Zarlenga Stephen: Der Mythos vom Geld - die Geschichte der Macht

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Stephen Zarlenga

DER MYTHOS VOM

GELD

die Geschichte der Macht Vom Tauschhandel zum Euro: eine Geschichte des Geldes und der Währungen

Aus dem Amerikanischen von Anette Holzwarth und Dagmar Brede

Conzett Verlag bei Oesch


Meiner Mutter Lauretta und meinem Vater Dino

Alle Rechte vorbehalten Nachdruck in jeder Form sowie die Wiedergabe durch Fernsehen, Rundfunk, Film, Bild- und Tonträger, die Speicherung und Verbreitung in elektronischen Medien oder Benutzung für Vorträge, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Genehmigung des Verlags 2., verbesserte Auflage 2008 Copyright © 1998/1999 by Stephen Zarlenga Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1998/2008 by Conzett/Oesch Verlag, Zürich Diese Buch wurde herausgegeben mit Unterstützung der Sunflower Foundation, Zürich Umschlagbild: Bank von England, London © mauritius images / imagebroker Druck und Bindung: buch bücher dd ag, birkach Printed in Germany ISBN 978-3-0350-9005-5 www.oeschverlag.de


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Inhaltsverzeichnis

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Kapitel Die Ursprünge des Geldwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Der Ursprung des Geldes im Warenhandel . . . . . . . . . Der Ursprung des Geldes in der Gesellschaft . . . . . . . . Der Ursprung des Geldes in der Religion . . . . . . . . . . Gold wird zum Zahlungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . Die griechischen Stadtstaaten führen die Münzprägung ein Lykurgs numerisches System in Sparta . . . . . . . . . . . Solons Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aristoteles’ »Nomisma« . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Kapitel Roms Bronzegeld: besser als Gold . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . . . . Erste Regel: Das »heilige« Vorrecht der Goldmünzenprägung . . . . Zweite Regel: Die unterschiedlichen Gold-Silber-Wertverhältnisse in Ost- und Westrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Roms Bronzegeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Niedergang des römischen Geldsystems . . . . . . . Östliche Kulte infiltrieren Rom . . . . . . . . . . . . . . Übernahme durch die Cäsaren . . . . . . . . . . . . . . Die Zerstörung des römischen Ethos . . . . . . . . . . . Der kaiserliche Goldstandard stärkt die finanzielle Macht des Ostens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edelmetalle fließen in den Osten ab . . . . . . . . . . . . Die Währungskrisen im späten dritten Jahrhundert . . . Das Imperium verlagert sich nach Osten . . . . . . . . . 3. Kapitel Der Untergang Roms aus monetärer Sicht

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Inhaltsverzeichnis

Der Untergang des Römischen Reiches bleibt eine der größten Fragen der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine monetäre Sicht des Untergangs von Rom . . . . . . . . . . . . Der moslemische Angriff auf das »monetäre Rückgrat« des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Kapitel Die Wiedereinführung von Geld im Westen . . . . . . . . . . . . . . .

Die Wiederbelebung des Münzsystems im Norden durch Karl den Großen: ein »trügerisches Licht« . . . . . . . Sonnenaufgang über dem Mittelmeer: Der Aufstieg von Venedig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Venedigs Geldsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Venedig führt vorsichtig Nominalgeld ein . . . . . . . . Die venezianischen Imprestidi: eine Form der Staatsfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Kapitel Die Kreuzzüge beenden den monetären Würgegriff von Byzanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Der erste Kreuzzug . . . . . . . . . . . . . . . Der Aufstieg der Templer . . . . . . . . . . . . Der vierte Kreuzzug nach Konstantinopel . . . Die monetäre Bedeutung des vierten Kreuzzuges Die finanziellen Neuerungen der Templer . . .

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6. Kapitel Der Kampf um die monetäre Vorherrschaft in der Renaissance . . . . . 103

Die Handelsmessen . . . . . . . . . . . . . . Die Münzstätten der Könige . . . . . . . . . Die mittelalterlichen Geldverleiher . . . . . . Privatbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatseigene Banken . . . . . . . . . . . . . . Die große Entdeckung: Banken schöpfen Geld Die Fugger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Welser, Hochstetter und Tucher . . . . . . Brügge: die treibende Kraft im Norden . . . . Die Hanse . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

7. Kapitel Scholastiker und Reformatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Die scholastische Sicht von Geld und Preis . . . . . . . . . Das Wucherverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wucherverbot wird in Frage gestellt . . . . . . . . . . Keine Vergebung für Wucherer . . . . . . . . . . . . . . . Martin Luther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Calvin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftliche und geistige Auswirkungen des Calvinismus

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8. Kapitel Das Jahr 1500 – Dreh- und Angelpunkt der Geschichte

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Der Aufstieg des Kapitalismus in Amsterdam . . . . . . . Die Bank von Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . Die Juden Amsterdams . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Börse von Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vernachlässigung des Handels durch die Holländer Holland finanziert England . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Transfer des Kapitalismus nach England . . . . . . . . Englands monetärer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . Der Kampf um die Kontrolle des englischen Geldsystems Die religiöse Unterminierung der Monarchie . . . . . . . Die Wiederzulassung der Juden in England . . . . . . . . Die Unterminierung der Monarchie über das Geldsystem Das Papiergeld-Experiment Karls II. . . . . . . . . . . . Der Free Coinage Act von 1666 . . . . . . . . . . . . . .

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Machtverschiebungen vom Mittelmeer zur Nordsee Die Plünderung Amerikas . . . . . . . . . . . . . . Die Renaissance des Nordens . . . . . . . . . . . . Die Kaproute verändert die Handelsbeziehungen .

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9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel Die Bank of England wird ausgeheckt . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Die Lehre vom Geld wird wiederentdeckt – und missbraucht . . . . 205 Die Gründung der Bank wird in aller Stille vorangetrieben . . . . . 209


8 Der Widerstand gegen die Bank regt sich . . . . . . . Ricardo greift die Geldschöpfungsmacht der Bank an Der Missbrauch der Lehre vom Geld . . . . . . . . . Der South Sea Bubble . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12. Kapitel Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie . . . . 223

Ökonomen als Propagandisten . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verachtung für geschichtliche Forschung wächst . . . . . Der Mythos Adam Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zutreffendere Geldtheorien vor und nach Adam Smith . . . Die Ergreifung der gesellschaftlichen Geldmacht . . . . . . . Zinsberechnung auf privat geschöpftem Geld . . . . . . . . Geldmenge und Inflation – wieviel Geld ist notwendig? . . . Weshalb konnte sich Adam Smith’ Auffassung durchsetzen? . Bankiers setzen Smith’ monetäre Ansichten gegen England ein

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13. Kapitel These versus Antithese: Synthese

. . . . . . . . . . . . . . . England in Schwierigkeiten – die sichtbaren Auswirkungen des Wuchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Religiös motivierte Menschen engagieren sich . . . . . . . . Sogar Ökonomen stellen sich gegen die Bank of England . . . Der Wucher in der Defensive . . . . . . . . . . . . . . . . . Die mathematische Unmöglichkeit des langfristigen Wuchers Die monetären Reformen von 1844 . . . . . . . . . . . . . . Marx und Engels formulieren die Antithese . . . . . . . . . Die Synthese aus Smith und Marx . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Urwährungen der »Moundbuilder«-Kulturen . . . . . . . . . Die monetäre Not in den Kolonien . . . . . . . . . . . . . . . . . Die credit bills von Massachusetts – das erste Papiergeld im Westen Pennsylvanias überlegenes Geldsystem . . . . . . . . . . . . . . . Der Angriff der Lords of Trade and Plantations auf das Kolonialgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Currency Act von 1764 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die monetäre Ursache der amerikanischen Revolution . . . . . .

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14. Kapitel Die Kolonialwährungen der USA

. 279 . 281 . 283


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Inhaltsverzeichnis

Die continental currency – der Lebensnerv der Revolution . . . . . . 283 Der insgesamt bemerkenswerte Erfolg der continental currency . . . 291 15. Kapitel Die Geldmacht gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten . . Frühe Versuche einer widerrechtlichen Übernahme der Geldmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verfassung von 1787 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Frage nach dem Wesen des Geldes . . . . . . . . . . . . . To emit bills of credit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die First Bank of the United States ergreift die Geldmacht . . . Die erste Geldausgabe der Vereinigten Staaten . . . . . . . . . Die üblen Machenschaften der Second Bank of the United States

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16. Kapitel Ein Vergleich zwischen der staatlichen und der privaten Geldemission der Vereinigten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Die Erfahrungen der USA mit staatlich emittiertem Geld Die Erfahrungen der USA mit privat emittiertem Geld . Die Funktionsweise des free banking . . . . . . . . . . . Gouges Darstellung des frühen Bankwesens . . . . . . . Maßnahmen gegen die privaten Staatsbanken . . . . . . Die Free-banking-Gesetze der Bundesstaaten von 1836 . .

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17. Kapitel Greenbacks – echtes amerikanisches Geld . . . . Amerika vor dem Sezessionskrieg . . . . . . . . . Die Einführung des greenback . . . . . . . . . . . Die Entwicklung des greenback und der Preise . . Das Papiergeldsystem der Konföderation scheitert Der National Banking Act von 1863/64 . . . . . . Der Kampf um die greenbacks . . . . . . . . . . . Die Verteidiger des greenback . . . . . . . . . . .

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18. Kapitel Die monetären Verbrechen des 19. Jahrhunderts – die großen Demonetisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

Warum Bankiers an einer Deflation gelegen ist . . . . . . . . . . . . 354 Probleme des Bimetallismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356


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Inhaltsverzeichnis

Die Lateinische Münzunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hälfte des Münzgelds der Welt wird vernichtet . . . . . . Die erste Attacke: die Greenback-Anleihen . . . . . . . . . . . Die zweite Attacke: Versuche zur Abschaffung der greenbacks . Die dritte Attacke: die »heimliche« Demonetisierung des Silbers Die Vereinigten Staaten remonetisieren das Silber . . . . . . .

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19. Kapitel Der Triumph der Bankiers – die Einrichtung des

Federal Reserve System . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die volksnahen Parteien – von den Bankiers in die Tasche gesteckt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verebbender Kampf um den greenback . . . . . . . . . . . Der Currency Act von 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Aufkommen gesellschaftlich verträglicher Lösungen des Geldproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Panik von 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Federal Reserve System – eine heimlich etablierte private Zentralbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parallelen zur Gründung der Bank of England . . . . . . . Die uralten Techniken monetärer Herrschaft . . . . . . . .

. . . . . 377 . . . . . 378 . . . . . 382 . . . . . 385 . . . . . 385 . . . . . 387 . . . . . 390 . . . . . 394 . . . . . 398

20. Kapitel Das Federal Reserve System ruiniert Amerika . . . . . . . . . . Das Federal Reserve System startet gerade rechtzeitig . . . . . . . Das Federal Reserve System destabilisiert das amerikanische Geldsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bank of England diktiert die amerikanische Geldpolitik in den zwanziger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie es zum Börsenkrach kam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Börsenkrach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die große Depression – eine drastische Verringerung der Geldmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Hoover zu Roosevelt – ein markanter Regierungswechsel . . Die Bankenreform von 1933 bis 1935 . . . . . . . . . . . . . . . Die Finanzierung des Zweiten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . Versuche, das moralische Ansehen des Kapitalismus wiederherzustellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die anglikanische Kirche zieht der Bank of England die Giftzähne

. . 403 . . 405 . . 406 . . 408 . . 411 . . 415 . . . .

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Inhaltsverzeichnis

21. Kapitel Ein Plädoyer für eine vierte Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . 431

Die Fehldiagnose der monetären Probleme Amerikas . . . . Abschaffung des Systems der begrenzten Reservehaltung und die Einführung einer Deckungspflicht von 100 % . . . . . Die Geldausgabe muss eine staatliche Aufgabe sein . . . . . Im Angesicht des Bösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hindernisse bei der Umsetzung monetärer Reformen in den Vereinigten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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22. Kapitel Die deutsche Hyperinflation von 1923 unter einer privaten Zentralbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449

Die Entstehung Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Versailler Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die monetäre Zerstörung Deutschlands . . . . . . . . . . . . Die Ursache der Inflation: erste »Erklärung« . . . . . . . . . . Die wahren Gründe für die Inflation . . . . . . . . . . . . . . Schachts Enthüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Spekulanten versuchen wieder ihr Glück . . . . . . . . . . Hitler ist von Feders monetären Ansichten angetan . . . . . . Die Errichtung der Deutschen Bundesbank als einer staatlichen Zentralbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Europäische Währungsunion stellt Deutschland vor neue Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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23. Kapitel Internationale Währungssysteme

. . . . . . . . . . Das Problem des internationalen Zahlungsverkehrs Der internationale Goldstandard . . . . . . . . . . Die Gründung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) . . . . . . . . . . . . . Der Internationale Währungsfonds (IWF) . . . . . Drei Vorschläge zur Verwirklichung internationaler Währungsstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . Geldschöpfungsbefugnisse des IWF . . . . . . . . Die Weltbankgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . Die Internationale Finanz-Korporation (IFC) . . . Die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA)

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Inhaltsverzeichnis

Monetäre Entwicklungen im Islam – ein Wiederaufleben der Scholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 24. Kapitel Die Europäische Währungsunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Aufbau der Europäischen Währungsunion . . . . . . . . . . Die Inhaber der EZB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichte und Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konvergenzkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden der Geldschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Problem der begrenzten Reservehaltung in der Europäischen Währungsunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soll neues Geld auf Außenhandelsüberschüssen basieren? . . . . Die Gelddefinition ist die Aufgabe des Europäischen Währungsinstituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Es gibt keine Alternativen zur EWU . . . . . . . . . . . . . . . Institutionalisierung eines Prüfungsverfahrens . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellennachweise

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493 494 497 498 499 500

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Einführung

Die Historiker werden nur dann wertvolle Dienste leisten, wenn sie die Kernfrage der Geschichte beantworten können: Was ist Macht? L T

Das Bedürfnis nach Wissen über monetäre Zusammenhänge wächst

Kurz vor Anbruch des dritten nachchristlichen Jahrtausends führen uns mehrere weltumspannende Entwicklungen die Notwendigkeit vor Augen, unseren Blick für monetäre Begriffe zu schärfen. Die Bildung der Europäischen Gemeinschaft stellt eine der bedeutendsten geopolitischen Entwicklungen in der Geschichte Europas der vergangenen Jahrhunderte dar. In ihrer Tragweite mit der ursprünglichen Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika vergleichbar, wird sie das Weltgeschehen wohl bis weit in die Zukunft hinein beeinflussen. Diese neue politische Wirklichkeit besteht zu einem Großteil aus der Verschmelzung der nationalen europäischen Währungen zu einer einheitlichen Währung, dem Euro. Mit der allmählichen Vollendung dieser Reform wächst die Skepsis vieler Europäer gegenüber monetären Entwicklungen, die sich auf ihre wirtschaftliche Zukunft auswirken werden. Die enorme Bedeutung monetärer Macht

Obwohl man im allgemeinen lieber die politischen und wirtschaftlichen Aspekte der Europäischen Union diskutiert, zeigt die Geschichte, dass der monetäre Bereich für die Gestaltung der Europäischen Gemeinschaft von größerer, wenn nicht sogar von entscheidender Bedeutung ist. Die Macht in einer Gesellschaft wird überwiegend von ihrem Geld- und Bankensystem ausgeübt. Während die Wahlen von Mi-


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Einführung

nisterpräsidenten und Volksvertretern im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen, werden die wirklich wesentlichen gesellschaftlichen Fragen – etwa ob allgemeine wirtschaftliche Gerechtigkeit herrscht oder ob einzelne Gruppen besondere Privilegien erhalten – oft leise hinter den Kulissen entschieden, und zwar mittels der Strukturen des monetären Systems einer Gesellschaft. Diese monetären Beschlüsse werden sich sehr unmittelbar auf das tägliche Leben der EU-Bürger auswirken, unmittelbarer als die Beschlüsse des Europäischen Parlaments, des Ministerrats oder des Europäischen Gerichtshofs. Durch monetäre Beschlüsse wird festgelegt, auf welche Art und Weise Geld in der Gemeinschaft verfügbar gemacht wird, was wiederum den Grad der Beschäftigung bzw. der Arbeitslosigkeit, die Höhe der Einkommen, Investitionen, Zinssätze und viele weitere Faktoren bestimmt. Mit einem Wort, die monetären Institutionen werden in der Lage sein, der Europäischen Gemeinschaft entweder großen Nutzen zu bringen oder aber Schaden zuzufügen, je nach ihrer Struktur und Umsetzung. Das Bewusstsein der Bürger für diesen Sachverhalt kann die Struktur und die Führung dieser Institutionen beeinflussen. Da das langfristige Arbeiten einer Institution häufig von ihrer Anfangsentwicklung bestimmt wird, sollte dieses Bewusstsein die Europäische Währungsunion im Idealfall bereits in ihrer Aufbauphase mitgestalten und beeinflussen. Doch selbst wenn sich dieses monetäre Bewusstsein erst allmählich herausbilden sollte, kann es seine Wirkung immer noch zu einem späteren Zeitpunkt entfalten, falls die Währungsunion ins Stocken geraten und eine Reform ihrer Strukturen erforderlich werden sollte. In diesem Buch wird die These aufgestellt, dass die Ausübung der monetären Macht das Hauptmotiv gesellschaftlicher Auseinandersetzungen ist und dass diese Macht durch undurchsichtige oder gar falsche Theorien über das Wesen des Geldes ausgeübt wird. Eine falsche Definition des Geldbegriffs hat häufig dazu geführt, dass bestimmte Gruppen oder Personen die Macht über das Geldwesen einer Gesellschaft und damit auch über die Gesellschaft selbst ausüben konnten. Anhand einer historischen Beschreibung dieser monetären Machtausübung sollen diese Geldbegriffe klar erläutert und in ihrer Bedeutung offengelegt werden. Damit kann hoffentlich ein Beitrag zur Entmystifizierung des Geldes geleistet werden.


Einführung

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Das Haupthindernis: die Mystifizierung des Geldes

Gerade weil monetäre Systeme sich so hervorragend zur Ausübung von Macht eignen, schützen diejenigen, die diese Systeme beherrschen, in der Regel ihre daraus resultierenden Privilegien durch Verhüllung und Verfälschung monetärer Begriffe. Durch diese Tatsache wird das Verständnis von Geld erheblich erschwert. Diese seit Jahrhunderten angewandte Begriffsvernebelung hat zum Verlust zahlreicher grundlegender Kenntnisse der Geldlehre geführt, so wie etwa auch verschiedene Künste und Wissenschaften im »finsteren Mittelalter« verlorengingen. Die Geschichte des Geldes ist unbekannt

Die Mystifizierung des Geldes war vor allem wegen der von den Ökonomen hauptsächlich angewandten Untersuchungsmethode so erfolgreich. Von Adam Smith bis zur Wiener Schule der Nationalökonomie wurde zu viel Wert auf theoretisches Denken und logisches Argumentieren statt auf direkte Beobachtung gelegt. Außerdem wurden moralische Erwägungen aus den Theorien möglichst herausgehalten. So schrieb vor etwa einem Jahrhundert der berühmte Geldhistoriker Alexander Del Mar: »Politische Ökonomen machen sich in der Regel nicht die Mühe, die Geschichte des Geldes zu erforschen, ist es doch viel einfacher, sie sich vorzustellen und dann aus diesem imaginären Wissen Prinzipien abzuleiten.«1 Diese abwertende Haltung der empirischen Forschung gegenüber prägt auch das einflussreiche Standardwerk der Wiener Schule, Ludwig von Mises Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel (1912), wie etwa das folgende Zitat zeigt: »Die einfache Umschreibung der volkswirtschaftlichen Funktion des Geldes, dass es ein den Austausch von Gütern und Dienstleistungen vermittelndes Verkehrsgut sei, konnte all jene nicht befriedigen, welche in der Wissenschaft nicht so sehr die Tiefe der Erkenntnis als die Fülle von Material suchen. MancherForscher meinte, dass der hervorragenden Stellung des Geldes im Wirtschaftsleben nicht genügend Rechnung getragen sei, wenn man ihm lediglich die Tauschmittelfunktion zuerkenne, und glaubte erst durch Aufzählung eines halben Dutzend weiterer ›Funktionen‹ die Bedeutung des Geldes voll gewürdigt zu haben. Eine recht naive Auffassung: […]«2 Diese Methode ist für die Mathematik, nicht aber für die Ökono-


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Einführung

mie sinnvoll. Von Mises greift sogar die geschichtliche Forschung an, indem er von einem ihrer Vertreter sagt, er sei der Auffassung gewesen, man könne das Nachdenken über wirtschaftliche Probleme durch Veröffentlichung historischer Dokumente ersetzen. Überhaupt geht von Mises mit den Kritikern seiner monetären Ansichten nicht zimperlich um. So schadete er dem Ruf des berühmten Wissenschaftlers, Erfinders und amerikanischen Revolutionsführers Benjamin Franklin, indem er ihn postum beschuldigte, sich nur deshalb für Papiergeld eingesetzt zu haben, weil er Drucker war und daher vom neuen Papiergeld profitiert habe. Das Wissen über die Geschichte des Geldes ist von entscheidender Bedeutung, da die Auswirkungen eines monetären Systems manchmal erst nach Generationen sichtbar werden. Indem manche Ökonomen über historische Studien hinwegsehen oder sie sogar ins Lächerliche ziehen, bringen sie sich selbst um den Beitrag der Geschichte zu ihrer wissenschaftlichen Arbeit und damit auch um den Nutzen, der daraus zu ziehen wäre. Nicht zufällig entstanden die meisten Leittheorien dieser Schulen als denkerische Konstruktionen, bevor ihre Stärken und Schwächen sich an der Wirklichkeit bewähren mussten. Monetäres Denken wurde zensiert

Die Suche nach den Ursprüngen des Geldes wird weiter dadurch erschwert, dass die Geschichte des Geldes stark zensiert wurde. So lesen wir beispielsweise in der Athener Verfassung, wie damals der Müll gesammelt wurde, suchen aber vergeblich nach Informationen über das staatliche Münzsystem. So erfährt man nichts über den für das Finanzwesen verantworlichen »Minister«3, und über Solons Einführung eines Münzsystems in Attika gibt es keine Aufzeichnungen.4 Solons Geldreformen lassen sich deshalb nicht vollständig rekonstruieren. Die Geschichte des römischen Geldwesens ist zwar besser, aber keineswegs vollständig dokumentiert. Monetäre Daten werden oft falsch interpretiert

Ein weiteres Hindernis besteht darin, dass Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts dazu neigen, Adam Smith’ monetäre Theorien auf ihre Arbeit anzuwenden und die überlieferten monetären Daten falsch zu bewerten. Ökonomen gehen oft noch einen Schritt weiter: Wider-


Einführung

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sprechen die aufgezeichneten Fakten ihren bevorzugten Theorien, bestreiten sie diese nicht selten mit Äußerungen wie der folgenden: »Wir wissen, dass dies nicht richtig sein kann.« Das Ziel dieses Buches

Ziel dieses Buches ist es, einen kleinen Beitrag zur Klarstellung der monetären Begriffe zu leisten und das Potential für eine erfolgreiche Verwirklichung der Europäischen Währungsunion zu maximieren. Ein erster Schwerpunkt der in diesem Buch angewandten Methode liegt auf der Darstellung bedeutender Prinzipien der Geldlehre, wie sie sich aus historischen Beispielen ableiten lassen. In einem zweiten Schritt soll untersucht werden, inwieweit diese Prinzipien in die Pläne einer Europäischen Währungsunion einfließen können. Da meine persönliche Wiederentdeckung dieser Prinzipien auf einer Untersuchung monetärer Daten in der Geschichte beruht, ist auch dieses Buch geschichtlich aufgebaut. Meine Aufgabe ist es, Ihnen zu zeigen, dass die Geschichte des Geldes weder trocken noch langweilig ist, denn sie ist die Geschichte der Macht!


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1. Kapitel

Die Ursprünge des Geldwesens

Es muss also ein Eines geben, welches das gemeinsame Maß vorstellt, und zwar kraft positiver Übereinkunft vorstellt, weshalb es auch Nomisma heißt, gleichsam ein vom Gesetz, Nomos, aufgestelltes Wertmaß. A

Der Kampf um die Ausübung der monetären Macht in einer Gesellschaft wird auf vielen Ebenen ausgetragen, sogar auf der Ebene der Theorien über die Anfänge des Geldwesens. Die Ursprünge des Geldes sind in Dunkel gehüllt. Da es nur wenige gesicherte Erkenntnisse gibt, sind die meisten Theorien nichts als geistreiche Spekulation. Die Entstehung des Geldes wird im wesentlichen auf drei verschiedene Ursprünge zurückgeführt: auf einen religiösen Ursprung, auf einen gesellschaftlichen oder staatlichen Ursprung und auf einen wirtschaftlichen oder durch den Warenhandel bedingten Ursprung. Die meisten Ökonomen vertreten die letztgenannte Auffassung. Diese Theorie spiegelt den heute weit verbreiteten Wunsch wider, Regierungen von der Übernahme einer geeigneten monetären Rolle abzuhalten.

Der Ursprung des Geldes im Warenhandel Dieser Theorie zufolge wurden in einer prämonetären Gesellschaft Waren direkt getauscht. Das Bedürfnis nach Geld entstand, weil die zu tauschenden Waren nicht immer denselben Wert hatten und weil Händler die Waren, die jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt angeboten wurden, nicht immer erwerben wollten. So entwickelte sich ein bestimmtes Gut aufgrund seiner günstigen Eigenschaften (hoher Stückwert, Transportfähigkeit, Teilbarkeit und Beständigkeit) nach


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Die Ursprünge des Geldwesens

und nach zu einem Zwischengut im Tauschhandel, einem sogenannten Tauschmedium. Die andauernde Verwendung dieses Guts verstärkte seine Rolle beim Warenaustausch, so dass es schließlich als allgemeines »Geldgut« akzeptiert wurde. Händler nahmen es bereitwillig an, da sie wussten, dass sie es zu einem späteren Zeitpunkt leichter gegen gewünschte Waren eintauschen konnten. Darüber hinaus war das Geldgut aufgrund seiner physischen Eigenschaften ein praktisches Wert- oder Rechenmaß und zumindest zeitweilig ein Wertspeicher.* Einige ökonomische Schulen treten besonders vehement für diese wirtschaftliche Herkunftstheorie ein, da sie die Regierungen von monetären Entscheidungen ausgeschlossen sehen wollen und deshalb eine marktorientierte Herkunftstheorie bevorzugen, die von Beschlüssen einer Regierung oder anderen Organen unabhängig ist. Doch möglicherweise ist ihr Urteil auch von dem heute herrschenden starken Misstrauen gegenüber Regierungsbeschlüssen beeinflusst. Denn obwohl die wirtschaftliche Herkunftstheorie sehr plausibel erscheint, hält sie einer genaueren Überprüfung nicht stand. Sie setzt nämlich bereits hohe Entwicklungsstufen voraus, etwa die Anerkennung von Privateigentum im Unterschied zu Stammeseigentum und die Anerkennung von Handelsverträgen sowie vermutlich auch ein System zu deren Durchsetzung. Wäre all dies möglich gewesen, ohne dass es bereits irgendeine andere Form von Geld gegeben hätte? Bedenkt man, dass Vieh eine der am weitesten verbreiteten Vorformen des Geldes war, verliert die Handelstheorie erheblich an Glaubwürdigkeit. Sie stellt in Wahrheit den Versuch dar, die Entstehung von Metallgeld zu erklären, nicht aber von Geld an sich. Die entscheidende Frage aber, was dem Metallgeld eigentlich seinen Wert verlieh, wird anhand dieser Theorie weder beantwortet noch ernsthaft betrachtet.1 * Diese Herkunftstheorie wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts von John Law in seinem Buch Money and trade considered with a proposal for supplying the nation with money (1705, deutsch 1720: Herrn Laws Gedanken vom Waren- und Geldhandel) aufgestellt. Law wurde von vielen beschuldigt, in den frühen 20er Jahren des 18. Jahrhunderts das französische Finanzsystem ruiniert zu haben. Carl Menger, der Begründer der Wiener Schule der Nationalökonomie, ließ später Laws Theorien in seinem Hauptwerk Grundsätze der Volkswirtschaftslehre (1871) wiederaufleben.


Der Ursprung des Geldes in der Religion

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Der Ursprung des Geldes in der Gesellschaft In ihrem Buch A Survey of primitive Money vertritt die Anthropologin A. H. Quiggin eine völlig andere Herkunftstheorie. Zwar kann die Anthropologie alleine keine historischen Entwicklungen oder Ereignisse erklären, aber sie kann wertvolle Hinweise geben. Quiggin setzte bei der Untersuchung von Geldformen in noch existierenden primitiven Gesellschaften an, um auf diese Weise Erkenntnisse über die Ursprünge des Geldes zu gewinnen. Ihre Beobachtungen hätten gezeigt, dass der Tauschhandel nicht der einzige Faktor bei der Entstehung von Geld sei. Die beim Tauschhandel üblicherweise ausgetauschten Gegenstände entwickeln sich nicht auf natürliche Weise zu Geld, und die als Geld verwendeten Gegenstände von größerer Bedeutung tauchen nur selten im alltäglichen Tauschhandel auf. Darüber hinaus empfinden einfache Gesellschaften die Unannehmlichkeiten des Tauschhandels nicht als Nachteil. Quiggin hat diese Situation noch zur Zeit der Abfassung ihres Buches (1949) in mehr als der Hälfte aller Länder vorgefunden. Sie kommt deshalb zum Schluss, dass die einem Geldersatz am nächsten kommenden Gegenstände ihre Funktion vermutlich durch ihre Verwendung bei innergemeinschaftlichen Zeremonien erhalten haben und nicht beim Tauschhandel.2 Nach diesen anthropologischen Untersuchungen wurde Geld hauptsächlich als standardisiertes Brautgeld oder als Blutgeld bei Verletzungs- und Todesfällen verwendet.

Der Ursprung des Geldes in der Religion Zu den Vertretern einer religiösen Herkunftstheorie zählen Paul Einzig und Bernard Laum. In seinem Buch Primitive Money schreibt er, die Menschen in primitiven Lebensgemeinschaften seien überwiegend von nicht-wirtschaftlichen Erwägungen geleitet worden. Hierzu zählt der Glaube an übernatürliche Kräfte und die Furcht vor diesen. Dieser Faktor spielt eine außerordentlich wichtige Rolle im Leben der primitiven Kulturen, und aus diesem Grund sind religiöse Zwänge an der Entstehung des Geldes wahrscheinlich stärker beteiligt als wirtschaftliche Erfordernisse. Die Entwicklung des Wirtschaftssystems im allgemeinen war stark von religiösen Faktoren beeinflusst.3


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Die Ursprünge des Geldwesens

Laums geschichtliche Forschung ist in seinem Buch Heiliges Geld dargelegt. Nach ihm liegt der Ursprung des Geldes im religiösen Kult als vorgeschriebener Opfergabe an Götter und als Bezahlung an Priester. »Das Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung. Das älteste Recht ist das Recht der Götter. Folglich ist auch das durch den sakralen Nomos geschaffene Geld ein Geschöpf der Rechtsordnung. Die Normen des sakralen Geldes sind in das profane Recht übernommen. Die Geschichte des Geldes ist letzten Endes die Geschichte der Säkularisation der kultlichen Formen.« Die Regeln für religiöse Zahlungen wurden später auch auf private Zahlungen ausgedehnt. Laum schlussfolgert, dass der griechische Stadtstaat Schöpfer des Geldes geworden sei, »weil er Träger des Kultus war«.4 Vielleicht entstand Geld also ursprünglich aus dem Bedürfnis nach einheitlichen Opfergaben oder Abgaben für Götter und Vergütungen für Priester. Die Furcht der Menschen vor dem Übernatürlichen, ihre Ehrfurcht vor der Fähigkeit der Priester, in die Zukunft zu sehen (etwa in bezug auf die richtige Pflanzzeit), und vor deren primitivem Wissen über Medizin und Gifte – dies alles übte vermutlich einen beträchtlichen Einfluss aus. Entwicklungen in der Archäologie, Numismatik und anderen Wissenschaften werden vielleicht mit der Zeit ein klareres Bild der Ursprünge des Geldes liefern. Obwohl wir wohl nie genau wissen werden, wie es entstand – möglicherweise aus einer Kombination der oben beschriebenen Faktoren, die höchstwahrscheinlich eng miteinander verbunden sind –, so wissen wir doch mindestens, woraus es bestand. Am weitesten verbreitet waren Ochsen und Kühe. Von Irland bis zum Mittelmeer, sogar bis Afrika wurde Vieh als Geld verwendet. Außerdem hatte Vieh offenbar einen ziemlich stabilen Wert: Sowohl im antiken Irland als auch im Griechenland zur Zeit von Homer betrug der Tauschwert einer Sklavenfrau drei bis vier Kühe.5 Etwa zwischen 1500 und 1000 v. Chr. gingen die Geldsysteme der Gesellschaften im östlichen Mittelmeerraum langsam, aber ohne Zwischenstufen vom Viehstandard auf den Goldgewichtstandard über. Dabei spielten offenbar östliche Tempel eine wichtige Rolle.


Der Ursprung des Geldes in der Religion

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Die monetäre Rolle der Tempelkulte

Die ersten und einflussreichsten Tempelkulte entstanden in Ägypten und in Mesopotamien. Nach der Schilderung von William Linn Westermann6 waren die Tempel von Re, Ptah und Ammon um das 2. Jahrtausend v. Chr. mächtige Organisationen geworden. Im Papyrus Harris aus dem 11. Jahrhundert v. Chr. finden sich Berichte über die gewaltigen Besitztümer des Gottes Ammon, dessen Hauptsitz sich in Theben befand (der sagenhafte Komplex von Luxor und Karnak). Von dort aus wurden große Anbauflächen und die sie bewirtschaftenden Sklaven verwaltet. Zum Tempeleigentum zählten außerdem auch Städte an der Küste des Roten Meeres und in Syrien sowie Schiffe zum Transport der überschüssigen Produktion nach Orten außerhalb der ägyptischen Grenzen. In industrieller Hinsicht war dieser Tempel ein einflussreiches und autarkes Gebilde. Tempel nahmen scheckähnliche Überweisungen von Getreide zwischen Deponenten vor, sogar an Zweigstellen in anderen Städten. So entwickelte sich mit großer Wahrscheinlichkeit Getreide zu einem Geldmittel. Obwohl in Ägypten die größte und dichteste fest angesiedelte Bevölkerung aller Mittelmeeranrainer lebte – weshalb es eigentlich kein Stadtstaat, sondern eher eine Nation oder zumindest ein Flussstaat war – und obwohl Ägypten einen der fortschrittlichsten Priesterstände der Welt hatte, dessen Anfänge dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot zufolge 17 000 Jahre zurückliegen, fand man dennoch nie eine pharaonische Münze. In großer Zahl fand man hingegen Glas- und Porzellanskarabäen, was manche Geldhistoriker zu der Vermutung veranlasst hat, dass Skarabäen ein frühes Geldsystem darstellten.7 Nach William Ridgeway geht die Einführung der Münzprägung im Westen vermutlich auf eine griechische Entwicklung zurück. Die Tempelstätten von Delphi und Olympia sowie von Delos und Dodona waren Zentren nicht nur des religiösen Kults, sondern auch des Handels. Kaufleute und Händler zogen aus der Zusammenkunft zahlreicher Tempelbesucher aus allen Stadtvierteln Nutzen, um sie mit ihren Waren in Versuchung zu führen. Die Tempelverwaltungen förderten den Handel in jeder Form: Sie bauten geweihte Straßen, die zu einer Zeit, in der Straßen nahezu unbekannt waren, das Reisen ermöglichten, und sie stellten die Reisenden auf diesen Straßen


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Die Ursprünge des Geldwesens

unter den Schutz ihres Gottes. Während der Feiertage war das geschäftige Treiben jedoch untersagt – eine willkommene Atempause für die Händler und Kaufleute. Ridgeway meint deshalb, es lasse sich mit einiger Wahrscheinlichkeit die These aufstellen, dass die Kunst der Münzprägung im Heiligtum einer Gottheit ihren Anfang genommen habe.8 Dabei handelt es sich möglicherweise um eine isolierte Entwicklung. Quiggin beschreibt, wie sich der Gebrauch echter Metallhaken, -messer und -spieße als Geld hin zur Verwendung von Abbildungen dieser Gegenstände entwickelte. Sie warnt jedoch vor einer zu starken Verallgemeinerung. Rückblickend erscheine der nächste Schritt offensichtlich und unvermeidlich, doch nur an einigen wenigen Orten, möglicherweise sogar nur an einem einzigen, habe sich die Entwicklung bis zum letzten Schritt vollzogen, d. h. der Schaffung von rundlichen, flach geschlagenen, geprägten Metallstücken mit einem bestimmten Gewicht, die man als Münzen bezeichnen könne.9 Nach Andreas Andreades waren die panhellenischen Kultstätten von Athen und Olympia bzw. von Delphi und Ephesus die einzigen »großen Kapitalisten«.10 Die Finanzverwaltungen der Tempel fungierten zuweilen als Banken, denn sie gewährten nicht nur ihr eigenes Geld als Darlehen, sondern auch das Geld, das ihnen zur sicheren Verwahrung anvertraut wurde.

Gold wird zum Zahlungsmittel Für die Völker der Antike war Gold das am einfachsten zu gewinnende Metall. Es kommt geologisch in den erzhaltigen Vulkangesteinsadern der meisten Gebirgsketten vor. Es wäre sicher schwierig gewesen, das Metall aus dem Fels herauszulösen, doch wurde das Gestein durch Witterungseinflüsse und Erosion aufgespalten. Dadurch trennten sich die reinen Goldpartikel vom Gestein und lagerten sich im Flusssand als leicht abschlämmbares Waschgold ab. Da sich Gold nicht zersetzt oder oxidiert, blieb das Waschgold in seiner ursprünglichen Form erhalten, bis der Mensch es fand. Ein weiteres, allerdings in der Gewinnung aufwendigeres Metall war Kupfer. An dritter Stelle stand Silber, dessen Förderung sehr komplizierte technische Verfahren erforderte.


Gold wird zum Zahlungsmittel

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Gold, ehemals zur Verzierung verwendet, diente vermutlich schon sehr früh – zusammen mit landwirtschaftlichen und tierischen Erzeugnissen – als Abgabe an die Tempel. Anders als organische Spenden, die verbraucht werden mussten, blieb Gold unverändert bestehen. Im Laufe der Zeit sammelte sich in den Tempeln eine beträchtliche Menge Goldes an. Dies bestätigen die riesigen Mengen an Gold und Silber, die Alexander der Große in den Tempeln der altorientalischen Städte Susa, Ekbatana und Persepolis erbeutete und deren Wert auf 740 000 Talente geschätzt wird, einschließlich 2200 Tonnen Silber im Wert von 180 000 Talenten.11 Die Größe dieser Schätze deutet darauf hin, dass sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen angehäuft worden waren, denn sie konnten im Handel nie wirklich verwendet werden. Angebot und Nachfrage hatten wenig mit der Produktion von Edelmetallen zu tun.12 Der Beutezug Alexanders des Großen diente nicht seiner persönlichen Bereicherung. Er brachte das Metall schnell in Umlauf, um seine kostspieligen militärischen, politischen und kulturellen Aktivitäten finanziell zu unterstützen. Allein der Überfluss an Gold, das nach Jahrhunderten erfolgreicher Anhäufung in den Tempeln lagerte, war ein Grund dafür, es zu Geld zu machen. Dieses Gold hätte für Schmuck oder für Kunstwerke gebraucht werden oder als Darlehen in Umlauf gegeben werden können. Hätten aber die Tempel zuviel Gold für solche Zwecke freigegeben, so wäre sein Warenwert immer weiter gesunken. Dem kamen die Tempel zuvor, indem sie das Gold vom Markt fernhielten – wodurch das Gold wirtschaftlich unnütz wurde und was erst noch Lagerkosten zur Folge hatte. Einige dieser Probleme lassen sich durch die Verwendung von Gold als Zahlungsmittel beheben: Man beschließt, dass eine bestimmte Menge Gold dem Wert etwa einer Kuh entspricht. Auf diese Weise hat man ein abstraktes Geldmittel geschaffen, denn schon eine kleine Menge Goldes konnte erheblichen Reichtum symbolisieren, während der Wert einer Kuh eher von dem bestimmt war, was die Menschen als den Wert der Produkte einer Kuh ansahen. Die Tempel besaßen eine so große Menge Gold, dass sie die Kontrolle über es ausüben konnten. Für die »Normalsterblichen« war es schwierig, auf anderem Wege als über die Tempel an größere Gold-


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Die Ursprünge des Geldwesens

mengen zu gelangen. Durch die Annahme von Gold als Bezahlung für ihre allgemein als lebensnotwendig angesehenen »Dienste« konnten die Tempel außerdem einen bestimmten Goldwert festlegen. Was bestimmt den Goldwert?

Bei der Beantwortung dieser wichtigen Frage muss man berücksichtigen, dass Gold in den Tempeln im Überfluss vorhanden war. Der Wert einer Kuh oder eines Ochsen ist ziemlich konkret. Die Kuh kann Milch und Dünger geben, einen Pflug ziehen, weitere Kühe hervorbringen oder Leder und Fleisch liefern. Doch was bestimmt den Wert einer Gold- oder Silbermünze, die zu nichts zu gebrauchen ist? Wer legte das Wertverhältnis von Rind zu Gold fest, und wie kam man überhaupt zu diesem bedeutenden finanziellen Beschluss der Antike? Seit Adam Smith gehen Ökonomen davon aus, dass der Goldwert von Angebot, Nachfrage und Produktionskosten sowie Marktfaktoren bestimmt wird. Die Betrachtung der Festlegung anderer Werte, zum Beispiel des Verhältnisses von Gold zu Silber, zeigt jedoch, dass dieser bedeutende Beschluss wohl viel willkürlicher erfolgte. Wahrscheinlich sollte dieser politische Beschluss dazu dienen, die Macht der Beschlussfasser, also der Priester der großen Tempelkulte, auszuweiten. Die entscheidende Frage ist deshalb nicht, was Gold seinen Wert verlieh, sondern wer ihm seinen Wert verlieh. Die Wertzuweisung erfolgte, indem man den Wert von Gold in jene Werteinheit übertrug, die den damaligen Gesellschaften vertraut war: die Kuh. Zu Homers Zeiten, kurz vor der breiten Einführung von Münzgeld, wurde das Wertverhältnis zwischen Goldbarren und Rindern wie folgt angegeben: Eine Kuh oder ein Ochse entsprach einer Goldmenge von 130 Gran*. Dabei entsprach jedes Gran dem Gewicht eines Weizenkorns. 130 Gran wiegen etwa 8 Gramm. Ridgeway vermutet, dass die Einheit von 130–135 Gran zum Teil einfach deshalb gewählt wurde, weil diese Menge bequem auf eine Handfläche passte.13 Diese institutionell festgelegte Konvention oder Norm war offen* Vom lateinischen granum = Korn. (A. d. Ü.)


Gold wird zum Zahlungsmittel

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bar im Mittelmeerraum mehrere Jahrhunderte lang in Kraft. So fand man in ägyptischen Ruinen einfache Goldringe, die 128 Gran wogen. Ähnlicher Goldschmuck, den Schliemann bei Mykene, dem Sitz Agamemnons, fand, wog 130–135 Gran, ebenso wie verschiedene auf Ägina gefundene Ringe. Gold ist eines der ersten autonomen Geldmittel

Angebot und Nachfrage spielten bei dieser Festlegung keine wichtige Rolle, da die Tempel nicht nur über ein großes Angebot verfügten, sondern auch über die Macht, es vom Markt fernzuhalten oder die Nachfrage danach zu erzeugen, indem sie sich für ihre Dienste in Gold bezahlen ließen. So wurde Gold zu einem der ersten Geldmittel des Menschen, dessen Wert durch einen institutionellen Erlass verordnet und kontrolliert wird. Dabei wird dem als Geld dienenden Symbol durch den Vorgang der Monetisierung ein gewisser Wert verliehen. Gold besitzt darüber hinaus auch einen Warenwert, der allerdings häufig mit seinem Geldwert verwechselt wird. So geht man im allgemeinen davon aus, dass Gold »an sich« einen bestimmten Wert habe. Damit bezeichnet man jedoch lediglich seinen Warenwert. Etwas anderes ist sein (höherer) Geldwert, also der Gegenwert des Goldes in Geld. Dieser führte letztendlich dazu, dass große Goldmengen in den Schatzkammern der Tempel vom Markt zurückgehalten wurden. Die monetäre Kontrolle des Orients

Durch die starke Unterstützung der orientalischen Tempel verdrängte Gold allmählich das Rind als Zahlungsmittel und nahm einen Geldwert an. Die Ausbreitung dieses Konzeptes nach Westen hin ist eines der frühesten Beispiele für ein in der Geschichte des Westens immer wiederkehrendes Phänomen: Komplexe monetäre Entwicklungen und Kontrollmechanismen breiteten sich in der Regel von Ost nach West aus. In dieser Phase machte der Orient dem Westen auch »Geschenke« aus Gold. Die Könige Gyges (682–652 v. Chr.) und Krösus (561–546 v. Chr.) von Lydien in Kleinasien schenkten den Tempeln von Delphi und Branchidae, den beiden Haupttempeln Apollons, große Mengen von Gold und Silber. Diese Spenden brachten östlichen Einfluss mit sich. Während die Perser in Griechenland einmarschierten und


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Die Ursprünge des Geldwesens

die berühmte Schlacht bei den Thermopylen, die Schlacht bei Artemision und die Schlacht von Salamis geschlagen wurde, arbeiteten die Priester von Delphi quasi Hand in Hand mit Persien.14 Herodot schließlich berichtet von dem Athener Alkmäon, dem Krösus gestattete, sich aus seiner Schatzkammer so viel Gold zu nehmen, wie er tragen konnte. Dieser Schatz stellte eine solide Existenzgrundlage für nachfolgende Generationen der Alkmäoniden-Familie dar, die sich dadurch zu einem kontrovers diskutierten Machtzentrum in Athen entwickelte. Sind die beschriebenen Beispiele Fälle grenzüberschreitender Großzügigkeit? Oder machen sie nicht vielmehr deutlich, wie ein auf Gold beruhendes Geldsystem subtil in den Westen eingeschleust wurde?

Die griechischen Stadtstaaten führen die Münzprägung ein Wann genau die Münzprägung eingeführt wurde, ist immer noch umstritten. Chinas ältestes Schriftstück, der Shu-ching, datiert den Beginn der Münzprägung auf das Jahr 1766 v. Chr. Einer anderen Quelle, dem Shu-chi (163–85 v. Chr.) zufolge wurden die ersten Münzen jedoch schon im dritten Jahrtausend v. Chr. unter den Herrschern Shun und Yu geprägt. Im Westen berichtet Plutarch in seinem Werk Bioi paralleloi, dass Theseus um 1260 v. Chr. in Athen Münzen mit Ochsenkopfbildern ausgab. Aufgrund entsprechender Münzfunde vermuten Numismatiker hingegen, dass die ersten Münzen um 700 v. Chr. in Lydien an der Westküste der heutigen Türkei geprägt wurden. Ihrer Ansicht nach begann in jener Zeit die Systematisierung der Münzprägung. Die ersten Münzen waren sehr einfach und nur einseitig geprägt. Spätestens seit der Herrschaft Amyntas’ II. von Makedonien (393– 369 v. Chr.), des Großvaters Alexanders des Großen, gab es beidseitig geprägte Münzen. Die englische Bezeichnung »coin« stammt vom altfranzösischen Wort coigne (= Eckstück oder Keil) ab, das sich wiederum vom lateinischen cuneus, dem Begriff für den bei der Münzprägung verwendeten Stempel oder Keil, ableitet.* * Die deutsche Bezeichnung »Münze« ist ein Lehnwort, das vom lateinischen moneta (= Münzstätte; Münze) herrührt. (A. d. Ü.)


Die griechischen Stadtstaaten führen die Münzprägung ein

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Das Münzwesen wurde von den jeweiligen Verwaltungen der einzelnen lokalen Stadtstaaten je nach ihren Bedürfnissen eingeführt. Es brachte Vorteile im Vergleich zu den Goldbarren, da die Münzstätten die Einheitlichkeit der Münzen gewährleisteten. Ein noch größerer Vorteil der Einführung des Münzwesens lag wohl darin, dass nun eine Festlegung der gesamten in einem bestimmten Zuständigkeitsbereich offiziell zirkulierenden Geldmenge möglich war. Das Münzwesen in den griechischen Städten war ein Staatsmonopol. Der Gebrauch der lokalen Münzen im jeweiligen Stadtgebiet war obligatorisch.15 Andere Münzen durften nur in Umlauf gebracht werden, wenn sie mit einem Gegenstempel der Stadt versehen waren. In allen identifizierbaren Fällen war die jeweilige Ausgabestelle der Münzen immer die oberste politische Machtinstanz in der jeweiligen Stadt oder dem Staat. Für eine private Münzausgabe durch Bankkaufleute oder Händler gibt es in der griechischen Welt keine Hinweise.16 Nach Bernhard Laum war diese Kontrolle in den Händen der Städte, weil diese auch über den Kult herrschten. Allerdings deckten sich die Interessen der weltweit operierenden Kulte vielleicht nicht immer mit den mehr an ein bestimmtes Stück Land und eine bestimmte Bürgerschaft gebundenen Stadtinteressen. So kam es zwischen Städten und Tempeln auch zu Kämpfen, beispielsweise als die Athener um 425 v. Chr. den Tempel auf der Insel Delos überfielen und einnahmen. Das Orakel des Apollontempels von Delphi befahl ihnen daraufhin den Rückzug, und sie gehorchten. Tempel waren außerdem in der Lage, mächtige Allianzen zu bilden: So schlossen sich um 418 v. Chr. während des Peloponnesischen Krieges die Schatzverwalter der zehn wichtigsten Tempel zu einem Gremium zusammen, das sich selbst den Namen »Die Schatzverwalter der Götter« gab. Solche Zusammenschlüsse konnten eine Stadt durch Abzug oder Zufluss von Gold oder Silber in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Mit ihrer eigenen lokalen Münzprägung konnten die Stadtstaaten die Anhäufung ausländischer Münzen und Metalle ins Leere laufen lassen und ihr Schicksal besser in die Hand nehmen. Die staatliche Münzprägung war dann möglicherweise das Ergebnis einer Machtverschiebung, einer »Entwicklung« oder Verständigung zwischen den Stadtstaaten und den internationalen Tempel-


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Die Ursprünge des Geldwesens

kulten und somit zwischen Regierung und Religion. Das Münzwesen der Städte war nach wie vor eng an die Tempel geknüpft, die Münzstätten waren Teil der Tempelanlage. Die »gewissenhafte« Fortführung des 130-Gran-Standards

Die griechischen Stadtstaaten setzten den 130-Gran-Standard unter dem neuen Münzwesen fort. Ridgeways Betrachtung der Goldmünzen verschiedener Städte in der Zeit zwischen 600 und 200 v. Chr. zeigt, dass alle untersuchten Münzen nur bis zu 5 Gran von der alten Kuh-Werteinheit abweichen.17 Indischer Dharana (600–500 v. Chr.) Krösus’ Goldstater (ca. 550 v. Chr.) Darius’ persischer Dareik (ca. 505 v. Chr.) Goldmünze von Rhodos (frühes 4. Jh. v. Chr.) Goldmünze von Athen (ca. 400 v. Chr.) Philipps II. makedonischer Stater (ca. 345 v. Chr.) Babylonische und phönizische Münzen

130 Gran 128 Gran 130 Gran 130–135 Gran 130 Gran 130 Gran 260 Gran*

Einige dieser Münzen entsprechen dem sogenannten attischen Standard, der wahrscheinlich von Solon um 594 v. Chr. eingeführt wurde, oder dem früheren euböischen Standard, der dem attischen zugrunde lag und wiederum fast völlig mit dem noch älteren persischen Standard übereinstimmte.18 Mit seiner schwerpunktmäßigen Untersuchung der Ähnlichkeiten zwischen diesen Münzsystemen führt Ridgeway 1892 in seinem Werk Origin of metallic Weights and Standards ein stichhaltiges Argument für einen institutionellen Ursprung des Geldes ins Feld. Probleme mit dem »immanenten« Münzwesen

Zwar stellte das Münzgeld eine Verbesserung dar, da seine Menge gesetzlich kontrolliert werden konnte, doch es blieb anfällig für Manipulationen und andere schädliche Eingriffe, die zuweilen drastische rechtliche Schritte notwendig machten. So brauchte zum Bei* Eine Verdopplung der 130-Gran-Konvention, die möglicherweise zeigte, dass ein Ochsengespann bzw. -paar in dieser Gegend üblich war.


Lykurgs numerisches System in Sparta

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spiel ein Feind nur unbemerkt eine gewisse Menge der umlaufenden Edelmetalle aus dem Verkehr ziehen oder ebenso unbemerkt illegal hergestellte, wenngleich der Gewichtsnorm entsprechende Münzen in Umlauf bringen, um eine anhaltende Finanzkrise auszulösen und das gesamte Gesellschaftsgefüge zu verändern. Auch Änderungen der Fördermethoden und -mengen oder bereits die dem Modediktat unterworfene schwankende Beliebtheit von Goldschmuck konnten sich auf das Geldsystem auswirken.19

Lykurgs numerisches System in Sparta In seinen Bioi paralleloi (100 v. Chr.) dokumentiert Plutarch, wie der Spartaner Lykurg im 8. Jahrhundert v. Chr den ersten geschichtlich überlieferten Versuch unternahm, ein durch »immanentes« Geld verursachtes Problem zu lösen. Lykurg war Plutarch zufolge weit gereist und bis nach Indien, Spanien, Libyen und Kreta gekommen. Auf der Insel Kreta, einst die Heimat der minoischen Kultur, traf er den Lyriker Thales, den »Gesetzgeber«. Sie kehrten gemeinsam nach Sparta zurück, wo sich Lykurg, der dem Königshaus von Sparta entstammte, der Regierung bemächtigte und eine Verfassung nach kretischem Modell in Kraft setzte, die zu den langlebigsten der griechischen Welt gehören sollte. Er führte Landreformen und weitere Maßnahmen durch, die der Säuberung einer korrupten Gesellschaft dienen sollten, deren gesamter Wohlstand auf wenige konzentriert war. Ein wichtiger Teil dieser Reformen war das neue Geldsystem. Vor Lykurg bestand Spartas Geld aus Gold- und Silbermünzen. Lykurg erließ ein Gesetz, das den Gebrauch von Gold und Silber als Geld verbot. Als neues Geldmittel wurde eine bestimmte Anzahl länglicher Eisenscheiben gesetzlich vorgeschrieben. Um die Eisenscheiben spröde und somit für jede andere Verwendung unbrauchbar zu machen, wurden sie in erhitztem Zustand in Essig getaucht. Dadurch wurde der »immanente« Wert der Münzen gezielt zerstört. Jede Eisenscheibe wog etwas mehr als 500 Gramm und wurde als Pelanor bezeichnet. Lykurgs Geldsystem basierte auf einer gesetzlichen Grundlage, wonach der Wert des Geldes nicht vom Material, aus dem es bestand, sondern von der Anzahl der im Umlauf befindlichen Geldein-


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heiten bestimmt wurde. Das System blieb mit offenbar gutem Erfolg dreieinhalb Jahrhunderte in Kraft. In dieser Zeit entwickelte sich Sparta zu einer führenden hellenischen Macht. Das System wurde um 415 v. Chr. abgeschafft, nachdem Sparta bei Eroberungszügen im Ausland große Mengen Gold und Silber erbeutet hatte. »Klassische« Ökonomen – die Schule von Adam Smith – hatten mit ihrer Sichtweise von Geld als Ware große Schwierigkeiten, das Geldsystem von Sparta zu verstehen. So äußert der Altertumswissenschaftler François Lenormant Zweifel an der Tradition des Pelanors. Dass man das Eisengeld in Essig getaucht habe, um es unbrauchbar zu machen, erscheint ihm unglaubhaft, denn nur durch seinen Wert als Ware, der ihm wegen seines Metallwertes verliehen und allgemein anerkannt wurde, konnte das Eisengeld in Umlauf gebracht werden und als Tauschmittel dienen. Die einzige Besonderheit von Spartas Geldwesen habe darin bestanden, dass anstelle von anderen Metallen Eisen verwendet wurde.20 Die meisten politischen Ökonomen des 20.Jahrhunderts sind sich über die Bedeutung des numerischen Geldsystems von Sparta nicht im klaren. Andere, die sich abstrakte Eigenschaften des Geldes nicht vorstellen können oder in dem Eisengeld eine Bedrohung für ihre monetären Theorien sehen, behaupten, dass die Essigbehandlung das Eisen gar nicht wertlos gemacht habe. Im Laufe der Zeit übernahmen andere griechische Stadtstaaten das Geldsystem Spartas. In Byzantion etwa, bevor es in Konstantinopel umbenannt wurde, war Eisengeld im Jahre 431 v. Chr. unter der Bezeichnung Nummus Spartaeus in Gebrauch. Karthago, Syrakus und insbesondere Rom übernahmen das numerische Geldsystem ebenfalls.

Solons Reform Ein weiteres Problem, das im Zusammenhang mit der Münzgeldeinführung in den griechischen Stadtstaaten aufgetreten war, führte um 600 v. Chr. zu Solons Geldreform in Athen. Der Stand freier Kleinbauern verschwand allmählich, da das Land immer mehr in die Hände der Oligarchie fiel. Nach George M. Calhoun lieh sich der


Solons Reform

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Kleinbauer vor der Einführung von Münzgeld Rohstoffe aus und bezahlte das Darlehen in Naturalien zurück. Dieser Verpflichtung konnte er vermutlich ohne größere Schwierigkeiten nachkommen, doch die Einführung von Münzgeld erschwerte seine Situation erheblich. Um seinen Rohstoffbedarf zu decken, musste er nun ein Gelddarlehen zu einem Zeitpunkt aufnehmen, da Geld billig und Rohstoffe teuer waren. Wenn er aber in einem ertragsreichen Jahr das Darlehen zurückzahlen wollte, waren Rohstoffe billig und Geld dagegen teuer.21 Wenn er dann nicht nur die Schulden nicht zurückbezahlen konnte, sondern auch noch schlechtes Wetter oder eine schlechte Ernte hinzukamen, wurden die Bauern mit Hypothekenschulden für ihr Land belastet und mussten ihre Arbeiter sogar der Versklavung preisgeben. Diese Schuldknechtschaft nahm immer dramatischere Ausmaße an, bis Solon mit seiner Seisachtheia – dem »Abschütteln« der Lasten – zur Rettung Athens schritt. Solon war in jungen Jahren Kaufmann gewesen und kannte sich daher in Handelsfragen aus. Für Athens Probleme machte er hauptsächlich die reiche Oligarchie verantwortlich. Die Versklavung von Menschen als Sicherheit für Schulden war von jetzt an verboten. Der Rest der Reform wurde »aus den historischen Aufzeichnungen herauszensiert« und ist vorwiegend in Solons Gedichten dokumentiert.22 Solon hob bestehende Schuldverträge auf und gab gepfändetes Land zurück. Er stellte die Währung vom »äginischen« auf den leichteren »attischen« Standard um, indem er das Münzgewicht um etwa drei Siebtel verringerte, und erhöhte Aristoteles zufolge die zirkulierende Münzgeldmenge. In Solons Reform war jedoch keine gleichmäßige Neuverteilung des Landes vorgesehen, wie sie Lykurg in Sparta durchgeführt hatte. Deshalb war diese bedeutende frühe Reform bei Bauern und Geldverleihern gleichermaßen unbeliebt. Solons Reformen fanden in der ganzen Welt so viel Zuspruch, dass im Jahre 454 v. Chr. eine im Westen der italienischen Halbinsel gelegene, wenig bekannte Siedlung eine Delegation zur Untersuchung der Gesetzgebung Solons nach Athen entsandte. Teile daraus gingen nach der Rückkehr der Gesandtschaft in die Gesetzbücher dieser Siedlung mit dem Namen Rom ein.


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Die Ursprünge des Geldwesens

Aristoteles’ »Nomisma« In Griechenland wurde das Geld unter der Bezeichnung »Nomisma« bekannt, da es seine Berechtigung durch ein Gesetz, auf griechisch »nomos«, erlangte. In der Zeit um 330 v. Chr. verkörperten die Schriften von Aristoteles den Höhepunkt dessen, was das alte Griechenland auf dem Gebiet des monetären Denkens und Experimentierens hervorbrachte: »So muss denn für alles ein Eines als Maß bestehen, […] Dieses Eine ist in Wahrheit das Bedürfnis, das alles zusammenhält. […] Nun ist aber kraft Übereinkunft das Geld gleichsam Stellvertreter des Bedürfnisses geworden, und darum trägt es den Namen Nomisma (Geld), weil es seinen Wert nicht von Natur hat, sondern durch den Nomos, das Gesetz, und weil es bei uns steht, es zu verändern und außer Umlauf zu setzen.«23 Weiter heißt es: »Freilich geht es mit dem Geld wie mit anderen Dingen; es behält nicht immer genau seinen Wert. Jedoch ist derselbe naturgemäß mehr den Schwankungen entzogen. […] Das Geld macht also wie ein Maß alle Dinge kommensurabel und stellt dadurch eine Gleichheit unter ihnen her. […] In Wahrheit können freilich Dinge, die so sehr voneinander verschieden sind, nicht kommensurabel sein, für das Bedürfnis aber ist es ganz gut möglich. Es muss also ein Eines geben, welches das gemeinsame Maß vorstellt, und zwar kraft positiver Übereinkunft vorstellt, weshalb es auch Nomisma heisst, gleichsam ein vom Gesetz, Nomos, aufgestelltes Wertmaß.«24 Hinter diesen wenigen Zeilen von Aristoteles verbirgt sich viel mehr, als man auf den ersten Blick vermuten könnte; sie wurden nie übertroffen und fanden nur selten ihresgleichen. Platon bestätigt Aristoteles’ Geldtheorie

Obwohl die Methode Platons allzu theoretisch war und den historischen Fakten weniger Bedeutung beimaß, als dies die aristotelische Schule verlangte, herrschte zwischen Platon und Aristoteles große Übereinstimmung in ihrer Auffassung vom Wesen des Geldes. In den Sokratischen Dialogen über den Reichtum schreibt Platon: »Das Geld der Karthager sah so aus: Ein Gegenstand von der Größe einer Tetradrachme wurde in ein kleines Lederstück eingeschnürt. Woraus der Gegenstand besteht, wissen nur seine Hersteller. Als


Aristoteles’ »Nomisma«

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nächstes wurde das Lederbündel mit einem staatlichen Siegel versehen und in Umlauf gebracht.«25 Platon berichtet außerdem, dass in Äthiopien eingravierte Steine als Geld benutzt wurden, und er bestätigt, dass Spartas Geldsystem aus Eisengeld bestand, das »wertlos gemacht wurde«. Für seine »Republik« favorisierte Platon ein autonomes Geldsystem. Seine strengen monetären Vorstellungen deuten darauf hin, dass die Edelmetallsysteme, die seinerzeit in Kraft waren, große Probleme aufwarfen. Ein ideales Geldsystem stellte sich Platon folgendermaßen vor: »An dieses alles knüpft sich außerdem ein Gesetz, welches keinem Nichtbeamten es gestattet, irgend Gold und Silber zu besitzen, wohl aber die Landesmünze des täglichen Umsatzes wegen, den zu betreiben für Handwerker fast unumgänglich ist sowie für alle, deren Geschäft es ist, Lohn darin [d. h. in der Landeswährung] an gemietete Sklaven und Fremde zu bezahlen. Aus diesen Gründen müssen sie, behaupten wir, die Landesmünze sich erwerben, welche für sie Geltung hat, für andere Menschen aber wertlos ist […]«26 Sowohl Aristoteles als auch Plato erkannten den wichtigsten monetären Grundsatz: Geld ist seinem Wesen nach keine Ware, sondern eine Schöpfung des Gesetzes, eine Erfindung oder Erschaffung des Menschen und der Gesellschaft.


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2. Kapitel

Roms Bronzegeld: besser als Gold

Indem Rom eine nationale Währung ausschließlich in Kupfer einführte, löste es eine Revolution in den Geldsystemen aller zivilisierten Nationen aus. N H H 1

Roms Bronzegeld Als Lykurg in Sparta den Eisen-Nomisma einführte, entstand im westlichen Rom eine neue Kultur, die den Mittelmeerraum sowohl in militärischer als auch in monetärer Hinsicht beherrschen sollte. Die Griechen waren Künstler, die Römer Praktiker. Griechenland blickte ostwärts, Rom westwärts. Das jedenfalls sind die Klischees dieser beiden Kulturen. Was Rom jedoch deutlich von Griechenland unterschied, war sein Geldsystem. Die Entwicklung Roms von einem winzigen Dorf im 8. Jahrhundert v. Chr. zum Begründer und Beherrscher der Weltordnung ist teilweise auf sein Bronzegeld zurückzuführen.* Während im Osten Geld aus Gold und Silber geprägt wurde, zog Rom als Grundstoff Bronze vor, eine hauptsächlich aus Kupfer, etwas Zinn und etwas Blei bestehende Legierung. Und dabei handelte es sich nicht um bloße Rohbronze, sondern um monetisierte Metallstücke, die als Nummi oder Nomisma bezeichnet wurden. Da ein Großteil der Edelmetalle in östlichen Tempeln gehortet wurde, war es einfacher, Kupfer zu beschaffen. * Die Darstellung von nahezu zweitausend Jahren römischer Geldgeschichte auf wenigen Seiten macht vorab eine Entschuldigung des Verfassers bei Numismatikern und Historikern notwendig. Zu den meisten Verallgemeinerungen wird es auch Ausnahmen geben. Hunderte von Jahren sind seitdem vergangen; Dokumente sind rar. Sollte es in diesem Werk versäumt worden sein, die neueste Forschung auf Gebieten mit besonderer Bedeutung für die hierin behandelten Themen zu erwähnen, so soll dies, nach Inkenntnissetzung des Verfassers, in zukünftigen Ausgaben berücksichtigt werden.


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Roms Bronzegeld: besser als Gold

Roms monetäre Isolation

Die Entscheidung von Numa Pompilius (716–671 v. Chr.), dem zweiten König von Rom, statt Gold oder Silber Bronze zu verwenden, hatte weitreichende Konsequenzen. Sie führte zu einer Wertminderung von Gold und Silber und somit auch zu einer Machtminderung der östlichen Tempel und Kaufleute, die ihr Gold und Silber natürlich nach wie vor in Rom als Ware verkaufen konnten. Doch ohne seinen monetären Wert konnte Gold nur als Schmuck und als Zahlungsmittel im Außenhandel eingesetzt werden. Die Macht östlicher Tempel und Kaufleute, das römische Geld zu kontrollieren oder ihm zu schaden, wurde durch das Kupfergeld erheblich verringert, und die Chancen Roms, sein Schicksal selbst bestimmen zu können, wuchsen.* Dieser monetäre Beschluss Roms war kein Zufall. Wollte Roms Führung damit bewusst den östlichen Einfluss abschwächen? König Numa, der glaubte, spartanischen Ursprungs zu sein, beendete außerdem auch die Praxis der Menschenopfer und setzte neue religiöse Institutionen ein, welche die gesamte römische Geschichte überdauerten. Zunächst wirkte sich Roms monetäre Unabhängigkeit nur im Inland aus, doch mit Roms zunehmendem Einfluss gewann auch die römische Geldpolitik an internationer Bedeutung. Indem Rom eine nationale Währung ausschließlich in Kupfer einführte, löste es eine Revolution in den Geldsystemen aller zivilisierten Nationen aus, denn im Verlauf der römischen Eroberungszüge wurden die Goldund Silberwährungen anderer Länder immer mehr vom römischen Kupfergeld mit römischen Gewichten und Maßen verdrängt – und dies mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit. (Nein, das ist kein Beispiel für das Greshamsche Gesetz, wonach gutes Geld von schlechtem Geld verdrängt wird.) Rom verfügte über Edelmetalle und hätte sie als Geld verwenden * Als über 2000 Jahre später die Vereinigten Staaten von Amerika zur größten Weltmacht aufstiegen, hatten sie diesen Vorteil monetärer Unabhängigkeit nicht. Dennoch etablierten sich während der beiden großen Krisen Amerikas – der Unabhängigkeitskrieg und der Sezessionskrieg – mit der continental currency und den greenbacks zeitweise zwei von der alten Weltmacht völlig unabhängige Geldsysteme. Und obwohl beide unabhängigen Währungen heftig kritisiert wurden, halfen sie Amerika durch die Krisen hindurch und leisteten wertvolle Dienste.


Roms Bronzegeld

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können, wenn es dies gewollt hätte. (König Numa gründete zum Beispiel eine Goldschmiedegilde.) Livius betont, dass geprägte Bronzemünzen um 406 v. Chr. das einzige gesetzliche Zahlungsmittel waren, obwohl auch andere Metalle in großen Mengen vorhanden waren und sogar vom Staat gegossen wurden.2 Als Rom im Jahre 389 v. Chr. von den Galliern besetzt war, willigte es ein, zur Beendigung der Feindseligkeiten ein Lösegeld von 1000 Pfund Gold zu bezahlen. Plinius erwähnt Gesetze aus dem 4. und dem 3. Jahrhundert v. Chr., welche die Förderung von Edelmetallen in Italien untersagten. Rom versuchte, die Edelmetallgewinnung weitgehend zu verhindern. Humphreys fasst die Entwicklung wie folgt zusammen: Die Römer führten Kupfer ein, da sie das Gold und Silber ihrer Nachbarn, das ihnen durchaus vertraut war, ablehnten und deshalb nicht übernehmen wollten.3 Zwar war in Rom immer auch ausländisches Geld in Umlauf. Diese Münzen hatten aber keine Zahlungsfunktion: sie waren lediglich Waren. Der römische Nomisma

Frühere Versuche, König Numa als mythische Figur abzutun, wurden mittlerweile aufgegeben. Nach Emilio Peruzzi besteht kein Zweifel daran, dass Suetonius von einer römischen Tradition berichtete, wonach Numa der erste Herrscher war, der seinen Untertanen Bronzemünzen als Zahlungsmittel gab und diese Nummi nannte.4 König Numas’ Bronzegeld gab es in mehreren Erscheinungsformen: zuerst als Metallstück (aes rude), danach als gegossenes und später als geschlagenes Bronzegeld (aes grave). Mit der Zeit entwickelte es sich zu einem abstrakten numerischen Geld, d. h., der Wert begrenzter Münzgeldausgaben lag weit über ihrem Materialwert. König Servius Tullius (578–534 v. Chr.), der vorletzte König von Rom, gründete eine Föderation lateinischer Nationen, deren gemeinsames Heiligtum der Diana-Tempel auf dem Aventinhügel war. Er führte Maße, Gewichte und die Prägung von Münzen mit Bildnissen von Tieren und dem doppelgesichtigen Gott Janus ein. Diese frühen Münzen waren oft mit der Ziffer 1 gestempelt, die wahrscheinlich ein Nummus oder Nomisma bezeichnete. Tullius hatte verfügt, dass Geldstrafen und Steuern in Nomisma an die Schatzkammern dreier Tempel zu zahlen waren. Dieses Münzgeld beeinflusste weite Teile Italiens und war ohne


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jeden Zweifel ein gesetzliches Zahlungsmittel. Mit der Einführung des aes signatum unter Tullius wurde Bronze, das bereits eine monetäre Funktion erfüllte, zum gesetzlichen Zahlungsmittel in Rom.5 Dies ist ein historisches Beispiel für den wichtigen monetären Grundsatz, demzufolge ein abstraktes Symbol einen Wert annehmen kann, indem es zur Begleichung der Steuerschuld eingesetzt wird. In einem römischen Gesetz von 454 v. Chr. wurden allgemeinverständliche Kriterien für die Münzbewertung festgelegt. Ein Nomisma betrug 21⁄2 Asse. Jedes As wog 12 Unzen Rohbronze. 1 Schaf war nach dem Gesetz 10 Asse, 1 Ochse 100 Asse wert.* Hier handelt es sich um ein dokumentiertes Beispiel für die bereits früher von den östlichen Tempelkulten eingeführte Goldwertschöpfung auf der Basis von Rindern, wie sie Ridgeway erläuterte. Mit der Zeit erhöhte sich der gesetzliche Wert des Nomisma auf mindestens das Fünffache seines dem Bronzegehalt entsprechenden Materialwertes. Betrug der Wert des Nomisma anfangs noch 9 bis 12 Unzen Bronze, so steigerte sich sein gesetzlicher Wert auf bis zu 30 Unzen. Dabei wurde das Gewicht des Nomisma über ein Jahrhundert lang kontinuierlich bis auf zwei Unzen reduziert, was jedoch zu keinen Klagen Anlass gab. Auch dass die Reinheit der Bronze variabel war, kümmerte niemanden, da es schlichtweg unerheblich war. Die Münzen erhielten ihren Wert nicht aufgrund ihres Materialwertes, sondern aufgrund eines Gesetzes, und ihre Anzahl war begrenzt. Später, unter der Kontrolle des Senats, wurden sie mit SC ** gestempelt. Die Bronzemünzen aus dieser Serie sind verschieden schwer und verkörpern mit Sicherheit Werte, die ihren Metallwert übersteigen.6 Unter diesem nominellen Geldsystem wurde das republikanische Rom immer einflussreicher, da es vom dekadenten Osten unabhängig blieb und die Errichtung finanzieller Brückenköpfe auf römischem Boden verhinderte. Mit dem Bronzegeld entwickelte Rom ein Rechtssystem, das überall in der Welt Beachtung fand und noch heute, 2300 Jahre später, als Vorbild dient. Dieses Rechtssystem war * Durch diese Festsetzung wurden Tiere per Gesetz zum Zahlungsmittel erklärt. So brauchte man diese nicht mehr zu verkaufen, sondern konnte sie direkt als Geldbuße entrichten. Dadurch entstanden bestimmte Mindestpreise für die Tiere. Das Gesetz lässt den Schluss zu, dass die Nomisma-Ausgaben relativ begrenzt waren. ** Abkürzung von senatus consulto, d. h. »auf Beschluss des Senats«. (A. d. Ü.)


