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aus: Diederichsen, Hebdige, Marx. Schocker - Stile und Moden der Subkultur. Hamburg 1983, S.

8 120 SUBCULTURE - Die Bedeutung von Stil von Dick Hebdige EINLEITUNG: SUBKULTUR UND STIL Trotzdem: ich konnte ungefhr zwanzig Fotografien auftreiben, und ich k lebte sie mit gekautem Brotteig auf die Rckseite der kartonierten Gefngnisordnung, die an der Wand hngt. Einige sind festgesteckt mit kleinen Enden von Messingdraht, die mir der Vorarbeiter bringt und auf die ich bunte Glasperlen aufreiben muss. Von diesen Perlen, aus denen die Strflinge von nebenan Friedhofskrnze machen, habe ich fr die makellosesten meiner Verbrecher sternfrmige Rahmen hergestellt. Am Abend, wenn ihr euer Fenster zur Strasse ffnet, drehe ich zu mir die Rckseite der Gefngnisordnu ng. Ihr Lcheln und ihre Schmollmnder, beide gleich unerbittlich, dringen durch alle ffnungen, die ich darbiete; ihre Kraft durchstrmt mich und lsst mich erigieren. Ich lebe zwischen diesen Abgrnden. (Jean Genet, Notre Dame des Fleurs) Auf den Anfangsseiten seines Tagebuch eines Diebes beschreibt Jean Genet, wie eine bei ihm gefundene Tube Vaseline whrend einer Durchsuchung von der spanischen Polizei beschlagnahmt wird. Dieses elende, schmutzige Ding, das der Welt seine Homosexualitt beweist, wird fr Genet zu einer Art Garantie - zum Symbol einer geheimen Gnade, die mich bald vor der Verachtung retten sollte. Auf der Schreibstube der Wache wird die Entdeckung der Vaseline mit Gelchter quittiert, und die nach Knoblauch, Schwei und l stinkenden spanischen Polizisten mit ... ihrer moralischen Selbstsicherheit berziehen Genet mit einer Tirade boshafter Anspielungen. Der Autor selbst stimmt zwar in das Gelchter ein paarmal - schmerzlich ein, aber spter in seiner Zelle wich dieses Bild der Vaselinetube nicht mehr von mir. Und doch war ich gewiss, dass dieses nichtssagende, schmchtige Ding ihnen standhalten wrde und durch seine einfache Anwesenheit die Polizei der ganzen Welt in Aufregung versetzte Verachtung, Hass, stumme, vielleicht ein wenig hhnische Wutausbrche auf sich ziehend ... Ich will mit diesen Textauszgen von Genet beginnen, weil er mehr als jeder andere sowohl in seinem Leben als auch in seiner Kunst die verborgenen subversiven Bedeutungen von Stil erforscht hat. Ich werde daher auch immer wieder auf Genets zentrale Themen zurckkommen: Status und Bedeutung von Revolte, die Vorstellung von Stil als Verweigerung und die Erhebung von Verbrechen zur Kunst (obwohl in unserem Fall die Verbrechen nur gebrochene Kodes sind). Wie Genet haben wir Interesse an Subkulturen: in den Ausdrucksformen und Ritualen jener untergeordneten Gruppen - der Teddy Boys und Mods und Rockers, der Skinheads und Punks -, die abwechselnd abgelehnt, denunziert oder heiliggesprochen werden; die zu verschiedenen Zeitpunkten als Bedrohung der ffentlichen Ordnung oder als harmlose Narren behandelt werden. Wie Genet machen uns die banalsten Objekte neugierig - Sicherheitsnadeln, spitze Schuhe, ein Motorrad -, die trotz ihrer scheinbaren Banalitt - wie die Vaselinetube - eine symbolische Dimension annehmen, zu einer Art Brandmal werden, zu Kennzeichen eines selbst auferlegten Exils. Und schliesslich mssen wir - wie Genet - die Dialektik zwischen Aktion und Reaktion zu rekonstruieren versuchen, die diese Objekte bedeutungsvoll werden lsst. Denn genau wie der Konflikt zwischen Genets unnatrlicher Sexualitt und der berechtigten Emprung der Polizisten in einem einzigen Objekt eingeschlossen sein kann, knnen sich die Spannungen zwischen herrschenden und untergeordneten Gruppen auf den Oberflchen von Subkulturen spiegeln: in den aus banalen Objekten mit doppelten Bedeutungen gemachten Stilen. Auf der einen Seite warnen diese Objekte die normale Welt im voraus vor einem unheilverkndenden Etwas - dem Anderssein - und ziehen vage Verdchtigungen, verklemmtes Gelchter, stumme, vielleicht eine wenig hhnische Wutausbrche auf sich. Auf der anderen Seite werden sie fr jene, die sie als Kennzeichen aufstellen und als Worte oder Flche benutzen, zu Zeichen einer verbotenen Identitt, zur Quelle von Werten. Als Geriet sich an die Erniedrigung durch die Polizisten erinnert, verschafft ihm der Anblick der Vaselinetube Trstung. Sie wird zu einem Symbol seines Triumphes: In der Tat htte ich mich eher bis aufs Bl ut prgeln lassen, als diesen lcherlichen Gebrauchsgegenstand zu verleugnen.

Die Bedeutungen von Subkulturen sind also stndig umstritten, und der Stil ist das Gebiet, auf dem die widerstreitenden Definitionen am strksten aufeinanderprallen. Ein grosser Teil meines Textes wird sich daher mit der Beschreibung des Prozesses beschftigen, durch den Objekte bedeutsam werden und als Stil in Subkulturen neue Bedeutungen bekommen. Wie in Genets Romanen fngt dieser Prozess mit einem Verbrechen gegen die Ordnung an - obwohl in diesem Fall die Abweichung tatschlich geringfgig erscheinen mag: das kunstvolle Pflegen einer Schmalzlocke, die Anschaffung eines Motorrollers, einer Schallplatte oder einer bestimmten Anzugsorte. Aber der Prozess endet mit der Konstruktion eines Stils, in missachtenden oder verchtlichen Gesten, in einem Grinsen oder hhnischen Lcheln. Er signalisiert Verweigerung. Ich gehe davon aus, dass diese Verweigerung gute Grnde hat, dass diese Haltungen bedeutsam sind und dass Grinsen und hhnisches Lcheln gewissen subversiven Wert haben - sogar, wenn sie in der endgltigen Analyse wie Genets GangsterPin-ups lediglich die dunklere Seite der Spielregeln darstellen, genau wie Graffiti auf einer Gefngniswand. Denn auch Graffiti knnen faszinieren d zu lesen sein. Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Sie sind gleichzeitig Ausdruck von Impotenz und einer Art von Macht - der Macht, zu verunstalten (Norman Mailer nennt Graffiti deine Prsenz auf ihrer Prsenz ... du klebst deinen anonymen Stempel auf ihre Szenerie). Ich werde versuchen, die Graffiti zu entziffern und die Bedeutungen herauszufiltern, die in den verschiedenen Jugendstilen der Nachkriegszeit eingebettet liegen. Aber bevor wir zu den einzelnen Subkulturen bergehen, mssen wir zuerst die grundlegenden Begriffe klren. Das Wort Subkultur steckt voller mysteriser Bedeutungen. Es assoziiert Geheimnistuerei, Freimaurerschwre, eine Unterwelt. Ebenso beinhaltet es das grssere und keinesfalls weniger komplizierte Konzept von Kultur. Wir sollten daher mit der Idee der Kultur anfangen.

VON KULTUR UND HEGEMONIE KULTUR Kultur: Kultivierung, Pflege, bei christlichen Autoren Verehrung; Vorgang oder Verfahren der Bodenkultivierung; Bodenpflege, Landwirtschaft, Kultivierung oder Aufzucht bestimmter Tiere (z. B. v. Fischen); knstliche Entwicklung mikroskopischer Organismen, so produzierte Organismen; Kultivierung oder Entwicklung (v. Geist, Fhigkeiten, Umgangsformen), Verbesserung oder Kultivierung durch Erziehung und Ausbildung; Erlangen von Ausbildung oder Kultiviertheit; die intellektuelle Seite der Zivilisation; Verfolgung, besondere Aufmerksamkeit fr oder Studium eines Themas oder einer Untersuchung. (Oxford English Dictionary) Unter Kultur hat man schon immer sehr verschiedene Dinge verstanden, wie auch diese Definition zeigt. Gebrochen durch jahrhundertelange Verwendung hat das Wort eine Anzahl usserst unterschiedlicher, oft gegenstzlicher Bedeutungen angenommen. Sogar als wissenschaftlicher Terminus kann es sowohl einen Prozess (knstliche Entwicklung mikroskopischer Organismen), als auch ein Produkt bezeichnen (so produzierte Organismen). Besonders seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts haben englische Intellektuelle und Schriftsteller das Wort Kultur verwendet, um die wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf eine ganze Reihe strittiger Fragen zu lenken. Man diskutierte Probleme wie Lebensqualitt, die Auswirkungen der Mechanisierung auf die Menschen, die Arbeitsteilung und die Entstehung der Massengesellschaft. Raymond Williams hat diese Auseinandersetzungen unter dem Begriff Kultur- und Gesellschafts-Debatte zusammengefasst. Der alte Traum von einer organischen Gesellschaft - als einem integrierten, sinnvollen Ganzen - wurde aber in diesen Meinungsverschiedenheiten und Kontroversen nie in Frage gestellt - im Gegenteil: das 1 berlieferte Konzept ist im grossen und ganzen erhalten geblieben. Dieser Traum bewegte sich auf zwei grundlegenden Bahnen. Die eine fhrte zurck in die Vergangenheit und zum feudalen Ideal einer hierarchisch geordneten Gemeinschaft, Kultur nahm innerhalb dieses Verstndnisses eine fast heilige Funktion an. Ihre harmonische Vervollkommnung stand kontrr zur hohlen Einde des zeitgenssischen Lebens. Die andere, weniger stark vertretene Auff assung fhrte in die Zukunft, zu einer sozialistischen Utopie, einer Welt, in der es keine Trennung von Arbeit und Freizeit mehr geben wrde.

Aus der Entwicklung dieser beiden Vorstellungsbahnen ergaben sich zwei prinzipielle Definitionen von Kultur. Die erste - und vermutlich bekannteste - war im wesentlichen klassisch und konservativ. Sie definierte Kultur als einen Massstab sthetischer Qualitt: Das Beste, was auf der Welt gedacht und gesagt worden ist. 2 Den Massstab bezog sie aus der Hochschtzung der klassischen sthetischen Formen (Oper, Ballett, Theater, Literatur, Kunst). Die zweite Definition, die Williams auf Herder und das 18. Jahrhundert zurckfhrte, stammte aus der Anthropologie. Fr sie bezeichnete der Begriff Kultur eine bestimmte Lebensweise, die sich nicht nur in Kunst und Bildung, sondern auch in Institutionen und normalem Verhalten ausdrckt. Von dieser Definition her bedeutet Analyse von Kultur die Klrung der Bedeutungen und Werte, die implizit und expliz it in einer bestimmten 3 Lebensweise und Kultur vorhanden sind. Die zweite Definition hatte offensichtlich einen viel weiteren Rahmen. Mit den Worten von T. S. Eliot umfasste sie ... alle charakteristischen Bettigungen und Inte ressen eines Volkes: das Derby, die Henley Regatta, Cowes, der 12. August, eine Schlussrunde im Pokalwettkampf, die Hunderennen, der Groschen-Glcksautomat, das Wurfpfeilspiel, Wensleydale-Kse, Kohl, im ganzen gekocht und dann in Scheiben geschnitten, Rote Rben in Essig, gotische Kirchen aus dem 19. Jahrhundert und die Musik von Elgar ... 4 (Cowes: Nobelbadeort; 19. August: Anfang der Jagdsaison; Wensleydale: Edelschimmelkse aus Yorkshire; Elgar: Sir Edward E., englischer Komponist, Chorwerke, ViolinKonzerte, 1857 - 1934, d. .) Williams stellte fest, dass eine solche Definition nur durch einen neuen theoretischen Ansatz getragen werden konnte. Die Kulturtheorie umfasste nun die Untersuchung der Beziehungen zwischen Elementen einer ganzen Lebensweise. Das Schwergewicht verlagerte sich von unwandelbar festgelegten zu historisch bedingten Kriterien, von Fixiertheit zu Wandelbarkeit: Eine Ausrichtung, die bei der Untersuchung bestimmter Werte und Bedeutungen diese nicht mehr in eine vergleichende Wertskala einpassen will, sondern durch Analyse der Art und Weise ihres Wandels allgemeine Ursachen und Trends zu entdecken sucht, durch die soziale und kulturelle Entwicklungen besser verstanden werden knnen. 5 Williams formulierte damit ein wesentlich breiteres Konzept der Beziehungen zwischen Kultur und Gesellschaft, das durch die Analyse bestimmter Bedeutungen und Werte die verborgenen Grundlagen der Geschichte aufdecken sollte - die allgemeinen Ursachen und breiten sozialen Trends, die hinter den offenbaren Erscheinungen des Alltagslebens liegen. In den sechziger Jahren, als die Cultural Studies an den englischen Universitten eingefhrt wurden, sass das neue Fach zunchst unbequem zwischen den Sthlen. Es konnte sich nicht entscheiden, welche der beiden Definitionen - Kultur als ein Qualittsmassstab/Kultur als gesamte Lebensweise - die vielversprechendste Forschungsrichtung abgeben wrde. Richard Hoggart und Raymond Williams entwarfen in wehmtigen Tnen mit Erinnerungen an ihre Vorschulkindheit ein wohlwollendes Bild der Kultur der Arbeiterklasse, aber sie zeigten in ihren Arbeiten eine starke Vorliebe fr Literatur und Belesenheit und schlugen auch stark moralisierende Tne an. Hoggart beklagte, dass die unter harten Umstnden erprobten traditionellen Gemeinschaftswerte der Arbeiterklasse von einer Zuckerwattenwelt untergraben und ersetzt wrden, einer Scheinwelt des billigen Nervenkitzels, die irgendwie schbig und hohl zugleich sei. Williams sprach sich zwar zgernd fr die neuen Massenkommunikationsmittel aus, bemhte sich aber, sthetische und moralische Kriterien zu entwickeln, mit denen die wertvollen Produkte vom Schund unterschieden werden konnten: der Jazz - eine wirkliche Musikform, und der Fussball ein wundervolles Spiel, von den Groschenromanen, den SonntagszeitungsComics und den neuesten Schnulzen. 1966 legte Hoggart die Grundannahmen fest, auf denen die Cultural Studies basierten: Erstens kann niemand die Beschaffenheit der Gesellschaft wirklich verstehen, der gute Literatur nicht zu schtzen weiss; zweitens kann Literaturinterpretation auf gewisse soziale Phnomene ausserhalb der wissenschaftlich anerkannten Literatur angewandt werden (zum Beispiel populre Kunst und Massenkommunikation), um ihre Bedeutungen fr die Individuen und ihre Gesellschaften zu erhellen. 6 Damit bedurfte es also immer noch einer literarischen Sensibilitt, um die Gesellschaft mit der erforderlichen Scharfsinnigkeit lesen zu knnen. Ausserdem beinhaltet dieser Rahmen die Annahme einer letztendlichen Vershnbarkeit der beiden Definitionen von Kultur. Paradoxerweise durchdrangen diese Auffassungen auch das Frhwerk des franzsischen Linguisten und

Schriftstellers Roland Barthes. Allerdings fanden sie bei ihm in der Methode der Semiotik - der Wissenschaft von den Zeichen ihre Besttigung. BARTHES: MYTHEN UND ZEICHEN Unter Benutzung von Modellen aus dein Werk des Schweizer Linguisten Ferdinand de Saussure versuchte Barthes, die willkrliche Beschaffenheit kultureller Phnomene zu enthllen und die unterschwelligen Bedeutungen eines Alltagslebens aufzudecken, das anscheinend im Grunde so vollkommen natrlich war, Anders als Hoggart machte Barthes keinen Unterschied zwischen guten und schlechten Phnomenen der modernen Massenkultur. Er wollte statt dessen aufzeigen, wie die scheinbar spontan entstandenen Formen und Riten der modernen brgerlichen Gesellschaft einer systematischen Verzerrung unterworfen werden, wie sie in jedem M oment enthistorisiert, fr natrlich erklrt und in Mythen umgewandelt werden knnen: Ganz Frankreich schwimmt in dieser anonymen Ideologie: unsere Presse, unsere Filme, unser Theater, unsere Schundliteratur, unsere Zeremonien, unsere Rechtsprechung, unsere Diplomatie, unsere Unterhaltung, unsere Bemerkungen ber das Wetter, ber einen Mordprozess, eine rhrende Hochzeit, das Essen, von dem wir trumen, die Kleidung, die wir tragen - alles in unserem alltglichen Leben ist der Vorstellung verpflichtet, d ie 7 die Bourgeoisie sich und uns von den Beziehungen des Menschen zur Welt macht. Barthes' Vorstellung von Kultur geht - wie die von Eliot - ber die Bibliotheken, Opernhuser und Theater hinaus. Sie umfasst die Ganzheit des Alltagslebens. Aber dieses Alltagsleben ist fr Barthes von einer Bedeutung berlagert, die zugleich heimtckischer und systematischer organisiert ist. Ausgehend von der Voraussetzung, dass der Mythos eine Art von Sprache ist, untersuchte Barthes in Mythen des Alltags die normalerweise verborgenen Regeln, Kodexe und Konventionen, mit dem die Bedeutungen einer bestimmten sozialen Gruppe (das heisst der Herrschenden) zu universalen und naturgegebenen der ganzen Gesellschaft gemacht werden. In so unterschiedl ichen Phnomenen wie Ringkmpfen, Schriftstellern auf Urlaub und Reisefhrern fand er die gleichen knstlichen Eigenschaften, denselben ideologischen Kern. Sie waren alle der vorherrschenden Rhetorik ausgesetzt (der Rhetorik des gesunden Menschenverstandes) und in Mythen verwandelt worden, in reine Elemente eines sekundren semiologischen Systems. 8 (Barthes verwendet das Beispiel eines Titelfotos von ParisMatch, auf dem ein junger Neger in franzsischer Uniform die Trikolore grsst, um daran primre und sekundre Bedeutungen aufzuzeigen: 1. eine Loyalittsgeste, aber 2. Frankreich ist ein grosses Imperium, und alle seine Shne, ohne Unterschied der Hautfarbe, dienen treu unter seiner Fahne.) Barthes' Anwendung einer aus der Linguistik stammenden Methode auf andere Diskurssysteme ausserhalb von Sprache (Mode, Film, Essen etc.) erffnete den damaligen Kulturwissenschaften vllig neue Mglichkeiten. Man hoffte, die unsichtbare Naht zwischen Sprache, Erfahrung und Realitt lokalisieren und auftrennen zu knnen. Mit der neuen semiotischen Analyse wollte man die Kluft zwischen den entfremdeten Intellektuellen und der realen Welt mit Bedeutung auffllen und gleichzeitig - wie durch ein Wunder - verschwinden lassen. Unter Barthes' Anleitung versprach die Semiotik sogar eine Vershnung der zwei widerstreitenden Kulturdefinitionen, auf die sich die Cultural Studies so unentschieden sttzten - eine Ehe zwischen moralischen berzeugungen (in diesem Fall Barthes' marxistischer Denkweise) und populren Themen: eine Wissenschaft der gesamten Lebensweise einer Gesellschaft. Allerdings gliederte sich die Semiotik nicht gerade leicht in das Vorhaben der Cultural Studies ein. Obwohl Barthes die literarische Voreingenommenheit von Hoggart und Williams teilte, brachte seine Arbeit eine neue marxistische Problematik ein, die der bemhten, aber theoretisch ziemlich unfundierten britischen Tradition des Social Commentary (Sozialkritik) vllig fremd war. Auf einmal nahm man die Begrenztheit der alten D ebatten wahr. Mit den Worten von E. P. Thompson schienen sie die beschrnkten Interessen eines Haufens von Gentlemen-Amateuren widerzuspiegeln. Thompson versuchte, die Williamsche Definition der Kulturtheorie als Theorie der Beziehungen zwischen den Elementen einer ganzen Lebensweise durch seine eigene strengere marxistische Formulierung zu ersetzen: die Wissenschaft von Beziehungen in einem Leben voller Konflikte. 9 Nun galt es, einen schrferen analytischen Rahmen zu finden und ein neues Vokabular zu lernen. Im Zuge dieses Theoretisierungsprozesses nahm auch der Begriff Ideologie eine wesentlich weitere Spannweite von Bedeutungen an als vorher.

Wir haben gehrt, wie Barthes von einer anonymen Ideologie sprach, die jeden n ur mglichen Bereich des sozialen Lebens durchdringt, in die banalsten Alltagshandlungen eingeprgt ist und die nebenschlichsten sozialen Begegnungen umrahmt. Aber wie kann Ideologie anonym sein, und wodurch kann sie so weitreichende Bedeutungen bekomme n? Bevor wir uns an den Versuch machen, Subkulturstile zu deuten, mssen wir zunchst den Begriff Ideologie genauer definieren. IDEOLOGIE: EINE GELEBTE BEZIEHUNG In seiner Deutschen Ideologie beschreibt Marx, wie die Grundlage der kapitalistischen Wirtschaftsstruktur (die Schaffung von Mehrwert) dem Bewusstsein der an der Produktion Beteiligten verborgen bleibt. Die Unfhigkeit, durch die Erscheinungen hindurch die ihnen zugrundeliegenden Beziehungen zu erkennen, ist nicht das direkte Ergebnis irgendeiner von Individuen, sozialen Gruppen oder Institutionen unternommenen Verschleierungstaktik. Im Gegenteil, Ideologie gedeiht per Definition unterhalb des Bewusstseins. Dort, auf der Ebene des normalen gesunden Menschenverstandes, sind die ideologischen Bezugsrahmen am solidesten eingelagert und ben ihre grsste Wirksamkeit aus, weil ihre ideologische Beschaffenheit dort am wirksamsten verborgen bleibt. Stuart Hall beschreibt das oft so: Es ist genau seine spontane Eigenschaft, seine Transparenz, seine Natrlichkeit, sein Widerstreben, die ihm zugrundeliegenden Voraussetzungen zu klren, sein Widerstand gegen Vernderung oder Korrektur, die Tatsache, dass er Jedem sofort einleuchtet, und der geschlossene Kreis, in dem er sich bewegt, es sind genau diese Dinge, die den gesunden Menschenverstand zur gleichen Zeit spontan, ideologisch und unbewusst machen. Mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes kann man nicht lernen, wie die Dinge sind: man kann nur entdecken, wo sie in die vorhandenen Einrichtungen hin einpassen. Auf diese Weise ist es seine blosse Selbstverstndlichkeit, die ihn als ein Medium etabliert, das seine eigenen Prmissen und 10 Voraussetzungen durch seine scheinbare Transparenz unsichtbar werden lsst. Weil auch der gesunde Menschenverstand von Ideologie durchtrnkt ist, kann man diese nicht als ausserhalb des Alltagslebens stehende unabhngige Gruppe politischer Meinungen oder tendenziser Auffassungen abtun. Ebensowenig lsst Ideologie sich auf diese abstrakte Dimension einer Weltanschauung reduzieren oder - im vulgrmarxistischen Sinn zur Kennzeichnung falschen Bewusstseins verwenden. Denn, wie Louis Althusser darstellte: In Wahrheit hat die Ideologie recht wenig mit dem Bewusstsein zu tun ... Sie ist von Grund auf unbewusst ... Die Ideologie ist zwar ein System von Vorstellungen; aber diese Vorstellungen haben in den meisten Fllen nichts mit dem Bewusstsein zu tun: sie sind meistens Bilder, bisweilen Begriffe, aber der Mehrzahl der Menschen drngen sie sich vor allem als Strukturen auf, ohne durch ihr Bewusstsein hindurchzugehen. Sie sind wahrgenommene/angenommene/ertragene kulturelle Objekte und wirken funktional auf die Menschen ein durch einen Vorgang, der ihnen entgeht. 11 Althusser bezieht sich hier zwar auf Strukturen, wie kulturelle und politische Institutionen, aber der zentrale Punkt lsst sich durch ein sichtbares Beispiel gut veranschaulichen. Die meisten modernen Schulen und Universitten tragen in sich - trotz der scheinbaren Neutralitt ihrer Baumaterialien verborgene ideologische Annahmen, die buchstblich in die Architektur selbst hineingebaut sind. Die Einteilung von Bildung und Ausbildung in einzelne Knste und Wissenschaften wird durch das Fachbereichssystem reproduziert, das verschiedene Disziplinen in verschiedenen Gebuden unterbringt. Die meisten Hochschulen halten diese traditionelle Aufteilung ausserdem aufrecht, indem sie jedem Fachgebiet ein eigenes Stockwerk widmen. Und weiter ist das hierarchisch e Verhltnis zwischen Lehrenden und Lernenden sogar in die Anlage der Vorlesungssle eingeprgt, wo die Sitzordnung - mit Bnken, die sich in Rngen vor einem erhhten Pult erheben - den Informationsfluss diktiert und dazu beitrgt, die Autoritt der Professoren als natrlich erscheinen zu lassen. Bevor also der Inhalt von einzelnen Seminaren und Kursen festgelegt wird, sind schon eine ganze Reihe von (wenn auch unbewussten) Entscheidungen gefallen, was in der Erziehung und Ausbildung mglich und nicht mglich ist. Mit Hilfe dieser Entscheidungen wird nicht nur eingegrenzt, was gelehrt wird, sondern auch wie es gelehrt wird. Die Gebude reproduzieren hier buchstblich die vorherrschenden (ideologischen) Vorstellungen ber Erziehung und Ausbildung; genau durch diesen Vorgang wird die Struktur des Bildungssystems (die natrlich vernderbar ist) ausser Frage gestellt und erscheint uns als gegeben, das heisst unvernderbar. In diesem Fall sind die Begrenzungen unserer Denkweise regelrecht in Stein und Zement bersetzt worden.

Daher eignen sich die Individuen soziale Verhltnisse und Prozesse nur durch die Formen an, mit denen sie sich ihnen prsentieren. Diese Formen sind, wie wir gesehen haben, auf keinen Fall transparent: sie sind in den gesunden Menschenverstand eingehllt, der sie zugleich verbindlich macht und mystifiziert. Eben diese wahrgenommenen/angenommenen/ ertragenen kulturellen Objekte sind es, die die Semiotik hinterfragen und entziffern will. Alle Aspekte von Kultur besitzen semiotischen Wert, und die selbstverstndlichsten Erscheinungen knnen als Zeichen fungieren: als Elemente in Kommunikationssystemen, die - nicht direkt durch Erfahrung erworbenen - semantischen Regeln und Kodes unterliegen. Daher sind diese Zeichen so unverstndlich wie die s ozialen Verhltnisse, voll denen sie hervorgebracht werden und fr die sie stehen. Mit anderen Worten: es gibt fr jede Bedeutung eine ideologische Dimension: Das Zeichen existiert nicht einfach als Teil der Wirklichkeit. Es ist die Widerspiegelung und Brechung einer anderen Wirklichkeit, wobei es diese Wirklichkeit verzerrt oder wahrheitsgetreu wiedergeben oder sie von einem bestimmten Gesichtspunkt aus wahrnehmen kann. jedem Zeichen kann man Kriterien einer ideologischen Wertung zuordnen ... Der Bereich der Ideologie fllt mit dem der Zeichen zusammen. Man kann zwischen ihnen ein Gleichheitszeichen setzen. Wo Zeichen sind, ist auch Ideologie. Alles Ideologische hat 12 Zeichencharakter. Um die ideologische Dimension der Zeichen a ufzudecken, mssen wir zuerst versuchen, die Kodes zu entwirren, mit denen Bedeutungen systematisiert werden. Konnotative Kodes sind dabei besonders wichtig. (Konnotation: der Umfang von Nebenbedeutungen und emotionalen Beiklngen eines Wortes, d. .) Nach Stuart Hall bedecken sie das Gesicht des 13 sozialen Lebens und machen es klassifizierbar, verstndlich und bedeutungsvoll. Hall beschreibt diese Kodes als Landkarten der Bedeutungen, die von ihrer Natur her das Produkt einer A uswahl sind. Denn sie grenzen eine Anzahl mglicher Bedeutungen aus, indem sie bestimmte Bedeutungen verfgbar machen und andere aus dem Feld schlagen. Wir bewegen uns gewhnlich in diesen Landkarten ebenso sicher wie in der realen Welt: sie denken uns soviel wie wir sie denken, und das ist in sich ganz natrlich. Alle menschlichen Gesellschaften reproduzieren sich auf diese Weise durch einen Prozess der Naturalisierung. Durch eben diesen Prozess - eine Art unvermeidlicher Reflex allen gesellschaftlichen Lebens - erscheinen uns bestimmte soziale Verhltnisse, bestimmte Ordnungen der Welt, als seien sie universal und zeitlos. Das ist gemeint, wenn Althusser sagt, Ideologie hat keine Geschichte, und sie werden in diesem allgemeinen Sinn immer ein wesentliches Element jeder Gesellschaftsordnung sein. Allerdings dreht sich die Frage in usserst komplexen Gesellschaften wie der unseren, die durch ein genauestens abgestuftes System geteilter (das heisst spezialisierter) Arbeit funktionieren, um die Frage, welche besonderen Ideologien zu jeder gegebenen Situation und zu jedem Zeitpunkt die Vorherrschaft innehaben. Um diese Frage zu behandeln, mssen wir uns die Machtverteilung in unserer Gesellschaft ansehen. Das heisst, wir mssen fragen, welche Gruppen und Klassen beim Definieren, Ordnen und Klassifizieren der sozialen Welt wieviel zu sagen haben. Zum Beispiel liegt es auf der Hand, dass der Zugang zu den Mitteln, den Massenmedien, mit denen in unserer Gesellschaft Ideen verbreitet werden, nicht fr al le Klassen der gleiche ist. Einige Gruppen haben mehr Einfluss und daher mehr Gelegenheit, Regeln und Bedeutungen festzulegen, whrend andere schlechter gestellt sind und weniger Macht haben, ihre Ansichten der Dinge darzustellen und der Welt aufzudrcken. Wenn wir also unterhalb der Ebene der Alltagsideologie beobachten, wie besondere Ideologien wirken, wie einige die Vorherrschaft erringen und andere unbedeutend bleiben, wird uns deutlich, dass in den fortgeschrittenen westlichen Demokratien das ideolog ische Feld alles andere als neutral ist. Um auf die von Stuart Hall erwhnten konnotativen Kodes zurckzukommen, erkennen wir, dass diese Landkarten der Bedeutungen mit einem potentiell explosiven Sinn geladen sind. Denn diese Landkarten werden entlang der Spuren entworfen, die von den vorherrschenden Realittsdiskursen - den vorherrschenden Ideologien - in der gesellschaftlichen Landschaft hinterlassen worden sind. Daher reprsentieren sie wenn auch widersprchlich und undurchsichtig die Interessen der herrschenden gesellschaftlichen Gruppen. Diesen Punkt kann uns Marx am besten verstndlich machen. Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfgung hat, disponiert damit zugleich ber die Mittel zur geistigen Produktion, so dass ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind. Die herrschenden Gedanken sind weiter nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhltnisse; also der Verhltnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft. 14

Das ist die Grundlage von Antonio Gramscis Theorie der Hegemonie. Diese erklrt uns am angemessensten, wie in kapitalistischen Gesellschaften Herrschaft aufrechterhalten wird. HEGEMONIE: DAS BEWEGLICHE GLEICHGEWICHT Die Gesellschaft hat kein gemeinsames Sprachrohr, solange sie in kmpfende Klassen gespalten ist. (Bert Brecht, Kleines Organon fr das Theater) Der Begriff Hegemonie beschreibt eine Situation, in der eine vorlufige Allianz gewisser gesellschaftlicher Gruppen vllig soziale Autoritt ber andere, untergeordnete Gruppen ausben kann. Das geschieht jedoch nicht nur durch Zwang oder direktes Aufpressen herrschender Ideen, sondern indem bereinstimmung errungen und ein Konsens geformt wird, durch den die Macht der herrschenden Klassen sowohl legitim als auch natrlich erscheint. (Stuart Hall) Hegemonie kann nur so lange aufrechterhalten werden, wie die herrschenden Klassen Ihrem Einflussbereich alle konkurrierenden Definitionen erfolgreich einpassen knnen. Untergeordnete Gruppen werden dadurch zwar nicht direkt kontrolliert, sind aber in den ideologischen Raum (der von den herrschenden Gruppen bestimmt wird) sozusagen eingemeindet; dieser wird nun von ihnen nicht im geringsten als ideologisch angesehen, vielmehr scheint er von dauernder Gltigkeit - natrlich - zu sein und ausserhalb der Geschichte und Jenseits bestimmter Interessen zu liegen. Auf diese Weise bt nach Roland Barthes die Mythologie ihre vitale Funkti on von Naturalisierung und Normalisierung aus. In seinem Buch Mythen des Alltags demonstriert Barthes sehr anschaulich die volle Ausdehnung dieser normalisierten Formen und Bedeutungen. Gramsci fgt allerdings die wichtige Bedingung hinzu, dass hegemoniale Macht, genau weil sie die bereinstimmung der beherrschten Mehrheit verlangt, nie stndig durch dieselbe Allianz von Klassenfraktionen ausgebt werden kann. Wie Stuart Hall sagt, ist Hegemonie ... nicht universal und nicht der fortgesetzten Herrschaft einer besonderen Klasse bergeben. Sie muss gewonnen, reproduziert und aufrechterhalten werden. Hegemonie ist wie Gramsci sagt, ein 'bewegliches' Gleichgewicht, in dem Krfte miteinander streiten, die fr oder gegen diese oder jene Richtung eintreten. 15 Ebenso knnen Formen nicht stndig normalisiert werden. Ein Mythologe wie Barthes kann sie Jederzeit auseinandernehmen und entmystifizieren. Weiterhin knnen Gebrauchsgter im Alltagsleben von denselben Gruppen, die sie ursprnglich hergestellt haben, symbolisch wieder in Besitz genommen und mit verborgenen oppositionellen Bedeutungen ausgestattet werden. Die Symbiose von Ideologie und Gesellschaftsordnung, Produktion und Reproduktion ist daher weder festgelegt noch sicher. Sie lsst sich aufbrechen. Man kann den Konsens berschreiten, herausfordern und ablehnen; und Widerstand gegen die herrschenden Gruppen lsst sich nicht immer leicht abschlagen oder automatisch vereinnahmen. Wir leben in einer Gesellschaft, die Henri Lefebvre so charakterisiert: Objekte werden in der Praxis zu Zeichen und Zeichen zu Objekten und eine zweite Natur tritt an die Stelle der ersten - der ursprnglichen Schicht wahrnehmbarer Realitt. Trotzdem gibt es aber, wie Lefebvre im weiteren schreibt, immer Einwnde und Widersprche, die das Schliessen des Kreises behindern, des Kreises zwischen Zeichen und Objekt, zwischen Produktion und Reproduktion. 16 Wir knnen jetzt auf die Bedeutung von Jugendsubkulturen zurckkommen, denn das Auftauchen dieser Gruppen hat auf spektakulre Weise den Zusammenbruch des gesellschaftlichen Konsens in der Nachkriegszeit signalisiert. In den folgenden Kapiteln werden wir sehen, dass es eben jene von Lefebvre beschriebenen Einwnde und Widersprc sind, die in Subkulturen ihren Ausdruck finden. he Die von den Subkulturen dargestellte Herausforderung an die Hegemonie geht jedoch von ihnen nicht direkt aus. Sie wird vielmehr indirekt ausgedrckt: im Stil. Die Einwnde werden auf der im Grunde oberflchlichen Ebene der Erscheinungen eingebracht und die Widersprche dort zur Schau gestellt (und, wie wir sehen werden, magisch gelst): das heisst, auf der Ebene der Zeichen. Denn die

