Selbst, enharmonisch verwechselt, zugleich einige ins Spekulatorische abgleitende Erörterungen zum Verhältnis von Theorie und Praxis illustrierend

Januar 10, 2019 § 9 Kommentare

selbst, enharmonisch verwechselt

 

 

Die enharmonische Verwechslung fristet in der bildenden Kunst ein Schattendasein. Beheimatet ist sie in der Musik, wo ein gis auch ein as sein kann, je nachdem, ob es sich E-Dur oder As-Dur zugehörig fühlt. Hört man aber nur den einen Ton, ohne Zusammenhang, weiß man weder wie er heißt, noch wo er hin will. Ein Homonym. Wie das Wort Ton, bei dem sich auch erst im textlichen Zusammenhang erschließt, ob er klingt, oder gebrannt werden soll. Freilich kann der gebrannte Ton auch zum Klingen gebracht werden. Aus dem einen Ton wird also der andere Ton, und da sind wir schon bei der enharmonischen Verwechslung, wo aus dem gis ein as wird. Der ganze Schlamassel mit der Doppeldeutigkeit rührt ja daher, dass die Praxis sich mal wieder nicht an die Theorie hält. Erreichen doch 12 übereinander gestapelte reine Quinten nicht ganz die ihnen der Theorie nach entsprechen sollenden 7 reinen Oktaven. Gott konnte nicht rechnen, so viel steht fest. Ausbaden müssen es die Musiker, oder besser die Klavierstimmer, die kein Intervall außer der Oktave rein stimmen dürfen, will die Pianistin auch mal die Ausgangstonart verlassen. Das ist so, als würde man die Kompassnadel, nach der sich ein Wanderer richtet, kontinuierlich weiter rücken, sodass der Wanderer immer wieder zuhause ankommt, egal wie lange er unterwegs ist. Übrigens bediente sich die Farbtheorie für die Bedürfnisse des Malers eines vergleichbaren Tricks, indem nämlich die Farben des Regenbogens aus der Linearität des physikalisch Messbaren in einen sich schließenden Kreis gezwängt werden, unter Zuhilfenahme einer Farbe, die im messbaren Spektrum nicht vorkommt: zwischen rot und violett, was dann der als pythagoreisches Komma bezeichneten Kluft in der Musiktheorie entspräche – oder wie auch immer. Fakt ist jedenfalls, dass die Welt hier nicht so ist, wie sie sein sollte. Oder gerade doch? Wie bereichernd sind die zarten Schwebungen, die durchs leichte Verstimmen in den Klang kommen, die Entfaltungsmöglichkeiten, die sich versierten Stimmern bieten im Ausbilden einer ganz eigenen Handschrift. So auch das illustre Farbspektrum, dass das Gehirn mit Hilfe dreier Zapfen dem Farbempfinden vorgaukeln kann.

Die verräterische Lücke

April 29, 2017 § 4 Kommentare

Der Mensch bewegt sich in einer physikalisch beschreibbaren Welt, und macht etwas ganz eigenes daraus. Farben zum Beispiel. Töne auch. Aber hier soll es um Farben gehen. Elektromagnetische Wellen, sagen die Physiker, und weisen daraufhin, dass wir nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtspektrums aller elektromagnetischen Wellen mit unserem Sinnesapparat wahrnehmen können. Aber was für einen! Aus dem nicht sichtbaren Infrarot kommend steigert sich die Frequenz der Wellen und wird als Rot dem menschlichen Auge sichtbar, durchläuft mit stetig zumehmender Frequenz alle Farben des Regenbogens um beim Violett Richtung Ultraviolett den Bereich des Sichtbaren wieder zu verlassen. Weil aber der Mensch doch ein Problem mit dem rein Linearen, Unendlichen, Nicht-Enden-Wollenden hat, schließt er die Farben zum Kreis und überbrückt eine winzige Lücke, für die es in der physikalischen Welt keine Entsprechung gibt. (Nebenbei bemerkt: Auch im allen Musikern bekannten Quintenzirkel, als Versuch, die Welt der Töne mit der Physik zu versöhnen, klafft ja eine Lücke, das sog. Pythagoreische Komma) Überhaupt gibt es die Farben, genauer: Farbeindrücke nicht in der physischen Welt. Sie sind Ergebnis dessen, was der Wahrnehmungsapparat eines hoch entwickelten, biologisch beschreibbaren Organismus daraus macht. Im Aufeinandertreffen zweier Welten entsteht ein Drittes: Physis + Organismus = Farbe. Das hat noch gar nichts damit zu tun, dass vielleicht jeder etwas anderes als „rot“ sieht. Das durchaus kommunizierbare Phänomen „rot“ existiert schlicht nur in einer von Menschen bevölkerten Welt. Andere Lebewesen mit anderen Sinnesorganen machen womöglich etwas ganz anderes aus einer elektromagnetischen Welle, wenn sie sie denn überhaupt wahrnehmen können. Vielleicht erzeugt sie Schmerz, vielleicht tötet sie gar. Ich aber stelle mir vor, dass eines, hoffentlich sehr fernen Tages, die drei letzen überlebenden Menschen um eine Kuh stehen und das Farbspiel auf ihrer Haut betrachten. Fallen sie tot um, ist auch die Farbe weg. Und die arme Kuh bekäme nichts davon mit.

 

 

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