Der Niedergang des römischen Geldsystems

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in einem in der Antike bis dahin ungekannten Umfang von der Religion getrennt.

Der Niedergang des römischen Geldsystems Roms numerisches Geldsystem blieb 200 Jahre lang in Kraft. In dieser Zeit entsprang, wuchs und florierte alles, was wir an der römischen Zivilisation bewundern. Als das System zerfiel, verlor Rom seine Freiheiten. Zwar sollte der Staat noch mächtiger und gefürchteter werden, aber er war nicht mehr eins mit seinem Volk.7 Für Roms monetären Verfall zeichnet Del Mar das folgende Szenario: Bei ihren Eroberungen im Ausland erbeuteten die patrizischen Familien, die Hauptförderer der römischen Kriege, große Mengen Silber. Da sie ihre Soldaten in einer im Ausland gültigen Währung bezahlen mussten, genehmigte Rom den Patriziern im Jahre 269 v. Chr. die Ausgabe von privaten Silbermünzen.* Der diesen Silbermünzen (von den Patriziern?) zugewiesene Wert war vermutlich etwa fünfmal höher als der Wert ihres Silbergehalts. Das erbeutete Silber brachte den Patriziern also einen Gewinn von 500 %. Diese fünfmalige Überbewertung des Silbers allein hätte nicht zum Zusammenbruch des römischen Geldsystems führen können. Ein nominelles Geldsystem erfordert sogar eine solche Überbewertung, wobei der daraus resultierende Gewinn allerdings der Gesellschaft als Ganzes zusteht. Was das System letztendlich in den Ruin trieb, war die unbegrenzte Ausgabe dieser Münzen. Die Patrizier benutzten die Überbewertung, um die römische Gesellschaft von innen heraus zu plündern, indem sie den Staat Münzen prägen ließen. Als andere Stände davon erfuhren, beanspruchten auch sie einen Teil des Gewinns, und so wurde schließlich Silber un terschiedlichster Herkunft geprägt. Am Ende gab es ungefähr 160 lizensierte Denarii-Ausgaben, die manchmal als gentes be* Die lateinische Bezeichnung für Geld, »moneta«, hat ihren Ursprung in der Münzprägung dieser Zeit, denn die römische Münzstätte befand sich im Tempel der Göttin Juno, mit Beinamen Moneta, was ursprünglich »Mahnerin« bedeutete. Aus »moneta« entstanden auch in anderen Sprachen zahlreiche Geldbegriffe, etwa das englische »money«, das französische »monnaie«, die deutsche »Münze«, aber auch die umgangssprachlichen »Moneten«. (A. d. Ü.)


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zeichnet wurden. Diese wurden im Jahre 207 v. Chr. zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt und begründeten damit den römischen Silberstandard. Diese unbegrenzte Prägung von Silbermünzen vermehrte die gesamte zirkulierende Geldmenge erheblich. Dadurch sank der Wert des Denarius auf den Wert seines Silbergehalts herab. Das numerische Bronzegeld verlor ebenso an Wert. Diese Entwicklung verdeutlicht den wesentlichen monetären Grundsatz, demzufolge die Kontrolle über die Ausweitung eines beliebigen Teils der gesellschaftlichen Geldversorgung in die Kontrolle über die Ausweitung der gesamten Geldversorgung übergeht. Das Geldsystem der Patrizier veranschaulicht auch die Hauptgefahr eines nominellen Geldsystems: Da der gesetzliche Wert des Geldes so viel höher ist als der Wert seines Materials – ob unedles oder edles Metall, Papier oder ein Hauptbucheintrag in der Buchhaltung –, wird eine korrupte Elite stets versuchen, sich diesen Mechanismus zur Ausbeutung der Gesellschaft zu eigen zu machen. Roms monetäre Isolation endet

In Rom begann die Geschichte des Warengeldes mit der Prägung des Silberdenarius, welche die monetäre Unabhängigkeit Roms beendete. Aufgrund der Ähnlichkeiten zwischen dem Silberdenarius und der attischen Drachme betrachteten die Römer beide Münzen als gleichwertig. Mit der Prägung des Denarius gab sich Rom ein Mischsystem, dessen Wertverhältnisse nicht dauerhaft festgelegt werden konnten. Ein Denarius entsprach 73 Gran Silber im Ursprungswert von 10 Assen. Ein Silbersesterz entsprach 21⁄2 Assen, die wiederum exakt den Wert eines Nomisma ausmachten. Dieser jedoch orientierte sich nicht am Markt, sondern war gesetzlich festgelegt und von der Ausgabenbegrenzung abhängig. Im Unterschied zum Nomisma war die Ausgabe von Denarii und Sesterzen unbegrenzt, so dass diese Münzen allmählich einen ihrem Warenwert zugrunde liegenden Marktwert annahmen. Nachdem Rom erst einmal dazu übergegangen war, eine Ware als Geld zu verwenden, setzte eine endlose Suche nach Edelmetallen ein – eine enorme Kraft- und Energieverschwendung. Schlimmer noch: Da die Edelmetalle im Osten gehortet wurden, gewann der Osten wieder an Macht über Rom.


Der Niedergang des römischen Geldsystems

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Das patrizische Münzwesen löste darüber hinaus auch Kämpfe zwischen den Ständen aus. Soziale Reibereien waren unvermeidlich, da sich diejenigen, die das Vorrecht der Denariusprägung besaßen, zu Unrecht selber bereicherten und gleichzeitig alle anderen Menschen benachteiligten. Einmal konzentriert, ließ sich dieser Reichtum leicht durch Wucher vergrößern. So ist es nicht verwunderlich, dass die nachfolgenden 200 Jahre der römischen Geschichte von Klassenkämpfen geprägt waren. Das römische Silbergeld wird immer noch missverstanden

Ein gutes Beispiel dafür, wie die Geschichte des Geldes durcheinandergeraten kann, wenn man ihr eine Warengeldtheorie zugrunde legt, liefert Mathew Rapers in der übrigens ausgezeichneten Analyse Inquiry into the Value of Ancient Greek and Roman Money (1771). Das große Missverhältnis zwischen dem römischen Kupfergeld und dem älteren römischen Silbergeld habe viele zu der Vermutung veranlasst, dass die ersten denarii schwerer gewesen sein müssten. Es gelte nämlich als unglaubhaft, dass Silber 840-mal sein Gewicht in Kupfer wert sein sollte.8 Raper vergleicht das fünfmal überbewertete monetäre Silber mit nicht monetisiertem Warenkupfer. Auffallend ist auch hier die allgemeine Tendenz, Tatsachen zu leugnen. Doch Raper war aufrichtig: Er räumte ein, dass zu viele Beweise gegen eine Infragestellung der Münzgewichte sprachen. Trotzdem brachte ihn seine »klassische« Sichtweise vom Geld als Ware dazu, die Fakten falsch zu interpretieren. Er schließt nämlich nicht aus, dass Silber in Rom zum Zeitpunkt der ersten Prägung knapp war. Auch scheint es ihm wahrscheinlich, dass die Römer aus Unkenntnis und Mangel an Erfahrung in Geldangelegenheiten anfangs das Silber zu hoch bewerteten. Ohne die Vorstellung von Geld als abstrakter gesetzlicher Institution und nicht als bloßem Metallstück konnte Raper unmöglich ahnen, dass er wahrscheinlich den Zerfall eines nicht etwa auf Unerfahrenheit und Unwissenheit beruhenden, sondern im Gegenteil sehr fortschrittlichen Geldsystems beschrieb. Die Einführung von Goldmünzen

Im Jahre 207 v. Chr. wurde in Rom eine 157-Gran-Goldmünze geprägt, die den Historiker Plinius den Älteren zu folgender Bemer-


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kung veranlasste: »Das nächste Verbrechen gegen das Wohlergehen der Menschheit wurde von dem verübt, der als erster einen Denarius aus Gold prägte. Der Urheber dieses Verbrechens ist unbekannt. […] Würde dieses Gold doch für immer von der Erde verbannt, verwünscht durch weltweite Anzeigen, geschmäht durch die Vorwürfe der besten Männer und nur als eine dem Untergang der Menschheit förderliche Entdeckung angesehen.«9

Östliche Kulte infiltrieren Rom Die Punischen Kriege gegen Karthago forderten einen hohen Tribut. In seinem Buch Der goldene Zweig (The Golden Bough) schildert Frazer, wie sich die kriegsmüden und verzweifelten Italiener nach sechzehnjährigem Widerstand gegen Hannibals Offensiven von einer Prophezeiung aus den Sibyllinischen Büchern verführen ließen: »Die Verehrung der phrygischen Mutter der Götter wurde von den Römern im Jahre 24 v. Chr., gegen Ende ihres langen Kampfes mit Hannibal, übernommen. Ihre niedergeschlagenen Gemüter waren nämlich rechtzeitig durch eine Prophezeiung aufgerichtet worden, die aus jenem bequemen Gemisch von Unsinn, den Sibyllinischen Büchern, stammen sollte. Danach sollte der fremde Eroberer aus Italien vertrieben werden, wenn die große orientalische Göttin nach Rom gebracht wurde. Infolgedessen wurden Gesandte in die ihr geweihte Stadt Pessinus geschickt. Der kleine schwarze Stein, der die mächtige Gottheit verkörperte, wurde ihnen anvertraut und nach Rom gebracht. Dort nahm man ihn voller Achtung auf und brachte ihn in den Tempel der Victoria auf dem Palatinus. […], und im folgenden Jahre schifften sich Hannibal und seine Veteranen nach Afrika ein. Als er die Küste Italiens zum letztenmal erblickte, wie sie in der Ferne verschwand, konnte er nicht voraussehen, dass Europa sich noch einst den Göttern des Orients ergeben würde, wenngleich es seine Waffen zurückgeschlagen hatte. Die Vorhut der Eroberer hatte sich schon im Herzen Italiens niedergelassen, ehe die Nachhut der geschlagenen Armee sein Gestade grollend verließ.«10 Diese als kultischer »Erfolg« gefeierte Befreiung Roms von Hannibal öffnete einer Reihe östlicher Kulte Tür und Tor. Scipio Africanus, der bedeutendste römische Feldherr, besiegte


Übernahme durch die Cäsaren

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schließlich Hannibal und zerstörte Karthago, obwohl er ihm sowohl in der Truppen- als auch in der Elefantenstärke unterlegen war. Der Krieg hatte jedoch bereits zum Zusammenbruch des Geldsystems und mit diesem auch des römischen Rechtssystems beigetragen. Mit dem Einzug der östlichen Kulte veränderten sich nun auch Geist und Gepflogenheiten Roms. Durch die Verbindung monetärer und religiöser östlicher Einflüsse mit Klassenkämpfen wurden die römischen Institutionen stark unter Druck gesetzt. Mit der Knappheit von Silber konfrontiert, zogen es der Diktator Sulla und seine Anhänger vor, versilberte Münzen zu prägen. Dagegen wehrte sich eine Gruppe, die sich als die Nachfahren Numas betrachtete und Münzen aus reinem Silber forderte. Eigentlich verkörperte Sulla die monetären Vorstellungen Numas besser, doch wenn sich erst einmal die Ansicht durchsetzt, dass Geld eine Ware sei, kann dies leicht zu einer Verzerrung des »Moralbegriffs« in Geldangelegenheiten führen, wie noch zu schildern sein wird. Um das Jahr 70 v. Chr. herrschte im römischen Geldsystem ein heilloses Durcheinander. Dazu Cicero: »Die Währung war derartigen Schwankungen ausgesetzt, dass niemand wusste, was er besaß.« Mit dem monetären Chaos ging eine schwere Schuldenkrise einher. Ein Gesetz mit dem Namen lex valeria machte reinen Tisch, indem es auf die Schuldenabzahlung 75 % Rabatt gewährte. Doch der Reichtum blieb weiterhin in wenigen Händen konzentriert.

Übernahme durch die Cäsaren Die römische Gesellschaft war anfällig für Diktaturen. Roms Aristokratie und Julius Cäsar standen bereit. Im Alter von 27 Jahren wurde Cäsar zum Pontifex ernannt. Eine hohe Auszeichnung, denn die fünfzehn Pontifices waren die oberste römische Sakralinstanz. Mit 36 Jahren wurde er Pontifex maximus, also oberster Priester Roms. Nach dem Triumvirat, dem Konsulat und den gallischen Feldzügen, mitten im Bürgerkrieg auf der Jagd nach Pompeius, dessen Kopf ihm in Alexandria »überreicht« wurde, ging Cäsar, mittlerweile 52 Jahre alt, im Jahre 48 v. Chr. zum Orakel des Jupiter Amon bei der berühmten Oase Siwa in der libyschen Wüste, um sich von den Tempelpriestern ver-


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gotten zu lassen. Bereits dreihundert Jahre früher war Alexander der Große nicht vor einem dreiwöchigen Umweg von mehreren hundert Fußmeilen durch die Wüste zurückgeschreckt, um sich nach seiner Eroberung Ägyptens von den Priestern in demselben Tempel deifizieren zu lassen.11 Cäsar kam nicht als bloßer Diktator, sondern als Gott nach Rom zurück – und er meinte es auch so. Er und später auch Augustus fassten die sakrale mit der säkularen Macht des Staates in den Händen des vergotteten Imperators zusammen. Die Trennung von sakralem und säkularem Bereich, einer der wichtigsten Beiträge Roms zur Entwicklung der Menschheit, war damit beendet. Die Kontrolle über das Geldsystem wurde dem religiösen Amt des Pontifex maximus übertragen. Aber Rom ließ sich nicht so widerstandslos in die Diktatur führen. Cäsar wurde bald darauf von Brutus, der deshalb von vielen als Held gefeiert wurde, ermordet. Zum Gedenken an den Mord gab Brutus eine Münze mit zwei Dolchen und den Worten Eid Mar (die Abkürzung von Eidibus Martiis, d. h. die Iden des März, das Datum des Mordes) heraus. Cicero hielt dieses Vorgehen für gerechtfertigt und verteidigte es. Die Tempel finanzierten Oktavians (Augustus’) Kampf um die Herrschaftsnachfolge. Appian erzählt in seiner Römischen Geschichte, Oktavian habe den bedürftigen Soldaten viele weitere Geschenke gemacht und sich dafür von den Tempeln Geld ausgeliehen.

Die Zerstörung des römischen Ethos Die bereits von den östlichen Kulten geschwächte römische Moral zerbrach schließlich an den Bürgerkriegen. Appians Darstellung zeigt, dass es zahlreiche ungute Vorzeichen für die Zukunft gab: »Ein alter etruskischer Weiser wurde nach Rom gebracht, um die unglaublichen Zeichen zu deuten – Wölfe im Forum, schwitzende Statuen, sprechende Kühe, Stimmen aus dem Nirgendwo, dauernde Blitze. Er sagte, dass die königliche Herrschaft aus vergangenen Zeiten wieder zurückkehre und dass alle außer ihm selbst Sklaven würden. Daraufhin verstummte er und hielt den Atem an, bis er tot war.« Viele berühmte Personen und Familien wurden in den kommen-


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den Umwälzungen grausam ermordet, unter ihnen auch Cicero. Die täglichen Grausamkeiten und Greueltaten veranlassten Appian zu folgender Bemerkung: »Diese Dinge ereigneten sich nicht in einer gewöhnlichen Stadt oder in einem schwachen und unbedeutenden Königreich, sondern eine böse Gottheit erschütterte die mächtigste Herrin so vieler Nationen.« Offenbar war es nicht das frühe Christentum, das Rom zugrunde richtete, sondern eine viel ältere Religion. Rom wurde nicht von unten nach oben vernichtet, sondern die Krankheit breitete sich wie in Amerika im 20. Jahrhundert von Osten nach oben und dann nach unten aus. Eine zentrale Stelle von James Frazers Goldenem Zweig ist seine Analyse der Zerstörung der römischen Sozialstruktur durch die östlichen Kulte: »Die Religion der Großen Mutter mit ihrem seltsamen Gemisch von roher Barbarei und geistiger Sehnsucht war nur eine einzelne aus der Menge der orientalischen Religionen, die in den Tagen des Spätheidentums sich über das Römische Kaiserreich verbreiteten und die europäischen Völker derart mit fremden Lebensidealen sättigten, dass sie allmählich das ganze Gebäude der antiken Kultur untergruben. Die griechische und römische Gesellschaft war auf dem Begriff der Unterordnung des einzelnen unter die Gesamtheit, des Bürgers unter den Staat, aufgebaut. Sie stellte die Sicherheit des Gemeinwesens als höchstes Ziel der Verwaltung über die Sicherheit des einzelnen, sowohl in dieser als in einer künftigen Welt. Von Kindheit an in diesem selbstlosen Ideal erzogen, widmeten die Büger ihr Leben dem Staatsdienst und waren bereit, es für das allgemeine Wohl hinzugeben. Schreckten sie nicht vor dem höchsten Opfer zurück, dann kam ihnen auch gar nicht der Gedanke, dass sie anders als niedrig handelten, wenn sie ihr eigenes Dasein den Interessen ihres Vaterlandes vorzogen. All dies änderte sich mit der Verbreitung der orientalischen Religionen, welche die Gemeinschaft der Seele mit Gott und ihre ewige Rettung als die einzigen Ziele predigten, die das Leben lebenswert machten, Ziele, vor denen das Wohl und selbst die Existenz des Staates in Bedeutungslosigkeit versank. Die unvermeidliche Folge dieser selbstsüchtigen und unmoralischen Lehre war, dass der Gläubige mehr und mehr dem öffentlichen Dienst entzogen wurde, dass er seine Gedanken auf seine eigenen geistlichen Gemütsbewegungen konzentrierte und ein Gefühl der Verachtung für das gegenwärtige Leben in ihm großgezogen wur-


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de, da er es nur als Prüfungszeit für ein besseres, ewiges ansah. Der Heilige und der Mönch, die beide die Erde verachteten und in ekstatischer Betrachtung des Himmels versunken waren, wurden in der Meinung des Volkes zu dem höchsten Ideal der Menschheit. Damit verdrängten sie das alte Ideal des Patrioten und Helden, der, ohne an sich zu denken, für das Wohl seines Vaterlandes lebt und bereit ist, auch dafür zu sterben. […] Die Bande des Staates und der Familie wurden gelockert, die Gesellschaftsordnung drohte sich in ihre einzelnen Elemente aufzulösen und damit in die Barbarei zurückzufallen.«12 Frazer zählte zu diesen orientalischen Religionen auch das Christentum.

Der kaiserliche Goldstandard stärkt die finanzielle Macht des Ostens Im Jahre 45 v. Chr. führte Cäsar im ganzen Imperium den Goldstandard ein. Zwar ersetzten Goldmünzen nicht Silber und Bronze als zirkulierendes Geld, doch wurden alle hohen Beträge in Gold ausgedrückt und das relative Wertverhältnis von Gold zu Silber um ein Drittel angehoben. Im Mittelpunkt dieser »Reform« stand die Goldmünze Aureus mit einem Gewicht von 168 Gran und einem Wertverhältnis zu Silber von 1 : 9. In mehreren Schritten reduzierte Cäsar den Aureus schnell auf 125 Gran Gold, um ihn dem alten Tempelwert eines Ochsen oder einer Kuh anzunähern. Dadurch stieg das römische Wertverhältnis zwischen Gold und Silber auf 1 : 12. Auf diesem Stand blieb es fast 1300 Jahre lang, bis zum Fall des Römischen bzw. Byzantinischen Reiches im Jahre 1204. Für die Geldtheorie ist es wichtig festzuhalten, dass das Wertverhältnis zwischen Gold und Silber durch einen Regierungsbeschluss und nicht etwa durch die Marktkräfte festgelegt wurde. Seit den Cäsaren war religiöse und monetäre Macht nicht mehr getrennt, obschon die römischen Staatsfinanzen von den Finanzen des Tempels und später auch der Kirche getrennt waren. Gold, das sich seit Urzeiten hauptsächlich im Besitz der östlichen Tempel befand, wurde im ganzen Reich als offizielles Zahlungsmittel eingesetzt. Durch Anhebung des Wertverhältnisses auf 1 : 12 steigerte Cäsar außerdem willkürlich den Wert des Tempelgoldes im Verhält-


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nis zu Silber, dem weiter verbreiteten Münzgeld. Bei seinen Feldzügen hatte Julius Cäsar immer versucht, die wichtigen Goldförderregionen des Imperiums zu beherrschen und damit Roms Goldbestände zu vergrößern. Die Einführung des Goldstandards brachte ihm sicherlich auch persönliche Vorteile und war für ihn angesichts seiner hohen Verschuldung vielleicht sogar ein finanzielles Gebot. In den Westteilen des Imperiums geriet das Geldsystem schon sehr früh ins Stocken. Mattingly konstatiert, dass die örtliche Münzprägung im Westen die ersten hundert Jahre des Imperiums nicht überlebte und dass hingegen der Osten große Mengen geprägter Münzen besaß. Rom hatte in kriegsbedingten Abständen Münzen geprägt. Nach Mattingly stehen alle großen Kriege für große Münzgeldzuwächse. Auch die Gründung einer Kolonie bot Anlass für neue Münzprägungen, es war ja nur natürlich, dass diese mit römischen Münzen versorgt werden musste.13 Seit Augustus prägte Rom kontinuierlich Münzen und brachte sie als Staatsausgaben und Sold in Zirkulation; Julius Cäsar hatte außerdem die Verteilung von Münzen als Geschenke eingeführt, sozusagen als Almosen. Unter Kaiser Augustus und seinen Nachfolgern Tiberius, Caligula und Claudius festigte sich die monetäre Kontrolle in den Händen der Herrscher. Augustus schuf das Prägevorrecht der Patrizierfamilien ab. Die Kontrolle des Senats über das Bronzegeld wurde beibehalten, bis sie Caligula zwischen 37 und 41 für sich selbst beanspruchte. Unter der Cäsarendiktatur ins Leben gerufen, erstarkte der römische Goldstandard in den nachfolgenden dreihundert Jahren, die von zunehmender Sklaverei und Ungerechtigkeit gekennzeichnet waren.

Edelmetalle fließen in den Osten ab Kaum hatte sich Rom auf eine Gold- und Silberwährung festgelegt, wurden diese Edelmetalle knapp. Durch den Handel mit Indien flossen die Geldmetalle aus dem Reich ab. Rom begann mit der Einfuhr femininer Waren, kostspieliger Gewürze und Parfüme aus dem Osten. Zur Bezahlung hatte Rom nur wenige eigene Güter anzubieten,


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es musste deshalb den größten Teil in Gold- und Silberbarren aufbringen. Die Folge war ein stetiger Abbau der Edelmetallbestände.14 Dieser Abfluss der Edelmetalle hatte schreckliche deflationäre Auswirkungen. Im Jahre 33 sah sich Tiberius gezwungen, 100 Millionen Sesterzen zu prägen und als dreijähriges zinsloses Darlehen vorzuschießen, um zahlreiche verschuldete Bauern vor der Kündigung ihrer Hypotheken zu bewahren. Der ständige Abfluss von »Geld« nach Osten mag außerdem auch auf die Machenschaften von Kredithaien zurückzuführen sein, die Wucherzinsen verlangten. Mit der Monetisierung von Gold übertrug Rom den Goldbesitzern im Osten viel Macht. Eine der möglichen Verwendungen ihrer riesigen Metallanhäufungen bestand in der Vergabe von Darlehen über Mittelsmänner. Es ist möglich, dass dabei über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten gewaltige Mengen abgeflossen sind. Das Abfließen von Edelmetallen in den Osten wurde durch militärische Operationen gegen den Osten etwas aufgefangen. Dank der Feldzüge kamen große Mengen Gold und Silber zur Münzprägung nach Rom zurück. Dennoch musste der Edelmetallgehalt der römischen Münzen herabgesetzt werden. Der Goldgehalt des Aureus sank von 125 Gran zu Julius Cäsars Zeiten auf 68 Gran unter Konstantin dem Großen, 375 Jahre später (der Silbergehalt des Denarius schwankte noch mehr und fiel von 58 auf 36 Gran). Das bedeutet einen Rückgang von 46 %. Dieses Phänomen wird als »Münzverschlechterung« beschrieben und von den Verfechtern einer »harten Währung« als Ursache für den moralischen Abstieg Roms beklagt. Mit größerer Wahrscheinlichkeit jedoch war die Senkung des Metallgehalts eine notwendige Maßnahme, um die deflationären Effekte abzufangen, die von der Verwendung knapper Rohstoffe als Geld ausgelöst wurden. So konnte Rom die Ausfuhr der Geldvorräte zumindest teilweise ausgleichen. Sicher gab es während dieser frühen Jahrhunderte auch inflationäre Zeiten. Doch allein der Metallgehalt einer Münze sagt noch nichts über den Geldumlauf dieser Münze oder ihren Wert aus. Besonders in späteren Jahrhunderten hatte Rom wohl mit einer stetigen Deflation und Geldknappheit zu kämpfen.


Die Währungskrise im späten dritten Jahrhundert

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Die Währungskrisen im späten dritten Jahrhundert Von der Zeit Cäsars bis ins Jahr 250 war die Senkung des Münzmetallgehalts im Jahresdurchschnitt geringfügig. Danach begann jedoch für Roms vorherrschende Münzsysteme eine sehr problematische Zeit, die mehrere Jahrzehnte andauern sollte. Bei der Silbermünze sank der Silbergehalt – der 40 % des Ursprungsgehalts betragen hatte – innerhalb von lediglich 20 Jahren auf 4 % im Jahre 270. Diese Störungen in den primären Münzsystemen setzten sich bis zu den Reformen von Diokletian im Jahre 300 und etwas später auch von Konstantin fort. Die Ursachen dieser Probleme sind weitgehend ungeklärt. Es wäre zwar einfach (und populär), der Regierung die Schuld zu geben, aber damit würde man einige entscheidende Gefahren übersehen, denen Geldsysteme ausgesetzt sind. Es gibt nämlich auch Hinweise in eine ganz andere Richtung: der Missbrauch des Geldsystems durch die privaten Prägestätten des römischen Geldes. Gegen Ende des 3. Jahrhunderts zur festen Einrichtung geworden, betrog der Stand der Geldpräger regelmäßig Rom, indem er Münzen unter dem festgelegten Metallgehalt prägte und die Differenz für sich behielt. Kaiser Aurelian versuchte 275, diese Münzpräger besser zu kontrollieren, und befand sich plötzlich im Krieg mit ihnen: »Die Arbeiter in der Münzstätte […] machen einen Aufstand. Sie werden nach Kräften niedergehalten; doch 7000 meiner Soldaten wurden bereits im Kampf getötet.«15 Edward Gibbon (1737–1794) erklärt die Tatsache, dass so viele kampferprobte Soldaten in dem Aufstand umkamen, mit einer Verschwörung zwischen der Autorität des Senats, dem Reichtum der Equites (Adel und reiche Bürger) und den Waffen der Prätorianergarde (Leibwache der Kaiser). Ein besseres Verständnis dieser Zeit wird die Geldgeschichte eines Tages um ein wichtiges Kapitel ergänzen. Bis dahin bleibt als monetäre Lektion festzuhalten, dass niemand, der über monetäre Privilegien verfügt, widerstandslos auf diese verzichtet, wenn er dazu aufgefordert wird.


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Roms Bronzegeld: besser als Gold

Das Imperium verlagert sich nach Osten Vor allem Luxusartikel, aber auch religiöse Gebühren sowie wahrscheinlich Wucherzinsen wurden zunehmend mit Edelmetallen bezahlt. Aufgrund des Abflusses der Edelmetalle nach Osten übernahm das Römische Reich faktisch das Goldgeldsystem des Ostens und richtete sich immer mehr nach Osten aus. Die schwerwiegenden Probleme, die infolge des Cäsarischen Goldstandards auftraten, zeigen, wie überaus wichtig es ist, die Kontrolle über das Geldsystem nicht einer außerhalb der Gemeinschaft stehenden Vollmacht zu überlassen. Eine vorübergehende Lösung für dieses Problem wäre ein Angriff auf das östlich gelegene, für seinen Goldreichtum berühmte Partherreich gewesen. Noch während der Vorbereitung dieses Angriffs wurde Julius Cäsar allerdings ermordet. Auch Trajan versuchte, gegen das goldreiche Parthien zu Felde zu ziehen, wurde aber zwischen 115 und 117 von der jüdischen Revolte hinter seinen Kampflinien gestoppt. Das Imperium hatte seine größte territoriale Ausdehnung erreicht. Kaiser Hadrian ordnete einen Rückzug an, riss die große Brücke über der Donau ein, zog alle Truppen westlich des Flusses Euphrat zusammen und baute eine Verteidigungsmauer quer durch Britannien. Kaiser Diokletian befahl später erneute Angriffe im Osten. Noch heute, im ausgehenden 20. Jahrhundert, kritisieren Ökonomen die von Diokletian im Jahre 301 eingeführten Preiskontrollen, deren angebliches Scheitern sie als ein Hauptargument gegen ein Eingreifen der Regierung in die Marktmechanismen anführen. Doch im Zuge neuer archäologischer Funde werden die Kernstücke von Diokletians Reformen erst noch zusammengefügt, und es zeichnet sich jetzt schon ab, dass Diokletian wohl einer der fähigsten römischen Kaiser war. Diokletian führte die Einjahresplanung des staatlichen Haushaltes ein. Vor einer Reform der Preis- und Münzsysteme ließ er umfassende Untersuchungen durchführen, um zu erfahren, welche Maßnahmen zu ergreifen waren. Besonders verärgert war Diokletian über die Kaufleute, die von den Armeebewegungen profitierten, indem sie »unsägliche« Preise »erpressten«. »Der Kaiser beklagt vor allem […] die allgegenwärtige, tobende Habgier, ein in seinem Wahnsinn grenzenloses Verlangen, das einer Religion gleichkommt, und die hemmungslose Leidenschaft für Plünderungen. Wohin auch immer


Das Imperium verlagert sich nach Osten

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die Armee befohlen wird – in Dörfern, Städten, ja sogar auf Straßen erpressen die Profitjäger Preise, die vier- bis achtmal höher sind und sich jeder Beschreibung mit menschlichen Worten widersetzen.« Kaiser Diokletian, der seine Laufbahn als Sklave begann, dankte, vermutlich aus Ekel, im Jahre 305 ab und zog sich in seine nordgriechische Heimat zurück. Als er bedrängt wurde, das Kaiseramt wieder aufzunehmen, antwortete er: »Könntet Ihr mit Gottes Hilfe die Kräuter sehen, die ich eigenhändig in Salonika pflanze, so würdet Ihr mir nicht einen solchen Vorschlag unterbreiten.«16 Das Imperium bekennt sich zum Christentum

Im Jahre 324 erklärte Konstantin I. (der Große) das Christentum zur Staatsreligion. Zwar setzte es sich nicht vollständig gegen das Heidentum durch, doch wurde es von den heidnischen Führern weitgehend übernommen. Oberste religiöse Instanz ist der Kaiser selbst, was sich daran zeigt, dass er 325 das Konzil von Nizäa einberuft. Die Reichshauptstadt zieht nach Byzanz

Im Jahre 331 schließlich verlegt Konstantin den Sitz des Imperiums an die asiatische Grenze nach Byzanz, das er in Konstantinopel umbenennt. Das ehemalige Römische Reich zerfällt nun in das Weströmische und das Oströmische oder Byzantinische Reich, beide Hälften fallen unter die Herrschaft Konstantins. Konstantins Nachfolger regieren zu zweit (Valentinian und Valens, Valens und Gratian, Gratian und Theodosius, alle zweite Hälfte 4. Jahrhundert), bis Theodosius 394 Alleinherrscher wird. Nach seinem Tod 395 wird das Reich wieder zweigeteilt. Seit 404 ist Ravenna die Hauptstadt des Weströmischen Reiches, wo schwächliche Kaiser regieren, bis der letzte von ihnen, Romulus Augustulus, 476 von den Ostgoten abgesetzt wird. Das Oströmische Reich hingegen wird 527–565 unter Justinian einen Höhepunkt erleben. Hier wird in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts (unter Herakleios) Griechisch Amtssprache; der Kaiser heißt von nun an Basileus anstatt (lateinisch) Imperator. Konstantin behält den (aus römischer Zeit stammenden) Titel Pontifex maximus und mit ihm das Recht, Münzen zu prägen. Dieses Recht, d. h. die Kontrolle über das Geldsystem, bleibt bis 1204, also bis zur Eroberung Konstantinopels durch den vierten Kreuzzug,


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Roms Bronzegeld: besser als Gold

beim oströmischen Kaiser. So gesehen, markiert das Datum 1204 das Ende von fast 2000 Jahren römischer Geschichte. Konstantin beschlagnahmte Gold von den Tempeln, um eine neue Münze einzuführen, die berühmt werden sollte: der Solidus. Mit einem Gewicht von 68 Gran Gold entsprach der Solidus fast exakt der Hälfte der alten 130-Gran-Rinderwährung. Über einen Zeitraum von 900 Jahren wurde der Solidus nur selten abgewertet und erfuhr nur eine Münzverschlechterung. Er wurde immer als Geld angesehen. Es gab kein Barrengeld, kein Abwiegen der Goldmünzen, entscheidend war vielmehr die Anzahl der Münzen. Außerdem war es unrechtmäßig, die Annahme der Münzen zu verweigern; sie zu verändern galt als Verbrechen, und auf Verunstaltung oder Einschmelzung zu Barren stand sogar der Tod.17 Damit waren die Geldprobleme des Reiches allerdings keineswegs gelöst. Im Osten wurde die Finanzierung der Reichsverwaltung und der Armee zwar erfolgreich weitergeführt. Im Westen aber hielt der Verfall des Rechtsstaats unvermindert an, und mit ihm verkümmerte auch das rechtlich verankerte Geldsystem. Ihren Höhepunkt fand die römische Geldtheorie im Codex Justinianus aus dem 6. Jahrhundert. Im zehnten Buch dieses Kodex berichtet Julius Paulus, ein Rechtsberater aus der Zeit um 300: »[…] es wurde ein Medium ausgesucht, dessen rechtlicher (!) und dauernder Wert aufgrund seiner Gleichartigkeit die Schwierigkeiten des Tauschhandels beseitigte. Dieses Medium wurde offiziell verkündet (!) und in Umlauf gebracht. Seine Kaufkraft erhielt es weniger aufgrund seiner Substanz als aufgrund seiner Menge. Seit jener Zeit wird beim Handel nur der eine Teil des Geschäftes als Ware bezeichnet. Der andere heißt Preis.« Eine Betrachtung der römischen Geldgeschichte zeigt also, dass monetäre Macht eine Konvention oder gesetzliche Einrichtung war, über die entweder die Tempel oder die Regierung oder alle beide die Kontrolle ausübten. Jetzt wissen wir also, warum sich Banken mit griechischer Tempelarchitektur verkleiden. Doch woher stammt eigentlich die Idee, das Geldsystem eines Staates in die Hand von Privatbanken zu geben? Nun, jedenfalls nicht aus Griechenland oder Rom.


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3. Kapitel

Der Untergang Roms aus monetärer Sicht

Es gab keinen »Untergang des Römischen Imperiums«. H B

Unserer Interpretation des Niedergangs des Römischen Imperiums, insbesondere Westroms, liegen zwei sehr alte und wichtige, aber wenig bekannte monetäre Mechanismen zugrunde, die für das Verständnis monetärer Vorgänge die Bedeutung von Regeln haben, die man unbedingt kennen muss.

Erste Regel: Das »heilige« Vorrecht der Goldmünzenprägung Über zwölf Jahrhunderte lang war die Goldprägung das ausschließliche Vorrecht des obersten Souveräns, danach war sie dreihundert Jahre lang ein vom römischen Kaiser als Pontifex maximus mit Argusaugen bewachtes Privileg. Im Osten blieb dieses Vorrecht des Imperators bzw. des Basileus beinahe weitere neunhundert Jahre in Kraft. Den äußerst seltenen Versuchen, diese Macht zu untergraben, wurde mit Tod und Krieg begegnet. Einen solchen Versuch unternahm der Moslemführer Abd al-Malik mit der Prägung von Goldmünzen. Er hatte mit dem byzantinisch-römischen Kaiser Justinian einen Friedensvertrag geschlossen, wonach er jährlich tausend Goldmünzen, die er mit römischem Emblem prägen durfte, an Byzanz zahlen musste. Im Jahre 695 gab er dann Goldmünzen aus, auf denen sein Selbstbildnis samt Schwert und die Worte »Abd al-Malik – Diener Gottes« eingeprägt waren. Mit diesen Münzen versuchte er nun, den Tribut an Justinian zu zahlen.1


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Der Untergang Roms aus monetärer Sicht

Obwohl dieses neue Münzgeld in bezug auf Gewicht und Reinheit dem römischen gleichwertig war, erkannten Justinians Generäle so fort die Bedeutung dieses Aktes und erklärten Abd al-Malik den Krieg, noch bevor Justinian von dem Vorfall unterrichtet wurde. Dieser Vorgang liefert plausible Argumente für einen institutionellen bzw. gesetzlichen Ursprung des Geldes. Theodor Mommsen schreibt in seiner Römischen Geschichte, die Goldprägung sei in den Provinzen nicht erlaubt gewesen,2 und Lenormant weist darauf hin, dass viele Jahrhunderte lang weder die dem Basileus direkt oder indirekt untergeordneten Provinzen noch die mehr oder minder unabhängigen, an das Imperium angrenzenden Staaten den Versuch unternahmen, Goldmünzen zu prägen.3 Hingegen durften lokale Herrscher Silbermünzen nach dem von Julius Cäsar eingeführten römischen Wertverhältnis von 12 : 1 prägen.* Del Mar zufolge blieb dieses Wertverhältnis bis 1204 in Kraft.4 Nicht einmal die Päpste wagten es nach ihrer Abspaltung vom Oströmischen Reich unter Stephan II. (752–757), Goldmünzen zu prägen. Dies änderte sich erst im Jahre 1204, als das Byzantinische Reich im vierten Kreuzzug erobert wurde. Von diesem Zeitpunkt an prägten lokale Herrscher überall in Europa Goldmünzen:

Europäische Goldmünzen nach dem Ende des Römischen Reiches Zeitpunkt

Ort

Herrscher

Bezeichnung der Münze

Gewicht

1225 1225 1250 1252 1257 1284 1316

Neapel Lyon Paris Florenz England Venedig Avignon

Friedrich II. Alfonso Ludwig IX. Republik Heinrich III. Republik Papst Johannes XXII.

Aureus Dukat Ag’nel Florin Penny Dukat Sequin

81–82 Gran 54 Gran 63 Gran 56 Gran 43 Gran 56 Gran 54 Gran

* Del Mar zeigte, dass die Forscher, die aus dem Codex Theodosianus ein Verhältnis von 14,4 : 1 nachweisen wollten, die libra als Gewicht (anstatt als Zahlgeld) missverstanden.


Die unterschiedlichen Gold-Silber-Wertverhältnisse in Ost- und Westrom

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Zweite Regel: Die unterschiedlichen Gold-SilberWertverhältnisse in Ost- und Westrom Für europäisches Silber erhielt man in Indien lange Zeit fast doppelt so viel Gold als in Europa. Der Grund dafür war folgender Mechanismus: Das Gold-Silber-Verhältnis im Westen wurde auf hohem Niveau gehalten. (Es schwankte im Laufe der Jahrtausende zwischen 1 : 9 und 1 : 16.) Das Wertverhältnis in Indien und Asien dagegen blieb auf niedrigem Niveau stehen (in der Regel bei 1 : 6 oder 1 : 7). Über Tausende von Jahren bedeutete diese Regel eine immense Machtquelle für diejenigen, die sie kannten. Der Landweg in den Nahen Osten stellte die Verknüpfung zwischen Ost- und Westhandel dar. Wer immer dieses Gebiet beherrschte, beherrschte auch den Handel. Teile der römischen Oberschicht konnten auf diese Weise ihren Einfluss erheblich ausbauen, bis Rom von innen heraus auseinanderbrach. Die Gewinne, die Venedig aus dem Mechanismus zog, waren eine Ursache der Renaissancebewegung. Jüdische Kaufleute, die ihre Aktivitäten von Asien nach Europa verlegten, bedienten sich seiner stillschweigend während Jahrhunderten. Kurz und gut, dieser Mechanismus war eine der wesentlichen Triebkräfte des modernen Kapitalismus. Westliche Kaufleute bekamen also beim Eintausch von Silber im Osten 100 % mehr Gold als im Westen. Auch umgekehrt war das Geschäft lukrativ: Östliche Kaufleute bekamen im Westen für ihr Gold 100 % mehr Silber. War die Kontrolle zwischen Ost und West aufgeteilt, so wurde der Handel wahrscheinlich in einem Verhältnis von 9 : 1 abgewickelt, so dass jede Seite vom Austausch profitierte. Die Existenz und Bedeutung dieser Zweiteilung ist weitgehend unbekannt und wird in Fachkreisen nur von wenigen, etwa von William Jacobs5 und Alexander Del Mar 6, erörtert. Bereits Alexander der Große hatte diesen Mechanismus kontrolliert, als er Kleinasien, Ägypten und Teile von Indien eroberte. Mit seinem vorzeitigen Tod ging die Macht über den Mechanismus auf Ptolemäus über, einen seiner Berater und Begründer der ptolemäischen Herrscherdynastie. Die Steuerung des Mechanismus von Ägypten aus erforderte ein hohes Maß an Abschottung von den Nachbarländern. Der Historiker Rostovtzeff hat mindestens die Folgen dieses Me-


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Der Untergang Roms aus monetärer Sicht

chanismus für die Politik der Ptolemäer bemerkt. Er schreibt nämlich in seinem Buch Social and economic History of the hellenistic World,7 diese hätten von Anfang an ihre eigene Geldpolitik verfolgt, ohne Rücksicht auf das monetäre Geschehen in der übrigen Welt. Aus unbekannten, wahrscheinlich wirtschaftlichen Gründen hätten sie sich und ihr Königreich von der übrigen hellenistischen Welt abgespalten. Offenbar war es, so Rostovtzeff, eine allgemein anerkannte Tatsache, dass die Ptolemäer aus dem arabischen Karawanenhandel riesige Goldgewinne erzielten. Die Griechen hätten ihre ptolemäischen Importe ohne Zweifel in erstklassigem Silber bezahlt, das die Ptolemäer so dringend benötigten. Ferner betont Rostovtzeff, dass der Silberwert im Ägypten des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. von einer schweren Inflation betroffen war. Dieser Effekt äußerte sich im Abzug von Silber nach Osten. Da die Händler Preisunterschiede an verschiedenen Märkten ausnutzten oder die Gold-Silber-Zweiteilung in die Werte anderer Rohstoffe umsetzten, unterlagen auch sie einer gewissen Kontrolle. Die Ptolemäer setzten wirkungsvolle Zollschranken für Waren ein, die ihnen nach Rostovtzeff zu offiziell festgelegten Preisen verkauft werden mussten. Was geschah aber, wenn ein Händler Waren nach Indien transportierte und mit Gold zurückkehrte, vermutlich mit doppelt so viel Gold, als die Waren in Ägypten wert waren? Diese importierten ausländischen Münzen wurden eingeschmolzen und durch Neuprägungen ersetzt – natürlich im ptolemäisch-westlichen Wertverhältnis von 12,5 : 1. Mit der Eroberung von Ägypten im Jahre 48 v. Chr. und der Ablösung der Ptolemäer-Herrschaft brachte Rom diesen entscheidenden asiatischen Handel vollständig in seine Gewalt. Hundert Jahre später schrieb Plinius, dass jedes Jahr 100 Millionen Silbersesterzen im Wert von einer Million Goldaurei von Rom nach Indien und China ausgeführt würden. Plinius war Statthalter in Spanien und hatte die Aufgabe, die Staatseinkünfte zu verwalten. Die strenge Geheimhaltung, welcher die Regel der unterschiedlichen Wertverhältnisse unterlag, wird auch daran deutlich, dass Plinius trotz seines Amtes mit der Funktionsweise des Mechanismus offenbar nicht vertraut war, denn er konnte nicht verstehen, warum seine Landsleute »immer Silber und niemals Gold von den eroberten Nationen verlangten«.8


Der Untergang des Römischen Reiches

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Die Zweiteilung hält Jahrtausende an

Dieses zweigeteilte Wertverhältnis wurde über Tausende von Jahren beibehalten. Noch im Jahre 1625 setzte Japan das Verhältnis auf 6 : 1 fest, ohne sich darüber im klaren zu sein, dass es in Europa viel höher war (damals bei 15 : 1). So waren portugiesische Händler zwischen 1565 und 1625 in der Lage, Japan um ein Drittel seines Goldes, d. h. etwa 250 Tonnen, zu erleichtern. John Locke wies darauf hin, daß die britische Ostindische Kompanie diese Zweiteilung bis weit in das 18.Jahrhundert hinein zu ihrem Vorteil nutzte und damit dem englischen Silbergeldsystem schadete. Locke nennt den Mechanismus »eine zerstörerische Seuche, die den soliden Wohlstand des (britischen) Weltreichs im indischen Ozean versenkt«.9 Die Frage, wie ein solcher Mechanismus überhaupt zustande kommen und so lange Zeit fortbestehen konnte, versuchte Alexander Del Mar zu beantworten: Die Kontrolle über Geld und Handel musste, damit sie aufrechterhalten werden konnte, in starken Händen gelegen haben. Doch in wessen Händen? Im Osten waren es die Priester von Brahma oder Buddha und im Westen die Priester von (der Reihe nach) Cyrus, Darius, Tiglath, Nebu Nazaru, Osiris, Alexander, Ptolemäus und der Cäsaren. Betrügerische Geldsysteme tragen meist tief in ihrem Innersten etwas Geheimnisvolles, und so war es auch im Falle des byzantinischen Systems. Wenn wir die beiden altertümlichen Regeln miteinander verknüpfen, erkennen wir die »geheime« Triebkraft hinter dem »heiligen« Vorrecht der Goldmünzenprägung: Der byzantinische Herrscher war bereit, zentral geprägte Goldsolidi gegen lokal geprägte Silbermünzen in einem Verhältnis von 12 : 1 umzutauschen. Für dasselbe Silber erhielt er in Indien und anderen östlichen Gebieten Barrengold in bis zu doppeltem Wert. Jede Störung dieses Mechanismus traf die Machtposition des Basileus an der Wurzel.

Der Untergang des Römischen Reiches bleibt eine der größten Fragen der Geschichte Gibbons Decline and Fall of the Roman Empire (1776–1778) war lange Zeit eines der herausragenden Werke über den Zerfall des Römischen Reiches. Doch heute wird diese Analyse und sogar ihr Titel in


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Der Untergang Roms aus monetärer Sicht

Frage gestellt: Der Geistliche, Historiker und Ökonom Hilaire Belloc behauptet dezidiert, sogar der Begriff »Untergang« sei rhetorisch und falsch.10 In diesem Kapitel werden die drei wichtigsten »Untergangsthesen« sowie (bei den Thesen a und b) ihre »Gegenthesen« vorgestellt und wird abschließend der Versuch einer monetären Erklärung für den »Untergang des Römischen Reichs« gemacht. a) Schuldzuweisungen an das Christentum

Belloc wehrte sich dagegen, dass immer die Kirche für den »Untergang« Roms verantwortlich gemacht werde. Dabei sei doch gerade sie es gewesen, die rettete, was noch zu retten war. Belloc reagiert mit seinen Thesen auf Gibbons Behauptung,11 das Christentum trage wegen seines Jenseitsglaubens, der als großes Ziel der Religion das Glück in einem zukünftigen Leben definiere, einen Großteil der Schuld*. Dem ist folgende Feststellung entgegenzuhalten: Als Konstantin der Große im Jahre 324 die Alleinherrschaft im Byzantinischen Reich erlangte und das Christentum mit Erlassen zu fördern begann, hatte Byzanz wahrscheinlich mehr Einfluss auf das Christentum als die Kirche auf Byzanz. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass es Konstantin war, der im sogenannten Arianischen Streit, in dem es um die Gottheit Christi ging, eine Einigung erzwang.12 b) Schuldzuweisungen an die Barbaren

Als einer der ersten widersprach Del Mar Gibbons Behauptung, Rom sei von einer Flut von Barbaren überschwemmt worden. Die Eroberung des Reiches durch Barbaren sei vielmehr eine Erfindung der Mönche gewesen, um die Ignoranz und den Schaden, den ihre heidnischen Vorfahren angerichtet hatten, irgendwie zu erklären.13 Die Vorstellung, dass Rom nach wiederholten Angriffen von germanischen Stämmen geschlagen wurde, hat Henri Pirenne in seinem 1936 erschienenen Klassiker Mahomet et Charlemagne widerlegt. Er meint, dass für eine »Überflutung« einfach nicht genügend »Invasoren« vorhanden waren, da wahrscheinlich nur etwa 40 000 Westgoten, von denen nur 8000 Krieger waren, die Donau überquert hätten. Für die römische Armee sei das wohl kein ernstzunehmen-

* Ähnlich wie Gibbon argumentiert Frazer, siehe Seite 47 f.


Eine monetäre Sicht des Untergangs von Rom

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des Problem gewesen. Obwohl die Ostgoten vorübergehend durch Italien tobten, brach nach Pirenne die alte imperiale Wirtschaftsstruktur nicht auseinander.14 Del Mar, der bereits 20 Jahre früher zu diesem Schluss gekommen war, wies ferner darauf hin, dass das Landpachtsystem und die Grundstücksverwaltung überlebten und nach wie vor florierten. Der riesige Landbesitz der Kirche wurde von zahlenden Pächtern verwaltet. Bei diesen Besitztümern handelte es sich um autarke Einheiten, die ausgedehnte, manchmal nicht aneinandergrenzende Grundstücke umfassten.15 c) Schuldzuweisungen an die Moslems

Henri Pirenne führt den allmählichen Niedergang Roms vor allem auf den spektakulären Aufstieg der Moslems zurück. Tatsächlich dehnte sich der moslemische Machtbereich blitzschnell aus. Mohammed wurde 570 geboren und starb 630. Bereits um 638 unterwarfen seine Nachfolger Syrien und eroberten Jerusalem, Aleppo und Antiochia mit einer Truppenstärke von anfangs 120 000 Mann. Um 651 eroberten sie Ägypten und fielen in Persien ein. 655 zerstörten sie die byzantinische Flotte in Lykien. Gegen 709 hatten sie ganz Nordafrika erobert. 711 fielen sie in Spanien ein, besetzten drei Jahre lang die gesamte Halbinsel und regierten sie von Damaskus aus. Sie beherrschten ein Gebiet, das von Indien bis zum Atlantik reichte. Pirenne stellt die These auf, dass die Moslems Roms Wirtschaftsleben, das die germanischen Invasoren unversehrt gelassen hatten, ruinierten. Ab der Mitte des 7. Jahrhunderts war die Schiffahrt zwischen den moslemischen Häfen im Ägäischen Meer und den christlich gebliebenen Gebieten unmöglich. Die einzigen, die immer noch am Handel beteiligt waren, waren die Juden. Sie waren überall in großer Anzahl präsent und wurden von den Arabern weder vertrieben noch niedergemetzelt.16

Eine monetäre Sicht des Untergangs von Rom Unter dem strengen, von Kaiser Konstantin im Juli 325 eingeführten Goldsolidussystem wurden Münzverschlechterungen nicht hingenommen. Vielleicht aufgrund eines religiösen Motivs wurde die Vorstellung von Geld als Ware sehr ernst genommen. Wann immer dies


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Der Untergang Roms aus monetärer Sicht

in der Moderne der Fall war, bedeutete es Unglück – damals war es die Mutter allen Unglücks. Kaiser Konstantin höchstpersönlich befahl die Todesstrafe für Münzfälscher und den Scheiterhaufen für offizielle Münzpräger, die sich einer Verfälschung bei der Münzprägung schuldig machten, »denn das Verbrechen desjenigen, der es in seinem öffentlichen Amt begeht, wiegt schwerer«.17 Geldwechsler, die gefälschte Solidi entgegennahmen und dies nicht sofort meldeten, wurden ausgepeitscht, kahlgeschoren und ins Exil geschickt. Goldschmiede benötigten eine Arbeitslizenz und durften Gold nur in ihren Werkstätten (nicht aber zu Hause) bearbeiten. Sie durften nur bis zu einem Pfund Barrengold auf einmal einkaufen. Diese Vorschriften hatten ihre Wirkung: Der Goldsolidus, der bei seiner Einführung unter Konstantin 70 Gran (68 Gran Reingehalt) wog, stand nach leichten Schwankungen im Jahre 1025 immer noch bei 68 Gran. Dabei nahmen zu jener Zeit die Metallbestände immer mehr ab. In seinem 1831 erschienenen Klassiker The precious metals konstatiert William Jacobs, dass für den Zeitraum von 480 bis 670 oder 680 jede Suche nach Aufzeichnungen über eine Fortsetzung der Münzprägung ohne Ergebnis blieb.18 In jüngerer Zeit hat Peter Spufford nach intensiven Recherchen festgestellt, dass während knapp eines Jahrhunderts im Westen keine Silbermünzen geprägt wurden.19 Jacobs schätzt den allein durch Abnutzung verursachten Abbau der Metallbestände auf etwa ein Drittel des gesamten Münzgewichts innerhalb von einhundert Jahren. Da das Gewicht des Solidus mit 65–68 Gran sehr stabil ist, würde ein Rückgang der Goldbestände eine geringere Anzahl von Münzen bedeuten, was im Laufe mehrerer Jahrhunderte eine Deflation verursacht haben könnte. Darin wiederum könnte eine der Hauptursachen für den Niedergang Roms liegen. Solidi werden in zahlreichen literarischen Aufzeichnungen erwähnt, zum Beispiel auch in der Topographia Christiana des Cosmas Indicopleustes (Cosmas, des Indienfahrers) (vermutlich zwischen 535 und 547): »Ein weiteres Kennzeichen der römischen Macht liegt darin, dass der Nomisma das Geld ist, mit dem alle Nationen Handel treiben und das überall, vom einen Ende der Erde bis zum anderen, angenommen wird.«20


Eine monetäre Sicht des Untergangs von Rom

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(Solche Hinweise und große Münzfunde veranlassten Pirenne, die Knappheit der Edelmetalle zu bezweifeln. Seiner Ansicht und Kenntnis nach besaßen die merowingischen [fränkischen] Könige, die Kirche und Privatpersonen so viel Gold, dass man in der damaligen Zeit mit Sicherheit von beträchtlichen Goldbeständen im Westen ausgehen kann, obwohl es dort keine Goldminen gab. Pirenne zweifelt nicht daran, dass ein sehr reger Geldumlauf herrschte.21 Letztere Aussage ist allerdings eine sehr subjektive Einschätzung, für die Pirenne keine wirklichen Beweise anführt. Nach Ansicht späterer Historiker hat Pirenne die Wirtschaftsaktivität der Merowinger überbewertet.22) Die Konzentration des Reichtums

Historiker haben den Zusammenhang zwischen der Abnahme der Edelmetallbestände und dem Einfluss folgender drei Faktoren bis heute nicht erkannt. Der wichtigste dieser Faktoren ist die drastische Vermögenskonzentration bei der Kirche sowie bei einigen wenigen Privatpersonen. Ein Großteil der Ländereien in Privatbesitz wurde der Kirche vermacht. Die Kirche besaß schließlich ein Drittel bis die Hälfte aller angehäuften Ländereien und Vermögenswerte des Reiches, einschließlich der vorhandenen Münzen. Diese Vermögenskonzentration in Verbindung mit dem Reichtum einiger weniger einzelner rief möglicherweise einen mit großer Münzgeldknappheit vergleichbaren Effekt hervor. Es stellt sich daher nicht in erster Linie die Frage, wieviel Geld vorhanden war, sondern vielmehr, wie es verteilt und für den Handel verfügbar gemacht wurde. Die Vermögens- und Machtkonzentration im Reich nahm immer mehr zu, bis sie hinter den bis dreißig Meter dicken Stadtmauern der wohlhabenden Befestigungsstadt Konstantinopel ihren Höhepunkt erreichte. Wahrscheinlich fügte diese Konzentration dem Rest des Reiches, besonders dem Westen, eine schwere, jahrhundertelange deflationäre Krise zu. Handel und Industrie kamen zum Stillstand. Große Segelschiffe verschwanden. Künste und Wissenschaften verschwanden – sogar die Kunst der Zementherstellung geriet in Vergessenheit. Das Fehlen einer gesetzlich verankerten monetären Macht im Westen beeinträchtigte die Rechtsstaatlichkeit. Der Verfall des Rechtsstaats beeinträchtigte wiederum die monetäre Macht, und so setzte sich der Kreislauf fort.


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Der Untergang Roms aus monetärer Sicht

Geld hatte nicht die Funktion einer gesetzlichen Einrichtung. Die westliche Verwaltung konnte nicht einmal verhindern, dass die Stadt Rom vorübergehend von feindlichen Truppen besetzt wurde. Dies war der Anfang einer endlosen Krise, die erst mit dem einsetzenden Ende der Deflation im ausgehenden 8. Jahrhundert überwunden wurde. Das Zusammenspiel mit den beiden anderen entscheidenden Faktoren, den bereits beschriebenen alten Geldregeln, führte zu einer weiteren Verschlechterung des Geldsystems, da der potentielle Nutzen eines primitiv am Warenwert orientierten Geldsystems aufgehoben oder zumindest abgeschwächt wurde. Nur der Basileus durfte Goldmünzen prägen. Lokale Prinzen mussten sich auf die Silberprägung beschränken. Es wurde jedoch kein neues Silber gewonnen, und das vorhandene Silbergeld wanderte nach Osten ab, wo man dafür zweimal soviel Gold erhielt wie im Westen. Diese historisch dokumentierten Hinweise auf Vermögenskonzentration, Einstellung der Edelmetallförderung, Münzschwund durch normale Abnutzung und tendenzielle Abwanderung der Edelmetalle – vor allem Silber – nach Osten sind zusammen genommen ein stichhaltiges Argument für die These, dass die Unterversorgung mit umlaufendem Geld einer der Hauptfaktoren (oder der Hauptfaktor) beim Untergang des Römischen Reiches war. Hinter dieser Geldknappheit steht letztendlich ein kolossaler Trugschluss der Geldtheorie, dem heute noch manche Ideologen erliegen: der Irrglaube, dass Geld eine Ware oder ein Wirtschaftsgut sei. Aus dem byzantinischen System lässt sich noch eine weitere Lehre ziehen: Geldwertstabilität kann auch übertrieben werden und sollte daher nie mit ideologischer Verbissenheit angestrebt werden.

Der moslemische Angriff auf das »monetäre Rückgrat« des Reiches Dieses Hintergrundwissen erlaubt nun ein besseres Verständnis der vom Kalifen Abd al-Malik eingeführten Münzprägung. Pirennes Beschuldigung der Moslems war teilweise berechtigt, aber aus einem andern Grund. Richtig erfasst hat die Natur des moslemischen Angriffs erst Del Mar.


Der moslemische Angriff auf das »monetäre Rückgrat« des Reiches

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Die moslemische Münzprägung war zunächst eine Nachahmung der Geldsysteme der eroberten Länder. Anfangs bestand das moslemische Silbergeld aus den Münzen des persischen Reiches. Goldmünzen wurden in Damaskus unter byzantinischer Aufsicht mit römischem Stempel geprägt – ein Zeichen für die eingeschränkte Souveränität der Moslems. Das änderte sich mit der Münzprägung von Abd al-Malik. Sein Golddinar wog 65 Gran und kam mit einem Feingehalt von 98 % sehr nahe an den Besant* heran. Gewiss war es von Abd al-Malik etwas vermessen, Münzen zu prägen, auf denen er selbst mit dem Schwert fuchtelnd abgebildet war. Die eigentliche Gefahr für den Basileus war aber das Silber-Gold-Wertverhältnis. Denn Abd alMalik prägte seine silbernen Dirhems** mit 43 Gran und einem Feingehalt von 96 %, und da das Wertverhältnis von Dirhem zu Dinar 10 : 1 betrug, etablierte er damit eine neue Silber-Gold-Relation von etwa 6,5 : 1. Das bedeutete, dass man für Silbermünzen beinahe doppelt so viele moslemische Goldmünzen als byzantinische Goldmünzen mit gleichem Gewicht bekam. Der Basileus versuchte freilich, derartige Geldgeschäfte für sich zu behalten und nötigenfalls auf dem Landweg nach Indien abzuwickeln. Byzanz stellte alsbald die Prägung von Silbermünzen für seine Untertanen ein und untersagte jeglichen Handel mit den Moslems. Verwirrung um das moslemische Wertverhältnis

Del Mar beschrieb das moslemische Geldsystem erstmals im Jahre 1895. Seine Darstellung blieb jedoch unbeachtet, vielleicht weil eine Auseinandersetzung damit eine Neubewertung der »klassischen« monetären Theorien von Adam Smith unumgänglich gemacht hätte. Das Problem rührt daher, dass die Moslems bei ihren Eroberungen Gold im Gewicht von 5 Millionen Mark und Silber im Gewicht von 100 Millionen Mark beschlagnahmten. Diese Tatsache verleitete namhafte Ökonomen zu der Annahme, die Moslems hätten das im Überfluss vorhandene Silber gegenüber dem Gold abgewertet: »Alle * Name des byzantinischen Solidus im Westen. (A. d. Ü.) ** Die Untereinheit des Gold-Dinars. (A. d. Ü.)


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Der Untergang Roms aus monetärer Sicht

unsere historischen Kenntnisse deuten darauf hin, dass sich das Wertverhältnis in beträchtlichem Masse zugunsten von Gold verändert haben muss.«23 Offensichtlichere Hinweise auf das Wertverhältnis werden dagegen außer acht gelassen: Die arabischen Autoren reiten endlos auf der Tatsache herum, dass das Gewichtsverhältnis vom (Gold-)Dinar zum (Silber-)Dirhem 10 : 7 entsprach; und der Koran gibt das Wertverhältnis der Silber- zu den Goldmünzen mit 10 : 1 an: »Das Gesetz des Propheten erhebt den Zehnten auf den Besitz von Edelmetallen in Höhe von […] 200 Silber-Dirhems oder 20 Gold-Dinaren.« Daraus ergibt sich ein Gold-Silber-Verhältnis von 7 : 1. Statt dessen berufen sich besagte Ökonomen auf Einzelaussagen in dubiosen Quellen und kommen so zu einem Dinar-DirhemVerhältnis von 1 : 20, was ein Silber-Gold-Verhältnis von 14 : 1 ergibt. Es ist indes nicht das erste Mal, dass Adam Smith’ ungeprüfte Annahmen zu geldgeschichtlichen Fehlinterpretationen geführt haben. Das Verständnis des Wertverhältnisses bringt Adam Smith’ Theoriengebäude zum Einsturz

Die Zweiteilung im Wertverhältnis steht in krassem Widerspruch zu den von Adam Smith und der klassischen Ökonomie aufgestellten Theorien über den Gold- und Silberwert, der ihrer Ansicht nach von den Produktionskosten dieser Edelmetalle sowie ihrer verfügbaren Menge bestimmt wird. Historische Studien zeigen, dass Nationen und Reiche die GoldSilber-Wertverhältnisse tatsächlich auf der Grundlage der vorhandenen Mengen festsetzten. Dabei hielten sie sich allerdings gerade nicht an die Gesetze des »freien Marktes«. Ganz im Gegenteil: Bei der Festlegung des Wertverhältnisses setzte eine starke Nation stets den Wert des am reichlichsten vorhandenen Metalles herauf ! Als beispielsweise Cäsar an die Macht kam, nahmen die Goldbestände aus neu eroberten Provinzen zu. Er setzte den Goldwert von 9 : 1 auf 12 : 1 herauf. Nachdem das moslemische Reich zwanzigmal mehr Silber als Gold erbeutet hatte, setzten die Moslems das Wertverhältnis auf etwa 7 : 1 fest und erhöhten damit den relativen Wert des in größerer Menge vorhandenen Silbers. Diese Höherbewertung von Silber war für die Moslems durchaus sinnvoll, da sie so viel davon besaßen. Ein


Der moslemische Angriff auf das »monetäre Rückgrat« des Reiches

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großes Angebot ist keine Garantie für niedrige Preise, wenn der Herrscher über die Festsetzung der Preise verfügt. Die Moslems wussten, dass niemand die wirtschaftliche oder militärische Macht besaß, um ihr Wertverhältnis außer Kraft zu setzen. Viel später, zwischen 1493 und 1690, erbeutete Spanien in Amerika 1230 Tonnen Gold und 60 440 Tonnen Silber. Diese immensen Mengen stellten alle bis dahin vorhandenen Bestände in den Schatten. Obwohl das Mengenverhältnis Silber zu Gold etwa 49 : 1 betrug, setzten die Spanier das Wertverhältnis auf 13,3 : 1 im Jahre 1546 und auf 14–15 : 1 im 17. Jahrhundert fest. Sie hielten den Wert des reichlich vorhandenen Silbers also stets auf einem hohen Niveau. Bei der Festlegung des Gold-Silber-Wertverhältnisses waren daher in erster Linie die gesetzlichen Vorschriften und die Macht der dominierenden währungsgebenden Nation ausschlaggebend. Die aristotelische Geldtradition der Moslems

Der Prophet Mohammed war in seiner Jugend Kaufmann gewesen und kannte sich daher auf dem Gebiet des Handels aus. Höchstpersönlich lehrte er seine Anhänger das gesetzliche und symbolische Wesen des Geldes, eine Tatsache von größter Bedeutung für monetäre Reformen in heutiger Zeit. Er brachte seinen Anhängern bei, »überbewertete« Kupfermünzen genauso als eine Währung zu betrachten wie Gold- und Silbermünzen.24 Deshalb stehen diese monetären Vorstellungen der Moslems ganz in der aristotelischen Geldtradition. Durch ihre Eroberungszüge fielen Mohammeds Anhänger allerdings gezwungenermaßen bald wieder auf Edelmetallsysteme zurück. Bis zum 13. Jahrhundert wurden Goldmünzen nur von den Moslems und den Byzantinern in größerer Anzahl und annähernd identischer Form geprägt. Moslemische Münzen wurden in großen Mengen auf dem gesamten europäischen Festland sowie in England und Skandinavien gefunden. Spanische Gold- und Silberminen wurden von den Moslems mit Sklavenarbeit ausgebeutet. Die moslemische Besetzung von Spanien eröffnete der jüdischen Wanderungsbewegung von Asien nach Europa einen Korridor, der Henri Pirenne zufolge die einzige überlebende Wirtschaftsverbindung zwischen Islam und Christentum und damit auch zwischen Ost und West darstellte.25


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4. Kapitel

Die Wiedereinführung von Geld im Westen

Die jahrhundertelang fortschreitende Zersetzung des Rechts- und Geldsystems bewirkte in einem Kreislauf wechselseitiger Steigerung einen allmählichen gesellschaftlichen Zerfall. Der Wiederaufbau der Systeme sollte einige weitere Jahrhunderte beanspruchen, in deren Verlauf mehrere Versuche stattfanden, warenwertgebundene Geldsysteme wiederzubeleben. Diese sind allerdings in vieler Hinsicht eher mit einer fortgeschrittenen Form des Tauschhandels als mit wirklichen Geldsystemen zu vergleichen. Die Einführung solcher Warengeldsysteme erfordert gewaltige Anstrengungen bei der Suche nach Edelmetallen und ihrer Förderung, Veredelung und Prägung. Es kostet außerdem viel Energie, das Geld über Jahrzehnte vor den Angriffen von Münzfälschern, Metallexporteuren und normaler Abnutzung zu bewahren. Diese hohen Belastungen heben in der Regel die aus solchen Geldsystemen zu ziehenden Vorteile auf, so dass die Menschen wirtschaftlich auf der Stelle treten, besonders angesichts der geringen Mittel, die den Gesellschaften in jenen dunkelsten Tagen Europas zur Verfügung standen. Geldsysteme auf der Grundlage von Edelmetallen konnten zunächst nur etabliert werden, wenn entweder die Metalle durch Eroberungen oder Plünderungen beschafft wurden oder wenn genügend Sklaven zur Arbeit in den Minen gefangengenommen wurden.* Deshalb stellt die Schaffung eines autonomen Geldsystems auf der Grundlage eines funktionierenden Rechtsstaates für eine Gesellschaft einen enormen Vorteil und nicht einfach nur einen graduellen Unterschied dar, denn es führt zu einem völlig anderen Ergebnis. * Plünderungen und Eroberungszüge blieben noch bis weit in das 17. und 18. Jahrhundert hinein die Grundlage für monetäre Edelmetallsysteme. Moderne Geldsysteme aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die als Edelmetallsysteme gelten, gründeten sich oft mehr auf Betrug als auf Gewalt, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.


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Die Wiedereinführung von Geld im Westen

Diese entscheidende Schwelle wurde in Europa jedoch erst im 13. und 14. Jahrhundert erreicht.

