Im Vordergrund sieht man ein weinendes Kleinkind in weißem T-Shirt auf dem Boden sitzen, dahinter erkennt man etwas verschwommen die beiden streitenden Eltern auf dem Sofa, der Vater hat ein weiteres kleines Kind auf dem Schoß
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Streit in der Familie – Dauerkrach darf nicht sein

01.02.2020

Der Streit mit Eltern und Geschwistern kann sehr belastend sein. Das emotionale Klima in der Familie beeinflusst die körperliche und psychische Gesundheit wesentlich. Trotzdem klappt es auch bei großem Verantwortungsbewusstsein der Eltern manchmal nicht mit dem guten Klima. Türen knallen, Tränen fließen oder das Schweigen quält. Wie viel Streit darf sein? Wie kann man damit umgehen?

Es kommt ja selten vor, dass zwei Menschen zum selben Zeitpunkt dasselbe wollen. Deswegen mangelt es in Familien selten an Konfliktstoff, erklärt der dänische Familientherapeut Jesper Juul in “Grenzen, Nähe, Respekt“, einem seiner vielen Büchern über Familie und Erziehung. In Familien stoßen oft die unterschiedlichsten Bedürfnisse aufeinander. Diese Konflikte sollten nicht unbedingt vermieden werden, auch die Traurigkeit danach sollte nicht unterdrückt werden. „Es ist wichtig, traurig sein zu können, wenn man etwas verloren hat, ein Familienmitglied, einen Hamster oder die Vorfreude auf die riesengroße Eistüte“, meint Juul. Denn alle Menschen besitzen eine angeborene Fähigkeit, Konflikte so durchzuhalten, dass sie sich dadurch weiter entwickeln. Viele Erwachsenen hätten diese Fähigkeit verlernt. Wenn man sie jedoch beibehält, lerne man auch die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, statt  anderen die Schuld für Misserfolge zu geben, so Juul.

Gesunder Streit

Kein Grund zur Panik also, wenn Teenager Türen knallen, Kleinkinder Wutanfälle kriegen und Eltern streiten. Gehen Eltern beim Streit den Kindern nach und versuchen noch ein Mal alles zu erklären oder sie zu trösten, werden sie oft weggeschickt. Das bedeute, erklärt der Familientherapeut: „Du solltest meine Trauer nicht stören, sonst bin ich noch länger frustriert. „Beschränke man sich darauf, auf der Bettkante zu sitzen und behutsam eine Hand auf dem Rücken des Kindes zu legen, so dürfe man vielleicht dort bleiben. Theoretisch alles einfach – die Praxis zeigt leider auch andere Streitverläufe. Wo hört der gesunde Konflikt auf und wie viel Streit ist normal?

Diese und ähnliche Fragen hat die systemische Familientherapeutin und Beraterin Nina Ballenberger von der Praxis für Psychotherapie Echtler-Geist in Stuttgart für Luftballon beantwortet. „Streit ist normal – unter Geschwistern, unter den Eltern, in der ganzen Familie – solange das noch konstruktiv ist, solange man verschiedene Bedürfnisse hat und es darum geht, Kompromisse zu finden.“ erklärt die Therapeutin.  Bei einem guten Kompromiss müssen beide Parteien bereit sein, auch auf etwas zu verzichten.

Der Streit unter Geschwistern zum Beispiel sei ein Übungsfeld, so Ballenberger. „Oft richten Eltern ihre Aufmerksamkeit auf den Streit und merken manchmal nicht, dass die Kinder davor Stunden miteinander ohne Streit gespielt haben“, tröstet die Therapeutin. Doch wenn der Streit zu Beschimpfungen, Beleidigungen oder gar zur Gewalt eskaliert, ist er nicht mehr erträglich. Eltern sollten dann nicht versuchen, ihn zu unterbinden, sondern die Kinder anleiten, selbst einen Lösungsweg zu finden.

Manchmal sei es sinnvoll, die Kinder erst räumlich zu trennen und später nach einer Lösung zu suchen. Wenn zwei streiten, fühlt sich die ganze Familie unwohl. Man könnte die jüngeren Mitglieder der Familie von dieser Spannung etwa so entlasten: „Das war jetzt ganz schon stressig für euch. Was braucht ihr jetzt?“, schlägt Ballenberger vor. Pubiertierende sollte man zuerst herunterkühlen lassen und erst dann mit ihnen das Gespräch suchen, im Dialog bleiben und deren Bedürfnisse ernstnehmen. Dabei sollte man Verallgemeinerungen vermeiden. Also nicht „Immer knallst du die Tür“, erklärt Ballenberger. Stattdessen wäre „Was hat dich denn so geärgert, dass du am Ende die Tür knallen musstest?“. Dies sollte man außerhalb der Konfliktsituation klären. Dabei könnte man gemeinsam versuchen herausfinden, was für alle wichtig ist, was jede/jeder dringend verändern will und so einige Regeln miteinander ausmachen. Es ist wenig hilfreich zu suchen, wer schuld ist, sondern was das eigentliche Problem ist, raten Experten.

