Freitag, 27.12.2019, 20:00

tunesien

Espérance Sportive de Tunis vs Association Sportive Vita Club 0:0

Stade Olympique de Ràdes, 25.000 Zuschauer, CAF Champions League

191227est-vita

Da mein Arbeitgeber die Belegschaft über die Feiertage in den Zwangsurlaub schickte, wollte ich unbedingt irgendwas machen. Der Fokus lag auf der afrikanischen Champions League und dem der Europa League gleichzusetzenden Confederation Cup . Leider ergab die Auslosung nicht die erhoffte attraktive schwarz-afrikanische (Das ist ja ein mit unbedarftem Gemüt gerne verwendeter Begriff, aber hat dieser nicht auch einen diskriminierenden Unterton…? Naja letztlich bin eh kein Freund davon jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.) Konstellation, so dass die Wahl letztlich auf Tunesien fiel. Ein Ziel, bei dem ich schon ein Mal gescheitert war, als ich Flüge zum Derby zwischen den Big Playern des Landes, den Hauptstadt-Clubs Espérance und Club Africain, gebucht hatte, das Spiel aber Nordafrika-like wenige Tage vorher verschoben wurde. Terminsicherheit bekommt man in den Maghreb-Staaten prinzipiell halt nur bei internationalen Spielen, ein Kriterium, das nun erfüllt wurde. Leider stellte sich kein attraktiver Gegner in Tunis vor, so dass natürlich kein Stimmungs-Highlight zu erwarten war. Hinzu kam, dass der afrikanische Kontinental-Verband CAF als Veranstalter der Champions League jüngst harte Strafen für das Abbrennen von Pyrotechnik angedroht hat, so dass auch optisch nicht mit großem Tifo zu rechnen war. Eine Zeit lang quälte ich mich mit der Pro-Contra-Abwägung herum, buchte dann aber schließlich eigentlich viel zu teure Flüge. Das war der andere Negativ-Aspekt. Tunesien ist kein Billigziel und in der Weihnachtszeit werden die Preise durch Feiertags-Flüchtlinge und in Deutschland lebende Tunesier auf Heimatbesuch in die Höhe getrieben. Aber das nahm ich nun in Kauf und RWE-Gefährte Marcel entschied sich, mich zu begleiten. Früh am Freitag-Morgen wurde dieser eingesammelt und mit dem eigenen Kraftfahrzeug fuhren wir nach Köln Deutz, wo das Finden eines Parkplatzes eine echte Herausforderung war. Aufgrund der benachbarten KölnArena ist der gesamte Parkraum im Stadtteil mit Parkschein-Gebot belegt, was bei drei Tagen Standzeit keine Option war. Lufthansa Express-Rail brachte uns von Deutz nach Frankfurt – wo wir fünf Minuten zu früh(!) einfuhren – und von dort ging es mit der Lufthansa weiter nach Tunis, wo wir am späten Vormittag landeten. Die Taxi-Mafia versagte auf ganzer Linie. Kaum einer sprach uns offensiv an und nach erster Ablehnung zogen sich die Vertreter der berüchtigten Branche direkt hinter die Front zurück. Ja verdammt – niemand da, der uns bescheißen wollte? Der erwählte Droschkenkutscher fragte dann auch direkt brav ob er den Taxameter einschalten und wir eine Quittung haben wollen! Ja was war denn da los, ich dachte wir seien in einem arabischen Land?!
Das erste Ziel sollte das Trainingsgelände von Espérance Sportive sein, das sich unmittelbar neben dem Stadtzentrum befindet, da der Vereins-Website zu entnehmen war, dass dort der Vorverkauf für das abendliche Spiel stattfindet. Keine sechs Dinar später (ein Dinar entspricht ungefähr 30 Euro-Cent) kamen wir dort an. Unfassbar günstig, da fällt es nicht schwer, Trinkgeld zu geben, zumal der Mann ein sehr angenehmer Fahr-Dienstleister war. Vor dem Ticketschalter fand dann schon ein wenig mehr Arabien statt, denn ein paar aufdringliche Jugendliche boten uns mit einigem Nachdruck Tickets an. Da wir die Echtheit nicht einschätzen konnten, kauften wir natürlich am Schalter und da wir selbst während der Kaufabwicklung weiter von der Seite angequatscht wurden, verlor der Ticket-Opa unter großer Verärgerung mal ein paar deutliche und laute Worte und danach war die Situation bereinigt. Zu Fuß ging es zum Hotel Carlton, wo wir schon einchecken durften. Viel mehr Zeit als für ein spätes Mittagessen und für einen Orientierungsspaziergang blieb dann nicht mehr, bevor wir vom Bahnhof mit dem Vorort-Zug nach Radès eibelten. Denn dort steht der Austragungsort des heutigen Spiels, das Stade Olympique de Radès. Die Gelehrten streiten sich über das Fassungsvermögen, aber