft Jn welcher sorgfaltig
der Beytragei" (cf. A 7/8) der Ubergang von Sp.210 zu ausfuhrliche Beweise aller dieser Grundsatze gefLihrt wer-
Sp. 211. Sp. 210 schlieKt mit den Worten: ,So weit gehen den".
die Erlauterungen der Theorie, welche der Vf. in dern 1sten 33 Irn Text der $ehberg-Rezension der Beytrage I" (cf. A 7/ 8)
Bande der Beytrage gegeben. Jene Beurtheilung seiner Prin- nicht an dieser Stelle; weiter oben (Sp. 206) erklart Rehberg:
cipien wiirde aber hochst unvollstandig seyn, wenn sie nicht ~er hochste Grundsatz aller menschlichen Vorstellungen,
auf die folgenden Theile der Theorie mit ausgedehnt wi.irde, der ihre Form bestimmt, ist der Satz des Widerspruchs."
in deren Priifung die bisher geauKerten allgemeinen Urtheile Auch in der Sp. 201 hatte Rehberg auf den Satz des Wi-
ihre vollkommne Bestatigung erst erhalten werden." derspruchs Bezug genommen. (Diez hatte die Rezension
29 Zitat a us der $ehberg-Rezension der Beytrage I" (cf. A nicht zur Hand, vgl. S. 51 Z. 7f.).
7/8), Sp. 212. Rehberg wirft Reinhold eine Verwechslung 34 In der $einhold-Rezension der KdrV" (cf. A 7/ 21), Sp. 428,
des Vermogens zu urteilen mit dem Vermogen, empirische heiKt es, der Satz des Widerspruchs sei ,ein bloK logisches
Begriffe zu bilden, vor (Sp. 211 unten), die sich durch d1e Princip, das selbst erst durch Elementarphilosophie gegen
ganze Theorie des Vorstellungsvermogens hindurchzieh~­ das MiKverstandnis, dem es bisher allgemein unterworfen
Sie sei die Ursache ftir Reinholds Begriffsverwirrung, die war, gesichert werden kann".

456 457
Kommentar zu den Briefen A 7 An iethammer, 9. Miirz 1791

35 Vgl. frz.: betise - Dummheit. 42 Brastberger argumentiert auf S. 235 seiner Untersuchungen
36 Vgl. die ,Rehberg-Rezension der Beytrage I" ( c£ A 7/ 8), (1790) (cf. A4/ 26) gegen Kant wie folgt: ,Nun sind zwar
Sp. 208: .,Alles, was [... ] vom Gegebenseyn des Steffes und diese Dinge an sich in unserer Erkenntnill blos gedachte,
Hervorgebrachtwerden der Form vorkommt, beruht aufBe- und keine sinnlich-vorgestellte Dinge, es fehlt ihnen also
griffen von Wirken und Leiden [... ] und ft.ihrt unmittelbar in unserer Erkenntnill diejenige Existenz, die in den Sinnen
in den ganzen Cirkel metaphysischer Streitigkeiten, welchen liegt; da aber diese Existenz eben so gut als die logische
der Vf. entgehen wollte [... ]". am Ende doch nur unsere Vorstellung ist, so ist dieser
37 Vgl. das Ende der ,Rehberg-Rezension der Beytrage I" (cf. Mangel kein Beweis ihrer absoluten Nicht-Existenz [... ]".
A 7/ 8), Sp. 214. Aus dem Kontext dieser Stelle, der den Postulaten des
38 Die ,Rehberg-Rezension der Beytrage I" (c£ A 7/ 8) er- empirischen Denkens gewidmet ist, erkliirt sich der Uber-
streckte sich iiber zwei fortlaufende Nummern (Nr. 26 bis gang Diez' zum Thema des nachsten Abschnitts seines Brie-
Ende Sp. 206 und Nr. 27) desselben Tages in der ALZ. In fes.
Nr. 26 hatte Rehberg konzediert, im ,Bewugtseyn einer Vor- 43 Vgl. A4 S. 37 Z. 3-10 mit A 4/ 27.
stellung iiberhaupt liegt [... ] allerdings dieses, d~ [...] 44 Zu ,anbauen" vgl. KdrV, Vorrede zur ersten Auflage (un-
der Stoff mannichfaltiges, die Form Einheit sey" (ebd. paginiert, S. 7, spater auch als A IX paginiert), B 409 f. und
Sp. 207). In Nr. 27 rekapituliert Rehberg Reinholds Selbst- A 671/B 699.
kritik ( vgl. Beytriige I ( c£ A 3/ 21 ), 6. Beitrag; vgl. dazu auch 45 Vgl. A 6/ 42.
A 7/ 16) an dem Beweis des fraglichen Theorems in der 46 Vgl. B 2 S. 130 Z. 22 - S. 131 Z. 22.
TVV (S. 283-285, § XXIV) und kritisiert den revidierten 47 Vgl. B 2 S. 133 Z. 9; dort statt ,terra" ,tellus", so wie bei
Beweis aus Beytriigel(S. 196-200, §XVIII): ,Der neue [Be- Kant, KdrV A 725/ B 753, und im Original bei Ovid, Meta-
weis], welcher in den Beytragen gefuhrt wird, [... ] leistet morphosen, I 16. In heiden Fallen wortlich: ,Land, auf dem
[. · .] nicht mehr als jener erste". In seiner ,Rezension der man nicht stehen kann, Wasser, in dem man nicht schwimmen
TVV" ( cf. A 2/ 17) hatte Rehberg Reinholds Ableitung ohne kann".
jede kritische Wurdigung nur referiert. - Vgl. zum Thema 48 Vgl. A 3 S. 18 Z. 19, A 15 S. 90 Z. 16 und B 2 S. 133 Z. 26.
auch A 6/ 14 und / 15. -KdrV A 770/ B 798: ,[... ] derVernunftleereHirngespinnste
39 Reinholds Reaktion ist durch Forberg in seinem Lebenslauj [...] unterzulegen"; A 339/ B 397: ,Schein (... ], der (... ] un-
eines Verschollenen (cf. A 6/ 16) dokumentiert: ,Rehberg's aufhorlich zwackt und afft (...]".
Recension dieser Beitrage in der A. L. z. betrubte ihn tief. 49 Gemeint ist Rapp. In der Rezension seiner Schrift Ueber
Ich war am Abend jenes Tages, wo ihm die Recension die Untauglichlceit ( cf. A 2/ 16) im 6. Stuck der GoZ vom
zugekommen, mit mehreren Studirenden bei ihm. Er sprach 22. Januar 1791, S. 57-60, war ihm ,richtige und tiefe Kennt-
mit ungewohnlich gedampfter Stimme und Thranen standen nig der Kantischen Philosophie" bescheinigt worden (S. 60).
ihm in den Augen. Er brachte viele Briefe von Gelehrten Auch der Rezensent in der ALZ (Nr. 62 vom 24. Februar
herbei, die seine Schriften lobten, und ich mugte solche 1791, Sp. 495 f.) hatte Rapp als selbstdenkenden Kenner
der Gesellschaft, ihm gleichsam zum Trost vorlesen. Er der Kantischen Philosophie bezeichnet. Zur Sicherung der
dauerte uns aile." (S. 31 f.) Identitat Rapps vgl. uberdies den folgenden Kommentar.
40 Vgl. A 7/8. 50 Vgl. lat.: exceptio - Einspruch, Widerrede (vgl. A 6/ 5). Sug-
41 Vgl. A4/26 und A6 S. 49 Z. 8-16. kind hatte kurze Zeit zuvor, am 26. Februar 1791, iiber

458 459
Kommentar zu den Briefen A 7 An Niethammer, 9. Marz 1791

Rapp an Diez geschrieben: ,Du schreibst, daE er gegen 59 Vgl. 2. Kor 12, 7. - Diez hat den Plan zu dieser Veroffent-
Deinen Aufsatz nichts einzuwenden wisse." (C 9 S. 232 lichung schon einen Monat spiiter wieder aufgegeben (vgl.
Z. lOf.; vgl. C 10 S. 246 Z. 7-10.) A8 S. 62 Z.1f.).
51 Von Diez in der fruheren Fassung seines Aufsatzes Jiber 60 Vgl. A 7 S. 52 Z. 33 ff. und Cadi V. 3.
die Moglichkeit einer Offenbarung" (B 2) und im ersten 61 Vgl. Jes 9,1.
Teil der spiiteren Fassung (B 3) entwickelt.
52 Von Diez im zweiten Teil seines Aufsatzes ,;(Jber die Mog- Addendum:
lic~eit einer Offenbarung" (spiitere Fassung) (B 3) und S. 53 Z. 17 zu >>begrunde« ist eine Textanmerkung a hinzuzu-
in ,Uber Matthiius XXIV, 29 ff." (B 4) entwickelt. Vgl. B 3/ 17. fugen: Orig.: >>begrunden«.
53 Vgl. A 3/ 13 und Moglichkeit einer Offenbarung (VI3),
S. 992ff.
54 Vgl. B 2 S. 136 Z. 27.
55 In der Woche vom 20. his 26. Februar 1791 hielt Diez den
Locus De judicio extremo et consummatione seculi (AEvSt,
Amtsgrundbuch ( cf. A 2/ 3) ); Sartorius, Compendium (cf.
A 3/ 17), Locus XXXIII, §§ 661-683, S. 535-551.
56 Diese Schriftstelle behandelt Diez in einem eigenen Aufsatz
(B 4).
57 Paulus, Neues Repertorium ( cf. A 3/ 72). Das Repertorium
verstand sich als Sammlung kleinerer exegetischer und
orientalistischer Arbeiten. Am Ende der Vorrede (Bd. 1,
unpaginiert, S. [4]) stellt Paulus drei Grundsiitze vor, die
als Gesetze des Repertoriums gelten sollen: ,nichts triviales
aufzuwiirmen", ,das gelehrte mit dem allgemein nuzbaren
zu verbinden" und zuletzt Parteinahme ,fUr nichts, als fur
griindliche, warheitliebende Untersuchung". Danach fordert
er zur Mitarbeit auf: ,Mit jeder Messe wird ein neuer Band
erscheinen. Auch unerbetene Aufsiitze konnen dern Her-
ausgeber oft ein sehr angenehmer Beitrag sein, wenn sie
mit obigen Zwecken nach Inhalt und Form ubereinstirornen.
Doch werden ihre Verfasser ihn entschuldigen, wenn er ie
einen derselben nach Umstiinden zuriickgehen lassen rniiB-
te." (S. [4 f.])
58 Paulus, ,Die fremde Sprachen der ersten Christen. An Herrn
Repetent, M. ]. F. Gaab in Tribingen.", in: Paulus, Neues Re-
pertorium (cf. A3/ 72), Bd. 1 S. 266-302 und Bd. 2 S. 273-
326. Zum Thema dieses Aufsatzes vgl. C 1 S. 170 Z. 10ff.

460 461
Kommentar zu den Briefen A 8 An Niethammer, 11. April 1791

eigentlichen Konsequenz der Befreiung von den Fesseln


AS treiben konnte, weil ihm das philosophische Licht fehlte,
Immanuel Carl Diez, Tiihingen so daE er also tiber die Folgerungen, die sich aus der
Montag, den II. April I 79I historischen Kritik ergeben miissen, ,nicht hinlanglich er-
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena leuchtet" war. Diez' Wendung ,welche uns beede fehlten"
scheint an eine Zeit erinnern zu wollen, als nicht nur Kant,
sondern auch die historische Kritik Niethammer und Diez
Manuskriptheschreihung (sofern ,uns" nicht in einem ganz weiten Sinn zu verstehen
ist) noch nicht hinreichend griindlich bekannt waren. 'Irotz
Standort: Privatbesitz. des Unterrichts des Orientalisten Schnurrer in der philo-
Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hohe x Breite): sophischen Fakultat, den sie wahrend ihrer ersten heiden
21-21,1 X 16,9-17; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen;
Papierfarbe: chamois. Jahre im Stift erhielten, konnte das auch noch ftir die drei
Tinte: dunkelbraun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 1h von 4 (und AdreBfeld Jahre des theologischen Studiums gelten, wahrenddessen
S. 4); Adresse: ,An I Herrn M. Niethammer I (im Hellfeldischen Hause) I in I vor allem Storr gegen die Folgerungen argumentierte, wel-
Jena: I fr[ ei]. b [is]. Ni.irnb (erg]."; Siegel: S. 4 Siegelreste, Siegelstelle ausge· che die Neologen aus der Bibelkritik gegen die Orthodoxie
schrutten; Faltung: quer von hinten nach vorne, dari.iber Brieffaltung.
Besondere Bemerkungen: Rotelstiftmarken im AdreEfeld.
zogen oder nahelegten. - Vgl. auch Diez' Bemerkung im
vorangegangenen Brief an Niethammer, derzufolge er ,nun
in Anwendung auf den Christianismus auch Griinde a po-
steriori" (A 7 S. 58 Z. 8-10 (Kursiv v. Hrsg.), vgl. A 7/52),
Kommentar also exegetische Griinde besitzt und mit der er auf die im
zweiten Teil seines Aufsatzes ,tiber die Moglichkeit einer
1 Vgl. A6 S. 47 Z.26£ mit A6/42 und vor allem A 7 S. 57 Z.18f ~ffenbarung" (spatere Fassung) (B 3) und in dem Aufsatz
2 Vgl. A 1 S. 8 Z. 20 und B 1 S. 113 Z. 18. ,Uber Matthaus XXIV, 29 ff." (B 4) entwickelten Argumente
3 Die Kantische Philosophie. anspielt (vgl. auch B 4/1). In heiden Texten wendet sich
4 Diez und Niethammer kamen frei, als sie beides hatten, Diez unter anderem gegen exegetische Positionen Storrs.
sowohl das kantische Licht als auch die historische Kritik. 5 Frz.: die armen Blinden und die schwachen Kinder (vgl.
Diese war zunachst zum Studium der klassischen antiken A6 8.44 Z.27 und A6/17).
Texte entwickelt worden und wurde zunehmend, zumal 6 Vgl. C 5 S. 207 Z. 19 - S. 208 Z. 4 mit C 5/16. Wiederum
seit Semler, auch auf die Bibel angewandt und weiter ver- ist Kant gemeint. Vgl. zu den vorangehenden Formulierun-
feinert, und zwar vor allem von den sogenannten ,Neologen' gen den Anfang von Kants ,Beantwortung der Frage: Was
(vgl. Moglichkeit einer Offenbarung (VI3), S. 996ff.), die ist Aufk.Iarung?" (1784), AA VIII S. 33-42.
damit zugleich gegen die orthodoxe Theologie argumen- 7 Vgl. A 7 S. 57 Z. 35 - S. 59 Z. 32.
tierten. - Storr allerdings bediente sich der Textkrit:ik. und 8 In den Archiven seiner Wirkungsstatten Heidenheim, Blau-
zwar meisterlich, zur Verteidigung orthodoxer Positionen beuren und Stuttgart (vgl. A 4/22) konnten weder ein Nach-
(eben so wie er sich spater der Kantischen Philo sophie zur laE Brastbergers noch der hier erwahnte Brief von Diez
Verteidigung des Supernaturalismus bediente). Diez erklart nachgewiesen werden. Auch eine Anfrage bei der Zentral-
nun, daE Storr die historische Kritik auch nicht his zur kartei der Autographen war ohne Erfolg (Auskunft vom

46.2 463
Kommentar zu den Briefen A 8 An Niethammer, 11. April 1791

17. Januar 1996). (Vgl. In Vorfeldern des Idealismus (J 1), 13 Si.iEkind war zur Zeit der Niederschrift des Briefes noch
S. 816.) auf seiner ausgedehnten Heimreise (von Gottingen iiber
9 Vgl. B 2/ 1 und B 3/ 1. Berlin und Jena nach Stuttgart). Vgl. neb en A 9 S. 68 Z. 7 f.
10 Diez versah in der Ostervakanz 1791 (10.-30. April) den mit A 9/ 15 SiiEkinds Brief vom 29. Miirz 1791 (C 10 S. 246
Predigtdienst der Repetenten in der Stadt- und in der Spi- Z. 13 - S. 248 Z. 8), den Diez vermutlich gerade erhalten
talkirche, in der Spitalkirche auch noch an den heiden hatte und aus dem auch hervorgeht, daE SiiEkind noch
folgenden Sonntagen (1. und 8. Mai) (vgl. AEvSt, Arnts- nicht ,bekehrt" war (C 10 S. 244 Z. 3 - S. 246 Z. 11).
grundbuch (cf. A2/ 3)). Der jiingste der Repetenten hatte 14 Auf diese Raisonnements bezieht sich offenbar auch der
wahrend der Vakanzen im Stift zuriickzubleiben, urn ,theils Beginn von Diez' Brief.
die Aufsicht iiber das Stipendium zu ft.ihren, theils die 15 Diez meint seinen Aufsatz ,tiber die Moglichkeit einer
Kirchenarbeiten zu versehen." Daft.ir wurde es ibm erlaubt, Offenbarung", zu dessen Thema Niethammer selbstandig
,eine Vakanz von vier Wochen nachzuholen", und zwar ,Raisonnements" mitgeteilt hatte. Von diesem Aufsatz hatte
,wann er will". (AEvSt, Amtsgrundbuch, am Anfang bei- Diez erst im vorausgehenden Absatz gesprochen (vgl. A 8
geft.igter Aufsatz; Repetenten-Statuten von 1793 ( cf. A 3/ 77), S. 62 Z. 1ff.). Diez hat einen solchen Aufsatz im Unterschied
§ 35 S. 22; vgl. Stijts-Statuten von 1793 ( cf. ebd.), § 78 S. 40- zum theologischen ,tiber Matthaus XXIV, 29 ff." (B 4) als
42. - Vgl. A 11 S. 78 Z. 25 und A 11/12.) Diez nutzte seine philosophischen verstehen konnen, weil er Griinde a priori
Vakanz zum neuerlichen Studium von Reinhold (vgl. A 12 enthiilt, die gegen jede Offenbarungsreligion gelten,
S. 84 Z.ll-13 und A 12/ 15). wahrend sich der theologische auf die christliche Bibel
11 Ostern fiel 1791 auf den 24. April, Jubilate also auf den bezieht.
15. Mai. Da amEnde des 18. Jahrhunderts die Biichermessen 16 Vgl. A 6 S. 44 Z.15-35 und A 7 S. 56 Z. 5-8.
zu Ostern und Michaelis zeitgleich mit den groEen Han- 17 Offenbar der im folgenden erwahnte miindliche Bericht.
delsmessen abgehalten wurden, bedeutet das, daE die Leip- 18 Dem Wortlaut nach miissen zwei Schriftstiicke gemeint sein,
ziger Oster- oder Jubilatemesse 1791 am 8. Mai begann sehr wahrscheinlich also zwei Briefe Niethammers, von de-
und bis zum 29. Mai dauerte. Bis dahin sollte nach Paulus' nen der eine an Diez und der andere an Klett gerichtet
Plan sein Repertorium, in dem der Aufsatz erscheinen sollte, war, die Niethammer aber zusammen an Diez nach Tt.ibingen
druckfertig vorliegen (vgl. A 7/ 57). - Urspriinglich dauerte die gesandt hatte. Beide Briefe nehmen auf jeweils andere The-
Messe in Leipzig zu Ostern von Jubilate his Kantate und an Michaelis men der Debatten unter den Freunden Bezug. Der Brief
vom ersten Sonntag nach Michaelis his zum folgenden Sonntag. Hinzu an Diez enthielt vermutlich iiberwiegend Niethammers eben
kamen im Laufe der Zeit his zum Ende des 18. Jahrhunderts die der erwiihnte ,Raisonnements iiber die Moglichkeit einer Of-
Messwoche vorausgehende sogenannte Bottcher- oder sogenannte En- fenbarung", wiihrend Klett in der Hauptsache ,Antworten
gros-Woche sowie die Zahlwoche danach. W:ihrend dieser drei Wochen wegen Mannigfaltigkeit" erhielt. Dies wird insbesondere
wurde der gesamte Messebetrieb aufrecht erhalten. (Vgl. Ernst Hasse, aus der folgenden Bemerkung von Diez deutlich, wonach
Geschichte der Leipziger Messen, Leipzig 1885, S. 173 f. und S. 177.) er, Diez, am ,Vortrag" der ,K.lettischen Einwiirfe" keinen
12 Vgl. mit Bezug auf eine Veroffentlichung bei SiiEkind (C 6 Anteil gehabt babe, zumal er im Unterschied zu Klett starker
S. 219 Z. 32f.): ,Er hatte damit auch zu Hause bleiben auf Niethammers Griinde geachtet haben wiirde (S. 63
konnen." Diese Wendung ist auch bei anderen Autoren Z. 7ff.). Auch hatte Diez seine grundlegende Kritik des ,Can-
der Zeit vielfaltig belegbar. zen der Argumentation" Reinholds in einem Aufsatz (vgl.

464 465
Kommentar zu den Briefen A8 An Niethammer, 11. April 1791

A 8/ 22) niedergeschrieben und diesen zuniichst zuriickbe- Brief am 11. April aus Ti.ibingen an Niethammer schrieb,
halten (S. 63 Z. 20-22). ist anzunehmen, daE Diez zu denen gehorte, die schon
19 Klett ging nach Prangins, urn dort seine Hofmeisterstelle vor der Anki.indigung (etwa durch Niethammer) erfahren
anzutreten (vgl. C 8 S. 223 Z. 4 - S. 224 Z. 32 und C8/ 1 hatten, daE Reinhold an dieser Schrift arbeitete. - Schon
- / 11). im Miirz hatte Reinhold in Briefen sowohl an Baggesen
20 Johann Benjamin Erhard(/') (1766-1827) aus Niirnberg, als auch an seinen Schwiegervater Wieland i.iber seine Arbeit
~zt und Philosoph, der in einem ergiinzenden Beitrag (,Die und die Veranlassung zu der neuen Schrift Auskunft ge-
rm 26sten Sti.ick der A. L. Z von 1791 enthaltene Beurthei- geben. An Baggesen schrieb Reinhold am 21. Miirz 1791
lung der Reinholdschen Elementarphilosophie. Gepriift von (Baggesen-Briefwechsell S.12-15, S.14f.): ~ine hochst
J. B. Erhard aus Ni.irnberg") zu Reinholds Fundamentschrift schiefe Recension meiner Beitriige hat eine Abhandlung:
(cf. A 8/ 23), S. 139-182, auf ,Rehbergs Rezension der Bey- Uber das Fundament des philosophischen Wissens, bei mir
triige I" ( cf. A 7/ 8) antwortete. Eine Selbstbiographie Er- veranlasset, in der ich diesen Gegenstand zu erschopfen
hards frndet sich in: Varnhagen von Ense, Denkwiirdigkeiten suche, die ich noch unter der Feder habe und doch noch
( cf. A 3/ 97), S. 1-48. (Vgl. Cadi XIII und Stamm, Systemkrise his Ostern unter die Presse zu bringen hoffe." - Die hier
(cf. A2/ 6), I.3 und 4.) angesprochene ,Rezension der Beytriige I" von Re?berg
21 Erhards Version des Beweises fehlt in seiner Widerlegung (cf. A 7/ 8) war am 28. Januar 1791 in der ALZ ersch1enen.
von Rehbergs Rezension ( cf. A 8/ 20). An der betreffenden Reinhold wird also wahl fri.ihestens Ende Januar/ Anfang
Stelle bemerkt stattdessen der Herausgeber (Reinhold) in Februar, moglicherweise aber erst im Miirz den Plan ftir
einer Anmerkung: "Hier begegnet Hr. Erhard der Einwen- die Fundamentschrift gefaEt haben. Mitte Miirz jedenfalls
dung des Recensenten gegen meinen Beweis ftir das Theo- war das neue Werk bereits im Entstehen begriffen, wie
rem von der Mannichfaltigkeit des Stoffes der Vorstellung Reinhold auch dem Schwiegervater berichtete (vgl. S. 2
dadurch, daE er den direkten Beweis in einen apagogischen des Briefes vom 13. oder 23. Miirz 1791, LB Dresden, Mscr.
verwandelt. Ich behalte mir vor, seine etwas weitlauftigere Dresd. h 43, Bd. 4, Nr. 78 (Datierung des Briefes infolge
Darstellung nebst einigen and em [... ] im niichsten Bande einer Uberschreibung nicht zuverhissig entzifferbar)).- Der
meiner Beytriige, in einer besondern Abhandlung i.iber jenes genaue Erscheinungstermin der Fundamentschrift, deren Vor-
Theorem dem Publikum vorzulegen." (Reinhold, Funda- rede auf den 17. Mai 1791 datiert ist, liiEt sich anhand
mentschrift ( cf. A 8/ 23), S. 172 f.) Dies ist dann aber nicht einer Reihe brieflicher AuEerungen verliiElich auf den Be-
geschehen. ginn derOstermesse 1791 (8.-29. Mai, vgl. A 8/ 11) ansetzen.
22 Vgl. A 11 Z. 23 - 25. Der Aufsatz ist nicht erhalten. Bereits am 15. April 1791 harte Reinhold Baggesen Nachricht von der
23 Karl Leonhard Reinhold, Ueber das Fundament des philoso- begonnenen Drucklegung gegeben (vgl. Baggesen-Briefwechsel IS. 16-19,
phischen Wissens, nebst einigen Erliiuterungen iiber die Theorie 8.19). Erhard, der als Verfasser der Antwort auf Rehberg vermutlich
des Vorstellungsvermifgens, Jena 1791.- Im IB der ALZ Nr. 47 ein Anrecht auf Autorenexemplare hatte, wandte sich am 17. Mai mit
vom 9. April 1791, Sp. 398 f., findet sich eine Anki.indigung der Bitte an Reinhold, einzelne Exemplare der Fundamentschrift an
der Schrift, die Reinhold auf den 26. Miirz 1791 datiert verschiedene Adressaten zu versenden (Varnhagen von Ense, Denlcwiir-
hat. Der Verleger ftigte der Anki.indigung die Bemerkung diglceiten (cf. A 3/ 97), S. 302-304, S. 302), woraus man wenigstens auf
bei, daE die Schrift zur Ostermesse zu haben sein werde. einen unmittelbar bevorstebenden Erscheinungstermin schlie~en kann.
Da die Anki.indigung vom 9. April stammte und Diez den - Am 4. Juni 1791 jedenfalls war die Schrift verfugbar, wie sich einem

466 467
Ko=entar zu den Briefen A9 An Nietha=er, 13. Mai 1791

Brief Reinholds an Baggesen von diesern Tag und der Antwort Reinholds
vom 18. Juni 1791 entnehrnen liillt (vgl. Baggesen-Briefwechse!I S. 35-39, A9
S. 38, und S. 39-48, S. 46). - Wann Diez die Fundamentschrift erhalten hnmanuel Carl Diez, Tiihingen
hat, laEt sich nicht mit Sicherheit besri=en. Am 12. Juli wartete er Freitag, den 13. Mai 1791
noch begierig auf sie (vgl. A 11 S. 78 Z. 20-22) - am 7. August schrieb An Friedrich hnmanuel Niethammer, Gotha
er dann an Nietha=er, er habe sie schon zweirnal gelesen (vgl. A12
S. 84 Z.lO).
24 Vgl. A 8/ 23. Manuskriptheschreihung
25 Vgl. C 1/3.
26 Von Niethammer erschien 1792 in Fulleborns Beytriigen Standort: Privatbesitz.
Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hohe X Breite):
(cf. A 12/ 27), Heft2, S. 60-101, eine ,Probe einer Uber- 18,4-18,6 X 11,4-11,5; Riinder b eschnitten; Bogenfaltung: 8°; Wasserzeichen;
sezung aus des Sextus Empirikus drei Buchern von den Papierfarbe: chamois.
Grundlehren der Pyrrhoniker". Niethammers Ubersetzung Time: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 4 von 4; Faltung: quer von
des Anfangs des ersten von drei Buchern endet im 14. Ka- vome nach hinten.
pitel.
27 Vgl. A 7 S. 50 Z.13ff.
28 Tubinger Vorlesungsverzeichnis fur das Sommersemester Kommentar
1791 (Ordo praelectionum (cf. A3/ 71), S.8): ,JOHANNES
FRID ER. FLATT Epicteti enchiridion & Platonis Critonenz vel 1 Diez' Anfrage in seinem vorausgehenden Brief vom 11.
Phaedonem interpretabitur, paratus etiam adtradendam Cri· April 1791, wann Niethammer nach Gotha gehe (vgl. A 8
t~camrationiss. Propaedeuticammetaphysices." (,Johann Fried- S. 64 Z. 33 und A 6/ 36), sowie im vorliegenden Brief seine
nch Flatt wird Epiktets Encheiridion und Platons Kriton Kommentierung von Niethammers Rezensionen in den Go-
oder Phaidon interpretieren, [und ist] auch bereit, die Kritik thaischengelehrten Zeitungen, seine Nachfrage nach dem neu-
de: Vernuriftoder die Propiideutik der Metaphysik zu lehren.") en Briefporto von Gotha nach Ti.ibingen und schlieElich
D1ez versteht Flatts Ankundigung (wahrscheinlich zutref- sein Bedauern daruber, daE SuEkind, der etwa Mitte Mai
fend) so, daE ,Kritik der Vernunft" und ,Propiideutik der nach Jena kommen wollte, ,Sie nicht mehr getroffen haben
Metaphysik" Titel fur ein und dasselbe Kolleg sind. wird" (A 9 S. 68 z. 7f.; vgl. A 9/ 15), sprechen dafur, daE
29 Jaco~ Friedrich Abel, Philosophische Untersuchungen ii.ber die Diez den vorliegenden Brief bereits nach Gotha sandte.
Verbzndung der Menschen mit hohern Geistern, Bd. 1 Stuttgart 2 , Wenn Sie an Niethammer schreiben, griiEen Sie ihn hundert
1791. Abels Schrift will den Glauben an die Moglichkeit und tausend Mal von mir und sagen Sie ihm, daE ich mich
von Geisterverbindungen als grundlos und schiidlich er- wohlfuhle und daE ich Nachrichten von Genf wegen Sextus
weisen - im Unterschied zu dem, was Diez zu vermuten Empiricus erwarte. - Und damit habe ich [Diez] meinen
scheint. Vermudich hatte Diez also nur eine iiuEerst geringe Auftrag [zu gruEen etc.] bestens erftillt." Klett war seit
Kenntnis von den Meinungen des neuen Lehrstuhlinhabers. Ostern (24. April1791) Hauslehrer in Prangins (vgl. A 7/ 6).
30 Vgl. A 6/ 36. Niethammer iibersetzte Sextus Empiricus (vgl. A 8/ 26). Wel-
che Nachrichten aus Genf zu Sextus Empiricus Niethammer
hoffte erhalten zu konnen, ist nicht ermittelt worden.

468 469
Kommentar zu den Briefen A 9 An Niethammer, 13. Mai 179 1

3 Nie~ammer rezensierte im 32. Sti.ick der GoZ vom 27. eine Untersuchung von Lea Metsch, Haifa, in Vorbereitung
Apnl 1791, S. 332-334: Christoph Gottfried Bardili Giebt ist.) tiber eine freundschaftliche Beziehung zwischen Bardili
e~ for die U:ichtig~ten Lehren der theoretischen sowohl afs prak- und Niethammer, die i.iber die von Stifts- und Genera-
tzschen Phzlosophze, ungeachtet aller Widerspriiche der Weltwei- tionsgenossen hinausgeht, ist noch nichts bekannt geworden
sen, doch noch gewisse allgemein brauchbare Kennzeichen der (vgl. aber A 9/ 6). Die Gedanken, die er an der Karlsschule
Wahrheit?, Stuttgart 1791, den Abdruck einer Rede die vortrug, werden aber im Umkreis von Diez und Niethammer
Bardili am 64. Geburtstag von Herzog Karl Eugen i~ der mehr als die irgendeines anderen Au tors Interesse gefunden
Hohen Karlsschule gehalten hatte. Bardili bejahte diese haben. (Vgl. F. W. Garbeis, Bibliographie zu Christoph Gott-
selbstgestellt~ Frage und gab vier Kriterien fUr philosophi- fried Bardil~ Stuttgart 1979; Karl Pfaff, Christoph Gotifried
sche Wahrhe~t a_n: (1) Entdeckbarkeit vor aller philosophi- Bardili, hessischer Hifrath und Prcfessor am Gymnasium zu
schen Theonebildung, (2) universale Verbreitung in allen Stuttgart, geschildert von seinem Schwiegersohne, Esslingen
Kulturen, (3) Unbezweifeltheit, ( 4) praktisch-moralischeRe- 1850; vgl. auch A 9/ 7 und / 8 am SchluE des Kommentars.)
levanz (ebd. S. 13 -15). Niethammer kommentierte (S. 333): 4 Vgl. B 2/ 33 und / 34.
,Solche data in der Geschichte aufzusuchen ist also aller- 5 ,Erfolg": das, was wirklich geschieht, was erfolgt. Vgl. B 3
~ings ein Gedanke der Aufrnerksamkeit verdient [.. .]. Nur S. 148 Z. 14 und S. 149 Z. 17.
IS~ beynahe zu ftirchten, daB nach einer genauen und ge- 6 Die ,freundschaftlichen Verhiiltnisse" (vgl. A 9/ 3) konnten
Wlssenhaften Liiuterung und Sichtung dessen, was reines auch durch ein verwandtschaftliches Verhiiltnis untersti.itzt
Produkt der Vernunft ist, von dem Antheil einer ausschwei- worden sein. Niethammers Grogmutter Maria Regine Dor-
fenden Phantasie, was reines Interesse der practischen Ver- ner geb. Bardili (1722-1814) war eine Schwester von Bar-
nunft hewi.irkt hat, von dem, was durch Wunsch nach Fort- dills Vater Johann Philipp Bardili (1728-1797) (vgl. Faber,
dauer, durch Furcht und so viele andere die Entwicklung III. Fikler'sche Stiftung, §§ 578, 678, 680). Christoph Gott-
der practischen Vernunft erst veranlassende Umstiinde her- fried Bardili hat als Repetent am 13. September 1789 ein
vorgebracht ist, [... ] Mi.ihe und Gewinn kaum in einem Stammbuchblatt ftir Niethammer als ,schiizbarster Freund"
gleichmiiEigen Verhiiltnisse stehen werden." - Bardili geschrieben (NhSB 1. Ordnung Bl. 108~. Mehrere andere
(1761-1808) a us Maulbronn studierte nach AbschluE seiner Mitglieder der Familie Bardili schrieben gleichfalls Blatter
theologischen Ausbildung im herzoglichen Stift zu 'Ilibin- fi.ir Niethammers Stammbuch (Bl. 61 r, 7 5r, 107r, 109r, 109v,
g~n ( er war 1780 Fi.infter der Magisterpromotion, vgl. Ma- 110r). Im NachlaE Niethammers in der UB Erlangen
gzsterprogramm Tiibingen ( cf. A 1/ 2) von 1780; MTii (Ms. 2054) sind zwei Briefe Bardilis vom 4. Oktober 1807
Nr. 37737 S. 287) von 1786 his 1789 in Gottingen (MGo und vom 3. Juni 1808 erhalten.
Nr.14161 S.294). Nach einer gelehrten Reise durch 7 Christoph Gottfried Bardili, Epochen der vorziiglichsten phi-
Deutschland kehrte er 1789 als Repetent in das Stift zuri.ick losophischen Begrijfe, nebst den niithigstenBeylagen, Bd. 1 Halle
und wurde ab dem Wintersemester 1790/ 91 Abels Nach- 1788.
folger als Philosophieprofessor an der Hohen Karlsschule 8 Karl Leonhard Reinhold, ,Briefe i.iber die Kantische Phi-
in Stuttgart. - Als ehemaliger Stiftler und Repetent war losophie", in: Der Teutsche Merkur, August 1786 his Sep-
B~rdili mit vielen Stiftlern gut bekannt oder befreundet, tember 1787 (acht Briefe).- Niethammer hatte die in Frage
mit R~pp und mit Hegel auch auf eine philosophisch fol- stehende ,Rezension von Bardilis Kennzeichen der Wahr-
genreiche Weise. (Sie bedarf noch der Aufkliirung, wozu heit" ( cf. A 9/ 3) mit der Bemerkung geschlossen: ,Ein un-

470 471
Kommentar zu den Briefen A 9 An Niethammer, 13. Mai 1791

bestirnm~er Ausdruck in der Note S. 19. sagt etwas, was Seiten i.iber konkrete und abstrakte Vorstellungen und i.iber
vermuthlich der Verf. nicht sagen wollte: ,Hr. Reinhold rnacht die Bildung der Idee von Leben, Seele, Geist in einer ~ri.ih~n
in se~~n Briefen_iiber die Kantische Philosophie nun (wahr- Entwicklungsstufe des Denkens. Diesem Brief entspncht rn
schemlich soli d1es nur andeuten: in der nun vorhandenen der Merkurfassung der siebte Brief (Teutscher Merkur, August
Sammlung dieser Briefe - die aber, und besonders der 1787, ~riefe iiber die Kantische Philo sophie. Siebenter Brief.
angefiihrte, schon viel friiher im deutschen Merkur einzeln Skizze einer Geschichte des phychologischen [sic!] Ver-
gedruckt waren -) S. 270. ff. ebendieselbe Deduction von nunftbegriffes der einfachen de~kenden Substanz", S. 142-
?ieser Idee."' (S. 334) Der Eingangssatz ist ebenso wie die 165), wenngleich mit kleinen Anderungen und unter an-
rn_ Klarnmern stehende Bemerkung ein Kommentar von derem Titel. Die fraglichen Seiten 270 ff. der Ausgabe v~n
N1etharnmer zu Bardilis hier zitierter FuEnote, die irn Ori- 1790 find en sich im Teutschen Merkur auf Seite 149 ff. Em
ginal vollstandig wie folgt lautet: ,Auch da wo der Mensch Prioritatsanspruch von Bardilis Seite aus gegeniiber ~ein­
seine Gottheit in korperlichen Gegenstanden verehrte, nahm hold, wie er sich aus dem Adverb ,nun" herauslesen heEe,
er in denselben etwas aussersinnliches, unsichtbares und ist der Sache nach also ungerechtfertigt. Bardili konnte
geistiges, einen Verstand und Willen an. Wie er i.iberhaupt auch von Reinholds friiherer Veroffentlichung gerade zu
auf den Begriff von einem Geist geleitet wurde; ist in den diesem Thema wissen, da Hufeland ihn in einem Brief vom
E~ochen der vorziiglichsten philosophischen Begriffe ge- 23. Dezember 1787 auf Reinholds konkurrierendes Unter-
zeigt, und Herr Reinhold macht in seinen Briefen i.iber nehmen aufmerksam gemacht hatte ( vgl. die bei Pfaff, Bardili
die Kantische Philo sophie (Seit. 270 ill.) nun eben dieselbe (cf. A 9/ 3), S. 12 Anm. **, zitierte Passage). Einen sol_chen
Deduktion von dieser Idee." - Der erste Band von Bardilis Prioritatsanspruch Bardilis scheint Nie_thammer mo~Ier_en
Epochen war 1788 im Druck erschienen (vgl. A 9/7). Rein- zu wollen wenn er in seiner Rezenswn das ,nun em-
~olds Briife iiber die Kantische Philosophie erschienen auEer schrankend kommentiert. Minder wahrscheinlich ist, da.E sich Niet-
m der 1786 - 1787 im Teutschen Merkur veroffentlichten Fas- hammer mit dem ,nun" auf die mit der Merkurfassung textidentische
sung, von der 1789 auch ein textidentischer, von Reinhold Raubdruckfassung bezog, was denn hieBe, daB er die Seiten 270 ff. nicht
nicht autorisierter Abdruck in Mannheim herausgegeben nachgeschlagenhatte- allerdings stellt er in seinem Zitat die Seitenangaben
wurde (vgl. dazu Reinholds Ankiindigung einer autorisier- dem "nun" nach. Diez' Vermutung dagegen, Bardilis Epochen
ten Neufassung IB der ALZ Nr.142 vom 12. Dezember konnten vor der Merkurfassung von Reinholds Schrift er-
1789, Sp. 1183 f.; zu einer weiteren Raubdruckfassung siehe schienen sein, erweist sich angesichts der wirklichen Er-
Alexander von Schonborn, Karl Leonhard Reinhold. Eine scheinungsdaten als widerlegt. Was Bardili anlangt, so hatte er
annotierteBibliographie, Stuttgart, Bad-Cannstatt 1991, S. 70 schon am 2. Mai 1787 eine Abhandlung unter dem Titel "Via qua homo
und 76), in einer von Reinhold erweiterten und i.iberar- pervenit ad notionem spiritus" an die Mainzer Akademie der Wissenschaften
beiteten Auflage, deren erster Band in Leipzig 1790 her- in Erfurt ubersandt, nach deren Vortrag er als ordentliches Mitglied
auskam. - Bardili, Niethammer und Diez scheinen jeweils aufgenommen wurde (vgl. Acta academiae electora/is moguntinae scientiarum
eine andere Textlage vor Augen zu haben. Bardilis Verweis utilium quae Eifurti est, Erfurt 1787, Praefatio ( unpaginiert; S. 6); Pfaff,
auf S. 270 ff. von Reinholds Schrift kann sich nur auf die Bardil~ S. 12). Bardilis Abhandlung wurde jedoch in den Acta academiae
erweiterte Ausgabe von 1790 beziehen. Dort, im zehnten electoralis moguntinae im Unterschied ZLl anderen Vortriigen nicht abge-
Brief mit dem Titel "Grundlinien zur Geschichte der Idee druckt, so da.E weder Niethammer noch Diez davon Kenntnis hahen
emes Geistes", reflektiert Reinhold auf den angegebenen konmen. Aus AnlaE dieser Prioritatsfragen liegt es nahe, daran

472 473
Korrunentar zu den Briefen A 9 An Niethammer, 13. Mai 1791

zu erinnn~~n, daE s~~h Reinhold urn 1800 der philosophi- eroffnen, urn sie vergessen zu lassen, daE sie indes als
schen P?s1t10n Bardilis anschloE, die in dessen Hauptwerk: ---- arbeiten." (S. 1; Sammlung Varnhagen, Mappe ,Erhard
Grundrifi der ersten Logilc, gereinigt von den lrrthiimern bis- und Niethammer".)
heriger Logilcen iiberhaupt, der Kantischen insbesonders· lceine 10 Vgl. A 8 S. 61 Z. 22. . . .
K:itilc, sondern eine medicina mentis, brauchbar haupts~chlich 11 ,Jeder redlich geftihrte Streit unter Ph1losophen_ setzt em
for Deutschlands lcritische Philosophie, Stuttgart 1800, darge- Miflverstiindn'!fi, entweder von der Seite des An~reife~s, oder
legt ist. des Vertheidigers, oder von beyden voraus. (Rembold,
9 Aller Vermutung nach ist Niethammer mit der Aussicht Beytriige I ( cf. A 3/ 21 ), S. 341.)
nach Gotha gereist, dort Redakteur zumindest der Gothai- 12 Vgl. A 10 S. 69 Z. 5 und S. 73 Z. 5-7 und A 10/ 17.
schen gelehrten Zeitungen zu werden, wozu er auch die Er- 13 Vgl. Joh 1,1-5.
laubnis des Wtirttembergischen Konsistoriums eingeholt 14 Diez bezieht sich hier auf die lateinische Hexameter-In-
hatte (vgl. A 6/ 36). Indizien sprechen daftir, daE Nietham- schrift, die his zum Umbau des Stifts 1793 iiber dem Tor
mer diese Stelle sich ftir den Fall in der Hinterhand behalten stand: Claustrum hoc cum patria statque caditque sua" -
~ollte, daE sich die weiterreichenden Plane zur Begri.indung ,Dieses" Kloster steht und fallt mit seinem Vaterland" (vgl.
emer neuen Bibliothek der deutschen Literatur (vgl. A10 Fritz; Schneiderhan, Baugeschichte ( cf. A 6/ 52), ~- 2~, 43).
S. 70 Z. 7 ff. und A 10/ 9) nicht verwirklichen lieEen. Nach Allerdings akzentuiert er den Sinn dieser Inschr1ft, mdem
d_em Scheitern der Journalpliine scheint Ettinger entgegen er von dem Kloster spricht, .,mit dem das Vaterland steht
em em ursprunglich gegebenen Versprechen allerdings nicht und fillt". .
gesonnen gewesen zu sein, Niethammer die Redakteursstelle 15 SiiEkind wollte Anfang Mai, jedenfalls aber v?r der Mitte
de~ Gothaischen gelehrten Zeitungen anzuvertrauen. (Vgl. den des Monats (Brief an seine Mutter vom 2. _April 1791, S. 1~
Bnef Johann Karl Friedrich Hauffs an Niethammer vom in Privatbesitz), in Jena sein. In einem Bnef vom 23. Mm
22. November 1791 (S. 1 f.; DLA Marbach, 58. 423), mit dem 1791 teilte Schnorrer Niethammer mit (S. 1; cf. A 6/ 36),
Hauff auf einen nicht erhaltenen Brief Niethammers Bezug daE er einen Brief SiiEkinds vom 9. Mai aus Leipzig erhalten
nimmt, worin dieser ihm ,eine so ausftihrliche Erziilung" habe, und iiuEerte die Vermutung, SiiEkind sei nun noch
(ebd. S. 1) geliefert hatte. Vgl. ebenso Lupin, Niethammer in Jena. Jedenfalls scheint Si.iEkind Niethammer wegen des-
(cf. A2/ 1), S. 18f.) DaE es zur eigentlichen Ubernahme sen Umzug nach Gotha nicht mehr angetroffen zu haben.
der Redaktion tatsiichlich nicht gekommen ist, geht auch Vgl. auch C 10 S. 246 Z. 31. . . hi "
aus einem ri.ickblickenden Bericht Niethammers an Johann 16 Gemeint ist die .,Rezension von Schm1ds Moralphilo~op e
Benjamin Erhard vom 5. Oktober 1792 hervor: ,Meine Plane ( cf. A 6/ 55). Der Rezensent dieser Auflage wurde rucht e~­
in Gotha sind - freilich nicht durch meine Schuld - so mittelt. Es ist jedoch nicht Johann Benjamin Erhard, der die
g~nz ohne Rettung gescheitert [... ] . Ettinger brauchte weder heiden folgenden Auflagen rezensiert hatte (vgl. ALZ Nr. 134
eme Redakteur zu s[eine]r Zeitung noch einen Entre- vom 13.Mai 1795, Sp.305-310 (2.Aufl. 1792; zur ~~t~r­
prenneur von etwas besserem, sondern - eine Kindermagd, schaft vgl. Sp. 305 und Varnhagen von Ense, Denlcwurdzg-
die seine Jungen, denen man noch nicht einmal eigentlich keiten ( cf. A 3/ 97), S. 35, 48) und ALZ Nr. 315 vom 7. Oktober
Unterricht geben kann, hi.iten soll, und er hat also aile 1796, Sp. 57-63 (3. Aufl. 1795; zur Autorschaft v~l. den
jene Finten nur nach der Maxime groEer Herrn gebraucht, BriefErhards an Niethammer, Niirnberg, den 16. Juru 1796,
die ihre Lasteseln die Aussicht auf einen Hofraths Titel abgedruckt in: Varnhagen von Ense, Denlcwiirdiglceiten,

474 475
Kommentar zu den Briefen A 9 An Niethammer, 13. Mai 1791

S: 423 f, S. 423: Jch habe nun schon ein paar Wochen gar halt der Rezensent entgegen, daE die ,Freyheit im kosmo-
mchts gethan, als MeBbiicher durchgesehen, und liber die logischen Verstande" einen vollstandigen ~rund zu Han?-
Recension von Schmids Moral ( dritte Ausgabe) gebrutet.")). lungen enthalte, wobei die Wirkungen zu ihrem Grund m
17 In Sp. 63 der ~eze~~i?n von Schmids Moralphilosophie" keinem Notwendigkeitsverhaltnis sti.inden (Sp. 61).
( cf. A 6/ 55) wrrd knt1s1ert, daB Schmid ,allen EinfluE des 19 August Wilhelm Rehberg (1737-1836), Regieru~gsbeamter
Glaubens an Unsterblichlceit und demnach auch an Gott, auf und politischer Theoretiker in Hannover. Zu s~mem. t~eo­
die Verpflichtung gegen den Selbstmord" ausschlieEt. Der retischen Wirken vgl. Ursula Vogel, Konseruatwe Krztzk an
Rezensent bezieht sich damit auf eine FuBnote zu § 477, der burgerlichen Revolution. August Wilhelm Rehberg, Darm-
S. 36~, von Schmids Moralphilosophie (cf. A2/ I2), in der stadt, Neuwied 1972, und Eberhard Gunter Schulz, Rehbergs
es he1Bt, daB auf die Hoffnung auf Unsterblichkeit ,keine Opposition gegen Kants Ethik. Eine Untersuchu.ng ihrer Grund-
IJ!icht gebaut werden [dar£], weil diese nur auf das Gewisse, fagen, ihrer Beriicksichtigung durch Kant und zhrer Wirkungen
auf E~nsicht gegriindet seyn darf. Bey einer andern Art, aufReinhold, SchillerundFichte, Koln, Wien 1975.- Rehberg
~oralisch zu philosophiren, kann man nur Klugheitsregeln hatte Kants KdpV mit Argumenten, die Eindruck machten,
mcht aber ein Sittengesetz dem Selbstmorde entgegenstel- rezensiert (ALZ Nr. 188 a und 188 b vom 6. August 1788,
len." Sp. 345-360), und war dann als besonnener und.. kompe-
18 Der Autor der ,Rezension von Schmids Moralphilosophie" tenter Rezensent von Reinholds TVV und Beytrage I ( cf.
( cf. A 6/ 55) wendet sich in seiner Kritik des ,intelligiblen A 7/ 8) in der ALZ hervorgetreten. Insbesondere die letzt-
Naturfatalismus" (Schmid, Moralphilosophie ( cf. A2/ 12), genannte Rezension hatte Diez' Beifall gefunden (vgl. A 7
§ ~57 S. 211) hauptsachlich gegen Schmids Begriff der Frei- S. 51 Z. 3 ff.). Es ist anzunehmen, daE Diez inzwischen von
heit (Sp. 58- 61). Er erklart das Vermogen der Freiheit, das Rehbergs Autorschaft wuBte (vgl. seine darauf bezogene
Sc.hmid, so es ,uneingeschriinktes Vermogen der Vernunft" Frage an Niethammer A 7 S. 56 Z. 36£. (A 7/ 4.0)) und ~aB
se1, ,auf aile wahrnehmbare Handlungen eines endlichen er ihn deswegen nicht als Autor der Schm1d-Rezenswn
verniinftigen Wesens einen bestimmenden EinfluB zu haben (cf. A 9/ 16) in Betracht ziehen mochte.
und sie dadurch moralisch zu machen", wegen ihrer Un- 20 Vgl. A 7/ 26.
vertraglichkeit mit der Naturnotwendigkeit als allen Gesetzen
des verniinftigen Denkens widersprechend ansieht (Schmid,
Moralphilosophie, § 255 f. S. 209 f.), sehr wohl fur denkbar
(Rezension Sp. 60). Wahrend Schmid eine solche Freiheit
als ,transcendente Freyheit" allein der Gottheit zuschreibt
(Schmid, Moralphilosophie, § 256 S. 210, § 258 S. 214 f.), be-
greift sie der Rezensent als eine den Menschen eigene
,moralische Freyheit", wenn es auch, wie die Erfahrung
zeige, ,Zustiinde" in der Natur des Menschen gebe, in wel-
chen dies Vermogen ,in seiner Wirksamkeit unterbrochen
u~d eingeschriinkt" sei (Rezension Sp. 60). Dem moglichen
Emwand Schmids, eine solche Position fi.ihre dazu, daB
,der menschliche Wille dem Zufalle" preisgegeben werde,

476 477
Kommentar zu den Briefen A 10 An Niethammer, 28. Juni 1791

2 Vgl. A 10 S. 73 Z. 5-7 mit A 10/17 und A9 S. 67 Z. ~7f.


A10 3 In der Woche vom 26. Juni his 2. Juli 1791, sonnt am
Immanuel Carl Diez, 'llihingen Montag, den 27. Juni, hatte Diez den Locus ,De peccato"
Dienstag, den 28. Juni 1 791 (Sartorius, Compendium ( cf. A 3/17), Locus IX, §§ 163-194,
An Friedrich Immanuel Niethammer, Gotha 8.160-185), daraus wahrscheinlich das Kapitel "De lapsu
primorum hominum" (ebd. §§166-173, S. 161-166) zu hal-
ten (AEvSt, Amtsgrundbuch (cf. A2/3)).
Manuskriptbeschreihung 4 Rezension in den GoZ Nr. 46 vom 11. Juni und Nr. 47 vom
15. Juni 1791, S. 451-455 und S. 458-463 von: Franz Karl
Standort: Privatbesitz.
Alter (1749-1804), Homeri !lias) ad Codicem Vindobonensem
Anzahl der..Lagen und Blatter: Einzelhlatt; Format in em (Hohe x Breite): 23
X 18,~; Rander besc.hnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Papierfarbe:
Graece expressa und Homeri !lias) ad Homeri editionem Vin-
chamms. dobonensem Latine expressa, 2 Bde. Wien 1789-1790.
Tinte: braun;. Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 von 2; Faltung: quer von 5 Christoph Friedrich Wild (1725-1801), 1761-1782 Profes-
vorne nach hinten, dann liings.
sor an der Klosterschule in Bebenhausen (GMB). In DBA
war kein Eintrag zu ihm aufzufinden.
6 Johann Gottfried Lakemacher (1695-1736), Professor der
Kommentar griechischen, spater auch der orientalischen Sprachen in
Helmstedt. Sein Hauptwerk waren die Obseruationes phzfo-
1 Franz Christian Neuffer (1755-1835), seit dem 30. Juli logicae) quibus varia antiquitatis hebraicae atque graecae capzta)
1786 verheiratet mit Diez' Schwester Charlotta Augusta etnonnullas. codicis loca nova luce collustrantur, 10 Bde. Helm-
(1765-1796), war seit 1786 Diakon in Weinsberg und in stedt 1725-1733.
?en Jahren 1799 his 1812 Spezial dort, darauf his 1830 7 Eberhard Feith, Philologe, lebte in der zweiten Hiilfte des
m Schwabisch Hall. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor, von 16. Jahrhunderts. Seine Antiquitates Homericae wurden 1677
denen schon drei im friihen Kindesalter verstarben: 1) Carl Christian von H. Bruman in Leiden herausgegeben.
(geb. 1788, gest. vor 1796); 2) August (1789 -1790); 3) Charlotta Franziska 8 Vgl. A 9 S. 66 Z. 18-26.
(1790-1796). Allein Franz Christian (1792-1871), der Advokat, Ober- 9 In dieser Sache hatte Niethammer auch seinen Promotions-
justizassessor in Ellwangen, 1824 in Kiinzelsau und von 1826 bis 1850 genossen Johann Karl Friedrich Hauff, von 1790 his 1794
Oberamtsrichter in Crailsheim war, erreichte das Erwachsenenalter. 1796, Hauslehrer in Wetzlar (vgl. D 5/53), und Schnurrer urn
nach dem Tod von Diez' Schwester, heiratete Neuffer in zweiter Ehe Rat gebeten. Hauff riet in einem Brief vom 15. M~i 1791
Wilhelmine Sophie Fetzer (1758-1843). (Vgl. GMB; Richard Sta- (S. 3; DLA Marbach, 58. 420) zunachst ab und beze1chnete
witz, Die Neujfer aus Miinsingen 1400-1900. Genealogische die geplante Bibliothek als i.iberfliissig. Nachdem Nietham-
Studie iiber die Verbreitung des schwiibischen FamiliennamenJ mer seinen Plan offenbar prazisiert hatte, machte Hauff
Neuffer als Beitrag zur Familienforschung, Bad K.rozingen am 25. Juni auf die Gefahr aufmerksam, da~ ein aile aka-
1984, S. 57 Nr. 412, S. 64 Nr. 500, S. 65 Nr. 503, 506, 509; demischen Facher umfassendes Rezensionswerk nur die
Entwurf zu einer genaueren Verwandtschaftsi.ibersicht (Ms.; Halbgelehrsamkeit und "Vielwisserei" ford em konne (S. 2_ f.;
Archiv des Jena-Projekts).) Zum Zeitpunkt der Niederschrift DLA Marbach, 58. 421). Auch Schnurrer riet in einem Bnef
des Briefes war keine andere Schwester Diez' verheiratet. vom 19. Juni, wenigstens die einzelnen Hefte nach Fachern

478 479
Kommentar zu den Briefen A 10 An Niethammer, 28. Juni 1791

g~ordnet erscheinen zu lassen (S. 6; in Privatbesitz). Wer Bibliothek ( cf. A 10/ 11 ), von der Diez hier als ,Berliner
N1ethammer den Beifall gab, von dem er Diez berichtet Bibliothek" spricht, mit dem 100. Band einstellen. Und in
hahen muB (vgl. den folgenden Brieftext), war nicht zu einem Brief an Niethammer vom 19. Juni 1791 (S. 2; in
ermitteln. - Niethammer hat seinen Plan nicht verwirklicht. Privatbesitz) nahm Schnurrer auf dessen Hoffnung Bezug,
Er griindete spater zwar im AnschluB an Schmids und daB die Gothaischen gelehrten Zeitungen ihr Grab finden
Snells Philosophisches Journal (cf. A2/ 12) das Philosophische werden.
Journal einer Gesellschojt Teutscher Gelehrten, 10Bde. 1795- 14 Vgl.lat.: ex(s)ulo- verbannt sein, in der Verhannung Ieben.
1800, dem Fichte 1797 als Mitherausgeher beitrat. Dieses 15 Vgl. A 7/7 zu Niethammers Aussichten auf eine Repeten-
~at je~och mit dem vorausgehenden Plan nur noch gemein, tenstelle in Ttihingen.
Ubers1chten iiber die Literatur zu einzelnen philosophi· 16 Soviel wie ,mit groBem Engagement" (vgl. Grimm I, Sp. 346,
s~hen Fachern gehen zu wollen. (Vgl. auch E 5/ 1 und /2.) Art. ,Angelegenheit", und Sp. 401 f., Art. "anliegen": "ei-
10 Em Alphabet im drucktechnischen Sinn hestand aus 23 Bo- gentlich eine wichtige, anliegende, dann iiberhaupt uns
gen, die unten jeweils mit einem Buchstaben von A his Z angehende sache"; "sichs zur angelegenheit machen, sichs
gekennzeichnet waren - wobei die Buchstaben I und J angelegen sein lassen", also eine Sache wichtig nehmen).
sowie U und V zusammengenommen und das W ausgelassen 17 Die Nachricht stammt aus dem bereits erwahnten Brief
wurden ( vgl. Adelung, Grammatisch-kritisches Wl/rterbuch (cf. Hauffs vom 15. Mai 1791 (S. 4 f.; cf. A 10/9). Hauff schrieb:
A 3/ 84 ), Bd. 1 Sp. 224 f.). ~ie Ttibinger SpieBbiirger hahen sich entschlossen, hei
11 Frie?rich Nicolai (1733 -1811 ), streitbarer Protagonist der der nachsten Kirchen=Visitation eine nachdriickliche Klage
Berliner Aufklarung und Freund Lessings und Mendels- iiber die Predigten der meisten von den gegenwartigen
sohns, hatte 1765 die Allgemeine deutsche Bibliothek gegri.in- Rep[etenten] einzugeben. Am anstoBigsten sind ihnen
d~~ von der his 1806 250 Bande erschienen. (Vgl. Horst Kapf[f] ein purus putus Mathematicus & Diez, ein eifriger
Moller, Azifkliirung in Preufien. Der Verleger; Publizirt und Kantianer. Die Sache wird alsdann im Synodus [vgl. A 3/ 68]
Geschichtsschreiber Friedrich M'colai, Berlin 1974 (= Einzel- zur Sprache kommen; & diirfte vielleicht eine Vorbereitung
veroffentlichungen der H:istorischen Kommission zu Berlin zu einer Crisis abgeben, besonders da nun Reinhold voll-
Bd. 15).) ends offentlich & frei heraus gesagt hat, (im Deuts[chen]
12 Gemeint sind die heiden Herausgeber - Friedrich Johann Merk[ ur] d[ieses] J[ ahres] I. St.) daB die Resultate der
Justin Bertuch (1747-1822) und Christian Gottfried Schlitz, Kantischen Philosophie mit den symbol[ischen] Biichern
der auch erster Redakteur war- sowie der zweite Redakteur der 3 im Romischen Reiche privilegierten Religionen nicht
Gottlieb Hufeland der AllgemeinenLiteratur-Zeitungin Jena bestehen konnen." Der Gebrauch der Bezeichnung ,purus putus
( vgl. Karl August Bottiger, Literarische Zustiinde und Zeit- Mathematicus", svw. ein Mathematiker ganz und gar, deutet auf eine im
genossen, herausgegeben von K. W Boitiger, 2 Bde. Leipzig allgemeinen Gebrauch befindliche Wendunghin, die beispielsweiseahnlich
1838 (Neudruck: Frankfurt a.M. 1972), Bd. 1 S. 275; Walter in einem 1781 veroffentlichten Brief Johann Heinrich Lamberts an Kant
SchonfuB, Das erste Jahrzehnt der Allgemeinen Literatur-Zei- vom 13. Oktober 1770 auftritt: ,Die eigentlichen Mitglieder [einer von
tung, phil. Diss. Dresden 1914, S. 16 - 23, S. 65-68). Lambert intendierten privaten gelehrten Gesellschaft] wiiren eine kleine
13 Diez scheint hier Niethammer zu zitieren. Denn Lupin, Anzahl ausgesuchter Philosopben gewesen, die aber in der Physik und
M'ethammer ( cf. A 2/1) zufolge (S. 19 f.) war Niethammer Mathematik zugleich batten mi.issen bewandert seyn, weil meines Erachtens
der Auffassung, Nicolai wolle seine Allgemeine deutsche ein purus putus Metaphysicus so be chaffen ist, als wenn es ihm an

480 481
Kommentar zu den Briefen A 10 An Niethammer, 28. Juni 1791

einern Sinn, wie dern Blinden am Sehen, fehlt." (Johann Heinrich nur sehr wenig publiziert, so ein Repertorium for die Amts-
Lambert, Deutscher gelehrter Br·iifwechse~ hrsg. von Joharu1 BernouUi, praxis der evanglisch lutherischen Geistlic~keit ~:rz Kiini~eich
Bd. ~ Berlin. 17~ 1, S. 35~- 368, S. 356 f.; vgl. AA XI S. 103-111, s. 104.) Wii.rttemberg, Heilbronn 1814-1815 (we1tere uberarbettete
- D1ez skizz1erte seme eigene Weise zu predigen im vor- Fassungen 1831 und 1839), Das Deutsche Schulwesen im
a~ge,g~gene~ Brief (A 9 S. 67 Z.16ff.). Niethammer hat Kiinigreich Wiirttemberg, Heilbronn 1814 (1819). - Kapff
D1ez S1chtwe1se offenbar seiner Antwort an Hauff zugrun- gehort auch zu den Empfangern von Diez' Briefen aus
degelegt, denn dieser ging im nachsten Brief an Niethammer Jena (Gruppe D) (vgl. D 4 S. 299 Z. 1-4 und S. 306 Z. 23f.).
vom 25. Jun~ 1791 (cf. .A 10/ 9), noch einmal wie folgt auf 19 Wahrscheinlich sind nicht die Kataloge zur Leipziger Buch-
~en ~unkt em: , Was D1ezen anbelangt, so wirst Du, wenn messe (vgl. A 4/ 6) gemeint, sondern die Bucher, die zur
1ch D1r sage, daB er vom heiligen Eifer fur die Kantische letzten Messe erschienen waren.
Philosophie schon mehrmals zu so entehrenden AuBerun- 20 Georg Christian Heinrich Bunz (1765-1831), in Tiibingen
gen, als die ist: ,Kant sey der verheiBene Messias, der Welt- gemeinsam mit Klett und Niethammer am 29. Dezember
b~gliicker, - Jesus hingegen ein Betriiger' sich habe hin- 1784 immatrikuliert, Stiftler (vgl. MTii Nr. 38327 S. 323),
r~illen lassen, nicht in Abrede seyn konnen, daB man weder studierte dann Jura in Gottingen, wo er sich am 7. November
em orthodoxer Theologe noch ein Antikantianer zu sein 1789 fiir ein Jahr immatrikulierte (vgl. MGo Nr. 15470
hrauche, urn ein solches Benehme mit ernstlichem Millfallen, S. 320; vgl. auch SiiBkinds Brief an seine Mutter, Gottingen,
wo nicht mit Abscheu, anzusehen, & wirst also auch aner- den 9. September 1790 (S. 1; in Privatbesitz)), und in To-
k.e~nen, daB es zu voreilig sein wiirde, schon von Inqui- bingen - 1791 erschien dort seine Inauguraldissertation
sltlo~,sstiihlen gegen die K[antische] Ph[ilosophie] zu spre- De regimine territoriali ejusque habitu ad jura qu~e~ita sub~i­
chen. (S . 6)- Der von Hauffkolportierte Bericht vergri:ibert torum, die er unter dem Vorsitz von Johann Chr1suan MaJer
wahrscheinlich vor dem Hintergrund der bekannten Schrift verteidigt hatte. SiiBkind traf ihn in Gottingen (vgl. C 1
.pe tribus impostoribus ( cf. A 2/ 12) von Diez wirklich gemachte 8.169 Z. 3 und S. 172 Z. 6-8 sowie C 2 S. 183 Z. 33 -
AuEerungen, die sich aber an Schmids Moralphilosophie S. 184 Z. 2). Seit 1791 war Bunz Advokat und Stadtkonsulent
( cf. ebd.) anschlossen ( vgl. A 6/ 42). - Zur im September in Ludwigsburg, 1817 wurde er Oberjustizrat in E~sli~gen
erfolgten Visitation vgl. A 13/ 6. und 1819 Oberamtsrichter in Ludwigsburg (vgl. Pfe1lsucker
18 S~t Jakob Kapff (I 765-1858), ein Promotionsgenosse von § 1343; MTii Nr. 38237 S. 323).
D1ez und SiiBkind (in Thbingen immatrikuliert am 27. Ok- 21 Zu SiiBkinds Examen vgl. C 11 S. 249 Z. 4 - S. 250 Z. 27.
to.ber 1781, MTh Nr. 38041 S. 305), wurde zusammen mit
D.1ez zum Repetenten ernannt (vgl. C 5/ 32). Zu seinen Pre-
digten vgl. A 10/ 17. Nach seiner Repetentenzeit und einer
gelehrten Reise, die er lange erwogen hatte und die ihn
auch nach Jena ft.ihrte (vgl. C 3 S. 186 z. 4 f., C 4 S. 201
Z. 19 f., D 4 S. 306 Z. 23 f. und E 1 S. 327 Z. 7 f. mit E 1/ 18),
wurde er 1794 zunachst zweiter, 1799 dann erster Diakon
in Goppingen. Von 1808 his 1817 war er Diakon in Pful-
lingen, seit 1817 Dekan in Schorndorf und 1823-1841
General-Superintendent in Ludwigsburg (GMB). Kapff hat

48.2 483
Kommentar zu den Briefen A 11 An Niethammer, 12. Juli 1791

(= ,Revision") ,mit lobwi.irdigen Fleille besorgt" (Ersch,


All Allgemeines Repertorium Bd. 3 1794, Vorrede, S. Ill-XII,
Immanuel Carl Diez, Tiihingen S.VI).
Dienstag, den 12. Juli 1791 3 Johann Friedrich Bause (1738-1814), Portriitstecher, Pro-
An Friedrich Immanuel Niethammer, Gotha fessor an der Kunstakademie in Leipzig. Im 38. Sti.ick der
GoZ vom 14. Mai 1791 , S. 392, war mitgeteilt worden: ,Hr.
Bause hat seine Kupferblatter von Gelehrten mit den beyden
Manuskriptheschreihung Bildnissen der Herren Kant und Plattner vermehrt, und
beyde Abdri.icke sind ftir 1 Rthlr. 16 gl. bey ihm in Leipzig
Standort: Privatbesitz.
zu finden."
Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in crn (Hohe x Breite):
18,7-18,8 X 11,5-11,6; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 8°; Wasserzeichen; 4 Auch Schnorrer hat sich in seinem Brief an Niethammer
Pap1erfarbe: chamois. vom 19.]uni 1791 (cf. A10/ 9), S.S, hinsichtlich der na-
T~te: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 4 von 4; Faltung: quer von mentlichen Nennung der Rezensenten geaugert und sich
hmten nach vorne.
fur die Aufhebung der Anonymitiit ausgesprochen.
5 Gemeint ist: wenn Rezensenten ihre sachliche Urteilsfahig-
keit einem Lobpreise unter Freunden zuliebe preisgeben.
Kommentar 6 Diez rat Niethammer offensichtlich, nicht nur den Plan zur
Gri.indung einer ,Neuen Bibliothek" als Rezensionsorgan
1 Jacob Friedrich Heerbrandt (1742-1812) war Buchhiindler zu verfolgen, sondern gleichzeitig eine Zeitung als Organ
i~. ~tibingen (vgl. Hans Widmann, Tiibingen als Verlagsstad~ fur sogenannte literarische Nachrichten, d. h. i.iber Neuer-
Tiibmgen 1971 (= Contubernium. Beitrage zur Geschichte scheinungen und ahnliches, weiterzuftihren (A 10 S. 71
der Eberhard-Karls-Universitiit Tiibingen, hrsg. von Hans- Z.2ff.). Nach Lupin, Niethammer (cf. A2/ 1), S.19f., sollte
martin Decker-Hauff u. a., Bd. 1), S. 117-119). Niethammers ,Neue Bibliothek der deutschen Literatur"
2 In mehreren Anki.indigungen im lntelligenzblatt der Allge- sowohl Nicolais Allgemeiner Deutscher Bibliothek als auch
meinen Literatur-Zeitung war das Erscheinen eines Allge- den Gothaischengelehrten Zeitungen,das Grab[ ... ) bereiten".
meinen Repertoriums der Literatur .for die Jahre 1785-1790 7 Der Ausdruck ,Versuche" liigt zuniichst an Reinholds Schrift
zur Ostermesse 1792 angezeigt worden. Interessenten wor- Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsver-
den aufgefordert, i.iber die zur Ostermesse 1791 reisenden miigens von 1789 (cf. A2/ 17) denken. Da Diez von ,Ver-
Buchhiindler oder direkt bei der Allgemeinen Literatur-Zei- suchen" im Plural spricht, Reinhold aber keine weiteren
tung zu subskribieren. Durch Vorauszahlung zumindest des Schriften publiziert hatte, die von ihm im Titel als ,Versuch"
halben Subskriptionspreises konnte das Repertorium prii- gekennzeichnet werden, wird man indes annehmen mi.issen,
numeriert werden. (Vgl. IB der ALZ Nr. 4 vom 15. Januar dag Diez keine einzelne Schrift im Auge hat, sondern sich
1791, Sp. 25; Nr. 46 vom 6. April, Sp. 393 f.; Nr. 49 voro vielmehr auf Reinholds gesamtes theoretisches Unterneh-
13. April, Sp. 417 f.; Nr. 78 vom 22. Juni 1791, Sp. 643- 645.) men bezieht, das i.iber eine Reihe von Versuchen noch
- Das Allgemeine Repertorium erschien in drei Banden in nicht hinausgekommen war. Bereits in seinem Brief vom
Jena 1793/ 94 (Neudruck Bern 1969), ausgefi.ihrt von Jo- 9. Miirz 1791 hatte Diez von,Versuchen" Reinholds in einem
hann Samuel Ersch. Niethammer hatte die dritte Korrektur solchen Sinne gesprochen. Dart hatte er im Zusammenhang

484 485
Kommentar zu den Briefen A 12 An Niethammer, 7. August 1791

von ,R.ehbergs Rezension der Beytrage I" ( cf. A 7/ 8) Rein-


hold fur achtungswiirdig erk.Iart, aber dennoch seine Ver- A12
suche" fur fehlgeschlagen angesehen. " Immanuel Carl Diez, Tiihingen
8 Vgl. A6 S.44 Z.15-35 und A8 S.62 Z.35- S.63 Z.28. Sonntag, den 7. August 1 791
9 Johann Benjamin Erhard, vgl. A 8 S. 63 Z. 17. An Friedrich Immanuel Niethammer, Gotha
10 Zu Erhards Ansehen vgl. Cadi XIII. 2.
11 Vgl. A 8 S. 63 Z. 20-22 und A 8/ 22.
12 Zur Vakanz vgl. A 8/ 10. In der Zeit vom 21. August his Manuskriptheschreihung
z~m Be?inn der Herbstvakanz am 22. September 1791 hat
D1ez kemen Repetentendienst versehen (vgl. AEvSt, Aints- Standort: Privatbesitz.
grundbuch (cf. A2/ 3)). Anzahl der Lagen und Bliitter: Doppelblatt; Format in ern (Hohe X Breite):
13 Di~z hat ~eine in A 7 S. 58 Z. 29ff. dargestellte Argumen- 18,8 X 11,5; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 8°; Wasserzeichen; Papierfarbe:
chamois.
tatwnsweise demnach inzwischen verallgemeinert. Seit der Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 4 von 4; Faltung: quer von
Ostervakanz hatte er folgende Loci zu halten gehabt: ,De vorne nach hinten.
Deo" (Sartorius, Compendium ( cf. A 3/ 17), Locus III ,De
Deo ut Uno", §§ 69-92, S. 73-100 und Locus IV ,De Deo
ut 'Irino, sive de adoranda in Deo trinitate", §§ 93-104, Kommentar
S. 100-113) in der Woche vom 22. his 28. Mai, ,De peccato"
(vgl. A 10/ 3) stellvertretend ftir Johann Jacob Bauer in Den Gothaischen gelehrten Zeitungen war in Wochenabstan-
der Wo:he vom 26. Juni his 2. Juli und ,,De persona Christi" den eine Zeitung fur auslandische Literatur beigefugt. Lu-
(Sartonus, Compendium, Locus XI ,De Jesu Christo redem- pin, Niethammer( cf. A 2/ 1), S. 20, berichtet, daE Niethammer
tore 'frcav'frgwmp", §§ 219-240, S. 201-217, darin der Ab- wiihrend seiner Tatigkeit als Rezensent fur die Gothaischen
schnitt ,De persona Christi", §§ 225-240, S. 206-217; vgl. gelehrten Zeitungen mehrere franzosische Rezensionen, dar-
dazu A 12/ 21) in der Woche vom 10. his 16. Juli, in welcher unter eine iiber Franc;ois Henri Stanislas de L'Aulnaye, Hi-
der vorliegende Brief geschrieben wurde; vgl. AEvSt, Amts- stoire generate et particuliere des religions et du culte de tous
grundbuch (cf. A2/ 3). les peuples du monde, tant anciens que modernes, Paris 1791,
geschrieben habe. Diese Rezension fmdet sich in: GoZ,
Ausliindische Literatur 25. Stiick vom 18. Juni 1791, S. 203-
205.
2 Johann David Biichling (1762-1812), Verfasser und Her-
ausgeber zahlreicher Schriften, unter anderem von Palii-
phatus von unglaublichen Begebenheiten; aus dem Griechischen
iibersetzt und mit m!Jthologischen Anmerkungen begleitet, Halle
1791. Die Rezension erschien im 52. Stiick der GoZ vom
2. Juli 1791, S. 508-511. Lupin, Niethammer (cf. A2/ 1),
S. 20, nennt Niethammer als Rezensenten.
3 Moritz August von Thiimmel (1738-1817) war der Autor

486 487
Kommentar zu den Briefen A 12 An Niethammer, 7. August 1791

der Reise in die mittiiglichen Provinzen von Franlcreich im - Bardili schreibt in seinem Brief ,Uber die Karlsakademie"
!ahr !7~5 his 1~86, der~n erste zwei Bande 1791 anonym (cf. A 5/ 16), S. 269-271, mit Beziehung auf Werkmeister,
m Leipzig erschienen. Die Rezension erschien im 52. Stuck da~ der ,Geist der Humanitat" der ausgesuchten Manner,
der GoZ vom 2. Juli 1791, S. 505-507. Lupin, Niethammer ,welche den Unterricht in der katholischen Religion bei
( c£ A 2/ 1), S. 20, nennt Niethammer als Rezensenten. - katholischen Zoglingen der Akademie und den offentlichen
Von 1794 bis 1805 erschienen weitere acht Bande des Vortrag derselben in der Kapelle des Herzogs besorgten",
Werkes.
der wichtigste Grund fiir das Licht gewesen sei, das in
4 Zu .Begi-?n der ,Rezension von Thiimmels Reise" ( cf. A 12/3) Deutschland von der Karlsakademie ausgegangen sei.
Weist Niethammer auf den ungeteilten Beifall hin, den die 7 Das Namenskiirzel unter der Rezension lautete ,W -r" (vgl.
Schrift in Deutschland erhalten habe: Der Beifall sei gerecht A 12/ 5).
und ehrenvoll fur das deutsche Publikum. Das Werk sei 8 Der Schlu~ von Niethammers ,Rezension von Thiimmels
,im Ganzen und im Einzeln vollendet" (S. 505). Reise" (cf A 12/ 3), S. 507, lautet: ,Ratte die Natur dem
5 Im zweiten Teil seiner ,Rezension von Thiimmels Reise"
gli.icklichen Himmel des siidlichen Frankreichs auch Heil-
( c£ A 12/ 3), S. 506 f., bespricht Niethammer ein abweichen- krafte fur gewisse edlere Theile verliehen, so mii~te man
des ,Urteil iiber die Schrift im 64. St. der in Salzburg er- einen solchen Recens. bitten, ehestens dahin zu reisen -
schemenden OALZ vom 30. Mai 1791, Sp. 1020-1022. Der so aber gibts fUr ihn weiter keinen Rath, als: ,schiffe nach
Salzburger Rezensent findet in diesem Werk meistens ,sehr Anticyra!'" - Antikyre war eine fur ein in ihrer Umgebung
unwichtige Nachrichten eines Hypochonders iiber sein ver- wachsendes Heilkraut gegen Wahnsinn bekannte Hafenstadt
~rii~lic~es [... ] Ich, und iiber seine durch das ganz natiir- in Phokis. Vgl. unter anderem Horaz, De arte poetica, V. 300:
liche Mittel einer Lustreise wieder erlangte Gesundheit" ,[... ] tribus Anticyris caput insanabile [... ]" und Plinius,
(Sp. 1021) und schlie~t mit dem Spruch: Natura/is historia, Buch 22, 133 und Buch 25, 52.
, Vignetten, Druck, Papier ist alles ganz vollkommen: 9 Die ,Werkmeister-Rezension von Thiimmels Reise" (cf.
~as Ganze ist recht schon - den Inhalt ausgenommen." A 12/ 5).
Die Rezension ist unterzeichnet mit , W- r". 10 Zu Niethammers Planen vgl. A 10 S. 70 Z. 7 - S. 71 Z. 26
6 Benedikt Maria Werkmeister (1745-1823), Benediktiner,
und A 11 S. 75 Z. 14 - S. 78 Z. 13.
seit 1790 Weltpriester, Professor der Klosterstudien in Ne- 11 Zitat aus Niethammers ,Rezension von Thiimmels Reise"
resheim (vgl. A 4/ 28) und am Lyceum in Freising, wurde (cf. A 12/ 3), S. 507, worin dieser von den ,.Annalen unserer
1784 von Herzog Karl Eugen von Wiirttemberg zum Hof- deutschen geheimen Gerichte" spricht, in welche die Salz-
prediger berufen. In zahlreichen, meist anonymen Schriften burger Rezension (vgl. A 12/ 5) eingehen werde.
trat er fUr Reformen der Kirchenlehre, des Katechismus 12 ,Tafel" ist in Entsprechung zu Kants Tafel der Urteilsfor-
und des geistlichen Standes ein. Zu diesen Schriften zahlen: men (KdrV A 70/ B 95) und der Kategorien (KdrV A 80/
Unmafigeblicher l/Orschlag zur R¢0rmation des niedrigern lca- B 106) im Sinne von ,Tabelle" zu verstehen. Die zeitge-
th~lischenKlerus. NebstMaterialien zur R¢0rmation des hi/her~ nossische Logik kannte einen ,methodus tabellaris", d~m
Munchen 1782; Beytriige zur Verbesserung der lcatholischen gema~ ,man aile Glieder der Eintheilungen und Theile
Liturgie in Deutschland, Bd. 1 Ulm 1789. (Vgl. August Hagen, des Ganzen so zusammenordnet, class daraus erhellet, zu
Die k~rchliche Aujlcliirun_{J in der Diozese Rottenburg Bildnisse was fiir einem hohern Begriff und Ganzen ein jeder Gedanke
aus eznem Zeitalter des Ubergangs, Stuttgart 1953, S. 9-212.) gehort." Mit dieser Methode wird der ,deudiche Begriff

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Kommentar zu den Briefen A 12 An Niethammer, 7. August 1791

von einem ganzen Lehrgebaude befordert' (Georg Friedrich oder auf die Erreichung unserer Zweke iiberhaupt
Meier, Auszug aus der Vernuriftlehre, Halle 1752, § 428 [4)] Klugheit.
S. 117 f.). Sprache
13 Mitgeteilt hat Niethammer nicht einen eigenen, sondern Die bezeichnet entweder durch Bilder
einen Vorschlag Johann Benjamin Erhards, den ihm dieser, a) Symbolick.
gemag einem Versprechen, in einem Brief vom 3. Juni 1791 oder durch Handlungen
zur Einteilung der Wissenschaften dargelegt hatte (S.l; b) Typik.
UBE, Ms. 2054; die im Original in vier Spalten nebenein- oder durch Worte
ander dargestellten Rubriken ,Wissenschaften", ,Kunste", c) Grammatik.
,Sprache" und ,Geschichte" werden hier nacheinander wie- Geschichte.
dergegeben und ihr innerer Aufbau wird durch Einriik- I[.] des Vergangenen v.
kungen verdeutlicht): a. Staaten,
, Wissenschaften b) Religion,
I[.] rerne c) Kunst
1) des a priori im Vorstellungs Vermogen bestirnm- d. Gelehrtengeschichte
ten: Philosophie. e. Sprachgeschichte (oder Philologie)
2) des a priori durch transcendentale Einbildungs- II[.] des gegenwartigen
kraft darzustellenden[:] Mathesin. in Beziehung auf Personen,
II[.] mit Theorie vermischte a) Jurisprudenz
1) angewandte Philo sophie. b. Theologie.
a) auf Personen: Gesezgebung, Anthropologie. in Beziehung auf Sachen,
Erziehungslehre. Naturgeschichte.
b) auf Sachen[:] Naturlehre. in beider Beziehung.
2) angewandte Mathesin, diese ist von der Natur- a) Geographie. mit ihren Unterabtheilungen.
lehre schwer zu trennen, unten werde ich mehr III[.] der Lehre von den Quellen der Geschichte als Di-
davon sagen. plomatik, Numismatik, u. d. gl."
Kiinste.
beziehen sich entweder auf unsere Geisteskriifte Diez hat von Erhards Urheberschaft offenbar nichts gewuEt,
1) schone Kiinste, denn er nimmt im folgenden auf die ihm mitgeteilten Un-
oder auf unsere Bediirfnisse, und zwar den Stoff zu terscheidungen, die sich his in die Formulierung hinein
ihrer Befriedigung (in der grosten Menge) zu er- auf Erhards Brief zuriickverfolgen lassen, als auf Unter-
halten, und moglichst zu schonen scheidungen Niethammers Bezug: ,was Sie hier sagen" und
[2)] a. Oekonomie[,] ,wie Sie sagen" (S. 82 z. 13 und 23). Auch kann die ~ats~~he,
oder ihn zu diesem Zweck zu verarbeiten dag Diez eine groEere Passage aus Niethammers Bnef z1uert
[2)] b) Technologie. (S. 81 z. 34ff.), urn ihm die Grundlage fur seine eigenen
oder auf unsere physische Erhaltung Kommentare an die Hand zu geben, als Indiz daftir gelten,
[3)] Heilkunst. dag Diez die Wissenschaftstafel als Leistung Niethammers

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Kom.mentar zu den Briefen A 12 An Nietham.mer, 7. August 1791

ansah. Vermutlich hatte Niethammer ihn in seinem Brief Lehrer zugegebene Gehi.ilfe, dem die Zubereitung des Ca-
da~auf_ hingewiesen, daE er selbst keine Abschrift dieses davers zur Demonstration, und die Anfertigung anatomi-
Bneftells besaK Dies traf wohl auch zu, weil Niethammer scher Praparate, ftir den Unterricht, oder zu Bereicherung
wahrsch~inlich einer Bitte Erhards nachgekommen war, Er- des anatomischen Cabinets der Anstalt i.ibertragen ist" ( Uni-
hards Bnef auch Reinhold zu ,communicieren" (S. 1; vgl. versal-Lexi/wn oder vollsti:indiges encyclopi:idisches WOrterbuch.,
auch Reinhold an Erhard vom 7. August I791 (cf. A3/ 97), hrsg. von H. A. Pierer, 26 Bde. Altenburg 1835-I836, Bd. 17
S. 3I5). - Zu den philosophischen Voraussetzungen von S. 183). Dieses Amt bekleidete in Ti.ibingen von I768 an
Erhards Gliederung vgl. Cadi XIII.3. Zu seinen Nachwir- Johann David August Sigwart (I 747-1834), der Sohn des
kungen bei Reinhold vgl. auch Reinholds Brief an Erhard ordentlichen Professors ftir Medizin (fi.ir Anatomie und Chir-
vom I8. Juni I792 (Reorganisation der Elementarphilosophie urgie, seit 175I), Georg Friedrich Sigwart (I 711-I795)
(V 4), S. 9II Z. I7-27); vgl. dazu ebd. S. 910 Anm. 259. (vgl. Bernhard Hubert Pfaff, Johann Georg Gmelin, Philipp
I4 Reinhold, Fundamentschrift ( cf. A 8/ 23). Friedrich Gmelin, Georg Friedrich Sigwart, Karl Friedrich Clos-
I5 ~urn ~rgebnis der ,Schwarzwalder Untersuchungen" iiu~ert sius und ihre Tcitigkeit in Lehre und Forschung auf dem Gebiet
s1ch D1ez nach seiner Ri.ickkehr im Briefvom 13. November der gerichtlichen Medizin in Tiibingen, Diss. theor. Med. Ti.i-
_I79I (A 13 S. 87 Z. 26 - S. 88 Z. 5). An verschiedenen Orten bingen I976, S. 4I-4S, lOS; Hans-Wolf Thi.immel, Die Til-
1m Schwarzwald, unter anderem in Dornstetten und in Klo- binger Universiti:itsverjassung im Zeitalter des Absolutismus,
sterreichenbach, lebten Verwandte und Freunde von Diez, Ti.ibingen I97S (= Contubernium. Beitrage zur Geschichte
die zu den Mitadressaten seiner Briefe aus Jena (Gruppe D) der Eberhard-Karls- Universitat Ti.ibingen, hrsg. von Hans-
gehoren (vgl. D 2 S. 272 Z. 34 - S. 273 z. 4 und D 3 S. 294 martin Decker-Hauff u. a., Bd. 7), S. 233; vgl. auch A 15/ 4).
Z._31- S. 295 Z. 2 sowieD 2/ 42, D 2/ 46 und D 3/ 65). Dorthin - Johann David August Sigwart hatte sich wie sein Vater
re1sen konnte Diez, weil er seine Vakanz noch nachzuholen am 30. Juli I789 in Ti.ibingen in Niethammers Stammbuch
h~tte (vgl. ~II S. 78 Z. 25 und A Il/I2). eingetragen (NhSB I. Ordnung Bl. 100r und I02r).
I6 D1e ~eze~swn von Reinholds Fundamentschrift ( cf. A 8/ 23) 19 Welcher Camerer gemeint ist, lieE sich nicht sicher aufk.Iaren.
erschien m den GoZ in zwei Teilen: im 57. Sti.ick vom Aufgrund des Kontextes (vgl. A I2/ I8) wird man am ehesten
20. Juli I79I, S. 553-558, und im 59. Sti.ick vom 27. Juli an Johann Caspar Camerer oder aber an Johann Gottlob
I79I, S. 569-573. Im ersten Teil macht es sich der Rezensent Camerer denken mi.issen, die beide in Ti.ibingen Medizin
,zur Pflicht, sowohl den Inhalt der Vorrede, als Abhandlung studierten. Der letztgenannte (I 769 -I8S2) studierte zu-
genau anzuzeigen" (S. 553); daher versteht sich Diez' Cha- nachst an der Hoben Karlsschule in Stuttgart (immatrikuliert
r_~kterisierung als Anzeige. Im zweiten Teil werden die Er- am 22. Dezember I 78S, MSt Nr. I OS S. 430), dann in Got-
lauterungen (Antirezensionen) Erhards und Forbergs re- tingen (immatrikuliert am 22. September I789, MGo
feriert, die Reinhold der Schrift beigeftigt hatte (vgl. A8/ 20 Nr. IS320 S. 3I7) und zuletzt in Ti.ibingen, wo er am 4. Juni
und A 6/I6). 1791 immatrikuliert und wo er im Juni I793 promoviert
I7 D_er Sachverhalt konnte nicht aufgeklart werden. Weder wurde (MTLi Nr. 3881S S. 353) (vgl. auch Camerer, Fami-
d~e Briefe Si.iEkinds an die Mutter (in Privatbesitz) noch liengeschichte ( cf. A 4/ 2), S. 37).
die Schnurrers an Niethammer (DLA Marbach; UBE; in 20 Vgl. A 7 S. 58 Z. 29 ff., vgl. B 4.
Privatbesitz) geben dari.iber Auskunft. 21 Vgl. A 11 S. 78 Z. 26-30 und A 11/ 13. Seitdem hatte Diez
I8 In anatomischen Lehranstalten war der Prosektor ,der dem keinen weiteren Locus gehalten. Die im folgenden von Diez

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Kommentar zu den Briefen A 12 An Nietha=er, 7. August 1791

erwahnten Messianischen Weissagungen gehi:iren im Com- sie Magister, dann Repetenten, dann Vicare, his sie die
pendium von Sartorius ( cf. A 3/ 17) zum Locus XI ,De Jesu Pfarre trift."
Christo red em tore 'frcav'frgwrcq>" (§§ 219-240, S. 201 - 217) 24 Gotthold Friedrich Staudlin (1758 -1796), wi.irttembergi-
und sind dort Thema in den §§ 220-223 (S . 202-205). scher Dichter und Herausgeber des Schwabischen Musen-
Der Hauptabschnitt ,De persona Christi" des Locus (S. 206- almanachs, in dem 1792 Holderlins erste Gedichte im Druck
217) beginnt erst mit § 225. Im Amtsgrundbuch der Re- erschienen. Bruder von Karl Friedrich Staudlin.
petenten wird der gesamte Locus offenbar unter dem Titel 25 Karl Christoph Hofacker (1749-1793) war seit 1774 or-
,De persona Christi" geftihrt, der eigentlich nur ft.ir dessen dentlicher Professor der Rechte an der Universitat Tiibingen.
zweiten Teil gilt (AEvSt, Amtsgrundbuch (cf. A2/ 3)). 26 An der erwahnten Stelle in Halem, Blicke (cf. A 12/ 23),
22 Zu den Gothaischengelehrten Zeitungen erschien neben einer S. 51, heillt es: , Von Stuttgart reiseten wir am 31. [Juli]
,Zeitung der auslandischen Literatur" (vgl. A 12/ 1) in un- Nachmittags begleitet von dem, als Dichter bekannten Doc-
regelma~igen Folgen eine ,Beilage" mit Nachrichten, An- tor Staudlin, dessen interessante Bekanntschaft wir gemacht
ki.indigungen, Erwiderungen und Anzeigen, auf die jeweils hatten [.. .]. Am folgenden Tage mach ten wir angenehme
am Ende eines Sti.icks der GoZ eigens hingewiesen wurde. Bekanntschaften bey Storr, le Bret und Hofacker [... ]". Diez'
Von einem ,Blatt der Deutschen Zeitung" ist in diesen Charakterisierung dieser Bemerkungen als subjektiv bezie~.t
Verweisen jedoch nicht die Rede. Zwar erschien in Gotha sich wohl auf die Ausdri.icke ,interessant" und ,angenehm ·
zwischen 1784 und 1795 auch die von Rudolf Zacharias 27 Georg Gustav Fi.illeborn (1769-1803), 1791 Gymnasial-
Becker (1751 - 1822) herausgegebene Deutsche Zeitungfiir professor fur klassische Sprachen in Breslau, ga~ _von 1~?I
die lugend und ihre Freunde oder Moralische Schilderungen his 1799 die Beytrage zur Geschichte der Philosophze m 12-~an­
der Menschen, Sitten und Staaten unsrer Zeit (seit 1788 unter den heraus. Reinhold, Niethammer und Forberg gehorten
dem Titel Deutsche Zeitung oder Moralische Schilderungen zu den Mitarbeitern (vgl. auch A 12/ 28). .
der Menschen). Es gibt jedoch keinen Grund fi.ir die An- 28 Eine Anzeige des Inhaltes des ersten Bandes findet s1ch
nahme, da~ Niethammer wahrend seines Gothaer Aufent- im IB der ALZ Nr.65 vom 18. Mai 1791, Sp.541:
haltes auch fur diese Zeitung gearbeitet hatte. Mit dem ,1. Ueber den Begriff der Geschichte der Philosophic,
Blatt der Deutschen Zeitung meint Diez also wohl die ,Bei- von Hrn. Rath. Reinhold
lage" zur GoZ. 2. Ueber die Geschichte der altesten griechischen Phi-
23 Gerhard Anton von Hal em (1752 -1819, Mitglied der ol- losophic von Fiilleborn.
denburgischen Regierungskanzlei, unternahm 1790 eine 3. Xenophanes. Ein Versuch, von Demselben.
sechsmonatige Reise nach Frankreich), Blicke aufeinen Theil 4. Ueber die Freyheit. Aus dem Griechischen des Ne-
Deutschlands, der Schweiz und Frankreichs bey einer Reise vom mesis von Demselben.
Jahre 1790, 2 Bde. Hamburg 1791, wurde bereits im 58. 5. Ueber das bisherige Schicksal der Theorie des Vor-
Stuck der GoZ vom 23. Juli 1791, S. 565-568 rezensiert. stellungsvermogens, von Hrn. M. Forberg. .
Halems iiu~erst knappe Bemerkungen i.iber das Stift sind 6. Anhang zur vorhergehenden Abhandlung: Eme kur-
in Bd. 1, S. 51 f., zu finden. Vermudich bezieht sich Diez ze Vergleichung der Critik der reinen Vernun~ und
hier auf ~~I ems falsche Darstellung der theologischen Aus- der Theorie des Vorstellungsvermogens nach 1hren
bildung. Uber die Stipendiaten schrieb Halem (S. 52) un- Hauptmomenten, von Fiilleborn."
genau: ,Nachdem sie hier ftinf Jahre studiert haben, werden Vor allem aus den Titeln der Aufsatze von Forberg und

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Kornmentar zu den Briefen
A 13 An Niethammer, 13. November 1791

Fi.illeborn
.. laEt sich leicht Diez' ,Li.isternheit" auf die Lektiire
erkl aren.
Al3
29 ~ IB der ALZ Nr. 71 vom 12. Juni 1790, Sp. 572, harte Immanuel Carl Diez, Thbingen
s1ch !Cant gegen eine unautorisierte Ausgabe seiner kleinen Sonntag, den 13. November 1791
S_chnften gewandt, deren Erscheinen im Katalog zur Leip- An Friedrich Immanuel Niethammer, Gotha
z~?er. Ostermesse ohne Angabe des Herausgebers ange-
kundigt worden war. Offensichtlich hat der Wortlaut der
Stellun?nahme Kants Diez, wie manche andere auch (vgl. Manuskriptbeschreibung
den Bnef Johann Friedrich Hartknochs an Kant vom 29.
Oktober 1790, AA XI, 8.217-219, 8.218£.; auch den Brief Standort: Privatbesitz.
Johann Ernst Bayers an Kant vom 1. Juni 1790, AA XL Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblatt; Format in em (Hohe x Breite): 23
S. _1 74): zu der Vermutung veranlaiSt, Kant plane selbst be- X 18,8; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Papierfarbe:
chamois.
reits, erne Sammlung seiner kleinen Schriften herauszuge- Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 1 von 2 (unci Adregfeld S. 2);
ben. (Mitteilung von Werner Stark, Marburg, vom 26. No- Adresse: ,Herrn M. Niethammer"; Siegel: S. 2 Siegelspuren; Faltung: quer von
vember 1991.) Eine solche Sammlung war schon liinger vorne nach hinten, dari.iber Brieffaltung.
von Kant erwartet worden (vgl. den Brief von Johann Ernst
Bayer an Kant, ebd.).
Kommentar

l In seinem Brief vom selben Tag (13. November 1791) er-


kliirte Schnurrer sein langes Stillschweigen gegeni.iber Niet-
hammer damit, daiS er eine Stelle von dessen letztem Brief
(vom 7. Juli 1791) als Anki.indigung eines weiteren Briefes
gedeutet habe, den er habe abwarten wollen (S. 1; in Pri-
vatbesitz).
2 Briefe von Si.iEkind an Niethammer sind in den zugiinglichen
Teilen von Niethammers BriefnachlaiS nicht i.iberliefert.
3 In dem bereits zitierten Brief an Johann Benjamin Erhard
vom 5. Oktober 1792 (S. 1; cf. A 9/ 9) berichtete Niethammer,
daE Schiller sich nach dem Scheitern seiner Plane in Gotha
als sein Retter erwiesen habe. ,Am End des Sommers sprach
ich Schiller, er hat sich meiner erbarmt; ihm habe ichs zu
danken, daE ich nach Jena zuri.ik kehren konnte." Nach
Lupin besprach Niethammer "schon im August 1791 mit Schiller seine
Ri.ickkehr nach Jena, wozu ibm clieser behilflich zu ein versprach unter
der Firma der Allgerueinen Literaturzeitung" (Lupin., Niethammer (cf.
A2/ l), S. 22). Die Anstellung Niethammers bei der ALZ erwiihnt Schiller

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Komrnentar zu den Briefen A 13 An Niethamrner, 13. November 1791

in einem Brief an Gosch en vom 24. Oktober 1791 (vgl. NA 26 S. 103f., S. 166f., S. 166, und die Erliiuterungen S. 646; Niethamrner an Schiller,
S. 103, und die Erliiuterung S. 543). Niethamrner wird nicht nur, wie von 22.November 1793, in: NA34,I S. 337-339, S. 338). Am 28. November
den Herausgebern der Nationalausgahe angenommen, bei der Herstellung 1791 teilte Schiller Niethammer die Zusage Goschens fur das Honorar
von Erschs Allgemeinem Repertorium der Literatur for die Jahre 1785 bir von 8 Louisdor fur das erste Halbjahr mit (NA 26 S. 115 und Anmerkungen
1790, lena 1793-1794, heschiiftigt gewesen sein (vgl. All/ 2). Aus S. 560).- Niethamrner hat schlieiSlich auch dieAufgabe einer J .Jbersetzung
einem Brief Schnurrers an Niethammer vom 7. Dezember 1791 (S.I; von Platons Symposion fur die Thalia" iibernommen (vgl. den Brief
DLA Marbach, 85. 868) geht niimlich hervor, d<ill Niethammer auch eine Niethammers an Erhard vom 26. ]uli 1793, S. 1; Sammlung Varnhagen,
Stelle bei der Expedition der Allgemeinen Literatur-Zeitung angeboten Mappe ,Erhard und Niethammer"), die als ,Das Gastmahl von Plato
worden war. Schnurrer teilt mit, daiS am gleichen Tag ein Reskript (des oder Gespriiche iiber die Liebe" im 5. und 6. Stuck der Neuen Thalia
Konsistoriums) vom 29. November 1791 eingegangen sei, das Niethammer Bd. 2 1792, S. 170-228 und S. 324-386, erschien. - Niethammer wurde
erlaube, diese Stelle anzunehmen. - Schiller hat Niethammer noch andere am 27. Februar 1792 von der Universitiit Jena nostriflziert (vgl. UAJ,
Arbeiten angeboten, wie sein Brief an Niethamrner vom 5. Oktober 1791 Bestand M 196 Bl. 5, Dekanatsakten der Philosophischen Fakultiit 1792),
zeigt: ,Mit Hilfe zweyer Arbeiten die llmen weder viel Zeit noch Miihe so d<ill die Vermutung nahe liegt, daiS er schon von Gotha aus sich mit
kosten werden, weill ich Ihnen fur diesen Winter 15 Louisdors zu ver- Schiller iiher den Plan einer Habilitation verstiindigt hat (vgl. auch
schaffen, auiSer dem, was vielleicht Goschen von seiner Seite gibt, urn D3/ 47 und / 48). Im Brief an Erhard vom 5. Oktober 1792 erwiihnt
die Thalia in Ordnung zu bringen. [... ) Ich bezahle sie Ihnen zu drey Niethammer Schillers Eintrag in sein Stammhuch ( cf. A 6/ 36) bei
Terminen, und den ersten sogleich mit Anfang des folgenden Monats. der Ahreise nach Gotha und die damals noch nicht geahnte spiitere
Die Arbeiten, welche Sie dafur iibernehmen, werden Ihnen des Tags Verwirklichung mit Schillers eigener Hilfe: die Aufforderung niimlich,
kaum 2 Stunden kosten, und zugleich eine nicht ganz unangenehme Lehrer der Kantischen Philosophie zu werden: "geh hin und predige
schriftstellerische Ubung ftir Sie seyn." (NA26 S.lOOf., S. 100; diesen das Neue Evangelium" (S . 2; cf. A 9/ 9; iiber die Zuschreibung von Schil-
Brief erwiihnt auch Lupin, Niethammer, S. 22, doch unter der falschen lers Stamrnbucheintrag vgl. GillS. 840f. Anm. 314). Zu der Bezugnahme
Datierung vom 5. August, was die obige Datierung der ,Besprechung von Schillers Stammbucheintrag auf Niethamrners damalige Position in
der Riickkehr schon im August" unsicher macht.) Es wird sich bei den der Religionstheorie vgl. Cadi XI. 1. Zum Beginn von Niethamrners
heiden Arbeiten urn folgende Veroffentlichungen handeln, deren Bear- akademischer Laufbahn vgl. auch Hans-Peter Nowitzki, ""Geh hin und
beitung Schiller Niethammer iibertrug: 1) Geschichte des Maltheserordens predige das Neue Evangelium.« Friedrich Philipp Immanuel Niethamrners
nach Vertot von M[agirter} N[iethammer} bearbeitet und mit einer Vorrede Weg von der Nostriflkation zur Renunciation als au/Serordentlicher Pro-
versehen, hrsg. von Friedrich Schiller, Jena 1792 (Bd. 2 1793). 2) Merk- fessor der Philosophie in Jena", in: Evolution des Geistes: lena um 1800,
wiirdige Rechtgalle als ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit. Nach deTI! Philosophic und Wzssemchajt im Spannungsftld der Geschichte, hrsg. von
Franziisischen Werle des Pitaval durch mehrere Ve7jasser ausgearbeitet und mit Friedrich Strack, Stuttgart 1994, S. 94-123.
einer Vorrede begleitet, hrsg. von Friedrich Schiller, 4 Bde. Jena 1792-1795 4 Vgl. Leube III S. 51-65.
(vgl. NA26 Anmerkungen S. 540f.). 3) Zudem iibernahm Niethammer 5 Schnurrer schrieb am 13. November 1791 an Niethammer
auch das Lesen der Korrektur fur die Neuen Thalia. Schiller wollte ihm (cf. A 13/ 1), S. 4: ,Morgen vormittag kommt der Herzog
wegen zu vieler Fehler im November 1792 diese Arbeit entziehen, was zur Prorectors Wahl. Das Stipendium wird er auch dieses
er dann doch nicht getan zu haben scheint, da ibm Niethammer vor mal wie das vorige mal, und aus demselben Grund, nicht
seiner Ahreise nacb Klagenfurt 1793 mitteilte, d<ill er mit aller Sorgfalt besuchen. Er bezeugte schon vor einem Jahre, das nach-
nach einem Mann gesucht habe, der dieses Geschiift zuverliissig iiber- stemal komme er mit den neuen Statuten: diese sind aber
nehmen konne (vgl. Schiller an Goschen, 16.November 1792, in: NA26 immer noch nicht im Reinen."

498 499
Kommentar zu den Briefen A 13 An Niethammer, 13. November 1791

6 Georg Gottfried Dapp (1719-1807), Abt des Klosters Be- 9 Nachsehen kann Niethammer als Mitarbeiter bei der Ex-
benhausen und Generalsuperintendent (GMB). In den Re- pedition der ALZ (vgl. A 13/ 3).
petentenmemorabilien I 1767-1804 (AEvSt, R 2), S. 205, fin- 10 Johann Friedrich Gaab (1761-1832), nach Heinrich Eber-
det sich ft.ir das Jahr 1791 der Eintrag: ,Bei der im September hard Gottlob Paulus, Karl Friedrich Stiiudlin und Karl Fried-
gehaltenenen Kirchenvisitation durch Herrn Pralat Dapp rich Wilhelm Schmid Vierter der Magisterpromotion von
von Bebenhausen kam die Klage ein, da~ einige Repetenten 1781, 1788-1792 Repetent im Stift, wurde 1792 au~eror­
zu philosophisch predigen [... ] Der Herr Pralat lieE uns dentlicher, 1798 ordentlicher Professor fur Philosophie in
dies durch Herrn D. Storr privatim insinuieren." Vgl. A 10/ 17. Thbingen, 1806 Ephorus des Stifts, 1815 Priilat und Ge-
7 Vgl. ital.: scabino - Schoffe. Karl E. Demandt, Laterculus neralsuperintendent von Tiibingen (vgl. MTh Nr. 37652
Notarum. Lateinisch-deutsche lnterpretationshi!ftn for spiitmit- S. 283 und Nr. 38886 S. 357 sowie Magisterprogramm Tit-
telalterliche undfriihneuzeitliche Archivalien, Marburg 41986, bingen (cf. A 1/ 2) von 1781). - Offenbar legte das Repe-
S. 232: ,scabini et consules - Schoffen und Ratsleute". Im tentenkollegium Wert darauf, die ,vorbemeldete Nachricht"
vorliegenden Kontext, da Diez in der Folge den Terminus (S. 1) moglichst nicht nach au~en dringen zu lassen. Niet-
der Kirchenzensoren wiihlt, diirfte es sich dabei urn heim- hammer und Diez hatten allerdings i.iber dieses Thema
liche Zensoren handeln, die von den Geistlichen einer Ge- bereits korrespondiert, bevor Dapp seinen Hinweis gab (vgl.
meinde bestellt werden konnten, urn die Einhaltung der A 10 S. 72 Z. 2 9 - S. 7 3 Z. 16). Paulus widmete Gaab seinen
sittlichen und religiosen Ordnung durch die einzelnen Ge- Aufsatz ,Die fremde Sprachen" (cf. A7/ 58). Diez unterstellt,
meindemitglieder zu iiberwachen, die sich bei VerstoEen da~ Paulus und Gaab regelmii~ig miteinander korrespon-
vor sogenannten Kirchenkonventen zu verantworten hatten dieren und da~ Niethammer dies weill.
\vgl. Martin Hasselhorn, Der altwiirttembergische Pjarrstand 11 Ludwig Friedrich Goritz (/") (1764-1823) aus der Magi-
zm 18. lahrhundert, Stuttgart 1958, S. 59-61; zur Einrichtung sterpromotion von 1782 (vgl. MTh Nr. 37916 S. 297; Ma-
der Kirchenkonvente vgl. Brecht, Kirchenordnung (cf. gisterprogramm Tiibingen (cf. A 1/ 2)), hielt sich als Hofmei-
A 3/ 18), S. 73- 82). - Vgl. auch in J.Jber die RechtmaEigkeit ster von Johann Carl von Fichard aus Frankfurt vom Som-
der Unterschrift unter die symbolischen Bucher" (B 1), mersemester 1791 (beide immatrikulierten sich an der
S. 113 Z. lf. und Z.l3, sowie B 1/13 und / 14. Universitiit am 11. Mai 1791 (MJ)) his zum Fri.ihjahr oder
8 Johann Wilhelm Christoph Hennings (geb. 1771 (Taufbuch Sommer 1793 in Jena auf (vgl. D 1 S. 261 Z. 13 und die
des Kirchenregisteramtes Jena, Bd. 7 S. 456) ), ein Sohn Briefe von Schiller an Fischenich vom 11. Februar 1793
des Jenaer Professors der Philosophie Justus Christian Hen- ( cf. A 1/2), S. 189, und vom 25. Juli 1793, NA 26 S. 27 4 f.,
nings (1731-1815) (vgl. den Brief Schnurrers an Nietham- S. 275). Im Juni 1794 ziihlte Goritz zur schwiibischen Lands-
mer vom 10. Juni 1794, S. 3 (UBE, Ms. 2054)). Am 21. mannschaft an der Universitiit Marburg (vgl. Johann Karl
Oktober 1792 erwarb Hennings das akademische Biirger- Friedrich Hauff an Niethammer, Marburg, den 6. Juni 1794
recht durch Eintragung in die Thbinger Universitiitsmatrikel (S. 2; UBE, Ms. 2054)). Nach einem zweiten Jena-Aufenthalt
(MTi.i Nr. 39662 S. 401). Vermutlich ist er auch jener Wilhelm zwischen 1795 und 1797 kehrte Goritz im Sommer 1797
Hennings, der herzoglich sachsischer Geheimer Legationsrat und Besitzer nach Wiirttemberg zuriick, wo er mehrere Vikariate versah
der Henningschen Buchhandlung in Gotha war und der im Februar (vgl. E 7/ 15), ehe er 1799 Diakonin Heidenheim undzuletzt,
1838 starb. (Mitteilung des Landratsamtes Gotl1a vom 25. Januar 1995; ab 1811, Dekan und Stadtpfarrer in Aalen wurde. (GMB)
vgl. Neuer Nelcrolog der Deutschen Jg.16 1838 (1840).) - Doer seine erste Hofmeisterzeit in Jena, wo er auch in

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Kommentar zu den Briefen A 14 An Kielmeyer, 2. Dezemher 1791

Schillers Haus verkehrte (vgl. D 2 S. 273 Z. 23ff.), hinterl.ieE


er Erinnerungen, "Schiller in Jena", veroffentlicht 1838 in A 14
Cottas Morgenblatt for gebildete Leser, Nr. 221-227, S. 881 f., Immanuel Carl Diez, 'llihingen
S. 886-888, S. 889 f., S. 894 f., S. 899 f., S. 901 f., S. 906f. SuE- Freitag, den 2. Dezemher 1791
kind hatte Goritz im Friihjahr 1790 auf der Reise nach An Carl Friedrich Kielmeyer, Stuttgart
Gottingen in Frankfurt getroffen (C 1 S. 168 Z. Sff.) und
hat ihn vermutlich auf der Riickreise 1791, die durch Jena
ft.ihrte (vgl. C 9 S. 234 Z. 9 -14 ), besucht. Manuskriptbeschreibung
12 Die Bemerkung Niethammers, auf die Diez sich hier bezieht,
la/St sich aus dem Gesagten nicht genau rekonstruieren. - Standort: UBT, Mh 755 a,5.
Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hohe X Breit~):
~eimgeben" heillt zuriickgeben, zuriickerstatten (vgl. C 12 21,1-21,3 x 17,6; Rander beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Papierfarbe: cham01s.
S. 253 Z. 20). ,Pregizer" wird ein Wortspiel genannt. Das Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 von 4 (und AdreJSfeld S. 4);
geht z. B. aus einer Bemerkung Kletts in einem Brief an Adresse: ,An I den Herrn Doktor und Professor I Kielmayer I in Stuttgart.
in des Herrn Stallmeister I v. Bi.ihlers Haus abzugeben. I frei~'; Siegel: S. 4
seine Eltern nach dem 4. Mai 1791 (in Privatbesitz) hervor: Siegelreste, Siegelstelle ausgerissen; Faltung: Brieffaltung._ . .. .
,,ch glaube noch nicht gesagt zu haben, daiS man hier die Besondere Beroerkungen: S. 1 unten Stempel der UBT; Pa~~erqual1tat entspncht
Wortspiele entsezlich liebt. Es gibt ja aber offenbar nichts der von A 1 und B 1; ein Teil der zweiten Doppelblatthalfte abgetrennt; S. 4
faderes als einen Pregizer." Es ist nicht aufgekliirt worden, Notizen von mindestens zwei fremden Handen.
aus welchem Grund und mit Beziehung auf welche der
vielen Personen dieses Namens in Schwaben zu dieser Zeit
Wortspiele ,Pregizer" genannt worden sind. Kommentar
13 Vgl. A 12 S. 84 Z. 11-13 mit A 12/ 15. Zu den Ergebnissen
der Schwarzwalder Untersuchungen vgl. Cadi VII. 4-6. 1 Carl Friedrich K.ielmeyer (1765 -1844) aus Bebenhausen
14 Vgl. Cadi VII.4. bei Tiibingen. Nach AbschlufS seines Medizinstudiums an
der Hohen Karlsschule in Stuttgart (MSt Nr. 527 S. 368)
ging K.ielmeyer Ende 1786, mit einem herzogli~~e_n Stipen-
dium ausgestattet, fur eineinhalb Jahre nach Gottmgen, wo
er unter anderem bei Georg Christoph Lichtenberg (vgl.
auch C 1 S. 168 z. 28f. und C 1/14) und Johann Friedrich
Blumenbach studierte. Im Herbst 1788 kehrte er nach einer
gelehrten Reise iiber Helmstedt, Magdeburg, Berlin, Frei-
berg i. S., Jena und Erlangen in sein Elternha~_s nach Be-
benhausen zuriick, blieb dart das Jahr 1789 uber - also
auch zu einer Zeit, als Diez in Bebenhausen seine Vikari-
atsdienste verrichtete (vgl. A 2/3) -, ehe er 1790 zum Pro-
fessor fur Zoologie an die Karlsschule und zum Mitaufseher
tiber das herzogliche Naturalienkabinett in Stuttgart berufen
wurde. Von 1792 an his zur Aufhebung der Karlsschule

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Kommentar zu den Briefen A 14 An K.ielmeyer, 2. Dezember 1791

lehrte er an derselben als ordentlicher Professor Botani.k 1794 und vom 11. Mai 1795 hervor (WLB Stuttgart, Cod.
und Chemie und nach einem neuerlichen Aufenthalt in hist. 2° 791). Im ersten dieser Briefe erzahlt Kielmeyer von
Gottingen ab 1796 Chemie in Thhingen, ehe ihm 1801 der Nachricht:, Diez sei nach Thhingen zuri.ickgekehrt und
dort die Professor fur Botanik, Pharmazie und Medizin werde wohl ,nachstens auch professor extraordinarius wer-
~hertrage? ~rde. (Vgl. seine Selbstbiographie (his 1801) den" (S. 2). Im zweiten Brief fragt er die Eltern: ,Wissen
m Karl. Fned~1ch von Kielmeyer, Gesammelte Schrijten, hrsg. Sie nicht, wie es dem Diez geht, u. was er ftir Aussichten
von ~ntz- Hemz Holler, Berlin 1938 (= Schopferische Ro- hat?" (S. 1) - Diez wandte sich an Kielmeyer, wahrscheinlich
mantik. Zur Morphologie und Symbolik, hrsg. von W. Kei- in einem Brief, der dem vorliegenden vorausging, im Zu-
per), S. 7-12, sowie Kai Torsten Kanz, ,Carl Friedrich Kiel- sammenhang mit seinem gereiften Plan, Medizin zu stu-
meyer (1765 -1844) - Leben, Werk, Wirkung. Perspektiven dieren (vgl. A 14 S. 89 Z.12-14). Der vertraute Ton d~s
der Forschung und Edition", in: ders. (Hrsg.), Philosophie Briefes laEt einen gewissen Einblick in die Beziehung ZWI-
des Organischen in der Goethezeit. Studien zu Werle und Wz'rlwng schen den heiden zu. Auch spater hat Diez noch mit Kiel-
des Naturjorschers Carl Friedrich Kielmeyer (1765-1844), meyer korrespondiert, wie aus dessen Brief an die Elt~rn
Stuttg~rt 1994 (= Boethius. Texte und Abhandlungen zur vom 5. April1796 hervorgeht (S. 1; WLB Stuttgart, Cod. hist.
Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften, 2° 791).
Bd. 35), S. 13-32.) - Kielmeyer publizierte zwar wenig, 2 Die Medizin. Vgl. auch A 15 S. 90 Z. 13, wo Diez von der
hatte aber als Lehrer eine bedeutende Wirkung. Uher seine Medizin als seiner ,neuen Gottin" spricht.
am 11. Februar 1793 gehaltene Rede ,Uber die Verhaltnisse 3 Plagen, qualen, schlecht behandeln (vgl. Grimm IV, 2,
der organischen Krafte untereinander in der Reihe der Sp. 1863). . .
verschiedenen Organisationen, die Gesetze und Folgen die- 4 Drei Tage spater jedoch, am 5. Dezember 1791, 1st dw
ser Verhaltnisse" (ebd. S. 59-101) schrieb Schelling in sei- Entscheidung zugunsten des Medizinstudiums in Jena end-
ner Schrift Von der Weltseele, eine Hypothese der hoheren Physik gi.iltig gefallen (vgl. A 15 S. 90 Z. 17 f.).
zur Erlcliirung des allgemeinen Organismus. Nebst einer Ab- 5 Johann Friedrich Pfaff (1765-1825) aus Stuttgart, Mathe-
handlung iiber das Verhiiltnis des Realen und !deafen in der matiker, war wie Kielmeyer Karlsschi.iler (vom 13. Januar
Natur oder Entwiclclung der ersten Grundsiitze der Naturphi- 1775 his 11. April 1785 immatrikuliert, MSt Nr. ~76 S. ~70)
losophie an den Principien der Schwere und des Lichts von und anschlieEend aufgrund eines herzoglichen Supendmms
1798 ( Siimmtliche Werlce, Erste Abtheilung. Zweiter Band, Student in Gottingen (immatrik.uliert am 25. November 1785
Stuttgart und Augsburg 1857, S. 345-583, S. 565), sie sei als Student der Mathematik, MGo Nr.14029 S. 291), au-
,[. · ) eine. Rede, von welcher an das ki.inftige Zeitalter ohne Berdem in Berlin und Wien. Bereits 1788 wurde er or-
Zweifel d1e Epoche einer ganz neuen Naturgeschichte rech- dentlicher Professor ftir Mathematik in Helmstedt:, wo er
nen wird". (Zu Schellings Kielmeyer-Rezeption vgl. auch his zur Aufhehung der Universitat 1810 blieb, anschlie~end
Sammtliche Werke. 1. Abt. Bd. 4, Stuttgart und Augsburg in Halle. Zu seinem Aufenthalt in Wtirttemberg und semem
1859, S. 188 und Bd. 6 ebd. 1860, S. 454.) -DaB Diez mit Gesundheitszustand vgl. C 9 S. 234 Z. 17 f. mit C 9/ 21 sowie
Kielmeyer eine engere Freundschaft verhand, geht aus einer C 10 S. 247 Z. 2-31.
Bemerkung von Si.iEkind in einem Brief an Diez vom 1. 6 Griech.: gleichsam im Vorbeigehen, beilaufig .. - Vgl. C 4
Juni 1790 (C 1 S. 168 Z. 27), aber auch aus Briefen von S. 199 Z. 35. Dies scheint ein Zitat aus den Stifts-Statuten
Kielmeyer an seine Eltern aus Gottingen vom 18. September von 1752 ( cf. A 3/18; Kapitel 2 § 8, S. 13) zu sein, die

504 505
Kommentar zu den Briefen A 15 An Niethammer, 5. Dezember 1791

regelmiillig vor allen Stiftlern verlesen wurden (ebd. Ka i-


tel 10 § 23, S. 76). p
A15
7 ~ie Naturforschende Gesellschaft in Danzig suchte ftir die Immanuel Carl Diez, Tiibingen
1hr von Nathanael Matthaus von Wolff (I 724-1784) ver- Montag, den 5. Dezember 1791
machte Sternwarte einen Astronomen. Unter den zahlrei- An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
chen Bewe~bern wahlte sie nach Empfehlungen Bodes, Eu-
lers u~d L1chte~bergs Julius August Koch (1752-1817)
aus, ernen prakuschen Arzt aus Osnabriick, der die Stelle Manuskriptheschreibung
am 8. November 1792 antrat. (E. Schumann, Geschichte der
Natuiforschen.den Gesellschcift in Danzig 1743-1892, Danzig Standort: Privatbesitz.
1893 (= Schriften der Naturforschenden Gesellschaft Danzig Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblatt; Format in em (Hohe X Breite):
N. F. 8, 2), S. 32-36). 23,1 X 18,7-18,8; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Pa-
8 Christoph Friedrich Pfleiderer (1736-1821) war, nachdem pierfarbe: chamois.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 12h von 2; Faltung: quer von
~r Professor ftir Mathematik an der koniglichen Kriegsschule vorne nach hinten.
rn Warschau (1766) und Direktor des koniglich polnischen
Kadettenkorps gewesen war, seit 1781 ordentlicher Profes-
sor der Mathematik und Physik an der Universitat und am Kommentar
Co?egium illustre in Thbingen. Diez hatte wiihrend seines
P~ilos~phiestudiums bei Pfleiderer ein Specimen mit dem 1 Offenkundig war Diez - wie auch Schnorrer in einem Brief
T1tel ,Uber einige Grundsaetze der Statik und Mechanik VOID 7. Dezember 1791 (S. 1; cf. A 13/3) - davon ausge-
nach Erxleben" verfaBt (vgl. Magisterprogramm Tzibingen gangen, daB Niethammer bereits wieder nach Jena zuriick-
( cf. A 1/2) von 1785). gekehrt sei, wahrend Niethammer wohl erst En de DezeiDber
9
G~me~t ist Johann Gottlieb Friedrich Bohnenberger, der Gotha verlieB (vgl. A 6/36). Schnurrers Eingangsbemer-
fruh erne Neigung zur Mathematik und Experimentalphysik kungen in dem nachstfolgenden Brief VOID 4. Januar 1792
entwickelt hatte. lassen erkennen, daB Niethammer ihn erst in einem - nicht
10 Johannes Hevelius (eigentlich Havelke oder Hevelke) erhaltenen - auf Ende DezeiDber datierbaren Antwortbrief
(1611-1687), Astronom in Danzig. iiber die dann schon erfolgte Riickkehr in Kenntnis gesetzt
hat (S. 1; in Privathesitz). Auf diesem Wege konnte auch
Diez davon erfahren haben, denn er beklagt am 20. Januar
1792, daB Niethammer auf seinen Brief vom 13. November
(A 13) immer noch nicht geantwortet habe, obgleich ,Sie
[ihn] seit dem Ende des Dezemhers beantworten konnten"
(A 16 S. 93 Z. 6).
2 Vgl. A 14 S. 89 Z. IOf., wo die Medizin ftir Diez eine ,ver-
schleierte Gottin" ist.
3 Vgl. A3 8.18 Z.19, A 7 S. 57 Z.27 und B2 8.133 Z.26.
4 Vgl. A 12/18. Johann David August Sigwart las ,mehriDalen

506 507
Kommentar zu den Briefen
A 15 An Niethammer, 5. Dezember 1791

Osteologie und iiber die Bandagen" und hat ,auch demon- 13 Diese Doppelformulierung des ,Magister seu Doctor Phi-
strationes a~ato~icas" gehalten, und ,den Chirurgen hat losophiae" zeigt an, da.B Diez (sicher auf den Rat anderer
er auch Chrrurg1e vorgetragen" (Bericht des Senates der hin) daran dachte, seinen Thbinger Magistertitel in Jena
Universitat Thbingen an den Herzog vom 7. Juni 1792, als Doktortitel zu gebrauchen, wozu er nun Niethammers
HSA Stuttgart, A 202, Bii 2573, Nr. 26 ( unpaginiert S. 10)). Rat erbittet. Einige philosophische Fakultaten bemiihten
5 Lehre von den Eingeweiden (vgl. Onomatologia medica com- sich seit langem darum, die Philosophie vom Status des
pleta o~~r Medicinisches Lexicon das aile Benennungen und blo.Ben, die artes liberales lehrenden Propadeutikums auf
Kunstworter welche der Zergliederungs- und Wundarzneywis- den eines den sogenannten Brotstudien Theologie, Juris-
senschajt eigen sind deutlich und vollstiindig erkliiret und die prudenz und Medizin vergleichbaren Studienganges zu.. he-
Cu~en Binden Werkzeuge auch andere Mittel der Kunst Ope- ben. Urspriinglich vergaben nur die hoheren Fakultaten
ratzonen und aile Handgriffo genau beschreibet zu allgemeinem den Doktortitel, wahrend in den philosophischen Promo-
Gebrauch von einer Gesellschajt eifahrener Aerzte herausgegeben tionen das Magisterium verliehen wurde. Zu Diez' Zeit "':'aren
und mit einer Vorrede begleitet von Herrn Albrecht von Haller, Magister- und Doktortitel in einem flie.Benden, unbestimm-
Ulm, Frankfurt a.M., Leipzig 1756, Sp. 1277). ten Verhaltnis zueinander. (Vgl. Ewald Horn-Steglitz, ,Ueber
6 Vgl. A 17 S. 96 Z. 17.
den philosophischen Magister- und Doktortitel", in: Acade-
7 ,Lehre von denen Zeichen, sowohl der Gesundheit als der mische Revue. Zeitschriftfiir das lnternationale Hochschulwesen
Krankheiten" ( Onomatologia medica completa oder Medicini- 11 1896, S. 573-581 und 650-656, besonders S. 656.)
sches Lexicon das aile Benennungen und Kunstwiirter welche 14 Ein Postkarren ist ein zweiradriges Fuhrwerk, das insbe-
der Arzneywissenschajt und Apoteckerkunst eigen sind deutlich sondere zum Transport von Waren und Lasten verwendet
und vollstiindig erkliiret zu allgemeinem Gebrauch herausgegeben wurde (vgl. Johann Georg Kriinitz, Oekonomisch-technolo-
von einer Gesellschajt gelehrter Aerzte und mit einer Von·ede gische Encyklopiidie, oder allgemeines System der Staats- S:adt-
begleitet von Herrn D.Albrecht von Haller, Ulm, Frankfurt Haus- und Land-Wz'rthschaft und der Kunst-Geschzchte,
a.M., Leipzig 1755, Sp. 1215). 242Bde. Berlin 1773-1858, Bd. 35 8.162-198, Art. ,Kar-
8 ,Der Vorrath und Umfang aller Arzneyen und Huelfsmittel ren", besonders S. 169 -198).
zu Erhaltung des Lebens und der Gesundheit des Men- IS Eine Postchaise ist eine zwei- oder vierradrige, halboffene
schen" (Medicinisches Lexicon der Arzneywissenschqft undApo- Kutsche ohne Seiten- und Vorderwande, die fUr Reisen
teckerkunst (cf. A 15/ 7), Sp. 971). ,per Extrapost", d. h. zu besonderen Zeiten, gemietet werden
9 Die ,allgemeine Lehre von dem Heilen der Krankbeiten" konnte (vgl. Kriinitz, Encyklopiidie (cf. A 15/ 14), Bd. 8 S. 4-
(Medicinisches Lexicon der Arzneywissenschajt und Apotecker- 6, Art. ,Chaise" und Bd. 116 S. 237, Art. ,Postchaise").
kunst (cf. A 15/ 7), Sp. 1283). 16 Unter den Studenten des Stifts war bereits 1784 die kurze
10 Vgl. lat. formula medica - ,ein Recept, eine Vorschrift des Haartracht Mode gewesen. Sii.Bkind schrieb am 19 ... No-
Arztes von Arzneyen, welche man in der Apothek geben, vember 1784 an seine Mutter, nachdem er mehrere Grunde
zubereiten und zusammenmachen solle" (MedicinischesLexicon fUr die kurze Haartracht aufgeziihlt hat: ,Aus diesen Grun-
der ArzneywissenschajtundApoteckerkunst(cf. A 15/ 7), Sp. 671). den, u. weil ich iiberzeugt bin, d[ a]E es der l[ieben] Ma~a
11 Geburtshilfe. recht seyn werde, habe ich mir mein Haar auch abschne1den
12 Griech.: Fremdes. Hier sind wohl andere als medizinische lassen. Dem H[errn] Rep[etenten] R[eu.B] hates sehr wohl
Kollegien gemeint. gefallen; wann es sich bei den Rep [etenten] jezt schon schikte,

508 509
Kommentar zu den Briefen A 16 An Niethammer, 20. Januar 1792

so .wiirde Er es auch thun." (S. 2; in Privatbesitz.) Georg


David Reu!S (1757 -1831 ), der sich am 10. Dezember 1773 in die Matrikel Al6
der Universitiit einschrieb (MTh Nr. 37283 S. 258), als Stiftsstudent stu- Immanuel Carl Diez, Thhingen
dierte und von 1784 an Repetent war, war ein Cousin von Sii~k.inds (mit einem Nachsatz von Friedrich Gottlieb Siillkind)
Mutter. 1790 wurde er Diakon in Besigheim. (Vgl. Nachlcommen des August Freitag, den 20. Januar 1792
RezifS, Amtmanns zu Hon-heim und Hcfmeisters am Stromberg - geboren An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
1671 - gestorben 1745 - mit vorangeschilcter Ubersicht der Ascendenten und
Seiten- Verwandten desselben bis aifden Stamm- Vater Woljgang Reufl. Vl!ljaflt
nach dem Stande vom ersten September 1842, Stuttgart 1842, S. 22, vgl. Manuskriptheschreihung
S. 8, 16, 26, 32.)
17 Fiir den Text der Streichung (Textanmerkung a) vgl. A 12/ 18. Standort: Privatbesitz.
Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelb1att; Format in em (Hohe X Breite):
17,2-17,3 X 11-11,1; Riinder dreiseitig beschnitten; Bogenfaltung: 8°; Was-
serzeichen; Papierfarbe: chamois.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 von 2; Faltung: quer von
vorne nach hinten.
Besondere Bemerkungen: S. 1 oben rechts in Blei .,67".

Kommentar

1 Der Brieftext schlieEt ganz offenkundig an den Brief vom


5. Dezember 1791 (A 15) an, so daE die Jahreszahl zu ver-
iindern war. Verschreibungen der Jahreszahl zu Jahresan-
fang geschehen bekanntlich hiiufig.
2 Es handelt sich urn das Halbzitat einer schwiibischen Re-
densart, die vollstandig wie folgt lautet: ,Am Bempemper-
lestag, wenn die Eulen bocken." Der ,Bempemperlestag"
entspricht dem "Sankt Nimmerleinstag", also einem Tag,
der niemals kommt. "Wenn die Eulen bocken" driickt be-
wuEt Unsinn aus und soli die Unmoglichkeit unterstreichen,
daE dieser Tag jemals eintritt. (Vgl. SW I, Sp. 844, Art.
,Bempemperlestag", Sp. 1248 f., Art. ,Bocken" und SW IL
Sp. 895 f., Art. ~ule".)
3 Moglicherweise handelt es sich bei besagter Sante" urn
Christiane Elisabeth, geb. Kolle (1763 -1830), die etwa zwei
Monate nach der Nennung im Brief, am 29. Marz 1792, die
zweite Frau ihres Cousins Johann Adam Christian Kolle

510 511
Kommentar zu den Briefen A 16 An iethammer, 20. Januar 1792

(1745 -I8II ), Hofgerichtsassessor und Biirgermeister in Th- 11 Die friiheren Bediensteten des Stifts - die sogenannten
bingen, wurde. Christiane Elisabeth Kolle, Johann Adam ,Closter-Betterinnen" und ,Closter-Jungen" ( Visitations-Re-
Christian Kolle und auch Niethammers Mutter Eleonore cessus von 1757 (cf. A3/ I8), III§ I S. 43) -batten Anla:B
Elisabeth, geb. Dorner (1745-I780), standen der Geburt zur Unruhe im Kloster gegeben (vgl. Leube IIL S. 63 f.).
nach in einem Cousinenverhiiltnis zueinander. Fiir Johann Sie wurden durch vier Kloster- und I2 Stipendiatenbediente
Adam Christian Kolles Sohn aus erster Ehe, Christoph Friedrich Carl abgelost. Ein entsprechendes Schreiben des Konsistoriums
(1781-1848), der spiiter Legationsrat wurde, war Niethamrner nach dem vom 12. Dezember I791, betreffend ,6. Fam[uli], 4. Bediente
Konsistorialexamen, wiihrend er selbst als Senior im Stift lebte (vgl. (Aufwarter) und 12. Bediente statt der Jungen u. Betterin-
A 3/ 9), unter anderem als Hauslehrer (vgl. dazu auch Instruction for das nen", ist erhalten (AEvSt, K. V F. 17 Nr. I).
lnspektorat des Herzoglichen theo/ogischen Stifis zu Tiibingen, Stuttgart 1793, 12 In der von ibm geleiteten Repetition in der Woche nach
§ 21, S.12) tiitig. Nach Lupin, Niethammer (cf. A2/ 1), S. 9, unterrichtete Epiphanias zwischen dem 8. und dem 14. Januar I792
Niethammer drei Kinder. 1789 war von den urspriinglich drei Kindem Kolles behandelte Diez die ,aesthetica transcendentalis", in der
allerdings nur noch Christoph Friedrich Carl am Leben. (Vgl. ev. Kirchen- darauffolgenden Woche vom 15. his 21. Januar muEte er
registeramt Tt.ibingen, Familienregister zu Johann Adam Christoph von den Locus ,De mortu et resurrectione" halten (vgl. AEvSt,
Kolle, auch das Wirtembergische Ach·ifS-Buch (cf. A3/ 92), S. 36; Lupin, Niet- Amtsgrundbuch (cf. A2/ 3); Sartorius, Compendium (cf.
hammer, S. 9 und Faber, III. Fikler'sche Stiftung, §§ 787 Niecl1arnmer, 678, A 3/I7), Locus XXXII: "De Novissimis, speciatim de Morte
578, 679, 435 Kolle und 578, 711, sowie LIX. Kolle'sche Stiftung, B 1.2.) et Resurrectione mortuorum", §§ 635-660, S. 5I4-534.).
4 Vgl. A I2/ I8. Im Locus war Storr wahrscheinlich zugegen. Das konnte
5 Knochenlehre (vgl. Medicinisches Lexicon der Zergliedernngs- den Anla:B ftir die Auseinandersetzung gegeben haben, die
und Wundarzneywissenschojt (cf. A I5/ 5), Sp.ll96). sich aber bemerkenswerterweise iiber ,einigeO Tage" er-
6 Vgl. A I5/5. streckte (vgl. Cadi IX. 3).
7 Muskelansatze (vgl. Medicinisches Lexicon der Zergliedernngs- 13 Nach der Geschichte vom Siindenfall stellte Gott die Che-
und Wundarzneywissenschojt (cf. A I5/ 5), Sp. 864). rubim mit dem flammenden Schwert an den Zugang zum
8 Johann Amandus Andreas von Hochstetter (1745-1816), Lebensbaum im Garten Eden (1. Mose 3,24).
I785 -1806 Direktor des evangelischen Kirchenrates in 14 Vgl. A 13/2.
Wiirttemberg (vgl. Sigel, Das evangelische Wiirttemberg (cf. 15 Karl Felix Seyffer (1762-I822), aus Bitzfeld in Wtirttem-
A 5/5), Bd. I S. I95). Zur Funktion des Kirchenrates vgl. berg, studierte seit I780 in Thbingen (MTh Nr. 37932
A3/68. S. 298) und wurde 1789 auEerordentlicher Professor der
9 Vgl. Leube IlL S. 66 und Fritz; Schneiderhan, Baugeschichte Mathematik und Astronomie an der Philosophischen Fa-
( cf. A 6/52), S. 40 ff. Mit der I793 abgeschlossenen Stifts· kultat der Universitat Gottingen (vgl. Ebel, Catalogus Pro-
reform war ein gro:Berer Umbau des Stifts verbunden. fessorum ( cf. A 5/I6), S. I22; vgl. auch D 5/ 4I ). I804 wurde
10 Beim Konsistorium waren Klagen iiber den Stiftskoch Kug· er Vorstand der Sternwarte in Bogenhausen bei Miinchen.
ler eingekommen, der daraufhin mit einem Dekret vom Heinrich Eberhard Gottlob Paulus bezeichnete in einem
1. Dezember I79I entlassen wurde (HSA Stuttgart, A202 selbstbiographischen Beitrag von 1792 Seyffer als ,seinen
Bii 2563: Das theol. Stift und einzelne Stipendien, Fasz.l: Freund" (,Heinrich Eberhard Gottlob Paulus", in: Allge-
I790-91; vgl. auch AEvSt, K. IV F. I7 Nr. 2; ebenso Leube meines Magazin for Prediger, hrsg. von Johann Rudolph
III, S. 63). Gottlieb Beyer, Bd. 7 I792, S. 329-35I, S. 347). In einem

512 513
Kommentar zu den Briefen A 17 An Niethammer, 20. Februar 1792

Brief an die Mutter VOID Fruhjahr 1790 erwahnt Holderlin


einen Besuch Seyffers in Thbingen (StA VI, 1 S. 52 f., S. 52 Al7
Z. 48, vgl. insbesondere die Erlauterungen zur Briefstelle Immanuel Carl Niethammer, Tiihingen
und zu Seyffer StA VI,2 S. 555 f); und auch anderthalb Montag, den 20. Fehruar 1792
Jahre spater berichtet Schnurrer in einem Brief an Niet- An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
hammer vom 13. November 1791 von einen Besuch Seyffers
bei ihm (S. 1; cf. A 13/ 1).
16 Nicht weiter zu belegen. Offenbar ein Spitzname fur Gi:iritz. Manuskriptheschreihung
17 Zu SuEkinds Beziehung zu Goritz vgl. C 1 S. 168 Z. Sf. und
A 13/ 11. Standort: Privatbesitz.
Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblatt; Format in em (Hohe X Breite):
20,9-21,2 x 16,9-17; Rander beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen;
Papierfarbe: chamois.
Tinte: braun; Anzahl der b eschriebenen Seiten: 2 von 2; Faltung: quer von
hinten nach vorne, dann langs.

Kommentar

1 (Etwas) aufladen (vgl. Grimm XI, 2, Sp. 388).


2 Erst am 18. April 1792 erschienen im IB der ALZ Nr. 48,
Sp. 385-390, die Vorlesungsankundigungen. In diesen Vor-
lesungsankundigungen wurden keine Stunden angegeben,
weshalb Diez Niethammer darum bittet., sie ihm zu nennen.
3 Am 21. Februar 1792 wurde im Konsistorium Diez' Gesuch
urn Endassung aus dem Stift ohne Ruckforderung der fur
ihn aufgewendeten Kosten zur Entscheidung an den Herzog
weitergeleitet (LKA Stuttgart, A 3, Sitzungsprotokolle des
Konsistoriums Nr. 61 1792, fol. 86; vgl. auch A 18/ 1).
4 Johannes Elias Niethammer (1735-1805), Pfarrer in Beil-
stein (GMB).
5 Wahrscheinlich Niethammers Brief vom 3. Februar, fur den
Schnurrer in seinem Schreiben vom 6. Miirz 1792 dankte
(S. 1; DLA Marbach, 58. 452).
6 Hebr.: Friede (sei mit) dir. Peter Marinkovic, Munchen, sei
fur seine Hilfe bei der Drucklegung der hebraischen Text-
stellen gedankt.

515
514
Kommentar zu den Briefen A 18 An Niethammer, 2. Marz 1792
7 Aus welchem Grunde Diez sich hier dieser Abwandlung
des Namens ,.,Niethammer" hedient, war nicht zu ermitteln. Al8
8 Johann Gottlieb Friedrich Bohnenberger scbuldete Niet-
Immanuel Carl Diez, Tiibingen
hammer seit einiger Zeit Geld, wie aus einem Brief Johann Freitag, den 2. Marz 1792
Karl Friedrich Hauffs an Niethammer vom 12. November An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
1791 hervorgeht (S. 2; DLA Marbach, 58. 422).
9 Aufgrund des Kontextes, in dem es sich urn Geldfragen
handelt, lieEe sich vermuten, daB Johann Gottfried Camerer Manuskriptbeschreihung
(1726-1793), seit 1759 Hofmedikus in Stuttgart (vgl. Ca-
merer, Familiengeschichte ( cf. A 4/ 2), S. 33), gemeint ist. SuE- Standort: Privatbesitz.
kind hatte in einem Brief an die Mutter vom 2. Februar Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblattabschnitt; Format in em (Hohe x
1790 (S. 2; in Privatbesitz) den Wunsch geauEert, Camerer Breite): 9,3-9,5 X 16,3-16,6; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasser-
zeichen schwach erkennbar; Papierfarbe: chamois.
mage hei der Vermittlung eines Kirchenratsstipendiums fur Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 von 2; Faltung: liings von
seine gelehrte Reise nach Gottingen helfend tatig werden. hinten nach vorne.
Zu SiiEkinds Stipendium vgl. C 2/ 32. - Moglicherweise ist Besondere Bemerkungen: S. 1 Siegellackspur.
aber auch ein Bruder des Hofmedikus, der DuElinger Pfarrer
Johannes Camerer, dessen Vikar SiiEkind gewesen war (vgl.
C 2/ 31 ), oder aher sein Sohn Johann Wilhelm Camerer Kommentar
gemeint, mit dem SiiEkind von Gottingen a us korrespondiert
hatte (vgl. C4/19). Der Herzog dekretierte die Entlassung Diez' aus dem Stift
10 Eberhard Ludwig August Krippendorf (1766-1840), aus ohne Ersatz der ft.ir ihn aufgewendeten Kosten am 24.
derselben Promotion wie Niethammer (vgl. Leube IlL Februar 1792 (HSA Stuttgart, A 202 Bi.i 2564, Das theo-
S. 702), spater Vizekanzler des Oberhofgerichtes Mannheim. logische Stift und einzelne Stipendien, Fasz. 2: 1792-1 797,
Schnurrer schrieb im Zusammenhang mit der Neubesetzung Nr. 32). Vier Tage darauf lieE das Konsistorium das Dekret
von Repetentenstellen am 13. November 1791 an Nietham- von der Kanzlei ausfertigen (vgl. LKA Stuttgart, A 3, Sit-
mer (S. 4; cf. A 13/1): ,.,Krippendorf will nicht kommen. Er zungsprotokolle des Konsistoriums Nr. 61/ 1792, fol. 91; vgl.
speyt Blut und ft.irchtet das Predigen, i.iberdies ist er bey auch A 17/ 3).
seinem Herrn von Thrkheim herzlich vergniigt." Am 5. Ok- 2 Karl Philipp Conz (/') (1762-1827) studierte ab 1781 im
tober 1790 war Krippendorf die Erlaubnis erteilt worden, Stift (vgl. MTh Nr. 37831 S. 293), wurde 1789 zum Repe-
eine Hauslehrerstelle bei dem Geheimrat von Thrckheim tenten und wurde, unmittelhar nach einer ,.,gelehrten Reise"
in Altdorf anzunehmen (vgl. AEvSt, K. IV F. 10, 1 (128), durch Deutschland von Friihjahr 1792 his Marz 1793, auf
Vikariats-Befehle 1786-1790). die hier indirekt Bezug genommen wird und in deren Verlauf
er sich auch in Jena aufhielt (vgl. D 4/ 17), zunachst Vikar
des Predigers an der Karlsschule in Stuttgart, dann, noch
1793, Diakon in Vaihingen und 1798 zweiter Diakon in
Ludwigsburg. 1804 wurde er ordentlicher Professor ft.ir
klassische Literatur in Thbingen, nachdem er bereits 1801

516 517
Kommentar zu den Briefen A 18 An Niethammer, 2. Miirz 1792

augerordentlicher Professor geworden war. (Vgl. GMB; Re- 5 An der Universitat Jena wurden noch vor der Einrichtung
petentenmemorabilien (cf. A 13/ 6), S. 216; Magisterpro- cines eigenen Lehrstuhls 1803 kameralwissenschaftliche
gramm Tzibingen (cf. A 1/ 2) von 1783; auch Georg GleE, Vorlesungen angeboten (vgl. das deutsche Vorlesungsver-
Der schwabische Dichter Karl Philipp Conz 1762-1827, Diss. zeichnis z. B. vom Sommersemester 1792 und vom Win-
Thbingen, Calw 1913, S.3-17.) - Am 22.Februar 1792 tersemester 1792/ 93 im IB der ALZ Nr. 48 vom 18. April,
erhielt Conz 200 Gulden aus dem Studienfonds des Kir- Sp. 385-390, Sp. 388, und Nr. 117 vom 29. September 1792,
chenrats flir eine gelehrte Reise bewilligt (HSA Stuttgart, Sp. 961-966, Sp. 966; vgl. auch Hans Herz, Von Schillers
A202 Bi.i 713), am 4. Mai bekam er die Erlaubnis, die Berujung bis Fichtes Entlassung Vorlesungen an der philoso-
Reise wirklich anzutreten (AEvSt, K. II F. 26, 1 (60), Urlaub phischenFakultiitder Universitiit]ena 1789-1799, Jena 1989,
zu wissenschaftlichen Reisen 1581-1818). In einem unda· S. 67-71). Daneben existierte seit 1790/ 91 ein privates oko-
tierten Brief (vom Schiller-Nationalmuseum in Marbach auf nomisches lnstitut unter der Leitung des Universitatspro-
das Jahr 1793 datiert) an den Grafen Reinhard (DLA Mar- fessors Georg Stumpf. (Vgl. Wilhelm Stieda, Die National-
bach, 5604, S. 1) berichtet Conz i.iber seine Reise: ,Den Oiwnomie als Universitiitswissenschqft, Leipzig 1906 ( = Ab-
Mai desselben Jahres [1 792] trat ich meine Reise nach handlungen der philologisch-historischen Klasse der Konigl.
Sachsen, Berlin und Hamburg an, hielt mich den grosten Sachsischen Gesellschaft der Wissenschaften Bd. 25 Nr. 2),
Theil des vergangenen Winters in Gottingen auf und reiste S. 69-71 und 78-82.)
mit Prof. Staudlin im Marz wieder hieher, wo ich nun einst- 6 Johann Friedrich Marklin (1734 -1804 ), seit 1762 Diakon
weilen Prediger und Tugendlehrer an der Akademie bin in Waiblingen, 1767 dann in Thbingen, war von 1786 bis
und meiner bleibenderen Bedienstung v. Monath zu Monath 1791 vierter ( augerordentlicher) Professor fur Theologie
entgegenharre." (Vgl. auch D 5/ 44.) an der Universitat Thbingen und danach Herzoglich Wtirt-
3 Erst mit Schreiben vom 6. Mai 1793 ki.indigte das Konsi- tembergischer Rat, Probst und Generalsuperintendent zu
storium der Stiftsleitung die Publikation der neuen Statuten Denkendorf. Zum Sommersemester 1792 trat Johann Fried-
fi.ir Samstag, den 17. Mai 1793 an (AEvSt, K. II F. 13,1, rich Flatt seine Nachfolge in Ttibingen an. - Flatts Dispu-
Statuten fur Stipendiaten und Repetenten 1557- 1793). Vgl. tationsschrift pro loco: Observationes quaedam ad comparan-
auch Leube III S. 70 ff. dam Kantianam disciplinam cum christiana doctrina pertinentes,
4 Ludwig Friedrich Carl Eggel aus Hohenlohe (1772-1810) erschien im Marz 1792 in Thbingen. Der Magister Jakob
wurde am 26. April 1792 in Jena immatrikuliert (MJ). Er Friedrich Marklin, ein Neffe von Johann Friedrich Marklin,
hatte zuvor in Thbingen Jura studiert, wo er sich am 22. April war der Respondent. Christian Philipp Friedrich Leutwein (1768-
1790 immatrikuliert hatte (MTti Nr. 38733 S. 347). Er wurde 1838), Primus der Promotion, die der von Hegel und Marklin voraufging,
spater ftirstlich hohenlohischer Kammerassessor, Oberrentamtsassessor hat spater vermutet, daiS Rucksichten auf den Onkel, Johann Friedrich
und Generalkontributionskassierer in Ohringen (vgl. DeutscheJ' Geschlech· Miirklin, dazu beitrugen, daE der Neffe, Jakob Friedrich Marklin, kurz
terbuch. Genealogisches Handbuch biirgerlicher Familien, hrsg. von Bernhard nach dem Eintritt ins Stift in die Lokation von Hegel gesetzt wurde.
Koerner, Bd. 43 1923, S. 18). Ein L. Eggel a us Oehringen hatte sich in Vgl. Dieter Henrich, ,Leutwein uber Hegel. Ein Dokument zu Hegels
Thbingen am 19. Marz 1792 in das Stammbuch Johann Caspar Camerers Biographie", in: Hegel-Studien 3 1965, S. 39-77, S. 55. Zu Jakob Fried-
eingetragen (WLB Stuttgart, Holderlin-Archiv, Stammbuch Camere1; Ein- rich Marklin und zu Flatts Disputationsschrift vgl. Cadi
trag Nr. 48). - Sein Cousin Christoph Franz Carl Eggel studierte bereits XIII. 3.
seit dem Herbst des vergangenen Jahres in Jena (vgl. A 19/ 2). 7 Johann Heinrich Hochstetter (1764-1824) aus Stuttgart,

518 519
Kommentar zu den Briefen A 18 An Nietbammer, 2. Marz 1792

aus der Magisterpromotion von 1784 (vgl. MTii Nr. 38138 immatrikuliert, wurde am 25. September 1786 Magister, jedoch am
S. 311; Magisterprogramm Tiibingen (cf. A 1/2) von 1784), 10. Februar 1787 aus dem Stift dimittiert (MTt.i Nr. 38338 S. 324). In
war SchloEprediger von Dezember 1790 his Februar 1792 Jena studierte er Jura (vgl. Lupin, Niethammer (cf. A2/ 1), S. 10) und
und wurde am 16. Februar 1792 vom Konsistoriurn auf wurde spater Kanzleiadvokat. Seinen Eintrag in Nietbammers Stammbuch
eigenen Wunsch (den er mit seinen Vermogensverhiiltnissen aus Tt.ibingen vom 25. Juli 1786 erganzte er in Jena mit einer weiteren
begriindet hatte, die es ihm nicht erlaubten, ,ein Arnt in Unterschri.ft am 5. Juli 1790 (1. Ordnung Bl. 36'). Es ist nicht bekannt,
die Lange unentgeldlich zu verwalten" (AEvSt, K. I F.14 wie lange Fischer in Jena blieb (vgl. auch NA37,II S.336f., 486); man
(31 ), Schreiben vom 11. Februar 1792)) a us dies em Amt kann aber vermuten, daE Fischer Jena zumindest zeitweise verlassen
entlassen (LKA Stuttgart, A3, Konsistorialprotokolle 1792, hatte. Sofmdet sich bei Lupin,Niethammer, S. 12, dieNotiz,daE Nietbammer
S. SO und S. 76). Am 26. Juni 1792 wurde er Vikar in "tiber Erwarten", also gegen aile Erwartung, bei seiner Ankunft in Jena
GroEheppach, am 31. Juli 1792 Hauslehrer in der Schweiz im Frtihjahr 1790 (vgl. A2/ 1) seinen Freund Fischer antraf. Nach Lupin,
und (nach einer literarischen Reise im Jahr 1793) von Niethammer, S. 18, war FischerauchNietbammers Unterhandler beiEttinger
1793 his mindestens 1797, sehr wahrscheinlich aher bis in Gotha, wohin Niethammer Ende April oder Anfang Mai 1791 ging
zu seiner Berufung als Pfarrer in Degenfeld am 4. August (vgl. A 6/ 36). Schnurrer teilte Nietbammer am 7. Dezember 1791 mit,
1799, Vikar in Kirchheim unter Teck. 1801 wurde er Diakon daiS er einen Brief an Paulus geschickt babe, in den ein weiterer an
in Tuttlingen, 1812 Stadtpfarrer in Lauffen a.N. - tiber Nietbammers Freund Fischer eingeschlossen sei. Ferner teilte Schnurrer
den von Diez erwahnten ProzeE lieE sich im Stift und im mit, Fischer babe ihm am 13. Oktober 1791 geschrieben, daiS er in
Konsistorialarchiv nichts ermitteln. - Die SchloEprediger Stuttgart ein Reisestipendium beantragt babe, was aber keine Aussicht
waren examinierte Stiftler, die nicht ganz den Repetenten auf Erfolg babe (S. 1; cf. A 13/ 3). Aufgrund dieser Mitteilungen kann
gleichgestellt waren und die den Gottesdienst auf dem man vermuten, daiS sich Fischer zum Zeitpunkt des Briefes in Jena
Tiibinger SchloE zu versehen hatten. (GMB; LKA Stuttgar~ aufhielt. - Eine Ubersicht tiber weitere Schwaben, die sich in Jena
28,828 (Degenfeld) und 4681 (Thttlingen); AEvSt,K. IF. 8,3 aufhielten, la/St sich nur ft.ir diejenigen gewinnen, die sich in die Uni-
und 8,4 (16), Semesterberichte, auEerdem K. IV F. 13,1, versitatsmatrikel eingetragen haben. Sie seien bier aufgeft.ihrt, obwohl
SchloEprediger; vgl. Stifts-Statuten von 1752 (cf. A3/18), nur von wenigen feststeht, daiS Diez sie frtiher oder spater kennenlernte,
Kapitel 6 § 1, S. 59 f., und Stifts-Statuten von 1793 (cf. A 3/77), zumal auch keiner von ihnen zuvor in 'llibingen studiert hatte. Karl
§ 22 S. 15 f.) Am 19. September 1786 hat sich Hochstetter Friedrich Eckbrecht von Dtirckheim war seit dem 1. Mai 1790 unter der
in Niethammers Stammbuch eingetragen (1. Ordnung Herkunftsbezeichnung Schwaben in Jena immatrikuliert (MJ), obwohl
Bl. sr). er in Regensburg geboren und in Meiningen aufgewachsen war (vgl.
8 Diez' Empfehlung an ,unsere Landsleute" wird den Schwa- NA 26 S. 403 und D 3/ 45); ob Dtirckheim tiber das Wintersemester
ben gegolten haben, mit denen Niethammer umging und 1790/ 91 hinaus in Jena blieb, ist unsicher (vgl. NA26 S.403, 511); da
denen Diez auch in etwa schon bekannt war. Das gilt neben Diez ihn aber in seinem Brief an die Eltern von Ende Mai, Anfang Juni
den Professoren Schiller und Paulus vor allem ftir Ludwig 1792 (D 3 S. 291 Z. 13) erwiihnt, ist es eher wahrscbeinlich, daiS er auch
Friedrich Goritz, der sich am 11. Mai 1791 in Jena irnma- zum gegenwiirtigen Zeitpunkt in Jena studierte. Auch die im folgenden
trikuliert hatte (vgl. A 13/11). Moglicherweise hat der GruiS auch Brief genannten Hohenloher Studenten Christoph Franz Carl Eggel (1772-
Niethammers Freund und Kompromotionalen Karl Gottlieb Fischer (geb. 1810), ein Mediziner, Christoph August Schmid und Georg Will1elm
1766, gest. nach 1815) gegolten, der sich am 23. Oktober 1787 in Jena Friedrich Meister ( vgl. A 19 mit A 19/ 2-4) wird Diez frtihestens in Jena
immatrikuliert hatte (MJ). Fischer, in Ti.ibingen am 19. Oktober 178 4 kennengelernt haben. Am gleichen Tag wie Meister, dem 7. Mai 1791,

520 521
Kommentar zu den Briefen A 19 An Niethammer, 16. April 1792

wurde in Jena Johann Christian Georg Herwig (geb. urn 1786, gest.
1839) aus Hohenlohe immatrikuliert (MJ). Er wurde spiiter Dekan Al9
und Stadtpfarrer in Esslingen. Zusammen mit Johann Heinrich Christoph Immanuel Carl Diez, Erlangen
August Schmid batten sich am 18. Oktober 1790 in Jena die Hohenloher Montag, den 16. April I 792
Studenten Christian Friedrich Ernst Diezel (1771-1829, spiiter Hofkaplan, An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
1808 Priizeptor in Weikersheim, 1809 Pfarrer in Nassau, 1827 in Hol-
lenbach) und Carl Chr. Kretschmer (geb. 1773, 1803 Regierungsrats-
sekretiir, spiiter Regierungsrat in Kirchberg, 1811 Justizrat in Ulm)
Manusk.riptbeschreibung
sowie am 28. Oktober 1790 Karl Friedrich Daniel Mayer und am 22.
April 1790 Ludwig Ernst Jan (1771-1838, 1798 Vikar in Buchenbach,
Standort: Privatbesitz.
1801 Pfarrer in Adolzhausen, 1806 Ohrnberg, 1824 in Schrozberg) Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblattabschnitt; Format in em (Hohe x
und Christian Heinrich Wengert (1771-1821, Studium in Jena bis Breite): 15,3 -15,5 X 18,4; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 2° (?); Papierfarbe:
zum Friihjahr 1792, Hauslehrer bei einer adeligen Familie in Karlsruhe, chamois.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 1h von 2 (und AdreEfeld
1800 Hofkaplan und Priizeptor in Weikersheim, 1806 Pfarrer in Adolz- S. 2); Adresse: ,An I Herm Magister Niethammer I in I Jena. I frei.", Priigestempel
hausen, 1809 in Neunkirchen) immatrikuliert. (Vgl. MJ und Baden- ,Erlang[en)"; Faltung: quer von hint en nach vorne, dariiber Brieffaltung ( schlieEt
Wii.rttembergirches lfarrerbuch, hrsg. im Auftrag des Vereins ftir Kircheo- nicht auf der Riickseite).
geschichte in der evangelischen Landeskirche in Baden und des Vereins Besondere Bemerkungen: Im Papier zeichnen sich auffallige, quer zu den Stegen
verlaufende Doppeldriihte in 8 mm Abstand zueinander ab.
ftir wiirttembergische Kirchengeschichte, Karlsruhe, Stuttgart 1981 ff.,
Bd. IL2 Nr. 395 S. 68, Nr. 1190 S. 203, Nr. 1464 S. 251, Nr. 2883 S. 494.)

Kommentar

1 19. April 1792.


2 Christoph Franz Carl Eggel (1772 -181 0) a us Schafftersheim
in Hohenlohe-Ohringen, an der Hohen Karlsschule am
26. April 1790 immatrikuliert (MSt Nr. 1376 S. 41 0), in Jena
am 21. Oktober 1791 immatrikuliert (MJ), spater furstlich
hohenlohischer Hofrat und Stadtarzt (vgL Baden-Wiirttem-
bergisches Pfarrerbuch (cf A 18/8), Bd. II,2 Nr. 479 S. 82
(7. Kind von Franz Carl Eggel) und Deutsches Geschlechterbuch
(cf A 18/4), Bd. 43 1923, S. 5, 18, 26)-- Mit seinem Cousin
Ludwig Friedrich Carl Eggel reiste Diez nach Jena (vgl.
A 18/4).
3 Johann Heinrich Christoph August Schmid (geb. 1771),
immatrik.ulierte sich am 18. Oktober 1790 unter der Her-
kunftsbezeichnung ,Hohenloic[us]" in Jena (MJ). (VgL Ba-
den-Wiirttembergisches Pfarrerbuch (cf. A18/8), Bd.II,2

522 523
Kommentar zu den Briefen A 20 An Niethammer, 20. April 1792

Nr. 2315 S. 396 (2. Kind des Christian Ludwig Moritz


Schmid).) A20
4 Georg Wilhelm Friedrich Meister (1772-1849) immatrik.u- Immanuel Carl Diez, Uhlstadt
lierte sich am 7. Mai 1791 unter der Herkunftsbezeichnung Freitag, den 20. April 1 792
,Hohenloicus" in Jena (MJ). 1801 wurde er Pfarrerin Scbiiff- An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
tersheim und 1811 Diakon und Pri.izeptor in Weikersbeim.
(Vgl. Baden-Wiirttembergisches lfarrerbuch ( cf. A 18/8),
Bd. IL 2 Nr. 1703 S. 290 f.) Manuskriptbeschreihung

Standort: Privatbesitz.
Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblatt; Format in em (Hohe x Breite):
18,9-19,1 X 16,2-16,6; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen;
Papierfarbe: chamois bis grau.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 von 2; Faltung: quer von
hinten nach vorne, dann 3 Liingsfalten.

Kommentar

1 Uhlstadt ist heute eine Gemeinde im Kreis Rudolstadt (vgl.


Miillers gr<?fles deutsches Ortsbuch. Bundesrepublilc Deutschland.
Vollsttindiges Gemeindelexilcon, bearb. von Joachim Muller,
Wuppertal 25 1994/95, S. 1009).
2 Das Wirtshaus Schwarzer Bar, in der Zwatzenvorstadt ge-
legen, war eines der traditionsreichen, renommierten Wirts-
hauser in Jena (vgl. Johann Ernst Basilius Wiedeburg, Be-
schreibung der Stadt lena nach ihrer Topographisch-Politisch-
und Alcademischen Veifassung, Jena 1785, S. 293).
3 Vgl. A 15/ 15 und Diez' Reisebeschreibung im Brief an die
Eltem vom 21.-30. April1792 (D 2 S. 269 Z. 6-9 mit D 2/ 37).

524 525
2.
Kommentargruppe B:
Schriften
B 1 Unterschrift unter die symbolischen Bucher

Bl
Immanuel Carl Diez
Uber die RechtmaEigkeit der Unterschrift
unter die symbolischen Bucher
(Vor dem 25. April 1790)

Manuskriptheschreibung

Standort: UBT, Md 329.