Diese Art, gesund zu streiten, gilt natürlich auch für den Streit mit jüngeren Kindern. Man müsse mit Respekt jedes Kind ernst nehmen und herausfinden, was es eigentlich braucht. „Wenn man aber die Bedürfnisse der Kinder nicht mehr selbst erkennt, so ist es sinnvoll, professionelle Hilfe zu holen, um diese zu erfahren.“ sagt die Familientherapeutin.

Wie viel Konflikt unter Eltern können Kinder vertragen?

Besonders schmerzvoll für alle ist, wenn sich die Eltern nicht mehr gut vertragen. Solange sie gemeinsam nach Lösungen suchen und die Kinder miterleben, dass sie sich auch versöhnen können, könnten Kinder das ertragen, meint Ballenberger. Sobald aber der Streit nur destruktiv wird und man keine guten Zeiten mehr miteinander hat, gar Demütigungen zu spüren sind oder auch Eltern nicht mehr aufeinander zugehen, ist die gesunde Grenze überschritten und eine professionelle Beratungsstelle sinnvoll.

„Schweigen ist eine der schlimmsten Aggressionsformen“, erklärt Ballenberger. Bei einem Elternstreit gilt zu überprüfen – „Nehme ich den anderen ernst? Lasse ich ihn ausreden? Ist er mir wichtig? Bin ich bereit, für ihn Kompromisse einzugehen? Um welche Sache genau geht es im Streit?“ – zählt Ballenberger wichtige Streittechniken auf. Und hier gilt ebenfalls – lieber früher Hilfe zu holen, als sich im Streit zu versteifen. Das müsse niemandem peinlich sein.

Keine vorgefertigten Lösungen

Die Erfolgschancen einer Familientherapie sind von vielem abhängig: An welchem Punkt sind die Menschen, die sich Hilfe holen? Sind sie unzufrieden, aber suchen nach einer Lösung oder hat sich einer innerlich schon verabschiedet? Es wird nach den Bedürfnissen der Familien geschaut und das ganze Familiensystem betrachtet. Steht vielleicht ein Kind ganz am Rand? Oder wenn es in der Partnerschaft Konflikte gibt – sind die Eltern eigentlich noch ein Paar? Die Lösung ist offen. Es könnte vorkommen, dass jemand damit unzufrieden ist oder nicht an einer Therapie teilnehmen möchte. Es sei wichtig, dass die Bereitschaft von allen da sei, so Ballenberger.

Wenn Pubertierende merken, sie werden ernst genommen, dann werden sie auch offener für Lösungsmöglichkeiten. Sollten jedoch nicht alle Konfliktparteien zu einer Therapie bereit sein, könnte man auch allein zu einer Beratung gehen und dadurch erfahren, was man selbst verändern kann. Oft wird es nach wenigen Sitzungen entspannter, sagt Ballenberger. Manchmal kommen die Lösungen jedoch nicht sofort, denn man müsse auch bereit sein, sich selbst ein Stück zu verändern und sich neue Verhaltensweisen anzueignen, dabei seien selbst die kleinen Veränderungen wertzuschätzen.

Funkstille

Bei aller Mühe kommt es auch mal zu einem Kontaktabbruch. Ballenberger erklärt: „Man kann niemanden zu einem Kontakt verpflichten, wenn keine Bereitschaft da ist.“ Wer jedoch den Kontakt sucht, kann ihn immer wieder anbieten und signalisieren – du bist mir wichtig, meine Tür steht offen, rät sie. Nicht selten brechen erwachsene Kinder den Kontakt zu ihren eigenen Eltern ab. Manche Psychotherapeuten sehen darin ungelöste Konflikte. Bevor man aber den Kontakt abbricht, sollte man alles aussprechen, raten sie. Diese Aussprache sollte immer in Ruhe an einem neutralen Ort stattfinden oder schriftlich.

Beratungszentren des Jugendamtes:
www.stuttgart.de/beratungszentren-jugend-familie

Nichtstädtische Beratungsstellen:
-Frauen helfen Frauen e.V., www.fhf-stuttgart.de
- Frauenhaus-Notfallnummer: 0711542021
- Psychologische und soziale Beratungsstelle der Caritas: www.caritas-stuttgart.de
- Psychologische Beratungsstelle der evangelischen Kirche: www.beratungsstelle-stuttgart.de
- Pro Familia Stuttgart: www.profamilia.de
- Kinderschutzzentrum (Beratung für Kinder und Jugendliche) www.kisz-stuttgart.de
- AWO - Interkulturelle Familienberatung: www.awo-stuttgart.de
- Therapeutenliste Familientherapie: www.therapie.de

Andere Beratungsstellen und Institute:
- Sabine König, Praxis für Erziehungsfragen, www.koenig-s-kinder.de
- Fides podschun, Pädagogische Beratung, www.fides-podschun.de
- Likom, www.likom.info
- Freie Beratungsstelle Stuttgart e.V., Paar- und Familientherapie: www.freie-beratungsstelle.de
- Stuttgarter Institut für Systemische Therapie (StlF): www.stif-stuttgart.de
- Sonnenbergklinik, Fachklinik für analytische Psychotherapie: www.sonnenbergklinik.de
- Familienberatung Praxis für lösungsorientierte Beratung: www.familienberatungstuttgart.de

Es ist ratsam, sich über die Kosten und eine mögliche Kostenübernahme von den Krankenkassen im Vorfeld zu erkundigen.