Zeichengemeinschaft, die Gemeinschaft der Mythenkonstituenten, ist keine einheitliche Gruppe. Wie Volosinov schreibt, ist sie in Klassen unterteilt: Die Klasse fllt nicht mit der Zeichengemeinschaft zusammen, d. h. mit einer Gemeinschaft, welche fr die ideologische Kommunikation die gleichen Zeichen benutzt. Denn auch die verschiedenen Klassen benutzen ein und dieselbe Sprache. Infolgedessen berschneiden sich in jedem ideologischen Zeichen unterschiedlich orientierte Akzente. 17 Das Zeichen wird zur Arena des Klassenkampfes. Der Kampf zwischen verschiedenen Diskursen, verschiedenen Definitionen und Bedeutungen innerhalb der Ideologie ist daher gleichzeitig immer ein Kampf innerhalb der Bedeutungen: ein Kampf um den Besitz des Zeichens, der sogar bis in die banalsten Bereiche des Alltagslebens hineinreicht. Damit knnen auch ganz normale Alltagsobjekte in doppelter Weise abgewandelt werden: zu illegitimen ebenso wie zu legitimen Zwecken. Diese bescheidenen Dinge knnen magisch angeeignet, von untergeordneten Gruppen gestohlen, mit geheimen Bedeutungen beladen werden, mit Bedeutungen, in denen verschlsselter Widerstand gegen jene Ordnung zum Ausdruck kommt, die ihre anhaltende Unterwerfung garantiert. Stile und Subkulturen sind daher mit Bedeutung geradezu schwanger. Ihre Abwandlungen sind wider die Natur, denn sie unterbrechen den Prozess der Normalisierung. Als solche werden sie zu Gesten und Bewegungen einer Sprache, die die schweigende Mehrheit vor den Kopf stossen, die das Prinzip von Einigkeit und Zusammenhalt herausfordern und dem Mythos des Konsens widersprechen. Es wird daher unsere Aufgabe sein, wie Roland Barthes jene versteckten Botschaften aufzuspren, die verschlsselt in die glnzende Oberflche des Stils eingraviert sind, und sie nachzuzeichnen als Landkarten der Bedeutungen, als kodierte Zeichensysteme, in denen verdunkelt und undeutlich eben jene Widersprche wiederkehren, die von ihnen gelst oder verborgen werden sollten. Aber nicht nur Wissenschaftler mit semiotischem Ansatz lesen Bedeutungen in die beladene Oberflche der Lebenserscheinungen. Die Existenz aufflliger Subkulturen erschliesst diese Oberflche ununterbrochen fr andere, potentiell subversive Lesarten. Jean Genet, der Archetyp des unnatrlichen Abweichlers, veranschaulicht die Praxis des Aufbegehrens durch Stil. Auf seine Art ist er genauso vom ideologischen Charakter kultureller Zeichen berzeugt wie Roland Barthes. Er fhlt sich hnlich unterdrckt von dem nahtlosen Netzwerk aus Formen und Bedeutungen, die ihn einbeziehen und doch ausschliessen. Seine Lesart ist hnlich parteiisch. Er macht seine eigenen Zeichen und zieht seine eigenen Schlsse: Ich war erstaunt ber ein so strenges Gefge, dessen Einzelteile gegen mich verbndet waren. Nichts in dieser Welt war ungewhnlich: nicht die Sterne auf dem rmel eines G enerals, nicht Brsenkurse, Olivenernte, Juristensprache, Getreidemarkt, Blumenbeete ... nichts. Diese furchtbare, gefrchtete Ordnung, deren einzelne Elemente ausnahmslos in strengem Zusammenhang untereinander standen, hatte nur einen Sinn: mein Exil. 18 Es ist die Entfremdung von der trgerischen Unschuld der Erscheinungen, die den Teds, den Mods, den Punks und zweifellos auch zuknftigen Gruppen bisher unvorstellbarer Abweichler den Antrieb gibt, sich von der falschen zweiten Natur des Menschen fortzubewegen, hin auf eine wirklich ausdrucksvolle Verschlagenheit, einen wahrhaft unterirdisch-subversiven Stil. Als ein symbolischer Verstoss gegen die gesellschaftliche Ordnung zieht eine solche Abweichung immer alle Augen auf sich, provoziert Zensur und fungiert - wie wir sehen werden - in Subkulturen als grundlegender Bedeutungstrger. Keine Subkultur hat mit grimmigerer Entschlossenheit als die Punks eine Trennung von der fr selbstverstndlich gehaltenen Landschaft der normalisierten Formen versucht und sich vehementere Missbilligung zugezogen. Wir werden daher mit der Bedeutung des Punk beginnen und in diesem Buch immer wieder auf sie zurckkommen. Vielleicht eignen sich gerade die Punks, die so grossen Anspruch auf Unwissenheit erhoben und die Gottlosigkeit zu so erstaunlichen Extremen getrieben haben, besonders gut zur Prfung einiger Methoden, die aus der Jahrhundertealten Debatte ber die Heiligkeit der Kultur hervorgegangen sind.

Marrakesch, 3. April 1989 Es ist gerade schick, sich in teuren, massgeschneiderten Lumpen zu zeigen, und alle Tunten schwnzeln in Wild-Boy-Montur herum. Da sind Bowery-Anzge, scheinbar besudelt mit Urin- und Kotzeflecken, die sich bei nherem Hinsehen als verschlungene Stickereien aus dnnem Goldfaden

erweisen. Da sind Clochard-Anzge aus feinstem Stoff, schbig-vornehme Anzge ... von alten Schtigen gewrzte Pelzmtzen ... schreiend billige Loddel-Frcke, die gar nicht so billig sind, das Schreiende ist eine unterschwellige Harmonie von Farbe n, die nur die besten Poor-Boy-Lden rausbringen ... Das kommt nur auf den zweiten Blick, und manche treiben es noch toller und fhren einen um bis zu sechs Ecken hinters Licht. (William S. Burroughs, The Wild Boys) URLAUB UND SONNENSCHEIN: MISTER ROTTEN KOMMT GROSS RAUS Der Sommer 1976 in England war aussergewhnlich heiss und trocken: der heisseste, soweit man zurckdenken konnte. Von Mai bis August drrte und schmorte London unter strahlendem Himmel und dem unvermeidlichen Dunst der Abgase. Anfangs als Geschenk Gottes bejubelt und in Presse und Fernsehen als Stimulanz begrsst, verschaffte die Sonne vorbergehende Erleichterung von den trben Wiederholungen der Untergangsschlagzeilen, die den ganzen Winter ber auf den Titelseiten der Boulevardbltter geprangt hatten. Die Natur erfllte ihre alte ideologische Pflicht und stand ein fr die ganzen anderen schlechten Nachrichten, brachte sprbar Beweise fr eine Besserung der Lage und verdrngte die Streiks und politischen Auseinandersetzungen. Mit voraussehbarer Regelmssigkeit tauchten in den letzten Erbauungsspots der 10-Uhr-Nachrichten hbsche junge Dinger auf, die mit Bikinis, Badeshorts und Polaroidkameras auf der Oxford Street flanierten. Die Sonne diente als ein vorwitziges Postscriptum zur Krise- ein leichtherziger Nachtrag voller tropischerVersprechungen. Auch die Krise konnte schliesslich mal Urlaub machen. Aber als die Wochen und Monate verstrichen und die Hitzewelle anhielt, setzte die alte Mythologie von Untergang und Katastrophe mit einem rachschtigen Rckschlag wieder ein. Das Wunder nutzte sich bald zum Allgemeinplatz ab und wurde zu einer ganz normalen Sache, bis man es eines morgens im Juli pltzlich in ein missliches Unglck umtaufte: ein schrecklicher, letzter, unvorhergesehener Faktor in Englands Niedergang. Im August erklrte man die Hitzewelle offiziell zur Drrekatastrophe und rationierte das Wasser. Es gab Missernten, und der Rasen im Hyde Park verbrannte zu einem zart ockergelben Ton. Das Ende war nah, und die Presse holte wieder die Metaphorik des jngsten Tages hervor. konomische Kategorien, Kultur- und Naturphnomene wurden mit mehr als der blichen Hingabe durcheinandergebracht, bis die Drre eine fast metaphysische Bedeutung annahm. Man ernannte einen Minister fr Drre - die Natur war mittlerweile offiziell fr unnatrlich erklrt worden - und zog all die uralten Schlussfolgerungen mit einem obligatorischen Schuss Ironie, um innerhalb der Grenzen des gesunden Menschenverstandes zu bleiben. Im spten August fielen zwei Ereignisse von vllig verschiedener mythischer Bauart zusammen und besttigten die schlimmsten Vorahnungen: Es wurde nachgewiesen, dass die bermssige Hitze selbst den Zusammenhalt der britischen Huser gefhrde (berstende Fundamente), und der Karneval von Notting Hill, traditionell ein Musterbeispiel rassischer Harmonie, brach in Gewalt aus. Pltzlich und vllig unerklrlich verwandelte sich das Karibik-Festival, mit all seinen Reiseprospektkonnotationen glcklicher, tanzender farbiger Leutchen und frhlich-unbeschwerter Kalypsoklnge, in eine bedrohliche Zusammenrottung aufgebrachter junger Schwarzer und kampfbereiter Polizei. Horden junger schwarzer Briten malten den Soweto-Horror auf die Bildschirme der Nation und beschworen angstvolle Bilder von anderen Negern, anderen Kmpfen, anderen langen, heissen Sommern herauf. Der schlichte Mlltonnendeckel, das Accessoir jeder Steelband, dieses Symbol schwarzer Integritt und unverwstlicher Ghettokultur, nahm eine vllig andere, bedrohliche Bedeutung an, als i hn weissgesichtige Polizisten verzweifelt als Schild gegen einen wtenden Steinhagel einsetzten. Und ausgerechnet in diesem seltsamen apokalyptischen Sommer bekam der Punk seinen ersten sensationellen Auftritt in der Musikpresse. In London, speziell im Sdwesten und noch spezieller in der Nhe der King'sRoad, wurde ein neuer Stil geboren, der zusammengewrfelte Elemente aus einer ganzen Reihe heterogener Jugendstile miteinander kombinierte. Punk war in der Tat ein usserst zwitterhafter Abkmmling: Da waren Zge des Glam Rock und von David Bowie, verwoben mit Elementen des amerikanischen Proto-Punk (The Ramones, The Heartbreakers, Iggy Pop, Richard Hell), dazu kamen Einflsse aus einer von der Mod- Subkultur der sechziger Jahre inspirierten Fraktion des Londoner Pub Rock (The 101ers, The Gorillas etc.), Elemente des Canvey Island Revival der vierziger Jahre und der Rhythm 'n' Blues Bands des Southend (Dr. Feelgood, Lew Lewis etc.), vom Northern Soul und vom Reggae.

Da verwunderte es kaum, dass die resultierende Mixtur ziemlich unstabil war: Alle diese Elemente drohten stndig, wieder auseinanderzufallen und zu ihren Ursprngen zurckzukehren. Der Glam Rock steuerte Narzissmus, Nihilismus und Geschlechterverwirrung bei. Der amerikanische Punk brachte seine Minimal-Art-sthetik ein (zum Beispiel The Ramones mit Pinhead oder Crime mit I Stupid), den Kult der Strasse und einen Hang zur Selbstzerstrung. Der Northern Soul, eine regelrechte geheime Subkultur von Arbeiterjugendlichen, die auf akrobatischen Tnzen undschnellem amerikanischen Soul der sechziger Jahre standen, gab eine Prise seiner Untergrundtradition dazu: rasante, abgehackte Rhythmen, Solo-Tanzstile und Aufputschmittel. Vom Reggae kamen die exotische Aura geheimer Identitt, das moralische Gewissen, der Dread und die Coolness. (Dread = Furcht und Schrecken; der Kleidungs-, Haar- und Sprachstil des Rastafarianismus, d..) Der heimische Rhythm Blues verstrkte noch den aggressiven Speed des Northern Soul und steuerte urwchsigen Rock-Sound und eine ausgefeilte Ketzer- und Schmhsprache bei, gab dem Ganzen seinen durch und durch britischen Charakter und die extrem whlerische Ausdeutung des Rock 'n' Roll-Erbes. Dieser unwahrscheinliche - im Punk mysteris fabrizierte - Zusammenschluss verschiedenster, oberflchlich unvereinbarer Musiktraditionen fand seine Besttigung und Bestrkung noch in einem hnlich zusammengewrfelten Kleidungsstil, der die gleiche Anhufung von Missklngen auf der visuellen Ebene reproduzierte. Das ganze bunte Durcheinander - mit Sicherheitsnadeln buchstblich zusammengehalten - wurde zu jenem gefeierten und beraus fotogenen, als Punk bekannten Phnomen, das im gesamten drauffolgenden Jahr (1977) die Boulevardzeitungen mit einem Fundus kalkulierbar sensationeller Auflagen und die bessere Presse mit einem willkommenen Katalog wundervoll gebrochener Kodes versorgte. Punk reproduzierte smtliche Kleidungsstile der Nachkriegs-Jugendsubkulturen und kombinierte Elemente aus den verschiedensten Epochen dieser Stilgeschichte zu einer zerschnip selten Collage. Das gab ein Chaos aus Schmalzlocken und Lederlacken, Brothel Creepers (weiche Bordellschleicher-Schuhe) und Winkle Pickers, Turnschuhen und Parka-Mnteln, Mod-Frisuren und Skinhead-Brsten, Rhrenhosen und bunten Socken, ultrakurzen Minircken und Nagelschuhen - alles zusammengehalten von spektakulren Verbindungsmitteln: Sicherheitsnadeln und Plastikwscheklammern, Sado-Maso-Riemen und Seilstcken, die ein bermass an entsetzter und faszinierter Aufmerksamkeit erregten. Der Punk ist ein einmalig gnstiger Ausgangspunkt fr eine Untersuchung wie diese hier, denn er enthlt verzerrte Wiedergaben aller wichtigen Nachkriegssubkulturen. Aber bevor wir die Bedeutung dieser Subkulturen interpretieren, mssen wir zuerst die Reihenfolge ihres Auftretens entwirren. LANGEWEILE IN BABYLON Das normale Leben ist so de, dass ich soviel wie mglich aus ihm raushole. (Steve Jones, Sex Pistols - Mitglied, zitiert im Melody Maker) Es scheint vllig angemessen, dass die unnatrliche Synthese des Punk au sgerechnet in jenem bizarren Sommer ihren Auftritt auf den Londoner Strassen hatte. Die Apokalypse schwebte greifbar in der Luft, und die Rhetorik des Punk war mit apokalyptischen Klngen durchtrnkt: mit der ganzen alten Krisen- und Umsturzsymbolik. Ja, sogar die Feste der Punks waren zwitterhafte Angelegenheiten, denn sie reprsentierten den merkwrdigen und unstabilen Zusammenfluss der zwei radikal ungleichen Sprachen von Reggae und Rock. Als die Punks mit ihren Schockfrisuren sich in einem Laden namens Sex an jener Ecke der King's Road trafen, die man passend World's End nannte, fielen David Bowie's Tag der Diamond Dogs (LP von 1974) und der Triumph des superentfremdeten Humanoiden auf seltsame Weise mit dem Day of Judgement des Reggae, der Eroberung Babylons und dem Ende der Entfremdung zusammen. Und eben hier begegnen wir dem ersten inneren Widerspruch des Punk, denn die in ihm oberflchlich verschmolzenen Apokalypse-Visionen stammten aus Quellen, die sich eigentlich von ihrem Wesen her ausschlies sen. David Bowie und die New Yorker Punk Bands hatten aus einer Vielzahl anerkannter Quellen literarische Avantgarde und Underground-Kino - eine selbstbewusste profane und endgltige sthetik zusammengestckelt. Patti Smith, USPunk und ehemalige Kunststudentin, beanspruchte, eine neue Form der Rock-Poesie erfunden zu haben und baute Rimbaud- und Burroughs-Lesungen in ihre Auftritte ein. Auch Bowie nannte Burroughs als einen Einfluss und verwendete dessen bekannte Cutup-Technik willkrlicher Nebeneinanderstellungen fr die Komposition seiner Texte. Richard Hell griff Texte von Lautramont und Huysmans auf. Die britischen Punk Bands blieben zwar - da sie im allgemeinen jnger und selbstbewusster proletarisch waren - grsstenteils literarisch unbeleckt. Aber auch in die sthetik des britischen Punk waren literarische Muster - zum Guten oder Schlechten krftig und doch versteckt eingeschrieben. Und ganz hnliche Verbindungen gab es zum

Underground-Kino und zur Avantgarde-Kunst, ber Warhol und Wayne County in den USA, ber die Kunsthochschulbands wie die Who und die Clash in England. Gegen Anfang der siebziger Jahre schon waren diese Tendenzen zu einer ausgewachsenen nihilistischen sthetik verschmolzen. Und als sie mit ihren charakteristischen Inhalten auftauchten (oft eigenwillig perverse Sexualitt, bertriebener Individualismus, bruchstckhafte Ich-Auffassung), brachte das eine ganze Menge Streitigkeiten unter den an Rock-Kultur Interessierten mit sich. Von Mick Jagger im Film Performance bis zu David Bowie in seiner aristokratischen Phase als Thin White Duke hat das Schreckgespenst des (wie Sartre sagt) in seiner eigenen Oper ertrinkenden Dandy die Rockmusik sozusagen aus den Kulissen heraus verfolgt. Mit den Worten von lan Taylor und Dave Wall (in Beyond the Skinheads) spielt es der Jugend ihre eigene Entfremdung vor. Punk reprsentiert nun die jngste Phase dieses Prozesses. Im Punk nahm die Entfremdung eine fast sprbare Qualitt an, fast konnte man sie mit den Hnden greifen. In vlliger Leere bergab der Punk sich den Objektiven der Kameras; jeder Ausdruck war verbannt (jedes beliebige Foto jeder beliebigen Punk Band zeigt dies), die Punks weigerten sich zu sprechen und posierten nicht. Diese Ausrichtung - der Solipsismus, die Neurose, die wtende Maske stammten allesamt aus dem Rock. Aber fast an jeder Ecke traten dem Reglement dieser lsterlichen sthetik die rechtschaffenen Gebote einer anderen musikalischen Form entgegen: der Reggae. Reggae steht genau am anderen Ende des Spektrums der Einflsse, die im Punk zum Tragen kommen. Schon im Mai 1977 erklrte Jordan, Verkufer im bekannten Punk-Laden Sex and Seditionaries, imNew Musical Express, er ziehe Reggae der New Wave vor. Das ist die einzige Musik, zu der wir (das heisst Jordan und Johnn y Rotten) tanzen. Obwohl Rotten selbst auf der relativen Autonomie von Punk und Reggae bestand, bewies er 1977 in einer Reihe von Interviews detaillierte Kenntnisse der ausgefallensten Reggae Stcke. Die Clash waren unter allen Punk -Gruppen am aufflligst en, nicht nur von der Musik, sondern auch von der Bildsprache des schwarzen Jamaika -Stils beeinflusst. Zu verschiedenen Zeitpunkten bernahmen die meisten Mitglieder der Gruppe Teile der Rasta -sthetik: kakifarbene Kampfanzge mit Aufdrucken der karibischen Slogans Dub und HEAVY MANNERS, enge bgelfreie Hosen, Black Brogues (schwere schwarze Lederschuhe, mit Perforationen verziert), ungeschnrte SlipperStiefeletten und sogar die Pork-Pie-Hats (weiche Filzhte - hnlich Tirolerhten - mit kleinen Krempen, ursprnglich Accessoir der Mods, spter vielleicht am bekanntesten durch Madness). Ausserdem spielten die Clash White Riot, einen direkten vom 76er Karneval inspirierten Song, vor dem Hintergrund eines Siebdrucks, der die Tumulte von Notting Hill zeigte . Und auf ihren Tourneen legte Don Letts, der schwarze Rasta-DJ, der whrend seiner Arbeit im Roxy in Covent Garden den Dokumentarfilm Punk drehte, Reggae-Scheiben auf. Wie wir sehen werden, waren der Punk und die mit dem Reggae verbundenen schwarzen britischen Subkulturen - obwohl scheinbar voneinander getrennt und autonom - auf einer tiefen strukturellen Ebene miteinander verbunden. Aber der Dialog zwischen den zwei Formen lsst sich nicht sauber entziffern, ehe nicht die innere Zusammensetzung sowohl des Reggae als auch der dem Punk vorausgegangenen britischen Arbeiterjugendkulturen voll verstndlich wird. Dazu sind zwei Hauptschritte ntig. Zunchst muss der Reggae auf seine Wurzeln in der Karibik zurckgefhrt werden, und zweitens muss man die Geschichte der britischen Nachkriegsjugendkulturen als eine Abfolge differenzierter Reaktionen auf die Anwesenheit schwarzer Einwanderer in England (seit den fnfziger Jahren) neu interpretieren. Fr eine solche Neueinschtzung muss man allerdings das Hauptinteresse von den normalen Untersuchungsgegenstnden - Schule, Polizei, Medien und Elternkultur - abwenden und sich der nach meiner Auffassung vllig vernachlssigten Dimension von Rassen und Rassenbeziehungen widmen.

Du bist zur Stelle, Afrika mit den ppigen Hften und mit den lnglichen Schenkeln! Grollendes Afrika, aus Feuersglut gemachtes Afrika, aus Eisen gemachtes Afrika, Afrika mit den Millionen von kniglichen Sklaven, verschlepptes Afrika, Erdteil, der untergeht, bist du zur Stelle? Du schwindest langsam dahin, du trittst zurck in die Vergangenheit, die Kolonialmuseen, du trittst zurck in die Berichte Schiffbrchiger und in die Arbeiten der Wissenschaftler, aber ich rufe euch heute abend zurck, zur Teilnahme an einem geheimen Fest. (Jean Genet) BACK TO AFRICA

Die Unterschiede zwischen Rock und Reggae liegen wohl so klar auf der Hand, dass sich eine ausfhrliche Darstellung erbrigt. Mark Kidel hat sie sehr simpel so zusammengefasst: Whrend Jazz und Rock oft nervs und aufgeputscht sind, stimmt Reggae auf die ruhige Ganja-Lssigkeit ein. 19 (Ganja = Marihuana, d. .) Reggae wurzelt in einer sehr spezifischen Erfahrung: der Erfahrung der Schwarzen in Jamaica und Grossbritannien. Aus der jngeren Generation schwarzer Briten sind in den letzten Jahren unzhlige Reggae -Bands hervorgegangen (z. B. The Cimarons, Steel Pulse, Matumbi, Black Slate, Aswaad). Der Reggae hat einen einzigartigen Stil, und er bedient sich einer ganz eigenen Sprache, dem Jargon der JamaikaSchwarzen, jener S chatten-Form, die sie aus der Sprache ihrer Herren gestohlen und whrend des bergangs von Afrika nach Westindien auf mysterise Weise verndert, dekomponiert und wieder zusammengesetzt haben. Der Reggae bewegt sich in schwerflligen und schwermtigen Rhythmen, deren stetiger Rock (daher der Name Rock Steady fr die frhe Reggae-Musik) sich auf zwar dominanten, aber gleichzeitig recht kargen Basslufen aufbaut. Die Rhetorik des Reggae ist vom Aufbau her dichter als die des Rock und vom Ursprung her weniger vielfltig. Zum grossen Teil speist sie sich aus zwei verwandten Quellen einer charakteristischen mndlichen jamaikanischen Tradition und einer ebenso unverkennbaren Aneignung voll Bibelinhalten. Sie enthielt starke Elemente voll Ritualen der jamaika nischen Pfingstgemeinde, von Besitznahme durch das Wort, und auch das Spiel voll Anruf und Antwort zwischen Priester und Gemeinde findet sich im Reggae nachgebildet. In einer Reihe rckwrtsgewandter Bilder spricht Reggae eine Gemeinde an, die sich im st ndigen Umbruch befindet (die Bewegung des Rastafarianismus, der Ruf Back to Africa), und kehrt damit die historische Abfolge der Migrationen um (Afrika - Jamaika Grossbritannien). Damit ist die Musik die lebendige Aufzeichnung des Leidensweges eines ganzen Volkes - des bergangs von Sklaverei zur Knechtschaft -, und die Stationen dieses Weges fanden ihren Niederschlag in der einzigartigen Struktur des Reggae. Im unverkennbaren Schlagzeug des Reggae klingt ein Echo seiner schwarzafrikanischen Herkunft nach. Die Stimme Afrikas wurde auf den westindischen Inseln immer mit Aufstand gleichgesetzt und ist stets mit allen Mitteln unterdrckt worden. Die Herrschenden (Kirche, koloniale und sogar einige postkoloniale Regierungen) haben in der Vergangenheit insbesondere afrikanische Traditionen - wie beispielsweise Trommeln - als prinzipiell subversiv und als Bedrohung fr Recht und Ordnung angesehen. Diese gechteten Traditionen wurden nicht nur als anti-sozial und unchristlich, sondern auch als ketzerische Verherrlichung des Heidentums eingestuft. In ihnen manifestierten sich schliesslich unsagbare fremde Riten, und sie ermglichten verbotene und bsartige Huldigungen, die den Geruch zuknftiger Zwietracht in sich trugen. Sie verwiesen auf die dunkle Rebellion d er Verherrlichung der schwarzen Herkunft. Sie verhalfen dem deportierten Afrika, jenem verlassenen Kontinent, wieder zu einer privilegierten Stellung innerhalb der schwarzen Mythologie. Und die blosse Existenz dieser Mythologie reichte aus, um in den Herzen einiger Sklavenhalter den grssten Schrecken auszulsen. So kam es, dass Afrika fr die Schwarzen in der Karibik ein verbotenes Territorium, eine verlorene Geschichte bedeutete, die den widersprchlichen westlichen Mythen voll der unschuldigen Kindheit und der Erbschuld des Menschen berlassen worden war. Damit wurde es zu einer mchtigen Gegenwelt ausserhalb der Grenzen des Sklaventums. Aber jenseits dieses vergessenen Kontinents gib es einen Ort, an dem sich alle utopischen und anti-europischen Werte vereinigen konnten, die den entrechteten Schwarzen zur Verfgung standen. Und paradoxerweise war es die Bibel - das Zivilisationsinstrument par excellence -die zur Quelle andersartiger Werte und Trume von einem besseren Leben wurde. Der Rastafarianismus hat es perfekt verstanden, diese beiden vordergrndig entgegengesetzten Symbolordnungen (Schwarzafrika/Bibel des weissen Mannes) in sich zu vereinigen. Um zu begreifen, wie eine so ketzerische Verbindung mglich wurde, und wie die Hauptbotschaft des christ lichen Glaubens (Unterwerfung unter den Herrn) so dramatisch umfunktioniert werden konnte, muss man zunchst verstehen, wie dieser Glaube den jamaikanischen Sklaven vermittelt wurde.

Die Bibel spielt sowohl in der Reggae-Musik als auch ganz allgemein im we stindischen ffentlichen Bewusstsein eine zentrale Rolle. In der Vergangenheit hatten die Kolonialherrscher die Heilige Schrift benutzt, um den Schwarzen westliche Werte einzuimpfen und ihnen die europischen Auffassungen von Kultur, Seele, Unterwerfung etc. nahezubringen. Unter ihrem heiligen Vorzeichen konnte sich die Zivilisation selbst ausbreiten, und das bedeutete, dass die westliche Kultur ihre von Gott gewollte Eroberungsmission erfllen konnte. Bestrkt durch den beharrlichen Dualismus der biblischen Rhetorik (Teufel - Engel) konnten die Kolonialisten die Sklaverei mit einem relativ reinen Gewissen betreiben: denn schliesslich verwandelte man ja den (bsen) Wilden, in einen (guten) fleissigen Diener, indem man der aufrhrerischen Natur der entrec hteten Afrikaner mit Hilfe der gttlichen Ordnung und rechtschaffener Tugend einen Riegel vorschob. Diese innere Kolonialisierung war jedoch fehlerhaft und unvollstndig. Im Laufe der Zeit wurde es immer offensichtlicher, dass zwischen den Praktiken der Sklaverei und der christlichen Ideologie (die sie ursprnglich gerechtfertigt hatte) eine grosse Kluft bestand. Es wurde immer schwieriger, diesen Widerspruch zu unterdrcken. So blieb es nicht ans, dass die Schwarzen ihre eigenen Vorstellungen in den biblischen Texten zu suchen begannen, und die Offenheit der religisen Metaphern lud zu solch andersartiger Identifikation geradezu ein. Auch die Bibel hatte ja ihre dunkle ,Seite: ein Afrika, das vergessen in der Sprache des weissen Mannes schlummerte. Zwischen den Zeilen gelesen konnte die Schrift dazu dienen, dieses Afrika zu erwecken, zu befreien und den rechtschaffenen Leidenden zurckzugeben. Sicherlich ist die biblische Geschichte auch fr ausschliesslich schwarze Interpretationen usserst gut zugnglich. Sie bietet insbesondere fr die Situation der armen schwarzen westindischen Arbeiter eine ganze Reihe erstaunlich gut passender Metaphern (Babylon, die leidenden Israeliten), und entsprechende metaphorische Antworten auf die Probleme dieser Situation (Befreiung der Rechtschaffenen, Bestrafung der Gottlosen, das Jngste Gericht, Zion, das Gelobte Land). Sie listet genau und ausfhrlich die schweren Prfungen und das Leid der Sklaverei auf und verspricht direkte innere Vershnung zwischen Schmerzen und Sinnsuche (durch den Glauben, durch Gnade oder den Heiligen Geist). Nicht nur die einzelnen Archetypen, sondern auch die besonderen Diskursformen, mit denen diese Archetypen im allgemeinen dargestellt werden, haben das westindische Bewusstsein tiefgehend beeinflusst und ihm einen usserst flexiblen und ausdrucksvollen Bezugsrahmen verschafft. DIE LSUNG DES RASTAFARIANISMUS So verband sich die Bibel mit der mndlichen Kultur Jamaikas zu einer erstrangigen semantischen Ordnung, die als Modell fr alle Literatur dienen konnte (das Wort Gottes). Sie kann auf unbestimmte Weise einfach alles bedeuten. 20 Mit dieser zutiefst zweideutigen Philosophie war es der schwarzen Einwanderergemeinde mglich, ihrer untergeordneten Stellung in einem fremden Land einen Sinn zu geben. Die Rastas sehen in der Thronbesteigung von Kaiser Haile Selassie in thiopien 1930 eine Erfllung biblischer und weltlicher Prophezeihungen ber den bevorstehenden Untergang Babylons (d. h. der weissen Kolonialmchte) und die Erlsung der schwarzen Rasse. Quasi als logische Fortsetzung einer solchen Tradition und berlieferung leidenschaftlicher Andersglubigkeit - die so viele subversive Deutungen der elenden Lebensbedingungen der Jamaikaner hervorgebracht hatte - erscheint nun die Lsung des Rastafarianismus: eine Bibelauslegung, die aus der europischen Schale den schwarzen Kern herausschlt, um auf den Seiten der heiligen Schrift eine versunkene afrikanische Mythologie zu entdecken. Damit stellt der Rastafarianismus eine Interpretation dar, die den Bibeltext zu sprengen und das Wort Gottes herauszufordern droht. Diese tiefgehende Untergrabung der Religion des weissen Mannes, die Gott nach thiopien versetzt und den schwarzen Leidenden nach Babylon, hat sich fr die G ettos von Kingston wie fr die westindischen Gemeinden Grossbritanniens als usserst attraktiv erwiesen. Und diese Anziehungskraft lsst sich einfach erklren. Denn der Rastaman mit seiner speziellen Haartracht, den Dreadlocks, und dem Zorn des Gerechten bringt eine einleuchtende Erklrung und Lsung fr die materiellen Widersprche, die das Leben der westindischen Gemeinde bestimmen und unterdrcken. Der Rastaman entziffert jenes Schlsselwort der ausdrucksstarken Getto -Sprache, sufferation (deutsch etwa Leid-Duldung), indem er dessen historische Ursachen benennt (Kolonialismus und wirtschaftliche Ausbeutung) und den Exodus nach Afrika als Erlsung verspricht. Er ist die lebende

Widerlegung von Babylon (der zeitgenssischen kapitalistischen Gesellschaft). Er lehnt es ab, seine ihm gestohlene Geschichte weiter zu verleugnen. Durch eine aufmpfige und absichtliche Umwandlung verwandelt er Armut und Exil in Zeichen von Erhabenheit, in Symbole seiner eigenen Wertschtzung, die ihn nach dem Sturz Babylons sicher nach Hause zurck - nach Afrika und Zion geleiten werden. Er legt Wert darauf, seine Wurzeln in den Farben Schwarz, Grn und Gold (den Farben der thiopischen Flagge) nachzuzeichnen, um damit die Kluft der Jahrhunderte zu berbrcken, die zwischen der westindischen Gemeinde und ihrer Vergangenheit und damit auch einer positiven Wertschtzung ihrer eigenen schwarzen Geschichte steht. Mindestens bis in die spten sechziger Jahre hinein wurden die Rastas noch dafr verfolgt, dass sie genau dieselben Rassen- und Klassenunterschiede betonten, die die nette jamaikanische Regierung verzweifelt zu verbergen suchte. Seit 1962, nach der Unabhngigkeit Jamaikas, hatte diese das Motto geprgt: Out of many, one people (ein Volk aus vielen Vlkern). Unter dem libe raleren Regime von Michael Manley haben die Rastas dann seit 1972 erste Anerkennung gefunden. Manley fhrte eine spezifisch jamaikanische Mischung aus Populismus und biblischer Rhetorik in die Politik Jamaikas ein und setzte damit Signale fr die Anfnge einer kulturellen Revolution - einer allgemeinen Loslsung von den industriellen und ideologischen Einflssen Europas und der USA hin zu Kuba und der Dritten Welt. Diese Wertverschiebung fllt genau mit der Entwicklung der Popmusikindustrie Jamaikas zusam men, und der Reggae hat sich als das ideale Medium fr die Rasta-Botschaft erwiesen. REGGAE UND RASTAFARIANISMUS Schon auf den Ska-Platten der frhen sechziger Jahre mischten sich Einflsse des Rastafarianisinus unter die groben Klnge und den leichten, wechselhaften Rhythmus (Don Drummond, Reco etc.). Gegen Ende des Jahrzehnts traten diese immer strker hervor, bis schliesslich der RastaAnteil im Reggae mehr oder weniger ausschliesslich die Richtung bestimmte. Mit der Zeit verlangsamte sich der Sound des Reggae immer mehr, bis er fast afrikanische Gestalt annahm. Die Texte bekamen einen immer selbstbewussteren jamaikanischen Einschlag, wurden immer gedmpfter artikuliert und berwuchert, bis sie schliesslich Vollkommen in Dub untergingen und vom Talk -Over ersetzt wurden (Dub ist der bassbetonte instrumentale Rhythmus des Reggae, der oft elektronisch verfremdet und berlagert wird; Talk-Over der improvisiert gesprochene Text, der sich meist um schwarze Themen dreht). Dread, Ganja und das messianisch e Feeling dieses Heavy Reggae, seine Feuerund Schwert-Rhetorik und auch sein schwerflliger Rhythmus lassen sich alle dem Rasta -Einfluss zuschreiben. Reggae wurde in den sogenannten Sound-Systems gespielt, in Diskotheken, die von Schwarzen aus der Arbeiterklasse besucht wurden; und die Platten waren nur ber ein Untergrundsystem kleiner Lden zu haben. Aber das Ethos des Rastafarianismus kam hauptschlich durch diese Musik in der westindischen Einwanderergemeinde Grossbritanniens zu so grosser Verbreitung. Die arbeitslosen schwarzen Jugendlichen hatten mit Heavy Dub und Rockers einen alternativen Soundtrack, den sie allemal der Muzak -Berieselung in den riesigen neuen Shopping-Centers vorzogen, wo sie ihre Tage damit verbrachten, die Zeit totzuschlagen und sich von der willkrlichen Tyrannei der Polizei schikanieren zu lassen. Die ursprnglichen religisen Bedeutungen des Rastafarianismus allerdings erlitten auf dem Wege bis dorthin einige Umstellungen. Irgendwo zwischen den Slums von Trenchtown und der arbeitslosen de von Ladbroke Grove hatte sich der Rasta-Kult in einen Stil verwandelt: in eine ausdrucksvolle Kombination aus Lockenpracht, Khaki-Tarnanzug und Weed (Marihuana), mit der viele junge schwarze Briten unzweideutig ihr Gefhl der Entfremdung verkndeten. Die Entfremdung schob sich unausweichlich in das Leben der jungen westindischen Arbeiter: schlechte Unterkunft, Arbeitslosigkeit und Polizeischikanen als feste Bestandteile ihres Alltags. Bereits 1969 hatte eine Schtzung festgestellt, dass wei sse Jugendliche mit vergleichbarem sozialem Hintergrund etwa fnfmal so leicht einen Job als Facharbeiter bekommen konnten. Dazu kam, dass die Beziehungen der schwarzen Einwanderer zur Polizei sich whrend der sechziger Jahre stndig verschlechtert hatten. Die Mangrove -Auseinandersetzungen von 1969 markierten den Anfang einer langen Serie bitterster Konfrontationen zwischen der schwarzen Bevlkerung und den Staatsorganen (die Zusammenstsse von Carib, Oval und die des 1976er Carnival), die eine fortschreitende Polarisierung zur Folge hatten.

