Vorzeit – Kelten – Römer

Die Sage vom Stein von Töging – Kurzfassung von Stephanie Masszi

Die mythische Erzählung ist eingebettet in eine Rahmenhandlung, die die Brücke von grauer Vorzeit zur Moderne schlägt: Ein junger Mann, früh verwaist, hat seine Zieheltern im Streit verlassen. Noch ziellosem Umherirren findet er sich auf der Steinbank vor dem säulenartigen Findling am Innufer wieder und während er rastet, fällt er in eine Art Trance. In diesem Zustand erschaut er ein Szenario, tausende von Jahren vor unserer Zeit. Wo heute der Inn fließt, breitete sich damals ein See, umgeben von Urwald, der jagdbares Getier im Überfluss beherbergt; Wiesente, Wildschweine, Elche, Mammuts, freilich auch Enten und Fische – was Wunder, dass sich hier ein Clan von Menschen ansiedelt, deren körperliche und charakterliche Perfektion ihresgleichen sucht. Anführer dieses Stammes ist Man, ein Hüne mit wallendem blondem Haupthaar und der Figur eines Siegfried. An seiner Seite steht Aja, mit dem Körper einer Göttin, deren blondes Haar sie wie ein Mantel bis zu den Knien umhüllt. Und so, wie Man seine Clanbrüder auf die Jagd führt und ihnen in allem voraus ist, so formt sie die heimatliche Höhle zu einer schmucken Heimstatt. In inniger Liebe einander zugetan – die Ehe war ohnehin heilig und höchstes Gut – bemerkt Aja erst, als ihre jüngeren Geschwister selbst Familien gründen, die leere in ihrem Heim und in ihrem Herzen. Ob ihrer Kinderlosigkeit suchen sie den Schamanen des Stammes auf, der sie jedoch eindringlich mahnt, sich dem Willen des Weltgeistes in Demut zu beugen. Wahrlich versuchen sie dies, aber Aja fällt es zunehmend schwerer; sie vernachlässigt sich und verfällt zusehends, trotz der rührenden Versuche ihres Mannes, sie seiner Liebe zu versichern. In ihren ehelichen Pflichten bleibt sie jedoch getreu.

Eines Tages, als Mon am Ufer sein Floß ausbessert, hört er leises Kindergeschrei. Zusammen mit seinem Schwager Hedi geht er dem Geräusch nach und sie finden ein junges Knäblein, eingewickelt in eine Rehhaut, auf einem zerfallenden Floß, weit und breit kein anderer Mensch, sie kommen gerade recht, um den Knaben vor einem niederstürzenden Adler zu retten. Ajas Freude kennt keine Grenzen – gewiss hat ihnen der große Weltengeist das Kind gesandt! Die Stammesältesten trogen jedoch Bedenken, vor allem wegen des unheilvollen Adlers. Widerwillig beugen sie sich, als Mons Lieblingsmammut des Öfteren die Höhle aufsucht und reizend mit dem Kleinen spielt. Jedoch geben sie ihm voller Ahnung den Nomen Rom, was „ unrein“ bedeutet. Und am Heranwachsenden zeigt sich ihre Hellsichtigkeit. Zwar ist Rom von männlicher Schönheit, aber verlogen, rachsüchtig und voller Neid, dabei gerissen genug, dies im Verborgenen zu halten. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf: Alljährlich zieht sich Man allein in die Berge zurück, um an geheimem Ort bei einer heilkräftigen Quelle Kraft zu schöpfen, die sich in eine Beryllschale, ähnlich dem heiligen Gral, ergießt. Rom folgt dem Vater heimlich – allein dies schon ein Frevel. Und als dieser sich zum Trinken niederbeugt, trifft ihn der Pfeil des Sohnes tödlich zwischen den Schulterblättern. Dies ficht den Vatermörder zunächst nicht an, wähnt er doch unerschöpfliche Jagdgründe gefunden zu haben. Doch beim weiteren Aufstieg sieht er über sich den weißen Steinbock mit den goldenen Hörnern, der ihn reglos fixiert. Rom weiß, dass er verloren ist, die Erscheinung des Steinbocks lernt jedes Kind im Stamme als Zeichen des Unheils. Mehr tot als lebendig erreicht er die Talsohle – doch was nun? Wird Mutter Aja nicht alsbald das Kainszeichen auf seiner Stirn bemerken? Er erschlägt auch seine Mutter mit dem Steinhammer des Vaters und flieht wie von Sinnen mit dem Floß ins Unbekannte.

Unvermittelt schlägt das Wetter um, ein Schneesturm peitscht auf das zerbrechliche Floß ein, dessen Passagier mit dem Leben abschließt. Doch im Augenblick seines Todes tönt eine Stimme aus dem Sturmgebraus:
„Dein Herz war Stein, werde du ganz zu Stein für alle Zeiten, damit aber deine Mutter dich nicht umsonst geboren hat, sei, wenn du nach einem Jahrhunderttausend zutage gebracht wirst, den Menschen am Fundort eine Kraft gegeben, wie sie hunderttausend Pferde haben, eine Kraft, die ihnen die Nacht zum Tage macht.“

Und das Verhängnis nimmt seinen Lauf, die paradiesische Gegend kennt keinen Sommer mehr, die Eiszeit bricht an. Der Gletscher rückt vor, dem unbeirrten Lauf des Inn folgend, und nimmt den steingewordenen Frevler mit sich. Bis nach Jahrtausenden und Aberjahrtausenden der Weltengeist Erbarmen zeigt: Die Kraft der Sonne lässt die Eismassen schwinden und eine Landschaft entstehen, freundlicher und schöner als einstmals. Und wie prophezeit, taucht der steingewordene Frevler unerkannt während der Neubesiedelung auf und der Fluch bewahrheitet sich: Für ihn gibt es keine Rettung, aber das Land ist erlöst von vieltausendjähriger Hölle, das lnnwerk schenkt seine ungeheure Kraft segenspendend dem Töginger Land.

Und nun schließt sich der Kreis: Das Dröhnen der Fabriksirene holt den jungen Mann in die Gegenwart zurück. Da er nicht geschlafen hat, war es kein Traum, was ihm widerfahren ist, sondern – etwas anderes. Nun ist ihm leicht ums Herz, er kehrt zu seinen Pflegeeltern zurück, um sich zu versöhnen. Ist der alte Fluch über den aufbegehrenden Sohn doch noch gelöst?