Die Wiederbelebung des Münzsystems im Norden durch Karl den Großen: ein »trügerisches Licht«* Karl der Große (742–814) unternahm einen frühen Versuch, das Geldsystem wieder aufzubauen. Die Einführung einer neuen Währung und die Wiedereinführung von Maßen und Gewichten im Westen, aus denen sich Pfund, Schilling und Pfennig entwickelten, werden oft als sein Verdienst angesehen. Bei genauerer Betrachtung ist das System Karls des Großen aber nur eine Wiederaufnahme bestimmter römischer Münzprägetraditionen. Pfund, Schilling und Pfennig

Die aus Livres, Sols und Denaren** bestehende karolingische Münzordnung war dem römischen Codex Theodosianus zufolge mindestens seit 418 in Kraft.1 Dieses »Zahlgeld« diente dazu, verschiedene im Laufe der Zeit eingeführte römische Münzsysteme zu einem einheitlichen System zusammenzufassen und dadurch den relativen Wert der einzelnen Münzen zu verstehen. Eine Alternative hierzu wäre eine kostspielige Neuprägung gewesen. Dabei wären auch die Prägungen auf den alten Münzen zum Gedenken an die zahlreichen historischen Monumente und Ereignisse dem Schmelztiegel zum Opfer gefallen. Eroberung und Sklaverei

Das Reich Karls des Großen gründete sich auf militärische Eroberungszüge und die Versklavung der unterworfenen Völker, vor allem der Sachsen. Dieses riesige Sklavenheer setzte Karl der Große zur Wiederaufnahme oder Intensivierung der Edelmetallproduktion, hauptsächlich von Silber in Chemnitz, Kremitz und Rauthensberg, ein. Diejenigen Gefangenen, die sich nicht in den Minen zu Tode * Mit diesem Ausdruck beschreibt Peter Spufford die monetäre Entwicklung zur Zeit Karls des Großen. Spuffords 1988 erschienenes Buch Money and its use in medieval Europe gab das erste umfassende Bild der Metall- und Geldströme im Mittelalter. ** Livres = Pfund, Sols = Schilling und Denaren = Pfennig. (A. d. Ü.)


Die Wiederbelebung des Münzsystems im Norden durch Karl den Großen

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schuften mussten, wurden über jüdische oder venezianische Sklavenhändler an Moslems verkauft. Der Silberpfennig

Ein Jahrhundert bevor Karl der Große an die Macht kam, wurde nach dem Vorbild des Triens, einer kleinen byzantinischen Goldmünze, die Prägung kleinerer Mengen von Silbermünzen wiederaufgenommen. Die Münzausgabe erfolgte manchmal durch religiöse Organe, wie zum Beispiel den Bischof von Lyon oder die Abteien St-Martin von Tours und St-Denis bei Paris. Diese Silberwährung war hauptsächlich in dem schmalen Streifen zwischen der Provence im Süden und dem heutigen Belgien im Norden verbreitet. Karl der Große gründete in Dorestad, Aachen, Bonn, Köln, Maastricht und Namur neue Münzstätten, um Pfennige zu prägen. Eine Zeitlang erwog er, sämtliche Münzen in seiner Palastmünzstätte in Aachen, heute ein idyllischer deutscher Kurort nahe der belgischen Grenze, herstellen zu lassen. Im Laufe der Zeit aber besaß er Prägestätten weit im Süden, zum Beispiel in Pisa und Rom. Seine zentralisierte Kontrolle offenbart sich in der Einheitlichkeit des Münzsystems. Trotzdem lassen Hinweise auf die Begleichung der Steuerschuld durch Dienstleistungen und Waren anstelle von Münzen den Schluss zu, dass Münzgeld weiterhin ein knappes Gut war.2 Der machtpolitische Balanceakt Karls des Großen

Als Folge der moslemischen Revolte von 630 verlor das RömischByzantinische Reich zunächst die afrikanischen Provinzen und später auch Spanien. Die Moslems übernahmen die Kontrolle über den bedeutenden Ost-West-Handel. In den Jahren 726–754 spaltete sich der Bischof von Rom von der byzantinischen Vorherrschaft ab. Einer der Auslöser für die Trennung war der im Jahre 730 von Kaiser Leo III. im sogenannten »Bilderstreit« erteilte Befehl, alle Bilder aus den Kirchen zu entfernen. Diese beiden Faktoren und die große Entfernung bescherten Karl dem Großen ein gewisses Maß an Unabhängigkeit von Byzanz. Durch komplexes machtpolitisches Taktieren zwischen Rom, den Moslems und Konstantinopel steigerte er seine Autonomie. Mit militärischer Macht hielt er Byzanz in Schach, und die moslemische


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Die Wiedereinführung von Geld im Westen

Bedrohung wehrte er ab, indem er mit Harun Ar Raschid, dem Emir der Moslems in Spanien, gute Beziehungen unterhielt. Sein Verhältnis zum Papst in Rom scheint jedoch in Anbetracht etlicher Versuche, die historischen Fakten zu verfälschen, komplexerer Natur gewesen zu sein.* Mit der sogenannten Donatio Constantini (der konstantinischen Schenkung) – einem gefälschten Dokument, nach dem Konstantin der Große angeblich dem Bischof von Rom im 4. Jahrhundert den Thron über den Westen übertragen hatte – erhob der Papst den Anspruch, der religiöse Herrscher über den Westen zu sein. Der Rückgriff auf eine Fälschung anstelle einer offenen Unabhängigkeitserklärung unterstreicht die gewaltige Macht, die der Basileus, Gottes »Vertreter« auf Erden, nach wie vor über den Westen hatte. Der Papst hingegen überließ Karl dem Großen immer mehr Rechte, die er in früheren Zeiten dem byzantinischen Kaiser hatte zugestehen müssen. Diese Entwicklung wurde von Papst Hadrian I., der mit Karl einen Freundschaftsbund geschlossen hatte, systematisch gefördert. Nach Ansicht Del Mars gab Hadrian im Jahre 772 als Vasall Karls des Großen in dessen Namen Münzen aus.3 Nachdem Karl der Große am 25. Dezember 800 von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt worden war und nachdem Byzanz an seinem Anspruch auf die Kaiserwürde festhielt, standen sich zwei christliche Kaiser gegenüber. Erst als Karl auf den Titel Imperator Romanorum, den noch immer der Basileus für sich beanspruchte, verzichtete und auf den unverfänglicheren Titel Romanum gubernans imperium auswich, kam es zur Versöhnung. War der Basileus damals noch die dominierende Macht im Westen?

Das Wissen über die Kontrolle des Geldwesens erlaubt Rückschlüsse auf die Souveränität; deshalb ist einer der interessanten Aspekte des Geldsystems Karls des Großen der Einblick, den es in seine Beziehungen zu Rom und Byzanz gewährt. Nach Del Mar erhielten die merowingischen Franken die Erlaubnis, Goldmünzen mit byzanti* »Es kann gar nicht oft genug wiederholt werden, dass der gesamte Strom der Geschichte von Klerikern verfälscht wurde […] Jeder Historiker ist auf diese Verzerrungen gestoßen und hat sie entweder unerschrocken oder zaghaft verurteilt. Und doch gibt es immer wieder neue Generationen unbelesener Menschen, denen man diese Entdeckungen und Verurteilungen stets von neuem darlegen und wiederholen muss.« (Del Mar, Middle Ages, 204)


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nischer Kennzeichnung zu prägen. Im Laufe der Jahrhunderte prägten sie allerdings immer mehr Münzen ohne byzantinische Motive. Karl der Große setzte dieses Münzsystem mit einem Silber-GoldWertverhältnis von etwa 10 : 1 fort. Um 803 schloss er mit dem byzantinischen Kaiser Nikephoros I. den verlorengegangenen Vertrag von Seltz: »Er schloss mit ihnen einen in höchstem Maße verbindlichen Vertrag, der möglichst keine Differenzen mehr zwischen ihnen zuließ.«4 In dieser Zeit hob Karl der Große das Gewicht seiner Silberwährung an, um es dem byzantinischen Silber-Gold-Wertverhältnis von 12 : 1 anzugleichen. Die neuen Pfennige wogen 17,5 Gran Silber, jeweils 12 Pfennige bildeten einen byzantinischen Goldschilling mit einem Goldgehalt von 17,5 Gran, woraus sich ein Wertverhältnis von 12 : 1 ergab. Im übrigen hatte Karl der Große offenbar die Prägung von Goldmünzen eingestellt. Damit, so Del Mar, hatte er wohl die im Vertrag von Seltz festgeschriebene religiöse Vormachtstellung des Basileus anerkannt.5 Peter Spufford deutet in seinen jüngeren Analysen an, dass Ludwig der Fromme, der Nachfolger Karls des Großen, bis etwa 818 wieder Goldmünzen prägte.6 Wahrscheinlich erlangte Karl der Große keine vollständige Unabhängigkeit von Byzanz, jedenfalls dann nicht, wenn man diese am Vorrecht der Goldmünzenprägung misst, einem der wesentlichen Souveränitätsmerkmale der damaligen Zeit. Die Macht von Byzanz war zwar begrenzt, aber im Westen vermutlich nach wie vor von Bedeutung. Die monetären Verhältnisse verschlechterten sich schon bald nach dem Tode Karls des Großen erneut. Die Silberproduktion in den Minen erschöpfte sich, und dem karolingischen Reich fehlte es an Eroberungen und Sklaven. Im Norden wurden Silbermünzen erst wieder ab 990 für kurze Zeit geprägt, nachdem man im Harzgebirge Silbervorkommen entdeckt hatte. Der Mechanismus der unterschiedlichen Wertverhältnisse belastet das Geldsystem Karls des Großen

Der alte Mechanismus der unterschiedlichen Silber-Gold-Wertverhältnisse in Ost und West übte weiterhin Druck auf die ohnehin schon schwierige monetäre Situation unter Karl dem Großen und


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Die Wiedereinführung von Geld im Westen

seinen Nachfolgern aus. In den meisten Jahrhunderten floss Silber weiter nach Osten ab, so dass immer mehr europäisches Silbergeld in Indien landete.

Sonnenaufgang über dem Mittelmeer: Der Aufstieg von Venedig Venedig erkannte sich selbst als eine wunderbare, geheimnisvolle Schöpfung, in der noch etwas anderes als Menschenwitz von jeher wirksam gewesen. J B 

Während der Mechanismus der unterschiedlichen Wertverhältnisse Karl den Großen benachteiligte, gelang es Venedig, diesen Mechanismus zu seinem Vorteil zu nutzen und sich dadurch zwischen 800 und 1500 eine wirtschaftliche Vormachtstellung im Westen aufzubauen. Damit legte Venedig den Grundstein für die Wiederbelebung des Westens. Venedigs einzigartige Ursprünge

Die Abstammung der Venezianer ist nach wie vor ungeklärt. Vielleicht waren sie Migranten von der Südküste des Schwarzen Meeres. Berühmt für ihr Können in der Seefahrt und im Handel, vollziehen die venezianischen Stadtväter noch heute das uralte feierliche Ritual der »Seehochzeit«, bei dem jedes Jahr ein goldener Ring ins Wasser geworfen wird. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts fielen die Westgoten unter Alarich in Italien ein und plünderten es. Wahrscheinlich flüchtete damals ein Teil der Bevölkerung vom venezianischen Festland in die Lagunen. Fischfang und Salzherstellung bildeten die ökonomische Grundlage der nun entstehenden Stadt. 697 wurde Venedig eine Republik mit einer Verfassung, die 500 Jahre lang gelten sollte. Frederick Chapin Lane bezeichnet Venedig als die »erste kapitalistische Gesellschaft«. Das Inferno der »Völkerwanderung« hob die Unterschiede innerhalb der venezianischen Gesellschaft auf: Jeder musste von vorne anfangen. Deshalb gründete sich die Aristokratie mehr auf die Fähigkeiten des einzelnen als auf Vererbung. Diese Aristokratie gab sich eine demokratische Form und handelte nach dem Grundsatz


Sonnenaufgang über dem Mittelmeer: Der Aufstieg von Venedig

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der Zusammenarbeit zum Wohle der Republik. Ein ausgleichender Faktor war Venedigs bewaffnete Bürgerschaft. Auf ihren Schiffen wurden zahlreiche freie Männer als Ruderer gebraucht. Ein Großteil von ihnen wurde zur Verteidigung mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Die Grundeinheit des Handels bildeten staatlich regulierte Familienpartnerschaften. Später, als sich Kapital ansammelte, verbreitete sich in Venedig eine von den Moslems entlehnte Partnerschaftsform, bei welcher der aktive Teilhaber zur See fuhr und der passive Teilhaber zu Hause blieb (die sogenannte Colleganza). Während die Gewinne geteilt wurden, waren die Verluste von dem passiven Teilhaber alleine zu tragen. Der Indienhandel durch den ägyptischen Kanal von Arsinoe

Rom wickelte seinen Handel mit dem Orient sowohl über Land als auch über den Persischen Golf durch den vielleicht schon unter Pharao Ramses II. gebauten Kanal bei Suez (Arsinoe) ab. Da sich der Kanal immer wieder mit Schwemmsand füllte, wurde er mehrmals geschlossen und wieder geöffnet, bevor 639 unter dem Kalifen Omar Ägypten erobert und mit der Reinigung des Kanals begonnen wurde, den die Moslems nun volle hundert Jahre nutzen sollten. Im frühen 8. Jahrhundert, als die Einwohnerzahl Italiens ihren absoluten Tiefststand erreicht hatte, setzte sich Venedig über das byzantinische Verbot hinweg und begann, mit den Moslems Handel zu treiben. Die Gewinne aus diesen Geschäften waren immens: pro Lieferung mehrere hundert Prozent. Venedig sicherte sich seinen Anteil am niedrigen asiatischen Gold-Silber-Wertverhältnis in Indien durch den Handel mit den Moslems in Alexandria. Mit diesem Handel begann auch die Kapitalansammlung Venedigs. Venedig nutzte den Mechanismus der in Ost und West unterschiedlichen Wertverhältnisse aus

Zwei Kräfte bewirkten, dass Venedig aufgebaut und der Grundstein für die Wiederbelebung Europas gelegt wurde. Die erste Kraft war der Kanal, der den Warentransport zwischen Ost und West wesentlich sicherer und einfacher machte. Die zweite Kraft war das östliche Wertverhältnis von 7 : 1, das den Venezianern um bis zu einhundert Prozent über dem Geschäftswert liegende Wechselkursgewinne bescherte.


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Die Wiedereinführung von Geld im Westen

Die Bedeutung dieses zusätzlichen Auftriebs sollte nicht unterschätzt werden, denn derjenige Staat, der den Handel mit den unterschiedlichen Wertverhältnissen beherrschte, beherrschte in der Regel auch den Westen. Die Kraft, die jahrhundertelang Europas Silberwährungen belastete, brachte nun Venedig direkte Vorteile. Dabei sollte man den autonomen Charakter des Unterschiedes im Gold-Silber-Wertverhältnis zwischen Ost und West nicht vergessen. Aus dem Osten wurden Gewürze, vor allem Pfeffer, Seidenstoffe, Goldgewebe, Parfüme, Arzneimittel und Gold nach Europa eingeführt. Die Venezianer verkauften diese Waren im Inland in Pavia, das zu Südeuropas Haupthandelszentrum wurde. Im Gegenzug exportierte Venedig Sklaven, Holz, Eisen und Silber. Die venezianische Flotte

Der Handel mit Indien führte zum Ausbau der venezianischen Flotte. Für die Zukunft Venedigs spielte diese Flotte eine Schlüsselrolle, da sie sowohl für Kriege als auch für den Handel eingesetzt werden konnte. So betont auch Del Mar: »In Venedigs Handel mit Alexandria tauchen seit dem Altertum erstmals wieder Segelschiffe auf.« Im Jahre 1104 gründete Venedig das »Arsenal«, Europas größte Schiffswerft und gleichzeitig das bis dahin größte Industrieunternehmen. Dort wurden immer größere Schiffe gebaut. Um 1300 konnte jedes Schiff 140 Tonnen unter Deck befördern.8 Von dieser Flotte, die den überwiegenden Teil des Handelsverkehrs zwischen Europa und Byzanz abwickelte, wurde Byzanz mit der Zeit abhängig. Die venezianischen Schiffe segelten zu bestimmten Zeiten in Flottenverbänden zu gemeinsamen Zielen und legten somit Beförderungskosten und -risiken zusammen. Diese festgelegten Segeltermine bildeten in Europa saisonale Handels- und Finanzzyklen. Venedigs Bemühungen um kirchliche Eigenständigkeit

Der venezianische Doge war ursprünglich ein von Byzanz bestellter und bezahlter politischer Beamter, der aber lokal gewählt wurde. In religiöser Hinsicht versuchte der Basileus, Venedig dem Patriarchen von Aquila zu unterwerfen. Venedig brauchte triftige Gründe, damit es seine eigenen religiösen Einrichtungen behalten konnte, und fand sie in dem in Alexandria beigesetzten Leichnam des heiligen Mar-


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kus. Der Legende nach raubten zwei venezianische Kaufleute die Gebeine 892 während einer Handelsreise und schmuggelten sie, verborgen unter gepökeltem Schweinefleisch, das die Moslems nicht anrührten, nach Hause. Weil die Reliquien des heiligen Markus Pilgerscharen anzogen, erkannte Byzanz Venedig bald als religiöses Zentrum an. Von diesem Erfolg beflügelt, sammelte Venedig weiterhin durch seine ganze Geschichte hindurch Knochen von Heiligen, unter ihnen der heilige Stefan, der heilige Theodor, der heilige Donatius, der heilige Isidor und sogar der heilige Nikolaus. Die unentschlossenen Kreuzfahrer

Das Heer des ersten Kreuzzuges wurde im Jahre 1095 aufgestellt, um von Konstantinopel aus Jerusalem von den Moslems zurückzuerobern. Venedig hielt sich zunächst aus diesem Kriegszug heraus und bemühte sich weiterhin um gute Beziehungen zu seinen Handelspartnern in Alexandria. Vom Erfolg des Kreuzzuges überrascht, entschied sich Venedig aber später doch noch zur Teilnahme, weil es sich von einem siegreichen Ausgang die Gründung eines Landweges nach Osten erhoffte, der den alten Weg durch den ägyptischen Kanal hinfällig machen würde. Angriff auf Konstantinopel

Während der Kreuzzüge brach Venedig die Handelsverbindung zu Alexandria ab und begann statt dessen, mit dem Osten auf dem Palmyra-Landweg über Antiochia und Tyrus Handel zu treiben. Diese Strecke konnte jedoch nicht aufrechterhalten werden, so dass sich Venedigs Osthandel schließlich auf »die Gewinne aus einer Fabrik beschränkte, die es in Konstantinopel führen durfte, und solange sich diese unsichere Basis nicht zum Besseren entwickelte, war Venedig der ernsten Gefahr ausgesetzt, den Handel ganz und gar zu verlieren«.9 Der Handel war für Venedig so bedeutend, dass 20 000 seiner 60 000 Einwohner in Byzanz lebten. Als die Venezianier 1204 erfuhren, dass Byzanz mit Genua verhandelte, um Venedig als Haupthandelspartner zu ersetzen, schlossen sie sich dem Vorhaben an, den vierten Kreuzzug in einen Angriff auf Konstantinopel umzulenken. Für diesen Angriff war die venezianische Flotte unentbehrlich. Als Bezahlung erhielt Venedig 85 000


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Mark im voraus sowie zusätzlich die Hälfte der Beute und die Hälfte der eroberten Gebiete. Der geheime Osthandel, der wertvoller war als alles andere, wurde jedoch mit keinem Wort erwähnt. Im Frühjahr 1203 stachen 20 000 »Kreuzfahrer« in See und gingen in Konstantinopel vor Anker. Venedigs Anteil an der Beute betrug 900 000 Silbermark (1 Mark = 8 Unzen) und umfangreiche neue Territorien (zu schweigen von den Häuptern des heiligen Abdon oder den Armknochen des heiligen Sergius und den Füßen des heiligen Georg).

Venedigs Geldsysteme Venedig hatte sich lange damit begnügt, die Währungen seiner Handelspartner zu verwenden. Dazu zählte das byzantinische Geldsystem – denn Venedig war Byzanz unterworfen und musste Tributzahlungen leisten –, aber auch das moslemische Gold- und Silbermünzgeld und die fränkische Silberwährung. Venezianische Händler führten über ihre internationalen Gewinne und Verluste, die sie in Gold berechneten, auf der Grundlage einzelner Unternehmungen Buch. Venedig prägte erstmals eigene Münzen zwischen 1172 und 1178, einige Jahre nach der Erschließung reicher Silberminen im sächsischen Freiberg. Der Doge Zianni prägte Denare mit einem Silbergehalt von einem Zehntel Gran, wobei 240 Denare dem Wert eines römischen Pfunds (librum) entsprachen. Außerdem gab er den Mezzodenar aus, eine Kupfermünze mit fünfprozentigem Silberanteil. Silber wurde für alle staatlichen Transaktionen und für den lokalen Handel verwendet. Gold konnte Venedig allerdings nicht prägen, da dies das Vorrecht des Basileus war. Der Silbergrosso

Byzanz wurde im Jahre 1204 unter die Siegermächte aufgeteilt. Alsbald prägte der blinde Doge Enrico Dandolo, der im Alter von 90 Jahren den Angriff angeführt hatte, mit dem venezianischen Beuteanteil den Silbergrosso. Er hatte einen Silbergehalt von 2,141 Gramm bzw. einen Feingehalt von 96,5 % und wurde bald die gängigste aller größeren Silbermünzen in Europa.


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Um der Abnutzung der bereits umlaufenden Denare Rechnung zu tragen, prägte Venedig den Grosso mit einem Gewicht, das 2 % unter dem Vergleichswert des Denars lag. Das sollte den parallelen Umlauf der Münzen sicherstellen. Deshalb lag das Verhältnis zwischen tatsächlichem und gesetzlichem Silbergehalt beim Grosso nicht höher als beim Denar. Diese Maßnahme verdeutlicht zwei wesentliche Punkte: Zum einen war dies eine sehr ausgeklügelte Methode, um einer der Gefahren zu begegnen, denen Edelmetallwährungen ausgesetzt waren: der Auslese oder Hortung von Münzen mit höherem Edelmetallgehalt gegenüber gesetzlich gleichrangigen, aber leichteren Münzen. Es war also ein Mittel zur Bekämpfung genau desjenigen Phänomens, das erst 300 Jahre später als Greshamsches Gesetz beschrieben wurde.* Zum anderen wird an der Tatsache, dass die Denare nur 2 % unter ihrem Gewicht lagen, deutlich, dass Venedig kein Problem mit dem Beschneiden der Münzen (d. h. mit dem »Abzwacken« der Ränder) hatte. In England kursierten zur gleichen Zeit Silbermünzen, deren Gewicht um 50 % reduziert war! Englands Geldsystem wurde durch mehrmalige Münzverrufung ruiniert. Historische Beispiele für die Funktionsweise des Greshamschen Gesetzes entstanden in der Regel durch die von Kaufleuten praktizierten illegalen Münzverschlechterungen. Venedigs Politik der Münzprägung

Venedigs Münzstätte war im Besitz der Republik. Es wurden angemessene Prägegebühren von etwa 8 % erhoben, und sämtliche Gewinne gehörten der Republik. Die Münzstätte wurde von offiziellen Bediensteten verwaltet, deren kurze Amtszeit die Möglichkeit einer sofortigen Wiederernennung ausschloss.Venedig übertrug das Prägerecht vorzugsweise nicht an Einzelpersonen, sondern an Ausschüsse. Für Berichte über Unregelmäßigkeiten wurden sogar finanzielle Belohnungen ausgesetzt. Mit dem Zerfall des Reiches musste auch Venedigs Geldsystem lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Daher wurden scharfe Maßnahmen zu seinem Schutz vor ausländischen Eingriffen getroffen. * Die Regel, dass schlechtes Geld gutes Geld verdrängt.


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Ab 1250 mussten beispielsweise alle nach Venedig eingeführten Gold- oder Silberbarren staatlich registriert werden, bevor sie verkauft werden konnten. Die Ausfuhr von Barren- oder Münzgeld war nur Venezianern gestattet.10 Das flexible Wertverhältnis

Byzanz war mächtig genug, um viele Jahrhunderte lang ein offizielles Silber-Gold-Wertverhältnis von 12 : 1 beizubehalten, das allerdings nicht für sämtliche Transaktionen im ganzen Reich Gültigkeit besaß. Als das Reich zerfiel, machten sich jedoch bald erste Schwankungen im Wertverhältnis bemerkbar. Zwischen 1250 und 1360, so schildert Lane, stieg das Wertverhältnis in Venedig von 8,5 : 1 auf 14,2 : 1 und fiel danach wieder auf 9,6 : 1.11 Venedig versuchte nur selten, ein einmal festgelegtes Wertverhältnis durch das Gesetz aufrechtzuerhalten. Seine Händlermentalität bewahrte es davor, in diese Falle zu gehen. Das Wertverhältnis blieb daher in Venedig meist flexibel, und Kaufleute durften daraus Gewinne erzielen, solange dies nicht auf Kosten der Republik geschah. Byzanz war in der Lage, jegliche Angriffe auf sein offiziell festgelegtes Wertverhältnis durch Zollbestimmungen, gesetzliche Schritte im Inland und vor allem durch das heilige Vorrecht der Münzprägung abzuwehren. Die Aushöhlung des Wertverhältnisses durch die »Kräfte des freien Marktes« würden einen Steinblock von der Größe des Römisch-Byzantinischen Reiches mit seinen umfangreichen Reserven vielleicht erst nach Jahrhunderten erschüttern, und eine solche Zeitspanne ist für Spekulanten wenig attraktiv. Die kleineren republikanischen Stadtstaaten Venedig, Genua und Florenz boten dagegen ein ganz anderes Bild. Florenz versuchte im Jahre 1279, ein gesetzliches Wertverhältnis von 10 : 1 einzuführen. Dieser Schritt stellte sich als Fehler heraus, denn er hatte zur Folge, dass zunächst der Marktwert von Gold sank. Dies wiederum bedeutete, dass der Silberflorin eingeschmolzen und mit Gewinn verkauft werden konnte, da der Marktwert von Barrensilber über dem offiziellen Wert des Silbermünzgelds lag. Daraufhin stieg der Goldwert wieder an, was dazu führte, dass nun Goldmünzen dem Schmelztiegel zum Opfer fielen, weil der Marktwert von Gold höher als der Wert von Goldmünzen war. Danach fiel der Goldwert wieder ab und so weiter. Florenz schuf daher das feste Wertverhältnis schnell wie-


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der ab und etablierte an seiner Stelle zwei getrennte Währungen – eine aus Gold, eine aus Silber – mit einem schwankenden Wertverhältnis zueinander. Venedigs Goldwährung

1284 prägte Venedig unter dem Dogen Giovanni Dandolo seine erste Goldmünze, den Dukaten. Er wog 56 Gran und sollte die Tradition des Solidus fortführen. Anfangs wiederholte Venedig den Fehler von Florenz, indem es versuchte, ein festes gesetzliches Wertverhältnis von 10,7 : 1 (1 Golddukat zu 40 Silbersoldi) einzuführen, kam aber von diesem Vorhaben 1296 gezwungenermaßen wieder ab. Wie die Entscheidung über das flexible Wertverhältnis zeigt, ist es für eine relativ schwache gesetzliche Macht unsinnig, ein starres Ziel vorzugeben, wenn sie im Kampf gegen starke Handelsmächte bestehen will. Venedig nahm diesen Kampf auf, indem es gerade kein leicht erreichbares Ziel vorgab. Bimetallische Währungen einzelner Staaten waren beinahe schon immer anfällig für die spekulativen Angriffe gebündelter Handelsinteressen. Venedig entwickelte mindestens vier voneinander getrennte Zahlgeldsysteme: je zwei auf der Basis von Gold und Silber. Im Jahre 1400 wurde Venedigs Geldwesen auf zwei Währungen aus Gold und Silber reduziert. »Bei so vielen verschiedenen Zahlgeldsystemen, die einmal an diese, einmal an jene Münzen geknüpft waren, ist es für heutige Betrachter der alten venezianischen Schriften oft schwierig zu erkennen, welches (System) […] in einem bestimmten Dokument gemeint ist. Selbst die Venezianer, die diese Geldsysteme damals jeden Tag anwendeten, hatten wohl ihre Schwierigkeiten damit.«12 Ausschluss der Juden

Venedig verfolgte ebenso wie andere italienische Republiken eine rigorose Politik des Judenausschlusses. Lane zufolge kam Venedig mit jüdischen Geldverleihern erstmals im Jahre 1250 in Berührung. Bis zum 16. Jahrhundert erhielten Juden kein ständiges Wohnrecht in Venedig. Wie Cecil Roth in Venice and the Jews bemerkt, mussten Juden in Venedig ab 1394 eine Zeitlang gelbe Kopfbedeckungen tragen.13 Im Hinblick auf Wucher gingen die Venezianer davon aus, dass man nur dann das Recht hatte, von einem Handelsvertrag zurückzu-


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treten, wenn man mit mehreren Risiken konfrontiert war und der Ausgang der Angelegenheit ungewiss war. Diese allgemeine Haltung gegenüber dem Wucher förderte den Kapitalzufluss in den Handel und hemmte den Geldverleih in den Pfandhäusern. Sie stimmte damit mit der moslemischen Sichtweise überein und nahm die Meinung der christlichen Scholastik vorweg. Der Münzbetrug trifft Venedig

Jahrhundertelang waren die venezianischen Kaufleute und Händler ihrer Mentalität nach so rechtschaffen, dass sie keine Versuche unternahmen, das Geldsystem zu verderben. Die von Gemeinsinn zeugende geldpolitische Zusammenarbeit in der venezianischen Republik funktionierte lange Zeit hervorragend – bis zur Tiepolo-QueriniVerschwörung von 1292–1302, deren Ziel es war, die erbrechtliche Definition der venezianischen Führungsschicht in der Verfassung festzuschreiben. Wenig später kamen in Venedig erstmalig einige Formen des Münzbetrugs auf. In einem ersten Schritt konzentrierten sich die Münzmeister zunächst auf die Prägung der offiziellen Silberwährung, des Piccoli (Pfennig), indem sie zwischen 1317 und 1318 so viele Münzen wie möglich prägten und den Silbergehalt laufend senkten. Lane beziffert ihre Zahl auf mindestens 200 000 pro Monat.14 Als dann 1321 die Kontrolle über Venedigs Münzstätte auf die Quarantia (den Rat der Vierzig) übergegangen war, wurden Regierungs- und Zollbehörden in einem zweiten Schritt angewiesen, grundsätzlich kein Piccoli-Geld mehr anzunehmen, sondern nur noch die andere offizielle Silberwährung, den Grosso. Gold- und Silberbarren wurden ebenfalls nicht mehr akzeptiert, außer als Sicherheit oder Garantie für die Bezahlung mit Grossi. Dieses Vorgehen schränkte Venedigs Geldversorgung drastisch ein und steigerte die Nachfrage nach Grossi sowie deren Wert, da sämtliche Zahlungen in Grossi geleistet werden mussten. Davon profitierten all jene, die im Besitz der Grossi waren, sowie Kaufleute, denen Grossi geschuldet wurden. Es war eine Verkleinerung der Geldmenge, die wahrscheinlich von denjenigen eingefädelt wurde, die daraus Gewinn zogen. Venedigs Geldsystem geriet 1327 erneut unter internen Beschuss,


Venedigs Geldsysteme

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als Bankiers angesichts der bevorstehenden Wiederbelebung der Handelsbeziehungen mit Ägypten und der daraus zu erwartenden großen Goldmengen das Recht beanspruchten, ihre Kunden, die bei ihnen Silber hinterlegt hatten, mit dem, wie sie hofften, wieder billigeren Gold auszuzahlen. Um ihre Silberschulden leichter abzahlen zu können, setzten sie 1328 ein Gesetz durch, mit dem das Gold-Silber-Wertverhältnis auf 14,2 : 1 (1 Dukat zu 24 Grossi) festgelegt wurde und damit den höchsten Stand seit über 50 Jahren erreichte. Doch ihre Rechnung ging nicht auf. Die Überbewertung des Goldpreises verdrängte Silber aus dem Geldumlauf und führte zu einem massiven Abfluss von Silber nach Konstantinopel. Um 1335 war der Grosso in Venedig kein geläufiges Zahlungsmittel mehr. Der Handel mit Indien begann erst 1345, nachdem der Zufluss von Gold das Wertverhältnis auf 9 : 1 gedrückt hatte. 1343 wurde Andrea Dandolo zum Dogen gewählt, damit er Venedigs Geldprobleme löse, denn schließlich verdankte Venedig Andreas Vorfahren Enrico und Giovanni Dandolo einige seiner frühen geldpolitischen Erfolge. Venedig stört die monetäre Erholung in Europa

Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts sank allgemein der Goldwert im Verhältnis zum Silber. Die Ursache hierfür war eine historische Entwicklung, die Lane als »Wendepunkt« in der europäischen Geldgeschichte bezeichnet: die Wiederaufnahme der seit den Kreuzzügen unterbrochenen venezianisch-ägyptischen Handelsbeziehungen im Jahre 1345. Dieser Zeitpunkt stand vermutlich in Zusammenhang mit der Unterdrückung der Templer im Jahre 1307 und dem Zusammenbruch der umfassenden, während der Kreuzzüge aufgebauten Handelsbeziehungen zwischen dem Templerorden und der Levante. Einmal mehr konnte Venedig seine Machtposition in Europa behaupten, weil es in der Lage war, sich zum östlichen Gold-SilberWertverhältnis und dem Gewürzhandel einen gewinnträchtigen Zugang zu verschaffen. Hatte der frühere Handel den Zufluss von Gold nach Europa im Austausch gegen Sklaven und andere Rohstoffe sichergestellt, so beabsichtigte Venedig nun in erster Linie den Abfluss von Silber nach Osten im Austausch gegen Gold und Gewürze. Venedig tat also genau das, was das Römisch-Byzantinische Reich jahrhundertelang vorgemacht hatte: Es zerstörte das europäische Silbergeldsystem, indem es Silber nach Indien exportierte.


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Die Wiedereinführung von Geld im Westen

Venedig wandte sich an die ägyptische Regierung, um eine Absenkung der Zölle für seine Silberlieferungen nach Ägypten zu erreichen, »da dies für unsere Situation äußerst wichtig ist und wir viel mehr an einer Senkung des Zolls für Silber als für alle anderen Waren interessiert sind«.15 Die Zölle auf Silber wurden wunschgemäß von 10 auf 2 % gesenkt. Lane betont, dass Silbermünzen in Ägypten keine weite Verbreitung fanden und dass das meiste dorthin gesandte Silber weiter ostwärts nach Indien floss. Kurz nachdem dieser Handel begonnen hatte, strömte Gold nach Italien, und um 1360–1370 fiel das Wertverhältnis in Venedig und Florenz auf 9,6 : 1. Ab diesem Zeitpunkt, so ist bei Spufford zu lesen, taucht Gold erstmals in größeren Mengen in Nordeuropa auf. Venedig führte riesige Silbermengen nach Asien aus: 13 200 000 Silbergrossi jährlich, also etwa 20 000 Tonnen. Europas Silbergeldbestand war bald erschöpft. Am Ende des 14. Jahrhunderts hatte die Silberknappheit ein bedrohliches Ausmaß erreicht.16 Die monetäre Krise eskalierte in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Die meisten Münzstätten in Europa, bis auf die Londoner Münzstätte im Norden, waren geschlossen. Allmählich wurden wieder einige neue Münzstätten eröffnet, was zur Entschärfung der Krise beitrug. Ab 1503 musste Venedig, dessen Führung nicht länger über die selbst verschuldeten monetären Probleme hinwegsehen konnte, seine Vormachtstellung im Osthandel aufgeben.

Venedig führt vorsichtig Nominalgeld ein Während der Belagerung von Tyrus im Jahre 1122 ging dem Dogen Michiel das Geld zur Bezahlung seiner Soldaten aus. Deshalb bezahlte er sie mit Geld aus geprägtem Leder, das bei der Rückkehr der Flotte nach Venedig wieder eingelöst wurde. Dieses vorübergehende Ledergeld wurde aber nicht institutionalisiert. Es war nie für den allgemeinen Umlauf bestimmt und wurde stets schnell eingelöst. Die Erfahrung, dass auch Leder als Geld dienen konnte, geriet bei diesen Handelsexperten nicht in Vergessenheit, doch erst 1353 wurde in Venedig mit der Prägung des Tornesello unter Andrea Dandolo Nominalgeld eingeführt. Der Tornesello war für den Umlauf in den ausländischen Gebieten Venedigs, darunter das heutige Griechen-


Venedig führt vorsichtig Nominalgeld ein

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land, Bulgarien, Rumänien und ehemalige Jugoslawien, vorgesehen. Die Tornesello-Münzen bestanden aus einer Kupfer-Silber-Mischung. Ihr gesetzlicher Wert überstieg den Wert ihres Silbergehalts um das Doppelte. Allein die Prägekosten machten schon ein Viertel des Münzwerts aus. Bedenkt man, dass der Wert der römischen Numeri mindestens viermal über ihrem Materialwert lag, entfernte sich Venedig daher nicht allzu weit vom Metallgehaltwert. Der Tornesello wurde in Umlauf gebracht, indem er als Zahlungsmittel für Staatsausgaben wie Befestigungsanlagen, Flottenausrüstung, Besatzungsbesoldung usw. verwendet wurde. Der Erfolg dieser Einführung war zufriedenstellend, denn solange der Tornesello nur in der benötigten Menge geprägt wurde, konnte er aufgrund seines Seltenheitswerts mit seinem gesetzlichen Wert zirkulieren. Das änderte sich allerdings nach 1390, als er in großen Mengen (etwa 4,5 Millionen Tonnen jährlich) in Umlauf gebracht wurde und so für Jahrzehnte seinen Seltenheits- und Gebrauchswert verlor.17 Als sich venezianische Territorialbeamte beschwerten, weil sie mit Torneselli bezahlt wurden, wurde ihnen eine Zeitlang ein Rabatt von 20 % eingeräumt. Obwohl die Torneselli in Venedig selbst nicht im Umlauf waren, brachte Venedig 1379 einen neuen, überbewerteten Silbergrosso heraus, der außer einem zusätzlich aufgeprägten Stern fast identisch mit dem alten Silbergrosso war. Sein gesetzlicher Wert war jedoch doppelt so hoch wie der des alten Grosso. So erzielten die Venezianer Gewinne aus einem autonomen Geldsystem. Vielleicht hielten sie sich nicht für mächtig genug, um eine allgemeine Akzeptanz von vier- oder fünffach überbewerteten Münzen zu erreichen – eine Maßnahme, die dem Geldsystem und der Gesellschaft von Venedig enorme Vorteile verschafft hätte. Ab etwa 1450 kamen in Venedig Prägemaschinen in Gebrauch. Schaffte ein Münzarbeiter bisher 40 bis 50 Münzen pro Tag, so konnten nun in derselben Zeit Tausende hergestellt werden.


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Die Wiedereinführung von Geld im Westen

Die venezianischen Imprestidi: eine Form der Staatsfinanzierung In Venedig entwickelte sich das Bankwesen aus einer finanziellen Notlage heraus, denn die Teilnahme Venedigs an den ersten drei Kreuzzügen hatte sämtliche Staatsfinanzen verschlungen. Einmal lieh der Doge Michiel während einer Finanzkrise Geld von einigen reichen Kaufleuten aus und zahlte es später zurück. 1173 war die Staatskasse wieder leer. Der Doge Ziani führte deshalb eine von allen Haushalten verbindlich zu leistende Anleihe im Wert von 1 % des gesamten Haushaltsbesitzes ein. Diese als Imprestidi bezeichneten Zwangsanleihen wurden mit 4 % verzinst. Zwar wurden über die Anleihen keine Bescheinigungen ausgestellt, aber sie wurden bei der Imprestidi-Behörde eingetragen und waren übertragbar. Diese Behörde, die Camera degli imprestidi, war jedoch keine Bank, denn man konnte weder Geld einzahlen noch aufnehmen. Um ein Guthaben zu übertragen, mussten sich beide Parteien persönlich bei der Behörde einfinden. Nach 1262 galten diese Anleihen nicht mehr als befristet, sondern wurden in die konsolidierten »Monte Vecchio«-Staatsanleihen umgewandelt. Danach überschritt die Summe der Gelder, die durch neue Abgaben – die »Monte Nuovo«-Staatsanleihen – eingetrieben wurden, die Höhe der Rückzahlungen. Die Höhe der von jedem Bürger zu leistenden Anleihe errechnete sich aus dem sogenannten Estimo, einer individuellen Schätzung seiner Vermögenswerte. Der Prozentsatz dieses als Anleihe zu entrichtenden Estimo erhöhte sich von bescheidenen 3,87 % zwischen 1287 und 1291 auf stattliche 62 % in den Jahren 1380/81. Nach Lanes Schätzungen entwickelte sich Venedigs Imprestidi-Schuld im Laufe der Jahre wie folgt:

1255: 1353: 1393: 1402:

15 000 3,1 Millionen 12,5 Millionen 9,5 Millionen

1413: 1438: 1521: 1620:

23 Millionen 16,5 Millionen 21,5 Millionen Null (in Lire a Grossi)18


Die venezianischen Imprestidi: eine Form der Staatsfinanzierung

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Da diese Imprestidi umgebucht werden konnten, wurden sie unter Kaufleuten zu einem Zahlungsmittel und damit zu einer sehr begrenzten Form von Geld, obschon sie für diese Verwendung weder bestimmt noch gesetzlich legitimiert waren. Man kann daher behaupten, dass die Imprestidi-Anleihe eines der ersten Beispiele für die – allerdings ungewollte – Monetisierung der Staatsschulden im Westen ist. Dabei wurde die verfügbare Geldmenge durch die Summe der vorhandenen Imprestidi-Anleihen potentiell vergrößert. Das Fehlen einer Staatsbank in Venedig war kein Zufall, sondern Absicht. Bereits im 14. Jahrhundert wurde die Gründung einer Depositenbank diskutiert, aber schließlich abgelehnt. Es gab darüber hinaus Vorschläge, zur Übertragung der Imprestidi-Anleihen Schecks zu verwenden und dadurch die Imprestidi zu einem geldähnlicheren Zahlungsmittel zu machen, aber Venedig entschied sich auch gegen diese praktische Maßnahme. Im Jahre 1587 wurde die Camera degli imprestidi schließlich in eine Depositen- oder Girobank umgewandelt. Sie war Europas erste Depositenbank und fand 1609 in der Amsterdamer Girobank eine erfolgreiche Nachfolgerin. Die Aufgabe einer Girobank besteht darin, Einlagen entgegenzunehmen und Überweisungen von den Konten ihrer Deponenten auf andere Konten derselben Bank vorzunehmen. Die Vergabe von Darlehen war nicht Bestandteil ihres Auftrages. Girobanken galten als sehr sicher. Trotzdem wurde Venedigs Girobank um 1600 infolge der seit Beginn des 16. Jahrhunderts andauernden Finanzkrisen zahlungsunfähig. Seit dem 13. Jahrhundert gab es in Venedig zwar auch einige ortsansässige Privatbanken, aber gegen 1500 waren mit Ausnahme einiger kleinerer alle bankrott gegangen. Einer der Gründe hierfür war, dass viele der wohlhabenden Venezianer zur Erfüllung der Imprestidi-Forderungen gezwungenermaßen hohe Beträge von ihren Bankkonten abhoben und dadurch den Zusammenbruch der Banken provozierten. Mitte des 15. Jahrhunderts sorgte indes Venedig selbst durch seinen Silberhandel mit dem Osten für den Verfall des Geldund Bankenwesens in ganz Europa und brachte damit die Mehrheit der europäischen Staaten gegen sich auf.


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Die Wiedereinführung von Geld im Westen

Venedigs Abstieg

In diesem Zeitraum deutete sich bereits Venedigs Machtverlust und der Aufstieg Portugals und Antwerpens an. 1503 wurde mit der Heimkehr der ersten portugiesischen Schiffsladungen die Kaproute nach Indien eröffnet. Dies war das Ende der venezianischen Herrschaft über den Ost-West-Handel und über den Mechanismus der Wertverhältnisse. In den Anfangsjahren importierte die portugiesische Flotte jährlich 2,3 Millionen Pfund Gewürze, hauptsächlich Pfeffer. Diese Waren wurden aus dem Handel, den Venedig mit Alexandria unterhielt, abgezweigt, und dieser ging infolgedessen zunächst um 75 % zurück. Das Jahr 1500 steht außerdem auch für das Ende des hundertjährigen Kampfes gegen den Bankkredit, der in Nordeuropa von der Hanse und den Herzögen von Burgund geführt wurde. Dieser Kampf hatte in Nordeuropa zu zahlreichen Bankenschließungen geführt, deren Auswirkungen auch in Venedig deutlich zu spüren waren (vgl. 7. Kapitel). Ab 1500 begann der langsame, aber stetige Abstieg Venedigs und seiner Flotte. Die Spezialität der venezianischen Schiffbauer waren große und teure, etwa 43 Meter lange und 7 Meter breite Galeeren mit flachem Kiel gewesen. Doch durch revolutionäre Verbesserungen in der Segelproduktion sowie vor allem durch die Ausrüstung mit runden Kielen wurden die Segelschiffe schneller und einfacher zu steuern. Die Erfindung der Kanonen machte den Sicherheitsvorteil der großen Galeeren zunichte. Als gegen 1606 noch ein schwerer Eichenholzmangel hinzukam, musste Venedig die Hälfte seiner Schiffsflotte in ausländischen Werften bauen lassen, während die Seeherrschaft immer mehr auf Holland überging.


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5. Kapitel

Die Kreuzzüge beenden den monetären Würgegriff von Byzanz

Wie eine Seuche verbreitete sich mit einem Mal diese Raserei, welche der Menschheit keine Heimsuchung ersparen sollte. V

Die Kreuzzüge werden oft als leidenschaftliches Blutbad dargestellt, was sie zum Teil auch waren. Ihre Bedeutung ging jedoch weit darüber hinaus: Sie wurden zum entscheidenden Dreh- und Angelpunkt zwischen Mittelalter und Renaissance. Ohne die Kreuzzüge hätte die monetäre Wiederbelebung Europas wahrscheinlich sehr viel länger gedauert. Im Jahre 1095 rief Papst Urban II. frenetisch zur Befreiung Jerusalems von der moslemischen Herrschaft auf. »Gott will es«, rief die aufgeregte Menge, und jedes Dorf in Europa beteiligte sich an diesem Unternehmen, das in seiner Ausdehnung alle Rekorde seit dem Römischen Imperium brach. Millionen von Menschen waren aktive Teilnehmer an den Kreuzzügen, und weitere Millionen von Pilgern folgten ihnen. Geopolitische Motive der Kreuzzüge

Zwar war diese Begeisterung echt, doch konnte eine derart große Bewegung unmöglich dem Zorn des Volkes entsprungen sein, gab es doch in jener Zeit kaum etwas, was das Volk mit der Regierung verband. Und schließlich herrschten die Moslems zu jener Zeit schon seit 400 Jahren über Palästina. Voltaire hat die sich herausbildenden geopolitischen Hauptmotive der Kreuzzüge eingehend beleuchtet. Der erste Kreuzzug begann mit dem Ersuchen des byzantinischen Kaisers um Hilfe bei der Rückgewinnung der heiligen Stätten. Eines der Ziele war es, den militärischen Druck zu brechen, den die Seldschuken auf Byzanz ausübten und der die byzantinisch-moslemischen Beziehungen belastete.


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Die Kreuzzüge beenden den monetären Würgegriff von Byzanz

Um diese Zeit war die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung aus Asien nach Europa gezogen. Der Ost-West-Handel über Spanien war überwiegend in ihrer Hand. Die westlichen Fürsten konnten ihre wirtschaftliche und militärische Stellung durch die Rückeroberung des Heiligen Landes und den Aufbau eigener, direkterer Handelsbeziehungen stärken. Die Judenpogrome in Europa, die von den ersten Kreuzfahrern bei ihrem Aufbruch zuerst in Köln und danach in Mainz verübt wurden, zeigen, dass die Beschränkung der jüdischen Macht auf mehreren Ebenen einer der Beweggründe für die Kreuzzüge war, auch wenn diese Vorfälle scheinbar spontaner Natur waren. All diese und noch weitere große Ziele wurden in der Tat während der Kreuzzüge erreicht. Den Kreuzfahrern gelang es, die Moslems hundert Jahre lang von Jerusalem und für immer von Spanien fernzuhalten.* Das Mittelmeer wurde wieder für den allgemeinen christlichen Handelsverkehr geöffnet. Vor allem die Templerorden bauten Handelswege und dauerhafte Handelsverbindungen auf, und die Bedeutung der Juden im weltweiten Handel wurde nach der Aufnahme von direkten Handelsbeziehungen zwischen Christen und Moslems drastisch eingeschränkt. Damit wurden die Handelsverbindungen zwischen europäischen und ägyptischen Juden gekappt.1 Wer nun aber den religiösen »Idealismus« und die emotionale Motivation der Kreuzzüge beiseite lässt, der übersieht die enorme Anziehungskraft dieses gemeinsamen Aufbruchs, dieses Kampfes gegen das »Böse« zum Ruhme Gottes. Der Papst verwandelte das manchmal frustrierende Gebot »Du sollst nicht töten« in das oft befriedigendere »Du sollst das Böse vernichten«.

Der erste Kreuzzug Ehrfurchtsvoll standen die Kreuzfahrer des ersten Kreuzzuges vor Konstantinopel. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Noch heute sind die Stadtmauern äußerst eindrucksvoll. Die verschiedenen * Zwischen 1233 und 1248 wurden Cordoba, Sevilla und Toledo von den Spaniern zurückerobert. Nur Granada blieb unter der Kontrolle der Moslems.


Der erste Kreuzzug

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Kreuzzugführer schworen Treueeide auf den byzantinischen Kaiser und erklärten sich bereit, ihm alle eroberten Gebiete zu überlassen – ein weiterer Beweis für dessen ungebrochene Vormachtstellung. Nachdem genuesische Ingenieure eingetroffen waren und bewegliche Türme gebaut hatten, nahmen die Kreuzfahrer am 15. Juli 1099 auf wundersame Weise Jerusalem ein. Sie errichteten ein kirchliches Königreich unter der Herrschaft des als König eingesetzten Gottfried von Bouillon. Danach eroberten sie eine Stadt nach der anderen und begingen im Namen des Christentums zahllose Greueltaten. »Mehr als einmal wurden die Einwohner grausam abgeschlachtet, nachdem man ihnen beim Verlassen der Stadt sicheres Geleit gegeben hatte. Ihre Leichen wurden verbrannt oder aufgeschnitten, um das Gold zu erbeuten, das sie angeblich geschluckt hatten.«2 Neu entdeckte Reichtümer

Die von den Kreuzfahrern eroberten Länder waren viel reicher an natürlichen Rohstoffen als der Westen Europas. Sie waren auch seit vielen Jahrhunderten die Umschlagplätze für Luxusgüter oder im Westen unbekannte Waren. Die Kreuzfahrer fanden Zivilisationen vor, die allen ihnen vertrauten Kulturen weit voraus waren.3 So wurden die Kreuzfahrer in Palästina wohlhabend: »Wer vorher nur ein paar Münzen hatte, der besitzt hier unzählbar viele Solidi.«4 In den christlichen Gebieten lebten insgesamt nur einige tausend Juden, denen das Recht auf Grundbesitz verweigert wurde. Der Handel mit den Moslems erforderte bestimmte monetäre Vorkehrungen. Während die Kreuzfahrer untereinander griechische und westliche Münzen verwendeten, mussten sie für den Handel mit den orientalischen Kaufleuten die Maße und Gewichte des eroberten Landes übernehmen und ein Zahlungsmittel finden, das diese anerkannten. So schuf man eine neue Münze, den Sarazenat oder Bezant bzw. den Denar von Tyrus. Auf diese Goldmünzen, die eine getreue Nachahmung des konventionellen Solidus darstellten, prägten die Moslems arabische Inskriptionen, in der Regel Texte aus dem Koran. Diese Geldstücke wurden von den Kreuzfahrern verwendet, bis Papst Innozenz IV. derlei »Frevel« verbot. Die Korantexte wurden fortan durch christliche Inschriften ersetzt, die man jedoch weiterhin in Arabisch schrieb, um den Umlauf der Münzen unter Moslems nicht zu behindern.5


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Die Kreuzzüge beenden den monetären Würgegriff von Byzanz

Die Unterschiede zwischen christlichen und moslemischen Führern

Papst Urban II. stellte die Moslems äußerst negativ dar: »Der Türke stellt sich niemals dem offenen Nahkampf. Er hat giftige Pfeile, ist böse anstatt tapfer und tötet alle, die er angreift. Was immer er bewirkt, das schreibe ich dem Zufall zu, nicht seinem Mut.«6 Doch die Ritter erfuhren bald, dass man keine stärkeren, tapfereren oder fähigeren Krieger finden konnte als die Moslems. Auch die Sarazenen entwickelten eine gewisse Bewunderung für die Franken, und Nereddin bezeichnete die Franken gar als »die Tapfersten unter den Sterblichen«.7 Das Verhalten der Christen stand in schroffem Gegensatz zu dem der Moslems, vor allem des Sultans Saladin. Als Kurde in Tikrit geboren, hatte Saladin die Moslems im Kampf gegen die Kreuzfahrer geeint. Als er während der Belagerung Jaffas hörte, dass Richard I. Löwenherz in der Stadt war und kein Kampfpferd besaß, sandte er ihm ein prächtiges Ross. Während der Belagerung Akkos flehte eine christliche Frau im moslemischen Lager um die Freilassung ihres Kindes, das die Sarazenen verschleppt hatten. Ihr Schmerz ergriff Saladin und trieb ihm Tränen in die Augen. Er ließ das ganze Lager durchsuchen, bis man das kleine Mädchen fand.8 1183 eroberte Saladin Jerusalem zurück und ließ dabei Gnade vor Recht ergehen. Kein Christ hatte unter schlechter Behandlung zu leiden. Gegen ein Lösegeld durften die Bewohner die Stadt mit ihren Habseligkeiten verlassen. Einer von Saladins Emiren hielt eintausend Armenier als Lösegeld fest, doch die Christen verschwendeten keinen Gedanken an sie, sondern machten sich mit allen Schätzen davon, die sie tragen konnten. Daraufhin bat Saladins Bruder um ein Geschenk von tausend Menschen und ließ sie frei. Der Kontrast zwischen diesen Vorgängen und der Einnahme Jerusalems im Jahre 1099 gewährt einen gewissen Einblick in die charakterlichen und zivilisatorischen Unterschiede zwischen den Führern Saladins und den Christen, die bei der Einnahme Jerusalems Abertausende Moslems abschlachteten und ihre Leichen auf vielen riesigen Scheiterhaufen verbrannten.9 Als Richard I. Löwenherz Akko einnahm, ließ er kaltblütig 2700 Moslems ermorden, weil das Lösegeld zu spät gezahlt wurde. »Die Vollstreckung fand ohne jede Verzögerung statt. Die Gefolgsleute des Königs führten seine Befehle unverzüglich mit dem größten


Der erste Kreuzzug

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Eifer aus und dankten der Gnade Gottes, die ihnen solche Vergeltungsschläge erlaubte.«10 Saladin gab seinem Sohn den folgenden Rat: »Mein Sohn, ich befehle Dich dem höchsten Gott, der Quelle aller Güte. Befolge seinen Willen, denn auf diesem Wege liegt der Frieden. Weise von Dir das Blutvergießen, vertraue nicht darauf, denn einmal vergossenes Blut trocknet nie mehr. Strebe danach, die Herzen Deiner Völker zu gewinnen, und wache über ihren Wohlstand, denn dazu wurdest Du von Gott und von mir berufen, dass Du das Wohlergehen Deiner Völker gewährleistest.«11 Begegnung mit den »Ungläubigen«

Die Kreuzfahrer kamen in direkten Kontakt mit den »Ungläubigen« – und fanden sie sympathisch. In Kleinasien wurde mancher Pilger aufgrund der guten Behandlung durch die Moslems vom christlichen Glauben abtrünnig. Das gemeine Volk war der Meinung, es sei nicht notwendig, Städte für die Kreuzzüge einzunehmen, weil die Türken besser und vertrauenswürdiger seien als die Christen, die kein Gottvertrauen und keine Achtung vor ihrem Nachbarn hatten.12 Diese Form der »Ketzerei« schoss überall entlang der Wege zum Heiligen Land aus dem Boden. Integration der »Ungläubigen«

Die Kreuzfahrer waren in den von ihnen eroberten Städten immer eine kleine Minderheit. Nach einer Weile bemühten sie sich um das Wohlwollen der Einheimischen. Mit der Zeit gingen sie Mischehen mit den »Ungläubigen« ein, passten sich an die orientalische Lebensweise an und dachten nicht mehr so oft an ihre Heimat. Sogar die Herrschaft des Königs nahm orientalische Züge an: Man durfte nur mit gebeugten Knien an ihn herantreten. Sowohl christliche Kreuzfahrer als auch moslemische Verteidiger strebten nach und nach überkonfessionelle Bündnisse zum Kampf gegen Glaubensgenossen an. Der Handel brachte sie zusammen. Die christlichen Seehäfen waren aktive Handelszentren. Christen liehen sich manchmal Geld von Moslems aus und schlossen mit ihnen Jagd verträge ab.13 Christliche Herrscher borgten sich von den moslemischen Herrschern oft deren hervorragende Ärzte. Die Moslems hatten Teile des griechischen Kulturerbes und des


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römischen Rechtssystems besser bewahrt als der Westen. Das medizinische Wissen und andere Künste, in denen sich die Moslems besonders auszeichneten, riefen bei den Christen nicht nur Bewunderung, sondern auch den Wunsch hervor, etwas über ihre Geschichte und Religion zu erfahren. Trotz der falschen Berichte des Klerus über die Situation im Heiligen Land breitete sich der Ruhm Saladins des Großen über den ganzen Westen hinweg aus. Die Kreuzfahrer kamen auch mit den Ursprüngen des Judaismus und Christentums in engere Berührung, und manche von ihnen bekamen Zweifel an ihrem Glauben.

Der Aufstieg der Templer Eines der bedeutenden Ergebnisse des ersten Kreuzzuges war die Gründung des Templerordens, der ursprünglich den Namen Arme Ritterschaft Christi vom Salomonischen Tempel trug. Zwischen 1114 und 1118 gegründet, widmete sich der Orden vorgeblich in erster Linie dem Schutz der Pilger im Heiligen Land. Die Fahne der furchtlosen Ritter war halb schwarz und halb weiß, was Tod für die Feinde und Hilfe für die Freunde bedeutete. Die Aufrichtigkeit dieser Zielsetzung wird jedoch heute in Frage gestellt. Baigent und Leigh meinen in ihrem provokativen Buch The Temple and the Lodge,14 es gebe Hinweise darauf, dass dieses erklärte Ziel nur eine Fassade war und dass die Ritter sehr viel ehrgeizigere und größere geopolitische Pläne verfolgten. Die Gründungsmitglieder des Ordens waren zu einflussreich, und der Orden breitete sich zu rasch aus, als dass man keinen Verdacht schöpfte. Es bestanden auch gewisse Verbindungen zum Zisterzienserorden, der einer der Hauptförderer des vierten Kreuzzuges wurde. Hugo von Payens, ein Ritter aus der Champagne, erwirkte im Jahre 1118 von König Balduin die Erlaubnis, sich mit einigen Genossen im Königspalast in Jerusalem niederzulassen. Er wurde der erste Großmeister der Templer, die sich dem Gedanken eines zugleich religiösen und militärischen Ordens verpflichteten. Beim Konzil von Troyes 1128 erhielt der Orden von der Kirche die ersten Statuten. Danach gingen innerhalb nur eines Jahres Ländereien in Frankreich, Schottland, Spanien und Portugal in den Besitz des Ordens über. Innerhalb eines Jahrzehnts dehnte sich sein Landbesitz


Der vierte Kreuzzuges nach Konstantinopel

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bis nach Italien, Österreich, Deutschland, Ungarn und Konstantinopel aus. 1131 hinterließ der König von Aragón dem Orden ein Drittel seiner Ländereien. Gegen 1150 hatte sich der Templerorden bereits als die mit Ausnahme des Papsttums weitaus reichste und einflussreichste Einrichtung des Christentums durchgesetzt.15 Dieser phänomenale Aufstieg lässt sich kaum allein durch den Pilgerschutz erklären, zumal es außer den Templern noch weitere Ritterorden gab, beispielsweise den Ritterlichen Orden Sankt Johannis vom Spital zu Jerusalem (Johanniter), der portugiesische Christusorden und der Deutsche Orden.

Der vierte Kreuzzug nach Konstantinopel Byzanz hatte den dritten Kreuzzug vereitelt und war mit Saladin, der Jerusalem hielt, ein Bündnis eingegangen. Bestimmte Kräfte im Westen, darunter die Führung von Cluny, dem bedeutendsten religiösen Zentrum Frankreichs, sowie vor allem Angehörige des Zisterzienserordens schmiedeten nun gemeinsam ein Komplott gegen Byzanz. Unter dem Vorwand, dem byzantinischen Kaiser Isaak II. und seinem Sohn Alexios ihre bei einem Palastputsch verlorengegangene Macht zurückzugeben, sah der geheime Plan eine Umlenkung des vierten Kreuzzuges in einen Angriff auf Konstantinopel vor.16 Der europäische Adel brachte diesem Vorhaben wenig Begeisterung entgegen, bis ihm Papst Innozenz III. die Einführung einer Einkommenssteuer von 2,5 % androhte, falls er sich nicht doch noch dafür erwärmen könne.17 Die große Ritterschaft erfuhr nichts von dem Geheimplan; sie wurde nach und nach in die Täuschung hineinmanövriert. Venedigs Flotte spielte dabei eine Schlüsselrolle. Eine Abordnung verhandelte mit dem Dogen Enrico Dandolo, der im Gegenzug für seine im voraus gegebene Zustimmung zu dem Unternehmen harte Bedingungen stellen konnte. Dandolo musste eingeweiht und als Unterstützer gewonnen werden. Da er früher von byzantinischen Beamten geblendet worden war, hatte er ohnehin noch eine alte Rechnung mit Byzanz zu begleichen. Das Heer sammelte sich im Juni 1202 und stach in See. Es ver-


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brachte den Winter in Zara, wo Dandolo unter Missachtung der päpstlichen Befehle die Armee zur Wiederherstellung der venezianischen Herrschaft über die Stadt benutzte. Kurze Zeit später wurde er deshalb exkommuniziert. Die meisten Ritter rechneten mit einer Überfahrt nach Ägypten, doch Venedig beabsichtigte nicht, seine Truppen in Alexandria, mit dem es nach wie vor Handelsbeziehungen unterhielt, landen zu lassen. Als die Flotte im Frühjahr 1203 Korfu erreichte, traten die Gerüchte und Auseinandersetzungen um den möglichen Bestimmungsort der Mission offen zutage. Besonders die widerspenstigen Ritter mussten durch Versprechungen beschwichtigt werden. Nach der Umrundung des Peloponnes und Attikas ging die Flotte vor der Insel Euböa vor Anker, bevor sie das Ägäische Meer überquerte. Vorbei an der verlassenen Insel des heiligen Efstratios und der Insel Lemnos führte der Weg weiter über das auf dem Festland gelegene Troja nach Gallipoli und durch die Dardanellen zum Marmarameer, wo die Flotte schließlich an ihren Zielort gelangte: Konstantinopel. Die »begehrteste Stadt der Welt«

Mit einer Ausdehnung von 90 Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl von fast einer Million war Konstantinopel die größte Stadt des Mittelalters. Es gab reichlich Wasser, öffentliche Parkanlagen, Straßenbeleuchtung und ein gutes Abwassersystem. Doch Byzantions Führung sowie seine Armee, Marine und seine Bewohner hatten sich ausgesprochen negativ entwickelt. Allein das Auftauchen der Kreuzfahrerflotte im Jahre 1203 war Grund genug für den herrschenden Kaiser, über Nacht die Flucht zu ergreifen und Kaiser Isaak II. wieder einzusetzen. Als ihm sein Sohn Alexios berichtete, dass er einen Vertrag zur Abtretung der religiösen Vorherrschaft Byzantions an Rom geschlossen habe, protestierte Isaak jedoch heftig. Als die Byzantiner im Januar 1204 von dieser Vereinbarung erfuhren, ermordeten sie sowohl Vater als auch Sohn. Am 9. April griffen die Kreuzfahrer die Byzantiner an und schlugen sie. Vom 13. bis zum 15. April wüteten die christlichen Invasoren in der größten christlichen Stadt der Welt. Wie die Wilden plünderten sie die Stadt. Reliquien – zum Beispiel die Gebeine der Heiligen, Teile des Kreuzes, Milch der Mutter Gottes – bewahrten sie auf; dagegen zerstörten sie großartige Kunstwerke: die bronzenen Wagen-


Die monetäre Bedeutung des vierten Kreuzzuges

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lenker im Hippodrom, die Romulus und Remus säugende Wölfin, Paris, der Venus den Apfel reicht, eine herrliche Statue der Helena von Troja, von Augustus in Auftrag gegebene Statuen; kurz, alle bedeutenden Kunstwerke, die in neun Jahrhunderten von den alten Tempeln nach Konstantinopel gebracht worden waren. Sie alle wurden zu Barren oder Münzen eingeschmolzen. Konstantinopels große Bibliothek hatte im Jahre 476 gebrannt. 1204 besaßen einige Kirchen und Klöster noch immer gute Sammlungen, vor allem das berühmte Studion-Kloster. Doch Tausende Manuskripte und Pergamente aus zahlreichen Privatbibliotheken fielen damals unwiederbringlich den Flammen zum Opfer. Balduin von Flandern wurde zum Kaiser gekrönt, und Venedig beanspruchte die Kontrolle über das Patriarchat und die Kirchen. Die Beute wurde zusammengelegt und aufgeteilt. Alle Gedanken an Palästina lösten sich in Luft auf. Dandolo starb in Konstantinopel und wurde in der Hagia Sophia begraben. Der Papst stimmte diesen religiösen und politischen Entscheidungen zu.

Die monetäre Bedeutung des vierten Kreuzzuges Mit der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1204 wurde die seit Julius Cäsar in Europa vorherrschende monetäre Macht des Römisch-Byzantinischen Reiches offiziell beendet. Das Geldsystem der Cäsaren war am Ende. Dies ist eines der wesentlichsten monetären Ereignisse der Geschichte. Um es noch einmal zu wiederholen: Die »geheime« Triebkraft hinter dem »geheiligten« Vorrecht der Goldmünzenprägung bestand ja darin, dass der Basileus bereitwillig zentral geprägte Goldsolidi gegen lokal geprägte Silbermünzen in einem Verhältnis von 12 : 1 umtauschte. Für dasselbe Silber erhielt er in Indien und anderen östlichen Gebieten Barrengold in bis zu doppeltem Wert. Mit dem Ende des Byzantinischen Reiches ging auch die monetäre Kontrolle, über die vorher religiöse Institutionen verfügt hatten, in säkulare Hände über. Das vierte Laterankonzil verkündete zwar bald (1215) das Supremat des Papsttums über alle weltlichen Souveräne, doch konnte es sich nicht durchsetzen. So nahm Kaiser Fried-


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rich II. das Vorrecht des Basileus für sich in Anspruch und prägte 1225 in Neapel Goldmünzen mit einem Feingehalt von 82 Gran. Die alte Weltordnung war zusammengebrochen. Ihm taten es lokale Herrscher in ganz Europa gleich: 1225 wurde in Lyon eine Goldmünze mit einem Feingehalt von 54 Gran emittiert, 1250 in Frankreich unter Ludwig IX. eine weitere mit 63 Gran. In der Republik Florenz wurde seit 1252 der Goldflorin mit 56 Gran geprägt, in England unter Heinrich III. seit 1257 Goldmünzen mit 43 Gran. 1284 begann die Republik Venedig mit der Prägung des Golddukaten mit einem Feingehalt von 56 Gran. 1316 schließlich ließ Papst Johannes XXII. in Avignon Goldzechinen mit einem Feingehalt von 54 Gran prägen. Die Kriegsbeute

Von Konstantinopel wurde eine riesige Beute nach Europa zurückgebracht. Ihr Wert wird in offiziellen Angaben unterschätzt, denn die Plünderer brachten nur einen Teil davon in den großen gemeinsamen Topf ein, der Silber im Wert von etwa 400 000 Mark Gewicht umfasste. Die Venezianer etwa sollen ihre Beute zum Großteil auf ihren Schiffen gelagert haben, anstatt sie mit der Beute der anderen zusammenzulegen. In den Kirchen wurden große Mengen Silber und Gold geplündert. Allein unter dem Altar der Hagia Sophia entdeckte man vierzig Fässer Gold.18 Jacobs schätzt, dass die Plünderung Konstantinopels mehr Edelmetall-Reichtum nach Europa brachte als der gesamte Handel der vorangegangenen Jahrhunderte.19 Die Rückkehr der erbeuteten Edelmetalle gab dem Leben in Europa einen wichtigen monetären Auftrieb und war vermutlich der Hauptgrund dafür, dass Europa letztendlich die magische Schwelle erreichte, d. h. über die entscheidende Geldmasse verfügte, die für das Funktionieren eines effektiveren, fortschrittlicheren Geldsystems erforderlich ist – die Geldmasse, die die Wiedereinführung des Nomisma ermöglichte. Die monetäre Wiederbelebung Europas

Die gehorteten Münzen und Barren waren in Konstantinopel völlig nutzlos gewesen, denn zum einen war ihre Lagerung teuer, und zum anderen waren sie ein Magnet, ja eine Einladung für Eroberer. Der »immanente« Wert dieser Schätze war in der Tat sehr gering. In Eu-


Die finanziellen Neuerungen der Templer

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ropa fanden sie eine viel bessere Verwendung: in der Handelsstadt Venedig, als finanzieller Beitrag des Papstes zum Bau der großen europäischen Kathedralen, als Vermögen einzelner Kreuzfahrer und bei der Ausweitung der finanziellen Tätigkeiten der Tempelritter.

Die finanziellen Neuerungen der Templer Während ihrer Zeit im Osten machten sich die Ritter des Templerordens schnell mit dem dortigen Geld- und Finanzwesen vertraut. Mit ihrem Wissen über Bank- und Kreditsysteme legten sie nach ihrer Rückkehr vom ersten Kreuzzug den Grundstein für die Entstehung des Bankwesens in Europa: »Historiker führen den Ursprung und die Entwicklung der wirtschaftlichen Institutionen im Westen in der Regel auf die jüdischen Geldverleiher und die großen italienischen Handelshäuser und Konsortien zurück. In Wirklichkeit jedoch waren die jüdischen Geldverleiher im Vergleich zu den Templern von untergeordneter Bedeutung. Die Templer waren nicht nur die Vorläufer der italienischen Handelshäuser, sondern sie führten auch die Mechanismen und Methoden ein, die von diesen Häusern später übernommen wurden. In der Tat kann die Entstehung des modernen Bankwesens dem Templerorden zugeschrieben werden. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht verwalteten die Templer einen Großteil, wenn nicht sogar den größten Teil des in Westeuropa vorhandenen Kapitals. Sie waren Pioniere auf dem Gebiet des allgemeinen Kreditwesens sowie der zweckgebundenen Kreditvergabe zugunsten der wirtschaftlichen Entwicklung.«20 Byzanz unterdrückte das Bankwesen, doch die Templer waren stark genug, um es trotzdem voranzutreiben. Nachdem 1204 der griechische Kaiser aus dem Weg geräumt war, hatten die Templer mehr Freiheit bei der Einführung und Entwicklung des Bankwesens in Europa. Die Templer besaßen und verwalteten das Depositorium, das Teil der französischen Schatzkammer in Paris war. Sie trieben Steuern für die Krone ein und vergaben Darlehen an die französische und englische Krone. Um 1260–1266 verpfändete Heinrich III. die britischen Kronjuwelen an die Templer; Königin Eleanor brachte sie persönlich zur Pariser »Filiale« des Ordens.


