Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung einem Vermieter Recht gegeben, der von seinem Mieter eine Mieterhöhung verlangte. Der BGH äußert sich dabei auch zum Berliner Mietendeckel (Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln)) und legt ihn einschränkend in dem Sinne aus, dass er der Mieterhöhung im konkreten Fall nicht entgegensteht.

Mieterhöhung nach BGB

Gemäß § 558 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Vermieter die Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen, wenn die Miete in dem Zeitpunkt, zu dem die Erhöhung eintreten soll, seit 15 Monaten unverändert geblieben ist. Nach § 558a Abs. 1 BGB ist das Erhöhungsverlangen dem Mieter in Textform (§ 126b BGB) zu erklären und zu begründen.

  • Stimmt der Mieter zu, so kommt eine wirksame Vereinbarung mit der Zustimmung des Mieters zu dem Mieterhöhungsbegehren des Vermieters zustande (§ 558b Abs. 1 BGB).
  • Kommt es zum Rechtsstreit nach § 558b Abs. 2 BGB, tritt die Vertragsänderung erst mit der Rechtskraft des der Zustimmungsklage des Vermieters stattgebenden Urteils ein.
    • Die rechtliche Ausgestaltung des Mieterhöhungsverfahrens als einzuklagender Anspruch auf Zustimmung zu einer Vertragsänderung führt dazu, dass die vom Vermieter angestrebte Vertragsänderung vorbehaltlich einer Zustimmung des Mieters erst mit rechtskräftiger Verurteilung des Mieters wirksam wird.
    • Allerdings geht es bei dem als Klage auf Abgabe einer Willenserklärung ausgestalteten Mieterhöhungsverfahren materiell um einen Anspruch des Vermieters auf Erhöhung der Miete zu dem sich aus § 558b Abs. 1, 2 BGB ergebendem Zeitpunkt: Zum Beginn des dritten auf das Erhöhungsverlangen folgenden Monat. Insoweit hat der im Mieterhöhungsprozess unterliegende Mieter die erhöhte Miete also auch nachträglich zu entrichten.

Hindernis Mietendeckel?

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln ist eine Miete verboten, welche die am 18. Juni 2019 (Stichtag) wirksam vereinbarte Miete überschreitet.

Siehe ausführlich: Leitfaden MietenWoG Bln: Was der Berliner Mietendeckel regelt und was Vermieter beachten müssen

Verstößt nun ein Mieterhöhungsverlangen, mit dem der Vermieter die Zustimmung zu einer Mieterhöhung ab einem vor dem Stichtag liegenden Zeitpunkt begehrt, gegen das in § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln angeordnete gesetzliche Verbot einer Überschreitung der am 18. Juni 2019 wirksam vereinbarten Miete? Der BGH verneint das und bestätigt damit auch die Rechtsansicht etwa des AG Charlottenburg, Urteil vom 4. März 2020 – 213 C 136/19.

Siehe ausführlich: Ein Klimadeckel für den Mietendeckel? Zur Nachhaltigkeit landesrechtlicher Mietpreisregulierung am Beispiel des MietenWoG Berlin

Zwar wird die vom Vermieter angestrebte Vertragsänderung im Streitfall erst mit rechtskräftiger Verurteilung des Mieters wirksam – im entschiedenen Fall nach dem Stichtag des § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln (18.06.2019). Und nach dem Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln könnte daher die nach dem BGB zulässige Mieterhöhung am Berliner Mietpreisrecht scheitern. Der BGH legt den § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln nach senem Sinn und Zweck aber dahin aus, dass von dem darin geregelten Verbot (jedenfalls) gerichtliche Mieterhöhungsverfahren nicht erfasst sind, in denen der Vermieter einen Anspruch auf Erhöhung der Miete zu einem vor dem Stichtag liegenden Zeitpunkt verfolgt.

Denn § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln bezweckt lediglich, Mietsteigerungen ab dem Stichtag zu verhindern, nicht aber die materielle Rechtslage in bereits laufenden Mieterhöhungsprozessen zum Nachteil des Vermieters zu verändern.

BGH

Siehe auch schon: Mietendeckel und Rückwirkung: Berliner Senat beschließt Mietendeckel – rückwirkend zum 18.06.2019?

Der Landesgesetzgeber hat eine auf den Tag der Gesetzesankündigung („Eckpunktepapier“) bezogene Rückwirkung des Gesetzes allein deshalb für erforderlich gehalten, weil dem Gesetzeszweck zuwiderlaufende Mitnahmeeffekte in Form von Mieterhöhungen in dem Zeitraum zwischen Bekanntwerden des Gesetzesvorhabens und Inkrafttreten des Gesetzes unterbunden werden sollten.

