08/10/2023

Wir haben Riklef Rambow, Professor für Architekturkommunikation am Karlsruher Institut für Technologie, nach seiner Meinung zu 20 Jahren gat.st gefragt. Er wird auf dem Netzwerktreffen in Graz im November im Rahmen des Projekts GAT+ eine Keynote halten. Erste Gedanken teilt er schon jetzt.

08/10/2023

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich das erste Mal mit gat.st in Berührung gekommen bin, aber es wird nicht allzu lange nach ihrer Erstinstallierung gewesen sein. Seither verfolge ich ihre Entwicklung mit professionellem Interesse und persönlicher Sympathie. Die Seite ist mir eine kontinuierliche Referenz geworden, die ich auch in der Lehre am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gerne vorstellen, analysieren und diskutieren lasse. Sie hat unterdessen Qualitäten entwickelt, die sie in der unüberschaubaren, hyperdynamischen, globalisierten und nicht selten hysterischen Welt des Internets zu einem einzigartigen Nischenprodukt haben werden lassen. Insofern weckt die Nachricht, dass sie ihren Wirkungskreis auf Österreich erweitern und zum GAT+ mutieren möchte, Hoffnungen darauf, dass nun ein erheblich größerer Personenkreis die Angebote der Plattform nutzen und Teil dieser produktiven Community werden kann. Zugleich meldet sich aber auch die Sorge, dass durch das Verlassen der Nische möglicherweise Qualitäten aufs Spiel gesetzt werden könnten, die für den Erfolg der Seite konstitutiv waren. Zumindest scheint es bei einem solchen Schritt angezeigt, sich dieser Qualitäten explizit zu vergewissern, um sie bei der Fortentwicklung nicht als Kollateralschaden verbuchen zu müssen. Ich möchte im Folgenden einige Hinweise dazu geben, die zu diesem Zeitpunkt notwendigerweise subjektiv und spekulativ bleiben und von außen erfolgen. Meine Perspektive ist die eines deutschen Hochschullehrers, der gat.st – jetzt gat.news – als Instrument einer anspruchsvollen Architekturkommunikation betrachtet.

Das erste Merkmal, das mir bei gat.st in den Sinn kommt, ist ihre lokale bzw. regionale Verankerung. Von Anfang an habe ich die Seite als eine baukulturelle Austauschplattform wahrgenommen, die in engem, auf den ersten Blick gar nicht genau zu entschlüsselndem Zusammenhang mit den anderen Institutionen der Grazer Architektur- und Baukulturszene steht, dem HdA natürlich, den Hochschulinstituten vor Ort, den Berufsverbänden, der Stadt, dem Land etc. Von außen betrachtet entsteht der Eindruck, als gäbe es hier ein Austauschmedium, das für alle diejenigen, die sich am baukulturellen Diskurs in Graz und der Steiermark beteiligen wollen, hochwertige und verlässliche Informationen bietet. Ein Medium, das mehr oder weniger vollständig und aktuell alle relevanten Themen so weit abdeckt, dass es einen niederschwelligen Einstieg in die Diskussion ermöglicht. Das heißt nicht, dass ich hier alles finde, was ich suche. Es heißt auch nicht, dass ich mit allem einverstanden bin, was ich da lese. Aber es heißt, dass ich einen zentralen Anlaufpunkt habe, der mir ermöglicht, die allgemeine Suche über google o. Ä. zu umgehen, wann immer mir etwas auffällt, was in den Bereich von Architektur und Planung vor Ort fällt. Und ich kann zudem mit vergleichsweise geringem Aufwand „auf dem Laufenden“ bleiben, indem ich ohne konkretes Suchinteresse die aktuellen Nachrichten und Beiträge „durchblättere“.

Diese erste Beschreibung klingt nicht zufällig ziemlich oldschool. Im Prinzip ist es das Funktionsprinzip einer Fachzeitschrift oder -zeitung mit verschiedenen Rubriken. Nur dass es eine solche Fachzeitschrift auf regionaler Ebene ohne Digitalität nicht gegeben hätte, weil sie zu teuer und zu langsam gewesen wäre. Interaktivität, Visualisierung und der Einbezug einer diversen Autor*innenschaft über den Kern der Redaktion hinaus sind stärker realisiert als bei einer Zeitschrift, aber weit weniger ausgeprägt als bei weltweit agierenden Architektur- und Designseiten oder Social-Media-basierten Formaten. Auf der Oberfläche geht es bei gat.st primär um das Lesen von Texten am Bildschirm. Die Gestaltung macht daraus kein Geheimnis. Sie signalisiert deutlich, dass es einen gewissen kognitiven Aufwand erfordern wird, sich zu informieren und ggf. selbst aktiver Teil der Community zu werden. Man wird nicht durch bewegliche Elemente, starke Bilder, Sounds o. Ä. in die Seite „hineingesogen“. Mit anderen Worten: Die Seite setzt ein vorhandenes Eigeninteresse der Besucher*in voraus. Für die bisherige lokale bzw. regionale Ausrichtung ist das kein Problem. Bei dem angezielten Publikum darf von einem solchen Eigeninteresse ausgegangen werden. Der Bekanntheitsgrad des Mediums in der regionalen Fachöffentlichkeit ist hoch und kann über die vielfältigen Vernetzungen kontinuierlich aktualisiert und erweitert werden. Etwas schwieriger ist vermutlich die Öffnung über das Fachpublikum hinaus in eine interessierte allgemeine Öffentlichkeit, aber auch für diese wird die textlastige Nüchternheit des Auftritts kaum abschreckend wirken. Im Gegenteil: Für das Kernpublikum dürften Vertrauen, inhaltliche Verlässlichkeit, Orientierung und Seriosität die zentralen Erwartungen widerspiegeln.

