Of Fathers And Sons: Die fehlgeleiteten Kinder des Kalifats

of-fathers-and-sons-die-kinder-des-kalifats-3

Film: Of Fathers And Sons (2018), Regisseur: Talal Derki, Lesedauer: 10 Minuten, Bild: Port-au-Prince (24 Bilder)

Osama und sein Bruder finden einen Spatz. In einem Käfig wollen sie ihn halten. Weil er die beiden aber pikst, schlachten sie ihn doch lieber. Sie halten ihm ein Messer an die Kehle und hacken dann seinen Kopf ab. Stolz verkünden sie das anschließend ihrem Vater, der ja selbst einmal einen Mann enthauptet hatte, so Gott will.

Die Brüder oder viel mehr ihr Vater gehören der radikal-islamischen Gruppe ,Al-Nusra‘ an, ein Ableger der Al-Qaida. Gemeinsam leben sie in Syrien. Der Berliner Regisseur Talal Derki hat die Familie für seinen Dokumentarfilm ,Of Fathers And Sons‘, nomminiert für die Kategorie ,Bester Dokumentarfilm‘ bei den Oscars, 300 Tage lang begleitet.

Wie sich Syrien, Talal Derkis ehemalige Heimat, verändert hat, wie der IS hier seine Ideologie besonders verbreiten konnte, warum ein Vater seinen 13-jährigen Sohn lieber in den Krieg statt in die Schule schickt, wie extreme Gewalt entstehen kann – das wollte Derki wissen. 2011 knüpft er während der Dreharbeiten für seine Dokumentation ,Return to Homs‘, die den syrischen Bürgerkrieg thematisiert, Kontakte zu diversen Kameramännern, erzählt der Produzent Hans Robert Eisenhauer. Einige von ihnen sind heute selbst Islamisten. Sie führen den Regisseur und seinen Begleiter Kahtan Hasson (Kamera) zu Osama (13), seinen Bruder Aymen (12) und den Vater Abu Osama, denen er sich als Kriegsfotograf vorstellt. Sein Leben habe er bisher falsch gelebt, sagt er ihnen, jetzt wolle er den richtigen Glauben anerkennen und einen verherrlichenden Film über die ,Al-Nusra‘ drehen.

Generationsübergreifende Gewalt

Dabei rausgekommen ist eine zutiefst erschütternde Dokumentation, eine, die zeigt, wie aussichtslos die Situation ist, wenn Gewalt generationsübergreifend schon an kleine Kinder weitergegeben wird. Osama und sein Bruder Aymen haben keine Chance auf Alternativen, wachsen ohne Schulbildung auf, umgeben von radikalen Anhängern, die nur die Religion predigen. Sie haben kein Spielzeug, keine Bücher, keine andersdenkenden Freunde. Sie sind Isolierte. Sogar von ihren Müttern, die nicht mit ihren Söhnen reden dürfen und ein sklavenähnliches Dasein hinter einer Wand fristen, wo sie putzen und kochen. Im Film tauchen sie nicht einmal auf, sie exstieren gar nicht, und, so Eisenhauer,

wenn Talal versucht hätte, die Frauen vor die Kamera zu bekommen, würde er heute nicht mehr leben.

Manchmal spielen Osama und sein Bruder in leeren Panzern oder bauen kleine Bomben in Plastikflaschen. Sie sollen den oppositionellen Feind zerfetzen, so Gott will. In diesen Szenen begegnen wir ihnen noch spielerisch, unwissend über das, was folgen wird. Kurze Zeit später schon sehen wir sie in Kampfanzügen und mit Sturmhauben in einem Trainingslager für junge Dschihadisten. Erst jetzt lernen sie den Ernst der Lage kennen, beschweren sich hilflos und verängstigt über die immer schimpfenden Ausbilder, kriechen nachts unter einer Decke zusammen und werden am Ende auseinandergerissen. Osama zieht in den Krieg, Aymen geht wieder zur Schule. Sie werden sich nie wiedersehen.

Grundpfeiler der Vernunft nützen nichts mehr

Warum lässt ein Vater das zu? Weil er ein Monster ist? Abu Osama jedenfalls ist keins, zeigt er sich in vielen Szenen doch als liebender Vater, der seine Kinder am Geruch erkennen kann, ihnen zärtlich in die Augen sieht, sie beschützen will.

Ein Kriegseinsatz ist für ihn aber der Inbegriff von Männlichkeit, härtet ab, ist vielleicht das Beste, was seinen Jungs passieren kann. Er opfert sie ja nur, weil er glaubt, es sei das Richtige – und das macht den Film umso fataler. Die gezeigte Gehirnwäsche geht über alle logischen, aber vor allem moralischen Grundsätze, die uns zur Vernunft bringen müssten, spätestens, wenn wir unsere Kinder in den sicheren Tod schicken.

Kurz vor ihrem Abschied liest Aymen seinem Bruder noch ein Gedicht vor, eins von zwei Robotern, die Liebe lernen wollen. Osama wird in eine Welt gehen, in der es keine mehr gibt.

Standard