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Die Autorinnen halten ihre Gedanken zu Nutzendengruppen mithilfe des Jobs-to-be-Done-Frameworks auf einem Whiteboard fest

Wie User-Research-Rollen die Nutzerzentrierung systema­tisieren

Staatliche digitale Angebote sind nur dann nutzendenorientiert, wenn sie für und mit den späteren Nutzenden entwickelt werden. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und die Nutzerorientierung in ihrem Servicestandard als oberstes Prinzip der Verwaltungsdigitalisierung definiert. Denn die Umsetzung kann nur dann erfolgreich sein, wenn Bürger:innen, Unternehmen und Verwaltungsmitarbeitende diese Angebote tatsächlich nutzen und einen Mehrwert davon haben.

Wenn wir Verwaltungsleistungen digitalisieren, müssen wir sicherstellen, dass wir unsere Nutzenden und ihre Bedürfnisse genau kennen. Dafür betreiben wir Nutzendenforschung – oder, wie wir sagen, „User Research“. Seit Frühjahr 2023 haben wir dafür eigens weitere Spezialist:innen an Bord.

Im folgenden Blogbeitrag resümieren die User Researcher:innen ihre ersten Monate innerhalb des DigitalService. Sie zeigen, wie sie die User-Research-Subdisziplin aufbauen, welche Hürden und Erfolge es gibt und welche nächsten Schritte geplant sind.

Startschuss für die Subdisziplin User-Research

Schnell ist uns klar geworden: User-Research ist von Beginn an tief verankert in der Kultur des DigitalService. So hat in den Projekten bereits sehr viel User-Research stattgefunden, auch bevor es dedizierte User Researcher:innen gab. Diese Arbeit haben bisher vor allem Designer:innen und Produktmanager:innen übernommen, von denen einige umfassende Erfahrungen mit nutzerzentrierten Arbeitsweisen und Produktentwicklung mitbrachten.

Deshalb organisierten wir in der Design-Disziplin einen Workshop-Tag zu User-Research, auf dem wir gemeinsam ein Verständnis für die gerade neu gestartete Subdisziplin User-Research entwickelten und uns über den Status quo der Projekte austauschten.

Drei zentrale Aufgaben von User Researcher:innen

Im Laufe des Tages erarbeiteten wir gemeinsam drei zentrale User-Research-Aufgaben:

  1. Projektarbeit: Interdisziplinäre Projektteams unterstützen Nutzerbedürfnisse zu verstehen, um evidente Entscheidungen treffen zu können
  2. Verwaltungstransformation: Empathie für Nutzende in der Verwaltung schaffen und so unserer Transformationsdisziplin Argumente für eine nutzerzentrierte Arbeitsweise zu geben
  3. Enablement: Kolleg:innen dabei unterstützen, User-Research systematisch in ihre Arbeit einzubinden und selbst durchzuführen
Designer:innen des DigitalService sitzen bei einem Workshop-Tag zusammen; eine Mitarbeitende klebte große bunte Notizzettel an ein Whiteboard

Vier Projektphasen mit unterschiedlichen Aufgaben

Im Fokus unserer Arbeit als User Researcher:innen steht, die Projektteams dabei zu unterstützen, die Bedürfnisse von Nutzenden zu verstehen. Die Erkenntnisse übersetzen wir gemeinsam in digitale Angebote oder Services, die schließlich einen hohen Mehrwert für die Nutzenden bieten. Ebenso stellen wir als User Researcher:innen sicher, dass die richtigen Maßnahmen mit der notwendigen Qualität zur richtigen Zeit umgesetzt werden.