Anzahl der Lagen und Blatter: 2 Einzelbliitter, dann Lage mit 3 Doppelbliittern;
Format in em (Hohe x Breite): 21,4-21,6 x 17,6-17,7; Riinder beschnitten;
Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen nur im 1. und 3. Doppelblatt; Papierfarbe:
chamois.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 12 von 16; Faltung: quer von
vorne nach hinten.
Besondere Bemerkungen: gefalzter Seitenrand von ca. 5,5 em; Papierqualitiit
entspricht der von A 1 und A 14.

Kommentar

Zu dieser Schrift vgl. auch die Erlauterungen des Begleittextes


Die symbolischen Bucher (VI2), besonders S. 961-970.

1 Die Abhandlung entstand vor dem 25. April 1790, was


daraus deutlich wird, daE Diez in seinem Brief an Gros
von eben diesem Datum (A 1) auf sie Bezug nimmt (vgl.
A 1 S. 7 Z. 3 f. und A 1/3). Das Problem, welches die Schrift
behandelt, wird in SiiEkinds Briefen (vgl. C 4 und C 5)
weiter diskutiert.
2 Vgl. hierzu Die symbolischen Biicher (VI 2), S. 924 f.
3 Dieser Satz ( dt.: ,Diese Biicher unterschreibe ich mit auf-
rich tiger Gesinnung und Hand") war mit der Zeit zu einer
Formel geworden, mit der die Unterschrift derer, die in
der wiirttembergischen Kirche ein Lehramt erhalten soli ten,
zu vollziehen war. Allerdings wurden, zumal in friiherer
Zeit, auch andere Formeln gebraucht. Im Universitatsarchiv

529
Kommentar zu den Schriften B l Unterschrift unter die symbolischen Bi.icher

Thbingen (UAT l/8) befindet sich ein Exemplar des Kon- gleichheit mit dem Vater vertrat auf der Reichssynode von
kordienbuches Christliche widerholete einmiitige Bekentniir Nicaa Athanasius von Alexandrien (295-373 n. Chr.). Er hat
nachben_anter Chuifiirsten I Fiirsten und Stende Augspurgischer damit den Grund fur das Dogma von der Dreieinigkeit
Conjesszon I und derselben zu end des Buchs unterschribnen gelegt. Eben dieses Dogma bestreitet der ,Sozinianismus",
Theologen Lehre und Glaubens: Mit angehiffter I in Gottes eine nach Fausto Sozzini (1539-1604) benannte antitrini-
Wo_rt I als ~er einigen Richtschnur I wolgegriindter erkliirung tarische Bewegung, die in Polen begann und sich nach
etlzcher Artzckel I bey we!chen nach D. Martin Luthers seligen 1600 in Westeuropa ausbreitete. Der Ausdruck ,Sozinianer'
absterben I Disputation und Streit vorgejallen. Aufi einheffiger wird auch synonym mit ,Unitarier' als Sammelname fur
vergleichung und bejehl obgedachter Chuifiirsten I Fiirsten und diejenigen Christen gebraucht, die die Dreieinigkeitslehre
Stenden derselben Landen I Kirchen I Schulen und Nachkommen ablehnen. (Vgl. W. Schneemelcher, ,Arianischer Streit", in:
I zum unterricht und warnung in Druck voifertiget, Tiibingen RGG Bd. 1 Sp. 593-595; H. R. Guggisberg, ,Sozinianer",
1580, an dessen Ende Professoren aller Fakultaten ihre in: RGG Bd. 6 Sp. 207-210; W. Pannenberg, ,Christologie
Unterschrift leisteten (vgl. C 4/ 21 und Bildteil (VII) Ab- II. Dogmengeschichtlich", in: RGG Bd. 1 Sp. 1762-1777, bes.
bildung 10). Sp. 1765 f.) Die Verteidigung der Thinitatslehre vor allem
4 Die Wendung ,,n der Tat ..." deutet an, daE Diez vor dem gegen Sozinianer war eine der wichtigsten Aufgaben der
Hintergrund einer Debatte iiber die Unterschriftsformel ,Apologie" der protestantischen Orthodoxie in der Ausbil-
schreibt, an der unter anderem Gros (vgl. A 1), Klett (vgl. dung der Theologen (vgl. Sartorius, Compendium (cf.
C 4 S. 201 Z. 22 f.), Su:Ekind (vgl. C 4, C 5), Brastberger A3/ 17), Locus IV ,De Deo ut Thino" (cf. A 11/ 13), vor
( vgl. C 4 S. 197 Z. 11-26) und ein Camerer, moglicherweise allem die Antithesis § 103 S. 111 f.; vgl. auch Kolb, Aujlclii-
Johann Wilhelm Camerer (vgl. C 4 S. 195 z. 18 - 8.196 :!1-ng (cf. A4/ 24), S. 45-54).
Z. 12 und C 4/ 19), beteiligt gewesen sein werden. Vgl. 8 Ahnlich auEerte sich Christian Friedrich Duttenhofer (1742-
hierzu Die symbolischen Bucher (VI 2), S. 94 7 ff., 970ff., 1814), der seit 1780 Prediger an der Nicolaik.irche in Heil-
977 ff. und 981. bronn war, in seiner Vorrede zu der von ihm herausgege-
5 Zum Konsistorium vgl. A 3/ 68. benen Schrift Brastbergers Ueber den Ursprung und Werth
6 Nicht die Magisterkandidaten, also die Stiftler im zweiten der kirchlichen Gewohnheit, durch Symbolische Schriften den
Jahrgang (vgl. A 5/ 10), sind hier gemeint, sondern die Kan- lnnhalt der christlichen Religion Jestzusetzen ( cf. A 4/ 24). In
didaten fur eine Pfarrei oder ein anderes Lehramt, vor Abkehr von seiner noch in der Schrift Freymiithige Unter-
dessen Antritt die Unterschrift unter die symbolischen Bu- suchungen iiber Pietismus und Orthodoxie, Halle 1787, S. 136 f.,
cher gefordert war. behaupteten Position sprach sich Duttenhofer hier ftir eine
7 Zum Begriff der ,Orthodoxie" vgl. Moglichkeit einer Of- ,Aufhebung der Verbindlichkeit der symbolischen Schrif-
fenbarung (VI3), S. 1000 und 1003. Der ,Arianismus" ist ten" aus und begriindete dies mit einer Uberlegung, die
die von Arius von Alexandrien (gest. ca. 335 n. Chr.) urn ihm auch durch ,die Erfahrung versichert" sei. ,Wenn auch
die Wende vom dritten zum vierten Jahrhundert begri.indete die Zuhorer da, wo mehrere Lehrer sind, verschiedene oder
und auf der Reichssynode von Nicaa 325 n. Chr. verworfene gar einander widersprechende Lehrmeynungen vortragen
Lehre von der Geschopflichkeit Christi und seiner bloEen horen", so werden die ,Redlichen und Rechtschaffenen"
Wesensahnlichkeit mit Gottvater. Die gegen Arius siegreiche unter ihnen doch nach eigener Priifung und eigenem Nach-
Lehre von der vollen Gottheit Christi und seiner Wesens- denken ,Grunde und Lehren genug finden, die nicht wi-

530 531
Kommentar zu den Schriften B 1 Unterschrift unter die symbolischen Bucher

dersprochen, nicht in Zweifel gezogen oder geliiugnet wer- hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck,
den, und woran sich also ihr Glauhen fest genug halten Bd. 4 Stuttgart 1978, S. 875-897, S. 875). Der Kirchenrat
kann". (Vorrede S. 4 f.) In Heilbronn, das als Reichsstadt nicht zum konnte seine Aufsichtsfunktionen bis auf die unterste Ehene
Herzogtum Wurttemberg gehorte, bildeten die neun Geistlichen der der Gemeindepfarrer durch regelmiiEige Visitationen der
lutherischen Stadt- und Landpfarreien das dem wi.irttembergischen Kon- ihm subordinierten General- und Spezialsuperintendenten
sistorium vergleichbare "geistliche Ministerium" (vgl. Moriz von Rauch, ausi.ihen. (Vgl. Brecht, Kirchenordnung ( cf. A 3/ 18), S. 36-
~eilbronn in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts", in: Bmchte des 38; Die symbolischen Bucher (VI 2), S. 970 ff.; ferner auch
Historischen Vereins Heilbronn 9 1909, S. 32 -73, S. 71 f., wo auch von A3/ 68 und A 10/ 17.) - Vgl. die von Diez in seinem Brief
Auseinandersetzungen zwischen den lutherisch Orthodoxen, Pietisten an Niethammer vom 13. November 1791 uber den Gene-
und Rationalisten berichtet wird).- Duttenhoferwar nach seinero Studium ralsuperintendenten Dapp berichtete Episode (A 13 S. 87
in Thbingen (MTti Nr. 35566 S. 181) unter anderem auch zwischen 1771 Z. 6-11 und A 13/6).
und 1777 Diakon in Niethammers Heimatstadt Beilstein. Vgl. auch 14 Vgl. griech.: 6 ouxocpaVtY]s;- der Denunziant., Verleumder.
Die symholischen Bucher (VI 2), S. 948. Von ,.,Polizeikommissiiren und Sykophanten" spricht Diez,
9 In der Markgrafschaft Baden war 1788 die eidliche Lehr- ebenso wie von den ,Ohern", in Ahstraktion von den wurt-
verpflichtung auf die symbolischen Bucher aufgehohen wor- tembergischen Verhaltnissen. In Anwendung auf diese Ver-
den (vgl. Friedemann Merkel, Geschichte des evangelischen hiiltnisse sind die ,.,Polizeikommissare" wohl die Visitatoren,
Bekenntnisses in Baden von der Reformation bis zur Union, also die Superintendenten (vgl. A 3/68 und B l/13), und
Karlsruhe 1960, S. 158f.). als ,Sykophanten" kommen die im Briefvom 13. November
10 Vgl. A 3/68. von Diez genannten ,scabini" in Betracht (A 13 S. 87 Z. 10,
11 Im Landeskirchlichen Archiv in Stuttgart fmden sich so- vgl. A 13/ 7).
genannte ,Theologische Bedenken' verschiedener Theolo- 15 Vgl. lat.: deferre - in juristischem Kontext soviel wie hin-
gen gegen die Lehre vom Ahendmahl des Pfarrers Bartho- terbringen, anzeigen, anklagen oder, wenn es, wie hier,
lomiius Hagen in Dettingen unter Teck (A 26, 717). Hagen i.iher Denunzianten gesagt wird, denunzieren.
(auch Haag oder Hag) war von 1554 his 1569 Pfarrer in 16 Vgl. A 1 S. 8 Z. 20 und A 8 S. 61 Z. 6.
Dettingen und kam durch eine Korrespondenz mit Calvin 17 Vgl. Lk 14,26 f.: Jesus verlangt, neben Vater, Mutter, Weib,
in den Verdacht des Calvinismus. Vor den Synodus (vgl. Kindem, Schwestern und Brudern auch sein eigenes Leben
A 3/68) heschieden, widerrief er 1559 seine abweichenden zu hassen, urn sein Junger sein zu konnen. Dem Pfarrer
Lehren und unterzeichnete das wlirttembergische ,Giau- mit Weib und Kindem wiirde es noch schwerer als dem
henshekenntnis vom Nachtmahl". (Vgl. GMB.) Dieses Glau- theologischen Kandidaten fallen, dem Gebot des Gewissens
hensbekenntnis wurde spiiter durch das Konkordienbuch und damit Jesus selbst zu folgen und aufrichtig zu bleiben.
ersetzt ( vgl. Die symbolischen Bucher (VI 2), S. 933- 935). Diez begrundet also die UnrechtmaEigkeit der Forderung
12 Die (in der Reformation) wiedererstehende Kirche. der Unterschrift unter die symbolischen Bucher auch mit
13 Hier ist wohl Polizei in einer fri.ihmodernen Wortbedeutung Berufung auf Jesus selbst.
aufzufassen, niimlich als Herstellung und Wahrung eines
Zustandes guter Ordnung des Gemeinwesens (vgl. Franz-
Ludwig Kneymeyer, Art. ,.,Polizei", in: Geschichtliche Grund-
begrijfe. Historisches Lexilwn zur politisch-sozialen Sprache,

532 533
Kommentar zu den Schriften
B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (friihere Fassung)

Gottingen studierte (vgl. seine Briefe der Gruppe C), von


B2
Diez zur Prufung zugesandt. Die Sendung wird Gottingen
.. Immanuel Carl Diez
in der Woche vom 13. his 19. Februar 1791 erreicht haben,
Uber die Moglichkeit einer Offenharung (friih·ere .rv assung)
was daraus geschlossen werden kann, daE SuEkind am
(Mitte his Ende Januar 1791)
26. Februar 1791 , einem Samstag, an Diez schrieb, der Auf-
satz sei , vorige Woche" eingetroffen (vgl. C 9 S. 230 Z. 3f.).
SuEkinds Kommentare frnden sich im selben Brief S. 235
Manuskriptheschreihung Z. 11 ff. In seiner Antwort bedient sich SuEkind der Pagi-
Original: nierung der erhaltenen Abschrift des Diezschen Original-
textes (vgl. ebd.). Wahrscheinlich hat er mit seiner Bitte
Standort: UBT, Md 329. VOID 2. Dezember 1790 ( vgl. c 6 S. 219 Z. 9 -11 ), Diez moge