Whrend dieser Periode zunehmender Entfremdung und Arbeitslosigkeit, als der Konflikt zwischen den schwarzen jugendlichen und der Polizei in der Presse offen eingestanden wurde, begann die importierte Reggae-Musik direkter auf die Rassen- und Klassenprobleme einzugehen und das afrikanische Erbe wiederzubeleben. Der Reggae und seine Vorformen hatten schon immer versteckt auf diese Probleme angespielt. Durch eine ganze Reihe rebellischer Archetypen hatte die Musik oppositionelle Werte und Einstellungen vermittelt: vom Rude Boy, einer draufgngerischen Subkulturfigur aus Jamaikas Stdten (besungen in Rude Boy von den Wailers), bis zu Revolverhelden und Kleinkriminellen. Aber diese Typen blieben immer fest an eine besondere Einzelsituation gebunden und tendierten dazu, den individuellen Status von Revolte zu feiern. Mit Dub und Heavy Reggae bekam diese Rebellion eine viel umfassendere Bedeutung: sie wurde generalisiert und theoretisiert. Der Rastafari brach das Gesetz in subtilerer und gezielterer Weise als der Rude Boy, und so trat er an die Stelle dieses Einzelgngers, der hilflos einer unvershnlichen Autoritt ausgeliefert blieb und der im Ska und im Rock Steady verewigt ist. Dem Rastaman gelang es nicht nur, den trben Teufelskreis einsamer Verweigerung und offizieller Bestrafung in Zusammenhang zu setzen mit der versunkenen Geschichte Jamaikas, sondern er schaffte es auch diesen Zyklus zu durchbrechen und die Konflikte auf andere Aspekte des Alltagslebens zu bertragen. Indem er die tadellosen Ausdrucksformen des allgemeinen Konsens in Frage stellte - durch seine Erscheinung und seine Sprache -, gelang es ihm, jenseits der Selbstverstndlichkeiten von Recht und Ordnung das Selbstverstndliche selbst anzugreifen. Und hier, bu chstblich auf der Haut der Gesellschaft, hat die Rastafari-Bewegung ihre erstaunlichsten Vernderungen bewirkt: sie zerbrach das System schwarzer und weisser Polaritten und verwandelte das Schwarzsein in ein positives Zeichen, in eine kraftvolle Macht, e ine Waffe, die tdlich und zugleich gttlich legitimiert war. Dieser Umwandlungsprozess des Rastafarianismus beim Einstellen auf die britischen Verhltnisse, der gleichzeitig die Konflikte intensivierte und verinnerlichte, schlug sich in der Musik nieder und wurde von ihrer Form exakt reproduziert. Wie gesagt nahm der Reggae immer schwrzere Tne an, wurde immer afrikanischer, sein Jargon immer undurchdringlicher, seine bedrohliche Haltung immer offensiver. Die Battles(s) on Orange Street (Ska-Platte von Prince Buster) waren in den sechziger Jahren noch blutig-drastisch und trotzdem ironisch beschrieben worden, doch jetzt gab es in voller Bandbreite Krieg: War Inna Babylon (Max Romeo, Island-Label 1976). Dieser Krieg hatte eine doppelte Natur: er fand zwischen zweideutigen Bezugspunkten statt, die sowohl eine tatschliche wie eine eingebildete Gruppe von Beziehungen bezeichneten (Rassen - und Klassenverknpfung/Babylon; wirtschaftliche Ausbeutung/ biblisches Leiden). Ein gleichzeitig realer wie metapho rischer Kampf, der eine Formenwelt beschrieb, die in einer Ideologie verstrickt war, in der es zwischen Erscheinung und Illusion keine Trennung gab. Natrlich hatte der Kampf auch seine zweideutigen Entschdigungen: ein Gefhl von Solidaritt und Sinnhaftigkeit, eine Identitt und einen mehr oder weniger bestimmten Feind. Sogar die Spannungen zwischen gewaltttigen und religisen Lsungswegen liessen sich reduzieren, wenn der Konflikt zwischen der Polizei und den Dieben (Police and Thieves) 21, der die Nation in Schrecken versetzte, nicht nur als Abrundung und Ergnzung des unblutigen ideologischen Kampfes der Rastas, sondern als dessen Ausdruck gesehen wurde. Und je weiter sich Musik wie Ideologie von den ursprnglichen Quellen von Rasta und Rastafarianismus fortbewegten, desto leichter fiel diese Umwandlung. In Grossbritannien kamen in allen grsseren Stdten mit entsprechender Einwandererzhl in den lokalen Soundsystems rechtschaffene Armeen militanter Leidender zusammen, um der thiopischen Flagge ihre Ehrerbietung zu erweisen. Das Soundsystem bildete vielleicht mehr als jede andere Institution im Leben der westindischen Arbeiterschaft den Ort, wo die schwarze Identitt verfestigt und am deutlichsten und kompromisslosesten ausgedrckt werden konnte. Fr eine auf allen Seiten von Diskriminierung, Feindseligkeit, Verdchtigung und vlliger Verstndnislosigkeit umgebene Gemeinschaft, besonders aber fr die jugendlichen, wurde das Soundsystem zum kostbaren inneren, von allen usser en Einflssen unbeschmutzten Allerheiligsten einem schwarzen Herzen, das mit einem stetigen Dub -Puls das Back to Africa schlug. In Clubs wie den Four Aces in der Seven Sisters Road in Nordlondon kam ein ausschliesslich schwarzes Publikum zusammen, das im 1ooo-Watt-Donner des Dub-Bass vernichtende Blicke auf Babylon schleuderte. Dort war ein Gefhl von Macht zu bekommen, das auf den Fingerspitzen brannte. Es hing in der Luft - unsichtbar, elektrisch - verstrkt von einer Batterie selbstgebauter Lautsprecherboxen. Es war in jedem Monolog vorhanden, den der Talk-Over D-J anstimmte. In einer vom Sound erschtterten Atmosphre voller Rauchschwaden und Rachevisionen kam schnell das Gefhl auf, dass der Tag der Abrechnung bald bevorstand: wenn der Blitz zuckte, wrde das schwache Herz versagen und der rechtschaffene schwarze Mann aufstehen (so

jedenfalls Big Youth mit seinem Song Lightning Flash) - mit dem Dread als Waffe wrde man bald das frhere Leid vergessen knnen. (Dread ist ein mehrdeutiger Ausdruck, deutsch etwa Furcht und Schrecken; in ihm sind Rechtschaffenheit, biblischer Zorn und die durch diesen Zorn verursachte Angst vereint; d. .) So verband sich das Soundsystem eng mit den schwereren, mehr auf die Wurzeln der afrikanischen Abstammung abziele nden Formen des Reggae. Die beiden bedingten sich gegenseitig, ja waren in allen praktischen Aspekten sogar identisch. Die Musik blieb von Rundfunksendungen fast vllig ausgeschlossen. Sie konnte nur durch das komplizierte Soundsystem und in diesem leben, mit seinem Netzwerk von Boxen und Kabeln, Schaltern und Mikrophonen. Und obwohl das System rechtlich gesehen einem einzelnen Besitzer oder Unternehmer gehrte, war es in einem wesentlich tieferen Sinne im Besitz der Gemeinschaft. So stellte sich ber die Musik mehr als ber jedes andere Medium die Kommunikation mit der Vergangenheit, mit Jamaika und Afrika her, die fr den Erhalt der schwarzen Identitt so wichtig war. Das System schaltete den Sound ein, der Sound wiederum war eng verbunden mit den kulturellen Vorstellungen der Schwarzen, und damit stellte ein Angriff auf das Soundsystem einen symbolischen Angriff auf die Gemeinschaft selbst dar. Dadurch wurde es zum geheiligten Territorium, das gegen mgliche Verunreinigung durch weisse Gruppen geschtzt werden musste. Natrlich wehrten sich die Schwarzen auch vehement gegen jeden Eingriff der Polizei, und in einigen Fllen reichte die blosse Anwesenheit von Polizisten aus, die Rastas zu gewaltttigen Vergeltungsschlgen zu provozieren. So brach zum Beispiel 1976 beim Notting Hill Karneval der Aufruhr aus, als sich in einer Strasse, wo Soundsysteme unter der thiopischen Flagge spielten, Unmengen von Polizisten aufbauten. Diese Strassenschlacht und auch die gewaltttige Konfrontation von 1974 im Carib Club knnen auf diese Art interpretiert werden: als symbolische Verteidigung von Gemeinschaftsterritorium. DER EXODUS: ZWEIMAL BER DEN ATLANTIK Glcklicherweise waren die Beziehungen zum brigen Teil der weissen Gesellschaft im allgemeinen weniger belastet. In einigen Teilen Londons zumindest gab es ein ganzes System von Untergrund Verbindungen, die schon seit Jahren die Aussenseiter der englischen Gesellschaft mit den entsprechenden westindischen Subkulturen verbunden hatten. Ursprnglich fr den verbotenen Austausch von Weed und Jazz ausgebaut, stellten diese internen Kanle die Basis fr einen weitergehenden kulturellen Austausch her. Die Verbindungen wurden mit der Zeit durch die Erfahrung gemeinsamer Entbehrungen fester, und auch das Nebeneinanderleben mit hnlichen Interessen brachte schwarze und weisse Subkulturen einander nher. Beide behielten ihre unverkennbaren Formen bei und harmonisierten doch miteinander in hnlichen Einstellungen gegenber den Eltern und gemeinsamen Interessen wie Strasse, Nachbar schaft und Pubbesuchen. Von einigen herausragenden Ausnahmen abgesehen bildete sich nach und nach eine Struktur relativ friedlicher Koexistenz heraus. Ganz sicher trifft das auf die fnfziger und die frhen sechziger Jahre zu. Im allgemeinen teilte die erste Generation westindischer Einwanderer zu viele gemeinsame kulturelle Einstellungen mit ihren weissen Nachbarn aus der Arbeiterschaft, als dass sich ein offener Antagonismus htte entwickeln knnen. Als berzeugte Anglophile teilten die Schwarzen - auch wenn sie in Jamaika zu Hause waren - die gleichen Ziele, hnliche Freizeitvergngen (Biertrinken, Wurfpfeilspielen, Tanz am Wochenende) und sprachen - trotz des ungewohnten Akzents - die gleiche Sprache des Fatalismus: in ihre eigene untergeordnete Positi on ergeben, waren sie zuversichtlich, dass ihre Kinder einmal bessere Aussichten haben und dass es ihnen mal besser gehen wrde. Freilich entwickelten sich die Dinge nicht im erwarteten Masse und schon in den frhen siebziger Jahren gar stellte sich die Vo llbeschftigung als eine in weite Ferne gerckte schne Idee dar: eine Sache, an die man sich nur noch schwach erinnerte, und die fr das wirtschaftliche Wohlergehen Grossbritanniens nach dem zweiten Weltkrieg auch keinesfalls reprsentativ war. Whrenddessen zeigten die in England geborenen und aufgewachsenen Kinder der Einwanderer weniger Bereitschaft als ihre Eltern, den niedrigen Status und die geringen Chancen zu akzeptieren und die vorherrschenden Definitionen ihrer schwarzen Identitt anzuerkennen. Der Reggae versorgte sie mit einem Angelpunkt, um den sich eine andere Kultur, andere Werte und Selbstbestimmungen festigen konnten. Diese Vernderungen schlugen sich subtil auch im Stil der schwarzen Jugendlichen nieder: in der Art zu gehen, in der Haltung; auch in der Stimme, die mit einemmal weniger englisch zu sein schien. Allein die Art, wie die jugendlichen sich bewegten, verkrperte eine neue Selbstsicherheit - sie trugen eine bewusstere Frechheit zur Schau, traten federnd auf, schlurften nicht mehr ergeben wie Onkel Tom durch die Gegend. Auch die Kleidung machte im Laufe der Jahre eine ganze Reihe entscheidender Vernderungen durch. Die Hoffnungen der frhen Einwanderer hatten sich in ihren regenbogenfarbenen Mohair -Anzgen, den bunten

Krawatten, den nettgemusterten Kleidern und den Lacklederschuhen gespiegelt, die sie bei ihrer Ankunft in Grossbritannien trugen. jede schneeweisse Manschette reflektierte das Verlangen nach Erfolg, den Traum vom Aufstieg innerhalb des Rahmens, den die weisse Gesellschaf t festgelegt hatte - genau wie mit fast tragischer Ironie alle Hoffnungen, jemals wirklich in diese Gesellschaft zu passen, unausweichlich von jedem grell-bunten Jackenaufschlag Lgen gestraft wurden: Zu laut und zu knallig fr den zeitgenssischen britischen Geschmack. Sowohl die Trume wie auch die Enttuschungen einer ganzen Generation fanden sich so bereits im Schnitt der Kleidung eingeprgt (ehrgeizig und unmglich), mit der die West Indians ihren Auftritt wagten. Die berfahrt nach England war wie die meisten freiwilligen Emigrationen ein Akt des Vertrauens, ein Exodus. Eine besondere Mischung widersprchlicher Motivationen war dazu notwendig: Verzweiflung oder zumindest Ungeduld mit den jamaikanischen Zustnden, fester Glaube an das Machbare, der Wunsch nach verbessertem Status und die Zuversicht, dass das Mutterland seinen Verpflichtungen nachkommen und seine verlorenen Kinder willkommen heissen und entschdigen wrde. Mit der ersten Einwandererwelle kamen hauptschlich Facharbeiter und andere ausgebildete Krfte ber den Atlantik. Ihr Antrieb, sich zu verbessern, war gemssigt durch den konservativen Glauben, dass Grossbritannien - so gerecht und anstndig, wie es von Jamaika her aussah - mit Sicherheit allen Arbeitswilligen einen vernnftigen Lebensstandard bieten wrde. Die westindischen Einwanderer der fnfziger Jahre hatten in der Regel nichts weiter im Sinn, als Arbeit und Wohnung zu finden, respektiert zu werden und sich an einem Ort mitsamt Familie fr immer niederzulassen. Die anderen hingegen, die in den Sechzigern nachkamen, waren meistens ungelernte Arbeiter, in der Regel auch wesentlich verzweifelter und mit dem unzufrieden, was Jamaika ihnen bot. Fr diese stellte die berfahrt nach England den letzten Rettungsversuch dar, noch etwas wertvo lles im Leben zustandezubringen; gleichzeitig damit auch eine magische Lsung ihrer Probleme. Weil sie vielleicht weniger zu verlieren hatten, investierten sie mehr in die berfahrt von der Karibik nach Grossbritannien: sie bertrugen Hoffnungen fast relig iser Natur und Intensitt auf den Erfolg ihres Exodus. Daher fhlte diese zweite Einwandererwelle sich auch entsprechend tiefer und endgltiger enttuscht und drckte ihre Desillusionierung direkter aus. Jedenfalls bildete sich um diese Zeit herum, als die Einwanderer sich in den verfallenden Innenstdten der grossen britischen Cities wieder im gewohnten Elend zusammenfanden, ein neuer westindischer Stil heraus. Dieser Stil war weniger peinlich darauf bedacht, englisch auszusehen und schwankte auch nicht m ehr unentschieden zwischen Nchternheit und knalliger Farbe hin und her. Dahinter verbarg sich die (von Weissen nicht gern gesehene) Tatsache, dass noch eine andere Einwanderung stattgefunden hatte, dass Grossbritannien den versprochenen Wohlstand nicht bieten konnte, und dass die entfremdeten Einwanderer sich psychologisch aus der Gesellschaft abgesetzt hatten. Auch bei den Aussenseitern in der karibischen Gesellschaft tat sich einiges Entscheidende im Erscheinungsbild und Auftreten. Wahrscheinlich gefrdert durch die Zunahme schwarzer Clubs und Diskotheken in den mittleren sechziger Jahren traten die Zuhlter und Typen an der Ecke immer schrfer auf. Hte, Sonnenbrillen und italienische Anzge verbanden sich zu einer Kombination, die das westindische quiv alent zum Soul-Brother der USA wurde: enggeschnitten, die Fuste locker, schwarz und doch weltgewandt. Diese Soul-Brder bewegten sich im coolen Stil von Jazz, Ska und amerikanischem Rhythm & Blues. In ihrem Gang und Jargon verwendeten sie Takt und Klang d ieser Formen. Sie suchten in ihrem dunklen Innenleben Zuflucht vor der Welt der Spiesser und der Weissen. Auf diese Weise kehrten sie die Kennzeichen der Verachtung um und verwandelten die typisch karibische Buntheit in eine Deklaration ihrer fremdartigen Absichten, in Zeichen ihrer Andersartigkeit. Zum grossen Teil ist es diesen Soul-Typen zu verdanken, dass die schwarze Identitt zum Leben erweckt und auch fr die jungen westindischen Mnner zur symbolischen Einigung wurde. Die Musik der sechziger Jahre t rug dazu bei, diese Identitt auszudrcken und aus dem Verborgenen auf die Strasse zu holen. Der Avantgarde-Jazz von John Coltrane, Miles Davis, Pharoah Sanders und Archie Shepp und - wichtiger - der Dub und Heavy Reggae lockten dieses gewonnene Selbstbewusstsein ins Licht der ffentlichkeit. Natrlich hatte diese Entwicklung auch ihre visuelle Entsprechung in der Kleidung. Whrend der siebziger Jahre entwickelten die Jugendlichen ihren eigenen unverwechselbaren Stil: eine gebrochene Form der Rastafaristhetik, die sie von den Plattenhllen importierter Reggae-Alben abgeguckt und den Bedrfnissen der zweiten Einwanderergeneration entsprechend abgewandelt hatten. Das ergab einen reichlich vernderten Rastafarianismus, der von all seinen ursprnglichen religi sen Bedeutungen befreit war: ein Destillat, eine hchst selektive Auslegung all jener Elemente der Rasta Idee, die Bedeutung und Wichtigkeit von Widerstand und schwarzer Identitt betonten und den Schwarzen und ihren Idolen einen festen Platz ausserhalb de r weissen dominanten Ideologie

zuwiesen. Die Andersartigkeit, um die sich der ganze Rasta-Stil drehte, war buchstblich auf die Haut der Schwarzen aufgemalt, und in ihrem Auftreten und ihrer Erscheinung erweiterten und verfeinerten sie diese Andersartigkeit und brachten sie zur Entfaltung. Die jungen Schwarzen, die zum Sound von Humble Lion steppten (nach Rockers hiess Heavy Reggae jetzt Humble Lion oder Steppers), fingen damit an, ein afrikanisches natrliches Image zu pflegen. An die Stelle des tirolerhutartigen Pork-Pie-Hat trat der grobgestrickte Tam. Mohair- und Trevirastoffe, die Materialien fr all die glnzenden Anzge in Stahl- und Mitternachtsblau, wechselte man aus gegen Baumwolle, Wolle und grobes Leinen, aus denen sich bequemere und weniger empfindliche Sachen machen liessen. Auf jeder zweiten britischen Hauptstrasse gab es einen Army-Laden, der die Rechtschaffenen mit Kriegsdress und Kampfjacken ausrstete: ein ganzes Arsenal voll finsterem Guerilla -Chic. Den Kurzschnitt der Rude Boys liess man wachsen und zu einer ethnischen Afrokrause aufblhen, oder man flocht Locken oder Knoten daraus (der allgegenwrtige Natty- oder Knotty-Stil). Die jungen Frauen begannen, ihr Haar ungeglttet zu lassen, kurze Haare oder kunstvoll geflochtene Arabesken zu tragen als ausschweifenden Tribut an ein imaginiertes Afrika. Natrlich gingen all diese Entwicklungen auch an den weissen Arbeiterjugendlichen nicht spurlos vorber, die in denselben Stadtteilen wohnten, in dieselben Fabriken und Schulen gingen und ihre Biere in den nahegelegenen Pubs tranken. Insbesondere der Ruf Back to Africa wurde von ihnen genauestens verfolgt, besonders aber von denen, die eine eigene Subkultur zu bilden begannen. Bekanntlich sind die Beziehungen zwischen den weissen und schwarzen Jugendkulturen sowohl in Grossbritannien wie auch in den USA immer sehr heikel und mit potentiell gefhrlicher Bedeutung, belastet gewesen, ungeachtet dessen, ob zwischen den beiden Gruppen tatschliche Kontakte zustandekamen. Es gibt starke symbolische Verbindungen, die sich in Einfhlung und Sympathie oder Nacheiferung bersetzen lassen. Paul Goodman 22 und Jork Young 23 haben den Neger als die Quintessenz des Untergrund-Typen charakterisiert, der all die Werte verkrpert, die in der Mainstream-Gesellschaft koexistieren und deren nchterne Ideale untergraben. In diesem Sinne werden die Positionen Jugend und Neger in der herrschenden Ideologie oft gleichgesetzt. Jork Young schreibt dazu:Man sieht sie mit den gleichen zweideutigen Gefhlen an - als unbekmmert und faul, hedonistisch und gefhrlich. 24 Freilich kann diese bereinstimmung zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umstnden mehr oder weniger offensichtlich auftreten und verschieden stark empfunden und erfahren werden. Ganz allgemein gesagt, kann die Identifikation zwischen den beiden Gruppen offen oder verdeckt, direkt oder indirekt, anerkannt oder abgelehnt sein. Sie kann erkannt und bis zu tatschlichen Verbindungen ausgebaut (Mods, Skinheads, Punks) oder zum Antagonismus umgekehrt werden (Teds, Greasers). In jedem Fall reprsentiert die Beziehung zwischen weissen und schwarzen Jugendsubkulturen einen entscheidenden Bestimmungsfaktor in der Entwick lung all dieser Subkulturformen und deren Ideologie, und sie wird von den jugendlichen auch als Erkennungszeichen benutzt und ausgelebt. Auf einer anderen Ebene lassen sich die Strukturen von Ablehnung und Eingliederung zwischen der Gesellschaft des Gastlandes und der Einwanderergemeinde nach den aufflligen Zeichen bestimmen, die von den Jugendsubkulturen der weissen Arbeiterklasse gesetzt werden. Die Abfolge weisser Subkulturformen kann als eine Reihe von in der tiefsten Struktur vorgehenden Umwandlungen gesehen werden, die auf symbolische Weise die Schwarzen in die Gastlandgesellschaft aufnehmen oder aus ihr verstossen. Auf der Ebene der sthetik - in Kleidung, Tanz, Musik, in der ganzen Rhetorik des Stils - knnen wir den Dialog zwischen Schwarz und Weis s - wenn auch verschlsselt - so doch usserst sensibel und umfassend reflektiert finden. Indem wir diese Formen beschreiben, interpretieren und entschlsseln, knnen wir eine indirekte Darstellung des Austauschs konstruieren, der zwischen den beiden Gemeinschaften stattgefunden hat. Ausgetragen auf den bedeutungsvollen Oberflchen der britischen Jugendsubkulturen knnen wir eine komplette Phantomgeschichte der Rassenbeziehungen der Nachkriegszeit beobachten.

An einem violetten Abend schlenderte ich mit s chmerzenden Muskeln unter den Lichtern der 27. Strasse und Welton Street durch Denvers Farbigenviertel und wnschte, ein Neger zu sein; mir schien, dass das Beste, was die weisse Welt mir angeboten hatte, mir nicht genug Ekstase verschaffte, nicht genug Leben, Freude, Spass, Dunkelheit, Musik, nicht genug Nacht. (Jack Kerouac, Unterwegs)

HIPSTERS, BEATS UND TEDDY BOYS Schon seit langem haben Beobachter der amerikanischen populren Musikszene die Verknpfungen und Gemeinsamkeiten zwischen den weissen Jugendkulturen und der schwarzen Arbeiterklasse erkannt. Im Jazz gibt es eine bestens dokumentierte Tradition von Rassenmischung. Viele weisse Musiker haben mit schwarzen Knstlern in Jam Sessions zusammengespielt, andere haben die Musik bernommen (man knnte auch sagen geklaut), sie bertragen und in einen anderen Zusammenhang versetzt. Struktur und Bedeutung des Jazz sind in diesem Prozess verndert worden. Als die Musik in den zwanziger und dreissiger Jahren in die populre Mittelklassenkultur eingespeist wurde, war sie tendenziell von anstssigen Elementen gereinigt, bermssige Erotik wurde ausgetrocknet und jeder Anklang von Aufbegehren oder Wut, der in den heissen Rhythmen mitklang, wurde artig zu einem harmlosen Nightclub-Sound verfeinert. Seinen Hhepunkt hat dieser Prozess im weissen Swing: ein unschdliches und unaufflliges, gereinigtes Produkt, das weite Kreise ansprach und keinen der subversiven Beiklnge seiner ursprnglich schwarzen Herkunft mehr besass. Diese unterdrckten Bedeutungen wurden jedoch im Be Bop triumphierend wieder gefeiert. Mitte der fnfziger Jahre fand sich ein neues, jngeres, weisses Publikum an der gefhrlichen, unebenen Oberflche der zeitgenssischen Avantgarde wieder, und das, obwohl sich die Hauptfiguren des New York Sound (Charlie Parker, Dizzy Gillespie, Thelonious Monk) bewusst bemhten, weisse Identifikation zu begrenzen, indem sie einen Jazz spielten, der schwer anzuhren und noch schwerer nachzumachen war. Trotzdem fingen die Beats und Hipsters an, ihren eigenen, exklusiven Stil in einer weniger kompromisslerischen Jazz-Form zu improvisieren: ein Jazz der reinen Abstraktion, der alle konventionellen Formen ber Bord warf. Dieses beispiellose Zusammenstrmen von Schwarz und Weiss, das so aggressiv und unverfroren proklamiert wurde, hatte unausweichlich hitzige Debatten zur Folge, die um voraussehbare Themen wie Rasse, Sex und Rebellion kreisten und sich schnell zu einer moralischen Panik entwickelten. Alle klassischen Symptome, die ein paar Jahre spter mit dem Auftauchen des Rock 'n' Roll einhergingen, kamen schon in der geifernden Reaktion vor, mit dem das konservative Amerika die Beats und die Hipsters empfing. Zur selben Zeit entwickelten liberalere Beobachter eine ganze Mythologie der Schwarzen und ihrer Kultur. Da war der frei in sein Horn blasende Neger, unberhrt von den den Konventionen, die die glcklicheren Mitglieder der Gesellschaft (also auch die Schreiberlinge selbst) tyrannisierten; der Neger war zwar gefangen in einer brutalen Umgebung heruntergekommener Strassen und kaputter Behausungen, aber durch eine seltsame Umkehrung trat er letztlich doch als der Sieger hervor. Er entkam der Kastration und der einengenden Existenz, die das Leben der Mittelklasse zu bieten hatte. In seiner unbefleckten Armut lebte er di e unerfllten Ansprche einer ganzen Generation weisser radikaler Intellektueller aus. In der selbstbewusst -aktuellen Prosa eines Norman Mailer oder in den atemlosen Lobreden von Jack Kerouac (der die Idealisierung der Negerkultur in seinen Romanen bis ins lcherliche Extrem trieb), wurden die Schwarzen nur mystifizierend und verschleiernd beobachtet, und so konnten sie der weissen Jugend als ein Modell von Freiheit in Knechtschaft dienen. Als Heilige und Verbannte schwebten sie wie Charlie Bird Parker ber ihren erbrmlichen Lebensbedingungen, indem sie die Widersprche in ihrer Kunst ausdrckten und berwanden, mit jedem Solo, das sie (Gott weiss wie!) durch zerbeulte Saxophone bliesen. Obwohl die Hipster- und Beat-Subkulturen aus derselben grundlegenden Mythologie erwuchsen, sttzten sich doch beide Stile auf verschiedene Weise auf die Kultur der Schwarzen und standen in unterschiedlicher Beziehung zu ihr. Wie A. Goldman schreibt, war ... der Hipster ein typischer Dandy der unteren Klassen, gekleidet wie ein Schwuler, der sich einen ganz coolen, durchgeistigten Ton zugelegt hatte - um sich von den derben, impulsiven Typen zu distanzieren, die ihn im Getto umgaben - und der die feineren Dinge des Lebens anstrebte, wie guten tea (Marihuana), nur den ede lsten Sound - Jazz oder Afro-Kubanisches ... (Dagegen war) ... der Beat ursprnglich ein ernsthaftes College-Kid der Mittelklasse, wie Jack Kerouac, der von den Stdten und der Kultur, die er geerbt hatte, erdrckt wurde, und der nach abgelegenen und exotischen Gegenden aufbrechen wollte, wo er 25 wie die Typen leben, schreiben, rauchen und meditieren konnte. Der Stil der Hipsters stand der schwarzen Gettokultur ziemlich nahe: er war Ausdruck einer erlebten Zusammengehrigkeit, er bewegte sich in einem bestimmten gemeinsamen Rahmen, mit einer gemeinsamen Sprache, und drehte sich um hnliche zentrale Anliegen. Die Beats dagegen lebten in einer eingebildeten Beziehung zu den Negern als den edlen Wilden, den heroischen Schwarzen, die- diesem Mythos zufolge - zwischen einem Leben stndiger Erniedrigung und immerlauernder Gefahr schwebten, zwischen Knechtschaft und Freiheit. 26 Obwohl also die Subkulturen der Hipsters

und Beats beide aus der Identifikation mit den Schwarzen entstanden (die vom Jazz symbolisiert wurde), war die Art dieser Identifikation, so wie sie sich in den von den zwei Gruppen angenommenen Stilen ausdrckte, qualitativ verschieden. Die Zoot Suits (weite, elegante Anzge der vierziger Jahre) und die leichten Continentals (europisch-elegante Anzge) der Hipsters verkrperten die traditionellen Sehnschte der Schwarzen an der Strassenecke (rauszukommen und abzuhauen), whrend die Beats, bewusst abgerissen in Jeans und Sandalen, eine magis che Beziehung zu einer Armut ausdrckten, die in ihrer Vorstellung eine gttliche Essenz, ein Zustand der Gnade, ein Heiligtum war. In beiden Fllen waren es, wie lan Chambers schrieb, gegenstzliche Werte eingebettet in schwarze Kultur und schwarze Musik -, die in einem neuen Kontext dazu dienten, die in den (weissen) Jugend-Subkulturen dargestellten Widersprche und Spannungen zu symbolisieren und zu symptomatisieren. 27 Lediglich die Subkultur der Beats, das Produkt einer gewissermassen romantischen Orientierung an Schwarzen, berlebte den bergang von den USA ins England der fnfziger Jahre. Der Zustrom westindischer Einwanderer hatte gerade erst angefangen, und als deren Einfluss auf die Subkulturen der Arbeiterklasse in den frhen Sechzigern schliesslich sprbar wurde, drckte er sich in spezifisch karibischen Formen aus (Ska, Bluebeat etc.). Unterdessen hatte ausserhalb des Jazz, im Rock, eine aufsehenerregendere Annherung stattgefunden. Erst als schwarzer Gospel und Blues sich mit weissem Country and Western verschmolzen, um eine vllig neue Form zu bilden - Rock 'n' Roll -, konnte die Trennungslinie zwischen den zwei Positionen (Schwarze und britische Arbeiterjugend) still und heimlich aufgehoben werden. In den frhen Tagen des Rock war eine solche symbolische Allianz jedoch keineswegs abgesichert. Die Musik war aus ihrem ursprnglichen Zusammenhang (wo die Konsequenzen der potentiell explosiven Gleichsetzung von Neger mit Jugend von der Elternkultur voll erkannt worden waren) herausgerissen und nach England verpflanzt worden, wo sie zum Kern des Teddy-Boy-Stils wurde. Dort existierte sie in einer Art Vakuum - eine gestohlene Form, Brennpunkt einer verbotenen, abweichenden Identitt. Man hrte diese Musik in den leeren Sitzecken der neuen britischen Coffee Bars: barock wie die Juke Box, auf der sie abgespielt wurde, demonstrativ fremdartig und futuristisch - trotz der unverwechselbar englischen Atmosphre von heisser Milch und Getrnken, die sie auffing und filterte. Und wie jene anderen heiligen Artefakte - die Schmalzlocken, die enggeschnittenen Hosen, die Bryl -Creme, die amerikanischen Filme - wurde sie zum Zeichen fr Amerika: jenen Phantasiekontinent aus Westernund Gangsterfilmen, Luxus, Glamour und Automobilen. Mit der Aussicht auf lebenslange Hilfsarbeit waren die Teddy Boys effektiv aus der achtbaren Arbeiterklasse ausgeschlossen und in ihrem Lebensgefhl von dieser distanziert. Sie bewegten sich im Abseits, in der Phantasie. Als Zeichen ihrer Ablehnung des tr ben Alltags von Schule, Job und Familie legten sie sich einen bertriebenen Stil zu, der zwei unverfroren geplnderte Formen gegeneinanderstellte: schwarzen Rhythm & Blues und aristokratische Anleihen in der Kleidung (Edwardian Stile). In einem solchen Zusammenhang traf der hohle, kosmische Sound der ersten RockAufnahmen genau ins Schwarze: in kaum hrbaren Tnen und einer Sprache, die man nur von amerikanischem Kino her kannte, malten sie das Bild einer fernen Welt, deren Anziehungskraft gerade durch ihre Abgelegenheit und Unerreichbarkeit noch gefrdert wurde. (Zum Beispiel Heartbreak Hotel von Elvis Presley oder Be Bop a Lula von Gene Vincent.) Angesichts dieser notwendig groben und nur ber den Kopf laufenden Annherung musste der subtile Dialog zwischen weissen und schwarzen Musikformen, der ja den Rahmen der sich berschlagenden Vokalstimmen bildete, ganz berhrt werden. So konnte die Geschichte der Entwicklung des Rock gut verborgen bleiben: er schien nichts weiter zu sein, als die jngste einer ganzen Reihe amerikanischer Neuerungen (Jazz, Hula-Hoop-Reifen, Popcorn), die auf konkrete Weise die befreienden Zge des Kapitalismus der Neuen Welt verkrperten. Als Ende der fnfziger Jahre auf der britischen Szene das Rockfieber ausbrach, schien diese Musik ein spontan entstandener, direkter Ausdruck der jugendlichen Energien zu sein, der keiner weiteren Erklrung bedurfte. Und als die Teddy Boys, weit davon entfernt, die neuankommenden farbigen Einwanderer freundlich zu empfangen, sogar mit

