Offizielle und inoffizielle Zensurverfahren in der DDR: Eine Fallstudie zu Günter Kunert Page: 39
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deutlich, wie die verschiedenen Ebenen der Begutachtung EinfluB auf die Gestaltung der
literarischen Offentlichkeit nahmen, und wie sie daraber bestimmten, in welchem MaB
der Autor Ginter Kunert iberhaupt an die Offentlichkeit gelangte.
IV. Der Fall Kunert
Ginter Kunert begann seine Karriere als Schriftsteller mit der Veroffentlichung des
ersten Gedichtbandes Wegweiser und Mauerinschriften (1950). Er wurde von Bertolt
Brecht und Johannes R. Becher gefordert und in Schutz genommen. Wer ihn kennt,
weiB, daB Kunert immer seine Meinung vertritt, und sich nicht scheut, diese Meinung zu
auBern. Seit dem Ende der DDR ist er ein ausgesprochener Kritiker des ehemaligen
Regimes. Der Rest dieses Aufsatzes wird schildern, wie Kunert verschiedene Offentlich-
keiten innerhalb und auBerhalb der DDR fir sich herausarbeitete und wie die Zensurver-
fahren und der Staatssicherheitsdienst versuchten, Kunerts Offentlichkeiten einzuschran-
ken.
Er war berzeugter Marxist, ein Glaube, der von seiner Kindheit stammte. Trotz die-
ser Jberzeugung weisen seine Gedichte, Prosatexte und Essays kritische Zige auf.
Sogar seine fruhesten literarischen Versuche wurden "wegen ihrer zu stark pessimisti-
schen Tendenz" zurickgewiesen.36 In einem Interview betonte Kunert, daB er nicht pes-
simistisch sei, sondern eher skeptisch und miBtrauisch, eine psychologische Distanzie-
rung, die er schon wAhrend der Nazizeit entwickelte.37 Dennoch gab Kunert nicht leicht
nach und lieB sich nur schwer vom Staat einschranken. Der Beginn eines operativen
Vorgangs, die planmaiige Uberwachung durch das Ministerium fir Staatssicherheit,
begann schon 1957: "HA XX/7 wird seit 1957 in einem operativen Material als politisch
schwankender und labiler Mensch unter operativer Kontrolle gehalten."38 1956 erweckte
Kunert die Aufmerksamkeit der Stasi durch seine Teilnahme am "Donnerstag-Club", der
sich im Restaurant des Clubs der Kulturschaffenden traf, um nach dem Muster des
Budapester PetOfi-Clubs Ober die Zukunft und die Moglichkeit eines sozialistischen
Frthlings zu reden. Unter den Teilnehmern war IM "Dichter". In den 50er Jahren erhielt
er auch die Rechte fUr seine Texte im Westen, eine Tatsache, die Kunert eine Offentlich-
keit im Westen garantierte.39 Es war auch eine Gelegenheit, Texte ohne die Genehmi-
gung des Biros far Urheberrechte zu publizieren. Immer wieder fiel er wegen seiner
gespitzten Kritik und seines Pessimismus auf. Und immer wieder veroffentlichte er im
36 SAPMO Barch DY27/2951. "Brief vom Ulenspiegel-Verlag an Gunter Kunert."
37 Gesprach mit dem Autor am 17. Oktober 1995.
38 Gunter Kunert, Erwachsenenspiele. Erinnerungen. Munchen: Hanser, 1997, S. 311.
39 Andere Autoren gaben ihre Rechte an die DDR-Verlage zuruck, vermutlich als ein Zeichen
der Solidaritat mit dem neuen sozialen System. "Die Veroffentlichung eines Textes in West-
deutschland war und blieb das Hauptargernis und beeinfluBte - auch wenn die Devisen ord-
nungsgemaB in die DDR flossen - den Spielraum der Zensur." Siehe Siegfried Lokatis: "Pha-
sen deutsch-deutscher Literaturpolitik der DDR unter Ulbricht - Devisenprobleme, AuBen-
handelsinstrumente und Kontrollinstanzen." In: Mark Lehmstedt/ Siegfried Lokatis (Hg.):
Das Loch in der Mauer. Der innerdeutsche Literaturaustausch. Wiesbaden: Harrassowitz
Verlag, 1997, S. 32-55. Hier S. 54-55.39
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Costabile-Heming, Carol Anne. Offizielle und inoffizielle Zensurverfahren in der DDR: Eine Fallstudie zu Günter Kunert, article, 2002; [New York, New York]. (https://digital.library.unt.edu/ark:/67531/metadc701845/m1/9/: accessed May 1, 2024), University of North Texas Libraries, UNT Digital Library, https://digital.library.unt.edu; crediting UNT College of Arts and Sciences.