Anzahl(H.. hder LaBge~ und Blatter: 3 Lagen mit je 2 Doppelhlattern- Format in ihm seine Grunde fur die Leugnung der Moglichkeit einer
em 0 e X re1te): 20 9-212 x 17.4 1 ·· ' . Offenbarung ,noch einmal mit der moglichsten Deutlichkeit
Bo enfalt . o. ' . ' . .' - 7,7; Rander nur ohen beschrutten;
g. . ung. 4 , Wasserze1chen m heiden Doppelblattern der 1. und 3. Lage, und Popularitat" vorlegen, zumindest einen der Anlasse zu
s~Wie Im 2. Doppelblatt der 2. Lage; Papierfarhe: chamois.
Tmte: dunkelhraun· Anzahl d b ch · b S . dem Aufsatz gegeben. In der Argumentation knupft Diez
S. 1-1 , _ ' er es n e enen elten:21von24; Paginierung:
. 7 d 20 21 (Korrektur von D1ez auf S. 20); Faltung: liings von vorne nach an eine Rezension von Johann Friedrich Kleukers Neue
h rnten, ann quer. Priijung undErkliirung der vorziiglichstenBeweisefor die Wahr-
~~~ndere Bemer~~gen: gefalzter Seitenrand von ca. 6,7 em; S. 1 Stempel der heit und den gottlichen Ursprung des Christenthums, wie der
und Ullt Ble1 S1gnaturvermerk.
0./fenbarung iiberhaupt. Zweyter Theil, welcher eine Kritik der
neuesten Philosophie der Religion enthiilt, Riga 1789, an, die
am 29. Dezember 1790, also nach SuEkinds Bitte, in der
Abschrift:
ALZ erschien ( cf. B 2/ 5) und als weiteres veranlassendes
Standort: UBT, Md 329. Moment in Frage kommt. Der Aufsatz kann fruhestens urn
Anzahl ..der Lagen und Blatter: 2 Lagen mit je 2 Doppelhlattern; Format in Mitte Januar begonnen worden sein. - Vgl. Diez' Bericht
~~ ~ohe ~ Bre.ite): .21,4-21,5 X 17,8; Riinder heschnitten; Bogenfaltung: an Niethammer vom 9. Miirz 1791 (A 7 S. 57 Z. 10 - S. 58
, a~serzeichen m he1den Lag en n ur jeweils im ersten Doppelhlatt- Papierfarbe: Z. 8).
ch am01s. '
2 Dies tut zum Beispiel Hermann Samuel Reimarus im zweiten,
Tinte: schwarz .(Schreib
. ) h
er , raun en· ) .
1ez ; Anzahl der heschnehenen Se1ten: ·
16 von 16; Pagiruerung: 1-9a, 9h-15 (Diez). 1777 von Lessing herausgegebenen , Wolfenbutteler Frag-
Besondere Bemerkungen: schwach gefalzter Seitenrand von ca. 2,1 em. ment'' mit dem Titel: , Unmoglichkeit einer Offenbarung,
die aile Menschen auf eine gegrundete Art glauben konnten"
( Gotthold Ephraim Lessings siimtliche Schriften, hrsg. von Karl
Kommentar Lachmann, 23 Bde. Leipzig, Stuttgart 3 1886-1924, Bd. 12
S. 316-358; vgl. besonders S. 358). Vgl. auch Moglichkeit
z~. d~eser Schrift vgl. auch die Erlauterungen des Begleittextes einer Offenbarung (VI 3), S. 1006ff.
Moghchkeit einer Offenbarung (VI 3), besonders S. 1013-1022. 3 Zum Naturalismusbegriff vgl. C 5 S. 206 Z. 3 - S. 208 Z. 4
und Moglichkeit einer Offenbarung (VI 3), S. 989 ff.
1 Diesen Aufsatz erhielt SuEkind, der seit dem Mai 1790 in 4 Kleuker, Neue Priifong (cf. B 2/ 1). Das Gesamtwerk, dem

534 535
Kommentar zu den Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (friihere Fassung)

dieser Band zugehort und dessen erster Band 1787 erschien, geben kann), miillte seine Existenz also dadurch bewiesen
galt sehr bald als eine wichtige Leistung derprotestantischen werden., daiS man zeigte, wie Gott nach den Kategorien der
A~ologie. _Johann Fri~drich Kleuker (1749-1827) begann Relation mit sinnlich gegebenen Vorstellungen von Gegenstiin-
sem Studmm der Ph1losophie und Theologie an der Uni- den in Zusammenhang steht. Dies ist aber nach Kant unmoglich.
ver~itat _Gottingen__ 1770. 1778 wurde er Rektor am Gym- 8 Vgl. lat.: invidiosus - Neid erregend, verha:Bt, millfallig.
nasmm m Osnabrock und erhielt sieben Jahre nach seiner 9 Die terminologische Fassung der Unterscheidung zweier
theologischen Promotion 1791 einen Ruf als vierter or- Naturbegriffe, eines formalen und eines materialen, ist spe-
dentlicher Professor der Theologie in K.iel. zifisch Kant eigen. Diez setzt sie in Klammern, da er eine
5 ALZ Nr. 388 vom 29. Dezember 1790, Sp. 809-816. Diez Unterscheidung einfuhrt, die ~ach dem allgemeinen Einver-
hat die Bedeutung der in der Folge haufig zitierten und stiindnis" erfolgt und der Kants nicht genau entspricht. Kants
diskutierten Rezension sogleich erkannt. Karl Friedrich Unterscheidung betrifft die innere Verfassung von Dingen
Staudlin zitierte diese Rezension in seinen ldeen zur Kritzlc und die Gesamtheit der Erscheinungen, sofern diese durch
des Systemes der christlichen Religz"on, Gottingen 1791, § 60 die dynamischen Kategorien - in ihrem zeitlichen ~asein"
S. 210. In Flatts Disputationsschrift pro loco von 1792, Ob- - gedacht werden ( vgl. KdrV A 418 f./B 446 und die Vorrede
seruat£ones (cf. A 18/ 6), §X S. 21 Anm. 47, wird sie dann in zu Metaphysische Anfangsgriinde der Naturwissenschajt CAJ:
unmittelbarem Zusammenhang mit Argumenten erwahnt, IV, S. 467)). Von dem so definierten Sinn der Unterschei-
von denen anzunehmen ist, daE Flatt sie dem EinfluE von dung weicht Kant jedoch mitunter ab (KdrV B 163-165).
Diez zuschrieb (vgl. Gadl VIII. 3 und IX. 3). Der Verfasser 10 Eine Version des dritten Hauptbeweises ftir die Wahrheit
der Rezension la:Bt sich noch nicht verla:Blich nachweisen. der christlichen Lehre (vgl. A 3 S. 18 Z. 33 - S. 19 Z. 3 und
Er gehort aller Wahrscheinlichkeit nach in den Umkreis A 3/ 13 sowie Moglichkeit einer Offenbarung (VI3), S. 992ff.).
von Carl Christian Erhard Schmid, der auch selbst als Ver· 11 Vgl. z. B. Christian Wolff, Cosmologia generalis, Frankfurt,
fasser in Betracht kommt (vgl. Schonfu:B, Allgemeine Lite· Leipzig 1731 (zitiert nach 2 1737, in: Christian Wolff, Ge-
ratur-Zeitung ( cf. A 10/ 12), S. 36, und Cadi V. 2). sammelte Werke, Bd. II,4 ), §§ 509 f., S. 394; Christian August
6 ,Rezension von Kleukers Neuer Priifung" ( cf. B 2/ 5), Crusius, Entwuifdernothwendigen Vernunft-Wahrheiten, Leip-
Sp. 814. Die zitierte Passage entspricht dem Wortlaut der zig 1743 (zitiert nach 2 1753), § 361, S. 697.
Rezension, die Auslassung eines Kommas vor dem letzten 12 Zu dieser Textpassage, inklusive der Streichung d, die ~nten
"und" und einem ,zwar" vor "Vernunfterkenntnis" ausge· (S. 136 Z. 5) als lateinisches Schlu:Bwort (vgl. B 2/ 38) Wieder
nommen. auftaucht, vgl. KdrV A57f./B 82f.
7 Vgl. oben S.117 Z. 27 - S. 118 Z. 4 das Zitat aus der ,Re- 13 Vgl. unten S. 134 Z. 6 mit B 2/ 32 und S. 136 Z. 1.
zension von Kleukers Neuer Priifung" ( cf. B 2/ 5). In diesem 14 Vgl. unter anderem Jer 11,20, 17,10 und Offb 2,23.
Zitat win:!, jedenfalls nach Diez' Auffassung, auf ein Kantisches 15 Lat.: Bei den Wortern (= bei der Formulierung) laEt uns
Theorem angespielt, welches im zweiten Postulat des empi· nachsichtig sein! - Hier soviel wie: Mit dem Wortlaut wollen
rischen Denkens aus der KdrV (A218/ B266) ausdrucklich wir es nicht so genau nehmen! .
formuliert ist: "Was mit den materialen Bedingungen der Er· 16 Kant und Reinhold. Diez ftihrt sie nicht namentlich an,
fahrung ( der Empfindung) zusammenhangt, ist wirklich." weil er gema:B dem, was er auf S. 119 Z. 1?f sagt, -~ei~e
Wenn Gott nicht unmittelbar durch die Sinne vorgestellt wer- Ausftihrungen von der kritischen Philosophie unabhang1g
den kann (wenn es keine unmittelbare Empfmdung von Gott zu halten versucht.

536 537
Kommentar zu den Schriften B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (friihere Fassung)

17 Vgl. aber unten S. 135 Z. 17-19. 27 Vgl. B 2/ 22.


18 Diez zitiert den Passus von ,Denn obgleich Hypothesen 28 Vgl. lat.: provocare ad - appellieren an, sich berufen auf.
[... ]" ~is ,apodiktisch gewiE sei" wortlich (Hervorhebung 29 Vgl. A 7/ 47.
von D1ez) aus: Schultz, Erlauterungen ( cf. A 3/ 5), S. l65. 30 Vgl. mehrere Stellen aus KdrV, besonders A 5/ B 8 f. und
Der ,fremde Schriftsteller" ist also Schultz, nicht Kant. Vgl. A591 / B 619; auEerdem A630/ B 658 und A 702/ B 730.
aber KdrV A 769 f./B 797 f. und KdU S. 452 f. - Vgl. auch 31 Vgl. A3 S. 18 Z.19, A 7 S. 57 Z. 2 7 und A 7/ 48 sowie A 15
A 7 S. 57 Z. 10 - S. 58 Z. 8. S. 90 Z.16.
19 KdrV A244/ B302 (mitAnm.). Vgl. auchReinhold,Beytrage 32 ,Thesis" ist hier wie S. 124 Z. 23 und auch S. 136 Z. 1 nicht
(cf. A3/ 21), S.124ff. im Sinne der Kantischen Antinomienlehre zu verstehen,
20 Vgl. Kants erstes Postulat des empirischen Denkens, KdrV sondern als These im Sinne der Disputationspraxis (vgl.
A218/ B 265: ,Was mit den formalen Bedingungen der Er- auch das im nachsten Absatz folgende ,Antithesis"; ebenso
fahrung ( der Anschauung und den Begriffen nach) i.iber- B 2/ 37). Diese in der Scholastik hoch entwickelte Form
einkommt, ist moglich." (Vgl. B 2/ 7). der gelehrten Problemlosung und Behandlung von Streit-
21 Zu Diez' Verhaltnis zum Skeptizismus vgl. A 8 S. 63 Z. 34 fragen wurde in den Logikkompendien des 18. Jahrhunderts
- S. 64 Z. 6. noch immer mehr oder weniger eingehend erklart. Wahrend
22 In der 1790 erschienenen Kritik der Urteilskraft, die Diez des Logikstudiums in den wi.irttembergischen Klosterschu-
freilich noch nicht gelesen hat (vgl. B 3 S. 147 Z. 3), be- len und spater im Stift wurde die Praxis immer wieder
zeichnet Kant die Einbildungskraft als das , Vermogen der eingei.ibt und gebraucht, so daE sie also auch in den dort
Darstellung" (§ 23, S. 73); und in der Einleitung heillt es benutzten Logikkompendien abgehandelt wurde. In Johann
dort (S. XLVII): ,Wenn der Begrif von einem Gegenstande Heinrich Schellenbauers CompendiumLogices, Stuttgart 1682
gegeben ist, so besteht das Geschafte der Urtheilskraft im (mit weiteren Auflagen, hier zitiert nach der Auflage von
Gebrauche desselben zum Erkenntnis in der Darstellung 1702), etwa, das ,eine lange in Wtirttemberg gebrauchte
( exhibito ), d. i. darinn, dem Be griffe eine correspondirende Logik" war (Johann Wilhelm Camerer, Beitrage zur Geschichte
Anschauung zur Seite zu stellen [... ]". Doch auch in der des Stuttgarter Gymnasiums, Stuttgart 1834, S. 17; vgl. den
Kritik der reinen Vernurift taucht der Begriff des Darstellens anonym verfaEten Beitrag ,Einige Berichtigungen und Zu-
schon auf: ,Einen Gegenstand geben, [... ihn] unmittelbar satze den Aufsatz im grauen Ungeheuer Nummer 9. Ueber
in der Anschauung darstellen, ist nichts anders, als dessen das theologische Stift in Ti.ibingen betreffend", in: Schwa-
Vorstellung auf Erfahrung ( es sey wirkliche oder doch mog· bisches Museum, Bd. 1 1785, S. 245-292, S. 262), find en sich
liche) heziehen" (A 155f./B 195). Indem Diez von einer folgende Erlauterungen zur Disputation und insbesondere
Darstellung des Empfundenen spricht, verwendet er Kants zu Thesis und Antithesis: ,Quae est Methodus Didascalica?
Dar~tellungsbegriff nicht genau in dessen Sinn, aber docb Quae ponit Thesin. Id est: Quid sentiat, statuit: explicat: con-
in Ubereinstimmung mit dem Theorem, auf das er sich firmat: ab Adversariorum Objectionibus vindicat [et} defendit.
bezieht. Vgl. auch Cadi VII. 4. Quae est Methodus Elenchtica? Quae oppugnat Antithesin. Id
23 Vgl. KdrV A286f./B342f. est: Sententiae Adversarii contradicit. Didascalica Elenchticam
24 Vgl. Schultz, Erlauterungen ( cf. A 3/5), S. 72 und 154. antecedat, nisi animus Auditoris erroneis praejudiciis nimis
25 Vgl. Schmid, Worterbuch (1788) (cf. A2/ 12), S. 252. occupatus sit, quae velut nebulae prius discutienda sunt."
26 Vgl. A 7/26. (Schellenbauer S. 211, vgl. S. 203- 216.) - Zur Thesis vgl.

538 539
Kommentar zu den Schriften
B 2 Moglichkeit einer Offenbarung (friihere Fassung)

auch Christian Wolff, Philosophia rationalis sive logica., Frank- differierender Thesen zu verstehen, tiber deren Wahrheit
furt a.M., Leipzig 1728 (zitiert nach 3 1740, in: Christian gestritten wird (vgl. B 2 S. 124 Z. 23 und S. 134 Z. 6 mit
'Y~lff, Ges~mmelte Werke, Bd. II, I. 3, § 1084 S. 771): ,Propo- B 2/ 32). Die ,beeden Teile", welche Thesis und Antithesis
SitlO ad d1sputandum proposita dicitur Thesis." vertreten, sind die erste und zweite Klasse, die am Anfang
33 K~rV A 368: ~un ist aber der SchluE von einer gegebenen dieses und des vorausgehenden Ahsatzes bezeichnet wer-
Wrrkung auf eme bestimte Ursache iederzeit unsicher; weil den. Unangesehen dessen, daE Diez jede Klasse mit einem
die ,:Virkung aus mehr als einer Ursache entsprungen seyn gegen sie spezifisch gerichteten Argument der Unbegriind-
kan. Vgl. auch KdrV B 276, ebenso Schultz, Erliiuterungen barkeit ihrer These iiberft.ihren will, gilt fur beide dariiber
( cf A 3/ 5), S. 104. - Diez hat diesen Grundsatz bereits oben hinaus noch, daE ihr Streit iiber eine Offenbarung geht,
(S. 124 Z. 9 - S. 125 Z. 10) und dann in seinem Brief an deren Begriff unbestimmt ist. Damit bezieht sich Diez auf
Niethammer vom 13. Mai 1791 (A 9 S. 65 Z. 23 -25) ange- die Diskussion des Offenharungsbegriffes, die er auf S. 123
wendet.
Z. 17 abgebrochen hat. Er benutzt im folgenden ein Sprich-
34 Lat.: Vom gesetzten Nachsatz auf den zu setzenden Vor- wort, das Kant zweimal gebraucht hat, urn eine Diskussion
dersatz. - Mit dieser Formel vergleichbare Satze fmden iiber ein leeres Problem zu charakterisieren (vgl. B 2/ 38).
sich in verschiedenen Logikkompendien der Zeit: ,AAter 38 Lat.: Einer melkt den Bock, der andere halt ein Sieb unter.
modus spurius syllogismorum hypotheticorum est, cum ar- - Vgl. Karl Friedrich Wilhelm Wander, Deutsches Sprichwiir-
gumentor a positione consequentis ad positionem, sive af- ter-Lexikon, Leipzig 1863, Bd.1 S. 415. Beide Teile - das
frrmationem antecedentis" (Friedrich Christian Baumeister, Melken des Bockes und das Schopfen oder Auffangen von
lnstitutiones philosophiae rationalis methodo Wo!fii conscriptae, Fliissigkeit mit einem Sieb - gehoren bereits zum griechi-
.
WItten b 12
erg 1749, § 296 S. 166); ,[...]a posito consequente schen Sprichwortschatz. Die Kombination fmdet sich bei
ad ponendum antecedens non semper valet consequentia" Lukian, Vita Demonactis, 28. In Kants Inauguraldissertation
(Alexander Gottlieb Baumgarten, Logica, Halle 1761, § 273 De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, Ko-
S. 82). - Die Art der Zitation legt nahe, daE Diez auf einen nigsberg 1770 (AA II S. 414), kommt die lateinische Version
wahrend seines Logikstudiums erlernten Regelkanon Bezug vor: ,[... ] plerumque accidit, ut disceptantium alter hircum
nimmt, der in der Disputationspraxis anzuwenden war. In mulgere, alter cribrum supponere videatur" (,es geschieht
Schellenbauers CompendiumLogices ( cf. B 2/ 32), S. 231, wird haufi.g, daE einer der Streitenden den Bock zu melken und
unter den fur den ,Syllogismus Dialecticus" zu beobach- der andere ein Sieb unterzuhalten scheint"). Es gibt keinen
tenden Maximen auch die folgende genannt: ,Posito Con- anderen Hinweis darauf, daE Diez Kants Dissertation gelesen
sequente, ponitur Antecedens (quod cum consequente ne- haben konnte. - Vgl. aber auch KdrV A 58/ B 82 f, wo Kant
cessaria connexum)." In den Elementa philosophiae rationalis, das Sprichwort in deutscher Fassung mit dem Zusatz ,wie
sive compendium logicae. In usum scholarum wirtembergicarum die Alten sagten" gebraucht.
adornatum, Stuttgart 1751, findet sich kein genau passender 39 Lat.: Von der Wirkung gilt der SchluE auf irgendeine Ur-
Beleg, vgl. §§ 210-213, S.198-201. sache, aber nicht auf die bestimmte Ursache A. - Vgl. B 2/ 33
35 Vgl. B 2/ 18. und / 34.
36 Wortliches Zitat aus Schultz, Erliiuterungen (cf. A3/ 5), 40 Lat.: Wo die Ursache gesetzt ist, da ist (auch) die Wirkung
S. 165. Vgl. KdrV A 774/B 802. gesetzt. - Einen vergleichbaren Lehrsatz fiihrt auch Schel-
37 Thesis und Antithesis sind hier wiederum im Sinne zweier lenbauer im Rahmen seiner Ausftihrungen iiber den ,Syl-

540 541
Kommentar zu den Schriften B 3 Moglichkeit einer Offenharung (spiitere Fassung)

logismus di~ecticus" an (Compendium Logices ( cf. B 2/32),


S. 2~1): ,Poslta Causa (proxima, particulari, adaequata, per B3
se, zn actu secundo, peifecto, non impedita) ponitur Effectus Immanuel Carl Diez
(in fieri vel esse)." - Vgl. B 2/ 33 und / 34. Uher die Moglichkeit einer Offenbarung (spatere Fassung)
41 Vgl. A 7 S. 58 Z. 19 f., auch Gadl V. 2. (Anfang his Mitte Marz 1791)
42 Die Spielbeschreibung paEt auf !'Hombre (auch Lomber-
spiel genannt), ein Spiel mit 40 Karten ft.ir zwei his ftinf
Spieler, von denen jeweils einer der Spieler ,in dem emi- Manuskriptheschreihung
nenteren Sinn" (!'hombre, , der Mensch") ist; die anderen
sind seine Gegenspieler. Die heiden hochsten Thiimpfe sind Standort: UBT, Md 329.
Anzahl der Lagen und Blatter: 1 Doppelblatt und 1 Einzelblatt; Format in em
die Spadille (Pique-As) und Manille (je nach Thumpffarbe
(Hohe x Breite): 23,3-23,5 x 18,6-18,8 (Doppelblatt), 23-23,2 x 19 (Ein-
eine rote Sieben oder eine schwarze Zwei). Das Kaufen zelblatt); Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Papierfarbe:
(Escartieren) ist die Annahme des Talons (Skates, Stockes) chamois.
durch den Spieler im eigentlichen Sinn. Das ,Beet" ist der Tinte: schwarz (Schreiber), braun (Diez); Anzahl der beschriebenen Seiten:
6 von 6; Paginierung: 1-4, 6 (Diez); Faltung: quer von hlnten nach vorne,
Spiel- oder Strafeinsatz, der je nach Spielausgang einfach
dann liings.
oder doppelt zu bezahlen ist. Vgl. A 3/ 36. Besondere Bemerkungen: Einzelblatt Ecke oben rechts abgerissen; Ms. als
Ganzes ist am unteren und darauf am iiuJSeren Blattrand jeweils ca. 2 em
eingeschlagen.

Kommentar

Zu dieser Schrift vgl. auch die ErHiuterungen des Begleittextes


Moglichkeit einer Offenbarung (VI 3), besonders S. 1025-1032.

1 Wahrscheinlich hat SiiEkinds Brief vom 26. Februar 1791,


der ausft.ihrliche Bemerkungen zur friiheren Fassung dieses
Aufsatzes (B 2) enthalt (C 9 S. 235 Z. 11 ff.) und das Be-
diirfnis nach weiterer Erlauterung und Verdeutlichung aus-
druckt (C 9 S. 231 Z.1-4), Diez zu erneuter Beschaftigung
mit dem Thema seiner Abhandlung veranlaEt. Darauf deuten
Wendungen hin, die Diez in seinem Brief an Niethammer
am 9. Marz 1791 (A 7), also wohl kurz nach dem Eintreffen
der Bemerkungen SuEkinds, gebraucht und die in der Ab-
handlung wiederkehren (vgl. B 3/ 17 und / 18). Weiteres
Indiz dafiir ist, daiS Diez in eben dem Brief an Niethammer
auf seine Erorterung von Mt 24,29 ff. verweist (A 7 S. 58

543
542
Ko=entar zu den Schriften B 3 Mi:iglichkeit einer Offenbarung (spatere Fassung)

Z. 27 ff.), durch die sich B 3 von B 4 auffa:llig unterscheidet kungen erschlossen wird. Auf diese Weise konnen jedoch
(vgl. B 4/ 1). Am 29. Marz 1791 bestatigte SiiKkind den stets nur dem Naturzusammenhang angehorende, prinzipiell
Erhalt eines neuen Aufsatzes (vgl. C 10 S. 244 Z. 3f.), der wahrnehmbare Gegenstande angenommen werden; und nur
an seiner ,Zugabe" (vgl. ebd. Z. 5 und C 10/ 2) Ieicht als solche Eigenschaften konnen von ihnen behauptet werden,
der vorliegende Text zu erkennen ist. Er muK demnach deren Zuschreibung fur die kausale Erkliirung der wahr-
von Diez innerhalb der ersten drei Marzwochen niederge- genommenen Gegenstande oder Vorgiinge erforderlich ist.
schrieben worden sein. Eine dritte Umarbeitung, von der Kants Beispiel einer mittelbar durch Wahrnehmung be-
Diez am 11. April 1791 an Niethammer schrieb (vgl. AS griindeten Existenzannahme stellt eine magnetische Materie
S. 62 Z. 10f. und A 8/ 9), ist nicht erhalten. Zum Verhiiltnis vor, deren Dasein urn der Erklarung des wahrgenommenen
von B 2 und B 3 vgl. Gadl V. 1. Verhaltens des Eisenfeiligs willen angenommen wird (KdrV
2 Diez rekapituliert den von Si.iKkind teils nicht beachteten, A 225 f./B 272 f.). Vgl. Diez' Ausfuhrungen S. 144 Z. 9 ff.
teils bagatellisierten (vgl. C 9 S. 241 Z. 23 - S. 243 Z.lO) 10 Diez versucht hier nebenbei eine Begri.indung fiir die These,
Grundgedanken sowohl der ,Rezension von Kleukers Neuer daK das Gegebene ein Mannigfaltiges sein mi.isse. Die Fehler
Pri.ifung" ( cf. B 2/ 5) als auch von Diez' eigener Argumen- in der Begri.indung, die Reinhold gab, hat er ausftihrlich
tation. nachgewiesen (vgl. A 6 S. 44 Z.15-35, A8 S. 62 Z. 35 - S. 63
3 Lat.: Ri.ickgang vom Bedingten zu einer bestimmten Be- Z. 26 und Gadl VI. 2. a).
dingung. - Vgl. B 2/ 39. 11 Vgl. B 2/ 22.
4 Lat.: Vom Nachsatz auf den Vordersatz im modus ponens. 12 Vgl. B 3/ 9 und die dart angegebene Kantstelle.
- Vgl. B 2/ 34. Die Regel gilt fur hypothetirche (nicht fur 13 Vgl. KdrV A 202 f./B 24 7 f.
disjunktive) Schli.isse. Die Verwechslung konnte daraus er- 14 Ein Problem, das mit diesem Thema in Zusammenhang
klart Werden, daK Diez die Sphare, hier: moglicher Ursachen steht, wird auch in den Letzten Briefen erortert (vgl. E 2
fur eine gegebene Wirkung, vor Augen stand, wie es in S. 329 Z. 5-7 und E 2/ 6 mit weiteren Verweisen).
disjunktiven Schliissen der Fall ist. Vgl. den Anhang zu 15 Hier und im folgenden bezieht sich Diez auf die Beilage
B 2, besonders dessen Anfang (S. 136 Z. 10ff.). zu SiiKkinds Brief vom 26. Februar 1791 (C 9 S. 235 Z. 1lff.).
5 Vgl. hierzu und zum Folgenden den Abschnitt der KdrV: 16 Die erste Auflage von Kants Kritik der Urteilskrift erschien
,Die Postulate des empirischen Denkens iiberhaupt" zur Ostermesse 1790 (vgl. Wilhelm Windelband, ,Einlei-
(A218 ff./B 265 ff.); auEerdem A 597 ff./B 625 ff. tung" zur Ausgabe in: AA V S. 512-527, S. 523).
6 Vgl. KdrV A 600/ B 628. 17 Bis hierher hat Diez ,Griinde a priori gegen jeden Super-
7 Diez unterstellt die Richtigkeit und Vollstandigkeit der Kan- naturalismus" entwickelt, nun folgen ,in Anwendung auf
tischen Tafel der Relationskategorien. den Christianismus [... ) Griinde a posteriori" (A 7 S. 58
8 Vgl. KdrV A262/ B318: Die Dinge konnen ,ein zwiefaches Z. 5-1 0). Sie sind im nachfolgenden Text (B 4) ausfuhrlicher
Verhaltnill zu unserer Erkenntnillkraft, nemlich zur Sinn- dargelegt. Si.iEkind hat das Folgende, das er als ,Zugabe"
lichkeit und zum Verstande haben". charakterisiert, auf nicht erhaltenen Blattern kritisch kom-
9 Das Dasein eines Gegenstandes kann Kants Erliiuterung mentiert (vgl. ClO 8.244 Z.4 - 6 und C10/ 3).
des Wirklichkeitspostulates zufolge auch ,mittelbar" oder 18 Vgl. A 7 S. 58 z.24-27 : In ,eigentlich dogmatischen Satzen"
,comparative a priori" bewiesen werden, indem dieser ~Is wissen Exegese und nicht-kritische Philosophie ,so viele
- selbst nicht wahrgenommene - Ursache gegebener Wrr- Auswege zu zeigen".

544 545
Ko=emar zu den Schriften B 3 Moglichkeit einer Offenbarung (spiitere Fassung)

19 Vgl. A 7 S. 58 Z. 27-36 und B 4/ 1. S. 526 f., und bei Johann David Michaelis, Einleitung in die
20 Zur Widerlegung durch den Erfolg, d. h. durch das, was gi/ttlichen Schriften des NeuenBundes, 2 Bde. Gottingen 4 1788,
(entgegen einer Vorhersage) wirklich erfolgt (vgl. unten Bd.1 § 3 S. 18-21. Vgl. auch Johann David Michaelis, Dog-
S. 149 Z. 16f., auEerdem A 9/ 5). matik, Gottingen 2 1784, S. 88.
21 Luther ubersetzt "nagouoLa" (Mt 24,27), womit im Neuen 25 Hier wohl in einem eher unspezifischen Sinn als Anpassung
Testament die Ankunft oder Wiederkunft Christi bezeichnet zu lesen. Sonst ist der Ausdruck ,Akkomodation" ein Ter-
wird, mit "Zukunft"; vgl. etwa Mt 24, 39: ~so wird auch minus technicus der neologischen Bibelexegese (vgl. Mog-
sein die Zukunfft des menschen Sons." (Martin Luther, Die lichkeit einer Offenbarung (Vl3), S. IOOlf.).
gantze Heilige Schrift Deudsch 1545 I AuffS new zugerich~ 26 Griech.: auf daE erfullet wi.irde. Neutestamentliche Verweis-
unter Mitarbeit von Heinz Blanke hrsg. von Hans Volz, formel auf alttestamendiche Prophezeiungen, deren Erful-
Mi.inchen 1972). Davon weicht auch die der Edition zu- lung behauptet wird; vgl. z. B. Mt 1,22.
grundegelegte Bibelausgabe Biblia, Das ist: die gantze Heil. 27 Beginn von Mt 24,29: ~ald aber nach dem tri.ibsal [der-
Schrifft Alten und Neuen Testaments, Nach der Teutschen Ue- selben zeit, werden sonne und mond den schein verlieren
bersetzung D. Martin Luthers; Mit vorgesetztem lnhalt eines .. .]."
]eden Capitels und Anzeige derer andern Schrift-Stellen, welche 28 Vgl. z. B. LeE, Ueber die Religion (cf. B 3/ 24), Bd. 2 S. 527
man hier und ad mit Nutzen dagegen halten han. Nebst einer und 529. Michaelis, Einleitung ( cf. B 3/ 24), S. 19: ~ diesem
Vorrede Herrn Christoph Matthaei lfaf!ens, Ttibingen 1758, Menschenalter, obgleich spat".
nicht ab.- Vgl. B 4 S. 151 Z. 2 f. und S. 158 Z. 19 sowie B4/40. 29 Die Weissagung Jesu wiire, wie die Nachkommenden wuEten
22 Griech.: dieses ( das gegenwiirt.ige) Zeitalter. - Gegenbegriff und wissen, nicht eingetroffen und Jesus also ein falscher
zu atwv ~-t£A.Ac.ov - das zuki.inftige Zeitalter (vgl. B 4 8.158 Prophet.
Z.27 und B4/ 41).- Johann Benjamin Koppes Schrift, die 30 Der erste Punkt betrifft die Auslegung des "Ev'frewc; !!E"ta"
als sein Hauptwerk gilt. lautet im vollen Titel Novum Te- (vgl. hierzu auch B 4 S. 151 Z. 5 - S. 152 Z. 8). Zu Storrs
stamentum, Graece, perpetua annotatione illustratum., 4 Bde. Position vgl. seine Schrift Neue Apologie der Oflenbarung
Gottingen 1778-1783, hier Bd. 1. Laut Koppe steht im Neu- ]ohannis, Ti.ibingen 1783, S. 323 (Anm.): ~er alsdenn (Luc.
en Testament "atwv ou·wt;" meistens fur das irdische, ,atwv 21,25.ff.), nach iener Tri.ibsal (Marc. 13,24), und zwar bald
~-t£A.A.c.ov" fur das zuki.inftige ewige Leben (vgl. ebd. S. 381- (Matth. 24,29) darnach, [... ]".
392, besonders S. 390).- Koppe (1750-1791), ein bedeu- 31 Der zweite Punkt betrifft die Frage, was unter der "{}A.t:'ljn<;"
tender und vielzitierter Exeget:, war von 1776 his 1784 (Tri.ibsal) zu verstehen sei. Storrs Position wird im folgenden
ordendicher Professor der Theologie in Gottingen (vgl. EbeL referiert und kritisiert. Vgl. auch B 4 S. 152 Z. 20 - S. 154
Catalogus pnfessorum ( cf. A 5/ 16), S. 35). Danach war er Z. 7.
his 1788 Oberkonsistorialrat und Generalsuperintendent 32 Vgl. die in B 3/ 30 zitierte Schrift.
in Gotha und schlieElich Konsistorialrat und erster Hof- 33 Gotdob Christian Storr, Dissertatio exegetica in librorum N T
prediger in Hannover. (Vgl. auch C 9/ 17.) historicorum aliquot loca, Bd. 1 Ti.ibingen 1790. Zu den fol-
23 Mk 13 und Lk 21,5ff. genden von Diez namhaft gemachten Punkten 1) his 4)
24 Niimlich der Zerstorung Jerusalems und des Tempels; 80 vgl. S. 36f. Diez behandelt sie ausft.ihrlich in B 4 S. 152
etwa bei Gottfried LeE, Ueber die Religion, ihre Geschichte, Z. 20 - S. 157 Z. 10.
Wahl und Bestiitigung., 3 Bde. Gottingen 1784-1785, Bd. 2 34 Griech.: den Auserwiihlten.

546 547
Ko=entar zu den Schriften B 4 tiber Matthiius XXIV, 29 ff.

35 Le~, Ueber ~ie Religion ( cf. B 3/ 24 ), Bd. 2 S. 559: Ein gro~er


Teil der Chr1sten ,flohe schon bei Anniiherung des Cestius, B4
nach Pella, einer Stadt jenseit des Jordans. Und so geschahe Immanuel Carl Diez
es, daiS kein einziger von Jesu Anhangern, hiebei das Leben Uber Matthaus XXIV, 29 ff.
verlohr." (Vgl. B 4 S. 153 Z. 8 - S. 154 Z. 7 und B 4/ 11.) (Wahrscheinlich zwischen dem 21. Februar
36 ,So wiirde kein mensch selig" (Mt 24,22). LeiS, Ueber die und dem 9. Marz 1791)
Religz"on ( cf. B 3/ 24), S. 524: ,[... ] so wiirde kein einziger
Mensch (von den Belagerten) am Leben bleiben".
37 Griech.: gerettet werden. Manuskriptbeschreibung
38 Dieses Hilfsmittel lehnt Storr ja gerade ab (vgl. B 3/30).
Zu der ,gewohnlichen Erklarung' vgl. B 4 S. 151 z. Sff. und Standort: UBT, Md 329.
B4/ 4. Anzahl der Lagen und Blatter: Lage mit 2 Doppelbliittern und Doppelblatt;
39 Storr, NeueApologie ( cf. B 3/ 30), S. 324 f. Storr versteht unter Format in em (Hohe x Breite): 20,5 -21 x 17-17,1; Riinder oben beschnitten;
Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen im 2. Doppelblatt der Lage und im einzelnen
,yEvEa" (wortl.: Geschlecht, Sippe, Familie) Nation (vgl. Doppelblatt schwach erkennbar; Papierfarbe: chamois.
B 4 S. 156 Z. 24 - S. 157 Z. 10). Dagegen z. B. Michaelis, Tinte: schwarz (Schreiber), dunkelbraun (Diez); Anzahl der beschriebenen
Einleitung(cf. B 3/ 24), S.19: ,Menschenalter" (Generation). Seiten: 12 von 12; Faltung: quer von hinten nach vorne.
Besondere Bemerkungen: schwach gefalzter Seitenrand von ca. 6,5 em.
40 , Wenn ihr dill alles sehet" (Mt 24,33). Diez geht davon
aus, daiS die Junger gemeint sind (vgl. B 4 S. 156 Z.15-19,
besonders B 4/ 23), daiS sie also Augenzeugen der vorher-
gesagten Ereignisse werden sollten. Kommentar
41 Die Worte des Hohenpriesters im ProzeE gegen Jesus (Lk
22,71, vgl. Mt 26,65 und Mk 14,63). Diez halt Jesus fur I Der Text enthalt die selbstandige und ausftihrliche Fassung
iiberftihrt, nicht Wahrheit zu reden (vgl. A 7 S. 58 Z. 27-36), von Argumenten, die in kiirzerer Form auch in der vorigen
was dann aber auch fur das ganze Neue Testament gilt, Abhandlung enthalten sind (B 3 S. 148 Z. 5- S. 150 Z. 24).
wenn es, so wie Storr es will, den Anspruch auf die Wahrheit In dieser waren sie von Diez als Argumente a posteriori,
der Offenbarung und ihrer Uberlieferung nach seinem Wort- die nur gegen die Wahrheit der christlichen Offenbarungs-
sinne erhebt. lehre vorzubringen sind (vgl. A 7 S. 58 Z. 27-36), zu einer
Reformulierung seiner Argumentation a priori gegen die
Moglichkeit einer Offenbarung ii.berhaupt, deren friihere
Version er noch ohne einen solchen ,Zusatz" in B 2 nie-
dergeschrieben hatte (vgl. B 3/ 1), hinzugeftigt worden. Diez
ist auf den ,Zusatz" an Argumenten erst gekommen, nach-
dem er die Griinde a priori entwickelt hatte (vgl. A 7 S. 58
Z. 8-10: ,Zu jenen Grunden a priori glaube ich nun in
Anwendung auf den Christianismus auch Griinde a poste-
riori zu besitzen"; Hervorhebung des Hrsg.). Da Diez bereits
in dem Brief vom 9. Marz 1791 an Niethammer, in dem

548 549
Kommentar zu den Schriften B 4 Uber Matthiius XXIV, 29 ff.

sich diese Mitteilung fmdet, davon spricht, er habe ,mit dem Locus behandeln, der ihn auf das Antinomienproblem
Flei!Se" seine Argumentation ,schriftlich fur mich aufgesetzt" ft.ihrte (vgl. A 7 S. 58 Z. 27-29 und A 7/ 55).
(vgl. A 7 S. 58 Z. 36f.), mu!S es zu dieser Zeit bereits einen 5 Vgl. B 4/ 3.
Text i.iber Matthaus 24, 29 ff. gegeben haben, der dem vor- 6 Vgl. A 2/ 22.
liegenden entspricht. Aufgrund dieses Textes hat Diez dann 7 Vgl. hierzu und zum Folgenden B 3/ 33.
die ,Zugabe" (vgl. B 3/ 17) ,ohne weitere Ausftihrung" der 8 Griech.: der Auserwahlten.
Gri.inde (B 3 S. 148 Z. 15) zur zweiten Fassung des Aufsatzes 9 Storr, Dissertatio exegetica (1790) ( cf. B 3/ 33), S. 36.
i.iber die Moglichkeit einer Offenbarung geschrieben und 10 Lat.: Sie seien rechtzeitig geflohen. - Vgl. Storr, Dissertatio
innerhalb dieser Fassung Si.i!Skind vorgelegt. In B 4 fmdet exegetica (1790) (cf. B 3/ 33), S. 36.
sich kein Argument, das in der ,Zugabe" zu B 3 nicht ent- 11 Vgl. B 3/ 35.
halten ist, von dem aber zu erwarten gewesen ware, daiS 12 Storr, Dissertatio exegetica (1790) (cf. B 3/ 33), S. 36.
Diez es in die Zusammenfassung einer solchen Zugabe 13 Ebd.
aufgenommen hatte. Insofern entspricht also B 4 dem Ar- 14 Vgl. B 3/ 36.
gumentationsstand der Zugabe von B 3 und ki:innte ihr 15 3. Person Singular Aorist Passiv, zu griech.: crcp~av - retten.
deshalb auch vorausgehen. Es ist moglich, aber nicht wahr- 16 Partizip Futur Passiv Nominativ Plural, zu griech.: crcp~av.
scheinlich, daiS zwischen Anfang Marz und dem 11. April 17 Infinitiv Priisens Passiv, zu griech.: crcp~av.
1791 noch eine weitere Version des Textes uber Mt 24, 18 Infmitiv Aorist Passiv, zu griech.: crcp~ELV.
29 ff. entstand, die ebenso dem vorliegenden Manuskript 19 Infmitiv Prasens Aktiv.
entsprechen konnte. Am 11. April zog sich Diez gegeniiber 20 Etwa bei LeiS und Michaelis. Vgl. B 3/ 24.
Niethammer von dem Plan zur Veroffentlichung eines Auf- 21 Vgl. B 3/ 40 und B 4/ 23.
satzes uber dieses Thema zuri.ick (vgl. A 8 S. 62 Z.1f.). 22 Mt 24,33 lautet: ,Also auch, wenn ihr dill alles sehet, so
Dabei berichtet er zugleich von vielen Abhaltungen, die wisset, daiS es nahe vor der thur ist." Diez' Zitat aus Storr,
einer weiteren Fassung von B 4 entgegengestanden haben Dissertatio exegetica (1790) (cf. B 3/ 33), S. 40, ist ein kom-
mogen, und gibt zu erkennen, daiS er ,mit Hilfe des SuE- mentierender Zusatz: ,Wenn (das alles) sowohl das lange
kind", der inzwischen gegen seine Argumentation am SchluE Ungli.ick des jiidischen Volkes als auch das Ende des Un-
von B 3 Einwendungen gemacht hatte (vgl. B 3/ 17), ,auf glucks (der Trubsal) ihren Ausgang nehmen werden, (wird
den Herbst etwas Bessers" zu liefern hoffe (A 8 S. 62 Z 17- es augenfallig sein - ,ante oculos positum erit' - , daiS ... )."
20). So scheint der Entschlu!S, den Aufsatz uber Mt 24, 23 Der Zusatz in der Klammer (griech.: ihr, die Junger) ist
29 ff. zuruckzustellen, auch mit Su!Skinds Einwiinden zu- von Diez hinzugefugt, urn die Adressaten deutlich zu be-
sammenzuhangen. Sie gingen gemeinsam mit C 10 ~ang zeichnen und Storrs Auslegung des LDT]'t£ (griech.: ihr seht)
April von Gottingen ab und mi.issen Diez vor der Nleder- auszuschlie!Sen (vgl. B 4/ 22).
schrift von A 8 erreicht haben. 24 Vgl. B 3/ 39.
2 Vgl. B 3/ 21. , 25 Lat.: ein wenig seltener; und lat.: mit dem Sprachgebrauch
3 Mt 24,29 beginnt mit den Worten: ,E{,.fr£cos; 6£ ~na t~V vereinbar. Diez zitiert aus Storr, Dissertatio exegetica (1790)
f}f..l-tjnv 'tWV ~~-t£QWV exctvcov" (vgl. B 3/ 27). ( cf. B 3/ 33), S. 40.
4 45
2. Petr 3,8. Sartorius, Compendium (cf. A3/ 17), § 674 S. 5.' 26 Vgl. B 3/ 30.
ft.ihrt diese Stelle an. Dieselbe Stelle mu!Ste Diez auch !11 27 Griech.: Stamme, Volksgruppen.

550 551
Ko=entar zu den Schriften B 4 Uber Matthaus XXIV, 29 ff.

28 LeiS, Ueber die Religion (cf. B 3/ 24); Michaelis, Einleitung (vgl. auch B 3/ 21). - Diez kritisiert hier die Interpretation
( cf. ebd.); Hammond, Novum Testamentum ( cf. B 4/ 36). von LeiS, Ueber die Religion (cf. B 3/ 24), Bd. 2 S. 526 (be-
29 :"'!M.C~C (lies: Mischpachah), hebr.: Familie, Geschlecht, Sip- sanders die zweite Anm.).
pe, als "Mischpoke" auch im Deutschen gelaufig. 41 Fur die griechischen Ausdriicke vgl. B 3/ 22. Bei den .an-
30 Philo von Alexandrien, geb. 10-15 v. Chr., griechisch schrei- gefuhrten hebraischen Aquivalenten handelt es sich je-
bender judischer Theologe und Philosoph. weils urn scriptio defectiva (d. h. die im Hebraischen ub-
31 Wortlich: Siebzig. Die alteste erhaltene griechische Uber- liche konsonantische Schreibweise ohne Vokalzeichen) fUr
setzung des Alten Testaments (3. und 2. ]h. vor Chr.); der M~.l:r Cl~iV ('olam hazzah: dieses Zeitalter) und ~.;::r Cl'iV ('olam
Legende nach von siebzig Ubersetzern unabhangig von- habba: das kommende Zeitalter).
einander im gleichen Wortlaut angefertigt. 42 In Mk 13,4 kommt zweimal ",;au,;a" (griech.: das) vor:
32 Levitikus: das dritte Buch Mose. "El.Jd: ~f-LLV, :rt6-tE 'tUU'ta EO'tm, xaL 'tL 'tO OT)f-LELOV chav f-LEAAU
33 Lat.: Uberaus selten. (Vgl. Storr, Dissertatio exegetica (1790) :rtav'ta ,;ai:ha OUV'tEA£i:o8m". ("Sage uns, wenn wird das
( cf. B 3/ 33), S. 40). ailes geschehen? Und was wird das zeichen seyn, wenn
34 Vgl. B 4/ 28. das alles soil voilendet werden?") - Vgl. B 4/ 37 und / 38.
35 Mt 24,3. Die Junger fragen nach dem Zeichen der Ankunft 43 Lk 21,7 erfolgt die Frage der Junger im unmittelbaren
Christi und "der welt ende". AnschluLS an Jesu Prophezeiung der Zerstorung Jerusalems
36 Novum Testamentum Domini Nostri ]esu Christi, ex versione und des Tempels.
vulgata, cum paraphrasi et adnotationibus Henrici Hammondi. 44 Griech.: dann (das Anfangswort von Mt 25,1).
Ex Anglica Lingua in Latinam transtulit, suisque animadver· 45 Vgl. A 2/ 22.
sionibus illustravit, castigavit, auxit]ohann:.es Clericus, Frankfurt 46 Mitteilateinisch: Verzuckung; eigentlich: Beraubung (des
2 1714, S.183f. Der Herausgeber und Ubersetzer, Jean Le- Verstandes) (vgl. Gerhard Wahrig, Deutsches Wl/rterbuch, Gu-
clerc (1657-1736), bemerkt S. 184, die meisten Exegeten tersloh, Munchen 1986 (Neuausgabe), S. 1037).
verstunden unter dem fraglichen "ounEAELa ,;oil atwvo~" 47 Akkomodation ist hier analog zu B 3 S. 149 Z. 1 f. zu ver-
das Ende der Welt. Die Frage der Junger sei jedoch zwei- stehen (vgl. B 3/ 25).
deutig und ebenso Jesu Antwort, so daiS auch Hammond~ 48 LeiS, Ueber die Religion ( cf. B 3/ 24), Bd. 2 S. 526, erste Anm.,
Auslegung VOID Ende des judischen Staates moglich sei behauptet, daiS die Verfinsterung der Sonne als tropische
und durch einige Steilen erfordert wurde. Man konne au.~h Redensart gebraucht und im ubertragenen Sinne aufzufas-
beide Ansichten vereinbaren, wenn man das Ende des JU- sen sei.
dischen Staates als ein Bild des Weltendes auffaJk - Diese
lnterpretationsmoglichkeit scheint Diez nicht ernsthaft er-
wogen zu haben. .
37 Vgl. B 4/ 35. ,;I, ,;o O'Y]f-LcLOV - griech.: was ist das Ze1Chen.
38 )hav f-LEAAU :rtav,;a ·wu,;a ouvn:A.do8m": wann das alles
soil voilendet werden (Mk 13,4).
39 ouv'tEAdo8m - griech.: voilendet werden; ycv£o8UL -
griech.: geschehen. . .
40 Griech.: Ankunft, Wiederkunft ( eigtl. Anwesenheit) Christi

552 553
3.
Kommentargruppe C:
SiiBkind an Diez
C 1 Von Sugkind, 1. Juni 1790

CI
Friedrich Gotdieh SiiBkind, Gottingen
Dienstag, den 1. Juni 1790
An Immanuel Carl Diez, Tiihingen

Manuskriptheschreihung

Standort: UBT, Mh 633.


Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hohe X Breite):
23 X 18,8; Rander beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Papierfarbe:
chamois.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2314 von 4 (und Adregfeld
S. 4); Adresse: ,.,Herrn Magister Diez, I zu I Tii.bingen. I fr[ ei his]. Frankfurt.";
Siegel: S. 4 Siegelreste und mehrere Siegellackspuren, Siegelstelle ausgerissen;
Faltung: Brieffaltung.
Besondere Bemerkungen: S. 1 oben in Blei Signaturvermerk ,Mh 633", daneben
Rotelstift-Numerierung ,1 "; S. 4 mit Rotelstift uher Aru·esse,W"; S. 4 von fremder
Hand rechts von Diez' Namen ,37".

Kommentar

1 Die Familie Si.iEkind war im Jahr des Todes des Vaters,


Johann Gottlieb Si.iEkind (1734-1772), von Neuenstadt
am Kocher nach Stuttgart gezogen, wo Si.iEkinds GroEeltern
mi.itterlicherseits, der Leibarzt Albrecht Reichardt ReuE
(1712-1780) und seine Frau Elisabeth (1717-1777, eine
Tochter des bedeutenden Pietisten Johann Albrecht Bengel
(1687-1752)) wohnten (vgl. Cadi XII. 1; zu den Namen
und Lebensdaten vgl. Faber, III. Fikler'sche Stiftung, §§ 889,
818 und 727). - In einem Brief an die Mutter vom 15.
Mai 1790 bezieht sich Si.iEkind auf den 30. April als den
Tag seiner Abreise nach Gottingen (S. 2; in Privatbesitz).
Diez hat demnach mehrere Tage in Stuttgart, wo er zahl-
reiche Verwandte hatte (vgl. A 1/ 1), zugebracht, was daraus
hervorgeht, daE er schon am 25. April von Stuttgart aus
einen Brief an Gros (= A 1) geschrieben hat.

557
Kommentar zu den Briefen C 1 Von SiiEkind, 1. Juni 1790

2 Aus dem im vorangehenden Kommentar erwahnten Brief 1793), einen protestantischen Theologen franzosischer Ab-
an die Mutter laEt sich der weitere Verlauf von Si.i~kinds stammung, handelt, der zunachst Lehrer der Prinzen in
Reise entnehmen: Abfahrt von Frankfurt am 5. Mai urn 14 Kassel, dann Theologieprofessor in Marburg und zuletzt
Uhr, Ankunft in Marburg am 6. Mai urn 8 Uhr, Abfahrt von Privatier in Kassel war.
Marburg am Nachmittag des 6. Mai, Ankunft in Kassel am 7 Das Philanthropinum, von Johann Bernhard Basedow
7. Mai vormittags, Abfahrt von Kassel am 10. Mai urn 5 Uhr, (1724-1790) 1774 in Dessau gegriindet, war die erste deut-
Ankunft in Gottingen am selben Tag urn 15 Uhr. sche Erziehungsanstalt, die nach reformpadagogischen Grund-
3 Christian Fiirchtegott Gellert (1715 -1 769), Briefe, nebst einer satzen geftihrt wurde (vgl. Ulrich Herrmann, ,Die Padagogik
Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, der Philanthropen", in: Klassiker der Padagogik, hrsg. von
Leipzig 1751, Anfang bzw. En de des zweiten Briefes (S. 126- Hermann ScheuerL Bd. 1 Miinchen 2 1991, S. 135-158, bes.
134). - Unter Landkutsche ist eine Waren- und Personen- S. 141-146). Diez bekundete in dem Brief an Niethammer
transportkutsche zu verstehen, welche von privaten Fuhr- vom 5. Dezember 1790 groEes Interesse an reformpadago-
unternehmern betrieben wurde und also nicht der Landes- gischen Versuchen (vgl. A 6 S. 49 Z.18-23 mit A 6/ 57).
oder Reichspost zugehorte (Postkutsche, Postwagen). Mit 8 Simon Causid heiratete im September 1764 Christine Marie
ihr zu reisen war meist billiger, aber weniger komfortabel Philippine Runkel (geb. 1742). Ihre drei Tochter waren:
und auf langeren Routen nicht selten langsamer, da sie Susanne Margarethe (geb. 1768), Margarethe Wilhelmine
anders a1s die Postkutsche nicht mehrmals an den soge- (geb. 1772) und Marianne Franziska (geb. 1775).
nannten Posten frische Pferde erhalten konnte. (Vgl. Kri.initz, 9 Vgl. C 1/34.
Encyklopadie ( cf. A 15/ 14), Art. ,Landkutsche", Bd. 60 10 Johann Gottfried Eichhorn(/') (1752-1827), bedeutender
S. 306-317 und Art. ,Post", Bd. 115 bes. S. 661-664; Ade- Orientalist, studierte vom 26. April 1770 an in Gottingen
lung, Grammatisch-kritisches Worterbuch ( cf. A 3/ 84), Bd. 2 (MGo Nr. 8427 S. 182), war in den Jahren 1775-1788 or-
Sp. 1888 f. ; Grimm VI, Sp. 122.) SiiEkind empfand die Reise dentlicher Professor der morgenlandischen Literatur in Jena.
mit der Postkutsche offenbar so, als sei er mit Gellerts Als er 1788 als ordentlicher Professor fur orientalische Spra-
Landkutsche gereist. chen und bibelexegetische Fragen in die Philosophische
4 Nach dem Semesterbericht des Ttibinger Stifts von Georgii Fakultat der Universitat Gottingen berufen wurde (vgl. Ebel,
(nach dem Tag des heiligen Georg, dem 23. April), also Catalogus Prifessorum ( cf. A 5/ 16), S. 105), wurde Heinrich
vom Sommersemester 1788 (AEvSt, K. I F. 8,3 (16)), war Eberhard Gottlob Paulus sein Nachfolger in Jena (vgl.
Goritz vom 24. Oktober 1788 an als Hauslehrer bei dem A 3/ 72). Neb en zahlreichen kleineren Aufsatzen und Schrif-
,Handelsmann" Darville in Frankfurt. Ein Datum, zu dem ten publizierte er unter anderem auch eine dreibandige
Goritz die Stelle als Hauslehrer fur Johann Carl von Fichard, Einleitung ins alte Testament, Leipzig 1780-1783. Zudem
mit dem er 1791 nach Jena ging (vgl. A 13/ 11), i.ibernahm, war er Herausgeber bedeutender Zeitschriften (Repertorium
ist nicht belegt. for biblische und morgenlandische Litteratur, 18 Bde. Leipzig
5 Die Th binger Stipendiaten batten vorerst noch, zumindest 1777-1786, und Allgemeine Bibliothek der biblischenLitteratur,
auEerhalb des Stifts, schwarze Kleider mit Uberschlag und 10 Bde. Leipzig 1787-1801 ). - Die Charakterisierung als
Mantel zu trag en ( vgl. Leube II, S. 177 f. und III, S. 66). Freund bezieht sich vermutlich auf Eichhorns heterodoxe
6 Aus SiiEkinds Brief an die Mutter vom 15. Mai 1790 (cf. Tendenzen und seine theologische Gegnerschaft zu Storr
C 1/1) geht hervor, daB es sich urn Simon Causid (1729- (vgl. weiter unten im BriefS. 169 Z. 18 - S. 171 Z. 9).

558 559
Kommentar zu den Br:iefen C 1 Von Si.i~kind, l. Juni 1790

11 Zu Christoph Gottfried Bardilis Aufenthalt in Gottingen Si.i~kind erwahnten ,ein paar junge[n] Physiker[n]" sind
vgl. A 9/ 3. also die drei vorehelich geborenen Sohne zu verstehen,
12 Wahrscheinlich Jeremias Friedrich Klemm (1766 - 1848) von denen jedoch zum Zeitpunkt von Sii~kinds Brief nur
Mediziner, in Tiibingen immatrikuliert am 18. Juli 178S noch einer lebte. Mit seiner schweren Krankheit, die 1789
(MTu Nr. 38376 S. 326). Er ging nach Gottingen, wo er einsetzte, lebte Lichtenberg fast ein Jahrzehnt lang, ehe
sich im April 1788 immatrik.ulierte (MGo Nr. 14869 S. 308). er 1799 starb. (Vgl. Eckhart G. Franz, ,Stammbaum der
1789 kehrte er zur Promotion (Oktober) nach Tiibingen Familie Lichtenberg", in: Georg Chrirtoph Lichtenberg 1742-
zuriick (MTh Nr. 38680 S. 344). 1799. Wagnir der Azifklarung Ausstellungskatalog, hrsg. von
13 Zu K.ielmeyers erstem Studienaufenthalt in Gottingen und Ulrich Joost, Miinchen 1992, Faltblatt am Ende des Bandes
zu seinem Freundschaftsverhiiltnis mit Diez vgl. Diez' Brief ( unpaginiert).)
an ihn vom 2. Dezember 1791 (A 14), besonders auch A 14/ l. 16 Ludwig Timotheus Spittler (1752-1810) aus Stuttgart war
14 Georg Christoph Lichtenberg (1742 -1799) war von 1770 1778 unter der Zusicherung, spater in die theologische
his 1775 au~erordentlicher, dann bis 1799 ordentlicher Fakultat aufsteigen zu konnen, als ordentlicher Professor
Professor fur Mathematik und Experimentalphysik in Got- fur Geschichte in die philosophische Fakultat der Universitat
tingen (vgl. Ebel, Catalogus Prifessorum (cf. A 5/ 16), S.lOS, Gottingen berufen worden, wo er von 1779 bis 1797 las
122). K.ielmeyer horte bei ihm wahrend seines Aufenthaltes (vgl. Ebel, Catalogus Prqfossorum (cf. A5/ 16), S. 105). Zu
in Gottingen Physik und Astronomie (vgl. A 14/ 1 und seinen seinen Themen gehorten auch Kirchen- und Dogmenge-
Brief an die Eltern, Gottingen 7. Februar 1787, S. 2 (WLB schichte. Sein Grundrifi der Geschichte der chrirtlichen Kirche,
Stuttgart, Cod. hi st. 2° 791) ). Lichtenberg seinerseits schiitz- Gottingen 1782, galt als Standardwerk. Spater wandte er
te Kielmeyer au~erordentlich, wie a us einem Brief an Johann sich der politischen Geschichte zu (Entwuif der Geschichte
Friedrich Pfaff hervorgeht, worin er bemerkte, einen "er- der europiiirchen Staaten, 2 Bde. Berlin 1793 -1794) und ver-
habenen Beobachtungs=Geist" und kaum ,eine unbestech- zichtete auf den Wechsel in die theologische Fakultat. I 797
lichere Philosophie" je gesehen zu haben (vom 2. August wurde er in den wiirttembergischen Geheimen Rat berufen.
1789, abgedruckt in: Georg ChrirtophLichtenbergBriejwechsel Spittlers Mutter Johanna Christiane war eine geborene Billinger und
Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften zu Gottingen eine Gro~cousine von Diez' Mutter (vgl. Faber, XXVI. Weinmann'sche
hrsg. von Ulrich Joost und Albrecht Schone, Bd. III 1785- Stiftung in Ti.ibingen, 4 A,§§ 76, 62, 46, und XXIII. Platz-Hermann'sche
1792, Miinchen 1990, S. 724-726, S. 725). Zum Verhiiltnis Stiftung, §§ 107, 109, 160). Spittlers GroEtante Marie Veronika Andler,
zwischen K.ielmeyer und Lichtenberg vgl. auch Kai Torsten geb. Bilfinger (1692-1765, vgl. Faber, XXVI. Weinmann'sche Stiftung
Kanz, ,Carl Friedrich K.ielmeyer, Lichtenberg und Gottingen in Ti.ibingen, 4 A, § 63) war Taufpatin von Diez' a.Itester Schwester (vgl.
1786-1796", in: Lichtenberg-]ahrbuch 1989, S.140-160. Evangelische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart, Kirchenregisteramt, Tauf-
15 Am 5. Oktober 1789 heiratete Lichtenberg seine Haushiil- buch Bd. 21 1765, S. 5).- Spittler war Mitglied der Gettinger Loge ,.,Augusta
terin Margarethe Elisabeth Kellner (1768-1848), mit der zu den drei Flammen" (Schuttler, Mitglieder des Dluminatenordens (cf.
er acht Kinder harte: Karl Gottlieb Ludwig (1784 -1784), A 6/50), S. 147). Zu i.hm vgl. auch Joist Grolle, Landesgeschichte in der
Georg Christoph (1786 -1845), Christian Friedrich (1787- Zeit der deutschen Spiitaujkliirung. Ludwig Timotheus Spittler (1752-1810),
1789), Luise Wilhelmine (1789-1802), Christian Wilhelm Gettingen 1963 (=Gettinger BausteinezurGeschid1tswissenschaftBd. 35).
(1791-1860), Agnes (1793-1820), Auguste Friederike 17 Johann Friedrich Gmelin (1748-1804), aus Thbingen, war
(I 795-1837) und Heinrich (1797-1839). Unter den von von 1775 bis 1778 ordentlicher Professor an der philoso-

560 561
Ko=entar zu den Briefen
C l Von SuEkind, l. Juni 1790

phischen und auEerordentlicher Professor an der medizi- historicae epistolarum Pauli ad Corinthios interpretationi ser-
nischen Fakultiit in Gottingen, dann ab 1778 ordentlicher vientes, Ti.ibingen 1789 (auch abgedruckt in: Opuscula aca-
Professor fur Chemie an der medizinischen Fakultiit (vgl. demica, Bd. 2 Nr. 5 S. 242-366. Die Opuscula academica ad
Ebel, Catalogus Prifessorum ( cf. A 5/ 16), S. 74, 81, 105). interpretationem librorum sacrorum pertinentia, wie der voile
18 Johann Gottfried Eichhorn heiratete 1775 Susanna Dorothea Titellautet, erschienen zwar in Ti.ibingen erst 1796 (Bd. 1),
Muller (1756-1835). Die iilteste Tochter Eichhorns istLoui- 1797 (Bd. 2) und 1803 (Bd. 3). Sie enthalten aber revidierte
sa Friederica Susanna (geb. 1776). Ihre Geschwister sind Dissertationen aus den Jahren 1778-1789.). Zur Debatte
Wilhelmina Sophia (geb. 1779), Eleonora Rosina Henriette zwischen Eichhorn und Storr vgl. C 1/ 25.
(1783 -1784) und Franz Ludwig (geb. 1786). (Vgl. Kir- 25 Im ersten Band seiner Allgemeinen Bibliothelc der biblischen
chenregisteramt Jena, 'fraubuch Bd. 3 S. 484, und Taufbuch Litteratur (1788), St.1 S. 91-108, rezensierte Eichhorn weit-
Bd. 7 S. 584, Bd. 8 S. 3, S. 160 und S. 254, sowie Totenbuch gehend zustimmend Christoph Gottfried Bardilis Schrift
Bd. 4 S. 444.) Significatus primitivus vocis JtQO<pi]'tT]~ ex Platone erutus, cum
19 Diese Formulierung kann als ein entfernter Anklang an die novo tentamine interpretandi l Cor. cap. XIV, Gottingen 1786.
Worte betrachtet werden, die Friedrich Heinrich Jacobi in Bardili unterscheidet in dieser Schrift das ,yA.waan A.aA.t::i:v'
seinem Spinozabi.ichlein Lessing zuschreibt (UeberdieLehre (griech.: mit der Zunge reden) vom Redenkonnen in frem-
des Spinoza inBriqen an denHerrnMosesMendelssohn, Breslau den Zungen oder Sprachen und erkliirt die urspri.ingliche
2
1789, S. 22). Bedeutung von ,JtQO<pi]'tT]~' (griech.: Prophet) als Ausdeuter
20 Vgl. C 2 S. 176 Z. 1 - S. 178 Z. 9. von dem, was mit bloEer Zunge, also ohne BewuiStsein,
21 Das Akkomodationsprinzip meint eine ,Anbequemung" re- gesprochen worden ist. Zu seiner Rezension nahm Eichhorn
spektive Anpassung der Lehren Christi und der Apostel spiiter im selben Band noch einmal verdeutlichend Stellung:
an die Anschauungen und Auffassungen ihrer Zeit. (Vgl. ,Noch etwas i.iber yA.waan A.aA.dv zu S. 101 ff.", St.5 S. 775-
Moglichkeit einer Offenbarung (VI3), S. lOOlf.) 781. Dort vertrat er die These, ,yA.waan A.aA.dv' sei "eine
22 Eichhorn riiumt die Legitimationsfunktion von Wundern abgeki.irzte Redensart [.. .], deren vollstiindiger Sinn ist:
fi.ir einen gottlichen Gesandten ein, d. h. er liiiSt den SchluE ,bios mit Bewegung der Zunge unverstiindliche Worte her-
von Jesu Wundern auf seine Gottesgesandtschaft gelten - vorstoiSen"' (S. 777). Dagegen richtete sich Storr in der
iihnlich im Fall der Apostel - (vgl. C 2 S. 176 Z. 20 - 23 unter C 1/24 erwiihnten Schrift. Eichhorn bekriiftigte seinen
und Eichhorn, Jiher die Geistes-Gaben der ersten Christen. Standpunkt in der hier von Si.ilSkind und oben unter C 1/22
I Corinth. XII. XIII. XIV." in: ders., Allgemeine Bibliothek genannten Abhandlung i.iber die Geistesgaben der ersten
derbiblischenLitteratur Bd. II St.5 1790, S. 757-859, S. 814f., Christen: Das Zungenreden geschehe in einem "Zustand
839 f.). Zu den weitergehenden Konsequenzen aus den Wun- des Nicht-BewuEtseyns oder einer erhoheten Einbildungs-
dern, die Storr zieht, vgl. C 2 S. 177 Z. 30 ff. (C 2/ 20) und kraft, durch die man his zur Entzi.ickung und Schwiirmerey
C 4 S. 198 Z. 20 ff. (C 4/ 25). (Vgl. Moglichkeit einer Offen- hingerissen wurde", als Folge einer ~eftigen Anstrengung
barung (VI3), S. 1004.) und Ueberspannung der Geistes- oder Korperkriifte"
23 Vgl. C 1/22. (S. 802f.).
24 Storrs Einwendungen gegen die Thesen, die Eichhorn in 26 Storrs neuerliche Replik erschien in: "Ueber die Geistes-
seiner Allgemeinen Bibliothelc der biblischen Litteratur von gaben der Korinthischen Christen", in: Paulus, Repertorium
1788 vorgebracht hatte (vgl. C 1/25), finden sich in: Notitiae (cf. A3/ 72), Bd.3 S.281-357.

562 563
Kommentar zu den Briefen C 1 Von SliBkind., 1. Juni 1790

27 Vgl. A 3 S. 21 Z. 35 - S. 23 Z. 2 und A 3/ 40. 2700 Gulden Gehalt im Faile des Wechsels nach Gottingen
28 Vgl. C 10 S. 245 Z. 22ff. an (BriefnachlaB Storr, in Privatbesitz).
29 Die Lehre von der Genugtuung der Si.inder vor Gottes 32 Storr, Neue Apologie ( cf. B 3/ 30).
Strafgerechtigkeit. Das orthodoxe Dogma von der stellver- 33 Jeremias David Reug (1750-1837), ein Sohn des Ti.ibinger
tretenden Genugtuung (satisfactio vicaria) durch Jesu Tod Kanzlers Jeremias Friedrich ReuB (1700 -1777), des Bruders
am K.reuz war ein Stein des AnstoBes fur die Aufkliirungs- von Si.igkinds Grogvater (vgl. C 1/ 1), war von 1782 his
theologie (vgl. Moglichkeit einer Offenbarung (VI3), S. 999 1785 auBerordentlicher, dann his zu seinem Tod ordent-
Anm. 260 und S. lOll f.). Zum Thema des stellvertretenden licher Professor fur Gelehrtengeschichte an der Philoso-
Opfertodes vgl. C 2 S. 177 Z. 9 ff. und C 5 S. 206 Z. 36 - phischen Fakultiit der Universitiit Gottingen (vgl. Ebel, Ca-
S. 207 Z. 4. Zu Diez' Position in dieser Frage vgl. A 6/ 45. talogus Prcfessorum (cf. AS/ 16), 8.105, 122). - Aus zwei
30 Die Lehre, in deren Mittelpunkt die Interpretation des Aus- Briefen Si.igkinds an seine Mutter (in Privatbesitz) vom
drucks ,theopneustos', 2. Tim 3,16, steht. Laut dieser Stelle 15. Mai (S. 2) und 12. Juni 1790 (S. 1) geht hervor, dag
ist die Schrift - also das Alte Testament - ,8EOJtVE"Uoto~', ReuB in Amsterdam auf einer Bi.icherauktion gewesen war,
"von Gott ( oder von Gottes Geist) durchweht" (G. Lancz- urn fur die Gottinger Bibliothek Bi.icher einzukaufen. Zu
kowski; 0. Weber; W. Philipp, Art. ,,nspiration", in: RGG ReuB und seiner Familie vgl. Nachhommen des August Reufi (cf. A 15/ 16),
Bd. 3 Sp. 773-782, Sp. 775), von Gott inspiriert oder ein- S. 8-16, besonders S. 13. Zu SliBkinds GroBvater Albrecht Reichart ReuB
gegeben. Bereits die korrekte Ubersetzung ist strittig. Die vgl. auch Geiges, ,Aus dem Stammbuch eines schwiibischen Herrnhuters",
Beftirworter der Inspiration der Schrift durch Gott nehmen in: Blatter.for Wiirttembergische Kirchengeschichte N. F. XXXI 1927, S. 41-60.
entweder Verba/inspiration an (Eingebung des Wortlautes 34 Bei Si.iBkinds Hauswirt muB es sich urn den Papierfabri-
des Bibeltextes; im Extremfall gelten auch noch die nach- kanten und Buchbindermeister Johann Carl Wiederholdt
triiglich zum Text hinzugefugten hebriiischen Vokalzeichen (1743 -1826) handeln, des sen Haus, nach alter Ziihlung
als von Gott eingegeben) oder aber Persona/inspiration, Nr. 529, in der heutigen Prinzenstrage Nr. 15 stand, ehe es
d. h. Inspiration der Autoren durch Gott. Die Ausdehnung 1912 abgerissen wurde (Auski.infte des Stadtarchives Got-
der Inspirationslehre auf das Neue Testament liegt nahe tingen vom 27. September 1994 und der Fa. Wiederholdt,
(vgl. z. B. Storr, Doctrinae christianae ( cf. A 3/ 14), § 11 S. 55- Cattingen vom 7. Dezember 1994). Vgl. im Bildteil (VII)
59). Dadurch erhiilt sie eine besondere Brisanz. Denn von Abbildung 11.
der Position, die man in der Inspirationslehre bezieht, hiingt
die Entscheidung der Akkomodationsfrage (vgl. C 1/21)
und dann auch der Frage der stellvertretenden Genugtuung
(vgl. C 1/ 29) ab. Si.iBkind bezeichnet die Inspirationslehre
als die Grundfeste des Storrschen Systems (C 4 S. 198 Z. 20-
27, vgl. hierzu C 2/ 20). Sartorius, Compendium ( cf. A 3/ 17)
behandelt die "Theopneustia" im Locus II ~e scriptura
sacra fonte ac principio theologiae revelatae" (§§ 36-68,
S. 29-73) in den §§ 48-52, S. 47-56.
31 In einem Brief vom 8. Dezember 1789 bot Spittler Storr
im Auftrag des Konsistorialrats Johann Benjamin Koppe

564 565
Ko=entar zu den Briefen C 2 Von SiiBkind, 7. Juli 1790

Z. 1-3 sowie C 4/ 4. Storr heiratete Charlotte Amalie ReuB


C2 (1748-1822), eine Cousine von SiiEkinds Mutter (vgl. Fa-
Friedrich Gottlieb SiiEkind, Gottingen ber, XXV. Bocer'sche Stiftung, § 610, und Nachkommen des
Mittwoch, den 7. Juli 1790 August Reufi (cf. A 15/ 16), S. 13).
An Immanuel Carl Diez, Tiihingen 4 Abraham Gotthelf Kastner (1719-1800), bedeutender Ma-
thematiker, seit 1756 his zu seinem Tod ordentlicher Pro-
fessor fUr Mathematik und Physik in Gottingen (vgl. Ebel,
Manuskriptheschreihung Catalogus Profissorum (cf. A5/ 16), S.l03f.). Er trat auch
als Verfasser zahlreicher Arbeiten zur Theorie und Geschich-
Standort: UBT, Mh 633. te der Mathematik hervor, unter anderem einer Geschichte
An~ahl der Lagen und Blatter: 1 Doppelblatt und 1 Einzelblatt; Format in em der Mathematik seit der Wiederherstellung der Wissenschaften
(Hohe X B~eite): 20,7-21,2 x 16,7-17,1 (Doppelblatt), 17,5-17,7 x 17 (Ein·
zelblat9; Rander beschrutten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Papierfarbe:
bis an das Ende des achtzehnten]ahrhunderts, 4 Bde. Gottingen
chamois. 1796-1800. Von ihm verfa.Bte Rezensionen erschienen in
(.inte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 6 von 6; Faltung: quer, dann den Giittingischen Anzeigen von gelehrten Sachen und in Ni-
angs.
colais Allgemeiner deutscher Bibliothek Kant schatzte Kastner
Besondere Bemerkungen: S. 1 oben Rotelstift-Numerierung ,:2", S. 5 oben ;2a".
hoch, der seinerseits aber die Kantische Raumlehre kriti-
sierte (vgl. Wilhelm Dilthey, ~us den Rostocker Kanthand-
schriften" und $ants Aufsatz iiber Kastner und sein Antheil
Kommentar an einer Recension von Johann Schultz in der Jenaer Li-
teratur-Zeitung", in: Archiv for Geschichte der Philosophie
1 Wie aus dem Folgenden und aus einem Brief SiiEkinds an 31890, S. 79-90 und S. 275-281). - Zu Kastner als Epi-
seine Mutter vom 3. Juli 1790 (S. 2; in Privatbesitz) her- grammatiker vgl. D 5/ 40. - Diez hatte Sii.Bkind offenbar
vorgeht, hatten Storr und insbesondere Schnurrer, der sel- (~n der Tat") in seinem Brief Kielmeyers Berufung zum
ber ein sehr eifriger Briefschreiber war, Post von Si.ifSk.ind Professor fUr Zoologie an die Karlsschule mitgeteilt (vgl.
erwartet. Schnurrer harte sich deswegen, wie Si.ifSkind in A 14/ 1). Nach Sii.Bkinds Einschatzung war Kielmeyer, der
d~m erwahnten Brief schreibt, ,sehr empfindlich" gegen im Zuge seines Studiums an der Karlsschule und dann in
D1ez geau.Bert. Unter den weiter unten im Text (S. 174 Gottingen bei Lichtenberg unter anderem auch Physik und
Z. 4) erwahnten Briefen und Paketen, die Schnurrer offenbar Astronomie studiert hatte (vgl. A 14/ 1 und C 1/ 14), auch
von Thbingen aus an Sii.Bkind nach Stuttgart zur Weiter- ein hervorragend geeigneter Kandidat fur die Nachfolge
h.eforderung nach Gottingen geschickt hatte, mufS sich auch Kastners. Diez seinerseits hielt ihn fUr einen qualifizierten
em Empfehlungsschreiben fur Sii.Bkind an Eichhorn be- Astronomen (vgl. seine Empfehlung im Brief an diesen
funden haben (vgl. Sii.Bkinds Bemerkung im vorangegan- vom 2. Dezember 1791 (A 14), S. 89 Z. 22-28).
genen Brief (C 1), S. 169 Z. 9 f.: ,Schnurrer muE mich gut 5 Vgl. A2/ 16.
recommendiert haben"). 6 Carl Christian Erhard Schmid.
2 Vgl. C 1/1. 7 Karl Friedrich Paulus (1763-1828) (vgl. Rudolf F. Paulus,
3 Zum engen Kontakt Sii.Bkinds mit Storr vgl. SiiEkinds Be- ,Genealogia Pietistika. Eintrage zur Familiengeschichte
merkung im Brief vom 20. September 1790 (C 4), 8.188 Hahn - Hoffmann - Paulus im 18. und 19. Jahrhundert",

566 567
Ko=entar zu den Briefen C 2 Von SiiEkind, 7. Juli 1790

in: Blatter fiir Wiirttembergische Kirchengeschichte Bd. 66/ 67 mena zu einer )eden kiinjtigen Metaphysik, die als Wissenschajt
1966/ 67, S.163-246, S.172f.), aus Conz' Promotion (vgl. wird aujtreten kiinnen, Riga 1783, und Feders darauf folgende
Magisterprogramm Tiibingen ( cf. A 1/ 2) von 1783). Gemiill Schrift (Ueber Raum und Causalitiit. Zur Priijung der kanti-
Rudolf F. Paulus, der Einsicht in das Familienbuch der Familie schen Philosophie, Gottingen 1787) haben die Tatsache, dag
Paulus, Pforzheim 1931, hatte, holte ihn sein Schwager und Feder ,kein Kantianer" war, allgemein bekannt gemacht.
Vetter Heinrich Eberhard Gottlob Paulus als wissenschaft- Nach dem Vorbild von Lockes Untersuchungen iiber den
lichen Mitarbeiter nach Jena (vgl. Paulus, ,Genealogia menschlichen Verstand schrieb Feder seine Untersuchung iiber
Pietistika", S. 163 Anm. 1). Ab 1799 war Paulus Pfarrer in den menschlichen Willen, dessen Naturtriebe, Veriinderlichkeit,
Klosterreichenbach und danach in mehreren wi.irttem- Verhiiltn'!fl zur Tugend und Gliickseligkeit, und die Grundregeln,
bergischen Gemeinden; vgl. Faber, XXVIII. Gomer-Hirsch- die menschlichen Gemiither zu erkennen und zu regieren, 4 Bde.
mann'sche Stiftung, § 134. Die Matrikel]ena weist ihn nicht Gottingen 1779-1793. (Vgl. Hans Patze, Geschichte Nieder-
aus, in Tiibingen wurde er am 29. Oktober 1779 immatri- sachsens, Bd. III,2 Hildesheim 1983, S. 338-366, bes.
kuliert (MTii Nr. 37843 S. 293). S. 343 -345; Gotz von Selle, Die Georg-August-Universitiit
8 Vgl. A 9/ 8. zu Giittingen 1737-1937, Gottingen 1937, S. 176 ff. und Luigi
9 Johann Georg Heinrich Feder (1740-1821) wurde 1768 Marino, Praeceptores Germaniae. Gottingen 1770-1820, Got-
vom Gymnasium in Coburg zum ordentlichen Professor tingen 1995 (= Gottinger Universitatsschriften Serie A:
fur Philosophie in Gottingen berufen (vgl. Ebel, Catalogus Schriften, Bd. 10), bes. S.169-187.) - Zu Meiners' Bedeu-
Prifessorum ( cf. A 5/ 16), S. 105) und wurde 1797 Direktor tung fUr den Unterricht in Ti.i.bingen vgl. A3/ 71.
des Georgianums in Hannover. Feder war Mitglied der Get- 10 Feder hatte aus der ersten 1767 mit Sophie Haublein (gest.
tinger Loge ,Augusta zu den drei Flammen" (Schiitder, 1792) geschlossenen Ehe einen Sohn, Philipp (1768 -1807),
Mitglieder des Illuminatenordens ( cf. A 6/ 50), S. 52). Sein und zwei Tochter, Charlotte (geb. 1770) und Wilhelmine
Lehrbuch Logik und Metaphysik im Grundrisse, Gottingen (1771-1772). Aus seiner zweiten Ehe mit Louise Best, verw.
1769, war in vielen Auflagen weit verbreitet. Feder verband Moeller (gest. 1805), die er 1773 heiratete, hatte er a~er
die empiristische Untersuchungsmethode von John Locke zwei Stiefsohnen, Wilhelm Moeller (geb. 1769) und Ludwig
mit einem vorsichtig argumentierenden Rationalismus und Moeller (geb. 1771 ), vier weitere Kinder: Isabelle Dorothea
verteidigte diese Position auch gegen Kant. Zusammen mit Luise ( 177 6-1814), die spater den Philosophen Gottlob Ernst
seinem Schuler und Freund Christoph Meiners gab er der Schulze heiratete; Henriette (geb. 1779); Jeanette Louise Phil.
Philosophie in Gottingen ihr besonderes, an englische 'fra- (geb. 1784) und August (geb. 1790). Si.i.gkind konnte am
ditionen angenahertes Profil und hielt fur lange Zeit den ehesten die Bekanntschaft der 14jahrigen Isabelle gemacht
Einflug anderer Schulen von Gottingen weitgehend fern. haben. (Vgl. Johann Georg Heinrich Feder, Leben, Natur
Dazu halfen auch seine zahlreichen, in den Giittingischen und Grundsiitze. Zur Belehrung und Ermunterung seiner lieben
Anzeigen von gelehrten Sachen veroffentlichten Rezensionen Nachkommen, auch Anderer die Nutzbares daraus zu nehmen
und die seit 1788 gemeinsam mit Meiners herausgegebene geneigt sind, Leipzig, Hannover, Darmstadt 1825, S. 231 f.)
Philosophische Bibliothek. Feders Anteil an Carves Rezension 11 Vgl. C 1/15. Diez hat offenbar nachgefragt, in welchem
der Kritik der reinen Vernurift, die in den Gottingischen Sinn das ,durch nahe Furcht des Tods bewogen" (C 1 S. 169
Anzeigen vom 19. Januar 1782 erschien (GoA. Zugaben Z. 1f.) zu verstehen sei.
3. Sti.ick S. 40-48), Kants Reaktion darauf in den Prolego- 12 Si.igkind hatte im Vorbrief i.iber Plancks, Spittlers und Eich-

568 569
Kommentar zu den Briefen C 2 Von SuBkind, 7. Juli 1790

horns Meinung berichtet, das Stift sei ,in Absicht aufStudien einmal als ,exegetisch richtig" erkannt worden seien, auch
so sehr im Verfall" (vgl. C 1 S. 169 Z. 26f.), und Diez offenbar , dogmatischeO Richtigkeit" hatten. Daher sei kein Raum
in seinem Brief widersprochen. Si.iEkind schlieEt sich ihm fur die Anwendung des Akkomodationsprinzips. (Vgl. Storr,
im folgenden an, allerdings mit der aufschluEreichen Ein- ,Ueber den eigentlichen Zwek des Todes Jesu", in: ders.,
schrankung, daE unter den Tubinger Studenten die Phi- Pauli Brief ( cf. C 2/ 19), S. 363-692, S. 533 ff. (Zitate
lologie zugunsten der Philosophie vernachlassigt werde. In S. 534 f.).) Vgl. Moglichkeit einer Offenbarung (VI3),
Gottingen war das offenbar nicht der Fall. Die heterodoxe S.lOOlf.
Bibelexegese der sich avanciert gebenden Gottinger Pro- 21 D. h. er leugnet die Verbalinspiration (vgl. C 1/ 30) des Neuen
fessoren vermochte es wohl, die Theologiestudenten an Testamentes.
ihr Fach und Handwerkszeug zu binden. So konnte der 22 Diese Form der Abweichung von der Verbalinspiration (vgl.
Thbinger Hang zur Philo sophie als eine ungewollte Wirkung C 1/30) ist die riskantere, weil sie den Verfassern des Neuen
der Storrschen Orthodoxie erscheinen. Testaments Irrti.imer und Verstandesschwache zuschreibt.
13 Vgl. C 1 S.169 Z.27- S.170 Z. 6. 23 Gemeint ist , das erstere".
14 Vgl. C 1/30. 24 Eichhorns A.uEerungen legen zwei alternative Positionen
15 Griech.: heiliger Geist. nahe: (1) Der Gebrauch des Akk.omodationsprinzips hat
16 Griech.: durch Offenbarung. ein fundamentum in re in der tatsachlichen Akkomodation
17 Lat.: Spitz die Ohren! Vgl. Terenz, Andria, V. 933. der Verfasser der neutestamentlichen Schriften. (2) Die Ver-
18 Vgl. C 1/ 29. fasser des Neuen Testamentes haben ,lrrti.imer, in der Mei-
19 Vgl. Gottlob Christian Storr, Pauli Brief an die Hebriier, 'II.i- nung, es seien Wahrheiten, vorgetragen"; das Akkomoda-
bingen 1789, Einleitung § 12, S. LXXXIV ff., besonders tionsprinzip client der Verdeckung dieser Tatsache. Die zwei-
S. XC: ,Die ganze Hypothese, daE Paulus an Judenchristen te Meinung auEert Eichhorn nur privat, die erste unterstellt
in Palastina geschrieben und sich deswegen der Landes- er in seinen offentlichen A.uEerungen.
sprache bedient habe, beruht auf einem Misverstande des 25 Die Qualitat der Einwande der Heterodoxen dependiert
Briefs an die Hebraer selbst". in besonderer Weise vom Status der Akkomodationslehre
20 Eichhorn raumt die Legitimationsfunktion der Wunder ftir - sofern man die Heterodoxie nicht im Sinne von Eichhorns
einen gottlichen Gesandten ein (vgl. C 1/ 22). Da er jedoch zweiter These (vgl. C 2/ 24) radikalisiert. Storrs Antworten
nur eine gemaEigte Form der Personalinspiration annimmt werden daher vor allem diesen Punkt betreffen. Carl Chri-
(vgl. S. 176 Z. 23ff. mit C 1/30) und die Verbalinspiration stian Flatt zufolge, der in einer Herausgeberanmerkung in
ablehnt (vgl. den folgenden Halbsatz und C 2/ 21 ~t Storrs Christlicher Dogmatilc ( cf. A 3/ 14), S. 192 f., eine zu-
C 1/30), bleibt in der Exegese des Neuen Testamentes bret- sammenfassende Darstellung liefert, sind die fUnf Haupt-
ter Raum fur die Anwendung des Akk.omodationsprinzips gri.inde Storrs und ihm nahestehender Theologen gegen
(vgl. C 1/ 21). Storr hingegen argumentiert aus der Annahme die Akkomodationsthese: 1. der moralische Charakter Jesu
des durch ,eine ganze Reihe von Wundern bestatigte~" und seiner Apostel; 2. die Legitimationsfunktion der Wun-
gottlichen Ursprungs des Unterrichts, wie er von Jesus Chn- der; 3. mangelnde Kriterien fur die Unterscheidung zwi-
stus als gottlichem Gesandten und in seiner Fortsetzung schen akkomodierten und authentischen Aussagen; 4. die
von den Aposteln ,eben so glaubwi.irdigO" erteilt word~n Unsicherheit der Ubereinstimmung von Jesu positiver Lehre
sei, dafUr, daE die im NT enthaltenen Lehren, wenn sle mit zeitgenossischen Uberzeugungen der Juden und 5. die

570 571
Ko=entar zu den Briefen C 2 Von Si.iBk.ind, 7. Juli 1790

Unerweislichkeit der Notwendigkeit und des Bediirfnisses wissen konnte und damit rechnen muEte, die Kollegnach-
der Akkomodation bei Jesu und den Aposteln. Storr selhst schriften bald einsehen zu konnen, muE sein Interesse an
verweist in seinen Doctrinae christianae ( cf. ebd), S. 63, in Plancks Vorlesung sehr groE gewesen sein.
diesem Zusammenhang auf zwei seiner friiheren Schriften 30 Vgl. im vorangegangenen Brief (C 1) S. 171 Z. 23f.: Planck
(Dissertatio hermeneutica de sensu historico, Ttibingen 1778, ~est alles wortlich ab".
§§ IX-XXI (entspricht in den Opuscula academica (cf. 31 Si.iEkind war am 2. Dezember 1788 Vikar bei Pfarrer Jo-
C 1/24), Bd. 1 Nr. 1 S. 1-88, den Seiten 23-75) und ,Zwek hannes Camerer (1733 -1804) in DuElingen geworden und
des Todes Jesu" (cf. C2/ 20)). Flatt nennt zudem noch hatte am 15. Januar 1790 die Reiseerlaubnis fUr den Got-
Storrs anonym erschienenen Aufsatz "Observationes quae- tinger Aufenthalt erhalten (LKA Stuttgart, A 12 Nr. 23, 13
dam spectantes ad enodandam quaestionem: utrum se Ju- d. 3; zu Camerer vgl. GMB und Camerer, Familiengeschichte
daeorum hermeneuticis erroribus accommodaverint missi (cf. A4/ 2), S.34-36). Si.iEkind nimmt zu dieser Zeit of-
divinitus interpretes", in: Johann Peter Berg, Symbolae !i- fenbar an, er miisse wahl bei seiner Ri.ickkehr nach Wtirt-
terariae ex Haganis jactae Duisburgenses, Bd. 2,2 Haag, Duis- temberg wieder Vikar in DuElingen werden. Zu einem Vi-
burg 1786, S.413-472 (vgl dazu auch TtiA36.St. vom kariat bei seinem Onkel Gottfried Albrecht ReuE in Pfaf-
4. Mai 1786, S. 281-283 bes. S. 282). (Vgl. auch C 2/ 20.) fenhofen vgl. C 6/ 9.
26 Vgl. C 1/ 18. 32 Si.iEkind hatte wegen seines Planes einer gelehrten Reise,
27 In Thbingen las Christian Friedrich Rosier Kirchengeschich- den er bereits friih gefaEt hatte, mehrere Male mit seinen
te, wie auch aus einer Antwort der Professoren der philo- flinf Onkeln mi.itterlicherseits gesprochen und korrespon-
sophischen Fakultat vom 15. Marz 1792 auf die in einem diert, wie aus seinen Briefen an die Mutter (aile in Privat-
Reskript des Geheimen Rates vom 2. Marz 1792 unter an- besitz) hervorgeht. Seine ftinf Onkel sind (1) Gottfried
derem gestellte Frage nach den wirklich gehaltenen Vor- Albrecht ReuE (17 40-1 797), der seit 1770 Pfarrer in Pfaf-
lesungen hervorgeht (UAT, 117/ 1). Der Professor der Ge- fenhofen war; (2) Christian Gottlieb ReuE (1742-1815),
schichte Rosier hat demzufolge ~ehrmalen eine Summa- der von 1766 an Hofmedikus, ab 1774 Professor der Chemie
rische Kirchen u. Religionsgeschichte [... ] oder auch [...] an der Militarakademie und dann an der Hohen Karlsschule
eine Geschichte der Pabste gelesen" und zwar "jederzeit in Stuttgart, von 1781 an auch Leibmedikus und seit 1796
auf dringendes Ansuchen einer betrachtlichen Anzahl von Rat und wirklicher Leibmedikus war; (3) Johann Conrad
Zuhorern". Seine Bibliothek der Kirchenviiter in Uebersetzun- Walther (1736-1804), zunachst Hofgerichtsadvokat, dann
gen undAusziigen aus ihrenfornehmsten, besonders dogmatischen Konsulent und Amtmann in Bischoffsheim bei Sinsheim
Schrifien, samt dem Original der Hauptstellen und nothigen und schlieElich seit 1781 Hof- und Regierungsrat in Gail-
Anmerkungen, 10 Bde. Thbingen 177 6-178 6, war ein in der dorf, der 1763 Auguste Sophie, geb. ReuE (1746-1821),
Stiftsbibliothek haufig endiehenes Werk (vgl. Walter Bet- eine Schwester von Si.iEkinds Mutter heiratete; (4) Johann
zendorfer, Holder/ins Studienjahre im Tiibinger Stzjt, Heil- Georg Friedrich Heyd (1748-1834), ab 1773 Professor fUr
bronn 1922, S.41). Rechte an der Militarakademie und dann an der Karlsschule
28 Spitder, Geschichte der christlichen Kirche (cf. C 1/ 16). in Stuttgart, 1781 Regierungsrat und seit 1784 wirklicher
29 Vgl. im vorangegangenen Brief (C 1) S. 172 Z. 1-4. Da Diez Regierungsrat, spater Direktor des koniglichen Obertribu-
von Si.iEkinds Plan, auch noch das Wintersemester in Gi:it- nals, der 1775 die ji.ingere Schwester von Si.iEkinds Mutter,
tingen zu verbringen (C 2 S. 180 z. 8-31 ), noch nichts Christiane Marie (1750 -1780), heiratete; (5) Johann Joseph

572 573
Kornmentar zu den Briefen C 2 Von SiiEkind, 7. Juli 1790

ReulS (1751-1813), der 1773 zweiter, 1787 erster Stadt- 33 Zu Storrs Frau vgl. C 2/ 3.
physikus in Stuttgart, 1792 zweiter und im Jahr darauf 34 Anfang 1790 hatte der Oberturkheimer Pfarrer Friedrich
erster wirklicher Hofmedikus wurde und Professor fur K.li- Gottlieb Buhler (1737-1809) die Pfarrei Echterdingen er-
nische Praxis an der Hohen Karlsschule in Stuttgart war halten (vgl. MTii Nr. 35297 S. 171; GMB). Das Patronatsrecht
(vgl. Nach!commen des August Reufi (cf. A 15/ 16), S.26-40; fur die vakant gewordene Pfarrei Oberturkheim ubte (his
Faber, III. Fikler'sche Stiftung, §§ 887-891, und LXXVIII. 1803) das ftirstliche Hochstift in Konstanz aus. Wurttem-
Keppel'sche Stiftung, § 2). In einem Brief an die Mutter bergische Pfarramtskandidaten, die sich urn diese oder an-
vom 1. September 1789 erwiihnt Su!Skind die mit seinen dere ,auswiirtige' Stellen bewerben wollten, hatten vorher
Onkeln anlilllich seines vorausgegangenen Stuttgart-Besu- beim Herzoglichen Konsistorium urn Erlaubnis nachzusu-
ches getroffene mundliche Vereinbarung, wonach diese ein chen. Am 12. und 20. Mai 1790 traf jeweils ein derartiges
privates Stipendium fur seine Reise aufbringen wiirden schriftliches Gesuch beim Konsistorium ein, das erste von
(S. 1). Wegen der beabsichtigten Verliingerung seines Get- dem Stiftler Magister Johann Christoph Friedrich Heller
tinger Aufenthaltes hat sich Su!Skind dann, wie einem Schrei- (1761-1822), Vikar in Unterturkheim, 1795 Pfarrer in Gra-
ben an die Mutter vom 24. Juli 1790 (S. 1) zu entnehmen fenberg (GMB), das zweite von Magister Friedrich Heinrich
ist, neuerlich und in mehreren Briefen an seine Onkel ge- Steinheil (1753-1824), 1788 Diakon in Metzingen und 1798
wandt. Dem Pfaffenhofener Pfarrer Gottfried Albrecht Reu~ Pfarrer ebenda (vgl. MTii Nr. 37190 S. 252; GMB). Beide
schrieb Su!Skind zuletzt, da dieser sich auf Reisen befunden Gesuche wurden vom Konsistorium bewilligt (am 14. bzw.
hatte. Der (nicht erhaltene) Brief ging als EinschluE des 26. Mai). Ein Gesuch von Diez lielS sich nicht nachweisen
eben genannten Briefes an die Mutter (mithin nach dem -was allerdings auch nicht zu erwarten war, denn Si.i!Skinds
Datum des Briefes an Diez) ab (vgl. S. 1 und 3 des Briefes Worte, ,ich hatte fast Lust, bose uber Dich zu sein, daiS
an die Mutter). Den ubrigen vier Onkeln hatte Si.iEkind Du's nicht geworden bist", legen nahe, daiS Diez sich gar
jedoch schon fruher geschrieben, vermutlich zwischen Mitte nicht heworben hat. - Mit Datum vom 25. Juni 1790 no-
Juni (Datum eines Briefes an die Mutter vom 12. Juni minierte das Konstanzer Hochstift uberraschenderweise ei-
1790, in dem Su!Skind sich nach der voraussichtlichen Ri.ick- nen Kandidaten, der sich zuvor nicht an das Konsistorium
kehr des Pfaffenhofener Pfarrers erkundigt (S. 2)) und An- gewandt hatte, niimlich Magister Johann Friedrich Buhler
fang Juli (Datum des Briefes an Diez ). (Vgl. auch die weiteren (1767- 1816), den Sohn des bisherigen Pfarrers (vgl. MTu
Briefe an die Mutter vom 31. Juli (S. 1), vom 22. August Nr. 38240 S. 318 und GMB). Dieser iibersandte dem Konsistorium
(S. 2) und vom 9. September 1790 (S. 1 f.).) - Die anfanglich am 7. Juli das Nominationsdekret und bat den Herzog urn Bestatigung
geauEerte Ahsicht, sich bei Chri tian Heinrich von Palm urn ein Stipendium der Nomination. In diesem Schreiben an den Herzog vom 13. Juli auEerte
(vgl. E 8/ 9) zu bewerben (vgl. SiiEkind an Johann Conrad Walther, das Konsistorium Bedenken gegen die Bestatigung Biihlers: er habe es
DuiSlingen, den 29. Mai 1789; in Privatbesitz), scheint Sii.ISkind, miigli- nicht nur unterlassen, urn Bewerbungserlaubnis zu fragen, sondern sei
cherweise auf Anraten Walthers, aufgegeben zu haben. Dagegen hat er auch noch nicht hinreichend ausgebildet, und schlug ein Schreiben an
ein Stipendium des wiirttembergischen Kirchenrates von jiihrlich 200 das Hochstift in Konstanz vor, in dem auf zukiinftig ordnungsgemaEe
Gulden ftir den Zeitraum von zwei Jahren ab Herbst 1790 bewilligt Nomination gedrungen werden sollte. Laut Herzoglichem Dekret vom
erhalten (HSA Stuttgart, A 202 Geheimer Rat: Akten, Bii 713 Die Ver- 15. Juli wurde die Nomination schlieiSlich angenommen und ein im Ton
willigung von Reisegeldern (1731-1797), Antrag vom 15. Februar und verbindliches Schreiben an das Hochstift verfaiSt. Von dort kam am
Resolutio Celsissimi vom 22. Februar 1790). 20. September eine versohnliche Antwort: Man sei davon ausgegangen,

574 575
Komrnentar zu den Briefen C 2 Von SiiEkind, 7. Juli 1790

daB Magister Buhler aile relevanten Voraussetzungen erftille, da er Z. 26ff.). Den Repliken Su_gkinds nach zu schliegen, scheint
von zuverliissigen "Orten her anempfohlen" worden sei, und man wolle Diez mit seinen Erfahrungen als Vikar zu Bebenhausen
in Zukunft daftir sorgen, daE das Konsistorium zufriedengestellt werde. (vgl. A 2/ 3 und A 3/ 8) argumentiert zu haben.
(LKA Stuttgart, A29, Ortsakten Oberti.irkheim Nr.3361) 40 Georg III. Wilhelm Friedrich (1738 -1820) war seit 1760
35 Johann Friedrich Buhler (1767-1816) heiratete 1791 Frie- Kurft.irst von Hannover und in Personalunion Konig von
derike Johanne Weckherlin (geb. 1773), die Tochter des England. Sein Geburtstag war der 4. Juni.
Konstanzischen Rates und Pfarrers in Schorndorf Georg 41 Ludwig Timotheus Spittler heiratete am 26. Mai 1782 Chri-
Friedrich Weckherlin (1733-1811) (vgl. Faber, I. Broll'sche stiane Elisabeth Eisenbach (geb. 1762) (vgl. Faber, XXV.
Stiftung in Tiibingen, Substituierte D. a.,§ 43; III. Fikler'sche Bocer'sche Stiftung, § 525).
Stiftung, §§ 332, 493, und XXV. Bocer'sche Stiftung, §§ 420, 42 Johann Stephan Putter (1725-1807), ab 1747 bis 1753
458). Dieser war zugleich auch der Schwiegervater von augerordentlicher, dann bis zu seinem Tode ordentlicher
Buhlers Mitbewerber Steinheil (vgl. C 2/ 34), der in seinem Professor fur Rechtswissenschaften (vgl. Ebel., Catalogus Pro-
Gesuch an das Konsistorium mitteilte, sein Schwiegervater, fessorum ( cf. A 5/ 16), S. 49, 57), Rechtstheoretiker und der
Weckherlin, wolle ftir ihn beim Domstift in Konstanz urn bedeutendste Jurist seiner Zeit auf dem Gebiet des Reichs-
die Pfarrei Oberturkheim nachsuchen. Sugkind unterstellt staatsrechtes und des Reichsfurstenprivatrechtes, wo er sich
offenbar, dag Buhler aus Dankbarkeit fur die Vermittlung sowohl als Systematiker wie als Verfasser zahlreicher , De-
der Pfarrstelle die erstgenannte Tochter von Weckherlin duktionsschriften" in Streitsachen auszeichnete. Ihm ver-
heiratete. dankten die Juristische Fakultat wie auch die Universitat
36 Griech.: ,Der ich auf das Irdische sinne". Vgl. Phil 3,19: in Gottingen insgesamt zu einem guten Teil ihren Glanz
Dort ist von den ,feinde[n] des creutzes Christi" (ebd. und ihre uberregionale Anziehungskraft auf die Studen-
Vers 18) die Rede, ,welcher ende ist das verdammn:ill, tenschaft. (Vgl. Christoph Link, ,Johann Stephan Putter",
welchen der bauch ihr gott ist, und ihre ehre zu schanden in: Michael Stolleis (Hrsg.), Staatsdenlcer im 17. und 18. ]ahr-
wird, derer, die irdisch gesinnet sind." hundert. Reichspublizistik Politik Naturrecht, Frankfurt a. M.
2
37 Vgl. Die symbolischen Bucher (VI2), S. 926ff. 1987, S. 310-331, auch Putters Selbstbiographie, 2 Bde. Got-
38 Vgl. C2/ 31. tingen 1798.)
39 Diez hatte offenbar Einwande gegen die Abendmahl- und 43 Nach dem Tod Kaiser Josephs II. am 20. Februar 1790
Taufpraxis vorgetragen, die sich, wie der folgende Text war der Thron im Reich fur ein halbes Jahr vakant. Der
nahelegt, vor allem gegen den Ritus der Sakramentenspen- kurfurstliche Konvent zur Wahl des Nachfolgers trat am
dung, nicht so sehr aber gegen deren Dogmatik (,admi- 11. August 1790 in Frankfurt am Main zur ersten Sitzung
nistratio") richteten. Jedenfalls sind Su_gkinds Erwiderun- zusammen. Nach 22 Sitzungen erfolgte am 30. September
gen nicht unmittelbar mit den theologischen Lehrsatzen die Wahl von Josephs jungerem Bruder Leopold (geb. 1747).
in Verbindung zu bringen, wie sie in den Loci erortert - Pi.itter und Spittler, die als Mitglieder der kurbraun-
wurden (vgl. Sartorius, Compendium ( cf. A 3/ 17), Locus schweigischen Delegation an der Wahl teilnahmen, werden
XXVII ,De baptismo", §§ 542-555 S. 431-439, besonders im Wahldekret der Kurft.irsten als Zeugen des ordnungs-
§§ 553 f. S. 437 f. ,Administratio" und ,Praxis", und Locus gemagen Wahlablaufes genannt (vgl. Vollstiindiges Diarium
XXVIII ,De sacra coena" §§ 556-571 S. 440-452, § 559 der Riimisch-Kiiniglichen Wahl und Kaiserlichen Kriinung lhro
S. 441 - 443 ,Actio sacramentalis"; vgl. auch C 4 5.197 nunmehr allerglorwiirdigst regierenden Kaiserlichen Majestat

576 577
Kommentar zu den Briefen C 2 Von SiiEkind, 7. Juli 1790

Leopold des Zweiten, 2 Bde. Frankfurt am Main 1791, Bd. 2 daE er als Hofmeister auf Reisen ging). Clocker immatri-
S. 294 ). - Am 9. Oktober wurde die Kronung ebenfalls zu kulierte sich am 21. Mai 1789 in Gottingen unter der Her-
Frankfurt vollzogen. (Vgl. ebd., Bd. 1 S. 2, Bd. 2 S. 115, 135f., kunftsbezeichnung Wiirttemberg und mit dem Vermerk "ex
277 ff. und 314 f.). Leopolds Regentschaft wiihrte nicht lange. ac[ademia] Stuttgardiensi" (MGo Nr. 15301 S. 317). In ei-
Er starb bereits anderthalb Jahre spater am 1. Miirz 1792. nem aus Gottingen geschriebenen Brief an seine Mutter
(Vgl. Adam Wandruszka, Leopoldll Erzherzog von Osterreich, vom 2. Oktober 1790 erwahnt SiiEkind einen Herrn Gloker
Grossherzog von Toskana, Konig von Ungarn und Bohmen, als einen der Mutter bekannten Landsmann (S. 2; in Pri-
romircher Kaiser, 2 Bde. Wien, Miinchen 1963 -1965.) vatbesitz). 1792 erschien in Ulm eine kleine Schrift von
44 Karl Friedrich Sdiudlin (1761-1826) aus Stuttgart, war vom ihm unter dem Titel: Vom Schwiibirchen Kreir im Allgemeinen,
Wintersemester 1790/ 91 an his zu seinem Tod ordentlicher wie auch von der Erwerbung der Kreirstandschajt in demselben,
Professor ftir Theologie (insbesondere des Alten Testaments miteinemAnhang Ab 1798laEt er sich als Oberamtsverweser
und der Moraltheologie) in Gottingen (vgl. Ebel, Catalogur in Bonnigheim nachweisen (Herzoglich Wirtembergirches
Professorum ( cf. A 5/ 16), S. 36; vgl. auch SiiEkinds Brief Adrefl-Buch, Stuttgart 1798, S.145). 1803 wurde er Ober-
vom 14. Januar 1791 (C 8), S. 223 Z. 3 - S. 225 Z. 28). Nach amtmann in Bonnigheim, spater in Ludwigsburg, Rottweil,
seinem von 1779 his 1784 dauernden Studium im Tiibinger Heilbronn, Rastatt und Ellwangen (vgl. Faber, LXXXIX.
Stift war er Hofmeister in Prangins gewesen (vgl. A 7/ 6) 'Ifitschler'sche Stiftung, § 4 b, aa, und Pfeilsticker § 2241 ).
und hatte mit der Familie seiner Zoglinge 1789/ 90 eine - Weder aus der Matrikel der Universitat Gottingen noch
Reise nach England unternomrnen, die fast ein Jahr dauerte. aus anderen Quellen lieE sich der im folgenden genannte
Der Ruf nach Gottingen, den Spittler vermittelt und ftir Graf, den Clocker als Hofmeister begleitete, ermitteln.
den Storr Empfehlungen gegeben (vgl. Staudlin an Storr, 46 Rosine Luise Gmelin (1755-1828), Tochter des Biirger-
den 29. September 1790, S. 1 (in Privatbesitz)) hatte, er· meisters von Niirtingen und spateren Landschaftseinneh-
reichte Staudlin im Sommer 1790 in London. In einem mers in Stuttgart, Johann Gottlieb Schott (1723-1788),
Brief an die Mutter vom 9. September 1790 berichtet SuB- und Ehefrau von Johann Friedrich Gmelin. Sie nahm of-
kind von Staudlins Ankunft in Gottingen am 5. September fenbar den Brief SiiEkinds an Diez mit auf eine Reise in
(S. 1; in Privatbesitz). Bis dahin hatte er unter anderem die Heimat.
publiziert: Beytrage zur Erlauterung der Propheten und zur 47 Offenbar SiiEkinds Spitzname, wahrscheinlich nach dem
Geschichte ihrer Auslegung, Stuttgart 1786. Unter seinen zahl· Schriftsteller August Friedrich Ferdinand von Kotzebue. -
reichen spateren Publikationen ist in unserem Zusammen· Vgl. auch ~ozart" ftir Klett (C 7 S. 222 Z. 9 und C 9 S. 235
hang besonders hervorzuheben: System der chrirtlichen Re· Z.l).
ligion (cf. B 2/ 5), ein Werk, in dem die christliche Lehre 48 Welche Korrespondenz gemeint ist und ob mit ~." ein
mit Riicksicht auf die philosophische Literatur der Zeit, so Orts- oder Personenname abgekiirzt wird, konnte nicht ge-
auch auf Kant, interpretiert wird (vgl. auch B 2/ 5 und kli:irt werden.
C 6/ 28). Kant hat Staudlin seine Schrift Der Streit der Fa·
kultaten, Konigsberg 1798, gewidmet.
45 Vermutlich Carl August Friedrich Clocker (1768-1848),
der 1776 zum Jurastudium in die Stuttgarter Militi:iraka·
demie eintrat (MSt S. 373, Nr. 638, wo auch vermerkt ist,

578 579
Komrnentar zu den Briefen C 3 Von Si.iKk.in<L 10. September 1790

5 Zu Plancks Reise nach Wt.irttemberg vgl. A 5/ 17.


C3 6 Vgl. A 3/ 93.
Friedrich Gottlieb SiiBkind, Gottingen 7 Zum Konsistorium vgl. A 3/ 68. Zum Inhalt von Si.iEkinds
Freitag, den 10. September 1790 Schreiben vgl. C5 8.210 Z.l3-27.
An Immanuel Carl Diez, Tiihingen 8 Vgl. C2/ 43.
9 Christian Friedrich Weber (1764-1831), zur Zeit des Briefes
Subbibliothekar im Stift (vgl. A 6/ 35), wurde zusammen
Manuskriptheschreihung mit Diez im Herbst 1790 zum Repetenten ernannt (vgl.
C 5/ 32 und / 33); 1794 wurde er Diakon in Ni.irtingen und
Standort: UBT, Mh 633. spater Spezialsuperintendent in Ni.irtingen. (Vgl. GMB; MTi.i
Anzah.I der Lagen und Blatter: Doppelb.Iatt; Format in em (Hohe x Breite): Nr. 38145 S. 312; Leube III, S. 701; vgl. C 5 S. 210 Z. 34
20,4 X 16,3-16,5; Rander beschnitten; Bogenfa.Itung: 4°; Wasserzeichen; Pa-
pierfarbe: chamois. und C6 8.219 Z.32- S.220 Z.11.)
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 1 1h von 4 ( und AdregfeJd
S. 4); Adresse: ,Herro M. Diez, I zu I Tzi.bingen. I durch Einsch.I."; Siegel: S. 4
Siege.Ireste; Faltung: Brieffa.Itung.
Besondere Bemerkungen: S. 1 oben Rotelstift-Numerierung ~3".

Kommentar

1 Diez hatte von Ende Juli his Ende August eine ft.infwochige
Reise nach Augsburg und Munchen unternommen (vgl.
A4 S. 35 Z. 29 - S. 38 Z. 3 und A4/ 1).
2 SuEkind hatte offenkundig in einem Schreiben ans Kon-
sistorium urn die Erlaubnis fur eine Verlangerung seines
Aufenthaltes in Gottingen nachgesucht (vgl. C 5 S. 210
Z. 13- 27). In den Protokollbuchern und Diarien des Kon-
sistoriums (LKA Stuttgart) fand sich keine Spur davon.
3 Kapffplante seitlangerem eine gelehrte Reise (vgl. A 10/ 18).
4 Gustav Hugo (1764-1844), von 1788 his 1792 auEeror-
dentlicher, dann his zu seinem Tode ordentlicher Professor
der Rechtswissenschaft in Gottingen (vgl. Ebel, Catalogus
Prqfossorum ( cf. A 5/ 16), S. 50, 58), Schuler Putters, Zivil-
rechtler, aber auch Rechtsphilosoph, der einen historisch
aufgeklarten Rechtspositivismus mit einer rationalen
Rechtstheorie zu verbinden suchte (vgl. Lehrbuch des Na-
turrechts als einer Philosophie des positiven Rechts, Berlin 1798).

580 581
Kommentar zu den Briefen C 4 Von SiiBkind, 20. September 1790

ter Band eines auf drei Biinde angelegten Werkes Ueber


C4 die Religion (cf. B 3/ 24) in Gottingen e1786). Zu Diez'
Friedrich Gottlieb Sii.Bkind, Gottingen Auseinandersetzung mit LeE vgl. die heiden Schriften , Uber
Montag, den 20. September 1790 die Moglichkeit einer Offenbarung" (spatere Fassung) (B 3)
An Immanuel Carl Diez, 1libingen und ,,"Uber Matthaus XXIV, 29 ff." (B 4), insbesondere
B 3/ 24, / 28 und / 35; auEerdem B 4 S. 153 Z. 25 ff. und
B 4/ 20, / 28 und I 48.
Manuskriptbeschreibung 3 Johann Friedrich Schleusner (1759 -1831) war von 1785
his 1790 auEerordentlicher, dann his 1795 ( dritter) or-
Standort: UBT, Mb 633. dentlicher Professor fur Theologie ( speziell fur Exegese
Anzahl der Lagen und Blatter: 1 Einzelblatt. 1 Doppelblatt und 1 weiteres
des Neuen Testaments) in Gottingen (nach LeE und Planck
Einzelblatt; Format in em (Hohe x Breite): 25-25,5 x 18,5 -18,7 (1. Einzelblatt
und Doppelblatt), 18,6-18,7 x 11,3 (2. Einzelblatt); Riinder beschnitten; Bo- und vor dem gerade eben berufenen Staudlin) (vgl. Ebel,
genfaltung: 2° (1. Einzelblatt und Doppelblatt), 8° (2. Einzelblatt); Wasserzei- Catalogus Prqfessorum (cf. A 5/ 16), S. 36, 40). 1795 nahm
chen; Papierfarbe: chamois. er eine ordentliche theologische Professor an der Universitat
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 8 von 8; Faltung: quer von
hinten nach vorne, dann liings.
Wittenberg an. Sein Novum lexicongraecum-latinum inNovum
Besondere Bemerkungen: 2. Einzelblatt ist zwischen C 9 und C 10 eingebunden; Testamentum, 2 Bde. Leipzig 1792 ( und spatere Neuaufla-
S. 1 oben Rotelstift-Numerierung ,4", S. 3 oben ,4 a"; S. 6 Siegellackspur. gen), wurde zu einem haufig genutzten Hilfsmittel in der
Exegese.
4 Su.Bkind bezeugte auch spater seine enge Verbindung zu
Kommentar Storr. Er und Flatt hatten ,auch selbst das Gluck" gehabt,
,theils seine akademischen Schuler zu seyn, theils eine Reihe
Zu diesem Brief vgl. auch die Erlauterungen des Begleittextes von Jahren hindurch des taglichen Zutritts in sein Haus,
Die symbolischen Bucher (VI2), S. 977-986. und des specielleren Privatumgangs mit ihm sich erfreuen
zu durfen" (vgl. Gottlob Christian Storr, Sonn- und Fest-
1 Planck war nach Wtirttemberg (vgl. C 3 S. 186 Z.l4f. und tags-Predigten, hrsg. von Friedrich Gottlieb SuEkind und
A 5/ 17), Spittler zur Kaiserwahl nach Frankfurt (vgl. C2 Johann Friedrich Flatt, 2 Bde. Tiibingen 1806-1808, Bd. 1
S.183 Z.21 - 24 und C2/ 43) gereist. S. 1). Zur Verwandtschaft mit Storr vgl. C 2/ 3.
2 Gottfried LeB (1736 -1797), 1761 und 1762 auBerordent- 5 Zur Dreieinigkeitslehre vgl. die Erlauterung zum Sozianis-
licher Professor der Theologie am Gymnasium in Danzig, mus B 1/ 7. Vgl. auch SuEkinds Anmerkungen im Brief
war von 1763 his 1765 auBerordentlicher, darauf his 1791 S. 191 Z. 27-31.
ordentlicher Professor fur Theologie in Gottingen (vgl. Ebe~ 6 Plancks Offentliche AuBerung zu dem mit SuBkind bespro-
Catalogus Pnfessorum ( cf. A 5/ 16), S. 35, 39) und Konsl- chenen Thema fmdet sich in seiner Einleitung ( cf. A 5/ 16),
storialrat. 1791 wurde er Konsistorialrat und Hofprediger Bd. 2 S. 577-593. Dort legt er dar, warum das Studium der
in Hannover, zwei Jahre danach Generalsuperintendent. symbolischen Schriften am besten im Zusammenhang mit
Sein apologetisches Werk Wahrheit der christlichen Religion, dem der Dogmatik als solcher erfolgen solle, und betont
Bremen 1768, war in mehreren Auflagen weit verbreit~t die Wichtigkeit der Auslegung der symbolischen Schriften
und erschien nach umfassender Umarbeitung 1785 als zwel- im Kontext ihrer Entstehung und somit der Absichten, die

582 583
Kommentar zu den Briefen C 4 Von Si.i~kind, 20. September 1790

ihnen zugrunde lagen. Auf Seite 584 erwahnt er Unterschie- 10 Vgl. Bekenntnisschriften (cf. C 4/ 9), S. 773 (Formula Con-
de in der Praxis der Verpflichtung auf die symbolischen cardiae, Epitome, I. De peccato originis. Negativa. Reiectio
Bucher: ,Es ist ja fast bey allen k.irchlichen Gesellschaften, falsorum dogmatum, quae commemoratae sanae doctrinae
wie in der unsrigen, allgemeine Sitte, daE ihre symbolische repugnant).
Schriften zugleich als Norm fur den Lehrer betrachtet wer- 11 Vgl. Bekenntnisschriften ( cf. C 4/ 9), S. 796 und besonders
den, der formlich darauf verpflichtet, und so gar an mehreren S. 801 (Formula Concordiae, Epitome, VII. De coena domini.
Oertern eydlich gebunden wird, daE er nur ihrem Innhalt Negativa. Contrariae et damnatae Sacramentariorum doc-
und ihrer Vorschrift gemaE lehren wolle." Eine Erkliirung seiner trinae reiectio. 5.), S. 975 f. (Formula Concordiae. Salida
eigenen Meinung und Stellung zu dieser Praxis hat Planck Declaratio, VII. De coena domini). Die Abendmahlslehre
im selben Zusammenhang weder geben wollen noch miissen. Zwinglis nimmt gegen die These von der Realpriisenz auch
7 Vgl. Diez' Aufsatz ,;t.Jher die RechtmaEigkeit der Unterschrift der menschlichen Natur Christi in den Elementen von Brot
unter die symbolischen Bucher" (B 1) und Die symbolischen und Wein an, daE der Leib Christi nur durch den Glauben
Bucher (Vl2), S. 961 ff. der zum Abendmahl versammelten Gemeinde empfangen
8 In den Jahren 1797 und 1798 stand Planck mit dem wiirt· werden konne. (Vgl. Joachim Staedtke, Art. ,Abendmahl
tembergischen Konsistorium in Verhandlungen, die Nach- III/ 3 1. 3 Zwingli", in: TRE 1, S. 113 f.)
folge Storrs, der als Hofprediger und Konsistorialrat nach 12 Vgl. B 1/7.
Stuttgart berufen worden war, in Thbingen anzutreten. An· 13 Zur Differenz von Naturalismus und Heterodoxie vgl. Mog-
stelle von Planck, der schlieglich ablehnte, ruckte Flatt von lichkeit einer Offenbarung (Vl3), S. 989-992.
der vierten auEerordentlichen auf die vakante dritte or· 14 Pater Magnus Faus (vgl. A4 S.37 Z.10-17 und A4/ 28).
dentliche Professor der Theologie vor, und SuEkind erhielt Diese und weitere Bezugnahmen SiiEkinds auf Diez' vor-
Flatts Stelle. (Vgl. die Briefe Schnurrers an Niethammer, ausgegangenen Brief (vgl. C 4 S. 192 Z.14-23, S.199 Z. 7-
Tubingen, den 30. Oktober 1797, S. 3 f., den 19. April 1798, 11 und insbesondere S. 201 Z. 10f.) zeigen, daE Diez darin
S. 3, und den 2. August 1798, S. 2, (aile UBE, Ms. 2054) von seiner Reise nach Augsburg und Miinchen ahnlich wie
sowie die Briefe Flatts an Si.iEkind, Ttibingen, den 5. De- in seinem Brief an Niethammer vom 2. September 1790
zember 1797, S. 1, den 8. Januar 1798, S. 1, und den 18. Mai (A 4) berichtet hatte.
1798, S. 1, (aile in Privatbesitz); zu den Grunden vonPlancks 15 Griech.: [Das] Spatere [ist/ als das] Fruhere.
Ablehnung vgl. Wandel, Verdacht von Democratismus ( cf. 16 Vgl. B 1 S. 107 Z. 7 f. und B 1/ 3.
A2/ 19), S. 152.)- Zu Plancks Haltung in der Unterschrifts- 17 Vgl. dazu Diez' Einlassungen in A 1 S. 9 Z. 19 ff. und B 1
frage vgl. auch Die symbolischen Bucher (Vl2), S. 977-979. 8.112 Z. 26 - S. 113 Z. 32.
9 Vgl. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischenKirc~e. 18 Lat.: Ein Gesetz bindet nicht, wenn es nicht bekanntgemacht
Herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konjes~zon worden ist. - Vgl. C 5 S. 203 Z. 17 f. und C 5/ 3.
1930, Gottingen 4 1959, S. 770-776 (Formula Concord1ae, 19 Moglicherweise handelt es sich urn Johann Wilhelm Ca-
Epitome, I. De peccato originis) und S. 843-866 (Formula merer, den altesten Sohn des Duglinger Pfarrers (vgl. A 4/ 2
Concordiae, Salida Declaratio, I. De peccato originis); und C2/ 31). Wie aus Briefen Si.igkinds an die Mutter her-
S. 796-803 (Formula Con cardiae, Epitome, VII. De coena vorgeht, hatten Si.iEkind und Camerer bereits im Stift
domini) und S. 970-1015 (Formula Concordiae, Salida De- freundschaftlichen Umgang miteinander (19. November
claratio, VII. De coena domini). 1784, S. 1; 9. September 1785, S. 1). Auch spater, wahrend

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Kommentar zu den Briefen C 4 Von SiiJSkind, 20. September 1790

Camerer in Paris Hofmeister war (vgl. A 4/ 2), standen sie weisbar. Vielleicht ist ,Michele" aber auch nur als Appellativ
noch in Briefwechsel miteinander (3. Dezember 1790, S. 1; zu verstehen (vgl. 8W IV, Sp. 1653-1656, 8p. 1655).
12. Februar 1791, 8. 1; 2. April 1791, 8. 2 (aile Briefe in 25 Vgl. C 1/30.
Privatbesitz) ). 26 Thomas Christian Tychsen (1758-1834), 1784 his 1788
20 Vgl. B 1 8.110 Z.21- 8.112 Z.6. au!Serordentlicher Professor der Theologie, ab 1788 his zu
21 Dem Exemplar des Thbinger Konkordienbuches Christliche seinem Tod ordentlicher Professor fur Exegese des Alten
widerholete einmiitige Bekentniis ( cf. B 1/3) wurden am En de und Neuen Testaments in der Philosophischen Fakultat (vgl.
einige Leerseiten beigebunden, worauf die Professoren der Ebel, Catalogus Prqfessorum (cf. A 5/ 16), S. 39, 105). Von
verschiedenen Fakultaten mit ihrer Unterschrift ihre Ver- seinen Schriften sind zu nennen: De ]osephi auctoritate et
pflichtung auf die Lehre der symbolischen Bucher bezeugen usu in explicandis libris sacris, Gottingen 1786, und Grundr!fi
mu!Sten. Diese Unterschriftspflicht scheint im Laufe der einer Archiiologie der Hebriier; zum Gebrauch in Vorlesungen,
Zeit aber unterschiedlich gehandhabt worden zu sein. Auch Gottingen 1789. Er war zwischen 1786 und 1791 Mither-
variiert die Anzahl der Unterschriften erheblich. Zuletzt ausgeber der in Gottingen erscheinenden Bibliothek der alten
haben nur noch Professoren der Theologischen Fakultat Litteratur und Kunst sowie nach dem Tod von Johann David
unterzeichnet. - Zu den Unterzeichnern gehort auch Chri- Michaelis 1791 Herausgeber der Neuen orientalischen und
stoph Matthaus Pfaff (1686-1760), Kanzler der Universi- exegetischen Bibliothelc, Gottingen.
taten Thbingen (1720-1755) und Gie!Sen (1756-1760), 27 Moglicherweise Diez' Spitzname (in SW nicht aufgeftihrt
der fur eine Union von Lutheranern und Reformierten ein- als schwabisches Wort). Im Original - im Unterschied zum
trat und damit fur eine Abwertung der symbolischen Bucher ubrigen Text- in lateinischen Buchstaben geschrieben (vgl.
pladierte (vgl. des sen Gesammlete Schriften, so zur Vereinigung auch C 7/ 3).
der Protestirenden Kirchen abzielen, Halle 1723). Entgegen 28 Vgl. C 4 8. 192 Z. 9 und C 4/ 14.
der zu 8u!Skinds und Diez' Zeit ublichen Unterschriftsformel 29 Offenbar ein Zitat aus Diez' Brief (vgl. C 4/ 14).
(vgl. B 1 8. 107 Z. 7 f. mit B 1/ 3 und auch Die symbolischen 30 Zur Dogmengeschichte des Abendmahls vgl. H. GraE, Art.
Bucher (VI2), 8. 980-982) unterschrieb er folgenderma- ,Abendmahl. II, Dogmengeschichtlich", in: RGG Bd. 1
Een: , Veritati divinae in Formula Concordiae contentae mente Sp. 21-34, zu den Opfervorstellungen insbesondere Sp. 25.
manuque subscribit" - ,Die in der Konkordienformel ent- Wegen einer spateren Veroffentlichung Su!Skinds zu diesem
haltene Wahrheit unterschreibt mit Geist und Hand". Damit Thema vgl. C 8/ 16.
unterschied Pfaff zwischen dem Wortlaut der Konkordien- 31 Vgl. A14 S.89 Z.17 und A14/ 6.
formel und der in ihr enthaltenen gottlichen Wahrheit und 32 Vgl.lat.: specimen- Probe, Beweis, Muster. Ein Probeaufsatz
lieE offen, worin diese Wahrheit besteht. Es ist bemerkens- anla!Slich einer Prufung. Die von den Stiftlern fur das Ma-
wert, daiS man von Pfaffs Weise zu unterschreiben zu SuE- gisterexamen verfa!Sten specimina wurden in den Thbinger
kinds Zeit im Stift anscheinend allgemein wu!Ste. Vgl. im Magisterprogrammen ( cf. A 1/2) erwahnt. Eine gro!Se Zahl
Bildteil die Reproduktion der 8eite aus dem Konkordien- dieser Specimina, zumeist Schnorrer gewidmet und wahr-
buch, Abb. 10. scheinlich aus 8chnurrers NachlaE stammend, sind in der
22 Vgl. zum Folgenden A 4/ 24. Universitatsbibliothek Thbingen erhalten. In Wurttemberg
23 Zu Su!Skinds Vikariat in Du!Slingen vgl. C 2/ 31. wurden Specimina aber auch zu anderen Gelegenbeiten
24 In Du!Slingen war eine Person dieses Namens nicht nach- verlangt und vorgelegt. So rechnete Diez damit, einen Auf-

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Kornmentar zu den Briefen C 4 Von Si.i!Skind, 20. September 1790

satz vorlegen zu mi.issen, urn Reiseerlaubnis zu erhalten nach seiner gegenwiirtigen Beschcif.Jenheit, Gottingen 1794,
(vgl. A I3 S. 88 Z. I-5). Im LKA Stuttgart und im HSA 8.139).
Stuttgart sind solche Specimina nicht mehr zu finden. 36 Lat.: Sache einer hoheren Untersuchung.
33 Moses Mendelssohn (I729-I786) schrieb in der Beilage 37 Diez' Reise nach Augsburg und Munchen (vgl. C 4/ I4).
zum Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 1. August 1784: Eine fruhere Reise hatte Diez 1786 unter anderem nach
,Mein Credo ist: was ich als wahr nicht denken kann, macht Zurich zu Johann Jacob Hess (174I-1828) unternommen
mich, als Zweifel, nicht unruhig." (Moses Mendelssohn an (vgl. A 3/ 95).
die Freunde Lessings. Ein Anhang zu Herm Jacobi Briifwech.sef 38 Karl Friedrich Morike (I 763-I8I7), der Vater des Dichters
iiber die Lehre des Spinoza, Berlin I786, S. 45.) Eduard Morike, war, nachdem er sich am 29. Oktober I779
34 Johann Gottlieb Gerhard Buhle (1763 -I82I) war von 1787 in Ti.ibingen immatrikuliert hatte (MTii Nr. 37846 S. 293)
his 1794 auEerordentlicher Professor ft.ir Rechtswissenschaft und 1781 ins Stift aufgenommen worden war, I 787 auf
und fi.ir Philosophie, danach his I804 ordentlicher Professor eigenen Wunsch - urn Medizin zu studieren - aus dem
fi.ir Philo sophie in Gottingen ( vgl. Ebel Catalogus Professorum Stift entlassen worden (GMB, unter Eduard Friedrich Mo-
( cf. A 5/ I6), S. 58, I 05, I22). Er publizierte unter anderem: rike, und LKA Stuttgart, A 13 Bd. 4, S. I75). Am 23. Oktober
Grundziige einer allgemeinen Encyklopiidie der Wissenschajten, 1787 immatrikulierte er sich als Medizinstudent an der
Lemgo I790; Geschichte des philosophierenden menschfichen Hohen Karlsschule in Stuttgart, wo er his zum 22. Juli
Verstandes, Lemgo 1793; Einleitung in die allgemeine Logik 1789 studierte (MSt Nr. I234 S. 404). Danach unternahm
und Critik der reinen Vernunft, Gottingen 1795; Lehrbuch er eine gelehrte Reise, in deren Verlauf er ein dreiviertel
der Geschichte der Philosophie und einer kritischen Literatur· Jahr in Wien zubrachte. Es folgten Aufenthalte in Berlin,
derselben, 8 Bde. Gottingen I796-I804. - Fi.ir das Som- danach in Gottingen, Halle, Leipzig, Prag, Jena, Kassel und
mersemester hatte Buhle ,Die wichtigsten Capite! aus der Marburg. Er lieE sich in Ludwigsburg nieder, I790 zunachst
Geschichte der neuern Weltweisheit von Des Cartes Zeiten als Geburtshelfer und ab I793 als Oberamtsarzt. In Got-
an his auf die unsrigen" montags, mittwochs und freitags tingen hat er sich nicht in die Matrikel eingetragen. - Zu
urn 5 Uhr offentlich sowie ,Logik und Metaphysik" ,kritisch" den medizinischen Studieneinrichtungen in Berlin vgl.
morgens urn 7 Uhr angeki.indigt. Fi.ir das Wintersemester D3/ I8.
I790/ 9I waren ,Logik und Metaphysik" 5 Stunden die Wo- 39 Karl Friedrich Morike hatte drei ji.ingere Bruder: 1. Ludwig
che jeweils urn 9 Uhr sowie ,Anthropologie und empirische Gottlieb (1768 -I822), Stadtphysikus in Giengen und Ober-
Psychologie" 4 Stunden die Woche jeweils urn 11 Uhr an- amtsarzt in Heidenheim; 2. Christian August (177I-I812),
geki.indigt (vgl. die Vorlesungsanki.indigungen ft.ir die Uni- Staatsschuldenkassier in Stuttgart; 3. Johann Gottlieb (1774-
versitat Gottingen, in: GoA 45. St. vom 20. Marz 1790, 1833), Oberjustizprokurator in Stuttgart. Keiner der drei
S.44I-456, S.448, und I50.St. vom 18.September 1790, Bruder hat sich in die Gottinger Matrikel eingetragen. Wahr-
S. 1497-I5I2, S. I504). scheinlich begleitete der ebenfalls an der Hohen Karlsschule
35 Si.iEkind schreibt zwar ,Grohnde", meint aber sicher Grone, Medizin studierende Ludwig Gottlieb (immatrikuliert am
heute ein Stadtteil Gottingens (vgl. Muliers Deutsches Orts- 11. Januar I786; vgl. MSt Nr. 1134 S. 399) seinen Bruder.
buch (cf. A3/ 69), S. 34I). Grone war ein beliebtes 40 Zu Rapps Reise nach Berlin vgl. C3 S.I86 Z. 5-7.
Ausflugsziel knapp eine halbe Stunde vor der Stadt (Moses 41 Rapp wurde zusammen mit Diez zum Repetenten ernannt
Rintel, Versuch einer skizzirten Beschreibung von Gi/ttingen (vgl. C 5/ 32).

588 589
Kommentar zu den Briefen C 5 Von SiiEkind, 6. November 1790

42 Vgl. A 10/ 18.


43 Karl August Stein (1765 -1822) wurde am 27. Oktober cs
1781 in Tiibingen immatrikuliert, war Siebter der Magi- Friedrich Gottlieb SiiEkind, Gottingen
sterpromotion von 1785, derjenigen von Diez und SiiEkind, Samstag, den 6. November 1790
und wurde im Juni 1792 zum Repetenten ernannt. Erwurde An Immanuel Carl Diez, 'llihingen
1797 Pfarrer in Merklingen a.W. und war zuletzt Dekan in
Knittlingen. (Vgl. MTii Nr. 38049 S. 306; Magisterprogramm
Tiibingen ( cf. A 1/ 2) von 1785; AEvSt, K. III F. 1 (72), Stifts- Manuskriptheschreibung
akten: Repetenten- Ernennung und Verpflichtung, Reskript
Standort: UBT, Mh 633.
vom 22. Juni 1792; GMB).- Theodor Ludwig Jordan (1765- Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in ern (Hi:ihe X Breite):
1811) wurde, vom Stuttgarter Gymnasium kommend, am 25 X 18,3; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 2°; Wasserzeichen; Papierfarbe:
30. Oktober 1783 in Tiibingen immatrikuliert und gehorte chamois.
ebenfalls der Magisterpromotion von Diez und SiiEkind Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 4 von 4; Faltung: quer von
vorne nach hinten, dann liings.
an, in der er an achter Stelle loziert wurde. 1790 wurde Besondere Bemerkungen: S. l oben Ri:itelstift-Numerierung ,5"; Doppelblatt
er Konrektor in Speyer, 1793 Prazeptor an der Lateinschule durch Beschiidigung des Einbandriickens des Bandes in 2 Doppelblatthiilften
in Schorndorf, 1800 Pfarrer in Wurmberg und zuletzt in geteilt.
Altburg. (Vgl. MTii Nr. 38222 S. 316; Magisterprogramm Tii-
bingen von 1785 und GMB). - Es gibt keinen AnlaE zu
vermuten, daiS hier ein anderer als Christoph August Klett Kommentar
gemeint sein konnte, vor allem wenn man die folgenden
GriiJSe mit den Freundschaftsbekundungen im Brief vom Zu diesem Brief vgl. auch die Erlauterungen des Begleittextes
29.-31. Mai (C 10 S. 247 Z. 3lff.) vergleicht. -DaiS SiiEkind Die symbolischen Bucher (VI2), S. 977-986.
Stein, Jordan und Klett als einen einzigen Philosophus be-
zeichnet, hangt moglicherweise mit besonders engen phi- 1 Dieser Brief war durch Gottlieb Jakob Planck iiberbracht
losophischen Beziehungen zwischen den dreien zusarnmen, worden (vgl. A 5 S. 40 Z. 10f. und A 5/ 17).
iiber die sich aber nichts ermitteln lieK Wahrend Kletts 2 Hier wohl: das Herz ausschiitten; vgl. lat.: expectorare (von:
philosophische Interessen aus seinen und Diez' Briefen an pectus - Brust) - aus der Brust vertreiben, aus dem Herzen
Niethammer klar hervorgehen und auch durch sein Testi- reillen.
monium 1789 (,Philosophia inprimis operam dedit, non 3 Lat.: Ein Gesetz gilt nicht, wenn es nicht bekanntgemacht
neglecto studio philologico" (AEvSt, K. I F. 10,4 (20), Te- worden ist. - Vgl. auch C 4 S. 195 Z. 13 und C 4/ 18.
stimonia Examinandorum 1754-1793)) bestatigt werden, 4 Lat.: gehornter Syllogismus, ein Dilemma. (Vgl. dazu Ele-
gibt es fur philosophische Interessen vergleichbarer Inten- menta philosophiae rationalis ( cf. B 2/ 34 ), § 217 S. 202 f., und
sitat bei Stein und Jordan keine solchen Hinweise (vgl. auch Immanuel Kant's Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen,
die Testimonien Steins (1788): ,Philosophica non minus AA IX:. § 79 S. 130 f.)
quam philologica studia feliciter continuata", und Jordans 5 Lat.: Ich verneine die SchluJSfolgerung. - Eine Forme! der
(1788): ,Philosophiae ac philologiae bene gnavus" ( ebd.)). Logik des Disputierens (vgl. z. B. Wolff, Philosophia rationalis
44 Vgl. B 1/4. ( cf. B 2/ 32), § 1112, S. 785).

590 591
Kommentar zu den Briefen C 5 Von Si.iJSkind, 6. November 1790

6 Nach der lat. Forme!: ,Videant con ules ne quid res publica Verehrung zu einer nicht sinnlich gewirkten Liebe zu Gott
detrimenti capiat" - ,Die Konsuln mogen darauf achten, werden kann (S. 213-217).- Mit dieser letzten Begri.indung
daE der Staat keinen Schaden nimmt" (vielfach belegt). hat Rapp wahrscheinlich Hegels Interesse auf sich gezogen,
7 Wahr cheinlich i t Brastberger Vorladung vor das Konsi- der Weihnachten 1794 eine Rezension des Bandes erbat,
storium gemeint (vgl A 4/ 24). in dem Rapps Aufsatz erschienen war, und in der vor allem
8 Vgl. im Vorbrief C 4 S. 196 Z. 29 - S. 197 Z. 3. dieser Aufsatz behandelt wird (vgl. Hegel an Schelling vom
9 Lat: durch in hochstem Grade offentliche Verki.indung. 24. Dezember 1794, abgedruckt in: Briefe von und an Hege4
10 Lat: Erkenntnisgrund, Ausgangspunkt des Erkennens. hrsg. von Johannes Hoffmeister, Bd. 1 Hamburg 1952, S. 11-
11 Vgl. B 1 S.108 Z.19-23. 13, S. 13). - Im Rahmen seiner Begri.indungen fur die aus
12 Vgl. C4 S.191 Z.33- S.192 Z.30 und S.198 Z.4ff. der christlichen Offenbarung hergeleitete Motivationskraft
13 Vgl. C 1/ 29. nimmt Rapp auch Storrs Lehre von der stellvertretenden
14 Vgl. B 1 S.l13 Z.4ff. Genugtuung auf, die er zu verteidigen und weiter zu ent-
15 SiiEkind bezieht sich hier auf einen Gedanken von Diez, wickeln sucht. Rapps Abhandlung ist die erste Arbeit der
den dieser auch in seinem Brief an iethammer vom 11. Thbinger Dogmatik, in der deren Lehre aus Prinzipien der
April1791 erwahnte (AS S.61 Z.19-24). kantischen Philosophie begri.indet werden soil (vgl. Gadl
16 Vgl. A 8 S. 61 Z. 23: ,.,das Licht, das ein wohltatiger Freund IX. 3). Der Niederschrift dieser Abhandlung sind Debatten
[... ] aufsteckte". zwischen Diez und Rapp in Ti.ibingen vorausgegangen.
17 Griech.: den fleischlichen Menschen. Wahrscheinlich im An- 22 Si.iEkind hatte Diez im Vorbrief prophezeit, er wi.irde Re-
schluE an 1. Kor 3,1 (vgl. auch 1. Kor 3,3 und Rom 7,14). petent werden (C 4 S. 199 Z. 7 f.). Am 22. Oktober wurde
18 Vgl. Mt 6,26. Diez durch das Konsistorium ernannt (vgl. C 5/32).
19 Vgl. Gadl XII.1. 23 Niethammer, der diesen Bemerkungen zufolge von Ende
20 Zu Rapps Ernennung zum Repetenten vgl. C 5/ 32. September his Ende Oktober in Gottingen gewesen war
21 Vgl. Diez' Mitteilung und Bemerkung an Niethammer, A6 ( vgl. A 5/1 ), hat wohl SiiEkind die Nachricht i.iberbracht,
S. 47 Z.16 - 24. Die Kombination aus Kantischer und Stor- die er selbst jedoch auf anderem Wege als durch Diez
rischer Lehre geht aus Rapps Aufsatz ,.,Ueber moralische erfahren haben wird, denn dieser verfaEte den Brief an
Triebfedern" (cf. A2/16), insbesondere aus dessen zweitem Niethammer, in dem er seine ,.,Klaglieder" (A 5 S. 39 Z. 4)
Teil hervor. Dort begri.indet Rapp nach der Erklarung, ,der anstimmt, am 12. Oktober und sandte ihn darauf nach Det-
Wille des Gesetzgebers" und das ,.,Gesetz unserer Vernunft" tingen unter Teck an Klett, ,.,damit dieser Ihnen viel und
seien identisch (S. 136), die Vorzi.ige der geoffenbarten weitlaufig schreiben konne" (A 5 S. 40 Z. 15f.). Selbst wenn,
christlichen vor der nati.irlichen Religion (S. 138 f.), der Lie- woftir kein Anhaltspunkt vorliegt, Diez' Brief als EinschluE
be zum Gesetzgeber vor der bloEen Achtung vor dem eines von Klett verfaEten Schreibens nach Gottingen ging,
Gesetz (S . 139-142) und des Evangeliums vor dem rein~n di.irfte er Niethammer spater erreicht haben, als Si.iEkind
Vernunftgesetz (S. 143 -146). Er will zeigen, daE sich d1e den seinigen durch Planck erhalten haben wird (vgl. A 5
Triebfedern, die a us der geoffenbarten Religion zu gewinnen 8.40 Z.10f. mit A5/17).
sind, mit der Kantischen Grundlegung der Ethik vereinbaren 24 Die Repetenten waren seit 1752 die einzigen, die noch die
lassen und daE die Achtung furs Gesetz verschiedener ,M~­ ,mittelalterliche Kutte" zu tragen hatten (vgl. die Stifts-Sta-
difikationen' fahig ist, daE sie von der Ehrfurcht i.iber die tuten von 1752 (cf. A3/18), Kapitel 2 § 12, S.15). In dem

592 593
Kommentar zu den Briefen C 5 Von Su~kind, 6. November 1790

Bescheid des Herzogs vom 12. Dezemher 1791 wurde der Stiftsleitung (vgl. Vorschlag der Stiftsleitung vom 1. Ok-
schlieglich ihre Abschaffung vorgesehen ( vgl. Leube IL tober 1790: AEvSt, K. I F. 14 (31 ), Konzeptbuch der Su-
S. 178 f., und IlL S. 56 und 65; vgl. auch die Stifts-Statuten perattendenz, fol. 33- 35) und strich den an letzter Stelle
von 1793 ( cf. A 3/ 77), § 45 S. 28 f.). gl auch C 13 S. 255 genannten, also nach Diez lozierten, SiiEkind (vierter 1783),
Z. 25f. da dieser ,in seiner noch nicht vor Ianger Zeit erst ange-
25 Lat.: Ausrufezeichen. Offenbar bezieht sich Si.igkind auf trettenen litterarischen Reyse noch begrifen ist", urn statt
Diez' vorangegangenen Brief, in dem Diez vier solche Aus- dessen Bauer primo loco auf die Liste zu setzen. (LKA
rufungszeichen hinter seine Klage tiber das ihm bevorste- Stuttgart, A 3, Konsistorialprotokolle, Nr. 59 1790, fol. 552.)
hende Repetentenleben gesetzt haben muK Am 22. Oktober 1790, einen Tag nach dem Konsistorial-
26 Den Entschlug zum Medizinstudium faEte Diez etwa ein examen, wurden vier der ftinf genannten Kandidaten -
Jahr spater (vgl. A 14 und A 15), aber vom ,medizinischen Rapp, der ebenfalls noch auf Reisen war (vgl. C 5/ 50 und
Plan" war vorher schon die Rede (vgl. C 4 S. 199 Z.1). C 6 S. 213 Z. 6), wurde erst im Januar , confirmirt" (Schnor-
27 Griech.: Wenn moglich, so viel an mir ist, mit allen Menschen rer an Scholl, 30. Januar 1791 (S. 3; WLB Stuttgart, Cod.
in Frieden zu Ieben. - Nach Rom 12,18. hist. 4o 295, 27)) - per Reskript des Konsistoriums zu
28 Vgl. C 5/ 32. , wi.irklichen Repetenten" emannt (AEvSt, K. Ill F. 1 (72),
29 Karl Heinrich Rieger (1726 -1791 ), seit 1783 Konsistorialrat, Repetenten, Berufung - Verpflichtung, Belassung - Abbe-
galt als Stimme der Orthodoxie im Konsistorium, wo er rufung (1556-1800)). (Vgl. C 5/ 34.)
Tendenzen zur Aufklarung entgegenwirkte, die durch Georg 33 Schnurrers Neffe war Christian Friedrich Weber (vgl. unter
Friedrich Griesinger (vgl. C 11 S. 250 Z.19-21) EinfluB ge- anderem Schnurrers Brief an Johann Eberhard Heinrich
wannen. Vgl. auch C 9 S. 230 Z. 3- 8 und C 9/ 2. Uber Riegers Scholl vom 22. Februar 1789 (S. 1; WLB Stuttgart, Cod. hist.
Beziehungen zu SiiEkind und seiner Familie vgl. Gad! XIT.l. 4° 295, 15 - 52) und auch D 2/ 92). Weber war Subbiblio-
30 Vgl. C 3 S. 185 Z. 29 f. und C 3/ 2. thekar im Stift (vgl. A 6/ 35), ehe er nun gemeinsam mit
31 Johann Jacob Bauer (1762 - 1837), 1790 Repetent (vgl. Diez Repetent wurde (vgl. C 5/ 32).
C 5/ 32 und / 34), 1793 Diakon in Ebingen, 1800 Pfarrer 34 Unter denen, ,die nach dem Bauer sind", sind vermutlich
in Munster a.N., 1807 Dekan und Stadtpfarrer in Balingen, die gemeinsam mit Bauer ernannten Repetenten zu ver-
1824 in Waiblingen (vgl. GMB; Johann Jacob Gradmann, stehen, die in der Lokation der Emennungsliste nach Bauer
Das gelehrte Schwaben: oder Lexicon der jetzt lebenden SchrzJ:- folgten. Ware namlich gemiiE dem Vorschlag der Stiftslei-
steller, Ravensburg 1802, S. 22 (Bauers Eintrag ist nicht lD tung SiiEkind und nicht Bauer Repetent geworden, so waren
DBA aufgenommen); MTU Nr. 37833 S. 293). jene mit ihrer Emennung in der Lokation der Repetenten
32 Das Konsistorium (vgl. A3/ 68) emannte am 8. Oktober urn einen Rang hoher gestanden, und Si.iEkind ware ihnen
1790 ft.inf Studenten in der folgenden Reihenfolge zu Re- nachgeordnet gewesen (vgl. C 5/ 32). An die Rangfolge der
petenten, vorbehaltlich des Bestehens ihres Konsistorial- Repetenten waren einige Privilegien bzw. Pflichten gekniipft.
examens: 1. Johann Jacob Bauer (vierter der Promotio~ So kmmten die Repetenten ,von oben herunter" nachein-
von 1781 ), 2. Gottlob Christian Rapp (Primus 1782), 3. Chn- ander die Facher der Repetitionen wiihlen (Repetenten-
stian Friedrich Weber (dritter 1782), 4. Sixt Jakob Kapff memorabilien (cf. A 13/ 6), S. 7) und der jiingste Repetent
(zweiter 1783) und 5. Diez (dritter 1783). Damit hielt sich hatte wahrend der Vakanzen im Stift zu bleiben (vgl.
das Konsistorium nicht an den eingegangenen Vorschlag A 8/ 10). Daraus ergab sich ein Motiv, ,ein bisgen unge-

594 595
Kommentar zu den Briefen C 5 Von Siillkind, 6. November 1790

halten" auf SiiEkind zu sein. - In einem Brief vom 30. die gleichen Privilegien wie sein Vorganger (insbesondere
Oktober 1790 (S. 1; in Privatbesitz) schreibt Sii.Bkind an Repetentenkost) erhalten oder den iibrigen Stipendiaten
seine Mutter, sie habe ( offenbar gegeniiber einem Mitglied gleichgestellt werden solle. (S. 1; in Privatbesitz; zur Frage
des Konsistoriums) ja nur gesagt, daE es Sii.Bkind ,uner- der Privilegien des Bibliothekars vgl. HSA Stuttgart, A 274
wartet sein werde", zum Repetenten ernannt zu werden; Bii 91, S. 103). Vgl. A 6/ 35.
aber selbst wenn sie in seinem Namen sich ,die Repetition 41 Johann Gotdob SiiEkind (1773 -1838), am 25. Oktober
in aller Form abgebetten" hatte, hatte sie sich keine Vorwi.irfe 1790 an der Universitat Tiibingen immatrikuliert und etwa
zu machen brauchen. seit der gleichen Zeit im Stift (vgl. die Briefe Friedrich
35 Auch Kapff war zum Repetenten ernannt worden (vgl. Gottlieb SiiEkinds an die Mutter vom 22. August, S. 4, vom
C 5/ 32); wohl auch gegen seinen Wunsch, denn er hatte 2. Oktober, S. 1, und vom 7. November 1790, S. 7; aile Briefe
Reiseplane, die er erst viel spater als geplant verwirklichen in Privatbesitz), gehorte der Magisterpromotion 1792 an
konnte (vgl. C3 S.186 Z.4f., C4 S.201 Z.19f., D4 S.306 und wurde 1800 Repetent, 1805 Diakon in Sindelfingen
Z. 23f. und E 1 S. 327 Z. 7f.). und 1817 Pfarrer in Lochgau (vgl. Magisterprogramm Tii.-
36 Auch in einem Brief von Johann Karl Friedrich Hauff, der bingen ( cf. A 1/ 2) von 1792; MTii Nr. 38770 S. 350; GMB;
die ,Tiibinger SpieEbiirger" zitiert, wird Kapff als ,purus Nachkommen des August Reufi (cf. A 15/ 16), S. 32-36, ins-
putus Mathematicus", als Mathematiker ganz und gar, be- besondere S. 35).
zeichnet (vgl. A 10/ 17). 42 Jeder Stipendiat gehorte einer ,Abtheilung" (Instruction .for
37 Vgl., auch zum Folgenden, A 6/ 35. das lnspektorat des Herzoglichen theologischen Stifts zu Tii.bingen,
38 Nach den Stifts-Statuten von 1752 (cf. A 3/ 18), 4. Kapitel, Stuttgart 1793, § 8 S. 15) an, die unter der Aufsicht eines
§ 5, muEten auch die SchloEprediger und die im Stift woh- Repetenten stand. Die Anzahl der Ahteilungen richtete sich
nenden Vikare aus der nahen Umgebung den Locus be- somit nach der Anzahl der Repetenten im Stift, die sechs
suchen. SiiEkind rechnet damit, daE er auch als Subbi- his acht betrug, gelegentlich jedoch auch niedriger war.
bliothekar in den Locus gehen muK Mit Rapps Eintritt in das Repetentenkollegium stieg die
39 Immanuel Gottlieb Wunderlich (1767-1824), Primus der Anzahl der Repetenten auf auEerordentliche neun (vgl.
Promotion von 1785, spater Pfarrer in Salach (GMB; MTh Schnurrer an Scholl, 30. Januar 1791 ( cf. C 5/ 32), S. 3).
38 237 S. 317); war im Herbst 1789 vom Herzog als hester Einige, die Gesamtheit der Stipendiaten betreffende Auf-
Stipendiat mit einem Geschenk von 50 Gulden belohnt gaben hatte der sogenannte Wochenrepetent bzw. sein Stell-
worden (Repetentenmemorabilien (cf. A 13/ 6), S.189, Ein· vertreter zu iibernehmen. In dieser Funktion losten sich
trag unter dem 5. November 1789). Vgl. auch A 6/ 35. die Repetenten im Thrnus ab. So heillt es in § 7 der Re-
40 Niethammer hatte von Gottingen aus (vgl. C 5 S. 209 Z.llf petenten-Statuten von 1793 ( cf. A 3/ 77) iiber die Aufsicht
und C 5/ 23) an Schnurrer geschrieben und sein Interesse der gemeinschaftlichen Gebete: ,Der Wochenrepetent er-
an der Bibliothekarsstelle bekundet. Dies geht aus dem scheint in den sechs Sommermonaten Morgens urn halb
Antwortschreiben Schnurrers an Niethammer vom 9. No· 6 Uhr auf dem Speisesal annotirt die Ahwesenden, und
vember 1790 hervor, in dem Schnurrer seine Unterstiitzung liiEt hierauf das gemeinschaftliche Morgengebet verrichten;
versprach, aber auch mitteilte, da.B das Konsistorium hisher des Ahends laEt er respondieren, und das Ahendgebet
noch nicht urn Vorschlage fur die Wiederbesetzung geheten verrichten." (1m Winter wurden das Morgen- und das
habe und daE noch unklar sei, ob der kiinftige Bibliothekar Abendgebet auf den Studierzimmern unter Aufsicht der

596 597
Kommentar zu den Briefen C 5 Von Sii!Skind, 6. November 1790

jeweiligen Ahteilungs-Repetenten verrichtet.) Uber die Re- S. 24). Das war aber wohl vor allem die Aufgabe der Re-
gelungen beim Kirchgang besagt § 10 der Repetenten-Sta- petenten der jeweiligen Abteilung. Aus einer groEen Zahl
tuten von 1793: ,.Der Wochenrepetent, und der, welcher die von Bestimmungen in den Rezessen und Statuten liiEt sich
Woche vorher hatte, ftihren die Kirchenprocession, anno- im i.ibrigen schlieEen, daE die Repetenten wie die Senioren
tiren diejenigen, welche sich nicht dabey einfmden, geben die Pflicht zu Gebet und Kirchgang vernachliissigten ( vgl.
genau acht, daE keiner unterwegs unbemerkt austrete, oder Stijts-Statuten von 1752 (cf. A3/ 18), Kapitel 2 § 19, S.19;
sich ungesittet bezeuge, und erhalten in der Kirche selbst Visitations-Recessus von 1757 ( cf. ebd.), § 3 S. 48 f.; Interims-
die moglichste Ordnung und Stille." (Vgl. ebd., §§ 7, 10 Recesse von 1777 ( cf. A 5/ 10), I. und II.).
und 27, S. 6 f. und 17 f.) Diese Aufgaben der Repetenten 44 Christian Friedrich Weber, Beitrage zur Geschichte des neu-
waren schon lange vorher in Kraft ( vgl. Stifts-Statuten von testamentlichen Kanons, Thbingen 1791 (eigentlich 1790),
1752 ( cf. A 3/ 18), Kapitel 2 §§ 19 und 27, S. 19 und S. 22 f., wurde unter anderem in den Tzibingischen gelehrten Anzeigen
Kapitel 3 §§ 37 f., S.40 f., Kapitel5 § 11, S. 59; Interims- im 100. St. vom 16. Dezember 1790, S. 793-798, rezensiert.
Recesse von 1777 ( cf. A 5/ 10), I. und II.; auch Stifts-Statuten 45 Vgl. C 4 S. 199 Z. 37 - S. 200 Z. 2 und C 4/ 30 sowie C 8/ 16.
von 1793 ( cf. A 3/ 77), §§ 34 f. und 39 f., S. 24 und 26 f.) - 46 Vgl. B 3/ 33.
Vgl. insgesamt Leu be II, S. 54-66, besonders S. 59, und 47 Actenmiiflige Nachrichten von der neuesten philosophischen Syn-
A5/ 10. ode und von der auf derselben abgefafiten allgemeingiiltigen
43 SiiEkind empfiehlt seinen Bruder, der eben erst ins Sti- Concordienformel for die philosophischen Gemeinden, heraus-
pendium eingetreten war (vgl. C 5/ 41 ), Diez und Kapff in gegeben von lsonomiophilus, Burger des philosophischen Frey-
ihrer Eigenschaft als Repetenten, die zugleich seine Freunde staats, Frankfurt a. M., Leipzig 1791 ( eigentlich: Tiibingen
sind. Seine Ausdrucksweise legt nahe, daE Johann Gottlob 1790). Die Schrift wurde in den ThA 86. St. vom 28. Oktober
SiiEkind weder der Abteilung Diez' noch derjenigen Kapffs 1790, S. 686-688, als auch in den GoA von Johann Georg
angehorte (vgl. C 5/ 42). Zwar konnte die Anweisung, den Heinrich Feder (vgl. C 5/ 48) und in der ALZ Nr.l39 vom
heiden ,weder zum Beten noch in die Prozession [also 2. Juni 1792, Sp. 426 ff., vermutlich von Carl Christian Er-
den gemeinschaftlichen und geordneten Kirchgang vom hard Schmid (vgl. Reinholds Brief an Erhard vom 18. Juni
Stift zur Stadtkirche]" zu kommen, so zu verstehen sein, 1792 (abgedruckt in: Reorganisation der Elementarphilo-
daE SiiEkinds Bruder Diez und Kapff, die als Wochenre- sophie (V 4), S. 913 Z. 30-32)) rezensiert. Der Thbinger
petenten (vgl. ebd.) Aufsichtspflichten wahrzunehmen bat- Rezension zufolge ist der Au tor ,ein privatisirender Schwei-
ten, dabei nicht storen moge. Wahrscheinlicher ist aber, zer" (S. 686). Offenbar hatte Diez in seinem Brief Si.iEkind
daE SiiEkind seinen Bruder angehalten hatte, Diez und auf die Schrift hingewiesen und ihm MutmaEungen iiber
Kapff wiihrend des Gebets und des Kirchganges, die diese die Autorschaft Flatts mitgeteilt (vgl. auch C 6 S. 214 Z. 31
als Angehorige des Stipendiums gleichermaEen zu besuchen - S. 215 Z. 7). Michael Franz nimmt an, daiS die Schrift Johann
h~tten, nicht ,ohne weiteres" zu behelligen, sich ihnen also Friedrich Flatt zum Verfasser hat ( Schellings Tzibinger Platon-Studien,
mcht anzuschlieEen oder mit Fragen und Wi.inschen an Gottingen 1996 (=Neue Studien zur Philosophie, Bd. 11), S. 134). Aus-
sie heranzutreten. Zu erwiihnen ist in diesem Zusammen- gehend von der Angabe in Georg Christoph Hamberger und Johann
hang auch, daE die Repetenten die Befugnis hatten, ,bey Georg Meusel, Das gelehrte Teutschland: oder Lexikon der jetztlebenden
dem Gebete" und ,von der Kirchenprozession" zu ,dis- teutschen Schrifirteller, Bd. 2 Lemgo 5 1796 (DBA 326/ 230), wird sie auch
pensiren" (Repetenten-Statuten von 1793 ( cf. A 3/ 77), § 39 im Deutschen Anonymen-Lexikon 1501-1850, aus den Quellen bearbeitet

598 599
Kommentar zu den Briefen C 6 Von Si.iEkind, 2. Dezernber 1790

von Michael Holzmann und Hanns Bohatta, Bd. 3 Weimar 1905, 8.190
Nr. 6193, Flatt zugeschrieben. Johann J. Gradrnann. Dar gelehrte Schwaben C6
oder Lexikon der jetzt lebenden schwii.bischen Schriftsteller, Tribingen 1802 Friedrich Gottlieb SiiEkind, Gottingen
(DBA 326/ 233 f.), folgt Hamberger und Meusel jedoch nicht. Angesichts Donnerstag, den 2. Dezemher 1 790
dessen, daE Flatt fri.ih als Au tor verrnutet wurde, und in Anbetracht von An Immanuel Carl Diez, Tlihingen
Si.iEkinds Mitteilungen in seinern Brief sowie der Rezension in den
Tii.binger gelehrten Anzeigen scheint dern Herausgeber die Zuschreibung
an Flatt vorerst nicht hinreichend verliilllich begriindet. Manuskriptheschreihung
48 Johann Georg Heinrich Feder warder Au tor einer anonym en
Rezension der Schrift fi.ir die Gi/ttingischen Anzeigen von Standort: UBT, Mh 633.
Anzahl der Lagen und Blatter: 1 Doppelblatt und 1 Einzelblatt; Format in ern
gelehrten Sachen, die am 20. November 1790 im 185. St., (Hi:ihe X Breite): 20,1-20,5 X 16,2 (Doppelblatt), 21 X 16,9 (Einzelblatt);
8.1852-1854 erschien (vgl. Oscar Fambach, Die Mitarbeiter Riinder mit Ausnahrne des unteren Randes des Einzelblattes beschnitten; Bo-
der GO'ttingischen Gelehrten Anzeigen 1769-1836 Nach dem mit genfaltung: 4°; Wasserzeichen; Papierfarbe: lichtblau.
Time: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 51/4 von 6; Faltung: quer von
den Beischrijten des Jeremias David Reufi versehenen Exemplar
vorne nach hinten, dann liings.
der Universitiitsbibliothek 'Eibingen, Ti.ibingen 1976, S. 436). Besondere Bemerkungen: S. 1 oben und S. 5 oben Ri:itelstift-Numerierung ~6.";
49 Vgl. C 1/ 30. das Doppelblatt und das Einzelblatt unterscheiden sich in der Pap1erqualitat;
50 In einem Brief an seine Mutter vom 30. Oktober 1790 (in Papierqualitiit des Einzelblattes entspricht der von C 7.
Privatbesitz) schreibt Si.iEkind: ,Magister Rapp wird wohl
so schnell noch nicht kommen konnen. Er ist seit etwa
drei Wochen gar nicht wohlauf wegen einer Geschwulst Kommentar
und abwechselndem, wenn gleich nicht starkem, kaltem
Fieber." 1 In der Literatur und in den Quellen fanden sich keine
Erwahnungen des ,Spielklubs" wie auch des im folgenden
genannten ,Advokatenklubs". Aus dem Wortlaut der fol-
genden Bemerkungen Si.iEkinds (,den /hrzusammenmacht"
und ,Reformatione capitis" (Hervorhebungen durch ~en
Hrsg.)) kann immerhin geschlossen werden, daE der ,Splel-
klub" ausschlieElich den Repetenten, vielleicht auch den
Senioren im Stift zuganglich gewesen sein mag, wahrend
der ,Advokatenklub" zwar auch fur Repetenten offen war,
sich moglicherweise aber gar nicht auf das Stift beschrankte.
Es kann nicht ganz ausgeschlossen werden, daE einer der
heiden, vielleicht so gar beide Klubs politische Hintergri.inde
hatten, wie es auch bei dem wenig spater im Stift sichtbar
werdenden ,Unsinnskollegium" bzw. ,Klub iiber Sinn und
Unsinn" der Fall war (vgl. Leube III, S. 115-120; Wandel,
VerdachtvonDemocratismus(cf. A2/ 19), S. 57-63;Axe1Kuhn,

601
600
Kommentar zu den Briefen C 6 Von Si.igkind, 2. Dezember 1790

,Schwarzbrot und Freiheit. Die Thbinger Studentenbewe- S. 35, und zum Weiterstudium nach dem Examen Leube
gung zur Zeit Holderlins und Hegels", in: Bausteine zur III, S. 61).
Tiibinger Universitiitsgeschichte 6 1992, S. 9-62, S. 46 ff.). 11 Lat.: Gott wird Vorsorge treffen.
Si.iEkinds Timiditat, wie sie aus den folgenden Bemerkungen 12 Zu den Kutten vgl. C 5/24. - Am 14. November 1788 war
aufscheint, konnte daraus motiviert sein. den Repetenten die ihnen zustehende Martinsgans von Sti-
2 Zum Begriff der Neologie vgl. Moglichkeit einer Offenba- pendiaten geraubt worden (vgl. Leube III, S. 126). 1791
rung (VI 3), S. 997. wurde der Martinischmaus der Repetenten abgeschafft: ~s
3 Die Repetentenmemorabilien (cf. A 13/ 6) erwahnen unter wurde ausgemacht, daE ki.inftig kein Martinischmaus mehr
dem 5. November 1789, S. 190, ein Schreiben des Herzogs gehalten werden solle. Die Gans [... ] wur?e Vollmar [v~l.
an Schnurrer vom Herbst 1789, in dem es unter anderem C 8/ 27] gelassen, mit dem Auftrag, sich rrut den Leuten ~
heiEt: .,Ich gebe Ihnen hiemit auf, 3. Monathe lang von der Ki.iche deswegen abzufinden." (Repetentenmemorabl-
14. Tagen zu 14. Tagen zu berichten, damit ich alsdann lien (cf. A13/ 6), 8.205).
meinem Consistorio den gnadigsten Befehl zu gehen lassen 13 Vgl. lat. petere - verlangen, bitten. Fur die. Ma~eite~ im
kann, die ungehorsamen Glieder des Stifts von dem iibrigen Stift existierte eine feste Tischordnung rmt emem T1sch
Corpore abzuschneiden." fUr die Vorsteher auf dem sogenannten ~errentrippel",
4 Vgl. C 5/ 40. einem fur die Caste, einem fur die Repetenten und den
5 Vgl. A 6 S. 47 Z. 7 f. und A 6/ 35 und / 36. Tischen fur die Stipendiaten, woran diese ihrer Loka~on
6 Lat. Redensart: Unter der Rose, d. h. im Vertrauen (vgl. gemaE Platz zu nehmen hatten. Wahrend der Mahlze1ten
Christian Helfer, Crater dictornm. Lateinische Sprich- und aufzustehen war nicht erlaubt. Ein Famulus (vgl. auch
Schlagwi/rter, Wahlspriiche und lnschrijten des 15.-20. ]ahr- C 8/ 27) hatte die Aufgabe, zwischen den einzelnen Tischen
hunderts, Saarbri.icken 1993, S. 152). hin- und herzugehen, urn Botschaften und Bestellung~n
7 Vgl. im Vorbrief C 5 S. 211 Z. 11-19. zu i.ibermitteln, die etwa darin bestehen konnten, daE em
8 Vgl. A 6/ 35. Stipendiat den ErlaE einer aus disziplinarischen G~i.ind:~
9 In einem Brief an seine Mutter vom 3. Dezember 1790 ausgesprochenen Rationierung beantragen (,peueren )
erwahnt Si.iEkind die ihm unwillkommene Bitte seines On- wollte. (Vgl. Leube II, S. 67, 166, 190-194, besonders S. 192
kels Gottfried Albrecht ReuE, Pfarrer in Pfaffenhofen, er und 194, sowie III S. 97; auch Stijts-Statuten von 1752 (cf.
moge nach seiner Ri.ickkehr aus Gottingen in Pfaffenhofen A3/ 18), Kapitel7 § 3, S. 64, und Kapitel 10 § 1, S. 68.) -
Vikar werden (S. 1 f.; in Privatbesitz). Zur Frage der Mahlzeiten des Bibliothekars vgl. C 5/ 40.
10 Stipendiaten, die nach dem theologischen Exam en keine 14 Der Subbibliothekar des Stifts erhielt keine Besoldung, so
Stelle ( als Vikar oder Hofmeister) erhielten, lebten und daE von der Stiftsleitung darauf geachtet werden muEte,
studierten als sogenannte Senioren weiterhin im Stift und daE keine mittellosen Stipendiaten in den Vorschlag an
fungierten bisweilen als Stubenalteste anstelle eines Re- das Konsistorium aufgenommen wurden, jedenfalls nicht
petenten, da es im Stift mehr Stuben als Repetenten gab ohne Hinweis auf das Erfordernis einer Versorgung (vgl.
(vgl. neben A3/ 9 die Stijts-Statuten von 1752 (cf. A3/ 18), A6/ 35). .
Kapitel 2 § 14 S. 16 f., Kapitel 4 §§ 9 f. S. 53 f., und Ka- 15 Vgl. Diez' Bemerkungen in seinen Briefen an N1ethammer
pitel 6 § 5 S. 62; Stifts-Statuten von 1793 (cf. A3/ 77), vom 12. Oktober und vom 5. Dezember 1790 (A 5 S. 39
§ 64 S. 34; Fritz; Schneiderhan, Baugeschichte ( cf. A 6/ 52), Z.18-21 und A6 8.46 Z.28- 8.47 Z.1).

602 603
Komrnentar zu den Briefen C 6 Von SiilSk.ind, 2. Dezember 1790

16 Analog zu Rockenmiirchen abgeleitet vom Spinnrocken und und der Ausiibung, weil sie nicht den ganzen Zweck, der
der Rockenstube, was schwiibisch der Spinnstube entspricht einem jeden verniinftigen Wesen natiirlich und durch eben
(vgl. SW V Sp. 381 f.). dieselbe reine Vernunft a priori bestimmt und nothwendig
17 Vgl. C 5/ 47. ist, erftillen." - Schultz, Erliiuterungen ( cf. A 3/ 5), S. 176:
18 Rapp (vgl. den Beginn des Briefes S. 213 Z. 6). ,Gott also, und ein kiinftiges Leben, sind zwey Voraussez-
19 Zur Kontroverse zwischen Reinhold und Flatt vgl. A3 zungen der reinen Vernunft, ohne welche aile moralische
S. 19 Z. 33-S. 25 Z. 2. Gesezze bloEe Chimiiren wiiren. Denn ohne einen Gott,
20 Diez hat wenigstens noch einen weiteren Brief an Planck und eine fiir uns jezt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt,
geschrieben und von Planck auch Antwort erhalten (vgl. sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstiinde
C 8 S. 225 Z. 28- S. 226 Z. 18 mit C 8/ 13, C 9 S. 231 Z. 23- des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht lliebfedern
32 mit C 9/ 6 und C 10 S. 245 Z. 9-21). Keiner dieser Briefe des Vorsazzes und der Ausfuhrung, mithin ohne allen Effect:'
konnte aufgefunden werden. Ein NachlaE Plancks mit seiner 26 Lat.: mit ebenso vielen Worten.
Passivkorrespondenz ist vermutlich nicht iiberliefert (Nach- 27 Vgl. Mt 7,12 (vgl. auch Lk 6,31).
richt von Rudolf Smend, 13. Dezember 1977).- Uber Diez' 28 SiiEkind denkt wohl an Theologen, die Kants Formel des
Korrespondenz mit Planck und deren Wirkung auf diesen kategorischen Imperativs mit der Formulierung bei Matthiius
vgl. Gad! VIII. 3. (vgl. C 6/ 27) verglichen und im wesentlichen iibereinstim-
21 Vgl. A 6 S. 47 Z. 28 - S. 48 Z. 2. mend gefunden haben. Der prominenteste unter ihnen war
22 Vgl. C 6/ 25. Johann Wilhelm Schmid, der sich dazu auEer in De disciplinae
23 In seinem noch in Jena geschriebenen - die Vorrede ist Christianae ( cf. A 6/ 44), S. 7, in seiner Sittenlehre ]esu ( cf.
am 6. August 1790 unterzeichnet - Buch Ueber die Untaug- A 4/ 10), S. 210 ff., iiuEerte. Diese Schrift erschien nach der
lichkeit( cf. A 2/ 16) hat Rapp die kantische Moralphilosophie Datierung der Vorrede zur Friihjahrsmesse 1790. Sie konnte
gegen die Grundlegung der Ethik aus dem Prinzip der die Hauptquelle ftir SiiEkind gewesen sein. Denn Schmid
Gliickseligkeit verteidigt und dabei nur zu erkennen ge- beriicksichtigt Kants Erkliirung in der Grundlegung zur Me-
geben, daE er aus Kants Ethik auch Pflichten gegen Gott taphysik der Sitten, Riga 1785 (AA IV S. 430 Anm.), daE
hervorgehen sieht (S. 14 f.). In seiner Abhandlung ,Ueber ,das triviale: quod tibi non vis fieri etc." der goldenen
moralische Triebfedern, besonders die der christlichen Re- Regel mit der Forme! des kategorischen Imperativs nicht
ligion" (cf. A2/ 16) hat er dann die Motivationen, die sich identisch sei, liiEt aber doch die implizite Systematik des
aus der christlichen Offenbarung herleiten, an die kantische Volkslehrers Jesus mit der Kantischen Sittenlehre iiberein-
Sittenlehre angeschlossen (vgl. C 5/ 21) und sich dabei unter kommen. - Da sich Karl Friedrich Stiiudlin seit dem Sep-
anderem auf die Stelle in der Kritik der reinen Vemunft tember in Gottingen aufhielt und er mit SiiEkind bekannt
gestiitzt, die SiiEkind in diesem Brief ebenfalls zitiert geworden war (vgl. C 3 S. 186 Z. 4), kommen auch Ge-
(S.216 Z.21-25). spriiche mit ihm als Quelle ftir SiiEkind in Frage. Stiiudlin
24 Vgl. A 3/ 5. hat in seinem Bu ch System der christlichen Religion ( cf. B 2/ 5),
25 KdrV A 813/ B 841: ,Ohne also einen Gott und eine fur S. 101 ff., ausftihrlich iiber die Anwendung Kantischer Ideen
uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt, sind die herr- auf die christliche Sittenlehre gehandelt. Das Buch war
lichen Ideen der Sitdichkeit zwar Gegensdinde des Beyfalls nach der Datierung der Vorrede (20. September 1791) zehn
und der Bewunderung, aber nicht 1hebfedern des Vorsatzes Monate nach SiiEkinds Brief abgeschlossen. - Unter den

604 605
Kommentar zu den Briefen C 6 Von Si.i~kind, 2. Dezemher 1790

Philosophen gehort auch Carl Christian Erhard Schmid zu 39 Die Abki.irzung konnte nicht aufgelost und der Bezug nicht
denjenigen, welche die Ubereinstimmung der Kantischen gekliirt werden.
Formeln des sittlichen lmperativs mit ,reinen und unver- 40 Die Ebioniten waren Judenchristen, die sich nach der Zer-
falschten Begriffen und Urteilen des gemeinen Verstandes storung Jerusalems im Ostjordanland (vgl. B 3/ 35) abseits
(z. B. des Christenthums)" annahmen (Versuch einer Moral- von der i.ibrigen Kirche zur Sekte zuri.ickbildeten (vgl.
philosophie (cf. A2/ 12), S. 119). Solche Aussagen konnten 0. Cullmann, Art. ,Ebioniten", in: RGG Bd. 2 Sp. 297). We-
sich auf Kants allgemeine Erk.Hirungen i.iber ,das au_gerst ber, Beitrcige (cf. C 5/ 44) schreibt S. 53: ,Die Ebioniten
reine Sittengesetz unserer Religion" (KdrV A 817/ B 845) gehoren wenigstens zur Familie der Nazariier [i. e. Juden-
sti.itzen. - Vgl. Gadl V. 2. christen, die sich an das Mosaische Gesetz hielten und
29 Vgl. Mt 5,48: ,Darum sollt ihr vollkommen seyn, gleich wie Paulus als Abtri.innigen betrachteten]. Ob es zwo verschie-
euer Vater im himmel vollkommen ist." Vgl. 3. Mose 11,44 dene Partheien gewesen, oder ob es zwo Benennungen
und 19,2 sowie Lk 6,36. Vgl. auch Si.iBkinds Brief vom einer und eben derselben Parthei seien, liiBt sich mit ent-
14. Januar 1791 (C 8), S. 228 Z. 1 - S. 229 Z. 10, und C 8/ 24. scheidenden Grunden nicht ausmachen." Er referiert sodann
30 Griech.: mit sanftmi.itigem Geiste, Gal 6,1. zwei widerstreitende Meinungen der Kirchenviiter i.iber den
31 Vgl. A 3/ 13 und Moglichkeit einer Offenbarung (Vl3), Ursprung des Namens, der entweder auf den Stifter Ebion,
S. 992ff. oder auf C"~:"~~ N, das hebriiische Wort fur arme Leute, zu-
32 KdrV A 620 ff./B 648 ff. riickzufuhren sei.
33 Diez beantwortet dieses Argument mit dem Versuch, Jesus 41 lm ersten Band seines Entwuifes einer vollstii.ndigen Historie
einer unrichtigen Prophezeiung zu i.iberfuhren, in B 3 S. 148 der Kezereien, Spaltungen und Religionsstreitigkeiten, bis auf
Z. 5 - S. 150 Z. 24 und in B 4. Vgl. Moglichkeit einer Offen- die Zeiten der Reformation, 11 Bde. Leipzig 1762-1785 ( un-
barung (VI3), S. 989-991. vollendet), S. 110, schrieb Christian Wilhelm Franz Wale?:
34 Dies em Wunsch hat Diez mit seinem Aufsatz B 2 entsprochen. ,So bekannt der Nahme der Ebioniten ist [... ]; so werug
Fi.ir Si.iBkinds Antwort vgl. C 9 S. 235 Z. 11 ff. ist eine Einigkeit i.iber den Ursprung derselben zu hoff~n."
35 Diese Bemerkung ist wahl auf Rapp zu beziehen (vgl. C5 Eine eigene Hypothese i.iber den Ursprung trug er rucht
S. 209 Z. 2 - 7 und C 5/ 21). Zum Storrianismus vgl. C 1/ 30 vor, referierte aber die heiden erwiihnten Meinungen (vgl.
und C 2/ 20 sowie Moglichkeit einer Offenbarung (Vl3), C 6/ 40) und als dritte Meinung, der er (wie spiiter Web~r)
S. 999ff. sich anschloB, die These, daB die historischen Daten keme
36 Die freundliche Beschreibung Rapps, die sich von der Cha- Losung des Ursprungsproblems zulassen. - Wale~ (1726_-
rakterisierung des Briefes vom 26. Februar 1791 (C 9 S. 231 1784), 1750 auBerordentlicher Professor der Philosop?ie
Z. 33 - S. 232 Z. 4) unterscheidet, erkliirt sich Ieicht daraus, in Jena, wurde 1754 ordentlicher Professor an der Philo-
daB Rapp Uberbringer des unversiegelten (vgl. die Manu- sophischen Fakultiit der Universitiit Gottingen, kurz darauf
skriptbeschreibung, S. 601) Briefes war. auch auBerordentlicher Professor fur Theologie, ehe er 1757
37 Vgl. C 5/ 44. als ordentlicher Professor ganz zur theologischen Fakultiit
38 Vgl. eine iihnliche Wendung mit Bezug auf eine Veroffe~t­ iiberwechselte. Von 1766 an war er Primarius dieser Fakultat.
lichung bei Diez (A8 S. 62 Z.14-16 und A8/ 12): ,Also rat- (Vgl. Ebel, Catalogusprofessorum (cf. A 5/ 16), S. 35, 39, _10_3.)
licher ist es doch, zu Hause zu bleiben, ohnerachtet Klett mir 42 Zum sogenannten Nazaraerevangelium, das wahrschemlich
geraten hat, getrosten Muts auf den Weg mich zu machen." in der ersten Halfte des zweiten Jahrhunderts unter Ju-

606 607
Kommentar zu den Briefen C 7 Von Si.i!Skind, 5. Januar 1791

den christen entstanden ist, vgl. E. Lohse, Art. ,Nazariier-


evangelium", in: RGG Bd. 4 Sp. 1385 f. Weber, Beitriige (cf C7
C 5/ 44), S. 60-62, schlagt vor, die Gemeinsamkeiten in den Friedrich Gotdieb SiiEkind, Gottingen
Evangelien von Matthaus, Markus und Lukas durch die Mittwoch, den 5. Januar 1791
Annahme eines hebraischen Urevangeliums als ihrer ge- An Immanuel Carl Diez, 'llibingen
meinsamen QueUe zu erklaren.
43 Storr, Notitiae historicae, in: Opuscula academica ( cf. C 1/24),
S. 339-345 Anm. 166; ders., Dissertatio exegetica (1790) (cf. Manuskriptbeschreibung
B 3/ 33), S. 62 ff., vgl. auch seine Doctrinae christianae (cf
A 3/ 14), S. 25, und deren deu tsche Ubersetzung Christliche Standort: UBT, Mh 633.
Dogmatik (cf. ebd.), S. 115f. Storr begriindet die These, Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblatt; Format in em (Hohe X Breite):
dag Matthaus und Lukas das Markus-Evangelium voraus· 20,5-20,7 X 16,6; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Pa-
pierfarbe: lichtblau.
setzen.
Time: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 1 1/ 4 von 2; Faltung: quer,
dann liings.
Besondere Bemerkungen: S. 1 oben Rotelstift-Numerierung ,7"; Papierqualitat
entspricht der des Einzelblattes von C 6.

Kommentar

1 Vgl. C 5 S. 211 Z. 11-19 und C 5/ 38-40, augerdem A 6/ 35.


In einem Brief an die Mutter (in Privatbesitz) berichtet
Siigkind am 15. Januar 1791, dag Diez, gegen den Schnurrer
habe durchblicken lassen, dag er Siigkind gern als Biblio-
thekar sahe, sich in Siigkinds Namen gemeldet und sofort
eine Nachricht nach Gottingen gesandt habe, worauf dann
er, Siigkind, unverziiglich an Storr und Schnurrer geschrie-
ben und Diez' stellvertretende Bewerbung bestatigt habe
(vgl. auch C 8 S. 227 Z. 14-35).
2 Niethammer hatte Schnurrer bereits in einem Brief vom
18. November 1790 seine Absicht mitgeteilt, die ihm an-
gebotene Stelle bei Ettinger in Gotha anzunehmen und
somit auf das Stiftsbibliothekariat zu verzichten (vgl.
A6/ 35).
3 Im Original in lateinischen Buchstaben. Wahrscheinlich ein
Spitzname, eventuell (was freilich nicht sehr wahrscheinlich
ist) fur Ernst Gottlieb Bengel, der sich, noch nicht examiniert,

608 609
Kommentar zu den Briefen C8 Von Sii!Skind, 14. Januar 1791

ebenfalls fur das Bibliothekariat beworben hatte (vgl. C8


S. 227 Z. 17 f.) und es ein gutes Jahr spater, nach seinem C8
theologischen Examen, auch erhielt ( vgl. A 6/35). In dem Friedrich Gottlieb SiiEkind, Gottingen
Brief Kletts an Niethammer vom 25. April 1790 ( cf. A l/2), Freitag, den 14. Januar 1791
S. 2, ist ebenfalls ein Spekle genannt, der vermutlich im An Immanuel Carl Diez, Tlihingen
Stift wohnte, ohne daB aber seine Identitat aus dem Kontext
zu erschlieEen ware, und auch Johann Karl Friedrich Hauff
erwahnt in seinem Brief an Niethammer vom 20. Dezember Manuskriptheschreihung
1791 einen ,Hn. Speckle" (S. 4; DLA Marbach, 58. 425).
4 Vgl. C5/41. Standort: UBT, Mh 633.
5 Lat.: dagegen, hier im S~~ne von: im Gegenzug. Anzahl der Lagen und Blatter: 1 Einzelblatt und 1 Einzelblattausschnitt; Format
in ern (Hohe x Breite): 20,5-21 x 19,3 (l. Blatt), 10,4-10,7 x 19,3 (2.
6 Wahrscheinlich ist das Offnen von Briefen des Bruders
Blatt); Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Papierfarbe: chamois.
zum Zwecke des EinschlieEens gemeint. Da Diez' voraus- Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 4 von 4; Faltung: quer von
gegangener Brief nicht vorliegt, kann der Satz nicht ver- vorne nach hinten, dann liings.
laElich erkliirt werden. Besondere Bemerkungen: S. 1 oben Rotelstift-Nurnerierung "8", S. 3 oben "8 a".
7 Aus den Unterlagen im Stiftsarchiv (AEvSt) und im Lan-
deskirchlichen Archiv (LKA) war eine (neuerliche) Erho-
hung der Repetentenbezuge nicht nachzuweisen. Erst im Kommentar
Jahr zuvor war der Sold von jahrlich 25 auf 50 Gulden
verdoppelt worden (Schreiben des Konsistoriums an die 1 Vgl. A 7/6.
Stiftsleitung vom 24. Dezemher 1789, AEvSt, K. III F. 8,1 2 Matilda Guiguer geb. Cleveland (1758-1817), die Witwe
(82), Repetenten. Gehalt; vgl. Repetentenmemorabilien (cf. von Louis-Fran<;ois Guiguer, baron de Prangins (1741-
A 13/6), S. 190). Auch Anfang 1792 betrug das Repeten- 1786) (vgl. Louise Devegney, Prangins et ses environs, Pran-
tengehalt noch 50 Gulden, wie aus Akten der Universitat gins 1945, S. 16; auEerdem Georges Rapp, "Une figure vau-
hervorgeht (HSA Stuttgart, A274 Bu 91, S. 102). - SuGkind doise de la fin de !'ancien regime, Louis-Francois Guiguer,
berichtet auch in einem Brief an seine Mutter vom 12. avant-dernier baron de Prangins, (1741-1786)", in: Revue
Februar 1791 (S. 1; in Privatbesitz) davon, daE man ihm d,histoire suisse Bd.1 1945, S. 22-51, S. 39ff., und Chantal
von einer Verdopplung der Repetentenbesoldung auf 100 de Schoulepnikoff, Le Chateau de Prangins. La demeure his-
Gulden Nachricht gegeben habe. ton'que, Zurich 1991, S.23-30).
8 Gemeint ist Klett (vgl. C 9 S. 235 Z. 1-3 und C 9/31). 3 Charles-Jules Guiguer de Prangins (1780 - 1840), spater
Schweizer General, und sein Bruder Auguste (1782-1831)
(Auskunft von Chantal de Schoulepnikoff, Zurich, vom 11.
Miirz 1985; vgl. Devequey, Prangins (cf. C 8/2), S. 16; Rapp,
~ouis-Fran<;ois Guiguer" (cf. ehd.), S. 42; Schoulepnikoff,
Chateau de Prangins ( cf. ebd.), S. 33 und Archives Biogra-
phiques Franr;aises 489,53 f.).
4 Frz.: Schelm.

610 611
Kommentar zu den Briefen C 8 Von Si.iEkind, 14. Januar 1791

5 Dieses franzosische Kompositum ist lexikalisch nicht nach- gisterpromotion von Heinrich Eberhard Gottloh Paulus und
weisbar. Double durfte hier im Sinne von zwei Seiten ha- Karl Friedrich Staudlin von 1781 (vgl. MTii Nr. 37649
hend, wovon (zunachst) nur eine hervortritt, zu verstehen S. 283). Schmid brach das Theologiestudium ah und wurde
sein (vgl. agent double bzw. double jeu). Frz.: chien - 1787 in Tiibingen zum Doktor der Rechte promoviert. An-
Hund. Der Sinn dieses Kompositums erschlie~t sich vor schlie~end ging er auf Reisen und blieb ein Jahr in Genf,
allem in Bezug auf ,coquin" (vgl. C 8/ 4). ein weiteres Jahr in Wetzlar, fiir sechs Monate in Wien
6 Vgl. frz .: depense - Ausgabe, (Un-)Kosten. und, wahrend der Kaiserkronung Leopolds II. ( vgl. C 2/ 43),
7 Matilda Guiguer war die Tochter eines englischen Parla- mehrere Wochen in Frankfurt am Main. Dort erhielt er
mentsabgeordneten und GroEgrundbesitzers aus Devon- einen Ruf nach Ttibingen als au~erordentlicher Professor
shire (vgl. Devequey, Prangins ( cf. C 8/ 2), S. 16).- Zu Staud- der Rechte, ging aber, bevor er die Stelle antrat, noch fur
lins Englandreise vgl. C 2/ 44. einige Wochen nach Gottingen.
8 Auch Klett erwahnt in einem Brief an die Eltern vom 22. Mai 11 Das genaue Datum von Kletts Abreise wurde nicht ermittelt.
1791 (fol. 12v; in Privatbesitz), da~ ihm die Moglichkeit Aus einer Bemerkung von Diez an Niethammer (A 8 S. 63
bedeutet worden sei, die heiden Zoglinge nach Ablauf von Z. 3- 5) la~t sich jedoch schlie~en, da~ er zwischen der
vier Jahren wahrend ihrer Universitatsstudien zu hegleiten. zweiten Halfte des Monats Marz ( ungeHihres Ankunftsdatum
Oh es zu einer England-Reise gekommen ist, geht aus den des von Diez erwahnten Niethammer-Briefes, den Klett
erreichbaren Quellen nicht hervor. Wohl aber reiste Klett auf die Reise mitnahm) und dem 11. April 1791 (Datum
mit seinen heiden Zoglingen Charles-Jules und Auguste des Briefes an Niethammer (A 8)) Tiibingen verlassen hat.
Guiguer de Prangins im November 1795 nach Stuttgart, Der erste uberkommene Brief Kletts an seine Familie von
wo sie his zum 24. Juli 1796 blieben. Kletts Dienste als der Reise nach Prangins tragt als Datum ,Bern, den 19.
Hofmeister endeten mit der Riickreise der heiden Jun- April [1791]" (S.1; in Privathesitz).
gen nach Prangins. (Auskunft von Chantal de Schoulepni- 12 Also wohl Gmelin, Planck, Reu~, Seyffer, Spittler.
koff, Zurich, vom 11. Marz 1985, nach den Tagehiichern 13 Einer der Einschlusse, deren Empfang Su~kind am 2. De-
von Louis-Fran<_;ois Guiguer; vgl. auch den Brief Carl Ul- zember 1790 bestatigte (vgl. C 6 S. 213 Z. 5 und C 6 S. 219
rich Gaabs an Niethammer, Morsee, den 28. Juli 1796, S. 4, Z. Sf.: ,Vermutlich wird Planck in seiner Antwort Dich darauf
UBE, Ms. 2054.) Uber den Aufenthalt in Stuttgart herich- verweisen". Vgl. auch C 6/ 20).
tet Klett an Niethammer am 6. April 1796 (8.1; UBE, 14 Der zweite Band von Plancks Religionsgeschichte ( cf. A 5/ 16)
Ms. 2054); vgl. auch Schellings Nachrichten in einem Brief war 1790 erschienen, das Vorwort dazu ist am 26. August
an Hegel vom Januar 1796 (Brieje von und an Hegel, hrsg. 1790 unterzeichnet. Band drei, dessen Vorwort vom 12. De-
von Johannes Hoffmeister, Bd. 1 Hamburg 1952, S. 34-36, zemher 1792 datiert, erschien dagegen erst 1793.
S. 36). 15 Vgl. C4 S.199 Z.22ff. und CS S.211 Z.26ff.
9 Christoph Renz (1742-1826) aus Tiibingen war SchloEvogt 16 Si.i~kind veroffentlichte erst 1796 einen Aufsatz zu diesem
und Sekretiir in Prangins sowie ,Freund" des Barons (Aus- Thema (vgl. C 4 S. 199 Z. 22f.) unter dem Titel ,Versuch
kunft von Chantal de Schoulepnikoff, Zurich, vom 11. Januar einer Geschichte des Dogma von dem Opfer des Abendmals,
1984; vgl. auch Rapp, ,Louis-Fran<_;ois Guiguer" ( cf. C 8/ 2), vom ersten Jahrhundert his an das Ende des sechsten" in
S. 23, 34, 40). der von Johann Friedrich Schleusner und Karl Friedrich
10 Karl Friedrich Wilhelm Schmid (1761-1821), aus derMa- Staudlin herausgegebenen Gi/tti.ngischen Bibliothek der neue-

612 613
Kommentar zu den Briefen C 8 Von Sii!Skind, 14. Januar 1791

sten theologischen Literatur, Bd. 2, St.2 S.159-199 und St.3 Verbindung wendet sich SiiEkind mit einem Argument,
S. 317-356. das mit dem im Brief vom 2. Dezember 1790 (C 6), S. 217
17 Rezension von: Gottlob Christian Storr, Dissertatio exegetica Z. 28-30, vorgetragenen und mit Mt 5,48 im Zusammen-
in librorum N T historicorum aliquot loca., Thbingen 1790, hang steht. (Vgl. C 6/ 29 und A 6 S. 47 Z. 2 8 - S. 4 8 Z. 2
in: Eichhorn, Allgemeine Bibliothek (cf. C 1/ 25), Bd. 3 St.2 sowie Gadl V. 2.)
1791, S. 281-301. 25 Johann Ludwig Friedrich Fricker (geb. 1765), 1783 ins
18 Rezension zu Storrs Programm Commentatio de protevangelio, Stift gekommen, also ein Promotionsgenosse von Diez, SuE-
Tiibingen 1789, in: ebd. S. 357-370. kind und Kapff, im Sommer 1790 Vikar in Gaisburg (AEvSt,
19 Johann Gottfried Eichhorn, "Uber die AusgieEung des Gei- K.I F.10,3 (20), Quartal-Testimonia 1781-1793), starb am
stes am Pfingstfest. Apostelgesch. II, 1-13", in: ebd. S. 225- 24. Dezember 1790 (GMB, unter seinem Vater Johann Lud-
252. wig Fricker; MTii Nr. 38062 S. 306). Fricker scheint das