Waffen gegen die Schwarzen vorzugehen begannen, waren sie sich der Widersprchlichkeit ihres Verhaltens nicht im geringsten bewusst. Die Teds beteiligten sich - aus verschiedenen Grnden - hufig an grundlosen Angriffen auf Westinder und taten sich auch in den Rassenauseinandersetzungen von 1958 hervor. Auch ihre Beziehung zu den Beatniks war nicht gerade besonders freundschaftlich. Tatschlich waren die beiden Subkulturen zwei getrennte Welten. Die Szene der Hochschulen, der schummrig beleuchteten Coffee Bars und Pubs von Soho und Chelsea war Meilen entfernt von den Treffs der Teddy Boys, tief in den traditionellen Arbeiterbezirken von Sd- und Ost-London. Die Beatniks kamen aus einer belesenen, sprachlich gewandten Kultur; sie interessierten sich fr die Avantgarde (abs trakte Malerei, Lyrik, franzsischer Existentialismus) und trugen eine abwesende, kosmopolitische Haltung bohemer Toleranz zur Schau - die Teds dagegen waren kompromisslos proletarisch und fremdenfeindlich. Die Stile hatten nichts miteinander zu tun, und als in den spten fnfziger Jahren der traditionelle Jazz sich als Brennpunkt der grsseren britischen Subkultur herausbildete, traten diese Unterschiede noch mehr hervor. Der Trad Jazz basierte auf einer bierseligen, hemdsrmeligen Atmosphre, die nicht zu der linkischen, nervsen Eckigkeit des frhen Rock'n' Roll passte. Und die schamlos fabrizierte sthetik der Teds eine aggressive Kombination exotischer Kleidungsstcke (Wildlederschuhe, Maulwurfs- oder Samtkragen und Schnrsenkelkrawatten) - stand in starkem Kontrast zur unverbindlichen Natrlichkeit der Beatniks: Dufflecoats, Sandalen und C.N.D.-Plaketten (Campaign for Nuclear Disarmament). HAUSGEMACHTE COOLNESS: DER STIL DER MODS In den frhen Sechzigern hatten sich in den britischen Arbeiterbezirken ziemlich grosse Einwanderergemeinden gebildet, und ein Zusammenspiel benachbarter weisser und schwarzer Gruppen wurde mglich. Die Mods waren die ersten in einer langen Reihe von jugendlichen Subkulturen, die in Nachbarschaft mit den Westindern aufwuchsen, auf deren Gegenwart positiv reagierten und ihren Stil nachzumachen versuchten. Wie der amerikanische Hipster war der Mod ein typischer Dandy der unteren Klassen mit einer Manie fr kleine Details; er definierte sich (wie die pingeligen New Yorker Rechtsa nwlte in Tom Wolfes Das bonbonfarbene tangerinrotgespritzte Stromlinienbaby) durch den Winkel seines Hemdkragens, durch den przise bemessenen Schlitz seines massgeschneiderten Jacketts oder die Form seiner handgearbeiteten Schuhe. Anders als die provozierend aufflligen Teds waren die Mods in ihrer Erscheinung subtiler und zahmer: sie trugen offensichtlich konservative Anzge in respektablen Farben und waren geradezu pedantisch sauber und ordentlich. Ihre Haare hatten sie kurzgeschnitten und gewaschen, un d um die modischen Formen ihres kurzen, nach vorne gekmmten French-Crew-Schnitts zu konservieren, zogen sie unsichtbares Haarspray dem aufflligen Fett der betont maskulinen Rocker vor. Die Mods erfanden einen Stil, der es ihnen erlaubte, geschickt zwisch en Schule, Arbeit und Freizeit zu lavieren ein Stil, der mehr verbarg als er zeigte. Sie trieben die Ordentlichkeit und Sauberkeit bis zur Absurditt und untergruben so - indem sie unauffllig die ordnungsgemsse Reihenfolge vom Zeichen zum Bezeichneten durchbrachen - die konventionelle Bedeutung von Anzug, Hemd und Kragen. Sie waren ein bisschen zu smart und ein bisschen zu wach (dank ihrer Amphetamintabletten). Und wie David Laing bemerkte: da war etwas in der Art, wie sie sich bewegten, das die Erwa chsenen nicht verstanden; irgendein nicht genauer bestimmbares Detail (polierte Schuhe, eine Zigarettenmarke, die Art, eine Krawatte zu knpfen), das im Bro oder im Klassenzimmer merkwrdig fehl am Platze schien. 28 Irgendwo auf dem Nachhauseweg von Schule oder Arbeit verschwanden die Mods: sie wurden verschluckt von einem Underground aus Kellerclubs, Diskotheken, Boutiquen und Plattenlden, der unter der normalen Welt verborgen lag, von der er sich scheinbar abgrenzte. Ein integraler Bestandteil der geheimen Identitt, die sich da ausserhalb der begrenzten Erfahrungswelt von Chefs und Lehrern bildete, war eine gefhlsmssige Verbundenheit mit den Schwarzen (in England wie auch, durch SoulMusik, in den USA) - eine Verbundenheit, die in Stil umgesetzt wurde. Der harte Kern der Soho-Mods von 1964 - undurchdringlich hinter ihren scharfen Sonnenbrillen und Hten verborgen - geruhte nur zu den erlesensten Soul-Importen mit den Fssen zu wippen (die nur in Flechtschuhen oder Raoul's

Originals steckten): Tony Clarke's (I'm the) Entertainer, James Brown's Papa's got a brand new Bag, Dobie Gray's (I'm in with) The In Crowd oder Jamaika-Ska (Prince Buster's Madness). Da die Mods fester als die Teds oder die Rockers in den verschiedensten Job s eingespannt waren, die ziemlich strenge Anforderungen an ihre Erscheinung, ihre Kleidung, ihr gutes Betragen und ihre Pnktlichkeit stellten, legten sie entsprechend mehr Wert auf das Wochenende. Sie lebten in den Zwischenrumen der normalen Kalendereinteilung (daher die Feiertagsausflge, die Wochenendfeste, die durchfeierten Nchte), in jener Handvoll freier Zeit, die allein das Arbeiten ertrglich machte. In diesen Freizeitperioden, die nicht selten mit Hilfe von Amphetamin schmerzhaft ausgeweitet wurd en, gab es viel zu tun: der Motorroller wollte poliert sein, Schallplatten mussten gekauft, Hosen gebgelt, enger genht oder von der Reinigung abgeholt werden, die Haare mussten gewaschen und gefhnt werden (und zwar nicht mit irgendeinem Fhn, sondern - wie ein 1964 von der Sunday Times interviewter Mod sagte - einem mit einer Haube). Inmitten all dieser fiebrigen Aktivitt blieb der schwarze Mann eine Konstante. Symbolisch diente er als ein dunkler bergang hinab in eine unterhalb der vertrauten Ober flche des Lebens angesiedelte Unterwelt, in der eine andere Ordnung herrschte. Ein wunderbar verwobenes System, in dem die Werte, Normen und Konventionen der normalen Welt umgekehrt waren. Hier, unterhalb der Verachtung der Welt, gab es andere Prioritten : Arbeit war unbedeutend, nebenschlich; Eitelkeit und Arroganz waren erlaubte, ja sogar erwnschte Eigenschaften. Und man pflegte eine verstohlenere, zweideutigere Auffassung von Mnnlichkeit. Ermglicht wurde all dies durch den Schwarzen Mann. Durch eine Art von Hexerei, durch einen Taschenspielertrick, durch Soul hatte er sich ausserhalb des Begriffsvermgens der Weissen gestellt. Auch noch als Entertainer war er, genau wie die Mods, in den Diensten des weissen Master, aber dennoch hatte er sich in den feinen Knsten Flucht und Subversion selbst als Meister erwiesen. Er konnte die Regeln zu seinen eigenen Gunsten verndern. Er konnte seine eigenen privaten Kodes und Fertigkeiten entwickeln und eine Sprache, die zugleich glnzend und undurchsichtig war: eine Maske aus Worten, ein Federbusch und Sporen 29 Er konnte innerhalb einer bestehenden Struktur leben, ja diese verndern, ohne ihr jemals anzugehren. Whrend der ganzen Mittsechziger kamen von ihm die verborgenen Anstsse und Inspirationen fr den gesamten Stil der Mods. So konnte um 1964 ein Mod sagen: Im Moment beten wir die Schwarzen als unsere Helden an - sie knnen tanzen und singen. Wir tanzen den Shake und den Hitchhiker zu schnellen Stcken, aber wir werden wieder anfangen, eng zu tanzen, weil die Schwarzen es tun. 30 WEISSE HAUT UND SCHWARZE MASKEN Gegen 1966, als die Bewegung der Mods dem gemeinsamen Druck von Presse und Marktkrften und den inneren Widersprchen nicht lnger standhalten konnte, begann sie, sich in unterschiedliche Szenen aufzusplittern. Am aufflligsten war eine Polarisierung zwischen den harten Mods und denen, die sich offensichtlich mehr fr Mode und den Look der sechziger Jahre interessierten. Wie Stan Cohen bemerkt, vermischten sich die extravaganteren Mods, die sich in der ganzen Rhythm & BluesMode- und Carnaby Street-Szene bewegten, mit den modebewussten Hippies und den UndergroundNeulingen, whrend die harten Mods (schwere Stiefel, Jeans mit Hosentrgern, sprunghaft, tendenziell paranoid) 31 sich von den modischen Verschnrkelungen des Acid Rock abwandten, hin zu Champion Ska, Rock Steady und Reggae. Die Skinheads, die aus dieser letzten Gruppe kamen, bildeten gegen Ende der Sechziger e ine identifizierbare Subkultur. In ihrer Haltung aggressiv proletarisch, puritanisch und chauvinistisch, kleideten sie sich in scharfem Kontrast zu ihren Mod-Vorgngern in einer einfachen Uniform, einer Art Karikatur des vorbildlichen Arbeiters: Brstenschnitt, Hosentrger, kurze, weite Levis Jeans oder praktische bgelfreie Hosen, einfarbige oder gestreifte Ben -Sherman-Hemden mit geknpften Kragenspitzen und auf Hochglanz polierte Doctor-Marten-Stiefel. Die Skinheads bertrieben systematisch alle offensich tlich proletarischen Elemente des Mod -Stils und unterdrckten gleichzeitig alle gedachten brgerlichen Einflsse (Anzge, Krawatten, Haarspray, gutes Aussehen). Die sich daraus ergebende Stilvariante knnte man als eine Aussage ber den gesamten Prozess der sozialen Mobilitt lesen, wie es Phil Cohen tut. Er interpretiert diese Stil-Umwandlungen dort im Sinne von Aufstiegs- und Abstiegsmglichkeiten: Whrend die Mods die Aufstiegsmglichkeiten erforschten, erkundeten die Skinheads das Lumpenproletariat. 32

Um eine noch schrfere Lumpenidentitt auszudrcken, schpften die Skinheads aus zwei scheinbar unvertrglichen Quellen: den Kulturen der westindischen Einwanderer und der weissen Arbeiterschaft. Auf der einen Seite pflegten sie eine ziemlich legendenhafte Vorstellung von der traditionellen Arbeitergemeinschaft mit ihren klassischen Interessen, ihrem feinen Gespr frs Revier, ihrem harten usseren und ihrem brbeissigen Machismo - ein Bild, das durch typische MittelschichtWahrnehmung verzerrt worden war. Auf der anderen Seite standen direkt aus der westindischen Einwanderergemeinschaft bernommene Elemente, besonders aus der Rude-Boy-Subkultur der schwarzen delinquenten Jugendlichen. Der visuelle Stil der Skinheads verkrperte gleichzeitig diese beiden sehr verschiedenen Traditionen, die sich gegenseitig berlagerten: der kurzgeschorene und saubergebgelte beltter-Look verdankte den Rude Boys mindestens ebensoviel wie den formalen und superharten mnnlichen Lumpen-Stereotypen, die in so vielen Darstellungen des SkinheadPhnomens betont worden sind. In solchen Darstellungen werden die schwarzen Einflsse meistens auf die Reggae -Musik beschrnkt und damit heruntergespielt, whrend die Skinheads tatschlich einzelne Teile i hrer Kleidung (Crombies - die ewig zu kleinen Hte, der Crop - die Skinheadbrste), ihres Slang und ihres Stils direkt von entsprechenden westindischen Gruppen bernahmen. Ich stimme daher zwar mit dem berein, was John Clarke und Tony Jefferson schrieben, dass dieser Stil in symbolischer Form einige Ausdrucksweisen der traditionellen Arbeiterkultur wiederbeleben wollte, aber die einzigartige und 33 paradoxe Manier, wie die Subkultur diese Wiederbelebung brachte, darf man dabei nicht vergessen. Die Skinheads kamen ja nicht nur auf den von Weissen dominierten Rngen der Fussballstadien zusammen, sie verkehrten auch in den rtlichen Jugendclubs und an der Strassenecke mit den Westindern; nur indem sie ihre Gewohnheiten kopierten, ihre Flche bernahmen und zu ihrer Musik tanzten, konnten sie das verlorene Gefhl der Arbeitergemeinschaft magisch zurckgewinnen. Damit haben wir eine drastische Demonstration jener These, die Stuart Hall und andere vorgebracht haben: auf der Stil-Ebene ist die Antwort der Subkultur eine Synthese jener Negations -, Adaptions- und Widerstandsformen, die von der Stammkultur und anderen Kulturen, die der Jugend nherstehen und spezifischer mit ihrer Situation und ihren Aktivitten zusammenhngen, entwickelt 34 worden sind. Als die Skinheads die von der etablierten Eltern -Kultur bernommenen Dinge (Kleidung und Wertsystem) in den Zusammenhang ihrer besonderen Generationsgruppe einbrachten, wandelten sie diese nicht bloss um, sondern untergruben sie in einigen Fllen auch radikal. Die endlos gedehnten Vokale von Alf Garnett, dieser absolute Inbegriff von Engstirnigkeit und rassistischer Arbeiterborniertheit, wurden weiter moduliert (und noch unterboten) durch das Gestammel der paar Brocken Jamaika-Slang, die jeder Skinhead, der etwas auf sich hielt, von Reggae-Scheiben und westindischen Arbeits- oder Schulkollegen aufgeschnappt hatte. Sogar die Uniform der Skinheads hatte usserst zweideutige Ursprnge. Das dialektische Zusammenspiel schwarzer und weisser Sprachen (Kleidung, Jargon, zentrale Interessen) drckte sich in den Stiefeln, den Hosen, dem ultrakurzen Brstenschnitt deutlich aus: eine auf der berschneidungslinie der zwei Welten komponierte Zusammenstellung, die beiden gemei nsame sthetische Themen verkrperte. Im Laufe der Zeit hatten sich die gewhnlich mit der weissen Arbeiterschaft, diesem defensiv organisierten Kollektiv, verbundenen Werte durch relativen Wohlstand und Zerstrung der physischen Umgebung, in der sie wurzelten, mehr und mehr verwssert. Als die Skinheads die traditionellen Arbeiterwerte jetzt wiederentdeckten, waren diese auf einmal ironischerweise von Einflssen der schwarzen westindischen Kultur umgeben. Fr die Skins hatten die Schwarzen eine gegen Verunreinigung gewappnete Kultur, die vor den direkteren Angriffen der dominanten Ideologie geschtzt schien. Zugang zum guten Leben blieb ihnen allein wegen ihrer Hautfarbe verwehrt. Ihre Rituale, ihre Sprache und ihr Stil boten Orientierungsmodelle fr je ne weissen Jugendlichen, die die scheinbaren Kompromisse der Nachkriegsjahre von ihren Eltern entfremdet hatten. So lsten (oder zumindest verringerten) die Skinheads die Spannung zwischen gelebter Gegenwart (dem gemischten Getto) und eingebildeter Vergang enheit (dem klassischen weissen Slum), indem sie einen Dialog in Gang setzten, der beide Teile durch den jeweils anderen sprechen liess. Aber diese Konversation an sich war wiederum problematisch: schliesslich benutzten die Skinheads das offensichtlichste Anzeichen gesellschaftlicher Vernderungen - die Prsenz der Schwarzen in traditionell weissen Arbeiterbezirken -, um die Kontinuitt mit einer gebrochenen Vergangenheit wiederherzustellen. Mit den Ausdrucksformen der Schwarzen die zerstrte Integritt wiedereinzusetzen, Widerstand zu leisten gegen andere, weniger sprbare Vernderungen, die die Struktur der traditionellen Gemeinschaft auf einer viel tieferen Ebene bedrohten (Verbrgerlichung, Mythos der Klassenlosigkeit, Zusammenbruch der Grossfamilie, Ersetzung der Gemeinschaft durchs Private, Eindringen von Wohlstandsbrgern ins Arbeitergebiet etc.) - das musste zwangslufig zu neuen Widersprchen fhren. Die Allianz zwischen weissen und schwarzen Jugendlichen war daher extrem unsicher und provisorisch. I nterne Konflikte

liessen sich nur dadurch vermeiden, dass man Gefahrenquellen stndig im Auge behielt (zum Beispiel die Verteilung weisser Mdchen), und andere, fremde Gruppen zu Sndenbcken machte (Schwule, Hippies und Asiaten). Besonders das Paki-Bashing, das Verprgeln von Pakistanis, kann man als Verdrngungsmanver lesen. Die durch begrenzte Identifizierung mit der einen schwarzen Gruppe erzeugten Spannungen und ngste verwandelten sich in Aggressionen und richteten sich gegen eine andere Gruppe von Schwarzen. Die Pakistanis mussten fr die brutale Zuwendung schwarzer wie weisser Skinheads herhalten, weil sie sich weniger leicht im Gastland assimilierten und sich nicht nur durch rassische Merkmale scharf absonderten, sondern auch durch religise Ri tuale, durch Essenstabus und ein Wertsystem, das gleichermassen Unterwrfigkeit, Gengsamkeit und Profitstreben begnstigte. Mit jedem Stiefeltritt gegen einen Pakistani wurde ein Widerspruch zugeschttet und vertuscht. Mit den herannahenden siebziger Jahr en liess sich die Verschmelzung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen weissen und schwarzen Kulturen immer schwerer aufrechthalten. Als zentrale Faktoren im Niedergang der Skinhead-Subkultur heben Ian Taylor und Dave Wall noch die weitere Verwsserung vieler Vorkriegsinstitutionen der Arbeiterschaft (eben jener, die die Skinheads wiederbeleben wollten) hervor: den Zusammenbruch des Arbeiter -Wochenendes, die Verbrgerlichung von Fussball und Freizeit im allgemeinen und die Sensibilisierung des 35 Konsumkapitalismus fr einen Markt, der klassenspezifischen Produkten offensteht. Zustzlich gab es im Reggae ideologische Verschiebungen, die weisse Jugendliche auszuschliessen drohten. Als die Musik sich offener rassischen T hemen und der Rastafaribewegung verschrieb, begannen die grundlegenden Widersprche an der Oberflche des Lebens aufzubrechen und auch in der Arena von Stil und sthetik zu explodieren, wo die beiden Gruppen ja ursprnglich ihre Waffenruhe geschlossen hatten. Als der Reggae sich immer mehr um seine eigenen schwarzen Belange kmmerte, verlor er nach und nach seine Anziehungskraft auf die Skinheads, die allmhlich abgedrngt wurden. Die Zeit des Abgangs fr diese Subkultur war gekommen, der Kreis von Werden und Veralten hatte sich fast schon geschlossen. Als entscheidendes Datum in der Naturgeschichte der Skinheads nennen Wall und Taylor den Sommer 1972, als die Skins sich mit anderen weissen Bewohnern des Toxteth Bezirks in Liverpool zusammentaten, um Einwanderer der zweiten Generation anzugreifen. Zumindest war es Anfang der siebziger Jahre so weit gekommen, dass die Skinheads sich unglubig abwandten, als sie die Rastas von den harmoniesuchenden Habenichtsen singen hrten, und den Singsang der DJs, die ihre schwarzen Brder anspornten, in der Nachbarschaft Gutes zu tun ... Als die Rudies ihre Reihen schlossen, muss es so ausgesehen haben, als htten sie auch die Seiten gewechselt und als wren die Tren fr die verblfften Skinheads doppelt verschlossen ... Der Reggae war aus den Kinderschuhen herausgewachsen und die Skinheads zu ewiger Adoleszenz 36 verdammt. GLAM UND GLITTER ROCK: ALBINO-TUNTEN UND SONSTIGE ABLENKUNGEN Die Abtrennung der schwarzen britischen Kultur whrend der frhen siebziger Jahre - fr Wall und Taylor durch das Auftauchen eines speziell auf den westindischen Markt gerichteten Magazins namens Black Music symbolisiert - brachte die weisse Arbeiterjugendkultur zu einer Art Stillstand. Schliesslich war kaum zu erwarten, dass I-Roy's (It's a) Black Man's Time, das unter jungen Schwarzen sehr beliebt war, weisse Jugendliche ansprechen konnte. Auf dem Transfer von Jamaika nach England, dem bersiedeln der Rastabewegung aus der Ursprungskultur in fremde Umgebung, wurden die feineren Unterscheidungen der Rasta -Ideologie abgeschliffen und ber Bord geworfen, ein Umstand, der es den Schwarzen bald nur zu leicht machte, ihre jugendlichen weissen Zeitgenossen mitsamt Lehrern, Polizei und Chefs als Babylon oder verr ckte Glatzkpfe (crazy baldheads) abzutun. Nur seinen eigenen Mitteln berlassen, tendierte der Pop zur Blutleere, zu ausdrucklosem Disco Gehopse und sssen Balladen. Der Glam Rock dagegen, diese Synthese zweier toter, beziehungsweise sterbender Subkulturen, begann, eine ausschliesslich weisse, von Soul und Reggae wegfhrende Fhrte zu verfolgen. Eine Fhrte, die (zumindest nach Meinung von Wall und Taylor) in die Klauen des Konsumkapitalismus fhrte, zu den selbstbezogenen europischen Besessenheiten, die weiter oben beschrieben sind. Besonders David Bowie mit seiner ganzen Serie tuntenhafter Inkarnationen (Ziggy Stardust, Aladdin Sane, Mr. Newton, dem thin white duke, und - eher deprimierend - the Blond Fuehrer) erlangte in den frhen Siebzigern ziemlichen Kultstatus. Ein massenhaftes jugendliches Publikum fhlte sich von ihm fasziniert. Und den Jugendlichen, die couragiert genug waren, die notorisch phantasielosen Stereotypen der Arbeiterschaft herauszufordern, schuf er mit seiner persnlichen Erscheinung eine Anzahl visueller Leitbilder, ein

neues, sexuell zweideutiges Image. Auf jedem Bowie-Konzert in trben Provinzkinos und viktorianischen Stadthallen tauchten ganze Schwrme verblffend hnlicher Bowie -Imitate auf, alle selbstbewusst-cool unter Schlapphten, die - zumindest bis die Einlasstren sich ffneten - leuchtend gefrbte Haare verdeckten: in Zinnober, Orange oder Scharlach mit goldenen und silbernen Streifen. Nervs stolzierten diese exquisiten Kreaturen auf Plateau -Schuhen oder latschten in Plastiksandalen aus den Fnfzigern herum (genau wie Bowie selbst auf seiner letzten Platten -Reklame), hielten die Zigarette genauso, zierten ihre Schultern im vorgeschriebenen Winkel. Ein Spiel des holden Scheins, der vorgegaukelten Identitt. Einige Kommentatoren der Rockszene, die Wert auf Authentizitt und oppositionellen Gehalt der Jugendkultur legten, fanden das peinlich oder fhlten sich geradezu abgestossen. Taylor und Wall ereiferten sich besonders ber Bowies angebliche Entmannung der Underground-Tradition: Bowie war effektiv ein Agent des konsumkapitalistischen Versuchs, eine abhngige Klasse von Heranwachsenden zu schaffen: passive Teenager-Konsumenten, die vor Erlangen des Erwachsenseins nur an Freizeitkonsum interessiert sind, anstatt eine Ju gendkultur von Personen zu bilden, die (egal, mit welcher Klassen- oder Kulturperspektive) Wert und Bedeutung des Heranwachsens und den bergang zur Welt der Erwachsenen und der Arbeit in Frage stellen. 37 Ganz sicher hatte Bowies Position keinerlei offensichtlich-politische oder gegenkulturelle Bedeutung, und diejenigen Botschaften, die er ber die Unterhaltungskanle schicken durfte, waren im grossen und ganzen abzulehnen (Hitler war der erste Superstar. Er hat es wirklich voll gebracht, laut Temporary Hoarding, einer Zeitschrift von Rock Against Racism). Nicht nur, dass Bowie offensichtlich an den aktuellen politischen und sozialen Zeitfragen oder am Leben der Arbeiterschaft generell vllig uninteressiert war, auch seine ganze sthetik grndete sich auf vorstzliche Ausgrenzung der realen Welt und der alltglichen Sprache, in der diese Welt gewhnlich beschrieben, erfahren und reproduziert wird. Was bei Bowie unterm Strich herauskam, hiess: Flucht. Flucht vor Klassen- und Geschlechtszugehrigkeit, vor Persnlichkeit, vor offensichtlichem Engagement - Flucht in eine phantastische Vergangenheit (das Berlin Christopher Isherwoods, bevlkert mit einem gespenstischen Haufen todgeweihter Bohemiens) oder in eine Science-Fiction-Zukunft. Wenn er auf die zeitgenssische Krise anspielte, dann auf versteckte, indirekte Weise, prsentiert in seltsam verwandelter Form als Totenwelt von Humanoiden, die er zweideutig pries und schmhte. Was Bowie (und die nachfolgenden Sex Pistols) betrifft, ko nnte es no future for you, no future for me geben (aus dem Song der Sex Pistols God Save tbe Queen). Und doch war es ihm zu verdanken, dass Fragen der sexuellen Identitt aufgeworfen wurden, die vorher in Rock und Jugendkultur unterdrckt, ignoriert oder nur am Rande erwhnt worden waren. Im Glam Rock - zumindest unter den Knstlern am anspruchsvolleren Ende des Glitterspektrums, wie Bowie und Roxy Music - verlagerte sich der subversive Akzent von der Betonung auf Klassen- und Jugendinteressen weg zu Sexualitt und Geschlechtszugehrigkeit. Ganz sicher war David Bowie im engagiert-politischen Wortsinn nicht emanzipiert oder sexuell befreit. Echtes berschreiten und Durchbrechen von sexuellen Rollenklischees war nicht sein Anliegen. Er zog Verkleidung und Dandytum vor - das was Angela Carter als den ambivalenten Triumph der Unterdrckten 38 beschrieb. Und doch stellten er und seine eifrigen Stilnachahmer Wert und Bedeutung des Heranwachsens und den bergang zur Welt der Erwachsenen und der Arbeit in Frage. Ihr Infragestellen war einzigartig und aussergewhnlich. Kunstvoll brachten sie die normalen Vorstellungen von Mnnlichkeit und Weiblichkeit durcheinander, die traditionell die Grundlage des bergangs von Kindheit zu Erwachsensein gebildet hatten. GEBLEICHTE WURZELN: UND WEISSE ETHNICITY Wenn ich diese Ketten und Wrgebnder an ihren Hlsen sehe, muss ich an die Fernsehserie Roots denken. (Mutter eines Punk in einem Interview in Woman's Own, 15. Oktober 1977) Punks sind Nigger. 39 (Richard Hell, Punk-Musiker, in New Musical Express, zg. Oktober 1977) Genau weil er diese grundlegenden Erwartungshaltungen durchbrach, entfernte sich der Glam Rock tendenziell von der Mehrheit der Arbeiterjugendlichen. Um die Mitte der siebziger Jahre waren die Fans in zwei unterschiedliche Fraktionen aufgeteilt. Die eine bestand fast ausschliesslich aus Teenyboppern, die den Glitter-Bands der Hauptrichtung folgten (Mark Bolan, Gary Glitter, Alvin Stardust). Die andere Fan-Fraktion aus lteren und selbstbewussteren Teenagern blieb weiterhin den anspruchsvolleren Knstlern wie Bowie, Lou Reed und Roxy Music ergeben. Deren extreme Geckenhaftigkeit, ihre zunehmend elitre Haltung und ihr morbider knstlerischer und intellekt ueller

Anspruch verhinderten wirksam das Entstehen einer massenhaften Anhngerschaft. Dazu kam, dass diese Gruppen sich immer mehr von den weltlichen, banalen Interessen und den Angelegenheiten des jugendlichen Alltags ablsten und sich so - obwohl diese Diskrepanz, dieses abgelste Schweben anfangs ihre Attraktivitt ausgemacht hatte - schliesslich auch von den Jugendlichen selbst entfernten. Die sthetik des Punk, die sich in der immer breiter werdenden Kluft zwischen Knstlern und Publikum manifestierte, kann somit als ein Versuch gesehen werden, die impliziten Widersprche des Glam Rock freizulegen. Zum Beispiel waren der Arbeiter-Look und die Gammeligkeit und Derbheit der Punks das direkte Gegenstck zur Arroganz, Eleganz und Weitschweifigkeit der Super stars des Glam Rock. Das schloss jedoch nicht aus, dass beide Formen gewisse Gemeinsamkeiten hatten. So beanspruchte Punk zwar, fr die vernachlssigten jugendlichen Anhnger der weissen Unterschicht zu sprechen, tat das aber in der typischen gestelzten Sp rache von Glam und Glitter Rock. Bei ihnen kehrte der Typus Arbeiterklasse in metaphorisch berhhter Darstellung wieder: hohlwangig, in Ketten, mit schmutzigen Klamotten (fleckige Jacketts, durchsichtig nuttige Blusen) und rauhbeiniger Gassensprache. Die hoffnungslose Generation, von der Gesellschaft als Nullen bewertet 40 (Richard Hell im New Musical Express), nahm Zuflucht zur Parodie. Durch ein Sortiment untergrndig komischer Zeichen symbolisierte sie sich in Knechtschaft: Ledergurte, Ketten, biedere Jacketts und steife Posen. So waren die proletarischen Akzente der Punks von Ironie durchdrungen. Punk kann damit als ein bewusst kritzelig hingeschmierter Nachtrag zum Text des Glam Rock gelesen werden. Ein Nachtrag, der den extravagant schmuckvollen Stil des Glam Rock durchstossen sollte. Die Gassensprache des Punk, seine fixen Ideen von sozialer und klassenspezifischer Relevanz waren ausdrcklich dazu bestimmt, die intellektuelle Posiererei der vorangehenden Generation von R ockMusikern zu unterlaufen. Die mit dieser Reaktion vollzogene Wendung brachte die New Wave wieder dem Reggae und den damit verwandten Stilen nher, die der Glam Rock ursprnglich ausgeschlossen hatte. Der Reggae zog all jene Punks an, die ihrer Entfremdu ng sprbaren Ausdruck verleihen wollten. Er verkrperte die ntigen politisch markanten berzeugungen, die der meisten zeitgenssischen weissen Musik so offensichtlich fehlten. Ganz besonders das Konzept des Dread war ein beneidenswerter Vorzug der Rastas. Es war genau das richtige Mittel zum Bedrohen und Schockieren. Und die ausgetftelte Geheimbndelei, mit der es in Gang gehalten und auf der Strasse kommuniziert wurde - Farben, Rasta-Locken, RastaJargon - war ehrfurchtgebietend und bedrohlich; sie vermittelte ein Bild undurchlssiger Solidaritt und im Leid geborener Askese. Das Konzept des Dread war der Schlssel zu einer ganzen Geheimsprache: ein exotisches semantisches Innenleben, unwiderruflich abgeschottet gegen weisse, christliche Sympathien (das heisst: Schwarze sind genau wie wir), das gleichzeitig durch seine schiere Existenz die schlimmsten weissen chauvinistischen ngste besttigte (das heisst: Schwarze sind ganz anders als wir). Aber paradoxerweise bte der Reggae gerade mit der Exklusivitt des schwarzen westindischen Stils, der authentische weisse Identifikation praktisch unmglich machte, seine grsste Anziehungskraft auf die Punks aus. Die klumpige Sprache des Rastafarianismus war bewusst undurchsichtig wie der Jargon der Jamaika-Sklaven, den diese ja jahrhundertelang jenseits der Verstndnismglichkeiten des weissen Master gesprochen hatten. Diese Sprache stellte selbst fr die geneigtesten weissen Ohren ein undurchschaubares Rtsel dar. Und auch die im Reggae zelebrierte Verherrlichung thi opiens und der Ruf Back to Africa machten gegenber den Empfindlichkeiten eines weissen Publikums keinerlei Zugestndnisse: Reggae war einzig und allein fr Schwarze da ein vllig fremdes Wesen, ein Fremdkrper, der die Hauptstrmung der britischen Kultur durch seine undurchschauten Gefahren von innen heraus bedrohte. Und als solcher stand Reggae im Einklang mit den vom Punk aufgestellten Werten: Anarchie, Kapitulation und Untergang. Dass die Punks aus einer so eklatanten Verleugnung der gesamten britischen Nationalidentitt eine positive Bedeutung herausschlugen, kam einem symbolischen Akt des Verrats gleich, der das vom Punk selbst verfolgte frevelhafte Programm gut ergnzte, ja sogar vervollstndigte (zum Vergleich: Anarchy in the U. K. und God Save the Queen von den Sex Pistols; Jordans Version von Rule Britannia in Derek Jarmans Film Jubilee). Die

