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Am falschen Ende gespart? Daimlers Top-Ingenieure wechseln massenhaft zu Tesla

18. Januar 2021 | Tobias Stahl
Mercedes-Mitarbeitern, die das Unternehmen freiwillig verlassen, wird der Abschied mit saftigen Abfindungssummen versüßt
(imago images / Jürgen Heinrich)Mercedes-Mitarbeitern, die das Unternehmen freiwillig verlassen, wird der Abschied mit saftigen Abfindungssummen versüßt

Den Abbau von weltweit 10.000 Stellen will der Daimler-Konzern seinen deutschen Mitarbeitern mit großzügigen Abschiedsprämien erleichtern. Diese werden zwar gern angenommen, kommen jedoch vielleicht zur falschen Zeit: Elektroautopionier Tesla sucht gerade händeringend gut ausgebildetes Personal für seine deutsche Gigafactory. Für Daimler könnte sich der "goldene Handschlag" noch als Fehler herausstellen.

Um sich zu verschlanken plant der Daimler-Konzern, weltweit rund 10.000 Stellen abzubauen. Der strenge deutsche Kündigungsschutz erschwert dieses Vorhaben, also braucht es Abfindungsprämien, um für abwanderungswillige Mitarbeiter einen Anreiz zu schaffen. Dabei zeigt sich der Stuttgarter Autobauer nicht gerade knauserig: Wer 45 Jahre alt sei und bei Daimler 6.500 Euro brutto im Monat verdient, soll mindestens 215.000 Euro Abfindung erhalten. Wer sich möglichst schnell zum Gehen entscheide, erhalte noch eine "Express-Prämie" obendrauf und bekommt insgesamt bis zu 275.000 Euro Abfindung, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Zeit ist während der Corona-Pandemie zu einem noch wichtigeren Faktor geworden: "Den Strukturwandel, gerade im Bereich Automotive gab es schon länger", erklärt Inga Dransfeld-Haase, Präsidentin des Bundesverbandes der Personalmanager, gegenüber der FAZ. "Aber Corona wirkt wie ein Beschleuniger".

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Während die Einsparungen seitens Daimler nicht ungewöhnlich sind, ist es die Höhe der Prämien allemal. Dabei handelt es sich um ein Überbleibsel vergangener Zeiten, erklärt Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft in Bergisch Gladbach, gegenüber dem Nachrichtenportal Business Insider: "Daimler ist überbesetzt, vor allem die Verbrennersparten. Alle wissen das in der Branche, das Sparprogramm wundert nicht. Die Höhe der Abfindungen hingegen schon. Die kommt durch die Verträge zustande, die noch vor zehn bis fünfzehn Jahren geschlossen wurden, als die deutschen Autobauer noch deutlich stärkere Wachstumsraten hatten". Diese Zeiten seien jedoch vorbei, so Bratzel: "Ich bin mir sicher, dass das der letzte große goldene Handschlag in diesem Ausmaß ist“.

Doch es könnte sein, dass der "goldene Handschlag" zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt kommt. Viele der scheidenden Daimler-Mitarbeiter sind noch jung und haben noch viel vor – zur Not auch bei der Konkurrenz. Ex-Daimler-Ingenieure, mit denen Business Insider gesprochen hat, seien um die 40 Jahre alt, hätten also noch einen großen Teil ihres Berufslebens vor sich, seien sehr gut ausgebildet und wollen beruflich aufsteigen. Mit den üppigen Abschiedsprämien in der Tasche bewerben sich diese Ingenieure nun bei Branchenpionier Tesla, der gerade in Grünheide bei Berlin seine erste europäische Gigafactory baut. Tesla-CEO Elon Musk braucht tausende, zuverlässige und gut ausgebildete Mitarbeiter, um den für diesen Sommer angesetzten Start der Produktion zu stemmen.

Der US-Autobauer zahlt zwar ordentliche Gehälter, diese seien jedoch immer noch niedriger als bei Daimler, VW oder BMW. Dafür lockt Tesla laut Business Insider mit Aktienpaketen im mittleren fünfstelligen US-Dollar-Bereich – und die Aktien des Autobauers haben sich in der Vergangenheit als gute Investition herausgestellt. Noch dazu dürften die Gehaltseinbußen die Ex-Daimler-Ingenieure dank der großzügigen Abfindung eher wenig stören.

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Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer formuliert es gegenüber dem Business Insider zugespitzt: "Daimler betreibt ungewollte Quersubventionierung von neuen Tesla-Mitarbeitern", sagt Dudenhöffer. "Die Amerikaner wissen um das Abfindungsprogramm und können ehemaliger Daimler-Mitarbeiter deutlich günstiger einstellen, weil diese Abstriche beim Einkommen machen wegen des Geldpolsters." Es sei auch wirklich ein unglückliches Timing, das Daimler gewählt habe, "auch wenn ich mir sicher bin, dass die Stuttgarter das nicht hätten viel länger hinauszögern können", erklärt Dudenhöffer.

Das Abfindungsprogramm, das Dudenhöffer als „Breitbandantibiotikum“ bezeichnet, könne gar zur Gefahr für Daimler werden. Der Konzern verabschiede so nämlich auch leistungsstarke Mitarbeiter, die der Konzern wahrscheinlich gern behalten hätte, zu Tesla. Und das in einer Zeit, in der Mercedes eine eigene Elektro-Offensiv mit 6 neuen Fahrzeugen ausrollen möchte, davon allein drei in diesem Jahr.

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