20 Johann Gottlob SiiEkind. Vikariat in Gaisburg erhalten zu haben, das Diez ange-
21 Ernst Gottlieb Bengel (1769 -1826), in Thbingen am nornmen und dann doch noch ,abgeschrieben' hatte (vgl.
12. September 1785 immatrikuliert, seit 1786 Stipendiat, A3 S. 25 Z. 28f.).
1788 Magister, 1792 Repetent, 1800 Diakon in Marbach, 26 Vgl. C 8/ 20. Zum Inhalt des Briefs vgl. C 9 S. 232 Z. 22-24.
1806 auEerordentlicher vierter und 1810 ordentlicher Pro- 27 Nach den Statuten des Thbinger Stifts waren die Repetenten
fessor fiir Theologie in Tiibingen sowie Superattendent befugt, den Famuli Anweisungen zu geben und Auftriige
des Stifts (MTh Nr. 38380 S. 329, Nr. 40155 S. 430, zu erteilen (vgl. Stzjts-Statuten von 1793 (cf. A3/ 77), § 93
Nr. 40695 S. 461; Magisterprogramm Tiibingen (cf. A 1/ 2) S. 49 f. Zum Status und zur Besoldung der Famuli vgl. Leu-
von 1788; GMB). Er war Enkel des beriihmten Johann bell, S. 66-69, 162-167, III, S. 96-98. Zum Famulus Voll-
Albrecht Bengel und somit Cousin von SiiEkinds Mutter mar, dessen Lebensdaten nicht zu ermitteln waren, vgl.
(vgl. C 1/ 1; Faber, III. Fikler'sche Stiftung, §§ 889, 818, 727 Repetentenmemorabilien (cf. A 13/ 6), S. 206f.).
(Johann Albrecht Bengel), 727 f. (Bengels Vater), 478b
(Ernst Gottlieb Bengel)). Zu Bengels Bewerbung urn das
Subbibliothekariat 1791 vgl. A 6/ 35 und C 7/ 3. Die Sorge
der Mutter urn den Familienfrieden suchte SiiEkind in einem
Brief vom 15. Januar 1791 (in Privatbesitz) zu zerstreuen.
22 Vgl. C7 S.221 Z.3-6 und C7/ l.
23 Vgl. C6 S.215 Z. 16- S. 219 Z.24 und A6 8.47 Z.16-
S. 48 Z.2.
24 Offenbar hatte Diez unter Heranziehung von Passagen aus
Mt 6 gegen die Vereinbarkeit der Kantischen und der christ-
lichen Morallehre argumentiert. Dabei scheint er Vers 10
~ein wille geschehe auf Erden, wie im himmel" mit meh-
reren Stellen, die von einer Belohnung des Menschen durch
Gott sprechen (Verse 1, 4, 6, 18), verbunden zu haben,
urn daraus Heteronomie folgern zu konnen. Gegen diese

614 615
Ko=entar zu den Briefen C 9 Von SiiBkind, 26. Februar 1791

Briefe vgl. SiiEkinds Bericht im Folgebrief C 10 S. 245 Z. 9-


C9 21, auch C 6/ 20.
Friedrich Gottlieb SiiEkind, Gottingen 7 Vgl. hierzu und zum Folgenden A 7 S. 57 Z. 29-33 und
Samstag, den 26. Februar 1 791 A 7/ 49.
An Immanuel Carl Diez, Tlibingen 8 Dem Kontext nach war Rapp gemeint (vgl. C 9/ 9).
9 Wahrscheinlich Friederica Eleonora Klindworth, geb. Die-
derich (gest. 1846), die seit 1785 mit dem herzoglich go-
Manuskriptbeschreibung thaischen Hofmechanikus, Uhrmacher und zeitweisen Ge-
hilfen Lichtenbergs bei dessen Experimentalvorlesungen,
Standort: UBT, Mh 633. Johann Andreas Klindworth (1742-1813), verheiratet war
Anzahl der Lagen und Blatter: 1 Einzelblatt, 2 Doppelbliitter, 2 Einzelbliitter; (vgl. Georg Christoph Lichtenberg, Schriften undBriefe, hrsg.
Formatincm(Hohe x Breite): 19-19,7 X 11,5-12;Riinderteilweisebeschnitten; von Wolfgang Promies, 6 Bde. Miinchen, Wien 1967-1992,
Bogenfaltung: 8°; Wasserzeichen; Papierfarbe: chamois.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 13 1/z von 14; Paginierung:
Kommentarband zu Band I und Band II, S. 432 f., 982,
Brief: , I" (S. 1), ,,I" (S. 3), Beilage: ,A" (S. 5), ,B" (S. 9), ,C" (8.13); Faltung: 1094). Vgl. C 9/ 10.
quer von vorne nach hinten. 10 Gevatter ist der Taufpate im Verhaltnis zu den Eltern des
Besondere Bemerkungen: S. 1 oben Rotelstift- umerierung ,9", S. 3 oben , 13", Taufkindes. Ein Gevatterbrief (vgl. die Streichung in der
S. 5 oben , 10", S. 9 oben , 11 ", S. 13 oben , 12"; die Beilage (A-C) wurde
zwischen die heiden Einzelbliitter des Briefes (L II) eingebunden.
Textanmerkung a) ist eine schriftliche Bitte urn Gevatter-
schaft (vgl. SWill, Sp. 582f.). Am 6. Mai 1791 wurdeJohann
Andreas und Friederica Eleonora Klindworth ein Sohn,
Ludwig Carl August, geboren. Paten waren unter anderem
Kommentar Karl Felix Seyffer und Lichtenbergs Bruder, der Gothaer
Legationsrat Ludewig Carl Lichtenberg. (Vgl. Lichtenberg,
Zu diesem Brief vgl. auch die Erlauterungen des Begleittextes Schriften und Brieje ( cf. C 9/ 9), Kommentarband zu Band
Moglichkeit einer Offenbarung (VI3), S. 1022-1025. I und Band II, S. 982.)
11 Gottlob Christian Rapp war mit Luise Friederike Arnold
1 Der Aufsatz ,Uber die Moglichkeit einer Offenbarung" (frii- (1769-1839) verheiratet (vgl. GMB). Das Wirtembergische
here Fassung) (B 2). Adrefl-Buch ( cf. A 3/ 92), S. 242, nennt als Posthalter von
2 Karl Heinrich Rieger war am 15. Januar 1791 gestorben. Schorndorf Eberhard Arnold.
3 Vgl. SiiEkinds Wunsch C 6 S. 219 Z. 9-11. 12 SiiEkinds Bruder Johann Gottlob sollte einen Brief an
4 Vgl. C 9/ 33. Johann Friedrich Gaab iiberbringen (vgl. C 8 S. 229 Z. 20f.).
5 Vgl. B 2 S. 119 Z. 10 f. Diez sagt, er wolle ,die neue philo- l3 Wahrscheinlich plante Si.iEkind die Ausarbeitung der zuvor
sophische Kunstsprache ganz zu vermeiden suchen". . mehrmals erwahnten Abhandlung iiber die ,Geschichte der
6 Vgl. C6 8.219 Z.5f. und C8 8.225 Z.28-S.226 Z.18 roJt Opferideen" (vgl. C 4 S. 199 Z. 22ff., C 5 S. 211 Z. 26ff.
C 8/ 13. Ein zweiter Brief an Planck ist als EinschluE mit und C 8 S. 226 Z. 19 ff., auEerdem C 8/ 16).
dem vorausgehenden Brief an SiiEkind gekommen. Planck 14 Vgl. C 9/ 12.
war von Diez auch als Leser des Aufsatzes (vgl. C 9/ 1) 15 Auf einen Text Diez: zu dem der von SiiEkind offenbar
vorgesehen. Zu Plancks Urteilen iiber Diez' Aufsatz und aus Diez' Brief zitierte Titel passen wiirde, gibt es sonst

616 617
Kommentar zu den Briefen C 9 Von SiiEkind, 26. Februar 1791

keine Hinweise. Zu dem philosophischen Programm, das tung 15), S. 34, 94, § 86.) - Zu seinen Veroffentlichungen
mit diesem Titel angezeigt ist, vgl. Gad! VII. 6. zahlen: Allgemeine Geschichte der christlichen Kirche nach der
16 Johann Benjamin Koppe war am 12. Februar 1791 gestorben. Zeiifolge, 6 Bde. Braunschweig 1788 -1795; Geschichte der
17 Koppe war Mitglied und Meister vom Stuhl der Loge ,Au- jiidischen und christlichen Religion for den ersten Unterricht,
gusta zu den drei Flammen" in Gottingen (vgl. Schiitder, Leipzig 1788.
Mitgliederdesllluminatenordens(cf. A 6/50), S. 88). Zu seinen 21 Johann Friedrich Pfaff.
maurerischen Aktivitaten und seiner Freundschaft mit Spitt- 22 In Kloster Berge bei Magdeburg entstand 1577 die Formula
ler vgl. Grolle, Spittler ( cf. C 1/16), S. 33-53. Concordiae (vgl. Die symbolischen Bucher (VI2), S. 935).
18 Vgl. frz.: pousser - vorwartsbringen, forthelfen, fordern. Seit 1565 beherbergte es zudem eine Klosterschule (vgl.
19 Paul Jacob Bruns (1743-1814), Professor ftir Literaturge- Hugo Holstein, ,Geschichte der ehemaligen Schule zu Klo-
schichte in Helmstedt, wurde dort 1787 auch Bibliothekar. ster Berge", in: Neue ]ahrbiicherfor Philologie und Paedagogik,
1796 erfolgte die Ernennung zum Ordinarius ftir morgen- Bd.132 1885, S. 508-518, 588-606, und Bd.134 1886,
landische Sprachen und zum Hofrat. (Vgl. Hans Haase S.153-168, 201-213, 249-264, 297-309, 345-357, 393-
(Hrsg.), Die Universitat Helmstedt. 1776-1810, Bilder aus 410, Bd. 132 S. 511), die sich anfangs des 18. Jahrhunderts
ihrer Geschichte ausgewiihlt und erlautert von Hans Haase, wahrend der Amtszeit des Abtes Joachim Justus Breithaupt
fotografiertvon Gunter Schone, Wolfenbiittel1976, S. 88-90.) (1658-1732) ,zur zweiten beriihmten erziehungsanstalt des
Schnurrer unterhielt mit Bruns, den er Niethammer ge- (halleschen] pietism us" ( ebd. Bd. 132 S. 591) entwickelte,
geniiber als ,Freund dem ich so viele Verbindlichkeiten in der neben anderen auch Christoph Martin Wieland einige
habe" bezeichnete ( vgl. den Brief Schnurrers an Niethammer seiner Studienjahre (1747-1749) zubrachte (vgl. Thomas
vom 23. Mai 1791 (S. 1; cf. A 6/36)), eine gelehrte Korre- C. Starnes, Christoph Martin Wieland. Leben und Werk. Aus
spondenz. Er hatte SiiEkind auch ein Empfehlungsschreiben zeitgeno'ssischen Quellen chronologisch dargestellt, 3 Bde. Sig-
an Bruns ausgefertigt (vgl. SiiEkind an seine Mutter, Berlin, maringen 1987, Bd. 1 S. 4 f.). DaE es sich urn eine pietistische
den 12. April 1792 (S. 1; in Privatbesitz)). Anstalt handelte, war SiiEkind, dessen Familie zu einem
20 Heinrich Philipp Konrad Henke (1752 -1809), 1777 auBer- Stuttgarter Zentrum des Pietismus gehorte (vgl. Gad! XII. 1),
ordentlicher Professor ftir Philosophie, 1778 ftir Theologie sicher AnlaE genug ftir einen Besuch, zu dem es dann
und seit 1780 ordentlicher Professor ftir Theologie (Kir- allerdings doch nicht kam. Doch besuchte SiiEkind von
chengeschichte, Exegese) und Direktor des theologischen Dresden aus die Herrnhuter Gemeinde in Barby. (Vgl. die
Seminars in Helmstedt, einer Stipendieneinrichtung fur un- Briefe SiiEkinds an seine Mutter vom 12. Februar (S. 2),
bemittelte einheimische Stu den ten (Lehramt bzw. Pfarramt) vom 2. April (S. 1), vom 12. April (S. 1) und 30. April 1791
des Herzogtums von Braunschweig und Liineburg. Seit (S. 1-3; in Privatbesitz).)
1786 war Henke auch Abt des zum evangelischen Seminar 23 Wilhelm Abraham Teller (1734 -1804 ), Theologe, der seinen
eingerichteten Kloster Michaelstein. (Vgl. E. H. Paltz, Art. Ruf als Neologe mit dem 1764 in Helmstedt und Halle
,Henke", in: RGG Bd. 3 Sp. 221; Art. ,Henke", in: Realen- erschienenen Lehrbuch des christlichen Glaubens begriindete.
zyklopadie for Theologie und Kirche, Bd. 7 3 1899, S. 680- Er war seit 1767 Oberkonsistorialrat und Probst in Colin
682; zu Helmstedt vgl. Die Statuten der Universitiit Helms ted~ an der Spree, seit 1786 auch Mitglied der Berliner Akademie
bearb. von Peter Baumgart und Ernst Pitz, Gottingen 1963, der Wissenschaften. Zu Teller und den anderen im Brieftext
(= Veroffentlichungen der Niedersachsischen Archivverwal- in der Folge genannten Berliner Aufklarern vgl. Ludwig

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Kommentar zu den Briefen C 9 Von Sugk.ind, 26. Februar 1791

Geiger, Berlin 1688-1840. Geschichte des geistigen Lebens der 28 Johann August Nosselt (1734-1807), seit 1760 zunachst
preu.flischenHauptstadt, 2 Bde. Berlin 1892-1895, undMoller, auEerordentlicher, ab 1764 ordentlicher Professor der Theo-
Aujkliirung in Preu.flen (cf. A 10/ 11). logie in Halle, ging alliDiihlich voiD PietisiDus zur Neologie
24 Johann Joachim Spalding (1714-1804), Vertreter rationa- tiber. Unter Wollner war er von der Amtsenthebung bedroht.
listischer Positionen in der Theologie und Verfasser der Sein apologetisches Werk Vertheidigung der Wahrheit und
weit verbreiteten Schrift Die Bestimmung des Menschen, Gottlichkeit der christlichen Religion, Halle 1766, war in meh-
Greifswald, Stralsund 1748 (weitere Auflagen), war Ober- reren Au flag en verbreitet. , Verehrungswiirdig" konnte Nos-
konsistorialrat und Propst in Berlin. 1788 legte er sein Amt selt fur SiiEkind sein, weil seine Apologie Scharfsinn, Ge-
als Propst aus Anla£ des Wollnerschen Religionsediktes lehrsaiDkeit und eine bescheidene FromiDigkeit IDiteinander
nieder. verbindet (vgl. den SchluE zur Vorrede zur ersten Auflage
25 Johann Erich Biester (1749-1816, Doktor der Rechtswis- und den SchluE des gesamten Werkes).
senschaften und seit 1784 zweiter koniglicher Bibliothekar 29 Johann SaloiDo Semler (1725-1791) lehrte von 1753 his
in Berlin), war zusammen mit Friedrich Gedike, ab 1791 zu seinem Tod als ordentlicher Professor in Halle. Mit seiner
alleine, Redakteur der Berlinischen Monatsschrijt. Unterscheidung zwischen deiD geschichtlich bedingten Bi-
26 Friedrich Gedike (1754 - 1803), war von 1784 an Ober- beltext und dem Wort Gottes zahlt er zu den Begriindern
konsistorialrat und seit 1787 Mitglied des neu eingerichteten der historisch-kritischen Bibelforschung, die sich gegen die
Oberschulkollegiums in Berlin. Zeitweise war er Redakteur an der Inspirationslehre festhaltende Orthodoxie wandte,
der Berlinischen Monatsschrift (vgl. C 9/ 25). ohne aber die Offenbarung als solche in Frage zu stellen,
27 Carl Friedrich Bahrdt (1741-1792) hatte nach Professuren und wurde so einer der herausragenden protestantischen
in Leipzig, Erfurt und GieEen eine Privatdozentur in Halle. Theologen des 18. Jahrhunderts. (Vgl. Moglichkeit einer
Nach einem Jahr Festungshaft, das er wegen seiner Satire Offenbarung (VI3), S. 996ff.)
zum Wollnerschen Religionsedikt Das Religionsedict. Ein 30 Aus eineiD Brief seiner Mutter voiD 27. Januar 1791 hatte
Lustspiel Eine Slcizze (Thenakel [= Wien] 1789) zu verbuEen SiiEkind davon erfahren, da£ seine Kandidatur fur die Sub-
hatte, lebte er his zu seinem Tode als Gastwirt in Halle. hibliothekariatsstelle im Stift von seiten des KonsistoriuiDs
Als Theologe vertrat er, nachdem er zunachst orthodoxe nicht akzeptiert worden war (vgl. A 6/ 35), da er , bereits
und darauf pietistische Positionen eingenommen hatte, ZUID Repetenten bestimiDt sei" (vgl. LKA Stuttgart, A 3,
schlieElich naturalistische Standpunkte und lehnte jeden Konsistorialprotokolle, Nr. 60 1791, fol. 41 (Sitzung vom
Offenbarungsglauben und den Wunderbeweis ab, weswe- 19. Januar 1791); ebenso den GegenbriefSiiEkinds an seine
gen er der Ketzerei bezichtigt wurde. (Vgl. Gert Rowen- Mutter voiD 12. Februar 1791 (in Privatbesitz); vgl. auch
strunk - Art. ,Bahrdt, Carl Friedrich", in: TRE 5 1980, C5/ 32, C 10 S.248 Z.l5f. und C 11/2).
S. 132 f. Zu ihm und den folgenden Professoren in Halle 31 GeiDeint ist Klett, wie auch aus dem Kontext (Prangins)
vgl. auch Wilhelm Schrader, Geschichte der Friedric!u-Uni- klar hervorgeht (vgl. C 7 S. 222 Z. 9 und C 8/ 11).
versitiit zu Halle, 2 Bde. Berlin 1894, und Aujkliirung und 32 SuEkinds Bruder Johann Gottlob war ebenfalls im Stift
Erneuerung Beitriige zur Geschichte der Universitiit Halle im (vgl. C 5/ 41). SiiEkind IDeint also mit ,schicken" die Uber-
ersten ]ahrhundert ihres Bestehens (1694-1806). Zur Drei- stellung der beiliegenden Briefe durch einen der FaiDuli
hundertjahrfeier im Auftrag des Rektors hrsg. von Gunter (vgl. C 8 S. 229 Z. 2lf.)
Jarouschek und Arno Sames, Hanau, Halle 1994.) 33 Bier beginnt die zu Anfang des Briefes (vgl. S. 230 Z. 29f.)

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Ko=entar zu den Briefen C 9 Von Sii!Skind, 26. Februar 1791

erwahnte)3eilage mit den Anmerkungen Sii~kinds zu Diez' diese Erklarung von der Untersuchung der Kriterien der
Aufsatz ,Uber die Moglichkeit einer Offenbarung" (friihere Erkennbarkeit einer Offenbarung. Crusius' Abhandlung
Fassung) (B 2). Sii~kinds Seitenangaben beziehen sich auf zum selben Thema findet sich aber innerhalb des Werkteils
die Originalpaginierung der Abschrift des Textes, die er unter dem Titel ,Kosmologie", § 376.
von Diez erhalten hatte (vgl. B 2 S. 128 Z. 21 - S. 133 Z. 26). 38 Vgl. A 7/ 47.
34 Sii~kind nimmt hier die Sprache auf, die Diez in seinem
Aufsatz (B 2 S. 119 Z. 15-17: er habe ,noch nicht die Grade
durchloffen [... ], nach welchen man in den Orden [der in
die Kantische Philo sophie Eingeweihten] aufgenornmen
wird") in bezug auf sich selbst ftihrte, unterstellt aher zu-
gleich, da~ Diez, im Unterschied zu ihm selbst, in Wahrheit
,initiiert" ist.
35 Lat.: Das Definitum (entschuldige denAusdruck!) gehenicht
in die Definition ein. - Schellenbauers Logiklehrhuch Com-
pendium Logices ( cf. B 2/ 32) enthalt im Abschnitt ,De syl-
logismo demonstrativo seu apodictico" die Maxirne, daE
eine Definition ,perspicua" zu sein habe., ,uncle necesse
est [... ] ut Definitum, scil. tatum, non ingrediatur Defmi-
tionem, alias ignotum per aeque ignotum explicatur"
(S. 24 5 f.). In den Elementa philosophiae rationalis ( cf. B 2/ 34)
findet sich kein vergleichbarer Lehrsatz. - Sii~kinds Bitte
urn Nachsicht wird sich kaum auf das Wort ,Definitum"
oder auf die allgemein iibliche Formel insgesamt heziehen.
Er scheint also urn Nachsicht daftir zu ersuchen, da~ er
einen Zirkelverdacht gegen Diez' Erklarung vorhringt.
36 Lat.: Wortchen.
37 Die Moglichkeit einer Offenbarung zu erortern gehorte nicht
nur zu den Aufgaben der theologischen Dogmatiker, son-
dern auch zu denen der Philosophen innerhalb der Meta-
physik und der natiirlichen Theologie. Die wichtigsten Texte
aus der ersten Halfte des 18. Jahrhunderts, in denen dies
geschieht, sind Christian Wolffs Theologia natura/is, Bd. 1
Frankfurt a.M., Leipzig 1736 (zitiert nach 2 1739, in: Christian
Wolff, Gesammelte Werke, Bd. 7, I 1978), und Crusius, Noth-
wendige Vernunjt-Wahrheiten (cf. B2/ ll). Wolff erkliirt d~e
absolute Moglichkeit einer Offenbarung in § 449 zum Teil,
so wie SiiEkind, aus Gottes Allmacht und unterscheidet
6.23
622
Kommentar zu den Briefen C lO Von SiiJSkind, 29.-31. Miirz 1791

Konsistorium anstogigen Inhalts, deren Verfasser Griesinger


c 10 gewesen sein soli (S. 269 f.). Als Griesinger 1802 vom Wi.irt-
Friedrich Gottlieb SiiBkind, Gottingen tembergischen Konsistorium zur Ubernahme einer Pfarrei
Dienstag, den 29., und Donnerstag, den 31. Marz 1791 aufgefordert wurde, hielten ihn, wie es hier heigt, , die
An Immanuel Carl Diez, Tiihingen Reize Wiens wie die Schrecken der Orthodoxie in Wurt-
temberg" von einer Ri.ickkehr in die sichere Laufbahn zuri.ick
(Ernst Rheinwald, , Die Bri.ider Ludwig Friedrich Griesinger,
Manuskriptbeschreibung Jurist und Politiker 1767-1845, und August von Griesinger,
Sachsischer Legationsrat in Wien, Musikfreund 1769 -1845",
Standort: UBT, Mb 633.
in: SchwabischeLebensbilder,Bd. 5 1950 S.ll5-138, S.128).
Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblatt; Format in em (Hohe x Breite):
2~,4 -23,5 X 19,5; Riinder b eschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Pa-
-Die Tatsache, dag Si.igkind von dem Ji.ingeren ( vgl. A 6/ 49)
plerfarb e: chamois. als ,Herr Griesinger" spricht, ist wohl als pejorative Di-
Tinte: braun;. Anzahl der b eschrieb enen Seiten: 2 von 2; Faltung: quer von stanzierung zu verstehen.
vorne nach hinten, dann liings. 6 Lat.: Tragheit oder [heschranktes] Fassungsvermogen des
Besondere Bemerkungen: 8. 1 oben Rote! tift-Numerierung "14".
Geistes.
7 Zu Plancks Korrespondenz mit Diez vgl. C 6/ 20 und zu
deren Auswirkungen in Plancks Werk vgl. Cadi VIII. 3.
Kommentar 8 Vgl. C 1 S. 170 Z. 23 - S. 171 Z. 8.
9 Vgl. A 7 S. 57 Z. 29-33 und A 7/ 50.
1 Der Aufsatz ,;Ober die Moglichkeit einer Offenbarung" (spii- 10 In einem Brief an die Mutter vom 2. April 1791 (S. 1; in
tere Fassung) (B 3). Privatbesitz) teilt Si.iEkind mit, dag er die Reise bis Berlin
2 B3S.148Z.5-S.150Z.24. i.iber Helmstedt, Magdeburg, Kloster Berge, Barby und von
3 Die , beiliegenden Blatter" sind nicht erhalten. Zu der Be- Dresden aus nach Herrnhut gemeinsam mit Herrn von Stett-
deutung, welche fur Diez die Diskussion solcher exegetischer ler machen werde, der einen eigenen Wagen habe. Albert
Fragen mit Si.igkind harte, vgl. Diez' .Augerungen gegen Friedrich von Stettler (1770-1847) aus Bern harte sich am
Niethammer A 8 S. 62 Z. 17-21 mit A 8/ 13 und B 4/ 1. 12. Oktober 1789 in Gottingen als Jurist immatrikuliert.
4 Zerstreut; vgl.lat.: distrahere- auseinanderziehen, zerstreu- Spater wurde er Professor fur vaterlandische Geschichte
en. in Bern, 1803 Kantonsrat und Appellationsrichter, 1821-
5 Es handelt sich hier wohl urn den Magister Georg August 1831 Oberamtmann in Thachelswald. (Vgl. MGo Nr. 15337
Griesinger, den Diez in A 6 S. 48 z. 16 f. erwahnt, und nicht S. 317; Historisch-biographisches Lexi!wn der Schweiz, Bd. 6
urn denim folgenden Brief (C 11) genannten Konsistorialrat 1924, S. 547.)
Georg Friedrich Griesinger. Jenem Griesinger wird nach- 11 Vgl. C 9/ 22.
gesagt, d~ er sich im Stift mit Magenau und Neuffer an- 12 Diez hatte Si.iEkind offenbar dazu ermuntert, bei dem von
freundete und schon im Stift mehr fi.ir die schonen Ki.inste ihm hochgeschatzten ( vgl. A 4 S. 34 Z. 22-30, A 6 S. 46
als fUr die Theologie interessierte. Karl Kli.ipfel berichtet Z.10-13, A 7 S. 57 Z. 36- S. 58 Z. 5) Carl Christian Erhard
in seiner Geschichte undBeschreibung der Universitiit Tiibingen, Schmid Privatunterricht zu nehmen. Von der Moglichkeit
Ti.ibingen 1849, von einer Komodie irreligiosen, fur das und der Praxis solchen Privatunterrichts, die Diez voraus-

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Komrnentar zu den Briefen C lO Von Sii~kind, 29.-31. Miirz 1791

setzt, ist weder in Beziehung auf Schmid noch auf andere Weber ft.ir seinen Sohn im Jahr 1814 verf~ten ,Tagebuches~ (UAT,
Jenaer Dozenten etwas bekannt. Davon zu unterscheiden sind 183/ 72) festgehalten. Darin berichtet er dem Sohn, der als Soldat im
privatissime gehaltene Vorlesungen, wie sie Schiller (vgl. D 5/ 28) und Kriege war, von Ereignissen in der Heimat, streut aber auch viele
Fichte nachweislich gehalten haben (vgl. Fichtes Briefe an seine Frau Erinnerungen an seine Jugend und an jene Reise ein. Dem anekdotischen
vom 26. Mai 1794 (AA IIL2 S.114-121, S.116), vom 14.-17. Juni 1794 Kolorit seiner Erinnerungen haben offenbar Webers Berichte nach
(ebd. 8.133-137, S.135) und seine Erkliirung im IB Nr.50 derPJ.,Z seiner Riickkehr entsprochen. Zu Webers Tagebuch vgl. Volker Schafer,
vom 16. April 1796, Sp.409-413, Sp.411). Som ,Fakelnschimmer ... auf des Theuren Sarg' bis zu ,Seiner Heiligkeit
13 Paulus, der ftir viele wiirttembergische Landsleute, die nach Herrn Teuffel'. Uberlieferungssplitter zu Friedrich Holderlin", in: Hol-
Jena kamen, seine Adresse zur Verftigung stellte (vgl. derlin-]ahrbuch 261989, S. 401-432, S. 428-430.
A 3/72), wohnte in dem nicht mehr erhaltenen Salzmann- 17 Im Vorbriefvom 26. Februar 1791 (vgl. C9 S.234 Z.17f.).
scheu Haus, nach heutiger Adresse Unterm Markt 2 (vgl. 18 Zu Pfaffs Krankheit vgl. C 10/19.
Kurze Beschreibung von lena .fiir Reisende und Studirende, zu 19 Im 20. St. der Gothaischen gelehrten Zeitungen vom 12. Marz
angenehmer und niitzlicher Unterhaltung, wahrend ihres Auf 1791 findet sich unter der Rubrik ,Kurze Nachrichten',
enthaltes daselbst, Eisenach 1793, S. 36; Barbara Oehme, S. 208, folgende Mitteilung: ,Helmstadt. Hr. Pfaff, ordent-
Jlliersicht i.iber die Wohn- und Lektionsgebaude der Pro- licher Professor der Mathematik auf der hiesigen Julius-
fessoren und Dozenten der philosophischen Fakultat 1789- Carlsuniversitat, hat seine Geisteskrafte durch unaufhi:irli-
1799", in: Von Schillers Berujung bis Fichtes Entlassung Vor- ches Studieren und Forschen in seinem Fache dermassen
lesungen an der philosophischen Fakultat der Universitat ]ena geschwacht, dag er in eine heftige Krankheit verfallen, und
1789-1799, hrsg. von Hans Herz, Jena 1989 (= Jenaer diese nun in Wahnsinn ausgeartet ist, so dag er bestandig
Reden und Schriften. Friedrich-Schiller-Universi6it Jena von einigen Wachtern umgeben seyn muK Man zweifelt an
1989), S. 89-95, S. 92). seiner Wiederherstellung; eine traurige Warnung fur diejeni-
14 Der Ostersonntag des Jahres 1791 fiel auf den 24. April. gen Gelehrten, die ihrem Studieren keine Schranken setzen."
15 Vgl. A 6/36. 20 Aus dem folgenden Brieftext geht verlaglich hervor, dag
16 Im Vorausblick auf sein eigenes Reisevorhaben scheint SuE- Diez gemeint sein muK Die Anftihrungszeichen legen nahe,
kind auf eine gelehrte Reise anzuspielen, die Christian Fried- dag Si.igkind aus einem vorausgehenden Brief von Diez
rich Weber von Herbst 1787 bis Dezember 1788 durch zitiert. Dag Diez fri.iher schon eine Reise nach Stragburg
verschiedene Stadte Deutschlands unternommen hatte. unternommen hatte, ergibt sich aus einer Bemerkung in
Wichtigste und langste Station dieser Reise war ein Auf- einem Brief an Niethammer vom 19. - 22. Juni 1790 (A 3
enthalt in J ena, wo Weber zunachst Hauslehrer in der Familie S. 29 Z. 17). - Reinhold hatte in seinen Briefen iiber die
des Orientalisten Johann Gottfried Eichhorn war. Auf die Kantische Philosophie ( cf. A 9/8) die Erhebung von Kants
Nachricht vom Tode seines Vaters im August 1788 hin Philosophie zum ,Evangelium der reinen Vernunft" (H~r­
begab sich Weber auf die Ri.ickreise nach Schwaben. Diese vorhebung d. Hrsg.) popular gemacht. Im sechsten Bnef
ftihrte ihn zunachst noch ftir etwa drei Wochen nach Got- konstatiert er: ,Gegenwiirtig haben wir ein Evangelium der
tingen, wo er mit Carl Friedrich Kielmeyer zusammentraf reinen Vernunft erhalten, welches die Religion durch Ver-
und von wo aus er auch Kassel besuchte. Uber zahlreiche einigung mit der Moral rettet, indem es den Einzigen Er-
weitere Stadte kehrte Weber in seine Heimatstadt Cannstatt kenntniggrund fest setzt, der von Moral zur Religion ftihrt"
zuri.ick. Einzelheiten dieser gelehrten Reise sind im Rahmen eines von (Bd. 1 S. 183).

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Kommentar zu den Briefen C 11 Von Si.igkind, 2. Juli 1791

21 Sii~kind wird Repetent; vgl. die Bemerkungen in der ersten


Nachschrift und C 11/ 2. Cll
22 Vgl. A 6/ 52. Friedrich Gottlieb SiiBkind, Stuttgart
23 Vgl. C 6 S. 214 Z. 18 und C 13 S. 255 Z. 9. Samstag, den 2. Juli 1791
An Immanuel Carl Diez, Ttihingen

Manuskriptheschreihung

Standort: UBT, Mh 633.


Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in ern (Hohe x Breite):
19,8-20,2 X 16,3; Riinder beschnitten; Bogenfaltunp: 4°; Papierfarbe: chamois.
Tmte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 I 4 von 4 ( und Adregfeld
S. 4);Adresse: S. 4 ,Herro Repetent Diez, I zu I Tzibingen."; Siegel: S. 4 Siegelreste;
Faltung: Brieffaltung mit zusatzlicher Liingsfalte.
Besondere Bemerkungen: S. 1 oben Rotelstift-Numerierung "15"; Papierqualitat
entspricht der von C 12 und C 13.

Kommentar

1 Zwischen dem vorausliegenden und diesem Brief liegt eine


Zeitspanne von einem Vierteljahr. Es ist sehr unwahrschein-
lich, da~ Diez wahrend dieser Zeit von Sii~kind keine Nach-
richt erhielt. Wahrscheinlich ist iiherdies, da~ sie sich nach
Sii~kinds Riickkehr bereits getroffen hatten. Dieser Brief
enthalt jedenfalls nur einen Bericht iiber das Examen am
Tag zuvor.
2 Am 1. Juli 1791 legten in Stuttgart vor dem Konsistorium
fiinf Examinanden, von denen zwei Pfarreien, zwei Diako-
nate und nur Siigkind eine Repetentenstelle erhalten soil-
ten, ihre aus jedem dieser Anlasse jeweils erforderlichen
Konsistorialexamen ab. Sie hatten zunachst in Anwesenheit
von mindestens drei Konsistoriumsmitgliedern eine offent-
liche Probepredigt iiber einen vom Konsistorium vorge-
schriebenen Text zu halten (die wahl bei genii gender Lei-
stung, bei ,Aussprache und Aktion" auch abgebrochen wer-
den konnte). Daran schlog sich ,in der Versammlung des

628 629
Kommentar zu den Briefen C 11 Von Srigkind, 2. Juli 1791

Consistoriums" die miindliche Priifung iiber die "vornehm- endetem Studium der Theologie in Ttibingen ( er war Stadt-
sten Grundsatze der evangelisch-lutherischen Kirche" (Jo- student und nicht herzoglicher Stipendiat) Diakon in Mun-
hann Georg Hartmann, Kirchen-Geseze des Herzogthums Wir- singen wurde, und Gotthelf Konrad Friedrich Gmelin, der
temberg In einem vollstiindigen systematischen Auszuge aller nach seinem theologischen Studium (als Stipendiat) Diakon
dahin einschlagenden altern u. neuern Verordnungen, Rescripte, in Giiglingen wurde. (Vgl. LKA Stuttgart, A 3 Nr. 60 1791:
Resolutionen u. De/crete, 3 Bde. Stuttgart 1792-1798, Bd. 3 Konsistorialprotokolle, fol. 380; Wirtembergisches Adrefi-Buch
Kap. 3 Abschnitt 2 §§ 31 f., sowie LKA Stuttgart, A 3 Nr. 60 ( cf. A 3/ 92), S. 171 und 220; MTi.i Nr. 36286 S. 208,
1791: Konsistorialprotokolle, fol. 380, und Hasselhorn, Der Nr. 36511 S. 216, Nr. 36794 S. 228 und Nr. 37424 S. 267.)
altwiirttembergischelfarrstand(cf. A 13/ 7), S. 44).- Si.iEkind 8 Johann Jakob Flatt (1724-1802), Hofprediger in Stuttgart
wurde noch am selben Tag als Repetent ~onfirmiert" (Re- und Konsistorialrat. Er war der Vater von Johann Friedrich
petentenmemorabilien (cf. A 13/ 6), S. 204). Flatt.
3 Lat.: Gnadenwirkungen. Phil 2,12.13 enthalt die Auffor- 9 ~e gratia applicatrice" (vgl. Sartorius, Compendium ( cf.
derung, dahin zu wirken, selig zu werden - mit Furcht A 3/ 17), Locus XIV, §§ 302-312 S. 264-275, besonders
und Zittern, weil Gott es sei, der nach seinem Wohlmeinen § 306 S. 266-268). S. 266 wird Phil 2,13 als Belegstelle
das Wollen und Wirken ~ euch" bewirke. Vgl. C 11/ 9 und genannt.
/ 11. 10 Georg Friedrich Griesinger (1734 -1828), Mitglied des Kon-
4 Hier, beim Examen, konnte SiiEkind guten Gewissens auf sistoriums von 1786 his 1822, einziger bedeutender Ra-
fremde Interpretationen rekurrieren, d. h. nicht ,ex professo', tionalist in der damaligen wi.irttembergischen Kirchenlei-
sondern ,stilo relativo' (vgl. C 5 S. 206 Z. 17) vortragen. tung.
5 Vgl. Gottlob Christian Storr, Dissertatio exegetica in epistolam 11 Vgl. Sartorius, Compendium ( cf. A 3/ 17), Locus X ,De consilio
ad Philippenses, Thbingen 1783, S. 21 f.; ders., Doctrinae chri- gratiae, ubi de benevolentia tum universali: tum speciali,
stianae (cf. A3/ 14), § 115, S. 319 und Anm. c mit dem Ver- nempe praedestinatione sive electione", §§ 195-218 S. 185-
weis auf die Dissertationes duae de spiritus sancti in mentibus 201.
nostris efficientia, Thbingen (Jahresangabe fehlt auf dem 12 SuEkind verwendet diesen Terminus auch in seiner Argu-
Titelblatt des vorliegenden Exemplars, nach Storr, Sonn- mentation gegen Diez' Offenbarungskritik (vgl. C 9 S. 238
und Festtagspredigten ( cf. C 4/4), Bd. 2 S. 37, im Jahr 1777 Z.25).
erschienen). 13 Wohl wahrend der nach dem Examen ublichen Danksa-
6 SiiEkind gab dem Predigttext aus Phil 2,13 die Wendung gungsvisite (vgl. Repetentenmemorabilien ( cf. A 13/6),
auf das Thema der wechselseitigen Beforderung der Bes- S. 203).
serung in der Gemeinde, also von den Gnadenwirkungen 14 Griech.: Wiederherstellung von all em (in den vollkommenen
weg auf die Pflichtenlehre hin. Zustand), vgl. Apg 3,21. Seit Origenes bezeichnet der Aus-
7 Moglicherweise zog SiiEkind mit seinen Erklarungen den druck die Lehre von der Wiederbringung aller geschaffenen
Unmut einiger seiner Mitpriiflinge auf sich. Zu diesen ziihl- geistigen Wesen zur vollkommenen Gemeinschaft mit Gott.
ten Johann Christoph Eiben, bisher Diakon in Gi.iglingen, (Vgl. Gerhard May, Art. ~schatologie V" in: TRE 10 1982,
der Pfarrer von Allershausen wurde, Andreas Timotheus S. 299-305, S. 302.) Eine $etzerei" (vgl. den folgenden
Staengel, bisher Stadtpfarrer von Munsingen, der Pfarrer Brieftext) ist diese Hypothese deshalb, weil sie bestreitet,
von Werigheim wurde, Johann Georg Dahm, der nach voll· daE die urspriingliche Siindhaftigkeit der Menschen auch

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Kommentar zu den Briefen C 12 Von Si.iEk.ind, 5. Juli 1791

dann, wenn die Sunde durch Jesu Tod die Macht i.iber
die Menschen verloren hat, nur einen eingeschrankten Grad c 12
der Beseligung zuliillt, der sie von dem der reinen Geister Friedrich Gottlieb Siillk.ind, Stuttgart
unterscheidet, insbesondere aber deshalb, weil sie davon Dienstag, den 5. Juli 1791
absieht, daE die durch Untreue von der christlichen Wahrheit An Immanuel Carl Diez, Thhingen
abfallenden Menschen durch Schuld in ein Verderben kom-
men, das ewigist (vgl. Storr, Doctrinaechristianae(cf. A3/ 14),
§58 S.183f. Anm.3 sowie § 72 S.21lf. und § 74 S.217f.). Manuskriptheschreihung
15 Fur den verstorbenen (vgl. C 9 S. 230 Z. 4f.) Konsistorialrat
Karl Heinrich Rieger war Ernst Urban Keller (1730-1812) Standort: UBT, Mh 633.
Mitglied des Konsistoriums geworden (GMB). Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hohe X Breite):
16 Schwab.: ,Dodte oder Dote" - mannlicher Taufpate (SW 19,5 -20 x 16; Rander beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Papierfarbe: chamois.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 114 von 4 (und AdreEfeld S. 4);
IL Sp. 290). Gemeint ist also Adolf Karl Maximilian Ruoff. Adresse: ,Herrn Repetent Diez, I zu I Tiibingen. I frei"; Siegel: S. 4 Siegelreste,
17 Lat.: Wieman sich gewohnlich (d. h. in der Volkssprache) Siegelstelle ausgerissen; Faltung: Brieffaltung mit zusatzlicher Langsfalte.
ausdruckt Besondere Bemerkungen: S. 1 oben Rotelstift-Numerierung ,16"; Papierqualitat
18 Die Mompelgarder Stube lag im ersten Stock des Neuen entspricht der von C 11 und C 13.
Baus zum Neckar hin. Nach dem Grundrill des Stifts lag
neben der Stube ein Repetentenkabinett (vgl. A 6/ 52), das
aber offenbar schon anderweitig vergeben war. (Vgl. Fritz; Kommentar
Schneiderhan, Baugeschichte (cf. A 6/ 52), S. 88.)
19 Offenkundig hatte Diez SuEkind auf dessen Brief vom 29. 1 Vgl. C 11/ 20.
und 31. Marz (C 10) geantwortet und seinen Brief gemiill 2 Vermutlich handelt es sich urn den wahrend seiner Stiftszeit
SuEkinds Hinweis nach Jena an Paulus' Haus gerichtet angesammelten Besitz des Repetenten Friedrich Wilhelm
(vgl. C 10 S. 246 Z. 27-29 mit C 10/ 13). Der Brief muE Hanser (1760-1803, immatrikuliert am 27. Oktober 1778
jedoch erst nach SuEkinds Abreise dort eingetroffen sein, (MTh Nr. 37733 S. 287), Primus der Magisterpromotion von
weshalb SuEkind auf die Nachsendung wartet (vgl. C 13 1780, 1785 Repetent, 1793 Diakon in Herrenberg, 1796
S. 256 Z. 20-28). in Canstatt (Magisterprogramm Tiibingen ( cf. A 1/ 2) von
20 Das altwiirttembergische Unterland umfaEt die von Plo- 1780; GMB)). Thm war kurz zuvor eine literarische Reise
chingen abwarts, d. h. nordlich, gelegene Gegend (vgl. durch Deutschland genehmigt worden. Der Ephorus Schnor-
Schwabisches Handwi/rterbuch azif der Grundlage des ))Schwii- rer berichtet davon in einem Brief an Niethammer vom
bischen Wl/rterbuchs<< von Hermann Fischer und Wilhelm Pflei- 23. Mai 1791 (S . 3; in Privatbesitz), und zwar unmittelbar
derer, bearb. von Hermann Fischer und Hermann Taigel, im AnschluE an eine Bemerkung uber SuEkind. - In StA
Thbingen 2 1991, S. 416). Von Stuttgart aus gesehen wi.irde VILI S. 409 wird ein Repetent Hauser genannt, der dort jedoch nicht
SuEkind also neckarabwarts Richtung Heilbronn reisen. identifiziert ist. Da ein Hauser fur die fragliche Zeit auch in der Thbinger
21 Am 9. Juli 1791. Matrikel nicht nachzuweisen ist, handelt es sich dabei wahrscheinlich
urn den hier erwahnten Hanser.
3 Vgl. C10 8.248 Z.15-18 und A6/ 52.

632 633
Kommentar zu den Briefen C 12 Von Siigkind, 5. Juli 1791

4 Vgl. A 18/ 7. kind scheint hier auf eine Anfrage von Diez zu antworten,
5 Vgl. Gadl XII. 1. die auf ein nicht geringes Interesse von Diez schlielSen
6 Johann Gottlob SiilSkind. laEt.
7 Zum Locushalten vgl. A 5/ 10. Zu Heimgeben vgl. A 13/ 12.
8 Nach dem Text der Repetentenmemorabilien ( cf. A 13/ 6),
S. 203, wurde schon im vorausgehenden Jahr und wahrend
SiilSkinds Abwesenheit die Verabredung getroffen, ,da£ je-
der neue Kollege acht Tage lang vom Tage des Examinis
an gerechnet, von allen hiesigen Geschaften frei sein salle,
da er vorhin vom Tage des Examinis in die verschiedenen
Geschaftszirkel eintrat". Wie sich alsbald herausstellen sollte
(vgl. C 13 S. 255 Z. 11 ff.), waren die Repetenten nicht bereit,
iiber diese Verabredung hinauszugehen.
9 Am Montag, dem 4. Juli 1791, wurde der Locus ,De prae-
destinatione" (zur betreffenden Stelle in Sartorius, Com-
pendium ( cf. A 3/ 17) vgl. C 11/11 ), am darauffolgenden
Montag, dem 11. Juli, der Locus ,De persona Christi" (vgl.
A 11/13) gehalten. Am 11. hielt Weber fur SiilSkind den
Locus. (AEvSt, Amtsgrundbuch ( cf. A 2/ 3))
10 Christian Gotthilf Zahn (1756-1840), Versuch einer Rejor-
mations-Geschichte des Herzogthums Wiirtemberg, Ti.ibingen
1791. Zahn studierte in Tiibingen und wurde 1791 Pfarrer
in Haberschlacht, 1792 in Schafhausen bei Boblingen, 1807
in Oeschelbronn, 1808 in Frickenhausen (vgl. MTh
Nr. 37403 S. 265; Faber, III. Fikler'sche Stiftung, § 860, und
XXV. Bocer'sche Stiftung, § 599).
11 Vgl. C 2 S. 171 Z. 11 ff.
12 Zu Plancks Korrespondenz mit Diez vgl. C 6/ 20.
13 Karl Heinrich Gras war in Ludwigsburg am Hof des Prinzen
Friedrich Wilhelm Karl (des Alteren) (vgl. A 1/2).
14 Diese Bemerkung, in der einem ,Cceur" von Diez die Ankunft
des ,Pedanten" (wahl SiilSkinds) angezeigt werden soli,
war nicht aufzuklaren.
15 Benedikt Maria Werkmeister war Hofprediger bei Her-
zog Karl Eugen und hatte, nach der Meinung Bardilis, gro-
lSen EinflulS auf das MalS der Aufk.Iarung, das von der
Hohen Karlsschule in Stuttgart ausging (vgl. A 12/ 6). SuE-

634 635
Kornmentar zu den Briefen C 13 Von Si.iEkind, 9. Juli 1791

3 Vgl. hierzu und zum folgenden C 12 S. 253 Z. 14-25 sowie


c 13 C 12/ 7, / 8 und / 9.
Friedrich Gottlieb SiiBkind, Stuttgart 4 Johann Gottlob SiiEkind.
Samstag, den 9. juli 1791 5 Zu SiiEkinds DuElinger Vikariat vgl. C 2/ 31.
An Immanuel Carl Diez, Tlihingen 6 Vgl. C 5/ 24.
7 Eberhard Friedrich Georgii (1757-1830), seit 1786 Regie-
rungs- und (wie Adolf Karl Maximilian Ruoff) weltlicher
Manuskriptbeschreibung Konsistorialrat.
8 Vgl. Leube III, S. 64 f.
Standort: UBT, Mh 633. 9 Zum ,Bauwesen" vgl. A 16/ 9.
Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelhlatt; Format in em (Hohe x Breite): 10 Lat.: Es kreillen die Berge (vgl. Horaz, Ars poetica, V. 139).
19,8-20 X 15,5; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Papierfarbe: chamois. ll Vgl. C 10 S. 246 Z. 27-31.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 von 4 ( und AdreEfeld S. 4);
Adresse: ,Herrn Repetent Diez, I zu I Tzibingen. "; Siegel: S. 4 Siegelreste; 12 Vgl. C 11 S. 251 Z. 1 und C 11/ 19.
Faltung: Brieffaltung mit zusatzlicher Liingsfalte.
Besondere Bemerkungen: S. 1 oben Rotelstift-Numerierung ,17"; Papierqualitiit
entspricht der von C 11 und C12.

Kommentar

1 Dem Kontext zufolge ist Schnorrer gemeint. Der Ephorus


des Ti.ibinger Stifts wird auch in Briefen anderer mit diesem
offenkundig hebraischen Kiirzel bezeichnet (vgl. Johann
Friedrich Flatt an SiiEkind noch sieben Jahre spater, am
16. September 1798: ,Einen gliiklichen Erfolg meiner Amts-
fiihrung in Hinsicht auf das Stipendium darf ich wohl -
wenigstens so lange als .n, noch da ist - nicht hoffen."
Und am 3. Oktober 1798: ,Unser gemeinschaftlicher Collega
ist Hr. Gaab. [... ] Eine Hauptabsicht bey Ihrer und H[errn]
G[ aabs] Anstellung ist, dem.M, ein hinliingliches Gegengewicht
entgegenzustellen. Wie sich dieser wohl benehmen wird!
In einiger Zeit wird er nun doch das Ephorat aufgebe~,
wenn wir ihm beharrlich genug entgegenwiirken." (In Pn-
vatbesitz.)) Die in Frage kommenden hebraischen Bu~h­
stabenfolgen .n, und .n "~ lassen im vorliegenden Kontext keme
aufschluEreiche Deutung zu.
2 Vgl. C 6 S. 214 Z. 18 mit C 6/ 11 und C 10 S. 248 Z.18.

636 637
4.
Kommentargruppe D:
Diez an die Eltern
D 1 An die Eltern, 20. April 1792

DI
Immanuel Carl Diez, Jena
Freitag, den 20. April 1792
An die Eltern, 'llibingen

Manuskriptheschreihung

Standort: UBT, Md 755 a,4.


Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hi:ihe x Breite):
19,3-19,5 x 17,4; Rander beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Pa-
pierfarbe: chamois.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 3 von 4 (und AdreEfeld S. 4);
Adresse: ,An I den Herrn D. u. Prof. Diez. I in I (Tt.ibingen I (im Wirtem-
bergischen))", Poststempel ,DEIENA"; Siegel: S. 4 Siegelreste, Siegelstelle aus-
gerissen; Faltung: quer von hinten nach vorne, dann liings.
Besondere Bemerkungen: S. I unterhalh der Datumsangabe von fremder Hand
.pr. d 30sten I resp. d 1. May"; S. 1 unten Stempel der UBT; S. 4 rechts oben
von fremder Hand ,M. Diez, Med. Stud. I Jena d 20 Apr. 1792. I pr. d 30sten
/ resp. d l. May"; S. 4 unterhalh der Adresse mit Ri:itelstift ,12".

Kommentar

Dieser Brief ist der einzige der Briefgruppe D, der mit


einer Anrede, und zwar an die Eltern, beginnt. Man kann
aber davon ausgehen, daft auch die folgenden Briefe an
die Eltern adressiert wurden, die sie dann unter Verwandten
und Freunden von Diez weiterreichen sollten (vgl. D 2/ 1).
Diese Vermutung wird durch mehrere Bemerkungen und
direkte Anreden, die Diez an die Eltern und an andere
Einzelpersonen oder Personengruppen richtet, und auch
durch Diez' eigene Zahlung der Briefe (vgl. D 5 S. 309
Z. 24 f. mit D 5/3) bestatigt.
2 Vgl. die Mitteilung der Posttage, die Diez im Brief vom
29. Mai - 1. Juni 1792 gibt (vgl. D 3 S. 293 Z. 36 - S. 294 Z. 8).
3 Zur Tischgesellschaft in Schillers Haus vgl. die Briefe vom
21.-30. April 1792 (D 2) und vom 29. Mai - 1. Juni 1792

641
Kommentar zu den Briefen D 1 An die Eltern, 20. April 1792

(D 3) sowie D 3/ 7. Schiller war Anfang der zweiten April- pp." (vgl. den folgenden Brieftext), die voraussetzen, der
woche nach Leipzig zu Goschen und von dort nach Dresden so Angesprochene konne die Erfahrung, diese Manner nun
zu Korner gereist. Am 14. Mai traf er wieder in Jena ein. personlich kennenzulernen, mitempfinden, stiitzen weiter
(Vgl. Gero von Wilpert, Schiller-Chroni!c. Sein Leben und die Vermutung, daE Kliipfel hier angesprochen ist. Im Ab-
Schciffen, Stuttgart 1958, S. 153 f.; vgl. auch D 2 S. 273 Z. 28 schluEexamenszeugnis von 1793 im Tiibinger Stift erhielt
und D 3 S. 283 Z. 17-19.) -Die Selbstverstiindlichkeit, mit Kli.ipfel- an siebter Stelle loziert- das Priidikat ,Philologiam,
der Diez iiber die Aufnahme in Schillers Tischgesellschaft magis etiam Philosophiam, inprimis Criticam cum successu
spricht:, ist ein Indiz daftir, daE die Eltern bereits vor seiner tractavit" (AEvSt:, K. I F. 10,4 (20), Testimonia Examinan-
Abreise nach Jena von einem solchen Arrangement wuE- dorum 1754 -1793). - Zu Schmids Moralphilosophie vgl.
ten. Vermutlich wurde es durch Niethammer vermittelt, wie auch D 1/7. Von Kli.ipfels Hand sind auch Nachschriften von Vorlesungen
auch eine Bemerkung aus Diez' Brief an Niethammer vom Johann Friedrich Flatts i.iber Logik und Metapbysik vom Sommersemester
20. Februar 1792 nahelegt (A 17 S. 96 Z. 29f.): ,Die Per- 1790 und i.iber empirische Psychologie vom Wintersemester 1790/ 91
spektive, die Sie mir auf Kost und Logis eroffnen, ist mir erhalten (UBT, Mb II235/ 236; zur Psychologievorlesung vgl. auch Georg
sehr angenehm." Wilhelm Friedrich Hegel, Gesamme/te Werlce, Bd. 1 hrsg. von Friedheim
4 Louise Antoinette Charlotte von Lengefeld (1766-1826) Nicolin und Gisela Schluter, Hamburg 1989, S. 484 f. und insbesondere
heiratete Schiller am 22. Februar 1790. Die Trauung vollzog die Auszi.ige von Kli.ipfels Nachscbrift S. 576-616). - Nach den Seme-
Carl Christian Erhard Schmid. sterberichten des evangelischen Stifts erhielt Friedrich August Kli.ipfel
5 Johann Carl von Fichard (1773 -1829) aus Frankfurt wurde am 6. Dezember 1793 die Erlaubnis, Vikar bei seinem Onkel Johann
am 11. Mai 1791 in Jena immatrikuliert (MJ). Zu Goritz Albrecht Kli.ipfel, dem Dekan von Weinsberg (vgl. D 3/ 69), zu werden.
und Fichard vgl. auch C 1/4. Am 23. Dezember 1794 bekam er die Erlaubnis, eine Hofmeisterstelle
6 An wen sich Diez hier wendet:, war nicht ganz zweifelsfrei in Lausanne anzutreten, und nach dem Eintrag vom 19. Mai 1797 hielt
festzustellen. Aufgrund des Kontextes, der auf ein philo- er sich im Sommer des Jahres 1797 zu Hause in Stuttgart auf. Am
sophisches Interesse des Angeredeten schlieEen liillt, rouE 22. September 1797 wurde ihm genehmigt, ein Vikariat in Musberg, und
man vor allem an seinen Vetter Friedrich August Kli.ipfel am 20. Oktober 1799, ein solches in Feuerbach anzutreten. (Vgl. AEvSt,
(1769 -1841) denken, der von 1788 his 1793 im Stift lebte K. I F. 8,3 und 8,4 (16), Martini 1793, S. 71; Martini 1794, S. 64; 1797,
und studierte. An der Universitiit immatrikulierte er sich S. 52; nach 1797, S. 46.) Kli.ipfel wurde 1802 Pfarrer in Darmsheim (bei
am 27. Oktober 1788 (MTii Nr. 38626 S. 341). Fi.ir das Bi.iblingen) und 1814 in GroEheppach. - Die Mutter Friedrich August
Magisterexamen 1790 hat Kliipfel zwei philosophische Spe- Kli.ipfels, Marie Christiane, war eine Schwester von Diez' Vater und
cimina mit dem Titel , Von der Unzuliissigkeit des Princips heiratete Jacob Friedrich Kli.ipfel (1718 -1785), Stadtschreiber in Stuttgart
der Gliikseligkeit als erstes Sittengesez betrachtet:, und den (vgl. Faber, XXVI. Weinmann'sche Stiftung Instituierte B, §§59, 60, 28).
Vorziigen des Kantischen Moral-Princips" und ,Ueber die Vgl. auch den Entwurf zu einer genaueren Verwandtschaftsi.ibersicht (Ms.,
Lehre von der Unsterblichkeit der Seele unter den grie- Archiv desJena-Projekts). Am 13. Januar 1803 heir atete Kliip-
chischen Philosophen" verfaEt (vgl. Magisterprogramm 'IU- fel Diez' Schwester Friederika Louisa Carolina (1776-1859)
bingen ( cf. A 1/2) von 1790). Das in den Themen der Spe- (LKA Stuttgart, Vorarbeiten zum ~-farrerbuch). Aufgrund
cimina zum Ausdruck kommende philosophische Interesse dieser Verbindung kam ihm fur die Uberlieferung von Diez'
auch an der Kantischen Ethik und Diez' Klammerbemer- NachlaE wahrscheinlich eine Schliisselstellung zu (vgl.
kungen ,Gustel! dem Moral-Schmid!" und ,Gustel! Reinhold Uberlieferung von Diez' Manuskripten (V 2), S. 863 ff.).

642 643
Ko=entar zu den Briefen D 1 An die Eltern, 20. April 1792

7 ,Moral-Schmid" wurde eigentlich der Theologe Johann Wil- 1792 wurde er ordendicher Professor supernumerarius fur
helm Schmid genannt, der Cousin und spatere Schwieger- Naturgeschichte in der philosophischen Fakultat ( ebd. Bd. 1
vater Carl Christian Erhard Schmids ( vgl. A 6/ 41 ), sowohl S. 151; Bd. 2 S. 224), 1793 ,Director" der Naturforschenden
wegen seiner hauptsachlichen Arbeitsgebiete, der christli- Gesellschaft in Jena. Batsch war ein wichtiger Gesprachs-
chen Morallehre und Moraltheologie (vgl. C 6/ 28), als auch partner Goethes bei dessen botanischen Studien (vgl. Jo-
wegen seines Verhaltens insbesondere Studenten gegenuber hann Wolfgang von Goethe, Geschichte meines botanischen
(vgl. Karl Heussi, Geschichte der theologischen Fakultat zu Studiums, abgedruckt in: ders., Die Schrijten zur Naturwis-
lena, Weimar 1954, S. 199 f. und Anm. 387). - Abweichend senschaft. Vollstandige mit Erlauterungen versehene Ausgabe
davon wurde der Spitzname jedoch durch Carl Ludwig herausgegeben im Auftrage der Deutschen Akademie der
Fernow in einem Brief vom 28. und 30. Januar 1794 ge- Naturforscher Leopoldina von K. Lothar Wolf u. a., Abt. I
braucht, den er aus Wien an den in Jena verbliebenen Bd. 9 Weimar 1954, 8.15-19, mit den Erlauterungen Abt. II
Wilhelm Joseph Kalmann schrieb. Offensichtlich hat er darin Bd. 9 ebd. 1977, S. 328 f.). Eine detaillierte und wegen ihrer Quel-
den Philosophen Carl Christian Erhard Schmid, nicht den Theologen lennahe verlaEliche Darstellung der akademischen Laufbahn Batschs und
Johann Wilhelm Schmid vor Augen, als er die Frage stellte: ,Hat der der Differenzen, die wegen Batsch an der medizinischen Fakultat aus-
Moral-Schmidt in diesem halben Jahre viele Zuhorer in seine Logik getragen wurden, findet sich bei Jahn, Bd. 1 S. 144-149 und Bd. 2 S. 211-
bekommen? und wie ist man mit ihr zufrieden?" (S. 9, Hervorhebungen 270. Teilweise anders dargestellt bei Jessen, in: ADB 2, S. 132 f. - DaE
d. Hrsg.; OSA Wien, NL Hugelmann, K. 25) Carl Christian Erhard Schmid Batsch als Professor zunachst der medizinischen, dann derphilosophischen
hatte im Wintersemester 1793/ 94 tatsachlich eine Logikvorlesung ange· Fakultat angehorte, erklart sich daraus, daE die Botanik erst am Ende
ki.indigt (vgl. Catalogus Praelectionum lenensi (cf. D 2/ 29), Wintersemester des 18. Jahrhunderts mit einer eigenen Professor innerhalb der philo-
1793/ 1794) und gehalten, wie aus einem Zeugnis hervorgeht, das er sophischen Fakultat ausgestattet wurde, wahrend sie zuvor wie die Chemie
dem Studenten Carl Ernst Schmid am 5. Juh 1797 ausstellte (vgl. UB von den Professoren der medizinischen Fakultat im Nebenfach gelehrt
Jena, NL Schmid-Burgk, Bi.indel 6 Nr. 5 a). Diez schatzte die Mo- wordenwar(vgl. Steinmetz, Universiti.it]ena(cf.A2 / 12), Bd. 1 S. 295-298).
ralphilosophie Carl Christian Erhard Schmids hoch (vgl. 9 Schwab.: trotzdem (SW VI,1, Sp. 535). - Ahnliche Beob-
A4 S. 34 Z. 22 - 30 und C 10/ 12). Offenbar hat er auch achtungen teilt Diez auch im folgenden Brief mit (vgl. D 2
mit seinem Vetter Kli.ipfel i.iber sie gesprochen. S. 275 Z. 31 - S. 276 Z. 6).
8 Diez harte bei August Johann Georg Karl Batsch (1761- 10 Friedrich Ernst Karl Mereau (1765 - 1825), aus Gotha, stu-
1802) Botanik (vgl. seinen Studienplan, D 2 S. 280 Z.ll und dierte in Jena und erhielt sein Doktordiplom am 6. Juni
Z. 29 f.) . Batsch hatte bereits 1782, ein Jahr nachdem er 178 9 ( vgl. UAJ, Dekanatsakten der Philosophischen Fakultat,
die philosophische Doktorwiirde in Jena erworben hatte, Bestand M 190, Bl. 39). Den Jenaer Vorlesungsverzeichnissen
in der philosophischen Fakultat botanische und zoologische zufolge hat er seit dem WS 1790/ 91 his zum WS 1798/ 99
Vorlesungen angeboten. Nach AbschluE seines Medizinstu- iiber Diplomatik und/ oder iiber Staatengeschichte gelesen
diums mit der Promotion 1786 hielt er Vorlesungen als (vgl. Catalogus Praelectz"onum lenensi ( cf. D 2/ 29), Winterse-
Privatdozent in der medizinischen Fakultat, in der er voro mester 1790/ 91 his 1798/ 99 mit Ausnahme des Winterse-
4. Oktober 1787 an auEerordendicher Professor war (vgl. mesters 1794/ 95, des Wintersemester 1797/ 98 und des Som-
llse Jahn, Geschichte der Botanik in lena von der Griindung mersemesters 1798). Zuvor hatte er bereits im Sommerse-
der Universitiit bis zur Beru.fong Pringsheims (1 558 -1864), mester 1790 und im Wintersemester 1790/ 91 eine Anleitung
Diss. 2 Bde. Jena 1963, Bd. 2 S. 2ll - 223). Am 3. August zur ,aussergerichtlichen Praxis" gegeben. 1793 wurde er iiber-

644 645
Kommentar zu den Briefen D 2 An die Eltern, 21.-30. April 1792

dies Universitatsbibliothekar (vgl. D 3 S. 287 Z. 10-12 sowie


D 3/ 22) und 1795 auEerordendicher Professor der Rechte. D2
Zu seinen Veroffentlichungen vgl. D 3/ 24. Immanuel Carl Diez, Jena
11 Zu den Schwaben in Jena vgl. A 18/ 8. Samstag, den 21., Mittwoch, den 25.,
12 Eine ausfuhrliche Beschreibung des Zimmers folgt D2 Donnerstag, den 26., und Montag, den 30. April 1792
S.273 Z.30- S.274 Z.28. An die Eltern, Tiibingen
13 Zum Kreis der Briefempfanger vgl. D 2/ 1.
14 Johann Christian Majer (1741-1821) aus Ludwigsburg, stu-
dierte Philosophie und Theologie in Ti.ibingen sowie Jura Manuskriptbeschreibung
in Jena. Nach seiner Promotion im Jahr 1771 aufgrund
einer Disputation De statuum imperii Romano-Germanici iure Standort: UBT, Mh 732.
Anzahl der Lagen und Blatter: Lage mit 2 Doppelbliittern; Format in em (Hi:ihe
refonnandi wurde er 1772 dort auEerordendicher Professor.
X Breite): 21-21,2 x 16,9; Riinder b eschnitten; Bogenfaltung: 4°; Papierfarbe:
Zusammen mit Christoph Martin Wieland kam er im selben chamois.
Jahr, von der Herzogin Anna Amalia gerufen, nach Weimar, Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 8 von 8; Faltung: quer von
urn dem Erbprinzen Carl August von Weimar und seinem hinten nach vorne, dann liings.
Besondere Bemerkungen: von fremder Hand paginiert S. 1- 8; S. 1 unten Stempel
Bruder Konstantin Vorlesungen tiber deutsches Staatsrecht, der UBT und Signaturvermerk ,Mh 732"; Papierqualitiit entspricht der von
Statistik sowie europaische und deutsche Geschichte zu D3.
halten. 1776 wurde er Professor der Rechte in Jena, dann
ordentlicher Professor in Kiel und 1778 in 'llibingen. (Vgl.
Steinmetz, Universitat lena ( cf. A 2/ 12), Bd. 1 S. 280 f. und
Kommentar
Bd. 2 S. 519 Anm. 448.) Seine zahlreichen Beziehungen nach
Weimar haben auch Diez aufgrund der hier erwiihnten Emp-
fehlungsbriefe die Weimarer Hauser geoffnet (vgl. D 2 S. 278 Dieser und die folgenden Briefe (D 3- 6) sind im Unter-
Z. 1 - S. 279 Z. 28 und D 2/ 87). Zur Biographie von Majer vgl. schied zum Brief vom 20. April (D 1) an einen weiteren
auch ,Briefe von Herzog Karl August und Herzogin Amalia von Sach·
Adressatenkreis von Verwandten und Freunden gerichtet
sen-Weimar und Herzog Karl von Wtirttemberg an Professor J C. Majer",
(vgl. dazu D1 S.262 Z.19-21 sowie Dl/1, D3/ 24, / 65
in: Wiirttembergische Vierteljahreshifte for Landesgeschichte Bd. 2 1879,
und / 69).
8.142-144, FuEnote S.142f.
2 Vgl. C 1/3.
3 Von 'llibingen bis Erlangen bzw. Nurnberg konnte Diez
sowohl mit dem Wagen der Reichspost als auch mit der
Landkutsche fahren (vgl. Post-Tabellen oder Verzeichn'!fl derer
Post-Strassen von Deutschland und einigen andern Liindern
aus den besten Postlcarten zusammengetragen, Frankfurt a. M.
1792, S. 28 und 34; Historischer Atlas von Baden-Wiirttemberg
( cf. A 3/ 92), Karte X.2. Postrouten (Postcourse) in Baden-
Wt.irttemberg 1490-1803). Von Schwabisch Gmi.ind an, wo
seine Reisebeschreibung einsetzt, sind die von Diez ange-

647
646
Kommentar zu den Briefen D2 An die Eltern, 21.-30. April 1792

gebenen Reisestationen folgende: Abfahrt in Schwabisch Stuttgart, Kirchenbuch Uhlbach KB 366/ 2 (Uhlbach, Anno
Gmiind am 13. April urn 0. 30 Uhr, Reise iiber Aalen, Din- 1761) und LKA Niirnberg, Bestattungsbuch, Niirnberg-
kelsbiihl und Ansbach nach Niirnberg, dort Ankunft am St.Lorenz 1809, S. 186f., Nr. 61). - Ein Verwandtschafts-
folgenden Tag urn 13 Uhr. Urn 16 Uhr Weiterreise nach verhaltnis zwischen Diez und Georg Friedrich Ruoff lieE
Erlangen, das abends erreicht wurde (zum dortigen Auf- sich allerdings nicht feststellen, wohl aber seine Verwandt-
enthalt vgl. auch A 19). Von hier ab reiste Diez mit einem schaft mit dem Konsistorialrat Adolf Karl Maximilian Ruoff
Mietkutscher (vgl. D 2/ 37). Am 17. April morgens urn 5 (vgl. A 5/ 5).
Uhr war Abreise. Die Fahrt fllhrte tiber Bamberg nach 11 Georg Michael Eisenbach (1731-1803) war von 1783 his
Lichtenfels, das abends erreicht wurde. Am nachsten Tag 1787 Pastor in Efferdingen in Oberosterreich. Nach seiner
morgens Abreise und, nachdem der SattelpaE im Thuringer Amtsenthebung durch das dortige Konsistorium lebte er
Wald, Saalfeld und Uhlstadt ( vgl. auch A 20) passiert worden als Privatgelehrter in Niirnberg. (Vgl. GMB; LKA Niirnberg,
waren, Ankunft in Jena am 20. April morgens. Bestattungsbuch, Niirnberg-St. Lorenz 1803, S.ll4.)
4 Vgl. Diez' Brief an Niethammer vom 2. Marz 1792 (A 18), 12 Die altere Frau Tafinger ist die Mutter des Tiibinger Pro-
S. 98 Z. 20-22 mit A 18/ 4. fessors fur Rechtswissenschaften Friedrich Wilhelm Gottlieb
5 Es handelt sich urn Johann Philipp Christian Heuchelin Tafinger, Christine Friedrike, geb. Frik (1735-1816). Sie
(1767-1819), der am 1. Mai 1790 als Stadtstudent an der konnte Diez wohl deshalb Ratschlage fur seinen Aufenthalt
Hohen Karlsschule in Stuttgart fur ein Studium der Rechts- in Niirnberg geben, weil die Tafingers verwandtschaftliche
wissenschaften immatrikuliert wurde, allerdings mit der Beziehungen nach Niirnberg hatten und weil ihr Sohn von
Herkunftsbezeichnung ,Krumbach" (MSt Nr. 437 S. 441). 1788-1790 an der Universitat Erlangen gelehrt hatte. (Vgl.
1793 wurde er Kanzleiadvokat im Wurttembergischen A3/ 107; Faber, XXV. Bocer'sche Stiftungin Thbingen, § 374,
Oberrat (vgl. Pfeilsticker § 1349). Sein Vater, Wilhelm Fried- und XXXV. Niirnbergisch-Tafinger'sche Stiftung.)
rich Heuchelin (1732-1774), war Stadtschreiber in Aalen, 13 Friedrich Heinrich Loschge (1755-1804) war seit 1784
wo Johann Philipp Christian auch geboren wurde (Auskunft auEerordentlicher Professor der Anatomie und Prosektor
von Dr. Arthur Mez, Oberkochen, Ostalbgruppe des Vereins (vgl. A 12/ 18) und wurde 1793 ordentlicher Professor der
fur Familien- und Wappenkunde in Wurttemberg und Ba- Anatomie und Physiologie in Erlangen.
den, vom 18. Oktober 1995). 14 ~in offentliches Gebaude, welches dazu aufgebauet und
6 Schwab.: Notizbuch (SW V, Sp.ll40). also eingerichtet ist, daE nicht nur die Anatomie in solchem
7 Schwab.: Kafig (ahnliche Form en vgl. SW IV, Sp. 145 f.). offentlich gelehret, sondern auch Demonstrationen an tad-
8 Kann im Schwabischen fur lautes Hersagen auswendig ge- ten Corpern vorgenommen und Prreparata aufbehalten wer-
lernter Spriiche gebraucht werden (vgl. SW I, Sp. 950). den konnen." (Johann Heinrich Zedler, Grosses Vollstiindiges
9 Eigentlich franzosisch fur Hiite. Hier wahrscheinlich met- Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Kiinste, welche his-
onymisch in der Bedeutung: "chapeaux" fur Manner/Herr~n. hero durch menschlichen Verstand und Wi.tz eifimden und ver-
10 Bei dem Vetter Ruoff diirfte es sich urn Georg Friedrich bessert worden, 64 Bde. Leipzig, Halle 1732-17 50, Bd. 43
Ruoff (1761-1809) handeln, der 1792 das Biirgerrecht der Sp. 462.) Wegen seiner ansteigenden Sitzreihen, die die
Reichsstadt Niirnberg erhielt, wie aus einem Eintrag in das genaue Beobachtung der Demonstrationen ermoglichen
Neubiirgerbuch hervorgeht (vgl. StadtA Niirnberg, Neu- sollten, wurde es Theater genannt.
biirgerbuch Nr.IV, S. 82; zu den Lebensdaten vgl. LKA 15 ~ine Adresse an jemanden erhalten" ist eine heute kaum

648 649
Kommentar zu den Briefen D2 An die Eltern, 21.-30. April 1792

mehr gebrauchliche Wendung dafi.ir, ein an eine dritte Per- (cf. E 8/ 9), Bd. L 6 1821, S. 109; vgl. auch Art. ~spasia",
son gerichtetes Empfehlungsschreiben zu bekommen (vgl. in: The Oxford Classical Dictionary, hrsg. von N. G. L. Ham-
Adelung, Grammatisch-kritisches Worterbuch ( cf. A 3/ 84), mond und H. H. Scullard, Oxford 2 1979, S.l3lf.). -Anna
Bd. 1 Sp. 164). Henriette Schi.itz, geb. Danovius (gest. 1823 (NA 42 S. 763)),
16 Johann Friedrich Breyer (1738-1826) aus Stuttgart war Frau von Christian Gottfried Schutz (1747-1832), der Pro-
in Erlangen seit 1770 ordentlicher Professor der Philosophie fessor fur Poesie und Beredsamkeit in Jena und einer der
und seit 1782 auch Hofrat. In einer Serie von Programmen heiden Herausgeber sowie erster Redakteur der ALZ war
( Sieg der praktischen "Vernurift iiber die speculative, 5 Bde. (vgl. A 10/ 12).
Erlangen 1785-1789) befaBte sich Breyer mit den Konse- 20 Johann Timotheus Hermes (1738-1821), Sophiens Reise
quenzen der kantischen Philosophic fur die Begriindung von Memel nach Sachsen, 6 Bde. Leipzig 2 1776.
der Religion. 21 J-ess**" (Schreibweise nach dem Original), der Sophie an-
17 Albrecht Bayer (1751-1819), 1785 auBerordentlicher und fangs aufrichtig liebte, sich dann jedoch wegen ihrer Un-
1792 ordentlicher Professor fur Philosophic ohne Sitz in entschlossenheit von ihr enttauscht zeigte, ist eine der hei-
der Fakultat in Erlangen, wobei er sich vorwiegend mit den mannlichen Hauptfiguren von Hermes' Erfolgsroman.
den klassischen Sprachen, aber auch mit religionsgeschicht- 22 Johann Heinrich Abicht (1762 -1816) war damals auBer-
lichen Them en befaBte. Christliche Religionsgeschichtefor al- ordentlicher Professor der Philosophic in Erlangen und
lerhand Gattungen von Lesern., Bd. 1 Ni.irnberg 1780. Inau- wurde 1796 zum ordentlichen Professor ernannt. Zu seinen
gural Rede, de statuis et imaginibus, praecipue virtutis apud Publikationen vgl. D 2/ 32.
veteres incitamento, Erlangen 1785. Commentarii perpetui in 23 Johann Wilhelm Rau (1745-1807) war seit 1779 ordent-
Theocriti Charites et Syracusias, Erlangen 1790. (Vgl. Georg licher Professor der Theologie in Erlangen.
Wolfgang Angnotin Fikenscher, Vollstiindige akademische Ge- 24 Abicht hatte zur Ostermesse 1792 als einziges Werk sein
lehrtengeschichte der kiiniglich preufiischen Friedrich Alexanders Neues System eines aus der Menschheit entwickelten Naturrechts
UniversitiitzuErlangen, 3 Bde. Ni.irnberg 1806, Bd. 2 S. 286- angeki.indigt, das auch wirklich 1792 (in Bayreuth) erschien.
290.) 25 Johann Ludwig Kli.iber (1762 -1837) war seit 1787 ordent-
18 Friedrich von Wendt (1738-1808) war seit 1778 Professor licher Professor der Rechte in Erlangen.
der Medizin und Hofrat in Erlangen. 1802 wurde das Er- 26 Johann Burkard Geiger (1743-1809) war seit 1763 or-
langer Krankenhaus, urn dessen Gri.indung Wendt sich jah- dentlicher Professor der Rechte in Erlangen und wurde
relang bemi.ihte, vollendet. Er schlug Berufungen als Pro- 1770 Hofrat.
fessor nach Gottingen und als Leibarzt nach Diinemark 27 Heinrich Karl Alexander Hanlein (1762-1829) war seit
a us. 1789 auBerordentlicher Professor der Theologie in Erlan-
19 Aspasia aus Milet (5. Jahrhundert v. Chr.), zweite Frau des gen.
Perikles, galt als "eine der bewundertsten Hetaren der alten 28 Emmanuel Christian Gorwitz aus Eisenach wurde bereits
Welt, gleich beri.ihmt durch ihre groBen Talente und ihre~ am 27. April 1787 in Jena immatrikuliert (MJ).
einfluBreichen Umgang mit den groBten Mannern Athe~s ' 29 Fi.ir die Universitat Jena gab es wie fur die meisten anderen
wozu auch Sokrates zahlte, "der sich gern ihren Schuler Universitaten mehrere Arten von Vorlesungsankiindigun-
nannte, und ihrer Beredsamkeit groBe Lobspri.iche ertheilte:' gen. Neben dem offiziellen lateinischen Catalogus Praelec-
(F. Jacobs, Art. ~spasia", in: Ersch; Gruber, Encyclopiidze tionum Publice Privatimque in Academia Ienens~ der hier ge-

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Kommentar zu den Briefen D2 An die Eltern, 21.-30. April 1792

meint sein ~d, auch wenn Diez von einem ,Zettel'' spricht kantischen Systems, 2 Bde. 1789-1791, erschienen, zeigen
(vgl. Diez' AuEerung in seinem Brief an Niethammer vom eine an Kant orientierte Grundeinstellung. In seiner Dis-
20. Februar 1792 (A 17), S. 96 Z. 23 f.; ftir Thbingen vgl. sertatio philosophica de rationis practicae in theologia vi, cum
E 4/ 5), hatten vor allem die in Zeitungen und Intelligenz- tantummodo visa, tum vere cogente, Erlangen 1790, auch ver-
blattern abgedruckten deutschen Verzeichnisse aufgrund offentlicht in: De rationis in theologia vi atque virtute specimen
der groEeren Reichweite eine i.iber die lokalen Grenzen philosophicum, Leipzig 1790, und ebenso in seiner Philosophie
hinausreichende Bedeutung. Allerdings erschien das im der Erkenntnisse, 2 Bde. Bayreuth 1791, tendierte Abicht aber
lntelligenzblatt der ALZ regelmaEig abgedruckte deutsche dazu, die moralisch begriindete Vergewisserung von intel-
Verzeichnis von Jena ftir das Sommersemester 1792 erst ligiblen Gegenstanden mit der Leistung der theoretischen
am 18. April 1792 ( cf. A 17/ 2), also nachdem Diez Erlangen Vernunft zu verkniipfen. In de rationis practicae in theologia
bereits wieder verlassen hatte (vgl. D 2/ 3), und kann daher vi kritisierte Abicht Kants Fassung des moralischen Got-
hier nicht gemeint sein. - Die Professoren gaben schlieBlich durch tesbeweises und wollte ihn durch eine Beweisart ersetzen,
einen ausgehiingten Zettel (zurn Teil in den Dekanatsakten der philo- die Griinde der theoretischen mit solchen der praktischen
sophischen Fakultat im UAJ erhalten) ihre jeweiligen Veranstaltungen Vernunft verbindet. Diez' eigene Auffassung von der Be-
bekannt, gelegentlich auch rnitAngaben iiber Zeit und Ortder Veranstaltung griindung der kantischen Moraltheologie (vgl. Cadi V. 3)
sowie iiber den Modus der Einschreibung und das Honorar. Die Zettel gab ihm genug AnlaE, Abicht darum als ,abtri.innig" ge-
konnten auBerhalb der Universitat nicht in Umlauf gelangen. geni.iber Kant zu bezeichnen.
30 Johann Andreas Quenstedt (1617-1688) war von 1660 an 33 Johann Bernhard Lippert (1752 -1819) war seit 1790 Rektor
Theologieprofessor in Wittenberg. Seine Hauptschrift Theo- des Gymnasiums in Erlangen.
logia didactico-polemica, sive systema theologicum in duas sec- 34 Kaspar Jakob Besenbeck (1760-1815) war seit 1790 Kon-
tiones, didacticam, et polemicam, divisum, Wittenberg 1685, rektor des Gymnasiums und seit 1791 Diakonus an der
erlebte mehrere Auflagen his in das 18. Jahrhundert hinein Altstadter Kirche.
und gilt als ,Hohepunkt aber auch SchluEstein der altlu- 35 Rau heiratete 1776 Caroline Henriette Hedwig, geb. Hubner.
therischen Dogmatik und dogmatischen Scholastik" (Wa- 36 Joseph Friedrich Faber (1765-1820), am 27. Oktober 1781
genmann, Art. ,Quenstedt" in: ADB 27 S. 35-37, S. 36). Zum in die Universitatsmatrikel eingetragen und aus derselben
EinfluE Quenstedts auf das Compendium von Sartorius (cf. Promotion wie Diez, ging 1790 als Hauslehrer nach Livorno
A 3/ 17), das Lehrbuch fur den theologischen Unterricht und kehrte erst 17 Jahre spater zuri.ick, urn 1810 Pfarrer
im Ti.ibinger Stift:, vgl. Kolb, Kompendien (cf. ebd.), S. 56-71. in Gronau zu werden (Magisterprogramm Tiibingen ( cf.
31 Fehlwurf beim Kegeln, wenn bei vollstandig aufgestelltem A 1/2) von 1786; vgl. MTi.i Nr. 38061 S. 306; GMB sowie
RieE (,ins Volle") kein Kegel getroffen wird (vgl. SW I, LKA Stuttgart A 12, Nr. 23/ Band 4; ebd., A 7 Diarien des
Sp.1505f., Sp.1505). Konsistoriums 1789 - 1790, Nr. 1 ( unpaginiert), Nr. 1004:
32 Abichts erste Schriften (Dissertatio de philosophiae Kantian~e Eintrag vom 30. Juli 1790).
ad theologiam habitu, Erlangen 1788; Versuch einer Metaphyszk 37 Der Mietkutscher (Fiaker) ist ein privater Fuhrunternehmer,
des Vergniigens nach kantischen Grundsiitzen, Leipzig 1789) der Pferde und Kutschen zur Miete bereithalt (vgl. Kriinitz,
sowie eine Reihe von Aufsatzen, die in der gemeinsam mit Encyklopiidie (cf. A 15/ 14), Art. ,Kutsche", Bd. 57 S. 234-
Friedrich Gottlob Born herausgegebenen Zeitschrift Neues 421, S. 272-276).
philosophisches Magazin zur Erliiuterung und Anwendung des 38 Neben der einfachen Passagiertaxe waren von den Reisen-

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den mit der Reichspost noch weitere Gelder zu entrichten, 43 Mit der ,alten Frau Stadtschreiberin" ist vermutlich Christine
darunter Gebi.ihren fur sogenannte ,Ueberfracht" und di- Elisabeth Gaug, geb. Schleich, verw. Vischer (171 7-1787),
verse Trinkgelder unter anderem fur die Postillione, die gemeint. Sowohl ihr erster Mann, Ludwig Friedrich Vischer
,Wagenmeister" (sie luden das Gepiick auf den Wagen) (1716-1757), als auch ihr zweiter Mann, Eberhard Ludwig
und die ,.Kofferschieber" (sie brachten das Gepiick von Gaug (ca. 1726-1783), sowie eines der vier Kinder aus
der Unterkunft zum Wagen) (vgl. Heinrich A. Reichard, Der erster Ehe, Johann Christian Donatus Vischer (1757-1813),
Passagier aufder Reise in Deutschlandund einigen angriinzenden waren jeweils Stadtschreiber in Dornstetten. (Vgl. Faber,
Liindern. Ein Reisehandhuch for jedermann. Mit einer grofien LXIV. Braun'sche Stiftung, § 473 b; LXV. Fiirber-Stiftung
Postkarte., Weimar 1801, S. 122 f.). K, § 7 d, und CV. Warbek-Scholl'sche Stiftung, § 158 b,
39 Der SattelpaE oder ,Coburger Pag" war ein Gebirgsuber- sowie Pfeilsticker § 2318; Auskunft der ev. K.irchengemeinde
gang an der alten LandstraEe von Ni.irnberg nach Leipzig. Dornstetten vom 8. Juni 1995; vgl. auch D 2/ 42.)
Zugleich war hier eine Grenzstation zwischen den Her- 44 Schwab.: ,Handzwehle" - Handtuch (SW III, Sp. 1140).
zogti.imern Sachsen-Coburg-Saalfeld und Sachsen-Meinin- 45 Kutschentriichle = Truhe unter dem Kutschenbock (SW
gen. III, Sp. 970).
40 Zu Diez' Aufenthalt in Augsburg vgl. A 4 S. 35 Z. 31 ff. 46 Diez schreibt im Brieforiginal ,Gerspach" (vgl. Textanmer-
41 Wahrscheinlich hat Diez den Schauspieler Johann David kung a) . Dem konnte im si.idlichen Schwarzwald der Ort
Friedrich Haller (1761-1797) vor Augen, der 1790 auch Gersbach in der Niihe von Schopfheim entsprechen. Dort
Regisseur am Stuttgarter Theater war. Laut Andreas Strei- lassen sich jedoch keine Verwandten von Diez nachweisen.
cher besag er als einziger Stuttgarter Schauspieler seiner Auch gehorte dieser Ort damals nicht zu Wurttemberg.
Zeit ,wahrhaft groges Talent, sowohl fUr komische als ernst- Dagegen gab es in der Umgebung des im Nordschwarzwald
hafte Darstellungen" (ders., Schiller's Flucht von Stuttgart gelegenen Gernsbach, das in relativer Niihe zu den heiden
und Aufenthalt in Mannheim von 1782 his 1785, Stuttgart, anderen an dieser Briefstelle genannten Orten Klosterrei-
Augsburg 1836, S. 31; vgl. auch RudolfKraug, Das Stuttgarter chenbach und Herrenalb liegt, ein Gewann ,Herrenwies",
Hiftheater von den iiltesten Zeiten his zur Gegenwart, Stuttgart das also den Namen trug, den Diez in der Klammer nach
1908, S. 90). der Nennung von ,Gerspach" erwiihnt und auf dessen Lage
42 Moglicherweise handelt es sich urn den Forster Adolf Chri- seine Bemerkungen zutreffen konnen. Auf zeitgenossischen
stoph Henmer (Henseler), der bis 1787 die mit Neuneck Karten findet sich fUr diesen Ort auch die Schreibweise
verbundene Forststelle Dornstetten innehatte (vgl. Pfeil- ,Gersbach" (z. B. Les cours de postes par le cercle de Suahe,
sticker § 3164). Diez kannte die Verhiiltnisse in Dornstetten (ostlich [Ni.irnberg] 1752; Auskunft des Bi.irgermeisteramtes der
von Freudenstadt), weil dort seine Tante und Taufpatin Maria Friderica, Stadt Gernsbach vom 28. Juni 1995; vgl. auch Historischer
geb. Diez (geb.1742), verbeiratetmitEberhardLudwigHeller(1737-1800, Atlas von Baden-Wii.rttemherg ( cf. A 3/ 92), Karte VI,13: Herr-
seit 1762 Oberamtmann in Dornstetten), und ihre Familie wohnten (vgl. schaftsgebiete und Arntergliederung in Si.idwestdeutschland
Taufbiicber Stuttgart ( cf. A 5/ 5); Pfeilsticker § 2310; Faber, XXVI. Wein- 1790). Aus diesen Grunden wurde dann auch gemiig den
mann'sche Stiftung, Instituierte B, § 61, und CXLVIII. Heller'sche Stiftung Editionsprinzipien ,Gerspach" im Text nach moderner
( unveroffentlicht), §§ 57 und 62; vgl. D 3 S. 294 Z. 34 - S. 295 Z. 1 mit Schreibweise als ,Gernsbach" wiedergegeben. Der von Diez
D 3/ 65, D 3 S. 295 Z. 18 f. und auch den Entwurf zu einer genaueren in einem spateren Brief erwiihnte Johann Friedrich Krinn war seit 1790
Verwandtschaftsiibersicht (Ms., Archiv des Jena-Projekts)). Vikar in Gernsbach, bevor er 1792 Diakon und Prazeptor in Kirchberg

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Kommentar zu den Briefen D 2 An die Eltern, 21.-30. April 1792

wurde (vgl. D 3/ 63). In Herrenalb konnte Diez an Gottlieb Bilfinger dienzeit hiiufig in Schillers Haus (vgl. Goritz, ,Schiller in
(1752-1794)- Zoller und Wirt vor Ort- gedacht haben, welcher ein Jena" (cf. A 13/ 11), S. 882, 886 u. o.). 1793 Besuch der
entfernter Onkel von Diez war (Diez' GroEvater Johann Wendel Billinger Handelsakademie von Johann Georg Busch (1728-1800)
(1695-1756) war ein GroEcousin des Vaters von Gottlieb Bilfinger). Er in Hamburg (GAS ILl S. 328 und III S. 115), 1794 siich-
heiratete 1783 die Tochter des Herrenalber K.losterrichters Johann Martin sisch -weimarerischer Kammerj unker.
Zi.flen, Dorothea Catharina (1761-1799). (Vgl. Faber, XXIII. Platz-Her- 50 Gemeint ist wohl: Lavor = Waschbecken (SW IV, Sp. 1067).
mann'sche Stiftung, §§ 164a, 160, 107, 109 und 67, sowie Pfeilsticker 51 Vgl. den im Bildteil (VII) abgebildeten Stich von Jacques
§ 3378.) Zeitweise war auch Ludwig Adam Jakob Konig, der Vater von Roux (Abbildung 12).
Brastbergers erster Frau Caroline Lisett, Oberamtmann in Herrenalb. 52 Berg, am Si.idwestrand der heutigen Gemeindegrenzen Th-
Seine Ehefrau Marie Charlotte Neuffer war eine Nichte von Diez' GroEvater bingens gelegen (vgl. die Topographische Karte im Anhang
viiterlicherseits (vgl. Faber, XXVI. Weinmann'sche Stiftung, Instituierte des ersten Bandes von: Der Landkreis Tiibingen. Amtliche
B, §§57, 27 und 28). - Zu Diez' Verwandtschaft im Schwarzwald vgl. Kreisbeschreibung, hrsg. von der Staatlichen Archivverwal-
A 12/ 15, D 2/ 42 und D 3/ 65. - Moglicherweise hatte Diez auch einen tung Baden-Wurttemberg in Verbindung mit dem Landkreis
Onkel in Bad Teinach im Schwarzwald, wie eine Bemerkung in einem Tiibingen, 3 Bde. Stuttgart 1967-74).
Brief Caroline von Wolzogens (1763-1847) an ihre Schwester Charlotte 53 Goritz und sein Zogling Fichard verlie.Ben das Heiligen-
Schiller im J uni 1793 vermuten liiEt: "auch dem Diez sein Brief an den stiidtische Haus (vgl. D 2/ 108), in dem auch Diez wohnte,
Onkel in Deinach schicke m.ir" (vgl. Wilhelm Fielitz, Briefwechsel zwischen urn fur den Sommer ein Gartenhaus zu beziehen (vgl. Goritz,
Schiller und Lotte 1788-1805, Bd.3 Stuttgart 1897, S. 70). Dieser Onkel ,Schiller in Jena" ( cf. A 13/ 11 ), S. 895). Das Zimmer von
konnte nicht identifiziert werden. Allerdings gibt es einige Verwandte Goritz ubernahm vermudich Conz (vgl. D 4/ 17).
in der niiheren Umgebung, niimlich Ernst Christoph Wilhelm Heller 54 ,Bestehen" - pachten, mieten (Adelung, Grammatisch-kri-
(1758-1818), der 1785-1807 Oberamtmann in Bad Liebenzell war, und tisches WOrterbuch ( cf. A 3/ 84), Bd. 1 S. 929). Vgl. auch D 5
Christian Gottlieb Werthes (1750-1813), der seit 1784 Oberamtmann 8.310 Z.11.
in Wildberg war und der eine Schwester des zuvor genannten Heller 55 Vgl. D 1/ 9.
geheiratet hatte. Moglicherweise ist einer der heiden mit dem "Onkel 56 Gotdieb Hufeland (1760-1817) war von 1788 an au.Ber-
in Teinach" gemeint, doch sind beide trotz des hoheren Alters eigentlich ordentlicher und von 1790 an ordendicher Honorarpro-
entfernte Cousins von Diez (vgl. Faber, CXLVlii. Heller'sche Stiftung fessor der Rechte in Jena, ehe er 1793 ordentlicher Pro-
(unveroffentlicht), §§ 60 und 66, und den Entwurf zu einer genaueren fessor fur Lehnrecht wurde. Neben Christian Gottfried
Verwandtschaftsi.ibersicht (Ms., Archiv des Jena-Projekts)). Schutz war er zweiter Redakteur der ALZ (vgl. A 10/ 12).
47 Vgl.lat.: praecipitium, und auch frz.: precipice- der Abgrund. (Vgl. Steinmetz, Universitat lena ( cf. A 2/ 12), Bd. 1 S. 282.)
48 Vgl. A20. - Zu seiner Rezeption der Schriften Kants vgl. auch
49 Gotdob Friedrich (Fritz) Constantin von Stein (1772-1844), D 4/ 61.
jiingster Sohn von Gottlob Ernst Josias Friedrich und Char- 57 Johann Friedrich August Gottling (1753-1809) war seit
lotte von Stein, Protege Goethes, 1789 Kammerassessor 1789 au.Berordendicher Professor der Chemie in Jena (vgl.
cum voto in Weimar, erhielt seine Ausbildung unter An- Steinmetz, Universitat lena ( cf. A 2/ 12), Bd. 1 S. 295 und
leitung des Oberforstmeisters v. Wedel (GAS III S. 22 und Bd. 2 S. 521 Anm. 533).
IV S. 139) und studierte ab 1791 in Jena, ohne aber im- 58 Gabriel Jonathan Schleu.Bner (1767 -1798), Privatdozent
matrikuliert zu sein. Stein verkehrte wiihrend seiner Stu- an der medizinischen Fakultiit in Jena, wurde 1796 Sub-

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direktor der Entbindungsanstalt in Jena (vgl. IB der ALZ 130/1-8, 9)). (Zu Tschink vgl. Reinhold, Korrespondenzaus-
Nr. 182 vom 12. Dezember 1798, Sp. 1508, und NA36,II gabe ( cf. A 3/ 99), Bd. 1 S. 78 Anm. 1.)
S. 331). Bei der ALZ war er als ,Korrektor und Redakteur" 63 Wahrscheinlich ist gemeint: Leopold Alois Hoffmann, Kri-
des lntelligenzblattes fest angestellt (vgl. SchonfuB, Allge- tische Bemerlcungen iiber den religiosen Zustand der !c./c. Staaten,
meine Literatur-Zeitung ( cf. A 10/ 12), S. 69; vgl. auch Bot- 4 Bde. Wien 1786 f., Bd. 3 und 4 von Tschink.
tiger, Literarische Zustiinde ( cf. ebd.), Bd. 1 S. 275: ,Assistent, 64 Kajetan Tschink, Geschichte eines Geistersehers, aus denPapieren
Secretair und Redacteur"). des Mannes mit der eisernen Larue, 3 Bde. Wien 1790-1793.
59 Zur Jenaer Geselligkeit und den Professorenklubs vgl. Das Werk zahlt zu den zahlreichen Schriften, die Schillers
Aspekte des Lebens in Jena (VI 4 ), S. 1040 ff. Thema seines Romanfragments: ,Der Geisterseher. Aus den
60 Vgl. D 1/7. Papieren des Grafen von 0.", aufnahmen. (Vgl. dazu auch
61 Wilhelm Gottlieb Tennemann (1 761-1819) habilitierte sich die Bemerkungen Reinholds in dem eben zitierten Brief
1788 und wurde 1798 au:Berordentlicher Professor der Phi- an Erhard: , Tschink, der Verfasser eines Geistersehers" ( cf.
losophie in Jena ( vgl. Steinmetz, Universitiit]ena ( cf. A 2/ 12), D 2/ 62), S. 315; Hervorhebung des Hrsg.). Eine erste Fas-
Bd. 1 S. 248). Seine philosophiehistorischen Arbeiten der sung Schillers erschien in der Thalia, 4.- 8. Heft 1787-1789,
friihen neunziger Jahre behandelten vor allem die Philo- S. 68-94, S. 67-132, S. 84-164, S. 70-109, S. 84-96. 1789
sophie Platons und also Gegenstande, die ft.ir die an Kant gab Schiller seinen Text als Buch unter dem Titel: Der
orientierten Zeitgenossen von besonderem Interesse waren. Geisterseher. Eine Geschichte aus den Memoires des Grqfon von
So erschien 1791 in J en a Lehren undMeinungen der Solcratilcer CF, Leipzig bei Goschen (in zweiter Auflage 1792), heraus.
iiber Unsterblichlceit und in den Jahren 1792- 95 in Leipzig 65 Diez wohnt zu der Zeit noch im Heiligenstadtischen Haus
das vierbandige System der Platonischen Philosophie. AuEer- (vgl. D 2/ 108). Seine ,Hausfrau" ist somit die Ehefrau des
dem lieferte er eine Ubersetzung von Humes An Enquiry Syndikus und Hofgerichtsadvokaten Johann Carl Ehrhardt
concerning Human Understanding, die 1793 in Jena heraus- Heiligenstadt.
kam. In der systematischen Diskussion selbst hatte Tenne- 66 Christoph Heinrich Kruger (1745-1826) war Konsisto-
mann dagegen keine gewichtige Stimme. rialrat und Amtmann in Jena (vgl. NA27 S. 354).
62 Kajetan Tschink (1763 -1809) trat 1779 dem Barnabiten- 67 Paul Ludwig Ferdinand Eber (gest. 1796) war Hofrat und
orden bei, den er jedoch 1784 noch vor der Weihe wieder Thurn und Taxisscher Postmeister in Jena. Vgl. seinen un-
verlieK Schon wahrend seiner Novizenausbildung war Rein- datierten Eintrag in Niethammers Stammbuch (NhSB 1.
hold sein Lehrer ( ab 1781 im Kolleg St. Martin in Mistelbach Ordnung Bl. 145r). - Die Ehefrau Ebers, die er 1786 hei-
und ab 1783 im Kolleg St. Michael in Wien). Im November ratete, ist Johanna Elisabeth Eckardt, eine Tochter Johann
1791 folgte er Reinhold nach Jena, urn bei ihm die kritische Christian Ludwig von Eckardts (Auskunft von Volker Wahl,
Philosophie zu studieren. (Vgl. den Brief Reinholds an Jo- Jena vom 15. April 1985) und somit Schwester von Niet-
hann Benjamin Erhard, Jena, den 7. August 1791 ( cf. A 3/ 97), hammers spaterer Frau Rosine Christiana Eleonore verw.
S. 315.) En de 1794 erlangte Tschink eine Professur ft.ir Logik, Doderlein (vgl. A2/ 14).
Metaphysik und fur praktische Philo sophie am k. k. Lyzeum 68 Vgl. D 3/ 30.
in Olmiitz (vgl. die Briefe Tschinks an Franz von Paula 69 Johann Wilhelm Seidler hatte 11 Kinder, davon 5 Tochter:
von Herbert vom 18. November und 14. Dezember 1793 1. Anna Caroline (gest. 1823), die 1769 mit Erdmann Sieg-
(insbesondere der letztgenannte, S. 3; ONB Wien, Autogr. mund Basch verheiratet war, 2. Caroline Wilhelmine (geb.

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1760), die Kammerfrau bei der Herzogin Charlotte Amalie (vgl. Der Landlcreis Tubingen (cf. D 2/ 52), Bd. 2 S. 746-760;
von Meiningen war und sich mit dem Kammerer und Mu- Friedrich Huttenlocher, Geographischer Fuhrer for Tubingen
siker Johann Klemmenhagen verheiratete, 3. Christina Ama- und Umgebung Mit Beitriigen uber das lJlanzenlcleid von Paul
lie Dorothea (1763-1805), die his 1784 Gouvernante der Filzer, Thbingen 1966, 8.199-208).
Prinzessin Loise in Weimar war und 1786 in Gotha heiratete, 73 Ein TillertallieE sich in der naheren Umgebung Thbingens
4. Johanna Christina (1769-1812), mit Friedrich Jacobs aus und auch sonst in Wiirttemberg nicht ausmachen. Ob Diez
Gotha verheiratet, und 5. Augusta Johanna Dorothea (1771- das obere Starzeltal, das nach der gleichnamigen Ortschaft
1836), die ebenfalls, wohl nach dem Tod der Schwester, auch Killertal genannt wird, ein westlich dem Wanlcheimer
mit Friedrich Jacobs verheiratet war. Bei den heiden ,Mam- Tal (vgl. D 2/ 72) gelegenes, ebenfalls in das Neckartal mi.in-
selles Seidler", die bei dem Spaziergang dabei waren, wird dendes Tal, meint und also moglicherweise eine Verschrei-
es sich wohl am ehesten urn die heiden jiingsten Schwestern bung vorliegt, wurde nicht aufgeklart. (Vgl. Der Landlcreis
handeln. (Auskunft des Landeskirchenarchivs Eisenach vom Tiibingen (cf. D 2/ 52), Bd. 1, S. 28-35; Huttenlocher, Geo-
26. August 1994.) graphischer Fuhrer ( cf. D 2/ 72), S. 214; Hinweis von Dr.
70 Johann Wilhelm Seidler (1718-1777), der in Gottingen Hans-Joachim Kern, Greifswald, vom 28. November 1993.)
studiert hatte, kam 1760 als Instruktor der Prinzen Carl Ware dies der Fall, dann wiirden sich, wie es der Kontext
August und Konstantin nach Weimar und war seit 1761 nahelegt, die von Diez in diesem Brief zum Vergleich und
obervormundschaftlicher Oberkonsistorialrat in Weimar zur Veranschaulichung der Jenaer Verhaltnisse herangezo-
(Auskunft des Landeskirchenarchivs in Eisenach vom genen geographischen Angaben (,Spitzberg" (vgl. S. 274
26. August 1994). Z. 26 mit D 2/ 52), ,Wankheimer- und Tiller-Talchen" (vgl.
71 Diese Person konnte nicht mit Sicherheit identifiziert wer- D 2/ 72)) allesamt auf die unmittelbare Umgebung Thbin-
den. Da Diez keinen Bruder namens August hatte, konnte gens beziehen. Ebensowenig geklart ist, inwieweit diese drei Orte
man bei der Wendung ,Bruder Gustel in-" zuerst an Diez' mit den Orten in Verbindung gebracht werden konnen, die nach den
Cousin Friedrich August Kli.ipfel aus Stuttgart denken. Weil Erinnerungen Rudolf Magenaus die Freunde Holderlin, Neuffer und
Diez aber die Ortsangabe offenlaEt, was auf einen anderen Magenau in ihrer gemeinsamen Tiibinger Studienzeit bevorzugt auf-
Ort verweist, als wohin der Brief gesandt wurde, Klupfel suchten: "Wenn wir des Abends so traul. uns nidersezten auf einem
jedoch 1792 noch im Ti.ibinger Stift war (vgl. D 1/ 6), bleibt kiiligen Mooshiigel im Wankheimer Thiilgen, rings umtanzt von dem
die Identitat in der Person ungewiK Diez hatte noch zwei liederreichen Volke des Waldchens, oder hinschwarmten in sii!Ser weh-
Cousins namens August, namlich August Heinrich Miiller und Ernst miitiger Stimmung in Thills Thiilchen, am Uffer des Murmelbiichleins,
August Heller (geb. 1776) (vgl. Faber, XXVI. Weinmann'sche Stiftung in an dem er, der fruhverstorbene Jiingling, seine Lieder dichtete, oder
Tiibingen, Instituierte B, §58, und CXLVIII. Heller'sche Stiftung (un- auf der Spizze des hohen Spizberges den sanften Mond begrii!Sten mit
veroffentlicht), § 61). - Mit "Bruder Gustel" konnte auch ein Mooch Gesang, oder hinab uns stiirzten im Mondscheine in die spiegelhelle
oder ein Mitglied eines Studentenordens gemeint sein. Fluten des Nekkars, o wer mi!St die Freude, wie sie uns begliikte!" (StA
72 Wankheim, auf den sogenannten ,Harten" der Schwarzj~­ VII,l S. 394-397, S. 395; Hervorhebung d. Hrsg.) Namensgeber ftir Shills
raplatte gelegener Ort siidostlich von Thbingen (heute Teil Thiilchen", das von den Herausgebern der Stuttgarter Holderlinausgabe
der Gemeinde Kusterdingen), dessen Gemarkungsgrenzen nicht identifiziert worden war, war der Jriihverstorbene Jiingling", der
his in das Talsystem der von DuElingen herabfUhrenden Stiftler und Dichter Johann Jakob Thill (1747 -1772; vgl. ebd. S. 397f.).
und in den Neckar miindenden Steinlach sich erstrecken 74 Johann Adolf Faselius beschreibt die Triegnitz in seiner

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Kommentar zu den Briefen D 2 An die Eltern, 21.-30. April 1792

anonym erschienenen Schrift Kurze Beschreibung von lena roline (geb. 1790). Karoline wurde von Kotzebues Mutter
for Reisende und Studierende, zu angenehmer und niitzliche:r Anna Christina und deren Schwester Elizabeth Magdalena
Unterhaltung, wahrend ihres Aufenthalts daselbst, Eisenach Juliane Musaus aufgezogen. Sie starb noch im Kindesalter.
1793, S. 46, als ein "angenehmes Buschwiildgen [... ], wo (Vgl. Peter Kaeding, August von Kotzebue. Auch ein deutsches
man auf einem freien Platze desselben, auf welchen auch Dichterleben, Berlin 1985, S. 65, 95-96, und History and
ein neues Gebaude erbaut ist, eine reizende Aussicht nach Genealogy of the Kotzebue Family, hrsg. von Rostislav von
der Stadt, und viel Aehnlichkeit mit dem obenerwahnten Kotzebue, Paris 1984, S. 188 f., 256.)
Rauhthale hat". Die 'Ihe~nitz gehort heute zum siidlichen 80 Wahrscheinlich ist Wilhelmine Henrike Tafmger, geb. Hoff-
Stadtgebiet Jena, nordlich von Jena-Goschwitz. (Vgl. Fait- mann (1770-1792) (zur Verwandtschaftsbeziehung von
plan Jena, Munchen 1990, Ma~stab 1: 17500.) - Vgl. D5 Diez und Tafinger vgl. A 3/ 107), Ehefrau des Thbinger
S. 309 Z. 24 f. Professors fur Jurisprudenz Friedrich Wilhelm Gottlieb Ta-
75 Karl Theodor Anton Maria von Dalberg (17 44 -1817), der finger gemeint. Sie starb im Oktober 1792, wenige Monate
1772-1802 Statthalter des Erzbischofs von Mainz in Erfurt nach der Abfassung des Briefes. Weshalb Diez ihr wiinscht,
war, wurde 1787 zum Koadjutor mit dem Recht auf Nach- an seiner Statt da gewesen zu sein, als das Karolinchen
folge in Mainz und Worms gewahlt. Seit 1786 fand jeden des Herrn Kotzebue ~urn Vorschein kam", war nicht aus-
Dienstag am Hofe Dalbergs die ~ssemblee" statt, eine zumachen. Eine personliche Beziehung zwischen den Fa-
Zusammenkunft, die bald weithin gesuchter gesellschaftli- milieu Tafinger und Kotzebue konnte nicht belegt werden.
cher Mittelpunkt war (vgl. Karl von Beaulieu-Marconnay, (Vgl. D 2/ 79.)
Karl von Dalberg und seine Zeit. Zur Biographie und Cha- 81 Gemeint ist das Weimarer $omodienhaus", das 1779 auf
rakteristik des Fiirsten Primas, 2 Bde. Weimar 1879, Bd. l dem Platz gegenuber dem Wittumspalais erbaute Theater-
S. 34, 63-114). gebaude, das von 1791 an Sitz des unter Goethes Leitung
76 Elizabeth Magdalena Juliane, geb. Kruger (1742-1819), stehenden Hoftheaters war, his es 1825 niederbrannte (vgl.
Frau des Schriftstellers und Gymnasialprofessors Johann Weimar. Lexikon zur Stadtgeschichte, hrsg. von Gitta Gunther,
Karl August Musaus (1735 -1787), eine Tante von August Wolfram Huschke, Walter Steiner, Weimar 1993, S. 256 f.;
Friedrich Ferdinand von Kotzebue (vgl. Starnes, Wieland- Alexander Weichberger, Goethe und das Komodienhaus in
Chronzlc (cf. C 9/ 22), Bd. 3 S. 589). Weimar 1779-1825. Ein Beitrag zur Theatergeschichte, Leipzig
77 Johann August Ludecus (1742 - 1801), Geheimsekretar der 1928 (= Theatergeschichtliche Forschungen 39)). An dem
Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar und Eisenach, Tag, an dem Diez es besuchte, wurden die Lustspiele ~as
war seit 1785 Steuerrat in Weimar (vgl. Briefe an Goethe. Muttersohnchen oder Junker Fritz" nach Yanfan et Colas,
Gesamtausgabe in Regesiform, Bd. 2 Weimar 1981, S. 461:. ou les freres de lait" von Alexandre Louis Bertrand Robineau
78 Wilhelm Heinrich Sebastian Buchholz (1734 -1798) war Leih- de Beaunoir und ~eichtsinn und gutes Herz" von Friedrich
arzt und Apotheker in Weimar und seit 1782 auch Bergrat. Gustav Hagemann sowie das Ballett "Die Zauberschule"
79 Der Dichter August Friedrich Ferdinand von Kotzebue von Mattstedt gegeben (vgl. C. A. H. Burkhardt (Hrsg.), Das
(1761-1819) war seit 1785 Prasident des Gouvernement- Repertoire des Weimarischen Theaters unter Goethes Leitung
Magistrats der Provinz Estland. Seine Frau Friederike Juli_e 1791-1817, Hamburg, Leipzig 1891 (= Theatergeschicht-
Dorothea, geb. von Essen (1763 -1790), die er 1785 hel- liche Forschungen 1), S. 5; vgl. auch Diez' Kommentare im
ratete, starb kurz nach der Geburt des vierten Kindes Ka- Fortgang des Briefes).

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Kommentar zu den Briefen D 2 An die Eltern, 21.-30. April 1792

82 Die Schwester von Elizabeth Magdalena Juliane Musiius womit auch Majer gemeint sein konnte (D 3 S. 287 Z. 15-17
war Anna Christina Kotzebue, geb. Kruger (1736-1828). und D3/ 24).
Sie war August Friedrich Ferdinand von Kotzebues Mutter 88 Goethes Theaterbesuch an diesem Tag ist in der Goethe-
und wohnte in Weimar. (Vgl. Kotzebue, The Kotzebue Family Literatur bisher unbekannt (Hinweis von Volker Wahl, Wei-
(cf. D 2/ 79), S. 178-181.) mar).
83 Gustav von Schweden (1746-1792) war seit 1771 Konig 89 Johann Matthaus Hassenkamp (1743-1797) war Professor
von Schweden. Am 26. Marz 1792 erlag er den Folgen eines der Mathematik und Orientalistik sowie Universitatsbiblio-
Attentats, das wahrend eines Maskenballes von Jakob von thekar und Konsistorialrat in Rinteln.
Anckarstrom (1762 -1792), dem Mitglied einer adeligen 90 August Gottfried Ludwig Seidler (1759-1825) war Reit-
Verschworergruppe, veriibt wurde. lehrer und seit 1784 Universitatsstallmeister in Jena (vgl.
84 Alexander Joseph Hamilton (1754-1828) war ordentlicher NA 25 S. 669).
Professor der Physik in Erfurt sowie Kapitular des dortigen 91 Die Arbeit hestand vermutlich darin, Lehrbiicher, die Diez,
Schottenklosters. wie allgemein iiblich, ungebunden gekauft hatte, zu bind en.
85 Der AnlaE von Diez' Wunsch, nach Gotha zu reisen, ist Wegen der langen Arbeitszeit konnte man aber auch rout-
nicht zu erkennen. Diez hatte dort ehemals einen OnkeL maBen, daE sie mit DurchschuEblattern versehen werden
der jedoch schon lange tot war, Emanuel Christoph Kliipfel sollten. Doch geschah dies in der Regel nur bei den Exem-
(1712 -1776). Kliipfel, ein Bruder des Stadtschreibers Jacob plaren der Professoren.
Friedrich Kliipfel und des Dekans in Weinsberg Johann 92 In einem Brief an Niethammer vom 29. August 1793, S. 1
Albrecht Kliipfel (vgl. Faber, LXIX. Brodbek-Stikel'sche Stif- des Briefes, berichtete Schnurrer von seinen Erfahrungen
tung B, § 40 b, fund h), war Konsistorialprasident in Gotha, mit der Jenaer Briefpost: , Weil gerade vom wegsamen Lauf
begriindete den Gothaischen Hofkalender und hatte ehedem der Briefe jezt die Rede ist, so lassen Sie mich noch ein
wesentlichen Anteil an der Entstehung und dem Fortgang wenig bey der Materie verweilen. In der vorigen Zeit, da
der Gothaischen gelehrten Zeitungen. Eichhorn noch in Jena wohnte, machte ich etliche mal die
86 Schillers Drama Dom Karlos, Infant von Spanien Erst 1801 Bemerkung, daE hie und da ein Brief in der kurzen Zeit
anderte Schiller ft.ir eine Neuauflage seiner Druckfassung von 5 Tagen von Jena his Tiibingen kommen konnte. Als
(Leipzig bei Goschen 1787, 2 1799) die an den von ihm nachher mein Neffe, der M. Weeber [= Christian Friedrich
benutzten Quellenwerken angelehnte portugiesische Weber], sich in Jena aufhielt, rnachte ich ihn auf jenen
Schreibweise J)om Karlos" in die heute ausschlieElich ge- Umstand aufmerksam. Auch erinnere ich mich recht wohl,
brauchliche spanische J)on Karlos" (vgl. NA 7,II S. 163). daE er diesen besonders gliicklichen Posttag in Jena wirklich
Diez besuchte die Aufftihrung am 5. Mai (vgl. D 3 S. 295 auskundschaftete, und einmal in einer mehr als gewohnlich
Z. 4-7 und D 3/66). wichtigen Angelegenheit Gebrauch davon machte. Ich habe
87 Diez' Bemerkungen iiber Johann Christian Majer lassen auch schon einige mal hier mit Hrn Prof. Diez davon ge-
vermuten, daE er ihn zu denjenigen zahlte, die seine Briefe sprochen." (Vgl. D 3/58.)
lesen konnten. Majer hatte Diez ftir seine Studienzeit in 93 Diez hatte offenbar eine urnfangreiche Korrespondenz mit
Jena mit Empfehlungsschreiben ausgestattet (vgl. D 1 S. 262 Freunden und Verwandten in der Heimat gefuhrt (vgl. auch
Z. 27- 30 mit D 1/14). AuEerdem wendet sich Diez iro fol- D3 8.294 Z.19 - 23 mit D3/60).
genden Brief an die ,Herren Juristen" unter seinen Lesern, 94 Die Studienzeit von vier Semestern, die Diez his zum Ab-

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Kommentar zu den Briefen D 2 A11 die Eltern, 21.-30. April 1792

schluE des Studiums in Jena benotigte, ist auEergewi:ihnlich selbst aufkommen. So hatte Loder im Laufe der Zeit eine
kurz. Dennoch scheint er die wichtigsten Fiicher in der bedeutende Sammlung an anatomischen Priiparaten auf-
i.ibli~hen Reihenfolge (feste Vorschriften gab es nicht) ab- gebaut, die er 1803 als Privateigentum bei seinem Weggang
solviert zu haben. Im Brief aus Ti.ibingen vom 5. Dezember von Jena nach Halle und von dort nach Konigsberg, Pe-
1791 (A 13) legte er einen Studienplan vor, den er, zu- tersburg und Moskau mitnahm. (Vgl. Steinmetz, Universitiit
mindest in den heiden ersten Semestern (vgl. die vorlie- lena (cf. A2/ 12), Bd. 1 S. 291.)
gende Stelle sowie D 5 S. 312 Z. 33 - S. 313 Z. 6) auch 98 Johann Heinrich Voigt (1751-1823) war seit 1789 au-
einhielt. Auch der Aufbau seiner Dissertation Rudimenta Eerordentlicher Professor der Mathematik in Jena; er hielt
methodologiae medicae. Accedunt tabulae pharmacologicae me- unter anderem auch physikalische Vorlesungen (vgl. Stein-
d~camentorum dosin etpretium sistentes, Tubingen 1795, folgt metz, Universitiit lena ( cf. A 2/ 12), Bd. 1 S. 308 und Bd. 2
dtesem Schema zum Studienablauf. Vgl. auch das Verzeich- S. 524 Anm. 628).
nis der Vorlesungen fUr das Sommersemester 1792 im IB 99 In seiner Anki.indigung vom 14. April 1792 (in den De-
der ALZ (cf. A 17/ 2). (Nach Auski.inften von Gerhard Ficht- kanatsakten der Philosophischen Fakultiit im UAJ, Bestand
ner, Ti.ibingen.) M 196, Bl. llW) gab Reinhold bekannt, daE er am 7. Mai
95 Gottling hatte wiihrend mehrerer Jahre bei Wilhelm Hein- mit den Vorlesungen beginnen wird, und zwar ,in des
rich Sebastian Buchholz als Apotheker gearbeitet (vgl. Herrn Kammerrath von Hellfelds Hinterhause" (vgl. auch
Steinmetz, Universitiit lena ( cf. A 2/ 12), Bd. 2 S. 521 Catalogus Praelectionum lenensi ( cf. D 2/ 29), Sommerseme-
Anm. 533). ster 1792). ,Bei Gelegenheit" dieser ,Kollegien" hat Diez
96 Justus Christian Loder (1753-1832) war von 1778 bis 1803 Reinhold seine ,Zweifeln" in Beziehung auf Reinholds Ele-
ordentlicher Professor der Anatomie und Chirurgie in Jena mentarphilosophie vorgetragen, die ftir Reinholds Position
(vgl. auch Steinmetz, Universitiit lena (cf. A2/ 12), Bd.l folgenreich waren (vgl. Reinholds Brief an Erhard vom
S. 288-291). Loder, der zu den ,groEen Anatomen" in 18. Juni 1792 (Reorganisation der Elementarphilosophie
Deutschland ziihlte (Ernst Giese, Benno von Hagen, Ge- (V 4), S. 912 Z.27ff.) und dazu ebd. S. 903ff.). ..
schichte der medizinischen Fakultiit der Friedrich-Schiller-Uni- 100 Fi.ir das Sommersemester 1792 hatte Reinhold seine As-
veristiit, Jena 1958, S. 331, vgl. S. 327-336), hatte auf die thetikvorlesung mit folgendem Wortlaut angeki.indigt:
Angelegenheiten der Universitiit bedeutenden EinfluE, so ,Theoriam scientiarum elegantiorum vulgo Aestheticam,
daE er sich selbst im Ri.ickblick als deren ,wahre[r] Kanzler, quam praemissa recentiori theoria Voluptatis, Pulchritu-
ohne den Namen davon zu ftihren", und als den ,Vertrau- dinis et Sublimitatis classicorum nostratium selectis exem-
te[n] des Herzogs von Weimar und seiner Minister" be- plaribus illustrabit." ( Catalogus Praelectionum lenensi ( cf.
zeichnen konnte (Loder an Ludwig Heinrich Jakob, 3. Fe- D 2/ 29), Sommersemester 1792.) Seit Begin!_} seiner Vor-
bruar 1810, abgedruckt in: AdolfHasenclever, ,Ungedruckte lesungstatigkeit in Jena 1788 las Reinhold Asthetik stets
Briefe Justus Christian Loders an den Nationalokonomen im Sommersemester, zusatzlich auch im Wintersemester
Ludwig Heinrich Jakob aus den Jahren 1810-1813", in: 1788/ 89. In seinen Vorlesungen folgte er zunachst his
Archiv for Geschichte der Medizin 11 1919, S. 300-314, zum Sommersemester 1790 einem Lehrbuch von Eber-
S. 302-304, Zitat S. 303; vgl. Steinmetz, Universitiit lena hard. Im Sommersemester 1791 ki.indigte er dann die As-
(cf. A2/ 12), Bd.1 S.229, 288-291). thetik erstmals ,n[ach] eign[en] Satzen" an (vgl. Vor-
97 Die Professoren muEten ftir ihr Demonstrationsmaterial lesungsanki.indigung im IB der ALZ, Nr. 48 vom 13. April

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Korn.mentar zu den Briefen D 2 An die Eltern, 21.-30. April 1792

1791, Sp. 406). An Baggesen schrieb Reinhold am 4.Juni Batsch zwischen 4 und 5 h ,historiam naturae" (vgl. Ca-
1791: ,Meine Collegien werden immer starker besucht; talogus Praelectionum lenensi (cf. D 2/ 29)).
~~ der Logik und Metaphysik haben sich 180, in der 102 Die von Gottfried Eiben in Stuttgart herausgegebene
Asthetik 98 Zuhorer aufgeschrieben." (Baggesen-Brief- Schwiibische Chronilc erschien dreimal wochentlich (Mon-
wechsell S. 39-48, S. 39) Reinholds Entschlug, Eber- tag, Mittwoch, Freitag). Sie war die wichtigste lnforma-
hards Lehrbuch nicht mehr zu verwenden, wird wohl tionsquelle fUr Nachrichten aus Wtirttemberg. Vgl. den
durch das Erscheinen von Kants Kritilc der Urteilskrafi Brief Schnurrers an Johann Eberhard Heinrich Scholl,
zur Ostermesse 1790 (vgl. AA V S. 523) veranlagt worden Thbingen, den 21. April 1793 (WLB Stuttgart, Cod. hist.
sein. Riickblickend schreibt Reinhold am 10. Juni 1793 4o 295, 15-52, S. 2 des Briefes): ,Eben deEwegen, weil
an Erhard: Jch habe endlich die schon drittehalb Jahr sie [i.e. die Schwabische Chronik; d.Hrsg.] aile Vaterlan-
riickstandige Recension der Kritik der Urtheilskraft, nach dische Neuigkeiten so frisch liefert, wird sie auch von
einer sechswochigen Arbeit, fertig, und bin im Abschrei- den Wiirtembergern im Ausland, z. B. in Gottingen, Jena
ben derselben begriffen. Bei dieser Gelegenheit babe u. s. w. gehalten."
ich eingesehen, daiS ich die Kantische Lehre von der 103 Benjamin Friedrich von Pfizer (1764-1829) war Kanzlei-
Schonheit, so wie die Einleitung zum ganzen Werke zwei advokat (vgl. Robert Uhland, Geschichte der Hohen Karls-
Jahre hindurch nicht verstanden habe." (Varnhagen von schute in Stuttgart., Stuttgart 1953 (= Darstellungen aus
Ense, Denlcwiirdiglceiten ( cf. A 3/ 97), S. 362 f., S. 363.) Rein- der Wtirttembergischen Geschichte, hrsg. von der Wtirt-
holds Rezension erschien in der ALZ Nr. 191-194 vom tembergischen Kommission ftir Landesgeschichte, Bd. 37),
1.- 3. Juli 1793, Sp. 1-32. Im NachlaE Johann Smidts sind drei S. 351.) Er hatte ftir das Sommersemester 1792 an der
Nachschriften der Asthetik-Vorlesungen Reinholds von verschiedener Karlsschule die ,Lehre von den gerichtlichen Klagen und
Hand (Smidt; Hermann Ludwig Coch (1772-1794 (vgl. Erich Fuchs, Einreden [... ] nach einem eigenen Plan" angekiindigt (vgl.
,Reinhold und Fichte im Briefwechsel zweier Jenenser Studenten SwCh Nr. 49 vom 23. April 1792, S. 97).
1793/ 94", in: Fichte-Studien Bd. 7 1995, S.143-171, 8.143)); ein An· 104 Johann Friedrich Kliipfel (1756-1806) wurde laut SwCh
onymus) erhalten. Die Manuskripte Smidts und Cochs - mit der Nr. 46 vom 16. April1792, S. 91 zum Diakon in Gro~bott­
Aufschrift ,1792/3" versehen - sind wahrscheinlich als Reinschriften war ernannt. 1800 wurde er Pfarrer in Gachingen (vgl.
von Notizen aus den Vorlesungen der Sommersemester 1792 und GMB). Er ist ein Cousin von Friedrich August Kli.ipfel, somit auch
1793 anzusehen, da Reinhold im Wintersemester 1792/ 93 keine As· entfernter Cousin von Diez. Sein Vater Johann Albrecht Kli.ipfel (1728-
thetikvorlesung gehalten hat (StA Bremen, Smidt Archiv, Sign.: 7,20-II. 1795, seit 1770 Dekan in Weinsberg) und Friedrich August Kli.ipfels
V.R.). (Die heiden Bremer Studenten Smidt und Coch immatrikulierten Vater Jacob Friedrich (1718-1785) waren Bruder. (Vgl. Faber, LXIX.
sich in Jena am 26. April 1792 (MJ).) - Uber Reinholds Astbetik· Brodbek-Stikel'sche Stiftung, B, § 40 f und h, XXVI. Weinmann'sche
Vorlesung erziihlt Goritz in seinen Erinnerungen i.iber ,Schiller in Stiftung, Instituierte B, § 59, und LXV. Fiirber-Stift in Calw, H, § 8;
Jena" (cf. A 13/ 11), S. 901: ,Schiller besuchte die Gesellschaft mit hier wird Johann Friedrich irrti.imlich als Johann Heinrich bezeichnet.)
Vergni.igen, aber bald entleidete das groEe Kind Reinhold ihro die 105 Ludwig Ferdinand Dapp (1756-1844) war Kanzleiadvok~t
Gesellschaft. Reinhold hatte Astl1etik gelesen. Schiller fing auch Vor· in Thbingen und wurde laut SwCh Nr. 45 vom 13. Apnl
lesungen dari.iber an. Reinhold machte immer sehr groge Anspriiche 1792, S. 89, herzoglich wiirttembergischer Rat und ,Stabs-
und nahm diese Kollision i.ibel."
keller". Dapp war entfernt mit Diez verwandt: Sein GroEonkel war
mit einer Cousine des GroEvaters von Diez verheiratet (vgl. Faber,
101 Im Sommersemester 1792 las August Johann Georg Karl

668 669
Kommentar zu den Briefen D 2 An die Eltern, 21.-30. April 1792

XXV. Bocer'sche Stiftung in Tubingen, §§ 336, 205, 104, 68 sowie die Nummer A218, das verkaufte Haus an der Ecke
123 (Dapps GrofSonk.el), und XXVI. Weinmann'sche Stiftungin Thbingen, Markt/ Kleine Rathausgasse hatte 1781 die Hausnummer
InstituierteB, §§ 60,28, 14, 8 sowie 13 (CousinevonDiez' Gro~vater)). A210, 1810 A216. (Auskiinfte von Volker Wahl, Weimar,
106 Johann Friedrich Gaab wurde laut SwCh Nr. 48 vom 20. und Jorg Valtin, Jena.) Nach Diez' Beschreibung des Blickes
April 1792, S. 96, zum auEerordentlichen Professor fur aus seinem Zimmer (D 2 S. 274 Z. 21-28) rouE das Hei-
Philosophie in Thbingen ernannt. ligenstadtische Haus an der nordlichen Seite des Marktes
107 Gottfried Gabriel Knapp (1764 -1828) wurde auf diese gelegen haben. Nach Wiedeburg, Stadt lena ( cf. A 20/ 2),
Stelle (vgl. A 5/ 5) erst 1800 ernannt. Knapp studierte von Bd. 1 S. 265, lag ,an der Mitternachts-Seite des Marktplat-
1784 his 1789 Philosophie und Rechtswissenschaften in zes" das ,vormalige Gansonische itzt Heiligenstedtische
Tiibingen (MTti Nr. 38297 S. 321). Danach war er als Ad- und daran das eben dieser Besitzerin gehorige Wirths-
vokat am Hofgericht in Tiibingen tatig (vgl. Herzoglich HauE zur Sonne". (Vgl. die Abbildung 12 im Bildteil
Wirtembergisches Adrefi-Buch ( cf. A 3/ 92), S. 269). 1800 (VII).) Im Heiligenstadtischen Haus befand sich auch die von Christian
wurde er Oberamtmann, Kloster- und Forstverwalter in Friedrich My!ius (1 762-1841) gegri.indete sogenannte Akademische
Alpirsbach in Wtirttemberg, 1817 Kanzleidirektor des Ap- Lesebibliothek,die 1788vondemHofbi.icherko=issar Johann Gottfried
pellationsgerichtshofes in Tiibingen und 1819 Justizrat Voigt i.ibernommen wurde (vgl. Felicitas Marwinski, Von der ,Societas
in Rottenburg. Er publizierte einige juristische Schriften. litteraria "zur Lesegesellschujt. Gesellschujtliches Lesen in Thii.ringen wiihrend
Knapp war auf verschiedenen Wegen, wenn auch nur entfernt, mit des 18. und zu Beginn des 19.]ahrhunderts und sein Einjlufi aif den
Diez verwandt. Seine Tante Johanna Agathe Heller, geb. Knapp (1706- Emanzipationsprozefi des Bii.rgertums, phil. Diss. Jena 1982, Bd. 1 S. 56 ff.
1756), war die Schwiegermutter von Diez' Tante Maria Friderica Heller. und Bd. 2 S. 27 Anm. 227 sowie S. 30 Anm. 269; Friedrich Li.itge, Geschichte
Knapp selbst heiratete, allerdings erst 1796, deren Nichte Ludovika des ]enaer Buchhandels einschliefilich der Buchdruckereien, Jena 1929,
Henriette Regina Friederike Finckh (1775-1827), eine Tochter von S. 211, 288 f.; Faselius, Kurze Beschreibung von lena ( cf. D 2/ 74 ), S. 56 f.).
Georg Jakob Finckh (1724-1803), Hofkammerrat in Stuttgart, und Neben Diez haben zeitweise auch Goritz, Niethammer und Conz dort
Christine Karoline Heller (1745 -1802). (Vgl. Faber, XXX. Strylin'sche gewohnt (vgl. D1 S.261 Z.12-17, D2 8.273 Z.23-30, D4 S.298
Stiftung, § 182, CIII. Etzel'sche Stiftung in Vaihingen, B, § 14, und Z. 19£. und D 2/ 53; NA26 8.115, 560).- Diez zog im Spatsommer
CXLVIII. Heller'sche Stiftung (unveroffentlicht), §57; Deu.tsches Ge- oder Herbst 1792 in das Haus von Batsch (vgl. D 4 S. 306
schlechterbuch (cf. A 18/ 4) Bd. 71 1930, S. 92-95, 119-122, 126-130; Z. 10 mit D 4/ 51). Auch Niethammer zog zwischen dem
Entwurf zu einer genaueren Verwandtschaftsi.ibersicht (Ms., Archiv des Sommer 1792 und dem Friihjahr 1793 urn (vgl. E 1/9).
Jena-Projekts). Zu Knapps Person vgl. auch Albert Knapp, Lebensbild.
Eigene Aufteichnungen., hrsg. von Joseph Knapp, Stuttgart 1867, 8. 17,
20, 26f. und 30.)
108 Der Hofadvokat und Landschaftskassierer Johann Carl
Ehrhardt Heiligenstadt besaE, wie die Ratsgiiterbi.icber
der Stadt Jena ausweisen, zwei Hauser am Markt in Jena,
wovon eines 1789 verkauft wurde. Diez wird aller Wabr-
scheinlichkeit nach im Wohnhaus der Familie Heiligenstiidt
ein Zimmer gehabt haben. Dies heute nicht mehr existie-
rende Haus hatte 1781 die Hausnummer A216 und 1810

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Kommentar zu den Briefen D 3 An die Eltern, 29. Mai - 1. Juni 1792

Geheimer Regierungsrat und wurde 1791 mit dem Titel


D3 eines Ge~eimen Assistenzrats in das Geheime Consilium
Immanuel Carl Diez, Jena berufen, wo er alsbald eine gewichtige Position einnahm.
Dienstag, den 29., Mittwoch, den 30. Mai, 1794 wurde er Geheimer Rat. (Vgl. GAS II,1 S. 85-90.
und Freitag, den l. Juni 1792 Vgl. auch den Briefvom 24.-29. Oktober 1792 (D 5), S. 316
Z. 17 ff.)
6 Dag diese Aussage nur zum Teil zutrifft, ist sowohl aus
Manuskriptheschreihung der Literatur (vgl. D 4/2) als auch aus Diez' Brief vom 24.
Juli 1792 (D 4) zu entnehmen (vgl. auchAspekte des Lebens
Standort: UBT, Mh 732. in Jena (Vl4), S. 1037ff.).
Anzahl der Lagen und Blatter: Lage mit 2 Doppelbliittern; Format in ern (Hohe
X Breite): 21,1-21,4 X 17,2; Riinder oben und unten, am 1. Doppelblatt auch
7 Schiller wohnte vom 11. Mai 1789 his 7. April 1793 in der
a~Een beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Papierfarbe: chamois. "Schrammei" (Haus der Geschwister Schramm, die auch
'r.mte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 8 von 8; Faltung: quer, dann die Verkostigung der Tischgesellschaft besorgten) in der
langs.
Jenergasse. Zur Tischgesellschaft vgl. Schiller an Korner
Besondere Bemerkungen: von fremder Hand paginiert 9-16; S.1links oben
von fremder Hand: "gieng ab d 1. Juny Freyt. Nachts aus Jena I karn and
vom 1. Januar 1792, NA 26 S. 126-128, S. 128; vgl. auger-
1l.ten (Montags) Nachmittags zu Thbingen"; S. 8 links unten von fremder Hand dem Goritz' Bericht ,Schiller in Jena" (cf. A 13/11), S. 882,
(moglichetweise identisch mit S. 1): "pr. d. 11. Juny 1792."; Papierqualitiit 886-888; Schiller-Chronilc (cf. D 1/3), S. 125, 160; Fritz
entspricht der von D 2. Kiihnlenz, Schiller in Thii.ringen. Stiitten seines Lebens und
Wirlcens, Rudolstadt 1976, S. 122 und Aspekte des Lebens
in Jena (Vl4), S. 1044ff.
Kommentar 8 Schiller, der seit Januar 1791 an einer chronischen Rip-
penfellentzi.indung als Folge einer krupposen Pneumonie
1 Zur Tischgesellschaft vgl. D 3/7. litt (vgl. Wilhelm Theopold, Schiller. Sein Leben und die
2 In Jena fiel der Vorlesungsbeginn fur die Sommersemester Medizin im 18.fahrhundert, Stuttgart 1964 (= Medizin in
auf den Montag nach Jubilate, wie unter anderem aus amt- Geschichte und Kultur, hrsg. von R. Redinger, K. E. Roth-
lichen Protokollen hervorgeht (vgl. SA Coburg, LA E20ll, schuh, Bd. 6), S. 163 f.), hatte auf der Ri.ickreise aus Dresden
,Die Vorschlage zur Aufnahme und Verbesserung der Aca- (vgl. D 1/3) in Leipzig im Hause des Verlegers Goschen
demie betreffend"). 1792 war dies der 30. April, der im einen Ri.ickfall (vgl. Schiller-Chronilc (cf. D 1/3), S. 154).
gedruckten lateinischen Lektionskatalog ( cf. D 2/29), wo 9 Johann Carl von Fichard.
der Vorlesungsbeginn anzuzeigen war, auf dem Titelblatt 10 Die Anspielung bezieht sich wohl auf Christian Friedrich
als Semesteranfang genannt wird. Rosier, den ordentlichen Professor fur Geschichte in Tii-
3 Friedrich Leopold Kruse (1766 -1850) wurde 1792 Kammer- bingen (vgl. A3/71). Karl Kli.ipfel urteilte in seiner Uni-
archivar in Weimar (vgl. D3 S.292 Z.4-7; GAS IV 8.87). versitatsgeschichte i.iber ihn, dag er sich als Professor und
4 Christian Gottlob Voigt (1774-1813), der jiingste Sohn Schriftsteller ,viele Verdienste" und als Lehrer durch ,seinen
des geheimen Rats (vgl. D 3/5), trat 1796 in den Weimarer lebendigen und witzigen Vortrag" auch ,vielen Beifall" er-
Staatsdienst ein (vgl. GAS IV S. 149). worben habe, ,doch litt seine Behandlung der Geschichte
5 Christian Gottlob von Voigt (1743-1819) war seit 1789 an dem [... ] Fehler seiner Zeit, dag er zu viele Anekdoten

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Ko=entar zu den Briefen D 3 An die Eltern, 29. Mai - 1. Juni 1792

erzahlte, das GroEartige in der Entwicklung verkannte, und und Mangel sowie tiber Mittel, ihnen abzuhelfen, darum,
das ganze Interesse auf kleine menschliche Leidenschaften vor dem ErlaE der neuen Statuten des Herzoglichen Stifts
zurtickft.ihrte" (Kltipfel, Universitiit Tiibingen ( cf. C 10/ 5), in den die Universitat bertihrenden Fragen gehort zu wer-
S. 211; vgl. auch Hetta Link, Die Geschichte des historischen den. Als einen der Mangel der Universitat erwahnt der
Lehrstuhls an der Universitiit Tiibingen zwischen 1744 und Senat, daE mit Rticksicht auf das , Stipendium" die Vorle-
1836, phil. Diss. (masch.) Thbingen 1948, S. 48 (mit Bei· sungen manchen Einschrankungen unterlagen. So wiirden
spielen), und Horst Fuhrmann, ,Die Universitat Thbingen etwa die theologischen Vorlesungen am Montag dem Loco
und die AnHinge der MGH", in: Deutsches Archiv for Erfor· theologico aufgeopfert. (HSA Stuttgart, A 202 Bii 2573,
schung des Mittelalters 251969, S. 209-215, 210-212, ins· Blatt 29) In den Sti.fts-Statuten von 1793 (cf. A3/ 77) wurde
besondere auch Anm. 5). im Ersten Abschnitt, § 7, dieser vielfach geauEerten Klage
11 Vgl. hierzu die tiber Fichard berichteten Anekdoten, z. B. Rechnung getragen.
bei Johann Heinrich Hennes, Andenken an Bartholomiiu.s 17 Nikolaus Heinrich Brehmer (1765-1822) immatrikulierte
Fischenich. Meist aus Briifen Friedrichs von Schiller und Char· sich in Gottingen am 5. Mai 1789 (MGo Nr. 15267 S. 316)
lottens von Schiller, Stuttgart, Thbingen 1841, S. 11, welche und war nach dem Studium praktischer Arzt in Lubeck.
kein Anzeichen von Schonung merken lassen. In der Matrikel von Jena ist er nicht nachzuweisen (Auskunft
12 Zu Diez' Programm ft.ir das Sommersemester 1792 vgl. D2 der Thiiringer Universiti:its- und Landesbibliothek Jena, Abt.
S. 280 Z. 11 - S. 281 Z. 14. Handschriften und Sondersammlungen vom 24. Juni 1995).
13 Wahrscheinlich ist Gottfried Gabriel Knapp gemeint (vgl. Auch zu Beginn seines Medizin-Studiums hat sich Brehmer
D 2/ 107), denn den zweiten in Frage kommenden, von nicht immatrikuliert (MJ).
Diez in den Briefen direkt angeredeten Adressaten, dessen 18 Berlin war im 18. Jahrhundert zu einem der bedeutendsten
Name mit ,K." beginnt- Kltipfel-, spricht Diez mit ,Gustel" Zentren ftir die medizinische Ausbildung in Deutschland
an (vgl. D1 8.261 Z.19 und Z.22). aufgestiegen, obgleich es dort his 1810 keine Universitat
14 Im Schwabischen heiEt es ,der Butter" (vgl. SW I, Sp. 1565). und somit keine Moglichkeit zur Promotion gab. Allerdings
Daraus erklart sich die Hervorhebung von Diez. hestand mit dem Collegium medico-chirurgicum eine Art
15 Der ,dies academicus" war ein Wochentag - an der Tiibinger Medizinhochschule, die dazu eingerichtet war, den Ausbil-
Universitat nach dem VisitationsrezeE von 1744 ein Don· dungsstand der preuEischen A.rzte zu heben, die aber auch
nerstag - , an dem keine offentlichen Vorlesungen stattfinden ,eine groEe Anzahl fremder Studirenden, und viele junge
durften. Erwar anderen akademischen Veranstaltungen, unter promovirte Aerzte" nach Berlin zog, ,urn sich in allen Zwei-
anderem dem offentlichen Gottesdienst, Sitzungen des aka· gen der Medicin und Chirurgie zu vervollkommnen" (Jo-
demischen Senats, der Fakultaten, aber auch der Vorbereitung hann Formey, Versuch einer medicinischen Topographie von
der Studenten und fUr Repetitionen vorbehalten. (Vgl. Her· Berlin, Berlin 1796, S. 246). Neben der bloEen theo~_etischen
zogl. Visitations-Rezesse von 1744, in: Reyscher, Wiirttem· Unterweisung wurde groEer Wert auf praktische Ubungen
bergische Gesetze ( cf A 3/ 79), Bd. XI,3 S. 376-394, S. 383; Bok. gelegt. Daft.ir bot das Theatrum anatomicum, wo jahrlich
Geschichte der Universitiit zu Tiibingen ( cf. A 3/ 77), S. 28~ 9 iiber 200 Leichen zu Ubungszwecken seziert worden ( ebd.
S. 253 f.), ebenso Moglichkeiten wie die Charite, das groEte
16 Vgl. A 5/ 10. Am 7. Juni 1792 bat der Senat der Universttat
Tt.ibingen in seinem Bericht an den Herzog tiber die ge· Berliner Krankenhaus des 18. Jahrhunderts, das seit 1789
genwartige Verfassung der Universitat und tiber Gebrechen ein klinisches Institut fUr den Unterricht am Krankenbett

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Kommentar zu den Briefen D 3 An die Eltern, 29. Mai - l. Juni 1792

nach dem Leydener Modell Hermann Boerhaaves unterhielt. Gottlieb Tafinger, Johann Christian Majer, Johann Daniel
(Vgl. D 3/ 20; Formey, medicinische Topographie, S. 246-263 Hoffmann, aber auch in den Briefen nicht namentlich ge-
und Rolf Winau, Medizin in Berlin, Berlin, New York 1987, nannte Personen (vgl. Entwurf zu einer genaueren Ver-
S. 57-123.) wandtschaftsiibersicht (Ms., Archiv des Jena-Projekts)). -
19 Johann Andreas Murray (17 40-1 791) war seit 1764 au- Friedrich Ernst Karl Mereau hatte bis zur Zeit der Abfassung
Eerordentlicher, seit 1769 ordentlicher Professor der Me- von Diez' Bericht folgende Schriften verfaEt: Tractatus de
dizin in Gottingen. passibus capitulationum novissimarum contradictis in genere,
20 Schwab.: pflegen (SW L Sp. 82). Zu Ausgang des 18. Jahr- Jena 1789; Diplomatisches Lesebuch zur Beforderung der de-
hunderts hatte sich das Modell des klinischen Erfahrungs- monstrativen Lehrmethoden, aus den besten neuesten diploma-
unterrichts, das der Leidener Mediziner Hermann Boer- tischen Werlcen gesammelt und mit pralctischen Anmerlcungen
haave (1668 -1738) eingefuhrt hatte, europaweit durchge- versehen, 2 Bde. Jena 1791; Miscellaneen zum deutschen Staats-
setzt. Kerngedanke war es, durch Beobachtung des undPrivatrechte, 2Bde. Jena 1791-1792. Unter den Schrif-
menschlichen Korpers und des Krankheitsverlaufes sowie ten, die spiiter erschienen, sind hervorzuheben: Versuch einer
durch den Umgang mit dem Patienten die in der medizi- Anleitung zur richtigen Abfassungjeder Art rechtlicher Geschiijte,
nischen Theorie erworbenen Kenntnisse zu bestiitigen und mit einem Anhang auserlesener Actenstiiclce, 2 Bde. Jena 1792-
zu erweitern. (Vgl. Anton Schindling, Bildung und Wissen- 1795; Sammlung auserlesener Actenstiiclce, zum Behuj undEr-
schafi in der friihen Neuzeit 1650-1800, Miinchen 1994 (== liiuterung seiner Anleitung zu rechtlich pralctischen Arbeiten,
Encyklopiidie deutscher Geschichte Bd. 30), S. 59-61; Paul Jena 1793-1796. Zu seiner Lehre vgl. D 1/ 10.
Diepgen, Geschichte der Medizin. Die historische Entwicklung 25 Christian Gottlob von Voigt heiratete 1770 in erster Ehe
der Heillcunde und des iirztlichen Lebens, 3 Bde. Berlin 1949- Johanna Viktoria, verw. Michaelis, geb. Hufeland (1741-
1955, Bd.1 S.303-306, 317f., Bd.2 S.29f.) 1815).
21 Zum Aufbau des Medizinstudiums vgl. D 2/ 94. 26 Christian Gottlob von Voigt hatte eine Tochter namens
22 Die Anstellung erfolgte erst am 9. Februar 1793. Mereau Caroline Amalie Viktoria (1773 -1825) (vgl. Goethes Briej-
bekleidete die Stelle bis 1800. Die Besoldung betrug 200 wechsel mit Christian Gottlob Voigt, Bd. 4 unter Mitwirkung
Taler, sechs Scheffel Korn und drei Scheffel Gerste im von Wolfgang Huschke bearb. und hrsg. von Hans TUmmler,
Jahr. (Vgl. Geschichte der Universitiitsbibliothelc lena 1549- Weimar 1962 (= Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 56),
1945, Weimar 1958 (= Claves Jenenses. Veroffentlichungen S. 730).
der Universitiitsbibliothek Jena, hrsg. von Karl Bulling, 27 Friedericke Juliane Griesbach, geb. Schutz (1755 -1831)
Bd. 7), S. 262-291.) (vgl. GAS N S. 64).
23 Mereau heiratete 1793 Sophie Schubert (1770-1806) aus 28 Zu Reinholds Rolle in Jenas Gesellschaft vgl. Aspekte des
Altenburg, die als Schriftstellerin Ansehen erlangte und Lebens in Jena (VI 4), S. 1049 ff.
wegen ihrer emanzipierten Lebensftihrung auch Aufsehen 29 In den folgenden uns iiberlieferten Briefen aus Jena geht
erregte. 1801 wurden sie geschieden, und Sophie heiratete Diez nicht mehr niiher auf Reinhold ein (vgl. auch D 4/ 1,
zwei Jahre spiiter Clemens Brentano. D 5/ 16).
24 Im Freundes- und Verwandtenkreis, die Diez' Schilderungen 30 Reinholds Frau Sophie Katharina Susanne (1768-1837)
aus Jena interessieren und wahrscheinlich lesen konnten, ist die iilteste Tochter des Dichters Christoph Martin Wieland
gab es zahlreiche Juristen, unter ihnen Friedrich Wilhelm (1733 -1813) und des sen Frau Anna Dorothea Hillenbrand,

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Tochter eines Augsburger Kaufmannes. Anfang Mai 1784 druckt in: Carl Ludwig Fernow's Leben, hrsg. v. Johanna
lernte Reinhold die damals ftinfzehnjiihrige Sophie bei sei- Schopenhauer, Thbingen 1810, S. 93-99, S. 95 und 97).
nem ersten Besuch im Hause Wielands kennen. Ihre Bach- Kaum. wahrscheinlich ist, dlill hier Martin Liedem.ann (1767 -1837), un-
zeit fand am 16. Mai 1785 statt. (Vgl. NA 42 S. 522; Karl garischer Theologe und Piidagoge, gem.eint ist. Er hatte sich am. 19. April
Neumann-Strela., Aus Weimars goldenen Tagen. FiirstundDich- 1788 in Jena im.m.atrikuliert (MJ) und war bereits 1791 nach Gottingen
ter im Familienkreise, Halle a. d. Saale 2 1913, S.191, 199f., gegangen (Irnm.atrikulation am. 6. Mai 1791 (MGo Nr.15901 S. 329)).
und Reinhold, Korrespondenzausgabe ( cf. A 3/ 99), Bd. 1 S. 48 1793 wurde er Professor und Direktor an der evangelischen Oberschule
Anm. 1 und S. 381.) in Leutschau, 1815 ginger als evangelischer Pfarrer nach Cluj in Rum.iinien
31 Johann Heinrich Varnhagen (1770-1805) aus Dortmund, (vgl. Auskunft des Archiv Hlavneho mesta sr Bratislavy vom 3. Januar
am 3. Mai 1790 in Jena immatrikuliert (MJ), spater Doktor 1994). Er ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Verfasser eines Eintrages
der Medizin (vgl. Carl Hugelmann, Ein Stammbuch aus dem in Nietham.m.ers Stammbuch vom. 15. April1791 , der nur mit ,Liedem.ann"
Kreise Karl Leonhard Reinholds. (lena und Kiel. 1792 -1795.), "an meinemAbschiedsTage" unterzeichnet ist (NhSB 1. Ordnung BL 1301).
Wien 1910, S. 24 Anm. 1). Die konsultierten Quellen weisen Auf seiner ,Lust-Reise" nach dem ungarischen PreEburg,
ihn nicht als adelig aus. die er Anfang April1796 von Wien a us unternahm, besuchte
32 Sehr wahrscheinlich ist Georg Adolph Liedemann aus Un- Diez ,Freund Liedemann, ein[en] gute[n] Freund aus Jena,
garn, dessen Lebensdaten nicht nachzuweisen waren, ge- der auch in den Berichten von Jena erwahnt ist" (Bericht
meint. Er immatrikulierte sich am 18. Oktober 1791 an der Reise nach PreEburg, Wien, den 12. April 1796, S. 1,
der Universitat Jena (MJ) und ist dem engeren Umkreis 3; UBT, Mh 732). Vgl. auch Diez' Brief an Niethammer
Reinholds zuzurechnen. Im Namen der ungarischen Lands- vom 10. Mai 1796 (E 8), S. 348 Z.16-20 mit E 7/ 2.
mannschaft unterzeichnete er die Adresse der Studenten 33 Zu den Studentenzahlen vgl. D 5/ 1.
an Reinhold nach Bekanntwerden seiner Berufung nach 34 Friedrich Heinrich Jacobi, Eduard Allwills Briefsammlung,
Kiel im Juli 1793 (abgedruckt in: Ernst Reinhold, Karl mit einer Zugabe von eigenen Briefen, Bd. 1 Konigsberg 1792.
Leonhard Reinhold's Leben und litterarisches Wirken, nebsteiner Unter dem Titel: ,Eduard Allwills Papiere" war der Brief-
Auswahl von Briifen Kant's, Fichte's, Jacobi's und andrer phi- roman zuerst in der Zeitschrift Iris Bd. 4 1775, St.3 S. 193-
losophirender Zeitgenossen an ihn, Jena 1825, S. 64-66, dort 236, und in einer erweiterten Fassung im Teutschen Merkur
wiedergegeben als Georg Adolph Lindemann). Anfang Ok- VOID April 1776, S.14 - 75, VOID Juli 1776, 8.57-71, VOID
tober 1793 verlieE er Jena., urn iiber Bern, Zurich, Augsburg Dezernber 1776, S. 229 - 262, erschienen. -Reinholds Lek-
und Wien in seine Heimat zuriickzukehren (vgl. dazu die tiire des Briefromans wird auch durch seinen Brief an Bag-
Briefe Jens Baggesens an seine Frau Sophie, Augsburg, gesen vom 11. Juni 1792 bezeugt (abgedruckt in: Bagge-
den 18./19. Dezember 1793 und Klagenfurt, den 9. Febru~ sen-Briefwechseli S. 194-196, S. 196): JndeE habe ich
1794 (Det Kongelige Bibliotek K0benhavn, Ny konge~g durch die neue, mit elf Briefen vermehrte Ausgabe von
Samling 2552 II A 4°) sowie die Briefe Carl LudWig Allwill's Papieren ein Paar Tage in einer Art von himmlischer
' ' , 93 Wonne zugebracht, die nur selten durch schiefe Philoso-
Fernows an Johann Pohrt, Bern, den 27. November 17 '
abgedruckt in: Car/Ludwig Fernow. Ri/mische Brieje an]ohan; pheme des Jacobi'schen Supernaturalismus unterbrochen
Pohrt 1793-1798, hrsg. von Herbert von Einem und Rudo wurde."
Pohrt, Berlin 1944, Nr. I, S. 64 - 67, S. 67, und an Karl Le- 35 Christian Friedrich Hargens (1773 -1829) aus Eutin im-
onhard Reinhold, Wien, den 1. und 2. Januar 1794, abge- rnatrikulierte sich in Jena am 15. Oktober 1790 (MJ). Vgl.

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Kommentar zu den Briefen D 3 An die Eltern, 29. Mai - 1. Juni 1792

auch seinen Eintrag in das Stammbuch Niethammers (April 44 Vielleicht Karl Valerian Bottiger (gest. 1823) aus Meiningen,
1791, NhSB 1. Ordnung Bl. 123r). der am 9. Juni 1791 in Jena immatrikuliert wurde (MJ).
36 Johann Heinrich Voss (1751-1826), als Philologe durch 1793 wurde er ,Pagenhofmeister mit dem Pradicat eines
die Ubersetzung der Werke Homers bekannt geworden, Legationssecretairs und dem Acce~ bei der Regierungs-
war seit 1782 Rektor in Eutin. canzlei" (Auskunft des Thiiringischen Staatsarchives Mei-
37 Johann Christian Stark, der Altere (1753-1811), war ab ningen vom 30. Juni 1995). Er trug sich im September
1779 au~erordentlicher und von 1784 an ordentlicher Pro- 1793 in Niethammers Stammbuch ein (vgl. NhSB 2. Ord-
fessor der Medizin in Jena. Seit 1786 war er auch hoch- nung Bl. 23~.
geschatzter Arzt der Herzogin Mutter Anna Amalia, des 45 Karl Friedrich Johann Eckbrecht von Diirckheim-Mont-
Herzogs Carl August sowie von Goethe und Schiller. (Vgl. martin (1770-1836) aus Schwaben war seit dem 1. Mai
Steinmetz, Universitiit lena (cf. A2/ 12), Bd.1 S.29lf. und 1790 in Jena immatrikuliert (MJ; vgl. Der Gotha. Genealo-
Bd. 2 S. 521 Anm. 510.) gisches Taschenbuch der deutschen griiflichen Hauser, Gotha
38 Die hier von Diez berichtete Anekdote kann als weiterer 1827 S. 187-189; vgl. auch Diirckheims Eintrag in das
Beleg fur die in der Literatur vielfach bezeugte Rivalitiit Stammbuch Niethammers (17. Januar 1791, NhSB 1. Ord-
Loders und Starks gelten (vgl. Steinmetz, Universitiit lena nung Bl. 117~).
(cf. A2/ 12), Bd.1 S.236, 291). 46 Zum Klub vgl. D 2 S. 276 Z. 11 - S. 277 Z. 12.
39 Name und Lebensdaten der Mutter Paul Ludwig Ferdinand 47 Am 24. Mai 1792 hatte Niethammer sich urn die vakante
Ebers haben sich nicht nachweisen lassen. Ebers Schwester vierte Stelle eines Adjunkten der philosophischen Fakultat
Henrietta Wilhelmina Sophia Eberhardina (geb. 1755) war beworben. (Adjunkte waren "Gehilfen" der Fakultat., die
seit 1773 mit dem Theologen Ernst Jakob Danovius (1742 - unter anderem bei Disputationen als Opponenten auftraten.
1782) verheiratet. (Vgl. ev. Kirchenregisteramt Jena, Tauf- Im Gegensatz zu den sonstigen Privatdozenten besa~en
buch Bd. 6, S. 34; Auskunft von Volker Wahl, Weimar, vom sie die Anwartschaft auf die nachste freiwerdende Professur,
15. April1985; Steinmetz, Universitiit]ena (cf. A2/ 12), Bd. 2 was jedoch am Ende des Jahrhunderts immer weniger be-
S. 771.) achtet wurde, so da~ diese Stellen urn 1800 ganz ver-
40 Zur Jenaer Gartenkultur, den Garten der Familien als Ort schwanden.) Die ~djunctura Ordinaria Fac. philos." wurde
der Geselligkeit., vgl. Aspekte des Lebens in Jena (VI 4), ihm am 3l.Mai 1792 iibertragen (vgl. UAJ, Bestand M,
S. 1042f. Nr. 196, Bl. 44r, Dekanatsakten der Philosophischen Fakultat
41 Vgl. oben D 2/62 und /64. 1792). (Vgl. D 3/ 51.)
42 Kajetan Tschink, Wundergeschichten, sammt dem Schliissel zu 48 Niethammer, dem die Erlaubnis zum Studium im Ausland,
ihrer Erkliirung, Wien 1792. . wie iiblich, nur in Erwartung einer spateren Bedienstung
43 Die beiden Kinder Reinholds waren Caroline Friedenke in Wtirttemberg erteilt worden war und der au~er einem
Dorothea (geb. 1786, gest. nach 1849) und Johann Gottfr~ed Familienstipendium auch eine Unterstiitzung aus dem Wtirt-
Heinrich Karl (1788-1816). Wenige Tage nach Diez' Br~ef, tembergischen Kirchenfonds fur seinen Studienaufenthalt
am 2. Juni 1792, wurde noch Heinrich August Friedrich in Jena erhalten hatte (vgl. A2/ 1, A 4/ 5, A 5/ 2), erhielt
Wilhelm geboren, der aber schon im November desselben nach seiner Mitteilung der Ernennung zum Adjunkten an
Jahres gestorben ist. (Vgl. Starnes, Wieland-Chronik (cf. das Konsistorium von diesem die Erlaubnis, seinen Auf-
C 9/22), Bd. 2 S. 269 Anm. 23 und Bd. 3 S. 601.) enthalt in Jena zu verlangern (vgl. Schnorrer an Niethammer

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Kommentar zu den Briefen D 3 An die Eltern, 29. Mai - 1. Juni 1792

vom 18. Dezemher 1792 (S. 1; in Privatbesitz)). 1794 wurde deren erster Teil dann pro venia legendi, der zweite pro
er auf eigenen Wunsch aus dem Herzoglichen Stipendium loco Adiuncti vorgelegt wurde ( vgl. Niethammer, De per-
entlassen, ohne da~ seine Studienkosten zuruckerstattet suasione ( cf. A 2/ 1), Anhang S. 28). Nach den gedruckten
werden muEten (vgl. LKA Stuttgart, A 13 r.l Bd. 4; vgl. Titelblattern sollte die Verteidigung des ersten Teils am
auch D 5 '36). 24. August (vgl. aber D 3/ 52), die des zweiten Teils am
49 Mit Heinerike wird wohl Diez' Schwester Charlotte Henriette 27. August stattfinden. Eine deutsche Fassung ftir den Buch-
gemeint sein, deren Rufname Heinrike oder Heinrika ge- markt erschien noch im selben Jahr unter dem Titel Uber
wesen sein muK Dies legt ein Eintrag in den Taufbuchern den Versuch einer Kritilr. aller Ojfenbarung, eine philosophische
von Weinsberg nahe, in denen sie als Taufzeugin Franz Abhandlung in Jena. (Vgl. auch D 5/ 35.)
Christian euffers, des Sohnes der Schwester Charlotta 52 Diez war dann doch nicht unter den Opponenten Niet-
Augusta euffer, festgehalten ist (vgl. Taufbuch Weinsberg hammers, die offiziell zu bestimmen Sache des Dekans
( cf. A 3/ 92) von 1792): ,Jungfer Heinrika Charlotta Herrn war. Aus den Protokollen der philosophischen Fakultat geht
Professor Diezens Tochter in Ttibingen". Carl Philipp Diez hervor, da~ Niethammer sich am 25. August 1792 mit dem
gab am 20. Juni 1796 ihren Tod unter dem Namen Heinrike ersten Teil der genannten Dissertation ( cf. D 3/ 51) habili-
in der Schwiibischen Chronilr. bekannt: ,Ttibingen. In voriger tierte, wobei Friedrich Christian Leberecht Hederich Re-
acht wurde mir meine Tochter Heinrike, 22 Jahre alt, durch spondent war; Reinhold, Paulus und Friedrich Karl Forberg
den Tod entrissen. Es ist das 13te Kind [... ]" (SwCh vom waren Opponenten. Dagegen war Diez unter den Opponenten
22. Juni 1796, S. 164). - ,Heinerike" konnte sich aber auch bei der Habilitation von Forberg am 15. September 1792
auf Wilhelmine Henrike Tafinger beziehen, von der im vor- (vgl. UAJ, Bestand M, Nr. 740, Protokollbuch der Philoso-
angegangenen Brief die Rede war (vgl. D 2 S. 278 Z. 13 - 18 phischen Fakultat 1792; vgl. auch A 6/ 16). (Vgl. Cadi VII. 4.)
und D2/ 80). 53 Uber den zweiten Teil der genannten Dissertation ( cf.
50 Zur Frau Schwab in und ihrer Tochter vgl. A 3/ 106. Heinrike D 3/ 51) disputierte Niethammer am 27. August 1792 (vgl.
Karoline Schwab hatte am 17. Mai 1792 den Mediziner auch D 3/ 52), womit er zum ,Adjunctus designatus" wurde.
Christian Gottlob Hopf (1765-1842), seit 1794 Professor Wie schon zwei Tage zuvor war Friedrich Christian Lebe-
der Medizin in Thbingen, spater Oberamtsarzt in Kirchheim recht Hederich Respondent. Als Opponenten werden ,Hr.
unter Teck, geheiratet, war also zum Zeitpunkt des Briefes M. Kirsten", ,Hr. Herchius" und ,Hr. Ludemann" genannt
schon verheiratet, was Diez und Niethammer offenbar noch (UAJ, Bestand M, Nr. 740, Protokollbuch der Philosophi-
nicht wu~ten, wahl aber mutma~ten. Hopf immatrikulierte schen Fakultat 1792). Der Erstgenannte ist sehr wahrschein-
sich in Ttibingen 1783 zunachst ftir Theologie und wur~e lich Johann Friedrich Ernst Kirsten (1768 -1820), der in Jena
1785 Magister (MTh Nr. 38209 S. 315). 1790 wurde er ~ seit dem Wintersemester 1791/ 92 his zum Wintersemester
Thbingen als Medizinstudent eingeschrieben (M'lli 1798/ 99 als Adjunkt an der philosophischen Fakultat Vor-
Nr. 38728 S. 347) und 1794 dort au~erordentlicher Professor lesungen gehalten hat (vgl. Catalogus Praelectionum lenensi
ftir Medizin (MTh Nr. 39096 S. 368). (Vgl. Familienregister ( cf. D 2/ 29); UAJ, Bestand M 195, Bl. 88, Dekanatsakten
,Schwab" und ,Hopf" des ev. Kirchenregisteramtes Tt.ibi~­ der Philosophischen Fakultat), nicht aber der in Jena am
gen und Martina Beese, Die medizinischen Promotionen zn 3. Februar 1788 immatrikulierte Johannes Julius Kirsten
Tiibingen (1750 - 1799), Thbingen 1977, S. 131.) aus Schwarzenburg oder der am 7. Mai 1789 immatrikulierte
51 Die Dissertation De vero revelationis jundamento, Jena 1792, August Friedrich Michael Kirsten (MJ). Herchius ist ver-

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Ko=entar zu den Briefen D 3 An die Eltern, 29. Mai - 1. Juni 1792

mutlich der am 7. April 1789 immatrikulierte Ernst Herche chen (testimonium indigentiae). Daraufhin erhielt man ein
aus Zweibriicken (MJ). Der dritte Opponent wiirde da1m, sogenanntes ,Eintrittsbillet", ohne das der Zugang zur Vor-
wenn man nicht eine Verschreibung des Namens in der lesung verwehrt wurde. (Vgl. UAJ, Bestand M, Nr. 196,
Akte annehmen will, Lorenz Ludemann (geb. 1770; vgl. Bl. 11 or, Dekanatsakten der Philosophischen Fakultat 1792
Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon, hrsg. von und auch D 2/ 99.) Diez bezahlte offenbar nicht, wie der Zusam-
Olaf Klose, Bd. 1 1970, S. 191 unter Carl Peter Math. Lu- menhang vermuten lieEe, mit ,eine[ r] Dukat", einer Goldrniinze, die in
demann) sein, der sich am 4. Mai 1792 in Jena immatrikuliert Wrirttemberg zwar in verschiedenen Auspriigungen geschlagen wurde,
hatte (MJ). Spater studierte er in Kiel. wo er sich am 26. sich jedoch nicht mit einem Reiterbild, wie es durch den Text nahegelegt
April 1794 als Theologiestudent und unter der Herkunfts- ist, nachweisen lieE (vgl. Christian Binder, Wiirttembergische Miinz- und
bezeichnung Eiderstedt immatrikulierte (MK.i Nr. 6695 Medaillen-Kunde, neu bearbeitet von Julius Ebner, Bd. 1 Stuttgart 1910,
S. 154). Andernfalls ware Georg Adolph Liedemann ge- S. 195 und 199- 222). Mi:iglicherweiselieE er niederliindische Goldmiinzen,
meint. die wegen ihres Reiterbildes auf der Vorderseite ,Rijder" - ,Reiter"
54 Niethammer las im Sommersemester 1792 dienstags und genannt wurden, ,Reinhold zu reiten" (vgl. Friedrich von Schri:itter, Art.
donnerstags am Nachmittag von 5 his 6 Uhr natiirliche Theo- ,Rijder", in: ders., Wiirterbuch der Miinzkunde, Berlin 1930, S. 586 f.; Grimm
logie (nach dem lateinischen Vorlesungsverzeichnis (cf. VIII Sp. 780).
D 2/ 29) und der deutschen Vorlesungsankiindigung im IB 58 In Jena gab es neb en der ftirstlichen Landespost eine Station
der ALZ (cf. A 17/ 2), Sp. 388) bzw. Moraltheologie (nach der reitenden Reichspost, mit der Diez wegen ihres groEeren
den Dekanatsakten der Philosophischen Fakultat (UAJ, Be- Streckennetzes seine Briefe in die Heimat schickte. DaE er
stand M, Nr. 196, Bl. 118r)). selbst Briefe erhalten hatte, konnte er an den Posttagen
55 Schutz las im Sommersemester 1792 taglich zwischen 5 durch eine Nachricht erfahren, die nach Eintreffen der Post-
und 6 Uhr nachmittags ,Historiam literariam universam in de reiter an der Poststation in der Johannisgasse offentlich
ab exeunte seculo P.C.N. quinto, ad nostram usque aetatem" ausgehangt wurde. Briefe, die darauf vom Empfanger nicht
(vgl. Catalogus Praelectionum lenensi (cf. D2/ 29)). abgeholt wurden, wurden von Brieftragern ausgetragen.
56 Vermutlich Hans Ahlmann aus Sonderburg in Holstein, der (Vgl. Wiedeburg, Stadt]ena (cf. A20/ 2), S. 439; [Anonym],
sich am 21. Oktober 1791 in Jena immatrikulierte (MJ). Kurze Beschreibung von lena for Reisende und Studirende zu
Anderthalb Jahre spater, am 26. April 1793, immatrikulierte angenehmer und niitzlicher Unterhaltung wiihrend ihres Auj-
sich Johann Konrad Ahlmann (1773-1852), ebenfalls aus enthalts daselbst, Eisenach 1793, S. 59.) Zu den Laufzeiten
Sonderburg, der 1794 Sekretar im Amtshaus von Bredstedt der Briefe vgl. auch die Eintragungen von fremder Hand
und 1797 Kanzlist bei der Deutschen Kanzlei in Kopenhagen am Anfang und Ende des Briefes (vgl. die Manuskriptbe-
wurde. Ob es sich bei heiden urn ein und dieselbe Person schreibung, S. 672).
handelt, wurde nicht geklart. 59 Welcher Kliipfel (vgl. D 1/6 und D 2/ 104) der Briefschreiber
57 Der Lektionszettel (cf. D 2/ 29) Reinholds fur das Sommer- war, HiEt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Da Diez aber
semester 1792 gibt genauen AufschluE iiber den Ablauf davon ausgeht, daE die Briefe zu einem Paket geschniirt
der Zahlung des Kolleggeldes an ihn. So muEte man sich werden konnten, wird es sich wohl urn Friedrich August
vor Beginn der Vorlesungen bei Reinhold personlich an- Kliipfel handeln, der zu dieser Zeit in Thbingen studierte
melden und das Honorar in Hohe von 3 Reichstalern ent- (vgl. D 1/ 6).
richten, es sei denn, man konnte Armenstatus geltend rna- 60 Offenkundig hat Diez neben seinen allgemeinen Berichten

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Kommentar zu den Briefen D 3 An die Eltern, 29. Mai - 1. Juni 1792

aus Jena, die hier publiziert sind, auch mit einzelnen Per- seiner Vaterstadt Biberach war, wurde laut SwCh Nr. 63
sonen aus deren Empfangerkreis korrespondiert (vgl. D2 vom 25. Mai 1792, S. 126, vierter Pfarrer in Ravensburg,
S. 280 Z. 5-9 und D 2/ 93). wo er dann auch Rektor der Lateinschule war. Vgl. D 3/ 62.
61 In Jena konnte man wie an anderen Orten auch auswiirtige 65 In Klosterreichenbach war von 1762 his 1806 Christoph
Zeitungen, die keine eigene ,Expedition" vor Ort besagen, Friedrich Heller (1735-1812) Oberamtmann (vgl. Pfeil-
auf demselben Weg wie die Briefpost erhalten. Allerdings sticker § 3499; Faber, CXLVIII. Heller'sche Stiftung (un-
war ein besonderes Arrangement mit dem Postmeister notig, veroffentlicht), §§ 57 und 61 ). Sein Bruder Eberhard Ludwig
der die Zeitungen in Kommission besorgte. Vgl. auch D 3/ 58. Heller, Oberamtmann in Dornstetten, dem zweiten hier ge-
62 Johann Wilhelm Christian Fischer (gest.1802) wurde laut nannten Ort, hatte Diez' Tante Maria Friderica, geb. Diez,
SwCh Nr. 63 vom 25. Mai 1792, S. 126, zum Oberamtmann, geheiratet (vgl. D 2/ 42).
Klosterverwalter, Amtsschreiber und -pfleger in Anhausen 66 Am 5. Mai 1792 wurde laut Spielplan des Komodienhauses
und Stabspfleger in Gussenstadt befordert. Zuvor war er Schillers Trauerspiel Dom Karlos gegeben (vgl. Burkhardt,
seit 1784 Kanzleiadvokat, darauf Regierungsratssekretiir, Repertoire des Weimarischen Theaters ( cf. D 2/ 81 ), S. 5; vgl.
Akademiesekredir und spater his zu seinem Tode Lehens- auch D 2/ 86).
sekretiir (vgl. Pfeilsticker §§ 1240, 1259, unter "Vischer"). 67 Ludwig Philipp Christian von Thrcke (1772-1829) aus Mei-
Weshalb Diez in seinem Brief Fischer erwahnt, wurde nicht ningen, in Jena immatrikuliert am 15. Oktober 1789 (MJ),
aufgeklart. Krinn und Eben, die im folgenden genannt wer- wurde 1791 Regierungsassessor.
den, wird Diez vielleicht aus ihrer Studienzeit im Stift, 68 In den i.iberlieferten vorausgehenden Briefen aus Jena er-
Krinn zudem vielleicht als Vikar in Gernsbach gekannt wahnt Diez keinen Kammerassessor aus Meiningen so,
haben (vgl. D 3/63 und / 64). Ihre Erwahnung setzt aber daiS die Leser in Wi.irttemberg wohl selbst einen Bezug
voraus, daiS es besondere Beziehungen mit den Lesern haben herstellen konnen. Allenfalls konnte der schon zu-
seiner Briefe gegeben hat. vor genannte Karl Valerian Bottiger gemeint sein (vgl.
63 Johann Friedrich Krinn (1765-1807) aus Karlsruhe wurde D 3/ 44).
laut SwCh Nr. 64 vom 28. Mai 1792, S. 127 (hier $rimm" 69 Zur Verwandtschaft in Klosterreichenbach und Dornstetten
geschrieben), zum Diakon und Prazeptor in Kirchberg (Ba- vgl. D 3/ 65 und D 2/ 42. - In Thbingen wird Diez aufSer
den) befordert. Nach seinem Theologiestudium in Thbin- an die eigene Familie wohl auch an die Familie Tafinger
gen, wo er sich am 28. April 1784 immatrikuliert hatte, sowie an die der Familie Diez nahestehenden Familien des
wurde er 1790 Vikar in Gernsbach, 1791 in Karlsruhe, Thbinger Stiftsprokurators Karl Johann Heller (1738-1813)
1799 Pfarrer in Ittersbach und 1805 in Botzingen (vgl. und von Christoph Ferdinand Harpprecht (1739-1804),
MTh Nr. 38272 S. 319; Heinrich Neu, Pfarrerbuch der evan- Hofgerichtsadvokat, dann Oberamtmann in Thbingen, spa-
gelischen Kirche Badens, Bd. 2 Lahr 1939 (= Veroffentlichun- ter Regierungsrat, gedacht haben. Heller, ein Bruder von
gen des Vereins fUr Kirchengeschichte in der evang. Lan- Diez' Paten Eberhard Ludwig Heller, und seine Frau sowie
deskirche Badens XIII), S. 347). - Vgl. D 3/ 62. Harpprecht und dessen Frau, Regina Ludovika geb. Heller
64 Johann Philipp Eben (1762 - 1811), dessen Name in der (1740-1793), eine Schwester des Stiftsprokurators, waren
Thbinger Matrikel unter dem Datum des 26. April 1782 mehrfach Taufzeugen bei den Geschwistern von Diez (vgl.
eingetragen ist (MTti Nr. 38102 S. 309) und der zwischen Taufbi.icher Stuttgart ( cf. A 5/ 5) und Taufbi.icher Thbingen
1784 und 1788 Parastrat in Ravensburg, darauf Vikar in ( cf. A 3/ 108) ). - In Stuttgart wohnten die Familien des

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Ko=entar zu den Briefen D 4 An die Eltern, 24.-27. Juli 1792

Onkels vaterlicherseits, Jacob Friedrich Khipfel, und der


Onkel miitterlicherseits, Ferdinand Friedrich Billinger (1728- D4
1761) und Johann Wilhelm von Seubert (1740-1826) (vgl. Immanuel Carl Diez, Jena
auch A 1/1) sowie mittlerweile auch die Familie Johann Dienstag, den 24., Donnerstag, den 26.,
Daniel Hoffmanns (vgl. A 3/ 108). - In Weinsberg (vgl. und Freitag, den 27. Juli 1 792
A 3/ 92) lebte auEer Diez' verheirateter Schwester Charlotta An die Eltern, Tiihingen
Augusta (vgl. A 10/ 1) seit 1770 auch Johann Albrecht Klup-
fel (1728 -1795) als Dekan. Er war ein Onkel vaterlicherseits
von Friedrich August Kliipfel und Vater von Johann Fried- Manuskriptheschreihung
rich Kliipfel (vgl. D 2/ 104). - Aus Dettingen unter Teck
kam Christoph August Klett (vgl. A 2/ 7 und A 5 S. 39 Z. 10), Standort: UBT, Mh 732.
dem ein groEer Teil des Briefwechsels zwischen Niethammer Anzahl der Lagen und Blatter: Lage mit 2 Doppelbliittern und Einzelblatt;
Format in em (Hohe X Breite): 21 x 17 (Doppelbliitter), 20,3 -20,9 X 16,2-17
und Diez zugeleitet wurde und der wahl auch selbst von (Einzelblatt); Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Papierfarbe:
Diez Briefe aus Jena erhielt. Man kann annehmen, dag chamois.
Diez auch Kletts Briefe an die Eltern erhielt (vgl. E 4/ 21). Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 10 von 10; Paginierung: 1, 3,
Eine Bemerkung von Diez in seinem Brief an Niethammer 5, 7, 9 (wahrscheinlich von Diez); Faltung: quer von hinten nach vorne, dann
zweimal liings.
vom 3. Oktober 1794 (E 4 S. 336 Z. 9 f., vgl. dazu E 4/ 21)
konnte daraufhinweisen, daB Diez in Dettingen noch andere
Verwandte oder Freunde hatte. - (Vgl. auch den Entwurf
zu einer genaueren Verwandtschaftsiibersicht (Ms., Archiv Kommentar
des Jena- Projekts ).)
1 Da es sich bei ,jenem" Tumult nur urn denjenigen vom
10. Juni handeln kann (vgl. D 4/ 2), muE auf einen nicht
erhaltenen Brief von Diez im Zeitraum zwischen dem
10. Juni und dem 8. Juli (Brief der Professoren; vgl. D 4/ 3)
geschlossen werden. (Vgl. auch D 5 S. 311 Z. 33 - S. 312 Z.1
mit DS/ 16 und D5 S.313 Z.31- S.314 Z.2 mit DS/ 32.)
2 Am 10. Juni kames im AnschluE an die genehmigten Feiern
der Landsmannschaft der Ungarn und Siebenbiirgen an-
laElich der Kronung des osterreichischen Erzherzogs Franz
Joseph Karl zum Konig von Ungarn zu Thmulten. Mit dies en
Ausschreitungen, in deren Verlauf das Haus des amtierenden
Prorektors Johann August Heinrich Ulrich demoliert und
der Student Cyriacus Polizo (a us Thessalien, in Jena am
23. Mai 1791 immatrikuliert (MJ)), in dem die Studenten
einen Spitzel vermuteten, schwer verletzt wurde, war vor-
Hiufiger Hohepunkt in der Auseinandersetzung der Stu-

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Kommentar zu den Briefen D 4 An die Eltern, 24.-27. Juli 1792

denten mit der Universitatsleitung und der Weimarer Re- Unruhen, Weimar 1792, Beilage B, S. 11-13.) Diez verwendet
gierung urn die Zulassung von Studentenorden, der Ab- anstelle der offiziellen Bezeichnung ,Patent" (groEes Format,
schaffung der Duelle und der Einftihrung einer studenti- offen ubergeben) wegen der Funktion des Schriftstuckes
schen Ehrengerichtsbarkeit. Als unmittelbare Folge wurde den Terminus ,Mandat" ( eine landesherrliche Verftigung).
aus Weimar eine Untersuchungskommission entsandt, wah- (Vgl. Gotze, Studentenorden (cf. D 4/ 2), S. 109.)
rend die ortlichen Behorden zum Schutz der Professoren 5 Schwab.: vom Pferde absteigen (SW L Sp. 23). Jager waren
eine aus Bauern der umliegenden Dorfer gebildete Land- der groEeren Beweglichkeit wegen haufig als berittene In-
folge (Landmiliz) herbeiriefen, die jedoch nach wenigen fanterie formiert (vgl. Wl/rterbuch zur deutschen Militiirge-
Tagen wieder in die Dorfer zuruckgeschickt werden muEte. schichte, 2 Bde. Berlin 1985, Bd. 1 S. 334 ).
Da die Lage aber gespannt blieb, setzte die Weimarer Re- 6 Ziegenhain, ein kleiner Ort ostlich von Jena, ist heute ein-
gierung, die urn Beistand gebeten worden war, eine Jager- gemeindet (vgl. Topographische Karte 1:50.000 M- 32-
kompagnie in Marsch, die Jena am 14. Juli erreichte. - Mit 48-A (Jena) Ausgabe von 1985, Stand 1982). Der "Ziegen-
diesen Gegebenheiten setzt Diez' Situationsbeschreibung hainer" ist ein in Ziegenhain aus dem Holz der Cornell-
ein. (Zur genaueren Darstellung der Grunde sowie der Kirsche hergestellter Wanderstock, der insbesondere unter
Entwicklung der Unruhen insgesamt vgl. Aspekte des Le- den Studenten Verbreitung fand. Erwurde in zwei Varian ten,
bens in Jena (VI4), S.1037-1040, sowie Otto Gotze, Die einer glatten und einer gewundenen Form ($orkenzieher-
]enaer a!cademischen Logen und Studentenorden des XVIII stock"), angefertigt. (Auskunft von Klaus Vieweg, Jena, vom
]ahrhunderts, Jena 1932, S. 103-118; Herbert Koch, ,Der 26. November 1993.)
Auszug der Jenaischen Studenten nach Nohra am 19. Juli 7 In UAJ sind Abschriften dieses Mandats vom 17. Juli 1792
1792", in: Wissenschciftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller- sowie zweier weiterer (vom 16. und vom 18. Juli 1792)
Universitiit lena, Jg. 5 1955/ 56, Gesellschafts- und Sprach- erhalten (Bestand A, Nr. 2224, Bl. 22 ff.). Vgl. auch D 4 S. 299
wissenschaftliche Reihe H. 4/ 5, S. 445-457; Ehrentraud Z.30.
Matz, Die Studentenunruhen an der Universitiit lena im letzten 8 Vgl. hierzu die Schilderung des Anlasses des Konfliktes
]ahrzehnt des 18.]ahrhunderts, Jena 1957; GAS II,1 unter bei Diez selbst (D 4 S. 308 Z. 4-14), dazu D 4/ 56.
anderem S. 227-270, III S. 73- 86.) 9 Von dieser Szene gibt es eine Radierung von Jacques Roux.
3 Die Professoren Batsch, Gottling, Hufeland, Paulus, Rein- Sie ist im Bildteil (VIL Abbildung 12) wiedergegeben.
hold, Schiller, Schmid und Schutz sowie der Privatdozent 10 Johann Theodor Wilhelm Seebach aus Langensalza wurde
Mereau reichten am 8. Juli das hier erwahnte Scbriftsti.ick am 3. Dezember 1791 in Jena immatrikuliert (MJ) und
ein (vgl. Koch, ,Auszug" (cf. D 4/2), S. 446; Gotze, Studen- nach den hier geschilderten Vorfallen relegiert (vgl. Gotze,
tenorden (cf. ebd.), S.109f.; Matz, Studentenunruhen (cf. Studentenorden (cf. D 4/2), S. 116).
ebd.), S. 89). 11 Joachim Heinrich Dahl (1770-1807) aus Livland (in Jena
4 Diese Beilage ist mit dem Brief nicht uberliefert worden. immatrikuliert am 23. Oktober 1789 (MJ)) berichtet im
Es handelt sich urn ein am 10. Juli 1792 erlassenes Patent, zweiten Band seines Werkes Die Weltgeschichte aus ihrem
das gedruckt und mit Reskript vom 13. Julian die Universitiit hi/chsten Gesichtspun!cte betrachtet, von Heinrich von Dahl Nebst
zum Aushang und zur Verteilung geschickt wurde. (De: einem Anhange, dessen ungliic!cliche Lebensgeschichte ~nthal~end,
Wortlaut ist mitgeteilt in Actenmiifiige Nachricht iiber die sezt 2 Bde. Germanien (Leipzig) 1804 im ~urzen AbnE memes
dem 1 Oten Junius 1792 aufder Alcademie zu lena vorgejallenen Lebens" (S. 265-515) auch ausftihrlich und ganz aus der

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Kommentar zu den Briefen D 4 An die Eltern, 24.-27. Juli 1792

eigenen Perspektive iiber die von Diez geschilderten Er- derem nach Jena ftihrte (vgl. A 18/ 2). Wann genau Conz
eigrusse. in Jena eintraf, laEt sich nicht mit hinreichender Gewillheit
12 Auch nach Dahls eigenem Bericht (Dahl, Weltgeschichte (cf. bestimmen. In seinen Erinnerungen ~iniges iiber Schiller"
D 4/ 11 ), S. 328) war er selbst Verfasser einer studentischen (in: Zeitung for die elegante Welt Nr. 3-7 vom 4., 6., 7., 9.
Bittschrift, die trotz des oben beschriebenden Zwischenfalls u.lO. Januar 1823, Sp. 17-20,28-30,34-37,41-43,51-54,
der im Jenaer SchloE residierenden Untersuchungskom- Sp. 36) berichtet er dariiber, daE ihm sein Jugendfreund
mission (vgl. D 4/ 2) am Abend des 17. Juli iibergeben wurde Schiller, dem er einen ersten Besuch abstattete, bei dieser
(vgl. auch Authentische Nachricht von dem am 19ten Julius Gelegenheit a us einer seiner Vergil-Ubersetzungen von ,den
1792 gehaltenen Auszuge der Studirenden aus lena und von fast nassen Druckbogen" vorgelesen habe. Diesen Text verof-
dem Wiedereinzuge derselben, nebst einer getreuen Darstellung fendichte Schiller in der Neuen Thalia., deren Druck er in Jena von
der Ursachen, welche diese Begebenheit veranlqfiten, [o. 0.] Johann Christoph Gottlieb Gopfert (1755-1814) besorgen liefs (vgl.
1792, sowie Matz, Studentenunruhen (cf. D 4/ 2), S. 91). NA26 S. 542), im ersten his dritten Heft (Januar, Miirz, Juni). Wahrend
13 Johann Heinrich Christoph Schenke (1732 -1798) war Pri- der Druck des zweiten Heftes am 26. Miirz 1792 abgeschlossen war, war
vatdozent in der medizinischen Fakultat und seit 1780 Pro- der des dritten Heftes zu diesem Zeitpunkt noch im Gange (vgl. Schiller
sektor (vgl. A 12/ 18) am anatomischen Theater (vgl. D 2/ 14) an Goschen., 26. Marz 1792, NA 26 S. 139) und wird vermudich nicht
der Universitat (vgl. auch Steinmetz, Universitii.t lena (cf. vor Schillers Riickkehr aus Dresden zum Ende gekommen sein (vgl.
A2/ 12), S. 294). Fiir das Sommersemester 1792 ki.indigte D 2/ 3). Da Conz erst im Mai zu seiner Reise aufbrach, konnen also nur
er ,botanicas excursiones" an (vgl. den lateinischen Lek- die Druckbogen des dritten Heftes vorgelegen haben, das mit einem
tionskatalog ( cf. D 2/ 29) und das im IB der ALZ abgedruckte Umschlag versehen jedenfalls am 24. Junj ausgeliefert werden konnte
Vorlesungsverzeichnis fur das Sommersemester 1792 (cf. ( vgl. Schiller an die Goschensche Buchhandlung, 24. Juni 1792, NA 26
ebd.), Sp. 388). S.l46). - (Vgl. auch D 2/ 53.) Conz reiste am 26. Juli 1792
14 Adolph Gottlieb Storch aus Gotha wurde am 21. Oktober oder aber kurz darauf von Jena ab, was sich sich aus einer
1790 in Jena immatrikuliert (MJ). Bemerkung Schillers in einem am 26. Juli verfaEten Brief
15 Auf einer alten Karte der Umgebung von Jena (Prospect an Goschen schlieEen laEt, den Conz iiberbringen sollte
und Grundriss der Stadt und Universitii.t lena nebst der herum (vgl. NA26 S. 147).
liegenden angenehmen Gegend und denen ruinirten Bergschlos- 18 Schillers $auber" waren bei den Studenten aus gutem
sern, Niirnberg 1766) wird der Ort Zwetzen geschrieben Grund beliebt, sein Rauberlied (IV. Akt 5. Szene) ~in freies
und liegt an der im Norden von Jena hinausftihrenden Leben ftihren wir" war in einer Umdichtung zum ,Tumult-
StraEe, noch hinter Lobstedt, das der erste Ort hinter Jena lied" geworden (vgl. Koch, ,Auszug" ( cf. D 4/ 2), S. 446 f.
war. Zwatzen, wie die mod erne Schreibweise lautet, ist heute und S. 449, sowie Gi:itze, Studentenorden (cf. D 4/ 2), S. 107).
ein Ortsteil von Jena und liegt an der nach Naumburg 19 Offenbar hatte Kapff einen Brief an Gi:ittling geschrieben
fiihrend~!l StraEe (Topographische Karte Jena ( cf. D 4/ 6)). und wartete nun auf dessen Antwort. Gi:ittlings Schreibhand
16 Bei der Ubergabe der Schrift (vgl. D 4/ 12) hatte Dahl sich war aber wohl verletzt oder erkrankt, so daE er nicht sofort
ftir die Ruhe der Studenten verbiirgt (vgl. AuthentischeNach- antworten konnte, weshalb Kapff sich, so Diez, gedulden mi:ige.
richt (1792) (cf. ebd.), S. 21 f.). 20 In einem diese und zugleich die folgende Stelle (vgl. D 4/ 23)
17 Karl Philipp Conz unternahm von Mai 1792 bis Miirz 1793 erschlieEenden Sinn ist ,entstehen" im Schwiibischen WOr-
eine gelehrte Reise durch Deutschland, die ihn unter an- terbuch nicht belegt. Hier scheint Diez dem Kontext nach

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Kommentar zu den Briefen D 4 An die Eltern, 24.-27. Juli 1792

sagen zu wollen, daiS er trotz seines durchweg freundlichen 27 Kotschau liegt aufhalbem Wege zwischen Jena und Weimar.
Naturells der Aufforderung der Studenten, die Vorlesung Topographische Karten 1:50.000 M- 32-47 B (Weimar)