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Die Kreuzzüge beenden den monetären Würgegriff von Byzanz

Die Tempelritter wurden im Kreditgeschäft zu Konkurrenten der Juden; sie konnten gegenüber säumigen Schuldnern mit größerer Härte vorgehen und verlangten manchmal auch höhere Zinsen. Doch letztendlich handelten sie als Mitglieder der Gesellschaft und förderten so effektiv die wirtschaftliche Entwicklung. Wegen ihrer Korrektheit und Ehrlichkeit genossen sie zudem einen ausgezeichneten Ruf. Die Templer wurden so populär, dass es schließlich »so gut wie kein Testament mehr ohne eine Erklärung zugunsten der Templer gab«, bemerkt C. G. Addison in The Knights Templar.21 Addison schätzte das aus dem Besitz von 9000 Gutshöfen oder Lordschaften resultierende Jahreseinkommen der Templer in Europa um 1300 auf etwa 6 Millionen Pfund Sterling. Gold machte etwa ein Drittel ihrer Einnahmen aus. Die Templer standen im allgemeinen über dem normalen Recht. Ihre Häuser waren geheiligte Orte. Sie waren von den meisten Steuern und Abgaben befreit und konnten normalerweise nicht vor Gericht gebracht werden. Die Unterdrückung der Templer

Der Einfluss der Templer wurde offenbar zu groß, denn am Freitag, dem 12. Oktober 1306, ließ der französische König Philipp IV. alle französischen Templer verhaften. Mit geheimer und versiegelter Order ließ er sämtliche Untergliederungen des Ordens gleichzeitig durchsuchen. Zu jener Zeit gab es in Europa ungefähr 20 000 Templer, von denen 10 % schlagende Ritter waren. Bei der Razzia leisteten sie jedoch keinen Widerstand. Anschließend wurden sie über Jahre hinweg verhört, und viele von ihnen wurden gefoltert und ermordet. Diese blutigen Übergriffe verdeutlichen einen wichtigen monetären Grundsatz, den Finanzexperten manchmal übersehen: In Extremfällen steht politische Macht letztendlich über monetärer Macht. Da alle Versuche, die Templer unter päpstliche Kontrolle zu bringen, scheiterten, löste Papst Klemens V. im Jahre 1312 auf Druck Philipps des Schönen den Orden auf und übergab seine Besitztümer an den Johanniterorden. Bei seiner von Philipp befohlenen öffentlichen Verbrennung prophezeite Jacques Bernard de Molay aus Burgund, der letzte Großmeister des Templerordens, vom Scheiterhaufen aus den Tod von Papst Klemens V. und König Philipp IV. innerhalb eines Jahres. Beide starben im darauffolgenden Jahr unter


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mysteriösen Umständen. Die überlebenden Templer gingen in den Untergrund. Das Verschwinden des Templerschatzes

Kurz vor der groß angelegten Verhaftungsaktion im Jahre 1307 verließen die Pariser Tempelritter die Schatzkammer des Ordens mit zahlreichen Packpferden. Sie verluden ihre wertvolle Fracht auf die 18 Schiffe des Ordens und verschwanden spurlos. Nach heutigen Erkenntnissen fanden sie im schottischen Kilmarten Zuflucht. Der dortige Herrscher Bruce war vom Papst exkommuniziert worden. In der Schlacht von Bannockburn 1313 schlug Bruce dank der verdeckten Unterstützung der Templer überraschend die Engländer. Er begründete die Stuart-Dynastie, die Großbritannien bis 1688 regierte. Der Umstand, dass die Templer in Schottland Zuflucht fanden, könnte erklären, warum später gerade dort zahlreiche Neuerungen im Bankwesen aufkamen und warum manche Finanzreformer wie William Paterson und John Law schottischer Herkunft waren. Sogar Adam Smith, der in einem schottischen Dorf von 1773 bis 1776 sein nationalökonomisches Hauptwerk Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Nationalreichtums verfasste, stellte fest, dass das schottische Bankwesen die Welt beherrsche. Durch die Templer entstanden die Rittersagen vom »Heiligen Gral«, die als Vorbild für ritterliches Handeln galten. Die Themen dieser Sagen – ein schwacher Herrscher, ein verwüstetes Land und ein Ritter auf der Suche nach dem Heiligen Gral, der die Macht besitzt, alles wiedergutzumachen – stellen noch heute ein Musterschema für heldenhaftes Handeln dar. Die Templer tauchten später in einigen Freimaurerlogen wieder auf. Sie wurden weiterhin vom Papst verfolgt. 1738 verbot Papst Klemens XII. die Freimaurerei mit seiner Bannbulle In Eminenti und exkommunizierte alle an der Bewegung teilnehmenden Katholiken. Dennoch verbreitete sich die Freimaurerei erfolgreich weiter. 1740 stellte eine weitere Papstbulle die Mitgliedschaft in Freimaurerlogen unter die Todesstrafe, allerdings ohne abschreckende Wirkung. Die Freimaurer sollten die weltweite Entwicklung stark beeinflussen. Die Weltanschauung der Freimaurer fasste der Freimaurer Ramsay so zusammen: »Die Welt ist nichts anderes als eine riesige Republik, in der jede Nation eine Familie und jeder einzelne ein Kind ist.«


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Die Kreuzzüge beenden den monetären Würgegriff von Byzanz

Diese Sichtweise unterscheidet sich stark von der heutzutage weit verbreiteten Vorstellung von der einen Welt, in der die Nationen ohnmächtig sind und es nur noch international operierende Finanzinstitutionen, den IWF und Sklaven gibt. Die Tempelritter spielten im 13.Jahrhundert beim Zustandekommen der Magna Charta, Englands großer Urkunde über die Freiheiten, eine wichtige Rolle. Ihre Nachfolger, die Freimaurer, waren an der Französischen Revolution, an der Einigung Italiens und vor allem an der amerikanischen Revolution maßgeblich beteiligt. Benjamin Franklin war Amerikas berühmtester Freimaurer. Er war ab 1734 Großmeister von Pennsylvania. Von den 56 Unterzeichnern der Unabhängigkeitserklärung waren mit Sicherheit 9 und vielleicht weitere 10 Freimaurer. Von den 74 Offizieren der Armee waren 33 Freimaurer, berichten Baigent und Leigh. Vor allem in den Logen haben sie das erhabene Ideal der Menschenrechte sowie die Vorstellung von der Perfektionierbarkeit der Gesellschaft kennengelernt.22 Viele der britischen Offiziere, denen sie im Kampf gegenüberstanden, waren ebenfalls Freimaurer. Ernst Troeltsch, der bedeutende Historiker der Reformation, ist der Auffassung, dass die Rechte des einzelnen ihren Ursprung in Amerika haben, wobei »der Einfluss der Literatur des Illuminismus unverkennbar ist«. Offenbar gibt es in der weltweiten Freimaurerbewegung aber auch Untergliederungen, in denen einige Traditionen mit weniger erhabenen Idealen wurzeln.


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6. Kapitel

Der Kampf um die monetäre Vorherrschaft in der Renaissance

Und all die Pferde des Königs und all die Männer des Königs, die konnten Humpty nicht wiederherstellen. Kinderreim

Mit dem Niedergang des Byzantinischen Reiches ging auch das Geldsystem Cäsars zu Ende, das über 1200 Jahre in Kraft gewesen war. Monetäre Macht ging von religiöser in säkulare Kontrolle über. Keine der damals einflussreichen Kräfte – weder Venedig noch der Papst, noch die Templer – konnte die monetäre Kontrolle wieder für sich beanspruchen, so dass sie sich im späten Mittelalter zunehmend zerstreute. Damit begann der Kampf um die monetäre Vorherrschaft, der 500 Jahre bis zur Gründung der Bank of England andauern sollte. Wie der Geldhistoriker Raymond de Roover in seinen Untersuchungen zeigt, war das Mittelalter nicht so primitiv, wie zuvor vermutet. Er verneint, dass es damals keine Planung, keine intelligente Führung und keine geeignete Kontrolle über die Buchführung gab. Auch im Mittelalter sei es ausgeschlossen gewesen, Geschäfte planlos, aufs Geratewohl zu machen, denn der harte Wettbewerb und äußerst geringe Gewinnspannen zwangen die Händler, ihre Entscheidungen sorgfältig abzuwägen.1 Wachsende Verstädterung und Spezialisierung

In den späteren Phasen des Reiches wurden die großen Gutshöfe, die im allgemeinen Eigentum der Kirche waren, zu selbständigen Einheiten. Auf Alphabetisierung, Buchführung, Kapital und Verwaltungsmethoden hatte die Kirche ein Quasimonopol, von dem die Fürsten abhängig waren. Um 1200 wurde das lokale Gewohnheitsrecht der Städte, die im Zentrum dieser Ländereien entstanden, gesetzlich verankert. Außer


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Der Kampf um die monetäre Vorherrschaft in der Renaissance

in Teilen von Flandern und der Toskana wohnte in den Städten meist weniger als ein Zehntel der Bevölkerung, und die Verfassung jeder Stadt galt nur innerhalb der jeweiligen Stadtgrenzen; außerhalb davon galten andere Gesetze. Nach Pirenne existierte die Landbevölkerung für die Stadtbürger nur, um ausgebeutet zu werden. Im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts ging fast der gesamte städtische Grundbesitz an die Kaufleute, die ihre überreichen Reserven in Wohnhäuser investierten. Die Umwandlung dieser Böden in Bauland hatte ein stetiges Bevölkerungswachstum zur Folge, was höhere Mieteinnahmen versprach, so dass sich viele Kaufleute ab der Mitte des 13.Jahrhunderts aus dem Handel zurückzogen und zur Ruhe setzten.2

Die Handelsmessen Hauptantriebsfeder des Handels waren die großen Handelsmessen, die seit dem 11. Jahrhundert von den Gebietsfürsten gefördert wurden. Sie fanden jährlich oder in kürzeren Abständen an bestimmten Orten statt, wobei ihre Bedeutung nicht von der Bedeutung der Messestädte abhängig war. Die größte Messe fand in der Champagne statt und wurde vom Grafen der Champagne, einem der ersten Tempelritter, unterstützt. Die Messen, zu denen Händler mit ihren Waren und ihren Goldund Silbermünzen von weit her kamen, waren »Freihandelszonen«, während der Messen wurden keine Steuern erhoben, und Handelsvorschriften wurden aufgehoben, außerhalb der Messen aufgetretene Streitigkeiten wurden vertagt. Der Verrechnungsmechanismus der Messen

Das monetäre Hauptmerkmal dieser Veranstaltungen war ein besonderer Mechanismus zur Verrechnung gegenseitiger Geldforderungen: Die Einkäufe und Verkäufe der Kaufleute wurden miteinander verrechnet, Einnahmen und Ausgaben wurden am Ende der Messe ausgeglichen. Hatte ein Kaufmann mehr Waren verkauft als eingekauft, erhielt er den Differenzbetrag in Münzen. Hatte er dagegen mehr Waren eingekauft als verkauft, musste er den Unterschied bezahlen. Wenn er kreditwürdig war, konnte er seine Zahlungsverpflichtungen bis zur nächsten Messe verlängern.


Die Handelsmessen

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Bei späteren Messen wurden die jeweiligen Verrechnungsmechanismen häufig aufeinander abgestimmt. Mit der Zeit wurden Barzahlungen bei Messen unüblich. Statt dessen stellte man Wechsel aus, die an den Messen auf der Grundlage der dort gültigen Verrechnungsmechanismen zahlbar waren. Die Messe in der Champagne gab sogar ihre eigene symbolische Messewährung aus.3 Die erfolgreichste Zeit dieser Handelsmessen waren die Jahre zwischen 1250 und 1300. Ihre Bedeutung nahm ab, nachdem die Städte, die sich auf Geldgeschäfte konzentrierten, Verrechnungsmechanismen für den Wechselverkehr einführten. So wurden im Laufe der Zeit Städte wie Antwerpen zu Freihandelszonen oder ständigen Messen. Münzen im Umlauf

Schon damals stellten Kaufleute beim Umtausch ausländischer Währungen gewisse Überlegungen an. Ob ein Geschäft profitabel war, wussten sie oft erst nach Abschluss der letzten Umtauschtransaktion, da die Kurse erheblich schwankten. De Roover findet in einem großen Teil der Forschungsarbeit über mittelalterliche Geldsysteme den schwerwiegenden Trugschluss, dass es eine Art imaginäre Standardwährung gegeben habe, die als Basis für die Bewertung realer Münzen diente. Dieser Theorie zufolge sei das Verhältnis der realen zu dieser imaginären Währung von einem monetären Beschlussfassungsorgan willkürlich geändert worden. Die historischen Fakten stützen diese Theorie eines unabhängigen Standards nicht. Die mittelalterlichen Geldsysteme waren entweder direkt oder indirekt an Gold und Silber gekoppelt. Sie existierten auf der Grundlage umlaufender oder nicht mehr zirkulierender Münzen, die jedoch immer noch ein bestimmtes Gold- oder Silbergewicht darstellten.4 »Pecunia nervus bellum«

»Geld ist die Triebfeder des Krieges« – dies war ein Leitsatz in jener Zeit. Im 13. und 14. Jahrhundert entwickelte sich der Wehrdienst zu einem Beruf, und im 15. Jahrhundert beanspruchte die Armee eine kompetente Führung und enormes Kapital. Vor allem die Schweizer, Deutschen und Spanier verfügten über große Söldnerheere. Meistens wüteten irgendwo Kriege. Wenn sie einmal nicht im Krieg kämpften, betätigten sich die Soldaten häufig als Räuber.


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Die Kosten für den Unterhalt der Armeen waren sehr hoch, und das Geld musste in der Regel schnell verfügbar sein. Ehrenberg schätzte die Kosten für einen Zeitraum von sechs Monaten auf 500 000 Goldflorin, die Versorgungskosten nicht eingerechnet. Der zunehmende Gebrauch von Schusswaffen und Kanonen zwang die Städte zum Bau besserer Verteidigungsanlagen, was normalerweise zu Verschuldung führte. Die Kreditfähigkeit einer Stadt wurde zu ihrer stärksten Waffe. Damit hatten die Städte einen Vorteil gegenüber den Fürsten, denn die Schulden der Fürsten waren bis zum 16. Jahrhundert für ihre Nachfolger nicht bindend, so dass der Besitz der Fürsten nicht einfach gepfändet werden konnte. Städte dagegen galten wegen ihrer dauerhaften Existenz als sicherere Kreditnehmer.

Die Münzstätten der Könige Nördlich der Alpen, wo Könige und Fürsten über größere Gebiete herrschten, lag die monetäre Macht naturgemäß bei deren Münzstätten. In England verfügte nur der König über die Geldmacht. In Frankreich hingegen hatten sich 300 Vasallen das Münzrecht angeeignet; unter den Kapetingern versuchte die Krone ständig, das Münzrecht wieder an sich zu reißen. Anfang des 14. Jahrhunderts besaßen immer noch 30 Vasallen das Münzrecht.5 Hallam zufolge gab es um 1300 immer noch 150 private Münzstätten in Frankreich und 250 in Italien.6 Vor allem für militärische Zwecke brauchten die Fürsten Geld. Dieses lag aber zum größten Teil in den Händen des Klerus und Adels, von denen nur schwer Steuern einzutreiben waren. Die Folge davon war, dass die Münzstätten zur Haupteinnahmequelle wurden. Viele Fürsten machten mit der Abwertung der Währungen ein Bombengeschäft.7 Dieser oft als Ära des königlichen Missbrauchs der Geldmacht beschriebene Zeitraum von etwa 1350 bis 1450 wird nach wie vor von manchen Bankenvertretern als ein Argument gegen ein staatlich kontrolliertes Geldwesen angeführt. Heute muss diese Zeit aber auch im Zusammenhang mit der von Spufford dokumentierten extremen Silberknappheit in Europa gesehen werden.


Die Münzstätten der Könige

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Später erlangten die Könige zwar das Münzrecht in ganz Europa wieder zurück, doch betrachteten sie das Münzgeld lediglich als eine ihrer wertvollsten Einnahmequellen. Das Münzgeld wurde also nicht stabiler, nur weil das Münzrecht wieder auf die Könige überging. Mit jedem Machtwechsel nahm die Qualität der Münzen ab. Eine Verordnung nach der anderen erging, um den Nominalwert der Münzen dem Bedarf der Krone entsprechend anzuheben, während der »immanente« Geldwert beständig abnahm. Geld wurde aufoder abgewertet, je nachdem, ob der König gerade Gläubiger oder Schuldner war – so Pirennes pauschalisierende Beurteilung. Vor allem seit dem 13. Jahrhundert wurde es zunehmend zur Regel, Neuausgaben von immer minderwertigeren Münzen zu vervielfachen. Geld wurde immer wieder aus dem Verkehr gezogen, neu gegossen und neu verteilt, wobei es jedesmal an Wert verlor. Solche Eingriffe kamen besonders häufig in Deutschland während der 32-jährigen Herrschaft Bernhards von Askanien vor. Unter ihm wurde das Münzgeld durchschnittlich dreimal jährlich verändert oder vielmehr verschlechtert.8 Sogar Del Mar, dem klar war, dass die Grafen durchaus selbstsüchtig handelten, war überrascht über die in ganz Europa nach dem Niedergang Konstantinopels einsetzende offen skrupellose und radikale Veränderung, Verschlechterung und Wertminderung der Münzsysteme, die im Unterschied zu vorangegangenen Manipulationen einen endgültigen und unwiderruflichen Bruch mit den römischen Währungsstandards darstellten. Diese Geldverschlechterungen begleiten den Aufstieg mancher christlichen Fürsten von Vasallen zu unabhängigen Monarchen.9 Es wundert deshalb nicht, dass die autoritären Staatsformen im allgemeinen viel schlechtere Geldsysteme hervorbrachten als die in höherem Maße selbstverwalteten italienischen Republiken, die im 4. Kapitel beschrieben wurden. Münzverschlechterung als Steuerersatz

In seiner Untersuchung des steuerlichen Aspektes dieser Entwicklung stellte sie Spufford in einen größeren Zusammenhang und wies nach, dass eine Münzverschlechterung die Funktion einer effektiven Steuer hatte, indem sie eine von allen Untertanen zu entrichtende Abgabe darstellte, die zudem relativ leicht zu verwalten war.10 Spufford unterstrich außerdem die Notwendigkeit, von Zeit zu Zeit das


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Metallgewicht der neuen Münzausgaben zu reduzieren, um dem durch Abnutzung bedingten Gewichtsverlust der bereits umlaufenden Münzen Rechnung zu tragen. Diese Maßnahme war vor allem dann erforderlich, wenn das Metall in die Münzstätten gelockt werden sollte und wenn alte und neue Münzen gemeinsam umlaufen sollten. Bereits 1340 hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Münzverschlechterung zwar sehr gut für die Arbeit und relativ gut für Industrie und Handel, aber schlecht für die Pachteinnahmen der Grundbesitzer war. Die Münzverschlechterungen wurden eingestellt, nachdem die Landbesitzer erfolgreich die Schriften des Nikolaus von Oresme, in denen er dieses Vorgehen verurteilte, propagiert hatten. Die von den Fürsten praktizierte Vermischung von Besteuerung und Geldsystem verzögerte jedoch die Entwicklung monetärer Theorien und erweckte den Eindruck, dass Geld eine Ware sei. Usher, der im übrigen für die Vorstellung von Geld als Ware wirbt, indem er das Gebot der »Einlösbarkeit« von Geld in Ware besonders herausstellt, konstatiert, dass die monetären Praktiken der Lehnsherren einer rein warenwertorientierten Geldtheorie in vielerlei Hinsicht zusätzliches Gewicht verliehen. Die Geldpolitik (zwischen 1200 und 1700) wäre mit weniger Schwierigkeiten konfrontiert gewesen, wäre die Theorie vom Warengeld weniger tief verwurzelt gewesen. Weil sich dieses Ideal so hartnäckig hielt, wurde die Entwicklung eines funktionsfähigen Systems auf der Basis von einlösbarem Geld behindert und verzögert.11

Die mittelalterlichen Geldverleiher Vom 10. bis zum 13.Jahrhundert waren die päpstlichen Kassierer die ersten christlichen Geldverleiher. Auch reiche Klöster gewährte Darlehen, doch ab etwa 1200 taten sie dies nur noch selten. Sie konnten mit den Tempelrittern und Italienern nicht mehr konkurrieren, und die Kirche setzte ein Verbot für Wucher durch. Die Tempelritter mit ihrer Kette von Niederlassungen in der Levante waren im 13. Jahrhundert die bedeutendste Geldmacht (siehe 5. Kapitel). Mit der Unterdrückung der Templer 1307 wurde das Finanzfeld den Italienern überlassen. Von den Kreuzzügen hatten


Privatbanken

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die Templer die doppelte Buchführung mitgebracht, die dann von den Italienern perfektioniert wurde. Wie De Roover bestätigt, waren die großen italienischen Bankhäuser in allen Zentren die wichtigsten Geldverleiher und beherrschten quasi den Geldmarkt.12 Außer vielleicht für England ist die Bedeutung der jüdischen Geldverleiher im Mittelalter allgemein weit überschätzt worden: Verglichen mit dem durchschlagenden Erfolg und der weiten Verbreitung des italienischen Kreditwesens war das der Juden von geringerer Bedeutung. Je weiter ein Land wirtschaftlich entwickelt war, desto kleiner war die Zahl der dort ansässigen jüdischen Geldverleiher. So gab es beispielsweise in Flandern nie mehr als eine unerhebliche Zahl von ihnen, während sie im Osten Europas mit der Zeit immer mehr wurden. Als im 11. Jahrhundert der Handel in der Mittelmeerregion wieder aufblühte, wurden die jüdischen Geldverleiher als Mittelsmänner in den Beziehungen zur Levante nicht mehr gebraucht. Die Juden im Westen wurden zu bloßen Pfandleihern degradiert.13

Privatbanken Depositenbanken in Katalonien

Die ersten Depositenbanken wurden Anfang des 13. Jahrhunderts im spanischen Katalonien gegründet, etwa zur gleichen Zeit wie die Casa di San Giorgio in Genua. Die Aufgabe der Depositenbanken bestand im allgemeinen in der sicheren Verwahrung der Einlagen und der Ausführung von Überweisungen, nicht aber im Geldverleih. In Katalonien hingegen lieh sich die Krone beträchtliche Summen von jüdischen Geldverleihern und den Templern aus. Im Jahre 1251 wurden hier das römische und gothische Recht sowie die kirchlichen Dekretalien für ungültig erklärt.14 Diese Banken waren Privatunternehmen. Wie den Bankengesetzen von 1300/1301 zu entnehmen ist, wurde ihnen das Leben schwergemacht: »Kein Geldwechsler, der scheitern könnte, und keiner, der kürzlich oder in der Vergangenheit gescheitert ist, soll jemals wieder eine Bank führen oder ein Amt unter der Krone bekleiden können.« Und weiter: »Bis er alle Forderungen erfüllt hat, soll er bei Wasser und Brot festgehalten werden.« Dieses Gesetz wurde 1321 durch den folgenden Anhang ergänzt: »Wird keine derartige Verein-


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barung getroffen, soll der besagte Geldwechsler bankrott erklärt werden und vom Ausrufer an allen Orten seines Scheiterns und in ganz Katalonien öffentlich bloßgestellt werden. Er soll enthauptet werden, und sein Besitz soll zugunsten seiner Gläubiger vom Gericht veräußert werden. […] Weder wir noch der höchste gesetzliche Erbe, noch unsere Nachkommen dürfen den Geldwechslern vergeben, die gescheitert sind und auch künftig scheitern könnten.« In Erfüllung dieser Gesetze wurde 1360 ein Geldwechsler namens Castello vor seiner Bank enthauptet.15 Die italienischen Bankhäuser

Nur die Italiener nahmen im 14. Jahrhundert »Fremdinvestitionen« vor. Ihre wesentlichen Verleihinstrumente waren Finanzwechsel und Wechsel. Die Verzinsung risikofreier Darlehen war grundsätzlich von der Kirche verboten. Doch weil es Händler gab, die Geld aufnehmen mussten, und Bankiers, die Geld verleihen wollten, fanden sich Mittel und Wege, um das Verbot zu umgehen. Einer der Tricks bestand darin, einen bestimmten Betrag als Vorschuss auf die Währung einer bestimmten Stadt zur Verfügung zu stellen. Dieser Betrag wurde durch einen über eine höhere Summe ausgestellten Wechsel in der Währung einer anderen Stadt garantiert und nicht als Darlehen, sondern als Devisentransaktion bezeichnet. Diese Zahlungsform ist mit einem vordatierten, nach einigen Monaten zahlbaren Scheck in einer ausländischen Währung vergleichbar. Der Zins war im Unterschied zwischen der vorgestreckten Summe und der Höhe des Wechsels enthalten. Der Wechsel wurde jedoch manchmal gar nie eingelöst. Der Entleiher bezahlte dann den Kredit in lokaler Währung zurück. Dieser Vorgang wurde als »trockener Wechsel«* bekannt. Wie ein moderner Scheck musste der Wechsel den Namen des Wechselnehmers, an den die Wechselsumme zahlbar war, den Betrag, die Fälligkeit, den Namen der bezogenen Institution sowie den Namen des Zahlungspflichtigen, dessen Konto belastet wurde, aufweisen. Solche Schecks konnten auch Sichtwechsel sein, die unmittelbar bei Vorlage fällig wurden. Im 15. Jahrhundert betrug die Zahlungsfrist für diese Wechsel: * Auch: eigener Wechsel. (A. d. Ü.)


Privatbanken

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zwischen Florenz und London – 3 Monate, Florenz und Brügge – 2 Monate, London und Brügge – 1 Monat. Kein schlechter Schnitt, wenn man bedenkt, dass es heutzutage bis zu vier Wochen dauern kann, bis ein Scheck zwischen Deutschland und der Schweiz eingelöst ist. Die Struktur der italienischen Handelsbanken

Jeder italienische Stadtstaat handelte seine eigenen Handelsabkommen aus. Die wichtigsten italienischen Handelsstädte waren Venedig, Genua, Florenz, Mailand und Lucca sowie die berüchtigten Städte Asti und Chieri. Die eigentliche Stärke der Italiener war ihre Fähigkeit, Finanzen und Warenhandel miteinander zu kombinieren. Ihre Handelshäuser waren zunächst zentralistisch als ein Stammhaus mit verschiedenen Zweigniederlassungen organisiert. Später wurden viele Häuser, zum Beispiel die Florentiner Medici, in je eine juristisch selbständige Partnerschaftsgesellschaft für das Stammhaus und jede Zweigstelle aufgesplittert. In jeder dieser Gesellschaften hielt ein älteres Familienmitglied den Mehrheitsanteil. Bei den Geschäften dieser Filialen untereinander galten die normalen Provisionen und Zinssätze; entscheidend war, dass sie ihre Geschäfte gegenseitig förderten. 1458 besaßen die Medici weltweit sieben Niederlassungen. Ihre jeweiligen Leiter erhielten einen Teil der Gewinne, investierten aber auch Kapital. Sie gingen alle zwei bis drei Jahre zur Berichterstattung nach Florenz. Diese Filialen waren keine großen Häuser mit vielen Angestellten. Zum Kapital der Partnerschaftsgesellschaften, das diesen selbst gehörte, kamen zurückbehaltene Gewinne hinzu. Außerdem nahmen sie bevorzugt Zeiteinlagen von wohlhabenden Italienern – darunter auch Kleriker und Fürsten – entgegen, für die sie im voraus festgelegte Kapitalerträge von 7,5 bis 10 % ausschütteten. Jahreszeitliche Schwankungen der Kurse

Kaufleute und Bankiers kannten die Schwankungen im Handel, die auf die jahreszeitlich festgelegten Segeltermine der venezianischen Flotte von und zu den verschiedenen Handelszentren zurückzuführen waren. In seinem Handbuch für Kaufleute empfahl Uzzano den


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Handelspartnern deshalb, nicht erst auf aktuelle Situationen zu reagieren, sondern sich auf diese vorzubereiten. Ehrenberg zufolge wussten die Florentiner Mitte des 15. Jahrhunderts sehr genau, wann sie in den unterschiedlichen Märkten mit den regelmäßig wiederkehrenden Phasen von knappem und reichlichem Geld zu rechnen hatten. Da sie gleichzeitig auch Geldverleiher waren, konnten sie ihren Büchern entnehmen, wann hohe Beträge fällig waren. Eine Phase der Geldknappheit würde dann ausgelöst, wenn die Entleiher ihre Darlehen zurückzubezahlen hatten und somit dem Markt flüssiges Geld entzogen. Geldreiche Phasen folgten gleich nach der Rückzahlung hoher Beträge, denn dies versetzte die Verleiher in die Lage, wieder neue Darlehen zu vergeben. Die Kurzsichtigkeit früher Bankiers

Zwar wird viel Aufhebens vom Geldmissbrauch der Könige und Fürsten gemacht, doch wird dabei leicht übersehen, dass es die Privatbanken oft noch viel schlimmer trieben. 1339 waren die Florentiner Medici ruiniert, weil sie sich bei der Kreditvergabe an König Eduard III. von England übernommen hatten. König Eduard III. war nämlich nicht in der Lage, seine Schulden über etliche Millionen Goldflorin an sie zurückzuzahlen, nachdem der Krieg gegen Frankreich für England schlecht ausgegangen war. Als Folge davon geriet Florenz in Aufruhr. Die Zünfte übernahmen die Regierungsgewalt, vertrieben die Bankiers und beschlagnahmten ihren Besitz. Die cleveren Medici gaben jedoch nicht auf und gewährten Eduard IV. ein Darlehen für seine »Rosenkriege«. Gleichzeitig vergaben sie auch ein Darlehen an die von Eduard bekämpften Rebellen – für alle Fälle. Doch 1564 waren die Rebellen tot und Eduard ruiniert. Damit war die Londoner Filiale der Medici bankrott. Die Lombarden

Die Lombarden waren im wesentlichen Pfandleiher, die gegen Hinterlegung eines Pfands aus dem Privatbesitz ihrer Kunden Darlehen vergaben. Sie waren in ganz Europa tätig, wurden aber nicht privilegiert, sondern nur geduldet. Ihre Situation war ähnlich wie die der Juden: Sie wurden überall verachtet, in der Regel aus allen Ländern vertrieben und gelegentlich, wenn auch viel seltener, grausam umgebracht.


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Sie verwahrten auch Geldeinlagen auf Zeit, für die sie Zinsen zahlten, und verwendeten das Kapital für die Pfandleihe. Der finanzielle Ruin ihrer Kleinanleger ließ sie häufig bankrott gehen. Wie die Juden berechneten die Lombarden gewöhnlich 43,5 % Zinsen im Jahr. Die mittelalterlichen Pfandhäuser waren ideale Orte der Hehlerei, an denen Diebesgut billig aufgekauft und danach zu normalen Preisen weiterverkauft wurde. De Roover bemerkt hierzu, die Lombarden seien von so viel Abscheu umgeben gewesen, dass andere Italiener nicht gerne mit ihnen verkehrten.16

Staatseigene Banken Im Jahre 1400 wurde in Barcelona eine städtische Depositenbank als Abteilung der Stadtverwaltung, die für ihre Verbindlichkeiten haftete, gegründet. Die Bank sollte Kontoüberziehungen nur der Stadt gestatten, räumte aber auch städtischen Funktionären großzügige Überziehungskredite ein. Die Bank von Barcelona hatte keine Monopolstellung, da es neben ihr auch Privatbanken gab. Um 1433 schien das Verhältnis des Schuldenkapitals zum Eigenkapital der Bank bei 3 : 1 zu liegen, betrug aber in Wirklichkeit ungefähr 10 : 1, weil die Bank der Stadt und anderen Kunden gegenüber Überziehungskredite genehmigt hatte, die ihre verfügbaren Einlagen um das Zehnfache überstiegen!17 Während der schweren Silberknappheit von 1468 (siehe Seite 84 f.) zwang ein akuter Münzgeldmangel die Bank zur Aussetzung ihrer Zahlungen. Sie stellte allen Deponenten jährliche Rentenzahlungen zu 5 % in Aussicht. Aufsichtsbeamte gerieten mit ihrer Buchprüfung so sehr in Verzug, dass die Kontrolle der Bücher stets um Jahre hinterherhinkte.

Die große Entdeckung: Banken schöpfen Geld Sowohl die Templer als auch die italienischen Handelsbankiers sowie die großen deutschen Leihhäuser mussten schnell erkannt haben, dass sie über die Macht verfügten, mit dem »bargeldlosen Zahlungsverkehr« Geld abzuschöpfen.


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Die Banken nahmen Einlagen entgegen, für die sie im allgemeinen Zinsen zahlten, und gaben gegen höhere Zinsen Darlehen aus oder verwendeten das Geld zum Ankauf von Wechseln (vordatierten Barschecks) unter Abzug eines Zinses. Einlagen wurden entweder in Form von Münzen oder Wechseln vorgenommen. Im Falle einer Wechseleinlage konnte das Geld auch in Münzen eingetrieben werden. Die Darlehen wurden nicht zwingend in Münzen ausbezahlt, sondern konnten auch in Form einer Gutschrift auf das Konto des Kreditnehmers in die Bücher der Bank eingetragen werden. Der Kreditnehmer konnte über dieses Konto Schecks ausstellen, die wiederum nicht unbedingt eingelöst werden mussten, sondern einem anderen Konto bei derselben Bank gutgeschrieben werden konnten. Nachdem die Bankkunden dazu übergegangen waren, ihre Geschäfte nicht mehr mit Münzgeld, sondern mit Wechseln (Schecks) abzuwickeln, konnten die Banken die scheinbar umlaufende Geldmenge durch diese Gutschriften um ein Vielfaches vergrößern. Diese Möglichkeit stellte in vieler Hinsicht eine bedeutendere monetäre Macht dar als die Kontrolle der Könige über die Münzstätten. Das »Bankengeld« war im Vergleich zu den Edelmetallmünzen eine viel autonomere Geldform und unterschied sich viel stärker vom primitiven Tauschhandel. Doch die Bankiers gaben sich selber zu Unrecht ein Privileg, das sich aus der Gesellschaft ableitet, das nur diese vergeben kann, und benutzten diese Befugnis zu ihrer persönlichen Bereicherung. Zum einen stellten sie ihre eigenen Wechsel zur Verwendung in ihren eigenen Geschäften aus. Zum anderen schöpften sie das Geld für die von ihnen ausgegebenen Darlehen durch einen buchhalterischen Akt und verlangten dafür auch noch Zinsen! Sie entzogen der Gesellschaft Waren und Geldmittel, ohne selbst einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Dieses Vorgehen war inflationär, und da auf betrügerische Weise vorgetäuscht wurde, dass die Bankpapiere in Metall eingelöst werden könnten, brach das System in dem Moment in sich zusammen, da mehr Wechsel ausgestellt waren, als die Banken Münzen in Reserve hielten. Man kann sicherlich behaupten, dass diese unrechtmäßige Aneignung eines Vorrechts der Gesellschaft so lange gerechtfertigt war, als Byzanz über Jahrhunderte einen akuten Geldmangel in Europa verursachte und sowohl das Fachwissen als auch die gesetzlichen


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Grundlagen für die Einführung eines effizienten Geldsystems verkümmert waren. Die Geldlehre war verlorengegangen. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass solches Bankengeld vor allem dort entstand, wo Geld bereits in Hülle und Fülle vorhanden war.18 Diese Form der Bankgeschäfte griff im ausgehenden 13. Jahrhundert immer mehr um sich, und die Darlehen der Banken überstiegen vor allem aufgrund der Überziehungen immer mehr ihr Kapital und ihre Einlagen. De Roover stellt fest, dass diese Bankgeschäfte auch von bestimmten Klöstern und vor allem von den Tempelrittern vorangetrieben wurden. Im Jahre 1409 beliefen sich beispielsweise die Reserven in Münzen der Casa di San Giorgio in Genua nur noch auf knapp 10 % der Einlagen. Diese Schöpfung von Geldeinlagen wurde in keiner Weise reguliert. Zwar unterwarf sich die Zunft der Bankiers zeitweise einer Art »freiwilliger Selbstkontrolle«, doch bezog sich diese vor allem auf die korrekte Buchführung. In Florenz beispielsweise mussten die Einträge in die Bücher vorgenommen werden, bevor der Kunde das Bankgebäude wieder verließ. Außerdem mussten die Einträge in römischen Ziffern geschrieben werden, da arabische Ziffern zu leicht zu fälschen waren. Herausgerissene Buchseiten wurden mit großem Misstrauen beäugt. Lücken oder Streichungen waren nicht erlaubt. Die Zunft verhängte Bußgelder und meldete alle Regelverstöße der Stadtverwaltung. Eine grundsätzliche Diskussion über dieses Vorgehen, eine Auseinandersetzung mit Moral oder Unmoral dieser Art der Geldschöpfung, sucht man in den Quellen allerdings vergeblich. Die Tatsache, dass man der Gesellschaft Werte entzog, ohne dafür irgendeine Gegenleistung zu erbringen, wurde nicht hinterfragt. Trotz aller Probleme, die im Zusammenhang mit den königlichen Münzstätten, den Stadtrepubliken, den stadteigenen Banken und den Privatbanken auftraten, stellte diese Entwicklung eine wohltuende Dezentralisierung des Geldwesens und somit eine klare Abkehr von der Beengung und Härte des jahrhundertelang vorherrschenden byzantinischen Geldsystems dar. Mit dem intensiven Ausbau des Geldumlaufs in fernab von Konstantinopel gelegene Regionen wurde die industrielle und wirtschaftliche Entwicklung gefördert. Bauern begannen, ihr Land zu kaufen. Die Zinssätze fielen von


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20–22 % im Jahre 1200 auf 5–8 % 1350. Die Einkommen in der Stadt Florenz stiegen zwischen 1240 und 1343 um das Elffache! Florenz prägte jährlich 350 000 bis 400 000 Goldflorin, die zur Standardwährung in ganz Europa wurden.19 Das »finstere Mittelalter« war vorbei.

Die Fugger Als nächste kamen die Fugger auf, die berühmten deutschen Geldverleiher aus Augsburg. Im frühen 16. Jahrhundert wurden sie einflussreicher als die mächtigen Medici. Die Fugger hatten das Geldverleihgeschäft von den Italienern gelernt. 1367 hatte der Weber Hans Fugger mit 3000 Florentiner Gulden das Fuggersche Handelshaus gegründet. Sein Urenkel Jakob Fugger II., der die Fugger weltberühmt machte, sollte ursprünglich Priester werden, entschied sich aber im Alter von 14 Jahren für den Beruf des Kaufmanns. Seine Ausbildung erhielt er im Fondaco dei Tedeschi, dem Haus der deutschen Kaufleute in Venedig. 1488, kurz nach der schlimmsten Phase des Silbermangels in Europa, brachten die Fugger die Silberminen im Tirol, dem damals größten Silbervorkommen Europas, unter ihre Kontrolle, indem sie dem Erzherzog 150 000 Gulden liehen. Durch familiäre Beziehungen machten sie ihren Einfluss in der Augsburger Münzstätte geltend und verfügten fast 100 Jahre lang über das Münzrecht.20 Die Kontrolle über die Silbergewinnung sowie über die Silberprägung brachte den Fuggern einen enormen Machtgewinn im monetären Bereich. Ab 1525 waren sie die einflussreichsten Finanziers in Europa. Für kleine Darlehen berechneten sie bis zu 30 %, für große Darlehen dagegen nur 2 % Zinsen. Sie unterhielten einen großflächigen Kurierdienst, der sie immer über alle wichtigen politischen und finanziellen Neuigkeiten informierte. Die Wechsel der Fugger galten als ebenso sicher wie Gold und wurden zu einem verbreiteten Wertpapier im täglichen Handel. Die Fugger waren weltweit tätig. Sie hatten eine Niederlassung in Antwerpen und eine Vertretung in Indien. Das Fuggersche Handelshaus blieb über mehrere Generationen hinweg fest in den Händen der männlichen Fugger-Erben. Die Fuggerinnen erhielten eine großzügige Mitgift.


Die Fugger

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Zu den Kreditnehmern der Fugger zählten Kaiser Maximilian, Königin Elisabeth I. und verschiedene Fürsten und Kleriker. 1519 unterstützten die Fugger Karl V., den Enkel Kaiser Maximilians und König von Spanien, in seinen Bemühungen, Kaiser zu werden. Sein Hauptgegner war der König von Frankreich, Franz I. Die Bestechung des Wahlgremiums (der Kurfürsten) kostete Karl 850 000 Florentiner Gulden; 543 000 schossen ihm die Fugger vor, 143 000 die Welser, 165 000 Gulden Kaufleute aus Genua und Florenz. Dem Kurfürsten von Brandenburg hatte Franz eine reiche Französin mit großer Mitgift angeboten, die Fugger stachen ihn mit Maximilians Enkelin und einer Summe von 300 000 Rheingulden aus. Man kann deshalb mit gutem Recht sagen, dass Karl nicht eigentlich eine Wahl, sondern viel eher eine Auktion der Stimmen des Wählerkollegiums gewann.21 Der über seine Niederlage verärgerte Franz wurde nun Karls großer Gegenspieler. Beim Feilschen um die Unterstützung von Schweizer Söldnern konnte er Karl überbieten, da dieser seit seiner Wahl hoch verschuldet war. Karl blieb jahrzehntelang Schuldner der Fugger; nur durch Verpfändung seiner Bergwerke im Tirol und den Abbau von Quecksilber in Almadén konnte er einen Teil seiner Schulden tilgen. Dennoch beliefen sich die Gewinne der Fugger in diesem Zeitraum, zwischen 1511 und 1527, auf 1,824 Millionen Gulden.22 Zuweilen mischten sich die katholischen Fugger auch in kirchliche Angelegenheiten ein. Für seine Ernennung zum Mainzer Erzbischof musste Albrecht von Brandenburg dem Papst 30 000 Dukaten zahlen, die er sich von den Fuggern auslieh. Für weitere 10 000 Dukaten übertrug ihm der Papst das Ablassgeschäft in Sachsen. Deshalb musste sich der Ablassprediger Johannes Tetzel beim Verkauf seiner Ablasszettel die Begleitung eines Vertreters der Fugger, der den Schlüssel der Geldkiste verwahrte, gefallen lassen. Wenn die Kiste voll war, ging der gesamte Inhalt an diese. Die Hälfte davon zahlten sie an die Kurie, die andere Hälfte behielten sie zur Rückzahlung ihrer Darlehen. Mit Luthers Protest gegen den Ablasshandel begann die Reformation.23 Die Geschäftstätigkeit der Fugger verlangte offenbar nach enger persönlicher Überwachung: Als seine Nachkommen 1548 nicht in seine Fußstapfen treten wollten, liquidierte Anton Fugger einen


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beträchtlichen Teil seines Unternehmens. Um 1564 war Johann Jakob Fugger in großen Schwierigkeiten. Die Eröffnung der Kaproute hatte die europäischen Handelsbeziehungen völlig verwandelt. Seine Darlehen für Spanien hatten nicht den erhofften Gewinn gebracht, und seine Burgen und sein sonstiger Besitz wurde beschlagnahmt. Die Fugger waren wie alle Geldverleiher äußerst unbeliebt, und obwohl ihr Motto »Schweigen ist Gold« bis heute überlebt hat, haben sie zumindest der englischen Umgangssprache einen noch bedeutsameren Beitrag hinterlassen: Das Verb »fuggern« (Handel treiben) hatte in der Umgangssprache zudem eine negative Konnotation im Sinne von Wucherei oder unsauberen Geschäftspraktiken.24 Nach Ansicht von Ehrenberg leitet sich vom Namen der Fugger auch das englische Schimpfwort fucker ab.

Die Welser, Hochstetter und Tucher Die Augsburger Welser waren die zweitgrößten deutschen Geldverleiher. Wie die Fugger blieben auch sie der katholischen Sache treu. Im Unterschied zu diesen versuchten sie jedoch, bei der Kreditvergabe an Kriegsparteien immer neutral zu bleiben, wodurch sie allerdings nur die Feindschaft beider Seiten auf sich zogen. Die Welser hielten sich bis 1620, ihre Ulmer Filiale bestand noch bis ins 20. Jahrhundert hinein fort. Während die Fugger mit ihrem Versuch scheiterten, einen Großteil von Chile zu erobern, gelang es den Welsern tatsächlich, eine Provinz in Venezuela unter ihre Kontrolle zu bringen. Von ihrem Namen leitet sich wahrscheinlich das englische Verb to welsh (on a debt) ab. Es bedeutet: sich davor drücken, seine Schulden zurückzuzahlen. Auch die Augsburger Hochstetter, die drittgrößten Finanziers jener Zeit, waren katholisch. Sogar ihre eigenen Geschäftspartner beklagten sich bitter über deren gefälschte Bilanzen. Auch sie bereicherten den englischen Wortschatz, und zwar mit dem Ausdruck to go into hock, sich in Schulden stürzen. Von den Tuchern aus Nürnberg schließlich stammt wohl die englische Wendung to put the touch on someone: jemanden um Geld anschnorren. Das letzte Wort soll der dreiste Jakob Fugger mit seinem selbst


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verfassten Epitaph vom Januar 1526 haben: »Dem allmächtigen und gütigen Gott! Jakob Fugger aus Augsburg, Zierde seines Standes und seines Landes, Kaiserlicher Berater unter Maximilian I. und Karl V., unübertroffen in Erwerb von Wohlstand, in Großzügigkeit, in der Reinheit des Lebens und in der Größe der Seele. So unvergleichlich er unter den Lebenden war, so beispiellos wird er unter den Toten sein.«

Brügge: die treibende Kraft im Norden Das flämische Brügge war die Handelshauptstadt des Nordens. Flandern war die am dichtesten besiedelte Region Europas und berühmt für feines Tuch, das nach verbesserten römischen Methoden hergestellt und weltweit verlangt wurde. In Brügge gab es drei verschiedene Gruppen von Geldhändlern: die italienischen Handelsbanken, die lombardischen Pfandleiher und die flämischen Geldwechsler. Die Lombarden wurden Anfang des 17. Jahrhunderts aus Brügge vertrieben. Die italienischen Handelsbanken waren sowohl am Handel als auch an Bankgeschäften beteiligt, abgesehen von den Florentinern, die sich ganz auf finanzielle Aktivitäten konzentrierten. Sie vergaben Darlehen nicht gegen Zinsen, sondern nutzten den Wechselmechanismus aus, um dasselbe Resultat zu erzielen. Die Umsätze aus ihren Wechselkreditgeschäften waren viel größer als die Umsätze aus dem Warenhandel. In Brügge war es üblich, Wechsel mit Banküberweisungen und nicht in barer Münze zu bezahlen.25 Anstatt Münzen auszuzahlen, schrieben die Banken die Geldbeträge den Konten der Zahlungsempfänger gut, ganz so, wie dies in der Regel auch heute geschieht. Europas erste große Börse wurde in Brügge gegründet. Die flämische Bezeichnung »Burse« war der Nachname flämischer Wirtsoder Kaufleute, deren Haus flämische Wertpapierhändler im 13. und 14.Jahrhundert häufig besuchten. Brügges Münzgeld

Brügge prägte Silbermünzen mit dem Namen Groat (nach dem venezianischen Grosso). 1356 hatte der Groat einen Feingehalt von 1,82 Gramm Silber. 1467, als die Silberknappheit in Europa ihren Höhe-


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punkt erreicht hatte, enthielt er nur noch 0,71 Gramm. Brügge besaß eine offene Münzstätte, die alles angebotene Silber annahm, um es zu gestempelten Silberbarren umzuschmelzen, die von den Händlern der Hanse bevorzugt wurden. Für kleines Wechselgeld war in Brügge ferner auch eine Kupfermünze, der Mite, in Umlauf, der offiziell mit 1⁄24 eines Silbergroats bewertet wurde. Die Herstellungskosten des Mites beliefen sich auf etwa die Hälfte seines Münzwerts. Die fämischen Geldwechsler

Gegen 1325–1350 war der Umtausch einer Währung in eine andere der flämischen Geldwechslerzunft vorbehalten. Damals war es für Kaufleute und Privatpersonen üblich geworden, ihre überschüssigen Münzen zur Sicherheit bei Geldwechslern zu hinterlegen. Die Wechsler verwendeten das Geld, um ihre Geschäfte auszuweiten, betrieben also eine Art von Depositenbanken, zunächst ohne den Einlegern davon etwas zu sagen. Später wussten diese davon und waren damit einverstanden, solange sie jederzeit über ihr Geld verfügten konnten. Die große Mehrheit der Konten war klein. Die Aufträge an die Geldwechsler erfolgten mündlich. Die Einlagen wurden nicht verzinst. Offenbar wurden auch für Kontoüberziehungen keine Zinsen berechnet! Hingegen mussten den Geldwechslern Gebühren bezahlt werden.26 Die Brügger Geldwechsler bzw. Bankiers überwiesen Gelder von Konten ihrer Kunden intern auf Konten anderer Kunden. Außerdem nahmen sie Überweisungen an Kunden anderer Geldwechsler vor. Zu diesem Zweck hatte jeder Geldwechsler bei jedem anderen Geldwechsler ein Konto, auf das je nachdem eine Gutschrift oder Lastschrift einging. Nach Ansicht von De Roover war diese Form des Verrechnungsmechanismus seit 1200 auch in Genua gebräuchlich.

Die Hanse Während die Italiener Brügge mit dem Süden und der Mittelmeerregion verbanden, stellten die Hanseaten eine Verbindung zum Osten und dem Ostseeraum her. Städte aus dem Norden und der Mitte Deutschlands schlossen sich zu einem mächtigen Handelsbündnis, der Deutschen Hanse, zusammen.


Die Hanse

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Das althochdeutsche Wort »Hansa« bedeutet »Kriegerschar«. Mitglieder der Hanse waren nicht einzelne Kaufleute, sondern Städte. Die Gründung der Hanse geht wohl auf die Initiative Lübecks zurück (gegründet 1143), das rasch zu einem wichtigen Umschlagplatz für den Ostseehandel wurde. Den Kern der Hanse bildeten die wendischen Städte unter der Leitung Lübecks. Weitere bedeutende Hansestädte waren Köln, Bremen, Braunschweig, Danzig und Visby. Die Mitgliedschaft erfolgte durch Antragstellung der Städte. Nicht Zwang, sondern Eigeninteressen hielten das Bündnis zusammen. In ihrer Blütezeit um 1450 zählte die Hanse ungefähr 180 Mitgliedstädte. Die Aktivitäten der Hanse

Die Hanse beschützte ihre Kaufleute in ausländischen Häfen und handelte besondere Privilegien für sie aus, vor allem Steuerbegünstigungen. Sie hatte vier Hansekontore:* Brügge, London, Nowgorod (Russland) und Bergen (Norwegen). Diese Kontore dienten als Handelsaußenposten, Warenlager, Hotels und waren mit Ausnahme von Brügge befestigt. In Nowgorod zum Beispiel befand sich das Kontorgelände in der Steinkirche St. Peter, die von Palisaden umzäunt war und nur einen Eingang hatte. Die Kirche beherbergte die Kasse und Wägevorrichtungen und diente zeitweise auch als Warenlager. Die wichtigste Handelsroute der Hanse verlief entlang der Linie Nowgorod–Reval–Lübeck–Hamburg–Brügge–London. Während in den Osten vor allem flämisches Tuch exportiert wurde, führte der Westen hauptsächlich Pelze, Wachs und orientalische Luxusgüter ein. Die hanseatischen Kaufleute waren in unabhängigen Genossenschaften organisiert. Ihre Mitglieder, Kaufleute aus verschiedenen Städten, verband das gemeinsame Interesse an mannigfaltigen Handelsunternehmungen. Der Handel war in erster Linie Seehandel, und die Hanse besaß jahrhundertelang das beste Schiff der Ostsee: die Kogge, zirka 27 Meter lang, 6 Meter breit und 3 Meter tief. Sie war mit Segeln und Rudern ausgestattet und hatte ein Fassungsvermögen von 30 Tonnen. Dem Kapitän – nur verheiratete Männer mit Kindern zu Hause wurden als Kapitäne zugelassen – gehörte in der * D. h. genossenschaftlich organisierte, privilegierte Handelsniederlassungen von Kaufleuten der Deutschen Hanse im Ausland. (A. d. Ü.)


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Regel zwischen einem Achtel und einem Viertel des Schiffes. Fahnenflüchtige Matrosen wurden mit dem Tod bestraft. Ab etwa 1400 waren alle Schiffe verpflichtet, Logbuch zu führen. Gegenüber ihren Handelspartnern brachte die Hanse folgende Methoden zum Einsatz: Verhandlung, Unterdrückung des Handels, Wirtschaftsblockaden und Krieg. Im Jahre 1280 zwang die Hanse Brügge, ihr wichtigstes Kontor, in die Knie, indem sie die Zentrale in eine andere flämische Stadt verlegte. Um sie zurückzuholen, war Brügge gezwungen, weitere Zugeständnisse zu machen. Diese Übung wurde in späteren Jahren noch mehrmals wiederholt. 1284 blockierte die Hanse Norwegen und löste dadurch gezielt eine große Hungersnot aus. Als die Blockade schließlich wieder aufgehoben wurde, zwang die Hanse das Land, sie für die Gewinne zu entschädigen, die ihr während der Blockade entgangen waren. Die Hanse konnte ab etwa 1370, nachdem sie sich mit dem Deutschen Orden (auch: Deutschritterorden) assoziiert hatte, auch mit militärischen Mitteln kämpfen. Die Deutschritter waren die stärkste Gruppierung innerhalb der Hanse und ihr größter Schiffseigner. Der Hochmeister des Ordens war das einzige fürstliche Mitglied unter den Hanseaten. Die Hanse hatte keine monetären Befugnisse

Die Hanse hatte keinen formalrechtlichen Status, abgesehen von ihrer Hauptversammlung, dem erstmals 1356 einberufenen Hansetag. Der Hansetag trat zwar unregelmäßig zusammen, traf jedoch alle Entscheidungen über die Ratifizierung von Verträgen, Verhandlungen mit dem Ausland und Kriegs- oder Blockadeaktionen. Er konnte auch für alle Mitglieder verbindliche finanzielle und wirtschaftliche Vorschriften aller Art erlassen. Trotzdem besaß die Hanse keinerlei monetäre Befugnisse. Diese Tatsache spricht klar gegen die These, dass das Geld seinen Ursprung im Handel habe. Dollinger zufolge war die Hanse nicht in der Lage, die Vereinheitlichung der verschiedenen Geldsysteme in ihrem Einflussbereich auch nur in Erwägung zu ziehen; und das, obwohl die Währungsvielfalt den hanseatischen Handel ernsthaft behinderte.27 Die im Einflussbereich der Hanse am weitesten verbreiteten Währungen waren die Lübecker Mark, das flämische Groschenpfund


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und in geringerem Maße das englische Pfund Sterling. Die Lübecker Goldmark entsprach dem venezianischen Golddukaten. Hanseatische Händler verwendeten auch gestempelte Silberbarren. In der Zeit nach 1350 führte der Wille, die Währungen zu vereinfachen, zu monetären Abkommen zwischen verschiedenen Städten. Von Bedeutung war allerdings nur ein einziges, nämlich das 1379 zwischen den wendischen Städten Lübeck, Hamburg, Wismar und Lüneburg geschlossene Abkommen. Vorübergehend traten auch andere Städte bei. Dieses monetäre Bündnis unterschied sich grundlegend von der Hanse: Es umfasste auch Städte, die nicht zur Hanse gehörten, und seine Versammlungen fanden an anderen Orten und zu anderen Zeiten statt, als dies bei der Hanse üblich war. Wenn die Hanse rechtskräftige monetäre Beschlüsse fasste, dann nur auf Anweisung dieses wendischen Bundes. Seine größte Errungenschaft war um 1500 die Prägung einer 18 Gramm (290 Gran) schweren Silbermünze mit den Wappen der vier Städte im Bund. Der wendische Bund verfügte über keinerlei Druckmittel zur Erreichung seiner Ziele.28 Ihre Blütezeit erlebte die Hanse um 1450, als die dänische Schifffahrt schneller und billiger wurde. Die Auseinandersetzungen um die Reformation setzten der Hanse schwer zu; einige Hansestädte unterstützten, andere bekämpften diese. Ab 1630 fiel die Hanse langsam auseinander; 1669 fand der letzte Hansetag statt. Die Hanse war sehr straff und konservativ organisiert. Die Hanseaten wurden als »die Kaufleute des Heiligen Römischen Reiches« bezeichnet, und die Deutschritter waren die Hauptwerkzeuge des Papstes bei der Christianisierung oder Vernichtung der heidnischen Goten. Die Hanseaten hatten große Vorbehalte gegen die Verwendung von Kredit im Handel und ließen auch keine Warentermingeschäfte zu. So verboten sie den Verkauf von Hering, bevor er gefangen wurde, von Getreide, bevor es gewachsen war, und von Stoff, bevor er gewoben war. Der große 150-jährige Krieg gegen Kredit

Seit Ende des 14. Jahrhunderts wütete eine schwere Auseinandersetzung zwischen der Hanse, die zusammen mit dem Haus Burgund ein Handelssystem auf der Grundlage von Bargeld favorisierte, und den Italienern, Süddeutschen, Engländern und anderen, die für die Kreditverwendung im Handel eintraten. Diese Kampagne gegen den


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Kredit wurde damit begründet, dass Kredite Preisinstabilität schaffen und die Geschäfte stören würden. Mal würde es ein Verkäufer vorziehen, eine Ware mit Verlust zu verkaufen, um dafür einen sofort verfügbaren Bargeldkredit zu erhalten; mal würde er einem Kredit zu schlechten Konditionen zustimmen, wenn er dadurch eine Zahlung verschieben konnte. Kredit, so ein weiterer Vorwurf der Hanse, erhöhe auch die Risikobereitschaft und, schlimmer noch, begünstige die unlauteren Geschäftspraktiken skrupelloser Kaufleute, was dem guten Ruf der Hanse schade.29 Die Kreditgeschäfte der Italiener beunruhigten die Hanseaten. Dollinger zufolge erkannte die Hanse die finanzielle Macht der Italiener und ihre überlegenen Geschäftspraktiken. Sie begegneten ihnen in Köln, bei den Handelsmessen in der Champagne, später in England, Frankfurt und in Brügge. Deflation in Brügge

Der 150 Jahre dauernde Krieg gegen die Kredite auf dem Schlachtfeld Brügge war im Jahre 1389 vom Hause Burgund ausgelöst worden: Als Reaktion auf eine durch Kreditausweitung verursachte inflationäre Periode schlug Burgund eine harte Geldpolitik ein, die eine schwere Deflation zur Folge hatte. Diese Deflation war nach Ansicht von De Roover verheerender als die vorangegangene Währungsinflation.30 Nutznießer der Deflation waren der Landadel, der Klerus und die Verpächter. Pachtzinsen, die in ihrer Höhe gleichgeblieben waren, wurden nun in höherwertigem Geld bezahlt. Im Dezember 1390 wurde deshalb der Stadtkämmerer von Brügge von einer aufgebrachten Volksmenge fast gelyncht, woraufhin die Pachtzinsen umgehend durch ein Gesetz herabgesetzt wurden. Zehn Jahre später kam in Brügge eine weitere Deflation auf. Die Stadt verfügte damals, dass nach dem 2. Oktober 1399 alle Wechsel in Münzen und nicht durch Gutschriften auf Bankkonten bezahlt werden mussten. Dies schränkte die Geldschöpfungsmacht der Banken erheblich ein. Eine weitere Verordnung sah vor, dass alle Devisenwechsel in Gold bezahlt werden mussten; Silber wurde innerhalb eines Jahres in drei Stufen aus dem Verkehr gezogen. Durch die Demonetisierung des Silbers verschwand ein Großteil der Geldmenge, was wiederum de-


Die Hanse

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flationäre Auswirkungen hatte. Die Verordnung erwies sich schnell als nicht umsetzbar, musste abgeändert werden und wurde wenig später, im September 1401, aufgehoben. Erst jetzt beteiligte sich auch die Hanse an der Auseinandersetzung. Sie forderte und erreichte die Abschaffung der Kredittransaktionen, 1401 sogar in Flandern. Lübeck verbot drei Jahre lang alle mit Ausländern getätigten Kreditkäufe und -verkäufe in Flandern. 1411 musste bei allen importierten Waren mit einem Begleitschein nachgewiesen werden, dass sie in Flandern gegen Bargeld gekauft wurden.31 1433 unterdrückte die Stadt Brügge alle in- und ausländischen Bankiers. Ihnen wurden alle möglichen Verstöße gegen das Allgemeinwohl vorgeworfen. Sie wurden beschuldigt, die Währung durch Auslese zu verknappen, Barren an ausländische Münzstätten zu versenden und die unterwertigen Währungen aus diesen Stätten in Brügge in Umlauf zu bringen. Dass die Banken einen beträchtlichen Teil der gesamten Geldbestände in ihrem Säckel angehäuft hatten, erleichterte ihnen zweifellos die Geldverknappung durch Auslese.32 Zwar beschrieben die Herzöge von Burgund und die Hanse einige Aspekte der Kreditschöpfung der Banken sehr exakt, doch sie betrachteten diese Aktivitäten zu keinem Zeitpunkt als das, was sie waren: eine unrechtmäßige Aneignung der gesellschaftlichen Geldbefugnisse. Für die Bankiers hatte diese Politik schlimme Folgen. 1468 verkauften die Medici ihre Brügger Niederlassung an ihre lokalen Geschäftspartner. 1488 wurde das Unternehmen aufgelöst. Der Niedergang Brügges

So hatten die Herzöge von Burgund und die Hanse die Schlacht gegen die Kredite gewonnen – aber sie verloren den Krieg. Größere Banken operierten weltweit und waren flexibel. Als sich im Jahre 1503 mit der Öffnung der Seeroute um das Kap der Guten Hoffnung eine günstige Gelegenheit bot, gingen sie von Brügge weg und verlegten ihre Aktivitäten nach Antwerpen. Brügge verlor zusehends an Bedeutung, seine Kanäle füllten sich mit Schwemmsand. Heute ist Brügge eine reizende Stadt in Belgien, mit vielen Parks, farbenprächtigen alten Kanälen und sehr aggressiven Schwänen. Der Niedergang Brügges fiel in die gleiche Zeit, in der sich die


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Der Kampf um die monetäre Vorherrschaft in der Renaissance

wirtschaftliche Vorherrschaft Europas vom Mittelmeerraum auf die Nordseeregion verlagerte. Doch vor einer näheren Betrachtung dieser Entwicklung soll zunächst noch dargelegt werden, wie das von Byzanz unabhängige Europa bestimmte wirtschaftliche Theorien und Prinzipien, vor allem den Begriff des Wuchers, begründete.


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7. Kapitel

Scholastiker und Reformatoren

Würden die Menschen den Wucherern gegenüber verstummen, so würden die Steine weinen, wenn sie könnten. W  A (gestorben 1231)

Seit dem Fall Konstantinopels im Jahre 1204 verlor der byzantinische Kaiser (Basileus) und institutionelle Nachfolger des Pontifex maximus endgültig die Kontrolle über die Geldmacht. Die alte Weltordnung war zusammengebrochen. Drei östliche Ableger des Reiches versuchten vergeblich, an der monetären Vorherrschaft festzuhalten. Auch die Nachfolgerin des Reiches im Westen, die katholische Kirche, konnte die Geldmacht nicht wiederherstellen, weil sich nun die Könige des Goldmünzrechts bemächtigten. Als Papst Bonifatius VIII. (Papst von 1294 bis 1303) an Philipp den Schönen schrieb, dass er ihn als »Untertan sowohl in geistlichen als auch in weltlichen Belangen« beanspruche, erwiderte Philipp, »Ihrer Torheit zur Kenntnis, sind wir in weltlichen Belangen niemandem untertan«. Del Mar konstatiert, diese Bemerkung habe den letzten Funken des Cäsarenreiches zum Erlöschen gebracht.1 Doch spielte die Religion weiterhin eine herausragende Rolle im Wirtschaftsdenken und -leben. Die Kirche arbeitete auf diesem Gebiet vor allem mit moralischen Überzeugungsmechanismen. Zu ihren mächtigsten Instrumenten zählten die Verweigerung der Sakramente, die Exkommunikation und die Androhung ewiger Verdammung.

Die scholastische Sicht von Geld und Preis Die kirchlichen Gelehrten wurden als Scholastiker bezeichnet. Sie widmeten einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Studien wirt-


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Scholastiker und Reformatoren

schaftlichen Fragen, insbesondere dem Wucher und dem »gerechten Preis«. Die Scholastiker versuchten, einen moralischen Handelskodex auf rationaler Basis zu entwickeln, der nicht festlegen sollte, was war, sondern vielmehr, was sein sollte. Der gerechte Preis

Dem Preis kam beim Streben nach Gerechtigkeit im Handelsverkehr eine zentrale Bedeutung zu. Die Scholastiker beabsichtigten nicht etwa, Preise festzulegen, sondern sie stellten Faustregeln zur Behebung von Streitigkeiten auf. Verhandlungen über die Bedingungen überließen sie den Geschäftspartnern, wobei sie von Käufern und Verkäufern erwarteten, dass diese zum gegenseitigen Nutzen zusammenarbeiteten. Eine Faustregel bestand darin, dass das Ergebnis dieser Geschäftsverhandlungen nicht über 50 % des »gerechten Preises« liegen sollte. Mit anderen Worten: Der Handel sollte sich innerhalb eines Spielraums von 50 bis 150 % des gerechten Preises bewegen.2 Grenzen des freien Handels

Ein besonderer Dorn im Auge waren den Scholastikern alle Fälle von Betrug und Zwang, denn durch diese wurden die Bedingungen des freien Handels untergraben. Nach dem italienischen Juristen Bartolus de Sassoferrato (1314–1357) lag Betrug in folgenden Fällen vor: – Ausnutzung unreifer oder geistig behinderter Menschen; – unzulängliche Information; – Erpressung oder moralische Nötigung; – Machtausübung einer Partei über eine andere.3 In seinem Hauptwerk Summa theologica schreibt Thomas von Aquin (1225–1274), moralisch gesehen, dürfe der Verkäufer den Preis nicht in die Höhe treiben, wenn der Käufer die Ware unbedingt nötig habe, da er in diesem Falle etwas an jemanden verkaufe, was ihm nicht gehöre, beispielsweise Leben an die Hungernden. Obwohl die Scholastiker Privateigentum anerkannten, betrachteten sie im äußersten Bedarfsfall alle Güter als Gemeinschaftseigentum und gestanden sogar in einer äußersten Notlage jedem das Recht zu, sich die Güter, die er für sein Überleben brauchte, bei jenen zu holen, die davon reichlich hatten. Ganz offensichtlich genügt der heutige Handel in vieler Hinsicht


Die scholastische Sicht von Geld und Preis

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den Anforderungen der Scholastiker an einen gerechten Handel nicht. Die scholastische Sichtweise von Geld

Obwohl sich die Scholastiker mehr auf eine wirtschaftliche als auf eine monetäre Argumentation konzentrierten, entwickelten sie – vielleicht abgesehen vom Bankgewerbe – die fortschrittlichste monetäre Theorie ihrer Zeit. Vor allem zwei grundlegende monetäre Sichtweisen wurden von den meisten Scholastikern geteilt: Zum einen behaupteten sie zu Recht, dass es einen Unterschied zwischen Geld und Kapitalgütern gebe. Diese Behauptung war zwar unter Calvins Anhängern umstritten, wurde aber im 20.Jahrhundert bestätigt, zum Beispiel von Knut Wicksell, dem Urheber der modernen Zinssatztheorie, der dazu feststellt: »Es ist nicht wahr, dass ›das Geld nur eine Form des Kapitals‹ ist, dass im Gelddarlehen ›die Realkapitalien in Geldform verliehen werden‹ usw.: das flüssige Realkapital (d. h. die Waren) wird ja überhaupt nicht verliehen (auch beim einfachen Warenkredit nicht), sondern das Geld wird verliehen und dann das betreffende Warenkapital gegen dieses Geld verkauft.«4 Heutzutage behaupten zwar Ökonomen der Wiener Schule, Wicksell sei einer von ihnen, doch sind seine Vorstellungen von deren Lehren weit entfernt. Zum anderen glaubten die Scholastiker, dass der Geldwert von den Gesetzen über Angebot und Nachfrage nicht abhängig sei; das war jedoch ein Trugschluss, der eine gründlichere Lektüre der im 1.Kapitel erwähnten Ausführungen Aristoteles’ über Angebot, Nachfrage und Geldwert erfordert hätte. Vom Spätscholastiker Johann de Lugo SJ (1583–1660) stammt diese klare Definition von Geld: »Das grundlegende Unterscheidungsmerkmal von Geld leitet sich nicht aus seinem Material, sondern aus dem Wert ab, durch den es formal seine Eigenschaft als Geld erhält.« De Lugo unterschied zwei Arten von Geld: A. Materielles Geld B. Formales Geld 1. Legales oder pragmatisches Geld 2. Natürliches (intrinsisches und extrinsisches) Geld Das größte Versagen der Scholastik besteht darin, dass sie die monetäre Bedeutung der von den Banken geschöpften Depositen völlig


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Scholastiker und Reformatoren

unberücksichtigt ließ. Über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten wurde die Depositenschöpfung als wirtschaftliches Phänomen von der Scholastik nicht einmal erwähnt.5

Das Wucherverbot Das ökonomische Hauptinteresse der Scholastiker galt der Praxis des Zinswuchers. Ihre Wuchertheorie stellt den ersten Versuch einer Wirtschaftstheorie im Westen dar. Sie hatten die negativen Auswirkungen des Wuchers beobachtet und gewannen einen intuitiven Einblick in die erst langsam zutage tretenden Probleme.6 Ihre Verurteilung des Wuchers beruhte auf logischem Denken, auf Beobachtung sowie auf göttlichem, natürlichem und menschlichem Recht. Zinsnahme setzt ein gewisses Risiko voraus

Das Zinswucherverbot gilt heute oft als merkwürdige Lehre rückwärts gerichteter Geistlicher. Schließlich werden wir dazu erzogen, regelmäßig zu sparen – ja, das Ersparen von Zinseinnahmen gilt heute als moralisches Gebot! Was kann daran also falsch sein? Die Gründe für diese Verwirrung liegen in der falschen Darstellung des Wucherverbots. Die Zinsnahme zu anständigen Bedingungen war zu keiner Zeit verboten. Das entscheidende Kriterium dabei war das Verhältnis von Risiko und Gewinnaussicht. Venedig hatte jahrhundertelang fortschrittliche finanzielle Strukturen genutzt, durch die es zur Handelsvormacht in Europa aufgestiegen war, ohne dabei gegen die Wucherverbote zu verstoßen. Zinsnahme und Zinswucher waren und sind nicht dasselbe. Zwei Darlehensarten waren stets vom Wucherverbot befreit: zum einen die Societas, bei denen der Verleiher einen gewissen Teil des Unternehmensrisikos auf sich nahm. Die meisten der venezianischen Collegenza-Gesellschaften (siehe Seite 74 f.) fielen in diese Gruppe. Die andere Ausnahme war der Census, d. h. die Verpflichtung, aus »ertragreichem Besitz« gegen Gewährung eines Darlehens eine jährliche Abgabe zu bezahlen. In diesem Falle war der Käufer des Census in der Rolle des Geldverleihers, er lieferte das Darlehen. Umgekehrt


Das Wucherverbot

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war der Verkäufer der Schuldner, also derjenige, der sich zur Bezahlung der jährlichen Abgabe aus seinem »ertragreichen Besitz« verpflichtete. Auf diese Weise konnte etwa ein adliger Landeigentümer auf sein Land Geld aufnehmen. Der Käufer des Census ging insofern ein Risiko ein, als der census auf dem Ertrag aus dem Besitz beruhte. Wie John T. Noonan jr, der das Buch The Scholastic Analysis of Usury geschrieben hat, betont, muss man diese Praxis kennen, um nicht von den Einschränkungen, die die Scholastik dem Wucher auferlegte, einen falschen Eindruck zu erhalten. Tatsächlich eröffnete die Praxis des Census große Möglichkeiten der Investition in Kredite.7 Göttliches und menschliches Recht

In der Mehrzahl aller bekannten Sitten- oder Gesetzeskodizes werden die unsozialen Auswirkungen des Wuchers erkannt und verurteilt oder in irgendeiner Weise eingeschränkt, in der Regel durch Begrenzungen der Zinssätze. Das Alte Testament enthält sogar ausgesprochen drastische Wucherverbote. Juden war es streng verboten, mit ihren »Brüdern« (anderen Juden) Wucher zu treiben. Auch Fremden gegenüber wurden sie nicht gerade dazu ermutigt. Die Bezugsstellen im Alten Testament zum Thema Wucher sind folgende: 2. Mose 22,24; 3. Mose 25,35–37; 5. Mose 15,7–10; Amos 8,4–6; Ezechiel 18,8 und Psalm 15,5. Das Neue Testament hingegen schweigt sich über Wucher fast gänzlich aus. Weitere Kodizes, die Wucherzinsen begrenzten: – Senchas Már, das alte keltische Gesetzbuch; – der Kodex Hammurabi (2130–2088 v. Chr.) begrenzte Wucher auf 33 %; – Lykurgs Verfassung von 900 v. Chr. und Solons Reformen zur Vermeidung der Schuldknechtschaft um 600 v. Chr.; – das hinduistische Recht verbot jede weitere Zinsberechnung, wenn der Zins die volle Höhe des Darlehens erreicht hatte; – römisches Recht begrenzte den Zinssatz auf 4 bis 12 %. – In seinem Werk über den Landbau De agricultura (auch: De re rustica) legt Cato die römische Haltung gegenüber Wucher dar: »[…] unsere Vorfahren verfügten, dass ein Dieb für den gestohlenen Betrag doppelt bezahlen und ein Wucherer für das, was er genommen hat, vierfach bezahlen soll […]«


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– In seiner römischen Gesetzessammlung aus dem 6. Jahrhundert, dem Corpus Iuris Civilis, senkte Kaiser Justinian die von Konstantin dem Großen verfügte Zinsbeschränkung von 12,5 auf 4–8 % herab und schloss die Möglichkeit aus, dass die kumulierten Zinsen die Kreditsumme überstiegen. Justinians Gesetzeswerk beherrschte den nachfolgenden Zeitraum der byzantinischen Geschichte. Zwar wurde immer wieder jede Zinsnahme verboten, doch wurden im Laufe der Zeit die Gesetze Justinians jeweils wieder in Kraft gesetzt.8 – Der Koran enthält ein absolutes Wucherverbot. – Karolingisches Recht: Karl der Große erließ in seinen Gesetzen von 806 ein kategorisches Wucherverbot. Er definierte Wucher folgendermaßen: »Wenn mehr gefordert wird als gegeben.« – Die Magna Charta beschränkte den Wucher. – Die meisten Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika erließen bis 1981 Wucherbeschränkungen. Gesetzgebung der Kirche

Das Neue Testament enthält kein ausdrückliches Verbot des Zinsnehmens, doch empfiehlt es, als Zeichen der Nächstenliebe zu borgen, ohne Zins zu verlangen (z. B. Lukas 6,34). Die Kirchenväter verbieten das Zinsnehmen; einige (z. B. Ambrosius von Mailand, 340– 397) erlauben es allerdings den Feinden gegenüber, die auch im Krieg getötet werden dürfen. Da die Gesetze zur Zeit der Ausbreitung des frühen Christentums das Zinsnehmen gestatteten – Konstantin z. B. erlaubt 1 % im Monat –, beschränkte sich die kirchliche Gesetzgebung darauf, es ihren »Angestellten«, d. h. den Klerikern, zu verbieten. Im frühen Mittelalter, im fränkischen Reich, wurde das Verbot auf die Laien ausgedehnt. Die Priester wurden jetzt aufgefordert, das Volk vom Zinsnehmen abzuhalten. Im Hochmittelalter gelangte diese Entwicklung zu ihrem Abschluss: Das Konzil von Tours (1163) drohte den Übertretern Exkommunikation an, was bedeutete, dass diese nicht kirchlich beerdigt werden konnten. Das Konzil von Vienne (1311) erklärte sogar die Statuten jener Städte für ungültig, die irgendwelche Bestimmungen enthielten, die die Zulässigkeit des Zinsnehmens betrafen.9


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Die Konzentration von Reichtum

Durch Wucher konzentriert sich das Geld der Gemeinschaft in den Händen weniger einzelner. »Es ist eine ansteckende Krankheit, denn nun treiben alle Männer Wucher« (Bernhardin von Siena, 1380– 1444).10 Papst Innozenz IV. (1250–1261) verbot Wucher aufgrund seiner bösen Folgen. Er befürchtete nämlich, dass die Reichen ihr Geld lieber in sichere Wucherdarlehen anlegen würden, anstatt in die Landwirtschaft zu investieren. So würden schließlich nur noch die Armen Landwirtschaft betreiben, aber ihnen würden die dafür nötigen Tiere und Geräte nicht gehören. Die Folge wäre eine Hungersnot. Papst Innozenz’ Argument mag auf den ersten Blick naiv oder übertrieben erscheinen, doch wird es durch die Erfahrungen etlicher landwirtschaftlicher Gesellschaften, etwa das alte Griechenland oder China während eines Großteils seiner Geschichte, erheblich erhärtet.11 In Medieval Cities konstatiert Henri Pirenne, die Geißel der Schulden, die in der griechischen und römischen Antike so schwer auf dem Volk lastete, sei den mittelalterlichen Gesellschaftsordnungen erspart geblieben. Zu diesem erfreulichen Ergebnis habe vermutlich die Kirche beigetragen.12 Die Unersättlichkeit

Im 13. Kapitel soll mathematisch nachgewiesen werden, dass über einen genügend großen Zeitraum hinweg auch ein sehr niedriges Maß an Wucher rein rechnerisch jedes Geldsystem zugrunde richten kann. Zwar gibt es keine Beweise dafür, dass die Scholastiker solche Berechnungen durchführten, aber sie waren intuitiv sicherlich nicht weit davon entfernt. Johannes Buridan, ein Pariser Universitätsprofessor des 14. Jahrhunderts, hielt den Wucher für böse, weil er unsozial und engherzig sei und weil der Wucherer habgierig nach etwas Grenzenlosem trachte.13 Dante lässt in der Göttlichen Komödie die Wucherer zur Hölle fahren: Aus ihren Augen brachen ihre Schmerzen. Sie kämpften überall mit ihren Händen Bald mit dem Dampf, bald mit dem heißen Sande.


