Warum die Liebe liegenbleibt, wo sie hinfällt

Avant-Verlag

Was für Bücher gilt, gilt auch für Menschen: „You can’t judge a book by the cover.“ Das Cover zum Comic Der Ursprung der Liebe ist eine Herausforderung. Eine kitschige, dilettantisch wirkende Collage, die nach einer lieblos ausgeführten Aufgabe im Kunstunterricht aussieht. Und der Titel verheißt auch nichts Gutes – immerhin wird mal wieder das überanspruchte Wort Liebe bemüht. Noch ein Buch darüber, warum Männer und Frauen nicht zusammenpassen? Noch mehr Verallgemeinerungen und Klischees? Nein, danke!

Ich hätte das Buch nicht einmal angefasst, wenn man es mir nicht empfohlen hätte. Und als ich hineinsah, wollte ich es erst recht wieder weglegen. Die Zeichnungen bestätigten den ersten Eindruck. Doch als ich zu lesen anfing, als ich das Buch erst kennenzulernen begann, da war der erste Eindruck verflogen. Die schwedische Autorin Liv Strömquist hatte mich für sich gewonnen: mit klugen Gedanken und witzigen Einfällen zu der Frage, warum Menschen Beziehungen eingehen, warum die Liebe liegenbleibt, wo sie hinfällt – oder auch nicht. Strömquist zieht geläufige Theorien heran, zitiert Fachliteratur, im Grunde ist es ein Lehrcomic, aber so kurzweilig, dass es sich liest wie eine Sammlung amüsanter Anekdoten.

Die These: Das Problem an Liebesbeziehungen ist ein Machtgefälle. Vielen Männern ist ihre Freiheit und Unabhängigkeit wichtiger als emotionale Bindung, Frauen ergeben sich oft in eine gesellschaftlich vorgegebene Rolle, aber darunter leiden dann beide in Partnerschaften. Strömquist führt verschiedene Erklärungsansätze auf: soziologische, psychologische, historische. Und sie illustriert ihre Theorien mit Beispielen aus der Klatschpresse: den Klassiker Charles und Diana, Whitney Houston und Bobby Brown, Britney Spears und Kevin Federline. Man muss die Fälle weder kennen noch sich dafür interessieren, sie dienen nur als Steigbügel für Phänomene, in denen man ganz normales menschliches Verhalten wiedererkennt – wie zum Beispiel, warum Frauen sich von ihren Partnern abhängig machen und sogar Gewalt erdulden.

Das Beispiel von Victoria Benedictsson, einer schwedischen Autorin des 19. Jahrhunderts, zeigt, dass die Kunst der Pick-up-Artists keine neue Erfindung ist. Sie war vom Literaturkritiker Georg Brandes besessen, obwohl er sie schon bei ihrer ersten Begegnung gedemütigt hatte – eine typische Masche, um Frauen für sich zu gewinnen. Nachdem Brandes ihren Roman ablehnte, brachte sie sich um.

Strömquist beschreibt und erklärt nicht nur all diese Phänomene, sie legt auch die Absurdität offen, die mit Paarbeziehungen einhergeht: Das romantische Ideal, das mit Besitzverhältnissen verbunden ist, die willkürlichen Erwartungen, die wir an Beziehungen stellen. Die Autorin zeigt, ohne sich für eine Möglichkeit entscheiden zu wollen, dass Beziehungen auch anders denkbar wären, dass vom Gefühl der Liebe nicht zwangsläufig abhängt, ob und wie Menschen zusammen sind, ob sie Sex miteinander haben. Alles eine Frage gesellschaftlicher Konventionen – und des eigenen Willens. Nur am Ende lässt Strömquist sich doch zu einem Appell hinreißen, indem sie die US-amerikanische Feministin bell hooks zitiert: „Wo Macht ist, kann es keine Liebe geben. Um Liebe zu empfinden, muss man alle Macht aufgeben.“ Leichter gesagt als getan …

Keine Sorge, liebe Stammtischgemeinde: Das ist kein Buch, das feministische Mission betreibt, „uns Männern“ soll hier nichts weggenommen werden. Man kann diese 130 Seiten als Gedankenanregung lesen, zumindest das eigene Verhalten zu hinterfragen. Denn das Beziehungen scheitern, ist ein Problem, an dem täglich viele scheitern, ohne eine Lösung in Sicht zu haben. Man kann sich auch als Mann in der einen oder anderen Schilderung wiederfinden und vielleicht sogar Schlüsse daraus ziehen, welchen Beitrag zum Gelingen oder Scheitern man selbst leistet. Man kann sich aber auch einfach nur klug unterhalten lassen.

Strömquists Figuren – durchgehend in schwarz-weiß gezeichnet – sind nicht mehr als bessere Strichmännchen, ihre Ästhetik gibt sich naiv-infantil, aber je geringer die Erwartungen an den Stil, desto mehr überrascht sie inhaltlich durch kluge Einsichten und zündende Pointen. Manchmal muss man seine Vorurteile überwinden und Büchern eine Chance geben. Das gilt natürlich auch für Menschen. Dann klappt es vielleicht auch (endlich) mit der Liebe.

>> Liv Strömquist: Der Ursprung der Liebe, Avant-Verlag 2018.

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