Loders nicht zu besuchen, nicht habe nachgeben wollen. Ausgabe von 1991, Stand 1987 und M-32-48-A (Jena)
D~ es sich ft.ir ihn dabei urn eine Prinzipienfrage handelte, (cf. D 4/ 6). Der Gasthof zu Kotschau war ein beliebter
legt die Einleitung nahe: "wer mich kennt, wird sich wohl Rastpunkt ft.ir Reisen von Weimar nach Jena und umgekehrt
denken [... ]". (vgl. Goethes Gedicht ,An Frau von Stein und ihre Ge-
21 Bei dem Herrnhuter wird es sich wohl urn den im folgenden sellschaft.", welches beginnt: ,Aus Kotschau's Thoren reichet
genannten Philipp Jakob Scheurer handeln (vgl. D 4/ 22). euch [.. .]" ( Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der GrofSher-
Dessen Zugehorigkeit zur Herrnhuter Gemeinde lieE sich zogin Sophie von Sachsen, Weimar 1887 ff., I. Abteilung
nicht belegen. - Es ist unwahrscheinlich, d~ er mit dem Bd. 4, S. 216)).
im Brief weiter unten (vgl. D 4 S. 302 Z. 3-8 und D 4/ 34) 28 Hier im Sinne von ,unterhandeln". Vgl. D 4 S. 303 Z. 18.
genannten Herrnhuter aus Danemark identisch ist. 29 In der AuthentischenNachricht (1792) (cf. D 4/ 12), S. 25-31,
22 Vermutlich Philipp Jakob Scheurer aus Neuwied am Rhein, werden 500 Teilnehmer des Auszuges angegeben, von den en
der sich am 8. Mai 1792 in Jena immatrikulierte (MJ). Er noch 450 in Nohra angekommen sein sollen. Demgegenuber
ist in der Nachricht von der Griindung einer natuiforschenden wurden offiziell wahrend des Durchzuges durch Weimar
Gesellschajt zu lena am 14ten July 1793 nebst dabey gehaltnen nur 267 Studenten gezahlt (vgl. Actenmiiflige Nachricht
Reden, den Statuten der Gesellschafi, und dem Verzeichnisse (1792) (cf. D 4/ 4), S. 6).
ihrer Mitglieder, Jena [o. J.], im Verzeichnis der ,activen 30 Schwab.: ,Glufenknopf" - Stecknadelk(n)opf. Glufenknopf
Mitglieder" aufgeft.ihrt (S. 46). wird gerne als MaE ft.ir etwas sehr kleines genommen (SW
23 In Analogie zur obigen Stelle (vgl. D 4/ 20) durfte ,entste- III, Sp. 718). Die Metapher ,jemandem einen Glufenknopf
hen" auch hier im Sinne von nachgeben zu verstehen sein. auf den Mund setzen" ist im SW nicht belegt.
Diez' Bericht liefSe sich dann so lesen, daiS er anfanglich 31 Schwab.: Hefe (SW III, Sp. 1323).
unentschieden war, ob er sich dem ,niimlichen Schicksale", 32 Der Abzug der Jager-Einheit aus Jena war eine der wich-
auf Vorlesungen zu verzichten, ft.igen soli e. Erst das Beispiel tigsten Forderungen der Studenten gegenuber der Weimarer
des uncouragierten Scheurer schien ihn bewogen zu haben, Regierung (vgl. das Protokoll der Verhandlungen von Voigt
sich auf den Weg zu Voigts Vorlesung zu machen, obgleich mit einer Studentendelegation vom 19. Juli 1792, in: GAS
er vorgehabt hatte, diese Vorlesungsstunde aus Mangel an II,1 S. 238-240, S. 239).
Interesse nicht zu besuchen, und obgleich Scheurer, der 33 Nohra lag schon auf Erfurter Gebiet. Zum Durchzug durch
sich "sonst" immer an Diez wandte, aus Vorsicht nicht zu Weimar vgl. den Bericht Goethes, in: GAS II,1 S. 236f.
Voigt gehen wollte. Diez wollte Scheurers Zaghaftigkeit 34 Am ehesten konnte es sich urn Nikolaus Muller aus Jutius
aber nicht nachgeben und veranlafSte diesen, mit ihm in (Jutland) handeln, da die heiden anderen der drei ft.ir
Voigts Vorlesung zu gehen. diesen Zeitraum in der Matrikel nachweisbaren Danen Jena
24 Vgl. D 4/ 7. zuvor schon wieder verlassen hatten. Muller immatrikulierte
25 Vgl. D 4/ 6. sich in Jena am 27. April 1792 (MJ). Er ist auch im Ver-
26 Im Mittelalter Blankwaffenhersteller, von mhd. ,vegen" irn zeichnis der ,activen Mitglieder" der Naturforschenden Ge-
Sinne von ,blank machen", der die rohgeschmiedeten Teile sellschaft von Jena aufgeft.ihrt (vgl. Nachricht von der Griin-
blanker Waffen zusammenfugte und polierte. dung ( cf. D 4/ 22), S. 46). Weitere Angaben zu seiner Person

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Ko=entar zu den Briefen D 4 An die Eltern, 24.-27. Juli 1792

waren nicht zu ermitteln. - Johann Christian Dahl (1764-1821) 39 Christian Detmar Karl Mallinckrodt (1769-1842) war Stu-
studierte ab 1789 Medizin in Jena. 1791 wurde er in Erlangen promoviert dent der Rechts- und Kameralwissenschaft und wurde am
und ging 1792 nach Petersburg. (Vgl. MJ; Danislc Biograjislc Lexikon, 10. Mai 1791 in Jena immatrikuliert (MJ). Der spiitere
Bd. 3 S. 517.) Selbst wenn man anni=t:, daE er 1792 nach der Promotion Regierungsvizepriisident von Minden und Aachen (1834
noch einmal nach Jena zuriick.kehrte, ist es unwahrscheinlich, daB er geadelt) vertrat die westfalische Landsmannschaft und
der Genannte sein konnte, da er wohl nicht mehr mit Diez Kollegien reichte am 30. Juli 1792 bei der herzoglichen Kommission
besucht haben wird. Christian Hornemann (1759 -1793), Philosoph, kam eine Beschwerde i.iber die Art des Verhors durch den Pro-
im Fri.ihjahr 1791 nach Jena, urn Karl Leonhard Reinhold zu hiiren. rektor Ulrich ein (vgl. UAJ, Loc. II, Fach 161, Nr. 2224:
Aufgrund des gemeinsamen lnteresses an der Philosophic Reinholds Acta die von des Herrn Herzogs zu Sachsen Gotha Hoch-
konnte Diez Hornemann als eine seiner liebsten Kollegienbekanntschaften ftirstl. Durchlaucht von der Academie i.iber einige bey Fi.irstl.
angesehen haben. Aber zur Zeit der Abfassung des Briefes war Hornemann Commission Nahmens versch. Studenten eingereichten Be-
schon nach Diinemark zuri.ickgekehrt:, wie aus einem Brief Erhards an schwerde gnadigst abgeforderte Berichterstattung. Erg. vor
Reinhold vom 1. Mii.rz 1792 hervorgeht (in: Varnhagen von Ense, Denk- Fi.irstl. Sachs. Univ. 1792-93 sowie StA Gotha, Geh. Arch.
wii.rdiglceiten (cf. A3/ 97), S. 340-342, S. 342; vgl. auch Danisk Biografok M (Mond) (2) XLVI e: Acta CommiEionis die Beschwerde
Lexilcon, Bd. 6 S. 563-564). des Studio Mallincrodt aus Dortmund i.iber seine vom Pro-
35 Vgl. lat.: exsequi - beerdigen. rector Ulrich geschehene Anhaltung zur Unterschreibung
36 Lat.: im Bildnis. - Vgl. D 4 S. 306 Z. 36. des Ordens Reverses betr. 1792). Der Verweis auf den Juristen
37 Zur Selbstdarstellung der Regierungsposition vgl. neben und Publizisten Arnold Andreas Friedrich Mallinckrodt (1768-1825),
der Actenmiifiigen Nachricht (1792) (cf. D 4/ 4) die in GAS Vetter des eben Genannten, in GAS IV S. 94 widerspricht zum einen
II,1 S. 227-270 wiedergegebenen amtlichen Dokumente diesen Quellen, zum andern hatte er sein Studium in Jena bereits 1788
und vor allem die zahlreichen bei Koch, ,Auszug" ( cf. D 4/ 2) mit der Promotion abgeschlossen und war in seine Vaterstadt Dortmund
abgedruckten Briefe der Geheimrate. Zu der davon abwei- zuri.ickgekehrt (I=atrikulationsdatum in Jena war der 10. Oktober
chenden Position der Studenten vgl. Authentische Nachricht 1786 (MJ) ; vgl. Luise von Winterfeld, ,Arnold von Mallinckrodt", in:
(1792) (cf. D4/ 12), S.37ff., sowie Matz, Studentenunruhen Heinzatbliitter. Monatsschrift.for das niederrheinisch-wes(fofische Land, bes. f
(cf. D 4/ 2), S. 99 f. Vgl. auch Aspekte des Lebens in Jena d.lndustriegebiet, 2.]g. 1920, Nr.6 8.138-141, 8.138).
(VI4), S. 1039. 40 Karl Friedrich Naporra aus Danzig wurde am 18. Mai 1789
38 Johann Wachter (1767- 1827) aus Hermannstadt in Sie- immatrikuliert (MJ). Weitere Nachrichten i.iber ihn lieEen
benbi.irgen (heute zu Rumanien gehorig, rumanisch: Sibiu) sich nicht auffinden.
wurde am 8. Oktober 1790 in Jena immatrikuliert (MJ). 41 Carl KirmE (1741-1821), seit 1785 Geheimer Sekretiir am
Wachter kehrte nach dem Studium der Theologie in Jena Geheimen Consilium in Weimar. Zu seiner Person vgl. Willy
zuniichst in die Heimat zuri.ick, ging aber bald nach Wien, Flach in der Einleitung zu GAS I S. XXXIX und GAS IV
wo er im Juli 1794 zuniichst Vikar und Katechet wurde. S. 83. Seine Verhandlungsprotokolle vom 19. Juli 1792 sind
1797 wurde er zweiter Prediger der evangelischen Gemeinde in GAS II,1 S. 230-234 abgedruckt.
in Wien und ins dortige Konsistorium berufen. 1805 wurde 42 Aus den amtlichen Protokollen geht hervor, daE die De-
er Superintendent, 1806 erster Prediger und 1819 Direktor putierten der Studenten nicht in direkten Verhandlungen
des theologisch-lutherischen Studiums an der Universitiit mit dem Geheimen Consilium standen, sondern daE nur
Wien. zwei von ihnen, Mallinckrodt und Wachter, mit Voigt ver-

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Ko=entar zu den Briefen D 4 An die Eltern, 24.-27. JuJi 1792

handelten, das Geheime Consilium in Anwesenheit Goethes eine interessante Streichung bin (vgl. ebd. S. 80). Etwaige weitergehende
SchnauE' und Voigts i.iber die von Voigt und Kirm.B refe-' Zugestandnisse des Geheimen Consiliums an die Studenten lassen sich
rierten studentischen Forderungen beriet und das Conclu- somit nicht mehr urkundlich ausweisen (vgl. D 4/ 48). Die Behauptung
sum den Deputierten durch KirmE mitgeteilt wurde. (Vgl. der Studenten, ihnen sei die Suspendierung des Prorektors Ulrich zu-
GAS II,1 8. 238-241.) gesichert worden, wird in einem Privatschreiben von Voigts an Ulrich
43 Christian Friedrich SchnauE (1722 -1797) war 1779 ge- vom 2. August 1792 mit Verweis auf den Protokollextrakt bestritten. Von
meinsam mit Goethe zum weimarischen Geheimen Rat er- Voigt empfahl Ulrich auch, sich bei seiner Verteidigung gegeniiber stu-
nannt worden und im Geheimen Consilium der fUr die dentischen ,Milldeutungen' auf eben diesen Protokollextrakt zu beziehen
Angelegenheiten der Jenaer Universitat zumeist zustandige (GAS ILl S. 273 f.). Die Bruder Wilhelm Anton Heinrich und Johann
Referent. Zu Person und Aufgaben vgl. Flach, Einleitung (cf. Carl Christian Lautz, seit dem 26. April 1792 immatrikulierte Studenten
D 4/ 41 ), insbesondere S. X::XXVIf. und L sowie GAS IV S. 130. in Jena (MJ), berichteten am 27. Juli 1792 an den Vater in Wiesbaden,
44 Vgl. D 4/ 2. da~ die Studenten gefordert batten, Ulrich solle vom dem Prorektorat
45 Als ,Extractus Protocolli, vom 21. Julius 1792" (GAS ILl ,in Studenten Sachen suspendiert seyn" (S. 1; Kursiv vorn Hrsg.). (Der
S. 24 7 f.) wird der schlieElich gi.iltige Entwurf des Geheimen Briefwechsel wurde freundlicherweise von den Erben zur Verftigung
Consiliums zu einer Regelung in seinen Verhandlungen gestellt, die nur rniihsam zu ermitteln waren, wesbalb der Briefwechsel
mit den Jenaer Studenten bezeichnet (vgl. dazu GAS ILl nicht urnfassend ausgewertet werden konnte. Der Dank des Herausgebers
S. 257, Z. 30-40). Er enthalt in leicht abgewandelter Form gilt Anneliese Blurnenhagen. Der Briefwechsel ist teilweise veri:iffentlicht
die Bestimmungen, die auch in dem ,Protokoll einer Be- in: Otto Lautz, ,Jenaer Universitatsleben in den Jahren 1792-1795. Aus
ratung im Geheimen Consilium mit zwei Deputierten der den Briefen zweier nassauischer Studenten", in: Zeitschrifl des Ve1·eins
Universitat Jena" vom selben Tage festgelegt sind (GAS for thiiringische Geschichte und Altertumskunde NF 35 1941, S. 206-218. -
II,1 S. 248-252, besonders S. 248, 251). Auch in etlichen Vgl. D 4/ 48.)
weiteren Schreiben des Geheimen Consiliums wird auf das 46 Karl Friedrich Walch (1734-1799) wurde 1756 auEeror-
Extractum Protocolli Bezug genommen bzw. dasselbe als dentlicher, 1759 ordentlicher Professor der Rechte in Jena.
Abschrift beigelegt (vgl. unter anderem GAS II,2 S. 255, Seit 1783 war er Geheimer Justizrat in Weimar.
Z. 22f.; GAS Ill S. 263, Z.16 - 19). Somit ist anzunehmen, 47 In diesem Fall, ebenso wie bei der ,.Absetzung" Ulrichs,
daB der laut Diez den Studenten am Montag, den 23. Juli, entspricht der Bericht von Diez allen anderen Quellen (vgl.
vom Geheimen Sekretiir KirmE i.iberbrachte Protokollex- Aspekte des Lebens in Jena (VI 4), S. 1038 f., auch D 4/ 2).
trakt mit eben jenem Schriftsti.ick identisch war. Denn Diez' In der Beurteilung gehen aber auch hier die Meinungen
Ausftihrungen weisen auch im Inhalt Ubereinstimrnungen auseinander (vgl. D 4/37).
mit ihm auf (vgl. seine Zusammenfassung mit den sieben 48 In Goethes Amtlichen Schriflen finden sich keine direkten
Punkten des amtlichen Protokollextraktes ). Der Wert clieser Hinweise auf ein solches Senatskonklusum oder auf ir-
QueUe wird jedoch dadurch zumindest eingeschriinkt, da~ siirntliche in gendwelche Zugestandnisse des Geheimen Consiliums an
Goethes Amtlichen Schriften abgedruckten Dokumente zu den Jenaer Stu- die Studenten. (Zum generellen Wert dieser Quelle vgl.
d entenunruhen nicht urspriingliche Zeugnisse sind, sondern ,Reinschriften aber D 4/ 45.) Die Herausgeberin von Goethes Amtlichen
der Konzepte von anderer Hand, die nach einer nochmaligen Votierung Schriften sieht in der Bezeichnung Ulrichs als ,bisherigen
und Besprechung in der Session zu den Akten gegeben wurden" (GAS Herr Pro rector" ( statt ,derzeitiger Prorector") in einem amt-
III S. 74). Die Herausgeberin weist im Text des Protokollextraktes auf lichen Protokoll vom 26. Juli 1792 ein Indiz daft.ir, ,daB

698 699
Kommentar zu den Briefen D4 An die Eltern, 24.-27. Juli 1792

man den Studenten mehr versprach, als man spater wahr- 55 Vgl. A 6/ 28.
haben wollte" (GAS III S. 84). Vgl. auch D 4/ 45 und / 57. 56 Nach den Berichten von Studenten (vgl. Authentische Nach-
Auch die Protokollbiicher des Senats und des Concilium richt (1792) (cf. D4/ 12), S.l7ff.; Dahl, Weltgeschichte (cf.
arctius (Verwaltungsgremium, bestehend aus dem Prorektor D 4/ 11), S. 328-330) soil der Thmult durch den Prorektor
und den vier Dekanen) enthalten keine Aufzeichnungen provoziert worden sein; mittags hatte, nach einer mundli-
iiber etwaige Zugestandnisse (Auskunft von Volker Wahl, chen Verhandlung, der Prorektor eine schriftliche Eingabe
Weimar). Insofern ist Diez' Bericht umso aufschlufSreicher. der Bitten der Studenten gefordert, woraufhin von diesen
49 Dem entspricht der Bericht in der Authentischen Nachricht ein solches Schriftstuck aufgesetzt wurde. Unterdessen mar-
(1792) (cf. D 4/ 12), S. 46. schierten die Soldaten auf, woraus die Studenten auf be-
50 Vgl. D 4/ 6. vorstehende Verhaftungen schlossen.
51 Batschs Haus, in dem dieser bis zu seinem Umzug in das 57 Das offizielle Datum des Wechsels im Prorektorat war ge-
Haus im Botanischen Garten 1794 lebte, war das Eckhaus wohnlich der erste Samstag im Februar bzw. im August
Kollegiengasse und Rathausgasse. Es war von Jakob Pftindel (vgl. GAS III S. 84). Der Wechsel ware demnach am 4.
dem GrofSvater von Batschs Frau (vgl. folgende Anmerkung), August 1792 vollzogen worden. Das Akademische Taschenbuch
1761 in stilvollem Rokoko erbaut worden und galt als eines zum Nutzen und Vergniigen for Studirende auf das lahr 1792,
der reprasentativsten Hauser Jenas. In dem Haus waren hrsg. von Friedrich Samuel Mursinna, Halle 1792, S. 167,
zunachst in 4 Zimmern des 2. Stocks die Sammlungen der gibt dagegen in Ubereinstimmung mit Diez den 6. August
Naturforschenden Gesellschaft in Jena untergebracht. (Vgl. als Ende von Ulrichs Prorektorat an. Zu der MutmafSung,
Jahn, Geschichte der Botanik in lena ( cf. D 1/ 8), Bd. 2 S. 255 daiS Ulrich schon vorzeitig das Amt niederlegen mufSte,
mit Anm. 2 sowie S. 243; Herbert Koch, "Das Pftindelsche vgl. D 4/ 45 und / 48.
Haus in Jena", in: Wissenschajtliche Zeitschrijt der Friedrich 58 Johann Christian Ludwig von Eckardt (1737-1800), Niet-
Schiller-Universitiit lena, Jg. 3 1953/ 54, Gesellschafts- und hammers spaterer Schwiegervater (vgl. Doderlein, Unsere
Sprachwissenschaftliche Reihe Heft 4/ 5, S. 479-486.) Vgl. ffiter (cf. A2/ l), S. 32), war Hofrat in Weimar und seit
im Bildteil (VII) die Abbildung 13. 1783 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in
52 August Johann Georg Karl Batsch heiratete 1787 Sophia Jena.
Caroline Amalia Pftindel (1765-1847) (vgl. Starnes, Wie- 59 Johann Lorenz Daniel Suckow (1722-1801) war seit 1756
land-Chronik (cf. C 9/ 22), Bd. 3 S. 521, und Taufbuch des ordentlicher Professor der Physik und Mathematik in Jena.
Kirchenregisteramtes Jena, Bd. 7 S. 264). 60 Versuch einer Critik aller Offenbarung, Konigsberg 1792. Die
53 Kapff hielt sich im Friihjahr 1794 ftir einige Zeit in Jena Erstausgabe der Schrift erschien in insgesamt vier vonein-
auf (vgl. E 1 S. 327 Z. 7f. mit E 1/18). Er hatte schon im ander abweichenden Varianten zur Ostermesse 1792, wovon
Herbst 1790, als SiifSkind in Gottingen war, eine Reise drei keine Namensnennung des Au tors enthielten (vgl. Fich-
dorthin geplant (vgl. C 3 S. 186 Z. 4 f. und C 4 S. 201 Z. 19 f.). te AA I,l Vorwort S. 3-15, S. 3). Die anonyme Publikation
Eine Reise von Knapp nach Jena war nicht zu belegen. der Schrift hatte zur Folge, daiS Kant von vielen zunachst
54 In Jena war es, zumal unter Studenten, iiblich, die Nacht- fur den Au tor gehalten wurde (vgl. D 5/ 33).. .
geschirre auf die StrafSe auszuleeren (vgl. den BriefSchillers 61 Hufeland der sich als erster Jurist an Kant onent1erte (vgl.
an Korner vom 29. August 1787, NA24 S. 142-150, 8.146, seinen v:rsuch iiber den Grundsatz des Naturrechts, nebst einem
und Gotze, Studentenorden ( cf. D 4/ 2), S. 109). Anhang, Leipzig 1785), machte 1792 durch seine Vorle-

700 701
Ko=entar zu den Briefen D 5 An die Eltern, 24.-29. Oktober 1792

sungen iiber die franzosische Revolution von sich reden


(vgl. Steinmetz, Universitiit lena ( cf. A 2/ 12), Bd. 1 S. 232f.). D5
Am 18. Juli 1792 erschien seine Rezension des Versuchs Immanuel Carl Diez, Jena
einer Critik aller Ojfenbarung in der ALZ Nr. 190 f., Sp. 145- Mittwoch, den 24., Sonntag, den 28.,
160, worin er, wie auch schon in seiner Ankiindigung im und Montag, den 29. Oktober 1792
IB der ALZ Nr. 82 vom 30. Juni 1792, Sp. 662 f., das Werk An die Eltern, Ti.ibingen
Kant selbst zuschrieb. (Vgl. auch D 5 S. 314 Z. 5-10 sowie
D 5/33.) Der Nachsatz beantwortet offensichtlich eine Frage,
die zuvor in einem Brief aus Thbingen an Diez ergangen Manuskriptbeschreibung
war.
Standort: UBT, Mh 732.
Anzahl der Lagen und Blatter: Lage mit 2 Doppelblattern; Format in em (Hohe
X Breite): 21-21,5 x 16,8-17,2; Riinder oben beschnitten; Bogenfaltung: 4o;
Wasserzeichen schwach erkennbar; Papierfarbe: chamois.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 8 von 8; Faltung: quer von
hinten nach vorne, dann liings.
Besondere Bemerkungen: Papier stockig, Tinte zum Teil durchschlagend.

Kommentar

Im Sommersemester 1792 betrug die Zahl der Neuimma-


trikulierten 301, im Wintersemester 1792/93 147. Ahgangs-
zahlen sind nicht uberliefert. Bei einer Gesamtzahl von
889 Studierenden ergibt sich aus den Erhebungen fur das
Wintersemester 1792/93 gegeniiber dem vorangegangenen
Wintersemester mit 811 allerdings sogar eine Steigerung.
(Vgl. Friedrich Schneider, ,Beitdige zur vorbereiteten Ge-
schichte der Universitat Jena (1548/58 -1958), II. Fortset-
zung", in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-
Universitiit lena, Jg. 3 1953/54, Gesellschafts- und Sprac~­
wissenschaftliche Reihe, H. 4/5, S. 355-390, dann
besonders Abschnitt II von Hermann Leutenberger, "Un-
tersuchungen uber die Besucherzahl der Universitat Jena
von den Anfangen his zur Gegenwart", S. 361-390, S. 375;
UAJ, Bestand A, Nr. 830. Vgl. auch D 5/4 und D 3 S. 288
Z. 23-26.)
2 Der einzige aus Wien stammende Student, der sich im

702 703
Kommentar zu den Briefen D 5 An die Eltern, 24.-29. Oktober 1792

Herbst, namlich am 19. Oktober 1792, in Jena immatriku- hammer i.iber die weiteren Geschicke von Meisl und Kal-
lierte (MJ), war Leopold Meisl (1772-1808). Er besuchte mann (E 7 S. 342 Z.14-18 und S. 343 Z. 6-10).
in der Zeit von 1790 his 1795 mehrere Universitaten und 3 Tatsachlich schildert Diez den Ausflug in seinem zweiten
Akademien, und zwar in Hamburg ( wahrscheinlich die Han- uns aus seiner Jenaer Zeit i.iberlieferten Brief (vgl. D 2
delsakademie von Johann Georg Bi.isch (vgl. D 2/ 49)),Jena, S. 277 Z.14-27 und D 2/ 74), der aber der erste an eine
Kiel (immatrikuliert am 9. Mai 1794 als ,juris studiosus", gro!Sere Gruppe von Verwandten und Freunden ist (vgl.
MKi Nr. 6716 S. 154) und Gottingen (keine Immat:rikulation D 1/ 1 und D 2/ 1).
nachweisbar), und kehrte 1795 nach Wien zuriick. Kurze 4 In einer langeren Phase des Ri.ickgangs der Neuimmatri-
Zeit spater erwarb er ein landwirtschaftliches Gut (die Herr- kulationen von Studenten an den deutschen Universitaten
schaft Freienthurm in Mannsworth, si.idostlich von Wien), wahrend der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts konnte
das er his zu seinem Tod bewirtschaftete. 1807 wurde er sich Jena neben den Reformuniversitaten Gottingen und
in den Adelsstand erhoben. Am 30. November 1793 trug Halle und neben Leipzig als bedeutende Einrichtung be-
er sich in Niethammers Stammbuch ein (NhSB 2. Ordnung haupten, fUr die sogenannte klassische Epoche sogar einen
Bl. 27'). - Der zweite Student, in bezug auf dessen Herkunft merklichen Anstieg der Immatrikulationszahlen verzeichnen
Diez zunachst ebenfalls Wien angab, urn sich im folgenden (vgl. Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universi-
(vgl. unten S. 311 Z.19ff.) selbst zu korrigieren, war aller tiiten von ihrer Griindung his zur Gegenwart, Berlin 1994
Vermutung nach Wilhelm Joseph Kalmann (1758-1842). (ND der Ausgabevon 1904), S.145-151, 296-298; Schind-
Kalmann, in St. Nikolaus in Ungarn geboren, hatte sich ling, Bildung(cf. D 3/ 20), S. 61 f.; Steinmetz, Universitiit]ena
1787/ 88 an der Wiener Universitat immatrikuliert:, urn den ( cf. A 2/ 12), Bd. 1 S. 309 f). Zu den Grunden ft.ir den wach-
philosophischen Kurs und anschlie!Send einige medizinische senden Zuspruch vgl. auch das IB der ALZ Nr. 1 vom 1. Ja-
Vorlesungen zu absolvieren (vgl. hierzu die von Diez nach- nuar 1790, Sp. 1. - Vgl. auch Aspekte des Lebens in Jena
getragene Information i.iber die ft.inf Wiener Jahre des zwei- (VI4), S.l035f.
ten Studenten, ebd.). Er war aus dem gleichen Grund wie 5 Vgl. D 2 S. 275 Z. 15 und D 2/ 54.
Meisl, namlich urn Reinhold zu horen, nach Jena gekommen, 6 Nach AbschlulS des Satzes von Diez' Text aufgrund eines
wo er sich auch an eben demselben Tage wie Meisl im- Vorschlages von Volker Schafer wahrscheinlich zu identi-
matrikulierte (MJ). Beide, Meisl und Kalmann, zahlten wie fizieren als Regina Barbara Kornacker, Witwe des Peri.ik-
die ebenfalls aus Osterreich stammenden Kajetan Tschink kenmachers Wilhelm Ludwig Kornacker.
und Wenzel Johann Gottfried von Purgstall (1773-1812), 7 Urn wen es sich bei ,Herrn Ehmann" von Bebenhausen
der erst im August 1793 nach Jena kam, zu denjenigen handeln konnte, wurde nicht geklart.
Schi.ilern Reinholds, welche ,auch in den hauslichen Verkehr 8 August Timotheus Poelchau a us Livland (1769 -1792), im-
der Familien Reinhold und Wieland aufgenommen waren" matrikulierte sich in Jena am 20. Oktober 1788 (vgl. MJ;
(Hugelmann, Ein Stammbuch aus dem Kreise Reinholds (cf. Rudolf Pohrt:, [Verzeichnis der Verfasser der Eintrage in
D 3/ 31), S. 8, 10; vgl. auch E 8/ 5), was Schiller in einem das Stammbuch Johann Pohrts (1771-1834)] (in Privat-
Brief an Bartholomaus Fischenich so kommentierte, da~ besitz); zu Poelchau vgl. auch Garlieb Merkel, Darstellungen
Reinhold sie bereits ,unter seinen VerschlulS" genommen und Charakteristiken aus meinem Leben, Bd. 2 Leipzig 1840,
habe (Brief vom 24. Oktober 1792, NA 26 S. 162 f., S. 163). S. 81-85).
- In einem seiner Wiener Briefe berichtet Diez an Niet- 9 Der Bruder von August Timotheus Poelchau war der Pri-

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Kommentar zu den Briefen D 5 An die Eltern, 24.-29. Oktober 1792

vatgelehrte und Musikaliensammler Georg Johann Daniel fanterie- Regiment Prinz Xaver der kursiichsischen Armee,
Poel_chau (1773 -1836) (vgl. Deutschbaltisches biographisches spater Hauptmann und dann Major ( vgl. Sachs. HSA Dres-
Lexzkon 1710-1960, Koln, Wien 1960, S. 594; Pohrt, den, Archiv alter Militiirakten, Genealogica, von Schier-
[Stammbuch Johann Pohrts] (cf. D 5/ 8)). Er wurde am 12. braud; Das izt lebende Naumburg an der Saale, Naumburg
Oktober 1792 an der Universitiit Jena immatrikuliert (MJ). 1756, S. 7; Heinrich August Verlohren, Stammregister und
Zwei Stammbiicher a us seinem Besitz wurden 1983 von F. Dorlung in Chronik der Kur- und Ki;"niglich Siichsischen Armee von 1670
Hamburg auk.tioniert (vgl. ]ahrbuch der Aulctionspreisefor Bucher 341983, bis zum Beginn des Zwanzigsten ]ahrhunderts, hrsg. von Max
8.819). Barthold und Franz Verlohren, Leipzig 1910, S. 450 f. Art.
10 Vgl. D 4/ 6. ,von Schierbrand"; Ernst Heinrich Kneschke, Neues Allge-
11 Zu Poelchaus Beerdigung wurde eine Kantate aufgeft.ihrt, meines Deutsches Adels-Lexicon, Bd. 2 Leipzig 1810, S. 596f.
zu welcher Carl Ludwig Fernow den Text und Johann Art. , von Diirfeld"). Verwandtschaftliche oder freundschaft-
Friedrich Latrobe (1769 - 1845) die Musik geschrieben hat- liche Beziehungen nach dem nordlich von Jena gelegenen
ten ( vgl. Hugelmann, Ein Stammbuch aus demKreise Reinholds Naumburg und zu Frau von Schierbrand, die aufgrund des
(cf. D 3/ 31), S. 14; zu Latrobe vgl. Pohrt, [Stammbuch Jo- Brieftextes vorauszusetzen sind, sind nicht nachgewiesen
hann Pohrts] (cf. D 5/ 8)). worden.
12 Vgl. lat.: pupillus - Miindel. Das Pupillenamt ist eine mit 18 Vgl. D3 S.292 Z.3-7.
der Wahrnehmung der Vormundschaft von Waisen beauf- 19 Zu den Beziehungen, die Diez zum jungen Voigt und des sen
tragte Institution. Hofmeister unterhielt, vgl. D 3 S. 282 Z. 8 - S. 283 Z. 17.
13 Zum Klub vgl. Aspekte des Lebens in Jena (VI4), S.104lf. 20 Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836) assistierte nach
14 Franz Karl Maria Ludwig von Coudenhoven (1775-1838) seiner Promotion in Gottingen 1783 seinem allmahlich er-
aus Mainz immatrikulierte sich in Jena am 21. Mai 1792 blindenden Vater, der in Weimar als praktischer Arzt und
(MJ). Vgl. auch seinen Eintrag in Niethammers Stammbuch als Hofmedikus tiitig war, und trat nach dem Tod des Vaters
(18. September [o. J.], NhSB 2. Ordnung Bl. 25r). 1787 ganz an dessen Stelle, ehe er im April 1793 die Uni-
15 Anton Greis immatrikulierte sich in Jena am 21. Mai 1792 versitiit Jena bezog (vgl. den folgenden Brieftext und
(MJ). Er ist auch im Verzeichnis der ,activen Mitglieder" D 5/ 21).
der Naturforschenden Gesellschaft aufgeftihrt ( vgl. Nachricht 21 Die Reskripte der Erhalterstaaten zur Berufung Christoph
von der Grii.ndung (cf. D 4/ 22), S. 44). Wilhelm Hufelands auf eine ordentliche Supernumerarpro-
16 Diez bezieht sich hier auf einen Brief, den er vermutlich fessur ergingen im August 1792. Die Installation erfolgte
im Juni geschrieben hatte, der jedoch nicht iiberliefert ist am 13. April 1793. (Vgl. UAJ, Bestand A, Nr. 547.) Diez
(vgl. D 4/ 1 und D 5 S. 313 Z. 31 - S. 314 Z. 2 mit D 5/ 32). widmete Hufeland seine medizinische Erstlingsschrift Ueber
Im iibrigen ist davon auszugehen, dag Diez zwischen dem die Methode in der Arzneymitte!lehre, Jena 1793, aus Anlag
Brief vom 24.-27. Juli (D 4) und dem vorliegenden Brief des Beginns von dessen Vorlesungen in Jena (vgl. das un-
weitere Briefe an die Tiibinger Adressaten sandte. paginierte Widmungsblatt der Schrift vor Beginn des Tex-
17 Bei der Majorin von Schierbrand handelt es sich woW um tes).
Henriette Agnes von Schierbrand, geb. von Diirfeld (1738 - 22 Vgl. Steinmetz, Universitii.t lena (cf. A2/ 12), Bd. 1 S. 290.
1792), seit 1767 verheiratet mit Ernst Wilhelm Christian 23 Justus Christian Loder, Anatomisches Handbuch., Bd. 1 Jena
von Schierbrand (1724-1786), 1741 - 1778 Offizier im In- 1788. Loder hatte im lateinischen Lektionskatalog ft.ir das

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Kommentar zu den Briefen D 5 An die Eltern, 24.-29. Oktober 1792

Wintersemester 1792/ 93 auch ein Kolleg i.iber ,AnatomiaO heiratete (vgl. D 3/30 und Starnes, Wieland-Chronilc (cf. C 9/ 22), Bd. 3
universaO" nach seinem eigenen Lehrbuch angekiindigt S.6ll). 2.Maria Carolina Friederica (1770-1851), seit 1788 mit dem
(vgl. Catalogus Praelectionum lenensi (cf. D 2/ 29)). Diakon der Hauptkirche in Jena Johann Salomo Gottlieb Schorcht (geb.
24 Johann Christian Stark hatte im Catalogus Praelectionum urn 1762, gest. 1792) verheiratet (vgl. ebd. Bd. 2 S. 149, Bd. 3 S. 613).
lenensi ( cf. D 2/ 29) Materia medica fur das Wintersemester 3. Amalia Augusta (1773 -1858), seit 1792 mit dem Pfarrer in OEmannstedt
1792/ 93 angeki.indigt. Johann August Jakob Liebeskind (1758-1793) verheiratet (ebd. Bd. 2
25 Christian Gottfried Gruner (1744-1815), seit 1773 ordent- S.149, Bd. 3 S. 542, 578). 4. Charlotte Wilhelmine (1776-1816) heiratete
licher Professor der Medizin in Jena, Semiotice physiologicam 1795 Heinrich GeEner (vgl. E 7/21 und / 22). 5. Juliane Caroline Dorothea
et pathologicam genera/em complexa. In usum praelectionum (1782 -1809) heiratete 1799 den Weimarer Regierungsbeamten Karl
academicarum, Halle, Magdeburg 1775. Gruner selhst be- Wilhelm Constantin Stichling (1767-1836) (ebd.Bd. 2 S. 757,Bd. 3 S. 621).
absichtigte nach dem lateinischen Lektionskatalog (cf. 6. Wilhelmine Frederike (1783 -1798) (Bd. 3 S. 633). Im Oktober 1792
D 2/ 29), im Wintersemster 1792 ,Pathologiam duce Gaubio" waren die heiden iiltesten Tcichter verheiratet und lebten in Jena. Maria
zu lesen. Carolina Friederica Schorcht war jedoch zur Geburt ihres zweiten Kin des
26 Johann Gottfried Brendel (1712-1758), Praelectiones aca- nach Weimar ins elterliche Haus zuriickgekehrt. Und auch Sophie Reinhold
demicae de cognoscendis et curandis morbis, hrsg. von H. W. war zur Pflege ihrer Schwester von Jena nach Weimar geko=en. (Vgl.
Lindemann, 3 Bde. Leipzig 1792-1794. ebd. Bd. 2 S. 269, 279 f.)
27 Die anderen Fii.cher, die Diez hier erwii.hnt, waren in Jena 30 Im 11. Sti.ick des Neuen Teutschen Merkur vom November
fi.ir das Wintersemester 1792/ 93 jeweils von mehreren Pro- 1792 (S. 275-329) erschien ein Beitrag Christoph Martin
fessoren angeki.indigt worden (vgl. Catalogus Praelectionum Wielands, i.iberschrieben mit ,Die franzosische Republik",
lenensi ( cf. D 2/ 29); zu den medizinischen Fii.chern vgl. in dem von kontroversen Debatten im Nationalkonvent unter
auch A 15 S. 91 Z. 4-10 mit den dart gegebenen Erliiute- anderem i.iber die Abschaffung der Monarchie und die
rungen sowie D 2 S. 280 Z. 11- 33 nebst D 2/ 94 ). Es wurde Ausgestaltung der neuen Verfassung von Ende September
nicht geklii.rt, welche dieser Kollegien Diez besucht hat. berichtet wird. In einem Zusatz zu dem Artikel (S. 326 - 329)
28 Schiller begann seine Asthetikvorlesung nach einer eigen- kommt Wieland zu der Einschii.tzung, daE die franzosischen
hii.ndigen Anki.indigung am 5. November in seiner Wohnung Politik eine gi.instige Wende nehme. Dem Erfolg nach auEen
privatissime (vgl. Friedrich Schneider; Friedrich Stier, ,Fried- (vgl. auch D 5/ 45) korrespondiere eine Beruhigung im Innern.
rich Schiller und die Universitii.t Jena", in: Wissenschtiftliche 31 Vgl. D 5/ 32; ebenso D 4/ 1 und D 5 S. 311 Z. 33 - S. 312
Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universitiit lena, ]g. 5 Z. 1 mit D 5/ 16.
1955/ 56, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, 32 Reinhold berichtet in einem Brief an Baggesen vom 11.
H. 1, S. 19-34, S. 30). Im Brief an Korner vom 6. November Juni 1792 von einem Besuch seiner Schwiegereltern in
1792 teilt Schiller mit, daE er seine Vorlesungen 4 his Jena am Vortag (Baggesen-Briefwechsel I S. 194-196,
5 Stunden in der Woche vor 24 Zuhorern halte (vgl. NA26 S. 195). Zwischen Ende April (Ankunft Diez' in Jena) und
S. 164 f., S. 164). Die Vorlesung schloE am 26. Miirz 1793 24. Oktober (Datum des vorliegenden Briefes) lieEen sich
(vgl. Schiller an Korner, 22. Mii.rz 1793, NA 26 S. 236). keine weiteren Besuche nachweisen (vgl. Starnes, Wieland-
29 Aile sechs noch lebenden Tochter Wielands konnte Diez Chronik (cf. C 9/ 22), Bd. 2 S. 267-279).
im Oktober 1792 in Weimar angetroffen haben: 1. Sophie 33 Schon aus Kants Brief an Fichte vom 2. Februar 1792 geht
Katharina Susanne (1768-1837), die 1785 Karl Leonhard Reinhold hervor, daE Kant die Critik aller Offenbarung (cf. D 4/ 60)

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nicht gelesen hatte, und noch in einem Brief vom 12. Mai (cf. D 4/ 60) (vgl. D 3 S. 292 Z. 17-21 und D 3/ 51, / 52 und
1793 lieE Kant Fichte wissen, da.E er die Schrift nur fli.ichtig / 53). Der zweite Teil dieser Schrift la.Et sich als kommen-
und auszugsweise gelesen habe und sich daher noch nicht tierende Zusammenfassung von Fichtes Schrift beschreiben.
im Stan de sahe, i.iber sie zu urteilen (Kant AA XI S. 308 f., Zu Niethammer als Fichte-Kommentator vgl. auch Schiller
S. 308, und S. 418 f., S. 419). Da die Schrift zunachst anonym anFischenich vom24. Oktober 1792 (NA26 S. 162 f., S. 163)
und ohne Vorwort in Konigsberg erschien, wurde Kant und Reinhold an Baggesen vom 29. Oktober 1792 (cf. D 5/ 34,
bald, auch aufgrund der an ihn angelehnten Ausdrucksweise, S. 230).
ftir den Verfasser gehalten. Diese irrige Zuschreibung wurde 36 Niethammer mu.Ete his zur Erlaubnis des weiteren Aufent-
durch die Anzeige der Schrift im IB der ALZ Nr. 82 vom haltes in Jena von seiten des Konsistoriums (vgl. D 3/ 48)
30. Juni 1792, Sp. 662 f., und durch die Rezension ebd. damit rechnen, als Repetent nach Thbingen berufen zu
Nr. 91 vom 28. Juli 1792, Sp. 757-759, sowie in der ALZ werden, da er noch nicht offiziell aus dem Thbinger Stift
Nr. 190 und 191 vom 18. Juli 1792, Sp. 145-160 auch entlassen war ( vgl. den Brief Schnurrers an Niethammer
offentlich vollzogen. (Vgl. Fichte AA L1 Vorwort, S. 3-15, vom 2. Oktober 1792 (S. 1; DLA Marbach, 58. 454) sowie
S. 3, 10.; vgl. auch D 4/ 60.) Mit dem Datum des 31. Juli Lupin, M'ethammer (cf. A2/ 1), S. 28f.).
erschien dann am 22. August 1792 im IB der ALZ Nr. 102, 37 Die Reskripte der vier ,Erhalterstaaten' der Universitat i.iber
Sp. 848 Kants Richtigstellung. Carl Christian Erhard Schmids Berufung zum ordentlichen
34 Maternus Reu.E (1751-1798), Benediktinermonch, seit 1782 Honorarprofessor (fi.ir Logik und Metaphysik) in der phi-
Professor der Logik und Metaphysik sowie der Moralphi- losophischen Fakultat ergingen erst 1793 (Februar, Miirz
losophie an der Universitat Wtirzburg. In seiner program- und Juli). Die Installation fand am 14. September statt.
matischen Schrift Sol! man auf katholirchen Universitiiten (Vgl. UAJ, Bestand A, Nr. 612.) Im April wurde Schmid
Kants Philosophie erklaren?Wtirzburg 1789, pladierte er frir auch zum Diakon und Garnisonsprediger bestellt. Was Diez
eine Auseinandersetzung mit Kant. Eine Reise nach Ko- veranla.Et hat, von einer theologischen Professur zu spre-
nigsberg im Herbst 1792 sollte ihm AufschluE i.iber Ten- chen, wurde nicht aufgeklart. Erst 1798 erhielt Schmid die
denzen und Potentiale der kritischen Philosophie geben. dritte theologische Professur (vgl. Horst Schropfer, ,Carl
Wahrend des Aufenthaltes in Konigsberg vom 26. Septem- Christian Erhard Schmid - der ,bedeutendste Kantianer'
ber bis 4. Oktober sprachen ReuE und sein Schuler Konr~d an der Universitiit Jena im 18. Jahrhundert", in: Norbert
Stang (1771-1827) mit Kant i.iber rationale Psychologle, Hinske; Erhard Lange; Horst Schropfer (Hrsg. ), DerAufbruch
rationale Theologie sowie das Kausalitatsproblem (vgl. das in den Kantianirmus. Der Friihkantianirmus an der Universitiit
Reisetagebuch Stangs, auszugsweise zitiert in: Immanuel lena von 1785 bir 1800 und seine Vorgeschichte, Stuttgart,
KantinRedeundGesprach, hrsg. vonRudolfMalter,Hamburg Bad Cannstatt 1995 (= Forschungen und Materialien zur
1990, S. 389 - 391 ). Die Ri.ickreise ftihrte die heiden Wurz- deutschen Aufklarung, Abt. II Bd. 6), S. 38-83, S. 41 ).
burger durch Jena, wo sie auch Reinhold von ihrem Besuch 38 Vgl. Gregor Schopf, Hirtorirch-statirtirche Beschreibung des
bei Kant berichteten (vgl. Reinholds Brief an Baggesen Hochstifts Wirzburg. Ein Versuch, Hildburghausen 1802,
vom 29. Oktober 1792, Baggesen-Briefwechsell S. 229- S. 376 f.
233, S. 231). 39 ,.,Du, der du schon zweimal sechs Monate die Mathematik
35 Niethammer habilitierte sich im August 1792 mit einer umreillt, wann wirst Du, strenger Gelehrter, jener Licht
Dissertation i.iber Fichtes Schrift Critik aller Ojfenbarung bringen!" Das Wortspiel liegt in ,adumbras", das sowohl

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Kommentar zu den Briefen D 5 An die Eltern, 24.- 29. Oktober 1792

, umreiEen", ,skizzieren" als auch , verdunkeln" bzw. ,ver- SEYFFER [... ] . Privatis lectionibus hor. IX. Mathesin puram)
nebeln" bedeuten kann. Dieses Epigramm, wahrscheinlich Geometriam ad EUCLIDIS Elementa, Arithmeticam et Tri-
aus der Feder Abraham Gotthelf Kastners (vgl. auch Diez' gonometriam ad suam adumbrationem tradet." (Catalogus
folgende Bemerkung), ist zwar nie gedruckt worden (vgl. praelectionum in academia Georgia Augusta ( cf. D 5/ 41 ), Som-
Carl Becker, Abraham Goahe!fKaestners literarische Epigram- mersemester 1790, S. VIII; vgl. auch iihnlich fur das Win-
me aufseine Freunde. Chronologie und Kommentar, Halle 1910 tersemester 1789/ 90.) ,Ad suam adumbrationem" las dem
(Nachdruck Thbingen 1973)), findet sich aber in einem Lektionskatalog nach im Wintersemester 1789/ 90 und im
Tagebucheintrag Lichtenbergs von 1790 - mit einem Fra- folgenden Sommersemester keiner von Seyffers Kollegen.
gezeichen anstelle des Ausrufezeichens amEnde (vgl. den (Vgl. D 5/ 39 und D 5/ 41.)
Druck in: Lichtenberg, Schriften und Briefe ( cf. C 9/ 9), Bd. 2 43 Auf der Reise von Jena nach Tubingen (Sommer 1794)
Sudelbi.icher II, Materialhefte, Tagebiicher, 2 1975, S. 713). war Diez wirklich einige Zeit in Wi.irzburg (vgl. die Briefe
(Hinweise von Ulrich Joost, Ober-Ramstadt.) Moglicher- E2 vom 25.-27.Juli und E3 vom lO. August 1794).
weise zirkulierte es also in einer handschriftlichen Version. 44 Da Diez seine Gri.iEe an Conz, der zur Zeit der Niederschrift
Brehmer hatte von Mai 1789 bis in den Herbst 1790 in des Briefes noch in Gottingen war, durch die Eltern oder
Gottingen studiert (vgl. D 3 S. 286 Z. 4-7 und D 3/ 17), konnte Freunde in der Heimat bestellen lieE, ist zu unterstellen,
es also dort oder von dort in die Hand bekommen haben. daB ein Kontakt zwischen Diez' Briefadressaten und denen
40 Der Mathematiker Kastner (vgl. C 2/ 4) trat als Herausgeber von Conz hestand. Conz' NachlaE gilt bis heute als ver-
der Zeitschrift Hamburgisches Magazin odergesammlete Schrif schollen; es sind auch keine Briefe aus der Zeit von Conz'
ten zum Unterricht und zum Vergniigen aus der Naturjors~hung gelehrter Reise (vgl. A 18/ 2) bekannt. Wohl aber war
und den angenehmen Wzssenschajten iiberhaupt und als Uber- Schnorrer von Zeit zu Zeit i.iber den Verlauf der Reise -
setzer und Verfasser zahlreicher poetischer Werke hervor. entweder durch Briefe von Conz oder Mitteilungen anderer
Seine zum Teil sehr bissigen Epigramme veroffentlichte er - unterrichtet, da er seine Nachrichten in Briefen Nietham-
vorwiegend im GO'ttinger Musenalmanaclz, Gottingen 1770 ff. mer weitergab. Am 2. Oktober 1792 teilte er Niethammer
(vgl. Becker, Kaestners literarische Epigramme ( cf. D 5/ 39)). mit, daE Conz nun in Gottingen sei, wo er seinen Aufenthalt
- Vgl. D 5/ 39. zu verliingern suchen werde (DLA Marbach, 58. 454), und
41 Sehr wahrscheinlich ist Karl Felix Seyffer gemeint, der mit am 18. Dezember 1792 berichtete er, daE Conz noch in
dem Wintersemester 1789/ 1790 in Gottingen als auEeror- Gottingen sei und wi.insche, Professor extraordinarius in
dentlicher Professor Mathematik und Astronomie zu lesen Thbingen zu werden. Weitere Nachrichten i.iber Conz' Reise
begann (vgl. den Catalogus praelectionum publice et privatim gab Schnorrer am 17. Juni und 31. Juli 1792 (die drei letzt-
in academia Georgia Augusta, Gottingen, fur das Winte~se­ genannten Briefe in Privatbesitz). Diez' Eltern oder Freunde
mester 1789/ 1790ff.; vgl. insbesondere D 5/ 42). Als Schu~z­ batten vermutlich i.iber Schnorrer oder auf anderem Wege
ling Lichtenbergs wurde er von Kastner angefeindet (Hm- Nachrichten von Conz erhalten.
weis von Ulrich Joost, Ober-Ramstadt). - Zu Seyffers Be- 45 Diez' Bemerkung ist vor dem Hintergrund des Beginns
kanntheit in Thbingen, die Diez hier voraussetzt, vgl. A 16/ 15. der militiirischen Auseinandersetzung zwischen dem revo-
42 Lat.: Die mathematische Wissenschaft nach seinen Skizzen. lutionaren Frankreich und der Koalition der heiden GroE-
- In den lateinischen Lektionskatalog hatte Seyffer fUr das machte PreuEen und Osterreich zu sehen, die sich in der
Sommersemster 1790 die Anki.indigung gesetzt: ,M. C. F. Absicht auf Wahrung der monarchischen Verfassung Eu-

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Kommentar zu den Briefen D 5 An die Eltern, 24.-29. Oktober 1792

ropas einerseits und zum Verfolg eigener Expansionswi.in- fUr Europaische Geschichte Mainz Bd. 38, Abteilung Uni-
sche anderer eits verbunden hatten. ach Frankreichs versalgeschichte hrsg. von Martin Gehring), Bd. 1 S. 262-
Kriegserkliirung an Osterreich vom 20. April 1792, wodurch 274; Max Braubach, Von der Franziisischen Revolution his
fur PreuEen der Bi.indnisfall eintrat, und nach der Kaiserwahl zum Wi"ener Kongrefi, Mi.inchen 7 1985 (=Gebhardt, Hand-
Franz' II. am 5. Juli 1792 i.iberschritten preuEische Truppen buch der deutschen Geschichte, Taschenbuchausgabe
am 19. August 1792 die Reichsgrenze nach Westen, wiihrend Bd. 14), S. 18-28.) - Durch die franzosische Einnahme
die osterreichischen Verbande einen Angriff von Belgien Speyers war auch das si.idlich gelegene wi.irttembergische
aus vorbereiteten. Nachdem der preuEische Vormarsch nach Territorium zur Gefahrenzone geworden (vgl. auch Schnur-
der ,Kanonade von Valmy" in der Champagne am 20. Sep- rer an Scholl, Tubingen, den 5. Oktober 1792 (S. 3; WLB
tember 1792 (vgl. Goethes Campagne in Frankreich 1792, Stuttgart, Cod. hist. 4° 295,40)), weshalb sich Herzog Karl
in: Aus meinem Leben, 2. Abt. 5. Bd., Stuttgart, Ttibingen Eugen veranlaEt sah, durch eine personliche Inspektion
1822) zum Stillstand gekommen war, drang ein groEes der Grenzen der unter der Bevolkerung aufgekommenen
Kontingent der franzosischen Rheinarmee unter General Unruhe und Panik entgegenzuwirken (3. Oktober, vgl. SwCh
Custine vom ElsaE aus auf unbedecktes linksrheinisches Nr. 121 vom 8. Oktober 1792, S. 246). Zur allgemeinen
Reichsterritorium vor, nahm Speyer (29. September) und Nervositat hatten zuvor bereits kursierende Geri.ichte bei-
wandte sich dann nordwiirts i.iber Worms (5. Oktober) gegen getragen, wonach die Franzosen mehrfach Anstalten ge-
Mainz und Frankfurt, die am 21. bzw. 22. Oktober kapitu- macht hatten, i.iber den Rhein auf gleichfalls neutrales ba-
lierten. Damit war der Rhein, der zur ,nati.irlichen Grenze" disches Territorium vorzudringen. (Vgl. ebd. sowie Nr. 106
Frankreichs im Osten deklariert worden war, erreicht. - vom 3. September 1792, S. 211, Nr. 123 vom 12. Oktober
Wurttemberg hatte sich zunachst, in Absprache mit den 1792, S. 250 und Beilage zum Schwiibischen Merkur Nr. 118
schwabischen Kreisangehorigen, ebenso wie die i.ibrigen vom 1. Oktober 1792, S. 422.)
Mittelmachte des Reiches dem preuEisch-osterreichischen 46 Wahrend des Siebenjiihrigen Krieges (1756-1763) hat
Werben urn aktive Untersti.itzung der Feldzi.ige verschlossen Braunschweig-Wolfenbi.ittel fur PreuEen Partei ergriffen,
und eine Politik der Neutralitat vorgezogen. Diese Haltung dessen Westflanke es militarisch gegen Frankreich abzusi-
wurde erst unter dem Eindruck der franzosischen Besetzung chern hatte. Im Jahr 1761 trat zunachst eine fur Braun-
der linksrheinischen Gebiete mit einem Reichstagstagsbe- schweig ungi.instige Kriegsentwicklung ein, in deren Verlauf
schluE vom 22. Marz 1793, in dem der Krieg zum Reichs- die Stadt Wolfenbi.ittel belagert und zur Kapitulation ge-
krieg erkliirt wurde, aufgegeben. (Vgl. C. Renouard, Ge- zwungen wurde (8.-10. Oktober). Die dreitiigige Belagerung
schichte des .franziisischen Revolutionskrieges im Jahre 1792. hatte schwere Verwi.istungen durch Kanonen- und Brand-
Grossentheils nach bisher unbenutzten handschrijtlichen Origz"- beschuE zur Folge. Die franzosischen 'fruppen, die sich im
nalien so wie anderen Que/len politisch-militiirisch bearbeite~ AnschluE gegen die Residenzstadt Braunschweig wandten
Kassel1865, S. 246 - 268; Gilbert Bodinier, ,Les campagnes (ll.-14. Oktober), wurden schlieElich von einer Entsatz-
de la Revolution", in: Andre Corvisier, Histoire Milz"taire de armee unter Prinz Friedrich August von Braunschweig-Wol-
fa France, Bd. 2, bearb. v. Jean Delmas, Paris 1992, S. 261- fenbi.ittel geschlagen und zuri.ickgedriingt. (C. Renouard,
279, S. 261- 265; Karl Otmar von Aretin, Heiliges Riimisches Geschichte des Krieges in Hannover; Hessen und Wesifalen von
Reich 1776- 1806. Reichsverjassung und Staatssouveriinitii~ 1757 his 1763. Nach bisher unbenutzten handschri.ftlichen Ori-
2 Bde. Wiesbaden 1967 (= Veroffentlichungen des Instituts ginalien und anderen Que/len politisch-militairisch bearbeitet,

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Kommentar zu den Briefen D 5 An die Eltern, 24.-29. Oktober 1792

Bd. 3 Kassel 1864, S. 440-447; Christof Romer, 500 Jahre 51 Charlotte Sophie Henriette Kestner, geb. Buff (1753 -1828),
Krieg und Frieden. Braunschweigirche Militiirgeschichte vom war in einigen Ziigen des Charakters wie der Lebensum-
Fehdezeitalter bis zum Ende des Absolutismus, Braunschweig stande Vorbild fur die Gestalt der Lotte in Goethes Roman
1982 (= Veroffentlichungen des Braunschweigischen Lan- Die Leiden des jungen Werthers. Goethe lernte Charlotte Buff
desmuseums 33), S. 131 f.) als Verlobte von Johann Christian Kestner (1741-1800)
47 Vermutlich Marianne Luise Volckmann, geb. Martens (1746- 1772 in Wetzlar kennen. Goethes unerft.illte Liebe zu Char-
1814), die 1766 Peter Dietrich Volckmann (1735 -1792), lotte ist in die Gestalt des Werther eingegangen.
Assessor des Niedergerichts und Senator in Hamburg, hei- 52 Es handelt sich urn Cornelius Johann Rudolf Ridel (1759-
ratete. 1821). Ridel war seit 1786 Landkammerrat in Weimar und
48 Vermutlich ist Johann Gottfried von Exter (1734-1799) his 1799 Erzieher des Erbprinzen Carl Friedrich; seine
gemeint, der als praktischer Arzt in Hamburg tatig war. Frau war Amalie, geb. Buff (1765-1848) (vgl. Goethes Werke
Mit Margaretha Elisabeth, geb. Kahler, hatte er sechs Kinder, (cf. D 4/ 27), III. Abteilung Bd. 15,1 Register M-S, S. 191 f.).
wovon zwei Sohne, Christian Gottlieb (geb. 1762) und 53 In den sogenannten Vikariatengattern des Ti.ibinger Stifts
Joachim (geb. 1769), unter anderem in Thbingen Medizin sind in den Jahren zwischen 1781 und 1791 August Chri-
studierten. Gottlieb hatte bereits am 30. Mai 1784 in Til- stoph Fleischmann (1756-1807), Gottfried Ferdinand
bingen seine Studien aufgenommen (vgl. MTI.i Nr. 38282 Reuss (geb. 1757), Philipp Christian Reinhard (1764 -1812),
S. 320), wahrend sich Christian Joachim, nachdem er zu- der jiingere Bruder Karl Friedrich Reinhards, und Johann
nachst 1785 in Frankfurt an der Oder Doktor der Rechte Karl Friedrich Hauff als Parastraten in Wetzlar eingetragen
geworden war, nach einer gelehrten Reise am 20. Oktober (AEvSt, K. I F. 10,3 (20), Quartal-Testimonia 1781-1793).
1788 in Thbingen immatrikulierte (vgl. MTti Nr. 38616 Ob Diez' folgende Andeutung auf einen der heiden Erst-
S. 340). Nach seiner Promotion am 20. April1789 unternahm genannten oder ob sie auf Reinhard, der von Georgii 1788
Christian Gottlieb eine ausgedehnte Reise, die ihn von an bei Baron von Riedesel in Wetzlar angestellt war (vgl.
Paris und London iiber Kleinasien und den afrikanischen NA26 S. 476-478), oder auf Hauff, seit Fabian Sebastian
Kontinent nach Siideuropa und von dort nach Nordamerika 1790 Hauslehrer bei "procureur" von Bastell in Wetzlar
fiihrte und von der er erst 1793 nach Hamburg zuriickkehrte. (vgl. Universite de Gand, Liber memoralis. Notes biblio-
49 ,R.eformieren" im Sinne von tadeln, zurechtweisen (vgl. graphiques, Bd. 2 Gent 1913, S. 9 f.), bezogen war, war nicht
Grimm VIII, Sp. 492). In diesem Fall handelt es sich wohl zu klaren. Diez war jedoch sowohl mit Reinhard als auch
urn eine Art Gutachten, das bei der juristischen Fakultat mit Hauff naher bekannt (vgl. E 4 S. 335 Z. 29 f. mitE 4/ 17
in Tiibingen zu einem bestimmten Vorgang, moglicherweise und E 2 S. 329 Z. 14 f. mit E 2/ 9).
die Landschaft ( das wiirttembergische Standeparlament) 54 Wahrscheinlich der im Brief vom 29. Mai - 1. Juni bereits
betreffend, eingeholt worden war. Zur Funktion der juri- mehrfach erwahnte Christian Gotdob von Voigt, vgl. D 3
stischen Fakultat als "Spruchkollegium" vgl. Thiimmel, Tii- S. 283 Z. 13-17 und S. 287 Z. 8f.
binger Universiti:itsverfassung (cf. A 12/ 18), S. 201-212. 55 Die ordentlichen philosophischen Honorarprofessuren von
50 Georg Gottlieb Weber (1744-1801), zweiter Diakon und Reinhold und von August Johann Georg Karl Batsch wurden
Waisenhausdirektor in Weimar, wurde 1791 auch zum wirk- von den Erhalterstaaten im August 1792 per Reskript be-
lichen Oberkonsistorialrat berufen (vgl. GAS III S. 41 und willigt. Die Installation erfolgte am 13. Oktober 1792. (Vgl.
IV S.153). UA], Bestand A, Nr. 547.)

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Kommentar zu den Briefen D 6 An die Eltern, 23. Januar 1794

56 Adalbert III. von Harstall (1737-1814) war 1788-1814


Fiirstbischofvon Fulda (vgl. Erwin Gatz (Hrsg.), DieBischife D6
der deut.schsprachigen Lander 1785/1803-1945, Berlin 1983, Immanuel Carl Diez, Buttstadt
S. 285 f.). Donnerstag, den 23. Januar 1794
57 Friedrich Karl Joseph von Erthal (1719-1802) war von An die Eltern, 'llihingen
177 5 -1802 Kurftirst und Erzbischof von Mainz (vgl. Erwin
Gatz (Hrsg.), Die Bischiije des Heiligen Riimischen Reiches
1648-1803, Berlin 1990, S. 95-99). Manuskriptheschreihung
58 Sophie von Coudenhoven, geb. von Hatzfeld (1747-1825),
herratete 1774 Georg Ludwig von Coudenhoven (gest. Standort: UBT, Mh 732.
1786), Erboberjagermeister der liittichschen Lande, mit dem Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblatt; Format in ern (Hohe x Breite):
21,6-21,8 x 17,5 -17,8; Rander oben beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasser-
sie an den Hof Friedrich Karl von Erthals, des Kurftirsten zeichen schwach erkennbar; Papierfarbe: chamois.
von Mainz, zog. Bei Hof war sie als Matresse eine der Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 von 2; Faltung: quer von
einfluEreichsten Personen. 1790 wurde sie in den Grafen- hinten nach vorne, dann langs.
stand erhoben. (Vgl. NA26 S. 471.)
59 Elisabeth Friederike Caroline Paulus (1767-1844), Tochter
des Gottlieb Friedrich Paulus, Hofrat und Oberamtmann Kommentar
in Schorndorf (vgl. Reichlin-Meldegg, Paulus (cf. A3/ 72),
Bd.1 S. 77). 1 Dieser Brief von Diez ist unter den Briefen an die Eltern
60 Mit dem Bruder von Paulus muE Eberhard Immanuel Gott- der Zeit der Entstehung nach isoliert und ist vermutlich
lob Paulus (1767-1815) gemeint sein, der am 31. Oktober wie der Brief iiber die Studentenrevolte (D 4) deshalb auf-
1792, also wenige Tage nach der von Diez angegebenen bewahrt worden, weil er iiber dramatische Ereignisse von
Ankunft, in Jena als Jurastudent immatrikuliert wurde (MJ; allgemeinem Interesse berichtet. Aus eben diesem Grunde
vgl. UA], Dekanatsakten der Philosophischen Fakultiit, Be- wird der Brief im folgenden auch ausftihrlicher kommentiert.
stand M, 197, WS 1792/ 93, Verzeichnis der Immatrikula- Gegenstand des Berichtes ist die Unterbringung, Versorgung
tionsgebiihren Bl. 53). Sein Studium setzte er in Ti.ibingen und Pflege einer groEeren Anzahl franzosischer Soldaten
fort, wo er am 3. Mai 1794 immatrikuliert wurde (MTh in preuEischer Kriegsgefangenschaft, die in einem Treck
Nr. 39024 S. 364). Er wurde spater Kanzleiadvokat und von Mainz nach Magdeburg geftihrt werden sollten. Zwi-
Oberfinanzrat in Stuttgart. (Vgl. Reichlin-Meldegg, Paulus schen 1793 und 1795 wurden auf diese Weise mehrere
( cf. A 3/ 72), Bd. 1 S. 14 f.) groEe Kontingente franzosischer Kriegsgefangener an ver-
61 Im Brief Schnurrers an Niethammer vom 2. Oktober 1792 schiedene Orte in PreuEen verlegt. Auf dem Marsch, zu
(S. 1; DLA Marbach, 50. 454) berichtet Schnorrer iiber einen dem urn den 30. Dezember 1793 moglicherweise his zu
Besuch von Paulus bei ihm in Tiibingen. 1000 gefangene Franzosen aufbrachen (vgl. das Requisi-
tionsschreiben des Koniglich-PreuEischen Etats-Ministe-
riums vom 20. Dezember 1793, ThHSA Weimar, H 1681)
und der bis zum 30. Januar dauerte, machte der Thansport
auch Halt in Buttstadt auf Weimar-Eisenachschem Territo-

718 719
Kommentar zu den Briefen D 6 An die Eltern, 23. Januar 1794

rium (vgl. D 6/ 2). - In dem "Gehorsamsten ProMemoria" diges Staats-, Post- und Zeitungslexikon von Sachsen, 18 Bde.
der Fiirstlich Siichsischen zum Marsch- und Einquartie- Zwickau 1814-1832, Bd. 1 S. 617-619 und Bd. 15 S. 73 -77;
rungswesen gniidigst verordneten Commission des Her- C. Kronfeld, Landeskunde des Groflherzogthums Sachsen-Wei-
zogtums Sachsen-Weimar-Eisenach vom 6. Februar 1794 mar-Eisenach., 2 Bde. Weimar 1878-1879, Bd. 2 S. 227-230).
(ThHSA Weimar, H 1681), einem Rechenschaftsbericht an 3 Zur Vorgeschichte vgl. auch D 5/ 45. Nach der Hinrichtung
den Herzog Carl August von Sachsen-Weimar, werden die des franzosischen Konigs Ludwig XVI. am 21. Januar 1793
MaEnahmen ftir die "ungewohnliche Einquartierung" der erklarte der Reichstag am 22. Marz 1793 den Krieg mit
Kriegsgefangenen angeftihrt. Dort heillt es: ~s mu~ten Frankreich zum Reichskrieg, was den Kriegseintritt aller
Anstalten zu Unterbring- und sicherer Verwahrung der Ge- deutschen Staaten zur Folge hatte. Nach Erfolgen im Norden
fangenen getroffen [... ] - ftir die vielen Krancken gesorget ( der franzosische Vormarsch in Holland wurde zum Still-
[... ] - eine Menge Mensch en zu Besorgung des Einheitzens stand gebracht, Belgien wurde von den Kaiserlichen besetzt)
und zur Wache bey den Feuerungen, auch zu Wartung der wurden auch im Westen der iiberwiegende Teil der links-
Krancken bestellet [.. .]" werden. Ob Diez sich zu dieser rheinischen Pfalz sowie am 23. Juli 1793 Mainz zuriicker-
~enge Menschen" freiwillig gemeldet hat oder ob die obert. Die drohende Invasion in das ElsaE konnten die
Jenaer Medizinstudenten zur Krankenpflege verpflichtet franzosische Armee in des abwehren und nach Stabilisierung
wurden, war durch keine Zeugnisse auszumachen. - Eine der Lage durch eine Jevee en masse" erneut zum Angriff
Abschrift des Briefes von Diez wurde Volker Wahl, dem iibergehen. Trotz der Niederlagen bei Pirmasens (14. Sep-
ehemaligen Leiter des Universitatsarchivs Jena, ft.ir eine tember) und bei Kaiserslautern (28.-30. November) blieb
Teilpublikation iiberlassen. Vgl. ders., "'Es gewahrte den die Festung Landau in franzosischer Hand. Nach der Ver-
jammerlichsten Anblick .. .'. Der groEe franzosische Kriegs- einigung der Rhein- und Moselarmeen unter General Roche
gefangenentransport durch Thiiringen 1794 ", in: Thiiringi- und den verlustreichen Kampfen bei WeiEenburg Ende
sche Forschungen. Festschrift for Hans Eberhardt zum 85. Ge- Dezember 1793 gelang es sogar, die Osterreicher und Preu-
burtstag am 25. September 1993, hrsg. von Michael Gockel Een zum Riickzug auf die rechte Rheinseite zu zwingen.
und Volker Wahl, Weimar, Koln, Wien 1993, S. 295-316. (Vgl. Bodinier, ~es campagnes de la Revolution" (cf.
In viele der folgenden Kommentare, insbesondere zu den D 5/ 45), S. 265-267; Braubach, Von der Franzifsischen Re-
Vorgangen in Buttstadt, sind Recherchen von Volker Wahl volution (cf. D 5/ 45), S. 28-30.)
eingegangen. Weitere Dokumente aus Buttstadter und Wei- 4 Der 20. Januar 1794. Der Transport blieb his Mittwoch,
roarer Quellen, die iiber den Aufenthalt der Gefangenen den 22. Januar 1794 in Buttstiidt liegen. (Vgl. das ProMe-
sowie iiber seine Aus- und Nachwirkungen Auskunft geben, moria (cf. D 6/ 1).)
sind in seinem Aufsatz veroffentlicht. 5 Antoine de Sagne de Lomb art (Lombard) (17 56-1842),
2 Stadt im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach (zum Amt franzosischer General. Er befehligte in den Kiimpfen bei
Weimar gehorig), 17 km nordnordostlich von Weimar, 25 km Pirmasens und Kaiserslautern im Herbst 1793 die franzo-
nordwestlich von Jena an der alten Fernverkehrsstra~e Er- sische Infanterie und wurde im Gefecht bei Biesingen am
furt - Buttstadt - Eckartsberga - Naumburg gelegen (vgl. 17. November 1793 von preuEischen und sachsischen Trup-
Matthiius Merian, Topographia Superioris Saxoniae, Thu- pen gefangen genommen. Daraufhin war er in Wesel, Mainz,
ringiae, Misniae, Lusatiae, etc., Frankfurt 1650, S. 36 (mit Magdeburg und Stettin in preuEischer Gefangenschaft und
Stadtansicht); August Schumann; Albert Schiffner, Vollstiin- wurde im Juni 1795 ausgetauscht. (Vgl. Pirmasens und Kai-

720 721
Kommentar zu den Briefen D 6 An die Eltern, 23. Januar 1794

serslautern. Eine Erinnerung an das ]ahr 1793, Berlin 1893 jedoch nicht angegeben sind (Sterberegister der Kirchen-
(= Kriegsgeschichtliche Einzelschriften. Herausgegeben gemeinde Buttstadt, Band 1770-1835, S. 42 (Einschub zwi-
vom Gro.Ben Generalstabe, Abtheilung fur Kriegsgeschichte, schen der 5. und 6. Sterbebucheintragung des Jahres 1794) ).
Heft 16), S. 325 ff.; Vollstiindige Rangliste aller Generale und Das ProMemoria ( cf. D 6/ 1) gibt die Zahl von 34 Toten in
General-Adjutanten in den Anneen der franzosischen Republik. Buttstiidt an.
Aus dem Franzosischen, o. 0. 1796, S. 88.) 12 Heute Bad Bibra an der Fernverkehrsstra.Be nach Querfurt
6 Das zur Begleitung des Gefangenentransports bestimrnte und Eisleben. 1794 zu Kursachsen (Dresden) gehorig (vgl.
Kommando unter dem Befehl des Major von Liptay vom Schumann; Schiffner, Staats-, Post- und Zeitungslexikon ( cf.
Puttkammerschen Infanterie-Regiment in Magdeburg be- D6/ 2), Bd.1 S.361-366 und Bd.14 S.430-432).
stand aus 248 preu.Bischen Offizieren und Soldaten (ln- 13 SW V, Sp. 549: einen Husten haben wie ein Schaf. Die zu
fanterie 225, 23 Kavallerie ), darunter zwei Chirurgen. Es unterstellende veteriniirmedizinische Bedeutung der Wen-
war am 6. Januar 1794 nach Gotha aufgebrochen, wo es dung "Husten wie von faulen Schafen" wurde nicht ermittelt.
am 18. Januar 1794 den Gefangenentransport zur Eskor- 14 Revolutionslied, das im Sommer 1790 vom Pariser Stra.Ben-
tierung nach Magdeburg iibernehmen sollte. (Vgl. Requi- siinger Ladre nach der Melodie des "Carrillon national"
sitionsschreiben ( cf. D 6/ 1) und ProMemoria ( cf. ebd.).) verfa.Bt und popular gemacht wurde. Mit Beginn der Ja-
7 Das zu Beginn des 16. Jahrhunderts (Baubeginn 1501) kobinerherrschaft erschienen auch neue, radikalere Stro-
errichtete, his heute erhaltene Rathaus erhielt im Oberge- phen. (Vgl. R. Brecy, "Qa ira", in: Albert Soboul (Hrsg.),
scho.B eine stattliche Versammlungshalle (vgl. P. Lehfeld~ Dictionnaire Historique de la Revolution Franr;aise, Paris 1989,
Bau- undKunstdenkmiiler Thiiringens. VerwaltungsbezirkApol- S.177f.)
da, Jena 1892, 8.416-418). 15 Die Reinigung der den Gefangenen "angewiesen gewesenen
8 Ein Stubenofen, dessen Brand durch Zuglocher verstarkt Behiiltnille", die nur ~iihsam und nicht ohne Gefahr" ab-
wird (vgl. Adelung, Grammatisch-kritsches Wl/rterbuch (cf. ging, ziihlte zu den Priiventivma.Bnahmen, die ergriffen wur-
A 3/ 84), Bd. 4 Sp. 1558). den, urn eine lnfizierung der Ortsansiissigen zu vermeiden.
9 Die Gefangenen wurden wahrend des Transportes nicht Zu diesen Ma.Bnahmen gehorte auch eine vorbeugende
frei bekostigt, sondern erhielten Geld, urn sich selbst zu Versorgung der Krankenpfleger und Arzte "mit nothigen
versorgen. Die Quartierorte waren angewiesen, die notwen- Praeservativ-Mitteln und Arzneyen". (Vgl. ProMemoria (cf.
dige Menge an Lebensmitteln bereit zu halten. (Vgl. Pro- D 6/ 1).) Dennoch konnten aile ergriffenen Ma.Bnahmen
Memoria (cf. D 6/ 1).) nicht verhindern, da.B es zu Ansteckungen kam. Nach zeit-
10 Von 1664 his 1802 zu Kurmainz gehorig, danach unter genossischen Berichten erkrankten ungefahr 70 Buttstiidter
preu.Bischer Herrschaft. Als Mainzer Exklave Zentralort der Einwohner binnen einer Woche nach Abzug des Gefange-
kurmainzischen Besitzungen im sachsisch-thiiringischen nentransportes am Yaulfieber". 30 von ihnen, darunter auch
Raum (Gebiet urn Erfurt und das nordthiiringische Eichs- der Amtsphysikus, starben. Buttstiidt wurde daraufhin zeit-
feld) . (Vgl. Schumann, Staats-, Post- und Zeitungslexikon (cf. weise von kursiichsischer Seite aus durch Husaren unter
D 6/ 2), Bd. 15 S. 657-678.) Quarantiine gestellt. (Vgl. Sterberegister der Kirchenge-
11 Das Sterberegister der Kirchengemeinde Buttstiidt von 1794 meinde Buttstadt (cf. D 6/ 11) (Notiz nach der 20. Sterbe-
verzeichnet die Zahl von 33 in Buttstadt gestorbenen fran- bucheintragung von 1794); Kirchenchronik der Gemeinde
zosischen Kriegsgefangenen, deren Namen und Regiroenter Buttstadt, Eintrag urn 1800 durch Superintendent Magister

722 723
Kommentar zu den Briefen

Teuscher.) Auch in den iibrigen Orten, wo der Gefange- 5.


Kommentargruppe E:
nentransport Station machte, kam es zu Infektionen mit
Letzte Briefe
Todesfolge. (Vgl. dazu Wahl, ,.Kriegsgefangenentransport"
( cf. D 6/ 1), S. 311 f.) - Hinter dem historischen Terminus
,.,Faulfieber" (,febris putrida") konnen sich sowohl der ,Ty-
phus" (unter anderem ,Typhus abdominalis", ,Unterleibs-
typhus") als auch das ,epidemische Fleckfieber" ( unter an-
derem ,Typhus exanthematicus", ,Flecktyphus") verbergen,
zwischen denen die medizinische Wissenschaft des 18. Jahr-
hunderts noch nicht zu unterscheiden wuEte. (Vgl. Roderick
E. MacGrew, Encyclopedia ofMedical History, New York u. a.
1985, S. 347-350 (Art. ,Typhoid"=Typhus) und S. 350-355
(Art. ,Typhus"= Fleckfieber). Gunther Thiele; Heinz Walter,
Reallexilcon der Medizin und ihrer Grenzgebiete, Bd. 3 Miin-
chen, Berlin, Wien 1969, S. F42 (Art. ,Faulfieber").) Es ist
jedoch wahrscheinlicher, daE es sich urn Fleckfieber han-
delte, eine typische Militiirkrankheit, deren Erreger durch
lnsekten, zumeist Liiuse iibertragen werden. Die Medizin-
geschichte datiert eine der vier umfassenden Fleck.fieber-
epidemien im Mitteleuropa des 18. Jahrhunderts auf die
Zeit der Revolutionskriege (vgl. Heinrich Haeser, Lehrbuch
der Geschichte der Medicin und der epidemischen Krankheiten,
3 Bde. Jena 3 1874-1882, Bd. 3 S. 534-536, der als Ursache
der Epidemie die Verbreitung durch franzosische Kriegs-
gefangene im Jahr 1793 nennt; August Hirsch, Handbuch
der historisch-geographischen Pathologie, 3 Bde. Stuttgart
2
1881-1886, Bd. 1 S. 390).

7.24
E 1 An Niethammer, 28. Miirz 1794

El
Immanuel Carl Diez, Jena
Freitag, den 28. Marz 1794
An Friedrich Immanuel Niethammer, Wien

Manuskriptbeschreibung

Standort: UBE, Ms. 2054.


Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hohe x Breite):
19,3-19,9 X 16,5 -17; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen;
Papierfarbe: chamois.
Time: dunkelbraun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 1I 4 von 4 ( und AdreBfeld
S. 4); Adresse: ,An I Herrn Prof. Niethammer I aus Jena I gegenwiirtig I in I
Wien."; Siegel: S.4 Siegelreste; Faltung: Brieffaltung.
Besondere Bemerkungen: nachtraglich mit Blei foliiert 1-2; S. 1 oben von
fremder Hand mit Blei in lateinischen Lettern: ,Diez", daneben Stempel der
UBE; S.1 unten in Blei "10918"; S. 4 von wenigstens einer fremden Hand ~n
Pr[..] I Prag den 26 Apr.".

Kommentar

1 Niethammer berichtet in seiner Selbstbiographie ( cf. A 2/ 1),


(unpaginiert) S. 9 f., da:IS er in den ersten Dezembertagen
1793, einer Einladung des Barons von Herbert in Klagenfurt
folgend, von Jena aufgebrochen und iiber Frankfurt, Mainz,
Worms, Mannheim, Heidelberg nach Wiirttemberg und wei-
ter iiber Ulm, Augsburg, Munch en, Salzburg nach Klagenfurt
gereist sei, wo er in den ersten Januartagen 1794 ange-
kommen sei. Von dort aus habe er auch Kiirnten his zur
italienischen und die Steiermark his zur ungarischen Grenze
bereist. Vor Ostern 1794 (am 11. April, vgl. unten) habe
er sich dann zur Riickreise nach Jena iiber Wien, Prag,
Dresden und Leipzig aufgemacht, wo er im Mai wieder
eingetroffen sei. - Die Tatsache, da:IS Diez nach Wien schreibt,
wo Niethammer sich auf dem Riickweg zehn Tage aufzu-
halten gedachte (vgl. Niethammer an Reinhold, Jena, 4. Juni

727
Kommentar zu den Briefen E 1 An Niethammer, 28. Miirz 1794

1794, S. 2; GSA Weimar, 76/ L5 U 3), laEt darauf schlie!Sen, Freitag, den 14. Februar 1794, Det Kongelige Bibliotek K0-
daE Niethammer ihn in dem erwahnten Brief vom 15. Miirz benhavn, Ny kongelig Samling, 504, 8°, Dagh0ger 1780-
1794 von seinen Riickreiseplanen unterrichtet hatte. Dafi.ir 1825, XXVI. 20/ 12 1793-2/ 4 1794). Am 11. April 1794,
spricht auch Diez' Bemerkung: ,,n Leipzig kann ich Dich noch vor Herberts Ri.ickkehr, verlieE er Klagenfurt wieder.
nicht treffen" (S. 327 Z. 4). - Diez hat auf dem Brief iller- In einem Abschiedsbrief an Herbert vom 10. April 1794
dings keine nahere Wiener Adresse angegeben, was sich schrieb er: "Durch einen gar komischen Vorfall bin ich zu
aus dem Umstand erklaren liiEt, daE er den Brief wahr- dem EntschluE bewogen worden, noch his morgen hier
scheinlich postlagernd ("paste restante") geschickt hat, nach- zu bleiben; Sie erhalten also noch einmal von hier aus
dem er zunachst erwogen und mit Meisl verabredet hatte, einen Brief von mir. Es ist schade darum, daE ich Sie,
ihn als EinschluE des Meislschen Empfehlungsschreibens vielleicht urn weniger Tage willen, verfehlen rouE [... ]"
(,A.dresse") nach Wien zu senden (vgl. den Fortgang des (S. 1; OSA Wien, Polizeihofstelle ad 758/ 1794). - Aus bisher
Briefes). Ein schwer zu entziffernder Zusatz von fremder nur teilweise veroffentlichten Tagebuchnotizen Hans Georg
Hand auf der Umschlagseite des Briefes: J>rag, den 26. GeEners und Briefen von Baggesen an seine Frau aus Zi.irich
April" konnte darauf hindeuten, daE der Brief seinen Adres- vom 25. und 26. April 1794 geht hervor, daE Rauscher,
saten in Wien nicht erreichte, so daE er iiber Prag nach Herbert und Erhard am 24. und 25. April in Zurich Vor-
Jena zuri.ickgeschickt wurde, wo Niethammer ibn dann lesungen Fichtes gehort haben, die dieser im Haus von
schlieElich erhielt. - DaE Niethammer in der Adresse als Lavater hielt. Die letzte Vorlesung Fichtes am 26. April
Professor hezeichnet wird, erklart sich a us der fUnf Monate 1794, die unter dem Titel Ueber die Wiirde des Menschen
zuvor, am 23. Oktober 1793, in Jena erfolgten Ernennung veroffentlicht wurde (abgedruckt in: AA 1,2 S. 79-89, al-
zum auEerordentlichen Professor der Philosophie (vgl. die lerdings mit einer unsicheren Datierung (S. 82)) haben sie
oben erwahnte Selbstbiographie Niethammers, (unpaginiert) jedoch nicht mehr gehort. (Vgl. Johann Gottlieb Fichte,
S. 9, und Lupin, Niethammer (cf. A2/ 1), S. 31 a-31 b). Dar- Ziiricher Vorlesungen iiber den Begr'!ff der Wissenschajtslehre:
tiber wie auch i.iher Niethammers Reise berichtete Reinhold Februar 1794; Nachschrift Lavater; Beilage aus fens Baggesens
in einem Brief an Baggesen vom Dezemher 1793 (Baggesen- Nachlq.fl: Exzerpt aus der Abschrift von Fichtes Ziiricher Vor-
Briefwechsel IS. 304 - 307, S. 306f.): Herbert ~at Nietham- lesungen, hrsg. von Erich Fuchs, Neuried 1996, S. 23; vgl.
mer'n, der so eben bier Professor geworden ist, auf seine auch Heinrich Fauteck, ~ie Beziehungen Jens Baggesens zu
Kosten zu sich reisen lassen, der auch jetzt eben auf dem Fichte", in: OrbisLitterarum38 1983, S. 312 - 337, S. 316-318.)
Wege ist". - Ab dem 5. Februar 1794 war Baggesen dann 2 Fi.ir den Terminus ,A.dresse" vgl. D 2/ 15. Meisls Haus ist
selber zu Cast bei von Herbert in Klagenfurt. Am 13. Februar wahrscheinlich das 1786 von seinem Vater Josef Meisl
schrieb er Reinhold ( ebd. S. 320 f., S. 320), daE er am fol- (1730 - 1790), der "Stadt- und bi.irgerlicher Baumeister" so-
genden Tag ~t Herbert und Director Rauscher und Fern ow wie ~ichtensteinischer Architekt" war, erworbene Haus in
nach Laibach, von da nach Venedig, und von Venedig uber der Inneren Stadt, Himmelpfortgasse 1008 (heute Haus-
Padua, Vicenza und Verona (wo Erhard zu uns sto!Sen nummer 11), von dem fUr das Jahr 1808, das Todesjahr
wird), Florenz, Mailand und Como zuri.ick (immer mit Her- Meisls, belegt ist, daE Meisl es bewohnte. Zum Zeitpunkt
bert) nach Bern gehen werde". Niethammer begleitete die des Briefes wohnten darin vermutlich seine Mutter, Franziska
Reisenden, wie aus Baggesens Tagebuch hervorgeht, his Meisl (1744-1803), und moglicherweise auch der altere
,Kirschenteuer - 2 Meilen von Clag [enfurt]" (Eintrag vom Bruder Josef (1767-1818), ~. k. Hof- und biirgerlicher

728 729
Kommentar zu den Briefen E 1 An Niethammer, 28. Marz 1794

Stadtbaumeister". (Auskunft des StadtuLA Wien vom 1. De- in Eduard Joseph Schmidtlein Ad solemnem renuntiationem virorum ex-
zember 1995.) cellentissimorum illustrissimorum doctissimorum quibus summos in jure honores
3 Vgl. E 1/1. inter sacra saecularia universitatis Friderico-Alexandrinae die XXV M Augusti
4 Dem Kontext nach ist Reinholds Frau Sophie gemeint. Im A. MDCCCXLIII coriferri decrevit jureconsultorum in hac universitate ordo
folgenden berichtet Diez von Reinholds Abschied von Jena, omni qua par est observantia invitat Eduardus Josephus Schmidtlein. !nest
der unter anderem im veroffentlichten Baggesen-Briefwech- vita Caroli Henrici Grosii, Erlangen 1843, S. 4-7, datiert seinen Aufenthalt
sel IS. 340-353, S. 340£., und in Reinhold, Reinhold's Leben in Jena von Herbst 1793 bis Herbst 1794. - Da Gros Jura studierte,
( cf. D 3/ 32), S. 66 ff., dokumentiert ist. (Vgl. auch E 1/ 12.) ist es wahrscheinlich, daE es sich bei dem erwahnten Hu-
5 Vgl. frz.: harangue - feierliche Rede, Ansprache mit der feland nicht urn den Mediziner Christoph Wilhelm Hufeland,
Nebenbedeutung von Geschwatz. Gemeint ist Reinholds sondern urn den Juristen Gottlieb Hufeland handelt. Es
Abschiedsrede, mit der er seine Vorlesungen in Jena been- wurde nicht versucht zu ermitteln, urn welches Schreiben
dete. Reinhold berichtet i.iber sie in einem Brief an Baggesen: Niethammer gebeten hatte. Der Ausflug, den Gros gemeinsam mit
,Den 28. Marz [1794] beschloE ich meine Vorlesungen mit Wilhelm von Humboldt nach Kunitz, einem Ort wenige Kilometer nord-
einer Rede, in der ich die wichtigsten Resultate unserer ostlich von Jena, unternahm, wird auch in Humboldts Tagebuch erwiihnt
Philosophie meinen Zuhorern an's Herz zu legen suchte. (vgl. Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schrifien, hrsg. von der Koniglich
Mein eigener Horsaal war schon eine Stunde vorher ge- Preussischen Akademie der Wissenschaften, Bd. XIV Berlin 1916, S. 242).
drangt voll, und die Menge stromte noch immer von allen Humboldt war - dem Tagebuch zufolge am 25. Februar 1794 (ebd.
Seiten herbei. Auch der Griesbach'sche, der geraumigste S. 240) - Schillers wegen nach Jena gekommen. Er blieb zunachst bis
in Jena, nach welchem wir uns nun begaben, faEte sie Mitte 1795 und hielt sich dann noch einmal vom Spatherbst 1796 an
nicht." (Baggesen-Briefwechsel IS. 340-353, S. 340, dessen ftir ein halbes Jahr in Jena auf.
Herausgeber als Briefdatierung nur das Jahr 1794 ange- 7 Es wurde nicht versucht zu ermitteln, wer ,die Traber"
ben.) Reinhold hat eine in Kiel am 30. Mai 1794 unter- und wer ,David" ist. Gehasi ist im Alten Testament der
zeichnete Fassung seiner Abschiedsrede im Neuen Teutschen Knecht des Propheten Elias (vgl. 2. Kon 5).
Merkur zum Druck gegeben, wo sie im Juli-Heft (7.St. 8 Die Frau Heinrich von Brinkens, der in den Jenenser Vor-
1794, S. 315- 323) unter deiD Titel ,K.. L. Reinhold an seine lesungsverzeichnissen (z. B. vom Sommersemester 1794, ge-
in Jena zuri.ickgelassenen Zuhorer" erschien. Eine andere, druckt im IB der ALZ Nr. 34 voiD 12. April 1794, Sp. 270;
im Wortlaut erheblich abweichende Fassung, vermutlich vgl. auch Catalogus Praelectionum lenensi ( cf. D 2/ 29), ( un-
eine Mitschrift eines Studenten, erschien innerhalb von: paginiert) S. 5) als Fechtlehrer genannt wird. Weiteres i.iber
,Aus einem Briefe von Jena, i.iber Reinholds Abgang nach ihn oder seine Frau wurde nicht ermittelt.
Kiel", in August Hennings Genius der Zeit Bd. 2 1794 (Mai 9 Auf dem handgeschriebenen Lektionszettel fur das Som-
his August), S. 245-254, S. 251-254. mersemester 1794 forderte Niethammer interessierte Stu-
6 Karl Heinrich Gros war seit Herbst 1792 fur ein Studium denten auf, sich ftir seine Vorlesungen zuvor bei ihm zu
der Rechtswissenschaften in Jena, wo er sich am 30. No- melden. Seine Wohnung gab er an als ,auf dem Graben,
vember immatrikulierte (vgl. Schnorrer an Scholl vom in dem Hause des Leipziger Konduktors" (UAJ, Bestand
10. Dezember 1792 (cf. A 1/2), auch Schiller an Fischenich M 200, Bl. 140, Dekanatsakten der Philosophischen Fakul-
voiD 11. Februar 1793 (cf. ebd.), S. 189; MJ), und blieb tat). Da diese Wohnung auch schon durch einen handge-
dort his Ende April 1794 (vgl. E 1/19). Die Gros-Biographie schriebenen Lektionszettel fi.ir das Sommersemester 1793

730 731
Kommentar zu den Briefen E 1 An Niethammer, 28. Miirz 1794

bezeugt ist ( vgl. ebd. Bestand M 198, Bl. 116; eben so Win- der Niethammers. Das Geschlecht des Jfarrers Pelagius Niethammer (1533-
tersemester 1795/ 96 ebd. Bestand M 203, Bl. 128), muE 1599) aus Merklingen a. d Wiirm (Hs., in Privatbesitz), 8.196). Zu den
Niethammer seine Wohnung im Heiligenstadtischen Haus, Lebensdaten Karl Friedrich und Friedrich Elias Nietham-
in dem er zeitweise mit Diez zusammen wohnte, zwischen mers vgl. Faber, III. Fickler'sche Stiftung, § 787; Nietham-
dem Sommer 1792 und dem Friihjahr 1793 aufgegeben mer, Mein Sippenbuch., S.196-199 und S.216-218.
haben (vgl. D 2/ 108). 11 Es hat den Anschein, als ob Diez ein Zitat im Sinn hat,
10 Karl Friedrich Niethammer (1769 -1809), Mediziner, lieE zu dem das Original nicht nachgewiesen wurde. Aus dem
sich am 30. Oktober 1793 in die Matrikel der Universitiit Kontext der Stelle geht hervor, daE Niethammers Bruder
Jena eintragen (MJ). 1794 ging er zum weiteren Stuclium eine sich bietende Gelegenheit sofort genutzt und ein Zim-
nach Wtirzburg (Immatrikulation am 26. November, MWti mer zu vermeintlich preiswerten Konditionen gemietet hatte,
Nr. 23941 S. 831) und war spater Accoucheur, Chirurg, daE sich anschlieEend aber eine giinstigere Losung bei
Wund- und Augenarzt in Augsburg, wo er am 3. Oktober Niethammers Hauswirt geboten hatte. Und so formuliert
1796 urn eine Zulassung als Accoucheur nachsuchte und Diez, daE sich entgegen der Erwartung, die ,Hinterseite
am 23. Oktober 1797 Anna Friederika Christoff heiratete. der Gelegenbeit" sei ,kahl" ( sie lasse sich nicht mehr er-
(Auskunft des Stadtarchivs Augsburg vom 15. Februar 1995; greifen), die rasch ergriffene Gelegenbeit (,occasio arrep-
Heiratsregister der Heilig-Kreuz Kirche in Augsburg. Zu ta"), obwohl sie weniger giinstig sei, nun als bindend (,pren-
seinen Planen, nach Augsburg zu gehen, vgl. auch E 3 S. 331 dens") erwiesen habe.
Z. 3-6 und E 4 S. 336 Z. 5 f. sowie E 6 S. 339 Z. lf.) 1797 12 Nach der Darstellung in Reinhold, Reinhold's Leben ( cf.
erschien seine Dissertation De statu rei chirurgicae et obstericiae D 3/ 32), S. 70, wurde die Medaille nicht rechtzeitig fertig.
plurimis in terris deplorabili observationibus corifirmatio in Sie wurde Reinhold Mitte April nachgeschickt. Reinhold
Jena. Von einem Zusammentreffen mit Karl Friedrich Niethammer in seiher berichtet in einem Brief an Baggesen ( cf. E 1/5),
Jena berichtet Johann Wilhelm Camerer in seinem Reisetagebuch (vgl. S. 341 f.: ,Das letzte Denkmal von der Liebe meiner Jenenser
Lang,Reisetagebuchdes! W.Camerer( cf. A 4/ 2), S. 347), dessenHerausgeber erhielt ich in Hamburg, namlich eine bei meiner Abreise
irrtiimlich denalterenBruder Friedrich Elias (1767-1818) angibt.Friedrich noch nicht fertig gewordene Medaille, zwanzig Louisd'or
Elias Niethammer kam aber wohJ erst 1798, ebenfalls zumMedizinstudium, in Gold schwer, mit meinem eigenen Brustbilde, und fol-
nach Jena (Immatrikulation am 25. Oktober 1798; Auskunft der Thii- gender Aufschrift auf der Riickseite: Praeceptori Philosopho
ringischen Universitiits- und Landesbibliothek Jena vom 10. Mai 1995). Kiloniam petenti Pietatis et Desiderii causa f. f. Auditorium
1793, zum Zeitpunkt der Begegnung mit Camerer, war er in Mannheim, Jenense. 1794." (Dem Lehrer, dem Philosophen, der nach
wie aus einem Brief Friedrich Immanuel Niethammers an Erhard vom Kiel geht, aus Verehrung und Zuneigung, von der Jenaer
8. November 1793 zu erschlie.Ben ist (S. 2; Sammlung Varnhagen, Mappe Horerschaft.) Uber die Subskription ftir diese Medaille, an
,Erhard und Niethammer"). Von 1803 an war er dann als praktiscber der sich auch ehemalige Studenten von auswarts beteiligen
Arzt in Schwaigern tiitig, ab 1808 Oberamtsphysikus in Kirdlhausen, konnten, erHihrt man Einzelheiten aus einem Brief von
1814 in Heilbronn und seit 1815 in Weinsberg. - Friedrich Immanuel Hermann Ludwig Coch an Johann Smidt vom 3. Marz 1794
Niethammer hat seine Briider in ihrem Medizinstudium finanziell un- (abgedruckt in: Erich Fuchs, ,Reinhold und Fichte im Brief-
terstiitzt (vgl. Lupin, Niethammer ( cf. A 2/ 1), S. 29, 35; Michael Schwarz- wechsel zweier Jenenser Studenten 1793/ 94", in: Fichte-
maier, FriedrichlmmanuelNiethammer, ein bayerischer Schulrejormator, Miin- Studien Bd. 7 1995, 8.143-171, S.163f., S.164; vgl. auch
chen 1937, S. 23; Hermann Niethammer, Mein Sippenbuch. Die Herlwnfl Coch an Smidt vom 18. April1794, ebd. S. 169). (Vgl. E 1/ 5.)

732 733
Kommentar zu den Briefen E 1 An Niethammer, 28. Miirz 1794

13 1m IB der ALZ Nr. 34 vom 12. April 1794, Sp. 268, findet gegen der Behauptung in NA 37,II S. 178, wonach eine Lehr-
sich die An~iindigung von Niethammers Vorlesungen, wo- tatigkeit Hederichs in Jena nicht zu belegen sei, finden
nach e~ Logik und Metaphysik nach Diktaten und die phi- sich Vorlesungsanki.indigungen im Fach Philosophie ftir das
losophische Moral ,besonders" vortragen wird. Am 2. Juni Sommersemester 1794 (vgl. IB der ALZ Nr. 34 vom 12.
1794 schri~.b Niethammer allerdings in einem Brief an Her- April 1794, Sp. 268; Catalogus Praelectionum Ienensi ( cf.
bert (S. 6; ONB Wien, Autogr. 130/ 1-5), daE er die heiden D 2/ 29); vgl. auch den Brief Hederichs an den Dichter
Kollegien, die er fur den Sommer angekiindigt hahe, namlich Johann Wilhelm Gleim (1719-1803) vom 10. Marz 1794
,1.) Moral 2.) Philosophie der Religion", nicht halte, denn (Gleim-Haus Halberstadt, Hs. A 1040 (Hederich 4))). Mit
,zu dem leztern hat sich gar keiner, zu dem erstern haben einem Empfehlungsschreiben Wielands an den Wiener Hof-
~ich n~r achte [Rorer] gemeldet", deren Kollegiengelder sekretar und Biicherzensor Joseph Friedrich von Retzer
1hm mcht genug einbringen wiirden. (1754-1824) vom 12. Oktober 1796 (abgedruckt in: Chri-
14 Johann Heinrich Gottlieb Heusinger (1767 -1837) wirkte stoph Martin Wieland, Auswahl denlcwiirdiger Briefe, hrsg.
vor allem als Padagoge. Nach dem Studium in Jena, wo von Ludwig Wieland, 2 Bde. Wien 1815, Bd. 2 S. 77-79)
er sich am 14. Mai 1787 immatrikulierte (MJ), war er seit ausgestattet, ging Hederich nach Wien, urn dort seine in
1789 Hauslehrer in Ronneburg und von 1794 his 1797 Jena begonnenen Medizinstudien fortzusetzen. 1m darauf-
Privatdozent in Jena (zu seiner Doktorpromotion vgl. UAJ, folgenden Jahr starb er in Wien als Feldchirurg. - Niet-
Dekanatsakten der Philosophischen Fakultat der Universitat hammer erwahnt ihn in seiner Selbstbiographie in De per-
Jena, Bestand M 199/ 58- 63; zu seinen Vorlesungen vgl. suasione ( cf. A 2/ 1), ( unpaginiert) S. 9, als hochgeschatzten
ebd., Bestand M 200, Bl. 152 f.). 1794 erschien in Leipzig Freund und als Respondenten seiner Dissertation De vero
sein Versuch eines Lehrbuchs der Erziehungslcunst; einLeiifaden revelationis fundamento (cf. D 3/ 51). Auf den Titelblattern
zu alcademischen Vorlesungen; 1796 in Weimar der Versuch beider Teile wird Hederich auch genannt (vgl. D 3/ 52 und
einer Encylclopiidie der Philosophie, verbunden mit einer prak- / 53). (Im Deutschen Biographischen Archivist Red erich nicht
tischen Anleitung zu dem Studium der lcritischen Philosophie nachweisbar, vgl. aber NA 37,II S. 178 und Starnes, Wi'e-
vorziiglich auf Universitiiten, 2 Bde.; ebenfalls 1796, in Neu- land-Chronilc ( cf. C 9/ 22), Bd. 2 S. 535, 572.)
Strelitz, seine Ubersetzung: Rousseau's Glaubensbekenntniss; 16 Das Vorlesungsverzeichnis im IB der ALZ (cf. E 1/ 13) be-
aus dem Franzo:Sischen, mit einer philosophisch-piidagogischen statigt, daiS die Genannten Vorlesungen anki.indigten, deren
Abhandlung begleitet. Au!Serdem publizierte er von 1794 bis Themenbereiche sich mit denen Niethammers i.iberschnitten.
1796 mehrere Aufsatze, zunachst in Schmids und Snells 17 Zu Diez' Aufenthalt in Bamberg vgl. den Brief a us Wtirzburg
Philosophischem Journal ( cf. A 2/ 12), dann in Niethammers vom 10. August 1794 (E 3), auJSerdem Cadi X. 2.
Philosophischem Journal ( cf. A 10/ 9). 18 Sixt Jakob Kapff, der Thbinger Promotionsgenosse und
15 Friedrich Christian Leberecht Red erich (1770 -1797), stu- Repetentenkollege von Diez, hatte schon langst eine gelehrte
dierte seit 1789 zunachst Philosophie in Jena, wo er sich Reise erwogen (vgl. C3 8.186 Z.4f., C~ 8.201 Z.19f.
am 11. Mai 1789 immatrikuliert hatte (MJ). Im Fri.ihjahr und D 4 S. 306 z. 23 f.). Sein Aufenthalt 1st auch durch
1793 verlieJS er Jena, kehrte aber ein Jahr spater zuri.ick einen Brief Schnurrers an Niethammer vom 23. April 1794
und wurde dort im Februar 1794 promoviert (vgl. UAJ, bezeugt: ,Den M. Diez werden Sie schwerlich noch vorfi~­
Bestand M 199, Bl. 56, Dekanatsakten der philosophischen den. Vielleicht aber werden Sie den Rep. Kapff noch m
Fakultat), urn sodann in Jena Vorlesungen zu halten. Ent- Jena erreichen." (S. 1; U:BE, Ms. 2054)

734 735
Kommentar zu den Briefen E 2 An Niethammer, 25.-27. Juli 1794

19 Nach den Tagebuchaufzeichnungen Wilhelm von Hum-


boldts reiste Gras am 28. April nach Gi::ittingen ab (vgl. E2
Humboldts Tagebuch in Humboldts Gesammelte Schrifien (cf. Immanuel Carl Diez, Wiirzhurg
E 1/6), S. 243), wo er sich am 31. Mai mit dem Vermerk Freitag, den 25., und Sonntag, den 27. Juli 1794
,ex ac[ademia]. Jenensi" immtrikulierte (MGi::i Nr.l7019 An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
S. 351).
20 Vgl. A 1/15.
Manuskriptheschreihung

Standort: UBE, Ms. 2054.


Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in ern (Hohe x Breite):
21-21,4 X 17,7-18; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Pa-
pierfarbe: chamois.
Tinte: schwarz, Nachschrift vom 27. Juli braun; Anzahl der beschriebenen
Seiten: 4 von 4; Faltung: quer von hinten nach vorne, dann liings.
Besondere Bemerkungen: nachtriiglich mit Blei foliiert 3-4; S. 1 oben von
fremder Hand mit Blei in lateinischen Lettern ,Diez", daneben Stempel der
UBE; S. 1 unten in Blei ,10918"; S. 4 oben links von fremder Hand ,Nieth.
Philos.".

Kommentar

l Wahrend seines Aufenthaltes in Klagenfurt ( vgl. E 1/1) er-


hielt Niethammer von Herbert das Angebot, als Buchhalter
in den Bleiwei:Bfabriken und zugleich als Hauslehrer fUr
den Sohn Albin in dessen Dienste zu treten. Niethammer
lehnte dieses Angebot mit der Begriindung ab, da:B er da-
durch zu sehr bei der Verfolgung seines ,Hauptzweckes"
behindert wiirde. Als seinen Hauptzweck lie:B er wenig
spater in einem Brief an Reinhold vom 4. Juni 1794 die
Absicht erkennen, auf eine ,Lehrstelle auf meiner vater-
landischen Universitat", also auf eine Professur in der phi-
losophischen Fakultat zu gelangen. Ihren Zustand beschrieb
er als den ,allerklaglichsten [... ] von der Welt", wovon die
,positiven Theologen sowol als Juristen" profitierten, indem
sie auf dem Feld der Philosophie ,ungescheut und unge-
hindert ihr Unwesen treiben" (S. 1; GSA Weimar 76/L5
U 3; vgl. dazu auch den Brief Carl Ludwig Fernows an

736 737
Kommentar zu den Briefen E 2 An Niethammer, 25.-27. Juli 1794

~einhold, K.lagenfurt, den 11. Februar 1794, abgedruckt S. 32). - Fi.ir Diez, den Apostaten von Theologie und Chri-
m: Theodor Hell, ,Eine Reihenfolge von Briefen Fernow's. stentuiD, IDu.B diese Ri.ickwendung NiethamiDers zur Theo-
An Reinhold in Jena und Kiel", in: ders., Penelope. Taschenbuch logie eine Entwicklung gewesen sein, an der er gro.Bes
for drLf ]ahr 1844, 1844, S. 313-373, S. 334-343, 8.339). Interesse nahm; und dies urn so mehr, als er auch mit
Von Jena aus verfolgte Niethammer seit seinem Eintreffen einer Ri.ickkehr Niethammers nach Thbingen rechnete (vgl.
?ort ~vgl. A2 S.ll Z. 9-15 mit A2/ 4) die Entwicklungen E4/ 5).
m WurtteiDberg (Vakanzen, Berufungen an die Stuttgarter 2 Mit ,Programm" und ,Kompendium" sind Fichtes Schriften
Karlsschule und die Universitat Thbingen) genau. Ein Ge- Ueber den Begriff der Wissenschajtslehre oder der sogenannten
wahrsmann in Thbingen, der ihn regelma.Big mit akade- Philosophie, als Einladungsschrift zu Vorlesungen iiber diese
mischen Neuigkeiten versorgte und ihn bei seinen Planen Wissenschajt und die Grundlage der gesammten Wissenschajts-
beriet, war Schnurrer (vgl. unter andereiD die Briefe voiD lehre als Handschrift for seine Zuhiirer gemeint. Fichte selbst
4. Januar 1792 (S. 1 f.; cf. A 15/ 1), voiD 15. Juni 1794 (S. 2£.; nannte die Begrzjfsschrift sein Programm (vgl. Fichte an
dieser wie die drei folgenden Briefe: UBE, Ms. 2054), voiD Gottlieb Hufeland, 8. Marz 1794, AA Bd. III,2, S. 80-83,
14. April1795 (S. 2), VOID 15. Februar 1796 (S. 3) und voiD S. 82 und 83; zum Terminus Programm vgl. unter anderem
6. April 1796 (S. 4) - vgl. auch E 4/ 5). So versuchte Niet- auch Schiller an Erhard, Jena 26. Mai 1794, NA 27 S. 4 f.,
hammer, sich bei Vakanzen i.iber seine Bekannten als Kan- S. 4, Jacobi an Wilhelm von Humboldt, 2. September 1794
didat ins Spiel zu bringen und sich mit Vorlesungen und (Friedrich Heinrich Jacobi's auserlesener Briejwechsel, 2 Bde.
VerOffentlichungen i.iber die praktische Philosophie fur eine Leipzig 1825-1827, Bd. 2 S.173-181, S. 180£.)). - Fichte
Professur auszuweisen (vgl. seinen Brief an den Stuttgarter begann seine Lehrtatigkeit in Jena als Nachfolger Reinholds
Hofrat Johann Christoph Schwab voiD 2. Juni 1794 (HSA im Sommersemester 1794. Als Anki.indigung seiner philo-
Stuttgart, A 9 Bi.i 19) aus Anla.B der Aufstellung einer Kom- sophischen Vorlesungen wurde die Begriffsschrifi schon in
mission zur Verbesserung der Universitat Thbingen, in deiD Zi.irich geschrieben. Sie erschien zur Oster-Messe in Weimar
er bittet, der Hofrat moge sich fur ihn wegen einer philoso- 1794 (vgl. IB der ALZ Nr. 65 vom 25. Juni 1794, Sp. 513 f.).
phischen Lehrstelle in Thbingen verwenden; vgl. auch Gadl Die Grundlage wurde zunachst bogenweise ftir die Borer
XI. 2). - Seinen auf ein philosophisches Lehramt gerichteten der Vorlesung im Sommersemester gedruckt. Diez mu.B von
Lebensplan erwahnte NiethamiDer in seiner selbstbiogra- Niethammer erfahren haben, da.B Fichte bald die Bogen
phischen Ri.ickschau (cf. A2/ 1) nicht IDehr. Dort (unpagi- ftir die Vorlesung des Sommersemesters als Buch heraus-
niert, S. 10) hob er vielmehr ftir den Zeitpunkt seiner Riick- geben wollte. Am 3. Oktober 1794 wartete er noch immer
kehr aus Klagenfurt hervor, nun zielstrebig daran gegangen auf das ,Kompendium von Fichte" (vgl. E 4 S. 334 Z. 25).
zu sein, das StudiuiD der Philo sophie mit dem der 'Theologie Im selben Monat sind dann die ersten vier Paragraphen
zu verbinden und die Prinzipien jener auf diese anzuwen- der Grundlage wirklich erschienen. (Vgl. E 6/ 9.) Das ganze
den. Seine Ri.ickwendung zur Theologie, die auch mit einer Werk (mit EinschlufS des praktischen Teils) kam erst im August 1795
Veranderung in seinen personlichen Uberzeugungen zu- (in Jena und Leipzig) heraus, obwohl die Grundlage zusammen mit dem
saiDIDenhing (vgl. Cadi XI. 3), begann aber erst im Winter Grundrifi im Me!Skatalog ( cf. A 4/ 6) der Ostermesse 1795 unter den
1794/ 95. Sie fand ihren Abschlu.B darin da.B Niethammer ,Fertig gewordenen Schriften" angekiindigt war. Aus einer Anzeige des
' Verlegers Christian Ernst Gabler, die am 3. Oktober im Reichs-Anzeiger
iiD Jahr 1797 Doktor und au.Berordentlicher Professor der
Theologie in Jena wurde (Lupin, Niethammer (cf. A2/ l), erschien und mit dem l. August unterzeichnet war, geht dieses Erschei-

738 739
Kommentar zu den Briefen E 2 An Niethammer, 25.-27. Juli 1794

nungsdatum hervor: ,Fichte's Grundlage der gesammten Wissenschafts- Brief ist nicht i.iberliefert. Er wird zwischen zwei Briefen
lehre sowohl, als auch dessen Grundrill des Eigenthi.imlichen der Wis- Niethammers an Reinhold vom 9. Miirz (aus Klagenfurt)
senschaftslehre in Ri.icksicht auf das theorerische Vermogen, ist nun und vom 4. Juni I794 (aus Jena) geschrieben worden sein
ganz ferrig und in allen guten Buchhandlungen, [...] zu haben. [...] (beide Briefe GSA Weimar, 76/ 1,5 U 3). Im zuletzt genannten
Jena, den 1. Aug. 95. Christian Ernst Gabler."' (Kaiserlich privilegirter Briefbedankt sich Niethammer fur ein Schreiben Reinholds,
Reichs-Anzeiger, Jg. 1795 Bd. 2, Nr. 229 vom 3. Oktober 1795, Sp. 2310) das ,endlich" die lang ersehnten ,Nachrichten von Ihrer
3 Zu dieser friihen, in Anlehnung an Reinholds Sprache for- gli.icklichen Ankunft in Kiel" brachte. Im Gegenzug beeilt
mulierten und fur Diez' Theorieprojekt (vgl. C 9 S. 233 er sich, ,Ihnen auch von meinen Schicksalen niihere Nach-
Z. 22 mit C 9/ I5) aufschlu:Breichen Stellungnahme vgl. Gadi richt zu geben" (S. I des Briefes), die ihn von Klagenfurt
VI.3.d. zuri.ick nach Jena fiihrten. Vermutlich enthielt also der Brief
4 Vgl. Gadl VI. 3.d und XIV. Reinholds, den Niethammer an Diez weitergab, ausftihrliche
5 Am En de des § 9 von Fichtes Grundlage ( cf. E 2/ 2) findet Nachrichten von der Ubersiedlung Reinholds nach Kiel. -
sich die Bemerkung: ,An Realitiit iiberhaupt, sowohl die Damit ware er dem 1YP nach in eine Reihe von Briefen einzuordnen,
des Ich, als des Nicht-Ich findet lediglich ein Glaube statt." die Reinhold an Personen des engeren Freundeskreises und der Ver-
(AA 1,2 S. 429; vgl. auch ebd. S. 451.) Erstaunlich ist, dag wandtschaft schickte. Seinem Schwiegervater Wieland sandte er ein "von
Diez schon im Juli I794 von diesem Theorem Fichtes wugte, Hamburg datiertes kleines Reise-Journal", das dieser am 28. April erhielt
obwohl § 9 dem praktischen Teil der Wissenschaftslehre (Wieland an Reinhold vom 19. Mai 1794, in: Wielands Briifwechsel (cf.
angehort, der erst im Wintersemester I794/ 95 ausgearbeitet A 2/ 17), S. 208-212, S. 208), sowie am 6. Mai einen von diesem "sehnlich
und vorgetragen wurde. Da Fichte aber den Gedanken erwarteten ersten Brief von Kiel" ( ebd. S. 208 f.), der in der Schilderung
vom Glauben an die iiu:Bere Sinnenwelt schon in einem von Reinholds Aufenthalt in Hamburg und seiner Ankunft in Kiel das
unveroffentlichten Text vom Friihjahr I794 notiert hatte - nicht erhaltene - ~eise-Journal" fortsetzte (vgl. ebd. 8.196-199).
(vgl. AA II,3, S.I79 - 266, S.I95) und Diez nur aufNiet- Auch Baggesen erhielt von Reinhold einen Jeichhaltigen Brief, worin
hammers Bericht iiber Fichtes Philosophie reagiert (Be- Du [Reinhold] mich [Baggesen] an Deiner Seite von Jena i.iber Hamburg
griflsschrift und Grundlage will er sich erst schicken lassen), nach Kiel ftihrst" (so Baggesen an Reinhold, 8. Juli 1794, in: Baggesen-
ist anzunehmen, da:B Niethammer von diesem Theorem Briefwechsel I S. 353-358, S. 353). Der so bezeichnete Brief ist lediglich
aus Mitteilungen Fichtes erfuhr. mit dem Jahr 1794 dariert (Baggesen-Briefwechsel I S. 340-351).
6 Aus Ulrichs lnstitutiones ( cf. A 2/I3 ), 1I 785, § 309 (S. 322 ff.), 8 Der ,neue Landsmann" konnte fi.ir einen liingeren Aufenthalt
ebenso 2 I792, im gleichen Paragraphen (S. 388 ff.), mit zwei- auf der Durchreise nach Jena gekommen sein und sich
maligem Riickverweis auf das Beispiel der Tonfolge. Diez' nicht immatrikuliert haben. Wegen der im folgenden ge-
Bemerkung schlie:Bt eine Kritik an Kant ein. Das Thema nannten Namen ist es aber wahrscheinlich, da:B Niethammer
wird in den folgenden Briefen noch zweimal aufgenomrnen: an Diez von einem der zum Sommersemester 1794 neu
in E4 8.335 Z.24 - 27 (E4/I6) und in E6 8.338 Z.S - 25 immatrikulierten sieben Schwaben (MJ) geschrieben hatte.
(E 6/2). Sie seien hier genannt. 1) Karl Friedrich Gartner (1772-1850), Botaniker
7 Offenbar iiberlie:B Niethammer Diez Briefe, die er von Rein- und Arzt in Calw; er verlieB Jena noch 1794 auf den Rat Kielmeyers,
hold erhalten hatte und die Diez nach der Lekti.ire wieder bei dem er an der Karlsschule studiert hatte (MSt Nr. 569 S. 445), urn
zuriicksandte, so auch den hier erwiihnten Brief, vgl. unten tiber Gottingen nach Wtirttemberg zuruckzukehren. (Zu Kielmeyers Rolle
bei der Planung von Diez' Medizin-Studiurn vgl. A 14.) Ebenso 2)
S. 330 Z. 29: ,Der Reinholdsche Brief folgt inliegend". Dieser
741
740
Ko=entar zu den Briefen E 2 An Niethammer, 25.-27. Juli 1794

August Heinrich Salomo Cle= (1772 - 1809), spiiter Arzt in Stuttgan 1791, 1794-1796, 1799 und 1800 i.iberliefert. Vor allem
(Auskunft der Evangelischen Kirchenpflege Stuttgart vom 6. Dezember der Kontextder Briefe vomMai undJuni 1791 (vgl. A 10/ 17)
1988; vgl. MSt r. 473 S. 442 und MTti r. 39330 S. 381). AuBerdem laEt darauf schlieEen, daE Diez von dem Briefwechsel Niet-
3) Friedrich Eberhard Weisert (1775 - 1821; spiiter Advokat in Heilbronn hammers mit Hauff wuEte. Da von einem Besuch Hauffs
(Kirchenregisteramt Heilbronn, Totenbuch Bd. 7 S. 181)) aus Heilbronn. in Jena nichts bekannt ist und auch wahrend des Semesters
Diese dr ei immatri kulierten ich am 9. Mai 1794. Am 14. Mai 1794 im- nicht davon auszugehen ist, bezieht sich also Diez' Anfrage
matrikulierte sich 4) Karl Ludwig Paulus (geb. 1775; Prof. der Medizin moglicherweise auf Nachrichten aus Marburg.
in Wtirzburg, Oberamtsarzt in Sulz (Faber, XL. Herbst'sche Stiftung, 10 Karl Christoph Friedrich Jager (1773 -1828) studierte
§ 185 h), ji.ingerer Bruder von Karl Friedrich Paulu s) und am 21. Mai 1790-1793 Medizin an der Hohen Karlsschule in Stuttgart.
1794 5) Johann Caspar Camerer, der ji.ingere Bruder Philipp Gottfried 1793 erschien seine Dissertation Acidunz phosphoricum tan-
Camerers, sowie 6) Johann Enslin (1773 -1 826; Physik us in Heidenheim quam morborum quorundam causam proponens (in Stuttgart).
und Altensteig (vgl. Pfe ilsticker § 2 146; Fab er, XXVI. Weinmann'sche Nach Studienreisen nach Wt.irzburg, Erlangen, Jena und
Stiftung, § 76 d, und XXXV. Ni.irnberg-Tafinger'sche Stiftung, § 12 d, Wien wurde er 1 795 Hofmedikus in Stuttgart und iibernahm
bb; Beese, Die medizinischen Promotionen (cf. D 3/ 50), S. 135)). SchlieBlich 1797 die Aufsicht i.iber das Naturalienkabinett. Bis zu seinem
folgte am 24. Mai 1794 7) Gottlob Gaupp (geb. 1774), der sich ein Lebensende war er als Arzt in Stuttgart tiitig. - Nach einem
halbes Jahr darauf, am 28. Novemb er 179 4, in Tt.ibingen immatrikulierte auf den Zeitraum zwischen Dezember 1793 und Februar
(MTti Nr. 39 133 S. 370). Da im folgenden nur Gartner (noch 1794 zu datierenden Eintrag in das Besucherbuch des Bam-
im selben Absatz) und in spateren Briefen (E 7 S. 341 Z. 20 - berger Krankenhauses (StadtA Bamberg, HV Rep. 2,
24, S. 343 Z. 27-29 und E 8 S. 348 Z. 22) Johann Caspar Nr. 590 b, Archivalien-Sammlungen des Historischen Ver-
Camerer erwahnt werden, konnte einer dieser heiden der eins Bamberg) war Jager schon vor Diez in Bamberg ge-
gemeinte Landsmann sein. wesen. Der Eintrag lautet: "C. C.F. Jaeger, Med. Dctr. aus
9 In Jena nicht immatrikuliert (MJ). Wahrscheinlich handelt Stuttgardt C. L. Stehl, Med.Cand. aus Stuttgardt". (Mittei-
es sich urn Johann Karl Friedrich Hauff( /') (1766-1846), lung von Archivoberrat Dr. Zink, Stadtarchiv Bamberg, vom
der sich am 23. Oktober 1784 in Thbingen immatrikulierte 10. Marz 1989; auf Nachfrage hat Dr. Zink bestatigt, daE
(Mill Nr. 38303 S. 321) und 1786 siebter in Niethammers statt "Stehl" auch ~ehl" gelesen werden konnte, was durch
Magisterpromotion war (vgl. Magisterprogranzm Tiibingen mehrere nachfolgende Textstellen (vgl. E 2/ 19, auEerdem
( cf. A 1/2) von 178 6). Zwischen 1790 und 1794 war er E 7/ 12 und E 8/ 16) nahegelegt wird, an den en Jager und
Hauslehrer in Wetzlar (vgl. D 5/ 53), ehe er im Marz 1794 Hehl von Diez zusammen genannt werden.) - Jager wird
eine auEerordentliche Professur fur Mathematik in Marburg im folgenden noch haufiger erwahnt. In Wien hat Diez
antrat. Ein Jahr darauf wurde Hauff ordentlicher Professor offenbar mit ihm eine Wohnung geteilt, denn nach (und
fur Mathematik (his 1808). Sein Weg fuhrte anschlieBend wegen) Jagers Abreise nach Wiirttemberg wechselte Diez
iiber Wien, Augsburg, Blansko bei Brunn und Koln nach seine Wohnung (vgl. E 7/ 33).
Gent, wo er von 1817 his zu seiner Emeritierung im Jahr 11 Vgl. E 2/ 8.
1830 als Professor der Physik und Chemie lehrte. - ~on 12 Moglicherweise handelt es sich urn einen nicht erhaltenen
seiner regelmaEigen Korrespondenz mit Niethammer s~d Brief an den Verlag Voss u. Camp. in Leipzig. Diez scheint
im NiethammernachlaE in Marbach, in Erlangen und Ill mit ihm einen Vertrag iiber die Publikation seiner medi-
Privatbesitz einzelne Briefe Hauffs aus den Jahren 1790, zinischen Dissertation Rudimenta methodologiae medicae, Th-

742 743
Kommentar zu den Briefen E 2 An Niethammer, 25.-27. Juli 1794

bingen 1794, ftir den Buchmarkt abgeschlossen zu haben, der Universitat Wi.irzburg immatrikuliert (MWti Nr. 23935
an dessen Erftillung der Verlag aber schlie!Slich kein In- S. 834), danach in Gottingen am 11. November 1794 mit
teresse mehr hatte. Nachdem der Verlag erklart hatte, den dem Vermerk ,ex ac[ademia]. Wi.irzburg." (MGo Nr.17153
Kontrakt doch erftillen zu wollen, hat Diez dann in einem S. 353). Hehl hatte sein Studium der Medizin von 1787
Schreiben vom 2. Februar 1795 den Kontrakt ,unter freund- his 1793 auf der Hoben Karlsschule in Stuttgart begonnen,
schaftlicheren Gesinnungen" geki.indigt (UB Leipzig, Slg. wo er sich schon am 13. Oktober 1784 immatrikuliert hatte
Roemer). Zur gleichen Zeit hatte er seine Dissertation Heer- (vgl. MSt Nr. 48 S. 428). Am 14. August 1796 immatrikulierte
brandt in Tiibingen zum Druck i.iberlassen. (Vgl. E 6/ 1.) er sich zur Promotion (noch im August) an der Universitat
Anfang Januar suchte er noch mit Niethammers Hilfe nach Ti.ibingen (M'lli Nr. 39250 S. 377). Ab November 1796 prak-
einem anderen Verleger in Jena (vgl. den Brief an Niet- tizierte er als Arzt zunachst in Stuttgart, dann an verschie-
hammervom 6. Januar 1795 (E 5), S. 337 Z.15-19, undE5/5). denen anderen wi.irttembergischen Orten, urn 1804 wieder
13 Vgl. E 1/10. nach Stuttgart zurtickzukehren. 1806 wurde er koniglicher
14 Wahrscheinlich der im folgenden genannte ,Dietrich" in Bergrat. (Zur Biographie Hehls vgl. ]ahreshejte des Vereins
Wtirzburg. Es wurde nicht versucht, Naheres i.iber ibn in for vaterliindische Naturkunde in Wiirttemberg, Stuttgart 1855,
Erfahrung zu bringen. S. 57-60, und Beese, Die medizinirchen Promotionen (cf.
15 Vgl. A 15/ 11. D 3/ 50), S. 136. Nicht in DBA.) - Zu Hehl vgl. auch den
16 Carl Caspar Siebold (1736 -1807), seit 1769 Professor fUr Eintrag im Besucherbuch des Bamberger Krankenhauses
Anatomie, Chirurgie und Geburtshilfe in Wi.irzburg (vgl. ( cf. E 2/ 10), au!Serdem das En de des folgenden Briefes
Hans Korner, Die Wiirzburger Siebold Eine Gelehrterifamilie (E3 S.333 Z.10-12) und die Wiener Briefe (E7 S.341
des 18. und 19. ]ahrhunderts, Neustadt a. d. Aisch 1967, S. 17- Z. 22-24, E 8 S. 348 Z. 22).
97). Zwei seiner Sohne, Johann Georg Christoph und Johann 20 Es wurde nicht versucht, Naheres tiber den Wi.irzburger
Bartholomaus, ebenfalls Mediziner, werden im folgenden Chirurgen Wirth. der in E 3 S. 333 Z. 10-12 noch einmal
Brief erwahnt (vgl. E 3 S. 331 Z. 13 f. und Z. 25 und E 3/ 4, erwahnt wird, zu ermitteln.
/ 6). 21 Zum Mittagstisch, an dem Niethammer teilnahm, vgl. E 4/ 19.
17 Sparefankel ist nach dem SWV, Sp. 1480-1481, einelautliche 22 Vgl. lat.: dubito - zogern, zweifeln, erwagen. Diez ging
Nebenform zu ,Sparafantel"- exzentrischer, halbverriickter, nach Mainz (vgl. E3 S. 332 Z. I8).
verschrobener Geselle, Schwadroneur ( der einen Sparren 23 Vgl. Gadl X. 2.
zuviel hat). Nach Grimm IlL Sp. 1317-1318, hei!St ,Fankel" 24 Unter der in den gedruckten Autographenverzeichnissen
Teufel; so ware der Sparefankel mit allen seinen lautlichen und der Zentralkartei der Autographen in Berlin verzeich-
Abweichungen ein Teufel, der einen Sparren hat, also ein neten nachgelassenen Korrespondenz Loders haben sich
exzentrischer und ziemlich bosartiger Mensch. (Zu Sparren keine Hinweise auf Briefe von oder auch an Diez gefunden.
vgl. Grimm X,1 , Sp. 1946-1951, besonders Sp. 1948-1950.)
18 Btichsner, tiber den Naheres zu ermitteln nicht versucht
wurde (nicht in DBA), wird auch zu Beginn des nachsten
Briefes (E 3 S. 331 Z. 8) wieder erwahnt.
19 Johann Carl Ludwig Hehl (1774-1853), Sohn eines Stutt-
garter Steuereinnehmers, hatte sich am 22. Mai 1794 an

744 745
Ko=entar zu den Briefen E 3 An Niethammer, 10. August 1794

5 Es wurde nicht versucht, die erwahnten Wiirzburger Spi-


E3 talgehilfen Brandner und Weichlin nachzuweisen.
Immanuel Carl Diez, Wiirzhurg 6 Wahrscheinlich Johann Bartholomaus Siebold (1774-
Sonntag, den I 0. August 1 794 1814), der seit Herbst 1793 (immatrikuliert am 21. Oktober
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena 1793 (MJ)), wie spater auch sein jiingerer Bruder Johann
Elias Cosmas Adam (1775-1828) (immatrikuliert am 9. De-
zember 1795 (MJ)), in Jena Medizin studierte. (Vgl. Korner,
Manuskriptheschreibung Die Wiirzburger Siebold ( cf. E 2/ 16), S. 161-202, 203- 253.)
7 In einer Rezension des Neuen Magazins for Aerzte, Bd. 15
Standort: UBE, Ms. 2054. 1793, St.1-4, in der in Salzburg erscheinenden Oberdeutschen
Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hohe X Breite): AllgemeinenLitteraturzeitung 141. Stuck, 27. November 1793,
21-21,1 X 17,8-17,9; Rander beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen; Sp.1073-1078, Sp.1074, findet sich folgende Notiz: ,Nach-
Papierfarbe: chamois. richt von einer Streitigkeit der Wiener Aerzte mit Hrn. Priises
Tinte: d un.kelbraun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 1I 4 von 4; Adresse:
,Sr Wohlgebohren I Herrn Prof. Nietha=er I Jena. I frei b. Koburg~ Post- Baron von Stork> und Hrn. Dekan der facultii.t Schosulan. Es
stempel ,Wt.irzburg"; Siegel: S. 4 Siegelreste, Siegelstellen ausgerissen (S.l ist sehr traurig, daE Hofkabale, Facultats-Schikane, und
und 4); Faltung: quer von hinten nach vorne, dariiber Brieffaltung. Gelehrten- Neid die vortreffliche Anstalt des unsterblichen
Besondere Bemerkungen: nachtraglich mit Blei foliiert 5-6; S.1 oben von Josephs II. so sehr an ihrer Vollkommenheit und Niitzlichkeit
fremder Hand mit Blei in lateinischen Lettern ,Diez"; darunter Stempel der
UBE; S.1 unten in Blei ,10918"; S. 4 im AdreEfeld Rotelstiftmarkierungen. aufhielten."
8 Der im Postskriptum genannte ,Scheuring" ist gemeint. -
In einem 1812 im Druck veroffentlichten Bamberger Haus-
besitzerverzeichnis ist unter der Hausnummer 1613, die
Kommentar zum Sonnenplatzchen gehorte, der Chirurg Lorenz Scheu-
ring verzeichnet. Da in der gesamten Zeit zwischen 1778
1 Vgl. E 1/10. und 1832 fur dieses Anwesen als Besitzer nur Lorenz und
2 Fiir die Antwort, die Diez wegen Niethammers Bruder aus dann Johann Scheuring nachweisbar sind, muE es sich bei
Augsburg erhielt, vgl. den folgenden Brief, E 4 S. 336 Z. 5£. dem Genannten urn den Sonnenbader handeln. Diese Be-
(E 4/20), auEerdem E 6 S. 339 Z. 1 f. (E 6/6). zeichnung erklart sich daraus, daE das Scheuringsche Haus
3 ,H.ier" bezieht sich auf Wurzburg, nicht auf Augsburg, da die fri.ihere Judenbadstube war und zeitweise den Haus-
in der unmittelbaren Folge wiederum (vgl. schon E 2/18) namen ,Badstube zur Sonne" trug. (Mitteilung von Dr. Zink,
Bi_ichsner erwahnt wird. Es wurde nicht versucht, etwas Stadtarchiv Bamberg, vom 10. Marz 1989.) In DBA
iiber ,Chirurgus Muller" zu ermitteln. (1099,310) IaEt sich fur Bamberg nur ein Burckard Scheu-
4 Johann Georg Christoph Siebold (1767-1798), seit 1790 ring, Doktor der freien Kiinste und der Medizin, nachweisen.
auEerordentlicher Professor fiir allgemeine Heilkunde, Dia- 9 Vgl. A 15/11.
tetik und Geburtshilfe und Anfang 1795 ordentlicher Pro- 10 Griech.: auf frischer Tat, durch unleugbare Tatsachen.
fessor fur medizinische Praxis und Geburtshilfe sowie zwei- 11 Vgl. E 2 S. 330 Z. 22 f.
ter Arzt am Juliusspital in Wiirzburg (vgl. Korner, Die Wiirz- 12 Das Postskriptum ist fur Niethammers Bruder (vgl. E 1/10
burger Siebold ( cf. E 2/16), S. 98 -112). und E 2 S. 329 Z. 30-S. 330 Z. 13) bestimmt, der dem Wort-

746 747
Kornmentar zu den Briefen E 4 An Niethammer, 3. Oktober 1794

laut des Briefes zufolge noch unentschlossen war, ob er


nach Wtirzburg oder nach Wien gehen sollte. In Bamberg E4
teilte sich der Weg, so daE er dart auf jed en Fall durchreisen Immanuel Carl Diez, Thbingen
muEte. Freitag, den 3. Oktoher 1794
13 Vgl. E 3/8. An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
14 Hier ist Adresse wahrscheinlich im Sinne von Anschrift zu
verstehen (vgl. aber D 2/15).
15 Der Hirschfanger gehorte vermutlich Diez. Dies IaEt sich Manuskriptbeschreibung
aus D 2 S. 272 Z. 32 und vor allem einer Mitteilung Philipp
Christian Reinhards an Niethammer schlieEen (vgl. E 4/17). Standort: UBE, Ms. 2054.
16 Vgl. A2/22. Anzah1 der Lagen und Blatter: EinzeJblatt; Format in em (Hohe x Breite):
21,4-21,7 X 17,2-17,4; Riinder oben und links beschnitten; Bogenfaltung: 4°;
Wasserzeichen; Papierfarbe: chamois.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2 von 2; Faltung: quer von
hinten nach vorne, dann langs.
Besondere Bemerkungen: nachtraglich mit Blei foliiert 7; S. l oben von fremder
mit Blei in lateinischen Lettern ,Diez"; darunter Stempel der UBE; S. 1 unten
in Blei "10918"; S. 1 und 2 in Blei Unterstreicbungen der Namen.

Kommentar

I Schnorrer schrieb i.iber Diez' Riickkehr nach Thbingen und


seine Plane an Niethammer am 31. August 1794 das fol-
gende: ,Diez ist dieser Tagen hier angekommen, ich habe
ihn bereits gesprochen, und mich seiner herzlich erfreut.
Er hat nun nichts angelegeners zu thun, als sich das me-
dicinische Doctorat zu verschaffen. Die Disputation dazu
hat er schon vor sich her i.iberschikt; sobald sie nun gedrukt
sein wird, kann er sie defendiren." (S. 4; UBE, Ms. 2054.)
- Vgl. E 4/4.
2 Der Empfanger des Briefes ist vermutlich der Mediziner
Christoph Wilhelm Hufeland. Unter der in den gedruckten
Autographenverzeichnissen und der Zentralkartei der Au-
tographen in Berlin verzeichneten nachgelassenen Korre-
spondenz Hufelands haben sich keine Hinweise auf Briefe
von oder auch an Diez gefunden.
3 Weder im Thbinger Stadtarchiv noch in den Wi.irttember-

748 749
Kommentar zu den Briefen E 4 An Niethammer, 3. Oktober 1794

gischen Staatsarchiven lieE sich eine solche Anstellung als hammer in einen Pralektionszettel zu kommen, auch die
Spitalarzt belegen. Hoffnung auf eine Anstellung an der Universitiit ausdriickt
4 Diez wurde am 21. Oktober 1794 in Thbingen nach be- (vgl. auch die am 18. September 1794 geauEerte Erwartung
standenem Examen und Verteidigung seiner Dissertation K.ielmeyers, Diez werde ,nachstens auch professor extra-
Rudimenta methodologiae medicae (cf. E2/ 12) zur medizini- ordinarius werden" (vgl. A 14/ 1)).
schen Praxis autorisiert und verpflichtet und erhielt die 6 Paulus' Reise nach Schwaben wird auch von Schnurrer in
Erlaubnis, Kollegien zu lesen, was er vor seiner Reise nach einem Brief an Niethammer vom 9. Oktober 1794 (S. 1;
Wien auch wirklich tat. (Vgl. UAT 128/ 22, Akten des Wein- UBE, Ms. 2054) erwahnt. Schnurrer berichtet, daE Paulus
mannschen Stipendiums, 1102, Rchg. 1796/ 97, Beilage 11, am 27. September ankam und ihn besucht habe; inzwischen
Antragsschreiben des Vaters Carl Philipp Diez vom 9. Fe- sei er auf der Riickreise nach Jena, die er am 5. oder
bruar 1797, S. 3; das Gutachten des Geheimen Rats vom 6. Oktober angetreten habe. - Die Hinreise nach Wiirttem-
11. Mai 1795 ( cf. E 8/ 9), in dem anlaElich der Vergabe berg kann Paulus friihestens am 8. September 1794 ange-
eines Reisestipendiums die von Diez gehaltenen Vorlesun- treten haben, da Schiller ihm einen auf diesen Tag datierten
gen erwahnt werden; vgl. auch Gadl X. 3.) Ein Text zur Brief an Erhard in Niirnberg mitgab (vgl. NA27 S.40f.,
Ankiindigung der ersten Vorlesung ,Praelectiones scientiae S. 40). Offenbar war Paulus einige Zeit in Schorndorf (vgl.
medicae encyclopedicas" vom 23. Oktober 1794 ist erhalten unten S. 335 Z. 3 f. und auch E 4/ 17), wo seine Schwieger-
(UBT, Md 755 a,4). eltern wohnten.
5 Moglicherweise rechnete Diez noch mit einer Ri.ickkehr 7 Wenn es sich nicht urn Vorlesungsnachschriften oder Alm-
Niethammers an die Universitat Thbingen. Niethammer hat- liches handelt, kommen am ehesten die von Christoph Wil-
te wirklich i.iber langere Zeit seinen Lebensplan darauf helm Hufeland zusammen mit Johann Friedrich August
ausgerichtet, eine Professor in Thbingen zu erlangen, und Gotding herausgegebenen Aujkliirungen der Arzneywissen-
lieE sich deshalb stets so gut wie moglich iiber Vakanzen, schtift, aus den neuesten Entdeckungen der Physik, Chemie und
neue Professorenstellen und seine Aussichten in Thbingen andern Hu!fswissenschaften in Frage, wovon die erst en heiden
ins Bild setzen (vgl. E 2/ 1). Wenigstens einmal scheint er Sti.icke des ersten Bandes bereits 1793 (in Weimar) er-
auch konkrete Plane fur eine Bewerbung urn eine au~er­ schienen waren. Das dritte Sti.ick erschien ebd. 1794.
ordendiche Professur der Philosophie in Thbingen gefa~t 8 Vgl. E2/ 2.
zu haben. Hauff geht in einem Brief an Niethammer aus 9 Moglicherweise hatte Niethammer Diez in einem seiner
Marburg vom 15. Miirz 1795 (S. 1 f.; UBE, Ms. 2054) darauf vorausgegangenen Briefe eine Abhandlung in Aussicht ge-
ein. - Als ,Priilektionszettel" bezeichnet Diez das Thbinger stellt, die er wenig spater auch in einem Schreiben an
lateinische Vorlesungsverzeichnis Ordo praelectionum ( cf. Erhard vom 27. Oktober 1794 (Sammlung Varnhagen, Map-
A 3/ 71; vgl. auch D 2/ 29). Diez' eigene Vorlesungen (vgl. pe ,Erhard") erwahnte. Diese ,Abhandlung", in der er sich
E 4/ 4) sind darin aber weder fUr das Wintersemester die Frage vorgelegt habe:,Was hat die Philo sophie eigentlich
1794/ 95 noch auch fur das Sommersemester 1795 aufge- zu leisten?", und die auch eine Auseinandersetzung mit
fuhrt. Im Thbinger Vorlesungsverzeichnis werden zu dieser Fichtes Philosophie darstellt, erschien schlieElich in seinem
Zeit auch nur die Inhaber der Professuren nicht aber aile eigenen Journal unter dem Titel ,Von den Anspriichen des
' gemeinen Verstandes an die Philosophie" (Philosophisches
Inhaber einer venia legendi aufgeft.ihrt. Es konnte sein,
daE Diez im Brief mit der Hoffnung, zusammen mit Niet- Journal Bd. 1 1795, H. 1 S. 1-45). Weniger wahrscheinlich it,

750 751
Kommentar zu den Briefen E 4 An Nietl1ammer, 3. Oktober 1794

daB Diez hier nach einer weiteren Abhandlung Niethammers fragt, nach der Heirat Paulus hieE (vgl. NA 42 S. 758). In Niet-
die zwar entworfen, vielleicht auch geschrieben, jedenfalls aber nicht hammers BriefnachlaE findet sich ein Goritz zuzuschrei-
publiziert wurde. Sie ist in mehreren Zeugnissen Nielhammers erwiihnt. bender Brief vom 29. Januar 1799 (cf. E 7/ 15), in dem
In Band 2 Heft 2 des von Schmid und Snell herausgegebenen Philoso- davon berichtet wird, daE "dumme[r] Sonderbarkeitsdrang"
phischen]ourna!s (cf. A2/ 12) aus dem Jahr 1793 (S.1-72) erschien der der Frau, der Schwiegermutter und des Schwagers Paulus'
von iethammer am 16. Oktober 1793 unterzeichnete Aufsatz 3ersuch ebenso AnstoE frnde wie die Tatsache, daE Paulus sich
einer Ableitung des moraiischen Gesetzes, aus der Form der reinen offentlich als Religionsveriichter zeige. In diesem Sinne
Vernunft", an dessen Ende er in einer Nacherinnerung einen .,noch konnte Diez tiber Frau Paulus mit Fragen importuniert wor-
folgenden AufsatzO " iiber ,Sittlichkeit und Freiheit" ankiindigte (ebd. den sein. Der spottische Ton in Diez' Ausdruck "und die
S. 71). Schon in einemBrief an Erhard vom 13. September 1793 unterschied Frau Base" hat eine Entsprechung in dem spiiteren Ausdruck
Niethammer von jener in Schmids Journal erschienenen Abhandlung "[die] Paula" (vgl. E 7/ 16). Die Paulus-Biographie von Karl
eine weitere Abhandlung iiber die Freiheit, welche er bald zu schreiben Alexander von Reichlin-Meld egg ( cf. A 3/ 72) gibt in dies em
beabsichtige. Und am 8. November schickte er ihm die gedruckte erste Zusammenhang keinen AufschluK
Abhandlung und meinte, auch die zweite Abhandlung iiber die Freiheit 11 Gemeint sind Exemplare von Diez' Dissertation, die fur die
des Willens werde er im Philosophischen Journal abdrucken las en (vgl. Verteidigung am 21. Oktober 1794 in gedruckter Form
Niethammer an Erhard vom 13. September 1793 und vom 8. November vorliegen muEte ( cf. E 2/ 12). Davon zu unterscheiden ist
1793, Sammlung Varnhagen, Mappe ,Erhard und iethammer"). Auch die spiitere, urn Anmerkungen, Ergiinzungen und zwei Ka-
Schiller erhielt von iethammer am 22. November 1793 den ersten Teil taloge erweiterte Fassung, die im Miirz 1795 in Ti.ibingen
der in Schmids Journal erschienenen Abhandlung, mit der Nachricht: bei Heerbrandt erschien ( cf. D 2/ 94; vgl. Gadl X. 2; vgl.
,Mein Plan war, noch vor meiner Abreise, eine andere Abhandlung iiber im uberniichsten Satz ~ernachmals", vor allem aber unten
die Freiheit des Willens, welche den zweiten Theil von dieser vorange- (E4 S.335 Z.19): "Wenn ich das Ganze fertig habe"). Am
schickten Abhandlung aus macht, zu voilenden. [...] Ich werde also 6. Januar 1795 (Datum des folgenden Briefes) war Diez
diese Arbeit auf die Reise mitnehmen." (NA 34,1 S. 337-339, S. 338) Ein noch auf der Suche nach einem Verleger (vgl. E 5).
solcher zweiter Aufsatz ist jedoch nicht erschienen. DaB Niethammer 12 Vgl. E 4/ 6.
aber zumindest einen Entwurf zu dieser Arbeit Fichte vorlegte, liiBt eine 13 Schwab.: "Zuschlagen" - zutriiglich sein, wohl bekommen,
AuBerung Fichtes vermuten: Fichte wiirdigte in einem Brief vom April passen (SW VI, Sp. 1386).
1794 (AA III,2 S. 94-96, S. 96) Niethammers ,Untersuchungen iiber die 14 Zu Diez' Mitgliedschaft in Batschs Naturforschender Ge-
Freiheit" als Fortft.ihrung der Grundgedanken seiner ,Creuzer-Rezension" sellschaft vgl. Gadl X. 2. Vgl. auch Verzeichnis der "activen
(Creuzer, Skeptische Betrachtungen ( cf. A 6/ 16), in: ALZ Nr. 303 vom Mitglieder" der Naturforschenden Gesellschaft (Nachricht
30. Oktober 1793, Sp. 201-205). Zur ersten AbhandJung (,Versuch einer von der Griindung (cf. D 4/ 22), S. 44).
Ableitung des moralischen Gesetzes [... ]") hatte Fichte bereits ausft.ihrlich 15 Gottlieb Konrad Christian Storr (1749-1821), Bruder des
im Brief an Niethammer vom 6. Dezember 1793 (AA III,2 S. 19-22) Theologen Gottlob Christian Storr, war ab 1771 Hof- und
Stellung genommen. Akademie-Medikus an der Militiirakademie Karl Eugens,
10 Paulus hatte am 21. Juni 1789, wenige Tage vor seinero ehe er 1774 als ordentlicher Professor fur Chemie und
Umzug nach Jena, gegen den Willen seines Vaters seine Botanik an die medizinische Fakultiit der Universitiit Ti.i-
hier gemeinte Cousine Elisabeth Friederike Caroline, geb. bingen berufen wurde. Seit 1784 war er zudem Professor
Paulus (1767-1844), geheiratet, die also sowohl vor wie fur Botanik am Collegium illustre in Ti.ibingen. - Storr

752. 753
Kommentar zu den Briefen E 4 An Niethammer, 3. Oktober 1794

prasidierte dem Diezschen Promotionsverfahren (vgl. Cadi von Fichtes Frau in Jena, fand sich dieser Kreis dann in
X.3). Fichtes Wohnung ein. Anders als Niethammer, der sich von Fichtes
16 Vgl. E2 S.329 Z.5-7 (E2/6) und E6 S.338 Z.S-25 Mittagstisch enttiiuscht zeigte, iiuJSerte sich etwa Johann Smidt (1773-
(E 6/2). ] 857) (vgl. Smidts Briefe an seine Schwester Katharina Castendyk (1775-
17 Philipp Christian Reinhard hatte ein Paket und einen Hirsch- 1827; Auskunft des SA Bremen vom 13. Juli 1995) vom 4. August 1794
fanger (vgl. das Postskriptum an Karl Friedrich Niethammer (abgedruckt in: J G. Fichte im Gespriich. Berichte der Zeitgenossen, hrsg.
im vorigen Brief, E 3 S. 333 Z. 1-3 mit E 3/12 und /15) von Erich Fuchs in Zusammenarbeit mit Reinhard Lauth und Walter
an Diez zu besorgen. Er schrieb dariiber am 24. September Schieche, Bd. l Stuttgart, Bad Cannstatt 1978 (= Specula hrsg. von
1794 aus Balingen an Niethammer: ,Diezen hatte ich [...] Gunther Holzboog Bd. 1,1), S. 13lf., S. 131) und vom September 1794,
besucht wenn ich nicht schon unterwegs vernommen hatte ebd. S.149f., und den Brief Hermann Ludwig Cochs an Smidt vom
daB er am nemlichen Tage nach Stuttg[art] gereist sey, an 20. August 1794 (in: Fuchs, ,Reinhold und Fichte" (cf. E l/12), S. 170)
welchem ich von da nach Thb[ingen] kam. Das Paket p. inReaktionaufSmidts Mitteilungen. Uber die Weltliiufigkeit derTischrunde
habe ich ihm zugeschikt. Pr[ofessor] Paulus [vgl. zu dessen berichtete Smidt auch in seinen Erinnerungen an J F Herbart (in: Johann
Aufenthalt in Wurttemberg E 4/6] und ich haben erst in Friedrich Herbart, Siimtliche Werke, hrsg. von Karl Kehrbach, Bd. 1 Lan-
Schorndorf die Entdekung gemacht, daB der Hirschfanger gensalza 1887, S.XXIII-XXXXVI, S.:XXV-XXVII.Vgl. auch Felicitas Mar-
auch fUr ihn bestimmt war." (S. 1; UBE, Ms. 2054.) winski, Die Literarische Gesellschaft der freien Manner zu lena und ihre
18 Vgl. E2 S. 329 Z. 15-20, wonach Diez Jager im Sommer Constitution von 1795, Jena, Erlangen 1992, S. 86£.)). Aber auch David
1794 in Bamberg antraf und ihn, der er offenbar in Begriff VeitlieJS eher Zuriickhaltunghinsichtlich des Mittagstisches d urchscheinen,
war, nach Jena zu reisen, der Fiirsorge Niethammers in als er, im gleichenAtemzug Fichte lobend, an Rachel Levin am 20. Dezember
Jena empfahl. tiber ein Zusammentreffen mit Jager in Jena 1794 aus Jena schrieb: ,Fichte, bei dem ich bisher gespiesen habe, -
berichtet Herder in einem Brief vom 10. Oktober 1794 an ich habe den Tisch aufgegeben, wei! er Zeit kostet, und kein Ersatz
Karl Ludwig von Knebel: ,,ch habe das Vergniigen gehabt, dafur ist, - ist einer der grolSten Kopfe, die ich jemals gesehen habe"
ein paar junge Leute von gutem Gehalt kennen zu lernen, (Fichte im Gespriich Bd. 1 S. 206 f., S. 206).
Herrn Scherer, der hier bei der naturforschenden Gesell- 20 VgL E 3 S. 331 Z. 3-6 mit E 3/2, auBerdem E 6 S. 339 Z. 1 f.
schaft ist, und Herrn Jager aus Stuttgardt. Letzterer ist mit E 6/6.
nun nach Gottingen abgereiset." (Von und an Herder. Un- 21 Dettingen unter Teck, wenig siidlich von Kirchheim unter
gedruclcteBriefe aus Herders Nachlafl, hrsg. von Heinrich Diint- Teck und gut 30 km nordostlich von Thbingen gelegen,
zer und Ferdinand Gottfried von Herder, Bd. 3 Leipzig war der Heimatort von Christoph August Klett, der zu der
1862, S. 93 f., S. 94). Jager hat sich bald darauf am 27. Ok- Zeit, in der dieser Brief abgefaEt wurde, aber noch Haus-
tober 1794 in Gottingen als Doktor der Medizin ,ex ac[ ade- lehrer in Prangins war (vgl. A 2/7). Zwischen ihm, Diez
mia]. Stuttgardiens." immatrikuliert (MGo Nr. 17129 S. 353). und Niethammer lief seit Niethammers Weggang aus Th-
19 Fichte, Niethammer und Karl Ludwig Woltmann (1770- bingen ein Briefwechsel, der auch dann aufrechterhalten
1817) trafen sich bald nach Fichtes Ankunft in Jena im wurde als Klett seine Hauslehrerstelle antrat (vgl. ebd.
Gasthaus ,Zur Rosen" zum gemeinsamen Mittagstisch (vgl. D
und 3/69). Neben direkt an die Freunde adressierten
Niethammer an Herbert, 2. Juni 1794 (S. 5; cf. E 1/13); Briefen erhielt Diez Nachrichten von Klett auch durch Briefe,
auch Niethammer an Reinhold, 4. Juni 1794 (S. 2; GSA die dieser an ,,meine liebsten Altern, Verwandten, und Freun-
Weimar, 76/1,5 U3)). Ab August 1794, nach der Ankunft den" richtete (vgl. z. B. Klett an die Eltern vom 13. Mai

754 755
Kommentar zu den Briefen E 5 An Niethammer, 6. Januar 1795

1791 (S. 1; in Privatbesitz) mit einer direkten Anrede Diez'


im Brieftext ebd.).- Ob Diez auEer der Familie des Freundes ES
Klett in Dettingen noch weitere Freunde oder Verwandte Immanuel Carl Diez, Tiihingen
hatte und ob er eigens nach Dettingen reiste oder auf Dienstag, den 6. Januar 1795
einer Reise ( etwa nach K.irchheim unter Teck, vgl. seine An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
Erinnerungen an die Wiener Reise (S. 1; cf. A 4/ 16)) durch
Dettingen kam, lieE sich durch keinen Nachweis entscheiden.
Manuskriptbeschreihung

Standort: UBE, Ms. 2054.


Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblatt; Format in ern (Hohe x Breite):
20,4-20,7 X 16,7-16,9; Riinder beschnitten; Bogenfaltung: 4°; Wasserzeichen;
Papierfarbe: chamois.
Tinte: braun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 2h von 2; Faltung: quer von
hinten nach vorne, dann zweimal liings.
Besondere Bemerkungen: nachtriiglich mit Blei foliiert 8; S. 1 oben von fremder
Hand in Blei und in lateinischen Lettern ,Diez Tubingen I Jena."; darunter
Stempel der UBE; S. 1 unten in Blei "10918".

Kommentar

1 Diez bezieht sich mit dieser Bemerkung offenbar auf Niet-


hammers Rolle als Herausgeber des Philosophischen Journals
(cf. A 10/ 9). In der Ankiindigung des Journals (cf. E 5/ 2)
schrieb Niethammer: ,Folgendes sind die Namen derjenigen,
welche sich theils zur Herausgabe dieses Journals mit mir
vereiniget, theils die Einladung der Gesellschaft zu Mitar-
beitern bereits angenommen haben: Hr. D. Erhard in Ni.irn-
berg, Hr. Prof. Fichte in Jena, Hr. D. Heusinger in Jena, Hr.
Prof. Hufeland in Jena, Hr. LegR. von Humbold in Jena, Hr.
Maimon in Berlin, Hr. Prof. Reinhold in Kiel, Hr. Hofr. Schiller
in Jena, Hr. Prof. Schmid in Jena, Hr. D. We'!fihuhn in Jena."
(Zitiert nach dem IB der ALZ Nr. 1 vom 3. Januar 1795,
Sp. 3-6, Sp. 5.) Am Ende des Vorberichtes im ersten Heft
fmdet sich eine iihnliche Namensliste der Herausgeber, auf
der nur WeiEhuhn fehlt, der am 21. April 1795 gestorben
war (vgl. Fichte AA 111,2 S. 285 und 375), in die aber ,Herr

756 757
Kommentar zu den Briefen E 5 An Nietharnmer, 6. Januar 1795

D. Gros aus Wirtemberg", ,Prof. MaaE in Halle" und ,Prof. Geschichte des Jenaer BuchhandeLr ( cf. D 2/ I 08), S. 207 f. ; ev. Kirchenre-
Schulz [e] in Helmstadt" neu aufgenommen sind. gisteramt Jena, Totenbuch Bd. 5, S. 373.) An Seidler ist offenbar
2 G:~m~int ist die auf einem besonderen Blatt gedruckte An- Diez' eingeschlossener ( aber offener) Brief gerichtet, der
kundigung des Philosophischen Journals ( cf. A 10/ 9). Ani vermutlich die Publikation von Diez' medizinischer Disser-
2~. Dezem~_er _1794 hatte Niethammer einige Exemplare tation betraf (vgl. E 2/ 12).
d1eser Ankund1gung an Rudolf Zacharias Becker in Gotha 6 Christian Ernst Gabler (1770-1821; vgl. Fichte im Gesprach
mi~ der Bitt~ urn Ahdruck in dem von ihm herausgegebenen (cf. E 4/ 19), Bd. 1 S. 558) kam Ostern 1794 von Leipzig
Rezchs-Anzezger geschickt (Brief in der Handschriftenabtei- nach Jena, urn dort die Melchiorsche Buchhandlung in der
lung der UBJ, Aut. N 1). Dort erschien sie am 7. Januar Collegiengasse zu i.ibernehmen (vgl. Li.itge, Geschichte des
1795 (Der Reichs-Anzeiger (cf. E6/ 15), Jg.1795 Bd.1, Nr.S ]enaer Buchhandels ( cf. D 2/ 108), S. 214 f.). Ob Gabler in Jena
Sp. 46-48, Sp. 48), vier Tage nachdem sie bereits im IB nur eine Zweigstelle eines Leipziger Geschaftes eroffnete, war nicht
der ALZ ( cf. E 5/ 1) erschienen war. In einem Brief vom sicher zu klaren. Fichte jedenfalls nennt Gablers Geschaft ,Die Gablersche
26. Deze~he_r 1794 sandte Niethammer weitere Exemplare Buchhandlung zu Leipzig (eigentlich allhier zu Jena)" (vgl. AA IIL2
der Ankund1gung an Erhard mit der Bitte, ,hier und da S. 13lf., S. 131; vgl. auch Niethammer an Erhard am 2. November 1795
etwas zur Verbreitung beizutragen" (Sammlung Varnhagen, (S. I; Sammlung Varnhagen, Mappe ,Erhard und Niethammer") und
Mappe ,Erhard und Niethammer"). Dem Text des vorlie- Schelling an Niethammer am 8. Mai 1796 ( Schellings Briefwechsel mit
genden Briefes zufolge hat Diez ein ahnliches Schreiben Niethammer vor seiner Berufong nach Jena., hrsg. von Georg Dammkohler,
mit einigen ,Avertissements" erhalten. Das erste Heft des Phi- Leipzig 1913, S. 22 f., S. 22)). Zumindest zeitweise scheint Gabler auch
losophischenJournaLr, das ftir Ende Januar 1795 angeki.indigt war, erschien der Buchhandel in Leipzig verboten gewesen zu sein (Auskunft des
gemeinsam mit dem zweiten Heft vermutlich Anfang bis Mitte Mai 1795, Stadtarchives Leipzig vom 23. September 1994). Gabler ist insbesondere
wie aus einemBriefNiethammers an Reinhold vom24. Mai 1795 erschJossen als Verleger Fichtes bekarmt geworden (vgl. E 6/ 9).
werden kann, in dem Niethammer von der ,Angst und Noth eines 7 Georg Wilhelm Vogel (1743-1813), Kammerrat und Ver-
Journalverwalters" berichtet (S. 1; GSA Weimar; 76/ 1,5 U3). leger in Jena; Besitzer der Buchhandlung Cuno's Erben.
3 Vgl. E 6/ 8.
4 Offenbar hatte Niethammer Gri.inde, nicht selbst bei Schel-
ling anzufragen und einer Aufforderung durch Diez eine
groEere Aussicht auf Erfolg zuzutrauen (vgl. Cadi X. 3).
Zu Niethammers Beschaftigung mit Schellings erstem phi-
losophischen Werk vgl. GiB S. 129.
5 Hieronymus Wilhelm Christian Seidler (geb. ca. 1765, gest.
1811) hatte 1794 von seinem Schwager, dem Gothaer Buch-
hiindler Carl Wilhelm Ettinger, die Akademische Buchhand-
lung in Jena erworben, in der er auch eigene Bi.icherverlegte.
Ettinger hatte diese als Filialbetrieb seiner Gothaer Buchhandlung auf
eine Anregung des Jenenser Professors ftir Medizin und Botanik Christian
Gottfried Gruner eroffnet, da es nach dessen Meinung in Jena zu wenige
und zu schlecht sortierte Buchhandlungen gab. (Vgl. A 6/ 36; Liitge,

758 759
Kommentar zu den Briefen
E 6 An Nicthammer, 1. Hiillte Februar 1795

also in den ersten Februarwochen 1795 geschrieben worden


E6 sem.
Immanuel Carl Diez, Ttihingen 2 Vgl. E2 8.329 Z.5-7 mit E2/ 6 und E4 8.335 Z.24-27
1. Halfte Fehruar I 795 mit E4/ 16.
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena 3 Griech.: Ich hab's gefunden!
4 Offenbar ein EinschluE an Christoph Wilhelm Hufeland
wie schon im Brief vom 3. Oktober 1794 (vgl. E 4 S. 334
Manuskriptbeschreibung Z. 5-9 und E 4/ 2).
Standort: Privathesitz.
5 Diez hatte in Augsburg Verwandte (vgl. A 4/ 16). Bei Oberst-
Anzahl der Lagen und Blatter: Einzelblatt; Format in em (Hi:ihe x Breite):
leutnant Faber handelt es sich urn Georg Albrecht Friedrich
18,6-18,7 X 15,3; Riinder an drei Seiten beschnitten, vierte Seite abgerissen: Faber (1737-1801), Oberst des Dragonerregiments von
Bogenfaltung: 4°; Papierfarbe: chamois. Prinz Eugen Friedrich von Wiirttemberg, der seit 1784 in
Tinte: braun; Anzahl der heschriebenen Seiten: 13/4 von 2; Faltung: Brieffaltung. zweiter Ehe mit Friedrich August Kliipfels Schwester Eber-
hardine Christiane Sofie (geb. 1751) verheiratet war (vgl.
Faber, XXVI. Weinmann'sche Stiftung in Tiibingen, Insti-
Kommentar tuierte B, § 59; XXIX. Reinhard'sche Stiftung, § 75; sowie
den Entwurf zu einer genaueren Verwandtschaftsiibersicht
1 Die Datierung des Briefes ergibt sich aus drei Indizien: (Ms., Archiv des Jena-Projekts)). Georg Albrecht Friedrich Faber
Diez berichtet Niethammer von der Resonanz in Ti.ibingen befand sich als Kommandeur der vom Senat der Stadt wegen cines
auf das erste Heft von Ernst Ludwig Posselts Europdischen Weberaufstandes zu Hilfe gerufenen Truppen des schwiibischen Kreises
Annalen, das Ende Januar erscheinen sollte (vgl. unten vom 24. Dezember 1794 bis zum 1. Mai 1795, als der Aufstand nieder-
S. 339 Z. 8f. mitE 6/ 10). Zudem wartete Diez auf das erste geschlagen war, in Augsburg (vgL Franz Eugen von Seida, Augsburgs
Exemplar des Philosophischen Journals ( cf. A 10/ 9) (,Dein Geschichte von der Erbauung der Stadt bis zum Tode Maximilian ]oseplzs,
Journal haben wir noch nicht'', unten S. 339 Z. 2f.), das, ersten Kiinigs von Bayern, 1825, Bd. 2 Augsburg 1826, S. 688). - Als Diez
wie er wuEte (vgl. E 5/ 2), fur Ende Januar 1795 angeki.indigt auf seiner Reise nach Wien im Oktober 1795 bei seinen Augsburger
war. Demnach di.irfte der Januar bereits voriiber gewesen Verwandten Station machte, wurde er Zeuge von Unruhen unter der
sein. SchlieElich erhielt Diez, wie er im Postskriptum mitteilt Biirgerschaft wegen iiberhi:ihter Kornpreise. In seinem spiiter verfaBten
(S. 339 Z. 21), gerade einen Brief Niethammers, bei dem Reisebericht erwiihnt er eine Bernerkung seines Onkels, des Biirgermeisters
es sich dem Kontext zufolge (die Dissertations- und Ver- Johann Friedrich Diez, der wiihrend der Weberunruhen b edroht oder
legerproblematik, vgl. besonders E 6/ 14) urn Niethammers miBhandelt worden war (vgL Seida S. 681 sowie Friedrich Karl Gullmann,
Antwort auf Diez' Brief vom 6. Januar 1795 (E 5) handelt. Geschichte der Stadt Augsbwg seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1806,
Das laEt darauf schlieEen, daE der Januar noch nicht allzu Bd. 6 Augsburg (o. J], S. 426). Johann Friedrich Diez erinnerte sich
lange zuriicklag. Am 2. Februar 1795 schrieb Diez an ,die angesichts der neuerlichen gewaltsamen Ereignisse daran und, so Diez,
Herren Voss u. Comp. in Leipzig" (cf. E2/ 12), daE er seine auch an seine Befreiung a us diesen Umstiinden: , [... ) denn freudig
Dissertation Heerbrandt zum Verlag gegeben habe. Eine liichelnd sagte mir der H. Burg.M.: 'Sehen Sie, Herr Vetter, eine Vorstellung
analoge Mitteilung geht im Postskriptum des gegenwartigen im kJeinen von dem, wie sie es mir bei den Unruhen gemacht haben."'
Briefes an Niethammer (vgl. S. 339 Z. 22). Der Brief wird (Diez, Erinnerungen an die Wiener Reise (cf. A 4/ 16), S. 8). Ebenfalls

760 761
Kommentar zu den Briefen E 6 An Niethammer, 1. Hiilfte Februar 1795

mi£handelt wurde damals ein Sohn des Biirgerrneisters (Seida S. 681 ), ich aus Ihren herrlichen Schriften geschopft habe. Ich werde
moglicherweise der Oberst Johann Friedrich Diez (1773-1829) oder deshalb immer ihr Schuldner bleiben. [... ] Mein Verhaltnill
Immanuel Friedrich Diez. zu Fichte gestaltete sich nun sehr freundschaftlich. Denn
6 Vgl. E 3 S. 331 Z. 3-6 und E 4 S. 336 Z. 5 f. da ich urn diese Zeit mit dem jungen Buchhandler Gabler
7 Vgl. E 5/ 1. in eine Art von Compagnie getreten war und Fichte beredet
8 Ferdinand Christoph Weise (1765 -1839) war nach einem hatte, seine Wissenschaftslehre uns in Verlag zu geben,
Studium der Rechtswissenschaften in Tiibingen (immatri- diese aber wahrend des Drucks erst geschrieben werden
kuliert am 5. Oktober 1781 (MTii Nr. 38017 S. 304 vgl. mu~te, so erwuchs ein immerwahrender Verkehr. Es gab
Nr. 38739 S. 348)) und seiner Promotion Hofgerichtsadvo- unaufhorlich Manuscripte zu fordern, Manuscripte zu schik-
kat in Ttibingen. 1804 wurde er, nachdem er die philoso- ken. Ich kam haufig zu Fichte, er zu mir, nicht selten unwillig
phische Doktorwiirde erworben hatte, ordentlicher Profes- iiber das Drangen der rastlosen Setzer." (S. 4 7 f. ; vgl. auch
sor fur Logik und Metaphysik an der Universitat Heidelberg. Fichte im Gespriich ( cf. E 4/ 19), Bd. 1 S. ll1 f.) - Fichte, der
(Vgl. Dagmar Driill, Heidelberger Gelehrtenlexikon, 2 Bde. Hei- sich zunachst vorbehielt, die wochenweise erscheinenden
delberg 1986-1989, Bd.2 S.293.) Wie aus einer kleinen Bogen der Grundlage nicht in den Buchhandel zu bringen,
Ankiindigungsbroschiire hervorgeht (Ferdinand Christoph sondern blo~ an ,meine Zuhorer, und Wem ich es sonst
Weise, Ankiindigung eines gro:Ssern Lese-lnstituts und einer wollte zukommen la~en" zu verteilen (Fichte an Karl August
d~neben zu errichtenden Zeitungs- und ]ournalgesellschaft Tii- Bottiger, Ziirich, den 1. Marz 1794, in: AA 111,2 S. 70-73,
brngen 1793; vgl. auch Peter Michael Ehrle, ,'Nuzen und S. 71 ), erteilte zur Michaelismesse 1794 die Erlaubnis zu~
Vergniigen fur Kopf und Herz~ Tiibinger Lesegesellschaften freien Verkauf der ersten vier Paragraphen, obwohl er die
im friihen 19. Jahrhundert", in: Tiibinger Bliitter 73 1986, Schrift nach wie vor als blo~e Handschrift fur seine Zuhorer
S. 8-14, S. 8), war Weise auch Begriinder eines Tt.ibinger verstanden wissen wollte (vgl. AA 1,2 S. 183; Anzeige der
Lese-Instituts und einer Zeitungs- und Journalgesellschaft, Gablerschen Buchhandlung in IB ALZ Nr. 113 vom 1. Ok-
zu deren Mitgliedern Diez zahlte (vgl. den Brief an Niet- tober 1794, Sp. 399). Ob Gabler nun auch Fichtes generelles
hammer vom 6. Januar 1795 (E 5), S. 337 Z. 8f.). - Weises Einverstandnis hatte, die im Wintersemester 1794/ 95 nach
juristische Schrift Die Grundwissenschoft des Rechts)· nebsteiner und nach erscheinenden Bogen der praktischen Wissen-
Darstellung und Prii.fong aZZer durch die kritische Philosophie schaftslehre in einzelnen Lieferungen zu verkaufen, oder
veranlaflten Philosopheme iiber den Ursprung und das Wesert ob dazu noch immer Fichtes Genehmigung eingeholt wer-
des Rechts, Tiibingen 1797, dokumentiert sein Interesse auch den mu~te, la~t sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Bemer-
an der Philosophie Kants. kenswert ist, da~ Fichtes Fortsetzungen per Extrapost nach
9 Friedrich Karl Forberg war ,eine Art von" Kompagnon des Tiibingen erbeten werden. - Es ist nic~t ganz sicher, o~
Buchhandlers Christian Ernst Gabler (vgl. E 5/ 6) und als die hier von Diez erwahnte Rechnung die ,Fortsetzungen
solcher Mitverleger von Fichtes Grundlage ( cf. E 2/ 2). In oder eine andere Bestellung bei Forberg betrifft. Nietham-
seinem Lebenslauj eines Verschollenen ( cf. A 6/ 16) berichtet mers Philosophisches Journal (cf. A 10/9~ e~schien jed~nfalls
Forberg iiber seine Verbindung mit Gabler und seinen nicht bei Gabler, sondern bei Michaehs rn Neustrelitz.
Urn gang mit Fichte: ,Kaum war er [Fichte] angekommen, 10 Der erste Band der Europiiischen Annalen, herausgegeben
so eilte ich zu ihm. Ich komme, sagte ich, Ihnen ft.ir die von Ernst Ludwig Posselt, erschien 1795 in Tiibingen bei
unzahligen Belehrungen und Anregungen zu danken, die Cotta. In einem einleitenden ,Riickblick auf das Jahr 1794"

762 763
Kommentar zu den Briefen E 6 An Niethammer, 1. Hillte Februar 1795

nennt Posselt als den Gegenstand, "den diese Annalen um- wegen der Dissertation] abfahren Ial~t" (E 5 S. 337 Z. 17 f.,
fassen sollen": "alles, was in Europa, merkwi.irdig fur die vgl. E 5/ 5). Nun wird Niethammer von weiteren Bemi.ihun-
Geschichte ge~chieht" ( ebd. St.1 S. 3-14, S. 12). Im Anhang gen urn die Drucklegung der Buchfassung der Dissertation
des ersten Stuckes der Horen von 1 795 ( unpaginiert; cf. (vgl. E 4/ 11) befreit, die dann auch wirklich bei Heerbrandt
E 6/ 11) findet sich eine auf den November 1794 datierbare in Ti.ibingen erschien.
~ki.i?-digung Posselts, wonach ~t dem Anfang des niichst- 15 Wenn, was naheliegend ist, das lntelligenzblatt der Allge-
kunftigen Jahres [... ] am Schlusse eines jeden Monats ein meinen Literatur-Zeitung gemeint ist, so mi.iEte sich Diez'
Heft von 6 bis 7 Bogen" erscheinen solle. (Vgl. auch IB Bemerkung aufNr. 114 vom 4. Oktober 1794 beziehen. Dort
der ALZ Nr. 136 vom 3. Dezember 1794, Sp. 1100£.)- Be- fmdet sich unter ,Literarische Nachrichten" (Sp. 905-907)
merke~swert ist die Konkurrenz der Europiiischen Annalen fur "Ttibingen" (Sp. 906 f.) folgende Mitteilung: ~er sind
zu Schillers Horen urn die Gunst des Publikums deshalb, in dem laufenden Jahre folgende Dissertationen nach und
we~ Schill~r 1794 von dem Vorhaben Abstand nahm, ge- nach zu Katheder gebracht worden: [... ] Im September
memsam mit Posselt eine ,Europaische Staatenzeitung" her- [... ] Rudimenta methodologiae medicae. Von Hn. M. Diez. 8.
au szugeben ( vgl. dazu NA 27 S. 215 f.). S. 58 [... ]" - Insgesamt werden 14 Ti.ibinger Dissertationen
11 Das erste Sti.ick von Schillers Horen erschien im Januar erwahnt. - Es ist aber unsicher, ob es wirklich urn diese
1795 mit folgenden Beitragen, deren Autoren namentlich schon einige Monate zuri.ickliegende Anzeige geht, auf die
nicht genannt wurden: 1. "Epistel" (von Johann Wolfgang Niethammer bereits in seinem vorherigen Briefe (mit dem
von Goethe); 2. ~riefe i.iber die asthetische Erziehung des er Diez einige ,Avertissements" ( cf. E 5/ 2) des Philosophi-
Menschen" (von Friedrich Schiller); 3. "Unterhaltungen schen Journals ( cf. A 10/ 9) geschickt hatte) hatte reagieren
deutscher Ausgewanderten" (von Goethe); 4. "Ueber Bele- konnen. Andererseits mag er erst durch Diez' vorangegan-
bung und Erhohung des reinen Interesse fur Wahrheit" genen Brief (E 5) auf die mit der Dissertation und ihrer
(von Johann Gottlieb Fichte). Die Anonymitat der Beitriige VerOffentlichung zusamrnenhangenden Fakten und Fragen
war von Goethe ausdri.icklich gewi.inscht worden (vgl. Schil- aufrnerksam geworden sein. In weiteren Intelligenzbliittern,
ler an Goethe, 6. Dezember 1794, NA27 S. lOOf., 8.100; die neben dem der ALZ in Frage gekommen wiiren, wurde
zu den Autorschaften vgl. ebd. S. 386.). ohne Erfolg nach einer solchen Anzeige gesucht: Der Reic~­
12 Im Text eindeutig zu lesen: "der zweite", der Sache nach anzeiger oder Allgemeines lntelligenz-Blatt ~um Behujder fus_tzz,
jedoch als ,der erste" zu verstehen. Bei der Ni~derschrift der Polizey und der biirgerlichen Gewerbe zm Deucs_~hen Rezc~e,
dieses Satzes hatte Diez die Abfolge der Aufsatze vermutlich wie auch zur o/.fontlichen Unterhaltung der Leser uber_ gemezn-
nicht klar vor Augen, ganz im Gegensatz zu dem Einschub niitzige Gegenstiinde aller Art, der in Gotha ersch1en,. u~d
(Z. 13). Gniidigst privilegirtes Leipziger lntellig~zb~att aus Le1pz1g,
13 Diese ironisierende Stegreifetymologie gilt wohl Goethes sowie den ~eylagen" zu den Neuen Lezpzzger gelehrten An-
Namen, der mit dem Namen der Stadt Gotha in Verbindung zezgen
gebracht wird. Goethe war wirklich Autor des ersten und 16 Johann Friedrich Cotta (1764-1822), Verleger und Buch-
des dritten Beitrags. Dem Hrsg. ist unbekannt, ob diese hiindler in Ti.ibingen. In seinem Verlag erschienen unter
Etymologie auch an anderen Stellen belegbar ist. anderem Schillers Horen (cf. E 6/ 11). Die Bedeutung des
14 Im vorausgehenden Brief hat Diez Niethammer gebeten, Satzes, der von den Mitteilungen zu Diez' Dissertation im
"weitere Sorge [zu] tragen [... ], wenn Seidler mich [Diez Brieforiginal durch einen groEeren Abstand abgetrennt ist,

764 765
Kommentar zu den Briefen
E 7 An Niethammer, 2. April 1796

mu~ ohne Nieth~mmers vorausgehenden Brief, der nicht


~o;y;_gt, ohne Klarung bleiben, vgl. allenfalls E 4/11 und E7
Immanuel Carl Diez, Wien
Samstag, den 2. April 1796
An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena

Manuskriptheschreihung

Standort: UBE, Ms. 2054.


Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hi:ihe X Breite):
18,2-18,5 x 11,5-11,7; Rander beschnitten; Bogenfaltung: 8°; Wasserzeichen;
Papierfarbe: blaulich.
Tinte: dunkelbraun; Anzahl der beschriebenen Seiten: 4 von 4; Faltung: quer
von hinten nach vorne.
Besondere Bemerkungen: nachtraglich mit Blei foliiert 9; S. 1 oben von fremder
Hand in Blei in lateinischen Lettern ,Diez"; S. 1 unten in Blei ,10918"; S. 4
unten Stempel der UBE; Namen mit Blei unterstrichen.

Kommentar

1 Anfang Oktober 1795 (vgl. seine Erinnerungen an die Wie-


ner Reise (cf. A4/16)) ging Diez nach Wien, urn am All-
gemeinen Krankenhaus seine praktischen Kenntnisse in der
Medizin zu vermehren. Den Briefwechsel mit Niethammer
hielt er auch von dort aus aufrecht. Doch ging dem vor-
liegenden Brief zumindest ein anderer voraus. Das beweist
eine Nachricht Niethammers an Reinhold in einem Brief
vom 18. Dezember 1795, in dem er schrieb: "Von Diez
habe ich kurzlich Nachrichten aus Wien erhalten, wo er
sich diesen Winter durch aufhalt" (S. 2; GSA Weimar, 76/!,5
U3).
2 Fi.ir den 3. April 1796 haben Johann Carl Ludwig Hehl,
Karl Christoph Friedrich Jager, Johann Caspar Camerer,
ein Dr. Behn aus Lubeck und Diez eine Schiffsreise nach
Pre~burg geplant, die sie aber wegen einer Verzogerung
bei der Ausfertigung der Reisepasse erst am 5. April antreten

766 767
Kommentar zu den Briefen E 7 An Niethammer, 2. April 1796

~onnten. Vom 6. bis zum Morgen des 8. April waren sie die Jahre 1600 bis 1817 wird kein Student dieses Namens
m Pregburg, wo sie auch Liedemann besuchten, den Diez erwahnt ( auch nicht fur alternative Formen des ,ai" in ,Bai-
v~n J~na h~r kannte ( vgl. E 8 S. 348 Z. 16-20 und D 3/ 32). ger"). Spuren seines Aufenthaltes in Wien und Belege fur
F~r die Ruckfahrt nach Wien am 8. April benutzten sie das ihm erteilte consilium abeundi waren in den Wiener
eme Kutsc~e. (Nach Diez' Reisebericht ( cf. D 3/ 32).) Archiven nicht zu erhalten.
3 Lat.: urn die nervosen Fieber zu vertreiben.
10 Wahrscheinlich ist Karl Friedrich Hensler (1759-1825) ge-
4 Schwab.: Hals (SW IV, Sp. 668). Zu Diez' Berliner Planen
meint. Hensler studierte im Ti.ibinger Stift (immatrikuliert
vgl. E 8 S. 345 Z. 20-22 und S. 346 Z. 6- 9 sowie D 3 S. 286 am 22. November 1775 als Albert Friedrich Henseler; MTu
Z. 7-11 mit D 3/ 18.
Nr. 37503 S. 273), das er jedoch 1779 vorzeitig nach dem
5 Vgl. Offb 10,9 (mit Ruckverweis auf Hes 3,1-3).
Magisterium verlieK Nach einem Studienaufenthalt in Got-
6 Karl Friedrich Niethammer.
tingen, wo er sich nicht immatrikulierte, wurde er Hofmeister
7 Christian Ludwig Nast (1763 -1847), in Thbingen imma-
in Mi.ihlheim am Rhein (heute ein Stadtteil von Koln, vgl.
trikuliert am 29. Oktober 1779 (MTh Nr. 37840 S. 293) Die ChronikKOlns, Dortmund 2 1992, S. 323). In Wien, wohin
und aus der Magisterpromotion von 1783 (Magzsterpro- er 1784 i.ibersiedelte, wurde er bald als Bi.ihnendichter,
gramm Tiibingen (cf. A 1/2) von 1783), der Bruder von spater als Theaterdirektor popular ( vgl. Egon von Komor-
Louise Nast und der Vetter von Immanuel Nast (vgl. StA zynski, ,Karl Friedrich Hensler. (1759-1825.)", in: ]ahrbuch
VIL2 S. 511-512, VIII S. 168), uberbrachte wenig spater der Grillparzer-Gesellschajt 241913, S. 141-163; Wilhelm
an ~-che~ng ?ie Botschaft von Diez' To d. Schelling berichtet Kosch, Deutsches Theater-Lexikon, 3 Bde. Klagenfurt und
daruber m emem Brief an Niethammer, den er von Leipzig Wien 1953, Bd.1 S. 757£.). Hensler bekannte, nicht fur die
aus am 5. Juli 1796 schrieb (vgl. Horst Fuhrmans (Hrsg.), Kunst, sondern fur das Publikum zu schreiben. Insbesondere
F WJ Schelling. Brieje und Dokumente, 3 Bde. Bonn 1962- seit Mitte der 90er Jahre steigerte er seine ohnehin hohe
1975, Bd.1 1962, S. 83; vgl. auch Cadi X. 3). Informationen Produktivitat nochmals, indem er unter anderem zahlreiche
zum Wiener Aufenthalt Nasts waren in den dortigen Ar- zeitgenossische Romane dramatisierte (vgl. Norbert Wiltsch,
chiven nicht zu erhalten. Karl Friedrich Hensler. Ein Beitrag zur Geschichte des Aft-Wiener
8 Johann Friedrich Heigelin (1764-1845) lebte von 1782
Theaters, Diss. Wien 1926, S. 8), was Diez zu seiner ironischen
bis 1787 im Thbinger Stift und war 1784 Einundzwanzigster Bemerkung veranlagt haben wird.
der Magisterpromotion (Magi.sterprogramm Tiibingen (cf. 11 Johann Caspar Camerer (1772-1847), der ji.ingere Bruder
A 1/2) von 1784). In die Matrikel der Universitat Tt.ibingen Philipp Gottfried Camerers, studierte von Herbst 1789 an
harte er sich am 23. Oktober 1782 eingetragen (MTt.i Medizin in Thbingen (MTi.i Nr. 38684 S. 344), spater in
Nr. 38160 S. 312). 1788 wurde er Vikar in Stuttgart, 1789 Jena, wo er sich am 21. Mai 1794 immatrikulierte (vgl.
Hofmeister in der Schweiz, 1792 in Mailand und 1798 in E 2/8) und Holderlins Vertrauter wurde (vgl. StA VI S. 149,
Neapel, 1800 Klosterpfarrer in Herrenalb; in den Jahren 159, vgl. auch S. 237, S. 711 f. und V1I,2 S. 38). Er verlieg
1793, 1796 und 1799 unternahm er Reisen durch Italien, Jena wohlMitteApril1794 (vgl. denEintragAugustHeinrich
Tirol, Osterreich und Bayern. Belege fur seinen Wiener Salomo Clemms in Camerers Stammbuch vom 14. April
Aufenthalt waren in den dortigen Archiven nicht zu erhalten. 1794 ( cf. unten), ,dem Tag vor unserer Abreise nach Leipzig,
9 Im Deutschen Biographischen Archiv nicht nachweisbar. Irn Halle etc."; dazu auch GiB S. 75, 781 Anm. 63) und ging
Register zu den Matrikeln der Universitat Thbingen fur wie Diez nach Bamberg (Eintrage in Camerers Stammbuch

768 769
Kommentar zu den Briefen E 7 An Niethammer, 2. April 1796

(cf. unten) dort vom 29.Juli bis zum 11. September 1795) troffen (vgl. einen Brief an seine Mutter vom 26. Oktober
und von dort _nach Wien, wo er vor dem 28. September 1795, WLB Stuttgart, Cod. hist. 4 o 612,I,38). Am 26. No-
I 795 ( erster Wiener Stammbucheintrag) ankam. 1796 wur- vember 1795 schrieb er sich in die Jenaer Universitats-
de er Amtsarzt in Blaubeuren (fur seine Abreise aus Wien matrikel ein (MJ). Niethammer verfaEte ein Blatt fur Mark-
vgl. E 8/ 16). Diez hatte ihn gleich am ersten Abend nach lins Stammbuch iiber ,Aesthetische Cultur und moralische
seiner Ankunft in Wien am 31. Oktober 1795 getroffen, Cultur", das er mit Jena, 1796. am Tage Ihrer Abreise"
vgl_. den SchluE von Diez' Erinnerungen an die Wiener unterzeichnete (WLB Stuttgart, Cod. hist. 4° 612, III,
Re1se ( cf. A 4/ 16). - Camerers fur Jahrzehnte verschollenes Stamm- 3-5. 9). Uber die Beziehung zwischen Diez und Marklin,
buch, mit einem Blatt Holderlins, ist wieder aufgetaucht (vgl. Autograph en der zu Diez' Abteilung im Stift gehorte, vgl. Cadi VIII. 3.
aus allen Gebieten, Auktion am 30. November und 1. Dezember 1988 14 Dunkel und vom Herausgeber nicht aufgekliirt, aber gewill
im Marburger Rathaus, Katalog 642, ]. A. Stargardt, S. 62 unter Nr.195) ein Ausdruck der Hochschatzung Marklins seitens Diez.
und in den Besitz der Wtirttembergischen Landesbibliothek gelangt (LB 15 Goritz war als Hofmeister des Studenten Karl Ludwig von
Stuttgart, Cod. hist. oct. 319). Lersner, der sich am 6. Juli 1795 in Jena immatrikulierte
12 Als Nominativ, nicht als Dativ zu lesen, denn Jager und (MJ), zum Sommersemester 1795 nach Jena zuriickgekehrt
Hehl halten sich in Wien auf, vgl. E 8 S. 348 z. 22. Hehl hat (vgl. den Eintrag vom 8. Mai 1795 in den Semesterbericht
sich iibrigens, am 14. April 1795, am Ende des Jenaer Aufenthalts, in von Martini 1794, AEvSt, K. I F. 8,4 (16), S. 18 Nr. 34). Im
Camerers Stammbuch (cf. E 7/ 11) eingetragen, Jager hingegen nicht. Friihjahr 1797 verlieE er Jena erneut, da Lersner nach Got-
13 Jak~b Friedrich Miirklin (1771-1841 ), mit Hegel und Hol- tingen ging (Immatrikulation am 9. Mai 1797, MG~ Nr. 17993
derlin Angehoriger einer Promotion, die unter den Stiftlern S. 373). Goritz war schon seit einiger Zeit fur die Ubernahme
nach dem Namen des Primus (Carl Christoph Renz (1770- einer Pfarrei in Wurttemberg im Gesprach (vgl. [Jakob
1829), vgl. StA VIIL S. 178) benannt wurde. 1797 wurde Friedrich] M[arklin] an Niethammer, Stuttgart, den 24. Au-
er Repetent im Stift, 1802 zweiter Klosterprofessor in Be- gust 1796, S. 3 (UBE, Ms. 2054; zu diesem Brief vgl. Beck,
benhausen und 1807 in Maulbronn, 1814 Dekan in Neu- ,Brief eines Stiftlers" (cf. E 7/13)). Mehrere Goritz zuzuschrei-
ensta~t am Kocher, 1821 Pralat in Heilbronn. (Vgl. Biblio- bende Briefe in Niethammers Briefnachlag in der UBE (Ms. 2054: aus
graphze der wiirttembergischen Geschichte, bearb. von Wilhelm Wetzlarvom20. April1797,ausStuttgartvom 16. Juni 1797,ausBempflingen
Heyd, Bd. 2 Stuttgart 1896, S. 498, und Adolf Beck, ,Brief vom 5. Dezember 1797 und vom 17. Februar 1798 sowie aus Grogsach-
e~es _Stiftlers aus dem Krisenjahre 1796. Jakob Friedrich senheim vom 29. Januar 1799, aile unterzeichnet mit "G.", sowie die mit
Marklin an Friedrich Immanuel Niethammer", in: Schwii- "Gz" unterschriebenen Briefe aus Heidenheim vom 19. November 1800
bi.rche Heimat 141963, S. 217-224, S. 217.) Es handelt sich und vom 17. Januar 1802) geben Auskunft iiber seine weiteren Stationen
urn denjenigen Marklin, der, mit Hegel vom Stuttgarter als Pfarrvikar his zu seiner schliemich erfolgten Berufung als Diakon
Gymnasium ins Stift eintretend, diesem dort in der Lokation nach Heidenheim 1799 (vgl.A 13/ 11). -FiirGoritz als Autorder genannten
vorgezogen worden war und den der Primus der voraus- Briefe sprechen die darin erwiihnte Bekanntschaft mit Johann Carl von
gehenden Promotion, Christian Philipp Friedrich Leutwein Fichard, sein Aufenthalt in Stuttgart im Sommer 1797, der durch Schnurrer
~1768-1838), als ,ErzMetaphysiker und Kantianer" in Er- bestiitigt wird (vgl. Schnurrer an Niethammer, Ttibingen, den 13. August