Punks kapitulierten vor der Entfremdung, verloren sich in den ungewohnten Umrissen einer fremden Form. So ermglichten dieselben Faktoren, die in den spten Sechzigern den Rckzug der Skins bedingt hatten, ein Jahrzehnt spter die Beteiligung der Punks. Genau wie Mods und Skinheads indirekt das coole Aussehen und Feeling der westindischen Rude Boys reproduziert und sich wie diese im selben idealen Milieu bewegt hatten (in der Grossstadt, im gewaltttigen Slum), so kann auch die sthetik des Punk zum Teil als eine weisse bersetzung schwarzer Etlinicity (ethnischer Identitt) gelesen werden. Diese weisse Ethnicity setzte sich aus lauter Widersprchen zusammen. Auf der einen Seite drehte sie sich -wenn auch ketzerisch und schmhend um traditionelle Vorstellungen des britischen Wesens (Queen, Union Jack etc.). Sie war lokal orientiert, ging von den erkennbaren Schaupltzen der britischen Innenstdte aus, sprac h im Dialekt der Stdte. Aber auf der anderen Seite stand die Ablehnung und Verleugnung jeder Zugehrigkeit zur Britishness. Die ethnische Identitt der Punks kam aus namenlosen Sozialbauten, anonymen Arbeitslosenschlangen, unbekannten Slums. Sie war leer, ausdruckslos, ohne Wurzeln. In dem Punkt unterschied sich die Subkultur des Punk von den westindischen Stilformen, die das Ausgangsmodell gestellt hatten. Die schwarze Grossstadtjugend konnte sich mit dem Reggae in eine andere Welt, ein Phantasiereich jenseits der Weissen versetzen, aber die Punks blieben unausweichlich an das Hier und Jetzt gekettet, gebunden an ein England, das keine voraussehbare Zukunft hatte. Doch diese Schwierigkeit konnte auf magische Weise umgangen werden. Mit einem einfachen Z aubertrick liessen sich die Koordinaten von Zeit und Raum auflsen, berschreiten, in Zeichen verwandeln. So kam es, dass die Punks der Welt eine tote weisse Fratze zukehrten, die zugleich da und nicht da war. Wie die Mythen von Roland Barthes hatten diese gemordeten Opfer - sinnentleert und unbeweglich - auch ein Alibi, ein Anderswo, eines, das buchstblich gemacht war: aus Vaseline und Schminke, aus Haarfrbemitteln und Wimperntusche. Aber bei den Punks war dieses Anderswo paradoxerweise ein Nirgendwo - eine Dmmerregion, eine aus Negativitt gezimmerte Welt. Wie Andr Bretons Dadaismus stiess auch der Punk scheinbar alle Tren auf, aber diese Tren fhrten auf einen kreisfrmigen Wandelgang. Einmal innerhalb dieses entweihten Zirkels gelandet, war der Punk fr alle Zeiten dazu verdammt, seine Entfremdung in allen erdenklichen Formen auszuleben und darzustellen. Zu allen offiziellen Archetypen der Krise des modernen Lebens mussten entsprechende Gegenstcke produziert werden: zu den Arbeitslosenzahlen, der Wirtschaftskrise, den Wahnsinnsautobahnen, dem Fernsehen ... Einmal in ikonenhafte Bilder umgesetzt (Sicherheitsnadeln, zerrissene Klamotten, stumpfsinnig ausgemergelte und hungrige Blicke), konnten diese Musterbeispiele der Krise ein Doppelleben f hren - fiktional und real zugleich. In berhhter Form reflektierten sie einen von den Punks empfundenen Zustand: einen Zustand vlliger Isolierung und Entfremdung, den sie in ein freiwilliges Exil umsetzten. Aber whrend Exil im Zusammenhang des Rastafa rianismus und der Geschichte der Schwarzen eine spezifische (wenn auch magische) Lsung bedeutete, konnte es in der metaphorischen Anwendung auf die weisse britische Jugend nur einen hoffnungslosen Zustand ausdrcken. Weder konnte es ihr eine Zukunft versprechen, noch ihr die Vergangenheit nherbringen. Eingesperrt in eine gttliche Unterordnung wie der Heilige Genet in Sartres berhmtem Essay, der sich sein gndiges Schicksal selbst auswhlt, kostmierten und verstellten sich die Punks, besessen dana ch, sich selbst als Karikaturen wiederauferstehen zu lassen. Sie motzten ihr Schicksal in seinen wahren Farben auf, ersetzten Hunger durch Magersucht (die hohlwangige, unterernhrte Pose) und schillerten mit ihrem Vogelscheuchen-Look zwischen Armut und Eleganz hin und her: Haare ungekmmt - aber sorgfltig frisiert. Nachdem der Punk in zerbrochenen Glasscherben sein angemessenes Ebenbild gesehen, durch die Lcher in absichtlich zerrissenen T-Shirts gesprochen und Schande ber seinen Familiennamen gebracht hatte, fand er sich wieder an seinen Ausgangspunkt zurckgeworfen: ein Lebenslnglicher in Einzelhaft. In der musikalischen Form der Verbrderung von Punk und Reggae fanden sich diese Widersprche buchstblich re-prsentiert. Auf der einen Ebene bekannten die Punks offen die Wichtigkeit von Berhrungspunkten und Austausch und steigerten die kulturelle Verbindung gelegentlich sogar zum politischen Engagement. So spielten zum Beispiel viele Punk-Gruppen eine prominente Rolle in der Rock-Against-Racism-Kampagne, die den zunehmenden Einfluss der rechtsextremen National Front in den Arbeiterbezirken bekmpfte. Aber auf der anderen, tieferen Ebene scheinen die Punks diese Verbrderung unterdrckt und in die Konstruktion einer Musik verschoben zu haben, die betont w eiss und noch strker britisch war. Im Endeffekt hat der Punk gewisse Merkmale direkt von den westindischen Rude- und Rasta-Stilen geklaut. Ein gutes Beispiel dafr ist die Punk -Peitsche: steif hochstehende Haare, gehalten durch

Vaseline, Spray oder Seife, die dem schwarzen Dreadlock-Stil ziemlich nahe kam. Einige Punks trugen die Farben der thiopischen Flagge, und auch die Sprache der Rastas konnte sich ihren Weg ins Repertoire einiger Punk-Gruppen bahnen. Besonders die Clash und die Slits webten ReggaeSlogans und -Themen in ihr Material ein, und die Reggae -Gruppe Culture brachte ein Stck heraus, das die bevorstehende Apokalypse beschrieb; es trug den Titel When the Two Sevens Clash, der in erlauchten Punk-Zirkeln zu so etwas wie einem geflgelten Wort wurde. Einige Punk-Gruppen (zum Beispiel The Clash, Alternative T. V.) bauten Reggae-Stcke in ihre Auftritte ein, und aus der Liaison entstand eine neue Zwitterform, der Punk Dub. (Punk Dub besteht aus einer Reihe unabhngig voneinander aufgenommener und spter ohne perfekte Synchronisierung bereinanderkopierter Tonspuren, zum Beispiel Elvis Costellos Watching the Detectives.) Schon von Anfang an, seit den ersten Treffen der Punks im Roxy Club im Londoner Covent Garden, hatte der Heavy Reggae eine privilegierte Position innerhalb der Subkultur eingenommen: als die einzig geduldete Alternative zu Punk, als eine Art Abwechslung, Entspannung vom rasend-hektischen Sturm-und Drang-Sound der New Wave Musik. Auf den Plattentellern vieler PunkClubs drehten sich zwischen den Live-Auftritten die anspruchsvolleren Jamaika -Importe - zum Teil aus praktischen Grnden (in der Frhzeit war Punk noch nicht in Rillen gepresst), zum Teil auch mit Bedacht: weil Reggae -Musik ganz klar RebellenMusik war. Die offene Identifikation der Punks mit schwarzer britischer und westindischer Kultur versetzte die Revival-Teddy-Boys in Rage, und die im Sommer 1977 allabendlich auf der King's Road ausgefochtenen Schlachten zwischen Punks und Teds lieferten den schlagenden Beweis fr die fundamentalen Spannungen zwischen den beiden Subkulturen. Rockin' Mick, ein neunzehnjhriger Teddy Boy, kostmiert in schwarzen Wildlederschuhen und leuchtfarbenen Socken, mit Sprchen wie Konfderierten-Rock und Gene Vincent lives auf der Jacke, gestand am 5. Juli des Jahres einem Reporter des Evening Standard, dass der mangelnde Patriotismus der Punks ihn ankotze, und fgte hinzu: Wir sind ja nicht gegen die Schwarzen, sagen wir mal einfach, wir sind nicht fr sie ... Aber trotz der starken Verwandtschaft von Punk und Reggae blieb deren Integritt gewissenhaft beibehalten. Die Punk-Musik war weit davon entfernt, Form und Klang des Reggae direkt zu kopieren, vielmehr neigte sie wie alle anderen Aspekte des Punk -Stils dazu, sich in genauer Gegenrichtung zu ihren augenscheinlichen Quellen zu entwickeln. Reggae und Punk standen in unberhrbarem Gegensatz zueinander. Wo Punk die Hhen betonte, kam beim Reggae der Bass, wo Punk frontale Angriffe gegen die etablierten Bedeutungssysteme vom Stapel liess, kommu nizierte der Reggae mit Aussparungen und in Anspielungen. Die starre, geradezu eigenwillige Weise, in der diese beiden Musikformen auseinandergehalten wurden, knnte uns sogar auf eine verborgene Identitt hinweisen, die wiederum als Veranschaulichung bergreifender Interaktionsmuster zwischen Einwanderer- und Gastlandgruppen dienen kann. Um einen Begriff aus der Semiotik zu gebrauchen, knnten wir sagen, Punk beinhalte Reggae als eine anwesende Abwesenheit - ein schwarzes Loch, um das herum Punk sich konstituiert. Metaphorisch lsst sich das auch auf weitergehende Probleme von Rassen und Rassenbeziehungen ausweiten. Wir knnten daher sagen, dass die Demarkationslinie zwischen Punk Rock und Reggae nicht nur fr eine der Punk-Subkultur eigene Identittskrise symptomatisch ist, sie ist auch bezeichnend fr jene allgemeineren Widersprche und Spannungen, die verhindern, dass sich zwischen stark ethnischen Einwanderungsgruppen und den sie praktisch umschliessenden einheimischen Arbeiterkulturen ein Dialog entfa ltet. Wir knnen nun zur Untersuchung der Bedeutung jener heiklen Beziehung zwischen den Rock - und Reggae-Merkmalen der Punk-Musik zurckkehren. Wir haben gesehen, wie das kmpferische Beharren des Punk auf sozialer und klassenspezifischer Relevanz sich zu mindest teilweise von den therischen Exzessen des Glam Rock herleitete, und dass die besondere Form dieses Beharrens (die unstete sthetik, eine einzigartige Musik) indirekt ebenso von den Subkulturstilen der schwarzen Einwanderergruppen beeinflusst war. Diese dialektische Bewegung von Weiss zu Schwarz und wieder zurck ist aber keinesfalls nur auf die Subkultur des Punk beschrnkt. Wie wir gesehen haben, ist im Gegenteil in allen Stilen der Arbeiterjugendsubkulturen der Nachkriegszeit die gleiche Bewegung eingefangen. Genauer gesagt: diese Bewegung durchluft die gesamte Entwicklung der Rockmusik (vorher des Jazz) seit Mitte der fnfziger Jahre; sie diktiert jede der aufeinanderfolgenden Verschiebungen in Rhythmus, Stil und Texten. Wir sind jetzt in der Lage, diese Dialektik zu beschreiben. Sobald die Musik und die von ihr untersttzten und reproduzierten Subkulturen feste und identifizierbare Strukturen annehmen, entstehen neue Subkulturen, die entsprechende Abwandlungen in der Musikform verlangen. Diese Abwandlungen wiederum treten immer dann auf, wenn aus der zeitgenssisehen schwarzen Musik

bernommene Formen die existierenden musikalischen Strukturen aufbrechen (oder wenn sie zu dominant werden) und ihre Elemente in neue Anordnungen zwingen. Zum Beispiel frderte die Stagnation des Rock in den frhen sechziger Jahren (kraftloser High-School Bop, romantische Balladen, effekthascherische Instrumentalisierung) die Abwanderung der Mods zu Soul und Ska. Und als in der Folge wei Rhythm & Blues- und Soul-Bands schwarze Themen und Rhythmen wiederaufnahmen, fhrte das zur Wiederbelebung des Rock in der Mitte der sechziger Jahre. hnlich war es beim bergang von Glam und Glitter Rock zum Punk. Als der Glam Rock seine Ausdrucks und Variationsmglichkeiten erschpft hatte, trieben die Punks die Musik zurck zu frheren, kraftvolleren Rockformen (das heisst zu den Fnfzigern und Sechzigern Zeiten starker schwarzer Einflsse), und vorwrts zum zeitgenssischen Reggae (Dub, Bob Marley), um eine Musik zu finden, die ihre Gefhle der Frustration und Unterdrckung angemessener ausdrcken konnte. Aber wie in der Musik, so scheinen auch in den anderen Aspekten des Punk -Stils die Abwandlungen der vorgefundenen Themen willkrlich, geradezu konstruiert zu sein. Vielleicht gibt es einfach keine glatte Synthese zwischen den zwei Sprachen von Rock und Reggae, wenn man ihre Unterschiede bedenkt. Der fundamentale Mangel an bereinstimmungsmglichkeiten zwischen den beiden Stilen (Kleidung, Tanz, Jargon, Musik, Drogen, Stil, Geschichte), der mit dem Auftauchen der schwarzen Ethnicity im Reggae zum Ausdruck kam, produziert eine besonders unstabile Dynamik innerhalb der Punk-Subkultur. Diese Spannung hat dem Punk seine sonderbar erstarrten Merkmale, seinen gelhmten Ausdruck, seine Dumpfheit gegeben, die in den weichen, gegossenen Formen von Plastik und Gummi, den Fesseln und den roboterhaften Bewegungen ihren Ausdruck fanden, die gegenber der Aussenwelt als Zeichen fr Punk stehen. Denn im Herzen der Punk-Subkultur liegt diese erstarrte dialektische Bewegung zwischen Schwarz und Weiss fr immer eingesperrt - eine Dialektik, die jenseits eines bestimmten Punktes unfhig ist zur Erneuerung, gefangen in ihrer eigenen Geschichte, eingekerkert zwischen ihren eigenen unauflsbaren Widersprchen.

DIE FUNKTION DER SUBKULTUR Die jugendlichen Subkulturen sind bisher als eine Serie mittelbarer Antworten auf die Existenz einer betrchtlichen schwarzen Bevlkerungsgruppe in England beschrieben worden. Wie wir sahen, ldt die Nachbarschaft der beiden Positionen - weisse Arbeiterjugend und Schwarze - geradezu zur Identifikation ein. Ja, sogar wenn diese Identifikation unterdrckt oder offen bekmpft wird, ben die Formen der schwarzen Kultur (zum Beispiel die Musik) weiterhin einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung jedes einzelnen der subkulturellen Stile aus. Es ist nun an der Zeit, das Verhltnis zwischen diesen aufflligen Subkulturen und jenen anderen Gruppen (Eltern, Lehrer, Polizei, ordentliche Jugendliche) und Kulturen (erwachsene Arbeiter- und Mittelklassenkulturen) zu erkunden, gegen die sie sich vorgeblich absetzten. Noch immer neigen die meisten Autoren dazu, dem Gegensatz zwischen jung und alt, zwischen Kindern und Eltern bermssige Bedeutung beizumessen. Dabei berufen sie sich auf jene Riten des Wandels, die sogar in den primitivsten Gesellschaftsformen normalerweise den bergang von Kindheit zu Erwachsensein markieren. Diesen Darstellungen fehlt jede Vorstellung historischer Besonderheiten, jede Erklrung, warum diese besonderen Formen just zu diesem besonderen Zeitpunkt auftreten. Es ist zu einer Art Klischee geworden, von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als einer Periode grossartiger Umwlzungen zu sprechen, whrend der die traditionellen Lebensformen zur Seite gefegt wurden, um einem neuen, weniger klassenspezifischen System Platz zu machen. Die Soziologen haben sich besonders ausfhrlich mit der Auflsung der Arbeiterklassengemeinschaft beschftigt und gezeigt, dass die Zerstrung der traditionellen Umgebung lediglich ein Anzeichen von tieferen und weniger greifbaren Vernderungen gewesen ist. Wie John Berger betont, sind die Kennzeichen der Umgebung nicht nur geographisch, sondern auch biographisch und persnlich wichtig, und das Verschwinden der gewohnten Umgebungsmerkmale nach dem Krieg kndigte den Zusammenbruch einer ganzen Lebensweise an. 41 Aber in Wirklichkeit verschwanden die Klasseneinteilungen nicht, ungeachtet der zuversichtlichen Beteuerungen von Politikern, die behaupten, die Gesellschaf t sei nun auf dem Wege zu einem neuen Zeitalter unbegrenzten Wohlstands und gesicherter Chancengleichheit. Allerdings vernderte sich sehr drastisch die Art und Weise, wie Klassenspezifik gelebt wurde - also die Formen, mit denen sich

klassenspezifische Erfahrung in Kultur ausdrckte. Das Aufkommen der Massenmedien, Vernderungen in den Familienstrukturen, in der Organisation von Schule und Arbeit und Verschiebungen im relativen Status von Arbeit und Freizeit - all das trug seinen Teil dazu bei, die Gemeinschaft der Arbeiterklasse zu polarisieren und zu zersplittern und eine Reihe von Diskursen am Rande der weiten Grenzen von Klassenerfahrung zu etablieren. Die Entwicklung der Jugendkultur muss genau als ein Teil dieses Polarisierungsprozesses gesehen werden. insbesondere waren es Faktoren wie der relative Kaufkraftanstieg der Arbeiterjugendlichen und der neue Markt, der diesen berschuss abschpfen sollte, sowie Vernderungen im Schulsystem, die nach dem Krieg zum Entstehen eines Generationsbewusstseins beitrugen. Dieses Bewusstsein war zwar noch in Klassenerfahrungen verwurzelt, aber es drckte sich in Formen aus, die von den traditionellen abwichen und in einigen Fllen sogar kontrr zu ihnen standen. Man hat jedoch erst vor ziemlich kurzer Zeit das Fortdauern von Klassenerfahrung als bedeutsame Kategorie anerkannt. Wie wir sehen werden, sind neuerdings einige Autoren sogar soweit gegangen - bestrkt vom scheinbar spontanen Aufbrechen aufflliger Jugendstile -, von der Jugend selbst als einer Klasse zu sprechen, sozusagen in der Jugend eine Gemeinschaft gleicher Teenager-Konsumenten zu sehen. In den sechziger Jahren verffentlichte Peter Willmott seine Untersuchung ber die Spannweite kultureller Mglichkeiten von Arbeiterjugendlichen in Londons East End (Ado lescent Boys in East London). Willmott stellte fest, dass die Vorstellung einer vllig klassenlosen Jugendkultur eine unausgegorene und unhaltbare These sei. Nach seinen Beobachtungen waren nmlich alle Freizeitstile, zu denen jugendliche Zugang haben, geformt von den einer Klassengesellschaft eigenen Gegenstzen und Trennungen. Phil Cohen hat in der Nachfolge detaillierte Untersuchungen darber angestellt, wie sich in Freizeitstilen (die letztlich zum grossen Teil ihren Ursprung im Londoner East End hatten) klassenspezifische Erfahrungen ausdrcken. Sein Interesse galt weiterhin den Verbindungen zwischen Jugend- und Elternkulturen, und er interpretierte die verschiedenen Jugendstile als abschnittsweise Anpassungen an Vernderungen, die die gesamte East End Gemeinde zerrissen hatten. Er definierte Subkultur als eine Kompromisslsung zwischen zwei gegenstzlichen Bedrfnissen: dem Bedrfnis, Unabhngigkeit und Verschiedenheit von der Elternkultur auszudrcken ... und dem Bedrfnis, die elterliche Identifikation zu bewahren. 42 In seiner Analyse interpretierte Cohen die Stile von Mods, Teds und Skinheads als Versuche, zwischen Erfahrung und Tradition, zwischen Gewohntem und Neuem zu vermitteln. Fr ihn hatte Subkultur die latente Funktion ... diejenigen Widersprche auszudrcken und - wenn auch magisch - zu lsen, die verborgen oder ungelst in der Eltern-Kultur verblieben sind. 43 So versuchten zum Beispiel die Mods, in einer imaginren Relation die Exis tenzbedingungen der sozial mobilen Angestellten zu erlangen ... (whrend) ... ihr Jargon und ihre rituellen Formen ... viele der traditionellen Werte der 44 Eltern-Kultur betonten. (P. Cohen) Somit gab es schliesslich eine Sehweise, die das komplette Zusammenspiel der auf die Subkultur einwirkenden ideologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren unter die Lupe nahm. Weil Cohen seine Theorie auf ethnographische Detailforschung sttzte, konnte er klassenspezifische Kategorien auf einem wesentlich anspruchsvolleren Niveau als seine Vorgnger in seine Analyse einbringen. Statt Klasse als eine abstrakte Menge rein usserer Bedingungen darzustellen, zeigte er, wie sie sich als eine materielle Kraft - gekleidet in Erfahrung und zur Schau gestellt im Stil - in der Praxis auswirkte. Man konnte ganz konkret erkennen, wie im Schnitt einer Mod-Jacke, in den Sohlen eines Teddy-Boy-Schuhes das Rohmaterial der Geschichte gebrochen, aufgefangen und behandelt wurde. Klassen- und Sexualittsngste, die Spannungen zwischen Konformitt und Abweichung, Familie und Schule, Arbeit und Freizeit - alles eingefroren in einer Form, die zugleich sichtbar und undurchsichtig war. Cohen ermglichte mit seiner Analyse eine Rekonstruktion dieser Geschichte - er durchdrang die Hlle des Stils und malte dessen verborgene Bedeutungen aus. Noch heute stellt Cohens Arbeit fr eine Deutung subkultureller Stile das angemessenste Modell dar. Jedoch war er gezwungen (um Bedeutung und Wichtigkeit von Klassenbesonderhe iten zu unterstreichen), vielleicht ein bisschen zu viel Gewicht auf die Verbindungen zwischen Jugend- und Erwachsenenkulturen der Arbeiterklasse zu legen. Es gibt genauso auch grosse Unterschiede, deren Bedeutung man sehen und anerkennen muss. Wie wir sahen, hatte sich in der Nachkriegszeit ja tatschlich so etwas wie ein Generationsbewusstsein unter den Jugendlichen herausgebildet, und selbst in den Bereichen, wo Erwachsene und Kinder bestimmte Erfahrungen teilten, gingen diese beiden Gruppen damit anders um, interpretierten sie anders und drckten sie anders aus. Whrend es also offensichtlich Punkte gibt, an denen die Lsungsstrategien von Heranwachsenden und Erwachsenen sich annhern und berschneiden, sollten wir bei der Behandlung besonders aufflliger

Subkulturen deren Lsungen keine so absolut auf die Elternkultur reduzierte Herkunft zuschreiben. Und wenn wir versuchen, Stile der Subkultur an den hervorbringenden Zusammenhang anzubinden, sollten wir vorsichtig genug sein, die Berhrungspunkte zwisc hen der altehrwrdigen Arbeiterkultur und den hier behandelten (im wesentlichen randstndigen) Formen nicht berzubewerten. Zum Beispiel die Skinheads: Sie bernahmen nachdrcklich die alten Werte der berlieferten Arbeitergemeinschaft, taten das aber eben angesichts der weitverbreiteten Verleugnung dieser Werte in der Elternkultur und zu einem Zeitpunkt, als man eine solche Bekrftigung der klassischen Ausdrucksformen der Arbeiterklasse nicht mehr fr angemessen hielt. hnlich sah es bei den Mods aus: sie hatten Vernderungen und Widersprche zu berwinden, die zur gleichen Zeit auch ihre Eltern betrafen, taten das aber mit den Ausdrucksmitteln ihrer eigenen, relativ autonomen Betroffenheit - indem sie ein Anderswo in die Welt setzten (die Wochenendausflipps, die Londoner Innenstadt), das sich gegen die gewohnten Schaupltze von Home, Pub, Working Man's Club und Nachbarschaft absetzte. Wenn wir das Augenmerk weniger auf die Fehlklnge und Brche zwischen Subkultur und Elternkultur und zu sehr auf Integration und Zusammenhalt richten, laufen wir Gefahr, die besondere Art und Weise zu missachten, mit der subkulturelle Formen Gruppenerfahrungen kristallisieren, objektivieren und kommunizieren. So drfte es uns zum Beispiel schwerfallen, in der Subkultur des Punk irgendwelche symbolischen Versuche zu entdecken, einige der zerstrten verbindenden Elemente der EIternkultur wiederzuerwecken (P. Cohen) - ausser natrlich dem simplen Faktum der Zusammengehrigkeit als solcher: dem sichtbaren Ausdruck einer usserst strukturierten, enggeschlossenen Gruppenidentitt. Die Punks schienen eher eine Parodie auf Soziologenschlagwrter wie Entfremdung und innere Leere anzustimmen. In ihrer berdrehten und eigenwilligen Manier verwirklichten sie schlimmste Voraussagen schrf ster Sozialkritiker und feierten mit heroischen Spottgebrden den Tod der Gemeinschaft und den Zusammenbruch der traditionellen Bedeutungsformen. Ich kann deswegen Cohens Theorie der Subkultur-Stile nur bedingt zustimmen und werde spter das Verhltnis zwischen Eltern- und Jugendkultur neu berdenken, wenn ich nher auf den Gesamtprozess von Bedeutungsschaffung in Subkulturen eingehe. An dieser Stelle aber sollten uns die bisherigen Einwnde gegen Cohens Theorie nicht von ihrer umfassenden Bedeutung ablenke n. Denn ohne bertreibung lsst sich sagen, dass die Vorstellung von Stil als einer verschlsselten (kodierten) Antwort auf gesamtgesellschaftliche Vernderungen die Erforschung spektakulrer Subkulturen buchstblich von Grund auf verwandelt hat. Viele der in Resistance Through Rituals (Stuart Hall) durchgefhrten Untersuchungen basierten auf der Grundannahme, dass Stil auf diese Weise zu lesen sei. Unter Verwendung von Gramscis Hegemonie-Konzept interpretierten die Autoren die Abfolge von Jugendkulturen als symbolische Widerstandsformen - als auffllige Symptome einer umfassenderen und im allgemeinen unter den Tisch gekehrten Unzufriedenheit, die fr die Nachkriegszeit charakteristisch war. Diese Lesart von Stil erffnet natrlich ein weites Feld von Fragen, die genauere Untersuchung herausfordern. Fangen wir an mit dem Begriff der Spezifitt. SPEZIFITT: ZWEI ARTEN VON TEDDY BOYS Wenn wir uns die Kultur-Definition von Resistance Through Rituals (Stuart Hall) als Ausgangspunkt nehmen (Kultur ist die Ebene, auf der soziale Gruppen deutlich unterscheidbare Lebensformen entwickeln und ihren gesellschaftlichen und materiellen Erfahrungen eine ausdrucksvolle Form verleihen) 45, dann erkennen wir, dass sich in jeder Subkultur eine andere Handhabung des Rohmaterials gesellschaftlicher Existenz verkrpert. Aber: Was genau ist dieses Rohmaterial? Karl Marx schreibt dazu: Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stcken, nicht unter selbstgewhlten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und berlieferten Umstnden. 46 In Wirklichkeit kann also das Material (das heisst die sozialen Verhltnisse), das ununterbrochen in Kultur (und somit auch Subkultur) umgewande lt wird, niemals vllig roh sein. Denn es ist immer in einem Vermittlungsprozess entstanden: gebrochen durch den zugehrigen historischen Kontext und aufgebaut auf ein spezifisches ideologisches Umfeld, das ihm sein jeweiliges Eigenleben und seine besondere Bedeutung verleiht. Solange man nicht das berholte Klischee von der Arbeiterklasse als dem unumstsslichen Trger absoluter trans-historischer Wahrheit bemhen will, drfte klar sein, dass die Reaktionen von Subkulturen weder unfehlbar korrekte Aussagen ber kapitalistische Verhltnisse sind, noch dass sie notwendig auf irgendeine direkte Weise mit ihrer materiellen Stellung im Kapitalismus in Verbindung stehen. Auffllige Subkulturen sind per Definition Ausdruck imaginrer Verhltnisse. Das Rohmaterial ihres Gebudes ist real und ideologisch zugleich. Die Mitglieder einer Subkultur empfangen es durch Vermittlung einer Vielzahl von Kanlen: Schule, Familie, Arbeit, Medien usw. Und dieses Material unterliegt ausserdem

historischen Vernderungen: jede subkulturelle Einrichtung stellt die Lsung fr ganz bestimmte (historische) Umstnde dar, fr ganz bestimmte Probleme und Widersprche. Die Lsungen der Teds und Mods zum Beispiel waren Antworten auf jeweils verschiedene Umstnde, die sie in unterschiedliche Beziehungen zu bestehenden Verhltnissen brachten (Einwandererkulturen, EIternkultur, andere Subkulturen, die vorherrschende Kultur). In der Geschichte der Teddy-Boy-Subkultur gab es zwei grssere Zeitabschnitte: die fnfziger und die siebziger Jahre. Die Teds der spteren Periode nahmen zwar die gleiche Haltung gegenber den schwarzen Einwanderergruppen ein wie ihre Gegenstcke aus den Fnfzigern, aber ihre Beziehung zur Elternkultur und zu anderen Subkulturen unterschied sich von der ihrer Vorlufer. Die frhen fnfziger und die spten siebziger Jahre hatten gewisse offensichtliche Gemeinsamkeiten: die Begrifflichkeiten von Entbehrung und Krise waren zwar nicht identisch, aber hnlich, und - was wichtiger ist - beide Perioden waren beherrscht von Befrchtungen ber den negativen Einfluss des schwarzen Einwandererstroms auf Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Lebensqualitt. Soweit zu den Gemeinsamkeiten - die Unterschiede sind jedoch wesentlich entscheidender. Denn die Anwesenheit einer anderen, vorwiegend aus der Arbeiterklasse stammenden Jugendkultur der spteren Periode, deren Mitglieder sich zum grossen Teil fr bestimmte Lebensformen der Westinder stark machten, unterscheidet die beiden Zeitabschnitte deutlich voneinander. Die frhen Teds hatten eine - neuen 47 Aufbruch markiert.. Sie stellten die dunkle Vorhut der Pop -Kultur dar und wurden als solche obwohl ihre Zahl gering war - fast generell von Presse wie Eltern als Anzeichen von Englands Niedergang diffamiert. Auf de r anderen Seite gab gerade das Konzept des Revival in den Siebzigern den Nachfolge-Teds einen Anstrich von Legitimitt. Denn in einer Gesellschaft, die anscheinend eine bestrzende Anzahl von Moden und Verrcktheiten geradezu produzierte, waren die Teddy B oys schon eine regelrechte Institution - ein zwar etwas anrchiger, aber dennoch authentischer Teil der britischen Geschichte. In bestimmten Bereichen brachte man den an diesem Wiederaufleben beteiligten Jugendlichen mindestens begrenzte Anerkennung entgegen. Sie wurden mit Toleranz, ja sogar mit heimlicher Zuneigung betrachtet - besonders von den jetzt erwachsenen Ex-Teds und jenen ganz normalen Arbeitern, die nostalgisch von den fnfziger Jahren schwrmten und (dank lckenhafter Erinnerung) sich auf eine geregeltere und einfachere Vergangenheit beriefen. Das Ted Revival liess Erinnerungen an Zeiten wach werden, die erstaunlich weit zurcklagen und vergleichsweise sicher, fast idyllisch schienen, mit ihrem beharrlichen Puritanismus, ihrem Sinn fr feste Werte und ihrer berzeugung, dass die Zukunft einmal Besseres bringen knnte. Befreit von Zeit und Umstnden durften die Nachfolge-Teds als unschuldige Feigenbltter auf der Nostalgiewelle der siebziger Jahre mitschwimmen: irgendwo zwischen vergangenheitsduseligen Fernsehserien und wiederhervorgekramter Ovomaltine-Reklame. Paradoxerweise konnte also eine Subkultur, die ursprnglich so dramatische Anzeichen von Vernderung im Schlepptau hatte, in ihrer wiederbelebten Form geradezu zu einem Stck historischer Kontinuitt werden. Verallgemeinert gesagt: Die Lsungen der zwei Ted-Perioden waren Antworten auf ganz spezifische historische Umstnde, die in vllig verschiedenen ideologischen Stimmungen zustandekamen. In den spten siebziger Jahren war es unmglich, bei den Arbeitern Sympathien fr Jubelphrasen des Wiederaufbaus zu finden: rmel aufkrempeln und zupacken oder Zhne zusammenbeissen und durchhalten. Die weitverbreitete Enttuschung der Arbeiter ber die Labour-Partei und parlamentarische Politik im allgemeinen, der Niedergang des Sozialstaats, die stockende Wirtschaft, anhaltende Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot, der Verlust der Gemeinschaft, das Versagen der Konsumgesellschaft, wahre Bedrfnisse zu befriedigen, und die alljhrlichen Tarifauseinandersetzungen, Betriebsstillegungen und Streiks - das alles liess ein Gefhl von sinkender Leistungsfhigkeit und genereller Verschlechterung der Lage aufkommen, das sich stark vom brbeissigen Optimismus der fnfziger Jahre abhob. Als Ersatz tauchten ideologische Konstruktionen auf, die im Nachhinein auf den Zweiten Weltkrieg projiziert wurden (Ersetzender Konkretisierung Deutsche durch das Konzept Faschismus). 1973 kam patriotische Kriegsstimmung mit Blick auf potentielle Feinde auf, als Reaktion auf die anhaltenden Arbeitskmpfe, die lkrise, die Drei-Tage-Woche. Diese Entwicklungen, kombiniert mit den immer strker ins Auge fallenden schwarzen Bevlkerungsgruppen, machten aufkommenden Rassismus zu einer weitaus respektableren und glaubwrdigeren Lsung fr d ie Probleme der arbeitenden Bevlkerung. Weiterhin hatten auch Kleidung und Umgangsformen der SiebzigerJahre -Teds andere Konnotationen. Natrlich war die bernahme eines Stils der Oberschicht - der den ganzen Ted-Stil erst mglich gemacht hatte - lngst vergessen, und mit der Zeit war auch die tiefere Eigenart dieser Aneignung und