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Nicht anders tun zur Sommerszeit die Hunde, Die sich mit Schnauze oder Pfote wehren Vor Flöhen, Mücken oder Bremsenstichen. Als ich in einige Gesichter blickte, Auf die das schmerzenvolle Feuer regnet, Erkannt’ ich keinen, doch ich konnte sehen, Ein jeder trug am Halse einen Beutel Mit eignem Zeichen und mit eigner Farbe, Und dieser schien ihm eine Augenweide.14

Aristoteles verurteilt den Wucher

Aristoteles, auf den sich später die Scholastiker beriefen, verurteilte die Praxis des Wuchers: »[Ö[, so trifft der allgemeine Hass mit der größten Berechtigung die Kunst des Geldausleihers, weil hier der Gewinn vom Geld selbst herkommt und nicht von dem, wofür das Geld erfunden wurde. Denn es wurde um des Warenaustausches willen geschaffen; der Darlehenszins aber vermehrt nur gerade das Geld. Von daher hat er auch seinen Namen bekommen; denn das, was geboren wird, ist dem Erzeugenden ähnlich, und das Zinsgeschäft besteht darin, dass Geld aus Geld wird. Infolgedessen ist von allen geschäftlichen Manipulationen diese am meisten wider die Natur.«15 Oder: »[…] die, die schimpfliche Gewerbe betreiben: Hurenwirte und dergleichen, und Wucherer, die kleine Summen zu hohen Zinsen ausleihen. Denn alle diese nehmen, woher sie nicht sollen und mehr, als sie sollen. Als gemeinsam erscheint bei ihnen schimpfliche Gewinnsucht, da sie alle eines Gewinnes, und zwar eines kleinen Gewinnes wegen sich Schimpf und Schande gefallen lassen.«16 Aristoteles’ Kernaussage lautet, dass Geld grundsätzlich unfruchtbar ist. Geld kann nicht neues Geld erzeugen, so wie eine Kuh neue Kühe erzeugt oder ein Feld Getreide hervorbringt. Geldwucher steht im Gegensatz zu dem eigentlichen Zweck des Geldes, das von der Gesellschaft als Maß und Tauschmedium geschaffen wurde. Wucher ist ein unnatürlicher Gebrauch von Geld. Die Scholastiker übernahmen die aristotelische Kritik des Wuchers. So vertrat Thomas von Aquin die Ansicht, dass Geld ein Maß sei und dass Wucher dieses Maß verändere. Damit meinte er, dass


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weitere Anforderungen an den Geldmechanismus, wie eben zum Beispiel Wucher, seiner Funktion als Maß schaden. Aristoteles’ Werke führten die Menschen aus der Dunkelheit ihres Denkens heraus. Solange die Menschheit fortbesteht, werden seine Schriften von unschätzbarem Wert bleiben, selbst in Bereichen, wo uns technischer Fortschritt eines Besseren belehrt. Die Aristotelischen Lehren wurden für die Befürworter des Wuchers zu einem Haupthindernis. Wucher: der Missbrauch des Geldmechanismus

Um die antisoziale Manipulation der Geld-, Banken- und Kreditsysteme zu beschreiben, bedarf es einer deutlichen Sprache: Die Geldmanipulation ist in ihrer Wirkung mit dem Genozid vergleichbar. Aristoteles verwendete dafür den Begriff Chrematistik.* Chrema ist das griechische Wort für Geld. Auf deutsch wird der strukturelle Missbrauch des Geldsystems einer Gesellschaft am treffendsten mit dem Begriff Wucher beschrieben. Die heute häufig anzutreffende falsche Definition des Wucherbegriffs als übermäßige Zinsnahme zeigt, wie wenig wir von diesem Gegenstand eigentlich verstehen. Maßnahmen gegen Wucherer

Im Mittelalter leitete man rechtliche Schritte nur gegen offenkundige Wucherer ein, also solche, die mehr oder weniger offen Wucher trieben. Zu ihnen zählten etwa Juden und Lombarden. Entgegen der landläufigen Meinung galt der von Juden praktizierte Wucher zu keiner Zeit als offiziell erlaubt;17 er wurde aber während längerer Zeiträume geduldet. Wucherer mussten hauptsächlich befürchten, dass sie exkommuniziert würden oder dass ihnen die heiligen Sakramente – vor allem ein Begräbnis auf heiligem Boden – verweigert werden könnten. Um die Sünde des Wuchers zu sühnen, musste der Wucherer vor seinem Tode seine Opfer entschädigen; falls diese nicht mehr auffindbar waren, musste das Geld über die Kirche den Armen zugute kommen. Auf diese Weise hinterließen viele Wucherer der Kirche immense Summen, um sich vor der Höllenpein zu schützen. * Gewerbsmäßiges Betreiben einer Erwerbswirtschaft mit dem Ziel, sich durch Tauschen und Feilschen zu bereichern. (A. d. Ü.)


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Die sprachliche Umgehung des Wuchers

Jeder erdenkliche sprachliche Kniff kam zum Einsatz, um das Wucherverbot zu umgehen. So wurden beispielsweise Waren auf Kredit zu einem höheren Preis verkauft, in den der Zins bereits eingerechnet war. Oder man stellte »trockene« Wechsel in ausländischer Währung aus, die zwar gezogen, aber nicht eingelöst, dafür später wieder zu einem höheren Preis inklusive Zinsaufschlag an den Aussteller des Wechsels zurückbezahlt wurden. Auf diese Weise wurde der Geldumtausch mit einer Gebühr belegt. Die Kirche versuchte nie, diesen Devisenhandel zu regulieren. Sie verurteilte ihn nur, wenn sein Zweck wirklich Wucher war. In diesem Fall wurde von den Wucherern eine Entschädigung erwartet. Ein Großteil der scholastischen Schriften bezieht sich nicht auf unproduktive Verbrauchsdarlehen, sondern auf Geschäftsdarlehen. Mit der zunehmenden wirtschaftlichen Dynamik wurde immer deutlicher, dass Wucher auf Geschäftsdarlehen, von denen der entleihende Kaufmann profitierte, nicht länger als Geldgier oder mangelnde Nächstenliebe verurteilt werden konnte. Im ausgehenden Mittelalter konnten sich daher nur noch zwei wichtige Argumente gegen den Wucher halten: zum einen Aristoteles’ Argument, dass Geld an sich unfruchtbar sei und dass Zinsnahme dem eigentlichen Zweck von Geld entgegenstehe; zum anderen Thomas von Aquins Argument, dass ein Wucherer nicht sowohl das Geld als auch seinen Gebrauch verkaufen könne. Wenn das Geld einmal übergeben (»verkauft«) sei, müsse dem Verleiher nach den Gesetzen des gerechten Handels der gleiche Wert zurückerstattet werden.18 Einen höheren Wert zu verlangen bedeutete, den Geldwert zu verändern. Forderte der Verleiher mehr, weil der Entleiher von der Verwendung des Geldes profitierte, bedeutete dies, dass der Verleiher das Eigentum an dem Geld nicht wirklich, in vollem Umfang, an den Entleiher abtrat. Der Entleiher konnte das Geld also in der Tat nicht verwenden, ohne es – etwa durch den Kauf von produktiven Gütern – zu verbrauchen.


Keine Vergebung für Wucherer

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Das Wucherverbot wird in Frage gestellt Da der Stand der Geldverleiher immer einflussreicher und die moralische Macht der Kirche immer schwächer wurde, war es nur eine Frage der Zeit – und des Geldes –, wann die Schranken des Wucherverbots fallen würden. Um 1516 hatte sich die Vorstellung von einer Geldverleihanstalt, die für ihre Dienste Zinsen verlangte, bei einer breiten Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt. Konrad Summenhart (gest. 1502), ein gelehrter Theologe an der Universität Tübingen, brach mit der aristotelischen Sichtweise und erklärte, dass es völlig legitim sei, etwas in einer anderen Weise zu verwenden als ursprünglich vorgesehen. Seit dem Beginn des 16.Jahrhunderts forderte die Stadt Augsburg, die Heimat der Fugger, Florenz im Kampf um die finanzielle Vormacht in Europa heraus. Die Fugger finanzierten Johannes Eck (1486–1543), einen Schüler Summenharts, bei seinem Eintreten für die Zulassung einer bestimmten Vertragsform des Wuchers. Dabei handelte es sich um den sogenannten Dreifachvertrag (auch Deutscher Vertrag und Fünf-Prozent-Vertrag genannt). Vor einer Vollversammlung der Universität von Bologna hielt Johannes Eck ein fünfstündiges Plädoyer für die Einführung dieses Vertrages. Der sogenannte Fünf-Prozent-Vertrag berief sich auf ein Versicherungsprinzip, wonach ein »Investor« im Gegenzug für eine versicherte und garantierte Rendite von 5 % auf alle weiteren Gewinnansprüche verzichtete. Johannes Eck machte diesen »dreifachen« Vertrag öffentlich bekannt und versicherte stets, dass der Vertrag schon seit über 40 Jahren gebräuchlich sei, ohne dass deshalb jemandem die heiligen Sakramente verweigert worden wären.

Keine Vergebung für Wucherer Wegen des zunehmenden Geldbedarfs im Handel ließ auch die katholische Kirche neue Formen der Darlehensvergabe zu, widerrief jedoch nie die Sündhaftigkeit aller bisherigen Formen des Wuchers. Vielleicht stand für sie angesichts der zu erwartenden Nachlässe betagter Wucherer einfach zu viel auf dem Spiel! Die katholische Kirche bewegte sich in bezug auf Wucher nur sehr


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langsam vorwärts. Erst 1822–1836 erklärte der Apostolische Stuhl, dass jeder die gesetzlich erlaubten Zinsen nehmen dürfe. Diese Erklärung war jedoch mehrdeutig und nur als Orientierung für reuige Sünder und Beichtväter gedacht. Es heißt darin: »Jene, die predigen, dass es erlaubt sei, im Namen des bürgerlichen Gesetzes Gewinn aus einem Darlehen zu ziehen […], legen eigenmächtig eine Frage aus, welche der Heilige Stuhl noch nicht auszulegen wünschte.« Selbst im Codex Iuris Canonici von 1917 blieb dieser Punkt noch etwas vage. Die Kirche scheint sich über die schwerwiegenden Probleme im Zusammenhang mit Wucher durchaus im klaren zu sein. Ihr fehlte jedoch bislang der Mut oder die Fähigkeit, offen darüber zu diskutieren. Die Scholastiker hielten die Flut des Wuchers jahrhundertelang zurück. Eines ihrer dauerhaften Verdienste ist es, dass sie den zutiefst moralischen Charakter monetärer und ökonomischer Fragen erkannten. Einige Wirtschaftswissenschaftler des 20. Jahrhunderts (BaumBauwerk, Wicksell, Schumpeter, von Mises und Irving Fisher) kamen zu dem Schluss, dass das Wucherverbot der Scholastiker in der mittelalterlichen Welt gerechtfertigt war. Wenngleich diese Bestätigung der scholastischen Sichtweise interessant ist, bleibt dabei die Notwendigkeit einer Betrachtung der moralischen Seite der Wirtschaft außen vor. Zwar streiten jene, die betrügerischen Wirtschaftsaktivitäten nachgehen, die Notwendigkeit dieser Fragestellung ab. Und doch hat sich der Zusammenhang zwischen Geld und Moral tief in das Bewusstsein der Menschen eingeprägt, wo er eines hoffentlich nicht fernen Tages reaktiviert werden kann.

Martin Luther Das große Interesse der Scholastiker an Fragen der Wirtschaftethik stand in scharfem Gegensatz zum Verhalten der Kirche. Der Kauf von kirchlichen Ämtern (und den damit verbundenen Einkünften) war üblich, Korruption ebenfalls. So musste zum Beispiel Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg (1490–1545), als er auch noch Erzbischof von Mainz werden wollte, Rom ein Sühnegeld


Martin Luther

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dafür bezahlen, dass er damit das Verbot der Ämterhäufung verletzte. Die notwendige Summe hatten ihm die Fugger vorgeschossen, und um sie abzutragen, durfte Albrecht die Hälfte der Einnahmen aus dem Petersablass (d. h. der für den Bau der Peterskirche in Rom bestimmten Gelder) behalten. Ohne Kenntnis dieses Hintergrundes formulierte Luther 1517 seine Ablassthesen. Die Debatte über diese Thesen »hat Risse offengelegt, die später zur Trennung [Luthers von der katholischen Kirche] führten«.19 Luthers Haltung gegenüber dem Wucher deckte sich weitgehend mit der der katholischen Kirche; wie diese verwarf auch er – zuerst im »Sermon von dem Wucher« (1520) – das Nehmen von Zinsen. Als der evangelische Pfarrer von Eisenach, Jakob Strauss, eine noch radikalere Position einnahm und behauptete, auch das Bezahlen von Zinsen sei Begünstigung der Sünde und deshalb zu unterlassen, wurden Luther und seine »rechte Hand« Philip Melanchthon von ihrem Landesfürsten zur Stellungnahme aufgefordert. Sie erklärten, dass einmal festgesetzte Zinsen bezahlt werden müßten, auch wenn man grundsätzlich die Tyrannei des Zinsnehmens missbillige. Gleichzeitig gab Luther den »Sermon von dem Wucher« als zweiten Teil der Schrift »Von Kaufshandlung und Wucher« erneut heraus (1524). Im Frühling 1539 brach in der Umgebung von Wittenberg als Folge einer langen Dürre eine Teuerung aus, und es kam zu einer Hungersnot. Viele Leute gerieten in die Abhängigkeit von »Geldwucherern«, was Luther zur Veröffentlichung von »An die Pfarrherren wider den Wucher zu predigen« (1540) veranlasste. Hier heißt es: »Uns Predigern gebühret hier nicht zu feiern. Hier lasst uns Bischof sein, das ist wohl (d. h. genau) zusehen und wachen; denn es gilt unsere Seligkeit. Erstlich, dass wir den Wucher auf der Kanzel getrost schelten und verdammen, den Text fleißig und dürre sagen, nämlich: Wer etwas leihet und darüber oder besser nimmt, der ist ein Wucherer und verdammt als ein Dieb, Räuber und Mörder.«20 »Luthers Haltung hatte sich in zwanzig Jahren kaum verändert, der Tonfall wurde jedoch um ein mehrfaches schärfer.«21


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Johannes Calvin Luthers erster Protest gegen die katholische Kirche erfolgte im Jahre 1517. Bald erreichten seine Schriften Paris, wo Johannes Calvin Student war. Weil sich Calvins Vater Gérard geweigert hatte, den Verwaltungsbehörden der Kathedrale Notre-Dame de Noyon, etwa 100 Kilometer nordöstlich von Paris gelegen, seine Rechnungen vorzulegen, beschuldigte ihn die Kirche der Unterschlagung, verweigerte ihm und seiner Familie die heiligen Sakramente und versagte ihm ein Begräbnis auf geweihtem Boden. Daraufhin wurde Gérard Anwalt. Im Jahre 1536, als er unter dem Namen Martianus Lucanius in der Schweiz lebte, veröffentlichte Calvin im Alter von nur 27 Jahren die Institutio Christianae Religionis, mit der er zum offenen Verfechter der Reformation wurde. Calvins Lehren

Calvins Lehren richteten sich vor allem an die Gesellschaftsschichten, die in Handel und Industrie tätig waren. Das große Ziel der Gläubigen war die Erlösung ihrer Seelen für die Ewigkeit. In der katholischen Kirche wurde dieses Ziel durch das Glaubensbekenntnis, durch gute Taten sowie durch die von der Priesterschaft gespendeten Sakramente erreicht. Calvin lehnte dies ab und predigte statt dessen seine Doktrin der »Auserwählten«. Gott erwählt die einen Menschen zum ewigen Heil völlig ungeachtet ihres Verdienstes. Alle übrigen sind durch ein gerechtes, aber unverständliches Urteil zu ewiger Verdammnis bestimmt. Diese Haltung rechtfertigte Calvin durch die Verneinung des freien Willens: »Der Mensch besitzt nicht den freien Willen für gute Taten, sofern er nicht die Hilfe der Gnade Gottes erhält, und diese besondere Gnade wird nur den in der Erneuerung Auserwählten zuteil.«22 Nach Belloc schuf Calvin, indem er den freien Willen und die Wirksamkeit guter Taten leugnete und sämtliche Lehren und Traditionen der monastischen Armut als nutzlos abtat, die Voraussetzung dafür, dass das Denken immer mehr vom Geld beherrscht werden konnte. Diese Gefahr hatte schon Thomas von Aquin erkannt, der sagte, wenn der Mensch die Vorstellung von Gott als dem höchsten


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Gut aufgebe, neige er dazu, den Wohlstand zum höchsten Gut zu erklären.23 Weiter charakterisierte Belloc die Reformation als »eine Erhebung der Reichen gegen die Armen«, was Calvin in der Tat durch die folgende unglückliche Äußerung bestätigte: »Die Menschen müssen stets in Armut gehalten werden, damit sie gehorsam bleiben.«24 Die Verneinung einer Verbindungen zu Gott über die Kirche führte zur Vergötterung der Bibel. Für Calvin war die Heilige Schrift selbsterklärend und sollte nicht zum Gegenstand vernunftmäßiger Argumentation werden. Die Beseitigung der Priester und ihrer Gebühren war »offenkundig ein Trick der Handelsgemeinschaft, der allen, die damit einverstanden waren, große Einsparungen brachte. Doch löste er das Christentum auf und machte eine organisierte Priesterschaft unmöglich. Wenn jeder einzelne nach Belieben in den heiligen Geheimnissen herumschnüffeln konnte, war die Autorität der Geistlichen endgültig zerstört.«25 Calvins Auseinandersetzung mit dem Wucher

Calvin ließ alle scholastischen Detailanalysen hinter sich und orientierte sich an einem einzigen Prinzip: Verträge dürfen dem andern keinen Schaden beifügen. Unter diesem Gesichtspunkt wollte er auch den Wucher beurteilen. Liebe und das Gerechtigkeitsgefühl sind die einzigen Beurteilungskriterien. Das Gewissen sagt einem eindeutig, dass es ungerecht ist, von einem Armen Zinsen zu verlangen, nicht aber von einem reichen Kaufmann. Mäßiger Gewinn auf einem Darlehen ist unter diesen Bedingungen nicht verboten. Für Aristoteles’ Argument, Geld sei unfruchtbar, hatte Calvin nur Verachtung übrig. Dass in einer Schachtel eingeschlossenes Geld nichts eintrage, sehe jedes Kind. Aber niemand nehme Geld auf, um es dann bloß liegenzulassen. Wenn man mit Geld einen Acker kaufen könne, sei das Geld so fruchtbar wie der Acker.26 Demgegenüber haben die Scholastiker nachgewiesen, dass nicht das Geld, sondern der Acker die Früchte trägt.


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Wirtschaftliche und geistige Auswirkungen des Calvinismus Unter den Historikern und Ökonomen, die sich mit der Reformation auseinandergesetzt haben, sind die folgenden vier besonders hervorzuheben: Ernst Troeltsch (1865–1923), Richard Henry Tawney, (1880–1961), Werner Sombart (1863–1941) und Max Weber (1864–1920). Troeltsch definiert das »Problem des Wesens und der Entstehung des Kapitalismus« als das »große Hauptproblem der heutigen Wirtschaftsgeschichte«.27 Loslösung des wirtschaftlichen Handelns von der Ethik

Ernst Troeltsch fasste die ökonomischen und moralischen Auswirkungen des Calvinismus wie folgt zusammen: »Vollends die heutige großartige, aber auch furchtbare Entfaltung des Kapitalismus mit seiner Rechenhaftigkeit und Seelenlosigkeit, seiner Ausbeutung und Mitleidlosigkeit, mit seiner Wendung zum Erwerb um des Erwerbes willen, mit seinem harten und brutalen Konkurrenzkampf, seinem agonalen Siegesbedürfnis und seiner weltlich triumphierenden Freude an des Kaufmanns Herrschergewalt hat sich von dem alten ethischen Boden völlig gelöst und ist zu einer dem echten Calvinismus und Protestantismus geradezu entgegengesetzten Macht geworden.«28 Wie in allen Religionen spielte auch im Calvinismus der Terrorismus eine wichtige Rolle. Calvinisten verbrannten in Genf innerhalb von 60 Jahren 150 Ketzer, darunter auch ein Kind, weil es seine Eltern geschlagen hatte. Doch der Calvinismus scheint hauptsächlich von finanziellen Interessen angetrieben worden zu sein. Ein besonders deutliches Beispiel – bereits in der Einleitung von Calvins Institutio – ist die offene Aufforderung an die Fürsten zur Beschlagnahme des gewaltigen Grundbesitzes der Kirche. Die Beschlagnahme des kirchlichen Grundbesitzes

In Frankreich forderte Calvin den Adel zur Übernahme der Klöster auf. Wie Belloc schildert, wurde die Familie der Bourbonen zum Vehikel dieser Politik.29 In England begannen Oliver Cromwells Großvater Thomas Cromwell und Teile des englischen Establishments mit der Beschlagnahme des kirchlichen Grundbesitzes, als die Tu-


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dors zwischen 1536 und 1553 mit dem Papsttum brachen (siehe 10. Kapitel). Diese Entwicklung führte zwar in gewisser Hinsicht zu einer besseren Vermögensverteilung – von der mehr als steinreichen Kirche an die nur steinreichen Adligen –, doch sie bewirkte auch, dass vor allem in England immer mehr Leibeigene, denen die Kirche die Bewirtschaftung ihres Landes gestattet hatte, von den neuen Besitzern aus den nun abgetrennten Ländereien vertrieben wurden und damit ihre Existenzgrundlage verloren. Tawney beschreibt dies als den Versuch, die gesetzlichen Eigentumsrechte unter gleichzeitiger Zurückweisung der gesetzlichen Verpflichtungen auszuweiten. Daraus leitete sich eine Theorie des Landeigentums ab, die den Eigentümer nicht mehr zwingend als Verwalter oder Treuhänder vorsah. Dieses gierige Ergreifen von Privilegien ohne gleichzeitige Übernahme von Verantwortungs ist zu einem Wesensmerkmal des modernen Kapitalismus in Amerika geworden. Der Puritanismus

Das englische Establishment stand dem Calvinismus anfangs skeptisch gegenüber, hatte es doch seine eigene Abspaltung von Rom eingefädelt. Doch der Calvinismus verwurzelte sich allmählich in England und trug zum Sturz des Herrscherhauses bei. Seine englische Ausprägung wurde als Puritanismus bezeichnet. Nach Tawney verkörpert nicht die Abspaltung der Tudors von Rom, sondern der Puritanismus die eigentliche englische Reformation. Tawney meint weiter, die Verbreitung des Puritanismus sei das Verdienst der Stadt London gewesen. Oder, mit anderen Worten: der Londoner Kaufleute. In seinem Werk Die Juden und das Wirtschaftsleben arbeitete der deutsche Nationalökonom Werner Sombart die Parallelen zwischen Judentum und Kapitalismus heraus und kam zu folgender Schlussfolgerung: »Um es gleich herauszusagen: ich finde in der jüdischen Religion dieselben leitenden Ideen, die den Kapitalismus charakterisieren, ich sehe sie von demselben Geist erfüllte wie diese.«30 Diese Ideen können unter dem Begriff »Rationalismus« zusammengefasst werden: »Rationalismus ist der Grundzug des Judaismus wie des Kapitalismus.« Dieselbe rationale Grundhaltung hatte Max Weber (s. S. 144 ff.) einige Jahre zuvor dem Puritanismus zugeschrieben,


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was Sombart die Gleichung erlaubt: »Puritanismus ist Judaismus.«31 Diese Behauptung begründet er mit einer Beschreibung der politischen Aktivitäten der Puritaner Mitte des 17. Jahrhunderts: »Das öffentliche Leben und die Kirchenpredigten erhielten geradezu eine israelitische Färbung. Es fehlte nur noch, dass die Parlamentsredner hebräisch sprachen, so hätte man sich nach Palästina versetzt glauben können; die Levellers, die sich selbst ›Jews‹ nannten, verlangen, dass die Staatsgesetze die Thora schlechthin zur Norm für England erklären möchten; Cromwells Offiziere schlagen ihm vor, den Staatsrat aus 70 Mitgliedern zu bilden nach der Zahl der jüdischen Synedristen; im Parlamente von 1653 sitzt der Obergeneral Thomas Harrison, ein Wiedertäufer, der mit seiner Partei das mosaische Gesetz für England eingeführt wissen wollte; 1649 wird ein Antrag im Parlamente eingebracht: den Sonntag auf den Sabbath zu verlegen; ›The Lion of Judah‹ war die Inschrift auf den Bannern der siegreichen Puritaner. Bezeugt ist aber auch die Tatsache, dass in jenen Zeiten nicht nur das Alte Testament, sondern auch die rabbinische Literatur in den Kreisen der christlichen Geistlichkeit und der christlichen Laienwelt gründlich gelesen wurde.«32 Toeltsch war der Meinung, dass Sombart die Bedeutung des Judaismus überschätze, und Milton Friedman kommentiert ihn mit den Worten: »Dieses Buch würde ich allenfalls als philosemitisch interpretieren.«33 Wie aber konnte sich im England des 17. Jahrhunderts eine so freundliche Stimmung gegenüber dem Judaismus entfalten, wo doch die Juden zuvor fast 400 Jahre lang aus England verbannt waren? Im 9. Kapitel wird die »Große Bibelflut nach England« erläutert. Webers »Rationalität« des Kapitalismus

Von unseren vier Reformationstheoretikern ist Max Weber der heute noch am häufigsten gelesene. Sein bekanntestes Werk ist »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus«, ein zweiteiliger Aufsatz, der in den Jahren 1904–1906 entstanden ist. Zusammen mit drei weiteren Aufsätzen zu diesem Thema und einer Vorbemerkung erschien er nach Webers Tod in Band 1 »Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie« (1920). In dieser Vorbemerkung unterscheidet Weber zwei Formen von Kapitalismus und Kapitalisten: den neuzeitlichen Kapitalismus des Okzidents, der sich auszeichnet


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durch »die rational-kapitalistische Organisation von (formell) freier Arbeit« auf der einen Seite und den »seit 3 Jahrtausenden in der Welt, von China, Indien, Babylon, Hellas, Rom, Florenz bis in die Gegenwart verbreiteten Kapitalismus der Wucherer, Kriegslieferanten, Amts-und Steuerpächter, großen Handelsunternehmer und Finanzmagnaten«,34 der »kapitalistischen Abenteurer», die es »in aller Welt gegeben hat«,35 auf der andern Seite. Gegenstand von Webers Untersuchung ist bloß der erste Typ; wenn er vom »Geist des modernen Kapitalismus« spricht, so hat er damit jene Gesinnung vor Augen, »welche berufsmäßig systematisch und rational legitimen Gewinn […] erstrebt«.36 Anders als Sombart sieht er also einen Gegensatz zwischen puritanischem und jüdischem Kapitalismus: »In der Tat lässt sich der Gegensatz im ganzen, mit den stets unvermeidlichen Vorbehalten, wohl so formulieren: dass der jüdische Kapitalismus spekulativer Paria-Kapitalismus war, der puritanische: bürgerliche Arbeitsorganisation.«37 Mit dieser Unterscheidung hat Weber irrationales Handeln per definitionem aus dem von ihm untersuchten abendländischen Kapitalismus ausgeschieden. Weber war zweifellos ein um Objektivität bemühter Beobachter, ein sorgfältiger Wissenschaftler und ein Vermittler wertvoller Erkenntnisse; aber die Ereignisse seit seinem Tod haben die Vorstellung eines rationalen Kapitalismus zu einem schönen Trugbild gemacht. Hätte Weber die »wilden« zwanziger Jahre, den großen Börsensturz von 1929 und die anschließende Depression (siehe Kapitel 20) noch erlebt, so hätte er wohl zugegeben, dass es sich hier nicht um vereinzelte Unglücksfälle handelte, sondern dass das ganze kapitalistische Wirtschaftssystem vieler Nationen darin verwickelt war. Hätte er weiter die Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges erlebt, so hätte er erkannt, dass Vertreter dieses alten abendländischen Kapitalismus auch hier die Fäden zogen. Und hätte er heute die Möglichkeit zu sehen, wie internationale Organisationen als verlängerter Arm privater Kreditgeber handeln oder wie der »Kasinokapitalismus« und die unkontrollierten Spekulationen der neunziger Jahre traditionsreiche Banken zerstören, ganze Volkswirtschaften in den Abgrund ziehen und die Weltwirtschaft aufs höchste gefährden – Weber hätte seine These wohl anders formuliert oder mindestens die Gewichte anders gelegt. Der Kapitalismus, den wir kennengelernt


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haben, trägt ein anderes Gesicht als die von Weber beschriebene rationale Organisation der Arbeit. Weber hat nicht vorausgesehen, dass der unkontrollierte (»deregulierte«) Paria-Kapitalismus mit der Zeit die Oberhand gewinnen würde. Kurz: Weber hat die Macht nicht richtig eingeschätzt, die sich in den Händen derer konzentriert, die über das Privileg privater Geldausgabe verfügen. Auch wenn sie noch immer in amerikanischen Schulen gelehrt wird, so ist Webers Definition des Kapitalismus überholt. Wir stehen an der Schwelle zum dritten Jahrtausend, und da ist es vielleicht an der Zeit, diese naive, bei Bankern und ihren Apologeten so beliebte Definition fahren zu lassen und das real existierende Geld-und Bankensystem zu untersuchen.


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8. Kapitel

Das Jahr 1500 – Dreh- und Angelpunkt der Geschichte

Machtverschiebungen vom Mittelmeer zur Nordsee Die Reformation zerstörte die Universalität des Christentums und begann, die Vorstellung von »akzeptablem« Verhalten innerhalb menschlicher Beziehungen zu verändern, besonders in bezug auf Aktivitäten auf dem finanziellen Sektor. Die Saat der Calvinisten ging vor allem in Nordwesteuropa auf, wo sie durch zwei epochemachende Entdeckungen reichlich Nahrung erhielt. Die Tempelherren hatten dank ihrer finanziellen Innovationen und ihrer guten Beziehungen zu dem mit dem Osten abgewickelten Handel mit dem Gold-Silber-Wertverhältnis die wirtschaftlichen Angelegenheiten Europas im 12. und 13. Jahrhundert dominiert; das 16., 17. und 18. Jahrhundert sollte unter dem Einfluss zweier navigatorischer Bravourstücke des portugiesischen Christusordens stehen – Leistungen, die letztlich das Ergebnis der Bemühungen um die Kontrolle des so bedeutsamen Fernhandels mit dem Osten waren. Sowohl Portugals Herrscher Prinz Heinrich der Seefahrer (1393– 1460) als auch Kolumbus gehörten zu diesem Orden, der die Kunst der Navigation und der Kartographie weiterentwickelte. Kolumbus’ Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 und Vasco da Gamas Entdeckung des Seeweges nach Indien um das Kap der Guten Hoffnung herum im Jahr 1498 waren von gar nicht hoch genug einzuschätzender geopolitischer Bedeutung. Beide Entdeckungen waren das Resultat von Versuchen, an dem schon erwähnten Gold-Silber-Handel mit dem Osten teilzunehmen und sich im Gewürzhandel eine gute Position zu erkämpfen. Durch diese Entdeckungen wurde der Handel mit dem Osten nicht mehr vom Mittelmeerraum, sondern von West- und Nordwesteuropa aus kontrolliert, und das Zentrum europäischer Macht verschob sich nach und nach in den Nordseeraum.


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Das Jahr 1500 – Dreh- und Angelpunkt der Geschichte

Die Öffnung der Kaproute gab Portugal die Kontrolle sowohl über den Gold-Silber-Handel als auch über den Gewürzhandel und machte das Land über mehrere Jahrzehnte zu einer europäischen Großmacht. Die riesigen Mengen Gold und Silber, die in den beiden Amerikas während der Reisen Kolumbus’ geraubt wurden, stellten die europäischen Vorkommen weit in den Schatten. Der plötzliche Überfluss an diesen Metallen hatte tiefgreifende Auswirkungen auf Europas Geldsysteme, da hierdurch enorme Veränderungen in den wirtschaftlichen Strukturen der verschiedenen Länder notwendig wurden – eine »Renaissance des Nordens« war das Resultat. Gewöhnlich wird die dynamische Entwicklung, die dieser Zufluss neuen »Geldes« in Nordeuropa in Gang setzte, der Reformation zugeschrieben, da die Menschen aufgrund ihres Einflusses begonnen hätten, mehr Wert auf weltliche Errungenschaften zu legen. Bei den Venezianern und anderen war diese Entwicklung jedoch schon seit Jahrhunderten zu beobachten, und schließlich wurden die beiden erwähnten großen Entdeckungen von Katholiken gemacht – unter von den Päpsten abgesegneten Arrangements.

Die Plünderung Amerikas Wie kann Blut mit Geld bemessen werden? […] Wie können Verzweiflung, das Leben, der Tod, die Ausrottung von Völkern und ihr Erbe an Erfahrungen, Errungenschaften, Gesetzen, religiösen Vorstellungen und moralischen Werten mit Geld bemessen werden? A D M

Obwohl die katholische Kirche vorgab, die Menschheit als eine Bruderschaft in Christo zu sehen, wurden in ihrem Namen mit der Abschlachtung von Millionen südamerikanischer Indios furchtbare Verbrechen an der Menschheit verübt. Instrumente des Genozids waren die Konquistadoren, die von der spanischen Krone ausgesandt wurden, um die Ureinwohner ihres Goldes zu berauben.


Die Plünderung Amerikas

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In päpstlichen Bullen wird dem Genozid zugestimmt

Papst Nikolaus V. drückte es 1450 deutlich genug aus: »Nach reiflicher Überlegung gewähren wir König Alfons mit unserer Bulle völlige und uneingeschränkte Freiheit, all die Sarazenen, Heiden und andere Feinde Christi – wo immer sie auch seien – zu besiegen, zu belagern und zu unterwerfen; ihre Königreiche, Herzogtümer, Fürstentümer, ihr Privateigentum, ihren Landbesitz und all die Güter, die sie zurückhalten und besitzen, zu beschlagnahmen und diese Personen auf ewig zu versklaven; diese Königreiche, Herzogtümer, Fürstentümer, Grafschaften, all das Eigentum und all den Reichtum zu verteilen, all diesen Besitz an die Nachfolger weiterzugeben, sie für sich selbst und zusammen mit den Nachkommen für die eigenen Zwecke und zum eigenen Vorteil nutzbar zu machen.« 1493 teilte Papst Alexander VI. die Welt 100 Leguas (etwa 560 km) westlich der Azoren in zwei Einflussbereiche auf, von denen der östliche Portugal, der westliche Spanien zufallen sollte: »Und damit Ihr den Bereich einer so großen Aufgabe freier und kühner ergreift, entscheiden Wir aus eigenem Antriebe und auf Grund sicherer Kenntnis und apostolischer Machtfülle: alle Inseln und Festländer, die entdeckt und noch zu entdecken sind, westlich und südlich einer Linie vom Nordpol bis zum Südpol, die von jeder der Inseln, die gemeinhin Azoren und Kapverden heißen, 100 Leguas nach Westen und Süden entfernt liegt, soweit sie nicht durch einen andern christlichen König oder Fürsten bis zum jüngstvergangenen Fest der ›Geburt Unseres Herrn Jesu Christi‹, mit dem das gegenwärtige Jahr 1493 beginnt, tatsächlich in Besitz genommen waren, schenken und überweisen Wir kraft der Gewalt des allmächtigen Gottes, die Uns im heiligen Petrus übertragen ist, und der Stellvertretung Christi, die Wir auf Erden ausüben, mit allem Zubehör Euch, Euren Erben und Nachfolgern, den Königen von Kastilien und León, für immer.«1 Kolumbus’ Goldfieber

Kolumbus suchte für Spanien nach einer westlichen Route nach Asien, um am Gold-Silber-Handel mit China und Japan teilnehmen zu können. »Gold« scheint buchstäblich das erste Wort gewesen zu sein, das zwischen ihm und den Indios fiel. Kolumbus’ Vertrag mit der spanischen Krone sicherte ihm ein Achtel des Gewinns der Reise


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zu, und daher war einer seiner ersten Vorschläge an Spanien, die Indianer zu versklaven. Die Monarchie, die den Wünschen der Konquistadoren meistens entgegenkam, gewährte Kolumbus schließlich auch diese Bitte. Die an den Indianern begangenen Greueltaten wurden zur Routine. Die Konquistadoren schlachteten sie ab, vergewaltigten sie, erhängten und verbrannten sie – meistens auf Initiative des Konquistadoren vor Ort. Dabei stützten sie sich auf Verträge, die von der auf rechtlichem Gebiet so talentierten Kirche verfasst worden waren und nichts anderes waren als Lizenzen zum Morden. Die friedlichen Indianer konnten sich dieser Aggression nicht erwehren und versuchten meistens, mit den Eindringlingen, die oft als Erfüllung einer indianischen Prophezeiung vom Kommen weißer Götter gesehen wurden, zu kooperieren. Als Kolumbus’ Forderungen auf Hispaniola (Haiti) unerträglich wurden, kultivierten sie das Land nicht mehr – auch nicht für sich selbst – und versuchten so, die Spanier auszuhungern. Die Greueltaten dauerten jedoch noch ein weiteres Jahrhundert an, wie etwa an folgendem Beispiel deutlich wird: Als der englische Pirat Sir Francis Drake 1586 San Domingo einnahm, erfuhr Abbé Reynal von den wenigen Überlebenden dieses einst dicht bevölkerten Landes, dass die Bewohner lieber auf Geschlechtsverkehr verzichteten, als Eltern von Kindern zu werden, die derselben Behandlung ausgesetzt würden wie sie selbst.2 In The Spanish Conquest of America schätzt Arthur Helps die indianische Bevölkerung zu Beginn der spanischen Herrschaft auf 32 Millionen, und er geht davon aus, dass die Spanier in weniger als 40 Jahren 15 Millionen Indianer ums Leben brachten – die meisten wurden in den Gold- und Silberminen zu Tode geschunden. Zum Beispiel in einer Mine nahe der Stadt Mexiko. In einem Brief aus dem Jahre 1541 beschreibt der Mönch Toribio Motolina de Paredes die Situation so: Man konnte eine halbe Wegstunde um die Mine herum und auf einem größten Teil der Strasse, die dorthin führt, kaum einen Schritt tun, ohne auf Leichen oder die Knochen von Toten zu treten. Die Raubvögel, die kamen, um von den Leichen zu fressen, verdunkelten die Sonne.3 Eines der großen Leichenfelder Perus war die große Silbermine in Potosí, wo 1535 mit dem Abbau begonnen wurde.


Die Plünderung Amerikas

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Das Requerimiento*

Die Eroberer waren per Gesetz verpflichtet, jedem Indio vor dessen Ermordung das »Requerimiento« zu verlesen: Im Namen des sehr hohen und sehr mächtigen und sehr katholischen Verteidigers der Kirche, des immer siegreichen und nie besiegten, des großen Königs Ferdinand V. von Spanien, von beiden Sizilien, […] und der sehr hohen und sehr mächtigen Herrin, der Königin Doña Juana, seiner sehr lieben und sehr geliebten Tochter, unserer Herren. Ich [Name des Konquistadoren], sein Diener, Bote und Kapitän, verkünde euch und tue euch zu wissen, so gut ich kann, dass Gott, unser Herr, der eine und ewige, Himmel und Erde und einen Mann und eine Frau erschaffen hat, deren Söhne und Nachkommen wir und alle Menschen der Welt waren und sind und alle sein werden, die nach uns kommen werden. […] Über alle diese Völker gab der Herr, unser Gott, einem, der St. Petrus genannt wurde, das Amt, der Herr und Vorgesetzte aller Menschen der Welt zu sein, dem alle gehorchen sollten, der das Haupt des ganzen Menschengeschlechtes sein sollte, wo immer die Menschen lebten und wären, und er gab ihm die Welt als sein Reich und seine Gerichtsbarkeit. […] Diesen nennt man Papst, das will heißen: wunderbarer, höchster Vater und Bewahrer, weil er der Vater und Lenker aller Menschen ist. Diesem hl. Petrus gehorchten die, die zu seiner Zeit lebten, und nahmen ihn zu ihrem Herrn und König und Gebieter der Welt, und ebenso hat man alle die anerkannt, die nach ihm zum Pontifikat erwählt wurden. So ist es fortgegangen bis jetzt, und so wird es fortgehen bis zum Ende der Welt. Einer der früheren Päpste, der an seiner Stelle in dieser Würde und auf dem genannten Throne als Herr der Welt nachfolgte, machte diese Inseln und dieses Festland des Weltmeers den Genannten, d. h. dem König und der Königin und ihren Nachfolgern, zum Geschenke mit allem, was es drin gibt, wie es in gewissen Schriftstücken geschrieben steht, die darüber erlassen wurden, die ihr sehen könnt,

* El requerimiento (span. Aufforderung, Mahnung, Ersuchen).


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wenn ihr wollt, so dass also ihre Hoheiten Könige und Herren dieser Inseln und des Festlandes sind, aufgrund der besagten Schenkung. […] Deshalb bitte ich euch und fordere euch auf, so gut ich kann, recht zu beachten, was ich euch gesagt habe, und euch die rechte Zeit zu nehmen, es zu bedenken und zu überlegen und die Kirche anzuerkennen als Herrin und Vorgesetzte der ganzen Welt und den Hohenpriester, der Papst genannt wird, in ihrem Namen und den König und die Königin Johanna, unsere Herren, an seiner Statt als Vorgesetzte und Herren und Könige dieser Inseln und des Festlandes aufgrund der besagten Schenkung und zuzustimmen und Freiheit zu geben, dass diese religiösen Väter euch das Gesagte erklären und predigen. Wenn ihr dies tut, werdet ihr gut tun und werdet ihr dasjenige tun, wozu ihr verpflichtet seid, […] Wenn ihr es aber nicht tut oder es in boshafter Weise aufschiebt, so tue ich euch kund, dass ich mit der Hilfe Gottes mit Gewalt eindringen werde gegen euch und euch bekriegen werde in jeder Art und Weise, wie ich kann, und euch unterwerfen werde unter das Joch und den Gehorsam der Kirche und ihrer Hoheiten. Und eure Personen und eure Frauen und Kinder werde ich gefangennehmen und zu Sklaven machen und als solche sie verkaufen und über sie verfügen, wie seine Hoheit es gebietet, und werde euch eure Güter nehmen und euch allen Schaden und alles Böse antun, wie ich kann, […] und ich erkläre, dass die Tötungen und Schäden, die sich daraus ergeben werden, zu euren Schulden gehen und nicht zu denen seiner Hoheit noch der Herren, die mit mir gekommen sind. […] 4 Das Requerimiento wurde gewöhnlich auf spanisch Bäumen vorgelesen oder von angreifenden Heeren gemurmelt. 1532 wurde er für den indianischen Herrscher Perus, Atahualpa, übersetzt. Nachdem man ihm die Übersetzung vorgelesen hatte, sagte er: »Euer Papst muss gewiss ein höchst außergewöhnlicher Mann sein, dass er so großzügig verschenkt, was ihm nicht gehört.« Er fragte den vorlesenden Priester, woher der Papst seinen Anspruch nehme, über die Erde zu herrschen. »Hieraus«, antwortete der Mönch und zeigte dem Herrscher sein Brevier. Atahualpa nahm es, besah es sich von allen Seiten, brach in Gelächter aus, warf es davon und sagte: »Weder


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dies noch irgendein anderes Schriftstück kann den Anspruch verleihen, über die Erde zu herrschen.«5 Pizarro ermordete Atahualpa, nachdem der Herrscher der Inka ihm als vereinbartes Lösegeld einen Raum mit Gold gefüllt hatte – alles in allem 185 000 Unzen.* Nur in Chile trafen die Spanier auf einen Stamm, der ihnen Widerstand leisten konnte, die Araucaner. Es kostete die Spanier fast 20 Jahre, sie zu unterwerfen, und schon 1553, nur wenige Jahre später, gewannen die Araucaner ihre Unabhängigkeit zurück, setzten den spanischen Anführer gefangen und beförderten ihn mit feiner Ironie vom Leben zum Tode, indem sie ihm geschmolzenes Gold in den Hals gossen. Das Geld der amerikanischen Ureinwohner

Laut Del Mar war die Verwendung von Geld zur Zeit der Entdeckung durch die Europäer nur in vier indianischen Nationen – alle in Süd-und Mittelamerika – üblich. Obwohl sie alle über Gold und Silber verfügten, brauchten sie es nicht als Geld. In Peru herrschte ein solcher Überfluss an Gold, dass daraus manchmal Speicherbehälter, Wasserrohre und sogar Planken gemacht wurden. Die Mexikaner verwendeten getriebenes Kupfer und Kakaobohnen als Geld; letzteres wurde durch das königliche Monopol auf die Kakaoproduktion ermöglicht.6 Konquistadoren in Nordamerika

Die Spanier drangen auch tief in den nördlichen Teil Amerikas ein. Auf der Suche nach den sagenhaften sieben goldenen Städten von Cibolá gelangte Cortez bis nach Santa Fe, New Mexico, der ältesten Stadt in Nordamerika. Im Rahmen seines ersten Auftrags als Bergbauingenieur, der ihn Mitte des 19. Jahrhunderts nach Salisbury in North Carolina, 25 Meilen südlich von Winston Salem, führte, fand Del Mar nahe der Goldwaschplätze von Salisbury eine Anzahl spanischer Überbleibsel wie zum Beispiel Speerspitzen, Hufeisen usw. Dies war ein Beweis * Während der Arbeit an diesem Kapitel (23.Dez.1997) vernehme ich die Nachricht, dass in der mexikanischen Provinz Chiapas 45 Indianer von paramilitärischen Truppen erschossen wurden. Die Ermordung der indianischen Urbevölkerung dauert an […]


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dafür, dass frühe spanische Goldjäger viel weiter nach Norden gekommen waren, als man damals allgemein annahm.7 Doch war diese Gegend für die Spanier nicht produktiv genug. Hätten sie in Nordamerika leicht zu betreibende Gold- oder Silberminen gefunden, würden heute vermutlich alle Amerikaner spanisch sprechen, nicht nur die Hälfte. Bevor die Spanier mit dem Bergbau in Südamerika begannen, hatten sie schon Gegenstände aus Gold und Silber im Wert von 8 Millionen £ geraubt. Die erste Münzstätte in Südamerika richteten sie 1535 in Mexiko Stadt ein. Die gesamte Beute der Spanier zwischen 1493 und 1690 wird auf 1230 Tonnen Gold und 60 440 Tonnen Silber geschätzt, jedoch hat nur ein Teil davon Spanien jemals erreicht.8 Piraten entern spanische Schiffe

Während die Spanier an Land die »Dreckarbeit« verrichteten, verfolgten die Engländer und Holländer eine einfachere Strategie, indem sie die mit Gold und Silber beladenen spanischen Schiffe auf dem Heimweg nach Europa kaperten. Wie aus dem Preisanstieg in England und Holland in jener Zeit geschlossen werden kann, muss es sich um sehr große Mengen an Edelmetallen gehandelt haben. Die britische Krone vergab zu diesem Zweck sogar Kaperbriefe an Piraten, die sie dann »privateers« nannten.* Die holländische Westindische Kompanie wurde 1623 gegründet, um die Spanier auszurauben. Das Startkapital der Gesellschaft belief sich auf 7 Millionen Florin; eine halbe Million davon stammte vom König und der Königin, 3 Millionen kamen aus Amsterdam, den Rest steuerten Bürger aus ganz Holland bei. Die Piraterei war ein profitables Geschäft: während der ersten dreizehn Jahre rüstete die Gesellschaft für 54 Millionen Gulden 800 Schiffe aus. In jener Zeit erbeutete sie 540 Schiffe mit einer Ladung im Wert von 72 Millionen und raubte weitere 36 Millionen aus den portugiesischen Kolonien. Ihren größten Coup landete die Gesellschaft 1627, als Piet Hein 22 von 30 Schiffen einer spanischen Silberflotte ins Netz gingen und er dabei zwischen 11 und 15 Millionen Gulden erbeutete, was einer Dividende von 50 % entsprach.9 * »Freibeuter« sind laut Brockhaus Piraten, die ohne Kaperbrief Schiffe kaperten.


Die Renaissance des Nordens

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Die Westindische Kompanie wurde auch im Sklavenhandel zu einem wichtigen Faktor. Barbour stellt fest, von großem Interesse für Amsterdam sei der Vertrag zur Versorgung der spanischen Kolonien Amerikas mit Negersklaven gewesen. Cura«ao war der Lieferort der Gesellschaft. Von 1650 bis 1700 scheint Amsterdam das Hauptquartier des Sklavenhandels gewesen zu sein; auch die Verträge für die Lieferung von Sklaven wurden dort aufgesetzt.10 Und Herbert Bloom bemerkt, der Sklavenhandel sei in Surinam – wie auch in den anderen Kolonien – eine der wichtigsten Aktivitäten der Juden gewesen.11

Die Renaissance des Nordens Der Zufluss von Gold und Silber, der vor allem im nördlichen Europa zu verzeichnen war, trug dazu bei, das Machtzentrum von den italienischen Stadtstaaten am Mittelmeer zu den Städten an der Nordsee zu verschieben. Jacob schätzt, dass sich der Bestand an Edelmetallen 1492 in Europa auf 35 Millionen englische Pfund belief, d. h. zirka 1 Pfund bzw. zirka 5 Dollar pro Person, ausgehend vom Dollarkurs im Jahr 1900. Für Ende 1599 schätzt er die Geldmenge in Europa auf insgesamt 87 Millionen Pfund und berücksichtigt dabei auch den Verschleiß beim Münzgeld und die riesigen Summen, die nach Indien und in Gegenden östlich davon flossen. Für Ende 1699 schätzt er den verfügbaren Bestand an Edelmetallen in Europa auf 287 Millionen Pfund. Obwohl die Wachstumsrate der Geldmenge im 17. Jahrhundert wesentlich höher war als im Jahrhundert davor, war die Inflation weniger hoch als im 16. Jahrhundert, da der Handel rapide wuchs, neue Waren und Dienstleistungen leichter angeboten werden konnten und die Bevölkerung um 50 % zugenommen hatte, so dass die größere Geldmenge auch benötigt wurde. Die Erhöhung der Geldmenge durch die Edelmetalle, die nach Europa flossen, hatte dramatische Auswirkungen auf die Konjunktur. Der Handel wurde stimuliert wie niemals zuvor, die Industrie begann sich zu entwickeln und gedieh, die Bevölkerungszahlen stiegen dramatisch an, und der Reichtum verteilte sich über einen größeren Teil der Bevölkerung, da die Löhne schneller stiegen als die Preise.


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Im Norden konnten sich die »Industriellen« Land kaufen; es erschienen Bücher über die richtigen Anbaumethoden; die ersten Sägemühlen wurden gebaut, mechanische Geräte wie das Spinnrad und die Dampfmaschine wurden erfunden. Die wachsende Geldmenge beunruhigte das finanzielle Establishment in Europa, das über den Anstieg des relativen Werts der Löhne nicht sehr glücklich war. Jacob schätzte, dass die Preise in Frankreich zwischen 1492 und 1589 um 470 % stiegen. Er stützte seine Kalkulation auf eine Liste von 18 Gütern wie z. B. Hase, Hering, Kerzen, Wein, Weizen und Öl. In bezug auf England orientierte sich Jacob an den Oxford Tables und stieß auf einen Anstieg von 400 % bei Mais bei einem generellen Preisanstieg von 500 %. Er betont, dass dieser Preisanstieg niemals als Schock empfunden wurde, da keine großen Preissprünge zu verzeichnen waren und der Anstieg gleichmäßig über die gesamte Periode verteilt war. Dieser Preisanstieg ist tatsächlich mit der Inflationsrate zu vergleichen, die das US-Zentralbankensystem während der vergangenen 80 Jahre in Amerika verursacht hat. So verloren Gold und Silber zwischen 1500 und 1600 über 80 % ihres Werts, und sie sollten ihn niemals wiedererlangen. All jene, die an das Motto »Gold ist Geld« glauben, scheinen sich dieser Tatsache nicht bewusst zu sein. Merkwürdige Auswirkungen auf Spanien

Während die importierten Edelmetalle eine »Renaissance des Nordens« zur Folge hatten, kann der Effekt auf Spanien nur als negativ bezeichnet werden. In zwei Sätzen ausgedrückt: Spanien beraubte die beiden Amerikas und bereicherte seine »Edelleute«; Europa beraubte die Spanier und bereicherte vor allem das Volk. Der Geldhistoriker W. A. Shaw meint, der unrechtmäßige, blutbefleckte Gewinn, der aus Amerika an Spaniens Küsten strömte, habe einzig und allein eine unangebrachte Eitelkeit genährt und die Nation für die industrielle Produktion und den Handel nur noch untauglicher gemacht. Spanien meinte, mit diesem Gold und Silber alles kaufen zu können, stürzte sich in seine Eroberungen und scherte sich nicht um den Handel.12 Das Beispiel Spaniens untermauert die Ansicht, dass es sich bei Geld nicht um produktives Kapital handelt. Diese falsche Definition von Geld hat Konsequenzen, die ein ganzes Land erschüttern können.


Die Renaissance des Nordens

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Während die (relative) Demokratisierung und gleichmäßigere Verteilung des Reichtums im Norden zum Aufstieg der Industrie und zu Wohlstand führten, brachte die Konzentration des Reichtums in Spanien, wo die Granden ihre Truhen und Keller mit immer mehr Gold und Silber füllten, Stagnation und den (relativen) Niedergang der Nation. Die Konzentration von Reichtum hat in verschiedenen Epochen oft unterschiedliche Ursachen; deren negative Effekte ähneln sich jedoch im allgemeinen sehr. Noch einmal wird folgendes deutlich: Nicht nur die Summe der vorhandenen Geldmenge beeinflusst wirtschaftliche Aktivitäten – der Reichtum muss auch auf viele verteilt sein, damit gute Resultate erzielt werden können. Der Überfluss an Edelmetallen verzögert monetäres Denken

Die Plünderung der Edelmetalle in Amerika verzögerte das Einsetzen monetären Denkens: Zu beobachten war eine Entwicklung weg von den Nomisma hin zu Warengeld, das tatsächlich nur eine weiterentwickelte Form des Tauschhandels darstellt. »Die Eroberung der neuen Welt verhinderte das Wiederaufleben der klassischen Konzeption von Geld und förderte statt dessen die Weiterentwicklung der feudalen Konzeption in eine noch monströsere Form«, schrieb Del Mar.13 (Mit »klassisch« bezog sich Del Mar natürlich auf Aristoteles, nicht auf Adam Smith’ Schule, die ziemlich unglücklich »klassische Schule« genannt wird.) Die klassische Konzeption von Geld als gesetzlicher Institution war abstrakt, nach ihr sollte Geld das Tauschverhältnis von Waren und von Dienstleistungen bezeichnen. In der feudalen Konzeption wurde Geld dagegen als etwas Konkretes betrachtet – eine Münze sollte etwas Abstraktes oder Imaginäres, genannt Wert, bezeichnen. Der Abfluss von Gold und Silber in den Osten nimmt ab

Die Edelmetalle flossen weiterhin nach Osten. Im 16. Jahrhundert lag das Wertverhältnis zwischen Silber und Gold in Indien noch immer zwischen 6 und 8 : 1; in Europa schwankte es zwischen 10 und 14 : 1. Schätzungen von M. Forbonnais zufolge wurde die Hälfte allen Goldes und Silbers, das zwischen 1492 und 1724 von Amerika nach Europa gelangte, von der Levante und dem Handel mit Indien und China absorbiert. M. Gerboux schätzte diesen Anteil etwas hö-


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her, und von Humboldt ging sogar von zwei Dritteln aus. Jacobs wiederum vermutete, dass zirka 40 % des Goldes und Silbers in den Osten flossen.14 Tatsächlich handelte es sich um enorme Mengen, aber die Menge an Edelmetall, die den amerikanischen Ureinwohnern geraubt wurde, war derart enorm, dass in Europa noch genug davon zirkulierte, um die industrielle Produktion zu stimulieren. Die Europäer konnten allmählich mehr Güter europäischen als östlichen Ursprungs erwerben, so dass der Erwerb von Waren aus dem Osten einen immer geringeren Abfluss von Geld in Richtung Osten verursachte. Mit der Herausbildung von »Kapital« im Westen sollte auch ein wachsender Anteil der über Wucherzinsen erlangten Gewinne in Europa verbleiben. Ein blutbeflecktes Geldsystem

Bei dieser Betonung der positiven Auswirkungen, die die geraubten Metalle auf Europa hatten, darf nicht vergessen werden, auf welche Weise die Europäer zu ihrer neuen Geldquelle kamen. 1902 schätzte Del Mar in The History of Precious Metals: »Etwa die Hälfte der Edelmetallbestände wurde durch Eroberung und Sklavenarbeit erworben.« Wie in den Zeiten Karls des Großen war die Verwendung von Edelmetallgeld mit Plünderungen, Diebstahl und Mord in großem Ausmaß verbunden. Mit unglaublicher Skrupellosigkeit wurde der Wert der menschlichen Arbeit, ja des menschlichen Lebens zu einem zu vernachlässigenden Faktor gemacht. Der Preis, mit dem das von Sklaven geschürfte Metall gehandelt wurde, drückte den Preis des von bezahlten Arbeitskräften geschürften Goldes, so dass letzteres zu Preisen, die unter den Durchschnittskosten lagen, an die Münzanstalt verkauft wurde.15 Sklaverei mindert den Wert aller bezahlten Arbeitskräfte, nicht nur den der Arbeiter in den Goldminen. Trotzdem behauptete die Gruppe um Adam Smith, der Wert des Edelmetallgelds gründe auf den Produktionskosten. Del Mar kritisierte sie deswegen und stellte fest, dass sich im Gegensatz zu ihm keiner von Smith’ Anhängern jemals die Mühe gemacht habe, die wahren Produktionskosten zu ermitteln. Und er fragte: »Wie kann Blut mit Geld bemessen werden? Wie können Verzweiflung, das Leben, der Tod, die Ausrottung von Völkern und deren Erbe an Erfahrungen, Errungenschaften, Gesetzen, religiösen Vorstellungen und moralischen Werten mit Geld bemessen werden?«16


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Die Kaproute verändert die Handelsbeziehungen

Ohne diesen Anker – die Theorie einer an den Produktionskosten orientierten Geldwertbestimmung – treibt die monetäre Theorie der politischen Ökonomen ab – und versinkt.

Die Kaproute verändert die Handelsbeziehungen Ihr werdet bald große Neuigkeiten erfahren: Jetzt gelangen Gewürze von Portugal nach Alexandria anstatt wie bisher von Alexandria nach Portugal. A V

Die Kontrolle über den Ost-West-Handel verleiht große Macht

Spätestens seit der Zeit Alexanders des Großen hatte im Westen das Sagen, wer den Osthandel und das Wertverhältnis zwischen Gold und Silber kontrollierte. In den bisherigen Kapiteln wurde gezeigt, wie nacheinander die Ptolomäer, Rom, Konstantinopel, Venedig, die Juden und die Tempelherren von diesem Handel profitierten. Nach deren Niedergang im Jahr 1307 dominierte Venedig bis 1500 erneut den Handel mit Silber und Gold und wurde somit wieder zum Machtzentrum in Europa. Durch die Öffnung der Kaproute konnte Portugal seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts den Handel mit Indien und den Gebieten östlich davon beherrschen. Zwischen 1565 und 1625 erleichterten die Portugiesen die Japaner um zwei Drittel ihres Goldes – um zirka 250 Tonnen. Die Japaner, bei denen das Wertverhältnis zwischen Silber und Gold bei 6 : 1 lag, wussten nicht, dass das Verhältnis in Europa mit 15 : 1 wesentlich höher lag. Die Portugiesen ließen den Pfefferhandel über Antwerpen laufen, das bald zu Europas größtem Handelshafen wurde. Den Schaden hatte Venedig. Italien wurde wiederholt von Frankreich, Spanien und Österreich überfallen. Die Kaproute schwächte auch die wirtschaftliche Macht der Moslems als Station zwischen Venedig und Indien. Wie es das Schicksal wollte, befand sich Amerigo Vespucci, dem Amerika seinen Namen verdankt, auf den Kapverdischen Inseln, als die Überbleibsel einer portugiesischen Expedition nach Indien im Juni 1501 nach Hause zurückkehrten. Er erkannte die Bedeutung


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des Geschehenen sofort und schrieb seinem früheren Dienstherrn, dem florentinischen Bankier Pietro de’ Medici: »Ihr werdet bald große Neuigkeiten erfahren. […] Jetzt gelangen Gewürze von Portugal nach Alexandria anstatt wie bisher von Alexandria nach Portugal. Das ist der Lauf der Welt!« Der Aufstieg Antwerpens zur Handelsvormacht

Mit der Öffnung der Kaproute erschien Antwerpen wie aus dem Nichts auf der Bildfläche und »entwickelte sich zu einem Handelszentrum, wie es die Welt noch nie gesehen hatte« (Ehrenberg). Im Antwerpen des 16. Jahrhunderts legte Sir Thomas Gresham für Königin Elisabeth I. Anleihen auf, und nach Antwerpens Vorbild ließ er den London Exchange errichten. Und 1522 verlangten Antwerpens Pfandleiher gar die Stadt London als Sicherheit für einen Kredit (was ihnen von den Engländern allerdings verweigert wurde). Im 16. Jahrhundert war Antwerpen die wichtigste Zwischenstation für Pfeffer aus Lissabon. Von dort aus wurde er an die verschiedenen Länder des nordwestlichen Europas weiterverteilt. Deutsche und italienische Handelshäuser machten sich Konkurrenz oder schlossen sich zusammen, um Pfeffer und andere Gewürze von der portugiesischen Krone zu erwerben. Sie bekamen die Erlaubnis, ihre eigenen Vertreter in Goa und Cochin zu stationieren, um Kauf und Verschiffung der Gewürze, für die sie Verträge abgeschlossen hatten, zu überwachen.17 Das Königreich Portugal entstand während der christlichen Rückeroberung Spaniens (1094 macht sich die Grafschaft um Porto selbständig), indem sich Portugal von der kastilischen Lehensherrschaft befreite. Wie hatte es das kleine Portugal geschafft, sich der Kontrolle über diesen Handel zu bemächtigen und sie auch zu behalten? Den Portugiesen wurde sehr schnell bewusst, dass sie die Handelsbeziehungen der Araber und Inder nur mit brutaler Gewalt, nicht durch friedliches Konkurrieren zerstören konnten. Diese Erkenntnis setzten sie absolut rücksichtslos und in verblüffendem Tempo um. Sie benötigten einige befestigte Häfen als Stützpunkte und Warenlager. Goa wurde 1510 eingenommen, Hormuz 1515, Malakka 1511. Die Vormachtstellung der portugiesischen Flotte an der ostafrikanischen Küste war schon zuvor durch den Bau zweier Forts in Sofala (1505) und Mozambique (1507) gesichert worden.18


Die Kaproute verändert die Handelsbeziehungen

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Die Portugiesen scheiterten einzig beim Versuch, die Meerengen des Roten Meers zu blockieren, so dass über Alexandria weiterhin etwas Pfeffer nach Venedig gelangen konnte. Sie nahmen jedoch anfangs drei für den Pfefferhandel bedeutende Forts der Venezianer ein und setzten auch deren Handel mit Metallen enge Grenzen. Der König von Portugal ließ Francesco Pesoa, seinen Handlungsbeauftragten in Antwerpen, ganze Schiffsladungen an große Syndikate verkaufen, denen eine Monopolstellung eingeräumt worden war. Um die Preise hoch zu halten, wurde der Handel auf Antwerpen beschränkt.19 Antwerpen war ein freier Hafen und äußerst gut befestigt. Teile der aus roten Ziegeln gebauten Befestigungsanlagen, die auch den Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs überdauert haben, sind heute noch zu sehen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie merkwürdig sinnlos sie mir vorkamen, als ich an ihnen vorbeifuhr, hat der Hafen doch heute eine Fläche von etwa 100 Quadratmeilen. Rotterdam mit seinen riesigen Schiffsladungen Öl einmal beiseite gelassen, ist Antwerpen noch immer der größte Hafen Europas. Der Fall Antwerpens und der Aufstieg Amsterdams

Antwerpens Vorherrschaft sollte nur von kurzer Dauer sein. Als Karl V. 1556 abdankte, gab er seine niederländischen Besitztümer seinem Sohn Philipp II. von Spanien. Philipps närrische Steuerpolitik in den Niederlanden löste 1565 eine Revolution aus. Der Aufstand erfuhr Unterstützung durch den Calvinismus, und seine Anhänger sammelten sich in den nördlichen Niederlanden, die später zu Holland wurden. Die südwestliche, hauptsächlich von Katholiken besiedelte Region wurde zu Belgien. Antwerpens Befestigungen stellten sich letztlich als nicht effektiv heraus, da die Stadt nicht direkt an der Nordsee, sondern 80 Meilen im Landesinneren an der Schelde liegt. So griff der Prinz von Parma 1585 nicht etwa Antwerpens wundervolle Befestigungen an – er blockierte einfach die Mündung der Schelde und strangulierte die Stadt. Als Antwerpens Hafen geschlossen wurde, übersiedelten etwa 19 000 Händler nach Holland, so dass Holland quasi über Nacht zur Kapitale des Handels im Norden wurde. Die bedeutende Position Amsterdams sollte aber nicht so schnell vorbei sein wie die Antwerpens, denn hier bestand schon eine industrielle Infrastruktur; die Stadt war für ein dynamisches Wachstum bereit.