mnerung behielt. (Vgl. Henrich, ,Leutwein i.iber Hegel" 1797, S. 4 (UBE, Ms. 2054)), der Bericht i.iber die Riickkehr zur Theologie
(cf. A 18/ 6), S. 44, 47, 55 f.)- Marklin war am Freitag, dem und die Tatsache, d~ Goritz' Zitation zum Konsistorialexamen am 20. Juni
23. Oktober 1795, von Marburg kommend in Jena einge- 1799 nach GroEsachsenheim ( der Absendeort des Briefes vom 29. Januar

770 771
Kornmentar zu den Briefen E 7 An Niethammer, 2. April 1796

1799) adressiert wurde (LK.A Stuttgart, A 3, Konsistorialprotokolle Nr. 64 ,Versuch iiber die Narrheit und ihre ersten Anfange"
1797-1799, fol.1611).- Diez' Frage, ob Goritz ,studierender (S. 100 -143) erschienen. Wagners Lebensdaten waren nicht
oder geniegender Hofmeister" sei, scheint auf Unk.larheiten zu ermitteln. Moglicherweise ist er aber identisch mit Mi-
in Goritz' weiterer Lebensperspektive anzuspielen. Goritz chael Wagner, der sich am 19. Oktober 1790 unter der
hat demnach zumindest erwogen, ,der verblendeten Ge- Herkunftsbezeichnung ,Transylvan." in Jena immatrikulier-
rechtigkeit" nachzugehen, also wie sein Zogling Lersner te (MJ).
Jurisprudenz zu studieren (vgl. dessen Eintrage in die Ma- 18 Vgl. 1. Kon 17,6.
trikeln von Helmstedt (Immatrikulation am 24. Oktober 19 Die angesprochene Auseinandersetzung Johann Benjamin
1794, MHe Nr. 12125 S. 296) und von Gottingen (vgl. Erhards mit Christoph Wilhelm Hufeland (den Diez hier
oben)). Die Alternative einer Riickkehr ,zur Krippe" ist zum ersten Mal als Rat bezeichnet, vgl. E 8/13) wurde in
natiirlich die einer Bedienstung als Geistlicher in der Heimat. folgenden Texten ausgetragen.
Wie eine Bemerkung a us seinem Brief an Nietharnmer vom 17. Februar - (Erhard,] ,Ueber die Medicin. Arkesilas an Ekdemus.
1798 (S . 1; cf. oben) deutlich macht, hat sich Goritz erst im Verlauf des Aus einer noch ungedruckten Schrift: Arkesilas oder uber
Sommers 1797 fur die Theologie entschieden: ,Wie mancherlei Meta- Wahrheit und Tauschung", in: NTM 8. St. (August) 1795,
morphosen bisher mit mir vorgegangen sind, seit ich dich, liebster N[iet- 8.337-378.
hammer], verlassen babe, davon liesse sich ein Buch schreiben. Ich bin - Hufeland, ,Ein Wort uber den Angriff der razionellen
unter dessen so vernunftig geworden, daB ich es meinem Genius nicht Medizin im N.T. Merkur August 1795", ebd. 10. St. (Oktober)
genug verdanken kann, mich wieder ins alte Gleis der Theologie geleitet 1795, S.138- 153.
zu haben, und bedaure nur so vie! schone Zeit, die ich hatte zwekmasiger - W(ieland,] ,Zusatz des Herausgebers", ebd., S. 153-155.
anwenden konnen." - [Erhard,] ,An Hrn. Rath D.Hufeland in Jena, uber dessen
16 Dem Kontext (Erwahnung Paulus' und Schillers) zufolge Wort im N.T. Merkur 1795. 10. St. S.168. vom Verf. des
ist Paulus' Frau (vgl. E 4/10) gemeint. Dem entspricht, da£ Arkesilas", ebd. l. St. (Januar) 1796, S.76-92.
Diez selber schon iiber diese ,schrecklich mit Fragen im- - W[ieland,] ,Zusatz des Herausgebers", ebd., S. 92-94.
portuniert" worden war (E 4 S. 334 Z. 27 - S. 335 Z. 1) - Die heiden zuletzt genannten Texte hatte Diez vor Augen.
nun hat er seinerseits Fragen, die sie betreffen. Frau Paulus Nietharnmer war uber diese Debatte aus erster Hand unterrichtet. In
war selbst eine geborene Paulus (vgl. E 4/10), daher ge- einem Brief an Erhard vom 27. Juli 1795, S. 3, schrieb er: ,Wie stehts
wissermagen von Geburt eine ,Paula". Als Beleg daft.ir, da£ mit Deinem Arcesilas? Wenn Du Stucke daraus mi.J: als einzelne Abhand-
Paulus' Frau ,Paula" genannt wurde, vgl. Carl Ulrich Gaabs lungen zuschicken willst, so nehme ich keinen Anstand, sie in das Journal
GruiS an ,Paulus, Paulam, Paululam" im Brief an Niethammer einzurucken, wenn auch das Buch bestimmt ist, schon in der nachsten
vom 24. Juli 1796 (S. 4; UBE, Ms. 2054); ,Paulula(m]" be- Ostermesse zu erscheinen." Und am 26. Februar 1796 nahm er, ebenfalls
zieht sich auf die Tochter Sophie Karoline Eleutherie Paulus in einem Brief an Erhard, S. 2, auf die Auseinandersetzung mit Hufeland
(geb. 1791). Bezug: , Wieland hat mit dem Abdruck Deiner Replik sehr geeilt. Ehe
17 Johann Michael Wagner war Herausgeber der Beytriige zur Dein letztes Schreiben an Hufeland ankam, erschien sie schon im ersten
Philosophischen Anthropologie und den dam it verwandten Wis- Heft des T[ eutschen] Mercurs, mit einem (gegen H[ ufeland] ziemlich
senschqften, in deren erstem Band, Wien 1794, unter anderem harten) Zusatz des Herausgebers. Es war mir nicht lieb, daB Deine letzte
Johann Benjamin Erhards Aufsatze ,Versuch einer syste- Antwort zu spat kam. Mir schien der Streit erst durch Deine letzte
matischen Eintheilung der Gemiithskrafte" (S. 1-27) und Erkliirung auf Hufelands Replik in das rechte Licht gestellt. Ich habe

772 773
Ko=entar zu den Briefen E 7 An Nietha=er, 2. April 1796

Hufeland seit der Zeit nicht wieder gesprochen, weill also nicht, was konnte, wenn sie wollte.") In Niethammers Stammbuch
er zu thun im Sinne hat." (Beide Briefe Sammlung Varnhagen, Mappe trug sich Charlotte Wieland am 26. Juli 1793 in Jena ein
,Erhard und Nietha=er".) (NhSB 2. Ordnung Bl. 21 r).
20 Schwabisch: ,K.ample(n)" - kammen; bedeutet im iiber- 22 Heinrich GeEner (1768-1813), der jiingste Sohn des Zii-
tragenen Sinne: tiichtig ausschelten (SW IV, Sp. 189). richer Dichters und Maiers Salomon GeEner (1730-1788),
21 Das Zusammentreffen mit Charlotte GeEner, geb. Wieland, Buchhandler und Buchdruckereibesitzer, seit 1795 in Bern
einer Tochter Christoph Martin Wielands und somit einer und Zurich, verheiratet mit Charlotte, Tochter des Dichters
Schwagerin Reinholds, und ihrem Mann Heinrich GeBner, Christoph Martin Wieland (vgl. E 7/21; Starnes, Wieland-
von dem Diez hier berichtet, hat sich sehr wahrscheinlich Chronilc ( cf. C 9/ 22), Bd. 2 S. 408).
Mitte August 1795 zugetragen. Charlotte und Heinrich GeB- 23 Zu Meisls Aufenthalt in Kiel vgl. D 5/ 2. - Meisls Bericht
ner, die am 18. Juni 1795 in Weimar von Herder getraut wird durch das bestatigt, was Reinhold Niethammer in
worden waren, brachen am 10. August von dort aus zu einem Brief vom 25. Juni 1795 berichtet: ,Meine ganze
einer Reise nach Ziirich auf (vgl. Starnes, Wi"eland-Chronik Lebensweise hat sich verandert. Mein Artzt hat mirs zur
( cf. C 9/ 22), Bd. 2 S. 435, 445), die sie unter anderem iiber Pflicht gemacht von aller meiner Musse und den haufigen
Wiirzburg und sehr wahrscheinlich iiber Stuttgart ft.ihrte Gelegenheiten die mir die bier herrschende grosse Gesel-
(vgl. die Briefe Christoph Martin Wielands an Heinrich ligkeit und die vielen und interessanten Kiel umgebenden
GeEner 14.-17. August 1795, abgedruckt in: Theophil Zol- Landsitze unsrer liebenswiirdigen und kultivierten Edel-
ling, Heinrich v. Kleist in der Schweiz. Nebst achtunddreifiig leute anbieten jeden moglichen Gebrauch zu machen; und
bisher ungedruclcten Briifen, Stuttgart 1882, S. 118-120, so lebe ich fast die ganze Zeit meines hiesigen Aufenthalts
S. 119, und an Charlotte GeEner vom 24. August, ebd. mehr ftir die Bewegung meines Leibes und Aufheiterung
S. 134 f., S. 134). - Die Formulierung des ersten Satzes im meines Gemiithes als fur die Wissenschaft." (S. 1; UBE,
Bericht iiber die Begegnung mit Charlotte GeEner konnte Ms. 2054) Reinholds Weggang aus Jena im April 1794 war
darauf hinweisen, daE Diez auf eine Bitte Niethammers neben der Aussicht auf eine sehr viel habere Besoldung
nach naherer Auskunft eingeht. In einem vorausgehenden in Kiel auch mit der Hoffnung auf eine Besserung seines
Brief aus Wien konnte Diez die Begegnung vom Sommer Gesundheitszustandes verbunden gewesen. Wahrend fast
1795 beilaufig erwahnt haben, was dann Niethammers In- des gesamten Jahres 1793 kriinkelte er und konnte seine
teresse rege gemacht haben mag. Die Tatsache, daB, und groEe literarische Produktivitiit nicht aufrechterhalten: ,Mei-
die Art und Weise, wie Diez von der Begegnung berichtet, ne Kriinklichkeit, die den freyen Gebrauch meiner Zeit so
hat wohl seinen Grund in Niethammers unerwiderter Liebe sehr beschriinkte, hat betrachtlich nachgelassen. Ich befrnde
zu Lotte Wieland (vgl. dazu Herberts Brief an Niethammer mich besser als ich mich ein ganzes Jahr hindurch befunden
vom 4. Mai 1794 (in: Varnhagen von Ense, Denlcwiirdiglceiten babe. Die dringendsten meiner Geschafte, die sich wiihrend
( cf. A 3/ 97), S. 393-395, S. 395). Dort heillt es: Jch war meines langwierigen Unbefindens angehiiuft batten, sind
auch in Bern, Lotte verdiente vielleicht Ihre Achtung, aber abgethan." Eine Besserung ist erst zum Jahresende 1793
nie Ihre Liebe, denn dazu gehort Gegenliebe, von welcher eingetreten. (Reinholds Brief an Sophie Baggesen vom
nichts zu ftihlen sie mir auf eine Art bekannte, die ich ihr 22. Dezember 1793, Det Kongelige Bibliotek K0benhavn,
zum Vorwurf machte, indem ich ihr ihre weibliche Eitelkeit Ny kongelig Samling, 2252, 4°.)
und Eigenliebe so vorhielt, daE sie sich dariiber ergrausen 24 Wilhelm Joseph Kalmann war gemeinsam mit dem Grafen

774 775
Komrnentar zu den Briefen E 7 An Niethammer, 2. April 1796

Purgstall und Meisl Reinhold zum Sommersemester 1794 der Anfang des Briefes zeigt, lange mit einer Antwort auf
nach Kiel gefolgt (vgl. D 5/ 2, E l/5 und E 1/ 12). Ein Jahr Niethammers vorausgegangenen Brief gezogert. Zu dieser
spater, vermutlich im April 1795, verlieE er Kiel wieder Zeit schrieb Niethammer am ersten Teil seiner ~hiloso­
und ging uber Jena, Dresden, Prag nach Wien zuruck (vgl. phischen Briefe iiber den Religionsindifferentismus", die
die Briefe von Purgstall, der zur selben Zeit nach Konigsberg im Philosophischen Journal (cf. A 10/ 9) und dann auch in
zu Kant gereist war, an Kalmann vom 30. April/ 1. Mai 1795 einer separaten Ausgabe (Jena 1796) erschienen ( cf. A 4/ 5).
und vom 14. Juni 1795 (OSA Wien, NL Hugelmann, K. 25, Geschenkexemplare der ersten Halfte der ~riefe" sandte
gekurzt veroffendicht in: ,Aus dem Leben des vorletzten Niethammer am 26. Februar 1796 an Gotdob Christian
Grafen von Purgstall", in: Literatur-Blatt. Wochenschri.ft for Storr (Begleitbrief in Privatbesitz). Der Text der ~riefe"
das geistige Leben der Gegenwart, Bd. 3 1879 Nr. 4 S. 61 - 66, wird allerdings durch den Titel $ritik der Religionsdog-
Nr.6 8.93 - 96, Nr.7 8.114-117, Nr.8 8.130-134, Nr.10 matik" nicht wirklich getroffen. Niethammer hat jedoch in
S. 162-164, S. 63 - 66 u. S. 93 f)). Nach einem kurzen Auf- seinen Vorlesungen des Wintersemesters kein Thema be-
enthalt in Wien reiste Kalmann weiter auf die Purgstallischen handelt, ftir das diese Charakterisierung geeigneter ware.
Cuter in der Steiermark, wo er dann als Verwalter tatig Zu Niethammers religionstheoretischer Entwicklung vgl.
war. In dieser Funktion sandte er mehrere Eingaben an Cadi XI. 2-4.
Purgstall, die offenkundig Vorschlage zur Verbesserung der 31 Constantin Fran<;ois Chasseboeuf de Volney (1757-1820,
Verwaltung und der Lebenssituation der Bauern enthielten. Philosoph und Politiker), Die Ruinen, Berlin 1792 (Nach-
Vgl. dazu vor allem den Brief Purgstalls aus Gottingen vom druck Frankfurt a.M. 1977). Eine zweite mit einem Anhang
11. Januar 1796 ( ebd., veroffendicht in: Aus dem Leben des vermehrte Auflage ist 1795 in Berlin erschienen. Das fran-
vorletzten Grafen vonPurgstall, 8.130-134).- Es gibt einen zosische Original mit dem Titel Les ruines ou meditations
Stammbaum Kalmanns mit seinen Lebensdaten im Nachla~ sur les revolutions des empires war 1791 in Genf erschienen.
Hugelmann (OSA Wien). Im DeutschenBiographischenArchiv - 1789 war Volney Mitglied der Nationalversammlung, dann
ist er nicht nachweisbar. seit 1794 Professor der Geschichte an der Ecole Normale
25 Vgl. E3 8.331 Z.3-6 mit E3/2. von Paris, unter Napoleon war er Senator. In der Schrift
26 Vgl. E 3 S. 331 Z. 3-6. Les ruines gab er eine Kritik der Religion, wonach diese
27 ,Die Kotze (pl. d. Katzen)" - "ein nur noch in den gemeinen die Vervollkommnung des Menschen verhindert babe. Man
Mundarten, besonders Oberdeutschlands, ubliches Wort, kann daft.ir argumentieren, daiS Holderlin sein Gedicht ,Lebensalter"
eine Decke, besonders eine zotige, grobe Decke zu be- (StA II S. 115) im Anschlu!S an die Lekti.ire von Volney konzipiert hat
zeichnen, in welchem Verstande es in einigen Gegenden ( vgl. DiespiitenHymnenHiJlderlins, hrsg. von Ludwig von Pigenot, Karlsruhe
auch Kutze lautet." (Adelung, Grammatisch-lcritisches Wor- 1949, S. 223 f., und Wolfram Groddeck, ,Betrachtungen i.iber das Gedicht
terbuch (cf. A3/84), Bd.2 Sp.1735). Lebensalter", in: fnterpretationen. Gedichte von Friedrich Ho'lderlin, hrsg.
28 Niethammer heiratete am 19. Januar 1797 Rosine Christiana von Gerhard Kurz, Stuttgart 1996, 8.153-165, besonders 8.153-156).
Eleonore geb. Eckardt, verw. Doderlein (vgl. A2/ I4). 32 Diez' Interesse an dem - noch ungelesenen - Buch konnte
29 Lat. soviel wie: Merk Dir das! bereits durch das Inhaltsverzeichnis geweckt worden sein;
30 Die Mitteilung von Niethammer, daE er sich mit einer Kritik vgl. besonders die Uberschrift zu Kapitel 22: "Ursprung
der Religionsdogmatik beschaftige, muE in etwa auf den und Kindschaft der Religionsbegriffe". - Rezensionen der
Anfang des Jahres 1796 zuruckgehen. Denn Diez hat, wie Schrift finden sich zur ersten Auflage in der Neuen allge-

776 777
Kornmentar zu den Briefen E 8 An Niethammer, 10. Mai 1796

meinen deutschen Bibliothe!c Bd. 1 1793, 2. St. S. 386-388,


signiert mit "Bs.", sowie in der Oberdeutschen Allgemeinen E8
Litteraturzeitung 150. St. vom 17. Dezember 1792, Sp. 1153- Immanuel Carl Diez, Wien
1160, signiert mit ,L. S.", und zur 2. Auflage in der Ober- Dienstag, den 10. Mai 1796
deutschen Allgemeinen Litteraturzeitung, 17. Juni 1795, 72. St., An Friedrich Immanuel Niethammer, Jena
Sp. 1169-11 72, signiert mit ~- S." - Eine Durchsicht der
Rezensionen zeigte, daE Diez seine Erwartung, etwas tiber
die Parallelen zwischen den positiven Religionen zu erfah- Manuskriptheschreibung
ren, allenfalls auf die Rezension in der Oberdeutschen All-
gemeinen Litteraturzeitung von 1 792 hiitte gri.inden konnen. Standort: UBE, Ms. 2054.
33 Diez teilt Niethammer hier seine neue (zuki.inftige) Adresse Anzahl der Lagen und Blatter: Doppelblatt; Format in em (Hohe x Breite):
mit. Dies liiEt sich aus seinem Reisebericht vom 12. April 19,2-19,3 X 11,7-12,3; Rander Bl.1 oben, Bl.2 auBen und oben beschnitten;
Bogenfaltung: 8°; Wasserzeichen; Papierfarbe: blaulich.
1796 ( cf. D 3/32) erschlieEen, an des sen En de Diez schreibt:
Tinte: schwarz; Anzahl der beschriebenen Seiten: 4 von 4; Faltung: quer von
,Freund Jager zieht nun ab, ich muEte daher das Logis hinten nach vorne.
iindern, und meine ki.inftige Adresse ist an Besondere Bemerkungen: nachtraglich mit Blei foliiert 11-12; S. 1 oben von
D.Diez fremder Hand in Blei in lateinischen Lettern ,Diez"; daneben Stempel der
UBE; 8.1 unten in Blei ,10918"; Namen mit Blei unterstrichen.
in der Alster-Gasse N. 90
im zweyten Stok."
Direkt nach seiner Ankunft in Wien am 31. Oktober 1795
hatte Diez ein Logis in der Alstergasse Nr. 7 ( ebenfalls im Kommentar
zweiten Stock) gefunden (vgl. seine Erinnerungen an die
Wiener Reise ( cf. A 4/16), S. 30). Wahrscheinlich lagen beide 1 Einer der Zoglinge, von denen Diez hier spricht, ist wahr-
Wohnungen in unmittelbarer Niihe des allgemeinen Kran- scheinlich Albin von Herbert (1787 -1834 ), der Sohn Franz
kenhauses, an dem ein Teil der Alstergasse (heute Alser von Paula von Herberts. Schon wiihrend seines Aufenthaltes
StraEe mit veriinderten Hausnummern (vgl. Felix Czeike, in Klagenfurt Anfang 1794 wurde Niethammer von Herbert
Historisches Lexilcon Wien, Bd. 1 Wien 1992, S. 62 Art. ~ser angeboten, zugleich mit einer Anstellung als Buchhalter in
StraEe")) entlang liiuft. der Bleiweillfabrik die Erziehung seines Sohnes zu i.iber-
nehmen, was Niethammer jedoch zugunsten seiner Professur
in Jena und zugleich wegen seiner geheimen Hoffnung
auf eine Berufung nach Thbingen ausschlug (vgl. E 2/1).
- Im Oktober 1808 vertraute Herbert, der Niethammer
hoch schiitzte (vgl. seinen Brief an ihn vom 4. Mai 1794,
abgedruckt in: Varnhagen von Ense, Denlcwiirdig!ceiten ( cf.
A 3/97), S. 393 -395), die charakterliche Bildung des nun-
mehr 21-jiihrigen Sohnes Niethammer erneut an (vgl. Her-
bert an Erhard, den 12. Oktober 1808, geki.irzt abgedruckt
in: Paul Herbert, Mein Vater AlbinFreiherrvon Herbert, geboren

778 779
Ko=entar zu den Briefen E 8 An Niethammer, 10. Mai 1796

1787, gestorben 1834, Klagenfurt 1883, S. 2). - Ein zweiter 4 Vgl. E 7 S. 340 Z. 24f.
Zogling konnte Johann Wiesselberger (1783-1866) sein, 5 Franz von Paula von Herbert (1759-1811), Bleiwei:Efabri-
der Sohn einer iilteren Schwester Herberts, Cacilie (1757- kant, in dessen Haus in Klagenfurt sich Niethammer im
1827; vgl. Friedrich Immanuel Niethammer, Korrespondenz Friihjahr 1794 aufhielt (vgl. E 1/ 1 und E 2/ 1). Herbert hatte
mit dem Herbert- und Erhard-Kreis, hrsg. von Wilhelm Baum, nach zwei Besuchen in Weimar und Jena 1789 und 1790/ 91 ,
Wien 1995, S. 318), den Niethammer wahrend seines Kla- wo er im Hause Wielands Reinhold kennenlernte, die Kan-
genfurter Aufenthaltes kennengelernt hatte und der ihn tische Philosophie mit Begeisterung aufgenommen und stu-
auf einem Stammbuchblatt als "den Freund und den Leuch- diert. Uber Reinhold schloE er Bekanntschaft mit einigen
ter meiner Jugend" bezeichnete (Eintrag vom 6. April1794, von dessen Schulern und Freunden, darunter Niethammer,
NhSB 2. Ordnung Bl. SF). Im Sommer des Jahres 1797 je- Forberg, Baggesen, Friedrich von Hardenberg (1772 -1801)
denfalls erwartete Niethammer die Ankunft Wiesselbergers und Erhard, mit denen er spater, ebenso wie mit Reinhold,
in Jena, wo ihn seine Mutter (nach vollendeter Kur in korrespondierte und die ihn zumeist auch in Klagenfurt
Karlsbad) Niethammer anvertrauen wollte (vgl. Nietham- besuchten (vgl. E 8/ 7). Umgekehrt empfahl Herbert Rein-
mers Brief an Erhard, Jena, den 7. Juli 1797, S. 2; Sammlung hold immer wieder neue Studenten, so auch Kalmann und
Varnhagen, Mappe ~rhard und Niethammer"). Purgstall. (Vgl. auch Wilhelm Baum (Hrsg.), Weimar- lena
2 Frz.: ~ntrechat" bedeutet in der Sprache des Ballets Kreuz- - Klagenjurt. Der Herbert-Kreis und das Geistesleben Kiirntens
sprung; "Zwischenpas" ist ein womoglich von Diez gebil- im Zeitalter der Franziisischen Revolution, Klagenfurt 1989.)
detes deutsch-franzosisches Hybridwort (frz.: "pas" - 6 Der Millklang ergibt sich entweder daraus, daE der Fuhrer
Schritt), also Zwischenschritt. Niethammer hat Diez offenbar bestellt werden oder daE der Fuhrer nur begleiten sollte.
vorgeschlagen, seine Zoglinge (vgl. E 8/ 1) ein Wegstuck 7 Das Herbertsche Haus war ein Kristallisationspunkt fur
zu begleiten. Genaueres wurde nicht ermittelt. das intellektuelle Leben in Karnten. Immer wiederkehren-
3 Es handelt sich urn die in Salzburg erscheinende Medici- des Thema fur die Gesprache war die Kantische Philosophie.
nisch-chirurgische Zeitung, fUr deren promptere Versendung Aufgewertet wurden diese Zirkel durch die Besuche meh-
nach Sachsen, Norddeutschland, Holland, Preu:Een, Dane- rerer Reinholdschuler, mit denen Herbert seit seinem Jena-
mark, Schweden und RuEland 1795 ein Comptoir in Jena Aufenthalt freundschaftlich verbunden war (vgl. E 8/ 5). For-
errichtet worden war (vgl. die entsprechende Ankundigung berg charakterisierte den Kreis urn Herbert in einem Brief
in der Nr. 69 der Zeitung vom 31. August 1795, Bd. 3, S. 320). an Reinhold, Klagenfurt, den 14. Mai 1791 (S. 12; GSA
- Da das Jenaer Comptoir Bestelladresse fur Nordeuropa Weimar, 76/ 1, 3,7) so: "Und endlich Klagenfort, dies ist ein
war, liegt es nahe zu vermuten, da:E das geplante Thbinger Tempel der Philosophie, selbst die Luft ist philosophisch.
Comptoir in Entsprechung dazu Bestelladresse fur die Das Herbertsche Haus ist ein Athen! Manner, Junglinge,
Schweiz gewesen ware, die Diez in diesem Zusammenhang Frauen, und Madchen kurz Alles huldiget der Philosophie!
nennt. - In seinen Erinnerungen an die Wiener Reise (cf. Aile sind his zum Enthusiasm fur sie eingenommen, und
A 4/ 16) VOID Oktober 1795 erwahnt Diez "Verhandlungen zwar aus dem edelsten Bewegungsgrunde, aus dem Be-
mit Hofr[ath] H[artenkeil]", dem Herausgeber der Medi- durfnis einer bessern Religion!" (Vgl. auch W. Baum, Her-
cinisch-chirurgischen Zeitung, wahrend seines Aufenthaltes bert-Kreis ( cf. E 8/ 5).)
in Salzburg, ohne aber den Gegenstand dieser Verhand- 8 Lat.: Aufs Unbekannte geht kein Begehren. Vgl. Ovid, De
lungen oder ihr Ergebnis zu nennen (S. 18). arte amandi, 3,397.

780 781
Kommentar zu den Briefen E 8 An Niethammer, 10. Mai 1796
9 Die~ hatte. im F:uhj.ahr 1_795 e~n Gesuch an den Herzog von 500 Gulden aus der Schatulle des Barons Christian Heinrich von
genchtet, ihm fur eme ,Jitteransche Reise" ein Reisegeld Palm in Kirchheim/ Teck bemi.iht (vgl. Schnurrer an Niethammer, To-
a~szusetzen. Der Kirchenrat empfahl dem Geheimen Rat bingen, den 21. September 1795 (S. 1; UBE, Ms. 2054)), das er wahr-
d1e _(Jntersti.itzung des Gesuchs beim Herzog. Dabei be- scheinlich ohne Verzug erhielt, so da.E er seine Reise nunmehr sogleich
s~.ID:Ieb .er den Petenten ,als einen jungen Mann von vieler antreten konnte. Daneben beantragte er neuerlich eine Untersti.itzung
F~hi.gkeit und von vorzuglichen - durch Vorlesungen zu aus dem Weinmannschen Familienstipendium, aus dem er in den Jahren
Ti.ib~gen sowohL als durch anliegende 2. Probe-Schriften 1781 his 1785 bereits ein jahrliches Stipendiurn von 50£1. und 1787
bew1esenen Kenntnissen". Ihm sollten aus dem Studien- eine aufSerordentliche Einmalzahlung von 75 fl. erhalten hatte, wiihrend
fonds des Kirchenrats fur 1795/ 96 200 fl. und fur 1796/ 97 sein Antrag, seinen Studienaufenthalt in Jena zu fordern, nicht bewilligt
n?~h. weitere .200 fl. ausgesetzt werden. , Und, da gute me- worden war. Diez hat jedoch kein weiteres Stipendium erhalten. Erst
dicmische Polizey-Anstalten je !anger je mehr zum Bedi.irfniE Anfang 1797 wurden dem Vater Auslagen fur die Studien in Jena und
werden, so mochte der Supplicierende Dr. Diez anzuweisen die Reise nach Wien in der Hohe von 275£1. aus der Weinmannschen
seyn, bey seiner litterarischen Reise auch auf diesen Ge- Stiftung erstattet. (Vgl. Akten des Weinmannschen Stipendiums zu Diez,
genstand sein Augenmerk zu richten, und sodann von Zeit insbesondere die Beratungen des Akademischen Senats der Universitiit
zu Zeit Relationen an Herzog!. Kirchen-Rath zu erstatten." Ttibingen vom 21. April 1796 (UAT, 47/ 13, fol. 453-454), eben so das
Fu~ den Fall, da:B auf den Jahrgang 1796/97 ,noch etwas Antragschreiben Carl Philipp Diez' vom 9. Februar 1797 (UAT, 128/ 22,
welteres bei diesem Fond vakant werde" solle Diez eine 1102 Rechg. 1796/ 97, Beil. 11) und die Bewilligung durch den Akade-
zus~tzliche Summe von 100 fl. zukommen.' Der Herzog de- mischen Senat vom 23. Februar 1797 (UAT, 128/ 22, 1102, Rechg. 1796/ 97,
kretiert~. entsprechend am 13. Mai 1795 (HSA Stuttgart, Beil. 11 Dorsualvermerk) (Hinweise von Volker Schafer, Ti.ibingen).) -
A 202 Bu 706, Gutachten des Geheimen Rates vom II. Mai Zu Christian Heinrich von Palm (1736 -1819) vgl. Gothaisches genealogisches
1795 und ~esolutio Celsissimi). - Diez entsprach der Auf- Taschenbuch derfreiherrlichen Hauser, 9. Jg. 1859, S. 564-569 und Pernice,
lage, Relatwnen (Berichte) einzusenden (wahrscheinlich, Art. ,Palm", in: Johann Samuel Ersch,]. G. Gruber, Allgemeine Encylclopiidie
nachdem er die vom Herzog zugesagte erste Summe wirklich der Wissenschajten und der Kiinste Bd.III,lO 1838, S.152f., S.153; zu
erhalten hatte), mit dem hier erwahnten Text, der his heute seinem Miizenatentum vgl. Heinrich Eberhard Gottlob Paulus' Erwiihnung
erhalten ist. Ein Dekret des Herzogs, der den Bericht selbst von Palm in: ,Paulus" (cf. A 16/ 15), S. 346£., und in: ,Dankbare Erin-
vorgelegt bekam, wies den Kirchenrat an, ,den auf Reisen nerungen an die durch Herzog und GrofSherzog Carl August von Weimar
zu Wi.en befmdlichen Medicinae Dr Diez wegen seines ein- zu Jena geschi.itzte Lehrfreiheit. Mit Ri.ickblicken auf die fri.ihere Gei-
geschikten Lesens wi.irdigen Aufsazes zu beloben - und stesbild ung des Verfassers", in: Sophronizon Bd. 11 2. Heft 1829, S. 1-115,
aufzumuntern [... ], in seinem Fleisse fortzufahren" (HSA S.64.
Stu~tgart, A282 Bi.i 1136/1, herzogliches Dekret vom 2. 10 Gottlieb Schelling (1778-1800), in osterreichischem Sold,
April 1796). Der von Diez hier erwahnte zweite Bericht fiel als Leutnant in Oberitalien im Kampf gegen Napoleon
i.iber die ."Wienerische Fleischpolizei" ist wegen Diez' Tod (vgl. F. W.]. Schelling, BrieftundDolcumente, hrsg. von Horst
a~ 1. ~.uru wahrscheinlich nicht mehr abgegangen, jedenfalls Fuhrmans, 3 Bde. Bonn 1962-1975, Bd. 2, S. 4).
mc~t uberliefert. Diez meinte, da:B er aufgrund dieses Be- 11 Johann Peter Frank (1745-1821). Frank wurde in dem
lobigungsdekrets wohl die Aussicht auf die Gewahrung pfalzischen Dorf Rodalben geboren, das zur Herrschaft Gra-
einer weiteren Summe aus dem Kirchenfonds haben wi.irde. fenstein und damit zur Markgrafschaft Baden gehorte. In-
Vor Antritt seiner Reise hatte sich Diez zudem urn ein Reisestipendium folge der Zugehorigkeit zum schwabischen Reichskreis

782 783
Kommemar zu den Briefen E 8 An Niethammer, 10. Mai 1796

konnte ihn Diez als Landsmann im weiteren Sinne ansehen. er dariiber hinaus noch zum Leibarzt und Hofrat ernannt.
Frank war 1785 -_1 795 als Mediziner in Pavia tatig, seit (Vgl. GAS ILlS. 480-483, III S. 196-200 und Stefan Gold-
1786 als Generaldrrektor (Protophysikus) des Gesundheits- mann, Christoph Wilhelm Hzifeland im Goethelcreis. Eine psy-
wesens der osterreichischen Lombardei, 1795-1804 Direk- choanalytische Studie zur Autobiographie und ihrer Topik, Stutt-
to~ des Allgemeinen Krankenhauses in Wien, spater Arzt in gart 1993, 8.147-157, der dariiber genauer als Rudolf Mol-
Wilna und Petersburg. In seinen Schriften widmete sich Frank ler, ,Hufelands Verhandlungen urn einen Ruf nach Pavia",
vor allem der Hebung des offentlichen Gesundheitswesens. in: Deutsches Gesundheitswesen 20 1965, S. 226-229, be-
12 Die Universitat Pavia wurde auf ErlaE der Regierung der richtet.) - Die Nachricht von einer angeblichen Berufung
,Lombardia .austraica" in Mailand am 28. April 1796 ge- Hufelands, urn die Jahreswende 1795/ 1796 im Kreis urn
schlossen, d1e Studenten wurden nach Hause geschickt. Goethe bereits bekannt, verbreitete sich rasch auch in der
Als Begriindung fur diese MaEnahme wird in der Literatur Offentlichkeit. Zeitungen berichteten dariiber (vgl. Gold-
das Herannahen der franzosischen Truppen genannt. (Vgl. mann S. 152 f.). In einem Brief vom 21. Februar 1796 er-
Roberto Rampoldi, Pavia nel Risorgimento Nazionale. Note kundigte sich Erhard bei Schiller danach, ob dieses Geriicht
chronologice, Pavia 1927, S. 85, und Pietro Vaccari, Storia zutreffe (NA 36,1 S. 126); in einem funf Tage spater datie-
della Universita di Pavia., Pavia 1957, S. 219.) Die durch das renden Schreiben Niethammers an Erhard wird ein Ruf
A~sscheiden der piemontesischen Verbiindeten (Waffen- Hufelands erwahnt (S. 2; Sammlung Varnhagen, Mappe ,Er-
stillstand von Cherasco vom 28. April zwischen Piemont hard und Niethammer"). Diez konnte also aus mehreren
u.nd Frankreich) eingetretene Verschlechterung der milita- Quellen davon erfahren haben und daraufhin an dieser
nschen Lage hatte die osterreichische Armee zum Riickzug Stelle politisch interessante Nachrichten iiber Pavia an Hu-
auf Stellungen am Nordufer des Po zwischen Valenza und feland iibermitteln.
Pavia veranlaEt. - Nach Diez' Informationen befurchtete 14 Es wurde nicht versucht, die Hintergriinde fur diese Be-
die Mailander Regierung, offenbar mit gutem Grund (vgl. merkung aufzuklaren, die Diez offenbar durch Dritte aus
auch den SchluE des Briefes E 8 S. 349 Z. 1-3), daB die dem Munde des osterreichischen Polizeiministers Johann
Studenten der Universitat Pavia die Franzosen unterstiitzen Baptist Anton von Pergen (1725 -1814) zugetragen wurde,
wiirden. Bereits in den Jahren zuvor war es unter den der von 1782-1792 und dann erneut von 1793 - 1804 im
Studenten zu profranzosischen Aktionen und Unruhen ge- Amt war.
kommen (vgl. Silvia Cuccia, LaLombardia allafine dell'Ancien 15 Zu Diez' Reise nach PreEburg vgl. E 7 S. 340 Z. 12-19 und
Regime. Ricerche sulfa situazione amminstrativa e giudiziaria, E7/2.
Florenz 1971 (= Pubblicazioni della facoldt di lettere e 16 Diez' Bericht von der Reise nach PreEburg (cf. D 3/ 32) ist
filosofia dell'universidt di Milano LVIII. Sezione a cura del- zu entnehmen, daE Jager, Hehl und Camerer beabsichtigten,
l'istituto di storia medievale e moderna 2), S. 149 Anm. 50). im AnschluE an den Aufenthalt in PreEburg nach Wurt-
13 Christoph Wilhelm Hufeland war Ende 1795 von Johann temberg zuriickzukehren (S. I, 8).
Peter Frank als Nachfolger ftir dessen Lehrstuhl in Pavia 17 Diez hatte offenbar einen Brief an Herbert weiterzuleiten.
ins Auge gefaEt worden. Hufeland entschied sich erst im In zwei Briefen an Erhard vom 26. Februar und vom 24.
Friihjahr 1796 definitiv gegen Pavia und erwirkte unter Juni 1796 beklagte sich Niethammer, daE er nur wenig
Verweis auf diese ,Berufung" eine Erhohung seiner Besol- Nachrichten von Herbert erhielt (Sammlung Varnhagen,
dung als Professor in Jena. Im August dieses Jahres wurde Mappe ,Erhard und Niethammer").

784 785
Kommentar zu den Briefen

18 Vgl. D 3 S. 291 Z. 12 und Textanmerkung a. v.


19 Friedrich Nicolai hatte in dem 1796 erschienenen elften Berichte und Ubersichten
Band seiner zwolfbandigen Beschreibung einer Reise durch
Deutschland und die Schweiz im]ahre 1781. NebstBemerkungen
iiber Gelehrsamkeit, lndustrie, Religion und Sitten, Berlin, Stet-
tin 1783-1796, anlaJ~lich der Schilderung der Tiibinger
Verhaltnisse Schellings Schrift Vom lch als Princip der Phi-
losophie oder iiber das Unbedingte im menschlichen Wissen,
Tiibingen 1795, verspottet ( ebd. S. 120 ff.). Schelling schrieb
zwar eine Entgegnung; sie wurde aber nicht veroffentlicht.
Das Manuskript ist nicht erhalten. (Vgl. Schelling, Briefe
undDokumente(cf. E 8/ 10), Bd. 1 S. 76ff.)- Vgl. auch E 8/ 20.
20 Vgl. E 7/ 20. Nicolai hatte in seiner Reise (cf. E 8/ 19) nicht
nur Schellings Ich-Schrijt ( cf. ebd.) verspottet, sondern auch
in der ,Gallerie von Philosophischen Querkopfen" (Reise
S. 207-234) neb en zahlreichen anderen Fichte geschmaht
(ebd. S. 223-229), den Horen unter anderem die Verbrei-
tung scholastischer Spitzfindigkeiten vorgehalten (ebd.
S. 239- 290) und auch Niethammer getadelt ( ebd. S. 290-
294). Vermutlich hierauf bezieht sich Diez' Begierde, ,Euch
gekampelt zu sehen", die wahrscheinlich durch Nietham-
mers vorausgegangenen Brief geweckt worden war. Von
Schellings ,Millhandlung" konnte Diez bereits durch Schel-
lings Bruder Gottlieb gehort haben (vgl. oben S. 347 Z. 22
und E 8/ 10).
21 Lat.: Dem Wissenden genug. Zu dem Postskriptum vgl.
E 8/ 12. Die von Diez berichtete Episode konnte nicht nac~­
gewiesen werden. Auch aus dem Archiv der Stadt PaVIa
lieEen sich keine Hinweise darauf erhalten.

786
Berichte und tibersichten Die Reorganisation der Elementarphilosophie

Der Entscheidung, den Brieftext nicht nur im Auszug auf


4. die unmittelbar auf Diez bezogenen Passagen beschriinkt wie-
Ein Brief Reinholds tiber Diez derzugeben, liegen verschiedene Uberlegungen zugrunde: In-
und die Reorganisation der Elementarphilosophie nerhalb von Diez' Briefschaften der Gruppe D, die weitgehend
( eingeleitet und ediert von Marcelo Stamm) in den Zeitraum zwischen April und Oktober 1792 fallen, kommt
der ebenfalls aus Jena geschriebene Brief Reinholds zeitlich
zwischen D 3 und D 4 zu stehen und bildet ein bezugsreiches
a. Die Elementarphilosophie im Umhruch Pendant zu den Berichten von Diez iiber das Jenenser intel-
lektuelle Leben und akademische Ambiente.Z 36 Insbesondere
Der vorliegende Brief Reinholds wird im Dokumentenanhang das letzte Briefdrittel gibt Aufschlu.B iiber Formen des Aus-
von: Marcelo Stamm, Systemkrise- Die Elementarphilosophie in tauschs beziiglich philosophischer Literatur, iiber die Kom-
der Debatte (J 789-1794), Stuttgart 1998, mit einem ausft.ihrli- mentierung von Rezensionstexten und Rezensentenwahl, iiber
chen Kommentar ediert. Er gehort zu einem Bestand von sechs Publikationsprojekte und den Stand und die Umstande der
zwischen 1792 und 1796 geschriebenen Briefen Reinholds an Reinholdschen philosophischen Produktivitat - Aspekte, die
Erhard, die im Jahre 1889 mit anderen Teilen des Reinhold- auch in Diez' Briefen aus Jena (Textgruppe D) und indirekt
Nachlasses iiber den Weimarer Geheimen Justizrat Carl Rein- in der Korrespondenz mit Niethammer (Textgruppe A) ver-
hold an das Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar gelangten. 233 schiedentlich aufscheinen. Einen einzelnen Brief Reinholds in
Der Brief wird dort unter der Signatur 76/ II, 3 U2 aufbewahrt. diese Edition aufzunehmen bedarf aber einer Begriindung, die
Gegeniiber der Veroffentlichung im Faksimile sowie in di- sich nicht in dem Hinweis darauf erschopfen kann, da.B Diez
plomatischer Transkription in der Systemkrise-Studie wird der in ihm ausdriicklich erwahnt wird. Die philosophische Substanz
Text hier in zweifach geanderter Gestalt wiedergegeben: Zum des Briefes betrifft die Diskussion des Programms der Grund-
einen wurde er nach den Editionsprinzipien 234 fur die Text- satzphilosophie in einem Grad, der die entsprechenden Brief-
gruppen A -E modernisiert. Zum anderen sind etwas mehr als passagen fur die Frage, inwiefern der vormalige Thbinger Re-
das erste Drittel, d. h. die ersten 27 Zeilen des Originalbriefes petent Diez auf Reinholds Position hat Einflu.B nehmen konnen,
nach der Anrede, und das letzte Drittel, die letzten 24 Origi- hochbedeutsam werden la.Bt. Denn tatsachlich geht aus dem
nalzeilen vor der Schlu.Bformel, Petit gesetzt. Der dadurch her- philosophischen Briefwechsel der Textgruppe A nicht nur eine
vorgehobene Mittelteil (23 Originalzeilen) enthalt den Bericht Auseinandersetzung zwischen Diez und Niethammer iiber un-
Reinholds an Erhard iiber die Wirkung der Einwande, die terschiedliche Themen der Elementarphilosophie hervor - eine
Diez unmittelbar nach seinem Eintritt in das Jenaer Sommer- Diskussion, aus der heraus der Kantianer Diez zu einem eigenen
semester 1792 und im Anschlu.B an die Reinholdsche Logik- philosophischen Programm ansetzte. Vielmehr liegt mit .~~m
und Metaphysik-Vorlesung235 gegen die Elementarphilosophie Brief Reinholds vom 18. Juni ein Dokument vor, das bestaugt,
vorgebracht hat. da.B Diez in Jena eine subtile Kritik gegen Reinhold tatsachlich
vorgebracht hat, und mehr noch, da.B er mit dieser unmittelbar
233
GemiiE den Auskiinften von J GruE vom 25. Februar 1991 und von Dr. in den Reinholdschen Denkproze.B wirksam eingreifen konnte.
R. Wollkopf vom 8. Miirz 1996.
234 Vgl. II 1.
235 236
Vgl. D 2 S. 280 Z. 32 f. Vgl. Aspekte des Lebens in Jena (VI4).

898 899
Berichte und Ubersichten Die Reorganisation der Elementarphilosophie

In solche Erwagungen gehen also konstellatorische Motive ein Sinn hat. Die theoretische Problemkonstellation wird dabei
die den Brief fur die Debattenlage urn die Elementarphilosophi~ aber nicht nur schlechthin historisiert: Vielmehr geht es darum,
1792 exemplarisch werden lassen. hinter den nur in Einzelfacetten aufscheinenden sachlichen
~s kann nicht die Aufgabe dieser Einleitung sein, in das Positionen genetisch das jeweilige philosophische Profil derer
~em~oldsche Projekt der Grundsatzphilosophie selbst sowie zu entwickeln, die ihre Urheber sind. Unter der Voraussetzung
m d1e Debatte einzuftihren, die sie ab 1789 nach sich zog. dieser jeweiligen Profile ist es dann moglich, unterschiedliche
Jed~ch soll~n Aufgaben der Interpretation und philosophische Problemkonstellationen aufeinander zu beziehen und ihre hi-
Motive zu emer. Bewertung derjenigen Position angezeigt wer- storischen lnterferenzen auf philosophisch interessante Weise
den, zu d~r Re~hold im Friihsommer 1792 gelangte. Nimmt zu erschlieEen. Mit Riicksicht auf Reinholds Brief vom 18. Juni
man d~be1 zunachst eine prakonstellatorische Perspektive auf besteht ein solches Desiderat insbesondere fur Diez, fur Johann
den Bnef vom 18. Juni 1792 ein, lassen sich innerhalb ihrer Benjamin Erhard und mit Einschrankungen fur Carl Christian
~ed.erum ~ei Aspekte unterscheiden: Der erste Aspekt besteht Erhard Schmid. Der Aufgabe, die philosophischen Positionen
m em~r Rem?old-immanenten Analyse, die das Programm, derjenigen Teilnehmer einer weitverzweigten konstellatori-
das Remhold m seinem Brief als das der reorganisierten Ele- schen Debattenlage zu rekonstruieren, die entweder im Brief-
mentarphilosophie skizziert, in seiner Grundgestalt zu entwik- wechsel oder vor Ort in Jena eigene philosophische Raison-
~eln hat. Der zweite Aspekt muE demgegeniiber den theore- nements im Gravitationsfeld der Grundsatzphilosophie vor-
tlschen Problemraum erschlieEen, in den das Projekt der trugen, sind Dieter Henrich in der zweibandigen Monographie
Gr~ndsatzphilosophie eingebunden ist: Die Implikationen der zur Grundlegung aus dem lch (Gadl) und Marcelo Stamm in
Remholdschen Konzeption von 1792 machen einen Kontext seiner Untersuchung zur Systemkrise der Elementarphilosophie
aus, der auch einschlieEt, mogliche kritische Einwande in ei- im Detail nachgegangen.
ner theoretischen Problemkonstellation zu beschreiben - un- Sich auf Aspekte dieser konstellatorischen Aufgabe sachlich
abhangig davon, wann und von wem solche Positionen ver- naher einzulassen setzt jedoch voraus, daE man die Grundziige
treten wurden, d. h. unabhangig auch von ihrer Historisie- der Position Reinholds von 1792 in ihrer immanenten Per-
r~ng .. Es sii_Id hierbei also auch Problemziige zu bedenken, spektive vor Augen hat: Reinhold teilt Erhard Einsichten Init,
die mcht wrrklich artikuliert und zur Klarheit gebracht wor- die er im Laufe des Sommersemesters 1792 beziiglich der
den oder die keine historische Entsprechung gefunden ha- Elementarphilosophie gewonnen hatte und die ihn zu einer
ben. Revision der Grundanlage des Programms der Grundsatzphi-
Innerhalb dieses Problemraums nehmen jedoch jene kriti- losophie zwangen. Die Weise, wie Reinhold die neu gewon-
schen Positionen, auf die sich Reinhold im vorliegenden Brief nenen Evidenzen artikuliert, macht jedoch deutlich, daE die
zum Teil in Andeutungen, zum Teil in ausdriicklicher Wi.ir- Konzeption des methodologischen Monismus nicht ganzlich
digung ihrer Wirkung auf die eigene philosophische Grund- preisgegeben werden sollte. Die neuen Einsichten schienen
orientierung bezieht, eine Sonderstellung ein. Wenn man diese vielmehr die Aussicht zu begriinden, mit einer Reorganisation
Positionen der Sache nach aufeinander bezieht und die Frage der Elementarphilosophie angemessen auf sie reagieren zu
nach ihrem moglichen Verhaltnis im Lichte ihrer Rezeption konnen. Reinhold instrumentiert sie durch eine ganze Folge
?urch Reinhold stellt, hat man zugleich den Ubergang zu von Differenzierungen, die sich aile deutlich aus dem Brief
Jenem Grundmotiv vollzogen, das einen paradigmatisch kon- vom 18. Juni entwickeln lassen. Er unterscheidet Init jeweils
stellatorischen Charakter in einem nunmehr auch historischen eigener sachlicher Intention:

900 901
Berichte und Ubersichten Die Reorganisation der Elementarphilosophie

1.) Satze des BewuEtseins (iiberhaupt) und Lemmata des BewuEtseins in Anspruch genommen werden. Thre eigent-
2.) Ausspriiche des gemeinen Verstandes und Ausspri.i- liche Begri.indung kann jedoch nicht im Ableitungsgang erfol-
che der philosophierenden Vernunft gen, sondern liiEt sich vielmehr erst dann geben, wenn aile
3.) Tatsachen des BewuEtseins (als Fundament) und Schritte des Deduktionsganges exhaustiv vollzogen und dieje-
Prinzipien der Philosophie nigen Satze abgeleitet worden sind, die- anders als die Lemmata
4.) Ableitung und Begriindung (bzw. Beweis). - ehenfalls Satze des BewuEtsein iiberhaupt sind. Den Tatsachen
des BewuEtseins entsprechen dabei Satze des BewuEtseins,
Fiir die Ableitung von Theoremen aus dem Satz des BewuEtseins durch die diese Tatsachen ausgedri.ickt werden. Als Ausdruck
als dem Fundament bzw. als dem ersten, allgemeinsten Faktum von Tatsachen in der Aufstellungsdimension bleiben diese Satze,
ist die lemmatische Einfiihrung von Satzen notwendig, die an auch wenn sie in einer Ableitungsordnung stehen, aber unbe-
ihrer Auftrittsstelle in dem und durch den Ableitungsgang selhst gri.indet. Thre Begriindung erfolgt vielmehr erst dann, wenn
nicht begriindet werden konnen. Vermittels ihrer lassen sich vom gemeinen Verstand zur philosophierenden Vernunft ,iiber-
,die iibrigen Satze des BewuEtseins"237 ableiten, mithin dieje- gegangen"241 worden ist, wobei sie Reinhold zufolge nach dem
nigen Satze, die, wie der Satz des BewuEtseins selbst, im Be- Modell der Kantisch-transzendentalen Begri.indungsform orga-
wlffltsein iiberhaupt ,liegen"238 . Jedoch ist dieser Deduktionsgang nisiert sein muK Erst in dem Begri.indungsverfahren innerhalb
als einer, der von einem Grundfaktum des BewuEtseins ausgeht einer hierdurch angezeigten Doppelmethodologie, deren erste
und aus diesem weitere Tatsachen des BewuEtseins (i.iberhaupt) Dimension die der Tatsachen ist, werden im Ausgang von den
242
ableitet, kein Begriindungsgang. Die Dissoziation der Satze des Tatsachen des BewuEtseins die ,Prinzipien der Philosophie"
BewuEtseins und jener Lemmata, von denen die Durchfuhrung erreicht, aufgestellt und als Ausgang fur Begri.indungen entfaltet.
der Deduktion der Satze abhangt, ist keine Unterscheidung Vor dem Hintergrund einer solchen immanenten Analyse
zwischen bewiesenen und unbewiesenen Satzen, sondem von der Position Reinholds 1792 kommt der Rekonstruktion der
abgeleiteten Satzen gegeniiber solchen, die in keiner Weise philosophischen Positionen von Diez und Erhard 243 eine be-
adaquat als Ableitungsresultat entwickelt werden konnen. Die sondere Bedeutung zu, wenn zugleich die Frage beantwortet
239 werden soil, durch welche konstellatorischen Motive Reinhold
Notwendigkeit des Ausgangs von ,Fakta des BewuEtseins"
und des lemmatischen Status der Mittelsatze hat aber eine
doppelte Konsequenz: Der Ableitungsgang der Theoreme aus 241 n
vgl. S. 913 Z. 13.
einem ersten Prinzip und der Begriindungsgang der fUr die 242
Vgl. S. 913 Z. 19£.
Ableitung notwendigen Ressourcen treten auseinander. Die Mit- 243
Die Rekonstruktion und Darstellung der philosophischen Ressourcen bei-
telsatze bediirfen bei ihrer Einftihrung einer transitorischen der Kritiker in ihrer Wirkung auf Reinhold mu!S von einer jeweils un-
vollstancligen Quellenlage ausgehen: 1m Faile von Diez reicht zwar der
Rechtfertigung, die Reinhold zufolge darin liegt, daE diese clichte philosophische Briefwechsel mit dem Reinhold-Apostaten Niet-
Satze als Ausspriiche des gemeinen Verstandes, des ,sens com- hammer his clicht an das Datum des Reinhold-Briefes heran, jedoch haben
mun"240 in einer ersten Dimension der Aufstellung der Tatsachen sich keine theoretischen Schriften und Skizzen von Diez erhalten. 1m
Faile von Erhard fehlt umgekehrt unter anderem der Brief, auf den Reinhold
durch den hier mitgeteilten Brief antwortet. 1m Ko=entar zu dessen
237 Vgl. S. 913 Z. 5.
Veroffentlichung im Anhang der Systemkrire-Stud~e Marcelo Stamms wird
238
Vgl. S. 913 Z. 9. der verfrigbare Korrespondenzkontext, a~s dem s1ch. Erhards w~1tere und
239 Vgl. S. 913 Z. 17 f. vorausgegangene Auseinandersetzung 1rut den Mooven des Bnefes vom
240 18. Juni ableiten !a!St, so weit wie mi:iglich erschlossen.
Vgl. S. 913 Z. 3, Hervorhebung d. Verf.

903
902
Bericbte und Ubersicbten Die Reorganisation der Elementarphilosophie

zu der beschriebenen Reorganisation genotigt wurde. Reinhold nur vom Unterschieden- und Bezogenwerden von Subjekt und
konstatiert am 18. Juni Einsichten, die er Diez, und Auflchliisse, Objekt im Bewugtsein die Rede ist, wahrend sich gehaltreiche
die er Erhard verdankt. 244 Seine Berufung auf Diez lal~t keinen Folgerungen aus ihm doch nur dann gewinnen lassen, wenn
Zweifel, dag diesem eine dominante Rolle ftir die Formation sich die Untersuchung auf die Verfassung des Subjekts konzen-
der in dem Reinhold-Brief skizzierten Position zukam. Bedenkt triert, von dem der Satz des Bewugtseins in seinen Fassungen
man, dag in der Elementarphilosophie gemag der neuen Me- nach 1790 auch sagt, dag diese Beziehungen durch dieses Subjelct
thodologie die philosophischen Prinzipien, durch die sich die vollzogen wiirden. Unterstellt man Diez einen Einwand dieser
Tatsachen des Bewugtseins begriinden lassen, erst gewonnen Art, ist der vorliegende Brief ein singulares Dokument ftir die
werden miissen, ist es konstellatorisch perspektivenreich, sich Reaktion Reinholds auf ein sub tiles kritisches Potential, das Diez
zu vergegenwartigen, dag Diez bereits im Friihjahr 1791 aus in der Tat bereits in seinem Kant- und Reinholdstudium in
seinem Reinhold-Studium den Plan zu einer eigenen "Theorie Thbingen ausgebildet hatte. Es ist eine Aufgabe von besonderem
der ersten Griinde aller Philosophie"245 gefagt hatte. Und man Schwierigkeitsgrad, dieses Potential aus den Briefen von Diez an
kann auch erkennen, dag die Einreden von Diez, insofem sie Niethammer der Briefgruppe A auszuheben?48 Dieser Briefgruppe
zu einem Umbruch der Elementarphilosophie Anlag und Stoff kommt aber ftir die Genese der Diezschen Position im Lichte
gaben, selbst den Charakter einer immanenten Kritik hatten. des vorliegenden Reinhold-Briefes umso grogere Bedeutung
Aile Indizien his hin zur augeren Konzeption und Diktion zu, als zu bedenken ist, da.B Diez in einer Transformation der
des Mittelteils, in dem Diez in der ersten Zeile eingefiihrt gegen Reinhold vorgetragenen Theorem- bzw. Ableitungskritik
wird und im Schlugsatz des gesamten Raisonnements nochmals der Spontaneitat des Subjekts eine grundlegende Rolle in seiner
auftritt, legen den Schlug nahe, dag Diez an Reinhold nicht Theorie der ersten Griinde 249 zugewiesen hatte: Das Prinzip der
nur jenes Problem herangetragen hat, da.fl bestimmte Theoreme Selbsttatigkeit war, als Diez in Jena antrat, schon eigentlicher
sich nicht aus dem Satz des Bewugtseins entwickeln lassen, Leitgedanke des selbstdenkenden Kantianers geworden.
sondern diesem zugleich auch Vorschlage machte, durch welche Reinholds Brief vom 18. Juni lagt sich jedoch nicht nur als
Magnahmen sich dieses Defizit wiirde beheben lassen?46 Es eine wichtige Quelle ftir die Rekonstruktion der von Diez ent-
erscheint plausibel anzunehmen, dag Diez dabei auf kritische wickelten Position und Methodologie in Anspruch nehmen.
Ressourcen zuriickgreifen konnte, die er bereits ein Jahr zuvor Reinhold hat vielmehr die methodologischen Implikationen der
Niethammer brieflich angedeutet hatte?47 Diez verwies auf Diezschen Kritik ftir das Programm der Grundsatzphilosophie
die Notwendigkeit, zur Ahleitung des Theorems des Gege- zum eigentlichen Gegenstand seiner Mitteilungen an Johann
benseins des Stoffes und des Hervorgebrachtwerdens der Form Benjamin Erhard gemacht. Man darf annehmen, da.B Reinhold
Selbstbewufitsein und Bewufitsein der Selbsttiitiglceit lemmatisch in der Weise, wie er auf die Einwande von Diez reagierte,
in Anspruch zu nehmen. Die Notwendigkeit, sich auf solche zugleich auch eine angemessene Beschreibung und Sicherung
Lemmata zu stiitzen, ergibt sich unter anderem aus der defizitar seiner neuen Position gegeniiber Erhard sah: Von diesem hatte
passivischen Formel des Satzes des Bewugtseins, insofern dort Reinhold nach eigenem Bekunden aber "treffliche Aufschliisse
250
iiber logische und metaphysische Analysis" erhalten. Der Ana-
244
Vgl. S. 912 Z.34 und S. 911 Z. 15.
245 248 Dieter Henrich leistet dies im Detail in Gad! VI. 1-3.
Vgl. C 9 S. 233 Z. 22 und Gadi VII. 5 und 6.
249
246
Vgl. Gadi VI. 3. Vgl. Gadl VII. 6.
247 250
Vgl. z.B. A 11 S. 78 Z.19f und Z.23f Vgl. S. 911 Z. 15.

905
904
Berichte und Ubersichten Die Reorganisation der Elementarphilosophie

lysisbegriff meint hier keine Zerlegung von Termen. 251 Er ist rend aller Anspruch auf ein oberstes Prinzip oder auf ein Fun-
vielmehr als Methodenbegriff unmittelbar mit dem Erhardschen dament, das als Ableitungsgrund in Kraft treten konnte, auf-
Philosophiebegriff verkniipft: Man kann rekonstruieren, daB gegeben werden muK
sich Erhard sehr bald nach einer ersten Auseinandersetzung Eingangs war die Position Reinholds so skizziert worden,
mit Reinhold, spatestens aber ab dem Friihsommer 1791, im wie sie sich immanent aus dem Brief vom 18. Juni darstellt.
Zuge einer Riickorientierung zu Kant von dem Programm des Eine solche immanente Analyse gehort zu jener weiteren prii-
methodologischen Monismus Reinholds schrittweise distanzier- konstellatorischen Perspektive, in der sich die Aufgabe stellt,
te.252 Bereits zum Zeitpunkt des vorliegenden Briefes verftigte den mit einer solchen Position einhergehenden theoretischen
Erhard schlieBlich iiber Evidenzen zu einem Begriff der Phi- Problemraum zu erschlieBen. Reinhold hat sich dieser Pro-
losophie als Analysis, der im Hintergrund der Aufschliisse ge- hlemraum allerdings erst in der Auseinandersetzung mit den
standen haben muB, die er Reinhold zu des sen Reinterpretation im Brief vom 18. Juni genannten Kritikern, d. h. konstellatorisch
der Intention der Elementarphilosophie nahezulegen versuchte. eroffnet: In der Doppelmethodologie der Elementarphilosophie
Die Erhardsche Analysis ist dabei auf ein Begriindungsverhaltnis von 1792, in der die Thennung von Ableitung und Beweis
von Satzen und ihre Abfolge gerichtet: Die Vordersatze in Ab- hzw. Begriindung ein Verfahrenspendant in der Unterscheidung
leitungsfolgen lassen sich nur unter Voraussetzung jener Satze von Ausspriichen des gemeinen Verstandes und solchen der
aufstellen, die a us ihnen entwickelt werden soli en, d. h. der philosophierenden Vernunft hat, liegt ein in doppelter Hinsicht
Ableitungsgrund laBt sich nur in Antizipation des Deduktions- antifundamentalistischer Zug. Die Einsicht, daB bestimmte Lem-
resultats bestimmen. Es ist nicht schwer einzusehen, daB eine mata, wie etwa die Satze des SelbstbewuEtseins oder der Selbst-
solche Theoremordnung in der Begriindungssphare der Satze tiitigkeit, nicht aus dem Satz des BewuBtseins (iiberhaupt) ab-
nur unter erheblichem methodologischen Aufwand mit dem geleitet werden konnen - woraus sich ihr lemmatischer Status
Gedanken der Philo sophie a us einem Prinzip vereinbar ist. Denn ergibt - , macht eine Revision des methodologischen Monismus
in der Beweisordnung liegt ein unzweideutig koharentistischer in seiner Grundkonzeption unumganglich. Das von Reinhold
Zug.253 Eine Analysis des Vorstellungsvermogens erschopft sich 1789 kanonisierte Ableitungsprogramm der Elementarphiloso-
laut Erhard darin, die Vereinbarkeit der Satze der theoretischen phie kann nur dann noch ausgeft.ihrt werden, wenn Satze auf-
Philosophie mit der Moralitat des Menschen zu erweisen, wah- treten, die in ihm unbegriindet und durch diesen nicht legi-
timierbar sind. DaB sich ein Satz wie der des SelbstbewuBtseins
251
Vgl. Gadi XIII. 4 und 5, wo der Erhardsche Analysis-Begriff und die hier nur in einer Theorie der Vernunft begriinden liiEt, ist zwar
nicht darstellbaren Grunde daftir, logische und metaphysische Analys1s mit dem Systematizitiitsanspruch gegeniiber einem vollstiindi-
zu parallelisieren, auch im Zusammenhang der spiiteren Kritik Erhards gen Deduktionsgang nicht ganzlich unvereinbar, erfordert aber
am Programm der Wissenschaftslehre Fichtes untersucht werden. eine ungleich komplexere Analyse des Verhiiltnisses und der
252
Vgl. Gad! XIII. 2 und 3. Begriindungszusammenhange der aus dem Satz des BewuBt-
253
Erhard hat noch in den Folgejahren ausdrucklich auf die Programmformel
seins abgeleiteten Theoreme. Der antifundamentalistische Zug,
der ,Philosophie als Analysis' zuruckgegriffen und sie gegen jede Fo~m
eines methodologisch-monistischen Verfahrens geltend gemacht. Auch d!e- mit dem der methodologische Monismus in seiner Begriin-
ser Umstand ftihrt vor Augen, daE Erhard aus eigenen Ressourcen zu dungsdimension konfrontiert ist, wird aber noch von einem
einer Position gelangt war, die der Kantischen Begrundungsidee entspre- zweiten Zug begleitet, der einen weitgehend verdeckten Ko-
chen wollte und die in einem damit den Anspruch erheben konnte, den
hiirentismus erkennen liiEt. Denn zum einen erkliirt Reinhold
Grundlegungsversuchen Reinholds uberlegen zu sein; vgl. auch Cadi
XIII. 6 und 7. im vorliegenden Brief, die fraglichen Lemmata konnten nur

906 907
Berichte und Ubersichten Die Reorganisation der Elementarphilosophie

dann als Ausspriiche der philosophierenden Vernunft eingese- terminologisch aufnehmen 257, ungeachtet die methodologischen
hen werden, wenn zuvor aile iibrigen Satze des BewufStseins Implikationen der Reinholdschen Reorganisation selbst einen
aufgestellt und entwickelt worden sind. Und zum anderen ver- koharentistischen Zug erkennen lieEen. Es ist jedoch unab-
sichert Reinhold, die Tatsachen des BewuEtseins als das Fun- weisbar, daiS die Einwande von Diez in weiterer Konsequenz
dament, von dem die Elementarphilosophie notwendig ausge- dazu fiihren, die Zieldimension der Prinzipien der Philosophie
hen miisse, stiinden durch ihren ,Unterschied und Zusammen- als eine solche zu betrachten, in der sich aus diesen Prinzipien
hang"254 in einem wechselseitigen Explik.ationsverhaltnis derart, Begriindungsperspektiven und in deren Folge Satzanordnungen
daiS aus diesen die Prinzipien der Philosophie ,alsdann von ergeben, die mit der Ableitungssequenz der ,Satze des BewuEt-
selbst hervorgehen" 255 sollen. Beide Momente, sowohl die Pra- seins' in keiner Weise identisch sind: Die Abfolge der Satze
supposition von Ableitungsresultaten in Gestalt von Satzen des im Ableitungsgang ist eine ganz andere als die Ordnung der
BewuEtseins einerseits als auch andererseits das explikative Satze in der Begriindungssphare. Letztere muE Erhard zufolge
Wechselverhaltnis dieser Tatsachen so, daiS der Ubergang vom koharentistisch organisiert sein. An der Weise, in der Reinholds
gemeinen Verstand zur philosophierenden Vernunft und ihrer Positionsrevision auf die rekonstruierbaren Positionen seiner
Prinzipien als Resultat einer Wechselwirkung erscheint, ent- Kritiker bezogen ist, manifestiert sich aber zugleich auch un-
sprechen der Sache nach einem im Grundzug koharentistischen mittelbar der konstellatorische Charakter der gesamten Debat-
Begriindungsprogramm. tenlage: Reinhold hat gegeniiber Erhard seine Evidenzen als
DaiS Reinholds Position 1792 als das Ergebnis einer Reor- durch Diez mitentwickelt dargestellt. Die Ausftihrlichkeit und
ganisation, d. h. als Resultat rapider Umschichtungen in einer Offenheit, mit der dies geschieht, erklaren sich unschwer daraus,
theoretischen Zwangslage interpretiert werden kann, wird da- daiS er in Erhard einen solchen Adressaten fiir seine Einsichten
durch bestatigt, daiS Reinhold eine Aufklarung dariiber, wie sah, der diese auf seine eigenen Raisonnements wiirde beziehen
die Prinzipien aus den Tatsachen ,von selbst" 256 hervorgehen und in deren Licht wiirde weiterentwickeln konnen. Aber Rein-
sollen, schuldig bleibt: Die Doppelmethodologie der Elemen- hold hat umgekehrt Diez in Jena offenkundig auch von d:r
tarphilosophie, in die die Zweidimensionalitat des Aufstellungs- Position Erhards berichtet. Er tat dies wohl so, daiS Erhard fur
und Ableitungsverfahrens der Satze des BewuEtseins einge- Diez ein besonderes Vorbild des ,philosophischen Arztes' abgab
schrieben ist, setzt eine Begriindungssphare durch die philo- und- weit wichtiger- daiS Diez ihn (wie sich selbst) als einen
sophierende Vernunft frei: Die Prinzipien der Philosophie sind selbstdenkenden Kantianer wahrnahm, mit dem er aus unter-
die eigentliche programmatische Zieldimension der Elemen- schiedlichen philosophischen Motiven heraus in seiner Kritik
58
tarphilosophie. Doch wird die mit diesen Prinzipien verkniipfte an Reinhold zusammengeschlossen war?
Begriindungssphare selbst nicht ausreichend durchsichtig ge- Nicht auszuschlieEen ist, daiS Reinhold bereits im Zuge des
macht. Den Antifundamentalismus, der Erhards Methodologie skizzierten Umbruchs und seiner methodologischen Konse-
der Analysis auszeichnet, kann Reinhold, der dem Paradigma quenzen zu der Einsicht gelangte, daiS die hieraus erwachsenden
der Philosophie aus einem Prinzip weiterhin verpflichtet ist,
257
im Friihsommer 1 792 gleichwohl weder in der Sache noch Vgl. S. 911 Z.27f.
258 Der vorliegende Brief ist so auch Zeugnis ft.ir ein Bi:indnis zweier Kritiker
der Elementarphilosophie, das sich erst m der Vernnttlung durch den
254
Vgl. S. 913 Z. 22. Adressaten der Kritik selbst konstellatorisch vollzog. Zur Frage der Ver-
255
Vgl. S. 913 Z. 23. trautheit von Diez mit Erhards Publikationen von 1791 vgl. unter anderem
256 Ebd. Gadl VI. 2.a und VII. 4.

908 909
Berichte und Ubersichten Die Reorganisation der Elementarphilosophie

Probleme nicht wirklich beherrschbar sein wiirden. Reinhold


nahm jedenfalls in der Folge davon Abstand, das 1789-1791 b.
kanonisierte Projekt der Elementarphilosophie vor · einer aus- Brief von Karl Leonhard Reinhold, Jena
reichenden Konsolidierung weiter offentlich zu propagieren. Montag, den 18. Juni 1792
Seine Produktivitii.t blieb so auch im Folgejahr 1793 im we- An Johann Benjamin Erhard, Niirnberg
sentlichen auf die Ausarbeitung seiner Theorie des Willens
beschrii.nkt - ein Projekt, auf das Reinhold im vorliegenden
Brief kurz vor den hervorgehobenen Diez-Passagen eingeht. 259 Jena, den 18. Juni 1792
Noch aus dem Spii.tsommer oder Friihherbst 1792 datiert wohl
die Niederschrift jenes programmatischen Aufsatzes von Rein- Liebster Erhard!
hold, in dem die Motive des Briefes vom 18. Juni eine kom- 5 Da Sie mir von Ihrer Reise nichts mehr schreiben wollen, so werde ich auch
prehensive Darstellung fanden. Er iiberdauerte das Jahr 1793 von derselben, wenigstens von der Epoche Thres Aufenthalts in Wien auf der
unpubliziert, wurde im Dezember 1793 erst druckgelegt und Hinreise nach K.lagenfurt nichts zu wissen kriegen. Herbert hat mir keine
erschien End~ Mii.rz 1794 im zweiten Band der Beytrage unter Zeile geschrieben; es diirfte wohl seit Jenner oder Februar sein, und von ibm
erwarte ich auch keine Reisenachrichten. Indessen sollen Sie sic.h auch nicht
dem Titel: ,Uber den Unterschied zwischen dem gesunden 10 genieren, oder Ihre Zeit, die Sie zu etwas bessern brauc.hen konnen, zu meiner
Verstande und der philosophierenden Vernunft in Riicksicht blo~en Unterhaltung verschwenden.
auf die Fundamente des durch beyde moglichen Wissens". Zum
Besser, Sie wenden manches Zeittriimmerc.hen, das Thnen iibrig bleibt, meiner
Zeitpunkt des Erscheinens dieses Beitrags und unmittelbar vor
Belehrung zu, wie Sie [es] in Ihrem letzten Briefe getan haben. Ic.h danke
Fichtes Eintritt in die Jenaer philosophische Konstellation war 15 Ihnen ftir die trefflichen Aufschliisse iiber logische und metaphysische Analysis.
der methodologische Monism us aber zu einem Problemsyndrom
avanciert, dessen Unauflosbarkeit alsbald zu Entwiirfen und Ic.h unterschreibe Ihre Gedanken iiber den Ausdruck Theorie sowohl in Riick-
sicht auf das Unpassende desselben ftir die Wissenschaft des Vorstellungsver-
Konzeptionen im Gravitationsfeld der Wissenschaftslehre ft.ihrte, mogens als auch auf das Passende ftir die Lehre VOID Begehrungsvermogen.
in denen das Paradigma der Philosophie aus einem Prinzip 20
bereits aufgehoben war. Allein mein Versuch, wenn er noch einmal aufgelegt werden sollte, wurde
gleichwohl noch immer nur Theorie hei~en diirfen, in dem er wirklich noch
nicht die Wissenschaft des Vorstellungsvermogens vortragt, sondern eigentlich
nur vorbereitet und in einigen ihrer Hauptmomente andeutet.

Das System der• rein en Elementarphilosophie, das ich genau von jenem Versuche
unterscheide kann und darf nie Theorie hei~en. - Aber ich kann dabei auch
den Namen der Analysis rnissen,b der (mir) nichts~ [als das]d ganze eigentliche
259 Geschiift, das bei der Erzeugung der Idee zur W1ssenschaft des Vorstellungs-
Vgl. S. 912 Z. 4-15. Reinholds Mitteilungen iiber die Theorie des Begeh-
rungsvermogens stehen zugleich im Zusammenhang der Untersc.heidung
von ,Theorie" und ,Wissenschaft" und der These Erhards aus dem nicht
erhaltenen Vorbrief, da~ die Wissenschaft des Vorstellungsvermogens nicht
Theorie heillen diirfe, wiihrend der Theoriebegriff auf die ,Lehre vom a gestr.: »Ele«
Begehrungsvermogen" zutriife (vgl. S. 911 Z.17-27). Zur Untersc.heidung b vermutl. gestr.: »der obschon«
zwischen dem Wissenschafts- und dem Theoriebegriff im Kontext des c gestr.: »tauge«
Erhardschen Entwurfs einer K.lassifizierung der Wissensc.haften vgl. A 12
d irrtiimlich gestr.: ,aJs das«
S. 81 Z. 26 - S. 84 Z. 8 und A 12/ 13.

911
910
Berichte und Ubersichten Die Reorganisation der EleiDentarphilosophie

veriDogens in mir vorging, zu charakterisieren scheint; obwohl er die Entwicklung Satze des BewuEtseins, sondern nur vermittelst anderer Satze,
dabei freilich richtig ausdri.ickt. Davon ein anderiDal. die ich in dieser Elementarlehre ohne Beweis als Ausspri.iche
Durch IDeinen neuen Begriff voiD Willen: ,Er ist das Vermogen der Person.
des sens commun aufstelle, erfolgen, und welche Satze mir
sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung der Forderung eines Be- 5 dann erst erweisliche Ausspri.iche der philosophierenden Ver-
gehrens, oder des eigenni.itzigen Triebes, oder des Triebes nach Vergni.igen 5 nunft werden konnen, wenn die i.ibrigen Satze des BewuEtseins
(denn das ist IDir ebendasselbe) zu bestimmen", ist es mir (erst) moglich aufgestellt und entwickelt sind. Z. B. das Theorem, daE der
geworden, eine Theorie des BegehrungsveriDogens zu liefern, woran ich sonst
nicht selten gezweifelt habe. Durch den Willen und die a priorischen Vermogen.
Stoff gegeben, die Form hervorgebracht, die Vorstellung .~~zeu?t
die in deiDselben iiD Spiele sind, erhielt ich erst genauere Be griffe voiD Begehren 10 sei, wobei Selbstbewufltsein und BewuEtsein der Selbsttaug~e1t,
und dem, was dabei a priori und a posteriori gegeben sein muK Aber bevor das nicht im Bewufltsein iiberhaupt liegt, vorausgesetzt wrrd.
der zweite Band der Bri.efe, der Michaelis erscheinen soil, heraus ist, und in 10 Allein jene Ausspri.iche desa gemeinen Vers.tandes . mii.ssen
welcheiD ich mich mit Freiheit und Willen in Ri.icksicht auf Moralbeschaftige,
darf ich fur die Theorie des Begehrungsvermogens nichts weiter vornehmen."
schlechterdings lemmatisch in der Elementarphilosoph1e an.ge-
Thre Ideen werden IDir indes jederzeit hochst willkommen sein. 15 nommen werden, da nur vom gemeinen Verstand zur philo-
sophierenden Vernunft i.ibergegangen werden ka~n. Aber sie
Raben Sie die Dialogen die Drei Sti.inde und die Welthiirger im Merkur gelesen? miissen durch die letztern in der Folge gerechtferuget werden.
Die Gedanken i.iber die Prinzipien der Moral und des Naturrechts, wo ich fur
beide ganz neue ForiDeln aufstelle, und wovon ich Thnen einiges bei Jhrem 15
Hiersein gezeigt babe, sind im Junius des Merkur gedruckt und werden auch 20 Das Fundament der Elementarphilosophie sind lauter Fakta
1/2 in den Briefen erscheinen. I des BewuEtseins, unter den en das, was der Satz des BewuEtseins
iiberhaupt ausdri.ickt, das Allgemeinste und insofe~n im. sy.st~m
Es ist unter andern ein Magister Diez aus Thbingen hier, der das Erste ist. Die Elementarphilosophie stellt erst d1e Pr~nz~p~en
von der Theologie, von der er im Thbinger Stift bereits (als) 20 der Philosophie auf, kann also von keinen solchen Prmz~p1en
Repetent angestellt war, soeben zur Medizin i.ibergeht, und 25 ausgehen, sondern von bloEen Tatsachen, die sich durch 1~en
ein ganz auEerordentlicher Kopf mit dem bestem Herzen ist. Unterschied und Zusammenhang erlautern und aus denen Jene
Er hat meine und Kants Schriften langst studiert und tragt Prinzipien alsdann von selbst hervorgehen.
mir bei Gelegenheit meiner Kollegien, die er hort, Zweifeln
vor, die mir und meiner Elementarphilosophie auEerst wichtig 25 Diez schatzt (und) liebt Sie innigst, und wird Si~, wen~ [er]
sind und nebst einigen AuEerungen in der Schmidschen Re- 30 einst Jena verlaEt, in Niirnberg aufsuchen. Er s1eht m1t mrr
zension meiner Ahhandlung i.iber das Fundamentb ( einigen sage Ihrer Disputation mit Sehnsucht entgegen.
ich, denn die meisten sind wahrlich nicht lehrreich) Stoff zum
Das Buch i.iber das Fundament von Magister Holstb in Halle ~st ~on .an einen
zweiten Teil der besagten Abhandlung furs nachste Stuck der cheinlich an Schmidc, der es vJelle1cht m emem
30 Rezensenten vert e ilt., Wahrs . . I · hil •d · d
Beitrage gegeben haben. Ich sehe nun deutlich ein, daE in Anf~ " k 0· cher Laune wie neulich den W1sch sonoiDIOp us m er
il.ll von s ep s ' . · e h di F ih ·
dem ersten Teil der Fundamentallehre der Elementarphiloso- 35 AllgeiDeinen Literatur-Zeitung, !ohen di.irfte. D1eser Schmid at e re eJt
phiec Theoreme vorkommen, bei denen ich selbst hatte aus-
dri.icklich zeigen sollen, daE sie nicht unmittelbar aus dem a gestr.: »gesunden Ver«
b Orig.: »Holtzte«
a gestr.: »Aher« c Orig.: ,schmidt«
d Orig.: »lsionomophilus«
b gestr.: »weni«
c gestr.: »Behauptungen« e Orig.: »Schmidt«

913
912
"Grundlegung aus dem Ich"
Berichte und Ubersichten

des Willens in der neuen Ausgabe seiner Moral auf eine sinnreiche, aber
iirgerliche Weise verhunzt. 5.
Inhalt der Monographie:
Ich werde Girtanners Chemie kaufen und lesen, bitte mir aber ebendasselbe
von Ihnen fur die in Konigsberg soeben erschienene Kritik aller Qffenbarung," 5
Grundlegung aus dem Ich.
ein hochst merkwurdiges Werk - fur die neue, mit zehn Briefen vermehrte Untersuchungen zu Immanuel Carl Diez
Ausgabe von Allwills Papieren - und fur Rehbergs vortreffliche Schrift Prii.fung und den Anfongen des Idealismus.
der Erziehungskurzst aus. 'IUbingen- Jena (1790-1792)
Sie haben mir nur im Vorbeigehen und iiuEerst wenig uber den Plan zu Ihren 10
Literaturbriefen gesagt, so daE ich keinen bestimmten Begriff davon habe. Es
versteht sich, daE ich [in] keiner Gesellschaft lieber bin und erscheine, als in ERSTES BUCB
..V3 der Ihrigen. I

Meine Sophie, die sich Ihrem Andenken von ganzem Herzen empfiehlt - und 15 Vorwort
Ihre treffliche Braut im Geiste umarmt - hat mir gestern vor 14 Tagen einen
neuen frischen und braven Jungen gebracht, der sich mit ihr sehr wohl befindet. I. Einleitung (ca. 27 S.)*
Sie selbst ist eben itzt neben mir im Garten, wo ich Ihnen in einer angenehmen
Abendstunde schreibe.
20
Baggesen schreibt mir nur iiuEerst selten, ist aber weder auf mich noch Sie A. Voraussetzungen
bose. Ich erwarte posttiiglich von ihm die Nachricht von der Entbindung
seiner Sophie. Er sieht nunmehr endlich selbst ein, daE sein Projekt ftir mich
II. Die Thbinger Dogmatik: Storr und Flatt (ca. 53 S.)
unausfuhrbar, und sein Prinz ohne allen EinfluE ist, und daE dieser Prinz
kein Freund, sondern ein hartniickiger Gegner unsrer Philosophie ist und 25
bleibt. III. Spuren von Diez' fruher theologischer Selbstverstiindigung

Entschuldigen Sie gegen unsren lieben und braven Veillodter, den ich herzlich
(ca. 22 S.)
umarme, mein bisheriges Stillschweigen, das nichts weniger als willkiirlich
war. 30
B. Untersuchungen zu Diez' Denken
Heut habe ich die Revision des ersten Bogens vom zweiten Band der Briefe
aus Leipzig erhalten. Gottlob, daE der Kopf dieses Kindleins geboren ist, das . Statlonen
.
mir noch harte Wochen kosten wird. IV. D1e von DI"ez' kantischem Philosophieren (ca. 30 S.)
35
Ich bin mit ganzer Seele ewig V. Theologiekritik mit den Mitteln Kants (ca. 124 ~.)
1 Kantische Kritik und christliche Dogmatik •2. Kanusche .Argu-
Thr Reinhold . d. . tli h Ethik • 3. Eingrenzung der kanuschen
mente gegen 1e c11r1s c e
Jena, den 18. Junius 1792 Moraltheologie

. S · a]-'en, die einen Gesamtumfang von 1697 Seiten


* D1e angegebenen e1tenz ll kri
. d d. d s noch nicht ganz abgeschlossenen Typos pts.
erge b en, sm 1e e
a gestr.: »VOn<<

915
914
Berichte und Ubersichten ,Grundlegung aus dem Ich"

VI. Diez' Studium und Kritik von Reinhold (ca. 253 S.) D. Biographie
1. Verlauf und Quellen; a. Der Gang von Diez' Reinholdstudium;
b. Die Gehalte der Auseinandersetzung • 2. Die Kritik von drei X. ,Dieser kantische Enrage' (ca. 55 S.)
Theoremen; a. Mannigfaltigkeit und Einheit; b. Gegeben und hervor- 1. Bis zum Repetentenamt und zur Apostasie • 2. Zwei Jahre in
gebracht; c. A posteriori und a priori; d. Zwischenbilanz zu Diez' Jena • 3. Dozent in Tiibingen, Ende in Wien
SchluBfolgerung • 3. Das Ding-an-sich-Problem; a. subjektive und
objektive Realitat; b. Reinholds Behandlung des Problems; c. Diez'
Kritik an Reinholds Theorie; d. Diez' Reaktion auf Fichte; e. Umrisse ZWEITES BUCH
einer eigenen Losung
XI. Vier Phasen in Niethammers Religionstheorie (ca. 103 S.)
VII. Diez' Entwurf zu einer Theorie der ersten Gri.inde aller
1. Reiner Rationalismus der praktischen Vernunft (1791/92) • 2. An-
Philosophie (ca. 291 S.)
niiherung an Fichtes Offenbarungskritik, ein Lebensplan ftir Tiibingen
1. Offene Fragen • 2. Ein Widerspruch in Reinholds Erkenntnistheorie (1792 -1794) • 3. Religion als Wissenschaft, Vorsehungsglaube
• 3. Reinholds Erkenntnistheorie falsch und ,nicht kantisch' • 4. Pro- (1795/ 96) • 4. Offenbarung und Selbsttatigkeit, auf dem Wege zu
bleme mit Kants transzendentaler Asthetik • 5. Herleitung und einer neuen Theorie der Religion (1797-1804)
Begriindung • 6. Das Profil einer Theorie
XII. Siillkind, Freund von Diez und Nachfolger Storrs (ca. 130 S.)
1. Ein Lebensweg zur Tiibinger Dogmatik • 2. Ver::eidigung der
C. Fri.ihe Wirkungen und Kontraste Dogmatik in anonymen Rezensionen • 3. Apologe?sche und ex-
egetische Abhandlungen • 4. Angriffe auf Schellmg, de Wette,
VIII. Diez im Austausch mit Zeitgenossen (ca. 83 S.) Schleiermacher
1. Stiftsforschung und Philosophiegeschichte • 2. Niethammer und
SiiBkind in der Debatte mit Diez • 3. Marklin, Flatt und Planck XIII. Johann Benjamin Erhard im Spektrum nachkantischer
Position en (ca. 232 S.)
IX. Die kantischen Religionstheorien von 1792 und die Reak- 1. Nach Kant und Reinhold • 2. Erhard als selbstdenkender Kantia-
tion der Tiibinger Dogmatik (ca. 116 S.) ner • 3. Distanz zu Reinhold, Grundlegungsfragen der kritischen
1. Neue Konstellationen und Aufgaben • 2. Kants Religionsschrift Philosophie • 4. Philosophie als ~alysis • 5. ~alysis und Be-
und Fichtes Versuch einer Kritik aller Offenbarung • 3. Tiibinger gri.indung • 6. Drei genetische Erklarungen von F1chtes Fehlern •
Antworten auf Kant und Fichte (Flatt, Storr und SiiBkind) • 4. Zwi- 7. SelbstbewuBtsein als Prinzip?
schenbilanz zum Offenbarungsbegriff: Weltform und exzeptionelle
Tatsache XIV. Die ,Ich-Lehre' nach Reinhold und Jacobi (ca. 84 S.)
1. Nachkantische Positionen ohne Ich-Lehre • 2. Das absolute Subjekt
in Reinholds Theorie • 3. Verfassung und Erklarung von Sel~st­
bewuBtsein • 4. Ein Problemraum durch Reinhold und Jacobi

917
916
Berichte und Ubersichten

XV. Die Moraltheologie auf dem Weg zum Absoluten (ca. 94 S.) VI.
1. Ich-Lehre und Moraltheologie • 2. Der personliche Gott in Kants Begleittexte
Theologie • 3. Die moralische Welt, Postulat oder GewiEheit? •
4. Die Umwendung in der Ideenlehre

XVI. Die Genese von Schellings erster Fundamentalphilosophie

XVII. Religion und Offenbarung in Holderlins Denken

XVIII. Formationsbedingungen und Vergegenwartigung des


Idealismus

918
Vorbemerkung

1.
Vorbemerkung

Irn Folgenden werden der Diez-Ausgabe drei Aufsatze beige-


geben, deren Zweck es ist, den Zugang zu den Texten der
Gruppen B und D zu erleichtern. Die Schriften zur Theolo-
giekritik., die von Diez' Hand erhalten sind, behandeln Fragen,
mit denen Diez und seine Generationsgenossen vertraut waren
und die fur sie zudem eine groEe Lebensbedeutung hatten.
Man hat aber davon auszugehen, daE sie zweihundert Jahre
spater selbst den meisten Theologen in ihrem Gehalt und Ge-
wicht fremd geworden sind. Die Briefe der Gruppe D berichten
aus Jena und Weimar und setzen dabei unter ihren Adressaten
ein betrachtliches, in ihrer Zeit auch nahezu selbstverstandliches
Wissen iiber allgemeine Lebensverhiiltnisse und ein besonderes
Interesse an dem Leben in diesen heiden Orten voraus. Aus
den Briefen selbst gehen fur die, die sie nach zweihundert
Jahren lesen, die Gesichtspunkte, unter denen sie seinerzeit
gelesen wurden, nicht ohne weiteres hervor. Auch durch den
Kommentar konnte die Umgebung, in die Diez mit dem Beginn
seines Medizinstudiums in Jena eintrat, nicht in dem Umfang
verdeutlicht werden, der Diez' Berichten auch in ihrem Hin-
tergrund erst Tiefenscharfe und Farbigkeit zuwachsen laEt. Aus
all dem ergab sich der EntschluE, die Ausgabe gerade ftir
diese Textgruppen mit Begleittexten zu versehen. Die Tiibinger
Verhaltnisse sind fur viele von denen, die sich fur Diez inter-
essieren werden, aus den Literaturen zu Hegel, Holderlin und
Schelling in den Grundziigen besser bekannt. Was die Briefe
selbst und was die Kommentare mitteilen, laEt sich an diese
Vorkenntnis Ieicht anschlieEen. Auch die Briefe von SiiEkind
aus Gottingen und die Diez-Briefe der Gruppe E bediirfen
keiner Erlauterungen, die iiber die im Kommentar gegebenen
hinausgehen.
Die drei Aufsatze sind Einfuhrungen, sollten also nicht als
Forschungsbeitrage verstanden werden. Sie stutzen sich auf in

921
Vorbemerkung
Begleittexte

der Literatur schon Erarheitetes und ft.ihren es in der heson- Nur der Text zur Briefgruppe D mag im strikten Sinne als
deren Ahsicht zusamrnen, Diez' Niederschriften in ihren Kon- Text zur Einft.ihrung, also vor der Lekti.ire de~ Briefe sel~st
texten sprechender werden zu lassen. Der Begleittext zu Diez' gelesen werden. Die heiden Texte zu den Schnften von D1e.z
werden wohl besser dann zu Rate gezogen werden, wenn m1t
Sch.rift iiher.?ie Rechtm.aEigkeit der Unterschrift unter die sym-
~olischen Buche_r (B 1) hat dariiher hinaus auch die Aufgabe
der Lekti.ire der Schriften zumindest hegonnen worden ist und
uhernomrnen, die Argumentation von Diez als solche zu ana- wenn der Leser hemerkt, daE er sich die Prohlemlage, aus der
lysieren - und zwar deshalh, weil die Monographie Grundlegung heraus Diez argumentiert, nicht deutlich genug vor Augen hrin-
aus dem Ich zu diesem Text keine weitere Untersuchung enthhlt. gen konnte. . .
Aile drei Texte sind mit den Mitarheitern d1skuuert und von
Auch der Aufsatz zu Diez' Schrift iiher die Moglichkeit einer
ihnen vor ihrem Ausscheiden aus dem Programm niederge-
Offenharung (B 2 und 3) enthalt Ansatze zu einer solchen
Untersuchung, die aher in jener Monographie weiter ausgeftihrt schriehen worden, das zum Teil schon eine stattliche Anzahl
von Jahren zuriickliegt. Der Text zur Briefgruppe D ist inzwi-
sind.
schen durchgreifend umgearbeitet, erganzt und auf den letzten
In den Begleittexten zu den heiden Schriften von Diez wird
Stand der Ausgabe gehracht wor~~n. Auch in den Texten zu
nur von den Dehatten iiher ihre Prohleme herichtet, die ihnen
Diez' Schriften worden manche Anderungen vorgenommen,
in der Zeit unmittelhar vorausgingen und die damals noch
die jedoch von ihrem Verfasser zur Kenntnis genommen und
jedermann vor Augen standen. Die Verpflichtung der Pfarrer
auf die Bekenntnisschriften hat jedoch seit langem zu Span- gehilligt worden sind.
nungen geft.ihrt und in Lehensentscheidungen genotigt. 1 Es
ware also moglich, Diez' Argumente und seine eigene Ent-
scheidung gegen den Beruf des Geistlichen vor einem Hinter-
grund zu hetrachten, der schlieElich die gesamte Kirchenge-
schichte und dann auch die Geschichte aller Religionen um-
fassen wiirde, die aufheilige Schriften gegriindet sind. Sicherlich
lassen sich auch zahlreiche Lehensgeschichten schreihen, in
denen ahnliche Entscheidungen getroffen worden. In dem Auf-
satz zu Diez' Schrift iiher die Moglichkeit einer Offenharung
ist der Horizont vielleicht noch mehr einzuengen gewesen.
Denn sein Thema wurde nicht nur seit langem von Theologen
hehandelt, sondern gehorte auch zu den Themen, die in den
rationalen Theologien der Philosophen einen Platz zu fmden
hatten. Der Aufsatz darf sich aher als Einleitungs- und Begleittext
noch damit hegniigen, Diez' Argumentationsart aus ihrem Hin-
tergrund in der zeitgenossischen Theologie zu verdeutlichen.

1
Zu Konfliktfallen, die aus der Verpllichtung zur Unterschrift unter die
Konkordienformel hervorgingen, vgl. Schreiner, ,Rechtgliiubigkeit als ,Band
der Gesellschaft'" (cf. Anm. 28), S. 363-370.
923
922
Begleittexte Die symholischen Bucher der eva.ngelisch-lutherischen Kirche

Untersuchung steuert auf ein bi.indiges und fur die kleine Adressa-
2. tengruppe handlungsrelevantes Resultat zu, ?as amEnde au~dr~cklich
Die symholischen Biicher der evangelisch-lutherischen als Resultat hervorgehoben wird: Jede gele1stete Unterschr1ft 1st ,Be-
Kirche als Gegenstand der Kritik sciitigung einer schadlichen Usurpation" und s~tzt das auEere ?lii4ck
und die innere Gewissensruhe des Unterschre1benden aufs Sp1el.
in der Aufklarungszeit und bei Immanuel Carl Diez
Aus den Debatten der Theologen und Juristen urn die RechtmaEig-
(von Anton Friedrich Koch) keit der Verpflichtung auf symbolische Bucher fuhrt Diez nicht mehr
Gri.inde und Gegengri.inde an als die, welche fur seine limitierte Be-
weisabsicht unverzichtbar sind. Was seinen Aufsatz, wenn er denn
Zur Einleitung veroffentlicht worden ware, gegeni.iber den anderen Beitragen zum
Thema am meisten ausgezeichnet hatte, waren auch nicht diese wenigen
Diez h.at seine ~urze Untersuchung Uber die Rechtmii.fiiglceit der Un- Grunde und Gegengri.inde gewesen. Fi.ir sie gilt Diez' Einschatzung,
terschrift unter dze symbolischen Bucher im Friihjahr 1790 verfaBt. Am daB sein Beitrag dem Publikum nichts Neues bieten konnte. Neu und
25. April dieses Jahres namlich bedankt er sich bei Gros fUr dessen spezifisch ware die Fokussierung der Fragestellung auf den Standpu~t
B~merkungen zu dem Aufsatz, den er ihm mit der Bitte urn baldige des wi.irttembergischen Pfarramtskandidaten gewesen - wenn dann
Rucksendung zugeschickt hatte, und laEt die Besorgnis erkennen, nicht zugleich der Grund fUr den nicht-offentlichen C~arakt~r des
Gros habe sich, urn dieser Bitte zu entsprechen, in seinen Bemerkungen Textes und somit ein Grund gelegen hatte, der gegen d1e Veroffent-
1
e.ingeschrankt. a Da nicht anzunehmen ist, daB Diez einen langst fer- lichung sprach. . . .
uggestellten Aufsatz mit der Bitte urn baldige Riicksendung verschickte, Das Ziel des nachfolgenden Begleittextes 1st es, die Gedankenfuh-
und da es sich ferner urn einen recht kurzen Text handelt, diirfte rung Diez' vor dem Hintergrund der heiden groEen gelehrten De~atten,
der Aufsatz in den unmittelbar vorangegangenen Wochen oder gar die in der zweiten Hiilfte des 18. Jahrhunderts i.iber die symbolischen
Tagen entstanden sein. Bucher gefuhrt wurden, durchsichtig zu machen und gleichzei~.g e~en
In der Antwort an Gros weist Diez jeden Gedanken an eine Ver- Grund fUr das Verstiindnis der ausfuhrlichen Stellungnahmen SuEkinds
offentlichung ab: Was er in der Sache zu sagen wisse und denke, sei zum Thema in den Briefen vom 20. September und 6. November
,dem Publikum oft und langst und nachdriicklich genug gesagt"? Es 1790 (C 4 bzw. C 5) zu legen. Der Text ist in drei I_Jauptabs~itte
muE ihm vielmehr darum gegangen sein, aus dem oft und langst gegliedert. Zunachst werden die verschiedenen symbohschen Schnften
und nachdriicklich Gesagten die rechten Konsequenzen fUr den ei- der evangelisch-lutherischen Kirche, die zusammen das so.genannte
genen Fall zu ziehen. Im Friihjahr 1790 zieht Diez sie im Modus der Konlcordienbuch ausmachen, im Licht ihrer Entstehungsgeschtchte und
Einsicht, zwei Jahre spater, wie wir wissen, im Modus der Tat. Diesem in chronologischer Ordnung, zuletzt also die als besonders proble-
Zweck entspricht der Aufbau des kurzen Textes. Vorgestellt wird er matisch angesehene Konkordienformel, ~orgestellt (a)· ~s folgt dru:n
als eine Untersuchung tiber ,unsere Unterschrift der symbolischen (b.) ein Ausblick i.iber verschiedene S~ettfr.agen zu Diez Lebe.~szei~
Biicher",3 demnach, dem Gebrauch des Pronomens der ersten Person beginnend mit der 1767 durch eine Schr1ft Fnednch German us Ludkes
Plural gemaE, als eine Untersuchung intimen, privaten Charakters, ausgelosten Auseinandersetzung i.iber Wert und Unw:rt, Recht un.d
geschrieben fur Diez selbst und diejenigen seiner wi.irttembergischen Unrecht symbolischer Bucher (1.). Daran. schli~Een Hinwe1.s~ auf die
Freunde, die wie er damit rechnen muEten, daB ihnen dereinst die besondere wi.irttemberrrische Lage und eme Skizze der Posit.J.on Geb-
symbolischen Bi.icher zur Unterschrift wi.irden vorgelegt werden. Die hard Ulrich Brastberger~ an, eines von Diez geschatzten und im Sommer

1
a Vgl. den Anfa.ng von A 1. 4
2 Vgl. B l 8.114 Z.3ff
A 1 8. 9 Z. 36.
3 Vgl. unten 8. 937.
B l 8.107 Z.lf

925
924
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

1790 hesuchten Au tors, der ihr Opfer geworden war (2.). Den Abschlu~ Schmalkaldische Artike~ 11 Melanchthons Traktat De potestate et primatu
di~ses Ahschnittes bil~et eine_Betrachtung des preuEischen Religions- papae (Von der Gewalt und Oberkeit des Bapsts), 12 Luthers kleine~ und
e~Ikts von 1788, das eme zwelte groEe Debatte iiber die symbolischen groEer Katechismus 13 und schlieElich die Konkordienformel (d1e So-
Bucher und den Religionseid ausloste, an der sich, dem Charakter /ida Declaratio 14) , der ein Summarischer Begriff der streitigen Artikel
des Anlasses entsprechend, nicht mehr allein protestantische Theo- (Epitome articulorum, de quibus controversiae ortae sunt .. ) vorangestellt
logen, sondern nun auch Juristen, vornehmlich Staatsrechtler betei- ist.ls
ligten (3.). Daran ankniipfend und im Licht des Vorangega~genen Die altesten dieser Schriften, Luthers Katechismen, Stammen aus
sollen (c.) der nicht__ohne weiteres durchsichtige Gang der Diezschen den Jahren 1528-1529. Mit der Niederschrift des graBen Katechismus
Argumentation in Ubersicht gebracht und nachvollzogen (1.) und begann Luther im September 1528. Er erschien im Druck im April
zuletzt einige Erlauterungen zu SiiEkinds Bemerkungen (in C 4 und 1529 unter dem Titel ,Deutscher Katechismus" als eine Schrift fur
C 5) gegeben werden (2.). Lehrer und Pfarrer. 16 Der kleine Katechismus erschien zunachst in
Plakaten zum Aushangen in Kirchen und Schulen von Januar his
17
Miirz 1529 und im Mai 1529 auch als Buch.
a. Ursprung der symbolischen Biicher Die erste als solche intendierte Bekenntnisschrift der entstehenden
evangelischen Kirche ist die Augsburgische Konfession. Sie wurde fur
Am 25. !uni 1580, dem 50. Jahrestag der Verlesung der Augsburgischen den Reichstag, der von Juni his November 1530 in Augsburg _st~ttfand,
6
Konfesszon ( Confessio Augustana, abgekiirzt: CA), wurde in der kur- von Melanchthon als kursachsische Bekenntnis- und Verteidigungs-
sachsischen Hauptstadt Dresden das sogenannte Konkordienbuch ver- schrift verfaEt. Kurfiirst Johann von Sachsen (1525-1532; Bruder
offentlicht.7 Es verbindet die Sammlung der damals bereits e:xistie- und Nachfolger Friedrichs des Weisen, 1486-1525) stand dem Bei-
renden protestantischen Symbole oder Bekenntnisschriften Init einem trittsbestreben anderer Stande anfangs reserviert gegeniiber. Denn
eigenen Bekenntnisbeitrag, der sogenannten Konkordienforme/ 8 (For- durch die Beitrittsverhandlungen, etwa mit Landgraf Philipp von Res-
mula concordiae, abgekiirzt: FC), welche die nach Luthers Tod verstarkt sen, der im Jahr zuvor, 1529, das Marburger Religionsgesprach zwi-
aufge~etenen innerprotestantischen Lehrstreitigkeiten beilegen sollte. schen Luther und Zwingli zustandegebracht hatte und ein gemeins~es
Auf d1e, von den das Konkordienwerk tragenden Standen unterzeich- Vorgehen mit den Schweizern begriiEt hatte, wurden K?m~roffilsse
nete, Vorrede folgen zunachst die drei okumenischen, altkirchlichen und Verzogerungen unumgiinglich. Am En de entstand schlieEhch -~och
Symbole: das Apostolische, das Nizanische und das Athanasische Glau- ein gemeinsames Bekenntnis der lutherischen !_iirsten und Stande,
bensbekenntnis.9 Sie - insbesondere das letztgenannte - fixieren das an dem Luther selbst iibrigens nur indirekt beteil1gt war, da er :vegen
trinitarische Dogma in der Lehre von Gott und die Zweinaturenlehre der iiber ihn verhangten Reichsacht auf kursachsischem Geb1et zu-
in der Christologie. Es folgen ferner die spezifisch lutherischen Be- riickbleiben muEte und die Augsburger Verhandlungen nur von der
kenntnisse: die Augsburgische Konfession, deren Apologie, 10 Luthers Veste Coburg aus verfolgen und beeinflussen konnte.

6
In: Die Belcenntnirschriften der evangelisch-lutherirchen Kirche. Herausgegeben
im Gedenlcjahr der Augsburgirchen Korifession 1930, Gottingen 11 1992, S. 31- II Ebd. S. 405-468.
12
137. Ebd. 8.469-498.
7
Zum deutschen Titel der deutsch-lateinischen Ausgabe von 1580 vgl. B
13
Enchiridion. Der lcleine Katechirmus, ebd. S. 499-542, und: Der gr'!fie Kate-
1/3; vgl. Belcenntnisschnjten (cf. Anm. 6), S. 1. chirmus, ebd. S. 543-733.
8 14
Ebd. S. 735-1100. Ebd. S. 829-1100.
9 15
Die drei Haupt-Symbola oder Belcenntnir des Glaubens Chrirti in der Kirchen Ebd. S. 767-827.
16
eintriichtiglich gebraucht, ebd. S. 19-30. Vgl. ebd. S. XXV1Ilf.
10 17
Apologia der Confession, ebd. S. 139-404. Vgl. ebd. S. XXIX f.

926 927
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

Am 25. Juni 1530 wurde die deutsche Fassung der Konfession vorn die sogenannten Schmafkaldischen Artike~ wurden auf Anraten Me-
siichsischen Kanzler in Augsburg verlesen und zusammen mit einern lanchthons, der vermeidbare Lehrstreitigkeiten befiirchtete, 1537 in
Exe~plar der lateinischen Fassung dem Kaiser ubergeben. Eine ka- Schmalkalden noch nicht in den Rang einer Bekenntnisschrift erhoben,
tholische Theologenkommission arbeitete sogleich eine ,Konfutation" sondern am 24. Februar des Jahres lediglich als Dokument der per-
aus, die der Kaiser, der zuniichst nicht als Partei hatte auftreten wollen sonlichen Uberzeugung von den meisten der anwesenden Theologen
umarbeiten_und in seinem Namen ergehen lieK Sie wurde am 3. Augus; unterschrieben. Melanchthon seiher erhielt den Aufuag, die CA durch
a~f dem Retchstag verlesen mit der Aufforderung an die Protestanten, ein.e Stellungnahme zur Frage der Autoritiit des Papstes zu ergiinzen.
s1e anzunehmen. Melanchthon verfaJSte daraufhin in groJSer Eile eine So entstand vom 12. his zum 17. Februar 1537 sein Traktat von der
Apologie der Konfession, deren Entgegennahme der Kaiser am 22. Sep- ,Gewalt und Oberkeit" des Papstes, der wegen der papstfeindlichen
tember verweigerte. Im Reichstagsabschied wurde den Protestanten Stimmung in Schmalkalden schiirfer ausfiel, als es Melanchthon seiher
eine Fris_t his zum 15. April 1531 ftir eine Vereinbarung mit der rorni- fur sachlich notwendig hielt. Er wurde von allen Anwesenden unter-
schen Kirche uber die strittigen Glaubensartikel gewiihrt. zeichnet und galt neben der CA und deren Apologie fortan als form-
Der ungunstige Ausgang des Reichstages ftihrte 1531 auf Initiative liches Glaubensbekenntnis.
~es Landgra~e~ Philipp von Hessen zur Griindung eines protestan- lnnerhalb der etwa acht Jahre von Ende 1528 his Anfang 1537
tischen Verteidigungsbundnisses in Schmalkalden, des sogenannten sind also aile 1580 kanonisierten Bekenntnisschriften his auf die Kon-
S~alkald~ner Bundes. Der Kaiser konnte wegen turkischer Angriffe kordienformel entstanden. Keines dieser fruhen Symbole hatte die
fre1hch gar mcht an die Durchsetzung des Reichstagsabschiedes denken Funktion, eine etwa verlorengegangene innerprotestantische Eina·acht
u_~d muJSte ihn im Nurnberger Religionsfrieden von 1532 sogar zu- wiederherzustellen. Diese Eintracht ging erst nach Luthers Tod (18. Fe-
rucknehmen und die Kliirung der Religionsangelegenheiten auf ein bruar 1546) verloren, offen sichtbar anliiJSlich des Augsburger Interims
kunftiges Konzil vertagen. In der Zwischenzeit breitete sich der Pro- von 1548, dessen Vor- und Nachgeschichte nun kurz umrissen werden
testantismus in Deutschland weiter aus. Fur die suddeutsche Ent- soil. AnschlieJSen wird sich sodann ein Uberblick uber die weiteren
wicklung erwies sich dabei die von Landgraf Philipp von Hessen mit wesentlichen Stationen auf dem Weg zur FC: den Augsburger Reli-
Waffengewalt erzwungene Wiedereinsetzung des durch den Schwii- gionsfrieden von 1555 und die wurttembergischen, niedersiichsischen
bischen Bund vertriebenen Herzogs ffirich von Wtirttemberg als be- unci schlieJSlich kursiichsischen Bemuhungen urn das Gelingen der
sanders folgenreich. ffirich ftihrte die Reformation in Wtirttemberg Konkordie.
durch und berief Johannes Brenz (1499-1570) an die Universitiit Zwischen dem Reich und Frankreich kam 1544 der Frieden zu
Tiibingen, der spiiter als Hofprediger und Generalsuperintendent in Crepy zustande. Zugleich konnte Karl V. mit der Tiirkei einen Waf-
Stuttgart wirkte und der fiihrende Repriisentant der Reformation in fenstillstand abschlieiSen. Dies ermoglichte es ihm, seine politischen
Wtirttemberg wurde. und militiirischen Bemlihungen ganz auf die Losung der Religionsfrage
Das erwartete Konzil wurde schlieJSlich am 2. Juni 1536 von Papst zu konzentrieren. Dabei kamen ihm die Ambitionen des protestanti-
Paul III. auf den 23. Mai 1537 nach Mantua berufen. (Es trat Freilich schen Herzogs Moritz von Sachs en entgegen, der aus politischem Kalkul
erst mit achtjiihriger Verspiitung, Ende 1545, in 'Ihent zusammen und mit dem Kaiser gegen den Schmalkaldener Bund paktierte. Das Kur-
tagte mit Unterbrechungen his 1563.) Die politischen und theologi- ftirstentum Sachsen war 1485 zwischen den Sohnen des Kurftirsten
schen Fuhrer der Reformation berieten sich daraufhin im Februar Friedrich II., Ernst und Albrecht, geteilt worden. Die Kurwurde war
1537 in Schmalkalden uber das protestantische Vorgehen. Luther, auf die ernestinische Linie ubergegangen, zu deren Gebiet unter an-
der unmittelbar nach seiner Ankunft schwer erkrankte und unver- derem die Stiidte Coburg, Eisenach, Weimar, Jena, Torgau und Wit-
zuglich abreisen muJSte, hatte auf GeheiJS Kurftirst Johann Friedrichs tenberg gehorten. Zum albertinischen Herzogtum, in dem erst 1539
8
des GroJSmutigen (des Sohnes und Nachfolgers Johanns, 1532-1547 die Reformation eingeftihrt wurde, gehorten Leipzig und Dresden.'
Kurftirst, 1547-1554 Herzog von Sachs en) eine Schrift zur Feststellung
18 Wegen der unregelmaBigen Gebietsaufteilung ist eine bundige Gebietsbe-
der protestantischen Verhandlungsposition verfertigt. Diese Schrift,

928 929
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen K.irche

Das Biindnis zwischen Herzog Moritz und Karl V. ermoglichte messen unnachgiebig und ablehnend, waren aber bereit, die Autoritiit
dem Kaiser die Zerschlagung des Schmalkaldener Bundes und die der Bischofe anzuerkennen und die kirchlichen Zeremonien und die
Gefangennahme seiner Fuhrer, des 1547 bei Miihlberg geschlagenen Festordnung des Interims - Freilich nicht als Gnadenmittel, sondern
siichsischen Kurftirsten Johann Friedrich und des Landgrafen Philipp nur als au/Sere Ordnungen - zu akzeptieren. Moritz bemiihte sich
von Hessen. Es brachte dem Herzog die siichsische Kurwiirde und daraufhin, eine Annahme oder Ablehnung des Interims zu vermeiden
erhebliche Gebietsgewinne auf Kosten des gefangenen ernestinischen und eine fur beide Seiten annehmbare siichsische Kirchenordnung
Vetters: Der Norden Sachsens mit Torgau und Wittenberg wurde aufzustellen. Die nachgiebige Haltung Melanchthons und seiner Mit-
albertinisch. gutachter in der Frage der sogenannten Adiaphora ( der fur das See-
Karl V. stand auf dem Hohepunkt seiner Macht und versuchte lenheil als weder notwendig noch abtriiglich angesehenen ,Mittel-
nun, an Papst und Kurie vorbei, eine eigene Losung der Religionsfrage dinge" wie Zeremonien, Feier- und Festtage, Wallfahrten usw.) aber
durchzusetzen. Fiir den sogenannten geharnischten Reichstag zu Augs- entfachte den sogenannten adiaphoristischen Streit, als erste einer
burg, der von September 1547 his Mai 1548 tagte, lie/S er eine in- Reihe von innerprotestantischen Auseinandersetzungen, zwischen den
terimistische Kirchenordnung in 26 Artikeln ausarbeiten, die am Wittenberger ,Philippisten" und den Anhiingern des Matthias Flacius
30. Juni 1548 als Reichsgesetz verabschiedet wurde. Obwohl dieses (1520-1575), der 1549 Wittenberg verlie!S und von Magdeburg aus
sogenannte Augsburgische Interim im wesentlichen den katholischen gegen die kursiichsische Kompromillbereitschaft auftrat. Seine Grund-
Standpunkt einnahm und den Protestanten nur beziiglich der Prie- these war, daiS Mitteldinge ihre definitorische Gleichgi.iltigkeit dann
sterehe und des Laienkelches vorliiufige Zugestiindnisse machte, wurde verlieren, wenn sie als zum Gottesdienst notwendig erzwungen werden.
es von der katholischen Seite als nur die Gegenseite bindend betrachtet. Melanchthon hingegen kam es darauf an, bei der Abwehr des Interims
Dieser allerdings blieb nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg seine Kriifte auf den Hauptschauplatz, die Rechtfertigungs- und Abend-
keine freie Wahl. In Siiddeutschland sorgten iiberdies spanische Trup- mahlslehre, zu konzentrieren und die Wiedereinftihrung der Messe
pen fur die Annahme des Interims; zahlreiche siiddeutsche Theologen zu verhindern? 0
gingen ins Exil. In Norddeutschland war die Macht des Kaisers weniger Der zweite gro!Se Streit, der im Interim seinen mittelbaren Anla!S
spiirbar, insbesondere Magdeburg entwickelte sich zu einem Zentrum hatte, galt der Rechtfertigungslehre des Nurnberger Reformators An-
des Widerstandes. dreas Osiander (1498-1552)? 1 Osiander mu!Ste 1547 wegen des In-
In Sachsen stand der neue Kurftirst vor der schwierigen Aufgabe, terims Niirnberg verlassen und fand Aufnahme in Konigsberg, wo
seine Biindnistreue gegeniiber dem Kaiser mit seinem Anliegen in er von 1549 his zu seinem Tod als Theologe lehrte. In seiner neuen,
Einklang zu bringen, sich von dem Ruf eines Verriiters der prote- von der Wittenberger Theologie gepriigten Umgebung fiel eine Ei-
stantischen Sache zu befreien. Am 20. April 1548 erteilte er Melan-
chthon und drei weiteren Wittenberger Theologen den Auftrag, das 20
Die Vorstellung des MeEopfen widerspricht der protestantischen Rechtfer-
Interim zu begutachten. 19 Die Wittenberger zeigten sich in den Fragen tigungslehre; die Auslegung der, auch von Luther behaupteten, Realpriisenz
der Rechtfertigung, der Heiligenanrufung, der Privat- und Seelen- des Leibes und Elutes Christi durch das Transsubstantiationsdogma schlieEt
Sazerdotalismus, also die Ablehnung des Laienpriestertums und die Aner-
kennung der Hierarchie, ein.
schreibung schwer. Unpriizise liillt sich allenfalls sagen, daiS die ernestinische 21
Vgl., auch zum Folgenden, Martin Stupperich, ,Zur Vorgeschichte des Recht-
Lillie die nordlichen und si.idwestlichen, die albertinische Lillie die ostlichen fertigungsartikels in der Konkordienformel", in: Brecht, Belcenntnis und Ein-
und nordwestlichen Landesteile besaK heit (cf. Arun. 20), S. 175-194; auJSerdem vom selben Verfasser ,Lehrent-
19
Vgl., auch zum Folgenden, Joachim Mehlhausen, ,Der Streit urn die _Adi~ scheidung und thematische Schematisierung. Die So_nde_rrolle Wu~tembergs
aphora", in: Martin Brecht, Reinhard Schwarz (Hrsg.), Belcenntnis undEznhezt im Osiandrischen Streit und ihre Konsequenzen fur die Formuherung des
der Kirche. Studien zumKonlcordienbuch imAziftrag der Selction Kirchengeschichte dritten Artikels der Salida Declaratio", in: Wenzel Lohff, Lewis W. Spitz
der wissenschtiftlichen Gesellscha.ft for Theologie, Stuttgart 1980, S. 105-128, (Hrsg.), Widerspruch, Dialog und Einigung. Studien zur Konlcordienformel der
S.112ff. lutherischen R¢Qrmation, Stuttgart 1977, S. 171-195.

930 931
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

genart seiner Rechtfertigungslehre auf, die in seiner Gotteslehre wur- Freilassung des vormaligen siichsischen Kurftirsten und des hessischen
zelte: Der dreieinige Gott ist unteilbaren Wesens; wenn er daher im Landgrafen, die Aufhebung des Interims und die vorliiufige Reli-
Glauben in uns wohnt, dann wohnt die wesentliche Gerechtigkeit gionsfreiheit. Endgultig wurde letztere den Anhiingern der CA drei
(iustitia essentialis) Gottes in uns und tilgt unsere Sunde. In der Jahre spater im Augsburger Religionsfrieden zuteil, der die konfes-
Ahlehnung Osianders waren sich die Wittenberger Philippisten und sionelle Zweiteilung des Reiches besiegelte. Die CA bekam auf diese
ihre ,.flacianischen" oder auch ,gnesiolutheranischen" Gegner einig: Weise reichsrechtliche Bedeutung, und es war in der Folge bisweilen
Nicht durch Einwohnung, sondern durch Zurechnung aus Gnade sind umstritten, inwieweit die Reformierten als Anhiinger der CA zu be-
23
wir gerechtfertigt. Der inkarnierte Sohn ist als Gott und Mensch vor trachten und unter den Schutz des Religionsfriedens zu rechnen seien.
dem Vater gerecht durch seinen Gehorsam bis zum Tod. Dies rechnet Erst im Westfcilischen Frieden von 1648, der die Ergebnisse des Augs-
ihm der Vater als Verdienst zu; ebensosehr rechnet er ihm unsere burger Friedensschlusses bestiitigte, wurden auch die Reformierten
Si.inde zu und rechtfertigt uns, indem er uns aus Gnade von unserer, ausdri.icklich unter den Religionsfrieden subsumiert.
nun dem Sohn zugerechneten, Si.inde losspricht (iustitia formalis), Seit dem Friedensschlu~ drang Herzog Christoph von Wtirttemberg
wenn wir Christus im Glauben als unseren Erloser ergreifen. 22 Anders (1550-1568), anfangs unterstutzt von der Pfalz und Hessen, auf eine
als bei Osiander wird hier zwischen den verschiedenen ,Funktionen" Zusammenkunft der protestantischen Fi.irsten, die jedoch an der Ah-
der gottlichen Personen im Heilsgeschehen deutlich unterschieden. lehnung beider Sachsen scheiterte. So fanden die weiteren Bekennt-
Nur die wUrttembergischen Theologen unter der Fuhrung von Jo- nisentwicklungen zuniichst innerhalb der einzelnen Landeskirchen
hannes Brenz vertraten die Auffassung, da~ Osiander und seine statt. Wtirttemberg etwa unterstrich, als die Pfalz unter Kurftirst Fried-
Gegner blo~ durch sprachliche, nicht sachliche Differenzen getrennt rich III. (1559-1576) calvinistisch wurde, im Gegenzug die Lehre
seien. Durch Osianders Tod 1552 verlor dieser Streit an Aktualitat von der Realpriisenz durch die Annahme eines ubiquitistischen ,Be-
und Harte. In Artikel III der FC ist er schlieElich gegen Osiander kenntnisses vom heiligen Nachtmahl" auf der Stuttgarter Synode von
entschieden worden. 155924 und nahm damit auch eine Verschiirfung des Gegensatzes zum
Weitere Lehrstreitigkeiten, die hier nicht behandelt werden konnen, philippistischen Kursachsen in Kauf, dessen Theologen immer deut-
schlossen sich an, vor allem nach dem Augsburger Religionsfrieden licher, zumal nach Melanchthons Tod 1560, zum Calvinismus neigten
von 1555: urn die guten Werke, die Erbsi.inde, das Ahendmahl, das und von ihren flacianischen Gegnern denn auch bestandig des ,Kryp-
Gesetz, die Christologie. Als Kontrahenten stand en sich dabei weiterhin tocalvinismus" geziehen wurden.
die Wittenberger Anhanger Melanchthons und die flacianischen Gne- Einige Monate vor Herzog Christoph von Wtirttemberg ~~arb 1568
siolutheraner gegenuber, die inzwischen im ernestinischen Jena ihren Herzog Heinrich der Ji.ingere von Braunschwei_g-Wolfenb_uttel. Sem
Mittelpunkt gefunden hatten. Nachfolger Julius, der sich politisch und tl1eologisch an Wurttemberg
Zwei Daten, die den vielfaltigen Einigungsbemuhungen auf dem orientierte und in Religionsfragen eng mit dem Ttibinger Kanzler
Weg zur FC vorausliegen, sind noch zu beachten: der Furstenaufstand
von 1552 und der schon erwiihnte Religionsfrieden von 1555. Kurftirst 23 Vgl. z. B. Martin Heckel, ,.,Die reichsrechtliche Bedeutung des Bekenntnisses",
Moritz von Sachsen hatte die ihm vom Kaiser aufgetragene Belagerung in: Brecht, Belcenntnis und Einheit (cf. Anm. 20), S. 57-88, S. 77.
des widerstiindigen Magdeburg zur Aufstellung eines gro~en Heeres 24 Vgl. B l/11. Man konnte die Realprasenz, offe~ ~alvinistisch, bestreiten
genutzt und zog 1552, verbundet mit Frankreich, gegen den uber- oder, ,kryptocalvinistisch", als geistliche, mcht letbhche Gegenwart deut~n
raschten Kaiser, der von Innsbruck aus nur mit Muhe nach Italien (vgl. Artikel VII der FC, Belcenntnisschrijten (cf. Anm: 6),_ S. 970ff.). ~1e
ubiquitistische Interpretation fa!Ste die Ge!?,enw~ Christl_ rm Untersch_ie~
entkommen konnte. Der Passauer Vertrag desselben Jahres, den Moritz zu diesen Lehren als eine Ieibliche und erklarte s1e durch d1e Macht Christl,
mit dem Bruder des Kaisers, Ferdinand, aushandelte, erbrachte die an allen Orten zugleich gegenwiirtig zu sein, insbeson~ere_ aber sich gemiill
seiner Verheillung in der Wortverkiindigung (woman s1ch m semem Namen
versa=elt) und im Brot- und WeingenuE des Abendmahls zu offenbaren
22 und anwesend zu sein.
Vgl. Artikel III der FC, Belcenntnisschrifien ( cf. Anm. 6), S. 781 ff. und S. 913 ff.

932 933
Begleittexte Die symbolischen Bi.icher der evangelisch-lutherischen Kirche

und Brenz-Schiiler Jakob Andrea (1528-1590) zusammenarbeitete, Epitome der FC wurde. Von Wurttemberg fur zwei Jahre in kursach-
iibernabrn nun die Initiative ftir das Konkordienwerk. Ein von ibm sische Dienste beurlaubt. plante und leitete er anschliegend die Ver-
und von Landgraf Wilhelm von Hessen 1570 nach Zerbst einberufener sendung des Torgischen Buches an die protestantischen Stande und
und von Andrea organisierter Konvent mittel- und niederdeutscher warb ft..ir die Annabrne. Schliemich trafen sich vom 14. his zum 28. Mai
Theologen scheiterte allerdings nachtraglich daran, dag Kursachsen 1577 aufEinladung von Kurft..irst August die Theologen Andreii, Chem-
sich von Andreas Bericht iiber die Verhandlungsergebnisse distanzierte nitz, Chytraus, Cornerus, Musculus und Selneccer im Kloster Berge
und auch Hessen sich schliemich gegen Andreas Ubiquitismus wandte. bei Magdeburg und arbeiteten das Torgische Buch unter Beriicksich-
Auch die Bemiihungen urn eine schwabisch-niedersachsische Sonder- tigung der eingegangenen ,Zensuren" zur Konkordienformel, dem
vereinbarung einige Jahre spater, die 1575 zu der sogenannten Schwii- ,Bergischen Buch", urn. Von dem urspriinglichen Plan einer prote-
bisch-siichsischen Konkordie (SSG) ft..ihrten, 25 waren sicher folgenlos stantischen Generalsynode zur Annahme der Konkordienformel rieten
geblieben, wenn nicht unterdessen in Sachsen eine neue Wendung die Bergischen Theologen aus taktischen Griinden ab. Stattdessen
eingetreten ware. Durch den Tod des Herzogs Johann Wilhelm am wurde das Bergische Buch von Dresden, Berlin26, Wolfenbiittel, Stutt-
3. Miirz 1573 war Kurft..irst August (1553-1585) zum vormundschaft- gart und Braunschweig aus zunachst an diejenigen Stande versandt.
lichen Regenten im ernestinischen Sachsen geworden, was ihm die von deren zustimmender Haltung man ausging, mit Begleitschreiben,
Moglichkeit gab, die dort tatigen Flacianer zu vertreiben. Im Jahr die urn Annabrne und Unterzeichnung sowohl durch die Theologen
darauf wurde in Kursachsen auch der philippistische ,Kryptocalvi- als auch durch die Kirchen- und Schuldiener (also Pfarrer und Lehrer)
nismus" mittels einer strengen Visitations- und Zensurordnung ge- warben. Auf diese Weise kamen in den nachsten Jahren iiber acht-
stiirzt. und der sachsische Kurft..irst setzte sich nun seiher an die tausend Unterschriften zusammen, deren Existenz dann als Argument
Spitze der Konkordienbestrebungen. Von Graf Georg Ernst von Hen- gegen weitere Anderungswiinsche ins Feld geftihrt werden konnte.
neberg erhielt er im Februar 1576 ein Exemplar der sogenannten Solchen Anderungswiinschen und Bedenken, etwa seitens der Kurpfalz,
Maulbronner Forme! (FM), die in den vorangegangenen Monaten von die seit dem Tod Friedrichs III. am 26. Oktober 1576 unter dessen
hennebergischen, wiirttembergischen und badischen Theologen als Nachfolger Ludwig wieder lutherisch war, konnte allenfalls noch durch
Konkordienentwurf im Auftrag ihrer Fiirsten erarbeitet worden war. die Vorrede zu dem gesamten Konkordienbuch Rechnung getragen
Kurz zuvor hatte ihm Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbiittel werden. Uber Vorrede, Titel und Appendix wurde schlieglich am
auch ein Exemplar der SSG gesandt; und nun forderte er von Andrea 13. Juni 1580 nach abschliegenden Verhandlungen Kursachsens mit
einen Kommentar zu heiden Werken. Andrea kam selber im Friihjahr der Kurpfalz und mit Baden Einigung erzielt, so dag das Konkor-
nach Kursachsen und leitete einen vom Kurft..irsten nach Torgau ein- dienbuch am 25. Juni 1580 zum 50. Jahrestag der CA erscheinen
berufenen Theologenkonvent, der vom 28. Mai his zum 7. Juli 1576 konnte.
auf der Grundlage von SSG und FM das sogenannte Torgische Buch Allerdings traten keineswegs aile lutherischen Stande dem Kon-
erarbeitete, das schon den Aufbau von FC erkennen lagt. Andrea kordienwerk bei. Bremen, Schleswig-Holstein. Pommern, Anhalt. Res-
fertigte iiberdies einen Auszug daraus an, der zur Grundlage fur die sen und Niirnberg, urn nur einige zu nennen, verweigerten sich. Die
Kurpfalz wurde 1583 unter Ludwigs Nachfolger und Bruder Johann
Casimir (1583-1592) wieder calvinistisch. Beitritte zu und Austritte
25
Im Herbst 1573 verfagte Andrea seine sogenannte schwiibische Konkordie, aus der Konkordie dauerten an. 27 Auch gab es in den Gebieten, in
die er von der Thbinger Fakultat genehmigen lieE und an Herzog Julius
sandte. Dieser sorgte fur ihre Verbreitung im ganzen niedersachsischen
Reichskreis und lieE durch Martin Chemnitz (1522-1586) Kommentare
26
Auch der brandenburgische Kurftirst Johann Georg ~ehorte zu den For-
und Zensuren einholen. Eine abschlieEende Uberarbeitung durch die Ro- derern der Konkordie. Das dritte protestanusche Kurfi.irstentum, die Pfalz,
stocker theologische Fakultat wurde am 5. September 1575 als Schwabisch- war von 1559 bis 1576 calvinistisch gewesen und war gerade dabei, zur
sachsische Konkordie an Andrea gesandt, aber in Wtirttemberg sehr zu- lutherischen Lehre zuri.ickzukehren.
27 Vgl. Inge Maier, ,Aufnahme und Ablehnung des Konkordienbuches in Nord-,
ri.ickhaltend aufgenommen (vgl. Belcenntnisschrifien ( cf. Anm. 6), S. XXXVI).

934 935
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

denen die FC galt, keine einheitliche Praxis der Lehrverpflichtung der FC ahhielten. 31 (3) Was auf diese Weise verdammt wird, sind
und des Religionseides. In Wtirttemberg etwa waren von 1580 his nicht in erster Linie die von Beginn der Reformation an hestrittenen
1803 die geistlichen und weltlichen Amtstrager zum Religionseid und hekampften Dogmen und Riten der katholischen Kirche, sondern
durch Unterschrift der symbolischen Bucher verpflichtet. Erst 1803 Lehren, die typischerweise seiher reformatorischen Ursprungs und
entfiel fur die weltlichen Beamten der Religionseid ii.berhaupt, ftir ftir Nichttheologen nicht immer leicht von der durch die FC affrrmierten
Pfarrer und Theologen der Eid auf die Konlcordienformel, nicht jedoch Position zu unterscheiden waren.
auf die Augsburgische Korifession. 28 Keplers Berufung nach 'llibingen
scheiterte 1609 und 1611 an seiner Weigerung, die Konkordienformel
zu unterschreiben. 29 Im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbuttel an- b. Streitfragen zu Diez' Lebenszeit
dererseits, urn auch ein Gegenbeispiel zu nennen, wurde die FC
bereits 1620 aus den von den Lehrern, Pfarrern und Helmstedter 1. Der Symbolstreit der sechziger und siebziger Jahre. Im Luthertum war
Professoren zu unterschreibenden Bekenntnisschriften herausgenom- die Autoritat der symholischen Bucher zum ersten Mal durch den
men.30 Pietismus in Frage gestellt worden, zu dessen Programm die Abkehr
Was der FC gegenii.ber den anderen Bekenntnisschriften einen von dem dogmenhetonten Christentum der Orthodoxie und die Hin-
besonderen Gehalt und Status gab, waren im wesentlichen drei Fak- wendung zu einem rein hiblischen und zugleich empfindungs-. und
toren. (1) Die im allgemeinen offene Frage, oh ein hestimmtes Glau- handlungshetonten Christentum gehorte. Gerade deshalb aber 1st es
henssymhol als (negative oder positive) Lehrnorm, als Glauhenshe- zwischen Pietismus und Orthodoxie zu keinem weitlaufigen und ge-
~-enntnis oder als heides zu verstehen sei - sie spielt auch in Diez' lehrten Symholstreit gekommen. 32 Ihn gegen die lutherische Ortho-
Uberlegungen eine Rolle -, wird im Falle der FC durch diese selber doxie zu ftihren, hlieb den Aufkliirungstheologen vorhehalten.
zweifelsfrei beantwortet: In der Epitome wird zu jedem der zwolf Nachdem in England und in den refomierten Niederlanden 1766
33
Artikel zunachst kurz der ,status controversiae" dargestellt, darauf Streitigkeiten urn die Symholautoritat ausgehrochen waren ? griff in
folgen die affirmativen Aussagen, die stets durch die unerhittlich Deutschland und innerhalh der evangelisch-lutherischen Kirche als
eindeutige Formel ,Wir glauhen., lehren und hekennen ..." eingeleitet erster Friedrich German us Li.idke 34 das Thema auf und loste mit seiner
werden. (2) Die FC geht i.iher die hlo~e Mfirmation des rechten (1767 in Berlin erschienenen) Schrift Vom jalschen Religionseifer eine
Glaubens und der rechten Lehre durch die Verdammung der Ge- rege Kontroverse aus, die his in die Mitte der siehziger Jahre ~ndauerte.
genlehren noch hinaus. Den Mfirmationen folgen die Negationen mit Als falschen Religionseifer tadelt Li.idke eine _Haltung,. d1e auf der
der Einleitungsformel , Wir verwerfen und verdammen ...". Diese Ver- Voraussetzung beruht, die Mitgliedschaft in emer besummten ( der
dammungsurteile, die ihm wider den Geist der christlichen Bri:ider-
lichkeit zu verstoBen schienen, waren es, die Kepler von der Unterschrift
31 Vgl. oben S. 936. .
32 Karl Aner berichtet, daiS Philipp Jakob Spener (1635-1703) d1e Theo-

Mittel- und Ostdeu tschland", in: Brecht, Bekenntnis undEinheit ( cf. Anm. 19), pneustie und absolute Notwendigk.eit der s~~hschen B~cher _leugnete
S. 271-302, und Werner Dee~ en, ,Concordia Concors - Concordia Discors. und daiS die orthodoxe Wittenberger UruversJtat 283 Irrtumer m semen
Zum Ringen urn das Konkordienwerk im Si.iden und mittleren Westen Schriften zu erkennen meinte, von denen 25 seine Stellung zu den sym-
Deutschlands", ebd. S. 303-349. bolischen Bi.ichern betrafen (Die Theologie der Lessingzeit, Halle 1929 (ND
28
Vgl. Klaus Schreiner, ,Rechtglaubigkeit als ,Band der Gesellschaft' und Hildesheim 1964), S. 254).
,Gruncllage des Staates'. Zur eidlichen Verpflichtung von Staats- und Kir- 33 Vgl. ebd. S. 266 f. . . .
chendienern auf die ,Formula Concordiae' und das ,Konkordienbuch'", in: 34 Friedrich Germanus Ludke (1730-1792), Diakon an der Nikolruk1rche zu
Brecht, Belcenntnis und Einheit (cf. Anm. 19), S. 352-379, S. 361 und 373. .
Ber1m, R dakteur und einer der ma!Sgeblichen theologischen Rezen-
29
war e Chr. h F . dr"cl
Ebd. S. 367. senten der Allgemeinen Deutschen Bihliothelc (hrsg. von Jstop ne 1 1
30 Ebd. S. 356, vgl. auch S. 358 f. und S. 370. Nicolai, Berlin und Kiel 1765 ff.).

936 937
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

jeweils eigenen) Religionsgemeinschaft sei eine notwendige und unter haben glaubt, predigen darf. Fur den Fall, daiS der Dissens sittlich
Umstanden sogar eine hinreichende Bedingung der Seligkeit, und die einfluJSlose Lehren betrifft, empfiehlt Li.idke dem Prediger, die sym-
sich in einem Hang zu Proselytenmacherei und Ketzerverfolgung auJSert. bolischen Lehren stillschweigend zu i.ibergehen. (Diez wird spater
In den symbolischen Buchern sieht er eine Sti.itze dieses falschen Eifers. im AnschluJS an Eberhard fragen, was solche Lehren im ,allgemeinen
Denn es ist die Funktion von symbolischen Bi.ichern., gerade die dog- Lehrtypus" zu suchen haben. 37) Raben die betreffenden Lehren aber
matischen Unterscheidungsmerkmale einer Kirche zu bestimmen; und praktische Wichtigkeit - etwa, indem sie den Aberglauben befi:irdern
die Verpflichtung auf sie ware grundlos, wenn die Annahme ihrer -, so darf der Prediger nicht schweigen. 38 Er muJS vielmehr seine
Lehren nur in einem auJSerlichen oder in gar keinem Bezug zu der abweichende Uberzeugung, ohne falschen Eifer und mit Gri.inden,
Seligkeit der Glaubenden stunde. Abgesehen von ihrer schadlichen der Gemeinde vortragen. Freilich gefahrdet er auf diese Weise, wie
Rolle als Quelle falschen Religionseifers ist die Geltung symbolischer Diez es formuliert, sein auJSeres Gli.ick. Li.idke sagt der Sache nach
Bucher, Ludkes Einschatzung zufolge, ein Hindernis der Denkfreiheit nichts anderes; denn er stellt fest, daiS drohende Ketzerverfolgung
und der Pflicht eines jeden, sich urn die Vertiefung und Erweiterung nicht zur Unehrlichkeit berechtigt, sondern in Kauf zu nehmen und
seiner religiosen Einsicht zu bemuhen. Fi.ir den besonderen Fall der zu ertragen ist.
protestantischen Kirchen fi.ihrt Ludke ferner an, daiS die Geltung sym- Als Verteidiger der symbolischen Bi.icher traten nach dem Erscheinen
bolischer Bucher zu reformatorischen Grundi.iberzeugungen im Wi- von Li.idkes Schrift Johann Ernst Schubert39, etwas verhaltener Johann
derspruch steht, so zu der Uberzeugung von der ausschlie.JSlichen dog- Gottlieb Tollner40 und polemisch, mit ausdri.icklichem Bezug aufLi.idke,
matischen Autoritat der Bibel (dem Schriftprinzip) wie auch zu der Johann Melchior Goeze41 hervor. Schubert behandelt das Thema im
Uberzeugung, daiS die Kirche Jesu Christi eine unsichtbare Kirche ist, sechsten und letzten Hauptsti.ick, ,Betrachtungen uber die Glaubens-
die mit der sichtbaren nicht notwendigerweise zusammenfa1lt. formeln", seiner Schrift Geschichte des riimischen Pabstes Vigilius. Nebst
42
Zugunsten der symbolischen Lehrautoritat wurde von ihren Be- einigen Bemerkungen iiber die Pii.bste, Concilia, und Glaubensjormeln .

ftirwortern ( etwa von dem nachfolgend besprochenen Johann Ernst Er bestreitet zum einen, daiS die symbolischen Bucher die Freiheit
Schubert) geltend gemacht, daiS sie notig sei, urn Verwirrung und zu denken und die Erkenntnis der Wahrheit einschriinken bzw. be-
Streit unter den Kirchenmitgliedern zu vermeiden. Diez hat auf dieses hindern: der Religionseid erfordere nur, ,daiS man nichts unter dem
Argument spater erwidert, daiS mit dem Entfallen der Symbolautoritat Schein, die Lehre seiner Kirche vorzutragen, mundlich oder schriftlich
zwar religiose Parteien entstehen wurden., die jedoch ,.nicht Zwist
zur Folge batten", sondern im Gegenteil ,groJSere Einigkeit hervor-
brachten"35. Diese Uberlegung geht in ihrem Kern auf Ludkes These 37
A 1 S. 9 z. 22; vgl. unten S. 976 f.
zuruck, daiS die symbolischen Bucher als Stutze des falschen Reli- 38 Dies ist Diez' Ausdruck.sweise, vgl. A 1 S. 9 Z. 24. Fi.ir ein Referat der
gionseifers gerade Unruhe und Streit, Proselytenmacherei und Ket- Li.idkeschen Position in dieser Frage vgl. Aner, Theologie der Lessingzeit ( cf.
zerverfolgung fordern. Bei Ludke findet sich auch schon die von Anm. 32), S. 257.
Diez aus Eberhards Philosophischem Magazin angefi.ihrte Unterschei- 39 Johann Ernst Schubert (1717-1774) war Theologieprofessor in Greifswald.
40 Johann Gottlieb TOllner (1724-1774), Theologieprofessor in Frankfurt an
dung zwischen praktisch wichtigen Lehren, die ,in die Sphare des
gemeinen Christen" gehi:iren., und anderen Lehren 36, in Beziehung der Oder war Aners Einschatzung zufolge der erste Universitatslehrer, ,der
ins neol~gische Fahrwasser steuerte" (Aner, Theologie der Lessingzeit ( cf.
auf die Situation des Pfarrers, der zu Einsichten gekommen ist, die Anm. 32), S. 83), und deswegen den Bekenntnisfreunden ein besonders
der symbolisch autorisierten Lehre widersprechen. Ludke, wie spater willk.ommener Bundesgenosse (ebd. S. 260).
Diez, schlieJSt aus, daiS der Pfarrer, was er als Irrtum erkannt zu 41
Johann Melchior Goeze (1717-1786) war Hauptpastor an der Katharinen-
kirche in Hamburg.
42 Halle 1769 s. 340-380 (§§ 99-110). Aner sagt von Schuberts Votum, daB
35 Brief an Gros (A 1 S. 8 Z. 10-12); vgl. dazu unten S. 970ff. es ,den Sy~olfreunden" als ,klassische Darstellung ihres Standpunktes"
36 A 1 S. 9 Z. 20 ff.; fur die Quelle bei Eberhard vgl. A 1/8. erschien (Theologie der Lessingzeit (cf. Anm. 32), S. 260).

938 939
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

behaupte, was ihren Glaubensbi.ichern widerspricht"43 . Die symboli- der Einheit der Christen, insbesondere der Lutheraner und der Re-
schen Bi.icher werden bier also, wie spater von Si.igk.ind im Anschlu~ formierten, im Wege. Tollners Fazit zeugt von seiner Zerrissenheit in
an Planck 44, als eine negative Lehrnorm aufgefagt, d. h. als eine Grenze, der Frage: ,Nachdem ich alles i.iberlegt babe, sehe ich mich genothiget,
die in der Lehre nicht i.ibertreten werden darf. Schubert bestreitet die Alternative hier so zu machen: entweder etwas Pabstum; oder
ferner, d~ die Amtsenthebung bei Verlassen der Lehre der Kirche keine Glaubenseinigkeit und keine Glaubensreinigkeit! Nachdem ich
unrechtmagig ist45 und als Verfolgung gelten kann. Als ein eigentliches alles iiberlegt habe: so erkenne ich jede menschliche Lehrvorschrift
Verlassen der Lehre, d. h. als einen Abfall, der den Verlust der Seligkeit fur ein Uebel; aber fur ein nothwendiges Uebel, damit mehrere und
nach sich ziehen kann, will er jedoch nur ein Abweichen von den grogere verhindert werden: fi.ir eine schlimme Vorbedeutung wider
Grundartikeln der christlichen Lehre gewertet wissen, die freilich Wahrheit und Freiheit; aber zugleich, fur ein unentbehrliches Mittel,
nirgends als solche verzeichnet sind. 46 Fi.ir die Unverzichtbarkeit sym- Wahrheit und Freiheit zu erhalten: fi.ir einen Schnitt in die Gewissen;
bolischer Bi.icher fi.ihrt er im wesentlichen drei Gri.inde an: Sie sind aber der geschehn mug, wenn die Wunden nicht mehrere und grogere
notwendig, (1) um die Verftihrung der EinfaJ.tigen zu verhindern, werden sollen."49
(2) urn den inneren Kirchenfrieden und (3) urn den augeren, West- Eindeutiger fiel Goezes Stellungnahme aus. In seiner Schrift Die
falischen Frieden zu wahren, der die freie Religionsi.ibung der Pro- gute Sache des wahren Religionseifers (Hamburg 1770)50 wird der Re-
testanten unter die Bedingung des Verharrens bei der Augsburgischen ligionseifer gegen Li.idke verteidigt. 51 Goeze unterstellt seinem Kon-
Konfession stellt. trahenten, er greife die Symbolautoritat nur an, weil er in der Sache
Tollners Unterricht von den symbolischen Biichern47 war, wie der Titel von symbolisch autorisierten Lehren abweiche, die er dann aber zu
anzeigt, eher als ein Lehrbuch denn als Beitrag zu einer Debatte nennen unterlasse; und er verwirft Li.idkes Unterscheidung zwischen
konzipiert. Sein Autor nimmt eine vermittelnde Position ein. Er glaubt, moralisch bedeutsamen und moralisch folgenlosen Lehren: Gottliche
dag die vorgetragene Kritik an den symbolischen Bi.ichern in Wahrheit Offenbarung sei in keinem Teil moralisch folgenlos und fur die Er-
nicht diese seiher, sondern nur bestimmte Migbrauche trifft, die mit langung der Seligkeit gleichgi.iltig.
ihnen getrieben werden. Gegen Ende der Schrift48 beantwortet er Goeze nahm noch eine weitere Gelegenheit wahr, sich offentlich
Argumente, welche (1) die Unnotigkeit und (2) die Unzulassigkeit zur Symbolautoritat zu augern. 1770 griff mit dem Berliner Ober-
und Schadlichkeit der symbolischen Bi.icher dartun sollen, wobei unter
(2) im einzelnen vier bekannte Einwi.irfe besprochen und - teils
49
halbherzig - zuri.ickgewiesen werden: (a) die symbolischen Bi.icher S. 39 f., § 8.
50
tasteten den Status der Bibel als alleinigen Erkenntnisprinzips der Der ganze Titel lautet: Die gute Sache des wahren Religionseifers iiberhaupt
christlichen Lehre an, (b) sie hinderten die freie Untersuchung der erwiesen; insonderheit gegen den Verjasser des zu Berlin 1767 herausgelcommenen
Tractats vom jalschen Religionseifer.
Wahrheit, (c) sie forderten Meineid und Heuchelei, (d) sie sti.inden 51
Aner bemerkt ( Theologie der Lessingzeit ( cf.. Anm. ~2), S. 259~: ~ezi.igli~
der Mittel des rechten Religionseifers verw1ckelt stch Goeze m emen Wl-
43 derspruch. Bald will er religiose Fehden mit rein geistigen Waffen ausge-
Schubert, Geschichte des Pabstes Vigilius (cf. Anm. 42), S. 343.
44 fochten wissen und verbietet, daB der ,weltliche Arm zum Werkzeug ge-
Vgl. unten S. 977-979. braucht werde'; dann aber fordert er doch die Obrigkeit auf, gegen Haresien
45
Dies richtete sich gegen eine kleine anonyme Schrift, die 1767, also im einzuschreiten". Und in einer Anmerkung ftigt er hinzu: "Welches die ei-
selben Jahr wie Liidkes Abhandlung ( und mit Zusiitzen noch einmal 1768), gentliche Meinung Goezes war, stellt seine Praxis z. B. gegeni.iber den hol-
erschienen war und in der die Frage (die auch ihren Titel bildete): lst ein liindischen Reformierten auEer Zweifel, die[ ...] seit 1766 nach einem eigenen
Lehrer verbunden, nach Enifernung von dem Lehrbegrzjfseiner Kirche sein Amt Gottesdienst trachteten. Der Magistrat [der Stadt Hamburg] war geneigt,
in derselben niederzulegen? verneint wurde. ihrem Wunsch zu entsprechen. Das lutherische Ministerium aber protestierte
46
Schubert, Geschichte des Pabstes Vigi.lius (cf. Anm. 42), § 108. unter Goezes Fi.ihrung aufs leidenschaftlichste unter Berufung auf die Grund-
47
Zi.illichau 1769. verfassung der Stadt, die nur den Augsburgischen Religionsverwandten
48
§§ 26-30. ein offentliches Religionsexerzitium gestattete."

940 941
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

konsistorialrat Anton Friedrich Busching52 eine, wie Aner schreibt, iiberarbeitet werden. In der Konkordienformel sieht Busching hin-
,hochstehende kirchenregimentliche Personlichkeit" in den Symbol- gegen nur eine Privatarbeit einiger auf Kirchenspaltung bedachter
streit ein5 3 Busching machte in seinen Allgemeinefz} Anmerkungen Theologen, die nicht als eine symbolische Schrift der evangelischen
iiber die symbolischen Schrijten der evangelisch-lutherischen Kirche, und Kirche hiitte ausgegeben werden diirfen, zumal sie nicht einmal in
besondere Erliiuterungen der augsburgischen Conftssion (Hamburg 1770) allen lutlzerischen Kirchen anerkannt sei.
das Schriftprinzip zum Angelpunkt seiner Argumentation: Die Bibel Goeze hatte Buschings Schrift vom Autor seiher mit der Bitte urn
ist ,als die einzige Richtschnur des Glaub ens und Lebens" von jedem Beurteilung erhalten. Er kam der Bitte nicht mittels einer Rezension
Christen selbst zu lesen und zu erforschen. 54 Das Ergebnis dieser nach, sondern er wiihlte die Form einer selbstiindigen, wenn auch
Erforschung kann dabei nicht von einer Minderheit bevorrechteter als Beilage zu der Guten Sache des wahren Religionseifers deklarierten
Leser fur die iibrigen Leser vorweggenommen und, erst recht nicht Veri:iffentlichung unter dem Titel Nothwendige Erinnerungen zu des
fur aile Zeiten, in symbolischen Buchern verbindlich festgeschrieben Hrn. D. Biischings allgemeinen Anmerkungen iiber die symbolischen Schrif
werden, zumal die Bibelforschung sich immer geeigneterer Mittel ten der evangelisch-lutherischen Kirche (Hamburg 1770). Goeze wendet
und verbesserter Methoden bedient. Biisching zieht daraus die Schlu~­ sich darin sowohl gegen Buschings allgemeine Bemerkungen iiber
folgerung, daE die Augsburgische Konfession, die er ausfiihrlich er- die symbolischen Bucher als auch gegen seine heterodoxe Erliiuterung
liiutert55, obwohl sie ihm als die eigentliche symbolische Schrift der der Augsburgischen Konfession. Beziiglich des ersten, im gegenwiir-
evangelischen Kirche gilt, die auch die einzige hiitte bleiben sollen, tigen Zusammenhang allein interessierenden Punktes fiihrt er aus,
dennoch nicht als Lehrvorschrift dienen kann. Das entspriiche, wie d~ die symbolischen Biicher keiner wesentlichen Revision unterzogen
Biisching aus ihrer Entstehungsgeschichte zu zeigen versucht, auch werden konnen. Dies wiirde niimlich, gegeben, daE die Kritiker den
nicht der Absicht der Reformatoren, die sie auf dem Reichstag zu Beweis ftir eine Nichtubereinstimmung der symbolischen Bucher mit
Augsburg vorlegten. Sie ist als ein Denkmallebendigen Christentums der Bibel schuldig geblieben seien, eine Revision des Wortes Gottes
zu schiitzen, ,ob wir gleich in der ErkenntniE weiter gekommen sind" bedeuten. Zumal wiirde durch eine Veriinderung der Augsburgischen
und manches an ihr verbessern konnen. 56 Als eine Sammlung von Konfession das Vertragswerk des Westfalischen Friedens gebrochen
Glaubenslehren der evangelischen Kirche miiEte sie also fortwiihrend (ein schon von Schubert verwendetes Argument, das auch spiiter, im
AnschluE an das Wcillnersche Religionsedikt, wieder ins Feld geftihrt
wurde). Biischings Argumentation aus dem stetigen Erkenntnisfort-
52 Der Geograph, Theologe und Piidagoge Anton Friedrich Busching (1724-
schritt weist Goeze zuruck, indem er grundsiitzlich zwischen der christ-
1793) war Oberkonsistorialrat und Gymnasialdirektor in Berlin. lichen Religionserkenntnis und anderer menschlicher Erkenntnis un-
53
Aner, Theologie der Lessingzeit (cf. Anm. 32), S. 261. terscheidet und den allmiihlichen Erkenntnisfortschritt nur fiir letztere
54 Ebd. S. 7.
55
gelten lassen will.
Im erliiuternden Durchgang durch die Artikel der Augsburgischen Kon- Busching hat 1771 in der zweiten, vermehrten Auflage seiner All-
fession machte Busching keinen Hehl aus seiner Heterodoxie. Aner stellt
gemeinenAnmerkungen die Meinung, die urspriingliche reformatorische
fest (ebd. S. 262): ,Was Goeze an Ludke vermiEt hatte, das bietet Busching:
er macht die Lehrpunkte namhaft, in denen er von den Symbolen abweiche. Formulierung der christlichen Lehre sei auf Anhieb in unuberbietbarer
Er verwirft in der 'Ihnitiitslehre den Gebrauch des Wortes Person. erkliirt Weise gelungen, als absurd beiseite geschoben. Mehr Muhe verwendet
das Nicaenum fur unbrauchbar, ersetzt den Begriff der Erbsunde durch er indes auf das Argument aus den Bedingungen des Religionsfriedens.
den des weder sundlichen noch verdammlichen Erbubels, auEer welchem Er versucht, es durch eine politische Argumentation zu entkriiften:
eine Anlage zum Guten angeboren sei, bestreitet die ubernaturlichen Wir- Der FriedensschluE von 1648 ist Ausdruck eines Machtgleichgewichtes
kungen der Sakramente, besonders der Kindertaufe, beanstandet jede be- zwischen dem romisch-katholischen und dem evangelischen Reichsteil,
stimmte Deutung der Einsetzungsworte und leugnet die Ewigkeit der Hol-
lenstrafen. die er zwar in der Schrift angedroht fmdet, aber in Anbetracht
das im wesentlichen andauert. Nicht der Friedensvertrag, sondern
der Weisheit und Gute Gottes sich nicht verwirklicht denken kann." die Machtverhiiltnisse im Reich garantieren die freie Religionsubung
56 Ebd. S. 15. der Protestanten, die der romisch-katholische Teil, wenn er die Macht

942 943
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

dazu hatte, unterdrucken wi.irde ohne Rucksicht darauf, ob die Pro- Verbindlichkeit der symbolischen Bucher, (2) zwischen den in ihnen
testanten sich dogmatisch an die Augsburgische Konfession halten enthaltenen Grundwahrheiten der christlichen Religion und dem eben-
oder nicht. Christian Wilhelm Franz Walch 57 hat in seiner bereits ein falls in ihnen enthaltenen theoretischen Apparat, der die Darstellung
Jahr spater, 1772, erschienenen ausftihrlichen ,Nachricht von den der Grundwahrheiten zum Gegenstand hat und den bei weitem uber-
Bewegungen und Streitigkeiten uber symbolische Schriften in Deutsch- wiegenden Teil der symbolischen Bucher ausmacht und der auch,
land"58 dieses Argument ebensowenig anerkannt wie spater, 1788, wie Semler meint, der allein umstrittene unter den protestantischen
der andere Berichterstatter, Johann Rudolph SchlegeP9, der aus groEe- Theologen ist, und schlieElich (3) zwischen Christen als Privatpersonen
rer Distanz uber den seit Mitte der siebziger Jahre verebbten Sym- und offentlichen Lehrern des christlichen Glaubens. Diese drei Un-
bolstreit berichtet60, unmittelbar bevor durch das Wcillnersche Reli- terscheidungen werden wie folgt aufeinander bezogen: Der theore-
gionsedikt ein neuer ausgelOst wurde. Walch 61 und nach ihm Schlegel62 tische Apparat bindet allein die offentlichen Lehrer (als solche, nicht
vermissen an Buschings Argumentation die Behandlung der entschei- als glaubige Privatpersonen) und hat selbst ftir sie nur auEere Ver-
denden moralischen (fur Schlegel rhetorischen) Frage, ob die Neigung bindlichkeit, d. h. eine Verbindlichkeit aufgrund der Rechte der Furs ten
zur Untreue der einen Seite die andere zur Brechung ihres Versprechens in Fragen der Religion. Die Grundwahrheiten haben hingegen auch
berechtigen konne. Freilich konnte man hier, wie Diez es - nicht fur innere Verbindlichkeit, und dies fi.ir jeden Christen; aber die innere
den Fall des protestantischen Reichsteils gegenuber dem katholischen, Verbindlichkeit ist gerade nicht die fur symbolische Schriften spezi-
wohl aber ftir den Fall der jungen protestantischen Gemeinden ge- fische, sondern die allgemeine Verbindlichkeit, die wir haben, das
geni.iber ihren Kirchenleitungen - im AnschluE an Hufeland tut, 63 als wahr Erkannte auch, in Worten und Taten, anzuerkennen. Es muE
naturrechtlich argumentieren: Wer vertraglich auf das Recht verzichtet, daher auch stets neu gesichert werden, daE die in den symbolischen
das System seiner Glaubenslehren nach MaEgabe seiner religiosen Buchern enthaltenen christlichen Grundlehren wahr sind (was Freilich,
Erkenntnis ZU verandern, der verauEert ein unverauEerliches Recht; wie gesagt, nach Semlers Einschatzung von keinem protestantischen
d. h. der betreffende Vertrag ist in diesem Punkte nichtig. Theologen bestritten wird). Semler will also die Glaubens- und Ge-
Dieser kurze Bericht64 uber den von Ludke ausgelosten Symbolstreit wissensfreiheit mit der Geltung und der Autoritat der symbolischen
sei mit einem Hinweis auf Johann Salomo Semlers Apparatus ad libros Bucher dadurch in Einklang bringen, daE er, was er ihnen an privater,
symbolicos ecclesiae lutheranae (Halle 1775) abgeschlossen. Semler un- rein religioser Autoritat streitig macht, durch einen Zuwachs an of-
terscheidet in der genannten Schrift (1) zwischen innerer und auEerer fentlicher, kirchenregimentlicher Au tori tat ausgleicht. Dabei ist er kon-
sequent genug, den Landesherren das Recht zur Veriinderung der
symbolischen Bucher zuzugestehen. Die Haltung, die Semler 13 Jahre
57 Walch (1726-1784) war Theologieprofessor in Gi:ittingen (vgl. C 6/ 41). 65
spiiter gegeni.iber dem preuEischen Religionsedikt einnehmen wird,
58 In seiner Neuesten Religions-Geschichte, 9 Bde. Lemgo 1771-I782, Bd. 2
liiEt sich hier bereits absehen.
Kap.VIIL S. 305-382.
59
Schlegel (1729-I790) war Rektor des Gymnasiums in Heilbronn. 2. Das wii.rttembergische Generalres!cript von 1780 und die Position Brast-
60
Im sechsten und letzten Band der von ihm fortgesetzten Kirchengeschichte bergers. Schlegel weist am Ende seines Literaturberichtes darauf hin,
des Neuen Testaments von Johann Lorenz von Mosheim, Heilbronn 1788, daE die Streitigkeiten uber die symbolischen Bucher in den nord-
§ 203 (,Streit uber die symbolischen Schriften"), S. 576-600. deutschen Liindern ,bisher", also his 1788, unmittelbar vor der Er-
61
Neueste Religions-Geschichte ( cf. Anm. 58), Bd. 2 S. 362.
62
lassung des preuEischen Religionsediktes, ,nur ein Gegenstand ge-
Kirchengeschichte (cf. Anm. 60), Bd. 6 S. 589. lehrter Untersuchungen geblieben" seien, daE aber unter anderem
63
A I S. 8 Z. 27 ff. und B 1 S. Ill Z. 2I; vgl. unten S. 958. in Wtirttemberg den Religionslehrern (in Kirche, Schule und Uni-
64
Fur eine ausft.ihrlichere Behandlung vgl., neben den erwiihnten zeitgeni:is-
sischen Dokumentationen von Walch und Schlegel, Aner, Theologie der Les-
singzeit, (cf. Anm. 33), Kap.V, Abschn.3 (,Die Kontroverse uber clie sym-
65 Vgl. unten S. 954 f.
bolischen Bucher"), S. 254-269.

944 945
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

versitat) durch landesherrliche Verordnung ,alle Abweichungen von den ersten Grad, eine Erinnerung, angewendet. Er soli seine Abwei-
dem Lehrbegriff der symb. B. in ihren Religionsvortriigen untersagt" chung [... ) reumiitig erkennen, vor allen Neuerungen [... ] sich hi.iten,
worden seien. 66 Die Verordnung, auf die Schlegel sich bezieht, ist ein bei den symbolischen Biichem, auf die er an Eides statt sich verpflichtet,
Herzogliches Generalreskript vom 12. Februar 1780. 67 Eine Schilderung bleiben, alles der [Ti.ibinger theologischen] Fakultat zur Zensur iiber-
seiner Vorgeschichte fmdet sich bei Christoph Kolb 68 : Der Dekan geben. Eine Drohung fur den Fall weiterer Abweichungen und Ver-
WeiE in Sulz hatte, da die Pfarrer in seiner Diozese iiber lange An- fehlungen war beigeftigt."70
fahrtswege klagten, ohne Genehmigung des Konsistoriums anstelle Diez schreibt in seinem Aufsatz (B 1): ,Warum laEt man uns dann
der jahresi.iblichen Disputation, die er schon 1778 hatte ersatzlos auf symbolische Bucher unterschreiben, ist eine sehr nati.irliche Frage
ausfallen lassen, seinen Pfarrem 1779 folgendes Thema zur schriftlichen jedes Kandidaten, und die Antwort, die man ihm gibt, ist: Ohne
Bearbeitung aufgegeben: ,Von dem EinfluE der Sozinianischen Mei- einen allgemeinen Lehrtypus wiirden die traurigsten Folgen [fur Kirche
nung von der Gottheit Christi in die Seligkeit eines Menschen, ob und Staat] entstehen [.. .]"71 Eben diese Antwort findet sich in dem
die Meinung der Sozinianer Jemanden, der sie hege, ganz von der Generalreskript, das im wesentlichen eine Verallgemeinerung des an
Seligkeit ausschlieEe, die Christus erworben, wenigstens von dem Weill gerichteten Erlasses ist. Es nimmt auf offentlich bekannt ge-
volligen GenuE?"69 Die Themenstellung war insofem verfanglich, als wordene Abweichungen vom Lehrtypus der symbolischen Bucher der
sie fur eine offene Frage gelten lieB, was den symbolischen Schriften evangelischen Kirche Bezug und weist auf die Gefahren des Lehr-
zufolge entschieden zu vemeinen war. Im Synodus, dem fur die Vi- dissenses fUr den Frieden in Staat und Kirche hin. Sodano schreibt
sitation der Pfarreien zustandigen Organ der Kirchenleitung, wurden es vor:
WeiB' eigenmiichtiges Ersetzen der Disputation und besonders das ,Zur Erhaltung der Ruhe und des Friedens in Staat und Kirche
von ihm ausgeschriebene Thema zum AnlaE genommen, seine eigene sollen besonders die Lehrer in Kirchen und Schulen an demjenigen
theologische Position kritisch auf heterodoxe Lehren hin zu durch- typo doctrinae, welchen sie bei ihrem Dienstantritt solenniter sub-
leuchten. Das Resultat der Untersuchungen war ein ErlaB, der am skribiert und stipulata manu an Eides Statt offentlich und privatim
9. Februar 1780, also drei Tage vor dem Generalreskript, an WeiE nach demselben zu lehren sich verpflichtet haben, als an ein Lan-
erging, mit folgendem Inhalt: desgesetz [... ] schlechterdings gebunden werden. Dieser typus docendi
,Er habe die Lehre von der Gottheit Christi sehr problematisch soli daher nach der Formula Concordiae und den iibrigen libris sym-
ausgelegt, die bestehenden Gesetze gegen die Sozinianer zu unter- bolicis in Gang gehalten, nichts, was den in denselben enthaltenen
graben versucht, verfangliche Fragen aufgeworfen, er neige zum So- Grundlehren von Dreieinigkeit, Versohnungstod, Gottheit Jesu Christi,
zinianismus, Pelagianismus, Naturalismus hin. Das Ausschreiben an von den Gnadenwirkungen des H. Geistes zuwider, gelehrt noch ge-
die Pfarrer entbehre der pastoralen Prudenz. Auch habe er in seinem druckt werden. Zuwiderhandelnde sollen mit Dimission von ihrem
Bericht [an den Synod us] die SchluEworte weggelassen: ego enim Amt angesehen werden.'m
nee haeretifex sum, nee haeretificos amo, licet multi sint. Dadurch Im gleichen Zusammenhang berichtet Kolb auch i.iber das Vorgehen
73
habe er den Verdacht der Inkrustation des Sozinianismus noch mehr des Konsistoriums gegen Brastberger im Jahre 1788. Im Mittelpunkt
geweckt. Gleichwohl habe man ihn mit Zitation verschont und nur der Auseinandersetzung Brastbergers mit der Kirchenleitung stand
seine Beantwortung einer Preisfrage des Schnepfentaler Erziehungs-
instituts, die das Akzessit erhalten hatte und 1787 von Christian Gotthilf
66
Schlegel, Kirchengeschichte ( cf. Anm. 60), S. 599 f.
67
Abgedruckt in: Vollstiindige, histori.rch und kritisch bearbeitete Sammlzmg der 70
Zitiert nach Kolb, Aujlcliirung ( cf. Anrn. 68), S. 48 f.
wiirttembergischen Gesetze, hrsg. von August L. Reyscher, 19 Bde. Stuttgart 71
1828-1851, Bd. 8 S. 690. B 1 S. 109 Z. 10-13.
68 72 Zitiert a us Kolbs Zusarnmenfassung in Aujlcliirung ( cf. Anrn. 68), S. 49.
Die Aujkliirung in der Wiirttembergischen Kirche, Stuttgart 1908, S. 45-50.
69 73
Zitiert nach Kolb, Aujkliirung (cf. Anrn. 68), S. 46. Vgl. hierzu A 4/24.

946 947
Begleittexte Die symbolischen Bi.icher der evangelisch-lutherischen Kirche

Salzmann, dem Leiter des lnstituts, zusammen mit der preigekronten gegen die (4) ohnehin auf die Unveriiu~erlichkeit der Religionsfreiheit
Arbeit (von Jakob Christian Weiand a us Braunschweig) herausgegeben zu verweisen wiire, 79 sofern sie zur Rechtfertigung der Verpflichtung
worden war. Sie erschien, neu durchgesehen und verbessert von Brast- auf symbolische Bi.icher eingesetzt wird. Ferner ft.ihrt Brastberger eben-
berger und herausgegeben von Christian Friedrich Duttenhofer, au- so wie Diez (5) die, allerdings auch sonst bisweilen vorkommende,
~erdem in der freien Reichsstadt illm (urn die wiirttembergische Rede von den Fesseln, die demjenigen, der sich auf symbolische Bi.icher
Zensur zu umgehen). Die Preisfrage lautete: verpflichten lii~t, angelegt werden, 80 iiu~ert (6) den Gedanken einer
,,st in der Bibel oder in der gesunden Vernunft ein Grund vor- volligen Gleicbberechtigung verschiedener Religionen im Staate81 und
handen, der uns verpflichtet, die Erkliirungen anderer Menschen erkennt (7) das Argument nicht an, die Christenheit werde ohne
von den Ausspriichen Jesu und der Apostel zu Glaubensartikeln zu symbolisch festgeschriebene Glaubensbekenntnisse ,gar bald in die
machen, und von den Christen zu fordern, sie als wahr und untri.iglich traurigste Verwirrung geratben"82, das auch in dem Generalreskript
anzunehmen? Und wenn die~ nicht, vielmehr erweislich ware, d~ von 1780 seine - oben hervorgehobene - Rolle zu spielen hatte.
es geradezu gegen die Bibel und die Vernunft sey, was ist wohl SchlieB!ich verweist schon Brastberger im Zusammenhang mit diesem
von der Moglichkeit, Nothwendigkeit und Ni.itzlichkeit des Projects: Argument (8) auf die Macht der Wahrheit: Mu~ nicht, so fragt er im
Ein neues Glaubensbekenntnis ftir Katboliken und Protestanten auf- Sinne der zu widerlegenden Behauptung, durch unbeschriinkte Re-
zusetzen, zu halten?" Die Brastbergersche Schrift, in ihrer i.iberar- ligionsfreiheit ,aile Gemeinschaft des Gottesdienstes nach und nach
beiteten Version, tragt den Titel: Ueber den Ursprung und Werth der aufhoren, und zuletzt die eine iichte Wahrheit unter der graulichsten
kirchlichen Gewohnheit, durch symbolische Schriften den lnnhalt der christ- Verwirrung zu Grunde gehen?" Under antwortet: ,Seyd ruhig, Freunde,
lichen Religion jestzusetzen, mit Anwendung azif die neuesten Unionspro- daftir wird Gott seyn! Die christliche Religion ruht auf einem uner-
jecte?4 schi.itterlichen Grunde, sie ist Wahrheit, und kann nie vertilgt werden,
Da Diez an Brastbergers Schicksal Anteil nahm, ihn schiitzte und nicht einmal, wenn ihr sie mit eurem schwachen Arm in ihrem Hel-
~_790 besuchte, liegt die Vermutung nahe, da~ Diez fur seine eigenen
75
denlauf hemmen wollet, noch viel weniger, wenn ihr sie unaufgehalten
Uberlegungen zu der Frage der symbolischen Bi.icher Brastbergers fortschreiten lasset!"83
Schrift zu Rate gezogen hat. In der Tat finden sich in dieser eine In dieser letzten Hinsicht finden wir Diez zuri.ickhaltender: Wenn
Reihe von Themen und Thesen, die in Diez' Aufsatz wiederkehren, die christliche Religion Wahrheit ist, kann ihr die Religionsfreiheit
so (1) die These vom Zusammenfallen von Lehr- und Glaubensnorm 76 und der Pluralismus der Religionsgesellschaften nicht schaden. (Ist
und (2) die Kritik des Versuchs, ,die Recbtmilligkeit der kirchlichen sie hingegen unwahr, so ist sie zwar schutzbedi.irftig durch menschliche
Gewalt durch eine stillschweigende Einwilligung der Mitglieder zu Anstalten, wie die Verteidiger der symbolischen Bi.icher behaupten,
77
beweisen". Der diesem Versuch zugrundeliegende Begriff der all- aber nicht schi.itzenswert.) Diez ist auch unerbittlicher im Festbalten
gemeinen - unausdri.icklichen - Kircheni.iberzeugung wird von Brast- an der Einheit von Lehr- und Glaubensnorm, die Brastberger nur ft.ir
berger als eine blo~e ,Hi.ilfsidee" zuri.ickgewiesen, der - auch dies die allgemeine Autoritat der symbolischen Bi.icher, nicht ftir den be-
ist ein Thema, das bei Diez wieder anklingen wird - (3) die Realitiit sonderen Fall der eidesstattlichen Verpflichtung behauptet: ,,ch gestehe
der Herrschaft einiger i.iber viele in der Kirche entgegenstehe 8 und es", schreibt er, ,da~ ich ehemals selbst den Zweck und die Bedeutung
der symbolischen Bi.icher auf diese Art [durch die Unterscheidung

74 L
eipzig 1787; die zitierte Formulierung der Preisfrage ftndet sich dort zwi-
79
schen Titelblatt und Vorrede. Vgl. ebd. S. 90.
75 80
Vgl. A 4 S. 36 Z. 15ff. Vgl. ebd. S. 107.
76 81
Vgl. Brastberger, Ursprung und Werth (cf. Anm. 74), S. 33, 44ff. Vgl. ebd. S. 94.
77 82
Ebd. S. 41. Vgl. ebd. S. 104.
78 83
Vgl. ebd. S. 102f., 117. Ebd. S. 126.

948 949
Begleittexte Die symbolischen Bi.icher der evangelisch-lutherischen Kirche

zwischen Lehrnorm und Glaubensbekenntnis] erklart habe, und noch in den altern Schriften weiser Manner fmden" konne. 87 Als Beispiel
jetzt weiE ich keinen bessern Weg, die feyerliche Beeydigung der Lehrer ftihrt er die Lehre von einem Logos bei Gott und einem Pneuma in
von allem Vorwurf menschlicher Autoritat zu befreyen". 84 Diez wiirde Gott an. Die Apostel tragen diese Lehren nicht als etwas Neues vor,
bier zustimmen mit dem Zusatz, daE die Beeidigung der Lehrer von sondern wenden sie nur in neuer Weise an, auf Jesus namlich bzw.
diesem Vorwurf eben nicht zu befreien ist. Freilich liegt es nahe, den auf ihr eigenes Auftreten und Lehren: ,Sie sagen, Jesus ist der logos,
Anschein einer sachlichen Differenz zwischen Brastberger und Diez das pneuma belehrt euch durch uns, Jesus Christus ist der Grund
durch die Annahme zu erklaren, daE Brastberger in seiner Publikation und die QueUe des gottlichen Wohlgefallens ftir aile Fromme Verehrer
sich vorsichtiger ausdrucken muEte als Diez in seinem nicht ftir die Gottes, und sein Tod das Ende aller Opfer und Versohnungen". 88
Offentlichkeit bestimmten Aufsatz und daE er gerade zu jener Folgerung Am Ende erscheint Jesus als der Erste unter den ,vernunftigen
einladen will, die ausdrucklich zu ziehen er, der wiirttembergische Verehrern Gottes', den Deisten, wenn Brastberger seinen ,wahren
Pfarrer, der die symbolischen Bucher bereits unterschrieben hat, wohl- Zweck" und den ,Geist seiner groEen Unternehmung" in die Worte
weislich unterlaEt. falk ,Allen blos ausserlichen sinnlichen Gottesdienst sollte er mit
Grundsatzlich ist uber Brastberger zu bemerken, daE er wie vor einem gottlichen Ansehen als gefahrlich und schadlich abschaffen,
ibm Storr und nach ihm Diez die Person Jesu, nicht den dogmatischen und dagegen der verniinftigen Verehrung Gottes durch gute Gesin-
~ehalt der christlichen Religion zum Dreh- und Angelpunkt seiner nungen und gemeinniitzige Thaten zur ewigen Beseeligung der Men-
Uberlegungen macht. Dabei ist er besonders weit gegangen. Er hat schen [...] einen sichern Zufluchtsort und gleichsam eine bestiindige
seine Position in der Frage der symbolischen Bucher, bevor er sie Wohnung zu Stand bringen."89
im zweiten, kiirzeren Abschnitt seiner Schrift in naheliegender Weise
gegen Unionsversuche von Katholiken und Protestanten zur Geltung 3. Die Debatte ii.ber das Preufiische Religi.onsedilct. Das Erscheinen von
bringt, in einer These vom Zweck Jesu zu fundieren versucht. Diese Brastbergers Schrift fallt schon in die Zeit des PreuEischen Religions-
These hat das vollige Unverstandnis eines Rezensenten hervorgerufen, ediktes des wie es korrekt heiEt, Edilctes, die Religionsverfassung in
90 .
der Salzmanns VerOffentlichung der heiden Preisschriften in den GO't-
0

den Preuflischen Staaten betreffend vom 9. Juh 1788. Drez hat das
' '

tingischen Anzeigen von geiehrten Sachen besprach85 und dem hier das Edikt in keinem der uns erhaltenen Texte erwahnt. Dies mag sich
Wort zur Formulierung der These iiberlassen sei: ,Den Begriff, den aus dessen Status als eines weltlichen Gesetzes in einem Staate, Preu-
sich der Hr. Verf. von dem Inhalt der Bibel macht, S. 335 f. verstehen Een, erklaren, in dem es drei privilegierte und mehrere geduldete
wir nicht ganz. Keine einzige neue Wahrheit stehe darin, ausser der Religionsgemeinschaften gab. Zwar galt auch das ~iirtte~?e~gische
Geschichte Jesu; bios Versammlung der Menschen zum Glauben an Generalreskript als Landesgesetz, aber es ging auf eme Imuanve der
Jesum, damit sie unter ihm den geistigen Gottesdienst uben, sey ihre
Absicht. Also gar keine Belehrung?"86 87
Vgl. Brastberger, Ursprung und Werth (cf. ~m. 74~, S. 138.. Auch dieser
Brastbergers Antwort auf die erstaunte Frage des Rezensenten ist Gedanke kehrt iihnlich bei Diez wieder, allen:lings mcht m semem Aufsatz
in der Tat negativ. Er entdeckt im Neuen Testament zumindest keine iiber die symbolischen Biicher, sondern in einem Brie~ an Nieth~er.
neuen Belehrungen: ,nicht eine einzige moralische Vorschrift, nicht Diez schreibt am 9. Miirz 1791: Denjenigen Supernaturahsten, die s1ch auf
einen dogmatischen Begriff, nicht eine einzige Aussicht in die Zukunft", den Inhalt der christlichen Lehre berufen, ,zu zeigen, wie das Gute derselben
Ausspri.iche des unverdorbenen gesunden Menschenverstands seien, wie
wovon man ,nicht entweder dunkle Spuren oder deutliche Zeugnisse es ebenso zerstreut und systemlos auch bei andern angetroffen werde
[wovon Diez offenbar ausgeht], ist schwer zu einem hohen Grade der
Befriedigung zu bringen~ (A 7 S. 58 Z. 19-23)
84 88
Ebd. S. 46. Brastberger, Ursprung und Werth (cf. Anm. 74), S. 139.
85 89
7. Stiick. vom 12. Januar 1788, S. 57-63. Ebd. S. 143 f.
86 90
Ebd. S. 62; die angegebenen Seiten entsprechen in der von Duttenhofer Veroffentlicht unter anderem in: Acten, Urkunden und Nachrichten zur neuesten
herausgegebenen Auflage (cf. Anm. 74) S.137f. Kirchengeschichte, Weimar 1788, S. 4671-4679.

950 951
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

Kirchenleitung seiher zuruck ( der wurttembergische Herzog war ka- und der Staatsminister Johann Christoph von Wollner (1732-1800),
tholisch) und hetraf einen Staat lutherischer Konfession, war also der dem geistlichen Departement vorstand, betrieben. Es sichert in
faktisch eine innere Angelegenheit der wurttembergischen Kirche. seinem ersten Paragraphen den drei christlichen Hauptkonfessionen
Mit dem preuBischen Edikt griff hingegen eine weltliche Regierung den fortgesetzten landesherrlichen Schutz und im zweiten Paragraphen
als solche in die Lehrpraxis unterschiedlicher Konfessionen ein. Daraus allen gesetzestreuen Burgern Toleranz bezuglich ihrer privaten reli-
muBten sich Kontroversen anderer Art ergeben, als diejenigen es gii:isen Meinungen sowie den bisher in PreuBen geduldeten kleinen
waren, denen Diez' Aufmerksamkeit vornehmlich galt. Unmittelbar Religionsgemeinschaften Fortbestand zu. Das Proselytenmachen wird
zur Debatte gestellt war durch das Religionsedikt das Verhiil.t.nis von im allgemeinen (§ 3) und besonders der katholischen Kirche (§ 4)