  • In der Discovery-Phase identifizieren wir gemeinsam mit dem Team die potenziellen Nutzendengruppen und verstehen ihren Kontext, ihre Probleme und Bedürfnisse. Diese Erkenntnisse übersetzen wir in User-Journeys, identifizieren Problemfelder und bereiten damit eine Entscheidungsgrundlage für das weitere Arbeiten vor, zum Beispiel welchen Umfang der digitale Service haben muss oder ob der Hebel nicht außerhalb eines digitalen Angebots liegt.
  • In der Konzeptphase arbeiten wir eng mit dem Team zusammen, um mögliche Lösungswege zu explorieren. Beispielsweise fragen wir uns: Welche Lösung erfüllt die Nutzendenbedürfnisse am besten? Das kann dann etwa ein Online-Formular, ein Chatbot oder vielleicht gar kein digitales Angebot sein.
  • In der Weiterentwicklungsphase übersetzen wir mit dem Team die Bedürfnisse in einen digitalen Service. Dabei führen wir in regelmäßigen Abständen Interviews und Usability-Tests durch. Hier prüfen wir, ob der Service bedienbar, Barrierefreiheit gewährleistet ist und Usability-Kriterien erfüllt sind. Die größten Problemfelder werden priorisiert, optimiert und das Angebot von uns iterativ durch Nutzende getestet.
  • Wenn ein Angebot schließlich live ist, unterstützen wir die Teams dabei, die Nutzerzufriedenheit zu beobachten und über kontinuierlichen Kontakt mit Nutzenden das Angebot stetig zu verbessern und erweitern. Das machen wir mittels Interviews, Usability-Tests, Umfragen und dem Sichten von Support-Anfragen und Nutzerverhalten auf dem Angebot.

Erste Maßnahmen: Planung, Methoden und Integration in die agile Arbeitsweise

Die praktische Arbeit in den Teams zeigte uns, dass der nächste Schritt eine systematische Integration von User-Research in die bestehenden Prozesse sein muss. Denn eine konsequente Nutzerzentrierung folgt klaren Strukturen.

  • Wie können wir in bereits laufenden Projekten prüfen, ob die entwickelte Lösung die Nutzendenbedürfnisse trifft, wenn die uns teilweise nicht bekannt sind?
  • Wie können wir sicherstellen, dass User-Research-Aktivitäten als Kontinuum und nicht punktuelle Einzelmaßnahmen zu verstehen sind?
  • Wie können wir sicherstellen, dass das Wissen langfristig nutzbar ist?

Unsere ersten Maßnahmen:

  1. Planung: Wir haben User-Research in den Planungsprozess der Projekte eingebunden. Beispielsweise haben wir User-Research-Aktivitäten aus den vorab definierten Zielsetzungen abgeleitet, in eine Roadmap überführt und die Ziele für die User-Research zu Beginn festgelegt. Die Ergebnisse sollten dazu dienen, die nächsten Schritte im Projekt nutzerzentriert auszurichten.
  2. Methoden: Abhängig von den Zielen, haben wir die Teams dabei unterstützt, den passenden methodischen Ansatz zu finden und konnten so im Laufe der Monate den Methodenkoffer erweitern. Bereits gängig waren vorrangig qualitative Methoden wie Tiefeninterviews, Usability-Tests und Shadowing. Wir haben quantitative Methoden wie Online-Befragungen oder Metriken und Frameworks zur Messung der Wirkung hinzugefügt. Weiterhin haben wir die Arbeit mit standardisierten Frameworks, wie das Jobs-to-be-Done-Framework, eingeführt. Diese unterstützen dabei, systematisch Nutzendenbedürfnisse zu erheben und diese in praktische Handlungsfelder zu übersetzen.
  3. Integration in agile Arbeitsweise: Um diese Ziele und methodische Arbeit alltagstauglich zu machen, haben wir den Teams dabei geholfen, User-Research in ihre Sprintformate mit den Projektstakeholdern zu integrieren und eine Arbeitsweise zu etablieren, die es ermöglicht, kontinuierlich Ideen für die Weiterentwicklung eines Services zu generieren. Dabei war es uns immer wichtig, dass das gesamte Team in die User-Research-Maßnahmen integriert war.
Die Autorinnen sitzen zusammen im DigitalService Büro und diskutieren über Balkendiagramme, die auf einem Laptop-Bildschirm zu sehen sind

Wertschätzung und professionelle Perspektive

„Es hat das komplette Arbeiten verändert, was wir tun und wie wir priorisieren“ – das ist ein Ausschnitt aus dem Feedback, welches wir nach sechs Monaten aus unseren Projektteams erhalten haben. Das Zitat zeigt: User-Research ist ein zentraler Hebel, um Verwaltungsservices wirklich nutzerzentriert zu gestalten.