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Das Jahr 1500 – Dreh- und Angelpunkt der Geschichte

1595 umsegelten vier niederländische Schiffe unter dem Kommando von Cornelius Houtman das Kap der Guten Hoffnung. Die genaue Route hatte Houtman von den Portugiesen erfahren. Um diese neue Handelsmöglichkeit zu nutzen, wurden in den Niederlanden in schneller Folge sechs Handelsgesellschaften gegründet, die sich im Konkurrenzkampf zunächst gegenseitig behinderten. Daher schlossen sie sich 1602 zur niederländischen Ostindienkompanie zusammen, die das Monopol für den Handel mit dem Osten erhielt. Der Handel im Osten erforderte bewaffnete Rückendeckung gegen die Portugiesen, denn unbewaffnet konnte sich kein Handelsschiff in diese Gewässer wagen. Als die Niederländer jedoch erst einmal im Rennen waren, sollten sie die Portugiesen, die auf dem Höhepunkt ihrer Seemacht nur 300 hochseetüchtige Schiffe hatten, zahlenmäßig bald überrunden. Den Portugiesen mangelte es auch an Seeleuten. Die meisten Besatzungsmitglieder kamen aus Afrika oder Asien, manchmal war der Kapitän der einzige Portugiese an Bord.20 Die Holländer kämpften mit den Portugiesen von 1605 bis 1665 um den Handel mit dem Osten, sie kämpften mit Tausenden von Schiffen, die Portugiesen mit weniger als 100 derselben Kategorie. Nach Boxer hatten die Portugiesen 4000 Seeleute, die holländische Marine zählte 250 000 – etwa jeder dritte Holländer muss also in der Handelsmarine gewesen sein. Die Portugiesen hatten sich jedoch gut an den Osten akklimatisiert, sie boten bessere Arbeitsbedingungen, und ihre Handelsbedingungen waren weniger hart. Daher kostete es die Holländer etwa 60 Jahre, ihre Konkurrenten zu verdrängen und die Kontrolle über die Ost-West-Handelsrouten und den noch immer bedeutsamen Goldund Silberhandel zu erlangen.


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9. Kapitel

Der Aufstieg des Kapitalismus in Amsterdam

Das bedeutendste Charakteristikum der Bank von Amsterdam muss in der Tatsache gesehen werden, dass es sich um eine städtische, nicht etwa um eine private oder privat geführte Einrichtung handelte. J I

Das Amsterdam des 17. Jahrhunderts nimmt in der Weltgeschichte einen bemerkenswerten Platz ein. Die Stadt entriss Portugal die Kontrolle über den Handel mit Indien, entwickelte Europas mächtigste Finanzmärkte und schuf die Grundlagen für den modernen Kapitalismus. Die Fischerei war das Rückgrat von Hollands Aufstieg im Handel. Im Jahre 1636 umfasste die Flotte der Grafschaft 2300–2500 Schiffe, zuzüglich 2000 Schiffe für den Fang von Heringen. Der in Holland verwendete Schiffstyp, die dreimastige »Fleute«, übertraf die Kogge der Hanse in Geschwindigkeit und Handhabung. Auch bei der Optimierung des Heringfangs zeichnete sich die Technologie der Holländer aus. Indem die Segelschiffe bei Gelegenheit kleinere Luxusgüter mitnahmen, wurde die holländische Flotte zum Spediteur des Nordens und nahm dabei dieselbe Funktion an, die Venedig im Süden hatte. Zudem wurde es durch die Fertigstellung ausgeklügelter Anlagen am Meer möglich, das Land in einem Notfall zu überfluten – ein großer strategischer Pluspunkt. Amsterdam erschien 1585 mit dem Niedergang Antwerpens auf der Bühne des Geschehens. Fremde beobachteten seinen Aufstieg zur Vorherrschaft im Welthandel mit einem Erstaunen, das nicht frei von Groll war. Auf einmal – so schien es – war die Stadt da.1 Zaandam wurde Europas wichtigstes Schiffsbauzentrum. In jener Zeit gab es zwischen 1,5 und 2 Millionen Niederländer, 6 Millionen Engländer und 20 Millionen Franzosen. Obwohl Rohstoffe importiert


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Der Aufstieg des Kaptalismus in Amsterdam

werden mussten, war Holland konkurrenzfähig. Die Lagerhäuser hatten am Erfolg der Holländer einen ähnlich hohen Anteil wie die Flotte. Möglicherweise erforderten sie eine vergleichbare Investition von Kapital. Die Holländer kauften, wenn die Preise am niedrigsten waren, lagerten die Ware und warteten auf einen Verkäufermarkt.2 Die intellektuelle Freiheit der Holländer

Auf intellektueller Ebene war Holland eine Gemeinschaft, wie sie zu dieser Zeit freidenkender nicht sein konnte. Der holländische Theologe Jakob Arminius formulierte die Doktrin von der menschlichen Willensfreiheit und stellte sich damit in Opposition zu Calvins Haltung. Der Standpunkt der Arminier wurde in ganz Europa über Jahrhunderte zum Symbol freien Denkens. Holland hatte drei große Universitäten. Viele politische Ökonomen der Epoche verbrachten Jahre in Amsterdam, auch William Petty und John Locke. William Paterson lebte dort, bevor er die Bank of England gründete, und von dem Holländer Matthew Decker wird gesagt, er habe Adam Smith beeinflusst. Auch die kleine Gruppe, die später die Mayflower-Expedition nach Neuengland bilden sollte, verbrachte einige Zeit im holländischen Exil, bevor sie schließlich die Segel setzte. Amsterdam war auch Heimat für den großen Juristen Hugo Grotius (1583–1645), der die Doktrin von der Freiheit der Meere aufstellte; in der Mitte des 17. Jahrhunderts lebten hier auch die Philosophen Descartes und Spinoza.

Die Bank von Amsterdam Bei der Bank von Amsterdam handelt es sich um die bekannteste Depositenbank der Welt, wenn auch die Natur der Bank gewöhnlich falsch eingeschätzt wird. Die wichtigste Quelle über die Geschichte dieser Bank ist J. G. van Dillens History of the Principle Public Banks. Vorgeschichte

Einige der aus Antwerpen kommenden Juden richteten eine Wisselbank, eine Art Wechselbank, ein. Sie wechselten Geld, diskontierten Wechsel, nahmen Einlagen an und vergaben Kredite. Der Umtausch


Die Bank von Amsterdam

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verlief ungeordnet, und die Gebühren schwankten beträchtlich. Die Kaufleute Amsterdams betonten jedoch die Notwendigkeit eines Bankinstituts. Die Stadtväter schritten ein und gründeten im Januar 1609 die Bank von Amsterdam. Den Juden und allen anderen Interessierten wurden Bankgeschäfte verboten. Das wichtigste Motiv für die Gründung der Bank von Amsterdam war, skrupellose Geldwechsler daran zu hindern, die ganze Region zu kontrollieren. Es sollte die Möglichkeit geschaffen werden, Geld schnell, effizient und verlässlich zu tauschen. Das bedeutendste Charakteristikum der Bank von Amsterdam muss in der Tatsache gesehen werden, dass es sich um eine städtische, nicht etwa um eine private oder privat geführte Einrichtung handelte.3 Theoretisch handelte es sich bei dieser Bank nicht um eine Notenbank, und auch die Vergabe von Krediten war nicht geplant. Einer Anordnung der Stadt zufolge waren aber alle Wechsel über 600 Florin (später 300) über die Bank zu bezahlen, wodurch der Wechselverkehr faktisch zum Monopol der Bank wurde. Gutschriften auf die Kundenkonten erfolgten durch Einzahlung von Münzgeld oder mittels eines Wechsels der Bank, belastet wurden die Konten durch das Abheben von Geld oder durch die Ausstellung eines Wechsels (Schecks). Zinsen wurden nicht bezahlt; die Konten wurden nicht überzogen; Kredite wurden nicht gewährt. Die Kaufleute konnten Geld von ihrem Konto auf die Konten anderer Bankkunden überweisen. Die Bank diskontierte keine Wechsel, d. h. auf andere Institutionen oder Kaufleute gezogene Wechsel wurden nicht zu einem Diskont akzeptiert und dann zur Zahlung vorgelegt. Auf die Bank von Amsterdam gezogene Wechsel wurden jedoch mit der Zeit weltweit akzeptiert, und das Ziehen von Wechseln auf sie war überall möglich. Die Einlagen bei der Bank konnten nicht gepfändet werden. Die Stadt selbst war für die Einlagen verantwortlich. Die Leitung der Bank lag in den Händen eines aus drei Mitgliedern bestehenden Ausschusses, der vom Stadtrat gewählt wurde. Der größte Tresorraum der Bank lag unter dem Rathaus. Die gewöhnliche Kontoführung, d. h. die Gutschrift von Beträgen bzw. die Belastung der Konten, war kostenlos (bis 1683). Gewinne machte die Bank beim Geld-


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umtausch und beim Kauf von Gold und Silber, wo sie Gebühren bis zu 2,5 % verlangte. Die Bank war zudem für die Versorgung der städtischen Münzstätte mit Gold- und Silberbarren zuständig. Alle Gewinne aus der Bank gehörten der Stadt Amsterdam. Ihre Botschaft an die Kaufleute war klar: Macht Profit im Handel und in der Industrie, nicht mit Geldwechselspielchen, nicht mit dem Beschneiden der Münzränder oder dem Aussondern der Münzen mit dem größten Gewicht. Und die Bank half ihnen beim Geldverdienen, wurde durch sie doch eine der größten Unsicherheiten im Handel beseitigt – die Qualität der Bezahlung. Wurde ein Kaufmann mit einer Anweisung an die Bank von Amsterdam über eine bestimmte Summe in Goldflorin bezahlt, musste er die erhaltenen Münzen nicht auf Echtheit oder Gewicht überprüfen, denn die Bank garantierte ihm dies. Da die Bank selbst Münzen von den Einlegern entgegennahm, war es in ihrem Interesse, die Einlagen auf ihre Qualität zu prüfen. So sorgte die Bank dafür, dass niemand die Möglichkeit hatte oder auch nur in Versuchung geriet, das Münzgeld durch Beschneiden der Ränder zu verschlechtern. Aus den Bemühungen der Bank ergab sich ganz automatisch eine Förderung des Handels und aller daran Beteiligten sowie die Unterdrückung der Wucherei, also des Missbrauchs des Geldsystems. Das Agio

Der Zahlungsverkehr über die Bank erwies sich als so praktisch, dass das Buchgeld während des größten Teils der Bankgeschichte im Vergleich zum Münzgeld ein Agio von 4 bis 5 % aufwies. Aufgrund dieses Agios war Münzgeld in Amsterdam bald nicht mehr in Umlauf. Die Bank zog große Einlagen aus den gesamten Niederlanden an. 1611 zählte sie 708 Kontoinhaber mit einer Gesamteinlage von 925 000 Florin; 1701 waren es schon 2698 Kontoinhaber mit insgesamt 16 280 000 Florin. Die Bank trennte die Vergabe von Krediten generell streng von den anderen Bankgeschäften, und dies mit sehr guten Resultaten. Nur drei Bankkunden durften ihre Konten überziehen: die Stadt Amsterdam, die holländische Ostindiengesellschaft sowie im Jahr 1614 die Bank Von Leening zum Zweck der Finanzierung einer städtischen Kreditbank. Manche Beobachter behaupten, dass es sich bei


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dieser Bank um eine Notenbank handelte, da durch sie Geld geschöpft wurde. Sollte das tatsächlich der Fall gewesen sein, geschah dies jedoch nur in geringem Umfang. Die Stadt Amsterdam überzog ihr Konto ab 1624. Zu Beginn bezahlte sie zwischen 3 und 4 % Zinsen auf ihren Bankschulden; diese Zinszahlungen wurden jedoch mit der Erkenntnis eingestellt, dass die Stadt auf diese Art Zinsen an sich selbst bezahlte.1685 waren die Bankschulden der Stadt auf 2 976 000 Florin angestiegen; die aufgelaufenen Gewinne der Bank – 2 340 000 Florin – wurden davon subtrahiert, und übrig blieb eine Restschuld von ca. 600 000 Florin – ein perfektes Beispiel dafür, wie monetäre Transaktionen und Bankgeschäfte eingesetzt werden, um bei der Finanzierung der Regierung zu helfen. Die enormen Beträge, um welche die holländische Ostindiengesellschaft von der Öffentlichkeit verborgen ihr Konto überzog, hatten jedoch eine Veränderung des Wesens der Bank zur Folge, da als Folge eine Entwicklung hin zur verdeckten Notenbank einsetzte. Diese Kontoüberziehungen begannen schon 1615, verursachten jedoch über ein Jahrhundert keinerlei Probleme – bis zum vierten anglo-holländischen Krieg im Jahr 1780: Hollands Flotte hatte schwere Niederlagen einstecken müssen, und Kriegsverluste bedrohten die Existenz der Ostindiengesellschaft. Gegen Verpfändung ihrer Wertpapiere waren der Gesellschaft Kredite in Höhe von 7,5 Millionen Florin gewährt worden. Um den Ruin von Amsterdams Handel zu verhindern, waren auch größere Kredite an Amsterdams städtische Kreditkammer vergeben worden. Im Jahr 1784 waren weder die Ostindiengesellschaft noch die Kreditkammer imstande, ihre Kredite zurückzuzahlen, und 1790, 181 Jahre nach der Gründung der Bank, wurde das Agio auf Buchgeld zum ersten Mal zu einem Disagio. Auf einmal wollten die Kunden Münzgeld anstatt Buchgeld. Die Rückzahlung der Einlagen in Münzgeld – eine Möglichkeit, von der seit dem frühen 18.Jahrhundert nicht mehr Gebrauch gemacht worden war – war zu einem Ausmaß in Vergessenheit geraten, dass die Frage aufgeworfen wurde, ob sie überhaupt jemals Teil der Politik der Bank gewesen war. Nicolas Bond, ein holländischer Anwalt, argumentierte, dieses Recht sei durch Nichtinanspruchnahme nicht verwirkt worden, und


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verklagte die Bank auf Wiederaufnahme der Rückzahlung in Münzgeld. Er gewann, und im Januar 1794 begann die Bank auf Verlangen Rückzahlungen auch in Münzgeld vorzunehmen. Da jedoch innerhalb eines kurzen Zeitraums 2 Millionen Florin abgehoben wurden, musste die Rückzahlung nach wenigen Wochen eingestellt werden. Die Stadt Amsterdam legte eine Anleihe auf, um die Bank zu unterstützen, aber etwas später im Jahr löste Napoleons Invasion in Amsterdam eine Revolution aus, während deren Repräsentanten des Volks die bisherigen Herren der Stadt ersetzten. Aus Berichten dieser Repräsentanten geht hervor, dass sich die Einlagen der Bank auf 11,7 Millionen Florin beliefen: Goldmünzen im Wert von 2,5 Millionen und 9,2 Millionen in anderer Form. Im Jahr 1802 stellten die Stadt und die »Batavische Republik«, wie die Region vorübergehend hieß, durch eine Zwangsanleihe die volle Münzdeckung für die Einlagen wieder her. Die Bankschulden der Ostindiengesellschaft, die sich 1802 noch auf 3,17 Millionen beliefen, waren 1803 getilgt. Die Kreditkammer, deren Schulden sich 1802 auf 845 000 Florin beliefen, schuldete 1803 nichts mehr. 1804 verfügte die Bank über Einlagen in Höhe von 7,1 Millionen in Gold. Diese Summe wurde jedoch mit der Gründung der Bank der Niederlande durch König Wilhelm I. von Holland im Jahr 1814 immer geringer, da die Kunden dieser der Bank of England nachempfundenen Notenbank Zinsen für ihre Einlagen erhielten. Die Bank von Amsterdam, die bei ihrer Liquidation nur noch über Einlagen mit einem Gesamtvolumen von 214 000 Florin (durch Gold im selben Wert gedeckt) verfügte, wurde auf Geheiß des Königs aufgelöst. Alles in allem gehört die Bank von Amsterdam zu den am besten geführten Bankinstituten in der Geschichte. Die Bank wurde zu einem Paradebeispiel für die effektive Organisation eines Banksystems. All jene, die sie als ideales Gold-Silber-Banksystem priesen, waren sich im allgemeinen nicht bewusst, dass die Bank neues Geld geschöpft hatte, indem sie der Stadt und der holländischen Ostindiengesellschaft Kontoüberziehungen gestattete. Wenn es jemals eine Zeit gegeben hat, in der ein echtes Gold-Silber-System hätte funktionieren können, war es gewiss während der Plünderung Amerikas, als riesige Mengen Edelmetalle ins Land strömten. Dennoch hielt die Bank schon 6 Jahre nach ihrer Gründung die Ausgabe abstrakten Geldes für notwendig. Der Glaube,


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dies geheimhalten zu müssen, zeugt von dem verspäteten Einsetzen monetären Denkens unter den Kaufleuten. Der Erfolg der Bank lässt sich darauf zurückführen, dass es sich nicht um eine privat geführte Einrichtung handelte, bei der nur die Interessen einiger weniger im Vordergrund standen, sondern um eine öffentliche, von der Stadt geführte Institution zum Nutzen des Landes und seiner Kaufleute. Als die Bank dann in Schwierigkeiten geriet, war daher auch die Aufnahme eines Kredits möglich, mit dem alle Einlagen der Bankkunden zurückgezahlt werden konnten. An sich waren die Geschäfte der Bank und ihre Politik alles in allem fair – allerdings nur den Niederländern gegenüber. Die dunkle Seite der Bank

Die Bank stürzte sich in verwerfliche Aktivitäten, die mit dem Export europäischen Silbergelds nach Indien durch die Venezianer im 14. und 15. Jahrhundert zu vergleichen sind. Gewinne hieraus gingen ebenfalls an die Stadt. Schon in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts führte die Bank von Amsterdam den verbotenen Handel mit Edelmetallen weiter.4 Durch häufiges Verändern des Gold-Silber-Wertverhältnisses, das so festgelegt wurde, dass sich die Versendung von Silbermünzen nach Amsterdam für die Nachbarländer gerade noch lohnte, zogen die Niederländer Silber ins Land. Diese mittels »plaakaat« angekündigten Veränderungen waren zwischen 1516 und 1615 gebräuchlich. Auch englische und französische Münzen überdurchschnittlichen Gewichts sowie von Münzrändern abgezwackte Stücke fanden einen Markt in den Niederlanden: Sie wurden in untergewichtiges Münzgeld umgemünzt und dann zurückgeschickt. Beamte der französischen Münzstätte beklagen denn auch die Bosheit einiger Menschen, »die die besten unserer Münzen einschmelzen, um dann das Königreich mit anderen Münzen minderer Güte zu überschwemmen und sich so am Blut und Elend des Volks bereichern.«5 Tatsächlich vermerkt ein Bericht der Meister (der holländischen Münzstätte), dass die Wechselbanken, vor allem die in Amsterdam, fast die gesamte Menge des importierten Münzmaterials aufkaufen, jedoch nur eine sehr geringe Menge an die Münzstätten liefern und den größeren Teil für den Export nach Indien verkaufen.6 Solche Aktivitäten der Bank könnten auch heute noch vollständig


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dokumentiert werden, da die Aufzeichnungen über die Geschäfte der Bank noch immer in Amsterdamer Archiven verstauben. Es wäre gut zu wissen, zu welchem Ausmaß der Erfolg der Bank auf den Betrug der Nachbarländer durch die Verschlechterung ihres Münzgeldes zurückzuführen ist.

Die Juden Amsterdams Die Juden Amsterdams spielten bei der Entwicklung der gegenwärtigen Form des Kapitalismus und dessen weiterer Verbreitung nach England eine Schlüsselrolle. 1492 wurden alle nicht konvertierten Juden von Ferdinand und Isabella aus Spanien ausgewiesen. Viele von ihnen zogen zunächst nach Portugal und dann weiter nach Antwerpen, als die Portugiesen dort ihr Handelsdepot einrichteten. Als Portugal 1535 mit der Inquisition begann, zogen weitere Marranos – so wurden die portugiesischen Juden und auch all jene genannt, die sich nur nach außen hin hatten bekehren lassen – ins nördliche Europa und engagierten sich im levantinischen Handel. Artikel 13 des Vertrags von 1579, in dem die nördlichen Provinzen der Niederlande vereinigt wurden, schloss Verfolgung aus religiösen Gründen aus. Nach dem Niedergang Antwerpens wurde vielen Juden erlaubt, sich in Amsterdam niederzulassen. Bald kamen sie direkt aus Portugal. 1609 lebten 200 portugiesische Juden in Amsterdam, etwas später waren es schon 1000 bei einer Gesamtbevölkerung von 115 000. Aufgrund ihrer Verbindungen zu im Ausland lebenden reichen Marranen war ihre finanzielle Macht groß. 1615 stellte Grotius für die jüdische Bevölkerung 49 Regeln auf. 300 Familien wurde das Wohnrecht gewährt, äußerliche Kennzeichnung war nicht notwendig, Ehen mit »weißen« Frauen waren nicht erlaubt. Diese Regeln wurden mit der Zeit verändert. Der Handel mit der Levante

Aufgrund ihrer Verbindungen zur Levante spezialisierten sich die Juden Amsterdams zunächst auf den Handel mit dieser Region. Die alteingesessenen holländischen Händler konnten es jedoch durchaus


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Die Juden Amsterdams

mit ihnen aufnehmen. Zuerst benutzten sie die Juden als Mentoren im internationalen Geschäft, und nachdem sie sich deren Wissen angeeignet und ihre eigenen Verbindungen geknüpft hatten, zwangen sie diese in relativ untergeordnete Positionen und stützten sich auf ihre eigenen großen Kapitalreserven. Keiner der Direktoren der levantinischen Handelsgesellschaft war Jude. Die größte jüdische Import-Export-Firma wickelte nur 2⁄7 des Imports und 1⁄5 des Exports der größten christlichen Firma ab.7 Allerdings dominierte die jüdische Gemeinschaft die niederländischen Kolonie in Brasilien. 1642, als die Kolonie auf ihrem Höhepunkt war, kontrollierten die reichen jüdischen Einwohner den Zuckerhandel. Die besten Positionen vergaben sie an neu angekommene Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft.8 Sie engagierten sich auch stark im Sklavenhandel mit Holland. In Hollands nordamerikanischer Kolonie waren Amsterdams Juden nicht willkommen; der Gouverneur Peter Stuyvesant versuchte, ihre Ansiedlung in Neuamsterdam zu verbieten. Er berief sich dabei auf »ihr wucherisches und betrügerisches Geschäftsgebahren gegenüber den Christen«, aber die holländische Westindische Kompanie gab seiner Bitte nicht statt. Die erste Gruppe Juden kam aus Brasilien nach Amsterdam. 1631 gab es in der Bank von Amsterdam 1348 Konten, deren Inhaber 1,1 % der Bevölkerung ausmachten. 89 der Kontoinhaber waren Juden, das entspricht 9 % der jüdischen Bevölkerung und unterstreicht das Ausmaß ihrer ökonomischen Aktivitäten. Amsterdams jüdische Bevölkerung

Sephardisch: Aschkenasisch:

1609

1630

1655

1674

1743

1780

200 0

1000 0 115 000

1800 0

2500 5000

3000 10 000 241 000

3000 19 000 217 000

Einwohner insgesamt:

Die jüdische Gemeinschaft Amsterdams bestand bis mindestens 1655 ausschließlich aus Sephardim. 1674 lag das Verhältnis zwischen den aus Osteuropa zugereisten Aschkenasim und den Sephardim jedoch schon bei 2 : 1.


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Die Aschkenasim Amsterdams fanden sich in ihrem wichtigsten Betätigungsfeld durch das Monopol der Bank von Amsterdam eingeschränkt,9 ließen sich aber nicht verdrängen und nutzten die Bank einfach nicht. Obwohl 1674 doppelt so viele Aschkenasim (5000) als portugiesische Juden in der Stadt lebten, gab es nur 3 aschkenasische Konten auf der Bank, während die Marranen 13 % der Konten insgesamt innehatten. Erst 1796 wurden den Juden in Holland die vollen Bürgerrechte eingeräumt. Piratenbeute wird umverpackt

Ein Teil der Juden Amsterdams wurde durch den Wiederverkauf der Ladungen gekaperter Schiffe bekannt. D. Savary des Bruslons’ Dictionnaire Universel de Commerce (1748) bemerkt: »Die Juden Amsterdams sind so geschickt, dass sie nicht davor zurückschrecken – nachdem die Ware zuvor durch Vermengen mit Gütern anderer Herkunft oder auch durch andere Verpackung oder Kennzeichnung getarnt wurde –, bestimmte portugiesische Häfen aufzusuchen und die Ware dort wieder zu verkaufen. Sehr häufig verkaufen sie die Ware an dieselben Händler, von denen sie geraubt wurde.«10 Die jüdischen Verleger Hollands

Das Verlegen von Büchern gehörte zu den wichtigsten Aktivitäten der Juden Amsterdams und war von entscheidender politischer Bedeutung sowohl für England als auch für die Entwicklung des Protestantismus und des Kapitalismus. Schon 1617 wurde von einer jüdischen Schule eine Druckerpresse angeschafft; um das Jahr 1743 gab es in Amsterdam deren vierzig. Gedruckt wurde in allen Sprachen, einschließlich Griechisch, Hebräisch, Syrisch, Arabisch und Chinesisch. Der größte Teil der Produktion war religiöser Natur und meistens für den Export bestimmt. Die erste englischsprachige Zeitung in Amsterdam, der Courant, berichtete erstmals im Jahr 1620 über Italien, Deutschland usw. Die große Bibelflut nach England

Der Jude Joseph Athias behauptete, mit seiner Druckerpresse so viele englische Bibeln gedruckt zu haben, dass jedes Dienstmädchen und jeder Pflüger anstreben konnte, eine davon zu besitzen.11 Dabei war er nicht einmal der einzige jüdische Bibeldrucker Amsterdams.


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Herbert Bloom schätzt die Zahl der nach England und Schottland exportierten Bibeln auf eine Million. Der Export einer solchen Menge Bibeln nach England hatte weitreichende politische Auswirkungen (siehe Seite 144). Der bemerkenswerteste dieser jüdischen Drucker war Rabbi Manasse ben Israel. Er stellte vor allem Bibeln her, auch das erste in hebräischer Sprache gedruckte Buch wird ihm zugeschrieben. Rabbi Manasse stürzte sich in große geopolitische Unternehmungen, vor allem in bezug auf seine Beziehungen zu Oliver Cromwell. Zudem spielte er eine bedeutende Rolle bei den Bemühungen um die Wiederzulassung der Juden in England. 1290 waren die Juden wegen ihrer Angriffe auf das britische Geldsystem von dort vertrieben worden. Vom Beginn der Tätigkeit Manasses (1627) bis zum Jahr 1732 zählt Bloom 318 jüdische Drucker. Ihr Geschäft war nicht sehr profitabel; die von Hausierern gewährten Sonderpreise, Auktionen unverkaufter Bücher, das Herausbringen von Büchern auf Kommission sowie nicht eingehaltene Kommissionsversprechen verdarben den Profit. Wurde das Verlagswesen von den Juden dominiert, so war die Börse von Amsterdam der Ort, der auf sie die größte Anziehungskraft ausübte, vor allem, da ihnen Bankgeschäfte verwehrt waren. Schließlich kontrollierten Amsterdams Juden nicht weniger als 25 % der Aktien der (holländischen) Ostindiengesellschaft.12

Die Börse von Amsterdam Die Börse von Amsterdam entstand 1611 nach dem Vorbild der Börse Antwerpens. Sowohl Waren als auch Wertpapiere wurden hier gehandelt, wobei bestimmten Bereichen im Haus die Abwicklung der verschiedenen Börsengeschäfte zugewiesen waren. Amsterdam ließ sich von Antwerpen beeinflussen, das sich wiederum an der Levante orientiert hatte. In den 80er und 90er Jahren unseres Jahrhunderts richtet sich der Blick häufig auf die als »Neuerungen« betrachteten »Derivate«, auf Aktienindizes, Termingeschäfte und Optionskontrakte. An der Börse in Amsterdam waren allerdings fast alle diese »Neuerungen« schon im 17. und 18.Jahrhunderts in Gebrauch. Wir finden dort dieselbe Art von Geschäften, dieselben allgemeinen Bestimmungen


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zur Börsenordnung, genau dieselben Methoden, die Öffentlichkeit zu betrügen, und genau dieselben Methoden der Marktmanipulation. Eine ganze Reihe von Transaktionen konnte an der Amsterdamer Börse abgewickelt werden: 1. Aktien gegen sofortige Barzahlung, 2. Kauf von Wertpapieren auf Marge (bis zu 80 %), 3. Monatliche Fälligkeitstage – Abschluss auf den 20. des Monats, Zahlung fällig am 25., 4. Handel per Termin – Erfüllungstermin in der Zukunft, 5. Put- und Call-Optionen mit sofort bei der Bank von Amsterdam zu zahlenden Prämien. Geschäfte wurden mit Handschlag besiegelt. Der Börsenhandel konnte extrem schleppend, aber auch sehr lebhaft verlaufen. In Zeiten heftigen Börsenfiebers wurde bis vier Uhr morgens in einem Kaffeehaus in der Nähe der Börse weiter gekauft, verkauft und spekuliert.13 Die bedeutendsten Aktien waren die der holländischen Ostindiengesellschaft. Sie wurde zu 6,4 Millionen Florin kapitalisiert, eine Summe, die über 64 Tonnen Gold entsprach. Während der ersten sechs Jahre ihres Bestehens wurde eine Dividende von jährlich 25– 30 % ausgeschüttet. 1612 waren es 57 %, 1613 weitere 42 %. Die Aktien der Gesellschaft wurden in sechs verschiedenen Städten registriert und gehandelt, und obwohl der Wert der Aktien und Dividenden in allen Städten identisch war, durften in einer der Städte registrierte Aktien in keiner andern Stadt gehandelt werden. Über die Hälfte der Aktien war in Amsterdam registriert; und als der Markt einmal angelaufen war, wurden die Anteile ein und derselben Gesellschaft in Amsterdam zu einem zwischen 30 und 60 % höheren Wert gehandelt als in den anderen Städten. Die Gesellschaft war 1602 gegründet worden, und schon 1607 wurden ihre Aktien mit 100 % über dem Nennwert gehandelt. 1609 lagen sie jedoch nur noch 30 % über pari, was einer Baisse von zwei Dritteln entsprach. Hierfür verantwortlich gemacht wurden Leerverkaufspraktiken, die im Jahr 1610 per Gesetz verboten wurden. Dank des Erfolgs der Gesellschaft standen die Aktien 1688 580 % über pari – nicht mitgerechnet die auf das Aktienkapital ausgezahlten enormen Dividenden, die sich insgesamt auf 1482 % des Nennwerts beliefen.


Die Börse von Amsterdam

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Leerverkäufe werden für nichtig erklärt

Leerverkäufe stellten jedoch weiterhin ein Problem dar. Im Jahr 1687 schrieb der Anwalt Nicholas Muys Van Holz ein Buch, in dem er diese Praxis scharf verurteilte. Seiner Ansicht nach hatten die jüdischen Börsenmakler einen wesentlichen Anteil daran. Dem Statthalter Frederick Henry erschien dieses Problem so gravierend, dass er ein Gesetz erließ, das die Käuferseite eines ohne Deckung getätigten Geschäfts von der Verantwortung für jegliche Verluste entband, die aus solchen Geschäften resultierten. Der Börsenjargon

Der an der Börse von Amsterdam gebräuchliche Jargon unterscheidet sich im wesentlichen kaum von dem heutigen. Auch in Amsterdam gab es bulls (Liefhebberen), bears (Contremines – gegen die »Mine« Indiens) und butterflies, die zwischen den bulls und bears flatterten. Einige der im 17. Jahrhundert an der Börse gebräuchlichen »Regeln« sind auch in den Richtlinien zu finden, die in Clearinghäusern heute jedem übergeben werden, der an der Börse auf eigene Rechnung spekuliert: – Nimm jeden Gewinn, ohne Bedauern über entgangene Profite zu zeigen. – Rate anderen nie zum Kauf oder Verkauf von Anteilen. – Wer dieses Spiel gewinnen will, muss Geduld und Geld haben. – Die in bezug auf ein Ereignis gehegten Erwartungen hinterlassen an der Börse größere Spuren als das Ereignis selbst.14 Der Betrug der Öffentlichkeit

Wie heute war Betrug auch damals in Amsterdam ein nicht wegzudenkender Bestandteil der Börsenaktivitäten. Wie heute fand dieser Betrug in drei Formen statt: a) durch den Missbrauch von Kundenaufträgen durch Börsenmakler, b) durch Preismanipulationen hinter den Kulissen, c) durch Ausnutzung struktureller Fehler im Marktmechanismus, die das Schröpfen der Auftraggeber ermöglichten.


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a) Missbrauch von Kundenaufträgen durch Börsenmakler

An der Börse gab es zwei Arten von Börsenmaklern. Zum einen gab es offiziell ernannte oder »vereidigte« Makler (375 Christen und 20 Juden), zum anderen mehr als 700 »freie« Makler, die nicht vereidigt waren (größtenteils Juden). Die freien Makler wurden kaum kontrolliert; gewisse Praktiken, mit denen Kunden übervorteilt wurden, waren ihnen nicht per Gesetz untersagt. Vereidigten Maklern war zum Beispiel das dual trading verboten. Ihre Aufgabe war es, auf Rechnung der Kunden Geschäfte abzuschließen und nicht auf eigene Rechnung tätig zu werden. Freie Makler hingegen handelten mit ihren Kundenaufträgen sowie mit Aufträgen der vereidigten Makler, die sie ins Börsengebäude hereinkommen sahen – und spekulierten gleichzeitig auf eigene Rechnung. Das dual trading war eine wichtige Praxis an den amerikanischen Warenbörsenskandalen in den späten 80er Jahren unseres Jahrhunderts. Im Grunde genommen handelt es sich bei dual trading um eine Lizenz zum Diebstahl. Einige Staatsanwälte propagierten zwar dessen Verbot, die Öffentlichkeit durchschaute jedoch nicht, worum es eigentlich ging, und so konnten die politisch mächtigen Warenbörsen mit ihrer großen Finanzkraft eine entsprechende Gesetzgebung verhindern.* Da dual trading einen Interessenkonflikt darstellt, sollte es verboten werden. Ein Börsenmakler, der im Auftrag eines Kunden kaufen oder verkaufen soll und gleichzeitig seine eigenen Geschäfte tätigen darf (im Börsenjargon: front running), verrät gezwungenermaßen die Interessen des Kunden, er erschleicht sich auf unfaire Art einen Vorteil gegenüber den anderen Marktteilnehmern. Angenommen, ein Makler soll für einen Kunden zu einem bestimmten Preis eine große Kauforder ausführen. Betreibt er front running, kauft er zuerst auf eigene Rechnung, um so von der zu erwartenden Kursbewegung zu profitieren, und führt erst danach die Kundenorder aus. Auch Verkaufsaufträge kann ein Makler für eigene Zwecke nutzen. Allein das Wissen über die Existenz des Auftrags verschafft ihm einen großen Vorteil. Erleichtert wird front running auch durch einige an der Börse generell übliche Praktiken. Kauft ein Broker zum Beispiel Wertpa* Der Autor spricht hier aus eigener Erfahrung, da er über mehrere Jahre als »floor trader« an der NYFE CRB, einer Tochtergesellschaft der New Yorker Börse, gearbeitet hat.


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piere zuerst auf eigene Rechnung, muss er nur einen Teil der benötigten Summe selbst bezahlen, der Rest wird ihm als Kredit gewährt. Öffnet und schließt der Makler die Position am selben Tag, wird der ihm gewährte Kredit kaum ins Gewicht fallen. Bei Terminkäufen muss zunächst nur eine geringe Einschusszahlung geleistet werden (margin requirement), wodurch eine starke Hebelwirkung (leverage) entsteht. Es kann also bei einer Anzahlung von zum Beispiel 5 % das 20-fache Volumen eines Kassageschäftes bewegt werden! Ein Broker, der das Wissen um den Auftrag eines Kunden ausnutzt, kann also mit nur sehr geringem Risiko innerhalb kurzer Zeit enorme Gewinne einstreichen. Daher ist front running durchaus als ernstzunehmender Verstoß zu werten. Nun, in welcher Weise schadet all das dem Kunden? Da dieser eine bestimmte Summe angibt, wird sein Auftrag zu diesem Preis ausgeführt – wie kann er dabei verlieren? Ganz einfach: Der Kunde wird um die Möglichkeit betrogen, zu einem für ihn günstigeren Preis zu kaufen bzw. verkaufen, denn während der Makler den Auftrag des Kunden noch zurückhält, finden weiterhin Marktbewegungen statt. Außerdem wird jeder Markt, der bestimmten Marktteilnehmern systematisch einen Vorteil einräumt, auf die Länge gesehen der relativen Position aller anderen Schaden zufügen. An vielen Börsen wird heute versucht, den auf eigene Rechnung tätigen Maklern Grenzen zu setzen. Da aber Strohmänner (bag men) den verbotenen Handel abschließen, während die Makler – um den Komplizen zu schützen – den Kundenauftrag noch zurückhalten, greifen diese Maßnahmen häufig nicht. Der Profit wird später geteilt. Die in Amsterdam unternommenen Versuche, dual trading und front running Einhalt zu gebieten, waren so wenig effektiv wie die in unserer Zeit. Würden die Käufe und Verkäufe über den Computer abgewickelt anstatt nach dem open outcry-System, könnte dieses Problem gelöst werden. Wenigstens den vereidigten Börsenmaklern war dual trading verboten. So wie es an der Börse von Amsterdam auch ehrliche Makler gab, gibt es auch heute ehrliche Makler an den Warenbörsen der USA. Bezeichnenderweise sind es diese integren Makler, welche die laufenden Aufträge der anderen Makler überantwortet bekommen, wenn diese das Haus verlassen müssen. Man kann sich allerdings


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darüber streiten, ob man sie nur als Minderheit oder schon als Anomalie betrachten muss. b) Betrug durch Preismanipulationen hinter den Kulissen

1688 schrieb der Börsenmakler Joseph De La Vega in Amsterdam ein Buch mit dem Titel Confusione de confusiones,15 in dem er eine lebhafte Beschreibung der Börsenaktivitäten liefert. Bis ins kleinste Detail zeigt er darin auf, welche Strategie die Börsenmanipulatoren jener Zeit verfolgten, um die Preise in den Keller zu drücken – eine Strategie, die im heutigen Jargon bear campaign genannt wird (der Bär drückt mit der Tatze die Preise herunter). Der Autor gliedert diesen Prozess in 12 Schritte: Zu Beginn der Kampagne (Schritte 1 bis 4) nimmt das Syndikat alles an der Börse verfügbare Geld auf und macht »deutlich«, dass es mit dem Geld Aktien zu kaufen gedenkt. Zunächst wird alles gekauft, was der Markt hergibt. Resultat: steigende Preise. Dann, nachdem die Preise in schwindelnde Höhen getrieben wurden, beginnt das Syndikat mit dem Verkauf: Den ersten Schlag versetzt es dem Markt mit der Liquidation der Terminkontrakte, während mit Kassaverkäufen noch gewartet wird, bis sich eine noch größere Panik eingestellt hat. Die weiteren Anweisungen lauten wie folgt: Schritt 5: Verkauft die größtmögliche Menge von Call-Optionen. Schritt 6: Kauft die größtmögliche Menge von Put-Optionen. Schritt 7: Leiht den bulls Geld, und akzeptiert dabei deren Aktien als Sicherheit. Dann verkauft die Aktien. Schritt 8: Verbreitet fingierte Neuigkeiten etwa in dieser Form: »Sie lassen einen Brief schreiben und sorgen dafür, dass er wie zufällig an der richtigen Stelle landet.« Schritt 9: Überredet eine neue Person, ebenfalls zu verkaufen, und entschädigt sie für eventuell enstehende Verluste, denn sie weiß, dass an der Börse alles Neue mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht. Schritt 10: Tuschelt laut genug, um gehört zu werden. Schritt 12: Verkauft Staatspapiere, um der Öffentlichkeit den Rest zu geben. Das Fingieren von Neuigkeiten spielte eine wichtige Rolle: Die kleinen Boote, von denen man glaubte, dass sie auf See englische Schiffe


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getroffen hatten und nun voller Neuigkeiten in den Hafen zurückkehrten, hatten in Wirklichkeit außer Sichtweite des Hafens nur eine Runde gedreht. Mit fingierten, aber plausiblen Neuigkeiten an Bord kamen sie zurück und verbreiteten diese an die fiebernde Menge von Spekulanten.16 c) Betrug durch Ausnutzung struktureller Fehler im Marktmechanismus

Der Handel mit dem Ducatoon führte zu strukturellen Fehlern im Markt. Die Ducatoons waren keine richtigen Aktien, sondern imaginäre Einheiten, die von einem Kassier in Form von Buchungseinträgen verwaltet wurden. Jeder Ducatoon repräsentierte ein Zehntel des Werts einer Aktie der holländischen Ostindiengesellschaft. Jeden Monat erschien eine neue Serie. Vor allem kleinere Investoren und Spekulanten waren an diesem Markt interessiert, der in erster Linie in den Händen jüdischer Makler war. Der Marktpreis der Ducatoons fluktuierte unabhängig vom Kurs der Papiere der Ostindiengesellschaft. Der einzige Zeitpunkt, bei dem sie offiziell zu einem Zehntel einer Ostindiengesellschaftsaktie bewertet wurden, war der Abrechnungstag: An jedem Monatsersten um 13 Uhr hob die hierfür ernannte Person an der Börse einen Stock, und der zu diesem Zeitpunkt festgestellte Preis entschied dann, ob die Spekulanten mit ihren Ducatoons Gewinn oder Verlust gemacht hatten. Die Abrechnung erfolgte, und den Konten wurden Beträge zu- oder abgeschrieben. Lesern, die mit den Aktienindex-Terminkontrakten unserer Zeit vertraut sind, wird sofort auffallen, dass Ähnlichkeit zu den Ducatoons besteht, obwohl diese nur auf den Aktien eines einzigen Unternehmens basierten und monatlich abgerechnet wurden, während Aktienindizes von dem Index vieler Unternehmen abhängen und das Erfüllungsdatum weiter in der Zukunft liegt. Damals wie heute war dieselbe Art risikoloser Arbitrage festzustellen. Die market makers der Ducatoons verkauften diese an die Spekulanten zu einem Preis, der über pari des Werts einer Ostindiengesellschaftsaktie lag. Gleichzeitig kauften sie die dem Geschäft zugrundeliegenden Aktien, um sich am Fälligkeitstag einen Gewinn zu sichern. Die andere Möglichkeit war, Ducatoons zu einem Wert unter pari zu kaufen und die zugrundeliegenden Ostindienaktien zu


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Der Aufstieg des Kaptalismus in Amsterdam

verkaufen. »Die Mitglieder des Syndikats schreiten nur zur Tat, wenn sie die Resultate vorhersehen können, so dass sie – abgesehen von unglücklichen Umständen – mit einem ziemlich sicheren Gewinn rechnen können.«17 Diese Art Geschäft ist als strukturell mangelhaft anzusehen, da sie es ermöglicht, den Preis des einen Börsengegenstands (d. h. des Ducatoons) künstlich über Angebot und Nachfrage eines völlig anderen Gegenstands (die Aktie der Ostindiengesellschaft) zu bestimmen. Denn sobald eine ausreichende Menge (open interest) des künstlich abhängig gemachten Börsengegenstands gehandelt wird (des Ducatoons bzw. der Index-Terminkontrakte), werden Marktmanipulatoren ermutigt, den Preis des diesen bestimmenden Gegenstandes zum Zeitpunkt des Erfüllungstermins oder des Abrechnungstags in ihrem Sinne zu manipulieren. Diese Manipulation wird erst dadurch ermöglicht, dass Geschäfte mit dem abhängigen Börsengegenstand bar abgewickelt werden und nicht etwa die Lieferung einer bestimmten Ware beinhalten. An modernen Warenbörsen ist dieser strukturelle Defekt nur in Zusammenhang mit bar abgewickelten Termingeschäften zu beobachten, vor allem bei Aktienindizes und Finanzterminkontrakten. Ein Warentermingeschäft mit Mais kann zum Beispiel nicht so leicht manipuliert werden, da immerhin die Möglichkeit besteht, dass jene, die Mais auf Termin kaufen wollen, auch auf der Lieferung von Mais bestehen. Zu einem bestimmten Termin Mais zu liefern, also auf eine solche Art einen Vertrag zu erfüllen, ist eine völlig andere Sache, als mit einer bestimmten Geldsumme aufzuwarten. Bargeld kann in einem Notfall immer geliehen werden – eine Tatsache, die Manipulatoren bei ihren Manövern großen Spielraum lässt. Der Ducatoon, der regelmäßig bar im Verhältnis zum Wert einer Aktie der holländischen Ostindiengesellschaft abgerechnet wurde, ist das erste Beispiel in der Geschichte für diese Art strukturschädigender Termingeschäfte, die heute aufgrund der Existenz von bar abzuwickelnden Optionen auf Futures sogar noch einfacher zu manipulieren sind. Bei dieser Art Börsengeschäft handelt es sich um reines Spekulantentum, das ohne jeglichen Schaden für die Öffentlichkeit gesetzlich verboten werden könnte.


Die Vernachlässigung des Handels durch die Holländer

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Englands ineffektive Marine

Zwischen 1609 und 1667 konzentrierten sich die Holländer stärker auf internationale Geschäfte. Sie errichteten dabei ein Handelsimperium, das vom Niedergang der Portugiesen profitierte. Dies brachte sie in Konflikt mit den Engländern, mit denen es ab 1652 immer wieder zu Kämpfen kam. Diese Phase kulminierte in einer demütigenden Expedition der überlegenen holländischen Flotte, die 1667 eine große Zahl englischer Kriegsschiffe die Themse hinunterschleppte. Dieses Ereignis leitete noch im selben Jahr eine Zeit des Friedens zwischen den beiden Ländern ein. Die französische Invasion im Jahre 1672

Im Jahre 1672 fielen die Franzosen in Holland ein – nicht zuletzt aus Sorge über dessen wachsende Macht. Holland war in Aufruhr, und eine geradezu panische Kapitalflucht mit einer Geldentwertung von 16 % setzte ein.18 Die jüdische Gemeinschaft bot den Franzosen 2 Millionen Gulden, wenn sie die jüdischen Stadtgebiete verschonen würden.19 Die Holländer hatten jedoch noch einen strategischen Vorteil – die Möglichkeit, Teile des Landes zu überfluten. Sie bedienten sich dieser Methode, um sich Frankreich vom Leib zu halten.

Die Vernachlässigung des Handels durch die Holländer Die Entwicklung einer seltsame Blüten treibenden spekulativen Psychologie blieb für Amsterdam nicht ohne Konsequenzen. Während die Christen Aktivgeschäfte betrieben (also Geld ausliehen), konzentrierten die Juden ihre Aktivitäten auf die Börse, ja sie begannen, die Zunft der Börsianer zu dominieren. Die portugiesischen Juden hatten sich vom Handel vollständig abgewandt, um sich dem Spekulieren auf dem Aktienmarkt zu widmen.20 Die Konzentration auf Finanzgeschäfte führte schließlich zum Niedergang der meisten holländischen Kaufleute. Diese Entwicklung setzte zwischen 1660 und 1680 ein: »Einige alte Kaufleute können sich noch an die Zeiten erinnern, als die Zwaanenburger Straat hier in der Stadt jeden Tag mit Kisten und Bündeln voller Waren übersät war und die Stadt von den Rufen der Arbeiter nur so summte. […] Nun wächst hier schon Gras, und unter der gesamten Bevöl-


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Der Aufstieg des Kaptalismus in Amsterdam

kerung der portugiesischen Juden ist nicht die geringste Aktivität im Handel zu vermerken. Könnte man ein treffenderes Bild von den beklagenswerten Auswirkungen der Aktienspekulation auf die Menschen zeichnen?« 21 Das Monopol der Bank von Amsterdam auf Geldwechsel und Bankgeschäfte hatte Manipulationen ein Ende gesetzt. Die Börse mit ihrer Akkumulation von Kapital und der relativ effizienten Arbeitsweise wurde jedoch für das internationale Finanzwesen zu einem wichtigen Faktor. Ausländische Regierungen, vor allem England, konnten dort Anleihen zu einem Zinssatz von nur 3 % auflegen – verglichen mit 6 % zu Hause. Nach Barbour war es den Holländern eigentlich von der Regierung verboten, fremde Mächte zu finanzieren oder in ausländische Unternehmen zu investieren; dieses Gesetz wurde jedoch ignoriert.22 Zudem nahmen nicht nur Angehörige der wohlhabenden Klassen an den Börsenaktivitäten teil; zum ersten Mal in der Geschichte beteiligten sich auch gewöhnliche Bürger an in großem Stil abgewickelten internationalen Finanzgeschäften. Der Kosmopolitismus schadet Holland

Die Spezialisierung auf das internationale Finanzwesen führte zu einer kosmopolitischen Haltung, aufgrund deren die reichsten Holländer eine Missachtung für die eigene Gesellschaft und die eigenen Landsleute entwickelten. Die wachsende Bedeutung des Finanzsektors der holländischen Wirtschaft scheint eine vermehrte Konzentration des Reichtums in den Händen einer kleinen Gruppe reicher Rentiers mit sich gebracht zu haben. Zudem führte die starke Verwicklung der reicheren Klassen in ausländische Investitionen zu einer gewissen Entfremdung von den nationalen Interessen, da die Interessen dieser Gruppen häufig ebenso mit denen anderer Länder wie mit denen der Republik verknüpft waren. Ein erheblicher Anstieg der Arbeitslosigkeit war zu verzeichnen. Nach 1715 spielte die Republik in den europäischen Angelegenheiten keine nennenswerte Rolle mehr. Die dominierenden Kreise in der holländischen Politik zogen es vor, den Rückgang des internationalen Einflusses der Republik zu akzeptieren, anstatt Reformen einzuleiten, die nur ihren Interessen geschadet hätten. Das Steuersystem bürdete die Last denen auf, die am wenigsten fähig waren, sie zu tragen; die Ressourcen


Holland finanziert England

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der reicheren Bevölkerungsteile wurden so gut wie gar nicht angezapft.23 Eine Revolte im Jahr 1780 schlug fehl. Erst Napoleons Invasion erschütterte die Macht der mit dem Haus Oranien allierten Regenten, aber zu diesem Zeitpunkt hatte dieses Haus bereits die britische Krone errungen.

Holland finanziert England Die Briten nahmen spätestens ab 1642 enorme Kredite bei den Holländern auf. So brachte die Königin Henrietta Maria von England die Kronjuwelen nach Holland, um sie für Waffen zu verpfänden. Die Tatsache, dass diese Waffen in den Kriegen Englands gegen Holland Verwendung finden würden, interessierte dabei niemanden. Etwa von den späteren Jahren des 17.Jahrhunderts bis mindestens 1780 war die britische Regierung auf das Geld der Holländer angewiesen.24 Die größten holländischen Finanziers waren die christlichen Häuser Hope und Pelse, die auf Maklergeschäfte mit Wechseln spezialisiert waren. Die Juden gewährten ihre Kredite häufig auch aus politischen Gründen; so unterstützten sie zum Beispiel William III. aus dem holländischen Haus Oranien in seinem Vorhaben, die englische Krone zu ergreifen. Ab 1750 war holländisches Kapital überall zu finden. Etwa ein Drittel der britischen Staatsschulden wurde bei den Holländern gemacht, die dafür 1,4 Millionen Pfund Sterling Zinsen jährlich erhielten. Auf diese Weise halfen holländische Spekulanten, den komplizierten Spekulationsapparat, der schon hundert Jahre zuvor in Amsterdam perfektioniert worden war, in London zu reproduzieren.25 Das Anteilsystem wurde gegen Ende des 17.Jahrhunderts von portugiesischen Juden aus Amsterdam am London Exchange eingeführt.26 Aus der Einwanderung einer kleinen, aber bedeutenden Gruppe holländischer Händler und Finanziers nach London – Christen und Juden zusammen mit Hugenotten, die über Holland kamen – erwuchs der kosmopolitischen Finanzkompetenz der Juden Konkurrenz. Das System zur Finanzierung der Regierung war dem holländischen Modell nachempfunden, und nicht wenige holländische Hände waren bei dessen Schaffung beteiligt. Nun treffen wir auf die


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Der Aufstieg des Kaptalismus in Amsterdam

Namen einiger der berühmten portugiesisch-jüdischen Familien, die ein Jahrhundert zuvor in Holland Zuflucht gesucht hatten – die Medinas, die Suassos und die Pintos –, und auch auf holländischchristliche Namen – die Van Neckers, Van Nottens, Van Hemerts.27 Holländische Bankiers gehörten in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts noch immer zu den größten Anteilseignern und Kunden der Bank of England.28 Die Holländer verlegen sich auf die Unterstützung der Vereinigten Staaten

Im Jahr 1780 waren die Holländer die Gläubiger von 3⁄7 der englischen Staatsschulden. Wegen des von England gegen die amerikanischen Kolonien geführten Kriegs zogen die Holländer jedoch Gelder von England ab, um sie Frankreich und Amerika zukommen zu lassen. Dies sollte sich als folgenschwerer Fehler herausstellen.29 Nach der amerikanischen Revolution erlosch das Vertrauen der Holländer in die Engländer, und sie wendeten sich den Amerikanern zu. Zwischen 1782 und 1790 gewährte Holland Amerika Kredite in Höhe von 29 Millionen Gulden. 1785 kam es zu einem sehr großen Verkauf britischer Wertpapiere an der Amsterdamer Börse. Im Juni des Jahres 1802 standen amerikanische Wertpapiere an der Amsterdamer Börse auf der Liste der gängigsten Papiere schon an erster Stelle; und im Januar 1818 lag der Wert der von Amerika bei Holland gemachten Anleihen mit 11 Millionen Dollar schon fast ebenso hoch wie die von den Engländern bereitgestellte Summe (12 Millionen Dollar). Im 19. Jahrhundert sollten Hollands Handel und Finanzwesen von der industriellen Produktion Großbritanniens jedoch weit in den Schatten gestellt werden. Wilson zufolge vertraten die Engländer die Auffassung, eine Vormachtstellung in der Wirtschaft könne nur durch politische Macht erreicht werden – die Holländer übersahen diese Tatsache.


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10. Kapitel

Der Transfer des Kapitalismus nach England

Was haben wir denn durch unsere Befreiung von der Tyrannei des Papstes gewonnen, wenn diese kleinen Leute dafür einrücken, […]? T H

Das niederländische Haus Oranien – mit den Calvinisten als Verbündeten – unterminierte Hollands republikanische Verfassung von der Mitte des 17. Jahrhunderts an. Aber auch als es über Hollands Grenzen hinaus gewachsen war, hatte es noch immer Angriffe des mehrheitlich katholischen Frankreich zu befürchten. Disraeli zufolge steckte hinter der Ergreifung der britischen Krone durch Wilhelm III. von Oranien im Jahr 1688 der Versuch, zu einer größeren Machtbasis zu gelangen. Ein Resultat dieses Prozesses war der Transfer des Kapitalismus nach England. Der Bruch mit Rom

Bis zum Bruch Heinrichs VIII. (1491–1547) mit der römisch-katholischen Kirche war England eine katholische Nation. Heinrich VIII. verliebte sich bis über beide Ohren in Ann Boleyn und bat den Papst um die Annulierung seiner Ehe. Der Papst hätte vermutlich sogar eingewilligt, hätte Heinrichs Frau Katharina nicht Einspruch eingelegt und auf diese Art eine Verzögerung im bürokratischen Ablauf verursacht – und dies obwohl Ann Boleyn schwanger war. Heinrich gründete die Church of England und heiratete Ann, die etwas später ihr gemeinsames Kind, Elisabeth I., zur Welt brachte. Für den Bruch gab es jedoch auch ein finanzielles Motiv: Als Heinrich VIII. mit Rom brach, geschah dies unter dem Einfluss von Thomas Cromwell.1 Auf seinen Vorschlag hin begann Heinrich, den Landbesitz der Klöster aufzulösen. Als zwischen 1536 und 1553 der riesige Landbesitz der Klöster enteignet wurde – zuerst die kleine-


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Der Transfer des Kapitalismus nach England

ren, dann die größeren Ländereien –, entstand eine neue Klasse von Millionären. 1545 legalisierte Heinrich den Zinswucher bis zu einem Gewinn von 10 % jährlich.

Englands monetärer Hintergrund England hatte gegenüber dem kontinentalen Europa zwei Vorteile: Einerseits bestand ein gewisses Maß an Isolation, das ein Gefühl von Einheit vermittelte, andererseits war das Land als am weitesten westlich gelegener Außenposten des Römischen Reichs nicht so sehr den Launen des Kaisers und – später – des Papstes ausgeliefert. Mit dem Niedergang Westroms brach das Geldsystem in England vollständig zusammen, und es fand eine Rückwärtsentwicklung zum Tauschhandel statt. Von 430 bis 630, also über einen Zeitraum von 200 Jahren, war in England kein Münzgeld im Umlauf.2 Als Silber in Europa wieder eine Rolle zu spielen begann, wurde auch in England das Münzgeld wieder gebräuchlich. Zwischen 800 und 900 wurden dort viele Münzstätten eingerichtet. Frühe angelsächsische Münzstätten scheinen hauptsächlich unter der Herrschaft der Kirche gestanden zu haben3 – eine Tatsache, die mit der damals üblichen Vorstellung einherging, dass dies einfach so sein müsse. Da sämtliche für die Münzherstellung benötigten Prägestempel aus London kommen mussten, gab es auch ein gewisses Maß an zentraler Kontrolle. Im Jahre 930 bestimmte Athelstan eine bestimmte Münzart zum alleinig gültigen Zahlungsmittel. Die Münzprägung erfuhr während des 10. Jahrhunderts eine Blütezeit – wie groß der Überfluss an Silber in jener Zeit war, wird auch an den enormen Tributzahlungen an die Dänen deutlich. So belief sich das »Danegeld« im Jahr 991 auf 10 000 und 1018 sogar auf 82 000 Pfund Sterling.4 Die angelsächsischen Könige hatten nicht weniger Kontrolle über das Geldwesen ihres Reichs als der Kaiser von Byzanz über das seine. Die wichtigste angelsächsische Münze war der Silberpfennig, der aber eher von symbolischem als von immanentem Wert war. Gewicht und Reinheit variierten ganz beträchtlich von einer Ausgabe zur nächsten – und doch war sein Wert immer derselbe, da er nicht vom immanenten Wert, sondern vom Wort des Königs abgeleitet


Englands monetärer Hintergrund

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wurde (der Wert der Silberpfennige lag etwa um ein Drittel höher als ihr Metallgehalt).5 Eine Besteuerung über das Geldsystem

Zur Zeit der angelsächsischen Könige wurde das Münzgeld etwa alle sechs Jahre neu geprägt. Sämtliche Münzen wurden eingezogen, und für vier dieser Pfennige wurden drei neue ausgegeben. Dies entsprach einer Steuer von 25 % bzw. von 4 % jährlich. Spufford sieht dieses Einkommen als Grund für die Stärke sowohl der späteren angelsächsischen Könige als auch der früheren Könige normannischen Ursprungs, da letztere das Geldsystem der ersteren übernahmen. Nach der Eroberung durch die Normannen im Jahr 1166 wurde die Münzhoheit der Krone gestärkt. Die Neuprägung von 1279 bis 1281 legt Rückschlüsse auf einen Geldumlauf von 120 Millionen Pfennig oder 500 000 Pfund Sterling nahe – eine Summe, die in den nächsten 500 Jahren nicht mehr erreicht werden sollte.6 Wie Berichten über Festnahmen in jener Zeit zu entnehmen ist, versuchten einige religiöse Würdenträger weiterhin, auf monetärer Ebene Macht auszuüben. So wurde der Abt von Missendon 1362 wegen Geldverschlechterung durch Abzwacken vom Münzrand und wegen Fälschens von Geld verurteilt, der Kanonikus von Dunsmore wurde 1369 der Fälschung von Gold- und Silbermünzen beschuldigt, und der Kanonikus von St. Gilbert wurde 1371 wegen Schmuggels von Münzen ins Ausland angeklagt.7 Das Motiv hierzu scheint jedoch für sie alle die persönliche Bereicherung gewesen zu sein, nicht etwa die Überzeugung, über das Münzrecht zu verfügen. Englands Goldmünzen

Die erste englische Goldmünze wurde 1257 unter Heinrich III. geprägt. Sie hatte ein Gewicht von 43 Gran und wurde bei einem Silber-Gold-Wertverhältnis von 10 : 1 mit 20 Silberpfennig bewertet. Diese Münze konnte sich nicht allgemein durchsetzen, wurde daher zurückgezogen und 1343 durch den Noble ersetzt, der bei einem Silber-Gold-Wertverhältnis von 11 : 1 134 Gran wog. Nobles hatten exakt das doppelte Gewicht eines Besant und waren die ersten englischen Münzen, die mit der Aufschrift »durch die Gnade Gottes«, nicht »durch die Gnade Cäsars« geprägt wurden. Für das englische Münzwesen blieb Silber jedoch das wichtigste Metall.


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Der Transfer des Kapitalismus nach England

Die Münzhoheit der Krone

Das wohl bedeutendste Charakteristikum des englischen Geldsystems, wie es sich bis zum Übergang in die Neuzeit entwickelt hatte, muss in der Tatsache gesehen werden, dass sich die monetäre Macht in den Händen des Königs konzentrierte, anstatt auf mehrere Edelleute verteilt zu sein. Aus diesem Grund litt das Land weniger unter monetärem Chaos als die Nationen, die sich auf dem europäischen Kontinent entwickelten. Innerhalb des andauernden Machtkampfs zwischen König und Parlament war der Kampf um die monetäre Macht nur eine Randerscheinung: Unter Heinrich II. (1154–1189) wurde die Besteuerung verstaatlicht; zuvor war sie als Geschenk an den König betrachtet worden. Unter Eduard III. erlangte das Unterhaus drei Privilegien. Zum ersten war jegliche Besteuerung von der Zustimmung des Parlaments abhängig. Zum zweiten waren sowohl das Oberhaus als auch das Unterhaus an der Gesetzgebung beteiligt; und zum dritten wurde dem Parlament das Recht zuerkannt, bei Übergriffen der Verwaltung zu ermitteln und Abhilfe zu schaffen. 1346 versuchten die Parlamentarier, die Kontrolle über das Geldwesen zu erlangen – ein Ansinnen, das prompt zurückgewiesen wurde. 1414 versuchten sie, wenigstens ein Vetorecht in bezug auf monetäre Angelegenheiten zu erreichen, aber auch dies wurde ihnen verweigert. Das Scheitern des Parlaments hatte seinen Grund wohl darin, dass es keine Lösungen, keine Verfahrensweisen vorzuschlagen hatte, die sich von denen der Krone unterschieden hätten.8 Entgegen den heute gängigen Vorurteilen wurde von dem lange bestehenden Münzregal des Königs durchaus auf verantwortliche Art und Weise zum Nutzen der Nation Gebrauch gemacht. So fand Shaw auch nur ein Beispiel für den Missbrauch der monetären Macht durch den Monarchen (nämlich unter Heinrich VIII., in den Jahren 1545–1546).9


Der Kampf und die Kontrolle des englischen Geldsystems

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Der Kampf um die Kontrolle des englischen Geldsystems Der Mixt Moneys Case – die Wiederentdeckung der Lehre vom Geld

Das Gerichtsurteil im Mixt Moneys of Ireland Case, das während der Herrschaft von Königin Elisabeth I. verhandelt wurde, ist so bedeutend, dass es auch noch in Urteilsbegründungen des 20. Jahrhunderts zitiert wird. Mit dem Ziel, das Münzwesen auf eine solide Basis zu stellen, gab Elisabeth I. im Mai 1600 aus unedlem Metall hergestelltes Münzgeld als offizielles Zahlungsmittel in Irland aus. Alle anderen Münzen wurden für ungültig erklärt und mussten an die Münzstätten zurückgegeben werden. Als ein Ire die 100 Pfund Sterling, die er einem Londoner Kaufmann schuldete, mit dem neuen Münzgeld begleichen wollte, verklagte der Kaufmann ihn auf Rückzahlung in Gold- und Silbermünzen. Der Fall wurde auf höchster Ebene verhandelt und dann zugunsten des Iren entschieden. Im Folgenden werden Schlüsselelemente dieser Entscheidung paraphrasiert: »Bei Geld handelt es sich um einen staatlichen Wertmaßstab […], und jeder Staat entwickelt sein eigenes Geldwesen. Der Herrscher – oder von ihm autorisierte Personen – haben das Recht, das Geld seines Einflussbereichs zu schaffen, und es ist Verrat, wenn andere das tun. […] Erklärt der Herrscher, ein Geldstück sei ein Pfennig, Groat oder Schilling, so ist das so. Der Herrscher hat das Recht, die Geldmenge zu erhöhen oder zu verringern, […] den gesetzlichen Wert des Geldes zu erhöhen oder zu verringern, bestimmte Münzen für ungültig zu erklären oder sie zu Barren einzuschmelzen – in welcher Form sie als Zahlungsmittel verboten werden können. […] Diese Macht behält sich der Staat zur eigenen Sicherheit und zum eigenen Wohlergehen vor. Münzen haben immanente und extrinsische Eigenschaften. Immanente Eigenschaften sind Gewicht und Reinheit, extrinsische Eigenschaften sind Benennung und Wert. Immanente Eigenschaften sind naturgegeben, während die extrinsischen Eigenschaften vom Herrscher oder Staat verliehen werden.«10 Nach Del Mar war diese Entscheidung bei den Kaufleuten, den


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Goldschmieden und später auch bei der britischen Ostindiengesellschaft so verhasst, dass sie sich alle unablässig darum bemühten, sie außer Kraft zu setzen. Dies ging auf zwei Ebenen vonstatten. Das erste Ziel war es, der britischen Krone die Kontrolle des Geldwesens zu entreißen und die Zügel statt dessen den Kaufleuten und Finanziers in die Hand zu geben. Dies geschah durch Unterminierung der Krone und durch die Verabschiedung des Free Coinage Act im Jahr 1666. Letztendlich war es jedoch die Monarchie, die zerstört wurde. Fremden Elementen wurde ermöglicht, eine neue Monarchie zu errichten und die Kontrolle des Geldwesens in die Hände einer bestimmten Gruppe von Finanziers zu spielen – Finanziers, die nicht gewählt waren, die nicht die Gesellschaft repräsentierten und die größtenteils nicht einmal Engländer waren.