polit.ischem und geistlichem Regiment, wenn auch mit besonderem untersagt. Das eigentliche Anliegen des Ediktes aber ist der Schutz
Blick auf den Protestantismus. Gottlieb Hufelands vielbeachtete Schrift des syrnbolisch festgeschriebenen Lehrbegriffes sowohl der refor-
Ueber das Recht protestantischer Fii.rsten unabi:inderliche Lehrvorschrijten mierten wie auch der lutherischen Kirche vor weiteren Abanderungen
jestzusetzen und ii.ber solche zu halten, veranlafit durch das preussische (§ 6), zu denen manche der protestant.ischen Geistlichen tendierten,
Religionsedict vom 9. Julius 1788, die noch im Jahr des Ediktes, 1788, die ,sich ganz zugellose Freiheiten, in Absicht des Lehrbegriffs ihrer
in Jena erschien, hringt diese Fragestellung in ihrem Titel auf eine Confession erlauben; verschiedene wesentliche Stucke und Grund-
hundige Forme!. Obwohl nun in ihrem Argumentat.ionsgang Uberle- wahrheiten der protestant.ischen Kirche und der christlichen Religion
gungen eine Rolle spielen, die auch bei Diez wieder vorkommen, 91 uberhaupt weglaugnen, und in ihrer Lehre einen Modeton annehmen,
war doch der Rahmen ftir Diez' Erwagungen ein anderer. Thm ging der dem Geist des wahren Christentums vi:illig zuwider ist" (§ 7).
es ja urn die Frage, ob die Kirchenleitung seiher berecht.igt ist, un- Urn diesem MiBhrauch der Aufklarung Einhalt zu gebieten, wird den
abanderliche Lehr- und Glaubensvorschriften festzusetzen und die Geistlichen die Verbreitung einer Reihe von anstoBigen Lehren bei
kirchlichen Lehrer an diese Vorschriften durch eine eidesstattliche ,unausbleiblicher Cassation" verboten, ohne daB damit die Gewis-
Erklarung zu hinden, und mehr noch, da sie es de facto tut., urn die sensfreiheit der Geistlichen eingeschrankt werden solle (§8); bei Neu-
Frage, ob es rechtens ist., sich als angehender Kirchenlehrer an solche besetzungen von Pfarreien, Theologieprofessuren ynd Schulstelle~
Vorschriften binden zu lassen. soli aber auf die Ubereinst.immung der inneren Uberzeugung mit
92
Das Religionsedikt als solches konnte daher fur Diez kein ein- der geforderten Lehre geachtet werden (§10). . ..
schneidendes Datum sein, zumal die Bindung der protestant.ischen Die unverzuglich einsetzende Diskussion wurde ~unf .Jahre sp~ter
Lehre an die syrnbolischen Bucher, die mittels seiner in PreuEen von Heinrich Philipp Konrad Henke aus Helmstedt m emer 94 Tttel
gefest.igt werden sollte, sich ftir Wtirttemberg einerseits von selbst umfassenden Sammelrezension dargestellt93 , die Anspruch auf Voll-
verstand und andererseits, zu allem UberfluB, durch das Generalre- standigkeit (his Herbst 1793) erhebt und schon von den Zeitgenoss~n
skript von 1780 ausdrucklich als Landesgesetz festgeschrieben worden als maBgeblich betrachtet wurde. 94 Henke beurteilt zunachst d.as Edikt
war. Es ist aber zu vermuten, daB er die anlaBlich des Ediktes sich selber und dann in drei ,Klassen" clie es betreffenden Schnften: 1)
entwickelnde Diskussion verfolgt und ftir seine eigene Fragestellung
ausgewertet hat. Andernfalls hatte er schwerlich zu der Uberzeugung
kommen konnen, daB, was er zur Sache zu sagen wisse, dem Publikum
92 Diese Zusammenfassung folgt im wesentlichen derjenigen von Fritz Valj~vec,
,Das Woellnersche Religionsedik.t und seme geschicht!Jche Bedeutung , m:
hereits hinlanglich gesagt worden sei. (AuBer an Brastberger mag er
HistO?irches ]ahrbuch 72 1953, S. 386-400, S. 386f.
dabei hesonders an Hufeland gedacht haben.) 93 Allgemeine Deutsche Bibliothek (cf. Anm. 34), 114. Bd. 2. St. und 115. Bd. l. St.,
Das Edikt ist Ausdruck der neuen Kirchenpolitik, die Friedrich
beide Kiel 1793.
Wilhelm II., der 1786 die Nachfolge Friedrichs II. angetreten hatte, soz.B. von Gottlob Wilhelm Meyer in seiner von der Gottinger b ,. theologischen
94
, .
Fak. lt"t . · kronten Schrift Commentatio libron~m sym oacorum eceteszae
u a prersge . . . J G" · 17 96
nostrae utilitatem et historiam subscnptwnzs eorunuem exponens, otungen ,
91
Vgl. unten S. 957ff. und A 1/6 und A l/7. S.4l.

952 953
Begleittexte Die syrnbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

Schriften iiber das Religionsedikt (59 Titel), 2) Schriften iiber Anstalten steller in Schutz nehme, die ihre abweichenden Privatmeinungen als
zur Vollstreckung des Religionsediktes (24 Titel), 3) Schriften ver- religiose Lehrsiitze vortriigen. Die erste der drei Fragen der Freimii.-
mischten Inhalts (II Titel). Die erste Klasse ist nochmals unterteilt thigen Betrachtungen, nach der Moglichkeit von Verordnungen iiber
in die vier ,Hicher": a) Schriften iiber das Edikt im ganzen, b) Schriften Glaubensinhalte, entfillt dann als irrelevant, und die Fragen (2) und
iiber Aufkliirung, c) Schriften iiber Staatsrecht in Religionssachen, (3), nach RechtmiiBigkeit bzw. Nutzen staatlicher Eingriffe zugunsten
d) Schriften von den symbolischen Biichern. Henke hat seine mit einer Religion, werden, was die offentliche Religion betrifft, bejaht.
,unangenehmer und saurer Miihe" verbundene ,verdriemiche Arbeit"95 Henke wendet in seiner Rezension zu Recht ein, daB dies keine
sorgfa]tig, verlamich und gerecht verrichtet. (So konnte er sich auch Verteidigung eines Ediktes sei, das sich seiher als eine MaBnahme
nachtriiglich, als das Manuskript schon teilweise im Druck war, noch zum Schutz religioser Wahrheiten gegen ketzerische Irrtiimer, nicht
zur Nennung seines Namens entschlieEen. 96) Fiir die Einzelheiten einer offentlichen Religion gegen die Einmischung von Privatmei-
und Verzweigungen der Debatte kann daher auf die Rezension ver- nungen verstehe. 97 Aber auch unabhiingig davon, ob Semler der Absicht
wiesen werden. Im folgenden sollen nur die wichtigsten Themenbe- des Ediktes gerecht wird oder nicht, stellt sich hier die grundsiitzli~here
reiche und Schriften zur Sprache kommen. Frage (Diez hat sie gestellt) nach dem Verhiiltnis der religiosen Uber-
Unter den ersten offentlichen Reaktionen auf das Edikt erfreuten zeugungen der Privatperson, die ein offentlicher christlicher Lehrer
sich die anonym erschienenen Freimii.thigen Betrachtungen ii.ber das ja auch ist, zu den Lehrsiitzen des von ihm offentlich vorzutrag~nden
Edict vom 9ten Julius 1788, die Religion.rverfassung in den Preuflischen Religionssystems. Da gerade dann, wenn wie bei Se~ler zw1sch~n
Staaten betrejfend (Frankfurt und Leipzig 1788), als deren Verfasser offentlicher und privater Religion streng unterschieden wrrd (so ?ereitS
der als Philanthropinist bekannte Berliner Pfarrer und Gymnasialpro- 177598), die Moglichkeit des Auseinanderfallens von Dogmatik und
fessor Peter Villaume (1746-1825) vermutet wurde, der groBten Auf- privater Uberzeugung eigens vorgesehen ist, droht das Pfarraii_~:t un-
merksamkeit, besonders in Berlin. In der Schrift wird (l) nach der moglich zu werden, so fern man seinen Inhabern nicht zumuten mochte,
Mi/glichkeit, den dogmatischen Gehalt einer Religion zum Gegenstand gegebenenfalls gegen ihre Uberzeugung zu lehren.. . .
von Verordnungen zu machen, (2) nach der Rechtmi!fligkeit und (3) Die heiden anderen noch zu erwiihnenden Repliken auf die Frez-
nach dem Nutzen staatlicher Verordnungen zur Stiitzung einer Religion miithigen Betrachtungen sind die 1789 anonym in Berlin ersc~enene
gefragt. Alle drei Fragen werden vom Verfasser negativ beantwortet. Unpartheyische Beurtheilung der jreymii.thigen Betra~hn:~en uber. das
Die Schrift veranlaBte zahlreiche Repliken, und noch im selben Edict vom 9ten Julius 1788 und die Briife ii.ber das konzglzch preusszsche
Jahr, 1788, wurde sie durch einen zweiten Teil ergiinzt, der sich mit religions-Edict, auch ii.ber Aujkliirung, Toleranz, Prefifreiheit von Wilhelm
der Kritik auseinandersetzt. Hier seien nur drei Repliken erwiihnt. Heinrich Seel (Frankfurt und Leipzig 1789). Der anon~me Verf~sser
Als erste, der Bedeutung ihres Urhebers nach, ist Johann Salomo der erstgenannten Schrift argumentiert juristisch (als emen_ Junsten
Semlers Vertheidigung des Ki/niglich Preussischen Edikts vom 9ten Julius gibt er sich auch ausdriicklich zu erkennen) und ver!ehlt,_ ':~.e Henke
1788, wider die jreymii.thigen Betrachtungen eines Ungenannten (Halle bemerkt,99 bisweilen die theologische Problemlage. Die religwse ~ehr­
1788) zu nennen. Diejenigen, die Semler theologisch nahestanden, verpflichtung wird als ein einzuhaltender Vertrag gedeutet (was Wieder
waren von dieser Schrift meist enttiiuscht. Semler stellt das Edikt die soeben, anlilllich Semlers, angesprochene Problematik aufwirft),
entgegen dessen eigenem Wortlaut als eine rein politische MaEnahme der durch die Verbreitung sozinianischer, deistischer und anderer
dar, die nicht Glaubensinhalte, sondern nur die Gesellschaftsrechte abweichender Lehren gebrochen werde. Die Vertreter solcher hete-
der Kirche beriihre und nur die offentliche Religion als solche, nicht
als System wahrer Lehrsiitze, gegen unbesonnene Prediger und Schrift- 97 Vgl. die 15. Rezension in der Al!gemeinen Deutschen Bibliothelc ( cf. Anm. 34),
Bd. 114 2. St., S. 131-145, S. 14lf.
98
95 Vgl. oben S. 944 f. . .
Allgemeine Deutsche Bibliothelc ( cf. Anm. 34), Bd. 115 1. St., S. VI. 99 Vgl. die 11. Rezension in der Allgemeinen Deutschen Biblzothelc ( cf. Anm. 34),
96 Vgl. ebd. den , Vorbericht", S. III-VIII. Bd.ll4 2. St., S.ll7-127, S.123f.

954 955
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

rodoxen Positionen werden zur Griindung eigener Gemeinden auf- menden SuBkind als Stutze hatte dienen konnen. Teller namlich billigt,
gefordert, denen es dann unbenommen sei, urn Duldung durch den obwohl er die Dogmatik der sittlichen Praxis nachgeordnet wissen
Staat nachzusuchen. will und obwohl er die Bibel als alleinige Glaubensnorm anerkennt,
Auch. S~.el .verteidigt das Edikt. Zwar gibt er auf die erste Frage die symbolischen Schriften als Lehrnorm fur den Volksunterricht.
der Frezmuthzgen Betrachtungen, nach der Moglichlichkeit von Ver- Durch die darin liegende Unterscheidung zwischen Lehr- und Glau-
ordnungen iiber Glaubensinhalte, in der Form, in der sie dort gestellt bensnorm, deren problematischer Charakter ihm bewuBt ist, steht er
war, ebenfalls eine negative Antwort, betrachtet sie aber (wie schon zwar im Gegensatz zu Diez. Aber da er davon ausgeht, daB, jedenfalls
Semler) als unerheblich ftir die Beurteilung des Edikts. Seels Grund- nach dem Religionsedikt, ein Kandidat sich fur sein kunftiges Lehren
these ist, daB die staatliche Autoritat zwar keine hinreichenden, wohl auf den dogmatischen Inhalt der symbolischen Bucher verpflichtet,
aber notwendige Voraussetzungen, etwa ein geeignetes Unterrichts- und da er wie Diez aus einer etwa auftretenden Differenz zwischen
wesen, fur Religiositat verordnen und aufrechterhalten und in diesem Glauben und Lehre eines Predigers Gewissensnot entstehen sieht,
eingeschriinkten Sinn sehr wohl uber Religiositat gebieten konne. fordert er Kandidaten, die sich im Widerspruch zu den symbolischen
Damit kommt er der Position sehr nahe, die Diez im Brief an Gros Biichern glauben, auf, nicht Pfarrer in PreuLSen zu werden.
vertritt, wenn er der Obrigkeit zwar ,kein Recht, an Symbole zu Henke, der Tellers Schrift sonst ruhmt, der aber in der Frage der
hinden", zugesteht, ihr aber nicht , alles Recht, ftir Religion zu sorgen", Deutung der Lehrverpflichtung eine Position einnimmt, die ~erjeni~en
u~d insbesondere nicht die Fiirsorge ,ftir geschickte und fur ge- SiiBkinds in der Gettinger Zeit nahekommt ( er deutet ste als eme
WJssenhafte Lehrer" der Religion entzogen wissen will. 100 Die fur Verpflichtung, im Geiste der durch die symbolischen Bucher his~or_£rch
die Bewertung des Ediktes entscheidende Frage muB also fur Diez konstituierten Kirche zu lehren), wird an dieser Stelle zum Kr1tiker.
wie ftir Seel lauten: Hiilt sich das Edikt im Rahmen der legitimen Er tadelt Teller fur seinen Rat und wirft ihm vor, ,in der That denen,
staatlichen Sorge ftir die Religion? Seel bejaht sie, Diez hatte sie, die sich dem Predigtamte widmen, die Zweifel, von welchen sie we?en
da das Edikt zwar nicht ursprunglich an Symbole bindet, wohl aber ihrer kiinftigen Verpflichtung auf die symbolischen Bucher beunruhiget
die bestehende Bindung an Symbole bestatigt und bekraftigt, mit werden konnen, weniger auszureden, a1s zu verstar .. ken .[. · ·]" .101 n·Iez
Sicherheit verneint. war ein solcher Kandidat. Aber daB bei ihm die Zweifel am Ende
Bedeutender als die heiden zuletzt genannten Arbeiten sind Wilhelm iiberwogen, hat, wie sich zeigen wird, noch tiefere Grunde. ..
Abraham Tellers kurz gefaBte Wohlgemeinte Erinnerungen an ausge- Teilweise lassen diese Grunde sich anhand der schon erwahnten
machte, aber doch Ieicht zu vergessende Wahrheiten, azif Veranlassung des Hufelandschen Schrift Ueber das Rechtprotestantischer Fii.rsten aufzeigen,
Kiiniglichen Edikts die Religionsverjassung in den Preufiischen Staaten die Diez' Position recht nahekommt. Hufeland behandelt in vier Ah-
betriffend, und bey Gelegenheit einer lntroductionspredigt (Berlin 1788). schnitten die folgenden Fragen: (1) ,Konnen M~nschen vo~ a~de~n
Teller wendet sich- und das ist von besonderem Interesse in Beziehung Menschen das Recht erhalten, diesen vorzuschre1hen, was s1e s1ch m
auf Diez' Fragestellung -, nachdem er zunachst, an Schriftsteller und Rucksicht auf Religion und Moral sollen vortragen las sen ?. " ..102 (2) .,,st
Leser gerichtet, MaBigung der Polemik und Ernst in der Untersuchung den protestantischen Fursten das Recht ubertragen, unaba~d~rliche
gefordert und sodann die Prediger an die sittliche Praxis als den Glaubensartikel festzusetzen, oder iiber den festgesetzten fur 1mmer
Endzweck der Religion erinnert hat, schlieBlich eigens an die Pfarr- zu halten?" 'o3 (3) ,Verhindern die Reichsgesetze die Protes~anten an
amtskandidaten als an diejenigen, denen die Verpflichtung auf sy:m- einer Aenderung ihres Lehrbegriffs?" 104 (4) , Wer hat denn dies Recht,
bolische Bucher noch bevorsteht. Dabei nimmt er eine Position ein,
die Diez in der Diskussion mit dem sich zwar als heterodox verste-
henden, aber doch an dem Unterschriftszwang wenig AnstoB neh- IO' Allgemeine Deutsche Bibliothelc ( cf. Anm. 34), Bd. 114 2. St., S. 192.
102 Ueber das Recht protestantischer Fiirsten (cf. oben S. 952), S. 5-18.
103
Ebd. S. 19-27.
100 104
A 1 S. 7 Z. 14-18. Ebd. S. 28-43.

956 957
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

uber Aufrechthaltung oder Abanderung der Lehrvorschriften etwas auf dem Diez mit seinen Uberlegungen einsetzt. Dies entspricht der
zu bestimmen?" 105
besonderen Aufmerksamkeit, die Hufeland im Publikum zuteil wurde.
Hufelan~ beruft sich zur Beantwortung der ersten Frage zum einen Von den vielen Schriften, die auf ihn Bezug nehmen, sei hier nur
auf den Prrmat des Naturrechts gegenuber dem positiven Recht und eine angefiihrt: Das Recht der Fiirsten, die Religionslehrer auf ein jest-
zum anderen auf einen Grundsatz, den er als unter Staatsrechtlern stehendes Symbol zu verpjlichten von Joachim Koppen (Leipzig 1788).
weithin anerkannt_ unt:rstellt: daB aile Rechte uber die Handlungen Koppen kritisiert neben Hufeland auch Ernst Christian 1hpp, der in
von_ Menschen, die rucht aus dem Naturrecht folgen, ,einzig und seiner Schrift Ueber die Gewaltprotestantischer Regenten in Glaubenssachen
allem nur durch Ein~lligung des Handelnden oder durch Vertriige (Braunschweig 1788) zu ahnlichen Ergebnissen wie Hufeland gelangt
auf andere Menschen ubertragen werden" konnen. 106 Wegen des Pri- war. Aber die Kritik bringt wenig neue Gesichtspunkte ins Spiel.
mate~. des ~aturrechts sind dann positive Verordnungen, Gesetze wie Koppen unterscheidet zwischen Gewissens- und Lehrfreiheit und be-
Vertrag~, die unverauBerliche Rechte, d. h. solche Rechte beruhren, trachtet es als die alles entscheidende Frage, ob eine Obrigkeit das
derex: Ubertragung moralisch verboten ist, einerseits nichtig, ande- Recht hat, die Lehrfreiheit durch symbolische Bucher einzuschri:inken.
rerseits - und deswegen ist, wie Diez meint, jede geleistete Unterschrift Die Antwort, die er gibt, ist im wesentlichen folgende: Die Kirche,
unter die symbolischen Bucher Bestatigung einer Usurpation 107 - un- nicht der Regent, ftihrt Lehrvorschriften ein und andert sie gegebe-
gerechte Eingriffe in die Rechte der Menschheit. Als dritte wesentliche nenfalls (auf Hufelands vierte und implizit auch auf die erste Frage);
Pri:imisse nimmt er an, daB die Pflicht zur eigenen sittlichen Vervoll- der Regent pruft sie unter dem Gesichtspunkt der Vertraglichkeit mit
k_o~u~g ein_unerlaBliches Moralprinzip und nur durch eigene Ein- dem Wohl des Staates und wacht, wenn er sie denn unter diesem
Sicht ~ die frele Anerkennung der moralischen Gesetze moglich ist. Gesichtspunkt gebilligt hat, im Namen der Kirche uber ihre Einhaltung
Auf dieser Basis wird die erste Frage sowohl fUr Individuen als auch durch die Prediger und Theologen (auf Hufelands zweite Frage). Als
fii~ Gruppen, insbesondere religiose Vereinigungen (Kirchen), ver- ein Ausdruck eben dieser legitimen und gebotenen Praxis kann dann
nemend _beantwortet. Daraus folgt bereits die Verneinung der zweiten das preuBische Religionsedikt angesehen werden.
Frage, die Hufeland zudem mit historischen Grunden stutzt: Eine Die dritte Frage Hufelands, ob die Reichsgesetze die Protestanten
entsprechen~e Rechtsi.ibertragung hat faktisch nicht stattgefunden; an einer Anderung ihrer Lehrvorschriften hindern, wird von Koppen
und we~ Sie. stattgefunden hatte, ware sie nichtig. bejaht. Aber die Debatte urn diese Proble~atik soli hier ni~ht nach-
Auch d1e dntte Frage, nach den Reichsgesetzen, die unten anliifSiich gezeichnet werden; denn sie spielt in Diez' Uberlegungen keme Rolle.
der Sc~if~ Jac~b Friedrich Ronnbergs noch einmal zur Sprache kom- Sie wurde insbesondere im AnschluB an die Schrift Jacob Friedrich
~en _Wird, Wird negativ entschieden. Wichtiger mit Blick auf Diez
08
Ronnbergs Ueber Symbolische Bucher in Bezug aufs Staatsrecht (Rostock
1st die Antwort, die Hufeland auf Frage ( 4) gibt: Allein die Kirche 1789) geftihrt, der die Frage ebenfalls bejaht.
seiher hat das Recht, Lehrvorschriften einzufiihren verbindlich zu Ronnberg ist erwahnenswert aufgrund des Erfolges, den er unter
uberliefern und zu and ern; die Kirche aber ist, im Fall der Protestanten, den Verteidigern der symbolischen Orthodoxie ~it seine~ Schrift hatte.
jeweils die einzelne Gemeinde. Von ihr allein kann und von ihr mug Schon im Erscheinungsjahr 1789 publizierte er eme zwe1te, vermehrte
der Prediger in die Pflicht genommen werden, auch in die Pflicht Auflage und 1792 eine Fortsetzung. Irn lntelligenzblatt der ALZ Nr. 3
zur Lehre bestimmter Inhalte. vom 7. Januar 1792, Sp. 17 f. wird aus Aurich unter dem Datum vom
Mit Hufelands Schrift hat die Debatte denjenigen Stand erreicht, 17. September 1791 berichtet, daB das Geistliche. Departe~en~ in
Berlin dreillig Exemplare der Abhandlung an das doruge Ko~s1stonum
ubersandt habe mit dem Befehl, sie im Sprengel auszuteilen. (Der
105
Ebd. S. 44-76. Text des von Wollner am 14. April 1790 unterzeichneten Reskriptes
106
Ebd. S. 8. wird ebenfalls mitgeteilt.) Diese Publizitat erklart sich nicht aus der
107
Vgl. B 1 S. 112 Z. 3f, S. 114 Z. 3f Kraft der Argumente Ronnbergs, son~ern _daraus, d~ er _als ~rster
108
Vgl. unten S. 959f die Frage der symbolischen Bucher ganz rm L1cht der unubers1chtlichen

958 959
Begleittexte Die symbolischen Biicher der evangelisch-lutherischen Kirche

Reichsverfassung zu behandeln unternimmt, wobei er Verkurzungen c. Diez' Gedankengang und die Diskussion mit Si.illkind
. h ch 109
n~c t ~ e.ut, un~ ~aB er auf diesem unbeschrittenen Weg geradewegs
em fur d1~ _Yertei.diger d~r Symbolautoritat giinstiges Ergebnis an- I. Der Gedanlcengang von Diez, Schrzjt (B I) und Brief (A I). Diez'
st~ue~t. Freilich brmgt es die Beschrankung auf das positive Reichsrecht Leitfrage in Beziehung auf die symbolischen Bucher lautet: Darf ich
mit s1ch, daB der durch Hufeland vorgegebene und fur Diez ma£- unterschreiben? Daraus ergeben sich fur ihn unmittelbar zwei Fol-
gebliche Stand der Diskussion gar nicht erreicht werden lcann Aber gefragen: 1) Was besagt die Unterschrift (in der gewohnlichen Formel:
auch ~onnb~rgs !f~rleitung der Pflicht eines protestantischen Regen- ,His libris subscribo sincera mente manuque"u 4 )? - 2) Warum wird
ten, ,die Vesngkeit m den. einmal von der ganzen Kirche, nach Ueber- mir eine Unterschrift (dieses Inhalts) abverlangt? Und so teilt er
zeugung, angenommenen, Religionsgrundsatzen, zu sichern", 110 aus seinen Aufsatz in zwei Abschnitte: ,1) uber den lnhalt, 2) iiber die
dem positiven Staatsrecht hat die Kritiker nicht beeindrucken konnen. Griinde der Unterschrift". 115
Allerdings hewegten sich deren Entgegnungen meistens auf dem Beide Abschnitte sind wiederum zweigeteilt. Im ersten Abschnitt
von Ro~berg. vor?egebenen Niveau. Villaume deutete die symboli- wird zunachst nach der Hinsicht, dann nach dem Umfang der Un-
schen Buc~er ..m ser?er in PreuBen verbotenen Priifung der Riinnberg- terschrift gefragt. Die Frage nach der Hinsicht bewegt sich in der
schen Schrijt uber dze symbolirchen Bucher (Leipzig 1792) kurzerhand Alternative, ob die symbolischen Bi.icher als Glaubensbekenntnis oder
als ei~ Ergebnis von Priesterbetrug und Mittel zur Unterdri.ickung als Lehrnorm unterschrieben werden. Auffallig ist, besonders im Licht
des Kirchenvolkes. Auch der bekannte ,Ketzer Bahrdt"- Karl Friedrich der spiiteren, von Planck inspirierten Bemerkungen SuBkinds, 116 daB
Bahrdt aus Halle - steuerte eine Priifong der Ronnbergschen Ab- Diez nicht eigens zwischen positiver und negativer Lehrnorm unter-
handlu~g bei; • und Anton Friedrich Busching nahm die Gelegenheit
11 1
scheidet. Wtirden niimlich die symbolischen Biicher als positive Lehr-
wahr, dre hererts 1770 112 von ihm vorgetragene - historisch falsche norm unterschrieben, so ginge der Unterschreibende die Verpflichtung
- These noch einmal aufzugreifen. daB erst sechzig Jahre nach der ein, ihren ganzen Inhalt vorzutragen oder, realistischer, bei passender
Reformation, mit der Konkordienformel, der evangelischen Kirche Gelegenheit, etwa auf Fragen, nichts von dem jeweils einschlagigen
das ,loch" von Glaub ens- und Lehrnormen auferlegt worden sei ( Un- Inhalt der symbolischen Bucher zu verschweigen. Als negative Lehr-
tersuchung,. wenn und durch wen der.freyen evangelirch-!utherirchen Kirche norm unterschrieben, wi.irden die symbolischen Biicher hingegen nur
117
dze symbo!zschen Bucher zuerst aziferlegt worden?- die Zensur hatte den eine Grenze bilden, die in der Lehre nicht i.ibertreten werden darf
Ausdruck ,loch" im urspriinglich vorgesehenen Titel beanstandet), Dem Unterschreibenden bliebe es unbenommen. Teile ihres Inhaltes
welcher denn auch alshald widersprochen wurde 113 • - Bereits fur mit Bedacht zuriickzuhalten bzw. auf Nachfragen unbestimmt, d. h.
Diez waren diese Auseinandersetzungen bedeutungslos geworden. in einer Weise zu antworten, die zwischen der eigenen Uberzeugung
und der symbolischen Lehre neutral ware. Es sei .zunachst offeng.e-
lassen, ob Diez wenigstens der Sache nach ( etwa rm Unterabschnitt
109 Tlr
iiber den Umfang der Unterschrift) dieser Unterscheidung Rechnung
was er nur ,in einer zusammengezogenen Kiirze" vortragen konne und triigt. . .
diir~e, das moge, sagt er selber entschuldigend, ,nach seinem so reich- Im ersten Unterabschnitt versucht er zu zeigen, daB dre symbolischen
haltrgen Umfange, ein Piitter oder Selchow, ein Schnaubert oder PoJSelt,
Bucher sowohl als Glaubensbekenntnis wie auch als Lehrnorm un-
oder wer es sonst vermag", entwick.eln (vgl. Ronnberg, Ueber Symbolische
Bucher (cf. oben S. 959), S. 11). terschrieben werden. Man nehme zunachst an, sie giilten als Lehrnorm.
1 10
Ebd. S. llf.
1ll n_·a;,
rri{t ung der Ri/nnbergschen Schrifi: Ueber die symbolischen Biicher, inBeziehung 114
au:ft Staatsrecht, Halle 1791. Vgl. B l/3.
112 115
Vgl. oben S. 942. B l S. 107 Z. 2 f.
113 F dri 116
Vgl. unten S. 980f.
rie "ch 'fraugott Wettengel, Sind die symbolischen Biiche1· ein loch for die
.freye evangelisch-lutherische Kirche?, Greiz 1790. 11 7 Vgl. oben s. 939ff. die Position Johann Ernst Schuberts .

960 961
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

Dann kann man auf zwei naheliegende Weisen zeigen, da~ sie faktisch Zuvor freilich versucht er in Ubersicht zu hringen, welche Ant-
auch als Glauhenshekenntnis gelten. Erstens kann man sich darauf wortalternativen mit dem ,inwieweit" iiherhaupt verhunden sind. Als
herufen, da~ die Unterschriftsformel so verstanden werden muB, wie grundsatzliche Alternative findet er die folgende: Die Unterschrift
diejenigen sie verstehen, welche zur Unterschrift auffordern. Man gilt entweder dem Inhalt der symholischen Biicher oder nur dem
kann die Situation des Unterschreihens namlich als eine Frage-Antwort- Geist ihrer Verfasser. Im ersten Fall kann sie entweder dem ganzen
Situation auslegen, in welcher der Kandidat mit seiner Unterschrift Inhalt oder dem Wesentlichen des Inhalts gelten, und im zweiten
die ihm gestellte Frage hejaht: ,Willst du ... lehren?' hzw. alternativ: Fall dieser neuen, untergeordneten Alternative hat man die Wahl,
,Glauhst du ... ?' (Den durch Punkte angedeuteten Leerstellen gilt die dieses oder jenes zum Wesentlichen zu rechnen und die Grenze des
F:age .nach dem Umfang der Unterschrift.) In einer Frage-Antwort- Wesentlichen enger oder weiter zu ziehen. Nun fragt Diez nach der
S.ItuatJ.on ~her hat sich die Antwort nach dem Sinn der Frage zu Deutung der Unterschriftsformel durch diejenigen, die sie ,uns", also
nchten. Wrrd demgema~ die Unterschriftsformel im Sinne der Kir- den wiirttembergischen Pfarramtskandidaten, vorlegen. Da~ es aus-
chenleitung gedeutet, so ergiht sich, da~ mit der Unterschrift unter schlie~lich urn diejenige Deutung der Unterschrift geht, die sie durch
eine Lehrnorm zugleich der Glauhe hekannt wird. Denn die Kir- das wiirttemhergische Konsistorium erhalt, wird durch das Folgende
chenleitung will keine Lehrer, die nicht glauhen, was sie lehren. Zwei- sogleich hestatigt. Denn Diez hetrachtet es (a) als ausgemacht, d~
tens kann man sich auch einfach darauf herufen, da~ es unrecht ist, die Unterschrift von der sie fordernden Stelle weder nur auf den
zu lehren, was man nicht glauht. Man sieht, da~ in heiden Uberlegungen Geist (der Verfasser) der symholischen Biicher noch, was das andere
von den symholischen Biichern als einer positiven Lehrnorm ausge- Extrem ware, auf ihren ganzen Inhalt, wohl aber auf das Wesentliche
gangen wird; denn hei angenommener negativer Lehrverpflichtung des Inhalts bezogen wird, und halt (b) fUr hinlanglich hekannt, was
ware Diez' Argumentation nicht zwingend. von ihr zum Wesentlichen gerechnet wird. Gegeben die ganz un-
Der Nachweis in der Gegenrichtung ist von geringerem Interesse. terschiedliche Unterschriftspra:xis in den verschiedenen protestanti-
Denn man geht dahei von der vergleichsweise starken Annahme aus, schen Staat en, gegehen etwa auch, d~ der Berliner Oberkonsistorialrat
da~ die symholischen Biicher als Glauhenshekenntnis unterschrieben Biisching allenfalls eine Verpflichtung auf den Geist der Verfasser
werden, und schlie~t auf den vergleichsweise schwachen Satz, daB der Augsburgischen Konfession ford ern wiirde, 118 ist Diez' Sicherheit
sie als Lehrnorm gelten. Es versteht sich aher von selhst, daB der in der Bestimmung der Deutung der Unterschrift nur verstandlich,
christliche Religionslehrer das und nur das als christliche Lehre vor- wenn man voraussetzt, d~ er nach der Deutung durch das wiirttem-
tragen soli, was er mit seiner Unterschrift als seinen Glauhen hekannt hergische Konsistorium fragt. Dieser sozusagen lokale ?~ar~ter d~s
hat. Argumentes aus der Deutung der Unterschrift durch dieJerugen, d~e
Diez ist darauf hedacht, das Resultat des Aufsatzes mi:iglichst aus sie fordern, erklart auch, warum es in der i:iffentlichen Dehatte, d1e
alternativen Voraussetzungen herzuleiten und dahei gewissermaBen vor dem ganzen protestantischen Deutschlan~ geftihrt _wurde, keine
erschi:ipfend ad hominem zu argumentieren. Diejenigen, welche die Rolle gespielt hat. Diez' Originalitat ist bier erne FunktJ.on eben des
Unterschrift unter die symholischen Biicher als Lehrverpflichtung be- lokalen, fast privaten Charakters seiner Erwagungen. . ..
trachten, miissen sich sagen lassen, daB sie dann auch Glauhensbe- Diez zieht aus seiner Argumentation den SchluK ,Und som1t wuBte
kenntnis ist. Denen, die sie als Glauhenshekenntnis verstehen, wird nun jeder [man erganze: Wtirttemberger), was sein~ Unterschrift ~ag~n
gezeigt, d~ sie dann auch Lehrverpflichtung ist. Diese Strategie tritt solle" 11 9 _ solle: gema~ der Deutung ( und de.m Willen) derer, ~1e s1e
im zweiten Unterahschnitt noch deutlicher hervor. Zu klaren ist dort fordern. Nunmehr wird die ohen schon angefuhrte Falluntersche1dung
die Frage, inwieweit die symholischen Biicher unterschriehen werden. hedeutsam. Wer dieser Deutungsregel folgt, d. h. wer mit seiner Un-
Wer nun der Regel folgt, daB die Unterschrift in dem Sinn zu verstehen
ist, den diejenigen ihr gehen, die sie verlangen, erhalt eine andere
118
Antwort als derjenige, der dieser Regel nicht folgt. Diez heriicksichtigt Vgl. oben 8.942-944.
119
daher eigens heide Mi:iglichkeiten. B 18.108 Z.18f.

962 963
Begleittexte Die symbolischen Biicher der evangelisch-lutherischen K.irche

terschrift sagt, was er sagen sol~ der erkliirt: ,,ch glauhe unci will kann, weil er mit den Konsistorialriiten im wesentlichen dogmatisch
lehren, was, soyjel rnir hekannt ist, nach der Meinung der Konsisto- iibereinstimmt, als fur denjenigen, der nur auf den Geist der Refor-
rialriite der wesentliche Inhalt dieser Bucher ist". 120 Wer hingegen matoren unterschreiht, weil er nicht mit den Konsistorialriiten i.iher-
die Deutungsregel verwirft und seiner Unterschrift eine eigene, private einstimmt. Die alte Fallunterscheidung client so zur Organisation auch
Deutung giht, der antwortet, indem er unterschreiht, nicht auf die des neuen Ahschnittes: Zuniichst werden in einem Unterahschnitt A.
Frage des Konsistoriums: ,Glauhst du (und willst lehren), was wir die allgemeinen Grunde betrachtet, die in heiden Fiillen zu heruck-
als den wesentlichen Inhalt dieser Bucher hetrachten?', sondern er sichtigen sind. Darauf werden in einem zweiten Unterahschnitt B.
wird, gemiiE seiner privaten Deutung, etwa nur auf den Geist der beide Fiille, gemiiE ihren Besonderheiten, getrennt hehandelt, zuniichst
Verfasser der symholischen Bucher, also den Geist der Reformatoren, a) sehr kurz der Fall desjenigen, welcher mit den Konsistorialriiten
unterschreihen und damit nur die (gar nicht von ihm geforderte) i.ibereinstimmt, dann h) etwas ausftihrlicher der andere.
Erkliirung abgehen, daE er , die Religion Christi ft.ir gottliche Religion" Auch der Unterahschnitt: .,A. Allgemeine Gri.inde" 122 ist zweigeteilt.
halt, und, so fugt Diez hinzu, ,wenn man den Geist jener Miinner Denn die Antwort, die ,man", d. h. das wi.irttemhergische Konsistorium,
sehr verfeinert, auch diese [Erkliirung) nicht". 121 Denn wer will, kann dem Kandidaten giht, der nach den Grunden der Unterschrift fragt,
die Verfeinerung des reformatorischen (wie jedes anderen) ,Geistes" besteht aus zwei verschiedenartigen Teilen: sie hegrundet, ihrem An-
fast heliehig weit treihen, so daE im gegehenen Fall etwa nur der spruch nach, a) die Notwendigkeit unci h) die RechtmiiEigkeit der
Geist des aufkliirerischen Widerspruches gegen fixierte religiose Dog- Unterschriftspraxis. Zur Begri.indung der Notwendigkeit ftihrt Diez
men und Riten als Bezugspunkt der Unterschrift ubrighliehe. our die lapidare Auskunft an: , Ohne einen allgemeinen Lehrtypus
Mit diesem Ergehnis ist der zweite Fall der getroffenen Unter- wi.irden die traurigsten Folgen entstehen", 123 Verwirrung niimlich (wie
scheidung, derjenige, in dem die Diezsche Deutungsregel nicht gilt, der Fortgang lehrt), die angehlich zu Unfrieden ftihrt. Auch bier zeigt
eigentlich ad absurdum gefuhrt. Denn in diesem Fall liiEt sich die sich wieder der lokale Charakter der Diezschen Argumentation, die
zweifellos ahsurde Situation nicht als unmoglich ausschlieEen, da~ von den moglichen Grunden fur die Notwendigkeit der symholischen
ein wiirttemhergischer Pfarramtskandidat mit seiner Unterschrift unter Biicher nur denjenigen heri.icksichtigt, den das wurttembergische Kon-
die symholischen Bucher, statt dem fragenden Konsistorium irgendeine sistorium, im Generalreskript von 1780, 124 wirklich vorgebracht hat.
Antwort zu gehen, yjelmehr ungefragt erkliirt, er wolle sich, im Geiste (Es wiire sonst aus der Literatur auch die Funktion der symholischen
der Reformation oder der Aufkliirung, die Kritik unhewiesener reli- Bi.icher fi.ir den Bestand des Westfalischen Friedens - nach Schubert,
gioser Dogmen angelegen sein lassen. Gewill wares auch Diez' Ahsicht, Goeze und Ronnherg - und fur die Glaubensreinheit und den Schutz
die Absurditiit, die aus der Ablehnung seiner Deutungsregel folgt, der Einfa]tigen vor Verftihrung - nach Tollner bzw. Schubert -: an-
sichtbar zu machen. Aber er liiEt gemiiE seiner Strategie des Argu- zufuhren gewesen.) Diez entspricht dem Wortlaut des Generalresknptes
auch darin, daE er im Fortgang die. behaupteten , traungsten
. . Folgen" t 25
mentierens aus alternativen Voraussetzungen den ahsurden Fall weiter
gelten. (des Wegfalls eines einheitlichen Lehrtypus) eigen~ sowohl fur die
Dies zeigt sich sogleich zu Beginn des zweiten Ahschnittes, in dem Kirche als auch ftir den Staat thematisiert. DaE Verw1rrung unter den
die Grunde untersucht werden, die das Konsistorium fur die Unter- Kirchenrnitgliedern entstehen konnte, bestreitet e~. ~cht, v:ohl.. aber,
schriftspraxis geltend macht. Wer sich fragt, oh er die symholischen daE die religiose Verwirrung dem Staatswesen a~traghch se.m konn.te.
Bucher unterschreiben kann und darf, wird diese Grunde in Erwiigung Denn der Staat sichert seinen Bestand und den 1nneren Fneden hin-
ziehen mussen. Die Erwiigung wird fur denjenigen teilweise einen
anderen Gang nehmen, welcher der Diezschen Deutungsregel folgen
122
B 1 S. 109 Z. 8 - S. 112 Z. 6.
123
B 1 S. 109 Z. 12f.
120 124
B 1 S. 108 Z. 21-23. Vgl. oben S. 947.
12 1 125
Bl 8.108 Z.25-27. B 1 S. 109 Z. 13.

964 965
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

langlich durch weltliche Gesetze. Fur die Kirche konnte die religiose das Konsistorium, einen allgemeinen Lehrtypus zu bestimmen oder
Verwirrung insofern negative Folgen haben, als sie in ihrem au~eren, auch nur zu erhalten, nie stattgefunden, und sie hatte nie rechtmi!fli-
weltlichen Bestand durch Mitgliederschwund und Sektenbildung ge- gerweise stattfmden konnen. Fiir die behauptete Rechtsiibertragung
schwacht wi.irde. Der Staat wi.irde aber den Frieden zwischen den kommt am ehesten die Reformationszeit in Frage. Zur Klarung der
Sekten garantieren; und der Kirche wi.irde der Verlust von Mitgliedern Tatsachenfrage verweist Diez daher auf die Geschichte der Reformation
durch den festeren Glauben der verbleibenden Mitglieder ersetzt, und der Konkordie: Nicht die Gemeinden und ihre Glieder, sondern
ebenso ware auch von den Mitgliedern neu entstehender Religions- Furs ten und Rate haben die Initiative zur Einfuhrung der symbolischen
gemeinschaften ein festerer und tatigerer Glaube zu erwarten als von Bucher ergriffen und die Unterschriftspraxis, teilweise gewaltsam,
der gro~en Zahl der Angehorigen einer geschi.itzten Staatskirche, so durchgesetzt. Doch selbst angenommen, so fugt Diez hinzu, die Ge-
da~ ,praktische Religion" insgesamt gewinnen konnte. 126 Diez sti.itzt meinden hatten die Einftihrung der symbolischen Bi.ic~_er verlangt,
seine Behauptung, indem er aufHeilbronn und Baden als zwei deutsche so ware das in der reformatorischen Situation nicht die Ubertragung
Beispiele fur einen gelungenen religiosen Pluralismus bzw. fur das des Rechtes auf das jeweilige Konsistorium gewesen, die symbolischen
unbeklagte Entfallen der Verpflichtung auf einen einheitlichen Lehr- Lehren als allgemeinen Lehrtypus durchzusetzen und aufrechtzuer-
typus, insbesondere aber aufNordamerika als das Beispiel eines Staates halten. Denn die Kirche Jesu Christi hat sich in der Reformation
verweist, der bei gro~ter religioser Freiheit sicher besteht. Er schlieBt nicht urspriinglich oder vollig neu konstituiert, sondern sich nur,
die Argumentation des Unterabschnittes mit einer Bemerkung ab, die Luther folgend, von hergebrachten Irrtiirnern losgesagt und gereinigt;
schon oben anlamich Brastbergers angeftihrt wurde: Gesetzt auch, die Zustimmung zu symbolischen Bi.ichern ware unter diesen Bedin-
die ,christliche Religion ginge nach Aufhebung der symbolischen gungen our Lossagung von derartigen Irrti.imern und Riickkehr zu
Bi.icher nach und nach verloren", so ware dies nur ein Beweis ft.ir der urspri.inglichen christlichen Lehre gewesen. Die Frage, wann die
ihren nichtgottlichen Charakter. 127 behauptete Rechtsi.ibertragung stattgefunden hat, bleibt somit unbe-
Die Begri.indung, die fur die Rechtma~igkeit der Unterschriftspraxis antwortet. In der Rechtsfrage argumentiert Diez in der Tradition Li.idkes
angeftihrt wird, lautet: ,den angenommenen [Lehrtypus], der in jenen und Bi.ischings, die auf die Pflicht zur Vertiefung und Erweiterung
Bi.ichern enthalten ist, zu erhalten und dazu jenes Mittel [der Un- der religosen Einsicht bzw. auf die grundsatzliche Verbesserungsb~­
terschrift] zu gebrauchen, berechtigt [die Konsistorialrate] der von di.irftigkeit jedes eingefuhrten Lehrtypus hingewiese? hatte?, soWie
der ganzen [Kirchen-]Gesellschaft ihnen gegebene Auftrag". 128 Auch im Anschlu~ an Hufeland, der unter Berufung auf d1ese Pflicht und
hier fillt wieder auf, da~ Diez die Rechtsfrage aus der Sicht des den Primat des Naturrechtes die Frage, ob ,Menschen von andern
zur Unterschrift gebetenen Kandidaten angeht. Er fragt nicht allge- Menschen das Recht erhalten [konnen], diesen vorzuschreiben, was
mein nach den Bedingungen der Rechtma~igkeit eines Religionseides, sie sich in Ri.icksicht auf Religion und Moral soli en vortragen lassen",
sondern ausgehend von der Frage-Antwort-Situation, in die das Kon- verneint hatte.129 So kommt Diez bereits am Ende des ersten Unter-
sistorium den Pfarramtskandidaten faktisch versetzt, fragt er, was abschnittes, noch bevor er die jeweils besondere Lage in den heiden
das Konsistorium zu diesem Verfahren berechtigt, und la~t es auf unterschiedenen Fiillen untersucht hat, zu dem Ergebnis: Die ,an uns
eben diese Frage die zitierte Antwort geben. Ihrer Priifung ist der ergehende Auffoderung zur Unterschrift [ist] Folge einer irri?erweise
zweite Unterabschnitt gewidmet. das Wohl der Gesellschaft sich zum Ziel setzenden Usurpauon, und
130
Diez n~mt das Ergebnis dieser Priifung sogleich vorweg: Tatsiichlich jede geleistete Unterschrift Bestatigung derselben". Das die Unter-
hat eine Ubertragung des Rechtes, von der .Kirchengesellschaft auf schrift fordernde Konsistorium bezweckt das Wohl der Gesellschaft
insofern, als es in der Unterschriftspraxis ein notwendiges Mittel zur

126 Vgl. B 1 S. 109 Z. 30 - S. 110 Z. 3.


127 Vgl. B 1 S. 110 Z. 13-15 und oben S. 949. 129 Vgl. oben S. 958.
128 B 1 S. 109 Z. 13-16. 130
B 18.112 Z.1-4.

966 967
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutheri chen Kirche

Vermeidung von Unfrieden sieht; es irrt insofern, als die Unterschrifts- fragt Diez, ,wohl noch hei uns, die Fesseln ehen~.o ahzulegen, als
praxis kein notwendiges Mittel zu diesem Zweck ist; es ist Usurpator, wir sie freiwillig i.ihernommen hahen?" 134 Wer ohne Ubereinstimmung
weil es das Recht, einen allgemeinen Lehrtypus durchzusetzen, gar mit den Konsistorialraten die geforderte Unterschrift leistet, IaBt sich
nicht hesitzt, sondern sich nur anmaEt; und jede geleistete Unterschrift Fesseln anlegen, die ihn hindern, frei und unheschwert gemaB der
hestatigt diese Usurpation ,durch Anerkennung der pratendierten eigenen Einsicbt zu lehren. Niemand wird gezwungen, sich diese
Rechte oder durch Unterwerfung gegen die Cewalt, die sie soute- Fesseln anlegen zu lassen. Wer es freiwillig tut, opfert auEere Vorteile
niert".1 31 - seine auBere Freiheit und Unheschwertheit im Sprechen uher Re-
Im Unterahschnitt ,B. Besondere Criinde" 132 (ftir hzw. wider die ligion (um von der Prohlematik der Wahrbaftigkeit und Aufrichtigkeit
Leistung der Unterschrift) wird zunachst der Fall desjenigen kurz seiher ganz ahzusehen, die aher in der ,Strauhung unsers Cewissens"
135
angesprochen, der mit den Konsistorialraten dogmatisch i.iherein- offenhar wird, sohald , wir uns [der Unterschrift] unterziehen").
stimmt, dann der Fall desjenigen, der nicht mit ihnen iihereinstimmt. Nun scheint Diez folgendes sagen zu wollen: Bei der Unterschrifts-
Betrachtet jener erstgenannte seine Ubereinstimmung als notwendig leistung ist der Kandidat noch in einer vergleichsweise gunstigen
ftir die Unterschrift (weil er der Diezschen Deutungsregel folgt) und Lage. Er ist, so laEt sich das hegrunden, noch jung genug, urn ge-
fur seine ki.inftige Amtsftihrung, so gri.indet er, da seine Uberzeugungen gehenenfalls - wie spater Diez seiher - eine ganz andere Laufbahn
sich andern konnen, sein ,au Beres Cli.ick", 133 seine herufliche Laufbahn einzuschlagen; er muB nocb keine Familie erniihren (sondern wird
namlich und, wenn er nicht vermogend ist, seine eigene Versorgung oft selbst noch von der elterlicben Familie mitversorgt). Vor allem
wie auch gegehenenfalls die Versorgung seiner Familie auf einen unterschreiht er, wenn er es tut, in der Hoffnung, der hartesten Al-
schwankenden Boden. Betrachtet er seine faktische Ubereinstimmung ternative - zwischen der Verletzung der Wahrhaftigkeit und der Preis-
mit den Konsistorialraten als nicht notwendig, so hater die Moglichkeit gabe des auEeren Clucks - in seinem kunftigen Amt ausweicben zu
einer Amtsftihrung ohne Ubereinstimmung, also den zweitgenannten konnen. Er nimmt nur eine Beschrankung seiner Redefreibeit und
Fall, in Erwagung zu ziehen. Beschwerlichkeiten bei der standigen Bemi.ibung in Kauf, diese Be-
In diesem zweiten Fall muB die strenge, Diezsche Deutungsregel schrankung mit den Forderungen der Wahrbaftigkeit und Aufricbtig-
der Unterschrift verworfen werden. Angesichts der zuvor angeftihrten keit zu vereinbaren. Aber selbst dieses vergleicbsweise geringe Opfer
ahsurden Folgen einer solchen Verwerfung fragt Diez zunachst, ob fcillt ihm schwer. Wenn nun, in einem dem Neuanfang nicht mehr
jemand, der die Unterschrift hei wissentlicher Nichtiihereinstimmung gunstigen Lebensabschnitt, jene harteste Alternative de_nnoch eintritt,
mit den Konsistorialraten giht, nicht die Cesetze der Wahrhaftigkeit wird es ihm bzw., so fragt Diez, wird es uns ,dann le1chter werden,
136
oder wenigstens der Aufrichtigkeit verletzt, heharrt aher nicht auf dem zu folgen, der uns itzt schon sagt: Wer nicht basset pp.?" Diez
diesem Punkt, sondern wendet sich den Schwierigkeiten der Arnts- zitiert bier ein Wort Jesu: ,So jemand zu mir kommt, und basset
ftihrung zu, mit denen im angenommenen Fall zu rechnen ist. Die nicht seinen vater, mutter, weib, kinder, hruder, schwestern, auch
grundlegende Schwierigkeit wird es sein, nie eine Situation entstehen darzu sein eigen !eben, der kan nicbt mein ji.inge~ seyn. yn_~ wer
zu lassen, in welcher zwischen Verletzung der Wahrhaftigkeit und nicht sein creuz tragt, und mir nachfolget, der kan rucbt mem JUnger
Preisgahe des eigenen Schicksals - des auEeren Clucks - an die seyn." 137 Wer in seiner Amtsfuhrung vor die bartes~e ~ternative gestellt
wird, so scheint Diez bier vorauszusetzen, der wrrd m den seltensten
Konsistorialrate zu wahlen ist. Das anhaltende Bemiihen, diese Alter-
Fallen ,Weih, Kinder [... ], aucb dazu sein eigen Leben" hassen und,
native zu meiden, wird gewiB heschwerlich, aber ungewiB im Erfolg
sein. Falls also doch der zu vermeidende Fall eintritt, steht es dann,
134 B 1 S. 113 Z. 25-27.
131 B 1 S. 112 Z. 4-6. 135 B 1 S. 113 Z. 29f.
132 B 1 S. 112 Z. 8 - S. 113 Z. 32. 136 B 1 S. 113 Z. 3lf.
133 B1 S.112 Z.17. 137 Lk 14,26f.

969
968
Begleittexte Die syrnbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

festhaltend an dem, was er fur religiose Wahrheit erkannt hat, die hatte geschehen sollen. 142 Dies alles scheint darauf hinzudeuten, da~
einst freiwillig aufgenommenen Fesseln abwerfen, urn sein Kreuz Gros nicht etwa die (von Diez berucksichtigte) Position des wiirt-
zu tragen und Jesu - bzw. der religiosen Wahrheit - nachzufolgen. tembergischen Generalreskripts zur Geltung zu bringen versuchte,
Diez, der die Moglichkeit einer solchen Situation fur sich seiher vor ein allgemeiner Lehrtypus sei zur Erhaltung der Rube und des Friedens
Augen haben mu~te, kann anders als Ludke 138 im Anraten standhaf- in Staat und Kirche notwendig, sondern da~ er wie einst Johann
ten Martyrertums keine befriedigende Losung der Problematik er- Ernst Schubert, der dies als gesonderten Grund fur die Unverzicht-
143
blicken. Und so erganzt er das schon in Unterabschnitt A erreichte barkeit der symbolischen Bucher angefuhrt hatte, die ,Verftihrung
Ergebnis, dem zufolge die Unterschrift unter die symbolischen Bu- der Einfaltigen", zu allerlei Formen des Aberglaubens nam~ich, _im
cher Bestatigung einer schadlichen Usurpation ist, durch den Hinweis Auge hatte. Wenn Gros' Hinweis darauf ging, so mu~te D_Iez ~1ch
auf die Gefahr fUr die eigene Gluckseligkeit wie auch Sittlichkeit, in nun von seiner auf das Verhiiltnis des Kandidaten zum Kons1stonum
die sich der Unterschreibende begibt: Seine Unterschrift ist die ,Be- beschrankten Untersuchung zu sehr viel allgemeineren - wie sich
statigung einer schadlichen Usurpation, die, je nachdem die Ver- erweisen wird: in letzter Perspektive politischen- Erwagungen gezogen
mogensumstiinde des Unterschreibenden sind, sein auBeres Gluck fUhlen. Die Frage des Konsistoriums: ,Wie lassen sich Rube und Friede~
mehr oder weniger aufs Spiel setzt, die, wenn sie itzt nicht mit Un- in Staat und Kirche erhalten?' wird in seiner Antwort denn auch IDit
recht verbunden ist [weil der Unterschreibende entgegen allem, was der durchaus aufkliirerisch zu verstehenden Frage kontaminiert, die
man meinen sollte, berechtigt ist, der strengen Diezschen Deutungs- Gros wohl gestellt hatte: ,Wie kann man bei angenommener Lehrfreih.~it
regel nicht zu folgen], ihn doch der Gefahr aussetzt, seine inn ere leitungsbedurftige und gutglaubige Menschen vor Sch~latane~ schu~­
Ruhe zu verlieren, wenn sie diesen Verlust nicht notwendig mit sich zen?', eine Frage, an die sich ja leicht eine a~dere kn~pfen la~t, d1e
ftihrt". 139 zu der Frage des Konsistoriums uberleitet: ,W1e kann ~Ie Gesells~aft
Gegen Diez' Ausftihrungen scheint Gros zwei Einwande erhoben vor den Zumutungen religioser Fanatiker und Seku~:er ges~?utzt
zu haben, auf welche dann wiederum Diez in seinem Brief (A 1) werden?' Eine Moglichkeit, beiderlei Schutz zu gewiihren, konnte
antwortet. Aus der Antwort ist zu entnehmen, d~ der erste Einwand darin bestehen, einen allgemeinen Lehrtypus vi::illig ~nderen Inhalts
den sogenannten ,glaubenden Haufen" betraf, auf den Diez in seinem einzuftihren, als der in den symbolischen Buchern fakusch festgesetzte
Aufsatz zu wenig Rucksicht genommen babe und fur den traurige es ist _ einen Lehrtypus, durch den etwa Formen de~. Ah_erglaubens
Folgen aus der Ungebundenheit der Lehrer beftirchtet werden konn- (darunter womoglich auch orthodoxe Dogmen) ausdru~~ch verw~r­
ten.140 Unter dem glaubenden Haufen verstehen Diez und Gros offenbar fen und Prinzipien der Aufklarung in Kraft gesetz_t w~rden. D1es
die Gesamtheit derjenigen Glieder der K.irche, ,die durch Autoritaten schlie~t Diez jedoch ( aus Grunden, die im F~rtgang ers~chtl1ch werden)
geleitet werden mussen", 141 vermutlich weil ihnen die notwendigen als giinzlich unannehmbar fur sich aus. -~r konne, schre1bt er: ,durchaus
Fahigkeiten und Kenntnisse fehlen, urn ohne Anleitung uber Fragen die Verpflichtung auf symbolische Bucher, auch wenn s1e zehnmal
144
der Religion urteilen zu konnen. Nun hat Diez in seinem Aufsatz besser sind als die unserigen, nicht zugeben". Dem entspricht, d~
durchaus auf die moglichen Folgen der Lehrfreiheit fur den Frieden er in seinem Aufsatz nirgends aus dem besonderen Inhal~ der ~~-
in Kirche und Staat Rucksicht genommen. Dennoch erkennt er Gros' b olISC . h B .. h r argumentiert hat. Sein eigener Vorschlag 1st freilich,
en uc e d. Ob ·gk ·
Kritik insofern an, als er einraumt, d~ ,wenigstens mehr ausdruckliche w1e er selb er s1e
· · ht, ru·cht unproblematisch: Zwar hat , 1e . n. e1t .
· R h Symbole zu binden", wohl aber soll s1e fur die
Erwahnung" der leitungsbedurftigen Christen (und ihrer Bedurfnisse) [. . .] kem ec t, an d · d.
Einstellung der Religionslehrer zustandig bleiben un m 1eser u-
z
138 Vgl. oben S. 939.
139 B1 S. 114 Z. 3-10. 142 Vgl. A 1 S. 7 Z. 11 f.
140 A1 S. 7 Z. 9-14. 143 Vgl. oben S. 940.
141 A1 S. 8 Z. 3. 144
A 1 S. 8 Z. 25-27.

971
970
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

standigkeit fUr ,geschickte" Lehrer sorgen, womit den genannten Ge- also, sondern vielmehr bei den Personen, ,die die Obrigkeit vorstel-
fahren wirksam vorgebeugt werden konnte. 145 Urn die Ermessens- len", 152 sind die Ursachen fur die faktische Unverzichtbarkeit eines
spielraume der Obrigkeit zu begrenzen, konnte ein ,MaEstab der allgemeinen Lehrtypus zu suchen. Nicht die Bediirfnisse des glau-
Geschicklichkeit" vorgeschrieben werden, 146 in dem prazise die wis- benden Haufens an sich, sondern besondere Umstande machen ihn
senschaftliche und didaktische Qualifikation (die ,zur eigenen Un- notwendig. Also wird man schlieEen diirfen, daE diese besonderen
tersuchung notigen Kenntnisse" und die ~ur Mitteilung der gemachten Umstande auf der Seite der Funktionstrager der Obrigkeit zu suchen
Entdeckungen notige [...] Lehrweisheit") der Religionslehrer festge- sind. Diez wagt (gegeniiber Gros, dem Erzieher der wiirttembergischen
147
legt wiirde. Aber Diez sieht die Gefahr, daE die Funktionstrager Prinzen 153) dariiber nur im Modus einer rhetorischen Frage zu spre-
der Obrigkeit mit einem solchen MaEstab ~ach Belieben spielen" 148 chen, und er braucht (gegeniiber dem einverstandenen Promotions-
und ~ Beziehung auf ihn - nicht minder als unter den Bedingungen genossen), zumal nach dem Vorausgegangenen, auch gar nicht deut-
der Bmdung an Symbole in Beziehung auf diese - zu Usurpatoren licher zu werden: ,Und wo sind dann nun die Umstande, die es notig
werden konnten. ,Wollen sie dies nicht sein", sagt Diez, ,so konnen zu machen scheinen, jene Fesseln anzulegen, die nicht den Bosen
sie Freiheit des Glaubens allgemein verstatten, ohne daE einzele Glie- [der bedenkenlos vortragt, wovon er nicht iiberzeugt ist], gerade die
der, die durch Autoritaten geleitet werden miissen, dabei Schaden Bessern driicken?" 154 Es versteht sich, wo diese Umstiinde sind. Diez
nehmen und Schaden bringen wiirden". 149 Die angeft.ihrten Gefahren jedenfalls sieht das Ubel, das zuletzt einer gefahrlosen Gewiihrung
des Schaden-Nehmens und Schaden-Bringens lassen sich bannen, der Religionsfreiheit im Wege steht, darin, daE die Funktionstrager
sofern die Funktionstrager der Obrigkeit keine Usurpatoren sind. Doch der Obrigkeit zur Usurpation neigen und daE ihrer Neigung, gegeben
hier sieht Diez, daE er sich ,ein wenig in eine Feenwelt verirr[t] und die politischen Verhiiltnisse der Zeit, nicht wirksam begegnet ~erden
daE das Andenken an die Personen, die urn uns sind", ihn zuriickft.ihren kann. Ihr ungehinderter Hang zur Usurpation, bezogen auf die An-
miisse in die Wirklichkeit. 150 stellung der Religionslehrer bei angenommener Religionsfr~ihei~ ~ag
Es ist wichtig, dieses Zitat richtig, aus seinem iiber mehrere Satze manchen (etwa Gros?) den allgemeinen.. Lehrtypus und die mit Ihm
hinweg durchgehaltenen Bezug auf die Problematik der Usurpation, verbundene Usurpation als das kleinere Ubel vorziehen lassen. ,Wenn
zu verstehen. Sein unmittelbar vorausgehender Kontext, der hier iiber- man hier Ursachen und Folgen weiter verfolgt", sagt Diez, und wenn
gangen wurde, konnte namlich nahelegen, Diez beklage, iihnlich wie man dabei feststellt - so ware zu ergiinzen -, daE eine Usurpation
SiiEkind in C 5 S. 207 Z. 26ff., die Unaufgekliirtheit des gemeinen der anderen einen Schein der Rechtfertigung verschafft, ,wahrlich
Mannes als einen Hinderungsgrund der Religionsfreiheit. Diez sagt man muE fast Determinist werden, wenn die Galle nicht iiberlaufen
aber nicht, das Andenken des ,glaubenden Haufens", sondern er solle". 155 Er seiher erkennt den Schein der Rechtfertigung keineswegs
sagt, das Andenken ,an die Personen [!], die urn uns [!] sind", fiihre an und mag, selbst in der gegebenen politischen Lage, nicht f~r das
ihn in die Wirklichkeit zuriick; und er fahrt sogar, deutlich genug, vermeintlich kleinere Ubel optieren: ,Und doch nach allem diesem,
mit dem Satz fort: ,Aber doch folgt [... ] aus dem Gesagten, daE die wenn ich ganz die Welt nehme, wie sie ist, kann ich doc? durchaus
Bediirfnisse des glaubenden Haufens an sich einen allgemeinen Lehr- die Verpflichtung auf symbolische Biicher, auch wenn Sie zehnmal
. .ch b "156
typus nicht notwendig machen". 151 Nicht beim glaubenden Haufen besser sind als die unsengen, ru t zuge en.
Dies bringt ihn nun zu Gros' zweiter Erinnerung. lst das vermeintlich
145
Vgl. A 1 S. 7 Z.17ff.
146
Vgl. A 1 S. 7 Z. 23.
147 152
Vgl. A 1 S. 8 Z. 6-8. A1 8.7 Z.27.
148
A 1 S. 7 Z.26. 153 Vgl. A l/2.
149 154
A 1 S. 8 Z. 1-4. A 1 S. 8 Z. 19-21.
150 155
Vgl. A 1 S. 8 Z.13-15. A 1 S. 8 Z. 21-23.
151 156
Vgl. A 1 S. 8 Z. 15-18. A 1 S. 8 Z. 24-27.

97.2 973
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

kleinere Ubel, d. h. die Verpflichtung auf symbolische Bucher, wirklich er von der staatsrechtlich-politischen Argumentationsebene, die in
ein Fall von Usurpation? Diez hat das in seinem Aufsatz zu zeigen dem Brief an Gros vorherrscht, wieder zu der privaten Fragesteilung
versuc~.t, unter anderem, indem er ausfiihrte, d<ill eine entsprechende zuruck, die den Aufsatz pragt. Es scheint, daB Diez einen kleinen
Rechtsubertragung von den Gemeinden auf das Konsistorium faktisch Nachtrag zum Aufsatz vornehmen mochte, weil die "auch sonst be-
nicht stattgefunden hat. Gros scheint Diez daran erinnert zu haben kannte" Bemerkung ihm, zu seinem nachtriiglichen Bedauern, bei der
dag die Verteidiger der Symbolbindung diesem Mangel durch di~ Niederschrift des Aufsatzes nicht priisent gewesen ist. Durch Eberhard
Annahme einer stillschweigenden Einwilligung der Gemeinden abzu- erinnert, ergiinzt er nun die Ausftihrungen des Aufsatzes uber die
helfen versuchen. Diez mugte diese Konstruktion aus der Literatur beschwerliche Situation des heterodoxen Pfarrers.
vertraut sein. Hufeland etwa setzt sich mit ihr kritisch auseinander- 157 Eberhard hatte folgendes Beispiel gewiihlt: Die gottliche Eingebung
und auf Hufelands Position, auf die rechtliche Bewertung der Ub~r­ der hebriiischen Vokalzeichen im Alten Testament gehort zu den Glau-
tragung namlich, zieht sich Diez nun in der Tat zuruck: Wie immer bensartikeln der reformierten Kirchen in der Schweiz. Nun ist es ein
e_s sich mit dem Faktum der Rechtsubertragung verhalten mag, ob Forschungsergebnis der historischen Kritik, daB die Vokalzeichen erst
s1e ausdrucklich, stillschweigend oder gar nicht stattgefunden hat, so Jahrhunderte nach der Abfassung der alttestamentlichen Schriften
war sie (wie er schon in seinem Aufsatz ausgefiihrt hat), wenn sie hinzugeftigt wurden. Wie soil sich der wissenschaftlich gebildete Re-
ligionslehrer also verhalten? Eberhard bringt der Sache na0 Ludke~,
163
s_tattgefunden hat, der Versuch einer Veraugerung eines unverauBer-
lichen_ Rechtes. Also ist ihr Gebrauch durch das Konsistorium illegitim. von Goeze kritisierte, 164 Unterscheidung zwischen prakusch gleich-
ZWischen dem Empfang des Briefes von Gros am Abend des 24. April giiltigen und praktisch wichtigen Lehren ins Spiel. ~u~e hatt~ be-
und der Abfassung seiner Antwort am 25. April hat Diez zufailigerweise, kanntlich empfohlen, eine als irrig erkannte, aber fur die prakusche
Religion gleichgultige Lehre mit Stillschweigen zu uberge~en. S_ind
165
ebenfails am 25. April, Johann August Eberhards Aufsatz "Ueber wahre
und falsche Aufkliirung" 158 in die Hande bekommen. 159 Daraus steuert Lehren wie die von der Inspiration der Vokalzeichen prakusch gleich-
~-r nun einen Gedanken bei, der die lllegitimitat der angeblichen gultig? Warum hat sie dann, fragt Eberhard, "die Kirche in ihre Glau-
Ubertragung des Rechtes, einen ailgemeinen Lehrtypus einzufiihren bensvorschriften gebracht?" Und er fahrt im unmittelbar:n AnschluB
u~d zu erhalten, untermauern soil: "Wie lillt sich denken", fragt Diez fort: ~aben sie eine practische Wichtigkeit, beforde:n s1: den ~er­
mlt Eberhard, "d<ill der, welcher Unterricht verlangt, seinem Lehrer glauben, wie wird der Lehrer der Religion sie m1t Suilschwe1gen
schon zum voraus die Wahrheiten vorschreiben konne, die er ihm ubergehen konnen? Gesetzt aber, daB er es woilte, gesetzt, da~ er
vortragen soll?" 160 Diez sieht, d<ill hier noch Angriffsflache fur Ent- den Aberglauben, ohne ihn zu befor~ern, z~ s~onen s~chte, wu~de
gegnungen ubrigbleibt - die Konsistorialrate konnten als Religions- man es ihm vergonnen? wiirde man mcht sem Stillschwe1gen als eme
Verwerfung der symbolischen Lehren ausl~?e~?" ?iez zitiert Eber-
166
lehrer verstanden werden, die ihre Lehraufgabe an die Pfarrer dele-
gieren -, aber er bricht seine Oberlegung ab und teilt zum SchluB hard nicht wortlich sondern so, daB eine moghch Pomte verlorengeht.
eine andere, "auch sonst bekannte" 161 Bemerkung aus Eberhards Auf- Davon wird sogleich' zu sprechen sein. Zuvor ein Wort zu n·1ez'Ab sic
· h't.
satz mit, die auch teilweise bei Ludke zu finden ist 162 . Mit ihr kehrt Er hat im letzten Unterabschnitt seines Aufsatzes ( und dort unter
b.) die Schwierigkeiten aufzuzeigen versu~ht, denen_ der heterodoxe
157 Pfarrer in seiner Amtsftihrung ausgesetzt 1st. Nun s1eht er, angeregt
Vgl. Ueber das Recht protestantischer Fiirsten (cf. oben S. 952), S. 26f.
158 In durch Eberhard, eine Moglichkeit, der Schilderung dieser Schwierig-
: Johann August Eberhard (Hrsg.), Philosophisches Magazin, Bd. 1 St. 1
1788, S. 30-77.
159
Vgl. A 1 S. 8 Z. 32 - S. 9 Z. 1.
160 s
A 1 . 9 Z. 6- 8; vgl. Eberhard, ,Ueber wahre und falsche Aufklarung"
163
Vgl. ebd.
(cf. Anm.. 158), S. 56. 164
Vgl. oben S. 941.
161 165
A 1 S. 9 Z. 18. Vgl. oben S. 939.
162 Eberhard, ,Ueber wahre und falsche Aufklarung" (cf. Anm. 158), S. 61.
Vgl. oben S. 938f. 166

974 975
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

keiten noch groEeren Nachdruck zu verleihen: Selbst dann, wenn gemacht. Aber die Schwierigkeiten, die er fur den heterodoxen Pfarrer
der Pfarrer, der eine praktisch wichtige Lehre der symbolischen Bucher aufgezeigt hat, sind auch ohne dies beeindruckend.
als falsch erkannt hat, von ihr schweigt, urn die Orthodoxie zu schonen
selbst da.nn also, wenn er das ~uEerste tut, wozu ein aufrichtige; 2. Die Diskussion mit Siiflkind. Im Friihjahr 1790 lieE Diez eine Mog-
Mensch s1ch allenfalls noch durchnngen kann, gefahrdet er sein auEeres lichkeit ungenutzt, Pfarrer in Obertiirkheim zu werden. 170 SiiEkind
Gl~ck:, denn.. sein ~ch~e~~en wird ihm - ,wenigstens von gewissen ,hatte fast Lust", deswegen ,bose iiber [ihn] zu sein", 171 und nimmt
Selten , schrankt D1ez em - als Verwerfung der symbolischen Lehren die Sache zum AnlaE, auf die Unterschrift unter die symbolischen
ausgelegt werden. Bucher und, gewissermaEen im selben Atemzug, auf Gottlieb Jakob
. Eb~!hard scheint aber noch ein Weiteres haben sagen wollen. Fi.ir Planck zu sprechen zu kommen, von dem Diez, was die Unterschrift
D1ez' Uberlegung ist die Ludkesche Alternative nicht sonderlich wich- betrifft, ganz falsche Nachrichten babe. Das legt die Vermutung nahe,
ti.g. Sie gibt ibm nur Gelegenheit, mit Eberhard zu fragen, warum daE Diez die Verbindung zwischen der Pfarrstelle, den symbolischen
eme prakusch gleichgiiltige Lehre im allgemeinen Lehrtypus der Kirche Biichern und Planck in seinem vorangegangenen Brief seiher hergestellt
v~rkom~t. Aber Diez geht dieser, sicher kritisch gemeinten Frage, hat. Er konnte seinen EntschluE, nicht Pfarrer in Obertiirkheim zu
mcht werter nach, sondern wendet sich der anderen Seite der Alter- werden, mit seinen Bedenken gegen die Unterschrift begriindet und
native als einem unabhangig zu betrachtenden Fall zu (,,st der letzte sich dabei auch auf SiiEkinds Gottinger Lehrer Planck berufen haben,
Fa~, ~as t~n s~e in dem allgemeinen Lehrtypus? Raben sie praktische von dem er zu wissen meinte, er babe weder symbolische Bucher
Wrchugkeit - 1ch nehme den ersten Fall - [... ], wie kann der Lehrer unterschrieben, noch wiirde er sie je in Wtirttemberg unterschreiben.
168
schweigen?" ). Eberhard aber wendet sich in der Sache, darin Goeze SiiEkind halt diese Nachricht in heiden Teilen fur falsch, da in Gottingen
folgend~ gegen .Liidkes Fallunterscheidung. Von der Inspiration der zwar nicht aile symbolischen Bucher unterschrieben wiirden, wo~
Vokalze1chen w1rd man zunachst annehmen, es handle sich urn eine aber die Augsburgische Konfession, und da Planck zuvor Pfarrer m
moralisch gleichgiiltige Lehre. Warum aber hat die Kirche sie in den Wtirttemberg habe werden wollen. Zur Untermauerung seiner Ansicht
allgemeinen Lehrtypus gebracht? Offenbar in der Meinung und mit referiert er ferner Plancks Position in der Unterschriftsfrage, soweit
dem Anspruch, daE es sich keineswegs urn eine moralisch gleichgultige sie ihm aus einem Gesprach bekannt wurde. Danach ist Planck der
L:hre hand~lt. Diese Meinung zweiter Ordnung aber ist ihrerseits Meinung, man diirfe auch als Heterodoxer- d. h. fur Diez u~d S~Ekind:
mcht moral1sch gleichgiiltig, sondern vielmehr hochst bedenklich. ohne mit den wiirttembergischen Konsistorialraten dogmausch m allen
:Venn namlich durch die Aufnahme der Inspiration der Vokalzeichen wesentlichen Lehren iibereinzustimmen - die symbolischen Bucher
~~ den Lehrtypus der Eindruck erweckt wird, daE der Glaube an einschlieElich der Formula Concordiae guten Gewissens unterschrei-
d1ese Lehre moralisch wichtig ist, dann liegt darin eine Beforderung ben, da man sie nur als eine, leicht zu beachtende, negative Lehrnorm
des Abergl~ubens. Der Lehrer dar£ das Dogma von der Inspiration unterschreibe, was sich historisch zeigen lasse. Die Notwendigkeit
de: Vokalze1chen oder irgendein anderes Dogma, das er verwirft, also einer negativen Lehrnorm begriindet Planck mit dem iiblichen Verweis
172
kemeswegs mit Stillschweigen iibergehen. Denn der symbolische Status auf die zu vermeidende , Verwirrung beim Volk". Den Beweis aus
a~s solcher verleiht Lehren, die an sich moralisch gleichgiiltig sind,
173
der Geschichte fur seine Hauptthese war Planck, wie spater klar wird,
~~ne -. dann negative- moralische Wichtigkeit. Liidkes Unterscheidung
laEt s1ch also nicht durchhalten. Diese Seite, die man Eberhards Be- im adiaphoristischen Streit vorkommt (vgl. oben S.930f.). Nur stehen
merkung miihelos abgewinnen kann 169, hat Diez sich nicht zunutze als ,Adiaphora" jetzt nicht mehr Elemente des.kathohschen Dogmas und
Ritus, sondern eben protestanusche Dogmen m Frage.
170
167
Vgl. C 2/ 34.
A 1 S. 9 Z. 26. 171
C2 S. 181 Z. 10.
168
A 1 S. 9 Z. 22-24. 172
C2 S. 182 Z. 2f.
169 E h 173
s andelt sich um ein Argumentationsfigur, die schon bei Matthias Flacius Vgl. C 4 S. 189 Z. 19ff.

976 977
Begleittexte
Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche
hei de_r heri~hteten Gelegenheit noch schuldig gehlieben; aber Si.iBk.ind
gativen, erschopft. Von der Konkordienforrnel sagt Planck das sogar
stellt ihn D1ez schon fur ein andermal in Aussicht.
seiher. Auch aus diesem Grund ist sein Beweis fur die Wi.irttemberger,
Angeregt durch diese Mitteilungen und die Aussicht auf einen
die ja das ganze Konkordienbuch zu unterschreiben haben, wertlos.
Beweis,_ der - wie Diez an Si.iBkind schreibt - ibm ,auch als einem
Aber gerade am Punkt seines verrneintlichen Scheiterns nimmt
Naturahsten erlauben wi.irde, ein Pfarramt anzunehmen", 174 vielleicht
Plancks Argument eine unerwartete Wendung (von einer historischen
auch durch die Erfahrungen seiner Reise vom Sommer 1790, die ihn
zu einer moralischen Betrachtungsebene), die Si.iBkind in der Folge,
unter anderem zu Brastberger 175 geft.ihrt hatte, bittet Diez nun Si.iBkind
im Zuge seiner eigenen Bemerkungen, virtuos gegen ein B?llwerk
die Sache mit s~inen G?ttinger Freunden in MuBe zu i.iberlegen. 17 ~
der Diezschen Argumentation zu kehren weiK Planck bestreltet der
~ffenbar versprrcht er s1ch, bei einem so heik.len Gegenstand sicher Gesellschaft (erst recht also der Kirchenleitung) grundsiitzlich das
~Icht zu "?nrecht, von privaten Mitteilungen einen AufschluB, der .
Recht, jemanden zu zwingen, ,daB er etwas Bestimmtes 1eh ren soll" ..180
uber das hmausgeht, was von Veroffentlichungen zum Thema erwartet
D. h. die Einft.ihrung und Durchsetzung eines positiven Lehrtypus rst
werden k~n. ~uB~r~em wird er daran interessiert gewesen sein zu unrechtmiiBig. Auf dieser Grundlage kann Planck bzw. kann Si.iBkind
e~ahren, Wle d1e Gottmger heterodoxen Theologen die Lage meistern, nun, unter Anerkennung der Diezschen Deutungsregel, zu dem ge-
d1e er am Ende seines Aufsatzes als so beschwerlich beschrieben wi.inschten Ergebnis kommen, mit der Unterschrift werde, selbst in
hatte.
Wtirttemberg, nur eine negative Lehrverpflichtung eingegangen.
~~Bkind freilich kann oder mag nur mit kurzen Referaten der Planck ist im iibrigen der Meinung (welcher Si.iBkind sich mit Nach-
Pos1t10nen Feders, Eichhorns und Schleusners dienen, die hier ver- druck und unter Verweis auf den Fall Brastberger anschlieBt 181 ), daB
nachliissigt werden konnen, sowie mit einem ausft.ihrlichen Referat das wi.irttembergische Konsistorium seiher gar nicht mehr ver~~ngt
des inzwischen von Planck angetretenen Beweises und mit eigenen als eine negative Lehrverpflichtung. Mit der Deutungsregel wurde
Bemerkungen zum Thema. Plancks Beweis aus der Geschichte das dann das Beweisziel unmittelbar folgen. Aber selbst wenn man an-
si~ht auch Si.iBkind, halt nicht, was Planck ihm oder jedenfalls er nimmt, das Konsistorium betrachte die symbolischen Bi.icher als einen
~1ez versp~oc~en hatte. Zum einen ist das Beweisziel entgegen SuB- Lehrtypus im positiven Sinn, so mi.iB_te d~r Unt_e~schrei~ende, solange
kinds Ankundrgung auf die Augsburgische Korifession eingeschriinkt. ihm dies nicht ausdri.icklich mitgeteilt Wird, billigerwe1se davon aus-
Zum anderen ruht das berichtete Argument, a us dem deren nur negativ gehen, daB von ibm die Unterschrift nur im Sinne einer negativen
verpflic~te_nder Charakter hervorgehen soli, auf der Behauptung, man Verpflichtung: ,nichts gegen symbolische JJ_~c~er ~u lehr~n", ~erlangt
habe illlt ~~ urspri.inglich ,(wie ihr Inhalt zeige) bloB die Absicht wird, ,weil nur dieser [Sinn] der rechtmaB1ge 1st und __ Ich. ruemand
gehabt, Antrthesen gegen die Katholiken [p ]p. aufzustellen [... ]". 177 gerad das Schlimmste zutrauen soli, wenn ich nicht ausdrucklich davon
Thr Inhalt zeigt aber im Gegenteil, schon durch die Zweiteilung in versichert bin". 182
..Artikel des Glaubens und der Lehre" (l-XXI) 178 und ,Artikel, von Soweit der Bericht iiber Planck. Es ist davon auszugehen, daB
w~lc~en Zwiespalt ist, da erziihlet werden die MiBbriiuch, so geiindert Si.iBkind Diez' Aufsatz, jedenfalls aber den St~nd der Argur_nentation
179
semd (XXII-XXVIII), daB sich die Absicht der CA keineswegs in kannte den Diez in ihm erreicht hat. Denn die letzten Apriltage des
der Verwerfung von Irrlehren und Millbriiuchen, also nicht im Ne- Jahres '1790, in denen Diez mit Gros i.iber die s~boli~chen Bi.ic~:r
korrespondierte und in denen Si.iBkind sich fUr d1e Re1se nach Got-
174 zitiert nach SiifSkind (C 4 S. 191 tingen vorbereitete, haben beide zusammen m . stuttgart verb raeh t, 183
175
Z. 35£.).
Vgl. A 4 S. 36 Z. 15ff. und A 4/ 22.
176

177
Vgl. SiiEkinds entsprechende Bemerkung inC 4 S. 187 Z. 12-14.
C4S.189Z.29-31.
18

181
° C 4 S. 190 Z. 19£.
178 D Vgl. C 4 S. 196 Z. 19ff.
.oelr.enntnisschrifien (cf. Arun. 6), S. 50-83 d. 182
Vgl. C 4 S. 191 Z. 4-12 .
179
Ebd. S. 84-133. 1
83 Vgl. c 2 s. 173 z. 27-30 und C 1/l.

978 979
Begleittexte Die symboli chen Bucher der evangelisch-lutheri chen Kirche

nachdem sie auch vorher, in Thbingen, schon oft und ausft.ihrlich eine negative Lehrverpflichtung, wiihlen (Punkt a). Su!Skind geht o-
das Thema gemeinsam verhandelt hatten. So dar£ man erwarten, daiS gleich weiter (Punkt b): Im angenommenen Fall mufl- dies folgt aus
~uEkind mit seinen eigene~~ von Planck angeregten Bemerkungen Plancks Argument- der Kandidat sogar die gelindere Erkliirung wiih-
u~er den Stand von Diez' Uberlegungen hinausgeht. 184 In der Tat len; und er fi.igt noch eine weitere Verschiirfung hinzu (Punkt c):
?.rmgt er neue Gesichtspunkte ins Spiel, auf die Diez mit neuen Selbst ,in non-dubio" ist unter Umstiinden die gelindere Erkliirung
U:herlegung~n reagieren muK SuEkind beschriinkt sich streng auf angezeigt, dann niimlich, wenn der Kandidat zwar ,privatim -~eiE,
d1e PerspektJve des unterschreibenden heterodoxen Kandidaten und daiS ein oder der andere Konsistorialrat [... ] der strengeren Erklarung
fragt,_ (I) o~. dieser den Akt des Unterschreibens guten Gewissens zugetan ist" 186, wenn aber das Konsistorium nicht als solches die stre~­
vollzrehen durfe und (2) ob er sein Amt ohne Verletzung der For- gere Deutung: als positive Lehrverpflichtung und Glaubensb~kenntms,
derungen der Ehrlichkeit werde ft.ihren konnen. Den GroEteil seiner offentlich ftir die verbindliche erkliirt - als Gesetz promulgwrt - hat.
Mu~e verwendet er auf die Bejahung der ersten Frage, ft.ir die er ,.Bekannt" im Sinne der Bekanntmachung, promulgatio, eines Gesetzes
z~e1 Arg~m~nte anfuhrt; zuniichst, unter seinen Punkten a) his c), ist zu unterscheiden von ,bekannt" im Sinne mehr oder weniger
eme ausfuhrliche Version des Planckschen Argumentes, mit zweifacher zufilligen Wissens. Im vorliegenden Fall geht es urn die Bekann~ma­
Verschiirfung der These in b) und c); dann, unter d), eines, das Diez chungder Deutung des Konsistoriums (es gilt hier das ,lex non obhgat,
ihm ~algre lui seiher geliefert hat: den Fall Brastberger ( der sich nisi promulgata" 187), und eine solche hat nie stattgefu~den. D~E das
aber m der Folge doch als ungeeignet ftir das angestrebte Argumen- Konsistorium in der Sache schweigt, kann geradezu als stillschwe1gende
Billigung der gelinderen Deutung angesehen werden. SuEkind ~ugt
188
tationsziel erweist).
Die Anwendung der Diezschen Deutungsregel, der zufolge die Un- noch hinzu, daE die Deutung, welche die Urheber des Konkor~Ien­
terschrift in dem Sinne zu verstehen ist, den das Konsistorium ihr buches mit der Unterschrift ursprunglich verbunden haben mogen,
gibt, setzt voraus, daE die Deutung des Konsistoriums bekannt ist. ftir den Unterschreibenden im spiiten 18. Jahrhundert irrelevant ge-
Diez hatte in seinem Aufsatz die Position vertreten, es sei hinliinglich worden ist. Darin durfte Diez ihm insofern beipflichten. als die Deu-
~e~annt, daE das Konsistorium die Unterschrift im Sinne einer po- tungsregel, die zwischen ihm und SuEkind ..ni~ht ums~itte~ ist, ja
SJttven Lehrnorm und ipso facto eines Glaubensbekenntnisses be- den Sinn autorisiert, den das jeweils gegenwaruge KonSIStonum d~r
z~gli~h des Wesentlichen des Inhaltes der symbolischen Bucher fordert. Unterschrift gibt. Aber zugunsten der z~ruckge~~s~en~n Th~se C?1e
~uEki~d bestreitet dies. Die heiden grundsiitzlichen Deutungsmog- ein gewisser Camerer SuEkind ,immer emwandt~ ) !ieEe s1ch viel-
hchkeit_e~, die er in Erwiigung zieht, sind die Erkliirung der Unterschrift leicht anftihren, daE unter der Annahme, daE d1e Urheber der sym-
als positive Lehrverpflichtung und Glaubensbekenntnis und die Er- bolischen Bucher ihre Deutung der Unterschrift offentlich bekannt-
kliir.~ng als negative Lehrverpflichtung. Letzteres ist eine korrigierende gemacht haben, das seitherige Schweigen des Konsi toriums a~s ein
Erganzung gegenuber Diez' Aufsatz. Andererseits vernachliissigt SuE- Festhalten an jener ursprunglichen Deutung zu werten_ se1. D1e e~
kind die Moglichkeit, die Unterschrift auf den Geist der Verfasser moglichen Einwand versucht SiiE~d zuvorzukommen, m~e~ er ~1e
der symbolischen Bucher zu beziehen; aber dies hatte auch Diez Moglichkeit eines 'fraditionsbruches ~ der ?nters~hr1ftspraXIs ms Spiel
nicht als eine wirkliche Alternative gelten lassen. bringt. Angesichts dieser Mi:iglichkelt mu!Ste die Bekann~~chu~g
Nun nimmt SuEkind an, daE das Konsistorium keine Deutung der der verbindlichen Deutung erneuert werden, zumal es Ind1zien fur
Unterschriftsformel als die verbindliche bekanntgemacht hat. In dies em
Fall, in dem der Kandidat bezuglich der verbindlichen Deutung ,in
dubio" ist, kann er die ,gelindere Erkliirung" 185 der Unterschrift: als 186
C4S.195Z.2-4.
187 C 4 S. 195 Z. 13; vgl. C 4/18.
188
Vgl. C 4 8.195 Z.24-30. . . . .
184
Vgl. C 4 S. 192 Z. 32 - S. 198 Z. 2. 189 C 4 S. 195 z. 30; um welchen Camerer es sich handelt, 1st mcht emdeutlg
185
C 4 S. 193 Z. 31-33. festzustellen (vgl. C 4/1 9).

980 981
Begleittexte Die symbolischen Bucher der evangelisch-lutherischen Kirche

einen wirklichen 'Ihditionsbruch gibt (,Pfaff unterschrieb anders als der Diskussion war -, durch die These von der negativen Lehrver-
wir"l9o).
pflichtung, bzw. durch den Gebrauch, den SuBkind nun im AnschluB
. Schliemich (Punkt d) benutzt SiiBkind die Nachrichten, die Diez an Planck von ihr machte, geschlagen geben? Wie zu erwarten war,
ihm von Bra~tberger iibermittelt hat, fUr ein weiteres, unabhiingiges tat er es nicht. In seiner Antwort, soweit man sie aus SuBkinds Brief
Argument: D1ez halte Brastberger fur einen ehrlichen Mann, also diirfe vom 6. November 1790 (C 5) rekonstruieren kann, versuchte er zu
er nicht annehmen, Brastberger habe revoziert. Dennoch habe ihn zeigen, daB sich der Gedanke einer rein negativen Lehrverpflichtung
das Konsistorium im Amt gelassen und ihm nur untersagt, fernerhin nicht konsequent durchhalten liiBt. Bis zu einem gewissen Grad scheint
gegen symbolische Lehren zu schreiben und zu lehren. Folglich ver- dieser Versuch erfolgreich gewesen zu sein. SiiBkind gibt jedenfalls
lange das Konsistorium die Unterschrift nur in jenem gelinderen in der Folge zu erkennen, daB auch er glaubt, ,man werde (unerachtet
8~. AufDiez' Nachfrage mufSte SiiBkind dieses Argument allerdings
191
des obigen von der negativen Verpflichtung) wenigstens auf den we-
zurucknehmen, da er nicht zu erkliiren wuBte, wie er zu der Meinung 196
sentlichenlnhaltder symbolischen Bucher positive verpflichtet"; denn
gekommen war, man habe Brastberger ,die Weisung gegeben, kunftig es sei bekannt in dem relevanten Sinne der promulgatio - jeder Sonn-
(. · .] von den ihm angeschuldigten Irrtiimern zu schweigen, wenn er und Feiertag sei im Grunde eine Bekanntmachung desse? ~· daB ei?
auch nicht gerade die orthodoxen Lehren vortragen wolle". 192 Pfarrer als Religionslehrer, und spezifischer noch als chrz:t!z.cher Reh-
Auch fUr die zweite Frage, nach der Amtsftihrung, verweist SiiBkind gionslehrer, eingestellt werde. Soweit das Wesen d~r chr1s~.chen Re-
au~ Brastberger, welcher Diez seiher zur Antwort gegeben habe, ,daB ligion beriihrt sei, werde durch die Unterschrift. eme .P~SitiVe ~ehr­
be~ der wirklichen Fiihrung des Amts auf dem Lande die Schwierig- verpflichtung eingegangen. Ein Atheist, aber auch em the1s~scher Nicht-
kelten doch weit geringer sich zeigen als [p]p.", 193 und er- SuBkind christ (SuBkind denkt dabei nicht an Juden und Mu.slllll~, sondern
- bestatigt dies aus den Erfahrungen, die er als Vikar in DuBlingen an Naturalisten) konnten folglich weder die Unterschrift le1sten noch
gemacht habe. Freilich setze er ,immer einen solchen Heterodoxen gar das Pfarramt wirklich ausiiben. .. . .
voraus, der doch noch ein christlicher Supernaturaliste ist Als Naturalist Damit ist die Differenz zwischen Diez und SuBkind auf ihren
wiirde ich zittern und beben, sobald ich meinen DuBlinger hochge- Kern zuruckgeft.ihrt. Auch Diez hatte in seinem Aufsatz die p~sitive
lehrten Michele gegen das Haus kommen sahe." 194 Lehrverpflichtung nur fUr den wesentlichen Inhalt der symbolischen
.Wie hat Diez auf diese Argumentation reagiert? Mit ihr wurde be- Bucher behauptet und offengelassen, was zum We~.en~chen gehort.
stntten, sowohl daB der Akt der Unterschrift die Bestatigung einer Aber es zeigt sich, daB er mehr dazurechnet als .su~kind. De~ auf
Usurpation ist - da ja nur im Sinne einer negativen Lehrverpflichtung Diez' eher rhetorisch gemeinte Frage, ob ein (chns~c~~~) Reh~~ons­
unterschrieben werde- als auch daB die Amtsfuhrung den heterodoxen lehrer seiner Lehrverpflichtung gerecht wird, ,der Tnrutat, ~rbsunde,
Pfarrer in Lagen bringen wird, in denen ihm nur die Wahl zwischen Genugtuung [p]p. gar nie, weder pro noch contra, beruh~ ~lso
197
Unehrlichkeit und Preisgabe seines auBeren Gluckes bleibt. Sollte sich nicht gegen die symbolischen Bucher lehrt" , antwortet SuBkind
Diez durch eine These, die er in seinem Aufsatz gar nicht der Beruck- mit Ja. .
sichtigung wert gefunden hatte - obwohl er sie zweifellos kannte, da Noch vor diesem Dissens, der sich in die je verschtedene Lebens-
sie bereits seit Schuberts Geschichte des ri/mischen Pabstes Vzgilius195 in planung zuruckverfolgen li:iBt, und als Hinleitung..zu . dies em Punkt
ist aber noch Diez' unmittelbare Entgegnung auf SuBkinds Gebrauch
des Planckschen Argumentes zu betrachten. Diez argumentiert wie
19
° C 4 8. 196 Z. 10; vgl. C 4/ 21. folgt: ,Die Religionsherrn halten den .Inhalt der ~ymbolischen Bucher
191 fUr christliche Lehre, also ist's ihre Pflicht zu geb1eten, daB der Lehrer
Vgl. C 4 8. 196 Z. 12 - 8. 197 Z. 14.
192
Vgl. C 5 8. 204 Z. 18-26.
193
C 4 8.197 Z.24-26.
194 196 C 5 8. 204 Z. 28-31.
C 4 8.197 Z.35- 8.198 Z.2.
195
Cf. Anm. 42. 197 Zitiert nach 8iiBkind, C 5 8. 203 Z. 11-13.

982 983
Begleittexte Die symbolischen Biicher der evangelisch-lutherischen Kirche

sie lehren, nicht nur, daB er nicht gegen sie lehren soll" 198 . Wtirde der Naturalismus das Thema ist. Diez hatte auf die Anki.indigung des
dies zugegeben, so lieiSe sich die Spitze des Planckschen Argumentes Planckschen Beweises, wie erwiihnt, mit der Bemerkung geantwortet,
umkehren: Da ,ich niemand gerad das Schlimmste zutrauen soll" 199, daiS ein derartiger Beweis auch einem Naturalisten die Unterschri~
verpflichtet mich die Billigkeit, den Konsistorialriiten zuzutrauen, daiS und die Amtsfuhrung moglich machen wi.irde. Die Bemerkung, die
sie tun, was ihre Pflicht ist, und als Offentliches Organ der Kirchen- er, nachdem er Si.iiSkinds Argumentation inC 4 zur Kenntnis genommen
leitung, nicht etwa als Privatleute, die Unterschrift im strengeren Sinn. hat, zu der Behauptung verstiirkt, der aturalist werde sogar noch
201
d. h. im Sinne einer positiven Lehrnorm, verlangen. Si.iiSkind freilich besser zurechtkommen als der heterodoxe Christ, sollte gewiiS nur
gibt das Argument nicht zu; er halt es ftir nicht schli.issig. Die Kon- der Reductio ad absurdum der These von der rein negativen Lehr-
~~storialriite, sagt er, batten keineswegs die Pflicht, ihre religiosen verpflichtung dienen. Denkt man diese zu En de - Si.iiSkinds Kon~~ssion,
Uberzeugungen anderen aufzudringen. Er mutet ihnen ganz offen- man werde auf das Wesentliche der christlichen Lehre posiUV ver-
sichtlich zu, daiS sie so wie er selbst zwischen ihrer Orthodoxie und pflichtet, war noch nicht gemacht -, so ergibt sich folge~de : W~der
dem Wesen des Christentums unterscheiden. Denn Si.iiSkind wird, der naturalistische noch der heterodoxe Pfarrer muiS 1rgendemen
bedenkt man seine schon angeftihrte AuiSerung i.iber die positive Lehrsatz der symbolischen Bucher in eigener Person vortragen; aber
Lehrverpflichtung auf das Wesentliche der christlichen Religion, nicht beide werden in Situationen kommen, in denen von den Themen
bestreiten wollen, daiS die Konsistorialriite - in Diez' Diktion: - die solcher Lehrsiitze zu handeln ist. Urn hier weder pro noch contra
Pflicht haben zu gebieten, daiS der Lehrer eben dieses Wesentliche Stellung nehmen zu mi.issen, kann der aturalist sich mit der u~auf­
lehren, nicht nur, daiS er nicht gegen es lehren soll. Die Unterscheidung falligen Formel behelfen ,der Christ glaubt" und dann das sym?ohsche
zwischen einem minimalen Wesen des Christentums und seiner aus- Dogma referieren. Er selbst ist ja kein Christ. Der Het~rodoxe h1~gegen,
gedehnten dogmatischen Systematisierung ist aber keineswegs aus- das scheint Diez' Punkt gewesen zu sein, versteht s1ch als Chnst und
gemacht und konstant Wenn die Konsistorialriite das Christentum kann daher nicht zu der bequemen Formel Zuflucht nehmen: Jede
durch die Dogmen der Trinitiit, der Erbsi.inde, der stellvertretenden andere Formel aber- ,der orthodoxe Christ glaubt", ,die symbohsch.en
Genugtuung usw. difznieren, dann mi.iiSte auch Si.iiSkind es ihnen zur Bucher unserer Kirche lehren" - wird gezwungener sein. Wenn dies
Pflicht machen, in ihrer Funktion als christliche ,Religionsherren" die Diez' Oberlegung war, so hat SiiiSkind. sie ~Everstanden .. Die~ liiiSt
Lehre dieser Dogmen zu gebieten. Offenbar aber kann sich Si.iiSkind, sich hier urn des Argumentes will en auf d1e Schil~erung von Sttuau~nen
anders als Diez, eine derartige Definition der christlichen Religion ein. die sich nur im Grad der Absurditiit vonemander unters~e1den,
nicht vorstellen. Da er, ,der auf das Irdische sinnt"200, ungeachtet urn Si.iiSkind von der Annahme einer negativen Lehrverpfl1chtung
aller Zweifelsbekundungen wohl schon lange fi.ir die gewohnliche abzubringen. SiiiSkind aber, nachdem .~r diese Annahme. in der Tat
Karriere in Wtirttemberg bereit gewesen war, mag es auiSerhalb seines in der geschilderten Weise abgeschwacht hat, argumenu~rt so, als
Gedankenkreises liegen, daiS die wi.irttembergische Kirchenleitung gehe es Diez darum ( etwa in Voraussicht des Ausgangs .sem~r G~~u­
Lehren nicht nur protegieren, sondern ins Difzniens des Christentums benskrise), auch ftir den Naturalisten ein Schlupfloch m d1e w:urt-
aufnehmen konnte, in denen er legitime Anliisse ftir schwer zu iiber- tembergische Pfarrerlaufbahn zu fin~en: Da man auf..das Wesentl1che
der christlichen Lehre positiv verpflichtet werde, m~sse der Pfarrer,
windende Zweifel sah.
was er als Heterodoxer auch konne, ,frank und fre1 heraus lehren:
Diez andererseits ist bereits auf dem Weg zum Naturalismus, wenn · "t\T h h · f"202
Jesus war ein gottlicher Gesandter, und sein~ Lehr~ 1st ~a r e1t.
nicht gar schon am Ziel. Das Auseinandergehen der Lebenswege wird
·st aber konne nach Diez' Grundsatzen mcht emmal guten
in SiiiSkinds Briefen C 4 und C 5 in den Passagen manifest, in denen t l1
Der Naura .. r h
Gewissens unterschreiben, viel weniger das Amt ftihren. atur IC

198
Zitiert nach SiilSkind, C 5 S. 203 Z. 28 - S.204 Z. 1.
199 201 Vgl. C 5 S. 206 Z. 11 f.
C 4 S. 191 Z.11.
200
Vgl. C 2 S. 181 Z. 17; vgl. C 2/36.
202
c 5 s. 206 z. 2 f.
985
984
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

nicht. .Wohl aber nach SuKkinds Grundsatz von der rein negativen
Verpflichtung, wollte Diez sagen; und nachdem SuEkind den Gru d
3.
. s· D" ,
nun 1m mne 1ez abgeschwacht hat, auch nach diesem nicht mehr.
n satz Diez' Kritik der
So besta~d a~ Ende in der Sache Einigkeit., daE ein Naturalist, Moglichkeit einer Offenbarung
d~r Jesus rucht fur einen gottlichen Gesandten und seine Lehre · h (von Anton Friedrich Koch)
fur Wahr~eit halt, ~icht Reli.gionslehrer werden kann. solang;~:
?nters~~ift u~ter die symbohschen Bucher eine Voraussetzung daftir
a. Der Offenharungsbeweis im spliten 18. Jahrhundert
1st. Stntug bheb .die Bewertung der Lage des mehr oder weniger
heterodoxen
. Chr1sten.
. Aber
. Diez war ru"cht mehr Ill
· d"~ff L~~ Aile vier erhaltenen und in dieser Ausgabe veroffentlichten Aufsatze
Schon em gutes VIertelJahr spater (SuEkinds Brief C 5 datiert vom von Diez gelten der Kirchen- und Theologiekritik. Den ersten Aufsatz
6. November 1790) schrieb er seine erste antichristliche Abhand- (B 1), in dem die Praxis des Religionseides kritisiert wird, hat Diez
1ung"203, k urz d ar~uf semen
. ~euen Aufsatz"" mit jener ,Zugabe"204 , 206
sicher nicht fur die Publikation bestimmt . Anders verhalt es sich
durch. welche er die Glaubwiirdigkeit von Jesu Worten aus dem Text mit den ubrigen drei Texten, in denen - ,a priori" - die Moglichkeit
~er B~bel heraus zu untergraben trachtete. SuEkind andererseits war einer geoffenbarten Religion uberhaupt (B 2 und B 3 S. 139 Z. 1 -
Sich langst dessen sicher, die symbolischen Bi.icher, auch als Hetero- S. 148 Z. 3) und- ,a posteriori"- der Anspruch der christlichen Religion,
doxer, unt~rsc~reibe~ zu.. konnen. Die Lebensentscheidungen waren eine gottliche, d. h. von Gott geoffenbarte Religion zu sein (B 3
gefallen, die D1skuss10n uber die symbolischen Bucher brach ab. S. 148 Z. 5 - S. 150 Z. 24 und B 4), bestritten werden soil. In heiden
Untersuchungen orientiert sich Diez auf jeweils verschiedene Weise
an Kant und bringt so beide Male neue Argumente in die theologischen
Debatten ein. Aus der Korrespondenz mit Niethammer wissen wir,
daE er mit dem Gedanken spielte, seine ,Gri.inde a priori gegen207jeden
Supernaturalismus" Carl Christian Erhard Schmid vorzulegen und 208
seine Gri.inde a posteriori ,in Anwendung auf den Christianismus"
09
in Paulus' Neuem Repertorium drucken zu lassen.Z
Die Bemerkungen, die nun folgen, haben mehrere ganz unter-
schiedliche, wenn auch aufeinander bezogene Aufgaben. Sie ergiinzen
die Kommentierung der Textgruppen A -C und dienen zugleich als
eine Einleitung in Diez' Theologiekritik (Texte B 2 his B 4). Thre
Rolle als Erganzung der Kommentare verlangt die Klarung und Er-
lauterung zentraler Begriffe, Lehren und Argumentationen der Theo-
logie des spaten 18. Jahrhunderts. Thre Aufgabe, zur Einleitung zu
dienen. verlangt es, denjenigen Begriffen, Lehren und Argumenten,
die sich auf die Offenbarungsfrage beziehen, besondere Aufmerk-

206 Vgl. Die symbolischen Bi.icher (VI 2), S. 924.


207 Vgl. A 7 S. 57 Z. 36 - S. 58 Z. 8.
208
A 7 S. 58 Z. 9f.
203
209 Vgl. A 7 S. 59 z. 6f.; Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, Neues Repertorium
C 9 S. 230 Z. 3. for biblische und morgenliindische Literatur, 3 Bde. Jena 1790-1791.
204
C 10 S. 244 Z. 3-5.
987
986
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenharung

samkeit zu schenken. Dabei ist weiter zu differenzieren. Zunachst der Kritik der reinen Vernunfi - insbesondere der Postulate des em-
gilt es, Diez' Position zu den Hauptstromungen der akademischen pirischen Denkens und der zweiten Analogie der Erfahrung - in eine
Th~ologie und insbesondere zu ihren, teils konkurrierenden, apolo- zwingende Form zu bringen. Das zuriickgewiesene Argument aus der
geuschen Strategien ins Verhaltnis zu setzen. Sodann wird auf die UnzweckmaEigkeit bedarf einer These iiber die Zwecke Gottes als
iiber die engeren Fachgrenzen hinausgehende polemische Literatur Pramisse (urn nur an eine der von Diez aufgezeigten Schwierigkeiten
zur Offenbarungsfrage und insbesondere auf Lessing eingegangen zu riihren) und gehort folglich in die natiirliche Theologie. Diez folgt
werden, der durch die Herausgabe offenbarungskritischer Manuskripte dem Rezensenten - er rezensiert Johann Friedrich Kleukers Neue
des Hermann Samuel Reimarus (vorgeblich aus den Bestanden der Priifong und Erkliirung, 2. Teil214 - in der Verlagerung der Debatte
Wolfenbiittelschen Bibliothek, als ,Fragmente eines Ungenannten") den von der Metaphysik in die Erkenntniskritik. Kleuker hatte gefragt,
sogenannten Fragmentenstreit ausgelost hatte. SchlieElich ist Diez' eigener ob Gott den Menschen belehren konne und belehrt babe, und ge-
Beitrag zur D1skussion deutlich zu kennzeichnen und zu wiirdigen. antwortet, die Verneinung dieser Frage zeuge von Vermessenheit. Der
In den einleitenden Bemerkungen zu seinem ersten, dem langeren, Rezensent hatte kommentiert, daE Kleuker hier einem Jangst von
Offenbarungsaufsatz (B 2) nimmt Diez zweimal auf die offenbarungs- den meisten Apologeten der Offenbarung ausgetretenen" Weg folge,
215
kritische Literatur Bezug, einmal unspezifisch und in kritischer Absicht dem Weg namlich, mit Gottes Eigenschaften zu beginnen ; und er
auf das Argument aus der UnzweckmaEigkeit, mit dem das zweite hatte gegen diese Art des Beginnens, gegen das Aufwer.~en_ der _Of-
":o~enbiittelsche Fragment schlieEt 210, zum anderen spezifisch und bei- fenbarungsfrage als einer Frage nach Gottes Handlungsmog~chk~~ten
falhg auf das Argument eines Rezensenten in der ALZ, 211 der sich und tatsachlichem Handeln, den Vorwurf der Vermessenheit zuruck-
der Unfahigkeit des Menschen, eine Offenbarung als solche zu erkennen, gegeben.216 Zu fragen sei stattdessen nach den Erken~tni~moglich­
als eines Zwischenschrittes212 zum Erweis der Unmoglichkeit der Of- keiten und dem tatsachlichen Erkennen des Menschen, namlich: .,kann
fenbarung bedient. Diez' Absicht ist es, eben dieses Argument, das der Mensch auf eine iiberzeugende Art von Gott belehrt werden? und
er selber schon vor dem Erscheinen der Rezension in Erwagung wird er es wirklich?"? 17 Diese Frage hatte der Rezensent ohne aus-
gezogen hatte213 , mit den theoretischen Mitteln des Grundsatzkapitels ftihrliche Argumentation verneint und damit die Aufgabe vorgezeich-
net, die Diez mit seinem Aufsatz zu losen versucht.
An SiiEkinds Reaktionen auf den Aufsatz liiEt sich deutlich ablesen,
210 ,.ua
n nun Gott nach seiner Weisheit und Giite, wenn er alle Menschen was in der Debatte auf dem Spiel stand. Wer gegen den Aufsatz, schreibt
selig haben will, dasjenige nicht zum nothwendigen und einzigen Mittel er, der ,realem und vielleicht gar auch logicam possibilitatem revela-
der Seligkeit machen kann, welches denen allermeisten schlechterdings
unmoglich fillt, zu bekommen, anzunehmen und zu gebrauchen: so rouE
gewig die Offenharung nicht nothig, und der Mensch ftir keine Offenbarung · 1 s··okind merke, Jeugne Diez ,die Moglichkeit irgendeiner Of-
gemacht seyn. [...] Soli ten die Menschen zu ihrem Zweck, dazu sie Gott soVJe er, UJ~ , b gl b. "
fenbarung oder doch die Moglichkeit, eine Offenbarung zu e au tgen
geschaffen, eine mehrere Fiihigkeit und Erkenntnill haben miissen, als
(C 6 S. 219 Z. 7-9.).
sie jetzt [auf nati.irliche Weise) erhalten konnen: so wiirde Gott selbiges 214 Der vollstiindige Titel lautet: Neue Priifung und Erkliirung der_f.Jorziiglichsten
in der Natur oder natiirlichen K.raften des Menschen gelegt haben." (,.,Zwey- Beweise for die Wahrheit und den giittlichen Ursprung ~es Chrzstenthums, wze
tes Fragment. Unmoglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf der Offenbarung ii.berhaupt. Zweyter Theil, welcher ezn~ Kntzk der neuesten
gegriindete Art glauben konnten", in: Gotthold Ephraim Lessings siimtliche
3 Philosophie der Religion enthiilt, R1ga 1789. Der erste T~il des Kleukerschen
Schriften, hrsg. von Karl Lachmann, 23 Bde. Leipzig und Stuttgart 1886- Werkes war in Riga 1787 erschienen nnt dem Untert:Jtel Aus Veranlassung
1924, Bd. 12 S. 316-358, S. 358). Zu Lessings Veroffentlichung der Wol- neuerer Schrijten, und besonders. des Hierokles (Halle 1785). Auch davon
fenhiittelschen ,.,Fragmente eines Ungenannten" vgl. Anm. 286.
211 wird im folgenden die Rede sem.
Die Rezension findet sich in der ALZ Nr. 388 vom 29. Dezember 1790, 215 Auch SiiBkind folgt ihm in seiner Antwort an Diez (vgl. C 9 S. 242 Z. 12ff.).
Sp. 809-816. 216 Vgl. ,.,Rezension von K.leukers Neuer Pri.ifung" (cf. Anm. 211), Sp. 813.
212 AI s eines .,Mittelbegriffes" in einem Syllogismus (vgl. unten S. 10l4f.).
213 217 Ebd.
Dies liillt sich aus SiiBkinds Bemerkung vom 2. Dezember 1790 schliegen,

989
988
Diez' K.ritik der Moglichkeit einer Offenbarung
Begleittexte
und Jesus als Betriiger bezeichnet, ist aus AuEerungen von Diez jene
tionis"
· bestreitet,218 nichts einzuwenden weiB ' der gesteht, ,a1-:~er
Gl d o 24
semen.. _aube~ an divinitatem religionis christianae" aufgibt.219 Mit weitergehende Folgerung gezogen worden? . .
Selbst Diez' Naturalismus ist noch einmal, durch die Kanusche
der Mogh_~~eit der Offenbarung fallt die Moglichkeit des Glaubens
Vernunftkritik, gebrochen. So wenig wie eine geoffenbarte gibt es
an den gotthchen S~u~gsa~t der christlichen Religion. Es bleibt, eine verniinftige Erkenntnisvon Gott und Unsterblichk.eit: ,Die Griinde
ab?esehen von der ~oghchkeit des Atheismus, der sogenannte Natu-
des IDoralischen Glaubens sind k.eine Griinde, welche zeigen, daB es
ralismus, d.~- d~r ~uckzug -~u~ die natiirliche oder verniinftige Got- so ist, sondern, daB ich vorauszusetzen praktisch genotigt bin, es sei
te~erk_enntms, s~I Sie nun moghch durch reine theoretische Vernunft,
so". 225 Dem Begriff des moralischen Glaubens fehlt hier ganz die
Wie die vorkanusche Metaphysik annahm, oder moglich nur in Form EIDphase, die er durch Rousseau bekomiDen hatte. Die ,Hypothese
von PostulateD der reinen praktischen Vernunft, wie Kant lehrte. Mit von dem Dasein eines Gottes [bleibt] nach wie vor grundlose Hypothese
Bezug auf_das Christentum stehen dem Naturalisten in jedem Fall zwei [...) und [...] die Anwendung, die Inich IDoralische Zwecke zu IDachen
q.rundopuonen offe~: Naturalisierung oder Verwerfung220, wobei der
notigen, [begriindet) nicht die Behauptung [...) : Es istein G~tt, sond~rn
Ub~~gang von der emen zur anderen Option flieBend ist und davon
die: Ich bin geniitiget vorauszusetzen, daB ein Gott226sei, wenn Ich
a~hangt, was als die Kernaussagen der christlichen Lehre angesehen
gleich zur Behauptung des Seins k.eine Griinde habe." 227
WITd und inwi_eweit und auf welchen Wegen es etwa gelingt, dem Diez ist zu diesen radikalen Thesen erst 1790/91 gekommen.
O~fenbarungssmn selbst eine mit einem Naturalismus vertragliche Be- Noch in deiD Brief voiD 6. November 1790 (C 5) versteht SiiBkind,
su~ung zu geben. 221 V:~er das Wesen des Christentums in denjenigen der nachzuweisen versucht, daB nicht der Naturalist, wohl aber der
semer Lehr_en fmdet, die der natiirlichen Einsicht unzuganglich sind heterodoxe Christ die symbolischen Bi.icher der ~ch~ guten .?e~s­
oder g_ar Widersprechen, wird das Programm der Naturalisierung ftir sens unterschreiben k.ann- ,wenigstens wenn era la DieZ et SuEkind
abwegig halten und, als Naturalist, seinen Glauben an divinitatem heterodox ist"22s _ Diez als einen Heterodoxen, d. h. als einen Christen,
religionis christianae" aufgeben. Diez gehort in dieses La~er. Christus der prinzipiell an, der Wirklichkeit der Offenbarung un~ der Gott-
und seine ~postel nennt er am Ende Fantasten, die ,glaubigen Theo- lichkeit der christlichen Religion festhalt, aber von de~ m den _sym-
~?gen und ~-e ganze Christenherde" Aberglaubische,222 und der Anhang bolischen Bi.ichern fixierten DogiDenbestand der luthenschen Kirche
229 h d .
uber Matthaus XXIV,29 ff. zum zweiten Offenbarungsaufsatz erkliirt
223 - i.iber ,Trinitat, Erbsiinde, Genugtuung [p)p." -me r o_ er we~?er
u. ~- in sei_nem SchluBwort (,[ ... ] was wollen wir weiter Zeugnis?" ) abweicht. Diez selber berichtet i.iber die Radikalisierung semer PosiUon
seme Ahsicht, Jesus zu iiberftihren - wenn auch nicht des Betrugs, so 230
im Brief an Niethammer voiD 19.-22. Juni 1790. Von Anfang Februar
doch d~s lrrtums und dessen leichtfertiger Verki.indigung als gottliche 1790 an habe er sich fast ausschliemich Init Kants Philosophie befaBt,
Wahrheit. In Hauffs Bericht an Niethammer, Diez habe Kant als Messias und nun, da sich seine Augen, ,ge~a~fnet durch ,?ie_ Kantischen Te-
leskope, auch auf die christliche Religwn wenden , sieht er nur tran-
31
218 C9S.230Z.6f. szendentalen Schein und leere Hirngespinste? Im AnschluB daran
219 C 9 8.232 Z.1lf.
220 Die ~aturalisierung bildet das Programm des friihen englischen Deismus,
deutlich ausgedri..ickt etwa im Titel des Hauptwerkes des ersten bedeu- 224 Vgl. A 10/17.
tenden_ englischen Deisten John Toland (1670-1722): Christianity Not 225 A 7 S. 53 Z. 28-30.
Mys~erzous, L~ndon __1696, und ebenso im Titel des Hauptwerkes des 226 A 7 S. 53 Z. 14- 20; vgl. Cadi V. 3.
englischen De1smus uberhaupt: Christianity as Old as the Creation, London 227 Vgl. Cadi IV.
1730, von Matthew Tindal (1657-1733). 228 C 5 8.206 Z.29f.
221 Vgl. unten S. 1006f. und Cadi IX. 4.
229 c 5 s. 203 z. 11 f.; Si..igkind zitiert Diez.
222 V:gl · A 7 S. 57 Z. 15-22; vgl. die etwas friihere und vorsichtigere Formu- 230 A 3 8.18 Z.23ff.
lierung in A 6 S. 47 Z. 25-28. 231 A 3 S. 18 Z. 16-19.
223 B 3 S. 150 Z. 23f.
991
990
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

erwiihnt er die drei von der theologischen Apologetik entwickelten Das war freilich keine Tiibinger Besonderheit. Vielmehr wurden Semler
Beweisarten fur die Gottlichkeit der christlichen Religion, den Wun- und Michaelis, was nun auch unter dem erstgenannten Gesichtspunkt
derbeweis, der ihm bisher in seiner Storrschen Form geni.igt habe, fUr sie spricht, allgemein als fuhrende Vertreter zweier paradigmatischer
der a_her fallen ~iisse, den Beweis aus den Weissagungen, der ei-
232
Richtungen der christlichen Apologetik wahrgenommen. In einer 1785
gentl~ch (gegenuber dem Wunderbeweis) nicht eine weitere, eigene in Halle anonym erschienenen Schrift mit dem Titel Hierolcles oder
Bewe1sgattung ausmache, und den dritten Beweis, "der hochst un- Priijung und Vertheidigung der christ!ichen Reli'gion angestellt von den
schicklich ofters den Namen eines testimonii Spiritus Sancti erhiilt Herren Michaelis, Semler, Lefl und Frrfret (auf die Kleuker 1787 mit
und aus inneren Argumenten geftihrt wird" und beziiglich dessen er dem ersten Teil seiner oben erwiihnten Neuen Priifung und Erlcliirunj 31
noch nicht ganz "desperiere"; 233 spiiter hezeichnet Diez diesen dritten antwortete) werden sie als die Repriisentanten der christlichen He-
Beweis- offenbar in dem Bemiihen urn einen weniger "unschicklichen" terodoxie in Anspruch genommen. Der Autor, Christian Ludwig Paal-
Namen - als denjenigen aus dem ,,nhalt der Lehre". 234 zow, bedient sich des franzosischen Naturalisten Nicolas Fn!ret als
. Es gilt nun z~niichst, i.iher diese drei Hauptbeweise und ihre Stellung Sprachrohr fur seine eigene Offenbarungs- und Religionskritik, welche
m der apologeuschen Literatur einigen AufschluB zu gewinnen. Dazu die Differenzen zwischen den genannten Apologeten, insbesondere
mi.issen Schriften namhafter theologischer Autoren der Zeit herange- zwischen Semler einerseits und Michaelis und LeB andererseits, i.iber
zogen werden, und diese wiederum miissen aus der groBen Zahl der die Gewichtung der verschiedenen Beweise fur ihre Zwecke einsetzt
Th:ologen so _ausgewiihlt werden, daB sich die konkurrierenden Haupt- und ausnutzt. 238 Mit LeB ist nun ein weiterer ft.ihrender Apologet, und
stromungen mnerhalb der Theologie des spiiten 18. Jahrhunderts
nachzeichnen lassen und daB auBerdem die fur Diez seiher maBge- wie Martin Brecht (,Die Entwicklung der Alten Bibliothek des Tiibinger
benden Positionen und Begri.indungsgiinge zur Sprache kommen. Stifts in ihrem theologie- und geistesgeschichtlichen Zusarnrnenhang. Eine
Durch diese heiden Gesichtspunkte erhiilt die Auswahl eine iiberra- Untersuchung zur wurtternbergischen Theologie", in: Blatter for wiirttem-
schend klare Anleitung. Unter dem zweiten Gesichtspunkt ist die bergische Kirchengeschichte Bd. 63 1963, S. 3_-103, S. 77)_ b_enchtet, unter
Beri.icksichtigung Storrs, des theologischen Lehrers Diez' ( dessen Ver- den neuen Namen Semler und Michaelis Jem rnengenrna~tg aile anderen
weit". Brecht rechnet beide Autoren der Neologie zu. Ob dies berechtigt
sion des Wunderbeweises soeben angesprochen wurde), zwingend
ist, hangt aber davon ab, wie weit man den Begriffder Neologie f~t.
geboten und die Beriicksichtigung Semlers und Michaelis' 235 zumindest Wenn Karl Aner nicht einmal Semler als Neologen liD strengsten Smn
nahegelegt, weil diese mit mehr Werken als aile anderen theologischen gel ten liillt (Theologie der Lessingzeit ( cf. Anm. 32), S. 9~), wird man -~in en
Autoren der Zeit in der Tiibinger Stiftsbibliothek vertreten waren? 36 groBzugigen Gebrauch von dem TeriiDnus_ ,Neologe machen mussen,
wenn er auf Michaelis zutreffen soli. Vgl. hterzu unten S. 996.
237
Cf. Anrn.214.
232 238 Gottlieb Jakob Planck schreibt im ersten Band seiner Einleitung in die
Vgl. hierzu A 7 S. 58 Z.lO ff.
233 theologische Wzssenschajten, 2 Bde. Leipzig 1794-_1795, ~d. 1 S. 347, de~
A 3 S.18 Z.33- S.19 Z.4.
234 Hierokles Carl Friedrich Bahrdt zu. Vier Jahre spater WITd als Atltor be1
A 7 S.58 Z.14. Georg Christoph Hamberger, Johann Georg ~eusel., Dargelehrge Teutschland
235 Joh ann David Michaelis (1717-1791), aus Halle, lehrte von 1745 his zu
oder Lexikon der jetzdebenden teutschen Schrijtsteller, 23 Bde. 17~6-1834,
seinem Tode in Gottingen zuniichst als auEerordentlicher und seit 1750 Bd. 6 S. 3 aber Christian Ludwig Paalzow, geboren 1753, Knmmalrat m
als ordentlicher Professor der Orientalistik in der philosophischen Fakultat. Berlin, genannt. Der Titel verweist auBer au~Hierokles, den Statthalter ~on
Er las uber alt- und neutestamentliche Exegese und Kritik., Mosaisches Bithynien im Ubergang vom dritten zum VJerten Jahrhundert _und s~ater
~echt, orientalische Sprachen und, mit einer Sondergenehmigung, auch von Alexandrien, der als Au tor wie auch als Statthalter gegen clie Christen
uber Dogmatik und Moral, ohne je zum Professor der Theologie ernannt wirkte, auf die 1766 unter dem Namen von ~icolas Frere~ ~1688-,1749)
worden
2
zu sein. Im Vorwort zu seiner deutschen Dogmatik (Gottingen erschienene Schrift Examen critique des apologzstes de la relzgzon chretzenne.
~_784) weist er seiher darauf hin, daB er sich auf die symbolischen Auf Seite 4 umreiBt ihr Autor - nach Johann Samuel Ersch, Johann
Bucher, denen er Respekt schuldig sei, nie verptlichtet habe (S. VII). Gottfried Gruber (Hrsg.), Allgemeine Encyklopiidie der Wissenschajten und
236 B d Kiinste., Leipzig 1818ff. (ND Graz 1969ff.), Bd.L49 Leipzig 1849, S.154,
ei en Neuanschaffungen in der Stiftsbibliothek nach 1768 ubertreffen,

992 993
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

zwar im Kontrast zu Semler und Michaelis ein Vertreter der Orthodoxie, Ebensowenig ist ein Beweis der Gottlichkeit des Alten Testamentes
genannt. Ich werde mich im folgenden an diese Vorgabe halten und oder ein Beweis der Wahrheit der lutherischen Religion gefordert.
zunachst die Positionen LeE: Michaelis' und Sem.lers kurz vorstellen Es geht vielmehr urn die Gottlichkeit des Neuen Testamentes und,
und darauf die ganz anders geartete, zwar orthodoxe, doch nicht mit in einem damit, urn die Wahrheit der christlichen Religion. LeE versteht
der LeEschen verwandte, Position Storrs so weit umreillen, wie es darunter ,die Lehre von der Verbindung der Menschen mit Gott
ftir das Verstandnis der Offenbarungskritik Diez' unerlaElich ist. 239 durch Jesum den Messias. Sie enthalt die Satze des apostolischen
In seiner Schrift Wahrheit der christlichen Religion 240 gibt LeE eine Glaubensbekenntnisses, ohne weitere Erklarung; das heiEt so wie sie
klare Formulierung des im Titel des Buches bereits angesprochenen alle christliche Religionsparteien annemen. Wer diesen Unterschied
Beweiszieles. Nachdem er in §§ 3 und 4 der Einleitung die ihm be- nicht beobachtet, der vermenget die Dogmatik mit der Einleitung
deutsam erscheinenden naturalistischen Schriften, angefangen von Ed- zur Dogmatik"?42 Die Hoffnung ist offenbar die, daE, wenn einmal
ward Herbert von Cherbury, Thomas Hobbes und John Toland, an- gegen die Naturalisten gezeigt ist, 1) daE die christliche Religion
,gottlichen Ursprungs und wahr, auch 2 ) d aJ;) - n s1e
·
es nur all em
· sey",243
geft.ihrt und beurteilt hat, fragt er in§ 5, ,[w]as gegen die Naturalisten
hier eigentlich soll bewiesen werden". Er empfiehlt, unnotige Umwege sich gegeniiber den nichtlutherischen Konfessionen alles weitere fin-
zu vermeiden. Insbesondere braucht das Dasein Gottes nicht bewiesen den wird.
zu werden: ,Der atheistische Irrtum ist so offenbar falsch, da.B man Wie nun dieser Beweis ,am bequemsten zu fi.iren" sei, wird in § 6
nur ausserordentlich wenige demselben geneigt fmdet: und diese erortert. Zunachst stellt LeE fest, daE die christliche Religion historisch,
wenige von allen mit Entsetzen und Abscheu betrachtet werden."241 d. h. durch ,Zeugnisse" bewiesen werden muK Der historische Beweis
steht im Kontrast zum apodiktischen Beweis der Metaphysik und
Mathematik und zum Beweis durchs Experiment der Physik. Es wird
jedenfalls nicht Freret, was auch schon Gottfried LeiS, Ueber die Religion, also sogleich denjenigen entgegengetreten, die - im Zw~schenb~reich
ihre Geschichte, Wahl und Bestiitigun.g, 2 Bde. Gottingen 2 1786, Bd. 2 S. VI von gemaEigtem Naturalismus und radikaler Heterodox1e anges1edelt
(,Vorrede zur ersten Auflage 1768") behauptet, nach La Grande Encyclo- - das Wesen des Christentums in Wahrheiten erblicken. die auch aus
pldie, hrsg. von M. Berthelot u. a., Paris 1889 ff., Bd. 18 S. 149 in Wahrheit reiner Vernunft beweisbar sein sollen. (Da LeE die wesentlichen Wahr-
d'Holbach - sein vorgebliches Ziel auf eine Art, die das wahre Ieicht
erkennen liifSt: ,[...] le nombre des incredules est prodigieusement aug- heiten des Christentums im apostolischen Glaubensbekenntnis for-
mente; & c'est pour le diminuer qu'on se propose dans cet ouvrage de muliert sieht, war dies zu erwarten.) Darauf folgt die Unterscheidung
faire voir le foible de plusieurs preuves dont se servent communement zwischen inneren und auEeren Zeugnissen und damit bereits die
les Apologistes du Christianisme. Peut-etre engagera-t-on par-la quelque zwischen den heiden Hauptbeweisarten: dem sogenannten inneren
nouvel Ecrivain a traiter ces matieres avec assez d'exactitude pour qu'il Zeugnis des heiligen Geistes ~nd d~n auf. auEeren gottlich~n Zeug-
ne reste plus de ressource a l'incredulite". - Paalzow lillt mittels Zitaten nissen _ auf ,Wunderwerken" rm wetten Smn, der auch erfullte Pro-
und (im wesentlichen korrekter) Paraphrase die genannten Apologeten phezeiungen einschlieEt - beruhenden Beweisen. Auf die letzteren
- Michaelis, Semler und LeiS - auftreten und an seinen, Freret in den
Mund gelegten, Gegenargumenten scheitern. Der erste Teil von Kleukers kommt es LeE zufolge an; denn das. innere Zeug~is .- die Er~a~u~3
Neuer Priijung und Erkliirung ( cf. Anm. 214) war, wie erwiihn t, eine Antwort der bessernden und begliickenden Wrrkung der christl1chen Rehgwn
auf Paalzow. Kleuker weist en passant auf die vielsagende Aufnabme des - ist privat und gri.indet in Empfmdung. Es ist da~er ftir. die Apologe~
Namens 'Hierokles' in den Titel hin und spekuliert dari.iber, ob ,der neue und erst recht fur die Polemik nicht geeignet, weil es ,rue zum Bewe1se
Hierokles seinem Urbilde auch als thiitiger Verfolger der Christen gleichen
wi.irde, wenn er Regent einer Provinz ware, und die Sache in gleicher
Lage fande" (ebd. S. 51).
239
Fi.ir eine ausft.ihrlichere Darstellung der Storrschen Theologie vgl. Gadl II. 242 Ebd.
240 Bremen 1768; im folgenden zitiert nach der vierten Auflage, Gottingen 243 Ebd.
244 V: l. Gottfried LeiS, Christliche Religions-Theorie fors gemeine Leben oder
und Bremen 4 1776.
241 fersuch einer pralctischen Dogmati!r., Gottingen 1779, S. 9 f.
Ebd. § 5.

995
994
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenharung

g~ge~ ander~" angeftihrt_ werden kann und dar£.245 Die Empfindung, bolischen Biichern gefestigten LeE250 und mit dem gemaEigten He-
d1e ~ur das. emzelne SubJekt unabweisbar und eindringlich sein mag, terodoxen Michaelis 251 ist Semler fast schon der Neologie, d. h. jener
gewahrt kem Fundament ftir intersubjektiv verbindliche Lehren. Man Vorhut der Heterodoxie zuzurechnen, die seit etwa 1760 darauf hin-
sieht deutlich, dcill LeE groBen Wert darauf legt, die Gottlichkeit und wirkte, den christlichen Dogmenbestand auf die Resultate natiirlicher
Wahrheit des Christentums in allgemeingiiltiger Form, wenn auch Theologie zu reduzieren, wenn sie auch gegeniiber dem Naturalisrnus
nicht apodiktisch, sondern historisch, darzutun. daran festhielt, dcill dieser Dogmenbestand neben seiner philosophi-
Wie LeE macht auch Michaelis den Beweis a us den Wundern ( und schen auch noch eine in gottlicher Offenbarung griindende Autoritat
Weissagungen) zum tragenden Pfeiler der Apologetik, tut dies aber besitze.252 Semler gehorte freilich in den achtziger Jahren gewiE nicht
aus anderen Grunden. Nicht nur ftir die Apologetik und Polernik, mehr der heterodoxen Vorhut an, nicht so sehr weil er hinter seine
sondern auch ftir die Fundierung seines eigenen Glaubens ist ihm friiheren - oftmals nicht eindeutig formulierten - Positionen zuriick-
253
der Wunderbeweis unerliilllich. In der Auseinandersetzung mit Semler gefallen, sondern eher, weil er bei ihnen stehengeblieben war.
nennt er sich seiher als einen der vielen ,Schwachen", die dieses Johann Salomo Semler hat 1779 mit seiner Beantwortung der Frag-
Beweises bediirfen, urn rucht zu Naturalisten zu werden/ 46 und in mente eines Ungenannted- 54 in die Diskussion urn die von Lessing
255
der Vorrede zu seiner deutschen Dogmatik erinnert er in Bezug auf herausgegebenen sogenannten Wolfenbiittelschen Fragmente einge-
die iibernatiirlichen Gnadenwirkungen an sein Gestandnis: ,daB ich griffen. Er folgte dabei dem auch von Lessing seiher in seinen Be-
in meinem ganzen Leben bey genauer Priifung meiner eigenen Er- merkungen zu den FragmenteD eingeschlagenen Weg, den Fragmen-
fahrungen nie etwas iibernatiirliches an mir wahrgenommen hatte". 247 tenschreiber einer Vermischung des wesentlichen Kerns des Chri-
Wenn aber der Beweis aus dern Inhalt der Lehre so zu verstehen ist, stentums mit einer bestimmten - niimlich der orthodoxen - Theologie
dcill das innere Zeugnis des heiligen Geistes in natiirlicher Empfindung zu zeihen. In dieses Vorgehen ftigt sich, bei Semler wie bei Lessing,
(vgl. LeE' Position) bzw. daB die innere Kraft der christlichen Lehre die Abwertung des Wunderbeweises zwanglos ein. Wenn. Le~ den
in natiirlicher Beforderung der Moralitat besteht, dann beweist er Wunderbeweis deswegen ftir unersetzlich halt, weil er allem d1e er-
nur den erbaulichen bzw. moralischen Wert, nicht aber die Gottlichk.eit forderliche Intersubjektivitat verb urge, so heillt es dagegen bei Semler:
des Christentums. Es ist dann schwer, wenn nicht unmoglich, das ,Man kann aber freilich [... ] nicht geradehin alle Mensch en auf Wunder
Christentum gegeniiber natiirlicher Religion und philosophischer Sit-
tenlehre weiter auszuzeichnen?48 250 Vgl. den Vorberichtzur ftinften Auflage von Ueber die Religion ( cf. Anm. 238),
Semler, gegen den diese Position vornehmlich formuliert wurde, Bd. 2 1785.
ist einer derjenigen ,graBen Theologen" - und ein besonders pro- 25 1 Michaelis seiher glaubt, daE seine deutsche Dogmatik von 1784, in_der
minenter unter ihnen -, die bekennen, daB ,der Wunderbeweis nichts er vie! dreister rede, auch wirklich noch mehr von den ehemals gewohn-
tauge", 249 auch wenn Semler in der Wortwahl zuriickhaltender ist als lichen Meinungen abgehe", als er es 1760 in der damals als he~erodox
angesehenen lateinischen Erstausgabe gewagt babe, ,ganz gewili sehr
Diez. Verglichen mit dem nach vielen Zweifeln., die seinem eigenen
vielen zu orthodox seyn" werde (Dogmatzk ( cf. Anm. 235), S. VIII).
Zeugnis zufolge der Reihe nach alle wesentlichen Dogmen der lu- 252 Eichhorn von dem SiiEkind berichtet, er sei ,ein arger, arger Ketzer"
therischen Kirche einmal betrafen, in seinem Bekenntnis zu den sym- (C 1 S. 169 z. 18f.), der aber die his~orische Glaubwiirdigkeit der Wunder
Jesu nicht bestreitet, freilich auch keme we1tgehenden dogmauschen Kon-
sequenzen aus den Wundern zieht (vgl. C 1 S. 170 Z. 6-10 und C 1/ 22),
245
Ebd. § 6 ist ein exemplarischer Vertreter der Neologie, ebenso Planck und Spittler
246 ( vgl. Aner, Theologie der Lessingzeit ( cf. Anm. 32), S. 138 ff.).
Johann David Michaelis, Orientalische und exegetische Bibliothelc, 24 Bde.
253 Vgl. ebd. S. 102, bes. Anm.l.
Frankfurt a.M. 1771-1789, Bd.1 8.89.
247 254 Der vollstandige Titellautet: Beantwortung der Fragmente eines Ungenannten,
Michaelis, Dogmatik ( cf. Anm. 235), S. VII.
248 insbesondere vom Zweck ]esu und seiner fiinger, Halle 1779.
Vgl. Michaelis, Orientalische Bibliothek ( cf. Anm. 246), S. 89 ff.
255
249
Vgl. A 7 S. 58 Z. IOf. Vgl. Anm. 286.

997
996
Begleittexte Diez' Kritik der Mi:iglichkeit einer Offenbarung

verweisen", und: ,[ ... ) einen Deisten mus man nicht durch Erzalung Vernunft seiher als eine gottliche Gabe bezeichnen konnte. Die Ver-
von Wundern widerlegen wollen; welches ich ihm [dem Fragmenten- nunft namlich wird hier nicht blog zum Richter, sondern zum Er-
schreiber) volkommen zugebe"? 56 Semler leugnet freilich nicht, son- kenntnisprinzip in Glaubenssachen; denn sie kann Glaubensinhalte,
dern beharrt gegen den Fragmentisten gerade darauf, dag Wunder wenn es auf auBere, historische Belege bei der Beurteilung nicht
- und auch Wundererzahlungen - in besonderen Fallen Glaubensanla~ ankommen soli, nur dann als ihren Anspriichen geniigend beurteilen,
sein konnen. Jedoch entsteht ,aus Wundern [nicht) fides diuina, ein wenn sie diese Inhalte als ihre eigenen wiedererkennt unci sie folglich
gottlicher Glaube [... ); sondern [fides) humana, der erst wieder in unabhangig von jedem Religionsvortrag schon in ihrem Besitz hat.
gottlichen Glauben iibergehen, oder aus dem Inhalt der erkannten Solche Uberlegungen waren es, die Michaelis im Wunderbeweis den
260
Wahrheiten, nun in dem Menschen selbst entstehen" muK 257 Wunder einzig wirksamen Schutz gegen den Naturalismus erblicken lieBen.
taugen daher ,nicht zum Hauptbeweise oder einzigen Beweise der Bisher wurde iiber die verschiedenen Beweisarten und iiber den
christlichen Grundwahrheiten", sondern gehoren zu den ,geringern Wert, den verschiedene Theologen ihnen beimessen, gesprochen. Die
Beweisen, welche in ihrer Art, ftir manche Menschen, eine leichtere Charakterisierung der - friihen, noch nicht in Beziehung auf Kant
Ueberzeugung vom Christentum befordert haben, und befordern kon- konzipierten - Apologetik Storrs soil nun zugleich zum Anlag ge-
nen, als andre schwerere und subtilere Lehrarten" (ebd.). Aber: ,unser nommen werden, den Wunderbeweis in einer konkreten Ausftihrung
eigener Glaube, fides diuina, ist auf Gottes jeziger Mitwirkung ge- zu betrachten, die ja auch diejenige Ausftihrung ist, welche fur Diez
·· n 261
griindet., welche die Wahrheiten durch ihren Inhalt in unserer Seele eine Zeitlang Uberzeugungskraft besaJ.).
hervorbringen und festsetzen". 258 Storrs Dogmatik erschien 1793 in Stuttgart unter dem Titel Doc-
Es ist diese These vom gottgewirkten Glauben, an der die oben trinae christianae pars theoretica e sacris literis repetita, also zu spat,
dargestellte Kritik Michaelis' einsetzt. Michaelis nimmt zu Recht an, urn in Diez' theologischen Aufsatzen Beriicksichtigung finden zu
dag Semler diese Mitwirkung Gottes nicht als iibernatiirliche Gna- konnen. 262 Aber wir konnen davon ausgehen, daB ihr Inhalt Diez
denwirkung versteht, d~ vielmehr die Rede vom Zeugnis des heiligen
Geistes, das fides divina im Herzen des Glaubenden bewirkt, den
Inhalt der Lehre meint, der ftir sie sprechen und zeugen soll? 59 260 Vom Standpunkt eines entwickelteren Vernunftbegriffes_ aus mag diese
Der Akt der Zustimmung zu einem in und durch sich selbst iiber- Naturalismusfurcht als k.leinlich erscheinen und das neologische Programm,
zeugenden Lehrinhalt bedarf einer giittlichen Mitwirkung nur in dem den Offenbarungsinhalt mit den Vernunftinhalte~ zur Deckung zu bringen,
sehr allgemeinen und schwachen Sinn, in dem man die menschliche als ungefilirlich ft.ir die ,Geheimnisse" des Christentums .. DaJS die Natu-
ralisten des 18. Jahrhunderts einen engen Vernunftbegr1ff hatten, dem
zufolge Dogmen wie die Dreieinigkeitslehre, Erbsiinde, stellvertretende
256 Genugtuung (,das wort vom creuz", 1. Kor 1,18) Torheiten waren, mag
Semler, Beantwortung (cf. Anm. 254), S. 358; zur radikalen Differenz in
der Beweiskraft von Wundern und von Erziihlungen von Wundern, wel~e von diesem Standpunkt aus als e!ll h1stons_cher Zu~all ersche!llen. In der
die Allgemeinheit des Wunderbeweises gefahrdet, vgl. auch Lessing, Uber Tat ist ja wenige Jahre nach den D1skussiO~en, die unser Them~ smd,
den Beweis des Geistes und der Krrift: ,Ein andres sind Wunder, die ich mit ein sehr viel reicherer (aber auch sehr umstnttener) Vernunftbegr1ff ent-
meinen Augen sehe, und selbst zu priifen Gelegenheit habe: ein andres wickelt worden der es ermi:iglichte, Lehrgehalte als rein verniinftig vor-
sind Wunder, von denen ich nur historisch weill, daJS sie andre wollen zutragen, die z'uvor als radikal_iiber ~e Vernunft (wenn nicht gar als
gesehn und gepriift haben." (Lessings samtliche Schri.fien (cf. Arun.210), absurd) erschienen wiiren. Less!llg hat m der Erzzehung des Menschenge-
Bd. 13 S. 3). Vgl. hierzu unten S. l006f. schlechts (Lessings samtliche S~hri.fien (cf. ~.210), Bd.13 8.412-436)
257 1777-1780 bereits in diese Richtung geWiesen (vgl. bes. §§ 73-76). Vgl.
Semler, Beantwortung (cf. Anm. 254), S. 368.
258 oben S. 989-991 und unten S. 1011 f. sowie Cadi IX. 4 und XVII.
Ebd. S. 380; Paalzow zitiert, wahrscheinlich der eigentlichen Absicht Sem-
261
lers entsprechend: "[...] welche die Wahrheiten durch ihren Inhalt in Vgl. oben S. 992. .. .
unserer Seele hervorbringt und festsetzt" (Hierokles (cf. oben S. 993), 262 Eine deutsche Obersetzung erschien zehn Jahre spater ebenfalls m Stuttgart
S. 5). Vgl. auch Anm. 238. unter dem Titel: Lehrbuch zur christ/ichen Dogmatih, ins Deutsche ii.bersetzt,
259 mit Erliiuterungen aus andern, vornehmlich des Verjassers eigenen, Schriften
Vgl. Diez' terrninologische Bedenken (vgl. oben S. 992).

999
998
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

1790/ 91 im wesentlichen bekannt war; denn sie ist aus Storrs Lehr- Wahrend er auf diese Weise der Textkritik grundsatzlich einen
tatigkeit in Ti.ibingen hervorgegangen. 263 Insbesondere Storrs Be- Einflug auf Fragen der Exegese und damit indirekt der Dogmatik
weisansatz fur die Gottlichkeit und Wahrheit der christlichen Lehre einraumt, verwehrt er ihn andererseits der Philosophie. Er verwirft,
war i.iberdies bereits aus veroffentlichten Texten bekannt. 264 indem er dies tut, sowohl das dogmatische als auch das diesem zu-
Storr schreibt gleich zu Beginn der Vorrede, dag er die Dogmatik geordnete exegetische Grundprinzip der Neologie: das Postulat der
bisher abwechselnd kirchlich und biblisch, also abwechselnd auf der Ubereinstimmung von verni.inftiger und geoffenbarter Gotteserkennt-
Grundlage eines theologischen Kompendiums (in Ti.ibingen desje- nis bzw. das Akkomodationsprinzip in der Bibelexegese: , Weist man
nigen von Sartorius) und auf der Grundlage des Bibeltextes vorge- der Philosophie das Geschaft an [...] [hier folgt ein Verweis auf Eich-
tragen habe. Veroffentlicht wird nun, gemag dem Titel, die biblische horn, den Siigkind in Gottingen als einen ,argen Ketzer' kennenlernte],
Dogmatik (,e sacris literis repetita"). Storr begri.indet dies, indem er die wahren Lehren Christi und der Apostel von den beigemischten
u. a. auf die ,Unbequemlichkeit" verweist, die die andere Methode Irrthiimern ihrer Zeitgenossen zu scheiden, so stogt man die Auctoritat
hat, ,welche die dogmatischen Begriffe, Satze und Ausdri.icke der gottlicher Gesandten offenbar urn; denn man nimmt ihre Ausspri.iche
heiligen Schrift nur aus Gelegenheit der kirchlichen erortert". 265 Bereits auch in dem Fall, wenn man sie fur wahr halt, nicht mehr aus dem
hier kiindigt sich an, dag Storrs Orthodoxie weniger eine kirchlich- Grunde, weil sie es gesagt haben, sondern blos darum an, weil ir-
gendeine Philosophie ihre Ausspriiche diegmal gene~_nigt hat.:'
267
symbolische als eine biblische ist (wobei allerdings fur Storr die
biblische Orthodoxie ihrem Inhalt nach mit der kirchlichen weitgehend Ist eine Aussage Jesu oder eines Apostels textkritisch ges1chert
koinzidiert). Das ganze erste Buch der Dogmatik (§§ 1-16) hat denn und als echt erwiesen, so ist jede weitere ,Scheidung ihrer sogenannten
auch die Aufgabe, die dogmatische Autoritat der Bibel zu sichern. eigentlichen Lehre von den irrigen Volksmeinungen, _mit denen sie ver-
268
Diesem Ziel client auch der Wunderbeweis. Ist es erreicht, so ist die mischt seyn soil", unstatthaft,
.
eine Akkomodatwn

Jesu
269
und der.
Grundlage des Protestantismus, das Schriftprinzip, gesichert. Apostel an irrige Volksmemungen hat es mcht gegeben. Hat d1e
Zunachst (§§ 1-5) geht es urn die Echtheit und historische Glaub-
wi.irdigkeit des Neuen Testamentes. Storr kommt aufgrund seiner Uber- 267
Ebd. S. XVIII.
legungen zur Entstehungsgeschichte des Kanons und textkritischer 268
Ebd. S. XVI.
Untersuchungen zu einem fur den dogmatischen Status des gesamten 269 Zurn Vergleich ebd. S. 191 (§ 13, 2. Arun.): ,Diejenigen, welche bei Er-
Neuen Testamentes sehr gi.instigen Ergebnis. Er bemi.iht sich aber, kliirungen Jesu und der Apostel uber das Alt_e Testament, eben so, Wie
die Begri.indungen fur die einzelnen biblischen Lehren, die er (von bei anderen ihrer Ausspri.iche, eine Accomodatzon (Be<_ruernung) nac~. der
§ 17 an) vortragt, von angefochtenen Stell en und Schriften ( etwa falschen Meinung ihrer Zuhorer, welche sehr hohe Begriffe v?n den he1hgen
Schriften der Juden gehabt haben, annehmen, setzen mcht nur etwas
dem Hebraerbrief, dessen Echtheit er seiher annimmt) moglichst un-
sehr willkuhrliches voraus, sondern verletzen auch allgemein geltende
abhangig zu halten. 266 Gesetze der Auslegung, und stossen das Ansehen ~-nd die Gl_~ubw~rdig~eit
urn, welche wir Jesu und seinen Aposteln emraurne~ rn~ssen. - E~e
Forrnulierung der hier kritisierten ~ese von der, w1e s1e auch heillt,
und mit Zusiitzen aus der theologirchen Litteratur seit dem ]ahr 1793 versehen art" findet s1ch z. B. 111 der Vorrede von Semlers Beant-
von Carl Christian Flatt. Der Ubersetzer war der jungere Bruder von , d oppelten Lehr d . klich ch
wortung (cf. Anm.254): ,,ch hoffe nun selbst, es wer eliWlfd. glnach
Johann Friedrich Flatt. und nach glucklich zu Stande kornrnen., daB in den Evange en 1e e1 -
263
Vgl. Storr, Doctrinae christianae ( cf. oben S. 999), S. VII und Storr, Christliclze ·· d lte Lehrart unterschieden und herausgesucht werde; davon
ze1nge oppe · · d 0
Dogmatik ( cf. Anm. 262), S. XIII. die eine, sinnliche, bildliche, den wahren Charakter 1ener Zeit un _rte
264
Vgl. z. B. seine Dissertatio exegetica in librorum N T historicorum aliquot cht . d darnalen nur fur solche Leser aus den Juden besnmt
ausma , un . d 1·· 1 ·ch
loca, 3 Bde. Thbingen 1790-1794, Bd. 2 1791, S. 53 f. worden ist [.. .]. Und hier stellen sich die A~oste1 UJ~ unger g[e1] sdarn
265
Storr, Doctrinae christianae ( cf. oben S. 999), S. IV und Storr, Christliche ·t in die Reihe, urn and ern darnal1gen Zeitgenossen ... . en
se lb st ml ·n reine geistliche Erkennt.nis, durchihrB e1sp1e
. . l zu erle1.ch tern.
Dogmatik ( cf. Anm. 262), S. X. Ueb ergang 1 . · ·ch L hr
266 Die andre Lehrart aber hat schon den remen Inhalt der ge1stli en e en
Vgl. Storr, Christliche Dogmatik ( cf. Anm. 262), S. XIV f.

1001
1000
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

Textkritik einmal ihr Werk getan, so ist der Bestand der dogmatisch ligion diesen Anforderungen genugt, lohnt sich die Frage, ob sie
verbindlichen Aussagen des Neuen Testamentes nicht weiter einzu- auch positiv durch wahre Wunder (und erfullte Weissagungen) als
273
grenzen. Fur die Begriindung eben dieser Position benutzt Storr den gottliche Religion ausgezeichnet ist. ..
Wunderbeweis. Bei Storr fmdet sich nichts von derlei Uberlegungen, die sich auch
Diesem Beweis standen im allgemeinen eine Reihe von Schwie- schwerlich zu einer haltbaren Position stabilisieren lassen durften.
rigkeiten im Wege, die zunachst behoben werden muEten. Nicht nur So wird auch verstandlicher, daE Diez den Wunderbeweis gerade in
kommen Wundererzahlungen auch auEerhalb der jiidisch-christlichen derjenigen Form eine Zeitlang akzeptieren konnte, in der Storr, der
Tradition vor und konnen von Apologeten konkurrierender Religionen bekanntermaEen orthodoxe Theologe, ibn vortrug, und nicht etwa
in Anspruch genommen werden ( das naheliegendste und immer wieder in der Version des gemaEigt heterodoxen Michaelis oder anderer
behandelte Beispiel hierfur bildet der Islam);270 sondern die Bibel Heterodoxer. Storr stellt von Anfang an Jesus seiher in den Mittelpunkt
seiher berichtet von Wundern, die von Zauberern und Pries tern fremder seiner Uberlegungen. Auf die Autoritat dieser Person kommt ibm wie
Religion en vollbracht worden sein soilen ( etwa von den Zauberern im Glauben, so in der Theologie alles an. Hier liegt der Grund,
A.gyptens, 2. Mose 7,11 f.). Wenn sich die historische Glaubwi.irdigkeit warum es unangebracht ist, Storr ohne weitere Differenzierungen der
solcher Wundererziihlungen nicht k.lar mittels einer Begriindung be- lutherischen Orthodoxie - und dann als einen sehr verspateten Ver-
streiten liiEt, die auf die christlichen Wunder keine Anwendung findet, treter - zuzurechnen. Auch wenn er sich im Ergebnis mit dem or-
wenn also die Echtheit und Glaubwiirdigkeit des fraglichen Berichtes thodoxen Lehrsystem trifft, so ist sein Weg dorthin neu .. Sto.rr ~upft
nicht angezweifelt werden darf, so bleibt dem christlichen Apologeten an bei dem beispiellosen Anspruch, mit dem - gegeben d1.e h1stonsche
die Wahl, entweder der berichteten Begebenheit den Charakter eines Glaubwi.irdigkeit des Neuen Testamentes (und abstrahiert von der
wahren Wunders abzusprechen oder wenigstens ihren Rang als Wunder Entwicklung, welche die Bibelkritik seit Storrs Zeit geno~me~ hat)
gegeniiber dem Rang der christlichen Wunder herabzusetzen. Michaelis - Jesus aufgetreten ist. Dieser Anspruch ist, mit welchem histon~chen
wahlt durchgangig den ersten Weg und versucht zu zeigen, daE bose Recht auch immer, in den fur die Neologie und den Naturalismus
Geister (und falsche Priester) zu schwach sind oder von Gott daran anstoEigsten Lehren der Kirche kodifiziert worden (Wesensgleichheit
gehindert werden, wirkliche Wunder zu vollbringen. Er gibt sich daher des Sohnes mit dem Vater, stellvertretende Genugtuung). Aber Storr
auch Miihe, mit dem Christentum konkurrierende Offenbarungsreli- ist die biblische Urform des Selbstverstandnisses und des Anspruchs
gionen hereits im Vorfeld des eigentlichen Wunderbeweises auszu- Jesu entschieden wichtiger als die kirchliche Christologie und Recht-
schalten, und zahlt dafur den fur Storr nicht annehmbaren Preis, der fertigungslehre.
Philosophie EinfluE auf die Beurteilung der Offenbarung zu gestatten: Wenn die historische Glaubwi.irdigkeit des Neuen Testamentes
Die wesentlichen negativen Merkmale fur eine gottliche Offenbarung gesichert ist, wird die Frage nach seiner dogma~.~chen Autorita~ zu
sind Freiheit von philosophischen, historischen, begrifflichen und lo- der Frage nach der Glaubwi.irdigkeit und Autontat Jesu und semer
gischen Irrtiimern 271 und das Fehlen keiner Antwort auf eine der Apostel. Die Autoritat der letzteren glaubt Storr aus derjenigen Jesu
Fragen, urn derentwillen Offenbarung tiber die natiirliche Religion herleiten zu konnen, da Jesus sie mit Lehrvollmacht ausgestattet
hinaus iiberhaupt notwendig ist. 272 Erst wenn eine Offenbarungsre- hat. Es bleibt also die Grundfrage nach Jesu Autoritat. Fur St~rr
ist der christliche Glaube - ganz un-orthodox - zu allererst Hin-
wendung zu und Vertrauen auf eine Person. und ~nwendun? zu
einer Lehre nur mittelbar und insofern, als s1e als d1e Lehre dieser
Jesu, und kan jene Bilder wirklich ganz entberen, wenn die Zuhorer oder Person historisch und exegetisch ausgewiesen werden kann. Die dog-
Leser nicht mehr solche sinliche ungei.ibte Juden sind" (unpaginiert, Ab-
schnitt b 1).
matische Autoritat des Neuen Testamentes folgt aus der personlichen
270
Vgl. etwa Michaelis, Dogmatik ( cf. Anm. 235), §§ 6 ff.
271
Ebd. § 3.
273
272
Ebd. § 4. Ebd. § 8.

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Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

Autoritiit Jesu, und diese muE sich ftir uns aus den Nachrichten gumentiert, so wiiren seine Angriffe auf Jesus unverstandliche und
ergeben, die wir iiber sein Leben haben. D. h. die historische Glaub- theoretisch unnotige AusfaJle gewesen. Vor Storrschem Hintergrund
wiirdigkeit des Neuen Testamentes rouE die personliche Autoritiit aber muEte er ein Interesse an solchen Argumenten gewinnen.
Jesu begriinden, und diese begriindet dann die dogmatische Autoritat Diez' Argumentation a posteriori gegen die Gottlichkeit und Wahr-
Jesu und des Neuen Testamentes. heit der christlichen Religion, die er in eine an der Kantischen An-
Die - historisch glaubwiirdigen - Nachrichten nun, die wir von tinomienlehre gewonnene Form gebracht hat, kehrt eine vermeintliche
J:sus haben, weisen ihn als einen nicht nur von betriigerischen Ab- Starke der Apologetik gegen die christliche Religion. Dem Christentum
Sichten, sondern auch von Leichtsinn und Unbesonnenheit freien soli die Last einer nachweislich falschen Weissagung Jesu auferlegt
Menschen aus. Selbst abgesehen von den Wundern, die er vollbracht werden. 278 Diese Strategie der Verwandlung einer vermeintlichen Star-
hat, liiEt sich auf die Frage, unter welchen Umstiinden ein solcher ke in eine Schwache erscheint Diez urn so erfolgversprechender, als
Mensch mit dem Anspruch auftreten konnte, der von Gott gesandte er iiber eine Argumentation a posteriori gegen den konkret durch-
Welterloser zu sein, daher eigentlich nur antworten: Wenner es wirklich gefuhrten Wunderbeweis noch nicht verfugt. Die friihere, oben 279 schon
w_ar. V~~ den Beweis aus den Wundern274 stellt Storr entsprechend zitierte scheinbar gegenteilige Bemerkung (im Brief an Nietharnmer
d~eser Uberlegung den Beweis aus Jesu ,Denk- und Handlungsart" 275 . vom 19.-22. Juni 1790280), daB der Wunderbeweis, ,so wie er von
Die Wunder schlieElich machen Jesu personliche Autoritiit als eines Storr gefuhrt wird und wie er mir his itzt befriedigend war", fallen
von Gott (vor allen anderen Menschen) ausgezeichneten Menschen miisse, stiitzt sich, wie der Kontext der Stelle zeigt, allein auf Griinde
iiber jeden Zweifel erhaben?76 Steht diese Autoritiit einmal fest, dann a priori, also auf die philosophische Kritik der Moglichkeit von Wundern
ist Jesus seiher die zuverliissigste Erkenntnisquelle iiber den Inhalt (und Offenbarung) iiberhaupt: In jedem Wunderbeweis niimlich su-
und den Umfang seiner Mission. So folgt - immer bei angenommener chen wir ,zu dem gegebenen Bedingten das Unbedingte und bringe[n]
(von Storr aber dem Anspruch nach belegter) historischer Glaub- in [unsere] Erkenntnisse eine Vernunfteinheit, die keine objektive
wiirdigkeit unserer Nachrichten iiber das Leben Jesu - aus seiner Realitat hat"281 . Wenn nun Diez ein Dreivierteljahr spiiter, am 9. Marz
personlichen Autoritat als eines durch Wunder beglaubigten gottlichen 1791, also zur Zeit der Abfassung der offenbarungskritischen Aufsatze,
Gesandten seine dogmatische Autoritat. wiederum an Niethammer, schreibt, daB er fur sich den Erweis noch
Wir sehen nun, daE Diez zusatzlich zu den Grunden aus der Kan- nicht zu fuhren wagt, daE (wie groEe Theologen bekennen) ,der
tischen Philosophie auch von Storr her Griinde daftir haben konnte, Wunderbeweis nichts tauge" 282, so mag das auf den ersten Blick und
Argumente aus der ZweckmaEigkeit (und Notwendigkeit 277 ) oder Un-
zweckmaEigkeit einer Offenbarung fur deplaziert oder unbedeutend 278 Wahrend Michaelis die von Diez untersuchte Bibelstelle, Mt 24,29 ff., im
zu halten. Wir verstehen auch, warum es ibm wichtig sein muEte, an Weissagungsbeweis benutzt ( vgl. B 3/ 24 ), erblickt Diez hier eine An?n~mie
Jesu personlicher Autoritat zu riitteln und den Bibeltext falscher Pro- der exegetisch-theologischen Vernunft. Unter der fur d1ese k?.nsututJven
phezeiungen zu iiberftihren (B 3 SchluE und B 4). Ratte Diez vor Annahme, daB Jesus Wahrheit redet, glaubt er ze1gen zu konnen, daiS
Mt 24,29 ff. sowohl (a) auf die Zerstorung des Tempels und Jerusalems
einem Semlerschen, Michaelisschen oder LeEschen Hintergrund ar-
durch die Romer, nicht auf das Ende der Welt, als auch (b) auf das Ende
der Welt, nicht auf die Zerstorung Jerusalems zu beziehen ist. Der Streit
274 storr, Ch1istliche Dogmatik (cf. Anm. 262), § 8. der Exegeten urn die richtige lnterpretatio~ dieser Stelle hat seinen Grund
275 Ebd. § 7. in der Verfassung der exegetisch-theolog1schen Vernunft selbe1; WJe der
276 s Streit der Metaphysiker seinen Grund in der Verfassung der rein en Vernunft
torr legt groBen Wert auf die Behauptung, daiS Jesus selber seine Wunder seiher hat.
zum Beweis seiner gottlichen Sendung erkliirt hat (vgl. den Aufsatz Jiat 279 S. 992.
Jesus seine Wunder ft.ir einen Beweis seiner gottlichen Sendung erkliirt? 280 A 3 S.18 Z.26-28.
Eine historische Untersuchung" in Flatts Magazin for ch?istliche Dogmatik 281 A 3 S.18 Z.28-30.
und Moral, 4. St. 1798, S. 178-250).
277 H 282 A 7 S. 58 Z. 10.
vgl. Michaelis, Dogmatik (cf. Anm.235), § l.

1004 1005
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

losgelost vom Kontext wie ein theoretischer Riickzug erscheinen, der durch personliche Bekanntschaft mit Reimarus' Familie stiefs und aus
zudem schlecht zu der Argumentation in den offenbarungskritischen der er von 1774 his 1778 Teile als Fragmente eines Ungenannten her-
Aufsiitzen passen wiirde. Aber der Kontext der Stelle macht sogleich ausgab?86 .
klar, daE es Diez hier ausschlieElich urn Griinde a posteriori gegen Diese VerOffendichungen riefen den sogenannten Fragmentenstreit
den ,Christianismus", also insbesondere urn die exegetische und hi- hervor, der zunachst vor allem von Lessing selbst gegen orthodoxe
storische Kritik des in concreto (etwa von Storr) durchgeftihrten Kritik gefuhrt werden mu!Ste. In diesen Zusammenhang gehoren
Wunderbeweises geht. Diese Kritik mit durchschlagendem Erfolg zu seine Schriften Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft. An den
leisten, traut er sich noch nicht zu, und daher ist er froh, ein anderes Herrn Director Schumann zu Hannover (Braunschweig 1777) und Eine
Argument a posteriori gefunden zu haben, eben jenes, durch welches Duplik (ebd. 1778/87 , auEerdem die bekannten Streitschriften gegen
288
Weissagungen Jesu gegen ihn, gegen seine Glaubwiirdigkeit und damit den Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze. Diese erste
gegen die Gottlichkeit seiner Lehre gewendet werden. 283 Phase des Streites ist in Band 39 (1779 f.) der Allgemeinen Deutschen
BibliotheR- 89 dokumentiert und von einer Position aus kommentiert,
die Lessings eigener Haltung zu den Fragmenten nahekommt: Sie
b. Erinnerung an Lessings Fragmentenstreit geben - entgegen der Meinung und Absic~t ~es Verfassers - Ar_-
gumente nur gegen die kirchliche Orthodox1e, mcht gegen das Chn-
stentum· und sie verdienen eine sachliche Behandlung. In den nach-
Bevor in der Folge die Strategie und die Konsequenzen der Diezschen
folgend~n Biinden der Allgemeinen Deutschen BibliotheR- hat der
90

Kritik a priori an der Moglichkeit einer Offenbarung niiher untersucht


werden, sollen zuniichst noch die mildere und mit dem Christentum
eher zu vereinbarende Wunderkritik Lessings sowie seine positive 286 Lessings Serie Zur Geschichte undLitter~tur.Aus ~en Schiitzen der Herzoglichen
Offenbarungskonzeption in Erinnerung gebracht werden. Dies wird Bibliothelc zu Wo!fenbiitte! enthiilt im dntten B~1trag (1774) das :rs(Lte Fr.ag-
zugleich Gelegenheit geben, die Geschichte des Fragmentenstreites, ment Von Duldung der Deisten: Fragment emes Ungenannten esszngs
siimtli;he Schrijten (cf. Amn. 210), Bd. 12 S. 254-271). Der vierte Beitrag
auf den schon Bezug genommen wurde 28 \ in Umrissen darzustellen.
Der Hamburger Orientalist Hermann Samuel Reimarus (1694- (1777) entha.lt funf weitere Fragmente: "
(1) ..Von Verschreyung der Vernunft auf de.n Kanzeln (ebd. S. 304.-316),
1768) war durch seine Abhandlungen von den vornehmsten W"ahrheiten (2) ,Unmoglichkeit einer Offenbarung, d1e alle Menschen auf eille ge-
85
der natiirlichen Religion (Hamburg 1754) und seine Vernunjtlehn?- gri.indete Art glauben konnten" (ebd. S. 316-35~!·
von 1756 als Anhanger der natiirlichen Religion und Kritiker des (3) ,Durchgang der Israeliten durchs r~the Meer (ebd .. S. 359-:-368),
Offenbarungsglaubens hervorgetreten; seine radikalsten, gegen die (4) ,Da~ die Bi.icher A. T. nicht geschneben worden, eme Religwn zu
christliche Offenbarung gerichteten Uberlegungen hatte er aber zeit offenbaren" (ebd. S. 368-397), . "
(5) ,Ueber die AuferstehungsgeschJchte (ebd. S. 397-428), au~erd~m
seines Lebens vor der Offendichkeit verborgen. Sie waren in einer L · G ensatze" zu (1) his (5) (ebd. S. 428-450). 1778 erschten
unverOffentlichten Schrift mit dem Titel ,Apologie oder Schutzschrift essmdgs "c·egB schweig)· Von dem Zweclce ]esu und seiner Junger. Noch
geson ert ill raun · G th ld E hr ·
fur die veni.inftigen Verehrer Gottes" niedergelegt, auf die Lessing ein Fragment des Wo!fenbiittelschen Ungenannten, hrsg. von ot o p aLID
Lessing (ebd., Bd.13 8.215-327).
287 Be1·d e m· L esszngs
·
s
a··mtlz"che Schrzifien (cf. Anm.210), Bd.13 8.1-8 hzw.
· ch ·
283 Das Problem der Vereinbarkeit der heiden Briefstellen wird weiter und s 19 _ 90. Die Duplilc antwortet auf die 1777 anonym ill B.rau?s _we1g
mit Beziehung auf eine mogliche andere Fassung des Wunderbeweises . chi Schrift Die AurerstehunusP"eschichte ]esu gegen eznzge zm vzerten
ers · enene G h · ht nd':1'Litteratur "' "' ·· -' h ,. h B ·
aus den Schatzen uer erzogac en z-
behandelt in Gadl V. 1. B eztrage zur esc zc e u h "£
284 Vgl. oben S. 988. bliothelc zu Wo!fenbiittel gemachte Einwendungen vert. ez zgt.
285 Der voII standige Titel lautet: Die Vernunfilehre, als eine Anweisung zum 288 Vgl. Lessings siimtliche Schrijten (cf. Anm. 210), Bd.13 S. 139-213.
richtigen Gebrauche der Vernunjt in der Erlcenntnis der Wa.hrheit, aus zwoen 289
Cf. A.nm. 34. ( )
ganz natiirlicher Regeln der Einstimmung und des Widerspruchs hergeleitet, 290 Bd. (1 78 0), Bd. 43 (1780), Bd. 47 (1781 ), Bd. 48 (178lf.), Bd. 49 1782 ,
40
Hamburg 1756.
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Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenharung

sich ausweitende Streit eine fast !Uckenlose Dokumentation erhalten. seyn mi.isse. Auch war die Religion ehe eine Bibel. Das Christentum
Auch die oben vorgestellten LeE, Michaelis und Semler griffen in war, ehe Evangelisten und Apostel geschrieben hatten."295
ih~ ein.~ A~ffal~ig ist. aber, daE abgesehen von Johann Christoph
91
Unci in der Duplilc, in der er die zehn von dem Fragmentisten
Doderlem kem eigentl1cher Neologe die Fragmente in einer beson- namhaft gemachten Widerspri.iche zwischen den Auferstehungsberich-
deren Gegenschrift behandelt hat. 292 Man kann in der ,ki.ihlen Re- ten der vier Evangelien einzeln durchgeht, sagt er einleitend zur
s~rve" und der ,i.iberlegenen Sachlichkeit", mit der die Neologie Kliirung der zur Debatte stehenden Positionen: ,Mein Ungenannter
d1e Fragmente und ihre Bestreiter betrachtete, ein Indiz fur den behauptet: die Auferstehung Christi ist auch nicht zu glauben, weil
Status der ,beati possidentes" sehen, den die Neologen in den sieb- die Nachrichten der Evangelisten davon sich widersprechen.
ziger Jahren bereits genossen? 93 Die Fragmente gehi:irten bei ihrem Ich erwiedere: die Auferstehung Christi kann ihre gute Richtigkeit
E~scheinen s~on einer vergangenen Epoche an; der Protest gegen haben, ob sich schon die Nachrichten der Evangelisten widersprechen.
d1e ,Verschremng der Vernunft auf den Kanzeln' war ebenso veraltet Nun ki:immt ein Dritter und sagt: die Auferstehung Christi ist schlech-
wie die Lehre von der Verbalinspiration, die Reimarus' Einwiinden terdings zu glauben, denn die Nachrichten der Evangelisten davon
gegen die Bibeltexte noch zugrunde lag; die Einstellung zum Alten widersprechen sich nicht."296
Testament hatte sich gewandelt, mit seiner geschichtlichen Betrach- Lessing will zeigen, daE die von einer strengen Inspirationslehre
tung warder Anfang gemacht worden, man ,blieb darum der plumpen getragene ,Bibliolatrie", wie sie der ,Dritte" vertritt, an den die
Alternative ,Wahrheit oder Li.ige' fern" 294 . Duplik gerichtet ist, gegen die Einwiinde des Fragmentisten chancenlos
Lessing hat seine eigene Position zu Beginn seiner ,Gegensiitze" ist. Er parallelisiert die neutestamentlichen Berichte der Profange-
zu den funf Fragmenten von 1777 so umrissen: ,Kurz: der Buchstabe schichtsschreibung, wo man aus widerspri.ichlichen Darstellungen ei-
is~ rn:ht der Geist; und die Bibel ist nicht die Religion. Folglich sind nes Ereignisses auch nicht auf dessen fiktiven Charakter schlieEe,
Emwurfe gegen den Buchstaben, und gegen die Bibel, nicht eben unci sagt i.iber diejenigen, die diese Parallelisierung mit Hilfe der
auch Einwi.irfe gegen den Geist unci gegen die Religion. Inspirationslehre zuri.ickweisen wollen: ,Aber "':er darauf [au~ der
Denn die Bibel enthiilt offenbar Mehr als zur Religion gehi:iriges: Inspirationslehre] bestehet, verriith, warum es ihm zu thun 1st. -
und es ist bloE Hypothes, daE sie in diesem Mehrern gleich unfehlbar Nicht urn die Glaubwi.irdigkeit der Auferstehung, die unter unauf-
li:islichen Widerspri.ichen der Evangelisten leiden mi:ichte: .son~ern
urn seine einmal eingesogenen Begriffe von der Theopnevsue. N1cht
Bd. 51 (1782), Bd. 55 (1783), Bd. 60 (1785), Bd. 63 (1785), Bd. 76 (1787) urn das Evangelium: sondern um seme . D ogma tik"297
. .
und Bd. 78 (1788).
291 Damit ist Lessings Position freilich insofern noch unzure1chend
Vgl... ohen S. 993££.; Sernlers Beantwortung (c£ Anm. 254) wurde schon umrissen, als der Mi:iglichkeit nicht vorgebeugt ist, sie durch f~lgende
erwii.hnt. Von LeiS erschien 1779 in Gottingen: Aziferstehungsgeschichte ]esu,
nach allen vier Evangelien nebst einem doppeltenAnhange gegen die WO!fenbiittler Argumentation in die Niihe Storrs zu fuhr~?: Gott..off~nbart stch den
Hagmente von der Aziferstehung und dem Zweclce ]esu und seiner Apostel; Menschen so, wie sie es zu fassen vermogen, niimhch als Mensch
von Michaelis erschien 1783 in Halle: Erlcliirung der Begriibnis- und Auf und auf menschliche Weise: wie als Mensch in Jesus Christus, so auf
e:stehungsgeschichte Christi nach den vier Evangelisten. Mit Riiclcsicht azif die menschliche Weise durch Berichte von diesem urspri.inglichen Offen-
292
zn Fragmenten gemachten Einwii:ft und deren Beantwortung.
A barungsgeschehen, die mit den gewi:ihnlichen .Mangel~ und Fe~er~
. ~erw~ist d~auf hin (Theologie der Lessingzeit ( cf. Anm. 32), S. 308). menschlicher Geschichtsschreibung behaftet smd. Weil aber d1e hi-
Doderlems Beitrag zurn Fragrnentenstreit erschien in zwei Teilen 1778 blische Geschichtsschreibung eben die gewohnliche historische Glaub-
und 1779 in Nurnherg unter dern Titel: Fragmente und Antijl·agmente.
Z~ei .Fragmente eines Ungenannten nebst einigen Landlcarlen. Diese Schrift
w1rd m Bd. 40 (1780) der Allgemeinen Deutschen Bibliothelc (cf. Anm. 34),
2. St. S. 408-413, S. 408 als rnustergiiltig geruhmt. 295 Lessings srimtliche Schnjten ( cf. Anrn. 210), Bd. 12 S. 428 f.
293 so An er, Theologie der Lessingzeit ( cf. Anm. 32), S. 308. 296 Ebd. Bd. 13 S. 22.
294 Ebd. S. 308 f. 297 Ehd. Bd. 13 S. 27.

1008 1009
Begleittexte Diez' K.ritik. der Moglichkeit einer Offenbarung

wi.irdigkeit besitzt, sind wir i.iber das urspri.ingliche Offenbarungsge- thatigen Mann, allerdings so viel Vertrauen gewonnen haben, daE
schehen in Jesus hinreichend unterrichtet, urn seiner ( und seiner ich willig meinen Verstand dem Seinigen unterworfen hatte [... ]". 300
Apostel) dogmatischen Autoritat sicher sein zu di.irfen. Freilich ware auch in diesem Fall - was Lessing nicht erwahnt -
Lessing aber sieht eine Verschiedenheit der Gattung zwischen den noch eine metabasis eis allo genos im Spiel gewesen; denn Wahrneh-
historischen und den dogmatischen Wahrheiten des Christentums, mungswissen ist nicht weniger a posteriori und nicht weniger zufallig
die ein Storrsches Begri.indungsverhaltnis zwischen ihnen ausschlie!k als historisches Wissen. Es ist nur sicherer, nur sehr viel weniger
In der Schrift Ueber den Beweis des Geistes und der Krift heiEt es: anfallig fur entkraftende Entdeckungen. Eine Metabasis von zufalligen
,Aber nun mit jener historischen Wahrheit [der Auferstehung] in eine zu notwendigen Wahrheiten ist ftir Lessing, so di.irfen wir schlieEen,
ganz andre Klasse von Wahrheiten heri.iber zu springen, und von mir also hochstens dann annehmbar, wenn ihre Ausgangsbasis eine aus-
verlangen, daE ich aile meine metaphysischen und moralischen Begriffe gezeichnete VerlaElichkeit hat. Deswegen ist in unseren wunderlose.n
darnach umbilden soli; mir zumuthen, weil ich der Auferstehung Zeiten kein Wunderbeweis mehr moglich, und deswegen konnte fur
Christi kein glaubwi.irdiges Zeugnis entgegen setzen kann, aile meine die Augenzeugen ein schwacher - weil in ein anderes Genus i.iber-
Grundideen von dem Wesen der Gottheit darnach abzuandern: wenn gehender - Wunderbeweis von Bedeutung sein.
das nicht eine metabasis eis allo genos ist; so weiE ich nicht, was Der zweite Schritt ist damit vorgezeichnet und liegt auf der Hand:
Aristoteles sonst unter dieser Benennung verstanden."298 Der Wunderbeweis hat aufgrund seines Umschlagcharakters einen
Und zwei Seiten vorher lesen wir: ,zufallige Geschichtswahrheiten auch ftir Augenzeugen nicht behebbaren Mangel an Beweiskraft. Wenn
konnen der Beweis von nothwendigen Vernunftswahrheiten nie wer- Wunder Vernunftwahrheiten Eingang verschaffen sollen, dann kommt
den".299 Als Vernunftwahrheiten also sieht Lessing die dogmatischen es freilich auf ihre Beweiskraft auch weniger an als auf ihre Kraft,
Wahrheiten des Christentums zuletzt an. Sie aufhistorische Wahrheiten Aufmerksamkeit und Horbereitschaft zu wecken. Denn hinsichtlich
zu gri.inden. entspricht dem Verfahren, sich den Beweis eines mathe- ihrer Beweise sorgen Vernunftwahrheiten, wenn sie erst einmal ins
matischen Satzes zu ersparen durch Konsultation eines Experten. Man BewuEtsein gebracht worden sind, nachher ftir sich selber. Ins. B~­
gewinnt auf diese Weise Erfahrungswissen von notwendigen Wahr- wuBtsein jedoch mi.issen sie zunachst gebracht ~erden; und hierm
heiten, Wissen zweiter Klasse sozusagen. Wenn, wie Lessing behauptet, liegt die eigentliche Funktion von Wund.ern, we~n sie denn geschehen.
solches Wissen zweiter Klasse seinem Inhalt zuletzt unangemessen Hierin liegt, allgemeiner gesprochen, die Funktwn d~r geoffe~b.arten
ist, dann muE er freilich fur Jesu Wunder, da er historisch nichts Religion. Sie client, urn einen bekannten Titel Lessmgs zu Zitieren,
gegen sie einzuwenden hat, irgendeine andere Funktion im Offen- der ,Erziehung des Menschengesc hl ech ts "301. zu~ y,ernu.nft . .
barungsgeschehen ausfindig machen. An diese Erziehungskonzeption kni.ipft sich fur Lessmg die Frage
Der erste Schritt dazu ist die Unterscheidung zwischen der Uber- nach dem Stand des Erziehungsprozesses in seinem eigenen Zeitalter.
zeugungskraft von wahrgenommenen Wundern und derjenigen von Er beantwortet sie dahingehend, daE die Menschheit durchaus weiterer
Wundererzahlungen. Fi.ir die Zeitgenossen Jesu, jedenfalls ftir die Erziehung durch Offenbarung bedarf: Sie. wurde in ihrer ~ndheit"
Augenzeugen seiner Taten, laEt Lessing eine Art Wunderbeweis gel ten: durch das Alte Testament i.iber die Einheit Gottes belehrt, 1m ,Kna-
