vg-leipzig-2022-bpol-asyl-an-grenze

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Urteil des VG Dresden vom 26.08.2022 Az: 3 L 547/22

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Frist nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf
Jahre nicht überschreiten.

Aufgrund der – wie ausgeführt - nach summarischer Prüfung rechtmäßig angeordneten Zu-
rückschiebung des Antragstellers musste die Antragsgegnerin ein Einreise- und Aufenthalts-
verbot nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erlassen. Nur hinsichtlich der Festlegung der Län-
ge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbotes handelt es sich gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1
AufenthG um eine Ermessensentscheidung, die durch das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO
daraufhin zu überprüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten sind
und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Ge-
brauch gemacht wurde. Die diesbezüglichen Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Ver-
fügung vom 4. Juli 2022 halten einer gerichtlichen Prüfung unter Berücksichtigung des sich
aus § 114 Satz 1 VwGO ergebenden (eingeschränkten) Prüfungsumfangs nicht stand, da
diese überhaupt kein Ermessen ausgeübt hat (Ermessensnichtgebrauch).

Nach Auffassung der Kammer dürfte sich die Befristung eines in Folge einer Zurückschie-
bung des Ausländers erlassenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - der Bestimmung der
Geltungsdauer eines an eine Abschiebung anknüpfenden Einreise- und Aufenthaltsverbots
im Grundsatz vergleichbar (vgl. insoweit BVerwG, Urt v. 7.9.2021 - 1 C 47.20 - juris Rn. 15 ff)
- in zwei Schritten vollziehen.

In einem ersten Schritt bedarf es der prognostischen Einschätzung der Behörde, wie lange
das Verhalten des Betroffenen, welches der die Anordnung des Einreise- und Aufenthalts-
verbots veranlassenden Zurückschiebung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an einer
Gefahrenabwehr durch Fernhaltung des Ausländers von dem Bundesgebiet zu tragen ver-
mag.

Der Ausländer soll aus dem Bundesgebiet ferngehalten werden, weil er Anlass für Vollstre-
ckungsmaßnahmen gegeben hat und die Besorgnis besteht, dass selbige bei einem künfti-
gen Aufenthalt erneut erforderlich werden. Zugleich soll in generalpräventiver Hinsicht ver-
hindert werden, dass sich andere Ausländer in dem Vorhaben, ebenfalls unerlaubt in die
Bundesrepublik Deutschland einzureisen, ohne ein an die erforderlich gewordene Vollstre-
ckungsmaßnahme anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot bestärkt fühlen könnten.

Dem gefahrenabwehrrechtlich geprägten öffentlichen Interesse sind in einem zweiten Schritt
die individuellen Interessen des Ausländers gegenüberzustellen, sich wieder im Bundesge-
biet aufhalten zu dürfen. Die Behörde hat die vom dem Ausländer geltend gemachten Belan-
ge einzelfallbezogen festzustellen und zu gewichten und im Rahmen einer Gesamtbewer-
tung abzuwägen.
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Der Entscheidung der Antragsgegnerin fehlt es bereits an einer prognostischen Einschät-
zung zur Dauer einer erforderlichen Fernhaltung des Antragstellers vom Bundesgebiet. Sie
hat in der streitgegenständlichen Verfügung rechtsfehlerhaft ausgeführt: „Der Gesetzgeber
sieht in den Fällen einer Zurückschiebung/Abschiebung nach unerlaubter Einreise ein Einrei-
se/Aufenthaltsverbot von 2 Jahren, ab dem Tag der nachweislichen Ausreise aus Deutsch-
land vor. In schweren Fällen kann die Sperre bis zu 5 Jahre betragen. Ein solch schwerer
Fall ist bei Ihnen nicht erkennbar. Aus diesem Grund wird Ihr Einreise/Aufenthaltsverbot auf
2 Jahre ab dem Tag Ihrer Ausreise, mindestens jedoch bis zum 03.07.2024, befristet.“

Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass die Antragsgegnerin rechtsfehlerhaft von einer
gesetzlich festgelegten Länge der Frist im Falle einer Zurückschiebung von 2 Jahren ausge-
gangen ist. Dies trifft nicht zu. Der Gesetzgeber hat die Länge der Frist gemäß § 11 Abs. 3
Satz 1 AufenthG in das Ermessen der Behörde gestellt und lediglich bestimmte Höchstgren-
zen festgesetzt (§ 11 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5, Abs. 5a, Abs. 5b AufenthG). Da sich die Antrags-
gegnerin somit rechtsfehlerhaft an eine Festlegung der Frist auf zwei Jahre gebunden sah,
hat sie keinerlei Ermessenserwägungen getroffen, was zur materiellen Rechtswidrigkeit des
Bescheides führt.

Zwar wurden die Ausführungen zur Länge der Befristung in der Antragserwiderung insoweit
ergänzt, als auf Ziffer 11.1.4.6.3 AufenthG-VwV hingewiesen wurde, wonach bei Zurück-
schiebungen die Frist im Regelfall zwei Jahre beträgt und diese Frist nach den Umständen
des Einzelfalles halbiert oder verdoppelt werden kann. Auch die nachfolgenden Ausführun-
gen in der Antragserwiderung setzen sich mit der Länge der Frist und dem auszuübenden
Ermessen auseinander.