Während die ersten Wochen manchmal herausfordernd waren, da wir und die bestehenden Projektteams unterschiedliche Erwartungen und Ansprüche hatten, zeigte sich der Erfolg unseres Einsatzes in einem wertschätzenden Feedback: Die klare Verantwortlichkeit der Nutzerzentrierung in einer User-Research-Rolle entlastete Teammitglieder bei ihrer täglichen Arbeit. Wir konnten schnell helfen, dem Baustein Nutzerzentrierung eine langfristige, strukturierte, methodisch vielfältige und fachlich professionelle Perspektive zu verleihen. Außerdem sahen die Teams einen klaren Mehrwert für die Kommunikation mit Stakeholdern und deren Einbeziehung.

Die ersten Schritte haben gezeigt, mit welchen Maßnahmen nutzerzentrierte Arbeit gut in die Projektteams etabliert werden kann. Jetzt gilt es für uns, unsere Zusammenarbeit mit den Teams weiter auszubauen. Dafür möchten wir die User-Research-Rolle weiter ausdefinieren. Wir werden gezielt weiter Wissen und Methoden aus der User-Research in den Teams etablieren und sie so befähigen, Projektphasen zu erkennen, deren Umfang einzuschätzen und dazu passende Research-Maßnahmen selbst umzusetzen. Inhaltlich wollen wir den Bereich der Qualitätssicherung der User-Research ausbauen, was Hand in Hand mit einer verbesserten Wirkungsmessung und der Gewährleistung von Barrierefreiheit der Maßnahmen geht.

Zwei Mitarbeitende stehen zusammen mit den Autorinnen vor einem Whiteboard auf dem viele bunte Notizzettel geklebt wurden

Wie geht es weiter?

User-Research ist ein breites Feld und eine nutzerzentrierte Arbeitsweise erstreckt sich von der strategischen Themenpriorisierung über User-Needs bis hin zur iterativen Entwicklung und Optimierung von digitalen Produkten und Services. Vieles ist passiert, vieles ist noch zu tun. Darum wird die Subdisziplin im DigitalService weiter ausgebaut, indem uns neue Kolleg:innen verstärken.

Darüber hinaus möchten wir uns als User Researcher:innen stärker mit der Community vernetzen und haben eine monatliche Austauschrunde unter User Researcher:innen auf Verwaltungsebene initiiert. Diese findet aktuell am letzten Dienstag jeden Monats statt. Wer sich angesprochen fühlt, ist herzlich eingeladen, sich zu melden (z. B. über LinkedIn bei Martin oder Sonja) und den Weg gemeinsam mit uns zu gehen.

In einem nächsten Blogbeitrag wollen wir teilen, wie wir starten, die Subdisziplin unabhängig von der Arbeit mit den Projektteams im DigitalService zu etablieren.


Porträtfoto der Autorin Sonja Wilczek

Sonja Wilczek

ist Senior User Researcherin beim DigitalService. Ihre Leidenschaft gilt der nutzerzentrierten Entwicklung von digitalen Services und Produkten, die einen echten Mehrwert stiften. In der Vergangenheit hat sie verschiedene Unternehmen dabei begleitet, das Thema User-Research zu etablieren, zuletzt TIER Mobility. Wenn sie nicht gerade mit den Projektteams über Nutzerbedürfnisse spricht, trifft man sie mit ihren Kindern im Garten oder mit ihrem Partner auf einem Konzert.

Porträtfoto der Autorin Lisa Henke

Lisa Henke

arbeitet freiberuflich im Bereich User-Research und hat während des letzten Jahres beim DigitalService zum Thema Steuern geforscht. In der Vergangenheit hat sie sowohl inhalt­lich für verschiedene Branchen (B2B & B2C) und Produkte das Thema nutzerzentrierte Produktentwicklung vorangetrieben als auch den Aufbau interner Prozesse und Teams begleitet. Ihre Leidenschaft ist die strategische Ableitung von Erkenntnissen, um sinn­stif­tende Produkte zu entwickeln.