,Wenn ich zu Christi Zeiten gelebt hatte: so wi.irden mich die in benalter" durch das Neue Testament i.iber die Unsterblichkeit der
seiner Person erftillten Weissagungen allerdings auf ihn aufmerksam Seele.3o2 Beide Lehren halt Lessing ftir durch die Philosophie meta-
gemacht haben. Ratte ich nun gar gesehen, ihn Wunder thun; hatte physisch gesichert, mit Bezug auf sie ist also die Bibel funktionslos
ich keine Ursache zu zweifeln gehabt, daE es wahre Wunder gewesen:
so wi.irde ich zu einem, von so langeher ausgezeichneten, wunder-
300
Ebd. S. 3.
301 Die Erziehung des Menrchengeschlechts, hrsg. von Gotthold Ephraim Lessing,
298 Ebd. Bd. 13 S. 7 Berlin 1780 (ebd., Bd.13 8.413-436).
299 Die Erziehung des Menrchengeschlechts, §§ 70f. (ebd. S. 430).
Ebd. S. 5 302

1010 1011
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

geworden (bzw. beginnt sie, es zu werden 303). Aber das Neue Testament scheidet sich kein Grundsatzproblem. Denn da die Offenbarung nicht
enthiilt womoglich weitere Wahrheiten, welche die Vernunft noch die Funktion hat, verbindlich und objektiv iiber theologische Fragen
nicht als ihre eigenen erkannt hat. Lessing nennt als Beispiele die zu unterrichten, sondern zu erziehen, ist es nicht notwendig, daB die
der Neologie so anstoBigen Lehren von der Dreieinigkeit, der Erbsiinde Adressaten einer gottlichen Offenbarung sie a!s solche erkennen ( ent-
und der stellvertretenden Genugtuung und spekuliert iiber die ihnen gegen Diez' Position). Es geniigt, daB ihr Vernunftvermogen durch
angemessene metaphysische Interpretation. 304 Hier wird deutlich, daB den Inhalt der geoffenbarten Lehren angeregt wird. Dazu sind Wunder
Lessings Erziehungskonzeption durch einen weiten und offenen Ver- unter Umstanden geeignete, aber keineswegs notwendige Mittel. Not-
nunftbegriff von der neologischen Theologie abgehoben und gegen wendig waren sie allenfalls, wenn entgegen dieser Uberlegung die
den Vorwurf geschiitzt ist, den Storr der neologischen Exegese macht: geoffenbarten Lehren gleich zu Beginn als bewiesene eingefiihrt wer-
die Philosophie werde ( etwa bei Eichhorn) zum Richter iiber die den miiBten und konnten. Aber dann waren sie gemaB der These
christlichen Lehren erhoben. 305 Denn gerade dadurch, daB die Phi- von der Metabasis in eine andere Gattung grundsatzlich nicht hin-
losophie am En de die ihr von auBen vorgegebenen christlichen Lehren reichend. Der Beweis des Offenbarungsinhaltes ist, wie schon gesagt
als Offenbarungslehren iiberfliissig machen soli, ist ihr ein auBerer wurde, erst im nachhinein, durch reine Vernunft, moglich und not-
MaBstab gesetzt, an dem ihr eigener Entwicklungsstand zu messen wendig.
ist. Sie sieht sich mit der Forderung konfrontiert, den dogmatischen Im folgenden wird es wichtig sein, diese hier deutlich gewordene
Gehalt der christlichen Religion nicht zu verkiirzen, sondern sich grundsatzliche Differenz zwischen einem starken Offenbarungsbegriff,
selber auf ihn hin zu vertiefen. den Storr und, ihm folgend, Diez zugrunde legen, und einem schwachen,
Aber ein anderer Vorwurf laBt sich von Storrs Position aus auch vom Wunderbegriff ( als dem Be griff eines Ereignisses, das nicht gemaB
gegen Lessing erheben: Es geniigt keineswegs, ftir Lehren wie die den Naturgesetzen eintritt) gelosten und von Beweisanspriichen ent-
von der Dreieinigkeit, der Erbsiinde, der stellvertretenden Genugtuung lasteten Offenbarungsbegriff im Auge zu behalten, der nicht nur fur
eine giiltige metaphysische Interpretation zu finden; vielmehr miissen Lessing charakteristisch ist, sondern auch in die Religionsphilosophie
diese Lehren auf die historische Person Jesus von Nazareth bezogen Kants und des deutschen Idealismus Eingang gefunden hat.
bleiben. Lessing jedoch zerstort - in Aners Formulierung - ,gleich
der Neologie [... ] die altkirchliche Verkniipfung der irdischen Soh-
nesgestalt mit der metaphysischen Sohnesspekulation. Nur daB er die c. Diez' Argumentation im Uberblick
letztere an sich beibehalt und den geschichtlichen Christus ganzlich
seiner gottlichen Natur entkleidet." 306 Der Trennung der Lehre Jesu Nunmehr konnen wir uns Diez' eigenen Versuchen zuwenden, urn
von der Person entspricht die Trennung des Offenbarungsbegriffes den Aufbau ihrer Argumentation zu charakterisieren. In ihnen ist,
vom Wunderbegriff oder allgemeiner vom Begriff einer iibernatiirli- wie schon vorwegnehmend gesagt wurde und wie sich im folg:nden
chen Beglaubigung, die vom Storrschen Standpunkt aus ebenso un- erweisen wird, wie bei Storr ein begrifflicher Zusammenhang zWischen
zulassig ist. Zwar bestreitet Lessing nicht, daB die neutestamentliche einer Offenbarung und ihrer Beglaubigung, somit ein starker ~ffen­
Offenbarung de facto durch Wunder Jesu einen besonderen Nachdruck barungsbegriff am Werk. Aber Diez Ialst die Art d~r B~glaub1~u~g
erhalten haben mag. Aber an der Frage, ob Jesus wirklich Wunder offen; nur daB sie in einem zunachst ungeklarten Smn ubernaturlzch
vollbracht hat (insbesondere, ob er wirklich auferstanden ist), ent- zu sein hat, muB gefordert werden. Die Kritik blei~.t ~uf diese Weise
allgemein und richtet sich a priori gegen jeden m?glichen W~nder­
und Weissagungsbeweis nicht weniger als. ge?en Jed~n Bewe1s aus
303
§ 72 ( ebd.). dem Inhalt der Lehre. Mit einem Wort, s.1e nchtet s1ch gegen den
304
§§73ff. (ebd. S. 430ff.). Supernaturalismus als solchen. .
Der erste, langere Aufsatz zum Thema (B 2). ist i~ se:hs ungle1ch
305
Vgl. oben S. 1001.
306
Theologie der Lessingzeit ( cf. Arun. 32), S. 353 Arun. 2. zu gewichtende Abschnitte unterteilt. Diez begmnt, tn emer Art Vor-

101.2 1013
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

rede, mit der bereits erwiihnten Zuruckweisung des offenbarungskri- Wer unfahig ist. eine Offenbarung als solche zu erkennen, ist unfahig,
tischen Argumentes aus der UnzweckmaEigkeit. Darauf soil hier nicht eine Offenbarung zu empfangen.
weiter eingegangen werden. Im zweiten Abschnitt priisentiert er das Wenn dies die Gesamtstruktur des Argumentes ist und wenn man
Argument des Kleukerschen Rezensenten 307 und entwickelt in Bezie- mit Diez den starken Offenbarungsbegriff als ausgemacht zugrunde
hung auf es eine Fragestellung, die sodann in zwei voneinander un- legt, dann muE die eigentliche theoretische Arbeit dem Beweis de
abhangigen Argumentationen jeweils zu einer offenbarungskritischen Unter atzes gelten. Der Rezensent faEt seine Argumentation fur den
Auflosung geftihrt wird (dritter und vierter Abschnitt). Die zweite Untersatz so zusammen: 310
dieser Argumentationen, welcher sowohl Diez, der von ihr als von
,eine[r) [... ) wichtige[n) Revolution in [s)einem Gedankensysteme" ,[P 1] Durch Vernunftmiilligkeit, d. h. durch Konsequenz und ge-
spricht,308 als auch SuEkind (in C 9) das Hauptgewicht beimessen, setzmiilligen Zu ammenhang mit allen andern gepruften Einsichten
wird im fi.inften Abschnitt kurz resumiert. Als sechster Abschnitt folgt rouE [Offenbarung] ich von willkurlichen Zusammensetzungen
ein Anhang, in dem Diez seine Uberlegungen mit einer Art von spiel- und Triiumereien der Phantasie unterscheiden; dies kann sie nur
theoretischem Argument ergiinzt und abschlieEt. dann. wenn [K] ie au der naturlichen Wirksamkeit dem nattirlichen
Als ,Mittelbegriff" des Kleukerschen Rezensenten diagnostiziert Vermogen aller men chlicben Erkenntnisse erklarbar und begreif-
Diez ,die Unfahigkeit des Menschen, eine Offenbarung [als solche] lich, al o elbst nattirlich und Vernunfterkenntnis ist, wei! [Pz] die
zu erkennen"309 . Die Diagnose ist insofern nicht ganz exakt, als die Sinne uns unmirtelbar keine Gottbeit vorstellen konnen~
Unfahigkeit des Menschen, eine Offenbarung als solche zu erkennen, Aus der Konklusion, mit der die grundsatzliche Ununterscheidbarkeit
bereits einen Satzgehalt darstellt. Der Mittelbegriff eines Syllogismus von Offenbarung und natUrlicher Erkenntnis bebauptet wird, folgt
ist derjenige Begriff, der in heiden Priimissen, also sowohl im Obersatz dann der Unter atz de Syllogismus.
wie auch im Untersatz, vorkommt. Als solcher fungiert die Unfiihigkeit, Diez geht davon aus, daB die Verteidiger der Moglichkeit einer
eine O.ffenbarung als so!che zu erkennen. Der Begriff Mensch ist bereits Offenbarung die er te Priimisse dieses untergeordneten Argumente .
der Unterbegriff, Diez gibt also de facto den ganzen Untersatz an, die auch die we entliche ist, anerkennen. die SchluEfolgerung zu-
der etwa Iauten muK gunsten der praemis a minor des ubergeordneten Syllogismus aber
Menschen sind unfahig, eine Offenbarung als solche zu erkennen. als nicht zwingend ablehnen werden. Als theoretiscbes Mittel fur den
Versuch der Begriindung ihrer Haltung gesteht er ihnen eine Unter-
Der intendierte SchluEsatz durfte, gegeben diesen Untersatz, wie folgt scheidung Z>\"ischen der Fonn und dem Stoff der Offenbarungser-
zu formulieren sein: kenntnis zu., wobei unter der Form einer Erkenntnis der jeweilige
Menschen sind unfcihig, eine Offenbarung zu empfangen. Erkenntnisakt und unter dem Stoff der Erkenntnis inha!t ( der erkannte
Sachverhalt) zu verstehen ist. Die Verteidiger der Moglichkeit einer
Dem Obersatz kame dann die Funktion zu, die Unfahigkeit, eine Offenbarung werden nun dem Kleukerschen Rezensenten entgegen-
Offenbarung als solche zu erkennen, mit der Unfahigkeit, eine Of- halten, daE au der zugestandenen Pramisse nur folgt, daB der Akt
fenbarung zu empfangen, begrifflich zu verknupfen, was darauf hin- der Offenbarung erkenntnis ein nati.irliches Ereignis sei, n~cht ab_er,
ausliiuft, den starken Offenbarungsbegriff als maEgebend vorzuschrei- daB der erkannte Sachverhalt ein nati.irlicher Sachverhalt se1. So wrrd
ben: zum Bei pie! der Kirchganger auf vollig nati.irliche Weise, ~de~ er
der Predigt folgt, iiber die gortliche Heilsordnung belehrt, dte emen
iihernattirlichen achverhalt darstellt. Diez gibt aber zu bedenken..
307
Vgl. oben 8. 988 und Anm. 211.
308 310 Zitien nach Diez (B 2 S. 117 Z. 27 - S. 118 Z. 4) und mit Mark.ierungen
A 7 8. 57 Z.10f.
309
B 2 8.117 Z.22f. fur Prii.mis en (,Pt und ,Pz'') und Konklusion (,.K") angereichert.

1014 1015
Begleittexte Diez' Kritik der Mi:iglichkeit einer Offenbarung

da~ der Regre~ mitgeteilter Offenbarungen nicht unendlich sein kann diger der Offenbarung, als Unterscheidungsmerkmal aus, da ja Gott
und da~ wenigstens am Ende des Riickganges ,bei dem, der die als i.ibernati.irlich wirkende Ursache erkennbar sein soil. Das Uberna-
Offenbarung unmittelbar empfangt, auch der Form nach die Erkenntnis tiirliche mu~ also ein Teilsystem der erkennbaren Natur bilden. Auch
iibernatiirlich sein und also sein Erkenntnisvermogen erhohet werden aus verschiedenen Arten der Erkennbarkeit, etwa durch Empfinden
[... ] miisse" 311 . Diese Forderung entspringt dem starken Offenbarungs- und durch Denken, l~t sich kein geeignetes Unterscheidungsmerkmal
begriff, den die praemissa maior des Syllogismus festschreibt und gewinnen 315 : Gott wirkt ,immerdar", durch Denken und Empfmden
dem zufolge selbstverstiindlich auch der urspriingliche Lehrer, der zumal. 316 Sagt man, er wirke auf eine bestimmte Weise, so mu~ an-
seine Lehre unmittelbar von Gott empfangt, die empfangene Belehrung gegeben werden, auf welche. Die Antwort: auf eine Weise, die das
alr O.ffenbaro.ng erkennen und anerkennen konnen mu~, wenn sie durch menschliche Kriifte Mogliche i.ibersteigt, ist zu unbestimmt. Es
den Status einer Offenbarung soil haben konnen. So richtet Diez an bleibt die Moglichkeit, das tibernatiirliche als das Au~erordentliche
die angenommenen Kritiker des Rezensenten die seiner Meinung und dieses als dasjenige zu fassen, das den Gesetzen der Natur wi-
nach alles entscheidende Frage: , Wie konnen Menschen erkennen, derspricht. Daraus ergibt sich aber kein brauchbares Erkennungszei-
d~ eine Erkenntnis dem Stoffe oder der Form und dem Stoffe nach chen des tibernati.irlichen, weil wir die Gesetze der Natur nicht so
iibernatiirlich sei?"m. Noch grundsiitzlicher hei~t es schlie~lich zu gut kennen, da~ wir je in einem gegebenen Fall schlieBen di.irften,
Beginn des dritten Abschnittes: ,Die Frage konnte so gestellet werden: sie seien verletzt. Lii~t man hingegen unbestimmt, was ,auBerordent-
Kann ich zu einer Wirkung B (Gott als) die (auf) iibernatiirliche lich" heiBen soil, oder fa~t das AuBerordentliche als das Ungewohn-
(Weise wirkende) Ursache annehmen?"313 Die Verneinung der so ge- liche, ,so ist dem Aberglauben und Unglauben ebensogut das Tor
317
stellten Frage ist das Beweisziel der Untersuchung. Ist es erreicht, gei::iffnet als dem rechten Glauben, den man einftihren will". Kann
d. h. ist gezeigt., da~ Gott nicht als die auf iibernatiirliche Weise wir- der Verteidiger der Offenbarung nach alledem den Begriff einer iiber-
kende Ursache zu irgendeiner gegebenen Wirkung verniinftigerweise natiirlichen Wirkung Gottes preisgeben und versuchen, die Erkenn-
angenommen ( erkannt) werden kann, so ist der fragliche Untersatz barkeit einer Offenbarung als einer solchen auf anderem Wege zu
des Syllogismus gesichert: Eine (religiose) Belehrung kann grund- sichern? Diez verneint dies und verliiBt sich ohne ausfuhrliche Ar-
siitzlich nicht als Offenbarung erkannt und anerkannt werden. gumentation darauf, da~ unter diesen Bedingungen die Schwierig-
Diez' erster Beweisversuch im dritten Abschnitt314 riickt den Begriff keiten, ein Merkmal fur die Gottlichkeit einer Belehrung im spezifischen
des tibernatiirlichen in den Mittelpunkt. Die Verteidiger der MCig- Sinne einer Offenbarung zu finden, noch zunehmen.
lichkeit einer Offenbarung haben die Aufgabe, ihn zu bestim.men. In dieser ersten Argumentation bringt Diez seine eigene, von
Diez versucht zu zeigen, da~ dies nicht so geschehen kann, dag in Kant gepriigte Position noch nicht ins Spiel. Er versucht .nur zu
der Natur ein Raum fur iibernatiirliche Wirkungen Gottes ausgespart zeigen, daB es an den Vert.retern der Gegenposition ist, eme Un-
bleibt. Seine Uberlegung ist, zusammengefa~t, die folgende: Das Uber- terscheidung zwischen dem tibernatiirlichen und dem Natiirlichen
natiirliche kann der Natur, als dem Inbegriff aller existierenden Dinge, zu treffen und daB sie diese Unterscheidung nicht so getroffen
nicht entgegengesetzt werden; so ware es vielmehr das Unnati.irliche. haben und auch schwerlich so treffen konnen, daB ihre Position
Also mu~ innerhalb des Nati.irlichen zwischen dem Nati.irlichen im haltbar bleibt. Nur einmal klingt an, daB Di~~ in die Offensiv.e
engeren Sinn und dem Ubernati.irlichen unterschieden werden. Er- gehen und den Gegensatz des Nati.irlichen und Ubernatiirlichen sei-
kennbarkeit fur Menschen scheidet, gegeben die Zwecke der Vertei-

315
Auger vielleicht im Rahmen der Kantischen Lehre, die aber von den
311
B28.118Z.18-22. Verteidigern der Mi:iglichkeit einer Offenbarung - wie Diez memt, mJt
312
B 2 8. 118 Z. 24-26. guten Grunden - gemieden wird (vgl. unten 8. 1020).
313 316
B 2 8. 119 Z. 21-24. B 2 8.121 Z. 14f.
314 317
B 2 8.119 Z.21 - 8.124 Z.4. B 2 8. 122 Z. 22-25.

1016 1017
Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung
Begleittexte
. Kontrahenten ihre Anspriiche zu mindern. Er kommt
nerseits mit Kantischen Mitteln bestimmen konnte, niimlich an der gerung semen ' · ·
ihnen dabei sehr weit entgegen. Denn nach elmgen WlSC
z · henschritten
.
Stelle, wo er die verschiedenen Arten der Erkennbarkeit als moglichen
··nt er als noch hinreichend fUr die Fundierung des S~pernaturhalismu_s
Grund der gesuchten Unterscheidung in Erwagung zieht und bemerkt, lat;) . ·· li h d~ die Mensc en mit
d~ ~ier [...] in unsern philosophischen Systemen, das Kantische
die schwache These gelten: ,Es tst mog c , .. .
uberwiegenden wahrscheinlichen Grunden vermuten konnen, e~~~
ausgenommen, alles unbestimmt und unerortert oder gar unberuhrt
gelassen" sei. 318 Dem Hauptargument Diez', das er ,als einen zweiten gegeilbeneD~ele~:~~g !ts::~ ~~~e:~t~;~s:e~:nB~~;~~~~s
Versuch" 319 im vierten Abschnitt320 entwickelt, kann man in der Tat gete et. tes b B 1 hrung als gott-
wahrscheinliche Hypothese moglich, eine gege ene e e
eine Bestimmung des Gegensatzes des Natiirlichen und tibernatur- "323
lichen entnehmen, freilich eine solche, die ftir den Begiff des Uber- liche Belehrung zu erke~en. n ein derart schwaches
natiirlichen keine positive theoretische Funktion vorsieht, so da~ Diez stellt nicht nur semeliBedenke~. ~~rz~ sondern erlii~t seinen
die Erkennbarkeit einer Offenbarung als einer solchen ausgeschlossen Fundament des Supernatura smus zu;u es hei~en soli und
wird. Dabei wird auch die Bewandtnis der zweiten Pramisse des Kontrahenten auch die Kliirung ~er_ ~age, ~a~berwie enden wahr-
Kleukerschen Rezensenten (P2) - da~ ,die Sinne uns unmittelbar unter welch en B~dingungen es zulasst~' iS~ fcott die ~rsache einer
keine Gottheit vorstellen konnen" - klar werden. scheinlichen Grunden (zu) __ verm~then' fad. (Untersuchung der Er-
. E b h ankt stc au 1e
Die Fragestellung der ersten Argumentation: ,Kann ich zu einer Belehrung B 1st.. r esc r th "" 325 Und nun kommt der ent-
Wirkung B Gott als die [... ] Ursache annehmen?" wird mit der Ein- fodernisse) zu emer guten Hypo ese_. D. winnt ihn aus der
· · Argumentauon. 1ez ge
gangsbehauptung des zweiten Argumentationsganges ftir diesen uber- S h
scheidende c ntt semer . rr. .r.t nd deren Untersuchung
d K . "k d eznen rernun;' u
nommen: ,(Der einzige mogliche Weg,) zu der Wirkung B die Ursache Methodenlehre er rztz_ _er: d . Vernunft in Ansehung von
A bestimmt angeben zu konnen, ist, daE ich weill: A ist, (A kann) B iiber die notwendige ~tsztplin_ er remen mene Entitiit mu~ nicht
"326 E" hypotheusch angenom
hervorbringen, und zwar kann es einzig und allein [d. h. nur A kann] Hypothesen : me . h f · denkbar sondern auch
. h .. r· h d h wtderspruc s rel , .
B hervorbringen". 321 Bei der ,Anwendung auf die Verteidigung der nur logtsc mog 1c , · · . th diese reale Moglichke1t
0
Moglichkeit einer Offenbarung"322 verzichtet Diez darauf, die heiden real mifglich sein. Da aber bet H?'Pk . edsen Hypothese gesichert sein
der Richug e1t er
ersten dieser drei Bedingungen zu problematisieren. D. h. er gesteht vor jeder Er fahr un_g von . . das .eder bestimmten Erfahrung
8
der Gegenposition zu, (1) daE Gott ist und (2) daiS Gott die gedachte rouE, bedarf es emes Kritenumf ,. d. J ale Moglichkeit bestimmbar
ch. B ·ehung au sJe te re
Wirkung B hervorbringen kann, und fragt nur, wie einzusehen ist, voraus un d d o m ezl M.. li hkeit eines in einer Hypothese
da~ (3) nur Gott B hervorbringen kann. An die Bedingung (3) kniipft macht. Zur Sicherung der realenh .. og_ cofern da~ sie hinsichtlich der
sich namlich die Schwierigkeit, daiS grundsatzlich zu jeder Wirkung angenommenen Sach verhalts. ge . ort ms .chen ' vermag?27 Gesuch t 1st
.
. . GewiRhezt zu errel h
mehrere Ursachen moglich sind, daiS man also (zumal wenn man, Moglichkett so gar eme .':/''. fi. d. reale Moglichkeit einer Sac e.
. M krnal a pnon ur le . .
wie im gedachten Falle Gottes, die Ursache selbst nicht unmittelbar demnach em er . Ub.. . timmung mit den Bedmgungen
. K tmder erems h
wahrnimmt) von einer gegebenen Wirkung nicht auf eine bestimmte Diez fin d et es ffilt an " . . d el·ne Kantische Lehre nunme r
"32 8 Damtt Wir
Ursache schliefSen darf. Diez zieht daraus den Schlu~, daE es unmoglich irgendeiner Erf ahrung ·
ist, gewifi ZU wissen, daiS Gott die (einzige mogliche) Ursache von B
ist, und gestattet angesichts der Unvermeidlichkeit dieser SchluMol- 323 B 2 S. 128 z. 21 - S. 129 z. 6. . erregen suchen, wie bedenklich es
324 (Ich werde [...] nicht Besorgws~~ z~rage der Gottlichkeit einer Religion
~ei, eine so wichtige Sache [~ed te[ ])" (B 2 S. 129 Z. 25 - S. 130 Z. 2).
n zu grun en ...
318 es ist] auf Hypo these
B 2 S. 121 Z. 7-9.
319 325 B 2 S. 130 z. 4-6.
B2 S. 124 Z. 3f.
320 326 A 769-782/B 797-810. nh vgl GadiV.l.
B2 S. 124 Z. 9 - S. 133 Z. 26. 327 Zu diesem Begriindungszusamme ang .
321
B2 S. 124 Z. 9-12.
322 ns B 2 8.131 Z.11f
B2 S. 125 Z. 12f.
1019
1018
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

an zentraler Stelle des Gedankenganges eingesetzt, nachdem zuvor der weder zuvor schon dem Empirismus zuneigte noch mit den tiefen
die Niilie zu Kant zwar stets spi.irbar, aber noch nicht ftir das Argument und weitliiufigen Lehren Kants vertraut ( und von ihnen i.iberzeugt)
entscheidend war. war, die der von Diez gegebenen Definition der realen Moglichkeit
Auch der niichste und das Argument abschlie~ende Schritt, der zugrunde liegen. Wenn, wie Diez es beabsichtigt, das K~ntische ~un­
von der Erfahrung zur Empfrndung ( und damit auch in den Kontext dament keine Rolle im Beweis spielen soll, kann er s1ch auf rucht
der Priimisse P2) ftihrt, ist durch Kant vorgezeichnet: ,Nun wird auch viel mehr berufen als auf die sichere Erwartung, d~ die Verteidiger
der iiu~erste Skeptizismus dasjenige, wodurch er zu dem, was er der Moglichkeit einer Offenbarung keine Definition der realen Mog-
Erfahrung heillt, gelangt, so wie die i.ibrige Welt das, wodurch sie lichkeit zu geben wissen werden, die weder explizit noch implizit
zu ihrer Erfahrung gelangt, Empfmdung heissen. Als Skeptiker und eine begriffliche Beziehung zwischen dem Defmiendum und de: Em~­
D.~gmatiker miissen wir daher nur dann reale Moglichkeit annehmen findung herstellt. Si.i~kind, von dem anzu!lehmen ist, d~. er s1ch lillt
konnen, wenn wir sehen, da~ etwas von uns empfunden und durch seinen philosophischen Kenntnissen und Uberzeugungen rm Rahmen
das Vermogen, das Empfundene darzustellen, vorgestellt werden konn- der vorkantischen rationalistischen Philosophie in der Nachfolge von
te."329 Leibniz bewegte, und der jedenfalls weder empiristisch.e Neigun~en
Die umstiindliche Formulierung verdankt sich Diez' Bemi.ihen urn erkennen lie~ noch (1791) tiefere Kenntnisse der Kanuschen Philo-
philosophische Neutralitiit, jedenfalls urn Neutralitiit zwischen einer- sophie besa~, hat denn auch so reagiert, wie man es dem .?e.sagte~
seits empiristischen und gegebenenfalls skeptizistischen Theorien und zufolgen erwarten sollte: Er fand Diez' Definition d.er re~en ~oglichke~t
andererseits Kant. Der Sache nach ftihrt er Kants Unterscheidung unverstiindlich und unmotiviert und bot ihm sernerselts eme Defiru-
zwischen Erscheinungen hzw. Sinnenwesen oder Phaenomena und tionsvariante an, die der Moglichkeit einer Offenbarung weniger ab-
Verstandeswesen oder Noumena 330 ein und bindet den Begriff der .. l"1ch zu sem
trag . versprac h .333
realen Moglichkeit an den des Phaenomenon. 331 Die Priimisse P2 des Der kurze ftinfte Abschnitt des Aufsatzes, 334 der das gerade darge-
Kleukerschen Rezensenten hesagt vor diesem Hintergrund, d~ Gott, stellte Argument des vierten Abschnittes resi.imiert, kann i.ibergangen
335
als Gegenstand gedacht, ein Noumenon ist. Als Gegenstand aber wird werden. Aber zum ,.Anhang" im sechsten Abschnitt sind noch einige
Gott gedacht, sofern er hypothetisch als Ursache einer gegebenen Bemerkungen zu mach en. Hier wird die Frag:: ,,st A. ~ie Ursache. zu
gegenstiindlichen Wirkung in Anspruch genommen wird. Da ande- B?" in einem kurzen Zwiegespriich zwischen ernem Kr1tiker des chnst-
rerseits eine Hypothese nur zuliissig ist, sofern ihr Gegenstand real lichen Supernaturalismus (,ich", also Die~) und eine~ Apologe:en
moglich, also zumindest ein Phaenomenon ist, folgt die Unzuliissigkeit (,Du", also wohl Si.i~kind) diskutiert, wobe1 unterstellt 1st, da~ es s1ch
der supernaturalistischen Hypothese: Es ist dem Menschen auch nicht bei A urn Gott, bei B urn die christliche Lehre handelt. Zugestanden
,als wahrscheinliche Hypothese moglich, eine gegebene Belehrung wird von Diez gleich zu Be ginn, d~ ,kei~~ andre Ursa~he .[al~ A]
als gottliche Belehrung zu erkennen". 332 Das Beweisziel ist eneicht. anzugeben sei"_336 Die Frage ist, ob darm pos1tlv auf A als.dle Wirklic?e
Allerdings mu~ man fragen, oh die von Diez geftihrte Argumentation Ursache geschlossen werden darf. Diez ve~eint d~s m1t de.r herelts
auch im Faile eines solchen Adressaten Beweiskraft entwickeln konnte, fri.iher337 gegebenen Begri.indung, daB von .erner ~rrkung (em em Be-
dingten) nicht auf eine bestimmte Ursach~ ( eme bestzmmmte Bedrngung)
329 geschlossen werden di.irfe. Dies gelte 1m gegebenen Fall, dem der
B 2 S. 131 Z. 24-30.
330 Vgl. KdrV B 306.
331 ugl
v1 . auch Kants in diesem Zusammenhang gemachte Bemerkung: ,Nun 333 Vgl. unten S. 1023f.
kann aber clie Moglichkeit eines Dinges niemals blo~ aus dem Nichtwi- 334 B2 S. 134 Z. 1 - 136 Z. 5.
dersprechen eines Begriffs desselben, sondern nur dadurch, d~ man
diesen durch eine ihm correspondirende Anschauung belegt, bewiesen 335 B2 s. 136 z. 7 - 138 Z. 35.
werden." (KdrV B 308). 336 B2 S. 136 Z. lOf.
332 Diez' Formulierung, B 2 S. 129 Z. 4-6. 337 Vgl. B 2 S. 126 z. 7-15.

1021
10.20
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

christl.ichen Relig~on, wegen der ,unvollstii.ndigen [B betreffenden] Uberlegungen gerade in dem, was unter diesen Umstiinden fur ihn
Nachrichten aus emer aberglaubischen, wundervollen und aller histo- die Hauptsache sein muE, niimlich ,in Ansehung der gedachten Di-
rischen Kritik mangelnden Zeit"338 in besonderem MaEe. Diez phidiert stinktion zwischen logischer und realer Moglichkeit",346 nicht verstan-
unter den gedachten Umstanden daftir, das Faktum B unerkliirt zu den habe. Er vermiEt treffende Exempel zur illustration der inten-
lassen. Dem Opponenten., der als einen hypothetischen., unerwiesenen dierten Unterscheidung und ri.igt, daE ,der Kantianer [... ] eben doch
Erklarungsgrund A ins Spiel bringt, hiilt er an dieser Stelle nicht ent- iiberall auch in Ausdri.icken durch[scheint], so sehr er sich unter dem
gegen, daE nur Real-Mogliches Gegenstand einer zulassigen Hypothese Mantel der gewohnlichen philosophischen Sprache verbergen will". 347
werde~ kann. Er fragt ihn stattdessen, ob er ,einer eingestandenen Dennoch fugt er seinem Brief einige Bemerkungen bei,348 die zum
u?eTWiesenen Erkliirun&.gemaE [s]ein Betragen einrichten, [s]eine Stu- einen die Definition der realen Moglichkeit (unter 1),349 zum anderen
dien anordnen, [s]ein Ausseres (und Inneres) bestimmen" wolle,339 deren Anwendung auf die Frage der Moglichkeit einer Offenbarung
und er nimmt die Frage zum AnlaE, in Beziehung auf ,Spielfalle", in ( unter 2) 350 zum Gegenstand haben.
?enen es urn sehr viel weniger geht als urn die Gestaltung des Lebens In Beziehung auf den Ubergang von Erfahrung zu Empfindung im
rm ganzen, ZU erwagen, zu welchem Verhalten ,hochste Wahrschein- Definiens der realen Moglichkeit auEert Si.iEkind volliges Unverstiind-
lichkeit, wann sie nicht Gewillheit hat", 340 fuhren wird. In der konkreten nis.351 Er wundert sich iiber das, was ihm als eine bloEe Substitution
Situation eines Kartenspiels, die Diez betrachtet, in der ein Spieler des Ausdrucks ,erfahren" durch einen anderen Ausdruck erscheint,
aus dem Verhalten der Mitspieler schlieEen darf, daE er, wenn er das die nichts aufkliire und i.iberdies den gewohnlichen Gebrauch des
Spiel i.ibernimmt, gi.instige Karten im Stock finden wird, wird ,der Ausdrucks ,empfmden" verletze. (Mit einem gewissen Recht konnte
vorsichtige Spieler, der seiner Batzen schont",341 bei hohem Einsatz er sich bei seiner Verkennung des terminologischen Charakters der
de?noch passen. Diez versteht sich selber offenbar als einen vorsichtigen heiden Ausdri.icke aufDiez' Anspruch berufen, ,die neue philosophische
S~1eler,. auch und gerade in dem auf Glaubensfragen i.ibertragenen Kunstsprache" ganz vermeiden zu wollen. 352 Und er beklagt sich, daE
Smn. N1cht nur ein waghalsiger Kartenspieler, sondern auch der glau- ihm das endgi.iltige Definiens des Real-Moglichen: ,was empfunden
bende Supernaturalist riskiert viel. Denn es ist nicht indifferent, ,ob werden kann", undeutlicher sei als das vorliiufige Definiens: ,was er-
gottliche Autoritat gewisse Ausspri.iche bestatigt oder nicht". 342 fahren werden kann", und daE er folglich raten miisse, worin der
,Deine antichristliche Abhandlung, Iieber Diez," schreibt Si.iEkind Unterschied zwischen logischer und realer Moglichkeit bestehen salle.
am 26. Februar 1791 (C 9), ,ist vorige Woche wohlbehalten bier Das Ergebnis seines ,Ratens" halt er in einem eigenen Definitionsvor-
an gekommen "343 . Er g1'b t so d ann seme
. Dankbarkeit . zu erkennen, da.~3
_o schlag fest, der also sachlich mit Diez' Defmition konvergieren und
Diez ,die Sache ausft.ihrlich zu Papier zu bring en [sich] die Miihe nur in der Formulierung deutlicher sein soU. Dies alles geschieht unter
344
genommen" habe, teilt aber gleichzeitig Init, daE er, der ,nichts Punkt 1 a). 353 Si.iEkind kommt zu dem Ergebnis, daE logisch-miiglich
354
von einem apodiktischen, wahl aber von einem wahrscheinlichen Be- dasjenige ist, das ,an und fur sich frei von innerem Widerspruch"
weis ft.ir Existenz Gottes, Revelation etc. etwas statuiere", 345 Diez'

346
C 9 8. 230 Z. 2lf.
338

339
B2 8.136 Z.23-25. 347
c9 8. 231 z. 4- 7.
B2 8.137 Z.ll-14. 348
C 9 8. 235 Z. 11 - 8. 243 Z. 10.
340 349
B2 8. 137 Z. 20f. Vgl. C 9 8.236 Z.1- 8.241 Z.8.
341 350
B2 8.138 Z.2f. Vgl. C 9 8. 241 Z. 10 - 8. 243 Z. 10.
342 351
B2 8. 138 Z. 20f. Vgl. C 9 8. 236 Z. 7 ff.
343 352
C9 8. 230 Z. 3 f. B 2 8.119 Z.lOf.
344 353
C 9 8. 230 Z. 9 f. C 9 8.236 Z. 7- 8.239 Z.18.
345 354
C9 8. 230 Z. 18-20. C 9 8. 236 Z. 37 - 8. 237 Z. 1.

1022 1023
Begleittexte Diez' Kritik der Mi:iglichkeit einer Offenharung

ist, real-miigfich ~inge~en dasjenige, das ,in Ri.icksicht auf das systema barungsbegriff verbundene Anforderung ignoriert, daB eine empfan-
reru~, ,~;!ches em ObJekt uns~rer Eifahrunge:z ist, keinen Widerspruch gene Offenbarung afs gottliche Offenbarung erkannt werden muK
enthalt , und zwar, so schrankt er nach emigen Zwischenschritten Wenige Schritte ftihren ihn an sein Ziel: Nachdem er den Begriff der
ein, ,soweit [das systema rerum] mir jetzt bekannt ist".356 physischen Moglichkeit als Gegenbegriff zu dem der moralischen Mog-
Unter 1 b) fragt er sodann, wie das ,kann" in Diez' Defmiens der lichkeit, verstanden als ,ZweckmaBigkeit, Gotteswi.irdigkeit [p ]p." ( ei-
realen Moglichkeit (,was empfunden werden kann") zu verstehen sei. ner Offenbarung), eingeftihrt361 und die Frage, ob Offenbarung in
Entweder aa) ist die ,bose vocula ,kann' von realer Moglichkeit zu moralischer Hinsicht real-moglich sei (ob beispielsweise Gott im ,sy-
verstehen- oder [bb)] von logischer". 357 Da im Fall aa) Diez' Definition stema rerum" nicht Gri.inde fmde, die eine Offenbarung unzweckmaBig
zirkular ware, ist bb) anzunehmen: real-moglich ist demzufolge das, machen), als nicht in die gegenwartige Untersuchung gehorig ausge-
was zu empfinden logisch-moglich ist, d. h. dasjenige, ,dessen Erfah- grenzt hat, 362 meint er, ausgehend von der Allmacht Gottes und von
rung (oder Empfundenwerden) keinen Widerspruch in sich enthiilt". 358 dem Faktum, daB Menschen i.iberhaupt Belehrungen empfangen kon-
Si.iBki·n·d interpretiert dies ohne Bedenken im Sinne seines eigenen nen, schlieBen zu di.irfen, daB es ,apodiktisch gewiB [ist], daB eine
Defi~?o~svor~chlags: Da Diez' selber betone, daE .,fiir uns bloB das Offenbarung physisch-moglich ist". 363
realmoghch se1, was unserer Erfahrungsart nicht widerspricht", 359 sei Diez' zweiter Aufsatz zur Frage der Offenbarung (B 3) versucht,
d1ese Definition einerlei mit der zuvor gegebenen: ,Realmoglich ist, Si.iBkinds Kritik bzw. Millverstandnissen Rechnung zu tragen, enthalt
dessen Existenz mit nichts in dem mir bekannten nexus der Dinge im aber dessenungeachtet eine vollstandige, in sich geschlossene Argu-
Widerspruch steht". 360 mentation. Man konnte ihn in dem ersten Aufsatz fur des sen zentralen,
An dieser Gleichsetzung der Defrnientia laBt sich Si.iBkinds MiE- vierten Abschnitt substituieren, ohne den Aufbau im ganzen wesentlich
verstandnis der Diezschen Intention deutlich erkennen. Diez nennt zu storen. Dies gilt zumindest dann, wenn man von dem SchluB des
ein Di~g logisch-moglich, aber real-unmoglich, wenn sein Begriff kei- zweiten Aufsatzes 364 absieht, in dem Diez sein Argument a posteriori
n~n WI~erspruch enthalt, aber es ausschlieBt, daB das Ding empfunden gegen die christliche Offenbarung prasentiert, das auch in ausfuhr-
~rd .. Em ~olches Ding ist, in Kants Tenninologie, ein Noumenon. licherer Version als ein weiterer Aufsatz (B 4) vorliegt. Wenn, wie
SuB~nd hingegen meint im Fall der realen Moglichkeit nicht den Diez zu erkennen gibt, der erste Aufsatz in den Abschnitten 3 und
Begnff des hetreffenden Dinges allein, sondern das ganze ,systema 4 zwei separate Argumentationsversuche enthalt, so kann der Hauptteil
rerum" hetrachten zu mi.issen. Er fragt nicht, ob der Begriff des Dinges des zweiten Aufsatzes 365 entweder als ein dritter Versuch oder, wegen
dessen Empfundenwerden ausschlieBt, sondern ob die Existenz des der sachlichen Nahe, als eine Neufassung des zweiten Versuches aus
Dinges zu irgendeinem Aspekt des ,systema rerum" im Widerspruch B 2, ausgelost durch Si.iBkinds Bemerkungen, betrachtet werden.
steht. Gleich zu Beginn erklart Diez noch einmal kurz die ftir seinen
Bei dieser Fragestellung ist es nicht erstaunlich, daB er unter seinem starken Offenbarungsbegriff charakteristische und von Si.iBkind nicht
Punkt 2) - in der Anwendung auf die Moglichkeit einer Offenbarung hinreichend gewi.irdigte Anforderung, daB eine gottliche Offenbarung
- zu einem ganz anderen Ergebnis gelangt als Diez. Es ist dies urn als eine solche erkennbar sein muB 366, urn dann sehr schnell zum
so weniger erstaunlich, als er i.iberdies die mit dem starken Offen-
361
C 9 8. 241 Z.lS-18.
362
355
Vgl. C 9 8. 241 Z. 18-23.
C 9 8. 237 Z. 25-27. 363
C 9 8. 243 Z. 9 f.
356
C 9 8. 239 Z. 11. 364
B 3 8.148 Z.S- 8.150 Z.24.
357
C 9 8. 239 Z. 34f. 365
B 3 8. 139 Z. l - 148 Z. 3.
358
C 9 8. 240 Z. 23f 366 Diez gibt unter anderem folg~nde pragn~te Formulieru~g:. .,lch mufi wisser;:
359
C 9 8. 240 Z. 33-35. dafi der Untern.cht von Goa ut, oder er ut mzr nzcht gottlzcher Unterncht.
°
36
C 9 8. 241 Z. Sf. (B 3 8.139 Z. 9f.)

1024 1025
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

Problempunkt der realen Moglichkeit zu kommen. Nur sehr kurz halt (3) ,Existenz driickt [da es ja gerade nicht urn das bloEe Gedacht-
er sich zuvor noch bei der auch von SiiEkind ftir aussichtslos gehaltenen werdenkonnen eines Gegenstandes geht, kein Verhaltnis zu meinem
Position auf, die Erkenntnis einer Offenbarung als einer solchen !ieEe Denkvermogen, sondern] ein Verhiiltnis des Gegenstandes zu mei-
.. "372
sich auf ( apodiktische) Gewillheit griinden. Gegen diese Position macht nem Emp find ungsvermogen aus.
er wie schon im vorigen Aufsatz den Grundsatz geltend, daE von (4) ,Das Verhaltnis des Gegenstandes, das durch das Pradikat der
einem Bedingten nicht auf eine bestimmte Bedingung zuriickgegangen Existenz ausgedriickt wird, ist [... ] entweder ein mittelbares oder
werden darf. Von der somit verworfenen Griindung der Offenbarung ein unmittelbares"; letzteres, wenn der Gegenstand ein Empfun-
auf Gewillheit geht er unmittelbar zu der Frage der Griindung auf denes, ersteres, wenn er ,ein mit dem Empfundenen nach objektiven
373
Wahrscheinlichkeit und spezifischer zu der Anforderung iiber, ,daE [...] Gesetzen Zusammenhangendes" ist.
dasjenige, was als wahrscheinlicher Erklarungsgrund zu einem Pha- Daran kniipft Diez die Frage nach der obj.ektive~ Rea~itat .bzw.. An-
nomene aufgestellt werden soll, als Ursache der zu erklarenden Wir- wendbarkeit auf Objekte des Existenzbegriffes, die ~r m d1~ be~den
kung wenigstens seiner Moglichkeit nach eingesehen sein muE"367 . folgenden Fragen zerlegt: ,1) Welches sind d_ie ~bJ:kte, die Dmge
Daran kniipft er seine Unterscheidung der Moglichkeiten, diesmal an sich oder die Erscheinungen? 2) Was berechtigt [m em em konkreten
Fall] zu der Anwendung auf die eingeraumten O~jekte?" ~. .
37
gefafSt als Moglichkeit eines Objektes, (widerspruchsfrei) gedacht zu
werden, bzw. als Moglichkeit (eines Objektes) zu existieren. 368 Mit der Formulierung der ersten Frage hat Diez endgultig von
Diese Fassung der Distinktion motiviert eine ausftihrliche Unter- seinem in dem friiheren Aufsatz geauEerten Vorsatz Abstand genom-
suchung des Existenzbegriffes, die den groEten Teil des nachfolgenden men, ,die neue philosophische Kunstsprache ganz zu vermeiden [zu]
Gedankenganges einnimmt. 369 Dabei faii.t es Diez zunehmend schwer, suchen". 375 Erst recht aber verwickelt ihn die Beantwortung der Frage
seine sachliche Abhiingigkeit von Kant hinter terminologischer Un- tief in Kants Theorie und Terminologie. Denn Diez will die These
abhangigkeit zu verbergen. Zuniichst wird Existenz durch eine Abfolge begriinden:
von (in Diez' Manuskript unterstrichenen) Thesen immer niiher spe-
(5) ,Das Pradikat der Existenz kann nur in Hinsicht auf Erschei-
zifiziert: 376
nungen objektive Realitat erhalten".
(I) ,Existenz ist [... ] kein konstitutiver [d. h. kein nicht-relationaler],
Infolgedessen sieht er sich gezwungen,. eine - auEerst knappe und
sondern ein Verhaltnisbegrif£."370 konzise _ eigene Darstellung der Kanuschen Thesen ~ur transzen-
(2) ,Existenz driickt [kein Verhaltnis eines Gegenstandes zu einem dentalen Asthetik zu geben. 377 Diez behauptet, Ergeb~sse der tran-
anderen, sondern] ein Verhaltnis des Gegenstandes zum Erkennt- szendentalen Asthetik und der transzendentalen Dedukuon Kants zu-
nisvermogen [Denk- und Empfindungsvermogen] aus."371 sammenfassend, daE Raum und Zeit erstens Prinz~pien unen~icher
Mannigfaltigkeit, zweitens die Sphiire w~klicher ObJ~kt: und dr1ttens
367
B 3 8. 140 Z. 6-10. Der Ausdruck ,Phanomen" in diesem Zitat lii~t eine h auf SubJ. ektivitiit bezogen smd (als apnonsche Formen
wesentli c di ob· k · · ··
exoterische und eine ,esoterisch"-Kantische Deutung zu: 8i.i~kind ist ein- der Anschauung), und schlieEt daraus: ,[Al]so ist e 1e tiVItat
geladen, ihm eine Deutung im 8inne der ,gewohnlichen philosophischen
8prache" (etwa als ,wahrnehmbares Ereignis") zu geben. Aber ein mit
Kant vertrauter Leser wird sofort den Gegensatz von Phaenomena und
Noumena assoziieren, der Diez' offenbarungskritischem Argument zugrun- 372 B 3 8. 142 Z. S-7.
de liegt, und den Vorwurf an den 8upernaturalisten antizipieren, er ver- 373 B 3 8. 142 Z. 10-14.
suche, Phanomene im Ri.ickgriff auf ein Noumenon zu erkliiren. 374
368 B 3 8.142 Z.17-19.
Vgl. B 3 8. 140 Z. 14-22.
369 ns B 2 8. 119 Z. !Of
B 3 8. 140 Z. 24 - 8. 146 Z. 30. 376
370
B 3 8.144 Z.2-4.
B 3 8. 141 Z.lf. 377 Vgl. B 3 8.142 Z. 23 - 8.144 Z. 4.
371
B 3 8.141 Z.2lf.
1027
1026
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

eines Begriffs nichts anders als seine Anwendharkeit und Beziehbarkeit scheinlichkeit angenommene Ursache muE real-moglich sein, d. h. sie
auf E1·scheinungen". 37 8 muE existieren konnen. Bewegt sich Diez' Erklarung der realen Mog-
Am En de von Diez' eiligem Gang durch die transzendentale Asthetik lichkeit am Ende in einem fehlerhaften Zirkel? Wir konnen diese
steht folglich, wie schon zuvor erwahnt, die These, daiS der Existenz- Frage verneinen, denn was uns an den prekaren Punkt zuruckgefti.hrt
begriff nur in Beziehung auf Erscheinungen objektive Realitiit haben hat, war bereits eine weiter fti.hrende Frage als die nach dem Exi-
k~nn .. Di:z' zweite Frage wird damit zu der Frage: Was berechtigt stierenkonnen. Wir fragten namlich zuletzt, unter welch en Bedingungen
m1ch m em em konkreten Fall, den Existenzbegriff auf eine Erscheinung einem Objekt Existenz wirklich zugesprochen werden darf. In der
anzuwenden? Der Sache nach antwortet Diez mit Kants zweitem ,Po- Frage nach dem Existierenkonnen hatte sich zuvor schon ergeben,
stulat des empirischen Denkens iiberhaupt": , Was mit den material en da~, was existieren kann, jedenfalls ein raumzeitlicher Gegenstand,
Bedingungen der Erfahrung ( der Empfindung) zusammenhangt, ist folglich eine Erscheinung ist. Diez fti.gt nun noch hinzu, daiS insbe-
wirklich." 379 Kant erliiutert dies wie folgt: sondere die Analogien der Erfahrung, die es erlauben, Existierendes
,Das [zweite] Postulat [... ] fordert Wahm.ehmung, mithin Empfin- mit Wahrscheinlichkeit zu erschlieEen, (a) nur von Erscheinungen
dung, deren man sich bewuEt ist, zwar nicht eben unmittelbar von zu Erscheinungen, nie zu einem Noumenon hzw., wie Diez sagt, zu
dem Gegenstande selbst, dessen Dasein erkannt werden soli, aber einem Ding an sich, und (b), gegeben die wesentliche Zeitbezogenheit
doch Zusammenhang desselben mit irgend einer wirklichen Wahr- des Kausalverhaltnisses und die Unendlichkeit der Zeit, nie zu einer
nehmung nach den Analogien der Erfahrung, welche aile reale Ver- letzten Ursache fti.hren. 383 Die These von der wesentlichen Zeitbezo-
kniipfung in einer Erfahrung uherhaupt darlegen." 380 genheit des Kausalverhiiltnisses ist eine weitere Kantische Anleihe,
Diez halt sich eng an diese Vorgabe. Er fti.hrt aus, daiS es nicht von der Diez wohl zu Recht annimmt, da~ sie einen nicht mit Kant
notwendig ist, daiS der Gegenstand, dessen Existenz zur Debatte steht, vertrauten Leser ,befremden"384 konnte. Urn dem Befremden entge-
seiher unmittelbar empfunden wird, sondern man kann seine Existenz genzuwirken, erinnert er daran, daiS das Kausalverhaltnis nur Er-
auch ,komparativ a priori, d. h. nach Gesetzen, welche mich den Zu- scheinungen betrifft und daiS diese wesentlich zeitlich sind.
sammenhang eines Nicht-Empfundenen mit einem Empfundenen leh- Bei der Anwendung seiner Ausfti.hrungen uber den Existenzbegriff
ren", eben nach den Analogien der Erfahrung, erkennen. 381 Zur illu- auf den Begriff der Moglichkeit eines Gegenstandes, d. h. der realen
stration des Gesagten hetrachtet er die zweite Analogie, d. h. das Moglichkeit, macht Diez deutlich, daiS er den phanomenalen Charakter
Gesetz der Kausalitat, nach dem man ,zu dem, was geschieht, eine eines angenommenen Gegenstandes nur als eine notwendige Bedin-
Ursache als existierend annehmen" dar£.3 82 Natiirlich wird er aus- gung seiner realen Moglichkeit versteht. Der Bitte SiiEkinds entspre-
schlieEen wollen, daiS auf diese Weise zu einer gegehenen Erscheinung chend, erklart er sich dieses Mal in Beispielen. Ein gefliigelter Mensch
eine Ursache mit apodiktischer GewiEheit erkannt werden kann, da ware, wenn er existierte, eine Erscheinung, kein Noumenon. Aher oh
ja vom Bedingten auf eine bestimmte Bedingung nicht geschlossen er existieren kann ( ob er real-moglich ist), liiEt sich nicht ohne wei teres
werden darf. Also wird die bestimmte Ursache einer gegebenen Er- sagen und nicht a priori ermitteln: ,Es muE einer existiert haben, wenn
scheinung immer nur mit Wahrscheinlichkeit erkannt. wir zu sagen befugt sind, ein geflugelter Mensch ka1m existieren". 385
Damit aber werden wir, ohne daE Diez dies thematisiert, an einen
Punkt zuruckgefti.hrt, an dem wir bereits Standen: eine mit Wahr- 383
Vgl. B 3 S. 144 Z. 16-26.
384
B 3 S. 144 Z. 32.
378
385 B 3 S. 145 z. 21-23. Dies steht i.ibrigens in i.iberraschendem Einklang
B 3 S. 143 Z. 7-9. mit Ausftihrungen Holderlins i.iber die Modalitiit der Moglichkeit in Urtheil
379
KdrV A 218/ B 266. und Seyn: , Wenn ich einen Gegenstand als moglich denke, so wiederhohl'
380
Ebd. A 225/ B 272. ich nur das vorhergegangene BewuEtseyn, kraft dessen er wirkhch ist.
381 Es giebt fur uns keine denkbare Moglichkeit [dem Gegenstande nach,
B 3 S. 144 Z. 10-12.
382
B 3 S. 144 Z. 13f. . wiire mit Diez zu ergiinzen], die nicht Wirkhchkeit war." (StA IV 8.216).

1029
1028
Begleittexte Diez' Kritik der Moglichkeit einer Offenbarung

Der Begriff der realen Moglichkeit wird auf diese Weise an empirische kann man sich am besten erkliiren, warum er sich auch wirklich
Kriterien gebunden. Dem scheinen aber, wie Diez anerkennt, ,die ge- veranla/St sah, eine weitere Fassung der Offenbarungsschrift zu erar-
wohnlichen Urteile [... ] sehr entgegen zu sein". 386 Urn dem Anschein beiten, die uns aber nicht erhalten ist. 389
zu begegnen, wird nun Si.i/Skind seiher zum Thema eines Beispiels DaiS diese Problematik noch ungelost blieb, ist ft.ir Diez' Kritik
gemacht: Sowohl dem gewohnlichen Urteile als auch Diez' Sicht gemii~ der Offenbarung als solche aber nicht schlechthin entscheidend. Fi.ir
darf man sagen: ,Es ist real-moglich, daiS mein Freund seine Meinungen diese Kritik wi.irde es niimlich allenfalls auch ausreichen, wenn Diez
von dem Priidikat der Existenz auf diese Vorstellungen nicht iindert, den phiinomenalen Charakter eines angenommenen Gegenstandes als
und doch habe ich es nie erfahren, ob er auf diese Vorstellungen seine notwendige und hinreichende Bedingung der realen Moglichkeit gel-
Meinung geiindert hat oder nicht". 387 Real-moglich ist der gedachte ten lie/Se. Denn der doppelte Fehler, den er den Verteidigern der
Fall deswegen, weil er sich als Instantiierung einer allgemeinen em- Moglichkeit einer Offenbarung vorhiilt, konnte ihnen auch in diesem
pirischen Wahrheit beschreiben lii/St: ,Selbstdenker [haben] auf noch Falle zum Vorwurf gemacht werden: Sie nehmen, und zwar in theo-
so gegri.indete Vorstellungen, die ihnen fremde sind, ihre Meinung retischer Hinsicht, erstens eine letzte und zweitens eine noumenale
ungeiindert gelassen". 388 Freilich ist die Grenzziehung zu dem Fall des (nicht durch Erfahrung bewiihrbare - was nicht heillt: nicht durch
gefli.igelten Menschen dann nicht so einfach durchzuft.ihren, wie Diez Erfahrung in allgemeiner Weise bereits bewiihrte) Ursache einer Wir-
zu glauben scheint. Denn wenn man in der Verallgemeinerung weit kung in der Erscheinungswelt an. 390
genug zu gehen bereit ist, wird man fri.iher oder spiiter einen Erfah- Diez ist sich im klaren dari.iber, daiS man ihm hier mit Kants Kritik
rungssatz finden, der durch den Fall eines gefli.igelten Menschen in- der Urteilskrcift zu begegnen versuchen kann. Er hat das Werk zwar
stantiiert wi.irde. Eine Moglichkeit ware vielleicht: ,Es traten Lebewesen noch nicht gelesen, wohl aber gehort, daiS Kant darin den Glauben
einer Gattung auf, die sich von den zuvor beobachteten Individuen an Gott ,auch in theoretischer Hinsicht zur Erkliirung der Weltphii-
der Gattung durch ein Merkmal unterschieden. das von Individuen nomene empfehlen" soll. 391 Aber diese Empfehlung kann, gegeben
bestimmter anderer Gattungen her bekannt war." Diez' Argumentation und gegeben die Resultate der Kritik der reinen
Mit der Suche nach Auswegen dieser Art wi.irde aber nur ein Vernurift, aus denen sie sich speist, nicht in UiliiLittelbarer Ahsicht auf
Defi.zit verdeckt, das in Diez' Versuch zuri.ickgeblieben ist, mit Hilfe objektiv gi.iltige Erkliirungen ausgesprochen worden sein. Die Inan-
von Kants Theorie der Modalitiiten ein Kriterium zu gewinnen, das spruchnahme Gottes als Ursache eines , Weltphiinomens" ist allenfalls
zuliissige Hypothesen, deren Moglichkeit a priori feststehen mu/S, von ein ,subjektive[r] Behelf zum Erkliiren", dem man- und damit nimmt
Hypothesen unterscheiden lii/St, deren Moglichkeit in keiner Weise der Gedankengang eine letzte Wendung- ,ohne praktische Notwen-
eingesehen werden kann. Diez hiitte die Aufgabe gehabt, diese in digkeit keinen praktischen EinfluE [verstattet]". 392 Was Diez hier in
der ersten Fassung seiner Offenbarungsschrift als das entscheidende kritischer Absicht anspricht: die Moglichkeit, dem ,subjektiven Behelf
Argument ausgearbeitete Differenzierung in seine neue Begri.indungs- zum Erkliiren" den Status eines Postulats der praktischen Vernunft
art zu integrieren, die von der Erkliirung des Begriffs der Existenz zu verleihen, konnte aufSi.i/Skind wie eine Aufforderung gewirkt haben.
ausgehen soll. Er hiitte klarmachen mi.issen. wie die Moglichkeit em- Diez ft.ihrt zwar in der Folge aus, daiS das Erkliiren als solches nicht
pirischer Hypothesen, die sich aus einer niiheren Fassung des Ge- zu den praktisch notwendigen Hand_~ungen gehort, so ~a/S nichts
dankens moglicher Erfahrung versteht, in Beziehung auf die Begriffs- dagegen spricht, sich in bestimmten Fiillen zu verhalten Wie der vor-
bestimmung von Existenz und von Moglichkeit eingeft.ihrt werden
kann und mu/S. Daraus, daiS Diez diese Aufgabe noch bevorstand,
389 zur Problematik der zweiten Fassung von Diez' Schrift vgl. eingehender
GadlV.l.
386 390 Vgl. B 3 8.146 Z.21-30.
B 3 S. 145 Z. 28 f.
387 39! Vgl. B 3 S. 147 Z. 1-5.
B 3 S. 145 Z. 31 - S. 146 Z. 1.
39 2 B 3 S. 147 Z. 14-16.
388
B 3 S. 146 Z. 6 f.

1030 1031
Begleittexte Aspekte des Lebens in Jena

sichtige Spieler im Anhang zu dem friiheren Aufsatz: niimlich ,Welt-


phiinomene" unerkliirt zu lassen. Und er gibt ferner zu bedenken, 4.
daE der einzige ,subjektive Behelf', der notwendig ist, damit wir in Aspekte des Lehens in Jena im Sommer 1792.
konsistenter Weise moralisch handeln konnen, der Glaube an Gott Einfiihrung zum Verstandnis der Briefe an die Eltern
als solcher ist. 393 Aber damit ist, wenn auch indirekt und entgegen (von Pol Schmoetten)
den Absichten des Autors, ein mogliches Theorieprogramm definiert:
Man rouE allen theoretischen Widrigkeiten zum 'frotz Bedingungen
ausfindig machen, unter denen auch der spezifischere Glaube an Gott Als Diez im April 1792 nach Jena karn, waren Stadt und Universitiit
als den Urheber einer Offenbarung den Status eines - moglicherweise Jena auf dem Gipfel ihrer Entwicklung angelangt. Noch fur ein knappes
untergeordneten - Postulates der praktischen Vernunft annimmt. Die Jahrzehnt hielten sie sich auf dieser Hohe, urn sodann wieder in
Thbinger Theologie hat wenige Jahre spiiter die Durchftihrung eines einen schnellen Abstieg zu geraten. Nicht nur die Lehrer der Philo-
solchen Programms betrieben. 394 sophischen Fakultiit, sondern auch Theologen, Juristen und Mediziner
batten Jena zu einem Zentrum des deutschen Geisteslebens iiberhaupt
gemacht. 395 Die Niihe und Verbindung zum Weimar Goethes, Wielands
und Herders vergroEerten urn ein Weiteres die Anziehungskraft der
Stadt und ihrer Universitiit.
Urn Diez' Berichte aus Jena vor ihrem Hintergrund deutlicher spre-
chen zu lassen, soli im folgenden auf einige Aspekte des Lebens in
Jena etwas niiher eingegangen werden. Uber die Gri.inde, die Diez
dazu bestimmten, gerade Jena als Studienort zu wiihlen, wird an
anderer Stelle berichtet. 396 Und weil Diez selbst, bedingt vor allem
durch den Charakter der Briefe aus Jena, 397 philosophische Gesichts-
punkte allenfalls beiliiufig beri.ihrt, sollen seine philosophischen Kontakte
und Gespriiche als solche auch hier ausgeklammert bleiben. Die wich-
398
tigsten von ihnen werden an anderen Stellen ausgiebig behandelt.
Es wird somit, ganz in der Art, wie Diez selbst es aus seiner

395 Zur Geschichte der Universitiit Jena vgl. Geschichte der Universitiit lena
1548/58-1958. Festgabe zum vierhundertjiihri.gen Universitiitsjubiliium, hrsg.
von Max Steinmetz, 2 Bde. Jena 1958-1962; Fritz Hartung, Das Grq(S-
herzogtum Sachsen unter der Regierung Carl Augusts 1775-1828, Weimar
1923 (=Carl August. Darstellungen und Briefe zur .Geschichte des Wei-
marischen Fi.irstenhauses und Landes, hrsg. von Ench Marcks, II. Abt.),
Bd. I 11. Abschnitt: ,Die Universitiitlena von 1775 his 1806", S. 135-185,
und als zeitgenossische Veroffentlichung Johan~ Ernst Basilius Wied~burg,
Beschreibung der Stadt lena, Jena 1785, 3. Tell , Von der akaderruschen
Verfassung der Stadt Jena", S. 473-636.
396 Vgl. die Biographie in Gadl X.
397 Vgl. unten S. 1046f., sowie die Vorbemerkung zu Briefgruppe D S. 259.
393 398 Zur Debatte mit Reinhold vgl. Gad! VI und VII und zu Niethammer ebd.
Vgl. Gad! V. 3.
394
Vgl. Gad! IX. 3. XI. 1-2.

1033
1032
Begleittexte Aspekte des Lebens in Jena

Sicht tut, ein Einblick in das Leben in Jena gegeben, wobei die oder andere Vergiinstigungen einzuriiumen. Uberhaupt war es der
Schwerpunkte der Interessen iibernommen werden, die Diez durch Weimarer Hof, dem es gelang, durch erhohten Einsatz seiner Mittel
seine Briefe in die Heimat gesetzt hat. die Berufungspolitik fast unabhiingig von den drei ,Miterhaltern"
zu bestimmen. Zur Bereitschaft, Extraordinarien zu finanzieren 403,
(l.) Seinen hohen wissenschaftlichen Stand und die groBe Anzahl kam auch die Risikobereitschaft, aber auch der Weitblick, noch wenig
bedeutender Lehrer verdankte Jena vor allem seinem Ruf, eine Uni- bekannte Manner zu berufen, die sich oft nur durch eine einzige
versitiit mit weitgehender akademischer Freiheit zu sein, in der staat- Schrift qualifiziert hatten.
liche Einschriinkungen und die akademische Zensur, die sehr wohl So waren es auch die Professoren Reinhold, Schiller, Fichte, Schel-
bestanden, kaum ftihlbar waren. Es erscheint auf den ersten Blick ling - urn nur die bedeutendsten zu nennen -, die den Ruhm der
paradox, daB diese Fortschrittlichkeit begiinstigt wurde vor allem durch Universitiit ausmachten, obwohl sie allesamt keinen der reguliiren
die i.iberalterte und schwerfal.lige Organisation der Universitiit: ,Die ordentlichen Lehrsti.ihle erhalten hatten. Dagegen wurden die In-
unter 4 siichsische Herzoge 399 vertheilte Gewalt iiber die academie haber der Lehrsti.ihle - zumal man schon beri.ihmte Professoren
macht diese zu einer ziemlich freien und sichern Republick, in welcher wegen der geringen finanziellen Mittel kaum je nach Jena ziehen
nicht leicht Unterdriickung Statt findet. Diesen Vorzug riihmten mir konnte - oftmals in die Bedeutungslosigkeit gedriingt. 404
aile ProfeBoren, die ich sprach [.. .]. Die ProfeBoren sind in Jena fast Da die relative ,Lehrfreiheit" jedoch nur von der Unbeweglichkeit
unabhiingige Leute und diirfen sich urn keine Fiirstlichkeit beki.immern. der Erhalterstaaten abhing, was in Krisenzeiten eine schwache Sti.itze
Diesen Vorzug hat Jena unter den academien voraus.'<4 00 war,405 und fur die jungen Lehrer keine wirklichen Aufstiegsmoglich-
Jede wichtige Universitiitsangelegenheit und damit auch jede Be- keiten bestanden - auf den wenigen Lehrsti.ihlen gab es, auch wegen
rufung auf ein Ordinariat bedurfte der Zustimmung der vier Erhal- ausbleibender Berufungen, keinen Wechsel -, wurde Jena fur viele
terstaaten401. Da diese sich jedoch manchmal nur schwer zu einer nur zur ,Durchgangs"-Universitiit, was schon zu Anfang des 19. Jahr-
gemeinsamen Entscheidung durchringen konnten, blieb die Universitiit hunderts viel zu ihrem Abstieg beitrug.
sich dann selbst iiberlassen. Manche Berufungen bedurften jahrelanger Neben der groBen Zahl bedeutender Lehrer, und dies nicht nur
Verhandlungen. in der philosophischen Fakultiit, di.irften auch die, trotz erheblicher
Anders verlief jedoch die Berufung auf eine auBerordentliche Preiserhohungen seit 1770, geringen Lebenshaltungskosten, zumal bei
Professur und auf andere nicht mit einem reguliiren Gehalt ausge- den Mieten in Jena, zur Anziehungskraft Jenas gerade auch im ,Ausland'
stattete Professuren. 402 Sie hing durchweg von der Bereitschaft eines (d. h. in den Gebieten, die nicht zu den Erhalterstaaten gehorten)
Hofes ab - in der Regel des Weimarer -, ein Gehalt auszusetzen beigetragen haben. So stammten, wie aus einer Liste Loders vom
Dezember 1792 406 ersichtlich, von 889 Studenten nur 239 aus den
Territorien der eigentlichen Erhalterstaaten, dagegen 68 allein schon
399 Die sogenanmen ,Erhalterstaaten" der Universitiit Jena waren die Her- aus RuBland, Livland und Kurland. Bedenkt man in diesem Zusam-
zogtiimer Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-
Coburg-Saalfeld und Sachsen-Meiningen (vgl. Achatius Ludwig Carl 403 Uber die wirk.lichen finanziellen Verhiiltnisse vgl. unten S. 1036f.
Schmid, Zuverliissiger Unterri.chtvon der Verfassung der Herzoglich Sachsischen 404 Dies gilt insbesondere ftir die philosophische Fakultiit, da hier die Gehiilter
Gesamta!cademie zu lena, J ena 1772, S. 52- 62).
400 schiller an Korner vom 29. August 1787 (NA 24 S.142-150, S.148). am niedrigsten waren (vgl. unten S. 1036 und Anm. 411).
401 Vgl. Anm. 399. 405 Die Entwick.lung des Atheismusstreits bis hin zu Fichtes Entlassung ist
402 Fiir die Professuren, die keine reguliiren Ordinariate waren, wurden meh- hierftir das bekannteste Beispiel.
406 Angaben bei Herbert Koch, ,Der Auszug der Jenaischen Studenten nach
rere Titel benutzt und Differenzierungen im Status eingefUhrt. Fichte Nohra am 19. Juli 1792", in: Wissenschajtliche Zeit.schrift der Friedrich-Schil-
z. B. wurde zum Professor ordinarius supernumerarius berufen. Vgl. auch ler-Universitat lena, ]g. 5 1955/56, Gesellschafts- und sprachwissenschaft-
Diez' Erliiuterungen dazu im Brief an die Eltern vom 24.-29. Oktober liche Reihe, H. 4/5 S. 445-457, S. 456.
1792 (D 5 S.316 Z.27-32).
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Begleittexte Aspekte des Lebens in Jena

menhang, daB der GroBteil der Stadtbevolkerung direkt oder indirekt Bedenkt man in diesem Zusammenhang, daB Reinholds Besoldung
412
von den Studenten lebte (bei nur 4336 Einwohnern im Jahre 1790407) in Kiel, wohin er 1794 wechselte, 1000 Taler betrug, so ist der
und daB auch die fmanzielle Situation der Lehrer, gerade der schlecht fmanzielle Grund ftir die Annahme des Rufes durch den Familienvater
oder gar nicht besoldeten Extraordinarien und Privatdozenten, von ohne weiteres einleuchtend. Umso verstandlicher ist das standige Be-
den Kolleggeldern der Studenten abhing, 408 so versteht man, daB die muhen UIU finanzielle Aufbesserung. Lehrern mit groBem Lehrerfolg
Universitat und die Stadt wirklich von den Stu.denten abhangig waren, wie Reinhold und Loder413 gelang dies durch die teils beachtlichen
was sich auch auf den Verlauf von Studentenunruhen409 auswirkte. Summen, die sie als Kollegiengelder einnahmen, anderen, wie Schiller,
der aus Gesundheitsgrunden nur selten lesen konnte, durch aufrei-
(2.) So attraktiv Jena auch als Ort der Wissenschaft sein mochte, so bende Schriftsteller- und Herausgebertatigkeit.
bot es den Professoren finanziell kaum einen Anreiz. Ein festes Gehalt Aber auch andere Gelegenheiten zur Verbesserung der eigenen
bezogen in der Regel nur die Ordinarien, wobei ein genau festgelegter finanziellen Lage wurden wahrgenommen. Manche Professoren ver-
Einstufungsplan, gestaffelt von der theologischen abwarts zur philo- mieteten Zimmer in ihren Wohnungen an Studenten (so wohnte Fritz
sophischen Fakultat, mit Gehaltern zwischen ca. 460 und 260 Talern von Stein zeitweise bei Schiller; Diez berichtet im Brief vom 24.-27.
Juli (D 4), daB er selbst zu Batsch ziehen wird ), oder ab~r sie
414
jiihrlich, zugrunde lag. Sie wurden erganzt durch Kolleggelder und
allerlei Gebuhren, die etwa bei Disputationen und bei der Zensur lieBen ftir mehrere Personen kochen und boten Studenten aus ihrem
zugunsten der beteiligten ordentlichen Professoren und des Dekans Bekanntenkreis die Moglichkeit, bei ihnen mittags und abends z.u
erhoben wurden. Wie gering die Gehalter waren, wird deutlich, wenn essen. Neben dem fmanziellen Zugewinn spielte jedoch auch dte
man bedenkt, daB ftir einen Studenten mindestens 200 Taler an jiihr- dadurch entstehende Tischgesellschaft ftir den Gastgeber eine wichtige
lichen Lebenshaltungskosten gerechnet wurden410 . Unter den Extra- Rolle, da sich durch sorgfaltige Auswahl der Teilnehmer interessante
ordinarien, Privatdozenten usw. waren diejenigen, die, wie Reinhold, Gesprachskreise bilden konnten. .
ein Sondergehalt (in seinem Fall 200 Taler) erhielten, die Ausnahme. Bevor naher auf diese Kreise im besonderen und dte Formen der
So gelangte auch Schiller zunachst einmal ohne Gehalt auf seine Geselligkeit im allgemeinen eingegangen wir~, s~ll noch ein Ereign~s
auBerordentliche Professur. 411 behandelt werden (mit dem sich Diez ausgtebig befaBt), das, w1e
gesagt, unter anderem auch in der Abhangigkeit der Professoren und
der Stadt von den Studenten eine Erklarung findet.
407
Vgl. Steinmetz, Universitiit lena ( cf. Arun. 395), Bd. 1 S. 222.
408
Vgl. auch den Brief an die Eltern voiD 29. Mai - 1. Juni 1792 (D 3 (3.) Neben den studentischen Landsmannschaften .und teilweise aus
S. 293 Z. 4 ff.). ihnen heraus hatten sich, im AnschluB an das Fre1maurer- und Ge-
409
Vgl. unten S. 1037-1040 sowie den Brief voiD 24.-27. Juli 1792 (D 4
S. 296 Z. 3ff.). bettelte. Und eben dieser Fall rnacht einen zweyten .des~o schwerer. Aus-
410
AufschluEreich ist daftir die Ausgabenaufstellung fur das Sornrnersernester ·· d m· e solche Betteley mich rnehr erruedngen als 200 rth.
serd ern wur e e .. " · f
1792 bei Otto Lautz, ,Jenaer Universitiitsleben in den Jahren 1792-1795. · 1h R ·nh ld) ~ ;r I·rn Grunde helfen konnten.
. Zu Schillers Beru
. ung
( soVIe at et o ·~ . .
Aus den Briefen zweier nassauischer Studenten", in: Zeitschri.fi des Vereins vgl. Friedrich Schneider, Friedrich Stier, ,Friednch Schiller und die U~~
.for thii.ringische Geschichte und Altertumslr.unde NF 351941, S. 206-218, · ·· J " · . Wzssenschaliliche Zeitschrifi der Friedrich-Schzller-Unzversztat
verst tat ena , m. ':!' ch . chaftl"ch R ih H 1
S. 208. Der dieser Veri:iffentlichung zugrundeliegende Briefwechsel ist his lena, Jg. 5 1955/ 56, Gesellschafts- und spra Wissens 1 e e e, .
heute in Privatbesitz erhalten (vgl. D 4/ 45). S. 19-34, S. 22-24.
Vgl. Ernst Reinhold, Karl Leonlwrd Reinhold's febren u~f literdaris~hes Wihzr:en,
6
411
Vgl. Schillers Brief an Korner voiD 25. DezeiDher 1788 (NA 25 S. 166-169, 412
S. 168): ,Wegen IDeiner Sache [i.e. die Berufung zuiD auBerordentlichen · A wahl von Brie~"en Kant's, Fichte s, Jaco z s un anarer p uoso-
nebst emer us 'r
Professor fur Geschichte] danke ich Dir fur Deinen Rath. [... ] Aber Du phirender Zeitgenossen an i~n., Jena 1~25, S. 63.
setzest voraus, daB rnir ein FixuiD ausgeworfen werden wi.irde, darinn 413 Vgl. den Brief vom 29. Mru - 1. Juru 1792 (D 3 S. 293 Z. 7-15).
irrest Du Dich sehr. Wo her nehrnen? DieB war bey Reinhold ein aus-
414 Vgl. D 4 S. 306 Z. 10.
serordentlicher Fall, weil man Himmel und Erde bewegte und sie heraus

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Begleittexte Aspekte des Lebens in Jena

h:imbundwesen, seit den siebziger Jahren geheime Verbindungen, nur unterschwellig, aber doch deutlich als von anderen Positionen
d1e sogenannten Studentenorden, gebildet, 415 denen man mit immer unterschieden zutage tritt.
neuen Verboten beizukommen suchte. In der Regel werden die Ereignisse urn den Auszug nach Nohra,
Durch die Revolutionsereignisse bedingt, nahm nach 1789 dieNer- der in Deutschland weithin Aufsehen erregte, schon in den kurze
vositat der Regierungen in allen deutschen Staaten zu. Uberall ver- Zeit spater erschienenen Schriften419 und, darauf aufbauend, in der
mutete man revolutionare Keimzellen, und dies in besonderem MaEe iilteren und auch in der neueren Sekundarliteratur420 entweder aus
an den Universitaten. So ging man auch scharfer gegen die Orden dem Blickwinkel der Studenten oder aus demjenigen der Regierung
vor. Zu diesem Zweck wollten sich sowohl die Rate des Geheimen dargestellt. Zwischenpositionen, wie die doch klar erkennbare der
Consiliums in Weimar als auch die Leitung der Universitat in Jena jungen Professoren (besonders unter den Unterzeichnern des Briefes
eine_r in d; ~ St~dentenschaft entstan~enen Gruppe v~n Duellgegnern
1
bedienen. Selt Jeher galt das Duellieren, obwohl rmttlerweile schon
vom 8. Juli 421 ) oder auch der Leitung und der Gremien der Universitat
- Loder dagegen nahm wieder eine eigene Position ein 422 -, kamen
lang_e und wiederholt verboten, und mit ihm die Ausschaltung der kaum zur Geltung. In der Weise der Stellungnahme der jungen Pro-
Jusuz, auch der akademischen, aus den eigenen Streitsachen als Aus- fessoren spielte wohl auch ein gewisser Grad von Vorsicht mit, so
druck studentischer Unabhangigkeit. daE sie selbst lieber schwiegen (Schiller und Reinhold erwiihnen die
Im Februar 1792 tagte eine Regierungskommission unter der Lei- ,Angelegenheit" nur ganz beilaufig in ihren Briefen), wahrend sie
417
tung Voigts in Jena, und es gelang ihr innerhalb kiirzester Zeit, sowohl von offizieller Seite als auch von den Studenten mit Milltrauen
die Ordenssenioren ausfmdig zu machen und von der Universitat zu bedacht wurden.
verweisen. Hierbei zeigte sich die Kommission nach verbreiteter Mei- Schon die Zusammensetzung von Schillers Tischgesellschaft mit
nung wenig einft.ihlsam und ganz und gar kompromiElos. Daraufhin dem nunmehr zuriickhaltenden Dichter des Freiheitsliedes, das von
n~hm die Unruhe zu, und der Unmut der Studenten sowohl gegen den Stu dent en zum,Thmultlied" umgedichtet wurde, 423 und dem jungen
d1~se MaEn~hmen als auch gegen die Duellgegner erreichte seinen Voigt, dem Sohn des in Weimar zustandigen Geheimen Rats, zeigt den
Hohepunkt m einem Thmult am 10. Juni 1792. 418 Ort zwischen den Fronten, an dem sich Diez befand, deutlich an. Diez,
Der etwas spater folgende Auszug nach Nohra am 19. Juli 1792
und die damit verbundenen Ereignisse werden von Diez in seinem 419
Nur die heiden wichtigsten seien bier erwiihnt. Auf der Seite der Studenten:
Brief vom 24. Juli mit vielen Einzelheiten beschrieben. Das Interessante
Authentische Nachn.cht von dem am 19ten Julius 1792 gehaltenen Auszuge der
d~an ~ind jedoch nicht seine Nachrichten iiber die Ereignisse selbst Studirenden aus ]ena und von dem Wiedereinzuge derselhen, nebst einer getreuen
(~1e summen mit den schon bekannten Quellen iiberein), sondern Darstellung der Ursachen, welche diese Begebenheit veranlafiten, [o. 0.) 1792
~elmehr neben der ausgiebigen Beschreibung der Reaktionen der und auf der Seite der Regierung: Actenmiifiige Nachricht iiber die seit dem
emzelnen Professoren insbesondere Diez' Haltung dazu, die zwar oft 1 Oten Junius 1792 auf der Alr.ademie zu lena vorgefallenen Unruhen, Weimar
1792.
420 Vgl. die in D 4/ 2 genannte Literatur, wovon Koch., ,Auszug" ( cf. Anrn. 406),
eindeutig die Regierungsposition, Ehrentraud Matz, Die Studentenunruhen
415 an der Universitdt ]ena im letzten ]ahrzehnt des 18. ]ahrhundert.r, Jena 1957
Uber diese Entwick.lung informiert Otto Gi:itze, Die ]enaer alr.ademischen
ebenso eindeutig die Studentenposition vertritt. Differenzierter behandelt
Logen und Studentenorden des XVI!L]ahrhundert.r, Jena 1932.
416 u die Ereignisse Lieselotte Blumenthal (vgl. Lieselotte Blumenthal, ,Ein
vgl. Paul Ssymank., ,Die Jenaer Duellgegner des Jahres 1792 und Karl Brief Schillers an Le Pique", in: ]ahrbuch der Deut.rchen Schillergesellschafi
Augusts Kampf gegen die geheimen Studentenverbindungen", in: Hermann 23 1979, S. 1-28). Wichtige ergiinzende Quell en sind in GAS ediert ( vgl.
Haupt (Hrsg.), Que/Len und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschajt
D 4/ 37).
und der deut.rchen Einheitsbewegung, 12 Bde. Heidelberg 1910-1930, Bd. 4 421
S. 1-31. Vgl. D 4/ 3.
417 422 Vgl. D 4 S. 300 Z. 22 und S. 304 Z. 25£.
Vgl. D 3 S. 283 Z. 13-17 und D 3/ 5.
423
418
Vgl. auch D 4/ 2. Vgl. D 4/ 18.

1039
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Begleittexte Aspekte des Lebens in Jena

der sich ja vor allem in diesem und in ahnlichen Kreisen bewegte,424 rertum erlebte dabei einen groBen Aufschwung; fast an jedem Ort
scheint am ehesten eine Mittelposition derart zu vertreten, da£ er sich entstanden Logen.
zwar vom Auszug und der Verhaltensart der Studenten ridikiilisierend DaB sich diese Entwicklung in verstarktem MaBe in politischen
absetzt, jedoch durchaus von einem Nachgeben der Regierung in meh- Zentren und in Universitatsstadten auswirkte, ist leicht zu verstehen.
reren Punkten i.iberzeugt ist, das sie selbst aber offentlich nie einge- Allerdings beschriinkte sich die Betiitigung in diesen Gruppen, ab-
standen hat. Daraus ergibt sich der Wert des Briefes vom 24.-27. Juli gesehen von einigen wenigen Organisationen wie den illuminaten427 ,
1792 (D 4) als einer neuen Quelle fur die Jenaer Lokalgeschichte, in auf die Beforderung der geistigen und politischen Aufklarung und
dem i.iber die direkten Folgen und i.iber die Zugestandnisse und Be- auf die Diskussion der politischen und literarischen Neuigkeiten.
willigungen von seiten der Regierung die Rede ist. 425 Bisher sind ver- Dennoch gerieten viele der Gruppen mit der Ausbreitung revolu-
gleichbare Quellen nicht bekannt geworden. tionaren Gedankengutes und dem Vormarsch der franzosischen 'frup-
Mit dem Ende der Ereignisse urn den Auszug nach Nohra waren pen bei den Landesherren und ihren Regierungen in Verdacht und
die Auseinandersetzungen jedoch noch keineswegs beendet. Zwar MiBkredit.
herrschte vorerst wieder Ruhe. Doch es dauerte noch eine Reihe von Neben den bi.irgerlichen Lesegesellschaften gab es quasi offizielle
Jahren, his in der Folge der allgemeinen politischen und gesellschaft- Kreise, wie die ,Assemblee des Coadjutors" in Erfurt, 428 aber auch
lichen Veranderungen auch die Studentenunruhen ausklangen. ImFri.ih- abgeschlossene Zirkel mit ganz spezifischen Interessen, die vor allem
jahr 1795 kam es erneut zu Unruhen und zu Untersuchungen der urn der anspruchsvollen Geselligkeit will en unterhalten und besucht wur-
Situation von seiten der Weimarer Regierung. In diesen Zusammen- den. Zu ihnen gehorte der Klub der jungen Jenaer Professoren, der
hangen hat Fichte die bedeutendste Rolle gespielt, und Holderlins vielfach, nicht nur von Diez, erwiihnt wird. 429 Man traf sich reihum, in
Freund Sinclair gehorte zu den von den Untersuchungen betroffenen der Regel am Mittwoch, bei einem der Teilnehmer. Der Beitrag zur Zeit
Studenten. 426

( 4.) Mit dem Erstarken des Selbstbewu!Stseins des Bi.irgertums im 427 Wie nahe Diez dem Illuminatenorden stand, der seit 1785 infolge von
Gange der Aufklarung und mit der Uberzeugung von seiner kulturellen Verboten und Verfolgungen einzelner publik gemachter Mit~i~der. im
und politischen Rolle wuchs auch seine Selbstorganisation in Lese- Niedergang begriffen war, oder ob er ibm (was unwahrscheml1ch 1st)
gesellschaften, Klubs und anderen Vereinigungen. Auch das Freimau- gar angehorte, Iiillt sich aus den zur V:erf~gung ste~end_en Dokumenten
nicht ersehen. In dem mnfassenden Mitgliederverze1chms von Hermann
Schuttler, Die Mitglieder des Il!uminatenordens von 1776-_1787/93, Mi.inchen
424 1991 (=Deutsche Hochschuledition Bd. 18), taucht sem Name Jedenfalls
Vgl. unten S. 1044-1047.
425 nicht auf. Allerdings bewegte er sich sowohl in Stuttgart als auch dann
Vgl. D 4/ 37 und D 4/ 48.
426 in Jena in seiner unmittelbaren Einflu.Bsphiire. (Vgl. Hans-Ji.irgen Schings,
Vgl. StA VIL2 S. 33 -35; Wahrha!fie und Actenmiifiige Geschichts-Erziih!ung ,Die Illuminaten in Stuttgart. Auch ein Beitrag zur Geschichte des jungen
der von den Studenten zu lena am .27. May, auch 19. und .20. ]u!ii 1795 Schiller", in: Deutsche Vierteljahresschrifi for Literatwwissenschajt ~nd Gei-
ausgeii.bten Urifertigkeiten deren Untersuchung und Bestrcfung, Jena (o.J]; stesgeschichte 66 1992, S. 48-87; zu Reinholds Rolle al,s lliu~at" vgl.
Christian Waas, Siegfried Schmid aus Friedberg in der WCtterau der Freund Reinhard Lauth, ,Nouvelles Recherches sur Reinhold et l:Aufklarung , m:
Ho"fderlins (1774-1859), Darmstadt 1928, S. 52 f.; Christoph Jamme, Isaak Archives de Philosophie 42 1979, S. 593-629.)
von Sinclair. Po!itiker, Dichter zwischen Revolution und Restauration, Bonn 428
Vgl. D 2/ 75.
1987, S. 9 -13; Hannelore Hegel, Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Holder/in
429 Vgl. den Brief vom 20. April 1792 (D l S. 261 Z. 17-23) und den vom
und Hegel Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der idea!istischen Phi!osophie,
21.-30. April 1792 (D 2 S. 276 Z. 10_- S. 277 Z. 30); Heinri~h Eberhard
Frankfurt a.M. 1971 (= Philosophische Abhandlungen Bd. 37), S. 45. -
Gottlob Paulus, S/cizzen aus meiner Bzldungs- und Lebensgeschzchte zum An-
In diesem Zusammenhang mag auch an eine Bemerkung Fichtes gegeni.iber
denlcen an mein 50jiihriges ]ubi!iium, Heidelberg, Leipzig 1839, S. 129;
Reinhold zur Zeit des Atheismusstreites erinnert sein: ,Diese Regierung
Reinhold an Baggesen vom 23. Juli 1792, in: Baggesen-Briefwechsel I
hat sich oft genug durch einige Studenten in Furcht jagen la.Ben" (in
S.218-221, S.221.
einem Brief vom 28. September 1799, AA IIL4 S. 90-94, S. 91).

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Begleittexte Aspekte des Lebens in Jena

von Schillers Eintritt betrug acht Taler halbjiihrlich. 430 Als welch' gro~e Residenz (1774) war der Hof ohne ausreichende Wohnmi:iglichkeiten
Ehre Diez seine Teilnahme an diesen Gesellschaften ansah, geht aus an einem Ort und muEte zum Teil in die Sommersitze und damit
der ausgiebigen Behandlung dieses Themas in seinen Briefen hervor. 431 ins freie Land ausweichen (die Schlosser Belvedere, Etterburg, be-
Die schon seit mehreren Jahren regelmaEig stattfmdende Zusam- sanders Tiefurt).
menkunft der Professoren im Garten am Rosensaalgebaude, die eher In Jena besaE fast jede Familie der Gesellschaft ihren Garten, zum
den Charakter einer Universitatsinstitution hatte, verlor dagegen an Teil am Rande der Stadt gelegen und mit Gartenhausern ausgestattet.
Bedeutung, besonders seit in immer starkerem MaEe die Gesprachs- Dort verbrachte man im Sommer einen groEen Teil seiner Zeit und
themen aus der Form der Geselligkeit heraustraten und einer wis- erlebte gemeinsam mit Freunden nach literarischen Vorbildern Na-
senschaftlichen Diskussion naherkamen. Diese Art anspruchsvoller Dis- tiirlichkeit und Naturschonheit. Studenten suchten gern urn die Er-
kussion beherrschte in besonderem MaEe auch die Gesprache inner- laubnis nach, vom Friihjahr an in einem Gartenhaus zu wohnen. DaE
halb der Tischkreise. 432 Reinhold, ,der Gartenphilosoph04433 , ,in einem gemieteten Garten vor
Das eigentliche gesellschaftliche Leben jedoch spielte sich, da es dem Tor, [... ] auf- und abgehend zu philosophieren und seine Ge-
in Jena, im Gegensatz zu Weimar, weniger offizielle Anlasse gab, in danken gehend zu notieren pflegte"434 , ist dabei nicht ebenso bekannt
kleineren Bekannten- und Freundeskreisen ab, die einen groEen Teil wie die vielen Berichte von Schillers Garten an der Leutra. Den Mit-
ihrer freien Zeit gemeinsam verbrachten. Man unternahm Spaziergiinge, telpunkt der Geselligkeit bildete jedoch der Griesbachsche Garten
Ritte und Fahrten ins Griine (im Winter Schlittenfahrten), oder man , teils durch seine Lage, die die Aussicht auf den ganzen Saalgrund
"435
traf sich in einem der vielen Garten. gewii.hrt, teils durch seinen Umfang und geschmack vo ll e Anl agen .
Die Gartenkultur, die damals einen herausragenden Platz im ge- Fur wie wichtig Diez die Teilnahme am Gartenleben ansah, belegen
selligen Leben einnahm, verdient darum eine besondere Erwiihnung. nicht nur seine ausgiebigen Berichte,436 sondern auch der Unterton
Im Ausgang von England und unter dem EinfluE von Shaftesbury, in seiner Bemerkung: ,und wenn Sie ja denken sollten. daE ic~ so
437
besonders jedoch von Rousseau, war ein neues Ideal des Lebens im doch in zu wenige Garten Zutritt babe [...]". Auch auf semen
Garten und in der Natur entstanden, his hin zum , jardin philosophique". Reisen folgte Diez, so wie spater Hi:ilderlin, der Mode und besuchte
. er dann gern un d VIe
die bedeutendsten Garten, iiber die . 1b enc
. h tete. 4 38
Vom Mittel wurde ,der Garten" zum Zweck und sogar zur Mode,
das Leben im Garten wurde zu einer wesentlichen Form der Geselligkeit
bei Adel und Biirgertum gleichermaEen. In Weimar wurde dies ge- 433 Vgl. Julius Doderlein, Unsere Vciter. Kirchenrat Christo/ Doaerlein, O,berco~­
fordert durch die besondere Art des Hoflebens. Seit dem Brand der sistorialrat Immanuel von Niethammer und Hofrat Ludwzg von Doderlezn,
Erlangen, Leipzig 1891, S. 20f.
4 34 So Adolf von Lupin, Friedrich Philipp Immanuel von Niethamm~. Dr._philos.
u. theol Geheim. Rat u. Mitglied der Akademze der Wzssenschriften zn Munch~,
430
Bertold Litzmann zitiert nach einem Brief von Schiller an Korner vom 1766-1848, unpaginiert S. 13. Vgl. auch A 3 S. 30 Z. 9 und A 3/ 99 sow1e
26. Miirz 1789 (NA 25 S. 229- 232) in seiner Schrift: Schiller in lena, D 3 S. 290 Z. 20-22.
Jena 1889, S. 12. ln dem Briefheillt es: ,Von den Anstalten zur Geselligkeit 435 Vgl. die anonym erschienen Brieft iiber lena, Frankfurt, Leipzig 1793 (vo~
in Jena habe ich auch ein Probe gesehen. Es ist dort von halbem Jalu Georg Friedrich Rebmann?), S. 133, in der Neuausgabe von Werner Grei-
zu halbem Jahr ein Clubb unter den ProfeBoren veranstaltet, wozu auch
ling, Jena 2 1987, S. 53.
eine Auswahl Studenten gezogen wird. [...] Man bezahlt halbjiihrig 8
436 Vgl. D 3 S. 284 Z. 12ff.
Thaler, woftir man 25 mal zu Abend iEt, versteht sich daB man ftir den
4 7
Wein besonders zu sorgen hat. Ich habe auch abbonirt, ohne mir i.ibrigens 3 Vgl. D 3 S. 290 Z. 12f. . . ..
viel Vergniigen zu versprechen." (NA 25 S. 230). 438 Hier seien die Schilderung seines Besuches im Enghschen Garten m Munchen
43 1 sowie von Nymphenburg im Reisebericht v?n 17?0 (cf. A 4/ 16), S.9ff.,
Vgl. besonders in seinem Brief vom 21.-30. April 1792 (D 2 S.276
s. 12 ff. und sein Bericht iiber die Schlo~garten 1.n der Umgebung von
Z. 10 - S. 277 Z. 30). Salzburg in seinen Erinnerungen an die W1ener Re1se von 1795 ( cf. ebd .),
4 32
Im folgenden (vgl. unten S. 1044ff.) wird auf den Kreis urn Schiller sowie
S. 21 ff. besonders erwiihnt.
auf den urn Reinhold noch etwas niiher eingegangen.
1043
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Begleittexte Aspekte des Lebens in Jena

(5.) Die groEte Bedeutung hatte fur Diez jedoch ohne Zweifel seine speise, die bey meinen Hausjungfern Init mir in die Kost gehen. So
Teilnahme am Mittagstisch Friedrich Schillers. Schiller, der seit 1789 habe ich, ohne mit der Besorgung beschwert zu seyn, tiiglich einen
- die beriihmte Antrittsvorlesung im Auditorium des Griesbachschen gesellschaftlichen Tisch, und da es zum Theil Kantianer sind, so versiegt
Hauses fand am 26. Mai statt - auEerordentlicher Professor der Ge- die Materie zur Unterhaltung nie. Nach Tische wird zuweilen gespielt,
schichte in Jena war, stand von Anfang an bei den Studenten in sehr ein Behelf, der mir seit meiner Krankheit fast nothwendig geworden
h~~em ~sehen. DaE sich dies, bei seiner seit 1791 nur noch geringen ist." 441 Die erwiihnten Freunde waren Niethammer, Fischenich442, Fritz
Taugkeit als Lehrer - wegen seiner Krankheit konnte er kaum noch von Stein, von Fichard und Goritz, die, his auf Fischenich, in den
Vorlesungen durchstehen -, im privaten Bereich, in Form eines festen Briefen vom 21. April und vom 29. Mai erwiihnt werden. Fischenich
Kreises von Freunden und Casten und eines andauernden Besucher- war bei der Ankunft von Diez gerade Init Schiller in Dresden, wo er
stroms, auswirkte, ist hinliinglich bekannt. Besonders in der Zeit seiner dann noch etwas liinger blieb. Den Sommer iiber gehorte er wieder
Genesung vom ersten groEen Krankheitsanfall von 1791 war ihm die zur Tischgesellschaft. Anfang Oktober 1792 reiste er nach Bonn zu-
Ges~llschaft junger Leute sehr wichtig. 439 Aber auch spiiter noch suchte riick.443 1m gleichen Friihjahr 1792 stieEen Voigt und Kruse444 zur
er die Geselligkeit im kleinen Kreis . .,Zwey Tage in der Woche sind Gesellschaft, und amEnde des Jahres folgte Karl Heinrich Gros, den
schon durch 2 privat-Clubbs unter guten Freunden besetzt nun will Schiller besonders schiitzte. (,Von den hiesigen Schwaben, Paulus
445
ich noch 2 dazu bestimmen. Viel Ausgaben machen diese Butter- selbst mit eingeschlossen, kommt ihm an Capacitiit keiner gleich.")
brodsgesellschaften nicht". 440 DaE Diez iiberhaupt zur Tischgesellschaft gehorte, belegte zuvor
Den eigentlichen Mittelpunkt des geselligen Lebens Schillers in selbst nur eine Stelle aus einem Brief Schillers an Fischenich: ,Unsere
der Zeit von Herbst 1791 his Friihjahr 1793 bildete jedoch die Tisch- Tischgesellschaft zerstreut sich nun in alle Lande. Stein geht nach
446
gesellschaft. ,,ch habe die Einrichtung getroffen, daE ich Mittags und Hamburg, Goritz ist mit Fichard in Frankfurth, Diez geht nach Berlin.
Abends Init 5 guten Freunden, meist jungen Magistern, zusammen So ist alles vergiinglich, aber unsre Liebe fur Sie wird keine Veriin-
derung erfahren."447 AuEerdem gehorten durchrei~e.nde Bekannte, s~
439 F. (im Sommer 1792) Schillers Jugendfreund Karl Philipp Conz, der be1
ntz Kiihnlenz, Schiller in Thiiringen. Stiitten seines Lebens und Wirkens,
Rudolstadt 1976, S. 128. Im Brief an Korner vom 22. Februar 1791 schreibt
S0iller (NA 26 S. 74-76, S. 75): ,Die Pflege war vortreflich, und es trug 441 Schiller an Korner vom 1. Januar 1792 (NA 26 S. 126-128, S. 128).
rucht wenig dazu bey, mir das Unangenehme der Krankheit zu erleichtern, 442 Bartholomiius Ludwig Fischenich (1768 -1831) stammte aus Bonn, :vo
wenn ich die Aufmerksamkeit und thiitige Theilnahme betrachtete die er auch sein Jurastudium abschloK Anschlie!Send (Anfang 1781) gmg
von vielen meiner Auditoren und hiesigen Freunden mir bewiesen wurde. er nach Jena und trat vor allem zu Schiller in niihere Beziehungen. Nach
[. · .) Der Antheil, den man sowohl hier als in Weimar an mir nahm, hat seiner Riickkehr wurde er Professor der Rechtswissenschaften in Bonn.
mich sehr geriihrt." Ludwig Friedrich Goritz, ,Schiller in Jena", in: Mor- 443 zu Fischenich vgl. Johann Heinrich Hennes, Ande-nken an Bartholo"':i:ius
genblattf7ir gebildeteLeser Nr. 221-227 1838, S. 881 f., S. 886-888, S. 889f., Fischenich. Meist aus BriefenFriedrichs von Schiller und Charlottens von Schzller,
S.894f., S.889f., S.90lf., S.906f. berichtet auf S.895: ,,m ersten Jahr Stuttgart, Tt.ibingen 1841, und von demselben Au tor Fischenich und Charlotte
gerieht er [gemeint ist Schiller; mit dem ersten Jahr mu~ das erste Jahr von Schiller. Aus ihren Briefen und andern Aujzezchnungen, Frankfurt a.M.
nach dem Ausbruch der Krankheit am 3. Januar 1791 gemeint sein) mit 1875.
erstaunlicher Leidenschaft an's !'Hombre. Wir hatten es uns zur Pflicht 444
Vgl. D 3/ 3.
gemacht, ihm Gesellschaft zu leis ten, so lange er noch nicht ganz hergestellt 445 Schiller an Fischenich vom 11. Februar 1793 (NA 26 S. 187-189, S.l89).
sei. Schiller, Gros und ich spielten nun oft von Mittags nach Tische his
446 D~ Diez lange mit dem Gedanken spielte, nach _Berlin zu gehen, geht
Morgens zwei und drei., gewohnlich aber his eilf Uhr fort (...)". Vgl.
auch aus seinen Briefen an die Eltern vom 29. Mat (D 3 S. 286 Z. 9-11)
auch die Berichte, etwa in NA 42 (Schillers Gespriiche). Zu Schillers d Niethammer vom 10. Mai 1796 (E 8 S. 345 Z. 20-22) hervor. Er
Vorlesungstiitigkeit seit 1791 vgl. Volker Wahl, Schillers Erbe in lena.
Verijfentlichung aus dem Universitiitsarchiv zum 225. Geburtstag Schillers
~:hrt:diesen Vorsatz (zu dessen Motivation vgl. D 3/ 18) jedoch niemals
am 10. November 1984, Jena 1984, S.46. a us.
440 Schill 447 Schiller an Fischenich vom 25. Juli 1793 (NA 26 S. 274 f., S. 275).
· er an Korner, 28. Oktober 1791 (NA 26 S. 104-106, S.104).

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Begleittexte Aspekte des Lebens in Jena

seinem Besuch in Jena wohl bei Diez wohnte448, zum Kreis, der sich bleme erorterte. Andererseits fehlten Interesse und fachliche Kom-
erst bei Schillers Auszug in die Gartenwohnung hinter dem From- petenz bei den meisten der Empfanger. Dazu kommt, daB der erste
mannschen Haus in der Zwatsengasse 9 am 7. April 1793 aufloste. Adressat Diez' Eltern waren, die an dem zugigen Fortgang seiner
Die Gesell~chaft ~etzte sich (his aufFischenich) aus zwei Teilgruppen medizinischen Studien ein groBes Interesse haben muBten. Aber auch
zusammen, emerseits den Schwaben (Niethammer, Goritz, Diez, Gros Diez' Interesse an der Philosophie selbst war wohl bald schon im
- Fichard, obwohl nicht Schwabe, muE man als Eleven von Goritz Wandel begriffen. 454
dieser Gruppe zuordnen -) und andererseits Personen aus dem Um- Die Empfanger wollten Neuigkeiten uber Jena und Weimar, die
kreis des Weimarer Hofes (Stein, Voigt, Kruse). Hieraus erklart sich kulturellen Zentren Deutschlands, horen, und die lieferte Diez in
sowohl die Wichtigkeit der Teilnahme an einem solchen Tischkreis 449 beachtlichem Umfang. Allerdings sind in ihnen uns bisher unbekannte
als auch die Selbstverstandlichkeit, mit der Diez Berichte uber seine Nachrichten uber den Schillerkreis selten. 455
Teilnahme fur interessant hielt. 450 Besonders fallt auf, daB die oft leidenschaftliche Verehrung fur
. DaE das philosophische Hauptthema bei den Gesprachen uber den Dichter, die aus vielen Briefen von Studenten spricht, bei Diez
T1sch Kant war, ist bei den Interessen der Teilnehmer nicht ver- nahezu vollstandig fehlt. Zwar wird mit Teilnahme, aber doch den
wunderlich. Schiller befaEte sich gerade, neben der Arbeit an der .
e1genen . gesproch en. 456 Nur
Interessen untergeor d net, vom T'1s chkrers
Geschichte des DreiEigjiihrigen Krieges, intensiv und grundlich mit gelegentlich kommt auch ein besonderes Interesse an Schillers Person
d~r Philosophie Kants, besonders mit der Kritik der Urteilskrcift. Aus und Arbeit zum Ausdruck. 457
dreser Beschaftigung gingen die sogenannten ,Kalliasbriefe"'51 an Kor-
ner hervor. DaE Niethammer und zum Teil auch Diez gerade wegen (6.) In direktem Zusammenhang mit Schiller und doch als eigen-
der Verstandigung uber Kant uberhaupt erst nach Jena gekommen stiindiger Faktor tritt der ,Schwabenkreis" in Jena hervor. Nicht nur
waren, laBt sich aus Diez' Briefen und aus Niethammers Selbstzeugnis die gleiche Herkunft, sondern der durchwegs gleiche Bildungsweg
452 (his auf Schiller) und damit groBtenteils auch die personliche Be-
entnehmen. Ebenso waren Fischenich und Gros engagierte Kan-
tianer.453 kanntschaft aus der zum Teil gemeinsam verbrachten Zeit im Thbinger
Umso mehr wird man bedauern, daE Diez in seinen Briefen aus Stift bildeten die Voraussetzung fur die gegenseitige Unterstutzung
Jena, wo er doch wirklich zu einer QueUe bedeutender Gedanken und Forderung in Jena. Die jungen schwabischen Studenten (immerhin
458
gelangt war, kaum uber Philosophie, sondern nur uber gesellschaftliche waren im Dezember 1792 29 Schwaben in Jena immatrikuliert )
und andere Ereignisse des Jenaer Lebens berichtet. Ohne Zweifel spielten dabei offensichtlich keine Rolle; der Magistertitel und der
erklart sich das aus dem Adressatenkreis der Briefe aus Jena. Da sie StudienabschluB im Rahmen des Thbinger Stifts bei einer Lokation
als Rundbriefe an die Eltern, an viele andere Verwandte und an auf den oberen Stellen sorgte fur SelbstbewuBtsein und enge Zu-
Freunde gedacht waren, war einerseits die Vertraulichkeit nicht ge- ordnung. Unser Interesse an diesem Kreis ist aber vor allem durch
wahrleistet, mit der er in seinen fruheren Briefen philosophische Pro- die Personen begrundet, die ihm angehort haben.
Neben Schiller war Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, der im Juni
448 Vgl. D 4/17. 1789 Ordinarius fur Orientalistik in der philosophischen Fakultat in
449 V:
gl. die Einschatzung von Diez' Freund Brehmer D 3 S. 286 Z. 26f. 454 Vgl. Gadi X.2.
450 V:
gl. die Ausftihrungen iiber den Schwabenkreis, D 3 S. 282 Z. 3 - S. 284 455 So der Bericht iiber Schillers Gangart (vgL D 3 S. 283 Z. 26-28), der
Z.lO.
451 inzwischen schon der NA mitgeteilt wurde (vgl. NA 42 S. 151).
Vgl. NA 26.
452 V:;.,.l 456 VgL besonders D 3 S. 284 Z. 12fi
5'· Niethammers Selbstbiographie in seiner Disse·rtatio inauguralis de per-
457 Vgl. E 4 S. 336 Z. 6 und E 6 S. 339 Z. 8ff.
suasione pro revelatione, eiusque stabiliendae modo rationis praeceptis consen-
taneo, Jena 1797, unpaginiert S. 6 f.
458 VgL die Liste Loders hei Koch, ,Auszug" (cf. Anm. 406), S. 456, sowie
453 V:;.,.l A 18/8.
5'· Hennes, Andenken an Fischenich (cf. Anm.443) und A 1/2.

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1046
Begleittexte Aspekte des Lebens in Jena

Jena wurde, his 1803 (1793 ist er in die theologische Fakultat tiber- (7.) Ein Haupta.nziehungspunkt in Jena fur die Schwaben, die schon
gewechselt) ein Mittelpunkt des Jenaer geistigen und geselligen Le- in ihrer Thbinger Zeit zum groEen Teil zu Kantianern geworden
bens, obwohl seine Lehrerfolge zunachst recht bescheiden waren. Er waren, war Karl Leonhard Reinhold.
wares auch, der Diez in den K.lub der jiingeren Professoren einfuhrte. 459 Bekannt geworden durch die ,Briefe tiber die Kantische Philoso-
Sein Haus war fur durchreisende Schwaben und viele andere Gelehrte phie"466, wurde Reinhold 1787 auEerordentlicher Professor der Phi-
eine der wichtigsten Adressen. losophie in Jena. Seine Vorlesungen fanden bei den Studenten groEen
Diez' Teilnahme an Schillers Tischgesellschaft geht jedoch mit groE- Zuspruch; und auch zu Diez' Zeit in Jena stellte er mit seinem Lehrerfolg
ter Wahrscheinlichkeit auf Niethammer zuriick. Seit Ostern 1790 in nach wie vor alle Kollegen in den Schatten. Allerdings befand sich
Jena, vorerst urn ftir ein halbes Jahr bei Reinhold Philosophie zu Reinbold damals doch schon in einer Krise seiner Philosophie und
studieren, wurde Niethammer immer wieder von Schiller untersttitzt. 460 auch seines Lebens, die zu seinem Weggang nach Kiel im Frtihjahr
Als einer der ersten Anhiinger Fichtes in der Theorie der Religion 461 1794 wohl auch beigetragen haben mag.
nahm er im Laufe der Jahre - seit er das Philosophische Journal einer Kant selbst hatte das Interesse an ihm verloren, nachdem sich
Gesellschaft Teutscher Gelehrten (1795-1800 in 10 Biinden erschienen) Reinhold im Versuch einer neuen 'I7leorie des menschlichen Vorsteflungs-
herausgab (1797 trat Fichte selbst in die Redaktion eint62 - eine vermiigens467 und den nachfolgenden Schriften immer starker auf
immer wichtigere Stelle im Leben der Universitat ein. die eigenen FUEe gestellt hatte. Doch gela.ng es ibm nicht, die in
Da.E Paulus und Niethammer neben Schiller die Anlaufstationen ihn und in seine Philo sophie gesetzten hohen Erwartungen zu erfullen.
in Jena bildeten, erklart sich aus der Verbindung der Tatsache, daiS Immer starker wurde die Kritik, an der sich auch Diez in erheblichem
es ihnen gelungen war, sich im Zentrum der deutschen Kultur zu MaE beteiligte. 468 AuEerdem war das Verhiiltnis zwischen Schiller
behaupten, mit ihrer wissenschaftlichen Bedeutung und ihrer oft und Reinhold zu dessen Bedauern nicht besonders freundlich, wenn
schon frtihen Bekanntschaft mit fast allen durchreisenden oder Ianger auch der Bericht von Goritz 469 wohl iibertrieben sein dtirfte: ,Schiller
verweilenden Schwaben. Dies wieder ergab sich aus den Kontakten besuchte die Gesellschaft470 Anfangs mit Vergntigen, aber bald ent-
tiber das Thbinger Stift. So ist, urn ein Beispiel zu nennen, ein leidete das groEe Kind Reinhold ibm die Gesellschaft. Reinhold
umfa.ngreicher Briefwechsel zwischen Paulus und dem damaligen hatte Aesthetik gelesen. Schiller fing auch Vorlesungen dartiber a.n.
Stiftsephorus Schnurrer, der als Orientalist Fachkollege von Paulus Reinhold machte immer sehr groEe Ansprtiche und nahm diese Col-
war, iiberliefert.463 lision iibel. Seine Philosophie fmg schon damals an zu stocken~ und
Aufgrund von Diez' Briefen liillt sich a.nnehmen, daE 1792 im Heili- oft wurden ibm wichtige Einwiinde gemacht. Dadurch ~ers~t,
genstadtischen Haus auf dem Markt von Jena eine regelrechte Schwa- kam Reinhold zwar noch in das Kranzchen, aber zog srch unmer
benwohnung hestand. Bier wohnten Nietha.mmer und Goritz, als Diez in den abgelegensten Winkel des Zimmers zurtick ~nd sprach ke~n
eintraf. Conz dtirfte da.nn a.nstelle von Goritz eingezogen sein. 464 DaiS Wort mehr. Er lieE sich Essen und Trinken von semer Frau dahin
Conz wiihrend seines Besuchs auch am Tischkreis Schillers teilnahm, bringen, und Schiller nannte deswegen die Professorin Reinhol~
geht aus seinen eigenen Zeugnissen hervor. 465 nur Reinholds Raben." DaE Reinhold groEere Gesellschaften zu mer-
den begann, belegt auch die Bemerkung von Diez: ,Er ktindigte
459
Vgl. D 1 S. 261 Z.17-20.
460
Vgl. Lupin, Niethammer ( cf. Anm. 434 ), unpaginiert S. 13 f.
461 Vgl. D 5 S. 314 Z. 10-15.
466
Vgl. A 9/ 8.
462 467
Vgl. A 10/ 9. Prag, Jena 1789. . .
463 In der Universitatshibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 858/ 466-508. 468 Vgl. Gadl VI. 2-3 und VII. 2-3 und Marcelo Stamm, Systemlcnse. Dze Ele-

464
Vgl. D 2/ 53 sowie D 4/ 17. mentarphilosophie in der Debaae (1789-1794), Stuttgart 1997, I. 5.
465 469 Vgl. Go ritz, ,Schiller in Jena" ( cf. Anm. 439), S. 901.
Vgl. den Bericht uber die Tischgesellschaft in: Zeitung for die elegante
Welt Nr. 4 vom 6. Januar 1823, Sp. 29.
470
Gemeint ist wohl der Klu h d er 1ungen
· pro fessoren (vgl· oben S. l04lf.).

1048 1049
Begleittexte Aspekte des Lebens in Jena

mir sogleich an, daB er nicht gewohnt sei, gro~e und zahlreiche nennen. Was dem Kreis urn Reinhold zusatzliche Attraktivitat verlieh,
Gastereien zu geben". 47 1 waren dessen Beziehungen nach Weimar. Als Schwiegersohn Wielands,
Dagegen hatte Reinhold von Anfang an neben seiner offiziellen der an der Redaktion des Teutschen Merkur beteiligt war, konnte er
Lehrtatigkeit in kleinerem Kreise mit Schiilern diskutiert. 472 Sein Ruf vielen Verbindungen zu den einflu~reichen Zirkeln der Residenzstadt
hatte ja im Laufe der Jahre viele Studenten nach Jena gezogen. Einen erschlie~en, die hohes Ansehen in ganz Deutschland genossen.
Einblick in diesen Kreis geben die Eintragungen ins Stammbuch Dennoch hatte Reinhold 1792 den Hohepunkt seiner Jenaer Ta-
Kalmanns. 473 Da Reinhold jedoch wegen der gro~en Zahl seiner Rorer tigkeit i.iberschritten, und auch Diezens Erwartungen konnte er nicht
nicht so sehr auf eine Aufbesserung seiner Finanzen angewiesen war, erftillen. Man erkennt es am Wechsel im Unterton zweier seiner Mit-
unterhielt er keine dauernde Tischgesellschaft. So waren neb en einigen teilungen am Anfang des Sommersemesters 1792 sowie am Anfang
Schiilern, wie z. B. Tschink (,Tschink, der Verfasser eines Geistersehers des Wintersemesters 1792/ 93: ,Zur gehorsam.en Danksagung fur die
in Wien, den Sie, glaube ich, gelesen haben, mein erster und altester bereits erwiesen [e] Hoflichkeit und zur leichteren Unterhaltung seines
Schuler, kommt diesen Winter hierher, die kritische Philosophie zu rnir sehr erwiinschten Umgangs mu~te ich auf ein Kollegium
studieren, worauf ich mich nicht wenig freue [.. .]'"'74), durchreisende unt[er]schreiben'"'7 8 und dagegen: ,Herro Reinhold habe ich den
oder fur einige Zeit verweilende Freunde die haufigsten Caste; so Ahschied gegeben, aber, was mir weit, weit weher tut, ist, d~ ich
der danische Dichter Baggesen475 , der Nurnberger Arzt Erhard 476 sowie auch Schillers Asthetik nicht horen kann.4<479 Offensichtlich war Schiller,
Baron von Herbert aus Klagenfurt477 , urn nur die bedeutendsten zu und nicht mehr Reinhold, in den Augen von Diez derjenige, von
dem er, auch im Bereich der kritischen Philosophie, zu dieser Zeit
das Hohere erwartete.
471
Vgl. D 3 S. 288 Z. 7-9.
Im. Sommer 1792 hatte Diez mit seinen Argumenten gegen Reinholds
472
Vgl. Reinhold, Reinhold's Leben ( cf. Arun. 412), S. 60.
Theorie des Vorstellungsvermogens dahin gewirkt, d~ dieser seine
473
Vgl. Carl Hugelma.nn, Ein Stammbuch aus demKreise KarlLeonhardReinholds. philosophische Position neu formulierte. 480 Von dieser We~_dung wur~e
(lena und Kiel 1792-1795), Wien 1910. aber zunachst nichts durch Veroffentlichungen bekannt, wahrend Rem-
474
Vgl. Reinhold an Erhard vom 7. August 1791, in: Denlcwiirdiglceiten des hold als Lehrer his zu seinem Weggang nach Kiel weiterhin sehr
Philosophen und Arztes Johann Benjamin Erhard, hrsg. von Karl August beliebt blieb. Die Diskussion iiber Grundlegungsfragen der Philosophie
Varnhagen von Ense, Stuttgart, Ti.ibingen 1830, S. 312-316, S. 315. wurde nach der ziemlich allgemeinen offentlichen Kritik _a~ Rei~holds
475
Jens Baggesen (1764-1826) studierte seit 1785 in Kopenhagen und reiste Werk zunachst einmal nicht mehr mit derselben lntens1tat welterge-
im Mai 1789 nach Deutschland, der Schweiz, England und Frankreich. ftihrt, obwohl nun mehrere Dozenten aus Reinholds Umgebung die
Im Spiitsommer 1790 traf er auf der Ri.ickreise in Weimar und Jena ein, Zahl der Kantianer an der Jenaer Universitat vermehrt hatten. Erst
wo er in gute Beziehungen zu Reinhold, Wieland und Schiller trat Zum
mit der Ankunft Fichtes wurde sie auf eine neue Hohenlage un~
weiteren Leben vgl. Franz Brummer, Deutsches Dichter-Lexilcon.Biographische
und bibliographische Mittheilungen iiber deutsche Dichter aller Zeiten. Unter zum.indest zur selben Intensitat zuri.ickgeftihrt. Doch zu dieser Zelt
besonderer Beriiclcsichtigung der Gegenwart for Freunde der Literatur zusam- befand sich Diez bereits auf der Ri.ickreise nach Thbingen.
mengestellt, 3 Bde. Eichstiitt 1876-1877, Bd.1 (DBA 49,31-34).
476
Johann Benjamin Erhard (1766 -1827) aus Ni.irnberg ging nach vollendeten
medizinischen Studien nach Jena., urn seine Kantstudien zu vervollstiin-
digen. Hier blieb er wiihrend dreier Monate im Winter 1790/ 91 und .. . . wo unter an d eren F°rberg und Niethammer
kni.ipfte niihere Kontakte zu Reinhold, Schiller und Niethammer. Vgl. der krltl.schen Philosophie,
seine Selbstbiographie in Varnhagen von Ense, Denlcwiirdiglceiten ( cf. liingere Zeit zu Cast waren. Vgl. E 8/ 5.
478
Arun. 474), S.1-38, und Gad! XIII. Vgl. D 2 S. 280 Z. 34 - S. 281 Z. 1.
477 479
Franz von Paula Freiherr von Herbert (1759-1811) aus Klagenfurt war Vgl. D 5 S. 313 Z. 6-8. . cf An 468)
Bleiweilifabrikant Im Winter 1790/ 91 studierte er bei Reinhold in Jena. 480 Vgl. Gadl VI. 2. d und VII. 5 sowie Stamm, Sys~emkr~e ~ go4t" ,
In den folgenden Jahren wurde sein Haus in Klagenfurt zu einem Zentrum I. 5 und Reorganisation der Elementarphilosophie fY ), ·

1050 1051
VII.
Bildteil
Bildteil

Bildlegenden

Die Abbildungen zu diesem Band sollen dazu dienen, die


Anschauung von den Personen und ihren Umgebungen noch
lebendiger werden zu lassen, welche in diesem Band Schliis-
selrollen haben. Das Portrat von Diez' Schwester (Abbildung 4)
wurde aufgenommen, weil von I. C. Diez selbst nur ein Schat-
tenrill uberkommen ist und eine Familienahnlichkeit als wahr-
scheinlich unterstellt werden darf. Zudem sind groEe Teile
der hier veroffentlichten Autographen an Diez' Schwester ver-
erbt worden. Der Schattenrill des jugendlichen Diez wurde
vermutlich mittels einer vor 1786 entstandenen Schablone aus-
geftihrt. Von F. I. Niethammer und F. G. Si.iEkind wurden Schat-
tenrisse ausgewahlt, weil sie ihrer Entstehungszeit nach den
Texten am nachsten kommen. Es war !eider unmoglich, von
der Wohnung von Diez' Vater, des Stadt- und Amtsarztes von
Thbingen, eine Abbildung zu erhalten, die dem Zustand der
Zeit etwa entspricht, in der Diez' Briefe und Schriften ent-
standen.
Abbildung 1: Schattenrill von Immanuel Carl Diez (1786). Auf dem
Stammbucheintrag fUr Christoph Friedrich Schmoller vom 30. No-
vember 1786. (Das Stammbuch befindet sich im Wi.irttembergischen
Landesmuseum Stuttgart, Inv. Nr. 1934-101.)
Abbildung 2: Schattenrill von Friedrich Immanuel Niethammer (1793).
Scherenschnitt. (Im Besitz des Deutschen Literaturarchivs Marbach,
Bild-Abteilung, Inv. Nr. 1923.)
Abbildung 3: Schattenri~ von Friedrich Gottlieb Si.igkind (1795). Aus-
schnitt aus einem Doppelportrat zusammen mit seiner Braut. N~ch
einer Radierung eines unbekannten Ki.instlers. (Im Besitz der Wurt-
tembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Graphische Sammlung.)
Abbildung 4: Friederika Louisa Carolina Diez (1802). Nach dem Olbild
der Schwester von l C. Diez von Christian Gottlieb Schick. (Staats-
galerie Stuttgart, Inv. Nr. 3622.)

1055
Bildteil

Abbildung 5: Handschrift von Diez' Brief an Niethammer vom 12.


Oktober 1790 (A 5). (1m Besitz des Herausgebers.)
Abbildung 6: 'llibingen mit dem Furstlichen Stipendium (1643). Nach
Merians Topographia Sueviae. (1m Besitz der Wtirttembergischen Lan-
desbibliothek Stuttgart, Graphische Sammlungen.)
Abbildung 7: GrundriJS des zweiten Stockwerks des 'llibinger Stifts
(1788). (Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 284/ 95 Bu 182.)
Abbildung 8: Teilansicht des 'llibinger Stifts (1739). Nach einer co-
lorierten Zeichnung eines Stiftlers. (Hauptstaatsarchiv Stuttgart,
A 284/ 95 Bii 70.)
Abbildung 9: Lageplan des 'llibinger Stifts und der Wohnungen des
Ephorus und der heiden Superattendenten. Aus: Joachim Hahn, ,Bau-
geschichtlicher AbriJS", in: Das Evangelische Stift in 'Eibingen, hrsg.
von Joachim Hahn und Hans Mayer, Stuttgart 1985, S. 232. (Die
Provenienz der nicht-zeitgenossischen Grundrillzeichnung konnte
durch J. Hahn nicht mehr gekliirt werden.)
Abbildung 10: Unterschriften von 'llibinger Professoren, insbesondere
von Christoph Matthiius Pfaff, in einem Exemplar der Ttibinger Uni-
versitiit des Konkordienbuches, 'llibingen 1580 (vgl. B 1/ 3 und
C 4/ 21). (Universitatsarchiv 'llibingen, Signatur 1/8.)
Abbildung 11: ,Wiederholdtisches" Haus in Gottingen. Nach einem
vor 1912 entstandenen Foto. Die heiden Obergeschosse sind noch
etwa in dem Zustand von 1790/ 91, als F. G. SiiJSkind hier wohnte
(vgl. C 1/34). Das Haus wurde 1912 abgerissen. (Die Abbildung
wird dem Besitzer, Herrn Hartmut Grosse, im Biiroeinrichtungszen-
trum Wiederholdt, Gottingen, verdankt.)
Abbildung 12.: Marktplatz von Jena 1792. Nach einem Stich von Jacques
Roux. Der Stich zeigt eine Szene aus den Studentenunruhen vom
Juli 1792 (vgl. D 4 S. 296 Z. 17ff.). Diez' erste Jenaer Wohnung befand
sich in dem Heiligenstadtischen Haus (vgl. D 2/ 108), das im Stich
genau in der Mitte unterhalb des Kirchturms und des kleinen 'llirm-
chens erscheint. (Stadtische Museen Jena, Inv. Nr. 3145.)
Abbildung 13: ,Pftindelsches Haus" in Jena. Nach einer Fotografie urn
1908. Das Haus wurde im Friihjahr 1945 durch Bomben zerstort. In
diesem Haus befand sich Diez' zweite Jenaer Wohnung (vgl. D 4/ 51).
(Stadtische Museen Jena, Inv. Nr. 24575.) Abbildung 1

1057
1056
Abbildung 2 Abbildung 3

1058 1059
Abhildung 4 Abhildung 5

1060 1061
I'('
~liotfCJilfl-
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Abbildung 6 Ahbildung 7

1062 1063
Abbildung 8
Abbildung 9
1064
1065
Abbildung 10 Abbildung 11

1066 1067
Abbildung 12 Abbildung 13

1068 1069
Personenindex

Personenindex

Thomas Splett und Jiirgen Weyenschops in Miinchen sowie Renate


Warttrnann im Klett-Cotta Verlag haben den Index erarbeitet, und
zwar nach folgenden Prinzipien:
In diesem Band werden eine groEe Anzahl von Personen erwiilmt,
die sehr unterschiedlichen Personengruppen zugehoren. Urn zu ver-
meiden, daB der Index entweder uniibersichtlich wurde oder iiberaus
umfangreich ausfiel, wurde auf die Aufnahrne von drei Gruppen von
Personen ganz verzichtet, und zwar auf solche, die entweder 1) nur
als Autoren von Nachschlagewerken, genealogischen tibersichten und
von Publikationen der Forschungsliteratur auftreten oder 2) nur irn
Zusamrnenhang der Uberlieferung von Quellen erwiihnt werden oder
aber 3) ausschlief.Slich in den Begleittexten (Teil VI) vorkommen.
Durch den Index erfaEt sind hingegen alle die Personen, welche in
den in diesem Band edierten Quellentexten (einschlieglich des Briefes
von Reinhold an Erhard S. 911-914) erwiihnt werden. Fur die nach
diesen Kriterien zu beriicksichtigenden Personen wurden sodann aber
siirntliche Nennungen in allen Textteilen des Bandes, einschlieElich
der Begleittexte, verzeichnet. Auch die hiiufigen indirekten Erwiih-
nungen dieser Personen, die ohne irgendeine Nennung ihrer Narnen
erfolgen, wurden in den Index aufgenommen. Auf solche Erwiihnungen
wird der Benutzer des Index durch ein hochgestelltes ,i" hingewiesen.
Personennamen innerhalb von zitierten Titeln und die Narnen von
Briefempfangern, die lediglich zur Identifikation des Brieftextes eines
Autors dienen, sind gemaE einer etablierten Praxis nicht in den Index
aufgenommen. Die Namen von Immanuel Carl Diez, Friedrich Imma-
nuel Niethammer und Johann Gottlieb SiiEkind sind deshalb nicht
in den Index aufgenommen worden, wei! die Genannten in allen
oder den meisten Texten des Bandes durchgiingig von herausragender
Bedeutung sind. Ebenso wurden die Nennungen der iibrigen Br~ef:
adressaten Karl Heinrich Gros Carl Friedrich Kielmeyer und DleZ
Eltern, so~eit diese in den je.;eils an sie selbst gerichteten Briefen
vorkommen, nicht verzeichnet. d
Die Anwendung dieser Prinzipien hat zur Folge, d~ trotz es
Ausschlusses einer groLSen Zahl von Personen aile Personennarnen
aus Diez' Zeit und der ihr vorausliegenden Vergangenheit im Index
erscheinen. Die von Diez und SiiEkind selbst erwiihnten Pers~nen
· d un
sm · Index durch Kurs1vsatz
· hervorgeh o b en. In einigen Fiillen

1071
Personenindex Personenindex

Bengel, Ernst Gottlieb 227, 442, Brehmer, Nikolaus Heinrich 286,


sind zu den Namen weitgehend unbekannter Personen kurze Zusatze
609, 610', 614 294f, 298, 314, 675, 712
hinzugefiigt, welche die Zuordnung der Person erleichtern, vor allem Bengel, Johann Albrecht CIII, Breithaupt, Joachim Justus 619
dann, wenn es mit den verft.igbaren Kraften nicht moglich war, die 557, 614 Brendel, Johann Gottfried 313,
Vornamen vollstandig oder auch nur teilweise anzugeben. Wenn in Berg, Johann Peter 5 72 708
den editierten Texten ein Name erwahnt wird, der nicht mit hinrei- Berkeley, George 383 Brentano, Clemens 676
chender VerliifSlichkeit einer bestimmten Person zugeordnet werden Bertuch, Friedrich Johann Justin Brentano, Sophie (geb. Schubert,
kann, so wird unter den in Frage kommenden Personennamen nur 70~ 480 geschiedene Mereau) 287~ 676
Besenbeck, Kaspar Jakob 268, 653 Breyer, Johann Friedrich 267, 650
auf die Kommentarstelle verwiesen.
Biester, Johann Erich 234, 620 Brinken (Frau des Fechtmei ters
Seitenzahlen, die auf Stellen verweisen, an denen sich Angaben Heinrich von Brinken) 326;,
Bilfmger, Dorothea Catharina (geb.
zur Biographie der erwahnten Person finden, sind fett gesetzt. Ziflen) 656 731 i
Bilfinger, Ferdinand Friedrich 688 Brinken, Heinrich von 731
Abel, Jacob Friedrich 48, 49;, 64, 65'~ 168, 430, 470£., 472-474, Billinger, Gottlieb 656 Brodereus (Militiir; Mitreisender
214, 447£., 449, 468, 470 489, 560, 563, 634 Billinger, Johann Wendel 656 auf der Fahrt nach Jena) 263-
Abicht, Johann Heinrich LXN, Bardili, Johann Philipp 471 Billinger (Vater von Gottlieb Bilfin- 265
267.f, 651, 652f. Barthe (Burgermeister; Mitreisen- ger) 656 Brodereus (Bruder des Militiirs)
Adalbert III. von Harstall (Furst- der auf der Fahrt nach Jena) Blumenbach, Johann Friedrich 503 263/
bischof von Fulda) 317i, 101~ 269f, 271-273 Bode, Johann Elert 506 Bruns, Paul Jacob 234, 447, 618
718 Basch, Anna Caroline (geb. Seidler) Boerhaave, Hermann 676 Buchholz, Wilhelm Heinrich Seba-
Ahhnann, Hans 292, 302.f, 684 659 Bohnenberger, Gottlieb Christoph stian 278-280, 294f, 315, 662,
Ahlmann, Johann Konrad 684 Basch, Erdmann Siegmund 659 365 666
Alter, Franz Karl 69, 479 Basedow, Johann Bernhard 450, Bohnenberger, Johann Christoph Buchling, Johann David 79, 487
Anna Amalia von Sachsen-Weirnar- 559 Friedrich 365 Buchsner (in Wurzburg) 330f,
Eisenach 646, 662, 680 Batsch, August Johann Georg Karl Bohnenberger, Johann Gottlieb 744
Anckarstrom, Jakob von 664 261, 276f, 280, 285, 287, 296', Friedrich 11, 89, 97, 365, 506, Buhle, Johann Gottlieb Gerhard
Andler, Marie Veronika (geb. Bilfin- 298, 300, 304, 306, 309f, 316, 515 200, 212, 588
ger) 561 335, 644, 645, 668 f., 677, 690, Biik, August Friedrich 11, 363, Btihler, von (Stallmeister in Stutt-
Aristoteles XVIII 700, 717, 753 369, 399 gart) 503
Arius von Alexandrien 530 Batsch, Sophia Caroline Amalia Born, Friedrich Gottlob 652 Buhler, Friederike Johanne (geb.
Arnold, Eberhard 232'~ 617 (geb. Pft.indel) 306', 309f', 700 Biittiger, Karl August 480, 658, 763 Weckherlin) 181', 576
Aspasia aus Milet 650 Bauer, Johann Jacob 21 Of, 427 1' Biittiger, Karl Valerian 681 , 687 Buhler, Friedrich Gottlieb 575
Atha.n.asius von Alexandrien 486, 594, 595 Brandner (Spitalgehilfe in Wurz- Buhler, Johann Friedrich 181',
531 Baumeister, Friedrich Christian 540 bnrg) 331, 747 . 575f.
Baumgarten, Alexander Gottlieb Brastberger, Carl Friedrich 36', .420 Bunz, Georg Christian Heinrich
Baggesen, Jens LXXI, 405, 408, 540 Brastberger, Carolina Luisa 36', 73, 169, 172., 184, 483
467f., 668, 678f., 709-711, 728- Bause, Johann Friedrich 74, 485 420 Busch, Johann Georg 657, 704
730, 733, 741, 781, 914, 1041, Bayer, Albrecht 267, 650 Brastberger, Caroline Lisett (geb.
1050 Bayer, Johann Ernst 496 Konig) 36;, 420, 656 Calvin, Jean 532
. 413
Baggesen, Sophie 678, 729 i, 775, Beaunoir, Alexandre Louis Ber- Brastberger, Charlotta Friederica Ju- Camerer, Christoph Lu dWig
914 trand Robineau de 663 Camerer Gottfried August 413
stina (geb. Knab) 420f.
Bahrdt, Carl Friedrich 234, 620, Beck, Friedrich Jakob 825 Camere;, Johann Caspar 340', 341,
Brastberger, Gebhard Ulrich 36f,
960, 993 Beck, Johann Sigismund LXN 343, 348, 493, 518, 742, 767 f.,
49, 57, 62, 196f, 204, 420, 421-
Baiger (schwiibischer Magister in Becker, Rudolf Zacharias 494, 423, 449, 459, 463, 530 f., 592, 768 i 769f., 785
Wien) 341, 768f. 758 656, 818, 888, 925, 947-952,
Camer~r, Johann Gottfried 97, 516
Bardili, Christoph Gottfried X:XXf., Behn, Georg Heinrich 340~ 767 f. Camerer, Johann Gottlob 493
966, 978-980, 982

1072 1073
Personenindex Personenindex

Camerer, Johann Wilhelm 195, Coudenhoven, Sophie von (geb. Diezel, Christian Friedrich Ernst Eichhorn, Susa11:na Dorothea (geb.
413, 516, 530, 539, 585f., von Hatzfeld) 317', 718 522 Muller) 169', 178', 562
732 Creuzer, Leonhard 439, 752 Diiderlein, Johann Christoph 1:2, Eichhorn, Wilhelmina Sophia 562
Camerer, Johannes 18li, 413, 516, Crusius, Christian August 537, 3.2, 304, 308, 368 f., 789, 1008 Eisenbach, Georg Michael 266,
573, 585i 622f. Dorner, Maria Regine (geb. Bardili) 649
Camerer, Philipp Gottfried 33j, Gustine, Fran<;ois 714 471 Eiben, Gottfried 669
38, 362, 371, 412, 413 f., 742, Dorville (Handelsmann in Frank- Eiben, Johann Christoph 630
769 Dahl, Joachim Heinrich 298, 300, furt a.M.) 558 Engelhard (Mitreisender auf d~r
Carl August von Sachsen-Weimar- 305, 307j, 69lf., 701 Drechsel (Mitreisender auf der . Fahrt nach Jena) 101', 269',
Eisenach 300i, 303'; 305~ 646, Dahl, Johann Christian 696 Fahrt nach Jena) 101', 269f', 270-273
660, 666 i, 680, 720 Dahm, Johann Georg 630 f. 271-273 Enslin, Johann 742
Carl Friedrich von Sachsen-Weimar- Dalberg, Karl Theodor Anton Ma- Drechsel (in Augsburg) 271 Epiktet 63, 468
Eisenach 717 ria von 278;, 662, 1041 i Diirckheim-Montmartin, Karl Fried- Erhard, Johann Benjamin XXVL
Castendyk., Katharina (geb. Smidt) Danovius, Ernst Jakob 680 rich Johann Eckbrecht von 291, XXVIIL XLI, LVIII, LXIV f., XC,
755 Danovius, Henrietta Wilhelmina So- 521, 681 XCVL CV f., 63': 78': 342,
Causid, Christine Marie Philippine phia Eberhardina (geb. Eber) Duttenhofer, Christian Friedrich 405 f., 422, 443 f., 466 f., 474 f.,
(geb. Runkel) 168', 559 290, 680 364i, 421, 531 £., 948, 950 486, 490-492, 497, 499, 599,
Causid,. Margarethe Wilhelmine Dapp, Georg Gottfried 87, 500 f., 658 f., 696, 728, 732, 739, 751 f.,
168', 559 533 Eben, Johann Philipp 294, 686 f. 757-759, 772f., 779-781, 785,
Causid, Marianne Franziska 168'~ Dapp, Ludwig Ferdinand 281, Eber, Johanna Elisabeth (geb. Ek- 811, 858, 898, 901, 903-906,
559 669f. kardt) 277~ 659 908-914, 1050
Causid, Simon 168'~ 558 f. Demokrit (von Abdera) 48, 449 Eber (Mutter von Paul Ludwig Fer- Ernst, Johann Carl 28, 403
Causid, Susanne Margarethe 168~ Dietrich (Chirurg in Wt.irzburg) dinand E.) 290i, 680i Ernst, Juliana Dorothea (geb. See-
559 329', 330, 744 Eber, Paul Ludwig Ferdinan~ 277, ger) 28;, 403
Charlotte Amalie von Sachsen-Mei- Diez, Carl Philipp. XLi, IC, C i, . 290f, 293, 348, 659, 680 I Ersch, Johann Samuel 484 f., 498,
ningen 660 59',90f',.334',.341',355, 410\ Eberhard, Johann August 8j, 234, 783
Cicero, Marcus Thllius 48 521', 525 1, 641'-643 1, 682, 358, 384, 667f., 938f., 974-976 Ettinger, Carl Wilhelm CL 47f,
Clemm, August Heinrich Salomo 713i, 719i, 750, 783, 860i, 861, Eckardt, Johann Christian Ludwig 213f, 398f., 427,441, 442f.,
742, 769 863i, 864, 866f., 868f., 872f., von 308, 659, 701 447, 451, 474, 521, 609, 758
CleR David Friedrich 442 875, 882, 887i, 890f.i, 894f., Egge~ Christoph Franz Carl I 00, Ettinger, Karl Eduard 443 i
ClefS, David Jonathan (Vater von 1036i, 1045-1047i 518, 521, 523 Ettinger, Karl Ottokar 443, 474.
David Friedrich C.) 442 i Diez, Charlotte Henriette 292 i, Eggel, Ludwig Friedrich Carl 98, Ettinger, Karolina Augusta Henn-
1
Cleveland (Vater von Matilda Gui- 682, 894 100, 263-266, 268-270, 272j, etta 443, 474
guer) 612 i Diez, Georg Heinrich 418f. 518, 523 Eugen Friedrich von Wtirttemberg
Coch, Hermann Ludwig 668, 733, Diez, Immanuel Friedrich 418, 762 Ehmann (in Bebenhausen) 310, 761
755 Diez, Jakob Friedrich 418 f. 705 Euler, Leonhard 506. i
Conz, Karl Philipp XXX f., 98, Diez, Johann Friedrich (der Altere) Eichhorn, Eleonora Rosina Henriet- Exter, Christian Gottlieb 315,
174, 186, 298, 301, 315, 517£., 418£., 761 f. te 562 716 .
568, 657, 671, 692£., 713, 1045, Diez, Johann Friedrich (der Jiinge- Eichhorn, Franz Ludwig 562 Exter, Joachim 315', 716
1048 re) 418, 762 Eichhorn, Johann Gottfried 168- Exter, Johann Gottfried von 315,
Cotta, Johann Friedrich 339, 765, Diez, Maria Augusta (geb. Bilfin- . 716
171, 175-179, 187j, 198j, 225-
835 ger). IC, 90j', 410 1, 521', 52.5', 227, 369, 397, 559, 562f., 566, Exter, Margaretha Elisabeth von
Coudenhoven, Franz Karl Maria 561', 64lf.', 713', 719', 860', (geb. Kahler) 716
569-571, 614, 626, 825, 978,
Ludwig von 311, 317, 706 861, 863 f. i, 866 i, 867, 868 i,
997, 1001, 1012
Coudenhoven, Georg Ludwig von 887 i, 890 f. i, 894 f., 1034 i, 1036 i, Faber, Eberhardine Christiane So-
Eichhorn, Louisa Friederica Susan-
718 1045-1047i fie (geb. Kli.ipfel) 761
na 169;, 562

1074 1075
Personenindex Personenindex

Fabe1~ Georg Albrecht Friedrich Flatt, Johann Friedrich LXXIX, Gaab, Carl Ulrich 612, 772 Gopfert, Johann Christoph Gottlieb
339, 76 1 LX:xx:vnf., XCf., 19, 21f, 26, Gaab, Johann Friedrich 87, 175, 693
Faber, Joseph Friedrich 268, 653 31, 34f, 43-45, 48, 56, 60, 64, 186, 212, 229, 232, 281, 460, Goritz, Ludwig Friedrich 87, 95,
Faselius, Johann Adolf 661, 671 98, 212, 214f., 357, 368, 378, 501, 617, 636, 670 102, 168, 261, 273, 275-278,
Faus, Magnus 37, 192 ;, 199 ;, 423, 382, 383-389, 391-394, 39~ Gabler, Christian Ernst 337, 739 f., 284f, 290, 292, 34Jf, 348,
585 407, 414, 417, 426, 432-437, 759, 762f. 50lf., 514, 520, 558, 657, 668,
Feder, August 569 439f., 448, 468, 519, 536, 583f., Ganson (in Jena) 671 671, 673, 753, 771 f., 831, 1044-
Feder, Charlotte 569 599 f., 604, 631, 636, 643, 799, Carmer, Karl Friedrich 329, 74lf. 1046, 1048f.
Feder, Henriette 569 804, 816, 825f., 829-831, 865, Carve, Christian 568 Gorwitz, Emmanuel Christian 268,
Feder, Jeanette Louise Phil. 569 868, 872-874, 876-878, 880- Gaupp, Gottlob 742 651
Feder, Johann Georg Heinrich 884, 887, 889 GauB, Christine Elisabeth (geb . . Goschen, Georg Joachim 498f.,
175, 187f, 212, 453f., 568f., Flatt, Johann Jakob 249, 382, 631 Schleich, verw. Vischer) 271', 642, 664, 673, 693
599 f., 978 Flatt, Johanne Christiane Friedrike 655 Gottling, Johann Friedrich August
Feder, Louise (geb. Best, verw. (geb. Hoffmann, verw. Hoff- GauB, Eberhard Ludwig 655 276f, 280, 287, 293, 296', 299,
Moeller) 569 mann) 382 Gebhard, Friedrich Heinrich 370 335, 657, 666, 690, 693, 751
Feder, Philipp 569 Fleischmann, August Christoph Gedike, Friedrich 234, 620 Greis, Anton 311, 706
Feder, Sophie (geb. Hiiublein) 717 Geiger (Mitreisender auf der Fahrt Griesbach, Friederick.e Juliane
569 Fli.igge, Christian Wilhelm LXXIV nach Jena) 101;, 269f, 271-273 (geb. Schi.itz) 287, 677
Feder, Wilhelmine 569 Forb erg, Friedrich Karl LVIII f., C, Geiger, Johann Burkard 268, 651 Griesbach, Johann Jacob 12, 32,
Feith, Eberhard 69, 479 44, 327, 339, 408, 438, 439 f., Gellert, Christian Fi.irchtegott 167, 287'; 288, 290, 308, 368f., 730
Fernow, Carl Ludwig 644, 678 f., 452, 458, 492, 495, 683, 735 ~ 558 Griesinger, Georg August 48, :245,
706, 728, 737 762f., 781, 858, 1051 Georg III. Wilhelm Friedrich 447, 624, 625'
Fichard, Johann Carl von 261, Formey, Johann 675f. (Konig von England) 183 ~ Griesinger, Georg Friedrich 250,
273, 275i, 277f, 284': 501, 558, Frank, Johann Peter 347, 783 f. 577 371, 594, 624, 631 .
642, 657, 673 f., 770, 1045 f. Franz II. (romisch-deutscher Kai- Georgii, Eberhard Friedrich 256, Gros, Karl Heinrich XXXVI', LIV,
Fichte, Johann Gottlieb XIX, ser) 689, 714 371, 637 5, 253f, 325, 327. 355 r., 357-
XXIII-XXV, xx:vnf., XXXIXf., Fricker, Johann Ludwig Friedrich GeEner, Charlotte Wilhelmine 359, 529f., 557, 634,730f., 736,
LIX f., LXIV f., LXXIX, LXXXI f., 229, 615 (geb. Wieland) 342, 709, 774f. 758, 796, 816f., 818', 865,
XC-XCIL GIL CVl, 314, 327f, Friedrich II. (der Gro~e) 404, 952 GeEner, Hans Georg 729 883 f., 889, 924, 938, 956, 970 f.,
334f, 339, 370, 439, 480, 626, Friedrich August von Braunschweig- GeEner, Heinrich 342, 709, 774, 973-975, 979, 1044-1046
701 , 709-711, 729, 735', 739f., Wolfenbi.ittel 715 775 Gruner, Christian Gottfried 313,
75lf., 754f., 757, 759, 762-764, Friedrich Christian von Schleswig- GeEner, Salomon 77 5 708, 758
786, 791, 793, 858, 906, 910, Holstein-Augustenburg 914' Girtanner, Christoph 914 Guiguer de Prangins, Auguste
1034f., 1040, 1048, 1051 Friedrich Karl Joseph von Ertha! Gleim, Johann Wilhelm 735 223': 364i, 6Ilf., 822'
Fichte, Marie Johanne (geb. Rahn) (Erzbischof und Kurftirst von Clocker, Carl August Friedrich Guiguer de Prangins, Charles-Jules
626', 755' Mainz) 317;, 662 i, 718 184, 578f. 223j': 364 i, 6Ilf., 822'
Finckh, Christine Karoline (geb. Friedrich Wilhelm Karl von Wtirt- Gmelin, Gotthelf Konrad Friedrich Guiguer de Prangins, Loms-Fran-
Heller) 670 temberg (der Ji.ingere) 356, 631 <;ois 61 If. .
Finckh, Georg Jakob 670 973' Gmelin, Johann Friedrich 169, Guiguer de Prangins, Ma~da (geb.
Fischenich, Bartholomiius 356, Friedrich Wilhelm Karl von Wtirt- 286, 561 f., 579, 613 Cleveland) 223j', 364, 6llf.,
501, 704, 711 , 730, 1045 f. temberg (der Altere) 356, 634 822i
Gmelin, Rosine Luise (geb. Schott)
Fischer, Johann Wilhelm Christian Frommann 290 184, 579 Gustav III. (Konig von Schweden)
294, 686 Fiilleborn, Georg Gustav 85, 438, 278i, 664
Goethe, Johann Wolfgang von 279,
Fischer, Karl Gottlieb 520 f. 468, 495, 496 303, 339', 645, 656, 663, 665,
Flatt, Carl Christian 571 f., Fi.irstenau, Carl Gottfried 22;, Hagemann, Friedrich Gustav 663
695, 698, 714, 717, 764, 785,
1000 386, 387 f., 390 f., 434 f. 1033 Hagen, Bartholomaus Ill', 532

1076 1077
Personeninde.'t
Personenindex

Halem, Gerhard Anton von 84, Heigelin, Johann Friedrich 341, Hess, Johann Jacob IC. 4 4 . 5 9. Hufeland, Christoph Wilhelm 312.
494f. 768 896 315, 325, 334, 338, 342, 348.
Haller, Johann David Friedrich Heiligenstadt, Johann Carl Ehr- Heuchelin, Johann Philipp Christi- 707, 731, 749, 751, 761, T3£..
271, 654 hardt 281, 659, 670 an 264, 648 784f., 868
Hamilton., Alexander Joseph 278, Heiligenstadt (Frau von Johann Heuchelin.. \\rtlhelm Friedrich 648 Hufeland, Gottlieb. LXII, 7(/,
664 Carl Ehrhardt H.) 277~ 659 i, Heusinger, Johann Heinrich Gott- 276f, 291, 296', 308, 357£, "'73,
Hammond, Henry 157f, 552 670; lieb 327, 734. 75; 480, 657, 690, 701 f., 731, -:-39,
Hanlein, Heinrich Karl Alexander Heinicke, Samuel 417 Reuss, Gottfried ferdinand ~I 7 757, 944, 952, 957-960, 967:
268, 651 Heller, Christoph Friedrich 687 Hevelius, Johannes 5C6 974
Hanser, Friedrich Wilhelm 252, Heller, Eberhard Ludwig 654, 687 Heyd, Christiane ~larie (geb. Hufeland, Johann Friedrich (Yarer
633 Heller, Ernst August 660 ReuE) 573 von Christoph Wilhelm H.) ;()-'
Hardenberg, Carl August von Heller, Ernst Christoph Wilhelm Heyd, Johann Ge<:>rg friedrich Hugo, Gustav 186, 580
CVI 656 180', 573, 574 1 Humboldt, Wilhelm von 325. :-31.,
Hargens, Christian Friedrich 289, Heller, Johann Christoph Friedrich Heydenreich, Karl Heinrich DITL 736, 739, 757
679f. 575 LXXXI, 378 Hwne, David 658
Harpprecht, Christoph Ferdinand Heller, Johanna Agathe (geb. Hillenbrand, Johann Da,id von
687 Knapp) 670 678; Ith, Johann 405
Harpprecht, Regina Ludovika (geb. Heller, Karl Johann 687 Hoche, Lazare 721
Heller) 687 Heller, Maria Friedrica (geb. Diez) Hochstetter, Johann A.mandus An- Jacobi. Friedrich Heinrich XXX.
Hartenkeil, Johann Jakob 780 654, 670, 687 dreas von 94, 512 LVIf., LX, LXIII, LXXL
Hartknoch, Johann Friedrich 496 Hellfeld, Christian August Friedrich Hochstetter, Johann Heinrich 99, LXXXVII, XCI, 288, 37L 3
Hassenkamp, Johann Matthaus 462, 667 519£. 405, 419, 562, 588, 679, 739
279, 665 Henke, Heinrich Philipp Konrad Hofacker, Karl Christoph 85. 495 Jacobs, Augusta Joh~a Dorothea
Hassenkamp (Frau von Johann Mat- 234, 618f., 953-955, 957 Hoffmann, Johann Daniel 3L 41 , (geb. Seidler) 277', 66
thaus H.) 279; Hennings, August 430, 730 431, 677, 688 Jacobs, Friedrich 660
Hauff, Johann Karl Friedrich 73;, Hennings, Johann Wilhelm Chri- Hoffmann (Frau von Johann Da- Jacobs, Johanna Christina (geb.
329, 369, 426, 445, 474, 479, stoph 87, 500 niel H.) ·H O; Seidler) 277~ 660
481 f., 501, 516, 596, 610, 717, Hennings, Justus Christian 87~ Hoffmann, Leopold Alois 659 Jager, Karl Christoph Friedrich
742 f., 750, 831, 835, 990 500 Hiilderlin, Friedrich XIllf~ XXI- 329f, 332, 335f, 340', 3-11.
Hederich, Friedrich Christian Le- Hensler, Karl Friedrich 341, 769 XXXI, XXXIX. LX, XC. XCI', 343', 348, 743, 754, 767. ;~ ,
berecht 327~ 683, 734f. Helilller, Adolf Christoph 271, xcrn;, xcv f., 376. 396. 401, 770, 785
Heerbrandt, Jacob Friedrich 74, 654 414, 495, 51 , 661. ;59 L 777, Jakob, Ludwig Heinrich 53.
87, 337, 339, 484, 744, 753, Herbert, Albin von 345-347~ 737, 791-795, 797, 799f., 806, 810, 234, 456, 666
760, 764 779 814, 816, 820. 827, 830, 832f., Jan, Ludwig Ernst 522
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich Herbert, Franz von Paula von 836, 838, 848. 86 . 871, 921, Johann Friedrich von Hoben! _e-
XIII f., XVIII -XXIV, XXIX f., cv f., 346, 408, 438, 458, 727- 1029, 1040, 1043 Neuenstein (Ohringen) - .--.f'
XXXIX f., XC, XCI i, XCIII;, 370, 729, 734, 737, 754, 775, 779 f., Hiilderlin, Joh~a qrristina (geb. Jordan, Theodor Lud\ irr ~N. ·. l
396, 470, 519, 593, 612, 770, 781, 785, 911, 1050 Heyn) 414', 514 ' Joseph II. (romisch-deur.cher
790-792, 795-797, 799f., 802- Herche, Ernst 683 f. Hoi t, Johann Ludolf 913 ser) 577, 747
804, 806, 810f., 813, 820, 827, Herder, Johann Gottfried LVII, Homer 69, 437, 680 Juvenal 440
832, 856, 864f., 921 754, 774, 1033 Hopf, Chri tian Gottlob 682
Hehl, Johann Carl Ludwig 330, Hermes, Johann Timotheus 267i, HopL Heinrike Karoline (geb. Kastner, Abraham Gort.hdf I~ ·
333, 340', 341, 343', 348, 743, 651 Schwab) 31, 38, 292 ~ 4 9 f., 314, 567, 712
7 44 f., 767 f., 768 i, 770, 785 Herwig, Johann Christian Georg 682 Kalmann, Wilhelm Joseph .-c -
Hehl, Johann (Vater von Johann 522 Horaz 489, 637 312;, 343, 644, 704f.. ;-:-· _,
Carl Ludwig H.) 744 i Herz, Marcus XLI Hornemann., Chri tian 696 1050

1078 1079
Personenindex
Personenindex
Kotzebue, Anna Christina (geb.
Kallt, Immanuel XIII f., XVII -XX, 560, 567, 626, 741, 751, 796, Kluber, Johann Ludwig 268, 651
Kruger) 278/, 663, 664 .
XXIV f., XXVII, XXIX-XXXI, 816f., 875, 883, 886-888, 890 Klupfel, Emanuel Christoph 664
Kotzebue, August Friedrich Ferdi-
XLVllf., LVIf., LIX-LXIV, LXVI- Kielmeyer, Georg Fr:iedrich XLI i, Klupfel, Friederika L~uisa Carolina nand von 278, 579, 662, 663 f.
LXXXN, LXXXVII f., XC f., 504f. 1, 560 1, 816' (geb. Diez) XXVI', 643, 861-
Kotzebue, Friederike Julie Doro-
XCIII, IC, CV, 12-14, 16-21, Kielmeyer (Frau Georg Friedrich 870, 891, 894 f. thea (geb. von Essen) 662
24, 30, 35-37, 39, 43, 45, 47-49, K.s) XLii, 504f.i, 560i, 816i Klupfel, Friedrich August XXV1, Kotzebue, Karoline 278, 662 f.
52f, 55-57, 59, 61'; 67, 73f, 76, Kir~ Carl 302/', 697 f. 261, 294, 357, 642 f., 644, 660, Kraft (aus Schweinau; Mitreisender
85', 87, 105, 119, 121, 123', Kirsten, August Friedrich Michael 669, 674, 685, 688, 761, 862- auf der Fahrt nach Jena) 101',
129~ 133i, 14i, 175, 199j, 207- 683 871, 873 f., 876-878, 882 ', 885,
269/, 271-273. .
209, 214-219, 226, 228, 231, Kirsten, Johann Friedrich Ernst 887-890, 893-895 Krais, Christian Hemnch 4.15 .
242, 244-246, 268, 313j, 329, 683 K!upfel, Jacob Friedrich 643, 664, Krais, Christine Auguste WJlhelroJ-
358, 360, 364, 367, 374, 376f., Kirsten, Johannes Julius 683 669, 688, 863 f. ne (geb. iethamroer) 415
380, 382f., 385, 389, 393, 405- Klemm, Jeremias Friedrich 168, Klupfel, Johann Albrecht 643, Krais, Dorothea Philippine (geb.
407, 417-419, 422f., 434-438, 56() 664, 669, 688 Niethamroer) 415
440, 446, 455 f., 459, 462 f., Klemmenhagen, Caroline Wilhelmi- Klupfel, Johann Friedrich 281, Krais, Johann Christoph 415;
472f., 477, 481 f., 485, 489, 496, ne (geb. Seidler) 659f. 669, 688 Krais, Johann Philipp 33, 40, 360,
499, 536-538, 541, 544 f., 567 f., Klerrunenhagen, Johann 660 K!upfel, Marie Christiane (geb. 414f., 431
578, 592, 604-606, 614, 622, Klett, Christoph August LIV f., Diez) 643, 863 f. Krais, Philipp Friedrich 415
627, 642, 650, 653, 657f., 668, XCVIII, 11j, 16, 23, 25, 33j, Knapp, Gottfried Gabriel 281, Kraus, Christian Jacob 367
70lf., 709f., 740, 776, 781, 796, 38-40, 44, 48-50, 57, 62j, 65, 285, 294, 306, 428, 670, 674, Krausser, Friedrich Jakob 403
804f., 810, 816, 849, 864f., 67, 79, 91, 93, 184, 201, 222', 700 . Kretschmer, Carl Chr. 522
883-885, 905f., 912, 987, 990f., 224, 235'; 247, 329, 336, 356, Knapp, Ludovika Henriette Regma Krinn, Johann Friedrich 294, 655,
999, 1005, 1013, 1017, 1019- 363, 364f., 376, 379, 394, 428, Friederike (geb. Finckh) 6 70
686 d . A
1021, 1024, 1026-1031, 1046, 442, 45lf., 465f., 469, 483, 502, Knebel, Karl Ludwig von 75 4 Krippendorf, Eberhard Lu WJg u-
1049 f. 530, 579, 590, 593, 606, 610, Koch, Julius August 506 gust 97, 516 . .
Kapff, Sixt Jakob 72, 89, 186, 201, 612f., 621, 688, 755f., 818, Kolle, Christiane Elisabeth (geb. .. Christoph Hemnch 277,
Kruger,
210~ 211, 229, 299, 306, 327, 82lf., 834, 840f., 846, 873, 876, Kolle) 511 f. 659
427i, 481, 482f., 580, 594, 596, 883-886, 888 Kolle, Christoph Friedrich Carl Kruse Friedrich Leopold 282-
598, 615, 693, 700, 735 Klett, Jakob Friedrich (Vater von 512 .. 284, 290, 292, 300, 312, 672,
Karl Alexander von Wt.irtternberg Christoph. August K.) 364 f.i, Kolle, Johann Adam Cbnsuan 707i, 1045f. .
404 502\612 1, 755f.', 82lf.' 5llf. Kugler (Koch im Tiibinger Stift)
656
Karl Eugen von Wt.irtternberg . Klett, Marie Johanna (geb. Raser; Konig, Ludwig Adam Jakob 94, 512
Konig, Marie Charlotte (geb. Neuf- Kulbel 282/
XXII', 29', 87', 98', 186', 213', Mutter von. Christoph August K.)
404, 426 i, 447, 470, 488, 499 i, 364 f. 1, 502 1, 612 1, 755 f. 1, 82lf. I fer) 656 V{i . -Ei-
515i, 517i, 575i, 594;, 596i, Konstantin von Sachsen- elillar L'Aulnaye, Franc.;ois Henry Stanislas
Klett, Friederike (geb. Duttenhofer)
602 i, 634, 674 i, 715, 753, 782 i 364 senach 646, 660 de 487 .
Kopp (Apotheker in Wt.irzburg) Ladre (Strlillensanger in Paris)
Karl Theodor von Bayern und Klett, Friederike (geb. Ehmann,
Pfalz 419 verw. Benziger) 364 330 . in 148, 158, 723
Koppe, Johann BenJam Lakeroacher, Johann Gottf' ne d 69,
Keller, Ernst Urban 250i, 632 Kleuker, Johann Friedrich I17,
Kern, Johannes 37, 192, 423 f., 535, 536, 989, 994, 1014f., 233j, 546, 564, 618 310, 479
· a Barbara Lambert, Johann Heinrich C:V,
816f. 1018, 1020 Kornacker, RegJ.D
Kestner, Charlotte Sophie Henriet- Klindworth, Friederica Eleonora 48lf.
705 . ro Ludwig 705 Latrobe, Johann Friedrich 706
te (geb. Buff.) 316', 717 (geb. Diederich) 617 Kornacker, Wilhel tfr' d 356
· · Got 1e ' Lau, Theodor Ludwig 367
Kestner, Johann Christian 717 Klindworth, Johann Andreas 617 Korner, Chnsuan 708 1034, 1036,
642, 673, 700, , Lautz, E. Chr. (Vater von Johann
Kielmeyer, Carl Friedrich XXXVI i, Klindworth, Ludwig Carl August
1042, 1044-1046
XLI, 5, 168, 174, 503 - 505, 617
1081
1080
Personenindex Personenindex

Mallinckrodt, Christian Detmar Karl Musiius, Elizabeth Magdalena Julia-


Carl Christian und Wilhelm An- Lichtenberg, Margarethe Elisabeth
302, 303i, 697 ne (geb. Kruger) 278f, 315,
ton Heinrich L.) 699 i (geb. Kellner) 169': 560
Lautz, Johann Carl Christian 699 Liebeskind, Amalia Augusta (geb. Mii.rk.lin, Jakob Friedrich 341, 519, 662, 663f.
770f., 831 Musiius, Johann Karl August 662
Lautz, Wilhelm Anton Heinrich 699 Wieland) 709
Mii.rklin (Mutter Jakob Friedrich Mylius, Christian Friedrich 671
Lavater, Johann Kaspar 404, 419, Liebeskind, Johann August Jakob
729, 825 709 Mii.rk.lins) 771', 831'
Mii.rklin, Johann Friedrich 98, Napoleon Bonaparte 777, 783
Le Bret, Johann Friedrich 30j, Liedemann, Georg Adolph 288,
aporra, Karl Friedrich 302j, 697
:u 1, 408 f., 430, 495 348, 678 f., 684, 768 519
Nast, Christian Ludwig 341, 347,
Leclerc, Jean 552 Liedemann, Martin 679 Mattstedt 663
Leibniz, Gottfried Wilhelm von Lindemann, Hermann Wilhelm 708 Mauchart, Immanuel David 370 768
Mayer, Karl Friedrich Daniel 522 ast, Lnmanuel 768
LXI, 36, 38, 200, 367, 424, 1021 Lippert, Johann Bernhard 268,
Meier, Georg Friedrich 490 Nast, Louise 768
Leopold II. (rorn.isch-deutscher Kai- 653
Meiners, Christoph 396, 568 f. Neuffer, August 478
ser) 577 f., 613 Liptay, von (Militii.r) 722
Meisl, Franziska 729 Neuffer, Carl Christian 478
Lersner, Karl Ludwig von 771 f. Locke, John LXI, 568 f. Neuffer, Charlotta Augusta (geb.
LeR Gottfried 153, 187, 22.5, 546- Loder, Justus Christian 280, 287, Meisl, Josef (der Jiingere) 729
Diez) 403f, 478, 682, 688,
548, 551-553, 582f., 993-997, 289j, 293, 298-300, 304, 312j, Meisl, Josef (der Altere) 729
Meisl, Leopold 309-312', 325, 860, 894
1004, 1008 330, 666 f., 680, 694, 707, 745, Neuffer, Charlotta Franziska 478
Lessing, Gotthold Ephraim 480, 868, 1035, 1037, 1039, 1047 342j, 348, 703 1, 704 f., 728 f.,
Neuffer, Christian Ludwig 624., 661
535, 562, 988, 997-999, 1006- Lombart, Antoine de Sagne de 775f. Neuffer, Franz Christian ( der Alte-
1013 318', 320', 721 Meister, Georg Wilhelm Friedrich
re) 69': 478, 860, 894 ..
Leukipp 449 Loschge, Friedrich Heinrich 267, 100, 521, 524 Neuffer, Franz Christian (der Jun-
Leutrum zu Nippenburg, Baron 649 Melanchthon, Philipp 429, 927-932 gere) 478, 682, 861, 867, 892,
von 364 Ludecus, Johann August 278, 295, Mendelssohn, Moses 200, 480,
894, 895
Leutwein, Christian Philipp Fried- 662 588 Neuffer, Wilhelmine Sophie (geb.
rich XXIV-XXVL LXVIL Ludemann, Lorenz 684 Mereau, Friedrich Er!!st Karl 262,
Fetzer) 478
LXXXIL 519, 770, 799, 825, Ludwig Friedrich Karl von Hohen- . 273, 276, 287, 296', 301, 645, Nicolai, Friedrich 70, 234, 348,
888 lohe-Neuenstein (Ohringen) 27j' 646 i, 676 f., 690 480, 485, 567, 786
Levin, Rachel 755 Ludwig XVI. (Konig von Frank- Michaelis, Johann David 54 7 f., Nietharomer, Anna Friederika (geb.
Lichtenberg, Agnes 560 reich) 721 551 f., 587, 763, 992, 993 f., Christoff) 732
Lichtenberg, Auguste Friederike Lukian 541 996-999, 1002-1005, 1008 Niethammer, Eleonore Elisabeth
560 Lully, Monsieur de 447 Miller, Johann Martin 424 (geb. Dorner) C~ 51~
Lichtenberg, Christian Friedrich Luise von Sachsen-Weirnar-Eisenach Moeller, Ludwig 569 Niethammer, Friedrich Elias 447,
169', 560f. 660 Moeller, Wilhelm 569 732f
Lichtenberg, Christian Wilhelm Luther, Martin 111, 546, 926-929, Morike, Christian August 589 Niethammer, Johannes. Elias CL
560 931, 967 Morike, Eduard 589 97~ 414i, 515, 837' .
Lic?tenberg, Georg Christoph ( der Morike, Johann Gottlieb 58 9 Niethammer, Karl .Friedrich 326f',
Altere) 168j, 175, 503, 506, MaaE, Johann Gebhard Ehrenreich Morike, Karl Friedrich 201, 5 89 329-333i, 336', 339', 341',
560 f. , 567, 617, 712 758 Morike, Ludwig Gottlieb 5 89 343i, 447, 732 f., 746-748', 768
Lichtenberg, Georg Christoph ( der Magenau, Rudolf 376, 624, 661 Morus, Samuel Friedrich Nathanael Niethammer, Rosine Christiana
Jungere) 169', 175', 560f. Mairnon, Salomon 757 39, 429f. ) Eleonore (geb. von Eckardt,
Lichtenberg, Heinrich 560 Majer, Johann Christian 262, 279j, Muller (Chirurg in Wtirzburg verw. Di:iderlein) CII, 343? 368,
Lichtenberg, Karl Gottlieb Ludwig 316, 483, 646, 664, 677 331, 746 659, 776, 789 f., 837 ', 839'
169', 560f. Mallet (Schweizer Kaufmannsfami- Muller, August Heinrich 660 Ni:isselt, Johann August 234, 621
Lichtenberg, Ludewig Carl 617 lie) 413 Muller, Nikolaus 695 6, Novalis (d. i. Friedrich von Harden-
28 676
Lichtenberg, Luise Wilhelmine Mallinckrodt, Arnold Andreas Fried- Murray, Johann ~dreas uel 701 berg) GV, 781, 793, 832f., 838
175', 560 rich 697 Mursinna, Fnedr1ch Sam
1083
1082
Personenindex Personenindex

Rapp, Luise Friederike (geb. Ar- 627, 642, 658 f., 667 f., 677-680,
Origenes 631 Pfenninger, Johann Conrad 384
nold) 232', 617 683-685, 690, 696, 704, 708-
Ovid 459, 781 Pfizer, Benjamin Friedrich von
Rau, Caroline Henriette Hedwig 711, 717, 727 f., 730, 733, 737-
281, 669
(geb. Hi.ibner) 268, 653 741, 754, 757f., 767, 774-776,
Pahl, Johann Gottfried 421 f. Pfleiderer, Christoph Friedrich 89, 781, 798f., 810, 858f., 865, 888,
Pahl, Wilhelm 422 506 Rau, Gottlieb Friedrich 442
Rau, Johann Jacob (Vater Gottlieb 898-914, 1033, 1035-1037,
Palm, Christian Heinrich von 574, Pflug, Johann Baptist 411 1039f., 1041-1043, 1048-1051
783 Pft.indel, Jakob 700 Friedrich Raus) 442 i
Rau, Johann Wllhelm 267f, 651, Reinhold, Sophie Katharina Susan-.
Paul von Wt.irttemberg 356, 973 i Philo von Alexandrien 156, 552 ne (geb. Wieland) 30', 277, 288',
Paulus, Eberhard Immanuel Gott- Planck, Gottlieb Jakob XLII i, 653
289-291, 309f', 325', 407',
lob 317~ 718 LXXXIX, 40, 169, 171, 178-181, Rauscher (Direktor) 728f. .
677f., 708f., 730, 914', 1049
Paulus, Elisabeth Friederike Caroli- 183, 186f, 189-191, 194, 199f, Rehberg, August Wilhelm 51f',
54-56', 68, 77, 371, 377, 452- Renz, Carl Christoph 341, 770,
ne (geb. Paulus) 287~ 317~ 215, 218f, 225f, 231, 233, 245,
454, 456-458, 466f., 477, 486, 825
334', 342, 718, 752f., 772 253, 430£., 569, 573, 581-584, Renz, Christoph 224, 612
Paulus, Friedrike Elisabeth (geb. 591, 593, 604, 613, 616, 625, 914
Retzer, Joseph Friedrich von 735
Billinger; Mutter von Elisabeth 634, 816f., 888, 961, 977-981, Reich, Philipp Erasmus 415
Reuchlin (Professor in Bebenhau-
Frie~erike Caroline P.) 751 i, 983-985, 993, 997 Reimarus, Hermann Samuel 535,
sen) 378
753' Platner, Ernst LVI, 52, 74, 454, 988, 1006
ReuR Albrecht Reichardt GilL
Paulus, Gottlieb Friedrich (Vater 455 Reimarus, Johann Albrecht Hinrich
557, 565 .
von Elisabeth Friederike Caroli- Platon XVII f., XXX, LXIL 468, XLI ReuR Christian Gottlieb 180',
ne P.) 718, 751 i 658, 803 Reinhard, Karl Friedrich 717
Reinhard, Philipp Christian 335, 573f.
Paulus, Gottlob Christoph (Vater Plinius d. A. 489 ReuR Elisabeth (geb. Bengel)
von Heinrich Eberhard Gottlob Ploucquet, Gottfried LXXXVIL 447 518, 717, 748, 754
Reinhold, Caroline Friederike Doro- 557
P.) 752i Poelchau, August Timotheus 310/ ReuR Georg David 509, 510 .
Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 705 f. thea 291~ 407, 680 ReuR Gottfried Albrecht 214',
25, 32, 59, 62, 87, 246, 256, 261, Poelchau, Georg Johann Daniel Reinhold, Heinrich August Fried-
573f., 602
276, 279, 287, 296~ 304, 317, 311 ', 705 f. rich Wilhelm 680, 914' ReuR Jeremias David 172, 565, 613
Reinhold, Johann Gottfried Hein-
334f, 342, 36lf., 367, 397f., Pohrt, Johann 678, 705 f. Reu~ Jeremias Friedrich 5.65
407, 460, 464, 501, 513, 520f., Polizo, Cyriacus 303, 689 rich Karl 291', 680 ReuR Johann Joseph 180', 573 f.
559, 563, 568, 613, 626, 632, Posselt, Ernst Ludwig 339, 760, Reinhold, Karl Leonhard XIIIf., ReuR Maternus 314f, 710 .
683, 690, 718, 751-754, 772, 763f. XIX, XXIV, XXVI-XXXV1L Ridel, Amalie (geb. Buff.) 316',
783, 987, 1041, 1045, 1047f. Protagoras 449 XLif., XLVIL LVII-LX. LXIII-
717
Paulus, Karl Friedrich 174, 567f., Purgstall, Wenzel Johann Gottfried LXVI, LXVIII- LXXIL LXXX. Ride!, Cornelius Johann Rudolf
742 von 343, 704, 775f., 781 LXXXIIL LXXXVlL LXXXIX- 316i, 717
XCIL XCV, XCVII, I C-CL CV f., Riedesel, Baron von (in Wetzlar)
Paulus, Karl Heinrich Ernst (Schwa- Pi.itter, Johann Stephan 183, 577,
ger von Heinrich Eberhard Gott-
5, 11-14, 16-25, 29-32, 34f,
580 717
37f, 40-46, 49, 5]-56, 59, 63, Rieger, Karl Heinrich CIII, 210,
lob P.) 753 i
66 68, 77f, 84, 87, 129', 174f, 230, 594, 616, 632
Paulus, Karl Ludwig 742 Quenstedt, Johann Andreas 268,
21's, 231, 26I, 276, 2soJ, 2 87/, Rosier, Christian Friedrich 25, 284,
Paulus, Sophie Karoline Eleutherie 652
290f, 293, 296i, 300, 306, 309f, 396£., 572, 673f.
772
313f, 316, 325i, 326, 329f, 343, Rousseau, Jean-Jacques LXII,
Pergen,. Johann Baptist Anton von Rapp, Georg Friedrich 369
348, 363 f., 368, 370-375, LXXL LXXIIL LXXVf., 991,
348', 785 Rapp, Gottlob Christian XXXf.,
377 f., 380, 382-394, 396, 398,
Perikles 650 LVf., LXIXf., 12, 15, 31, 47, 97, 1042
405-408, 416-418, 426, 432- Roux, Jacques 657, 691
Pfaff, Christoph Matthaus 196, 174, 186, 201, 209f, 212-215,
441, 443,452-455,457£.,464- Ri.idt von Collenberg, Felix Hein-
586, 982 218f, 23lj, 246, 369f., 468, 471-475, 477, 481, 485,
Pfaff, Johann Friedrich 89, 234, 427', 459f., 470, 589, 592-595, rich Ludwig 27f, 402f.
492, 495, 537£., 545, 599, 604,
247f, 505, 560, 619, 627 597, 600, 604, 606, 617, 831, 864
!OR.5
1084
Personenindex Personenindex

Rumelin, Johann Christian Benja- cv f., 26I, 273, 283-285 290 447, 45lf., 463, 475, 479, 481, Seidler, Christina Amalie Dorothea
min 26; 401 296'; 309, 3I3, 336; 339: 34;, 485, 492, 497-500, 507, 514- 660
Ruoff, Adolf Karl Maximilian 39, 356f., 407, 444, 447, 497-499, 516, 521, 566, 584, 587, 595- Seidler, Hieronymus Wilhelm Chri-
94, I9I, 250', 371, 427, 632, 50 If., 520, 626, 64lf., 65 7, 659, 597, 602, 609, 618, 633, 636, stian 337, 758f., 764
637, 649, 825, 830 664, 668, 673, 680, 687, 690, 665, 669, 681, 711, 713, 715, Seidler, Johann Wilhelm 277, 659 f.
Ruoff, Georg Friedrich 266; 648 f. 693, 700, 704, 708, 711, 730f., 718, 730, 735, 738, 749, 751, Semler, Johann Saloma 234, 380,
739, 75lf., 757, 764 f., 772, 785, 771, 783, 794, 814, 818-820, 621 , 944f., 954-956, 992-994,
Sailer, Johann Michael 36; 419f. 811, 833 f., 840, 848, 859, 1034- 822-824, 835, 848f., 866, 889, 996-998, 1001, 1004, 1008
Salzmann, Christian Gotthilf 49, 1037, 1039, 1042-1051 1048 Seubert, Johann Wilhelm von 688
421, 450, 947f., 950 Schiller, Louise Antoinette Charlot- Scholl, Johann Eberhard Hein- Sextus Empiricus 63, 65, 435, 469
Sartorius, Carl Friedrich 825 te (geb. von Lengefeld) 26I'; rich 356, 402, 595, 669, 715, Seyffer, Karl Felix 94j, 169, 183,
Sartorius, Christoph Friedrich 273', 283j, 309j', 642, 656 730 211, 3I4', 513f., 613, 617,
381 , 440, 446, 460, 494, 513, Schleiermacher, Friedrich Daniel Schorcht, Johann Saloma Gottlieb 7l2f.
531, 550, 564, 576, 631, 634, Ernst XL 709 Siebold, Carl Caspar 330, 744
652, 1000 Schleusner, Johann Friedrich I87, Schorcht, Maria Carolina Friederica Siebold, Johann Bartholomaus
Schiifer, Jacob Georg 3I ~ 411 I89, 225, 583, 613, 978 (geb. Wieland) 709 33I, 744, 747
Schellenbauer, Johann Heinrich Schleugner, Gabriel Jonathan Schorcht (Sohn von Johann Salo- Siebold, Johann Elias Cosmas
539-541, 622 276j, 657f. ma Gottlieb Sch.) 709 Adam 747
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph Schmid, Carl Christian Erhard Schott, Johann Gottlieb 579 Siebold, Johann Georg Christoph
XIllf., XXI-XXIV, XXIXf., LXIX, LXXIX, LXXXI, I2, 32, Schramm, Anna Sophie Auguste 331, 744, 746
~f., LV, LX, LXV, XC f., 34j, 45-49, 57j, 68, 77, 174, 673 Sigwart, Georg Friedrich 493 .
XCill', 165, 337, 347j, 397, 409, Schramm, Christine Charlotte Frie- Sigwart, Johann David August 84',
246, 26I, 276, 292, 314, 365,
504, 593, 612, 758f., 768, 783 derike 673 90', 92j', 493, 507
366, 411, 416f., 423, 444-446,
786, 79lf., 795 i, 796 f., 802f., , Schultz, Johann LXVIllf., 17j, 35, Sinclair, Isaak XXII, 357, 799-801,
449, 476 f., 480, 482, 536, 599,
806, 808, 810-812, 820, 827 i, 606, 625f., 642-644, 711, 734, I30~ I35i, 2I6, 314, 377, 381, 1040
830, 832, 849, 861, 888, 921, 411, 538, 540, 605 Smidt, Johann 668, 733, 755
752, 757, 865, 901, 912f., 987
1035 Schulze, Gottlob Ernst LIX, 389, Snell, Friedrich Wilhelm Daniel
Schmid, Carl Ernst 644
Schelling, Gottlieb 347~ 783, 367, 480, 734, 752
Schmid, Christian Ludwig Moritz 569
786 Schulze, Isabelle Dorothea Luise Sokrates 650
524
Schenke, Johann Heinrich Chri- (geb. Feder) 569 Sozzini, Fausto 531
Schmid, Christoph August 521 Spalding, Johann Joachim 234,
stoph 298, 692 Schmid, Johann Heinrich Chri- Schutz, Anna Henriette (geb. Dano-
Scherer, Alexander Nikolaus 754 vius) 267, 326; 361, 651 620
stoph August I 00, 522, 523 f. Spinoza, Barucl1 de LVII, CV
Scheuermann (Mitreisender auf Schmid, Johann Philipp II, 363 Schutz Christian Gottfried LXIX,
70i,, 292, 296~ 326; 367, 480, Spittler, Christiane ~sabeth (geb.
der Fahrt nach Jena) IOI'; Schmid, Johann Wilhelm LXXX, Eisenbach) 183', 186, 200', 577
269j', 27I-273 47, 296~ 416f., 444-446, 605, 651, 657, 684, 690
Spittler, Johanna Christiane (geb.
Scheurer, Philipp Jakob 299, 694 644, 690 Schwab, Heinrike Sophie (geb.
Thill) 31 ~ 292, 409 f., 682 Bilfmger) 561
Scheuring, Burckard 747 Schmid, Karl Friedrich Wilhelm Spittler, Ludwig Timotheus 169,
Scheuring (Frau von Lorenz S.) 224, 501, 612f. Schwab, Johann Christoph 439,
179j, 183, 187, 199j, 211, .225j,
332' SchnauE, Christian Friedrich 303, 738 233, 561 , 564, 569, 572, 577 f.,
Scheuring, Johann 747 698 Schwab, Johann Heinrich 40H
582, 613, 618, 825, 830, 997
Scheuring, Lorenz 332, 747 Schnurrer, Christian Friedrich 26, Schwindrazheim, Ernst LudWig
Staengel, Andreas Timotheus 630
Schierbrand, Ernst Wilhelm Christi- 48, 50, 63, 86j, 90, 94, 97, I69, Heinrich 26; 40 1 .
Seebach, Johann 'Theodor Wilhelm Stang, Konrad 710 ..
an von 706f. 173j, I99, 2IOJ, 2I3, 22I, 227, Stark, Johann Christian ( der Alte-
Schierbrand, Henriette Agnes von 233, 248, 252, 255', 280, 3I6; 298, 300, 691 . re) 289j, 313, 680, 708
(geb. von Durfeld) 3I2, 706 f. 356, 361, 362, 365, 371, 396, Seidler, August Gottfried LudWig
Stattler, Benedikt 36; 419 f.
Schiller, Friedrich XXXVIL C f., 398f., 40lf., 427f., 441, 443, 279, 665

1087
1086
Personenindex Personenind ex

Staudlin, Gotthold Friedrich 85, Stumpf, Georg 519 Ti.irckheim, Johann Friedrich von Voss, Johann Heinrich 289, 680
495 Suckow, Johann Lorenz Daniel 516
Staudlin, Karl Friedrich LXIL 308, 701 Tychsen, Thomas Christian 198, Wachter, Johann 302f, 696
LXXIX, 183, 186, 223-225, 451 , Si.iBkind, Friederike Luise (geb. 587 Wagner, Johann Michael 342, 348,
495, 501, 518, 536, 578, 583, Volz) CIV 772f.
605, 612 f., 825 Si.iBkind, Johann Gottlieb CIII Uhland, Ludwig 400, 875 Walch, Christian Wilhelm Franz
Stein, Charlotte von (geb. von 557, 826i , Uhland, Ludwig Josef 26, 400 f. 220, 607, 944
Schardt) 656 Si.iBkind, Johann Gottlob 211 i, illrich, Johann August Heinrich Walch, Karl Friedrich 304, 308,
Stein, Gottlob Ernst Josias Fried- 222 ~ 227~ 229'; 232f, 235i, LXIIL 12, 32, 35, 300', 302f, 699
rich von 656 253', 255', 597f., 610\ 614, 305-308, 329, 367 f., 418, 448, Walther, Auguste Sophie (geb.
Stein, Gottlob Friedrich Constantin 617, 621 , 634, 637, 827, 829f., 689, 697, 699, 701, 740 ReuB) 573
von (Fritz) 273, 275, 282, 295, 849 Walther, Johann Conrad 180;,
656, 1037, 1045f. Si.iBkind, Johanne Regine(geb. Varnhagen., Johann Heinrich 288f, 573f.
Stein, Karl August 201, 5 9 0 ReuB) CIIL 180', 210', 227', 307f, 678 Weber, Christian Friedrich 186,
414 i, 475 i, 483 i, 492 i, 509 f. i, Veillodter, Valentin Karl 914 21lf, 219f, 246, 427i, 44lf.,
Steinheil, Friedrich Heinrich 5 75 f.
516 i, 557 f. i, 565-567 i, 573 f. i, Veit, David 755 581, 594 f., 599, 607, 626 f., 634,
Steinmez (Mitreisender auf der
Fahrt nach Jena) 101 ~ 269f, 578 f. i, 585 f., 596 f. i, 600 i, 602 i, Vergil 693 665
609f.i, 614i, 618f.i, 621 i, 625i, Vischer, Johann Christian Donatus Weber, Georg Gottlieb 316, 7 16
271- 273
655 Weber, Johann David (Vater von
Steinmez (Sohn., Mitreisender auf 826i, 829f. i
Vischer, Ludwig Friedrich 655 Christian Friedrich) 626
der Fahrt nach Jena) 101;,
Vogel (Ki.irschner in Ni.irnberg; Mit- Weber, Joseph 36, 420
269j', 271-273 Tafinger, Christine Friedrike (geb.
reisender auf der Fahrt nach Weber (Sohn von Christian Fried-
Stettler, Albert Friedrich von 246i, Frik) 266, 6 4 9
Jena) 101 i, 269f, 271-273 rich) 627 fi
625 Tafmger, Friedrich Wilhelm 4 1 0,
Vogel, Georg Wilhelm 337, 759 Weckherlin, Georg Friedrich 576
Stichling, Juliane Caroline Doro- 649, 663
Voigt, Caroline Amalie Viktoria Wedel, Otto Joachim Moritz von
thea (geb. Wieland) 709 Tafmger, Friedrich Wilhelm Gott-
287J', 677 656
Stichling, Karl Wilhelm Constantin lieb XL, 31, 40, 267, 4 10 , 431, Weichlin (Spitalgehilfe in Wtirz-
709 649, 663, 676f. Voigt, Christian Gottlob ( der Ji.inge-
re) 282-284, 303, 672, 707, burg) 331, 747
Storch, Adolph Gottlieb 298, 692 Tafinger, Wilhelmine Henrike (geb. Weid (Schneider in Jena) 304/
Storr, Charlotte Amalie (geb. ReuB). Hoffmann) 278, 4 10, 663, 682 1039, 1045f.
Voi~ Christian Gottlob von ( der Weise, Ferdinand Christoph 339,
CIII 1, 174', 180', 567, 575\ 820 1 Teller, Wilhelm Abraham 234, 762
Storr, Gottlieb Konrad Christian 619, 956f. Altere) 283, 287J, 303, 312,
316f', 672f., 677, 695, 697- Weisert, Friedrich Eberhard 742
335, 753f., 896 Tennemann., Wilhelm Gottlieb 277, WeiBhuhn., Friedrich August 757
Storr,. Gottlob Christian XXXIX, 658 699, 717, 1038, 1039 I
Wendt, Friedrich von 267f, 650
XL\ LXXIX, LXXXV f., Thill, Johann Jakob 661 Voigt, Johann Gottfried 671
Wengert, Christian Heinrich 522
LXXXVIII-XCL XCVIII, CIIL Thi.immel, Moritz August von Voigt, Johann Heinrich 280, 287,
Werkmeister, Benedikt Maria 80,
18f, 25, 47, 61, 85, 87, 94, 149f, 79f', 487, 488f. 290, 299, 667, 694
254, 488 f., 634
152 - 157, 165, 170-174, 177f, Voigt, Johanna Viktoria (geb. Hufe-
Tiefttunk. Johann Heinrich Werthes, Christian Gottlieb 656
180, 188f, 198, 207, 212, 220f, LXXIX- LXXXI land, verw. Michaelis) von
Werthes, Elisabeth Christiane Wil-
226f, 249, 380, 38lf., 456, Tindal, Matthew LXXV, 990 287/~ 677 . helmine (geb. Heller) 656 i
Volckmann, Marianne Lu1se (geb.
462 f., 495, 500, 513, 54 7 f., Toussaint (Gasthofbesitzer in Erlan- Wette, Wilhelm Martin Leberecht
SSlf., 562-564, 566f., 570-572, gen) 268 Martens) 315, 716
Volckmann., Peter Dietrich 716 de XL
575, 578, 583 f., 592 f., 608 f., Traber (in Jena) 326, 731 Wiederholdt, Johann Carl 172,
Vollmar (Famulus im 'Thbinger
614, 630, 753, 777, 818-820, Tschink. Kajetan 277, 290- 292, 565
Stift) 229, 255, 603, 615
824 f., 858, 950, 992, 994, 999 f., 658 f., 680, 704, 1050 Wieland, Anna Dorothea (geb. Hil-
Volney, Constantin Franc;o1s Chasse-
1002-1006, 1009f., 1012f. Tt.ircke, Ludwig Philipp Christian lenbrand) 314;, 677, 709 i
Streicher, Andreas 654 von 295, 687 bref de 344, 777

1089
1088
Personenindex

Wieland, Christoph Martin 277, Wollner, Johann Christoph von Klett-Cotta


288, 313f, 342, 371, 449, 467, 429, 620 f., 943 f., 953, 959 © ]. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659,
619, 646, 677 f., 704, 708f., 735, Woltmann, Karl Ludwig 754 Stuttgart 1997
741, 773-775, 781, 1033, 1050f. Wolzogen., Caroline von (geb. von Fotomechanische Wiedergabe
Wieland, Wilhelmine Frederike 709 Lengefeld) 65 6 nur mit Genehrnigung des Verlags
Wiesselberger, Ciicilie (geb. Her- Wunderlich, Immanuel Gottlieb Printed in Germany
bert) 780 . 211, 214, 442, 596 Umschlag: K.lett-Cotta-Design
Wiesselberger, Johann 345-347', Gesetzt aus der 10 Punkt Bodoni Old Face
780 Zahn, Christian Gotthilf 253, von Fotosatz JanR Pfungstadt
Wild, Christoph Friedrich 69, 479 634 Gedruck.t auf siiure- und holzfreiem Werkdruck.papier
Wirth (Chirurg in Wt.irzburg) 330, Zeller, Elisabeth Catharina Magdale- und in Fadenheftung gebunden von Gutmann, Talheim
333, 745 na (geb. Senkeisen) 404 . Einbandstoff: Garant-Leinen
Wizenmann, Thomas LXXVIII Zeller, Johann Christian 403 ', 404
Wolff, Christian CV, 200, 268, 383, Zillen, Johann Martin 656 Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
393, 537, 540, 591, 622 Zilling, Ernst Christoph 825 Diez, Immanuel Carl:
Wolff, Nathanael Matthiius von 506 Zwingli, Huldrych 585
Briefwechsel und Kantische Schriften: Wissensbegriindung
in der Glaubenskrise Thbingen-Jena (1790-1792) I
hrsg. von Dieter Henrich. - Stuttgart: Klett-Cotta, 1997
ISBN 3-608-91659-8
NE: Henrich, Dieter [Hrsg.) ; HST

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