Umwandlung unwiderruflich verlorengegangen. Dazu kam, dass auch das angeberische Verhalten und die sexuelle Aggressivitt in den zwei Perioden verschiedene Bedeutungen hatten. Der Narzissmus der frhen Teds und die sinnliche Akrobatik ihrer Tnze standen einer grauen farblosen Welt gegenber, wo gute Bubis Ping Pong spielten. (George Melly) Im Kontrast erschien das beharrliche Festhalten der spteren Teds am traditionellen Bsewichtklischee aufgesetzt und reaktionr. Zu Klngen lngst eingemotteter Schallplatten und in geradezu museumsreifen Kleidern liessen diese Nachfolge -Teds eine Reihe von Paarungsriten (Ritterlichkeit, Brautwerbung) und einen aufgeblhten Machismo wiederaufleben (diese kuriose Mischung aus Chauvinismus, Bryl-Creme und pltzlicher Gewalt), der schon in der Elternkultur als das Modell von Mnnlichkeit aufbewahrt war: ein berkommenes Modell, das von den fieberhaften Exzessen der freizgigen Nachkriegsgesellschaft unberhrt geblieben war. Diese Faktoren zogen die Teddy-Boy-Subkultur in ihrer zweiten Verkrperung nher an die Elternkultur heran und frderten ihre Abgrenzung gegen andere existierende Jugendkulturen (Punks, Northern Soul Fans, Heavy Metal Rockers, Fussballfans, Mainstream Pop, Ordentliche). Aus diesen Grnden hatte das Tragen eines Drape Coat (grosser, schwerer TedMantel) nicht die gleichen Bedeutungen wie 1956, trotz der Tatsache, dass die zwei Ted-Arten identische Helden anhimmelten (Elvis, Eddie Cochrane, James Dean), die gleichen Schmalzlocken kultivierten und annhernd die gleichen Klassenpositionen einnahmen. Die Zwillingskonzepte Zusammentreffen (von Umstnden) und Spezifitt sind daher fr eine Untersuchung von Subkulturstil unerlsslich: jede Subkultur, gesehen als Reprsentant eines deutlichen Zeitabschnitts, als eine bestimmte Antwort auf bestimmte Gegebenheiten. DIE QUELLEN DES STILS Wir haben gesehen, wie die in Subkulturen verschlsselte Erfahrung in einer Vielzahl von Schaupltzen geformt wird (Arbeit, Zuhause, Schule etc.). Jeder dieser Schaupltze zwingt seine eigene, ganz besondere Struktur auf, seine eigenen Regeln und Bedeutungen, seine eigene Rangfolge von Werten. Obwohl diese Strukturen sich gemeinsam ausdrcken, tun sie das im Gegentakt und in Absetzung zueinander: syntaktisch. Sie sind gleichermassen durch Unterschiede wie durch hnlichkeiten miteinander verknpft (Zuhause - Schule, Schule - Arbeit, Zuhause - Arbeit, privat - ffentlich etc.). Um Althussers etwas schwerfllige Begrifflichkeit zu benutzen: sie konstituieren verschiedene Ebenen derselben sozialen Formation. Und obwohl sie - wie Althusser zeigt - relativ autonom sind, bleiben diese Strukturen in kapitalistischen Gesellschaften um den allgemeinen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit herum gruppiert. 48 Das komplexe Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Ebenen der sozialen Bildung wird in den Erfahrungen sowohl der dominanten als auch der untergeordneten Gruppen reproduziert, und diese Erfahrungen wiederum werden zum Rohmaterial, das in Kultur und Subkultur seine Ausdrucksform findet. Nun spielen die Medien dabei eine entscheidende Rolle. Sie versorgen uns mit den meisten der vorhandenen Kategorien zum Begrifflichwerden der gesellschaftlichen Umwelt. Wenn man so will: sie kauen uns unsere Erfahrungen vor. Presse, Fernsehen, Film interpretieren sie fr uns und machen sie in ihrer Widersprchlichkeit zu einem zusammenhngenden Ganzen. Es ist also nicht verwunderlich, wenn auch viele der in Subkulturen verschlsselt ausgedrckten Erfahrungen vorher schon durch die Hnde der Medien gegangen sind. Die aufgeladenen Inhalte der Subkulturstile in der Nachkriegszeit sind also mit aller Wahrscheinlichkeit ebenso eine Funktion des ideologischen Effekts der Medien wie eine Reaktion auf die erlebten Vernderungen in den institutionellen Bezugsrahmen des Lebens der Arbeiterklasse. Die Medien haben zunehmend die kulturelle und ideologische Sphre kolonisiert ... Da gesellschaftliche Gruppen und Klassen - wenn nicht in der Produktionssphre, so doch in ihren sozialen Beziehungen ein zunehmend bruchstckhaftes und partikulres Leben fhren, bernehmen die Medien immer mehr die Verantwortung fr a) Schaffung der Grundlage, auf der Gruppen und Klas sen sich ein Bild des Lebens, der Bedeutungen, Praktiken und Werte anderer Gruppen und Klassen machen, b) Schaffung

der Vorstellungen, Symbolisierungen und Ideen, mit der die gesellschaftliche Totalitt dieser separaten Bruchstcke zu einem begreifbaren Ga nzen gemacht wird. 49 So kann nur dann ein glaubwrdiges Bild gesellschaftlicher Geschlossenheit aufrechterhalten werden, wenn die Kulturen aufbegehrender Gruppen (zum Beispiel Arbeiterjugendkulturen) im Sinne dieses Bildes beschlagnahmt und umdefiniert werden. Auf diese Weise verschaffen die Medien den einzelnen Gruppen nicht nur berzeugende Vorstellungen von anderen Gruppen, sie spiegeln den unteren Schichten auch ein Bild ihres eigenen Lebens wider, das gerahmt oder gehalten wird von den ideologischen Diskursen, die es umgeben und ihm seinen Platz zuweisen. Subkulturen sind mit Sicherheit keine privilegierten Formen; sie stehen nicht ausserhalb des geschlossenen Schaltkreises von Produktion und Reproduktion, der - zumindest auf einer symbolischen Ebene - die getrennten und zersplitterten Teile der gesellschaftlichen Totalitt miteinander verbindet. Subkulturen sind mindestens zum Teil Symbolisierungen dieser vermittelten Vorstellungen. In den bedeutenden Praktiken der verschied enen Subkulturen findet sich immer ein Widerhall von Elementen aus dem empfangenen Bild vom Leben der Arbeiterklasse. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, Subkulturen bekrftigten nur spontan solche blockierten Lesarten, die von Rundfunk und Zeitungen ausgeklammert werden (Bewusstsein des untergeordneten Status, klassenkmpferische Vorstellungen etc.). Mehr oder weniger stark verwenden und vertreten sie auch manche der bevorzugten (von den anerkannten Massenmedien favorisierten und bertragenen) Bedeutungen und Interpretationen. Das Durchschnittsmitglied einer Arbeiterjugendkultur bekmpft zu einem Teil die vorherrschenden Definitionen und Darstellungen von sich und seiner Gruppe, zum anderen Teil stimmt es mit ihnen berein, und so gibt es nicht nur zwischen i hm und der alten Arbeiterkultur der Erwachsenen (mit ihrer gedmpften Widerstandstradition), sondern auch mit der dominanten Kultur (zumindest in ihren demokratischeren und umgnglicheren Formen) ein erhebliches Mass an Gemeinsamkeiten. Wenn zum Beispiel so viel von grsserer sozialer Mobilitt der jugendlichen Arbeiter geredet wird (Aufstiegsmglichkeiten etc.), so heisst das noch lange nicht, dass ein Durchschnittsmod von 1964 nur schlechtere Jobs bekommen konnte als ein Skinhead von 1968 (obwohl Statisti ken so etwas zutage bringen knnten). In Wirklichkeit wird dabei vergessen, dass die Arbeitsmarktchancen fr Jugendliche aus den unteren Schichten in der entsprechenden Periode tatschlich abnahmen. Eine recht widersprchliche Klassenmythologie war die Folge solcher einseitiger Darstellungen, und in den Stilen und Ideologien der Jugendsubkulturen sind die Arten ihres Umgangs damit als Antworten enthalten. Der angeblichen Auflsung der Klasseneinteilung steht in dieser Mythologie paradoxerweise das romanhafte Bild einer sogenannten echten Arbeiterseele entgegen, dem in entsprechenden Fernsehserien gehuldigt wird. Die Mods und Skinheads aber schafften diese Mythologie genauso wie die Anforderungen ihrer materiellen Lebensbedingungen. Sie lernten, sich innerhalb oder ausserhalb dieses Gebildes aus Bildern und Typisierungen (der Massenmedien) zu bewegen, in denen Klassenzugehrigkeit abwechselnd bersehen, bertrieben, geleugnet oder in Witzseiten abgedrngt wird. Genauso die Punks: in ihrem Aussehen, ihrem Verhalten, ihrer Musik gaben sie nicht nur eine Antwort auf wachsende Arbeitslosigkeit, vernderte Moralmassstbe, neue Armut oder Depression - sie dramatisierten damit das mittlerweile etablierte Schlagwort von Englands Untergang. Sie konstruierten eine Sprache, die - im Gegensatz zur berwiegenden Rhetorik des Rock-Establishrnent - unverkennbar relevant und erdverbunden war (daher das Fluchen, Verachtung der fetten Hippies, die Lumpen, die Proletposen). Die Punks vereinnahmten das Gerede von der Krise, das whrend dieser Periode alle Rundfunkkanle und Zeitungskommentare berschwemmte, und bersetzten es in greifbare und sichtbare Begriffe. In der dsteren, apokalyptischen Stimmung der spten siebziger Jahre mit ihrer massenhaften Arbeitslosigkeit und den bedrohlichen Gewaltausbrchen war es nur adquat, wenn die Punks sich als Degenerierte hinstellten - als sichtbare Zeichen des ffentlich beklagten Verfalls, der doch nur den blutleeren Zustand Grossbritanniens perfekt wiedergab. In ihren verschiedenen Stilszusammensetzungen drckten die Punks zweifellos echte Aggression, Frustration und Angst aus. Aber ihre Aussagen waren - egal wie merkwrdig verkleidet - in eine Sprache gegossen, die allgemein verfgbar war, in eine gerade aktuelle Terminologie. Das erklrt erstens, warum die Punk-Metapher sowohl fr die Mitspieler der Subkultur selbst als auch fr ihre Gegenspieler so passend war, und zweitens, warum die Punk-Subkultur als Schauspiel so erfolgreich sein konnte: weil sich in ihr gleich eine ganze Ansammlung zeitgenssischer Probleme symptomatisch darstellte. Es erklrt ausserdem,

warum die Punks so viel Zulauf hatten, aber auch, weshalb die komplette Erwachsenenwelt sich darber so masslos ereifern, in moralische Panik geraten und regelrechte Kreuzzge dagegen starten konnte: die Lehrer, Eltern und Chefs, die Stadtrte, Experten und Abgeordneten. Um Unordnung zu signalisieren, muss erst mal die richtige Sprache gewhlt werden - auch wenn sie dann untergraben wird. Damit man den Punk als Chaos abqualifizieren konnte, musste man ihn erst mal als Lrm verstehen knnen. Jetzt lsst sich auch besser einordnen, wie es dazu kam, dass der BowieKult sich mehr um Geschlechter- als um Klassenfragen drehte. Und wir knnen jetzt den Kritikern entgegentreten, die rechtmssige Interessen authentischer Arbeiterkulturen ausschliesslich auf die Produktionssphre begrenzt wissen wollen. Sicher schlugen sich die Bowie-Fans nicht direkt mit den blichen, um Autoritt kreisenden Problemen von Fabrikhalle und Klassenzimmer herum (Rebellion - Unterwerfung, Abstieg - Aufstieg etc.). Und trotzdem versuchten sie, irgendwo zwischen Elternkultur und vorherrschender Ideologie einen sinnvollen Zwischenraum zu finden, wo sie eine andere Wahlidentitt entdecken und ausleben konnten. In diesem Sinne waren sie unverkennbar auf jener Suche nach einem Mass an Unabhngigkeit, das kennzeichnend ist fr alle Jugendsub- und Gegenkulturen. Ganz anders als die Skinheads stellten sich die Bowie-Fans gegen die offeneren Formen gesellschaftlicher Chauvinismen (sexuelle, territoriale und Klassenchauvinismen) und versuchten - mit mehr oder weniger grossem Elan - sie zu vermeiden, zu untergraben oder umzustrzen. Das taten sie auf dreierlei Weise: erstens griffen sie den fest in der Elternkultur vera nkerten traditionellen Arbeiterpuritanismus an, zweitens stellten sie sich gegen die Art der Darstellung dieses Puritanismus in den Medien und drittens bernahmen sie Vorbilder, Stile und Ideologien aus dem Angebot anderer Bereiche: aus Film und Fernsehen, aus Illustrierten und Zeitungen. Damit konstruierten sie eine Wahlidentitt, die ihr empfundenes Anderssein, ihre Verschiedenheit auch nach aussen hin mitteilte. Auf einen Nenner gebracht: sie forderten die Unausweichlichkeit und Natrlichkeit von Klassen - und Geschlechtsklischees heraus.

SUBKULTUR: DER UNNATRLICHE BRUCH Ich fhlte mich noch 48 Stunden spter beschmutzt. (Londoner Stadtrat, nachdem er ein Konzert der Sex Pistols gesehen hatte; zitiert in New Musical Express, 18. Juli 1977) (Sprache ist) unter allen gesellschaftlichen Institutionen am wenigsten anfllig fr Eingriffe. Sie verschmilzt mit dem Leben der Gesellschaft, und dieses, von Natur aus trge, ist eine der strksten konservativen Krfte. (F. de Sassure: Course in General Linguistics) Subkulturen sind Lrm - nicht Klang, sondern Missklang: Eingriffe in die ordnungsgemsse Reihenfolge, die von realen Ereignissen und Phnomenen zu ihrer Darstellung in den Medien fhrt. Wir sollten daher die Aussagekraft aufflliger Subkulturen nicht unterschtzen. Denn diese sind ja nicht nur Metaphern fr potentielle Anarchie irgendwo draussen vor der Tr. Sie sind gleichzeitig Mechanismen semantischer Unordnung: eine Art zeitweilige Blockade in den gewohnten Darstellungssystemen. John Mepham hat das so beschrieben: Unterscheidungen und Gleichsetzungen sind ein wichtiger Bestandteil unserer Sprache und unseres Denkens. In unserem ganz normalen Leben spielen sie eine entscheidende Rolle. Wir benutzen sie, um unsere Erfahrungen sinnvoll zu machen. Sie haben damit so grosse Macht ber unsere Denk- und Erfahrungswelt, dass ein Angriff auf sie alarmierende Folgen 50 haben kann. Jede Auslassung oder Krzung, jedes Vertauschen der vorherrschenden linguistischen und ideologischen Kategorien kann tiefgehende Verwirrung und Desorientierung hervorrufen. Denn diese Abweichungen enthllen schlagartig, wie willkrlich die zugrundeliegenden Kodes sind, die allen Diskurs-Formen ihre Gestalt geben. Stuart Hall hat das (im Zusammenhang mit direkt politischer Abweichung) so beschrieben: Dramatisch neue Entwicklungen, die im Rahmen der konventionellen, allgemeingltigen Normen sinnlos sind, fordern das normative Gefge der Welt heraus. Sie stellen unsere Einschtzungen und Definitionen der Welt in Frage. Sie durchkreuzen unsere Erfahrungen ...

Vorstellungen von der unantastbaren Heiligkeit der Sprache sind immer eng verbunden mit Begriffen der sozialen Ordnung. Eine ganze Reihe scheinbar universaler Tabus schreibt uns die Grenzen zulssiger sprachlicher Ausdrucksformen vor. Diese Tabus garantieren die anhaltende Transparenz (das heisst die Selbstverstndlichkeit) von Bedeutung. Unsere sozialen Erfahrungen werden durch diese so autorisierten Kodes geformt. Verletzungen dieser Kodes knnen daher mchtige Provokationen und Unruhestifter sein. Sie werden im allgemeinen als gegen die Heiligkeit verdammt. Claude Lvi-Strauss hat beschrieben, wie in bestimmten primitiven Mythen falsche Aussprache von Wrtern und Missbrauch von Sprache gemeinsam m it Inzest als schreckliche Verirrungen eingestuft werden, die Sturm und Unwetter auslsen knnen. 51 Auf hnliche Weise drcken auffllige Subkulturen verbotene Inhalte (Klassenbewusstsein, bewusstes Anderssein) in verbotenen Formeln aus (Durchbrechen von Kleidungs - und Verhaltensregeln, Gesetzesbruch). Solche gotteslsterlichen usserungen werden dann gerne als unnatrlich bezeichnet. In der Boulevardpresse finden sich daher die drastischen Beschreibungen von Jugendlichen, die sich in Verhalten oder Kleidung als Mitglieder von Subkulturen zu erkennen geben (Missgeburten, Tiere, die sich wie Ratten nur in Rudeln auf die Jagd trauen etc.). An solchen Begriffen erkennt man wohl am besten, wie das Auftauchen dieser Subkulturen die primitivsten ngste ber die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur hervorrufen kann. Zweifellos wird dabei die Verletzung von Regeln mit der Abwesenheit von Regeln gleichgesetzt, die (nach Lvi-Strauss) das sicherste Kriterium zur Unterscheidung eines natrlichen von einem kulturellen Prozess zu sein scheint. Wenn man sich die offiziellen Reaktionen auf die Punk -Subkultur, besonders auf die Sex Pistols mit ihrer unfltigen Sprache auf Platten und im Fernsehen und die Kotz- und Rotzaktionen im Heathrow-Flughafen ansieht (am 4. Januar 1977 spuckten und kotzten die Sex Pistols vor einem Luftfahrtschalter herum und riefen Entsetzen und Aufregung hervor; zwei Tage spter kndigte ihnen ihre Plattengesellschaft EMI), dann scheint alles darauf hinzuweisen, dass diese grundlegenden Tabus in der zeitgenssischen Gesellschaft nicht weniger tief verwurzelt sind. ZWEI FORMEN DER VEREINNAHMUNG Hat diese vom sthetizismus berschwemmte Welt nicht schon die frheren Romantizismen, den Surrealismus, den Existentialismus und sogar den Marxismus bis zu einem gewissen Punkt integriert? Sie konnte es in der Tat: durch den Handel, in Warenform. Was man gestern noch diffamierte, wird heute zu Konsumgtern; der Konsum verschlingt so, was einmal Bedeutung und Richtung geben sollte. (Henri Lefebvre Das Alltagsleben in der modernen Welt) Wenn eine auffllige Subkultur auftaucht, wird das unausweichlich von einer Hysterie in der Presse begleitet. Aber diese Hysterie ist normalerweise ambivalent: sie schwankt hin und her zwis chen Schrecken und Faszination, zwischen Entrstung und Belustigung. Auf den Titelseiten dominieren Schock und Horror (zum Beispiel Rotten rasiert, Daily Mirror vom 28. Juni 1977), whrend es mit Sicherheit auf den redaktionellen Seiten von sogenannten ernsthaften Kommentaren nur so wimmelt und die Mittelteile und Beilagen bergeschnappte Berichte von den letzten Verrcktheiten und Ritualen bringen. Besonders der Stil provoziert eine doppelte Antwort: abwechselnd feiert man ihn (auf den Modeseiten), macht ihn lcherlich oder unverunglimpft ihn (in den Artikeln, die Subkulturen zu sozialen Problemen erklren). In den meisten Fllen sind es die stilistischen Neuerungen einer Subkultur, die zuerst die Aufmerksamkeit der Presse erregen. In der Folge entdecken Polizei, Justiz und Presse abweichende und asoziale Verhaltensweisen: Vandalismus, Fluchen, Schlgereien, tierisches Benehmen. Diese Handlungen werden dann benutzt, um das ursprngliche Durchbrechen der Kleidungsregeln zu erklren. Sowohl die abweichenden Verhaltensweisen als auch die Identifizierung einer typischen, erkennbaren Uniform knnen dann als Katalysator der blichen moralischen Panikreaktionen dienen (meistens sogar beides zusammen). Bei der Punk-Subkultur entdeckte die Presse den Kleidungsstil praktisch zur selben Zeit, als auch die abweichenden Aktionen der Punks entdeckt oder erfunden wurden. Genau in derselben Woche, als die Sex Pistols im Fernsehprogramm Today ihren ersten explosiven ffentlichen Auftritt hatten, startete der Daily Mirror die erste Folge einer aufrttelnden Serie, die sich mit der bizarren Kleidung und dem Schmuck der Punks befasste. Andererseits identifizierte man die Mods (vielleicht wegen ihres unaufflligen Stils) erst dann als eine besondere Gruppe, als es zu den Feiertagsschlachten von 1964 kam, obwohl die Subkultur zu der

Zeit- zumindest in London - schon voll entwickelt war. Aber es ist ganz gleich, welche einzelne Sache den Reigen von Entrstungen und gegenseitigen Verstrkungen erffnet, es endet unweigerlich mit der allgemeinen Verbreitung und gleichzeitigen Entschrfung des subkulturellen Stils. Nach und nach nimmt die Subkultur eine eigene, aber gut vermarktete Pose an, und ihr visuelles und verbales Vokabular wird vertrauter. In zunehmendem Masse kann man nun beginnen, die naheliegendsten Bezugsrahmen aufzuspren und ins Licht der ffentlichkeit zu rcken. Und dadurch knnen sie letzten Endes alle - die Mods, die Punks oder GlitterRock-Fans - vereinnahmt, eingereiht und auf der bevorzugten Landkarte problematische r sozialer Realitt lokalisiert werden: bis zu jenem Punkt, wo Jnglinge mit Lippenstift nichts als feingemachte Knaben sind und das Mdchen mit dem Gummidress zur Tochter von nebenan wird. Die Medien dokumentieren dabei den Widerstand nicht nur, sie passen ihn auch ein in die vorherrschenden Bedeutungsrahmen (Stuart Hall). Und whrend man die Mitglieder einer Subkultur in Presse und Fernsehen prsentiert, werden sie gleichzeitig dorthin zurckgebracht, wo sie der gesunde Menschenverstand hinhaben mchte - als Tiere zwar, aber ebenso im Kreise der Familie und nach der Arbeit. So werden die Subkulturen fortwhrend wiedereingegliedert und die zerbrochene Ordnung wiederhergestellt. Am Ende tauchen die ehemals abweichenden Regelbrecher als unterhaltsames Schauspiel in der vorherrschenden Mythologie (aus der sie ja zum Teil hervorkamen) reintegriert wieder auf: als Narren, als Andersartige oder als Feinde. Der Prozess der Wiedereingliederung hat zwei Formen: erstens die Verwandlung subkultureller Zeichen (Kleidung, Musik etc.) in massenhaft produzierte Objekte (die Warenform) und zweitens die Etikettierung und Umdefinierung abweichenden Verhaltens durch die herrschenden Gruppen - Polizei, Medien, Justiz (die ideologische Form). DIE WARENFORM Journalisten wie Wissenschaftler haben sich ausfhrlich ber die erste Form ausgelassen. Man kennt daher zur Genge die zwiespltige Natur des Verhltnisses zwischen aufflligen Subkulturen und den ihnen dienenden und sie gleichzeitig ausbeutenden Industrien. Schlies slich steht Konsum als erster und wichtigster Punkt im zentralen Interesse dieser Subkulturen. Sie bewegen sich hauptschlich in der Freizeitsphre (Ich wrde meine Punk-Klamotten nicht auf der Arbeit tragen, jede Sache hat schliesslich ihren Platz und ihre Zeit). Sie kommunizieren mit Hilfe von Waren, auch wenn sie deren Bedeutung absichtlich verzerren oder umwerfen. Es ist daher in diesem Fall ziemlich schwierig, irgendeine absolute Unterscheidung zwischen kommerzieller Ausbeutung auf der einen und Kreativitt/Originalitt auf der anderen Seite aufrechtzuerhalten, auch wenn die Wertsysteme der meisten Subkulturen diese Kategorien natrlich entschieden ausschliessen. Wie Subkultur-Stile geschaffen und verbreitet werden, ist aber in Wirklichkeit mit der Pr oduktion, der Verffentlichung, Werbung und Verpackung unlsbar verbunden. Das als Ganzes ist ein Vorgang, der unausweichlich zur Entschrfung der subversiven Kraft einer Subkultur fhrt. So konnten die Neuerungen der Mods wie der Punks letztendlich direkt in die Haute Couture und die Mode der breiten Masse zurckgeleitet werden. Jede neue Subkultur etabliert neue Trends und bringt neue Klnge und Stile hervor, die in die entsprechenden Industrien zurckgefhrt werden. In Style schreibt John Clarke dazu: Die Verbreitung von Jugendstilen von den Subkulturen bis zum Modemarkt ist mehr als einfach ein kultureller Prozess. Es gibt ein richtiggehendes Netzwerk, eine Infrastruktur neuer Arten kommerzieller und wirtschaftlicher Institutionen. Die kleinen Plattenlden und unabhngigen Schallplattenfirmen, die Boutiquen und Ein- oder Zwei-Frau-Fabriken, diese Versionen eines Handwerkerkapitalismus sind es, die - mehr als alle allgemeineren und unspezifischeren Phnomene - die Dialektik der kommerziellen Manipulati on bestimmen. 52 Trotzdem wre es natrlich falsch, von einer absoluten Autonomie kultureller und kommerzieller Vorgnge zu sprechen. Wie Henri Lefebvre sagt, ist der Handel ... sowohl ein soziales wie ein intellektuelles Phnomen 53, und die Waren kommen schon mit Bedeutung belegt auf den Markt. Mit Marx' Worten sind sie soziale Hieroglyphen und ihre Bedeutungen werden vom konventionellen Gebrauch verndert.

Daher werden die ursprnglich Subkultur meinenden Neuerungen in Waren umgewandelt und allgemein zugnglich gemacht - sie erstarren. Wenn sie einmal von den Kleinstunternehmern und den massenhaft produzierenden grossen Modefirmen aus ihrem privaten Zusammenhang herausgerissen sind, werden sie kodifiziert, verstndlich und gleichzeitig zu ffentlichem Eigentum und profittrchtiger Konsumware gemacht. Somit kommen die beiden Formen der Vereinnahmung (die semantische/ideologische und die reale/ kommerzielle) in der Warenform zusammen. Stile der Jugendkultur mgen am Anfang symbolische Angriffe sein - am Ende werden sie unausweichlich dazu benutzt, neue Gruppen von Konventionen einzusetzen. Sie enden als neue Waren, neue Industrien oder als Jungbrunnen fr die alten (so gab der Punk-Stil der Herrenmode denkbar grossen Auftrieb). Das geschieht ungeachtet der politischen Ausrichtung der einzelnen Subkulturen: die makrobiotischen Restaurants, Kunsthandwerk- und Trdellden der Hippie-ra verwandelten sich, als die Zeit gekommen war, ohne Umschweife in Punk-Boutiquen und Plattenlden. Es geschieht aber auch ungeachtet des zunchst alarmierenden und bestrzenden Inhalts der einzelnen Stile. So konnte man schon im Sommer 1977 Punk-Kleidung und -Zubehr per Katalog bestellen, und im September desselben Jahres b rachte Cosmopolitan einen Aufreisser ber die letzte Kollektion von Zandra Rhodes' Modeverrcktheiten, die ausschliesslich aus Variationen des Punk-Themas bestand. Die Modelle funkelten unter Bergen von Sicherheitsnadeln und Plastikzeugs (die Nadeln waren mit Steinen besetzt, das Plastik glnzender Satin), und der dazugehrige Artikel endete mit dem Aphorismus Schockieren ist schick, der das nahende Ende der Subkultur ahnen liess. DIE IDEOLOGISCHE FORM Die zweite Form der Vereinnahmung- die ideologische - ist am besten von den Soziologen beschrieben worden, die abweichendes Verhalten nach einem Transaktionsmodell untersuchen. Stan Cohen zum Beispiel hat in Folk Devils and Moral Panics eine detaillierte Beschreibung davon geliefert, wie eine bestimmte moralische Panikreaktion (um den Konflikt zwischen Mods und Rockers Mitte der sechziger Jahre) eingeleitet und in Gang gehalten wurde. Obwohl diese Art von Analysen oft usserst differenzierte Erklrungen dafr liefern knnen, warum auffllige Subkulturen durch weg so hysterische Ausbrche provozieren, bersehen sie doch im allgemeinen die feineren Mechanismen, mit denen potentiell bedrohliche Erscheinungen eingedmmt und unter Kontrolle gebracht werden. Wie schon der Gebrauch des Begriffes Folk Devil nahegelegt (zu deutsch etwa Volksteufel), liegt die Betonung meistens etwas zu stark auf den sensationellen Exzessen der Boulevardpresse. Das geht zu Lasten der nicht so eindeutigen Reaktionen, die letzten Endes die typischeren sind. Wie wir gesehen haben, werden Subkulturen durch die Art ihrer Darstellung in den Medien zugleich exotischer und weniger exotisch gemacht, als sie in Wirklichkeit sind. Man sieht in ihnen sowohl gefhrliche Fremdlinge wie ausgelassene Kinder, wilde Bestien wie eigenwillige Haustiere. Rolan d Barthes liefert in seiner Beschreibung von Identifizierung (einer der sieben rhetorischen Figuren, die nach Barthes die Meta-Sprache der brgerlichen Mythologie kennzeichnen) einen Schlssel zum Verstndnis dieser scheinbar paradoxen Verarbeitung. In Mythen des Alltags charakterisiert er den Kleinbrger als einen Menschen, der unfhig ist, sich den anderen vorzustellen ... Das kommt daher, dass der andere ein Skandal ist, der die eigene Existenz bedroht. 54 Um dieser Bedrohung zu begegnen, haben sich zwei grundstzliche Strategien herausgebildet. Zunchst kann der andere verniedlicht, eingebrgert oder gezhmt werden. Damit leugnet man schlicht die Unterschiedlichkeit (... verwandelt ihn in sich selbst ... jedes andere wird auf dasselbe zurckgefhrt). Oder, im zweiten Fall, wird der andere zum bedeutungslosen Exoten gestempelt, 55 zum reinen Objekt, zum Spectaculum, zum Kasperle. In diesem Fall verweist man das Anderssein an einen Ort jenseits jeder Verstndlichkeit. Im Umgang mit aufflligen Subkulturen sind diese beiden Strategien an der Tagesordnung. Zum Beispiel bei den Fussball -Rowdies: Man verwies sie im allgemeinen als Tiere hinter die Grenzen des normalen Anstands (Diese Leute sind do ch keine Menschen mehr!, Zitat eines Fussballmanagers in den Zehn-Uhr-Nachrichten). Die Punks dagegen, vermutlich weil sie ihre Herkunft bewusst verdeckten, die Familie ablehnten und bereitwillig die Rolle der Folk Devils spielten, sich als reine Objekte, als niedertrchtige Clowns prsentierten, versuchte man in der Presse im allgemeinen in den Familienrahmen zurckzustellen. Ganz sicher empfand man die Punks - wie jede andere Jugendkultur - als eine Bedrohung der Familie, und manchmal brachte man diese Angst auch in ganz drastischer Weise zur Sprache. So brachte der Daily Mirror beispielsweise am 1.August 1977 unter der Schlagzeile Opfer der Punk -Ted-Schlacht Junge geriet in den Mob das Foto eines Kindes, das nach einer Schlgerei zwischen Punks und

Teds auf der Strasse lag. In diesem Fall machte man die Gefahr der Punks fr die Familie real (das knnte mein Kind sein!), indem man dokumentarisches Fotomaterial (das ja im allgemeinen fr unzweifelhaft gehalten wird) mit einer ideologischen Umrahmung versah. Dessen ungeachtet schlug man bei anderen Gelegenheiten die entgegengesetzte Richtung ein. Der unvermeidlichen Flut von Artikeln, die hmisch den letzten Ausbruch der Punks denunzierten, standen - aus welchen Grnden auch immer - genausoviele Berichte entgegen, die sich den kleinen Details aus ihrem Leben widmeten. So brachte zum Beispiel Woman's Own am 15. Oktober 1977 unter dem Titel Punks und Mtter einen Artikel, der die klassenlosen, schicken Modeaspekte der Punks betonte. Da, zeigten Fotos Punks mit lchelnden Mttern, Punks relaxten am Familien-Pool, Punks spielten mit dem Schosshund der Familie. Darunter ein Text, der in der Gewhnlichkeit der Punks schwelgte: Sie sind gar nicht so frchterlich, wie sie aussehen ... Punk kann eine Familiens ache sein ... Punks sind anscheinend unpolitisch, und - ganz hinterlistig (wenn auch korrekt): Johnny Rotten ist ein genauso weitverbreiteter Name wie Hughie Green. Den ganzen Sommer 1977 ber verbreiteten People und News of the World Stories ber Punk-Babys, Punk-Brder und Hochzeiten zwischen Punks und Teds. Alle diese Artikel dienten dazu, das lautstark proklamierte Anderssein des Punk-Stils zu bagatellisieren und die Subkultur in eben jenen Begriffen festzulegen, die sie am strksten ablehnte und bekmpfte. Nochmals: Wir sollten vermeiden, irgendeine absolute Trennung zwischen den ideologischen und den kommerziellen Manipulationen von Subkulturen zu ziehen. Das symbolische Zurckbringen von Tchtern zur Familie, von Abweichlern zur Herde fand zu einer Zeit statt, als in allen Medien die weitverbreitete Kapitulation von Punk-Musikern vor den Marktkrften dazu benutzt wurde, zu zeigen, dass Punks schliesslich auch nur Menschen seien. In den Musikblttern erging man sich in den blichen Erfolgsstories und beschrieb den Aufstieg vom zerfetzten Schlucker zum fetzigen Macher: PunkMusiker in die USA fliegend, Ex-Bankangestellte, die jetzt Zeitschriften herausgaben oder Schallplatten produzierten, geschundene Nherinnen, die pltzlich erfolgreiche Geschftsfrauen waren. Natrlich hatten diese Erfolgsstories verborgene, zweideutige Aussagen. Wie bei jeder Jugendrevolution (beispielsweise der Beat-Welle, den Mod-Tumulten und den Swinging Sixties) schuf der relative Erfolg von ein paar Einzelpersonen den Eindr uck von Energie, Machtausweitung und grenzenlosen Aufstiegsmglichkeiten. Das besttigte im Endeffekt jedoch nur die Vorstellung einer freien, offenen Gesellschaft, der die Punk-Subkultur (mit ihrer rhetorischen Betonung auf Arbeitslosigkeit, Leben in Betonwsten, Chancenungleichheit) ursprnglich entgegengetreten war. Wie Barthes in Mythen des Alltags schreibt, kann der Mythos immer, als letzte Zuflucht, den Widerstand bezeichnen, der ihm entgegengebracht wird. 56 Er tut das im allgemeinen, indem er ihm seine eigenen ideologischen Begriffe aufzwingt; in diesem Falle, indem er das Mrchen von der Kreativitt des Knstlers (Max Ernst) durch eine Kunstform im Rahmen des normalen Verstandes ersetzt, durch eine Musik also, die - anders als unbegreiflicher Lrm - beurteilt, abgelehnt oder vermarktet werden kann - ein logisch aufgebautes, Rechenschaft ablegendes Chaos. Der Mythos ersetzt so schliesslich eine historisch gewachsene Subkultur, ein Produkt realer geschichtlicher Widersprche, durch eine Handvoll brillianter Nonkonformisten, satanischer Genies, die (mit den Worten von Sir John Reed, Vorsitzender der Plattenfirma EMI) im Laufe der Zeit vllig akzeptiert werden und in grossem Masse zur Entwicklung der modernen Musik beitragen knnen.