Zwei weitere Aspekte kommen bei diesem regionalen Ansatz noch hinzu: Einerseits der chronologische, der über die Akkumulation der Beiträge eine Dokumentation auch längerfristiger Prozesse ermöglicht. Zum zweiten der personenbezogene, der dafür sorgt, dass der regelmäßigen Leser*in wohl kaum eine relevante Akteur*in gänzlich unbekannt bleiben dürfte. Die Seite kann so zu einem baukulturellen Gedächtnis heranwachsen, das für einen anspruchsvollen zukunftsorientierten Dialog eine wichtige Grundlage bietet. Inwieweit beide Aspekte schon jetzt erfolgreich implementiert sind, bleibt zu prüfen. Da es sich jeweils um nicht unerhebliche Datenmengen handelt, ist eine benutzer*innenfreundliche und attraktive Aufbereitung eine ständige Herausforderung.

Soviel zum Lob des status quo: gat.st ist ein Erfolgsmodell, von dem die meisten deutschen Städte und Regionen, die sich um Baukultur bemühen, nur lernen können. Aber natürlich ist das kein Grund, sich selbstgefällig zurückzulehnen und alles auf ewig beim Alten belassen zu wollen. GAT+ wie www.gat.news sind eine gewaltige Chance, das bisher Erreichte auf eine neue Stufe zu heben. Aus meiner Sicht sind die wesentlichen Herausforderungen und Chancen die folgenden:

1. Um die erwähnten Stärken des Konzepts für die Zukunft zu bewahren, sollte für die Ausweitung auf die nationale Ebene eine Organisationsform gefunden werden, die auch weiterhin einen lokalen und regionalen Zugang gewährleistet. Das muss sowohl bezüglich der Bereitstellung der Inhalte als vor allem auch in der Benutzung erlebbar sein. Das heißt: Auch zukünftig sollte die Benutzer*in, die z. B. ein Innsbrucker Thema recherchieren möchte, sich nicht durch Wiener Debatten wühlen müssen, um dann irgendwann auf der dritten Ebene auf den „Lokalteil“ zu stoßen. Aus meiner Sicht sollte GAT+ schon auf der Startseite eine Gleichwertigkeit der Regionen vermitteln, die auch inhaltlich durch gleiche Tiefe und Sorgfalt gedeckt ist. Für nationale oder auch internationale theoretische Debatten gibt es genügend andere Anbieter im Netz.

2. Die Öffnung der Seite hin zu einem interessierten Teil der allgemeinen Öffentlichkeit bleibt eine der schwierigsten Herausforderungen für die Zukunft. Auch hierbei sind Lokalität und Regionalität wichtige Faktoren. Aber sie müssen durch systematische Bemühungen ergänzt werden, in Ansprache und Aufbereitung Formate zu finden, die möglichst voraussetzungslos und niederschwellig funktionieren, ohne auf Präzision und Tiefe zu verzichten. Welches sind die Themen, über die engagierte und interessierte Bürger*innen für den Dialog über Planung und Architektur gewonnen werden, wo liegen Faszinationspotenziale, wo gibt es echte und attraktive Mitwirkungsmöglichkeiten? Das sind nur einige Ansatzpunkte für eine solche Öffnung. Keiner davon ist leicht zu realisieren, sie alle erfordern Knowhow und Ressourcen, und Patentrezepte gibt es nicht. Nun bietet aber der Sprung zu www.gat.news die Chance, dieses Thema mit neuer Energie anzugehen.

3. Bloße Kontinuität ist auch deshalb keine Option, weil die Menschen sich ändern. Inwiefern ist bei gat.st eine organische Generationenfolge gelungen? Ist die aktuelle Studierendengeneration unter den Beitragenden ebenso wie unter den Nutzenden angemessen repräsentiert? An den Hochschulen können wir aufgrund des engen Kontakts relativ gut abschätzen, wie sich das Informations- und Kommunikationsverhalten der Studierenden kontinuierlich verändert, welche neuen Erwartungen, Denk- und Verhaltensweisen damit einhergehen. Sicher wissen tun wir es gleichwohl nicht, zudem sind die Unterschiede innerhalb einer Generation oft viel größer, als wir vermuten. Auf zwanzig Jahre gesehen ist diese Wandlung dramatisch. Die Herausforderung für GAT+ wird darin liegen, Wertentscheidungen zu treffen, die solche Veränderungen akzeptieren und als Potenzial nutzen, sie punktuell aber auch zurückzuweisen und auf bestimmten Formen der Auseinandersetzung zu beharren.

Damit sind einige, aber keineswegs alle Herausforderungen und Chancen formuliert, die aus Sicht der Architekturkommunikation auf dem Weg vor gat.st liegen. Behutsam in der Bewahrung der Qualitäten, radikal in der Erprobung neuer Ideen, diesen Spagat gilt es zu meistern, um auch gat.news zum Erfolgsmodell für die Baukultur werden zu lassen.

 

__ Dieser Artikel erscheint im Rahmen von GAT+ 

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