Die religiöse Unterminierung der Monarchie Thomas Hobbes, der berühmte Philosoph und Staatstheoretiker des 17. Jahrhunderts, vermittelt in seinem Werk Behemoth oder das Lange Parlament (1665–1668) einen profunden Eindruck von der Korrumpierung der Menschen unter der Monarchie Karls I. (1625– 1649): B »Wie aber wurde denn das Volk so verderbt? Und was für Leute konnten es so verführen?« A »Die Verführer waren verschiedener Art. Einmal waren es Geistliche, die sich Diener Christi, Gottes Abgesandte nannten, […] Zweitens gab es eine sehr große Anzahl Leute […] die, […] die Meinung vertraten, dass wir vom Papst regiert werden müssten, den sie als Stellvertreter Christi und als den Herrscher in Christi Namen über die gesamte christliche Welt ansahen. […] Außerdem gab es verschiedene andere Sekten, […] das waren die Feinde, die sich gegen Seine Majestät erhoben aufgrund der persönlichen Interpretation der jedermanns eigener Auslegung in seiner Muttersprache ausgesetzten Bibel.«11 A »[…] Denn nachdem die Bibel ins Englische übersetzt war, glaubte jedermann, ja sogar jeder Junge und jedes Mädchen, die lesen konnten, sie sprächen mit Gott dem Allmächtigen und verstünden,


Die religiöse Unterminierung der Monarchie

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was er sagte, […] und jeder wurde jetzt selbst Richter der Religion und ein Ausleger der Heiligen Schrift für sich selbst.«12 B »[…] Aber du hast mir noch nicht erzählt, durch welche Kunst und in welcher Folge sie [die Presbyterianer] so mächtig wurden.« A »Nicht die eigene Kunst allein vermochte es, sondern sie besaßen auch die Mitwirkung einer großen Zahl von Edelleuten, die nicht weniger ein Volksregiment im Staate wünschten als diese Geistlichen in der Kirche. […] Sie [die Edelleute] priesen beständig die Freiheit, sie schmähten die Tyrannei und überließen es dem Volke, selbst darauf zu kommen, dass diese Tyrannei die jetzige Regierung des Staates sei.«13 […] »Viertens: Sie [die Presbyterianer] schimpften nie oder nur andeutungsweise in ihren Predigten auf die gewinnbringenden Laster der Handelsleute oder des Handwerks, wie Verstellung, Lüge, Prellerei, Heuchelei oder andere Hartherzigkeit, außer dem Mangel an christlicher Liebe gegen Geistliche und Gläubige, was eine große Erleichterung für die Bürger überhaupt, zumal die Bewohner der Marktflecken, war und ihnen selbst keinen geringen Vorteil brachte. […] Sechstens: Mit großem Ernst und großer Strenge wetterten sie in der Tat oft gegen zwei Sünden: fleischliche Lust und Fluchen, was ohne Frage ein sehr gutes Werk war. Aber das gewöhnliche Volk war dadurch zu glauben geneigt, dass nichts anderes Sünde sei außer dem, was im dritten und sechsten Gebot untersagt ist (denn wenige Leute verstehen unter Gelüsten irgendeine andere fleischliche Lüsternheit als die, die im sechsten Gebot untersagt ist, denn man sagt gewöhnlich nicht von den Menschen, dass sie nach eines andern Vieh oder andern Gütern und Besitz lüstern sind). Daher machte man sich nie Gewissensbisse bei Betrug und Bosheit, sondern bemühte sich, sich zu hüten vor Unkeuschheit oder wenigstens vor dem Ärgernis.«14 B »Was haben wir denn durch unsere Befreiung von der Tyrannei des Papstes gewonnen, wenn diese kleinen Leute dafür einrücken, die nichts an sich haben, was dem Publikum wohltun kann, es sei denn, dass sie ihren Mund halten. Denn ihre Gelehrsamkeit läuft auf nicht mehr hinaus als auf eine mangelhafte Kenntnis von Griechisch und Lateinisch und eine erworbene Fertigkeit in der Sprache der Schrift mit entsprechenden Gesten und Tonfall. Doch von Gerech-


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tigkeit und Nächstenliebe (dem Mark der Religion) haben sie weder Kenntnis noch Übung, […] Auch unterscheiden sie nicht anders zwischen gottesfürchtig und gottlos als danach, ob bei Leuten von Urteil eine ihnen gemäße Tendenz vorhanden ist, oder bei einfachen Leuten, ob sie ihre Predigten wiedergeben können.«15 Für das Papsttum hatte Hobbes nur wenig Respekt übrig. Er liebte die Frauen und lebte bis kurz vor seinem Tod im Alter von 93 Jahren immer mit Frauen zusammen. Er registrierte die Versuche der Kirche, in Männern schon beim bloßen Betrachten einer schönen Frau – etwas, was Hobbes ganz von selbst tat – Schuldgefühle hervorzurufen, und fasste die Position der katholischen Kirche mit dem folgenden Ausruf zusammen: »Angenehm! Ein Monopol auf die Frauen!«16

Die Wiederzulassung der Juden in England Münzverschlechterung durch das Beschneiden der Münzen am Rand, das sogenannte clipping, stellte in England ein beträchtliches Problem dar. Im Jahr 1205 erklärte König Johann I. alle Münzen für ungültig, von deren Rand mehr als ein Achtel abgezwackt worden war. Er sagte allen Abzwackern den Kampf an, hauptsächlich den Juden, die er vor allem für verantwortlich hielt.17 Wie auch anderswo in Europa standen die Juden in England unter dem Schutz des Königs, der beträchtliche finanzielle Forderungen an sie stellte. Da er ihnen auch Wuchergeschäfte erlaubte, konnten sie diese Verluste auf Kosten des Volks wieder wettmachen. Das von ihnen betriebene Beschneiden der Münzen wurde jedoch nicht als Teil des Geschäfts toleriert. Im Jahr 1275 verbot Eduard I. den Juden jede Art von Wuchergeschäften und erlaubte ihnen gleichzeitig, Handel zu treiben und Land zu pachten, um darauf zu arbeiten.18 Nur wenige Juden verlegten sich aber auf den Handel oder die Landwirtschaft. Viele gingen nun heimlich ihrer ursprünglichen Beschäftigung nach.19 Clipping – ein ernstzunehmendes Problem

Die »Clipper« gingen schrittweise vor und zwackten zunächst Stücke vom Münzrand ab, die zwischen 5 und 10 % der Münze aus-


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machten. Da große Mengen von Münzen durch die Hände der Geldverleiher gingen, waren letztendlich sämtliche Münzen um 10 % leichter. Dann wurde von den ohnehin schon im Wert verringerten Münzen nochmals 10 % entfernt usw. Immer wieder verlor Englands Münzgeld durch Beschneiden 50 % seines Werts. Die Verhaftung der »Clipper«

Am 17.November 1279 wurde eine große Anzahl Juden in ganz England verhaftet. Bei Hausdurchsuchungen fand man große Mengen an Silber, das von Münzen abgezwackt worden war. Nach Roth wurden 680 Juden eingesperrt, 273 von ihnen gehängt – zusammen mit drei christlichen Goldschmieden. Das Problem blieb jedoch bestehen, und im Juli 1290 ließ Eduard alle 16 511 Juden aus England ausweisen. Die höfliche Vertreibung

Die Vertreibung ging auf sehr geordnete Art und Weise vonstatten. Die Schiffskapitäne, die die Juden aufs europäische Festland bringen sollten, wurden angewiesen, keine überhöhten Preise für die Überfahrt zu verlangen. In einem aufsehenerregenden Fall wurde ein Kapitän verurteilt und gehängt, der eine Anzahl jüdischer Passagiere in einer Flut hatte ertrinken lassen. Menasse ben Israel

In der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Aufhebung dieser Verbannung zum Hauptanliegen einiger zusammen agierender jüdischer Gemeinschaften Europas. Ihr führender Kopf in Holland war Rabbi Menasse ben Israel (siehe Seite 173), der von einigen der reichsten jüdischen Händler unterstützt wurde. In einer 1649 eingereichten Petition an den English Council boten sie 500 000 Pfund Sterling für die Rücknahme der Gesetze gegen die Juden, für die Zusprechung der Bodleian Library in Oxford sowie für die Umwandlung der St.-Pauls-Kathedrale in eine Synagoge. Die Verhandlungen wurden abgebrochen, als die englische Regierung 800 000 Pfund Sterling verlangte.20 Menasse hatte eine kurze Abhandlung mit dem Titel »Die Hoffnung Israels« verfasst, die von der Delegation verwendet werden sollte. Der Titel der Abhandlung ist eine Anspielung auf die Erklä-


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rung, die der in Rom gefangene Paulus den vornehmsten der Juden abgibt: »Es ist zur Hoffnung Israels, dass ich an dieser Kette liege« (Apostelgeschichte 28,20). Diese Abhandlung – eine Kombination aus Drohungen, Schmeicheleien, Beleidigungen und dem Versuch, in den Engländern Schuldgefühle hervorzurufen – muss auf Leser von heute zwangsläufig sonderbar wirken. Nach einer unterwürfigen Widmung der Abhandlung an das Parlament warnte er davor, dass all jene, die gegen die Juden handelten, von Gott bestraft würden. Als Beispiele führte er das Königspaar Ferdinand und Isabella von Spanien, das römische Pompei und Nebukadnezar von Assyrien an. Menasse sagte, der Messias komme, sobald die Juden auf der ganzen Erde verteilt seien. Weiter behauptete er, einige indianischen Stämme in der Neuen Welt seien mit den Juden verwandt und nur England ließe keine Juden zu. Daher, so argumentierte er, sollten die Juden in England wieder zugelassen werden, um das Kommen des Messias zu ermöglichen. Die zweite Hälfte der Abhandlung wurde von Moses Will, einem Christen, geschrieben, der anhand von Passagen aus der Bibel eine Reihe von Gründen angab, warum die Engländer die Juden lieben sollten.21 Oliver Cromwell als »Messias«

Gleichzeitig mit der Ankunft von Menasses Delegation traf eine Gruppe »asiatischer Juden« ein. Sie war »in geheimer Mission unterwegs, um zu untersuchen, ob Oliver Cromwell der Messias sei«.22 Offenbar ging diese Gruppe nicht gerade diskret vor, so dass ihre Ermittlungen in London zum Stadtgespräch wurden. Die Engländer gingen bei ihren Überlegungen bezüglich der Wiederzulassung der Juden sehr vorsichtig vor. So wurden bedeutende Juristen des Landes konsultiert, unter ihnen John Dury, der im deutschen Kassel lebte. Er riet aufgrund seiner Erfahrungen ab. Menasse ben Israels Forderungen seien groß, und der Nutzen, den die Juden aus diesen Privilegien machen würden, sei ihrem Ruf nicht zuträglich. Wenn sie nicht klug in den Schranken gehalten würden, so würden sie in kurzer Zeit zu einem Problem.23 Die Petition verursachte im Volk beträchtlichen Groll gegen die Juden, und viele Beiträge gegen ihre Wiederzulassung wurden veröffentlicht. Menasse ben Israels Bemühungen schlugen fehl, und


Die Unterminierung der Monarchie über das Geldsystem

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Cromwell wurde wegen der Messias-Farce scharf kritisiert. Den Juden wurde die Wiedereinreise nicht offiziell erlaubt, sie kehrten jedoch, von Cromwell geduldet, ab 1650 in aller Stille zurück.

Die Unterminierung der Monarchie über das Geldsystem W. A. Shaw machte auch Geschehnisse auf dem monetären Sektor für den Niedergang der Monarchie verantwortlich: Die Regierungszeit Jakobs I. (1603–1625) war eine Periode ineffizienter Versuche, den Wert des englischen Münzgelds an den ständig steigenden Wert des Münzgelds auf dem Kontinent anzupassen, eine Zeit des ständigen Abflusses von Münzgeld nach den Niederlanden, eine Zeit, in der Münzstätten des Landes praktisch geschlossen waren. Die englische Münzstätte war außer Kontrolle geraten, wie aus dem Bericht eines Zeitgenossen hervorgeht: »Wenn der Staat nicht außerordentlich viel Mühe darauf verwendet, das Beschneiden und Aussuchen des Münzgelds zu verhindern, wird Euer gesamtes Silbergeld von Goldschmieden und anderen missbraucht. Und wenn der Staat nicht für die Anstellung von Leuten sorgt, die solche Übeltäter entdecken können, sondern Personen an der Münzstätte arbeiten lässt, die über keine Erfahrung verfügen, muss hieraus großer Schaden erwachsen.«24 Der Blondeau-Vorfall

Die um sich greifende Korruption unter den Inhabern hoher Staatsämter und einflussreicher Posten in den Münzstätten wird an den Erfahrungen deutlich, die der Franzose Pierre Blondeau in England machte. Blondeau hatte eine Maschine erfunden, die das Abzwacken vom Münzrand verunmöglichte, da die mit dieser Maschine hergestellten Münzen mit gerändelten Kanten versehen wurden. In Frankreich kam diese neue Methode schnell zum Einsatz. Blondeau kam 1649 nach London, wo er seine Produktionsmethode einem parlamentarischen Ausschuss vorstellte, der positiv darüber berichtete. Der Council of State verschob jedoch die Entscheidung während sieben Jahren. In der Zwischenzeit sah sich Blondeau der unerbittlichen Feindseligkeit der Münzer gegenüber. Er veröffentlichte eine Flugschrift, in der er sie beschuldigte, Münzen unterschiedlichen


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Gewichts herzustellen – manche schwerer, manche leichter –, so dass ihre Kumpane außerhalb der Münzstätte die schwereren Münzen heraussuchen konnten, um dann den Gewinn mit ihnen zu teilen. Seine Gegner antworteten mit dem Versuch, ihn wegen Fälscherei verhaften zu lassen, nachdem er einige Münzen geprägt hatte, die sein Können demonstrieren sollten. Im Jahr 1656 bereitete Thomas Symon einige Prägestempel mit dem Kopf Cromwells vor. Blondeau wurde schließlich erlaubt, diese Münzen in der Münzstätte zu prägen. Wahrscheinlich aus politischen Gründen entschied sich Cromwell jedoch gegen die Ausgabe der Münzen, und Blondeau kehrte danach, offenbart angewidert von der Affäre, nach Frankreich zurück.25 Die fiskalische Strangulierung Karls II. (1630–1685)

England schüttelte schließlich die Diktatur Cromwells ab, seine Leiche wurde aus der Westminster Abbey geholt und an den Galgen des Tyburn-Gefängnisses gehängt. Zwar wurde Karl II. 1660 gebeten, nach England zurückzukehren; das Parlament beabsichtigte jedoch, ihn finanziell an kurzer Leine zu halten. Die zensurierte Geschichtsschreibung der Whigs jener Zeit, die fälschlicherweise Karl II. als Geizhals und Londons Goldschmiede als gute Geschäftsleute darstellt, wird von Wirtschaftswissenschaftlern noch immer für bare Münze genommen. Christopher Hollis zeichnet in seinem Buch The Two Nations ein treffenderes Bild: Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach England bat Karl II. Blondeau zu sich und machte ihn zum Ingenieur der Münzstätte. Neue, mit gerändelten Kanten versehene Münzen wurden ab 1663 hergestellt. Karl II. benötigte ein stehendes Heer, das er der vom europäischen Kontinent ausgehenden Bedrohung entgegensetzen konnte. Das Parlament verweigerte ihm jedoch die Bewilligung einer ausreichenden Geldsumme, so dass er sich gezwungen sah, die Mitgift seiner Frau für Staatsausgaben zu verwenden. Holländische Finanziers waren zunächst durchaus willens, Karl II. unter die Arme zu greifen. Als dieser jedoch Gesetze verabschiedete, die den Interessen holländischer Kaufleute zuwiderliefen, kamen die Finanziers zu einem andern Schluss.26 Karl II. blieb nichts anderes übrig, als sich die benötigte Summe zu einem Zinssatz von 8 % bei den Goldschmieden zu leihen. Bürgschaft waren die Steuern, die vom Parlament noch be-


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willigt werden sollten. Als diese Bewilligung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurde, verlangten sie Zinssätze, die sich zwischen 20 und 30 % jährlich bewegten. Jetzt zog Karl in Erwägung, abgewertetes Münzgeld auszugeben, um das Heer bezahlen zu können, worauf die Kaufleute ihre Preise sofort um 10 % erhöhten. Er bot ihnen an, sämtliche Überlegungen dieser Art fallenzulassen, wenn sie ihm nur £ 200 000 liehen. Sie weigerten sich jedoch. Diese Händler sollten in den sich anbahnenden Kämpfen zu den stärksten Alliierten des Feindes werden.27 Einen Teil ihres Geldes bewahrten die Kaufleute im Tower von London auf. Karl fror diese Gelder schließlich ein – insgesamt £ 130 000 – und stellte deren Freigabe unter der Bedingung der Leihgabe lächerlicher £ 40 000 in Aussicht. Dies führte zu einer Flucht des Münzgelds in die Hände der Goldschmiede, die über sichere Lagermöglichkeiten verfügten und Einlagen von Leuten akzeptierten, die ihr Geld nicht mehr der königlichen Überwachung im Tower anvertrauen wollten. Fünf oder sechs dieser Goldschmiede waren bedeutend genug, um als Bankiers bezeichnet zu werden. Sie gaben Quittungen für die Einlagen, die später von Kaufleuten und anderen Beteiligten als Geld verwendet werden sollten. Die Goldschmiede erhalten Rückendeckung von den Holländern

Die Goldschmiede beschnitten die englischen Münzen und exportierten die abgezwackten Stücke. Schwerere Münzen gingen nach Holland, wo sie eingeschmolzen und zu Münzen mit geringerem Gewicht geprägt wurden. In der Mitte des 17. Jahrhunderts war das Münzgeld mit einem sich an die 50 % annähernden Untergewicht erneut in beklagenswertem Zustand. Nicht gesehen wurde damals, dass die Goldschmiede Londons zu einem sehr großen Ausmaß Agenten waren, die mit holländischem Geld operierten.28

Das Papiergeld-Experiment Karls II. Im Jahr 1667 begann Karl II. schließlich, Papiergeld auszugeben, um für die Staatsausgaben aufzukommen. Bei diesem Papiergeld handelte es sich um königliche Zahlungsanweisungen, die von den Inhabern – wer immer diese auch waren – nach Ablauf eines Jahres in


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Münzgeld umgetauscht werden konnten. Mit diesem Experiment wurde im Westen zum ersten Mal Papiergeld geschöpft. Hätte Karl damit Erfolg gehabt, wäre dies mit weitreichenden Konsequenzen verbunden gewesen: Wäre man damals zu dem Schluss gekommen, dass es der König zu sein hatte, der sich um die Ausgabe neuen Geldes kümmern sollte, hätte dies die Weltgeschichte verändert. Aber die Goldschmied-Bankiers brachten dieses monetäre Experiment zum Scheitern. Karl machte den Fehler, sein neues Papiergeld ausschließlich in großen Beträgen auszugeben, so dass sich die Empfänger gewöhnlich gezwungen sahen, dieses Geld in kleinere Einheiten umzutauschen. Die Goldschmied-Bankiers boten die Annahme dieser großen Werteinheiten im Tausch gegen Depotscheine an, mit denen Zahlungen einfacher zu bewerkstelligen waren und für die bei Vorlage jederzeit Münzgeld ausgezahlt werden sollte. Die Goldschmiede sprachen sich jedoch untereinander ab und verlangten für den Umtausch saftige Gebühren. Auf diese Weise brachten sie Karls Zahlungsanweisungen in Misskredit. So musste Karl, der im Jahr 1672, also mitten im Krieg mit Holland, enorme Ausgaben zu bestreiten hatte, deren Finanzierung durch Steuermittel das Parlament verweigerte, feststellen, dass seine Gläubiger keine Bezahlung in seinem Papiergeld mehr akzeptieren wollten. Völlig zu Recht sah er den Grund für diese Weigerung im Verhalten der Goldschmiede. Deshalb sollten auch ihnen – und nicht der Bevölkerung – daraus Unannehmlichkeiten erwachsen. Aus diesem Grund verschob Karl die Rückzahlung bei ihnen gemachter Schulden um ein Jahr. Die Inhaber der von den Goldschmieden ausgegebenen Depotscheine verlangten von den Goldschmieden ihr Münzgeld zurück. Da die Summe in Bargeld, die sie auszuzahlen versprochen hatten, ihre Bargeldreseven um das Zehnfache übertraf, konnten sie nicht bezahlen.29 Sie stellten also die Zahlungen an ihre Deponenten sofort ein und horteten ihre beträchtlichen Münzreserven. Etwa 10 000 Kaufleute aus ihrem Kundenkreis erklärten sich bankrott. Die Goldschmiede verfügten jedoch über genug Geld, um eine völlige Katastrophe für den Handel abzuwenden. Unter der Bedingung der Wiederaufnahme der Zahlungen an die Deponenten stellte der König den Goldschmieden in Aussicht, sie würden sechs Monate später vom Schatzamt ausbezahlt. Das Parlament verweigerte aber die Zustimmung und fuhr fort, ihnen 6 % Zinsen auf die Schulden zu bezahlen.


Der Free Coinage Act von 1666

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Der Free Coinage Act von 1666 Der Free Coinage Act sah vor, dass jederman Gold- und Silberbarren zur Münzstätte bringen und daraus kostenlos Münzen prägen lassen konnte. Um die Verabschiedung dieses Gesetzes zu bewirken, hatte sich die britische Ostindiengesellschaft, die mit Indien weiterhin Handel mit Metallen betrieb, laut Del Mar massiver Bestechung bedient.30 Das vorgeschlagene Verfahren war jedoch nur auf den ersten Blick einfach und unproblematisch; in der Praxis bedeutet es, dass die Kontrolle über die Erhöhung oder Verknappung der verfügbaren Geldmenge mit der Verabschiedung dieses Gesetzes aus den Händen der Krone (d. h. der Nation) in die Hände der Kaufleute und Finanziers geriet. Waren die Kaufleute verschuldet, konnten sie den Wert des Geldes (also die Höhe ihrer Schuld) verringern, indem sie einfach mehr Barren zu Münzen prägen ließen. Hatten die Kaufleute dagegen als Gläubiger beträchtliche Kredite vergeben, so konnten sie den Wert dessen, was ihnen geschuldet wurde, erhöhen, indem sie Münzgeld entweder horteten oder in Barren gießen ließen, um diese Barren später – kostenlos – wieder zu Münzen prägen zu lassen. Del Mar sah in dieser Taktik einen Wendepunkt in der Geschichte des Geldwesens: Der Free Coinage Act machte vor allem das königliche Münzregal zunichte, annullierte den Mixt Moneys Case und leitete auf dem Handelssektor eine ganze Serie Paniken und Katastrophen ein, wie sie bis zu dieser Zeit nicht bekannt waren. »Die Aneignung des königlichen Münzrechts durch die Klasse der Goldschmiede ging auf so heimliche Art vonstatten, dass diese Tatsache in der Geschichtsschreibung kaum und in Werken über politische Ökonomie überhaupt keine Erwähnung findet […], ein schlagender Beweis – wenn denn einer nötig wäre – für die Voreingenommenheit und Einseitigkeit der Lehrer dieser Wissenschaft. Von allen Elementen politischer Ökonomie ist Geld das bedeutendste; von all den Institutionen des Geldes ist das Recht der Geldschöpfung das wichtigste; und doch findet dieses eine geheiligte Recht des Staates bei all diesen Ökonomen keinerlei Erwähnung.«31 Del Mar hat recht. Zu diesem Thema ist fast nichts zu finden, nicht einmal in massgeblichen chronologischen Auflistungen der Geldgeschichte Englands. Die einzige mir zur Verfügung stehende


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Ausnahme, in der diese Problematik ernsthaft diskutiert wird, ist W. A. Shaws History of currency, 1252–1896. Die britische Ostindiengesellschaft

Die britische Ostindiengesellschaft war mit einem Anfangskapital von £ 740 000 im 17. und 18. Jahrhundert die größte an der englischen Börse gehandelte Gesellschaft. Die nächstgrößeren waren die Africa oder Guinea Company und die Hudson Bay Company, die beide mit £ 110 000 kapitalisiert waren. Verglichen mit der holländischen Ostindiengesellschaft waren sie jedoch nur Zwerge. Im frühen 17. Jahrhundert gingen die Geschäfte schlecht. Obwohl der Buchwert im Jahr 1664 zu etwa 130 % des Nennwerts geschätzt wurde, wurden die Anteile nur zu 70 % des Nennwerts gehandelt. Als das französische Heer 1677 Amsterdam und die holländische Ostindiengesellschaft, also den Hauptkonkurrenten der Engländer, besiegte, stiegen die Aktien innerhalb kurzer Zeit zunächst auf 245 % des Nennwerts und drei Jahre später auf 500 %. Jedoch profitierten nur wenige davon – ein Umstand, der 1681 Grund für zahlreiche Beschwerden beim König war. Es gab 550 Aktionäre, aber der größte Teil der Aktien war im Besitz von nur 40 Personen. Aktien kamen nur selten auf den Markt und gerieten immer häufiger in immer dieselben wenigen Hände. 1681 fand überhaupt kein normaler Handel mit Aktien der Ostindiengesellschaft statt, obwohl die Nachfrage groß war. Ein beträchtlicher Teil der Aktien war in ausländischer Hand. Die Ostindiengesellschaft exportiert den Silbergeldbestand Englands

Das Gold-Silber-Wertverhältnis zwischen Ost und West verdient an dieser Stelle ein letztes Mal unsere Aufmerksamkeit. Die britische Ostindiengesellschaft brachte britische Silbermünzen nach Indien, um – unter anderem – Gold dafür zurückzubringen. John Locke hatte im Jahr 1718 Informationen darüber, dass die Ostindiengesellschaft Silber exportiere und in einigen Gegenden Indiens zu einem Profit von 50 % zu Gold machte. Er sah den soliden Reichtum des Königreichs in der Indischen See versinken und hielt es für äußerst wichtig, dass dieser wahre Grund für den in seiner Zeit noch nie dagewesenen Mangel an Silber der Nation aufzeigt werde.32


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Die Gesellschaft setzte sich für den 1666 verabschiedeten Free Coinage Act ein, da sie auf der Grundlage dieses Gesetzes ihre importierten Goldbarren direkt zu Münzgeld prägen konnte, anstatt das Gold wie in der Zeit zuvor auf dem Markt verkaufen zu müssen, was zwangsläufig weit weniger Gewinn abwarf. Wilhelm III. von Oranien ergreift 1688 die Krone

Die Frau von Wilhelm III., die Protestantin Maria, war die Tochter des katholischen Königs Jakob II.(1633–1701). Jakob machte sich im Land viele Feinde, und so wurde Wilhelm schließlich von Jakobs Gegnern die Krone angeboten. Nach Jahren der Planung landete Wilhelm schließlich im November 1688 an Englands Küste (Glorious Revolution). Für diesen Angriff erhielt Wilhelm beträchtliche finanzielle Unterstützung von den holländischen Juden. Isaac Lopez Suasso aus Den Haag stellte ihm zinslos zwei Millionen Goldkronen zur Verfügung, wofür er später zum Baron d’Avernas le Gras gemacht wurde.33 In der Regierungszeit Wilhelms III. von Oranien lassen sich die Ursprünge jener destruktiven Mechanismen erkennen, die bis in die Gegenwart wirken. In Sir Archibald Allisons History of Europe ist folgendes zu lesen: »Der Prinz von Oranien brachte das Geheimnis, wie Volksversammlungen beherrscht werden können und wie den verschiedenen Bevölkerungsgruppen hohe Steuern zu entlocken sind, aus der Republik Holland mit, wo aus diesem Wissen gründlich Nutzen gezogen wurde. […] Seine ganzen Bemühungen waren darauf gerichtet, die Mehrheit der Wahlkreise durch Korruption und die Mehrheit der Stimmen des Parlaments durch Patronage zu erhalten. […] Zu dieser Zeit nahm auch die Staatsverschuldung ihren Anfang, die Regierung lernte das gefährliche Geheimnis, durch das Borgen von Geld seinen Einfluss zu bewahren und die Rückzahlung in die Zukunft zu verlegen.«34 Nach Taines bestand die Herrschaft Wilhelms III. in einer langen Reihe von Kriegen und kommerziellen Krisen, die das Land sehr aufschreckten. Taines beobachtete allgemeine Erstarrung und Mangel an Elan sowie Korruption auf höherer Ebene und Brutalität unter dem Volk, »eine Gruppe Intriganten, die ein Volk von Tieren anführte«.35


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Wilhelm III. wurde von Holländern unterstützt, und einige Jahre nach seiner Landung hatte Großbritannien auf einmal eine fundierte Staatsschuld nach holländischem Modell sowie eine Bank von England, die ebenfalls mit Kapital aus Amsterdam gegründet wurde. All dies ging nicht ohne Widerstand vonstatten. Bei der Bank handelte es sich um eine Bank der Whigs, die eine Regierung aus Whigs mit Geldern für einen Krieg der Whigs versorgte. Daher ist es kaum verwunderlich, dass der auf dem Land lebende, die Tories unterstützende Adel in hilfloser Frustration zusah und das System verbittert »das holländische Finanzwesen« nannte.36 Als John Locke von Amsterdam aus mit demselben Schiff wie Wilhelms Frau nach England zurückkehrte, endete für ihn ein fünfjähriges Exil. Locke wurde Beamter der britischen Ostindiengesellschaft und schrieb eine weitverbreitete Abhandlung zum Thema Toleranz, die im Laufe der Jahre sechsmal aufgelegt wurde. Als sich die Wogen etwas geglättet hatten, wurde den Juden die Rückkehr aufgrund eines königlichen Dekrets erlaubt – das Parlament wurde bei dieser Entscheidung übergangen. In der Jewish Encyclopedia ist folgendes zu lesen: »Mit der Herrschaft Wilhelms III. war für die Juden eine außergewöhnliche Prosperität verbunden.« Auch wenn die reichen Juden den König als Schuldner hatten, die Mehrheit der Juden konnte daraus keinen Nutzen ziehen. Auch darf der jüdische Einfluss auf das Finanzwesen nicht überschätzt werden. Wilson bemerkt dazu: »Trotz der Bedeutung, die den Juden von Autoren des 18. Jahrhunderts in England und Holland in bezug auf das Finanzwesen zugeschrieben wird, ist klar, dass die christlichen Firmen – die Van Necks, die Staples, die Barings, die Van Nottens und Muilmans, die Bosanquets, die Dorriens – größer und bedeutender waren. Sie waren es, die vom Warenhandel zu völlig legitimen Bankgeschäften überwechselten: Insgesamt konnten die portugiesischen Juden aus Holland im britischen Finanzwesen nicht dauerhaft Fuß fassen.«37 Von diesem Zeitpunkt an gestaltet es sich immer schwieriger, die finanziellen Aktivitäten der wichtigsten jüdischen, holländischen und englischen Finanziers auseinanderzuhalten, da sie sich alle derselben Methoden bedienten. Diejenigen, die für den Verrat der Kriegsfinanzierung, für privat geführte und kontrollierte Banken,


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für die Entstehung einer gigantischen Staatsverschuldung mit entsprechend harter Besteuerung verantwortlich sind, können nicht immer als eine bestimmte nationale, religiöse oder ethnische Gruppe identifiziert werden, sondern gehören eher einer Gruppe bzw. Bande von Finanzleuten an, die nicht groß genug ist, um als Klasse bezeichnet zu werden.


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11. Kapitel

Die Bank of England wird ausgeheckt

Die »Renaissance des Nordens« veränderte im 16. und 17. Jahrhundert zwar die Ökonomien Europas, die Entstehung eines entsprechenden Bewusstseins von den monetären Prinzipien ging damit jedoch nicht einher. Der Machtzuwachs der Amsterdamer Börsenmakler basierte auf einem Edelmetallgeldbestand, der zum größten Teil durch zwei Jahrhunderte des Genozids an den Indianern Mittel- und Südamerikas beschafft worden war. Die heimlichen Kredite, die die Bank von Amsterdam der holländischen Ostindiengesellschaft über mehr als ein Jahrhundert gewährte, sind aber ein Indiz dafür, dass auch dieser Überfluss an Gold- und Silbergeld den Bedarf nicht decken konnte. Englands Free Coinage Act von 1666 entzog der Krone die Kontrolle über das Geldwesen und gab sie in die Hände von Kaufleuten. Die Absicht dieses Gesetzes war jedoch nicht die Verteilung der Macht auf viele, sondern deren Rekonstitution in den Händen einer neuen, anderen Art von Souverän – einem Souverän, der die institutionelle Form einer privaten, privat kontrollierten Zentralbank annehmen sollte.

Die Lehre vom Geld wird wiederentdeckt – und missbraucht Die erste Notenbank im Westen war die Bank von Schweden (1661). Aber erst die Gründung der Bank of England signalisierte die Wiederentdeckung der verlorengegangenen Lehre vom Geld. Da bei der Motivation zur Gründung dieser Bank jedoch nicht das Wohlergehen der Gesellschaft im Vordergrund stand, wie es diese Lehre eigentlich verlangte, sondern der private Profit einer kleinen Gruppe, muss von einem Missbrauch dieser wiedergewonnenen Erkenntnisse gesprochen werden. In dieser Hinsicht ist die Gründung dieser


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Bank als folgenschwerer Rückschritt in der Entwicklung des Geldwesens zu sehen – eine hochexplosive Waffe wurde in die Hände eines potentiellen Soziopathen gegeben. Auch entwarfen all jene, die hinter der Bank standen, ein falsches Bild vom Wesen des Geldes, um die wahre Natur der Bank und die Quelle ihrer Macht zu verschleiern. Während sie abstraktes Geld schöpften, warteten sie nach außen hin mit der rückschrittlichen Definition auf, Geld sei Gold bzw. Silber, und gaben sie die Notwendigkeit (und Möglichkeit) vor, das abstrakte Geld wieder in Metall zu verwandeln. Hätten sie Geld ganz offen als eine Kreation des Gesetzes definiert – als Nomisma also –, hätte es mit der privilegierten Position der Bank bald ein Ende gehabt. Die Institutionalisierung des Wuchers

Durch die Bank of England wurde der Wucher in der modernen Welt institutionalisiert. Bei Wucher handelt es sich um den kalkulierten Missbrauch des Geldsystems für private Zwecke (siehe Seite 134 f.). Die Bank of England wurde 1694 gegründet. Ihre Geschichte kann lückenlos nachvollzogen werden, und es existieren Quellen, welche die verschiedenen Einstellungen gegenüber der Bank dokumentieren – einige ablehnende Positionen eingeschlossen. In der großen New York Public Research Library sind über 200 Einträge über diese Bank zu finden; die Bank von Amsterdam findet dagegen kaum Erwähnung. Das erste ins Detail gehende Werk über die Bank of England ist The History of the Bank of England des griechischen Professors Andreas Andreades aus dem Jahre 1909. Obwohl das Buch eine Fülle von Fakten liefert, bleiben Fragen offen, z. B. wie diese Fakten zusammenhängen und welche Motivationen diejenigen hatten, die im Hintergrund die Fäden zogen. Die Notwendigkeit einer Bank

In London gab es für den Geldwechsel, für die Aufbewahrung von Wechseln oder für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs keine offizielle Institution; diese Aufgaben wurden von Hunderten der schon im 10. Kapitel erwähnten unabhängigen, unkontrollierten Goldschmied-Bankiers übernommen. Auf dem Geldmarkt herrschten chaotische Verhältnisse, und die Wechselkurse variierten beträcht-


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lich. Insgesamt kann die Situation in England mit der Hollands vor der Gründung der Bank von Amsterdam verglichen werden. In Venedig existierte das Problem der Geldverschlechterung durch Abzwacken vom Münzrand praktisch nicht; in Nordeuropa hingegen scheint diese Unsitte der liebste Zeitvertreib der Kaufleute gewesen zu sein. Die Bank von Amsterdam schützte ihr Münzgeld vor solchen Methoden; in England fiel das Münzgeld, das eigentlich der Gesellschaft zugute kommen sollte, den illegalen Aktivitäten der Goldschmied-Bankiers zum Opfer. In der Mitte der 90er Jahre des 17. Jahrhunderts hatte das Münzgeld Englands durch Abzwacken vom Münzrand bis zu 50 % an Gewicht verloren und war somit erneut in einem jämmerlichen Zustand. Für die Denunziation eines Übeltäters wurde eine Belohnung von £ 40 ausgesetzt. Verhaftete clipper wurden freigelassen, wenn sie drei andere denunzierten. Üblicherweise wurde das Delikt mit Hinrichtung geahndet.1 Für kleine Kredite verlangten die Goldschmiede zwischen 30 und 80 % Zins im Jahr. Nach Andreades machte sie ihre Gier und ihr eklatant antisoziales Verhalten »hoffnungslos unpopulär«. Daher verlangte die Öffentlichkeit nach einer Bank, welche die Währung regulieren und die Zinssätze senken sollte. Die Befürworter einer neuen Bank wollten sich nach dem Vorbild der Amsterdamer Bank ausrichten, da damals die Holländer und ihre Institutionen in England hohes Ansehen genossen.2 Die genaue Funktionsweise der Bank von Amsterdam war in London nicht vielen bekannt; daher kursierten sogar auf höchster Ebene einige Missverständnisse über sie. So wurde zum Beispiel angenommen, dass diese Bank regelmäßig Kredite vergab. Zahlreiche Vorschläge zur Gründung einer Bank

Aus Keith Horsefields Studie British Monetary Experiments geht hervor, dass im Hinblick auf Veränderungen in der Organisation des Geldwesens zwischen 1650 und 1710 mindestens 60 Vorschläge der unterschiedlichsten Art gemacht wurden, unter ihnen die Schaffung von Nominalgeld oder bessere Pfandhäuser. Zweimal wurden sogar negative Zinssätze vorgeschlagen und damit die Theorien von Silvio Gesell vorweggenommen. Mindestens vier Vorschläge kamen von William Paterson (1658–1719), dem späteren Gründer der Bank of


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England.3 Die Pläne des mit John Law verwandten Schotten William Paterson konnten jedoch erst 1694, nach der Landung Wilhelms III. von Oranien, in die Tat umgesetzt werden. Der Vorschlag Patersons; Montagus Bank

Paterson wurde 1658 als Kind mäßig wohlhabender Eltern geboren. Obwohl er geradezu brillant war, erhielt er keine umfassende Bildung. In Amsterdam geriet er 1685 in die Kreise, die sich mit der Planung der Landung Wilhelms III. in England befassten. Nachdem dieser die Krone ergriffen hatte, kehrte Paterson nach London zurück und gelangte mit der Gründung der North London Water Company zu Reichtum und Einfluss. Nach Horsefield kann die Annahme von Patersons Plan nur mit der Unterstützung durch zwei Männer von außergewöhnlichem Einfluss und besonderer Entschlusskraft erklärt werden – Charles Montagu (1661–1715), Schatzkanzler, und Michael Godfrey, Neffe von Sir Edmundbury Godfrey.4 Montagus Familie hatte in England ohne Unterbrechung bereits mehr als 500 Jahre lang – bis zurück zur normannischen Invasion – zahlreiche wichtige Positionen bekleidet. Charles Montagu muss eigentlich als der wahre Gründer der Bank of England angesehen werden, denn er war es, der den Plan durchs Parlament brachte, während Godfrey sich um die Zustimmung der Londoner Kaufleute bemühte. Paterson war jedoch mehr als nur ein Strohmann. Sein Biograph Sax Bannister berichtete über enge Beziehungen zu den reichen Juden Londons und vermutlich auch Amsterdams und Deutschlands.5 Paterson war auch über die wahre Natur der Bank von Amsterdam informiert: »Wenn gut unterrichtete Quellen nicht lügen, liegt dort nur ein gutes Viertel des Geldes, das dort eigentlich vorhanden sein müsste; die anderen drei Viertel wurde von den Magistraten für den Krieg gegen den König von Spanien verwendet, womit das allgemeine Vertrauen der Stadt (sollte jeder Vogel seine Federn zurückhaben wollen) riskiert wird.«6 Paterson war ein interessanter Mann, nicht der »böse Geist«, zu dem er von manchen gemacht wurde. Er versuchte, die englische Gesellschaft zu unterstützen und dabei reich zu werden. Es wäre interessant, etwas über Montagus Motive zu wissen. Als ein Freund Isaac Newtons und vor allem auch Edmund Halleys mag er die


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unterschiedlichsten Gründe gehabt haben, um einen holländischen Prinzen auf dem englischen Thron zu begrüßen und eine Bank zu gründen, die dessen Kriege finanzieren würde und ausländischen Geldverleihern die Möglichkeit gab, Englands Geldsystem mit aus dem Osten stammenden üblen Methoden zu dominieren.

Die Gründung der Bank wird in aller Stille vorangetrieben Über die Diskretion, mit der die Gründung dieser »Revolutionsbank« – wie sie genannt wurde – vorangetrieben wurde, sagte Bannister, es sei die ganze Zeit hinweg vermieden worden, von einer »Bank« oder »Gesellschaft« zu sprechen, obwohl beide Konzepte beabsichtigt waren. Diejenigen, die die Gründung der Bank betrieben, hielten es nämlich für klug, einem Konstrukt dieser Art einen möglichst unauffälligen Anfang zu verschaffen. Auf diese Weise sollte die Entstehung von Vorurteilen und negativen Assoziationen in den Köpfen der Menschen verhindert oder wenigstens abgeschwächt werden. Zu einem späteren Zeitpunkt jedoch betrachtete man es als zweckmäßig, das Projekt der Gefahr auszusetzen und soviel wie nötig von dessen Wesen und Charakter preiszugeben, um es dem Parlament akzeptabel erscheinen zu lassen.7 Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt – eine Taktik, die in Amerika bei der Verabschiedung von Gesetzen über das Geldwesen Schule machen sollte –, wurden die mit der Gründung der Bank of England notwendig werdenden Gesetze in aller Stille verabschiedet – als Zusatz zu einem Steuergesetz über Schiffstonnage. Die Funktion der Bank

Der vorgegebene Beweggrund für die Gründung der Bank war die Beschaffung eines enormen Kredits für die Regierung Wilhelms III. Anteile dieser als Aktienbank gegründeten Institution konnten gegen Goldmünzen oder -barren von der Öffentlichkeit erworben werden. Das auf diese Art akkumulierte Aktienkapital von 1,2 Millionen Pfund Sterling in Gold ging zu einem Zinssatz von 8 % an die Krone. Nach Aufnahme der Geschäfte nahm die Bank Einlagen zu einem Zinssatz von 4 % an. Sie gab auch eigene Noten aus, die als Zahlungsmittel kursierten und gegen die auf Verlangen Gold ausge-


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zahlt werden sollte. Diese Noten waren zunächst zwar kein gesetzliches Zahlungsmittel, wurden jedoch von der Krone als solches akzeptiert. Der Bank war es erlaubt, Noten in derselben Höhe auszugeben, wie sie Kredite an die Regierung vergab. Oder anders ausgedrückt: Die Schulden der Regierung dienten der Bank als Reserve. Ersuchte also die Krone die Bank um einen Kredit, musste diese nicht über die gewünschte Summe Geld verfügen, d. h. sie konnte einfach Noten ausgeben und das Geld für den Kredit quasi aus dem Boden stampfen. Diese Art Reservemedium war in der Tat verläßlicher als Gold oder Silber, und die Befürworter dieses Systems argumentierten mit Recht, die Bank könne sich auf eine Reserve stützen, die nur beim Untergang der Nation zunichte würde.8 Es wurde jedoch nicht darauf aufmerksam gemacht, dass die Bank trotz der von der Krone erhaltenen Zinsen in diesem Geldschöpfungsprozess völlig überflüssig war, denn die Regierung hätte schließlich zu denselben Konditionen eigene Noten ausgeben können – ohne jegliche Zinszahlungen. Im Gegensatz zur Bank von Amsterdam wurde die Bank of England eben von Privatleuten kontrolliert. Die Charter der Bank

Die Bank erhielt eine Lizenz für 12 Jahre, beginnend am 27. Juli 1694. Der Erwerb von Anteilen war für jeden auf einen Wert von £ 10 000 (später 20 000) beschränkt, das Umgehen dieser Bestimmung durch Strohmänner konnte jedoch nicht verhindert werden. Zu Beginn gab es 1300 Aktionäre. Das gesamte Kapital wurde innerhalb von drei Tagen in Gold aufgebracht – ein Viertel davon am ersten Tag.9 Mit dem Aktienbesitz war die Klausel verknüpft, dass die Bankdirektoren weitere 40 % des Nennwerts in Gold von den Aktionären einfordern durften. Gegen einen Zinssatz von 8 % und eine jährliche Aufwandsentschädigung von £ 4000 lieh die Bank ihre Papiernoten zunächst ausschließlich der Regierung. Des weiteren diskontierte die Bank Wechsel für die Kaufleute und nahm Einlagen an, für die sie 4 % Zins gewährte. Godfrey betonte stets diesen Teil der Bankaktivitäten, obwohl sie nur einen winzigen Teil der Bankgeschäfte ausmachten.


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1844 hatte die Bank of England noch nicht einmal das Monopol auf die Ausgabe von Noten. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten auch andere Privatbanken eigene Noten ausgeben. Die Noten der Bank of England hatten jedoch den enormen Vorteil, dass sie vom Staat für sämtliche Zahlungen akzeptiert wurden. Auch die Staatsausgaben wurden mit ihnen beglichen. Daher sollten die Noten bald mit dem Staat identifiziert werden: »Nur sehr wenige Fremde verstehen die Natur der Bank. Sie betrachten ihre Noten stets als Noten des Staats«, schrieb Sir Francis Baring.10 Vermutlich ging es den meisten Engländern ebenso. Auch in dem Teil von Der Wohlstand der Nationen (1776), in dem Adam Smith, der »Vater der Nationalökonomie«, die Geschichte der Bank beschreibt, ist nichts zu finden, was ihr Image hätte zerstören können. So spricht Smith fälschlicherweise von einem »bedeutenden Motor des Staates«.

Der Widerstand gegen die Bank regt sich Innerhalb kürzester Zeit regte sich beträchtlicher Widerstand gegenüber der Bank. Ein Teil des Widerstands kam aus den Reihen der clipper, also zum Beispiel den Goldschmieden, die keine Konkurrenz einer Bank wollten. Die Tories, Englands Landbesitzer, sprachen sich gegen sie aus, da sie die Macht fürchteten, die die Bank den zum großen Teil im Handel tätigen Whigs, ihren politischen Widersachern, verleihen würde. Andere waren aus vernünftigen ökonomischen oder auch aus moralischen Gründen gegen die Bank. Im Unterhaus des Parlaments wurde bemängelt, dass diese Bank nicht unter Kontrolle der Regierung stand.11 William Lowndes, ein bedeutender Geldtheoretiker jener Zeit, wollte nicht glauben, dass die Nachwelt willens sein werde, eine Steuer von jährlich £ 110 000 (auf den ursprünglichen Kredit) zu zahlen, die nicht etwa der Unterstützung ihrer Regierung diene, sondern in die Taschen von Privatleuten, Fremden sowie Einheimischen, fließen sollte – und zwar aufgrund von Geld, das den Vorfahren zur Verfügung gestellt worden war. »Auch kommende Parlamente werden Macht ausüben, und es mag ihnen auch mitgeteilt werden, dass es nur in ihrem Interesse ist, die Nation von einer Plage zu befreien, die sonst kein Ende nehmen werde.«12 Es war Lowndes


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nicht bewusst, dass es durch die ständige Kriegsführung nicht bei dem ursprünglichen Schuldenberg bleiben sollte. Weitere Kredite gigantischen Ausmaßes machten Auszahlungen in Gold und Silber vollends unmöglich. Das Land Bank-Fiasko der Tories

Der Widerstand gegen die Bank hielt an. Im April 1696 gründeten die Tories die Chamberlain’s Land Bank, die der Bank of England Konkurrenz machen sollte. Diese Bank, der Land als Reserve dienen sollte, wurde von der Familie Chamberlain schon seit 1649 propagiert. Durch die Ausgabe von Papiernoten in Höhe des Werts des verpfändeten Landes sollte die Trumpfkarte der Tories liquide gemacht werden. Diese Idee basierte auf einem fehlerhaften Konzept, das von Zeit zu Zeit diskutiert wird.* Als Folge dieses Projekts fiel der Wert der Aktien der Bank of England innerhalb von zwei Wochen von £ 108 auf £ 83. In der zwischen Grundbesitzern und Finanziers ausgefochtenen Schlacht waren die Grundbesitzer jedoch hoffnungslos unterlegen; und als bei der Zeichnung im August 1696 nur eine Summe von wenigen tausend Pfund zusammenkam, wurde das Projekt der Chamberlain’s Land Bank aufgegeben.13 Die Landbesitzer mögen es zwar verstanden haben, Grundbesitz anzusammeln und armen Bauern ihr Land abzupressen, mit den im Bankwesen üblichen Machenschaften waren sie jedoch maßlos überfordert. Sie hatten versucht,ihre Bank inmitten einer Periode der Neuprägung aufzubauen – in einer Zeit also, in der Münzgeld extrem knapp war. Nach der Auflösung der Chamberlain’s Land Bank stiegen die Aktien der Bank of England bis zum Jahr 1700 von £ 83 auf £ 148. Die erste Krise der Bank of England

Ebenso von der Neuprägung betroffen, durchlief die Bank 1696 – nur zwei Jahre nach ihrer Gründung – ihre erste Krise, da ihre Papiernoten nicht mehr gegen Münzgeld eingelöst werden konnten. Patersons Ansicht nach sollten die Direktoren ihre Macht nutzen * Der Fehler: Wenn mit dem Ziel, Landbesitz liquide zu machen, Geld geschöpft wird, steigt der Wert des Besitzes aufgrund der zusätzlichen Liquidität weiter an, so dass noch mehr Geld geschöpft wird usw.


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und von den Anteilseignern mehr Gold verlangen: »Oder sollen sie etwa auf Kosten der Nation verhätschelt werden? Ich bin sicher, sie verdienen absolut keine Verhätschelung. Es ist nicht unmöglich, dass sie Vernunft annehmen und sich benehmen, wie es sich für Männer ziemt. So wie wir Bettler auffordern zu arbeiten, muss ich diese Männer auffordern zu zahlen. Sie sind reich und sind dazu imstande.«14 Der Angriff der Goldschmiede

Kurz vor der geplanten Verlängerung der Lizenz der Bank kam es 1707 aufgrund einer Konspiration der Goldschmiede zu einem enormen Run auf die Bank. Zu Beginn der Krise weigerte sich Sir Francis Childs, einer der bedeutendsten Goldschmiede, Noten der Bank of England zu akzeptieren. Dann versuchten die Goldschmiede, die Bank in die Knie zu zwingen, indem sie von ihr die Einlösung der von ihnen gehorteten Noten im Wert von £ 30 000 verlangten, wobei sie genau wussten, dass die Bank dazu nicht imstande war. Den Goldschmieden war es zwar leichtgefallen, die alte Monarchie in finanzieller Hinsicht zu manipulieren, dieses Mal jedoch hatten sie es mit einem Gegner zu tun, der mit monetären Taktiken mehr Erfahrung hatte. Die Bankdirektoren verfolgten eine einfache, aber brillante Strategie, indem sie sich schlichtweg weigerten, die Banknoten der Goldschmiede einzulösen, während sie mit der Einlösung der Noten ihrer anderen Kunden fortfuhren. Die Direktoren verlangten von ihren Anteilseignern 20 %, glätteten so die Wogen, und die Lizenz der Bank wurde für weitere 21 Jahre erneuert. Das Kapital der Bank wurde auf £ 14,4 Millionen angehoben. Außerdem bekam die Bank das Monopol über die Ausgabe von Banknoten innerhalb eines Radius von 65 Meilen um London. Die Weiterentwicklung der Bank

Die Bank of England hatte Erfolg, wo andere scheiterten, da sie ohne jegliche ideologische Skrupel jedes Ereignis nahm, wie es kam. Die Direktoren der Bank zögerten nicht, ihre eigenen Regeln und Versprechungen zu brechen, wenn das Überleben dies diktierte. Der Schutz der Bank bestand hauptsächlich in ihrer Komplexität, die es den meisten Menschen unmöglich machte, die wahre Quelle ihrer Macht zu erkennen – den Geldschöpfungsprozess.


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Ganz allmählich vergrößerte sich die Macht der Bank. Über viele Jahre hinweg zirkulierten ihre Noten nur in London. Es verstrich aber zwischen 1694 und 1870 nicht ein einziges Vierteljahrhundert, ohne dass eine Krise aufgetreten wäre. Das nur langsame Anwachsen der Privilegien der Bank ist ein Indiz dafür, dass Allianzen mit anderen politischen Mächten, die der Entwicklung der Bank hätten förderlich sein können, entweder nicht angestrebt wurden oder unmöglich waren. Daher konzentrierten sich Macht und Reichtum der Bank innerhalb eines kleinen Kreises, und es wurde ihr oft vorgeworfen, in die Hände eines engen Kreises verwandter Familien gefallen zu sein, die ihre Interessen über die der kommerziellen Welt stellten.15

Ricardo greift die Geldschöpfungsmacht der Bank an Der englische Jude David Ricardo (1772–1823) gehörte zu den wenigen, die das Wesen der Bank erkannten und öffentlich machten. Seine klaren Gedankengänge, seine leicht verständliche Ausdrucksweise und sein Mut trugen wesentlich zum Verständnis der Bank bei. 1815 schrieb Ricardo an Malthus: »Attacken gegen die Bank bereiten mir stets Vergnügen, und hätte ich den Mut, würde ich an ihnen teilnehmen.« 1816 griff Ricardo die Existenzgrundlage der Bank an: »Sie haben die Macht, die vorhandene Geldmenge nach ihrem Belieben und ohne jegliche Kontrolle zu erhöhen oder zu verringern: eine Macht, die weder dem Staat selbst noch irgend jemandem darin anvertraut werden sollte. […] Wenn ich mir die üblen Konsequenzen vorstelle, die aus einer plötzlichen großen Reduktion oder auch aus einer beträchtlichen Erhöhung der Geldmenge erwachsen können, komme ich nicht umhin, die Leichtfertigkeit zu missbilligen, mit der der Staat die Bank mit einem solch erstaunlichen Vorrecht ausgestattet hat.«16 1823 nahm Ricardo all seinen Mut zusammen und schlug die Gründung einer englischen Nationalbank vor. Dass die Regierung eigenes Geld ausgeben sollte, begründete er wie folgt: »Angenommen, Geld im Wert von 1 Million würde für die Ausrüstung einer Expedition benötigt. Würde der Staat Noten über diese Summe ausgeben, so würde die Expedition ohne jegliche Kosten für die Nation


Der Missbrauch der Lehre vom Geld

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ausgerüstet werden; würde jedoch eine Bank Noten im Wert von 1 Million ausgeben und sie der Regierung zu einem Zinssatz von 7 % leihen, so hätte das Land eine andauernde Belastung von 70 000 jährlich zu tragen.«17 Aus den folgenden Gründen propagierte Ricardo eine staatliche Bank: »Wenn Papiergeld nicht mehr von der Bank geliehen werden müsste, sondern wenn die Ausgabe von Papiergeld einzig und allein in den Händen der Regierung selbst läge, dann würde dies in bezug auf die Zinsen einen offensichtlichen Unterschied machen. Die Bank würde keine Zinsen mehr erhalten, und die Regierung würde keine Zinsen mehr bezahlen. Es wird behauptet, dass der Regierung die Macht über die Ausgabe von Papiergeld nicht ohne Risiko anvertraut werden kann – dass sie diese Macht mit hoher Wahrscheinlichkeit missbrauchen würde. Ich schlage vor, diese Aufgabe einem dreiköpfigen Gremium anzuvertrauen.«18 Da Ricardo Mitglied des Parlaments und ein erfolgreicher Börsenmakler war, konnten seine Betrachtungen über die Bank nicht so ohne weiteres ignoriert werden. Doch auch die Bank war nicht ohne Einfluss. 1844 wurde innerhalb der Bank eine spezielle Abteilung für die Ausgabe von Noten eingerichtet. Einige Bestimmungen zum Schutz gegen Missbrauch wurden erlassen, und die Regierung musste für ihre Bankschulden keine Zinsen mehr bezahlen.

Der Missbrauch der Lehre vom Geld Die Gründung und Leitung der Bank of England zeigt, dass die wesentlichen Prinzipien der Geldlehre den Holländern, Juden und englischen Geldverleihern, die die Bank organisierten und kontrollierten, bekannt waren, denn sie waren es, auf die man sich bei der Führung der Bank verließ. – Das erste dieser Prinzipien lautet, dass der Wert des Geldes nicht von dessen Materialwert abhängt, sondern von gesetzlichen Bestimmungen. »Alles kann als Geld zirkulieren; Papier ist als repräsentativer Wert genauso geeignet wie Gold, und in vielerlei Hinsicht ist es besser«, schrieb Sir Francis Baring.19 – Zum zweiten können per Gesetz auch andere Medien (als Edel-


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Die Bank of England wird ausgeheckt

metalle) zu Geld gemacht werden, indem diese vom Staat für die Zahlung von Steuern und Abgaben akzeptiert werden. Um die Funktion von Geld zu erfüllen, muss ein solches Medium nicht unbedingt ein gesetzliches Zahlungsmittel sein. Die Gründer der Bank hatten für ihre Noten nicht auf dem Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels bestanden; das von der Bank ausgegebene Papiergeld musste also von Privatleuten nicht als Zahlungsmittel akzeptiert werden. Erst 1833, 130 Jahre nach der Bankgründung, wurde den Noten dieser Status zuerkannt – im selben Jahr, in dem die Bank zur regelmäßigen Veröffentlichung von Berichten über ihre Aktivitäten verpflichtet wurde. Das wichtigste aller monetären Prinzipien wurde jedoch übersehen – das Prinzip der Gerechtigkeit innerhalb der monetären Strukturen. Die korrumpierte Lehre vom Geld führt zu schädlichen Resultaten

Diese unethische Anwendung korrekter Prinzipien des Geldes musste zwangsläufig zu schädlichen Resultaten führen. Zu den negativen Auswirkungen der Bank of England zählten ständige Kriege, ein nicht mehr abzutragender Schuldenberg und eine enorme Steuerlast. Die Praxis der Bank hatte eine spekulative Finanzordnung sowie entsetzliche Katastrophen wie die irische Hungersnot zur Folge. Kriege lassen die Schulden anwachsen

Die Bank fuhr fort, die Streitereien der protestantischen Dynastie zu unterstützen, und versorgte die Regierung mit den Mitteln für weitere Kriege. Sie wurde zum wesentlichen Faktor beim Erfolg der Kampagne des Jahres 1695, vor allem bei der Eroberung der wichtigen Stadt und Festung Namur.20 Andreades Auflistung der englischen Staatsschulden verdeutlicht den Zusammenhang mit der Kriegsführung:


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Der Missbrauch der Lehre vom Geld Englands Staatsschulden (in Millionen £) Kriegsperiode

Kriegskosten

aufgelaufene Staatsschulden

1688–1697 1702–1713 1739–1748 1756–1763 1776–1785 1793–1815

32,6 Millionen 50,7 43,7 82,6 97,6 831,5

14,5 Millionen 21,5 29,2 59,6 117,3 504,9

Paterson attackiert die Staatsschulden

William Paterson erkannte, wie ungerechtfertigt diese Staatsschulden waren. Er hatte in Armut gelebt, bis die Bank ihm im Jahr 1715 in Würdigung seiner Bemühungen um die Gründung der Bank eine Summe von £ 18 000 zuerkannte. Und doch war er nach wie vor dagegen, dass die Bank auf Kosten der Nation Kredite vergab. Im Jahr 1717 schlug er daher vor, die Staatsschulden zu tilgen: »Dies versetzte den Aktienmaklern einen solchen Schock, dass einige der gemeineren Sorte das Buch vor dem Royal Exchange verbrennen ließen. […] Einige von ihnen widmeten sich nicht nur selbst dieser Beschäftigung, sondern hatten auch ihre Kinder den derzeit praktizierten Handel mit Staatspapieren gelehrt; und sollte ihnen dieser genommen werden, würden sie damit ihre Lebensgrundlage verlieren.«21 1819, ein Jahrhundert später, stellte auch Ricardo einen Plan zur Tilgung der Staatsschulden vor. Zu Patersons Zeit lag dies wirklich noch im Bereich des Möglichen, zu Ricardos Zeit hatten die Schulden jedoch eine derart enorme Höhe erreicht, dass nach seiner Berechnung die Beteiligung aller Engländer mit 15 % ihres Privatbesitzes notwendig gewesen wäre, um die Staatsschuld zu tilgen. Es ist daher wohl nicht erstaunlich, dass Ricardos Plan nicht umgesetzt wurde.22 Die Banker hatten ja auch keinerlei Interesse daran, die Schulden bezahlt zu sehen. Ganz im Gegenteil. Sie hätten am liebsten eine niemals endende Zinslast geschaffen – eine Zinslast für »Geld«, das sie erst aus dem Boden gestampft und dann an die Regierung geliehen hatten.


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Die Bank of England wird ausgeheckt

Ricardo erkennt das Interesse der Bank an der Kriegsführung

David Ricardo verdeutlichte auf diplomatische Art und Weise, wie sehr die Bank von der Kriegsführung profitierte, während das Land und die Menschen unsäglich darunter litten: »Der Krieg, unter dem die meisten Klassen der Gesellschaft schwer zu leiden haben, wirft für die Bank unerwartete Profite ab, und in dem Maß, wie sich die Belastungen und Schwierigkeiten des Staats erhöhen, steigen die Gewinne dieser Institution.«23 Natürlich war sich Ricardo durchaus bewusst, dass diese »unerwarteten Profite« nach einem Jahrhundert ständiger Kriegsführung durchaus bewusst eingeplant waren. Ein schändliches Beispiel für die Öffentlichkeitsarbeit, die Ökonomen für ihre Herren und Meister leisteten, muss in Adam Smith’ Verherrlichung des Krieges gesehen werden (»die Kriegskunst jedoch, gewiss die nobelste aller Künste«). Smith betonte die Notwendigkeit der Unterhaltung eines teuren stehenden Heeres. Und er beleidigte alle Engländer, indem er ihnen die Schuld an der ständigen Kriegsführung gab,da sie seiner Ansicht nach »leichtfertig« danach schrien.24 Die Machenschaften der Bank

Vor 1833 hatten Außenstehende keinerlei Einblick in die Bücher der Bank of England. Ricardo überschlug Ausgaben und Einnahmen und kam zu dem Schluss, dass die Bank der Regierung für verwaltungstechnische Aufgaben zu hohe Beträge berechnete: »Ist es nicht beklagenswert zu sehen, wie eine solch mächtige und reiche Institution wie die Bank of England deutlich macht, dass sie ihre angehäuften Reichtümer durch ihr nicht zustehende Gewinne,die einem über die Maßen belasteten Volk abgepresst werden, immer noch erhöhen will?« Die Schlüsselrolle in der Bank hatten jedoch nicht die Eigentümer inne, sondern der kleine Kreis, der die Fäden in der Hand hielt; sogar die Aktionäre wurden übervorteilt. Entgegen den Bestimmungen weigerte sich die Bank, über die Höhe der Gewinne zu informieren.25 Ricardo berichtete von einem Mr. Allardyce, einem der Aktionäre, der in einer am 19. März 1801 stattfindenden Zusammenkunft ein Schriftstück vorlegte, in dem er die Offenlegung der Bücher verlangte. Allardyce schien durchaus bereit zu sein, die Angelegenheit vor den King’s Court zu bringen, verstarb aber plötzlich.26 Auch Ricardo verstarb früh. 1823, im Alter von nur 51 Jahren,


Der South Sea Bubble

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erlag er den Folgen einer Ohrinfektion – im selben Jahr, in dem er die Gründung einer Nationalbank vorschlug, die den Privilegien der Bank of England ein Ende gemacht hätte.

Der South Sea Bubble Die Bank of England schuf ein finanzielles und kulturelles Klima, das Betrug und Spekulation wie Pilze aus dem Boden schießen ließ. Die erste einer ganzen Reihe von Betrugswellen überschwemmte England von 1718 bis 1720, eine Folge von Ereignissen, die als South Sea Bubble bekannt werden sollte. Im Zentrum des Geschehens stand die 1711 gegründete South Sea Company, die Sklaven in einige spanische Kolonien transportierte. Ebenfalls in den Skandal verwickelt waren etwa hundert weitere Gesellschaften. Bei diesen Gesellschaften handelte es sich zum größten Teil um auf betrügerische Art und Weise gegründete Aktiengesellschaften, deren Wert nach oben hin manipuliert wurde, indem zum Beispiel Dividenden aus nicht existierenden Einkünften ausgeschüttet wurden. Dieser Schwindel durchdrang die Finanzwelt sowie auch einen beträchtlichen Teil des Parlaments. Da sowohl der Prinz von Wales (von 1715 bis 1718) als auch König Georg I. (von 1718 bis 1720) Direktoren der South Sea Company waren, war sogar die englische Krone in diesen Schwindel verstrickt. Die Entwicklung der Gesellschaft gipfelte in dem Angebot, Englands Staatsschulden von der Bank of England zu übernehmen. Obwohl es Whigs waren, die die South Sea Company ausgeheckt hatten, handelte es sich bei der Bank doch um eine separate Gruppe. Allgemein herrschte die Ansicht, dass Ausländer – Juden und Holländer also – bei diesen Manipulationen eine maßgebliche Rolle gespielt hatten. In A South Sea Ballad schrieb Jonathan Swift: A race of men who t’other day lay crushed beneath disasters are now by stock brought into play and made our lords and masters.* * Ein Schlag von Menschen, der eben noch / vom Verderben niedergeschmettert war, / wurde von Aktien nach oben getragen / und machte sich zu unserem Herrn und Meister.


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Die Bank of England wird ausgeheckt

Auch einflussreiche Parlamentsmitglieder waren tief in diesen Betrug verstrickt, insbesondere Walpole, jedoch auch Stanhope, Aislabie, Sunderland und auch die Craggs – und das waren bei weitem nicht alle. Sir Matthew Decker war einer der Direktoren der South Sea Company; der Herzog von Buccleugh ebenso. Als Adam Smith die South Sea Company zu einem späteren Zeitpunkt in Der Wohlstand der Nationen besprach, erwähnte er weder ihre Betrügereien noch dass sie wie eine Seifenblase zerplatzte. Das Verschweigen dieser Tatsachen zum Schutz seiner Wohltäter disqualifiziert sein Werk in hohem Maße. Eine realistische Schilderung der Ereignisse lieferte hingegen Lewis Melville unter dem Pseudonym »Benjamin« in The South Sea Bubble 27: Hier wird dieser historische Schwindel als sorgfältig eingefädelter Betrug geschildert und nicht etwa als eine kaum erklärbare »Manie der Massen«. Tatsächlich hatte das Spekulationsfieber die Nation gepackt. So kletterte der Wert einer Aktie der South Sea Company im Jahr 1719 auf £ 126, am 2. Juni 1720 war ein Wert von £ 890 erreicht, Ende Juni waren es schon £ 2000. Dieser Kurshöhepunkt wurde im Monat August 1720 erreicht. Der Zusammenbruch der South Sea Company verursachte schließlich einen antijüdischen Aufstand in Amsterdam. Als die Mehrheit der ehrlichen Mitglieder des Parlaments die Betrüger schließlich vor Gericht brachte, versuchte die Krone, das Strafmaß zu drücken, weshalb es sich sehr schwierig gestaltete, die Angeklagten einer gerechten Strafe zuzuführen. Die milde Bestrafung der Betrüger setzte den Standard für die Nichtahndung von Finanzdelikten in der englischsprachigen Welt (vor allem in den Vereinigten Staaten), mit Auswirkungen bis auf den heutigen Tag. Die Geldstrafen, zu denen die Angeklagten verurteilt wurden, lagen häufig weit unter den Beträgen, die sie sich während des Bestehens der Gesellschaft unrechtmäßig angeeignet hatten. An den Wänden der Gerichtsräume hingen während der Anhörungen zu diesem Fall Zettel, auf denen ehrbare Gentlemen davor gewarnt wurden, sich neben die angeklagten Direktoren zu setzen, da viele Leute »Taschenpistolen« mit in den Gerichtssaal brachten.28 Zwar wurde keiner der Angeklagten sozusagen stellvertretend für alle anderen Übeltäter erschossen, einige der schuldig verstrickten Parlamentsangehörigen verübten jedoch Selbstmord.


Der South Sea Bubble

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Die irische Hungersnot

Die irische Hungersnot war Resultat der Besteuerung, die notwendig geworden war, um der Bank of England ihre Geschäfte zu ermöglichen. Von einer Gesamtbevölkerung von acht Millionen fielen 1 029 000 irische Männer, Frauen und Kinder dem Hungertod zum Opfer, und dies in einer Zeit, in der die von Landbesitzern exportierten Agrarprodukte mehr als ausgereicht hätten, um sie alle zu ernähren. Das Studium der exakt geführten Statistiken der irischen Lebensmittelexporte im Jahr 1845 ist, so Hollis, sehr aufschlussreich. Aufgeführt (d. h. ausgeführt!) wurden 779 000 Quarter Weizen und Weizenmehl, 93 000 Quarter Gerste und 2 353 000 Quarter Hafer – also genug, um über 12 Monate hinweg alle Personen, die in Irland dem Hunger zum Opfer fielen, mit Nahrung zu versorgen, und zwar mit dem fast Vierfachen der benötigten Menge. Diese Lebensmittel wurden zum Teil exportiert, um die Pacht an abwesende Landbesitzer, hauptsächlich jedoch, um die Zinsen für die von der Bank aufgenommen Hypotheken zu bezahlen. Die irischen und die englischen Landbesitzer waren gezwungen, Hypotheken aufzunehmen, um die Steuern zu bezahlen, aus denen ihrerseits die Zinsen für die aus dem napoleonischen Krieg erwachsenen Schulden bestritten wurden. In Irland war das Kapital in der Hand von Leuten, deren kulturelle und politische Sympathien ihren Gläubigern galten – und nicht so sehr dem Land, in dem sie lebten, wie folgendes Beispiel zeigt: Lord George Bentinct schlug vor, den Iren durch den Bau einer Eisenbahn zu mehr Kaufkraft zu verhelfen, aber Lord John Russels Whig-Regierung erlaubte das nicht. Andernorts waren profitablere Investitionen möglich.29 Die Trennung von Geld und Staat

Die von Nation und Staat abgetrennte Macht über die Kontrolle des Geldsystems, die allgemein in den englischsprachigen Ländern zu beobachten war, hatte negative Auswirkungen auf die ganze Welt. In dem zwischen Bankiers und der gesetzgebenden Volksvertretung ausgefochtenen Kampf um die Geldmacht waren es die Bankiers, die sich in der Materie auskannten und die genau wussten, wie sie von ihrer Stellung profitieren konnten. Der Lohn für Intrigen, Bestechung und Mordkomplotte jeglicher Art war hoch, stellte sich schnell ein und finanzierte sich quasi wie von selbst.


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Die Bank of England wird ausgeheckt

Die Vertreter des Volkes waren mit der Komplexität der monetären Macht manchmal überfordert; häufig wurden sie auch zum Ziel von Bestechungsversuchen. Zudem war das Anprangern beobachteten Unrechts häufig mit der Gefahr persönlicher Opfer verbunden. Gelegentlich war sich die Öffentlichkeit der Problematik bewusst, die mit der Frage der Kontrolle über die monetäre Macht einhergeht. Oft war dies jedoch nicht der Fall – im 20. Jahrhundert so gut wie nie. Die in ihren Ausmaßen immer entsetzlicher werdenden Schrecken der Kriege, die zum großen Teil von Bankiers herbeigeführt wurden, sowie die enorme Last der Staatsschulden und der immer wieder erhöhten Steuern drückte die Menschen nieder und nahm ihnen die Fähigkeit, politische und soziale Probleme zu erkennen – eine Entwicklung, die den Drahtziehern nur noch mehr Macht in die Hände spielte. Die vom Finanzsektor ausgeübte Kontrolle über die Massenkommunikation, zuerst auf Kanzeln und über Zeitungen, später auch über Rundfunk, Filmindustrie und Fernsehen – zu schweigen von den Universitäten –, hatte und hat zur Folge, dass die mit dem monetären Sektor verknüpfte Problematik an den Rand des Bewusstseins geschoben wurde oder gar nicht erst ins Blickfeld geriet. Während der letzten drei Jahrhunderte konnten die Führungscliquen solcher wirtschaftlicher Organisationen nur unter Aufwendung enormer Energie und gigantischer Geldsummen verhindern, dass sie durchschaut und mit Dieben und Betrügern gleichgesetzt wurden. Dies führt uns zu der Frage nach dem Propagandaapparat, der in diesem plutokratischen System den Eindruck einer weißen Weste erhalten soll.


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12. Kapitel

Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

Was macht jede Doktrin klar und deutlich? Ungefähr zweihundert Pfund im Jahr. Und was widerlegt die Doktrin, die vorher als wahr galt? Weitere zweihundert Pfund. S B H

Das von den niederländischen, jüdischen und englischen Geldverleihern sowie dem Haus Oranien in der Bank of England institutionalisierte Übel des organisierten Wuchers wurde nie in seiner ganzen Tragweite erkannt, das heißt, die von ihm weltweit ausgelösten langfristigen Probleme und Unstimmigkeiten wurden ignoriert. Wenn vor der Gründung dieser Bank ein Geldsystem für steuerliche Zwecke genutzt wurde, so wurden mit den Einkünften im allgemeinen zu einem gewissen Grad Bedürfnisse der Gesellschaft gedeckt oder jedenfalls das, was die Republik oder der König für solche Bedürfnisse hielt. Private Geldsysteme dagegen, wie das der Bank of England, konzentrierten die Geldmittel einer Gesellschaft in den Händen weniger Einzelpersonen und behinderten dadurch die Funktionsfähigkeit der Regierung. Dies führte zu einer wachsenden Verachtung der Regierung, die heute darin gipfelt, dass manche grundsätzlich die Notwendigkeit einer Regierung in Frage stellen, anstatt etwas zur Definition der eigentlichen Aufgaben einer Regierung beizutragen. Diese monetäre Beherrschung einer Gesellschaft beruhte auf drei entscheidenden Voraussetzungen: – der Kontrolle über die Geldmacht, Geldschöpfung und Geldregulierung; – dem Einsatz kriegerischer Mittel zum Aufbau einer enormen Staatsverschuldung; – einer harten, repressiven Besteuerung des Volkes, die dem Betrug weiteren Vorschub leistete.


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

– Eine vierte Voraussetzung ist vielleicht das Fehlen eines moralischen Gegengewichtes, das die Ungerechtigkeit feststellen und zum Handeln gegen die korrupte Geldmacht aufrufen könnte. Die primäre Geldquelle, die korrupten Geldsystemen zugrunde liegt, der Brunnen, aus dem Tag und Nacht Geld geschöpft wird, ist der Wucher, d. h. der strukturelle Missbrauch der gesellschaftlichen Geldmechanismen durch das Vorrecht, neue Kreditgelder auszugeben und zu kontrollieren und für private Darlehen Zinsen zu berechnen. Auf diese Weise ging Macht von der Gesellschaft auf die Finanzmacht über, die nun vierundzwanzig Stunden im Tag und sieben Tage in der Woche diese Macht ausüben konnte, unabhängig davon, ob die Geschäfte gut oder schlecht liefen, ob die Ernte üppig war oder eine Dürre herrschte, ob das Volk gesund war oder von Krankheiten heimgesucht wurde. Dieser durch Wucher erworbene Reichtum wurde von denen, die davon profitierten, keineswegs zugunsten ihrer Mitmenschen verwendet, sondern diente ihnen im Gegenteil dazu, der Gesellschaft systematisch zu schaden, ihr noch mehr Geld zu entziehen und sie gegenüber ihren parasitären Aktivitäten noch wehrloser zu machen. Wucherer bemächtigten sich des Reichtums ganzer Nationen, indem sie deren Geldsysteme eroberten. Dabei fielen nur wenig Schüsse, und es gab auch keine förmliche Kapitulation, die den Menschen deutlich gemacht hätte, dass sie und ihre Nachwelt für alle Zeiten dieser Macht ausgeliefert sein würden. Wäre man sich dieser Eroberung der monetären Macht bewusst gewesen, hätte man ihren Urhebern durch Gesetze leicht das Handwerk legen können. Selbst wenn keine politische Lösung möglich gewesen wäre, hätte man wahrscheinlich durch direktes Handeln, etwa durch eine Revolution, die Hauptakteure schnell aus dem Weg räumen können. Doch dieses Bewusstsein hatten nur sehr wenige. Letztendlich entscheidet das Denken

Kurzfristig kann man Menschen mit roher Gewalt beherrschen, aber langfristig werden Gesellschaften durch Gedankensysteme regiert. Wenn also eine neue Geldmacht etabliert werden soll, erfordert dies eine neue »Theologie«, die dieses neue System rechtfertigt und hei-


Ökonomen als Propagandisten

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ligt, deren wesentliche Inhalte aber geheim bleiben; eine »Theologie«, die dieses Geldsystem zum Ausdruck des Willens Gottes oder zu einem unbestrittenen Naturgesetz oder zu einer Notwendigkeit für das Funktionieren der Gesellschaft erklärt.