STIL ALS ABSICHTLICHE KOMMUNIKATION Ich spreche durch meine Kleidung (Umberto Eco)

Der Zyklus von Opposition zu Entschrfung, von Widerstand zu Vereinnahmung betrifft jede der aufeinanderfolgenden Subkulturen. Wir haben gesehen, welche Rolle in diesem Zyklus die Medien und der Markt spielen. Wir mssen uns jetzt der Subkultur selbst zuwenden, um genau herauszufinden, wie und was Subkulturen mitteilen. Wir mssen zwei Fragen stellen, die zusammengesehen uns mit so etwas wie einem Paradox konfrontieren: Wodurch bekommt eine Subkultur fr ihre eigenen Mitglieder ihren Sinn? Wie kommt es, dass sie Unordnung signalisieren kann? Um diese Fragen zu beantworten, mssen wir die Bedeutung von Stil genauer bestimmen. Roland Barthes stellt das absichtliche Werbungsbild dem anscheinend unschuldigen Zeitungsfoto entgegen. Beides sind komplexe Ausdrucksformen mit besonderen Kodes und Verfahren, aber das Zeitungsfoto erscheint natrlicher und offensichtlicher als die Werbung. Barthes schreibt: Die Aussage des Bildes ist ganz sicher absichtlich ... das Werbungsbild ist klar, oder 57 zumindest entschieden. Barthes' Unterscheidung kann dazu benutzt werden, um analog den Unterschied zwischen subkulturellen und normalen Stilen aufzuzeigen. Die Stilzusammensetzungen von Subkulturen - jene entschiedenen Kombinationen von Kleidung, Tnzen, Jargon, Musik etc. - stehen in etwa derselben Beziehung zu den konventionelleren Formen (normale Anzge und Krawatten, Freizeitkluft, Twin-Sets etc.), wie das Werbungsbild zu den weniger bewusst gestalteten Zeitungsfotos. Natrlich muss eine Bedeutung oder Aussage nicht beabsichtigt sein, wie die Semiologen wiederholt betont haben. Umberto Eco schreibt: Nicht nur das ausdrcklich beabsichtigte Kommunikat ionsObjekt ... sondern jedes Objekt kann als ein Zeichen gesehen werden. 58 Die normale, durchschnittliche Strassenkleidung wird beispielsweise von Mnnern wie Frauen innerhalb ihrer bestimmten Einschrnkungen (wie Geldbeutel, Geschmack, Vorliebe) ausgewhlt, und diese Auswahl ist unzweifelhaft bedeutungsvoll. Jede Kleidung hat ihren Platz in einem internen Unterscheidungssystem (der konventionellen Kleidersprache), und die Unterschiede dieses Systems haben ihre Entsprechungen in einer Reihe sozialer Rollen und Mglichkeiten. Somit beinhaltet die Wahl der Kleidung eine ganze Reihe von Botschaften, die sich durch eine genaue Rangfolge ineinandergreifender Gegebenheiten mitteilen: Klasse und Status, Selbstbild und Attraktivitt etc. Letztlich drcken sie zumindest das Normalsein im Gegensatz zur Abweichung aus, das heisst, sie geben sich durch ihre relative Unaufflligkeit, ihre Angepasstheit, ihre Natrlichkeit zu erkennen. Die absichtliche Kommunikation folgt jedoch einer ander en Ordnung. Sie steht abseits - eine sichtbare Konstruktion, eine mit Bedeutung beladene Wahl. Sie zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Sie will gelesen werden. Das ist es, was die visuellen Zusammenstellungen aufflliger Subkulturen von der vorherrschenden Kleidung der sie umgebenden Kultur absetzen. Sie sind offensichtlich knstlich hergestellt (sogar die Mods, die so unsicher zwischen der Welt der Normalen und der Abweichenden standen, erklrten sich schliesslich als anders, als sie sich in Gruppen vor Diskotheken und an Badestrnden tummelten). Sie stellen ihre eigenen Kodes zur Schau (beispielsweise die zerrissenen Punk -T-Shirts) oder demonstrieren zumindest, dass man Kodes gebrauchen und missbrauchen kann (das heisst, man hat sich darber Gedanken gemacht und sie nicht wahllos zusammengeworfen). Damit schwimmen sie gegen den Strom der Hauptkultur. Denn deren prinzipielle Art der Festlegung ist - nach Barthes gekennzeichnet durch die Tendenz, sich als Natur zu maskieren, normalisierte Formen an die Stell e von historischen zu setzen und die Wirklichkeit der Welt in ein Bild von der Welt zu verwandeln, das sich seinerseits prsentiert, als sei es entsprechend den offenbaren Gesetzen einer natrlichen Ordnung zustande gekommen. Man kann sagen, dass Subkulturen die Gesetze der zweiten Natur des Menschen berschreiten. indem sie die Waren anders einsetzen und in einen anderen Zusammenhang bringen, indem sie ihren konventionellen Gebrauch untergraben und neue Gebruche erfinden, bezichtigen die Stilisten der Subkultur die von Althusser so genannte Offensichtlichkeit des alltglichen Lebens der Lge. Sie ffnen die Welt der Objekte fr neue und offen gegenstzliche Lesarten. Damit steckt hinter den Stilen aller aufflligen Subkulturen der primre Sinn, einen bedeutungsvollen Unterschied (und parallel dazu eine Gruppenidentitt) mitzuteilen. Alle anderen Bedeutungen und Aussagen sind dem untergeordnet: es ist die Botschaft, durch die alle anderen Botschaften sich mitteilen. Wie ein Stil erzeugt und verbreitet wird, das bestimmt in erster Linie diese absichtlich signalisierte Unterscheidung, von der alles andere ausgeht. Erst wenn man das erkannt hat, kann man sich genauer der internen Struktur einzelner Subkulturen widmen. Um zu unserer frheren Analogie zurck zukehren: wenn die auffllige

Subkultur absichtliche Kommunikation ist, wenn sie - um einen Begriff aus der Linguistik zu borgen motiviert ist, was genau wird dann mitgeteilt und ausgestellt? STIL ALS BRICOLAGE Es ist normalerweise blich, jede Vermischung misstnender Elemente Monster zu nennen ... Ich nenne Monster jede originelle, unerschpfliche Schnheit. (Alfred Jarry) Die Subkulturen unserer Untersuchung haben - ausser der Tatsache, dass sie alle vorwiegend aus der Arbeiterklasse stammen - ein gemeinsames Merkmal. Es sind, wie wir gesehen haben, Kulturen mit aufflliger Konsumhaltung, auch wenn sie - wie die Skinheads und Punks - bestimmte Konsumarten entschieden ablehnen. Und eben durch diese deutlichen Konsumrituale enthllen die Subkulturen ihre geheime Identitt und teilen zur gleichen Zeit ihre verbotenen Bedeutungen mit. Im Grunde ist es also die Art und Weise, wie die Subkulturen Waren benutzen, durch die sie sich von den orthodoxeren Kulturformen absetzen. Bestimmte Entdeckungen aus der Anthropologie knnen hier hilfreich sein. Fr unseren Fall lsst sich mit dem Konzept Bricolage ganz gut erklren, wie Stile der Subkultur aufgebaut sind. In Das wilde Denken beschreibt Claude Levi-Strauss, dass die von primitiven Vlkern benutzten magischen Formen (Aberglaube, Hexerei, Mythos) als verborgene Systeme gesehen werden knnen, die obwohl sie nach aussen hin verwirrend scheinen - ihren Benutzern die Dinge in einen Zusammenhang setzen und sie damit befhigen, ihre eigene Welt zu denken. Diese magischen Verbindungssysteme haben ein gemeinsames Merkmal: sie lassen sich endlos erweitern, da ihre Grundelemente in einer Vielzahl improvisierter Kombinationen verwendet werden knnen, die ihnen neue Bedeutungen eingeben. Bricolage ist daher in einer neueren Definition (die ihre ursprngliche anthropologische Bedeutung klarstellt) als Wissenschaft des Konkreten bezeichnet worden: (Bricolage) bezeichnet die Art und Weise, mit der das nichtgebildete, nicht technische Denken der sogenannten primitiven Menschen auf die Welt um sich herum reagiert. Der Vorgang umfasst eine Wissenschaft des Konkreten (im Gegensatz zu unserer zivilisierten Wissenschaft des Abstrakten), die mit einer ausgefeilten inneren Logik (einer Logik, die anders als unsere ist) die kleinsten Einzelheiten der physischen Welt in ihrer ganzen Flle sorgfltig ordnet, einteilt und zu Strukturen zusammenstellt. Diese spontanen, improvisiert zustandegekommenen Antworten auf die Umwelt dienen dann dazu, Homologien (bereinstimmung) und Analogien zwischen der Ordnung der Natur und der Ordnung der Gesellschaft aufzustellen und so die Welt befriedigend zu erklren und bewohnbar zu machen. 59 Die mglichen Bedeutungen strukturierter Bricolage-Improvisationen fr eine Theorie der aufflligen Strukturen (als Kommunikationssysteme) sind bereits erforscht worden. John Clarke hat zum Beispiel beschrieben, wie hervorstechende Diskurs-Formen (speziell Mode) durch den Subkultur-Bricoleur radikal umgestellt, unterminiert und erweitert werden: Objekt und Bedeutung bilden zusammen ein Zeichen, und innerhalb einer jeden Kultur werden solche Zeichen wiederholt zu charakteristischen Diskursformen zusammengestellt. Wenn jedoch der Bricoleur (unter Benutzung des gleichen Gesamtrepertoires an Zeichen) das bezeichnende Objekt innerhalb dieses Diskurses in eine andere Stellung bringt, oder wenn das Objekt in eine vllig andere Zusammenstellung eingebracht wird, bildet sich ein neuer Diskurs heraus, eine andere Botschaft wird vermittelt. 60 Auf diese Weise kann man zum Beispiel als Bricolage bezeichnen, dass die Teds den Edwardianischen Stil (den die Modemacher der Savile Row in den frhen fnfziger Jahren fr junge, wohlhabende Stdter wiederbelebt hatten)fr ihre Zwecke stahlen. Und hnlich knnte man auch die Mods als Bricoleurs bezeichnen, da auch sie eine Reihe von Gebrauchsgtern beschlagnahmten und einer symbolischen Ordnung einfgten, die ihre ursprnglichen Biedermann-Bedeutungen auslschte oder untergrub. So funktionierten sie Pillen, die ursprnglich gegen neurotische Erkrankungen verschrieben worden waren, zu ihren eigenen Zwecken um, und den Motorroller, ursprnglich ein usserst respektables Transportmittel, verwandelten sie in ein bedrohliches Symbol ihrer Gruppensolidaritt. Rasiermesserscharf geschliffene Metallkmme, in ihren Hnden zu improvisierten Waffen geworden, machten den Narzissmus zu einer gefhrlichen, angriffslustigen Haltung. Die britische Flagge prangte auf der Rckseite schmuddeliger Parkas oder verwandelte sich in schick geschneiderte Jacketts. Subtileres passierte mit den konventionellen Insignien der Geschftswelt: Anzug, Hemd, Krawatte und kurze Haare wurden ihrer ursprnglichen Konnotationen beraubt (Effektivitt, Ehrgeiz, E inhalten der Hierarchie) und in leere Fetische verwandelt, in Objekte, die in ihrem eigenen Recht begehrt, gehtschelt und geschtzt werden konnten. Auf die Gefahr hin, melodramatisch zu klingen, knnten wir diese subversiven Praktiken mit Umberto Ecos Ausdruck als semiotischen Guerillakrieg

beschreiben. Zwar mag dieser Krieg unterhalb der Bewusstseinsebene der einzelnen Mitglieder aufflliger Subkulturen stattfinden (und auf einer anderen Ebene bleibt die Subkultur auch dann absichtliche Kommunikation), aber mit dem Auftauchen solcher Gruppen wird auf einer Welt der Oberflchen ein Krieg entfesselt - und es ist der Krieg des Surrealismus. (Annette Michelson, zitiert in L. Lippard, Surrealists on Art) Die radikalen sthetischen Praktiken von Dada und Sur realismus (Traumarbeit, Collage, Ready Mades) sind hier sicher relevant. Sie sind die klassischen Formen anarchischer Diskurse. Zwar sind anarchisch und Diskurs eigentlich Widersprche - Diskurs bedeutet immer auf Struktur hin -, aber die surrealistische sthetik ist heute selbst zu einer Einheit von Themen, Kodes usw. geworden, die der Begriff Diskurs meint. Die surrealistischen Manifeste Andr Bretons von 1924 und 1929 schufen die Grundvoraussetzungen des Surrealismus: durch Unterhhlen des gesunden Menschenverstandes, Zerbrechen der vorherrschenden logischen Kategorien und Gegenstze (Traum/Wirklichkeit, Arbeit/Spiel) und durch Verherrlichung des Anormalen und Verbotenen sollte sich eine neue Surrealitt herausbilden. Das wollten die Surrealisten in e rster Linie durch die Gegenberstellung von zwei mehr oder weniger getrennten Realitten erreichen, wie es sich fr Breton mit einem bizarren Satz von Lautramont veranschaulicht: Schn wie die zufllige Begegnung eines Schirms und einer Nhmaschine auf einem Seziertisch. Mit Die Krise des Objekts schrieb Breton eine umfassende Theorie dieser Collagen-sthetik. Er vertritt dort die optimistische These, ein Angriff auf die Syntax des Alltagslebens, auf diese Vorschrift fr die Benutzung der simpelsten Dinge, knne der Auslser sein fr eine totale Revolution des Objekts: man muss das Objekt mit einem neuen Namen verkoppeln und bezeichnen und so von seinen Zweck befreien. Verwirrung und Verunstaltung werden hier zu ihren eigenen Zwecken eingesetzt ... Den s o wieder zusammengesetzten Objekten ist gemeinsam, dass sie von den Objekten unserer Umgebung abstammen und sich doch durch einfache Rollenvernderung von ihnen unterscheiden. Max Ernst fasste die Sache etwas geheimnisvoller: Wer Collage sagt, sagt das I rationale. r Offensichtlich ist Bricolage eine natrliche Parallelerscheinung zu diesen Praktiken. Der Bricoleur der Subkultur veranstaltet die gleiche typische Gegenberstellung von zwei scheinbar unvereinbaren Realitten (wie der Macher der surrealistischen Collage: Flagge - Jackett, Lcher - T-Shirt, Kamm Waffe) auf einer scheinbar unpassenden Skala ... und genau dort findet--der explosive Zusammenschluss statt. (Max Ernst) Der Punk-Stil veranschaulicht am deutlichsten die subkulturelle Anwendung dieser anarchischen Formen. Auch die Punks versuchten ja, Bedeutungen durch Verwirrung und Verunstaltung zu zerstren und neu zu bilden. Auch sie suchten den explosiven Zusammenschluss. Aber was wollten wir mit diesen subversiven Praktiken aussagen? Wiesollen wir sie lesen? Indem wir uns den Punk genauer vornehmen, knnen wir etwas nher an die Probleme einer Deutung von Subkultur-Stilen herankommen. STIL ALS EMPRUNG: EMPRENDER STIL Nichts war uns heilig. Unsere Bewegung war weder mystisch, kommunistisch, noch anarchistisch. Alle diese Bewegungen hatten eine Art Programm, aber unseres war vollkommen nihilistisch. Wir spuckten auf alles, uns eingeschlossen. Unser Symbol war das Nichts, ein Vakuum, eine Leere. (George Grosz ber Dada) We-re so pretty, oh so pretty ... vac-unt. (Die Sex Pistols) Obwohl der Punk-Stil oft direkt offensiv (mit Schimpfwrtern bedeckte T-Shirts) und bedrohlich auftrat (Terroristen-/Guerilla-Montur), sprach aus ihm in erster Linie die Gewalt seiner Cut-up-Collage. Wie in Marcel Duchamps Ready Mades (Massenartikel, die zu Kunstobjekten wurden, weil er sie dazu erwhlte) konnten die unbedeutendsten und unpassendsten Dinge - Nadeln, Wscheklammern, Elektronikteile, Rasierklingen, Tampons - in den Bereich der Punk-(Un-)Mode geraten. Solange nur der Bruch zwischen natrlichem und konstruiertem Zusammenhang klar sichtbar blieb, konnte jedes sinnlose oder sinnvolle Ding zum Teil der Konfrontationskleidung der Punks werden. Die Regel schien nur zu lauten: Wenn die Mtze nicht passt, setz sie auf! Objekte aus den ekligsten und banalsten Bereichen fanden ihren Platz im Punk -Ensemble: Lokusketten spannten sich in kunstvollen Bgen auf mllsack-bespannten Oberkrpern; Sicherheitsnadeln, aus ihrem huslichen Zweckzusammenhang befreit, stachen als makabre

Ornamente durch Wangen, Ohren und Lippen. Billige Ramschtextilien (PVC, Plastik, Lurex) mit vulgrem Design (falsches Leopardenmuster) und grellen Farben, die die bessere Modeindustrie lngst als veralteten Kitsch ber Bord geworfen hatte, wurden von den Punks geborgen und wieder zu Kleidungsstcken gemacht, die selbstbewusste Kommentare zu den blichen Geschmacks - und Modevorstellungen boten. Konventionelle Schnheitsvorstellungen und Make-up-Regeln wurden gemeinsam auf den Mllhaufen geschickt. Gegen den Rat smtlicher Frauenmagazine trugen Mnner wie Frauen Schminke, die nicht dezent sein, sondern gesehen werden wollte. Gesichter wurden zu abstrakten Portrts: zu scharf beobachteten und genau einstudierten Bildern der Entfremdung. Die Haare trug man offensichtlich gefrbt (wasserstoffblond, blauschwarz oder leuchtorange mit grnen Tupfern oder eingebleichten Fragezeichen), und T-Shirts und Hosen erzhlten die Geschichte ihres eigenen Zustandekommens mit tausend Reissverschlssen und zur Schau gestellten Nhten. hnlich wurden Teilstcke aus Schuluniformen (weisse Nyltest-Hemden, Schulkrawatten) symbolisch geschndet (die Hemden mit Graffiti oder falschem Blut bedeckt, die Krawatten ungebunden) und mit engen Lederhosen oder schockrosa Mohair-Oberteilen gekontert. Das Perverse und Anormale an sich war sehr beliebt. Besonders die verbotene Bildersprache sexueller Fetischismen setzte man kalkulierbar effektvoll ein. Frauenschndermasken und Gurnmidress, Lederzeug und Netzstrmpfe, unglaublich spitze und hohe Pfennigabstze, das ganze Sado-Maso_Zubehr - Riemen, Strapse und Ketten -, all diese Utensilien wurden aus Geheimfchern und Pornofilmen exhumiert und auf die Strasse gebracht, wo sie ihre verbotenen Konnotationeu entfalten konnten. Einige P unks streiften sich gar den schmutzigen Regenmantel ber - dieses alltglichste Symbol sexueller Abartigkeit und drckten so ihre Abweichung in angemessenem Proletenstil aus. Natrlich begngten sich die Punks nicht damit, die brgerliche Garderobe umzukippen. Sie unterminierten jeden relevanten Diskurs. Daher verwandelten sie auch den Tanz, der ja sonst in der britischen Rock- und Pop Kultur ein engagiertes und ausdrucksvolles Medium war, in eine leere Pantomime roboterhafter Bewegungen. Die Punk-Tnze hatten absolut keine Beziehung zu den zwanglosen Kontaktspielchen, die Geoff Mungham als wesentliche Form der Samstagnachtrituale der normalen Arbeiterjugendlichen bezeichnet. 61 Tatschlich straften die Punks jedes offene Zurschaustellen heterosexueller Interessen mit Verachtung und Misstrauen (Wer hat den langweiligen alten Knacker/den Schleimi hier reingelassen?). Und Tnze wie Pogo, Pose und Robot liessen den blichen Werbungsritualen keinen Platz auf der Tanzflche. Der Pose erlaubte zwar ein Mindestmass an Geselligkeit (es konnten zwei Leute mitmachen), aber meistens tanzte ihn ein gleichgeschlechtliches Paar, und physischer Kontakt schloss sich ohnehin aus, weil die im Pose dargestellte Beziehung rein professioneller Natur war. Der eine Partner nahm gewhnlich eine entsprechende klischeehafte Modepose ein, whrend der andere in den klassischen BaileyCrouch fiel (nach dem Fotografen David Bailey, der bei seiner Arbeit immer in die Hocke ging) und ein imaginres Foto schoss. Der Pogo schloss sogar dieses minimale Zusammenspiel aus, obwohl natrlich vor der Bhne immer mnnlich-krftig gerempelt wurde. Der Pogo war in der Tat eine reine Karikatur, die alle Solo-Tanzstile der Rockmusik ad absurdum fhrte. Er hatte hnlichkeit mi t dem Anti-Tanz der Leapniks (Hpflinge), die George Melly 62 im Zusammenhang mit dem Boom des Trad Jazz beschreibt. Die Pogo-Tnzer machten die immer gleichen, abgehackten Bewegungen (Luftsprnge, Arme in die Seiten geklemmt, e inen imaginren Ball kpfend) und wiederholten sie im Einklang mit den streng mechanischen Rhythmen der Musik. Im Gegensatz zur weit ausladenden, freien Tanzform der Hippies und zum Idioten-Tanz der Heavy-Metal-Rocker machte der Pogo jede Improvisation berflssig: nur wenn sich das Musiktempo nderte, vernderte sich auch der Tanz - schnelle Stcke interpretierte man mit manischer Hingabe als fickeriges Auf-der-Stelle-Bolzen, whrend die langsameren mit an Starrkrampf grenzender Selbstvergessenheit gehopst wurden. Der Robot - eine Verfeinerung, die man nur auf den exklusivsten Punk-Treffs beobachten konnte - war innerhalb der sehr engen Spannweite, die solche Begriffe im Punk haben konnten, weniger spontan, gleichzeitig aber ausdrucksvoller. Er bestand aus kaum wahrnehmbaren Hand- und Kopfzuckungen und etwas ausladenderem Rucken und Schlingern, die aufs Geratewohl abrupt gestoppt wurden. In der so erreichten Stellung hielt man fr einige Momente - manchmal sogar Minuten inne und nahm die ganze Sequenz genauso pltzlich wieder auf und spielte sie genauso willkrlich wieder durch. Einige besonders eifrige Punks trieben die ganze Sache noch ein paar Zacken schrfer und choreographierten ganze Abende - verwandelten sich fr ein paar Stunden in Automaten, in leben de Skulpturen. Auch die Musik unterschied sich hnlich vom breiten Durchschnitt der Rock - und Popmusik. Sie sprach - ob durch Mangel an Knnen oder absichtlich - die Leute durchgehend sehr einfach und direkt an. Und aus dem Nicht-Knnen machte man meistens noch eine Tugend (Wir wollen Amateure sein - Johnny Rotten). Typisch war ein mit allen Hhen auf volle Lautstrke gedrehtes Gitarrensperrfeuer,

das in Begleitung gelegentlicher Saxophonstsse erbarmungslos (un -)melodische Klangfolgen ber einen Hintergrund aus Schreistimme und missklingendem Schlagzeug schoss. Johnny Rotten definierte die Ansicht der Punks ber Harmonien treffend so: Wir stehen auf Chaos, nicht auf Musik. Die Namen der Gruppen (The Unwanted, The Rejects, The Sex Pistols, The Clash, The Worst) und die Titel der Songs (Belsen was a Gas, If You Don't Want to Fuck Me, Fuck You, I Wanna be Sick on You) reflektierten den fr die ganze Punk-Bewegung typischen Hang zu absichtlichen Schndungs und Entweihungsaktionen und den freiwillig angenommenen Ausgestossenen-Status der Punks. Solche Taktiken waren bestens geeignet - um mit Levi-Strauss' berhmten Worten zu sprechen - die Haare der Mtter ergrauen zu lassen. Zumindest in der Frhzeit des Punk liessen diese Garagen Bands alle musikalischen Ansprche unter den Tisch fallen; im alten romantischen Sinne ersetzten sie Technik durch Leidenschaft, die esoterische Haltung der bestehenden Elite durch die Sprache des kleinen Mannes und die brgerlichen Vorstellungen von Unterhaltung beziehungsweise d ie klassische Auffassung von hoher Kunst durch das heute schon wieder gewhnliche Arsenal von Frontalangriffen. Doch die strkste Bedrohung fr Ruhe und Ordnung brachten die Punks mit ihren Auftritten. Es gelang ihnen mit Leichtigkeit, alle bestehenden Konzert- und Nightclub-Konventionen ber den Haufen zu werfen. Natrlich hatte die Rockmusik diese Kategorien schon immer in Frage gestellt, und Rockauftritte hatten hufig alle mglichen Tumulte und Schlgereien mit sich gebracht - von zertrmmernden Teds ber hysterische Beatle-Fans bis zu den Happenings und Festivals der Hippies, wo sich Freiheit weniger aggressiv in Nacktheit, Drogenkonsum und allgemeiner Spontaneitt ausdrckte. Aber die Punk-Musik stellte auch hier einen neuen Aufbruch dar. Am entscheidendsten war dabei wohl, dass die Punks sowohl krperlich als auch in ihren Texten und ihrem Lebensstil nher auf ihr Publikum zuzurcken versuchten. Das ist sicher auch ausserhalb von Jugendsubkulturen nichts Einzigartiges, denn in revolutionren sthetiken (Brecht, die Surrealisten, Dada, Marcuse) stellte die Trennung zwischen Knstler und Publikum oft nur eine Metapher fr jene grsseren und unberschreitbaren Barrieren dar, die Traum und Kunst von der Wirklichkeit des Lebens im Kapitalismus trennen. Regelmssig berschwemmten Horden von Punks die Bhnen der Auftrittsorte, die sicher genug waren fr New Wave-Bands. Und wenn die Leitung des Hauses so eine krasse Missachtung der Veranstaltungsvorschriften dann nicht dulden wollte, schlossen sich Band und Anhnger in gemeinsamen Kotz - und Beschimpfungsorgien noch enger zusammen. Als die Clash im Mai 1977 im Rainbow Theatre White Riot spielten, wurden Sthle aus der Verankerung gerissen und auf die Bhne geworfen. Mittlerweile war jeder noch so apokalyptische Auftritt ein greifbarer Beweis, dass die Dinge sich ndern konnten und sich auch tatschlich nderten, ja, dass der Auftritt selbst eine Mglichkeit bot, die kein Punk missachten durfte. Die Musikpresse war voll mit Beispielen gewhnlicher Fans, die den symbolischen Schritt von der Tanzflche zur Bhne gebracht hatten: Siouxsie von Siouxsie and the Banshees, Sid Vicious von den Sex Pistols, Mark P von Sniffin Glue und Jordan von den Ants. Und sogar die bescheideneren Positionen der Rock-Hierarchie konnten noch eine attraktive Alternative zu einer arbeitslos verbrachten Jugend, zur stumpfsinnigen Plackerei in der Fabrik und zur Ode von Brojobs bieten. So munkelte man zum Beispiel, die Stranglers htten irgendwann mal die Finchley Boys vom Fussballplatz geholt und sie als Roadies eingestellt. Wenn diese Erfolgsstories auch (wie wir gesehen haben) zum Teil das Resultat gewisser sensationsgeiler Interpretationen der Presse gewesen sein mgen, so gab es doch Neuerungen auf anderen Gebieten, die eine Gegenbewegung gegen vorherrschende Festlegungen ermglichten. Vor allem versuchte man - zum erstenmal in einer vorherrschend aus der Arbeiterklasse stammenden

Jugendkultur - innerhalb der Subkultur selbst einen alternativen kritischen Freiraum zu schaffen, um der feindlichen oder zumindest verzerrten Berichterstattung der Medien ber die Punks entgegenzusteuern. Die Existenz einer alternativen Punk-Presse bewies, dass aus den begrenzt zur Verfgung stehenden Mitteln nicht nur Kleidung und Musik schnell und billig herge stellt werden konnten. Fanzines wie Sniffin Glue (Klebstoffschnffler) und Ripped and Torn (Zerfetzt und Abgerissen) waren von einer Gruppe oder einer Einzelperson herausgegebene Zeitschriften, die aus Kritiken, Artikeln und Interviews mit bekannten Punks bestanden, so billig wie mglich in kleiner Auflage produziert, zusammengeheftet und durch eine kleine Zahl sympathisierender Verkaufsstellen vertrieben wurden. Die verschiedenen Bltter redeten in wild entschlossener Arbeiter Sprache (das heisst, sie wa ren locker mit Schimpfwrtern gepfeffert). Tippfehler, grammatische Schnitzer, Rechtschreibungsfehler und durcheinan dergebrachte Seitenzahlen liess man bei der Schlussredaktion so stehen, wie sie gerade kamen. Und wenn Korrekturen oder Streichungen vorgen ommen wurden, kamen sie mit ins Heft, und die Leser durften sich ans Entrtseln machen. So entstand der unwiderstehliche Eindruck von Dringlichkeit und Direktheit, von in ungebhrlicher Hast zusammengehauenen Blttern von Notizen aus vorderster Front. Das brachte unweigerlich eine schrille, zupackende Schreibe mit sich, die man sich - genau wie die von ihr beschriebene Musik - nur schwer in Mengen reinziehen konnte. Gelegentlich mochte sich auch mal ein geistreicheres, abstrakteres Stck einschleichen - das was Harvey Garfinkel (der USEthnomethodologe) vielleicht als Hilfestellung fr schwerfllig Phantasie bezeichnen wrde. Sniffin Glue zum Beispiel, das erste und auch auflagenstrkste Fanzine, brachte den wohl hervorragendsten und einfallsreichsten Pr opaganda-Slogan der Punk-Subkultur - das definitiv Statement ihrer Do-ityourself-Philosophie -, eine Zeichnung mit drei Fingerstellungen auf einem Gitarrenhals, und darunter den Spruch: Hier hast du einen Akkord, da noch zwei, jetzt mach 'ne eigene Band auf. Sogar die Graphiken und Schriften von Plattenhllen und Fanzine stimmten mit dem unterirdischen und anarchischen Punk-Stil berein. Es gab zwei typische Grundmodelle: aus Graffitis bernommene und in fliessende Linien umgesetzte Sprhdosenschrift, u nd die aus anonymen Erpresserbriefen bekannte Schrift, die mit verschiedenen Druckbuchstabe mit verschiedenen Typen aus unterschiedlichsten Quellen zusammengeklebt war. Die Plattenhlle von God Save the Queen von den Sex Pistols etwa (spter auch auf T-Shirts und Posters gedruckt) verkrperte beide Stilarten: die grob zusammengesetzte Aufschrift klebte man ber Auge und Mund der Queen, die man zustzlich mit solchen schwarzen Balken unkenntlich gemacht hatte, wie sie sonst (mit der Konnotation Skandal oder Verbrechen) aus Zeitungen und Illustrierten bekannt sind. Und schliesslich erstreckte sich die fr die Punk-Subkultur charakteristische Selbsterniedrigung auch auf den Namen Punk (zu deutsch: Schund, Mist, Knlch, Hure) selbst, den der harte Kern der Subkulturmitglieder wegen seiner lcherlich-verchtlichen Konnotationen gemein und niedertrchtig, verdorben und wertlos - im allgemeinen dem neutraleren New Wave vorzog.