letztlich ist es auch fast egal, ob nun 60.000 oder 65.000 hinein passen. Macht auf jeden Fall was her das Ding. Helle Farben dominieren, der Haupttribüne wurde eine orientalisch anmutende Fassade gegönnt. Die Dachkonstruktion wird von acht Masten gehalten, an denen Beleuchtungen installiert wurden, welche das Stadion noch erhabener wirken lassen. Das vollständig überdachte Oval verfügt über zwei  Ränge. Für den Zugang zum Oberrang wurden acht spiralförmige Aufgänge errichtet, die ein wenig an das Mailänder San Siro im Kleinformat erinnern. Nur die Geraden waren heute geöffnet, sowie ein Block einer Kurve, welcher die Gäste beherbergte. Im Laufe der ersten Halbzeit wuchs der Anhang der Kongolesen auf über 200 Personen an, was circa 200 Personen mehr waren, als ich erwartet hatte. Die wenigsten davon werden aus dem Kongo angereist sein, denn es dürfte sich überwiegend um in Tunesien lebende Migranten gehandelt haben. Ab und an wurde ein wenig unorganisiert supportet, nichts Wildes. Die Ränge der Geraden füllten sich ordentlich, so dass ich etwa 25.000 Zuschauer schätzte.
Das eigentliche Heimstadion, das sich Espérance mit Club Africain teilt, ist das Stade El Menzah in Tunis, ein schöner aus vielen einzelnen Tribünen-Elementen bestehender 40.000er, aber beide Clubs tragen schon seit einiger Zeit viele Heimspiele in Radès aus. Die internationalen Events sowieso, die Ligue 1 Tunesienne betreffend ist da irgendwie keine wirkliche Regel zu erkennen, abgesehen von den Derbys, die zuletzt immer in Radès über die Bühne gingen. Aufgrund der bereits angeführten Restriktionen durch den CAF war also optisch nichts los, aber die Stimmung war insgesamt dennoch nicht übel. Gesungen wurde immer irgendwo und oft genug stimmten annähernd alle Zuschauer ein in teilweise lange anhaltende sehr schöne Melodien, von denen ich viele vorher nirgends gehört hatte. Der Tunesier an sich, scheint dem Spiel allerdings hochkonzentriert zu folgen, denn am lautesten wurde es absurder Weise vor dem Spiel und während der Halbzeitpause, die komplett durchgesungen wurde und während der man sich auch traute zwei, drei Fackeln zu zünden. Ein richtiger Stimmungskern war nicht auszumachen, die Initiative kam immer wieder aus verschiedenen Bereichen des Stadions. Der Sound kam mir auch irgendwie anders vor, als man es sonst gewohnt ist und ich brauchte bis tief in die zweite Hälfte, bis der Groschen fiel, woran das lag – es wurden keine unterstützenden Rhythmus-Instrumente, also keine Trommeln genutzt. Spielerisch war Espérance deutlich überlegen, die Statistik sollte nachher über 70% Ballbesitz beweisen, aber dennoch sollte die Partie torlos zu Ende gehen. Den Gastgebern fehlte das viel bemühte sogenannte Spielglück. In den entscheidenden Momenten sprangen zurück prallende Bälle grundsätzlich zum Gegner. Außerdem ließ eine erstaunlich disziplinierte und großgewachsene Gäste-Defensive kaum etwas zu und die wenigen guten Möglichkeiten wurden vom kongolesischen Torwart entschärft, der fehlende Körpergröße durch Furchtlosigkeit und Einsatzfreude wettmachte und sich todesmutig in jedes Getümmel schmiss. Hätte er nicht – vor allem in der Schlussphase – durch erbärmliches Zeitspiel die Masse gegen sich aufgebracht, wäre das eine glatte Eins gewesen. Aber man kann es ihm kaum verdenken, denn der unerwartete Punktgewinn beim haushohen Favoriten war eine große Überraschung und wurde von der Mannschaft vor der Gäste-Kurve entsprechend zelebriert.
Der Rückweg nach Tunis bot noch eine kleine Herausforderung, denn der öffentliche Nahverkehr kam mit Spielschluss ziemlich zum Erliegen. Ein Taxifahrer, der auch beim Spiel und mit seinem Fahrzeug schon im Feierabend war, nahm uns dann freundlicher Weise unentgeltlich mit. Shukran! Im Zentrum von Tunis bieten sich einige Möglichkeiten, um an Bier und andere alkoholische Getränke zu kommen. Schwierig ist das allerdings am muslimischen Feiertag, dem Freitag, der ja heute war. Als glücklicher Umstand erwies es sich, dass keine hundert Meter entfernt von unserem Hotel eine Bar geöffnet hatte, in der wir noch ein paar Bier schluckten, aber bald von viel zu lauter muselmanischer Live-Musik vertrieben wurden.