BGH

Dem Berliner Gesetzgeber fällt damit seine in der Tat problematische Begründung und seine fehlende Auseinandersetzung mit dem BGB-Mietpreisrecht auf die Füße:

  • Ein solcher Mitnahmeeffekt ist nach dem BGH bei Klagen nach § 558b Abs. 2 BGB, die auf Zustimmung zu einer Erhöhung zu einem vor dem Stichtag liegenden Zeitpunkt gerichtet sind, ausgeschlossen.
  • Die Konstellation eines im Stichtagszeitpunkt anhängigen Mieterhöhungsprozesses nach § 558b Abs. 2 BGB wird in den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle erörtert, was aber zu erwarten gewesen wäre, wenn auch zum Stichtag bereits fällige und prozessual durchsetzbare Zustimmungsansprüche von dem Verbot hätten erfasst werden sollen. Der Landesgesetzgeber redete nur von „Rechtsgeschäften“ und erfasste das BGB-Gesetzesrecht damit bewusst oder unbewusst nur unvollständig.

In der Konsequenz des Versuchs des Landesgesetzgebers, mit dem MietenWoG Bln in das BGB-Mietpreisrecht einzugreifen, um zugleich aus Kompetenzgründen zu behaupten, man greife nicht in das BGB ein, tun sich unweigerlich Argumentationslücken und Begründungsfefizite auf, die der BGH dem Vermieter gezielt zunutze macht. Der BGH verhilft dem BGB in diesem Fall zum Vorrang gegenüber dem Berliner Mietendeckel, mit anderen Worten:

BGB ./. MietenWoG Bln

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HINWEIS I:
Nach dem LG Berlin (65. Zivilkammer, Urteil vom 31.07.2020 – 65 S 71/20) greifen die der o. g. Entscheidung des BGH zugrunde liegenden Erwägungen auch, wenn das Mieterhöhungsverlangen vor dem Stichtag erstellt worden ist, die Wirkung der Vertragsänderung – wegen § 558b Abs. 1 BGB (iVm § 894 ZPO) aber erst nach dem Stichtag eintritt. Ein Mieterhöhungsverlangen, das vor dem Senatsbeschluss vom 18. Juni 2019 abgefasst wurde, begründe die vom Landesgesetzgeber beschriebene Gefahrenlage ebenso wenig wie ein solches, dessen Wirkungszeitpunkt (zusätzlich) vor dem Stichtag liegt, denn es sei – in beiden Fällen – in Unkenntnis des Senatsbeschlusses an den Mieter gerichtet worden.

Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist es nicht vertretbar, an den Beginn der allgemeinen (politischen) Diskussion eines Regelungsthemas so weitreichende Rechtsfolgen zu knüpfen – wie hier – ein an den Vermieter gerichtetes Verbot, seinen Anspruch aus geltenden Vorschriften des sozialen Wohnraummietrechts des BGB zu verfolgen.

HINWEIS II:
Die 65. Zivilkammer des Landgerichts Berlin hat mit Urteil vom 15.07.2020 – 65 S 76/20 auch schon entschieden, das in § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln geregelte Verbot erfasse bei verfassungskonformer Anwendung der Regelung nicht den zivilrechtlichen Anspruch des Vermieters auf Zustimmung des Mieters zu einer Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete aus § 558 Abs. 1 BGB. Aus § 3 Abs. 1 MietenWoG Bln lasse sich keine Sperrwirkung zulasten des Anspruchs des Vermieters auf Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete im laufenden Wohnraummietverhältnis nach §§ 558ff. BGB ableiten.
Siehe ausführlich: Berliner Mietendeckel Update: Durchblick in den Entscheidungen des Landgerichts und Licht auf die „Schattenmiete“

HINWEIS III:
Nach der 64. Zivilkammer des Landgerichts Berlin (Beschluss vom 25.06.2020 – 64 S 95/20) folgt aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass auch ein vor dem gesetzlich festgelegten Stichtag des 18. Juni 2019 erklärtes und zum 1. September 2019 wirksam werdendes Mieterhöhungsbegehren nicht unter den zeitlichen Anwendungsbereich des MietenWoG Bln fällt.

Und was ist mit der Wirksamkeit des Mietendeckels?

Der viel wichtigere Wettkampf ist aber natürlich ein anderer:

GG ./. MietenWoG Bln

Über die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz entscheidet das Bundesverfassungsgericht, nicht der Bundesgerichtshof. Gleichwohl äußert sich letzter auch zu der zentralen Frage des Berliner Mietendeckel: Ist dieser verfassungskonform oder nichtig? Er lässt es wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit offen.

Ob das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin unbeschadet der hiesigen Erwägungen zur Auslegung des § 3 Abs. 1 Satz 1 dieses Gesetzes einer verfassungsrechtlichen Kontrolle standhält, was von verschiedenen Seiten aus mehreren Gründen bezweifelt wird, kann danach – wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit – offen bleiben.

BGH

Allerdings steht nun zunächst eine landesverfassungsrechtliche Entscheidung an – aus Bayern, aber von Interesse auch für Berlin: Bayern, Berlin & Bund: Verfassungsgericht entscheidet über Volksbegehren Mietenstopp – und Mietendeckel?


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