STIL ALS HOMOLOGIE Die Punk-Subkultur signalisierte also Chaos auf jeder Ebene. Aber das war nur mglich, weil der Stil selbst so durchgngig geordnet war. Das Chaos hing als ein geschlossenes Ganzes in sich zusammen. Unter Bezug auf ein anderes ursprnglich von Claude Levi-Strauss verwendetes Konzept, der Homologie, knnen wir versuchen, dieses Paradoxon aufzuschlsseln. Paul Willis hat den Begriff Homologie in seinem Buch Profane Culture, einer Untersuchung ber Hippies und Motorrad-Gangs, zum erstenmal auf Subkulturen bertragen. Er verwendete ihn, um die symbolische Stimmigkeit zwischen den Werten und dem Lebensstil einer Gruppe, zwischen den subjektiven Erfahrungen und den Musikformen zu beschreiben, mit denen sie ihre zentralen Anliegen ausdrckt oder verstrkt. Im Gegensatz zu den gngigen Mythen, die Subkulturen als Formen ohne Gesetze und Regeln beschreiben, ist die interne Struktur einer jeden Subkultur - wie Willis sagt durch extreme Ordentlichkeit gekennzeichnet: jeder Teil steht in einer organischen Beziehung zum anderen. Und eben durch diese Stimmigkeit zwischen den Einzelteilen erfahren die Subkulturmitglieder die Welt als sinnvoll. So machte beispielsweise die Homologie zwischen einem

alternativen Wertsystem (Tune in, turn on, drop out), halluzinogenen Drogen und Acid Rock die Hippie-Kultur fr den einzelnen Hippie zu einer zusammenhngenden ganzen Lebensweise. In Resistance Through Rituals kreuzten Stuart Hall und andere Autoren die Konzepte Homologie und Bricolage miteinander, um eine systematische Erklrung fr die Anziehungskraft eines bestimmten Subkultur-Stils auf eine bestimmte Gruppe von Leuten zu liefern. Die Autoren stellten die Frage: Was speziell bedeutet ein Subkultur-Stil fr die Mitglieder einer Subkultur? Die Antwort: Die angeeigneten und in subkulturellen Stilensembles wieder zusammengesetzten Objekte dienten dazu, ... Aspekte des Gruppenlebens widerzuspiegeln, auszudrcken und widerklingen zu lassen. Die ausgewhlten Objekte waren schon an sich oder in ihrer verwendeten Form mit den zentralen Anliegen und Aktivitten, der Gruppenstruktur und dem kollektiven Selbstbild der Subkultur homolog: Objekte, in denen (die Subkulturmitglieder) ihre zentralen Werte enthalten oder widergespiegelt fanden. Zur Veranschaulichung dieses Prinzips fhrten die Autoren die Skinheads an. Deren Stiefel, Hosentrger und Brstenschnitte wurden nur als angemessen - und daher sinnvoll - empfunden, weil sie die erwnschten Eigenschaften signalisierten: Hrte, Mnnlichkeit, Prolethaftigkeit. Auf diese Art ergaben die symbolischen Objekte - Kleidung, Auftreten, Sprache, rituelle Treffen, Interaktions- und Musikstile - mit den Beziehungen, Situationen und Erfahrungen der Gruppe eine Einheit. Die Punks liefern sicherlich die beste Besttigung dieser These. Die Subkultur war alles andere als uneinheitlich. Homologe Beziehungen gab es sowohl zwischen den billigen Cut -up-Klamotten und den Stachel-Haaren wie zwischen Pogo und Speed-Tabletten, Rotzen, Kotzen, Aufmachung der Fanzines, den Revoluzzerposen und der seelenlosen, fieberhaft peitschenden Musik. Der zerfetzte Aufzug der Punks war das Kleidungsquivalent zu ihren Schimpfwrtern: Sie fluchten mit kalkuliertem Effekt Obsznitten auf Plattenaufdrucken und in Publicity -Sprchen, in Interviews und in Love-Songs. Gekleidet in Chaos produzierten sie in der still orchestrierten Krise des All tagslebens in den spten siebziger Jahren ungebhrlichen Lrm - einen Lrm, der auf genau dieselbe Weise und in genau demselben Ausmass wie ein Stck Avantgarde-Musik (keinen) Sinn ergab. Wenn wir eine Grabinschrift fr die Punk-Subkultur entwerfen sollten, knnten wir am besten Poly Styrenes berhmten Spruch wiederholen: Oh Bondage, Up Yours! (zu deutsch etwa: Ach, Fesseln, leckt mich!). Oder etwas exakter: Das Verbotene ist erlaubt, aber genauso gibt es nichts, nicht einmal diese verbotenen Zeichen (Sado-Maso-Zeug, Sicherheitsnadeln, Ketten, Haarfarbe), das heilig und festgelegt wre. Diese Abwesenheit bestndig geheiligter Zeichen (lkonen) stellt den Semiotiker vor gewisse Probleme. Wie knnen wir irgendwelche positiven Werte in Objekten widergespiegel t entdecken, die man nur aussucht, um sie dann zu verwerfen? Wir knnen zum Beispiel sagen, dass die frhen PunkZusammensetzungen auf die Modernitt und Prolethaftigkeit des Bedeuteten verwiesen. Die Sicherheitsnadeln und Mllscke signalisierten eine entweder direkt erfahrene und bertriebene oder sympathisierend bernommene materielle Armut, die wiederum fr den spirituellen Mangel des Alltagslebens stehen sollte. Mit anderen Worten stellten die Sicherheitsnadeln jenen bergang von realem zu symbolischem Mangel dar, den Paul Piccone in From Youth Culture to Political Praxis beschrieben hat als Bewegung von leeren Mgen zu leerem Geist- und daher zu einem leeren Leben trotz aller Chrom- und Plastikdinge des Lebensstils der brgerlichen Gesellschaft. Wir knnten noch weitergehen und sagen, dass sogar die Armut parodiert wurde, dass die Ironie unleugbar ihre Haken hatte; dass unter dem clownhaften Make-up das unakzeptierte und entstellte Gesicht des Kapitalismus lauerte; dass jenseits der Horrorzirkus-Posten eine geteilte und ungleiche Gesellschaft beredt verdammt wurde. Wenn wir uns allerdings noch weiter vorwagen und die PunkMusik als den Sound der Stadtautobahnen und den Pogo als hpfenden Hochhusertango bezeichnen, bewegen wir uns auf weniger sicherem Boden. Solche Deutungen sind zu direkt und zu spekulativ zugleich. Sie berufen sich auf die eigene erstaunliche Rhetorik der Subkultur, und Rhetorik erklrt sich nicht von selbst: vielleicht sagt sie, was sie meint, aber sie bedeutet nicht, was sie s agt. Sie ist mit anderen Worten undurchsichtig: ihre Kategorien sind Teil ihrer Publicity. Um noch einmal auf J. Mepham zurckzukommen: Der wahre Text wird nicht durch stckweises Entschlsseln rekonstruiert, sondern indem man die ihn hervorbringenden ideologischen Kategorien und deren Ersetzung durch andere identifiziert. 63 Um den wahren Text der Punk-Subkultur zu rekonstruieren, um die Quelle ihrer subversiven Praktiken aufzuspren, mssen wir also zunchst die fr die exotisc hen Schaustcke der Subkultur verantwortlichen hervorbringenden ideologischen Kategorien aufspren. Gewisse semiotische Tatsachen sind unleugbar. So konstruierte sich die Punk -Subkultur - wie jede andere Jugendkultur - in

einer Serie spektakulrer Umwandlungen einer ganzen Reihe von Waren, Werten, normaler Haltungen. Erst mit diesen umgewandelten Formen konnten gewisse Teile der vorwiegend aus der Unterschicht stammenden Jugend ihren Widerstand gegen herrschende Werte und Institutionen neu darstellen. Wenn wir uns allerdings auf besondere Einzelheiten einzustellen versuchen, gibt es sofort Probleme. Was sollte zum Beispiel das Hakenkreuz bedeuten? Klar ist uns, wie das Symbol fr die Punks zugnglich wurde: durch die Berlin-Phase von David Bowie und Lou Reed. Es spiegelte eindeutig das Interesse der Punks an einem dekadenten Deutschland einem Deutschland, das no future hatte. Es rief eine Periode wach, die von dem Hauch einer machtvollen Mythologie umgeben war. Was die Briten betraf, so bedeutete das Ha kenkreuz traditionell Feind. Nichtsdestotrotz verlor das Symbol in der Verwendung der Punks seine ursprngliche faschistische Bedeutung. Die Punks sympathisierten im allgemeinen nicht mit den Parteien der extremen Rechten. Im Gegenteil: der Konflikt mit den wiederbelebten Teddy Boys und die Untersttzung fr die antifaschistische Bewegung (zum Beispiel Rock Against Racism) schienen darauf hinzuweisen, dass die Punk-Subkultur zum Teil als antithetische Antwort auf den Mitte der siebziger Jahre wiederauftauchenden Rassismus zustandekam. Daher mssen wir zu der offensichtlichsten Erklrung Zuflucht nehmen: das Hakenkreuz wurde getragen, weil es garantiert schockierte. (Eine Punkerin antwortete in Time Out auf die Frage, warum sie das Hakenkreuz trage: Punks wollen eben gehasst werden.) Das stellte mehr als eine einfache Umkehrung oder Beugung der gewhnlich mit einem Objekt verbundenen Bedeutungen dar. Der Bedeutungstrger, das Bedeutende (das Hakenkreuz), war vorstzlich von dem normalerweise bedeutenden Ko nzept (Nazismus) gelst worden, und obwohl er in einem anderen subkulturellen Kontext stand, leiteten sich sein hauptschlicher Wert und seine strkste Anziehungskraft genau aus seinem Mangel an Bedeutung ab: aus seinem Tuschungs-Potential. Der Bedeutungstrger wurde als leerer Effekt ausgebeutet. Damit drngt sich als Schlussfolgerung auf, dass der zentrale im Hakenkreuz enthaltene und widergespiegelte Wert das signalisierte Fehlen irgendwelcher so identifizierbarer Werte war. Letzten Endes war das Symbol genauso stumm wie die von ihm provozierte Wut. Der Schlssel zum Punk-Stil bleibt damit weiterhin verborgen. Statt an den Punkt zu gelangen, wo wir den Stil zu begreifen anfangen, finden wir uns an einer Stelle, wo die Bedeutung als solche sich verflchtigt. STIL ALS BEDEUTENDE PRAXIS Wir sind von Leere umgeben, aber es ist eine mit Zeichen angefllte Leere. (Henri Lefebvre Das Alltagsleben in der modernen Welt) Wie es scheint, sind die mit der traditionellen Semiotik operierenden Herangehensweisen an Subkulturen nicht in der Lage, uns Einlass in den schwierigen und widersprchlichen Text des Punk Stils zu verschaffen. Die traditionelle Semiotik hat ja ihren Ausgangspunkt in der Vorstellung einer in einem Zeichen mitgeteilten Botschaft. Der Teil des Zeichens, den man sinnlich erfassen kann (also im obigen Fall das Hakenkreuz), wird das Bedeutende genannt (in der Linguistik der Signifikant oder das Bezeichnende). Der Teil, auf den das Bedeutende hinweist, den es also bedeutet, heisst das Bedeutete (Signifikat, das Bezeichnete). Die Beziehung zwischen den beiden Teilen des Zeichens ist dann die Bedeutung oder eben die mitgeteilte Botschaft. Und diese Botschaft sieht man als eine Kombination von Elementen, die eindeutig auf eine feste Zahl von Bedeuteten hi nweisen, also eine zweifelsfreie Aussage. Bei der Punk-Subkultur scheinen wir mit einer so festen Zuordnung falsch zu liegen. Jeder Versuch, aus dem hier zu findenden, scheinbar unbegrenzten und oft anscheinend willkrlichen Spiel der Zeichen eine endgltige Gruppe von Bedeutungen herauszuziehen, ist offenbar zum Scheitern verurteilt. Aber seit einiger Zeit hat sich ein Zweig der Semiotik entwickelt, der sich genau dieser Probleme annimmt. Die einfache Vorstellung von Deutung als Enthllung einer festen Zah l verborgener Bedeutungen wird von diesem Ansatz zu Gunsten des sogenannten Polysemie-Konzepts verworfen, nach dem ein Text eine potentiell unbegrenzte Spannweite von Bedeutungen hervorbringt. Folglich wird die Aufmerksamkeit auf den Punkt - genauer: auf die Ebene - eines gegebenen Textes gerichtet, wo das Prinzip von Bedeutung selbst am zweifelhaftesten scheint. Eine solche Herangehensweise legt also weniger Wert auf die Vorrangstellung von Struktur und System der Sprache (langue) und

mehr auf die Stellung des sprechenden Subjekts in der Rede (parole). Sie beschftigt sich vor allem mit dem Prozess der Bedeutungsschaffung und weniger mit dem Endprodukt. Dieser Ansatz sieht Sprache als eine aktive, transitive (gerichtete) Kraft, die das Subjekt (Leser, Sprecher, Schreiber) formt und ihm seine Stellung zuweist, whrend sie selbst immer in Bewegung und zu unbegrenzter Anpassung fhig bleibt. Dieses Betonen der bedeutenden Praxis untersttzen die neuen Semiotiker mit der polemisch vorgebrachten Auffassung, das s Kunst der Triumph von Prozess ber Fixiertheit, von Unterbrechung ber Einheit, von Kollision ber Verbindung, also der Triumph des Bedeutenden ber das Bedeutete (des Signifikanten ber das Signifikat) ist. Wir knnen uns jetzt das Verhltnis zwischen Erfahrung, Ausdruck und Bedeutung in Subkulturen genauer ansehen, also auch die gesamte Stilfrage und unsere Stildeutungen. Wir haben gesehen, wie der Punk-Stil genau durch seinen Mangel an Festigkeit homolog zusammenpasste, also dadurch, dass er sich nicht um leicht identifizierbare zentrale Werte herum zusammenschloss. Statt dessen erhielt er seinen Zusammenhang elliptisch, durch eine Kette aufflliger Fehlstellen. Seine Haupteigenschaft war das Fehl-am-Platz-Sein, seine Ausdruckslositkeit. Und in diesem Punkt kann der Punk-Stil dem der Skinheads gegenbergestellt werden. Whrend die Skinheads ihre Klassenstellung theoretisierten und fetischisierten, um eine magische Rckkehr zu einer eingebildeten Vergangenheit zu erreichen, entfernten sich die Punks von der Elternkultur und stellten sich selbst ins Abseits: jenseits der Begriffsmglichkeiten der Leute von der Strasse, in eine Science Fiction-Zukunft. Sie spielten ihr Anderssein hoch und kreuzten in der Welt als unergrndliche Fremdlinge wieder auf. Obwohl die Punks Rituale, Wertsetzungen und Objekte absichtlich einsetzten, um so etwas wie arbeitermssiges Aussehen zu signalisieren, verbargen die einzelnen Punks ihre Herkunft hinter Schminke, Masken und Pseudonymen, die anscheinend - wie Bretons Kunst - als Tricks benutzt wurden, um dem Prinzip der Identitt zu entfliehen. (Andr Breton) Dieser Arbeiter-Look behielt daher im allgemeinen sogar in der Praxis, sogar in seiner konkretisierten Form die Dimension einer blossen Idee. Es war eine abstrakte, krperlose, aus dem Zusammenhang gerissene Form. Bar aller notwendigen Einzelheiten - ohne Namen, Heimat und Geschichte - entzog sie sich allen Deutungen, liess sich weder auf ihre Grundlagen zurckfhren noch in ihrer Geschichte nachlesen. Sie stand in gewaltsamein Widerspruch zu dem anderen grossen Punk-Signal: sexueller Abartigkeit. In ihrer Gegenberstellung hinterliessen diese beiden Formen (sexueller und sozialer) Abweichung den Eindruck vielfacher Entstellung, der garantiert die liberalsten Beobachter verstren und die zungenfertigen Beteuerungen radikalster Soziologen auf die Probe stellen musste. Obwohl die Punks sich also stndig auf die Realitten, wie Schule, Arbeit, Familie und Klasse bezogen, waren diese Anspielungen so gut wie sinnlos: nachdem sie einmal den gebrochenen Schaltkreis des PunkStils passiert hatten, tauchten sie nur noch als Lrm, als Strung, als Chaos wieder auf. Mit anderen Worten: die Punks spiegelten zwar sehr selbstbewusst Kategorien der brgerlichen Gesellschaft wie Ungleichheit, Machtlosigkeit und Entfremdung wider, aber das gelang ihnen nur, weil sie in ihrem Stil nicht nur mit der Elternkultur entschlossen gebrochen hatten, sondern auch mit ihrer eigenen erfahrenen Stellung in der Gesellschaft. Die im Punk-Stil verkrperten bedeutenden Praktiken trugen den Stempel dieses Bruches und dienten dazu, ihn vor der Welt zur Schau zu stellen. So wollten die Stilzusammensetzungen der Punks weniger magische Lsungen erfahrener Widersprche bieten, als vielmehr die Erfahrung von Widersprchen selbst in Form visueller Wortspiele darstellen (Sado-Maso-Rstung, zerrissene T-Shirts). Es trifft also zwar zu, dass die symbolischen Objekte der Punks (Sicherheitsnadeln, Pogo, Stachelhaare) mit den Beziehungen, Situationen und Erfahrungen der Gruppe eine Einheit ergaben, aber diese Einheit war brchig und ausdrucksvoll zugleich, oder genauer: sie drckte sich eben durch ihre Brchigkeit aus. Das soll natrlich nicht heissen, dass sich alle Punks ber die ihrem Stil letztlich zugrundeliegende Trennung zwischen Erfahrung und Bedeutung gleich stark bewusst waren. Zweifellos hatte der Stil fr die erste Welle selbstbewusster Neuerer auf einer Ebene seinen Sinn, die den erst spter (als Punk schon ein ffentliches Phnomen war) dazugekommenen Punks versch lossen blieb. Darin ist die Punk-Bewegung ja auch kein Einzelfall. In Subkulturen ist die Unterscheidung zwischen Vorreitern und Nachfolgern immer sehr wichtig. Und oft wird sie auch verbalisiert: in abflligen Bezeichnungen

wie Plastik-Punks oder Safety-Pin-People, Burrhead Rastas (Klettenkopf-Rastas), Rasta Bandwagon (Rasta-Trittbrettfahrer) und Freizeit-Hippies, gegenber den authentischen Leuten. Die Mods zum Beispiel hatten ein ausgefeiltes Einteilungssystem, mit dem die Kpfe und Stilisten des ursprnglichen Zirkels sich gegen die einfallslose Mehrheit absetzten - gegen das Fussvolk der kids und Scooter Boys, denen Trivialisierung und Abnutzung des kostbaren Mod -Stils vorgeworfen wurde. Darber hinaus engagieren sich die einzelnen Jugendlichen auch ver schieden stark in einer Subkultur. Ihr Engagement kann eines der wichtigsten Momente ihres Lebens sein - ein angesichts der Familie errichteter Angelpunkt, um den sich eine geheime und makellose Identitt herausbildet -, oder es kann nicht mehr als eine Ablenkung darstellen, ein bisschen Erleichterung von den monotonen, aber trotzdem bergeordneten Realitten von Schule, Zuhause und Arbeit. Es kann als Fluchtmittel benutzt werden, als vllige Ablsung von Gesellschaft und Familie genommen werden, aber es kann auch ein blosses Mittel sein, an einem Wochenende mal kurz Dampf abzulassen, um sich danach wieder einzufinden und huslich einzurichten. In den meisten Fllen soll mit einer Beteiligung an einer Subkultur sogar beides erreicht werden. Allerdings mssen die Mitglieder einer Subkultur - trotz dieser individuellen Unterschiede - eine gemeinsame Sprache sprechen. Und wenn ein Stil wirklich zndend sein und wirklich populr werden will, dann muss er die richtigen Sachen in der richtigen Art und zur richtigen Zeit sagen. Er muss eine Stimmung vorausahnen oder ein bestimmtes Moment in sich tragen. Er muss eine Sensibilitt verkrpern - und die im Punk-Stil verkrperte Sensibilitt war im wesentlichen aus der Bahn geworfen, war ironisch und sich selbst gewiss. Genau wie einzelne Mitglieder derselben Subkultur sich der Art und Weise, wie sie in ihrem Stil etwas sagen und was sie sagen, mal mehr, mal weniger bewusst sein knnen, genauso zeigen verschiedene Subkulturstile verschiedene Grade von Brchigkeit. Die offe nsichtlich abgerissenen, un gesunden Punks stachen aus der gewohnten Landschaft moralisierter Formen in aufregenderer Weise hervor, als die in einer Zeitung bezeichnend als blitzsauber, flott und ordentlich beschriebenen Mods, und das, obwohl die beiden Gruppen ja die gleiche bedeutende Praxis angewandt hatten (das heisst selbstbewusst subversive Bricolage). Zum Teil kann das die bekannten Feindseligkeiten zwischen den einzelnen Subkulturen erklren oder zumindest unterstreichen. Die Gegnerschaft zwischen den Revival-Teddy-Boys und den Punks zum Beispiel ging ber blosse Unvereinbarkeit auf der Ebene von Inhalten (verschiedene Musik, Kleidung) hinaus, ging sogar weiter als die verschiedenen rassischen Zugehrigkeitsgefhle der beiden Gruppen und ihre unterschiedlichen Beziehungen zur Elterngemeinschaft. Ihre Feindschaft war in den blossen Aufbau der beiden Stile eingeprgt; in die Art und Weise, wie sie Bedeutung mitteilten (oder mitzuteilen ablehnten). In der Presse interviewte Teddy Boys lehnten regelmssig die symbolische Plnderung der kostbaren Fnfziger-Jahre-Tracht (Rhrenhosen, Winkle Pickers, Schmalzlocken) durch die Punks ab und wehrten sich gegen die ironische und gottlose Verwertung dieser geheiligten Artefakte, wenn sie von den Punks in ihren Cut-up-Stil eingearbeitet wurden - wo vermutlich ihre Verbindung mit anderen Utensilien so etwas wie eine Verunreinigung darstellte (neben Militrstiefeln und Gummizeug!). Hinter den bevorzugten Cut -ups der Punks verbargen sich Anzeichen von Unordnung, Zusammenbruch und Kategorienverwirrung: das Verlangen, nicht nur rassische und Geschlechterbarrieren auszuhhlen, sondern ebenfalls - durch Mixen von Details aus verschiedener Perioden - die chronologische Reihenfolge durcheinanderzubringen. In dieser Funktion interpretierten die Teddy Boys den Punk-Stil vielleichi als einen Affront gegen die von ihnen untersttzten und wiederbelebter traditionellen Werte der Arbeiter, wie Unverblmtheit, klare Worte und sexuellen Puritanismus. Das Revival der Teddy Boys scheint - wie die Reaktion der Rockers auf die Mods und der Skinheads auf die Hippies - ein authentischer Gegenschlag gegen die proletarische Posiererei der New Wave gewesen zu sein. Die Art und Weise, wie es (ber eine magische Rckkehr zur Vergangenheit) die Enge von Nachbarschaft und Elternkultur, das Gewohnte und Verstndliche signalisierte, stand in perfektem Einklang mit der zutiefst konservativen Haltung der Nachfolge-Teds. Sie reagierten daher nicht nur auf die Objekte und Bedeutungen der Punks aggressiv, sondern auch auf die Art und Weise, wie diese die Objekte prsentierten und die Bedeutungen auseinandernahmen und neu zusammenbauten. In ihrer Reaktion wandten sie sich einer insgesamt primitiveren Sprache zu: sie kehrten zu einem Damals zurck, das besser als das Heute war - eine Haltung, die George Melly als ein ausgesprochenes Anti-Pop-Konzept bezeichnet hat. 64

Die zwei Stile stellen zwei verschiedene bedeutende Praktiken dar, die den Leser mit sehr verschiedenen Problemen konfrontieren. Wir knnen das Ausmass dieses Unterschieds - der im Grunde ein Unterschied im Grad der Geschlossenheit ist - mit Hilfe einer Analogie abschtzen. In seinem Tagebuch eines Diebes kontrastiert Jean Genet seine Beziehung zu dem flchtigen Armand mit seiner Vernarrtheit in den durchsichtigeren Stilittano mit Worten, die die Unterscheidung zwischen den beiden Praktiken illustrieren: Ich vergleiche Armand mit dem expandierenden Universum ... Er ist nicht festzulegen und lsst sich nicht auf erkennba re Grenzen einengen, statt dessen verndert Armand sich stndig, whrend ich ihm nachstelle. Stilittano dagegen ist schon eingekreist. Das Verhltnis zwischen Erfahrung, Ausdruck und Bedeutung in Subkulturen ist also unbestndig. Es kann eine mehr oder weniger organische Einheit bilden, die in etwa auf einen idealen Zusammenhang zusteuern will, oder es kann eine mehr oder weniger brchige, die erfahrenen Widersprche und Trennungen spiegelnde Zusammensetzung sein. Weiterhin knnen die einzelnen Subkulturen mal mehr, mal weniger progressiv oder konservativ sein, stark oder gering in die Gemeinschaft, im Einklang mit den Werten dieser Gemeinschaft, oder aus ihr herausgezogen, sich gegen die Elternkultur absetzend. Und schliesslich schlagen sich diese Untersch iede nicht nur in den Objekten der Subkulturstile nieder, sondern auch in den bedeutenden Praktiken, mit denen diese Objekte dargestellt und sinnvoll gemacht werden.

STIL IST KULTUR. ABER IST STIL AUCH KUNST? Malerei ist Schmuck ... Collage ist arm. (Louis Aragon) Wie sollen wir abschliessend den Stil von Subkulturen auffassen? Eine der offensichtlicheren Mglichkeiten wre, ihn in orthodoxen sthetischen Begriffen zu schtzen. Viele der Arbeiten ber Pop-Kultur haben genau das getan. Zwar sind sie oft in kmpferischem Geist abgefasst, um der oberflchlichen Behandlung ihres Gegenstandes durch konservative Kritiker entgegenzutreten, aber an einem bestimmten Punkt verlieren sie ihre rebellierende Schrfe und nehmen statt dessen Zuflucht zu jener herkmmlichen Verteidigungsmethode, dass Pop-Musik und die entsprechenden Stile schliesslich mindestens so gut sind wie die hohe Kunst. Einige Leute gehen noch weiter: Die ganze Teenagerentwicklung hat nur wenige Dinge hervorgebracht, die mehr Schnheit haben als verzierte Rocker-Jacken. Der kreative Impuls kommt in ihnen am reinsten und erfinderischsten zum Vorschein. Ohne jede Sentimentalitt kann man sagen, dass sie hochgradige Kunst darstellen symmetrisch, rituell, mit einer bizarren metallischen Brillanz und einer starken fetischistischen Kraft. 65 Man kann sich des Gefhls nicht erwehren, dass dies die Sache nicht trifft. Subkulturen sind in dem Sinne nicht kulturell, und die mit ihnen identifizierten Stile lassen sich weder ange messen noch sinnvoll als hochgradige Kunst bezeichnen. In ihnen manifestiert sich Kultur eher in einem weiteren Sinn: als Mitteilungs System, als Ausdrucksform und Darstellung. Sie entsprechen der Definition der strukturalistischen Anthropologie als verschlsselter Austausch gegenseitiger Botschaften. In dem Sinn haben sie tatschlich die Eigenschaft von Kunst, aber von Kunst innerhalb bestimmter Zusammenhnge nicht als zeitlose, mit unvernderlichen Kriterien zu bewertende Objekte, sondern als Aneignung, als Diebstahl, als subversive Umwandlung, als Bewegung. Wir haben gesehen, wie diese Stile als Formen bedeutender Praktiken beschrieben werden knnen. Aber wenn Kristevas These fr unsere Zwecke auch unntig komplex scheint, unter den strukturalistisch ausgerichteten Wissenschaftlern gibt es allgemeine bereinstimmung, dass sowohl knstlerischer Ausdruck als auch sthetisches Vergngen mit dem Zerstren existierender Kodes und dem Formulieren neuer zusammenhngt: ... sthetischer Ausdruck zielt darauf ab, Vorstellungen, Subtilitten und Komplexitten mitzuteilen, die bisher noch nicht formuliert worden sind, und daher neigen Kunstwerke dazu, sobald eine sthetische Ordnung generell als Kode (als Ausdrucksweise bereits formulierter Vorstellungen) empfunden wird, diesen Kode zu berschreiten und seine mglichen Vernderungen und Erweiterungen zu erforschen ... Kunstwerke sind zum grossen Teil wegen der Art und Weise 66 reizvoll, wie sie von ihnen scheinbar benutzte Kodes erforschen und abwandeln. Subkulturstile werden durch eine Dialektik, wie sie Culler hier beschreibt, zunchst geschaffen, dann angepasst und schliesslich abgelst. Und tatschlich kann die Abfolge der Nachkriegsjugendstile auf der formalen Ebene als eine Reihe vo n Umwandlungen einer anfnglichen Menge bestimmter Dinge wie Kleidung, Tanz, Musik und Jargon gesehen werden, die sich durch interne Polaritten (Mod Rocker, Skinhead - Greaser, Skinhead - Hippie, Punk - Hippie, Ted - Punk, Skinhead - Punk)

entfaltete und gegen eine parallele Reihe normaler Umwandlungen (Haute Couture, Durchschnittsmode) absetzte. Jede Subkultur durchluft einen Zirkel von Widerstand und Entschrfung, und wir haben gesehen, wo innerhalb der grsseren kulturellen und kommerziellen Formkrfte dieser Zirkel steht. Subkulturelle Abweichung wird von Schulen, Gerichten und Medien gleichzeitig erklrt und bedeutungslos gemacht, whrend im selben Moment die geheimen Objekte der Subkulturstile in allen Plattenlden der Einkaufsstrassen und allen Ladenketten in die Schaufenster gestellt werden. Von seinen ungesunden Konnotationen befreit, wird der Stil reif fr den ffentlichen Konsum. Andr Masson hat beschrieben, wie der gleiche Prozess zum Niedergang des Surrealismus beitrug: Diese Begegnung eines Schirms und einer Nhmaschine auf dem Operationstisch passierte nur einmal. Aufgesprt und wieder und wieder nachgemacht vulgarisiert sich das Ungewhnliche von selbst ... In den Schaufenstern der Geschfte ist eine peinliche Phantasie zu betrachten. Cut-ups und Collagen, so bizarr sie auch sein mgen, verndern die Dinge nicht, sie stellen sie bloss um. Und es braucht wohl nicht erwhnt zu werden, dass der explosive Zusammenschluss niemals zustandekommt: kein noch so machtvoller stilistischer Zauberbann kann die unterdrckerische Produktionsweise der in Subkulturen verwendeten Waren verndern. Und trotzdem hat der Stil sein wirkungsvolles Moment: sein kurzes schockierendes Spektakel. Und in unserer Untersuchung von Subkulturstilen sollten wir uns auf dieses Moment konzentrieren - also weniger auf die Objekte selbst, als auf den Akt der Umwandlung. Wenn wir uns die Rocker-Jacken noch mal vornehmen, dann knnen wir Nuttall in einem Punkt zustimmen: es sind tatschlich Objekte mit einer starken fetischistischen Kraft. Wir sollten allerdings versuchen, sie nicht zu sehr aus dem Zusammenhang abheben zu lassen, in dem sie produziert und getragen werden. Wenn wir uns berhaupt auf formale Begriffe einlassen wollen, so sind Subkulturstile sinnvoller als Abwandlu ngen und Erweiterungen bestehender Kodes und nicht so sehr als reiner Ausdruck kreativer Impulse, vor allem aber als bedeutungsvolle Abwandlungen, zu sehen. Manchmal werden diese Formen entstellt und sind entstellend. In diesem Fall trifft das zweifellos zu. Sie sind ein Gegenmodell zur symbolischen Ordnung strukturierter Erscheinungsformen jener Syntax, die den Produzenten ber oder gegen das von ihm oder ihr Produzierte stellt. Angesichts einer solchen Ordnung mssen sie unweigerlich von Fall zu Fall monstrse und unnatrliche Zge annehmen. Vieles in meiner Argumentation sttzt sich auf die Annahme, dass die zwei Positionen Neger und weisse Arbeiterjugend gleichgesetzt werden knnen. Diese Gleichsetzung kann ohne Zweifel angefochten werden - sie lsst sich mit den blichen soziologischen Methoden nicht berprfen. Obwohl sie in der Gesellschaft unleugbar vorhanden ist, gibt es sie doch nur als eine versunkene, immanente Mglichkeit, als eine existentielle Option; und eine existentielle Option lsst sich wissenschaftlich nicht belegen - entweder man sieht sie, oder man sieht sie nicht. Aber es liessen sich auch noch andere Einwnde vorbringen. Zuviel Betonung auf die Verbindung zwischen den beiden Gruppen zu legen, erweist einer schwarzen Gemeinschaft einen schlechten Dienst, die von Jahrhunderten der Unterdrckung geprgt ist: einer Kultur, die auf Gedeih und Verderb den Stempel einer einzigartigen Geschichte trgt, zumal sie auf dem Wege ist, sich von ihrem Master zu befreien und sich zu einer geschlossenen ethnischen Identitt zusammenzufinden. Als Folge sind natrlich die Beziehungen zwischen jung und Alt, zwischen Eltern und Kindern in der weissen und der schwarzen Kultur verschieden strukturiert. Der Reggae ist nicht nur Musik fr junge Schwarze, und obwohl die erwachsenen Westinder zweifellos leichtere Rhythmen mit weniger afrikanischem Einschlag vorziehen, sind Junge wie Alte doch beide Teil desselben aus der Verteidigung heraus organisierten Kollektivs, sind durch die gleichen geringen Chancen, die gleiche begrenzte Mobilitt miteinander verbunden. So werden die Jugendlichen aus der weissen Arbeiterschaft zwar aller Wahrscheinlichkeit nach ihr Leben lang Arbeiter bleiben, aber wenn sie einmal erwachsen sind, werden sie sich schliesslich, vielleicht nicht gerade an einem Platz an der Sonne, aber zumindest im gesellschaftlichen Konsens niederlassen. Die Schwarzen dagegen werden niemals die Benachteiligungen abschtteln knnen, die sie in unserer Gesellschaft allein wegen ihrer Hautfarbe erfahren. Sie wer den wahrscheinlich zumindest in absehbarer Zukunft auf der untersten Sprosse der Leiter bleiben. Trotzdem darf man annehmen, dass diese Unterschiede sich nach und nach verwischen, whrend sich die Schwarzen in unserer Gesellschaft immer mehr etablieren (es gibt bereits Anzeichen eines wachsenden Generationsbewusstseins unter schwarzen Jugendlichen), und solange wir die beiden Positionen nicht als vllig identisch zusammenwerfen, kann sich ein Vergleich zwischen schwarzen und weissen Subkulturen als sehr aufschlussreich erweisen. So haben wir beispielsweise gesehen, wie

Jugendkulturen beider Rassen bei Justiz und Presse hnliche Reaktionen hervorrufen. Der Reggae kann genausogut wie der Punk Rock als Unsinn oder berflssige Ablenkung von den wichtigeren Dingen des zeitgenssischen Lebens abgetan werden. Andere Leute wiederum knnen beide Formen als degeneriert bezeichnen oder einfach als nettes, harmloses Vergngen ansehen. Aber wie wir erkannt haben, gibt es zwischen ihnen einen tiefergehenden Austausch: sow ohl Reggae wie Punk Rock entstehen innerhalb von Subkulturen, die selbst wiederum als Antworten auf bestimmte historische Bedingungen aufkommen. In diesen Antworten verkrpert sich Verweigerung: sie haben ihren Anfang in einer den Konsens verlassenden Bewegung (und in westlichen Demokratien ist der Konsens etwas Heiliges). Sie stellen eine unwillkommene Offenbarung von Unterschieden dar, mit der die Mitglieder einer Subkultur Feindschaft, Spott und Hohn und stummen weissen Zorn auf sich ziehen. Subkulturen sind also ausdrucksvolle Formen, in denen - zumindest in letzter Konsequenz - die grundlegende Spannung zwischen den Mchtigen und den zu untergeordnetem Leben zweiter Klasse Verdammten zum Ausdruck kommt. Diese Spannung wird in den Formen der Subkulturs tile bildlich ausgedrckt, und es scheint angemessen, auch hier in unserer letzten Definition von Subkultur eine Metapher sprechen zu lassen. In einem seiner einflussreichsten Essays beschreibt Louis Althusser, wie die verschiedenen Teile der gesellschaftl ichen Bildung - Familie, Erziehung, Massenmedien, kulturelle und politische Institutionen - gemeinsam die Aufrechterhaltung der Unterwerfung unter die 67 herrschende Ideologie zustandebringen. Diese Einrichtungen vollziehen ihre F unktion jedoch nicht, indem sie die herrschenden Ideen direkt bermitteln. Vielmehr arbeiten sie sich gegenseitig in (wie Althusser es nennt) zhneknirschender Harmonie zu und reproduzieren die herrschende Ideologie genau in ihren Widersprchen. Nach meiner durchgngigen Interpretation sind Subkulturen Widerstandsformen, die erfahrene Widersprche und Einwnde gegen die vorherrschende Ideologie in ihrem Stil verzerrt zur Darstellung kommen lassen. Ich habe besonders das Wort Lrm benutzt, um die Herausforderung an die symbolische Ordnung zu beschreiben, als die solche Stile aufgenommen werden. Aber es wre vielleicht treffender und aufschlussreicher, sich diesen Lrm als die B-Seite von Althussers zhneknirschender Harmonie vorzustellen. ANMERKUNGEN 1. R. Williams, Culture and Society, 1961 2. M. Arnolds, Culture and Anarchy, 1868 3. R. Williams, Culture and Society, 1961 4. T. S. Eliot, Notes Towards a Definition of Culture, 1963 5. R. Williams, Culture and Society, 1961 6. R. Hoggart, Literature and Society in: American Scholar, 1966 7. R. Barthes, Mythen des Alltags, 198o 8. ebd. 9. E.P. Thompson, The Long Revolution, 196o 10. S. Hall, Culture, the Media and the ldeological Effect in: J. Currau u.a. (Hg.), Mass Communication and Society, 1977 11. L. Althusser, Fr Marx, 1974 12. V. N. Volosinow, Marxism and the Philosophy of Language, 1973 13. S. Hall, Culture, the Media and the ldeological Effect in: J. Currau u.a. (Hg.), Mass Communication and Society, 1977 14. K. Marx u. F. Engels, Deutsche Ideologie, 1846

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43. ebd. 44. ebd. 45. S. Hall (Hg.), Resistante Through Rituals, 1976 46. K. Marx, Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, 1852 47. G. Melly, Revolt into Style, 1972 48. L. Althusser, Lenin and Philosophy and Other Essays , 1971 49. S. Hall, Culture, the Media and the Ideological Effect, in: J. Currau u. a. (Hg.), Mass Communication and Society, 1977 50. J. Mepham, The Structuralist Sciences and Philosophy in D. Robey (Hg.), Structuralism: The Wolfson College Lectures, 1972 51. C. Levi-Strauss, The Elementary Structures of Kinship, 1969 52. J. Clarke, Style in S. Hall u. a. (Hg.), Resistance Through Rituals, 1976 53. H. Lefebvre, Everyday Life in the Modern World, 1971 54. R. Barthes, Mythen des Alltags, 1980 55. ebd. 56. ebd. 57. R. Barthes, Die Rhetorik des Bildes 58. U. Eco, Social Life as a Sign System, in: D. Robey, Structuralism: The Wolfson College Lectures, 1972 59. T. Hawkes, Structuralism and Semiotics, 1977 60. J. Clarke, The Skinheads and the Magical Recovery of Working Class Community, in S. Hall (Hg.), Resistance Through Rituals, 1976 61. G. Mungham, Youth in Pursuit of itself, in: Working Class Youth Culture, 1976 62. G. Melly, Revolt into Style, 1972 63. J. Mepham, The Theory of Ideology in Capital, I974 64. G. Melly, Revolt into Style, 1972 65. J. Nuttal, Bomb Culture, 1969 66. J. Culler, Saussure, 1976 67. L. Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, 1971

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