Unabhängig davon, dass die Existenz von sog. ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrif-
ten die Behörde nicht von der Verpflichtung zu einer eigenverantwortlichen Ermessensent-
scheidung unter sachlicher Abwägung aller einschlägigen Gesichtspunkte des konkreten Fal-
les enthebt, sondern nur im Innenverhältnis zum Richtliniengeber Anhaltspunkte für die ge-
genüber dem Bürger zu treffende Entscheidung gibt (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl., § 114,
Rn. 42), so dass sie gleichwohl ihre Ermessenserwägungen in dem Bescheid darlegen
muss, vermögen diese Ausführungen in der Antragserwiderung den Ermessennichtgebrauch
in der angegriffenen Verfügung nicht zu heilen. Zwar erlaubt § 114 Satz 2 VwGO ein Ergän-
zen von Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Jedoch handelt es
sich im Falle des hier vorliegenden Ermessensnichtgebrauchs nicht um eine bloße Ergän-
zung im Sinne der Vorschrift. Zudem ist die Regelung im gerichtlichen Eilverfahren nicht an-
wendbar (VGH Kassel, Beschl. v. 26. März 2004 – 8 TG 721/04 -, juris Rn. 42).
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b) Im Hinblick auf den Widerspruch gegen die Zurückweisungsverfügung fällt die im Rahmen
des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten der
Antragsgegnerin aus, so dass der Antrag erfolglos bleibt. Wie ausgeführt, dürfte die Zurück-
schiebung in die Tschechische Republik rechtmäßig angeordnet und vollzogen worden sein,
so dass der hiergegen erhobene Widerspruch unbegründet sein dürfte. Aufgrund der somit
fehlenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache bleibt der diesbezügliche Antrag nach § 80
Abs. 5 VwGO erfolglos.

Da der Antragsteller mit einem Antrag erfolgreich war, mit zwei weiteren Anträgen jedoch er-
folglos geblieben ist, waren die Kosten des Verfahrens wie tenoriert gemäß § 155 Abs. 1
Satz 1 VwGO verhältnismäßig zu teilen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG
unter Berücksichtigung von Nr. 1.1.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsge-
richtsbarkeit (NVwZ 2013, Beilage zu Heft 23).




                                  Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung -
die Beschwerde an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zu.

Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgericht Dresden innerhalb von zwei Wochen nach Be-
kanntgabe der Entscheidung schriftlich einzulegen. Die Beschwerde ist innerhalb eines Mo-
nats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie
nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, beim Sächsischen Oberverwaltungs-
gericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe
darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der an-
gefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.

Die Schriftform ist auch bei Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe des
§ 55a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sowie der Verordnung über die technischen
Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektroni-
sche Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) vom 24. No-
vember 2017 (BGBl. I 3803), die durch Artikel 6 des Gesetzes vom 5. Oktober 2021 (BGBl. I
S. 4607, 4611) zuletzt geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung gewahrt. Ver-
pflichtet zur Übermittlung als elektronisches Dokument in diesem Sinne sind ab 1. Januar
2022 nach Maßgabe des § 55d der Verwaltungsgerichtsordnung Rechtsanwälte, Behörden
und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung
ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse; ebenso die nach der Verwal-
tungsgerichtsordnung vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungs-
weg nach § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Verfügung steht. Ist eine Übermittlung aus
technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allge-
meinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinrei-
chung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektroni-
sches Dokument nachzureichen.
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Vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten – außer im Pro-
zesskostenhilfeverfahren – durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen (§ 67 Abs. 4 und
5 VwGO, § 5 Einführungsgesetz zum Rechtsdienstleistungsgesetz). Dies gilt bereits für die
Einlegung der Beschwerde beim Verwaltungsgericht Dresden.

Gegen die Streitwertfestsetzung steht den Beteiligten die Beschwerde zu, wenn der Wert
des Beschwerdegegenstandes 200,- € übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelas-
sen hat. Die Streitwertbeschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entschei-
dung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat,
bei dem Verwaltungsgericht Dresden schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle einzulegen. Die Schriftform ist auch bei Übermittlung als elektronisches Do-
kument nach Maßgabe des § 55a VwGO sowie der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verord-
nung gewahrt. Verpflichtet zur Übermittlung als elektronisches Dokument in diesem Sinne
sind ab 1. Januar 2022 nach Maßgabe des § 55d VwGO die dort genannten Personen. Der
Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten bedarf es bei der Streitwertbeschwerde
nicht.



Anschrift des Verwaltungsgerichts Dresden:

Verwaltungsgericht Dresden, Hans-Oster-Straße 4, 01099 Dresden


Anschriften des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts:

Hausanschrift: Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Ortenburg 9, 02625 Bautzen
Postanschrift: Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Postfach 4443, 02634 Bautzen



gez.
B.                                           N.                                              Dr. N.




                                                  Die Übereinstimmung der Abschrift mit der
                                                  Urschrift wird durch qualifizierte elektronische
                                                  Signatur beglaubigt.
                                                  Dresden, den 26.08.2022
                                                  Verwaltungsgericht Dresden


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