Ökonomen als Propagandisten Diejenigen, deren Aufgabe es gewesen wäre, das Geldsystem ihres Landes zu verstehen und ökonomische Weichen zu stellen, die »Nationalökonomen« oder »Volkswirtschafter«, wurden statt dessen zu den Priestern einer neuen Bankenaristokratie und zu Propagandisten der monetären Machtstrukturen.* Diese Ökonomen brachten falsche monetäre Vorstellungen, verhüllende Geldtheorien und primitive Konzepte vor, welche die Machtposition der Banken festigten. Einige der besonders Unwissenden unter ihnen erhielten wichtige Positionen, während die Fähigeren beiseite geschoben oder von der Geldmacht schlicht ignoriert wurden. Die Wirtschaftswissenschaften – eine negative Weiterentwicklung der Scholastik

Die Scholastiker hatten eine moralische Ordnung für Handelsgeschäfte festgelegt. Dabei bedienten sie sich vor allem logischer Argumente, die sie aus ihren vernunftgemäßen Grundsatzpositionen ableiteten (siehe Seite 129). Mit anderen Worten: Sie zogen aus bestimmten Grundsätzen, die sie für wahr hielten, Schlüsse und legten weniger Wert auf empirische, aus der Erfahrung gewonnene Erkenntnisse. Die Nationalökonomie verfolgte diesen theoretischen Ansatz weiter. Nationalökonomen waren vergleichbar mit mittelalterlichen Ärzten, die Theorien über die Funktionsweise des Körpers aufstellten, die es aber niemals wagten, eine Leiche zu sezieren, um zu sehen, wie der Körper inwendig ausschaut. Das für diesen Ansatz am besten geeignete Teilgebiet der Ökonomie ist die von den Scholastikern schwerpunktmäßig beleuchtete * Diese Kommentare beziehen sich natürlich nicht auf die zahlreichen ausgezeichneten Wirtschaftswissenschaftler, die sich in ihrer Arbeit intensiv mit Fragen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit auseinandersetzen und deshalb unterstützt werden sollten, trotz der von den Wirtschaftswissenschaften allgemein angerichteten Schäden.


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

Ethik ökonomischen Handelns. Gerade diesen Bereich aber hat die Nationalökonomie abgeschafft.

Die Verachtung für geschichtliche Forschung wächst Der theoretisch-ethische Ansatz drückt auch eine gewisse Verachtung für die aus der Geschichte zu ziehenden Lehren aus. Da monetäre Systeme über einen langen Zeitraum hinweg betrachtet werden müssen, ist die Geschichte die einzige Quelle, aus der die Menschheit empirische Erkenntnisse über Geld – also Erkenntnisse, die auf Erfahrung beruhen – gewinnen kann. Die antihistorische Ausrichtung der Nationalökonomie ist seit langem bekannt. Am ehesten greifen Nationalökonomen auf historische Ereignisse zurück, wenn sie ihre Theorien damit bestätigen können. Nur sind dann die Hinweise auf die Geschichte oft oberflächlich oder sogar falsch. So schrieb H. S. Foxwell von der Londoner Universität in seinem Vorwort zu Professor Andreades bahnbrechendem Werk History of the Bank of England (1909): »Dass sich zuerst Ausländer mit zahlreichen Kapiteln der englischen Wirtschaftsgeschichte befassten, ist nicht etwa auf das Fehlen offizieller historischer Aufzeichnungen zurückzuführen, sondern hauptsächlich auf die antihistorische Ausrichtung der vorherrschenden Schule der englischen Nationalökonomie. […] Ihre doktrinären Denkgewohnheiten und ihr Glaube, über eine Reihe von universell anwendbaren ›Prinzipien‹ zu verfügen, brachte diese Ökonomen dazu, die historische Forschung zu missbilligen. […] Das ist in der Tat ein stümperhaftes Vorgehen. Es ist merkwürdig, dass diese Kurpfuschermethoden sowohl in England als in gewissem Maße auch in Frankreich von den Ökonomen gebilligt wurden und dass es Laien überlassen blieb, fundiertere Methoden anzuwenden. […] So unterlag die in England geschriebene Wirtschaftsgeschichte der Zensur der herrschenden Schule.« Nikolaus Oresme: ein früher Verbreiter von Unwahrheiten

Es ist zwar schwer vorstellbar, doch offenbar wussten manche Menschen bereits im 14. Jahrhundert besser als heute, wer von einer bestimmten Geldpolitik profitiert und wer nicht. So schrieb schon der


Die Verachtung für geschichtliche Forschung wächst

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Oberschatzmeister von Navarra um 1340 an seinen König, es gebe vier verschiedene Typen von Menschen, nämlich jene, die von Pachtzinsen lebten und die Geld mit einem hohen Feingehalt wollten. Dann jene, die Handel treiben; sie wollen durchschnittlich starkes Geld, weil der Handel stets schlecht ist, außer wenn das Geld in durchschnittlichem Zustand ist. Die dritte Gruppe lebt von körperlicher Arbeit und bevorzugt schwaches Geld. Die vierte Gruppe, nämlich die kriegführenden Fürsten, will ihre Truppen am liebsten mit schwachen Münzen bezahlen.1 Ein Wegbereiter für die betrügerische Geldlehre der Nationalökonomen war Nikolaus Oresme (lateinisch: Oresimus) (ca. 1320– 1382). Sein De moneta ist eine der seltenen Abhandlungen über Geld aus jener Zeit. Sein Ziel war zu verhindern, dass die Fürsten das Münzsystem ohne die Zustimmung der Landbesitzer veränderten. So behauptete Oresme, dass die Gemeinschaft das Münzsystem verändern könne, ja solle, wenn sie dies für notwendig halte.2 Diese Veränderung bezeichnete er als eine leicht einzuziehende Steuer. Oresmes politische Beweggründe blieben lange Zeit im Dunkeln, bis Peter Spufford feststellte, dass Oresme offenbar die Zinseinkünfte seiner wohlhabenden Sponsoren steigern wollte. Seine Argumentation sei vollkommen einseitig gewesen; für ihn war die einzige Form guten Geldes das starke Geld. Was den Handel angeht, so interessierte ihn ausschließlich die Versorgung der Landbesitzer mit Luxusgütern. Oresme bezeichnete jede andere als die von seinen Herren gewünschte Politik als gefährlich und für das gesamte staatsbürgerliche Gemeinwesen schädlich.3 Als Belohnung für seine Parteinahme wurde Oresme zum Bischof von Lisieux ernannt. Gerechterweise muss man ihm zugute halten, dass er der erste westliche Gelehrte war, der das Greshamsche Gesetz in Schriftform niederlegte – und zwar bereits 1364, zweihundert Jahre bevor Gresham lebte:* »Weicht das festgelegte gesetzliche Wertverhältnis der Münzen vom Marktwert der Metalle ab, verschwindet die unterbewertete Münze völlig aus dem Umlauf, während allein die überbewertete Münze im Umlauf bleibt.«4 * Die Behauptung, das Greshamsche Gesetz sei bereits in Aristophanes’ »Die Frösche« erstmals formuliert worden, ist falsch, da die betreffende Textstelle das Gesetz nicht genau beschreibt.


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

Der Mythos Adam Smith Obwohl er schon seit über 200 Jahren tot ist, ist Adam Smith (1723– 1790) immer noch der beliebteste Nationalökonom des Finanzestablishments. Verlage und Fernsehshows werden nach ihm benannt. Beim Bundesparteitag der US-Republikaner 1992 wurde sein Buch ehrfurchtsvoll empfohlen. Um eine derartige Berühmtheit zu erlangen, muss man normalerweise irgendwelche bedeutenden Entdeckungen gemacht oder fortschrittliche Neuerungen entwickelt haben. Welche sind das im Falle von Adam Smith? Hierzu Andreas Andreades: »In diesem Fall wie auch in anderen Fällen entdeckte der Vater der Nationalökonomie rein gar nichts.«5 Eine Auseinandersetzung mit Adam Smith ist nicht wegen der Richtigkeit oder Qualität seiner Ansichten notwendig, sondern wegen des hohen Stellenwertes, der ihm von seiten der Finanziers beigemessen wird. In diesem Zusammenhang soll auch geklärt werden, warum die Volkswirtschaft als »düstere Wissenschaft« gilt. Smith nahm für sich das Verdienst in Anspruch, das Modell des »freien Handels« entwickelt und verbreitet zu haben. Wo Geld jedoch korrekt als gesetzliche Institution definiert wird, sind die Modelle des freien Handels auf die Funktionsweise und die Steuerung der Geldmechanismen ebensowenig anwendbar wie auf die Funktionsweise der Gerichtshöfe. Für den aufmerksamen Zuhörer klingen die Sirenengesänge des Laisser-faire-Prinzips ähnlich wie die Schalmeienklänge von persönlicher Freiheit der ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. nach Rom eingeschleusten orientalischen Kulte, die Frazer in seinem Werk Der goldene Zweig beschrieb (siehe Seite 44 und 47). Beide Freiheiten hatten eine ähnliche Wirkung: die Zerstörung der nationalen Ordnung, der einzigen Macht, die in der Lage war, sich den Angriffen aus dem Osten zu widersetzen. Adam Smith stellt die monetäre Rolle der Regierung falsch dar

Bevor er seine Definition des Geldbegriffes vorstellt, verfälscht Adam Smith in seinem nationalökonomischen Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen nach Kräften geschichtliche Fakten, um die Rolle der Regierung im monetären Bereich auf ein Minimum zu reduzieren: »Um solchem Missbrauch vorzubeugen, den Zahlungsverkehr zu er-


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leichtern und so Gewerbe und Handel anzuregen, hat man es in allen fortschrittlichen Ländern für unbedingt notwendig erachtet, die im Handel üblichen Metalle nach bestimmten Mengen mit einem amtlichen Stempel zu versehen. Das war der Anfang des geprägten Geldes und der staatlichen Prägeanstalten, Münzen genannt. Ihrer Aufgabe nach entsprachen sie genau den Ämtern der Mess- und Stempelmeister für Woll- und Leinentuche. Sie sind alle dazu bestimmt, Menge und einheitliche Qualität der entsprechenden Waren, die auf den Markt kommen, durch einen amtlichen Stempel zu bescheinigen und damit zu gewährleisten.«6 Das ist eine bemerkenswerte Aussage für einen Mann, der am Ende seines ersten Buches (Theory of Moral Sentiments) eine Abhandlung über die Geschichte der Jurisprudenz in Aussicht stellte7 und sich also mit Geschichte beschäftigt haben muss. Man darf annehmen, dass ihm auch der berühmte Mixt Money Case von 1601 (siehe 10. Kapitel) bekannt war, der allein seine Aussage über die Münzstätten hätte widerlegen müssen. Indem Smith die Münzstätten mit der Qualitätskontrolle für Wolle und Leinen gleichsetzt, täuscht er eine Trennung von Geld und Staat vor, die es jedoch erst gab, nachdem die Bank of England die Geldmacht an sich gerissen hatte. Smith’ Darstellung darf durchaus als »Verfälschung der Tatsachen« bezeichnet werden, denn er widerspricht sofort dem eben Gesagten, indem er die große Bedeutung der Institution der Münzstätte hervorhebt, den Missbrauch der Münzstätte durch die Könige übertrieben darstellt und im Grunde genommen jegliche von früheren Regierungen ausgeübte Kontrolle über das Geldwesen scharf verurteilt: »Denn überall auf der Welt haben Herrscher und unabhängige Staaten in ihrer Habsucht und Ungerechtigkeit das Vertrauen der Menschen missbraucht, indem sie nach und nach den ursprünglichen Metallgehalt ihrer Münzen herabgesetzt haben.«8 Die Kontrolle der Münzstätten befürwortet er im Interesse der Gläubiger: »Solche Geldentwertungen haben sich also stets günstig für den Schuldner und äußerst nachteilig für den Gläubiger ausgewirkt und zuweilen die Vermögen der Privatpersonen weit stärker und nachhaltiger umgeschichtet als irgendein nationales Unglück.«


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

Das Wesen des Geldes wird verschleiert

Die Beschränktheit seiner Gelddefinition erkennend, machte Smith auf der nächsten Seite 9 den Untersuchungsgegenstand für seine Vernebelung verantwortlich, indem er sagt, es bleibe vielleicht trotz seiner Bemühungen um Klarheit einiges undeutlich, da der Gegenstand seiner Untersuchung äußerst abstrakt sei. Das Kernstück seiner Gelddefinition lautet folgendermaßen: »Es sollte nicht übersehen werden, dass ich unter dem Geldpreis der Waren die Menge an reinem Gold oder Silber verstehe, für die sie verkauft werden, ohne Rücksicht auf den Nennwert der Münze.«10 Adam Smith ignorierte die zu seiner Zeit bereits existierenden fortschrittlichen Geldtheorien. Wichtig bei der Beurteilung seiner Beweggründe ist die Tatsache, dass er sich nicht einmal bemühte, die fortschrittlichen Geldtheorien zu widerlegen oder zu bestätigen. Seine rückwärtsgerichtete Definition von Geld als Ware entspricht der Vorstellung von Geld zu einer Zeit, bevor die Römer nach England kamen. Der Rückschritt zum Gold- und Silber-Gewichtsstandard

Indem Adam Smith den Geldbegriff von einem fortschrittlichen, gesetzlich verankerten numerischen System zurück zum reinen gewichtsmäßigen Metall (den Ponderata) führte, verdeckte er praktisch jegliche Vorstellung von Geld als gesetzlicher Einrichtung. Hätte er diese Ansichten klar und deutlich, ohne den Schleier seiner »Arbeitswert«-Theorie formuliert, wäre offensichtlich geworden, dass er den grossen Denkern, die nachwiesen, dass Geld eben nicht nur eine Ware ist, nichts entgegenzusetzen hatte. Aber er ignorierte sie einfach. Die Bank of England war schon 80 Jahre früher in ihrer Praxis (nicht in der Theorie!) zu fortschrittlichem, abstraktem Papiergeld übergegangen. Adam Smith dagegen schlug in der Theorie eine Rückwärtsentwicklung zum Warengeld ein. Die Anwendung seiner Theorie auf die Praxis der Bank sollte für große monetäre Verwirrung und Geheimnistuerei sorgen. Die bewusste Vermeidung des quantitativen Geldaspektes

Nachdem Adam Smith das Geld fälschlicherweise als Ware definiert hatte, musste er erklären, wie Gold und Silber zu ihrem Wert kamen.


Der Mythos Adam Smith

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Diese Absicht verfolgte er mit seiner ausführlichen Abhandlung über den Wert der Arbeit: »Auch wenn die Arbeit das wirkliche Maß für den Tauschwert aller Waren ist, so wird doch ihr Wert gewöhnlich nicht mit ihrer Hilfe geschätzt […] Es ist daher nur ganz natürlich, wenn man ihren Tauschwert nach der Menge einiger anderer Waren schätzt und nicht nach der Arbeitsmenge, die man damit kaufen kann. Die meisten Menschen verstehen auch besser, was mit einer Menge eines bestimmten Gutes, anstatt einer Arbeitsmenge, gemeint ist. Das eine ist eine einfache, greifbare Sache, das andere ein abstrakter Begriff, der nicht ganz so natürlich und einleuchtend ist, obwohl man ihn genügend verständlich machen kann.«11 »Gold und Silber schwanken indes in ihrem Wert wie jede andere Ware; manchmal sind sie billiger, manchmal teurer und einmal leichter und dann wieder schwerer zu bekommen. Die Menge Arbeit oder andere Güter, die man für eine bestimmte Gold- oder Silbermenge kaufen oder über die man verfügen kann, hängt stets von der Ergiebigkeit der Gruben ab, die zur Zeit der Tauschgeschäfte bekannt sind. So führte im 17. Jahrhundert die Entdeckung der ergiebigen Minen in Amerika zu einem Preisverfall bei Gold und Silber in Europa um etwa zwei Drittel des früheren Wertes […] Ebenso kann auch eine Ware, die sich im Wert ständig ändert, niemals den Wert anderer Waren genau messen. Immerhin kann man soviel sagen, dass gleiche Arbeitsmengen immer und überall von gleichem Wert für den Arbeiter sind […] Arbeit allein ist somit der letzte und wirkliche Maßstab, nach dem der Wert aller Waren zu allen Zeiten und an allen Orten gemessen und verglichen werden kann, da sie sich niemals in ihrem Wert verändert. Die Arbeit ist ihr wirklicher oder realer Preis, Geld lediglich ihr nominaler.«12 Smith behauptete, der Wert von Gold und Silber als Waren und als Geld würde von der zu ihrer Produktion aufgewendeten Arbeit bestimmt – den Produktionskosten, die Smith zufolge den Verwendern des Geldes bekannt seien. Seiner Ansicht nach war der fast 70prozentige Wertverlust von Gold und Silber im 16. und 17. Jahrhundert (der wahrscheinlich noch höher, bei etwa 80 %, lag) eine Folge der Entdeckung »reicher Edelmetallvorkommen in Amerika«. Smith bezeichnete die Arbeit als den höchsten Wertmaßstab, da der Arbeiter stets konsequent seine eigene Arbeit bewerte. Nun ist es aber allgemein bekannt, dass der Arbeiter auf die Höhe


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

seiner Bezahlung keinen Einfluss hat. Es steht ihm ja nicht einmal frei, nicht zu arbeiten. Adam Smith hob letztendlich sein Argument über den Wert der Arbeit selbst auf, indem er den Arbeitswert als den »wahren« Preis aller Dinge bezeichnete, während der Geldpreis nur ein »nomineller« Preis sei. In Wirklichkeit jedoch drückt sich der einzige Preis, der Käufer und Verkäufer jemals interessiert hat, in Geld aus. Adam Smith’ Behauptungen über die Kosten der Edelmetallförderung verwirrten Studenten während zweihundert Jahren; und doch wurden die Förderkosten nie untersucht. Sonst hätte sich gezeigt, dass die Spanier in Amerika die Metalle unter Androhung von Waffengewalt in Besitz nahmen und dann von Sklaven, die sich in den Minen zu Tode schuften mussten, abbauen ließen. (Siehe 9. Kapitel). Selbst wenn man Adam Smith’ Argumentationslinie folgt, stellt sich die Frage, wie sich die Produktionskosten auf die Preise auswirken können, ohne zuerst das Angebot (die Menge) zu beeinflussen. Damit sind wir also wieder bei der Quantität angelangt. Durch die Vermeidung des Begriffs der Quantität schützte Adam Smith die Bank of England, die durch Erhöhungen des Geldangebotes einen Wertverlust des Geldes verursacht hatte. Adam Smith war indes nicht der erste, der die Arbeit als Maßstab benutzte. So stellte John Locke bereits 1690 fest: »Da aber Gold und Silber, die im Verhältnis zu Nahrung, Kleidung und Transportmöglichkeiten für das Leben des Menschen von geringem Nutzen sind, ihren Wert nur von der Übereinkunft der Menschen erhalten haben, wofür aber die Arbeit doch zum größten Teil den Maßstab setzt, […]«13 1729 griff der Amerikaner Benjamin Franklin diesen Gedanken auf: »Silber und Gold […] (sind) nicht von dauerhaftem Wert, […] deshalb erscheint es notwendig, etwas anderes von dauerhaftem Wert zu bestimmen, […] und dies ist meiner Ansicht nach die Arbeit.«14 Allerdings verwechselten weder Franklin noch Locke das Wesen des Geldes mit dem Wert der Arbeit, wie es Smith tat. Offenkundig untaugliche Definitionen

Adam Smith’ fragwürdige Definitionen riefen die scharfe Kritik eines anderen Nationalökonomen hervor: Thomas Robert Malthus


Zutreffendere Geldtheorien vor und nach Adam Smith

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(1766–1834), der die falsche Lehre von der Bevölkerungsexplosion in die Welt gesetzt hat. In seinem Werk The Measure of Value griff Malthus Smith’ undurchsichtige Arbeits- und Wertetheorie an und betonte, dass seine These vom gleichbleibenden Arbeitswert »niemanden überzeugt hat und deshalb keiner nationalökonomischen Arbeit als Wertmaßstab gilt«. Malthus wies auch darauf hin, dass sogar Smith selbst nicht etwa den Preis der Arbeit, sondern den Getreidepreis zum Maßstab für den Wert von Silber genommen habe.15 Unter Malthus’ sechzig »besseren« Definitionen nationalökonomischer Begriffe fehlte ausgerechnet eine Definition des Geldes. Malthus schluckte Smith’ materialistische Definition von Geld als Gold-und Silbermetall und hielt eine Diskussion nicht für erforderlich. Wenn die Ökonomie jemals eine Wissenschaft werden soll, muss ihre Terminologie unmissverständlich definiert werden. Doch die Elite der Ökonomen scheint es vorzuziehen, in einer strukturlosen, definitionsschwachen Umgebung zu arbeiten. Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit auf der Definition, der korrekten Bestimmung des Wesen des Geldes, denn diese Definition ist der grundlegende Baustein des ökonomischen Denkens.

Zutreffendere Geldtheorien vor und nach Adam Smith Für etwas frischen Wind sollen nun die nachfolgenden fortschrittlichen Geld- und Bankentheorien sorgen, die Adam Smith völlig außer acht ließ. Bischof George Berkeley (1685–1753)

Der Philosoph George Berkeley, Bischof von Cloyne (Südirland), ein aufmerksamer und akkurater Geldkommentator, schrieb 1735–1737 ein Werk mit dem Titel Querist, ein Katalog von Fragen, welche die Antworten bereits enthielten.16 Berkeley erkannte die enorme Bedeutung einer richtigen Definition des Geldes. (Q. 441: »Ist es nicht äußerst wichtig, eine richtige Vorstellung von Geld zu haben?«) Auch von der Entwicklung des Geldes hatte er sich ein Bild gemacht. (Q. 445: »War der erste Schritt in der primitiven Ursprungsgesell-


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

schaft nicht der Austausch von Waren, der nächste Schritt das Ersetzen der Ware durch abgewogene Metalle als gebräuchliches Umlaufmittel, danach der Gebrauch von Münzen und der letzte Schritt eine weitere Verfeinerung durch die Verwendung von Papier mit richtigen Aufschriften und Unterzeichnungen? Und stellt dieser letzte Schritt nicht die größte Verbesserung dar?«) Vor allem aber hatte Berkeley erkannt, dass Geld nicht nur eine materielle, sondern eine abstrakte Ware ist. (Q. 23: »Soll man Geld, je nach den unterschiedlichen Vorstellungen verschiedener Gelehrter, als Gegenstand mit einem immanenten Wert, als Ware, Norm, Maßstab oder als Versprechen ansehen? Und ist die wahre Vorstellung von Geld an sich nicht insgesamt die eines Scheines oder einer Marke?«) Berkeley erkannte den quantitativen Aspekt des Geldwertes und brachte die grundsätzliche Überzeugung zum Ausdruck, dass das Verhältnis zwischen der Geldmenge und der Warenmenge die Preise bestimmt. (Q. 24: »Ist der Wert oder Preis der Dinge nicht das direkt und reziprok zusammengesetzte Verhältnis zwischen der Nachfrage und der Menge?« Q. 25: »Sollten die Ausdrücke Krone, Pfund, Sterling etc. nicht als Exponenten oder Bezeichnungen solcher Verhältnisse angesehen werden? Und sind Gold, Silber und Papiergeld nicht Scheine oder Marken zur Berechnung, Aufzeichnung und Übertragung dieses Verhältnisses?«) Das abstrakte, vom Material unabhängige Wesen des Geldes beschrieb Berkeley noch einmal treffend an anderer Stelle. (Q. 35: »Ist nicht die Macht, von anderen Fleiß zu verlangen, der wahre Reichtum […] und ist Geld nicht in Wahrheit ein Schein oder Gutschein für die Übertragung und Aufzeichnung solcher Macht, und ist das Material, aus dem diese Scheine hergestellt sind, von folgenreicher Bedeutung?«) George Berkeley begrüßte grundsätzlich die Idee einer Bank, vertrat aber die Ansicht, dass es sich dabei um eine Einrichtung in staatlichem Besitz und unter staatlicher Kontrolle handeln sollte. (Q. 220: »Haben staatliche Banken in Venedig, den Niederlanden und Hamburg nicht großen Nutzen?« Q. 221: »Sind [diese Banken] nicht in den Händen des Volkes?« Q. 225: »Haben die Noten solcher staatlicher Banken nicht einen allgemeineren Umlauf als die Noten privater Banken, da sie weniger anfällig für Betrug und andere Risiken sind?«)


Zutreffendere Geldtheorien vor und nach Adam Smith

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Berkeleys Fragen 244 und 254 lassen sich als Antworten auf die Propagandakampagne der Banken verstehen, Q. 254 bezieht sich wahrscheinlich auf die Skandale im Zusammenhang mit der Südsee-Spekulationskrise (Q. 244: »Ist es richtig, Gefahren zu befürchten, weil man einer staatlichen Bank vertraut, die über die Macht verfügt, ihre Kredite auszuweiten, Banknoten in Umlauf zu bringen, die zu fälschen ein Verbrechen ist, und Waren oder Darlehen zu erhalten […] wenn diese Befugnisse keine anderen sind als jene, die seit vielen Jahren der Bank of England anvertraut wurden, die in Wahrheit nur eine Privatbank ist?« Q. 254: »Kann die Feststellung der zerstörerischen Wirkung der absurden Machenschaften und verfehlten Kreditverwaltung, die zu Geldspielen und Wahnsinn statt zu Fleiß führen, ein berechtigter Vorwand gegen eine staatliche Bank sein?«) Merken Sie, wie angenehm sich Berkeleys Texte lesen im Vergleich zu Smith’ Texten, die man erst noch mühsam entschlüsseln muss? John Raithby (1811)

Auch John Raithby formulierte in seinem 1811 verfassten Buch The Law and Principle of Money intelligente Ansichten über das Geld. Er verstand, dass die Geldfrage kein Kampf der Ideen ist, sondern ein Kampf gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen: »Es gibt in diesem Land gewisse Leute, die in ihrer Stellung, ihrem Vermögen oder ihrem Betragen von geringer Bedeutung, dafür aber unverfroren, geschäftig, streitsüchtig und intrigant sind; sie sind an keine rechtmäßige Partei gebunden; sie diffamieren den Charakter ihres Landes emsig und machen seine Mittel schlecht; sie sind die geheimen und entschlossenen Feinde seiner Ehre und Ruhe.« Raithby zeigte, dass der »immanente« Wert des Geldes eine Illusion ist, und hob die nicht unbedingt offensichtliche Tatsache hervor, dass der Wert einer Sache nur durch ihren Gebrauch festgestellt werden kann: »Wer behauptet, immanenter Wert sei ein Wesensmerkmal des Geldes, stellt eine äußerst unzweckmäßige und gefährliche Doktrin auf.«17 Raithby stellte auch klar, dass Geld kein Teil des nationalen Kapitals eines Landes sei. Er demonstrierte, dass man Nominalgeld aus jedem beliebigen Material herstellen konnte. Sein Ziel war, »anstelle der ›Edelmetalle‹ ein Papiergeld einzuführen«, das vom Staat ausge-


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

geben und zum offiziellen Zahlungsmittel erklärt werden sollte. Damit traf er die Bank of England im Kern und griff das NomismaSystem wieder auf.

Die Ergreifung der gesellschaftlichen Geldmacht Es erstaunt nicht weiter, dass Adam Smith nur für die Geldschöpfung durch Privatbanken, wie etwa der Bank of England, eintrat: »Man kann nun einwenden, es sei eine handfeste Verletzung der persönlichen Freiheit, die das Gesetz ja im Grunde schützen anstatt einschränken sollte, wenn ein Privatmann daran gehindert wird, Promessen eines Bankiers in beliebiger Höhe in Zahlung zu nehmen, obwohl er es gern möchte, oder einem Bankier zu verbieten, solche Banknoten auszugeben, obwohl alle Kunden sie annehmen würden.«18 Adam Smith verabscheut die Geldemission durch die Regierung

Als die amerikanischen Kolonien ihre eigene Papierwährung ausgaben, überschlug sich seine Kritik. Nachdem er sich darüber beklagt hatte, dass dieses Papier mehrere Jahre lang nicht in Gold einlösbar war und es deshalb diskontiert werden müsste, fuhr er fort: »Einen Gläubiger zu zwingen, dieses Papier als volle Rückzahlung für eine in Kurantgeld ausgezahlte Schuld von £ 100 anzunehmen, war daher ein Akt grober Ungerechtigkeit, wie ihn keine Regierung eines Landes je versucht hat, das für sich in Anspruch nimmt, frei zu sein.«19 Smith behauptete, die Banknoten der Bank of England seien im Unterschied zu Staatspapiergeld bei Bedarf in Gold konvertierbar. Er ignorierte jedoch völlig, dass die Konvertierbarkeit nur in der Theorie exisitierte, denn die Bank verfügte nie über ausreichende Goldreserven, um einen größeren Teil ihrer Noten in Münzen auszubezahlen. Eine Kritik dieses Scheiterns der Bank of England sucht man bei Adam Smith jedoch vergeblich. Die Schärfe seiner Kritik hinderte die Leser daran, zu begreifen, dass Staatspapiere nicht in »Geld« konvertierbar sein müssen, weil sie selbst Geld sind! Der wahre Unterschied zwischen Staatspapiergeld und Banknoten bestand darin, dass das Geld in den amerikanischen Kolonien


Die Ergreifung der gesellschaftlichen Geldmacht

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von der Gesellschaft zugunsten jedes einzelnen geschaffen wurde, während die privaten Geldemissionen der Bank of England nur jene begünstigten, die sie kontrollierten. Adam Smith verunglimpft den Staat als zu »träge« für die Geldausgabe

Die Frage, wer in England über die Geldmacht verfügen sollte, verschleierte Smith, indem er sie in die falsche Frage ummünzte, ob die englische Regierung mit Gewinnbeteiligung im Bankengeschäft mitmischen sollte: »Für größere Staaten ist der Gewinn einer öffentlichen Bank eine Quelle für ihre Einkünfte. Das trifft nicht nur für Hamburg, sondern auch für Venedig und Amsterdam zu. Manche Leute meinen, solche Einnahmen sollten die Aufmerksamkeit selbst eines so bedeutenden Reiches wie des britischen verdienen. […] Aus Erfahrung scheint sich die gründliche, wachsame und sparsame Verwaltung solcher Aristokratien wie Venedig und Amsterdam besonders gut für die Führung eines solchen kaufmännischen Unternehmens zu eignen. Ob man aber einer Regierung wie der englischen, deren Wirtschaftlichkeit niemals berühmt war, was immer auch sonst ihre Vorzüge sein mögen, mit ruhigem Gewissen die Leitung einer solchen Insitution anvertrauen könnte, muss man zumindest erheblich bezweifeln, zumal sie in Friedenszeiten häufig jenes träge, nachlässige und verschwenderische Verhalten an den Tag legte, das vielleicht für Monarchien ganz natürlich ist, und in Zeiten des Krieges laufend mit jener gedankenlosen Zügellosigkeit reagiert hat, in die Demokratien gerne geraten.«20 Adam Smith’ Kritik ist der elitärste Angriff, der jemals von einem »Gelehrten« gegen die Gesellschaft gerichtet wurde. In diesem Angriff zeigt sich der Ursprung der Verspottung und Diffamierung der Regierung, die heutzutage ein äußerst destruktives und gefährliches Ausmaß angenommen haben. Smith behauptete, die Regierung sei zu »träge« und handle zu »unüberlegt«, um eine staatliche Bank auf der Grundlage solider Prinzipien führen zu dürfen. Deshalb unterstützte er die private Bank of England. Diese Logik halten auch heute immer noch viele Ökonomen für richtig.


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

Zinsberechnung auf privat geschöpftem Geld Im Jahre 1748 verfasste der französische Philosoph Charles de Montesquieu eine umfassende Kritik des Geldbeschaffungssystems der Bank of England in L’Esprit des Lois: »Manche stellten sich vor, dass es einem Staat zum Vorteil gereichte, sich zu verschulden: Sie dachten, durch eine Erhöhung des Umlaufes würde sich der Reichtum vervielfachen. Wer diese Meinung vertritt, verwechselt meiner Ansicht nach ein umlaufendes Papier, das Geld darstellt […] mit einem Papier, das Schuld darstellt. Während ersteres für einen Staat äußerst vorteilhaft (ist) […] kann ein Schuldpapier niemals vorteilhaft sein […] (denn) […] die Steuern, die für die Bezahlung der Zinsen dieser Schuld erhoben werden, schaden den Herstellern […] Das Schuldpapier nimmt die staatlichen Einkünfte von den wirtschaftlich Aktiven und Fleißigen, um sie den Trägen zukommen zu lassen; das bedeutet, es erleichtert jenen die Arbeit, die nicht arbeiten, und macht den Arbeitenden das Leben schwer […] Das sind die Nachteile dieser Schuldpapiere. Ich kenne aber keine Vorteile.«21 John Law und Adam Smith, beide Befürworter des Privilegs der Banken, wichen dieser Frage aus. Laws Ausflüchte waren besonders scharf und unverblümt: »Je mehr sie leihen, desto mehr erhöhen sie den numerischen Wert; dies kommt dem Land sowohl im Hinblick auf die Beschäftigung als auch auf die Ausweitung des Handels zugute.«22 »(Das Geld) wird dem Geld der Nation ohne Zinsen hinzugefügt: denn was von den Entleihern bezahlt wird, erhalten die Eigentümer […] Ein jeder kann sich durch Eigentum an einer Bank an ihrer Gründung beteiligen.«23 Es ist jedoch offenkundig viel angemessener und zum größeren Nutzen aller, wenn die Ausgabebank eine staatliche Bank ist, d. h. im Eigentum und unter der Kontrolle der ganzen Gesellschaft. Adam Smith’ Umgehung des Zinsproblems

Adam Smith ging diesem Problem raffiniert aus dem Weg. Er behandelte es als Zinszahlung auf die Staatsverschuldung und nicht auf die Geldschöpfung. Indem er all jene, bei denen der Staat Schulden hatte, immer wieder als »Gläubiger des Staates« bezeichnete, erweckte Smith den Eindruck, dass es sich dabei um ein gewöhnli-


Zinsberechnung auf privat geschöpftem Geld

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ches Gläubiger-Schuldner-Verhältnis handelte, bei dem etwas Reales geliehen wurde. Zwar wurden einige Staatsanleihen von Einzelpersonen mit »realen« Vermögenswerten gekauft; der größte Teil aber wurde von der Bank of England mit aus dem Boden gestampftem und eigens zu diesem Zweck neu geschaffenem Geld erworben. Smith verteidigte dieses Vorgehen: »Wird eine öffentliche Schuld verzinst, dann wandert ganz einfach das Geld aus der rechten Tasche in die linke. Es verlässt das Land nicht, da man letztlich das Einkommen einer Gruppe der Bevölkerung auf eine andere überträgt, wobei das Volk nicht um einen Groschen ärmer wird.«24 In starkem Kontrast zu Smith’ unklaren Äußerungen steht die Position Ricardos, obwohl dieser mit Smith die Auffassung von Geld als Gold und Silber teilte. Doch Ricardo ging mit dieser Sichtweise ehrlich um und lehnte eine Schröpfung der Nation durch die Erhebung von Zinsen auf die Staatsverschuldung entschieden ab: »Wenn Papiergeld nicht mehr von der Bank geliehen werden müsste, sondern wenn die Ausgabe von Papiergeld einzig und allein in den Händen der Regierung selbst läge, würde dies in bezug auf die Zinsen einen Unterschied machen: Die Bank würde nicht mehr Zinsen erhalten, und die Regierung würde keine Zinsen mehr zu bezahlen haben.«25 Der Aufbau einer nicht abzahlbaren Staatsverschuldung

Schon das Eingeständnis, dass es die Bank of England war, die den riesigen Schuldenberg überhaupt erst möglich gemacht hatte, kostete Adam Smith offenbar größte Überwindung: »Durch freiwillige Diskontierung dieser Wechsel zum aktuellen Wert […] ermöglicht* die Bank of England der Regierung häufig, so umfangreiche Schulden anzusammeln.« Häufig ermöglichen? Freiwillige Diskontierung? In der Tat! Andere nannten die Gefahr beim Namen. William Paterson, David Ricardo und andere entwickelten Programme zum Abbau der Staatsverschuldung (siehe Seite 217). Adam Smith hingegen beklagte kraftlos die Schulden, machte aber keine Vorschläge zu ihrem Abbau, sondern vermittelte die Botschaft, dass man nichts dagegen tun könne.

* im Original: enables


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Geldmenge und Inflation – wieviel Geld ist notwendig? John Lockes Ansichten (1692; 1718)

John Locke machte im Jahre 1692 einige sehr klare monetäre Beobachtungen: »Die Menschen sind übereingekommen, Gold und Silber aufgrund ihrer Haltbarkeit, Knappheit und Fälschungssicherheit einen imaginären Wert zuzuschreiben; so wurden Gold und Silber zum allgemein anerkannten Pfand, das Sicherheit bietet und das man gegen ebenso wertvolle Dinge wie jene, von denen man sich getrennt hat, eintauschen kann. […] Als Geld hat Gold und Silber keinen anderen Wert, aber als Pfand beschafft es uns, was wir wollen […] und es beschafft uns das, was wir wollen oder wünschen nur durch seine Menge; es ist daher offenkundig, dass der immanente Wert von Silber und Gold, das im Handel verwendet wird, nichts weiter als seine Menge ist.«26 Locke, der in Oxford Griechisch lehrte, umschrieb mit diesen Worten die Position des Aristoteles. 1718 bekräftigte er diese Meinung: »Es ist ein weit verbreiteter Fehler, Geld als eine Ware darzustellen.« Über den Unterschied zwischen Geld und Metall schrieb er: »Der Wert von Gold- und Silberbarren bemisst sich nach ihrem Gewicht, […] der Wert von Geld nach seiner Prägung.« Und weiter: »Der Überfluss an Geld in einem Land wird den Geldwert auf den allgemeinen Metallwert senken und den Nutzen des Geldes im Handel aufgrund des ihm verliehenen Wertes schwinden lassen.«27 In diesen Äußerungen beschrieb Locke Geld als eine abstrakte gesellschaftliche Einrichtung, die nicht auf dem Warenwert beruht, wobei er klarstellt, dass die unrichtige Auffassung von Geld als Ware sehr verbreitet war. Er sah das umgekehrte Verhältnis zwischen der Menge des umlaufenden Geldes und seinem Wert und stellte Überlegungen über die richtige Geldmenge an: »Doch welches Verhältnis das richtige ist, ist schwer zu bestimmen, weil es nicht nur von der Menge des Geldes, sondern auch von der Geschwindigkeit seines Umlaufes abhängt. […] Doch für eine grobe Schätzung können wir von der Frage ausgehen, über wieviel Geld jeder einzelne stets verfügen sollte, um Handel treiben zu können.«


Geldmenge und Inflation – wieviel Geld ist notwendig?

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Sir William Pettys Auffassung (1682)

Obwohl William Petty die Ansicht vertrat, dass Geld eine Ware sei und nur aus Gold und Silber bestehe, war er sich darüber im klaren, dass die Menge des umlaufenden Geldes seinen Wert bestimme. 1682 schrieb Petty sein berühmtes Werk Quantulumcunque, or a Tract Concerning Money 28 in Form von Fragen und Antworten:  : Kann ein Land, angenommen England, zu viel Geld besitzen? : Ja, genau wie ein einzelner Kaufmann zu viel Geld, ich meine Münzgeld, besitzen kann.  : Gibt es eine Möglichkeit festzustellen, wieviel Geld für ein Land ausreichend ist? : Ich denke, das lässt sich ziemlich leicht schätzen. […] Es sollte genügend Geld vorhanden sein, um davon ein halbes Jahr lang die Pacht für alle Grundstücke Englands, ein Vierteljahr lang die Wohnungsmieten und eine Woche lang den Lebensunterhalt aller Menschen bezahlen zu können, […]  : Welche Abhilfe gibt es, wenn zu wenig Geld vorhanden ist? : Wir müssen eine Bank gründen, die durch gute Berechnungen fast die doppelte Wirkung unseres Münzgeldes erzielt.« Die Fabel von den Bienen

In seiner Fabel von den Bienen schrieb Bernard Mandeville im Jahre 1714: »Die Menge der umlaufenden Münzen in einem Land sollte immer in einem ausgewogenen Verhältnis zu der Anzahl der erwerbstätigen Hände stehen.« John Laws Ansichten (1720)

John Law wurde in Schottland als Sohn eines Goldschmied-Bankiers geboren. Obwohl seine Pläne in Frankreich umgesetzt wurden, waren seine Ansichten in England allgemein bekannt. Zwar musste Law von 1720 an, als sein Programm dem französischen Geldsystem Schaden zufügte, viel Spott über sich ergehen lassen, doch verstand er mehr vom Bankenwesen als andere Nationalökonomen seiner Zeit, da er kein Akademiker war, sondern ein Praktiker des Bankenwesens. Seine Gedanken werden von einer Suche nach dem Glück geleitet. So ist bei Law beispielsweise zu lesen: »In dem Maße, wie


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

sich das Geld vermehrte, verringerten sich die Nachteile und Unbequemlichkeiten des Handels. Die Armen und Beschäftigungslosen fanden Arbeit, größere Bodenflächen wurden in Bebauung genommen, die Produktion wuchs an, die Manufakturen und der Handel vervollkommneten sich, die Grundbesitzer lebten besser, und die niederen Bevölkerungsschichten waren weniger abhängig von ihnen.«29 Law war einer der ersten, die die Diskussion weg vom Geld hin zum Kredit lenkten, weil ihm bewusst war, dass private Banken in Wirklichkeit mit Krediten handelten. Law beabsichtigte jedoch keine neue Definition des Geldes, sondern machte sich sein Wissen um solche Definition zunutze. Für ihn stellte alles, was in Umlauf gebracht werden kann, Geld dar: »Man kann die Arbeiter dazu bringen, auf Kredit zu arbeiten, aber dieser Weg ist nicht gangbar, zumindest so lange nicht, wie der Kredit nicht so gebräuchlich ist, dass er den Arbeitern das Notwendige gewährleistet. Sollte das aber der Fall sein, dann wäre der Kredit das gleiche wie das Geld, er würde dieselbe Wirkung wie das Geld haben, und dies im Binnenhandel wie im Außenhandel. Eine Vermehrung des Geldes erhöht den Wert des Landes.«30 Law erkannte aber auch, dass die Menge des Geldes seinen Wert beeinflusste: »Gäbe man einem Volk mehr Geld, als es benötigte, würde der Wert des Geldes sinken; gibt man ihm genau so viel Geld, wie es braucht, wird der Wert nicht fallen.« David Humes Ansichten (1752)

Auch Hume hatte ein gutes Verständnis dafür, wie die Geldmenge den Geldwert beeinflusst: »Die Preise aller Dinge hängen vom Verhältnis zwischen Waren und Geld ab, und jede Änderung in diesem Verhältnis bewirkt entweder eine Erhöhung oder eine Senkung des Preises. Wird die Warenmenge erhöht, werden die Waren billiger. Wird die Geldmenge erhöht, steigt der Wert der Waren. […] Würden die Münzen in Kisten weggesperrt, hätte dies auf die Preise dieselbe Wirkung, als würden die Münzen aus dem Verkehr gezogen. […] Es ist das Verhältnis zwischen dem umlaufenden Geld und den Waren auf dem Markt, das die Preise bestimmt.«31 Wie John Law erkannte auch David Hume, dass sich Geld nicht passiv verhält, sondern sich aktiv auf die Wirtschaftstätigkeit aus-


Geldmenge und Inflation – wieviel Geld ist notwendig?

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wirkt. Geld ist eine aktive Kraft. Eine Zunahme der Geldmenge bewirkt eine Ausweitung der Wirtschaftstätigkeit, sie erhöht also nicht nur die Preise. Hume kommentierte die beobachteten Folgen einer Erhöhung der Geldmenge: »In jedem Königreich, in dem Geld in größerem Überfluss als bisher zu fließen beginnt, ist festzustellen, dass sich alles verändert; der Kaufmann wird unternehmungslustiger, die Hersteller von Waren werden fleißiger; und sogar der Bauer pflügt sein Feld mit größerer Sorgfalt und Beflissenheit.«32 Hume lehnte »imaginäres Papiergeld« kategorisch ab und wollte es »für immer verbieten«; er begriff jedoch, dass eine staatliche Bank einer Privatbank vorzuziehen war: »Eine staatliche Bank bietet durch diese Zweckdienlichkeit einige Vorzüge.« John Stuart Mill (1806–1873)

Auch John Stuart Mill glaubte in seinen Principals of Political Economy (1848) irrtümlicherweise, dass die Produktionskosten den Goldund Silberwert bestimmten. Gleichzeitig vertrat er aber eine zutreffendere (wenn auch widersprüchliche) Auffassung von der Geldmenge: »Vorausgesetzt, alle anderen Dinge bleiben gleich, verändert sich der Geldwert im umgekehrten Verhältnis zu seiner Menge.«33 Dies ist eine nützliche Faustregel, doch ganz so einfach ist es nicht, denn die »anderen Dinge« bleiben nicht gleich. Die Geldmenge verändert auch die wirtschaftlichen Bedingungen. Adam Smith über die Geldausgabe der Bank of England

Fast alle wussten es, nur Adam Smith hielt es für ausgeschlossen, dass die Preise aufgrund der Geldschöpfung der Bank of England steigen könnten: »Es wurde nun behauptet, dass der Nominalpreis der Waren notwendigerweise ansteige, wenn Papiergeld vermehrt und folglich der Wert des gesamten Geldes geringer werde. Dabei übersieht man aber, dass die Ausgabe von Papiergeld nicht unbedingt die gesamte Geldmenge erhöht, da das Gold und Silber, das man dem Geldumlauf entzieht, stets der Menge nach gleich dem Papiergeld ist, das in den Kreislauf gelangt.«34 Zur Rechtfertigung dieser grotesken Schlussfolgerung konstruierte Smith eine Analogie – heute würde man von einem ökonomischen »Modell« sprechen –, um den Geldfluss in einer Volkswirtschaft darzustellen. Smith verglich den Geldumlauf mit der Strö-


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

mung in einem Kanal. Die zur Auffüllung des Kanals notwendige Geldmenge war von der Wirtschaftstätigkeit abhängig: »Nehmen wir an, ein Land habe zu einer bestimmten Zeit eine umlaufende Geldmenge von £ 1 000 000, einer Summe, die ausreicht, um den gesamten Jahresertrag aus Boden und Arbeit umzusetzen.« Wenn nun die Bank of England Papiernoten in Umlauf bringt, so läuft Smith zufolge der dem Wert dieser Noten entsprechende Anteil der Gold- und Silbermenge im Kanal über: »Der Kanal, durch den das Geld strömt, verändert sich, wenn dieses Bild erlaubt ist, überhaupt nicht. Wir nahmen ja an, £ 1 000 000 reiche aus, um diesen Kanal zu füllen. Was über diese Summe hinaus einfließt, tritt zwangsläufig über das Ufer. […] Da dieses Geld aber zu wertvoll ist, um im Inland brachzuliegen, wird es ins Ausland gebracht, wo es die ertragreiche Anlage findet, die zu Hause fehlt. Papiergeld ist allerdings hierfür ungeeignet, weil es nicht als allgemeines Zahlungsmittel angenommen wird. […] Folglich fließt Gold und Silber im Wert (des überschüssigen Geldes) ins Ausland, so dass nunmehr zu Hause wieder £ 1 000 000 Papiergeld an Stelle des früheren Metallgeldes im Kreislauf zirkuliert.«35 Doch diese Rechnung geht leider nicht auf. Was passiert etwa, wenn ausländische Banken auch Banknoten drucken? Wohin würde dann das Gold und Silber abfließen? Nach Disneyland? Fast alle, nur nicht Smith, begriffen, dass durch Hinzufügung einer großen Banknotenmenge zur bereits vorhandenen Geldmenge der Geldwert verringert wurde. Warum leuchtete dies nicht auch ihm ein? Der Grund hierfür ist wieder einmal der, dass seine Theorien die Bank of England schützen sollte.

Weshalb konnte sich Adam Smith’ Auffassung durchsetzen? Adam Smith’ Ansichten passten der englischen Finanz- und Politikplutokratie bestens ins Konzept. Daher machte sie ihn zum Helden. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, noch weitere Bereiche der schwachen ökonomischen Argumentation von Adam Smith zu untersuchen, zumal dies bereits von mehreren hervorragenden Autoren geleistet worden ist, von denen die folgenden besonders hervorzuheben sind:


Bankiers setzen Smith’ monetäre Ansichten gegen England ein

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– Der achte Graf von Lauderdale (John Maitland) legte in seinen seit 1804 verfassten Schriften Adam Smith’ Irrtum dar, die Volkswirtschaft eines Landes sei mit der wirtschaftlichen Situation eines einzelnen oder eines Haushaltes gleichzusetzen. Lauderdale zeigte, dass nicht Geiz, sondern die Produktion der entscheidende Faktor beim Aufbau des Reichtums einer Nation ist.36 – Friedrich List entlarvte in seinem wirtschaftstheoretischen Hauptwerk Das nationale System der politischen Ökonomie einen Großteil von Smith’ Wohlstand der Nationen als politisches Traktat, das die Frage, welche Rolle der Nation zukommt, völlig außer acht ließ. List machte deutlich, dass sich England zwar anderen Ländern gegenüber offensiv für Smith’ »Freihandels«-Ideen stark machte, für sich selbst aber eine ganz andere Politik verfolgte, nämlich die Einfuhr von Rohstoffen und deren Verarbeitung in einem Produktionsprozess unter Anwendung mechanischer Kraft. England setzte somit die Prinzipien der industriellen Revolution um, versuchte aber, diese Tatsache vor anderen Ländern zu verbergen. – John Rae veröffentlichte 1834 sein Werk Sociological Theory of Capital, das der Ökonom Irving Fisher als »ein wahres Meisterwerk, das Buch einer Generation oder eines ganzen Jahrhunderts« bezeichnete. Rae stellte die Fehler der theoretischen Methode von Adam Smith heraus und zeigte, dass der Weg zum Wohlstand einer Nation ein ganz anderer ist als der, den Smith immer predigte.

Bankiers setzen Smith’ monetäre Ansichten gegen England ein Der Barrengeld-Bericht (Bullion Report) von 1810

Zwischen 1797 und 1809 stiegen die Preise um etwa 40 % an, und um 1810 hatte sich eine starke politische Opposition gegen die Bank of England formiert.Der Bericht des parlamentarischen BarrengeldUntersuchungsausschusses machte für diesen Preisauftrieb die Notenemissionstätigkeit der Bank of England und der country banks* * Kleine Privatbanken, die die Einlagen der ländlichen Bevölkerung annahmen und dafür jederzeit einlösbare Bargeldquittungen oder Noten ausgaben, die veräußerlich waren und schnell frei zirkulierten. (A. d. Ü.)


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

verantwortlich. Doch die Bankiers obstruierten den Ausschuss und führten Adam Smith’ Geldtheorien zur Verteidigung der Bank an. Diese Entwicklung veranlasste Ricardo zu der verzweifelten Bemerkung: »In fünfzig Jahren wird man kaum glauben können, dass zu unserer Zeit Bankdirektoren und Minister sowohl vor dem Parlament als auch vor seinen Ausschüssen ernsthaft behaupteten, die Notenemissionen der Bank of England hätten die Preise von Waren, Gold- und Silberbarren oder Devisen nicht beeinflusst und könnten dies auch nicht tun.«37 Das Parlament ignorierte die Ergebnisse seines eigenen Untersuchungsausschusses und zog die Bank nicht zur Verantwortung. Doch aufmerksame Beobachter erkannten, dass der Preisauftrieb durch die Geldschöpfung der Bank of England verursacht worden war. Die Bank of England wechselt ihre Politik

Angesichts der Tatsache, dass eine weitere Ausweitung der Notenemission nicht mehr länger hingenommen würde, hätte die Bank of England das neue Geldniveau stabilisieren können. Statt dessen ging sie zielgerichtet auf eine Beschränkung der Geldmenge über. Musste nun, nachdem die Ausweitung der Geldmenge zu einer Konzentration der Geldmacht bei der Bank geführt hatte, die Verringerung der Geldmenge diese Macht nicht auflösen? Leider nein, denn im Zuge der Ausweitung hatten sich sowohl die Nation – über die Regierung – als auch Privatpersonen bei der Bank und bei anderen Inhabern von Staatspapieren verschuldet. In dieser Situation musste eine Beschränkung der Notenemission (Kontraktion) bzw. eine Deflation eine weitere Verschuldung begrenzen, aber auch den Wert der Währung erhöhen. Dies musste weiter die Rückzahlung der bestehenden Schulden erheblich erschweren oder sogar ganz ausschließen. Und doch begann 1811 eine monetäre Kontraktion, indem die Bank of England die Diskontkredite (die gegen Handelswechsel gewährten Kredite) von £ 20 000 000 auf £ 4 000 000 im Jahre 1817 senkte. 1819 schloss sich der Ausschuss von Sir Robert Peel den Forderungen des Barrengeld-Ausschusses an, und das Parlament verabschiedete ein Gesetz, durch das die Konvertibilität des Pfundes in


Bankiers setzen Smith’ monetäre Ansichten gegen England ein

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Gold innerhalb von vier Jahren wiederhergestellt werden sollte. Anstatt jedoch den Goldstandard dem inflationären Pfund entsprechend anzupassen und das vorhandene Geldangebot sowie die Beziehungen im Handel auf einem stabilen Niveau zu halten, beschloss man, die umlaufende Geldmenge weiter zu begrenzen, um die Währung zu den früheren Kursen in Gold konvertierbar zu machen. Silber wird demonetisiert

Die Deflation verstärkte sich, als Silber im Jahre 1816 für Zahlungen von über £ 2 demonetisiert wurde. Damit verloren Silbermünzen und Silberbarren ihren Nutzen im Handel. Diese Maßnahme zog eine drastische Währungskontraktion nach sich, eine enorme Deflation. Ein Warenindex, der im April 1818 noch bei 142 Punkten stand, war im September 1822 auf 84 Punkte gefallen.38 Von der Deflation am stärksten betroffen war die britische Staatsschuld, die sich auf über £ 800 000 000 belief. Doch die Bank sowie andere Inhaber von Staatspapieren sollten weiterhin die volle Zahlung der Zinsen und der Kreditsumme in einer anerkannten Währung erhalten, selbst wenn dies den Staat in den Konkurs trieb. Petitionen aus dem ganzen Land wurden eingereicht, damit Maßnahmen ergriffen würden, um die Auswirkungen der Wiederherstellung (der Goldkonvertibilität) abzumildern. Erst ab 1830 kam es zu einer allmählichen Erholung der angespannten Finanzlage. Der Streit zwischen der Currency- und der Banking-Schule

Nach dieser monetären Plünderung Englands inszenierten Ökonomen – man fragt sich, ob zur Ablenkung – einen Disput um die Frage, ob nur gedruckte Banknoten als von der Bank ausgegebene Währung gelten (die Currency-Schule) oder ob auch die von den Banken ihren Kunden gewährten Kredite als Geld betrachtet werden sollten (die Banking-Schule). Dabei erhöhte die Kreditvergabe der Banken ganz offenkundig die Geldmenge. Auf diese Diskussionstaktik sollten unter Beschuss geratene Bankiers immer wieder zurückgreifen. Die Tatsache, dass dieser Streit noch heute als bedeutende monetäre Debatte gelehrt wird, zeigt den künstlichen Charakter des monetären Denkens und der Geldlehre. Eine monetäre Frage allerdings hätte wirklich Anlass zur Diskus-


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Die Nationalökonomen: die Priesterschaft der Bankentheologie

sion gegeben: Kommt die Kontrollbefugnis über das Geldsystem einzelnen Personen oder der ganzen Gesellschaft zu? Doch dieser Frage gingen Nationalökonomen damals genauso aus dem Weg, wie sie es noch heute tun.


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13. Kapitel

These versus Antithese: Synthese

Ökonomen sind die Pest der Gesellschaft und die Verfolger der Armen. T M S

Die Macht der Bankiers über die Gesellschaft entsprang ihrem Vorrecht, die Geldversorgung ihres Landes nicht etwa zum Wohle aller, sondern zu ihrem eigenen Vorteil zu bestimmen und zu kontrollieren. Genauso bedeutsam wie die Macht der Geldschöpfung ist die Macht, den Geldumlauf zu verringern oder übermäßig einzuschränken und eine Deflation auszulösen, wie es nach dem BarrengeldBericht von 1810 geschah – ein Verbrechen, das der Gesellschaft im gleichen Maße schadete, wie es die Bankiers und Inhaber von Staatspapieren begünstigte. Dies ist eines der zahlreichen historischen Beispiele für die negativen Auswirkungen der privaten Geldkontrolle. Das Vorgehen der Banken kündigte die Wiederentdeckung der verlorengegangenen Geldlehre an. Damit diese Privilegien einer privaten Institution vorbehalten werden konnten, bedurfte es einer primitiven Warengeldtheorie, wie sie beispielhaft Adam Smith vertrat. Hätte sich dagegen Berkeleys oder Raithbys Auffassung vom Geld als gesetzlich verankerter gesellschaftlicher Institution und nicht als Ware durchgesetzt, so hätte die Gesellschaft sehr wahrscheinlich die Notwendigkeit erkannt, selbst die Kontrolle über das Geldsystem auszuüben und sie nicht den Banken zu überlassen. Um sicherzustellen, dass die Definition des Geldes und weiterer ökonomischer Schlüsselbegriffe weiterhin im unklaren blieb, wurde das Bildungswesen manipuliert. Im Laufe der Zeit wurde zum Schutz der finanziellen Übeltäter außerdem eine orthodoxe »Kapitalismusthese« aufgestellt und verbreitet. Die Banken waren also bestrebt, die Geldlehre möglichst schnell wieder zu begraben. Dieses Kapitel beschäftigt sich auch mit der späteren Beteiligung


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These versus Antithese: Synthese

der Banken an der Verbreitung einer fehlerhaften Antithese, mit der die »Kapitalismusthese« ad absurdum geführt werden sollte. Unerkannter Wucher

Die Manipulation des englischen Geldsystems durch die Bank of England lässt sich mit dem Begriff des Wuchers, einschließlich all seiner historisch bedingten negativen Assoziationen, adäquat beschreiben. Wucher bezeichnet die Wegnahme einer Sache durch strukturellen Missbrauch des Geldmechanismus ohne Gegenleistung. Dieser Vorgang soll hier als Makrowucher bezeichnet werden, da er das gesamte Geldsystem, alle Börsen sowie Immobilien- und Arbeitsmärkte betrifft. Er erzeugt im Laufe der Zeit eine gesellschaftlich inakzeptable und mathematisch unmögliche Gleichung. Wird Wucher nicht bekämpft, so unterwirft er die Gesellschaft allmählich einer Form der modernen Sklaverei. Doch diese Manipulation wurde selbst von jenen, die sie durchschauten, nicht als Wucher erkannt. Außerdem gab es weder eine Kirche noch ein Rechtssystem oder eine Tradition, die sich gegen den Wucher zur Wehr gesetzt hätten. Die verschiedenen Richtungen des Protestantismus hatten das Problem des Wuchers – der größten moralischen und ökonomischen Gefahr, der eine Gesellschaft ausgesetzt sein kann – entschärft, so dass nur noch die Überlegungen des Aristoteles und der Scholastiker als warnende Stimmen übrigblieben.

England in Schwierigkeiten – die sichtbaren Auswirkungen des Wuchers William Cobbett (1763–1835)

Die meisten Wirtschaftstheoretiker begnügten sich damit, die WhigSophistereien widerspruchslos zu übernehmen und zu verbreiten. Jene aber, die gewillt waren, ihre Augen zu öffnen, konnten direkt beobachten, wie England von diesen Theorien in den Ruin getrieben wurde. Sozialreformer wie William Cobbett waren über die sich verschlechternde Lage der Menschen sehr beunruhigt. So schrieb der aufmerksame Beobachter Cobbett 1806: »Durch Erfahrung, tägliche Beobachtung sowie genaue und wiederholte persönliche Untersuchungen und Überprüfungen bin ich mit der Lage der armen Arbei-


England in Schwierigkeiten – die sichtbaren Auswirkungen des Wuchers

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terbevölkerung vertraut, und, Sir, ich fordere Widerspruch heraus, wenn ich behaupte, dass in England ein Arbeiter mit Frau und drei Kindern, obwohl er und seine Familie im weitesten Wortsinne sparsam, genügsam und fleißig sind, heute nicht in der Lage ist, sich aufgrund seiner Arbeit vom Anfang bis zum Ende eines Jahres auch nur eine einzige fleischhaltige Mahlzeit zu leisten.«1 Diesen Einschätzungen standen pauschale Gegendarstellungen gegenüber, wie etwa jene von Macauly aus dem Jahre 1830, in der er behauptete, er sei »nicht in der Lage, zufriedenstellende Berichte irgendeiner großen Nation in der Vergangenheit oder Gegenwart zu finden, nach denen sich die Arbeiterklasse je in einer angenehmeren Situation befunden habe als in den letzten dreißig Jahren in England«.2 (Derselbe Macauly analysierte die Südsee-Spekulationskrise nicht als Folge der Aktienmarktmanipulationen, sondern der unerklärlichen »Massenhysterie«.) Solche kühnen Lügen, die aus dem Finanzestablishment stammten und von ihm gefördert wurden, konnten nur durch sorgfältige empirische Studien, deren Durchführung schwierig war, endgültig widerlegt werden. Thomas Malthus, Geistlicher und Ökonom, bestritt die desolate Lage der Menschen nicht, missbrauchte sie aber, um seine Ansicht zu predigen, dass sich Menschen zwischen ausreichender Nahrung und Sex entscheiden müssten! (Vieles, was als Religion gilt, ist schlicht eine Furcht vor Sex, eine Furcht vor der schönen weiblichen Form und ein Hass auf all jene, die sie nicht fürchten, sondern lieben.) James Edwin Thorold Rogers (1823–1890)

Thorold Rogers, Professor in Oxford und ein Vertreter der aristotelischen Lehre, erforschte sorgfältig die Sozialgeschichte der englischen Arbeiterklasse. Seine unbestreitbaren Argumente und Statistiken veranlassten ihn zu dieser schrecklichen Folgerung: »Ich behaupte, dass von 1563 bis 1824 von den nur an ihrem eigenen Erfolg interessierten Parteien eine gesetzlich legitimierte Verschwörung gegen die englische Arbeiterschaft organisiert wurde mit dem Ziel, die Arbeiter um ihren Lohn zu betrügen, sie am Boden zu halten, ihrer Hoffnung zu berauben und in endlose Armut zu stürzen. […] Über zweihundertfünfzig Jahre lang waren das englische Recht und seine Vollstrecker daran beteiligt, die englischen Arbeiter bis zum geringsten Hungerlohn zu zermürben, jedes Zeichen für organisierte


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Unzufriedenheit im Keim zu ersticken und die Strafen für jeden Gedanken an ihre natürlichen Rechte zu erschweren.«3 Hollis stellt fest, dass die Situation der Menschen noch nie so schlimm war wie 1844, obwohl die Produktivität der Engländer damals so hoch war wie nie zuvor. Zwischen der Herrschaft Heinrichs VII. und dem Jahre 1866 stiegen Rogers zufolge die Preise um das Zwölffache an, während sich die Löhne in der Landwirtschaft nur verdoppelten. Rogers Untersuchung zeigte ferner: »Die englischen Gentlemen waren weit davon entfernt, die Nation zu noch großartigeren und weitreichenderen Freiheiten zu führen, wie dies in der neueren Geschichte dargestellt wurde. Sie zeigten sich im Gegenteil als […] der gerissenste und habgierigste Stand, den die Menschheit je kannte.«4

Religiös motivierte Menschen engagieren sich Zu dieser Zeit begannen Hollis zufolge vereinzelte Christen und Juden für eine Verbesserung der Lage der einfachen Leute in England einzutreten. Nicht Ökonomen leiteten die ersten Angriffe auf das System ein, sondern drei religiös motivierte Männer: Thomas Michael Sadler (1780–1835), ein Methodist; Lord Anthony Ashley C. Shaftesbury (1801–1885), ein Protestant; und Benjamin Disraeli (1801–1885), ein zum Anglikanismus konvertierter Jude. »Es war Sadler, der erkannte, dass das Gebot der Nächstenliebe als das Grundgesetz des Lebens wieder eingeführt werden musste, obwohl es [nach Ansicht der Nationalökonomen] die Gesellschaft zerstörte. Disraeli begriff, dass es die Gesellschaft nicht zerstören, sondern im Gegenteil vor Zerstörung bewahren würde […] Tief in seinem Innersten wohnte die uralte Lehre, die seine ältesten Vorfahren gegen den Wucher aufgestellt hatten – die Lehre von Moses und die Lehre, die von der jüdischen Tradition bis vor Moses auf die Gleichsetzung des Wuchers mit dem Biss der Schlange im Paradies [›neshec‹] zurückgeführt wird.«5 Eine der bedeutenden Errungenschaften dieser Bewegung war das »10-Stunden-Gesetz« von 1847, das die tägliche Arbeitszeit von Frauen und Kindern in den Fabriken von zwölf auf zehn Stunden herabsetzte. Auch die daraus resultierenden Lohnkürzungen konn-


Sogar Ökonomen stellen sich gegen die Bank of England

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ten den Erfolg, dass sie nun endlich als Menschen und nicht mehr nur als Fabrikfutter angesehen wurden, nicht schmälern. Ab Mitte des 19.Jahrhunderts bis Anfang des 20.Jahrhunderts wandte sich die Lage der englischen Arbeiterklasse nach dreihundert Jahren der stetigen Verschlechterung allmählich zum Besseren. Angesichts der andauernden Manipulationen im monetären Bereich hat Hollis die durch diese Entwicklung bewirkte Erleichterung für die Menschheit vielleicht überschätzt. Seine Schlussfolgerung jedoch, wonach ein geistiges Motiv ein entscheidender Impuls zum politischen Engagement sein kann, hält einer genauen Überprüfung stand, denn es war die Church of England, die dem unsinnigen Treiben der Bank of England im 20. Jahrhundert schliesslich ein Ende setzte (siehe Seite 429).

Sogar Ökonomen stellen sich gegen die Bank of England 1842 stellte John Wade fest, dass alle maßgeblichen Autoritäten (Ricardo, McCulloch, Tooke, Torrens, Thompson, William Clay, Porter, Jones Loyd) für einen Wandel eintraten und die Gründung einer nationalen Bank unterstützen.6 Wade folgerte daraus, dass eine [Geld-]Ausgabestelle bei einer Bank unter einer Verwaltung zum Wohle des Landes wäre. Leider hatten diese Fachleute, obwohl sie die Untaten der Bank of England erkannten, kein klares Konzept; das aber wäre zur wirksamen Bekämpfung der Bank erforderlich gewesen. So gelang es der Bank, diese Ökonomen auszutricksen. Doch einfach nur ignorieren konnte sie sie nicht mehr. John Whipple

In Amerika brachte John Whipple, ein Anwalt aus Rhode Island, das rechtliche und monetäre Denken rasch voran. 1836 schrieb er das Werk The Importance of Usury Laws – an Answer to Jeremy Bentham, das erst 1850 veröffentlicht wurde. Darin bekämpfte er Benthams Irrtümer mit korrekten Geldprinzipien: »Ein gerechtes Währungssystem beruht auf gleichen Rechten. Gleiche Rechte beruhen auf Grundsätzen, die im Einklang mit der Natur stehen.« Gerechtigkeit und Grundsätze – wie wenige Juristen denken heute in diesen Kategorien!


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These versus Antithese: Synthese

Whipple argumentierte auf der Grundlage des Gesetzes- und Geldwesens. Seiner Meinung nach besteht der Zweck des Geldes in der Vereinfachung des Handels. Geld sei nie als Handelsobjekt bestimmt gewesen, das einen eigenen Wert besitze. Die Macht des Geldes über alle anderen Dinge entspringe dem künstlichen Charakter, der ihm vom Staat zugeschrieben wird, und nicht den Qualitäten des Materials, aus dem es besteht.7 Whipple stützte seine Argumentation auch auf Erfahrungswerte. So führte er als Beispiel die Probleme an, die in Massachusetts und Indiana nach der Aufhebung der Wuchergesetze aufgetreten waren. Auf diese Weise verband Whipple solide Argumente mit genauer Beobachtung der Fakten.

Der Wucher in der Defensive Die »Kapitalismusthese«*

Der in der Geschäftspraxis der Bank of England zum Ausdruck kommende strukturelle Wucher – er wird hier als »Makrowucher« bezeichnet – geriet also unter Beschuss. Wie im 12. Kapitel dargelegt wurde, versuchte Adam Smith mit seinen Angriffen auf die staatlich kontrollierte Geldausgabe den Makrowucher zu rechtfertigen. Im folgenden wird sein Verständnis des Kapitalismus einschließlich seiner falschen Definition des Geldbegriffs als »Kapitalismusthese« bezeichnet. Wie sich die Rechtfertigungen für den einfachen Wucher im Laufe der Zeit (vor und nach Smith) veränderten, lässt sich in den Arbeiten von Bacon, Petty, Bentham und diesem selbst nachlesen. Ein immer wiederkehrendes Muster ist dabei die Kritik an Aristoteles. Francis Bacon (1561–1626)

Francis Bacon griff die Scholastiker an, weil sie die Philosophie von Aristoteles in das Christentum aufgenommen hatten.8 In seiner Ignoranz ging er so weit, Aristoteles als »völlig unfähig, Leistungen zum Wohle der Menschheit zu erbringen«, abzuurteilen.9 Bacon wi* Was hier als »Kapitalismusthese« vorgetragen wird, hat mit Max Webers »Kapitalismus(Protestantismus-)These« nichts zu tun.


Der Wucher in der Defensive

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derlegte Aristoteles’ monetäre Ansichten allerdings nicht, ja er diskutierte sie nicht einmal. Mit seiner Rechtfertigung des Wuchers hingegen disqualifizierte er sich selbst: »Wucher ist etwas, das aufgrund der Härte des menschlichen Herzens erlaubt ist. Weil es Geldverleiher und Geldleiher geben muss und die Menschen so hartherzig sind, dass sie nicht großzügig verleihen, muss Zinswucher erlaubt sein.« Dabei waren ihm die Probleme durchaus bewusst. Er wusste, dass der Wucher das Vermögen eines Reiches oder Staates in wenigen Händen ansammelt, die Zahl der Kaufleute senkt und sie arm macht. Als »Lösung« schlug Bacon zwei verschiedene Wuchersätze vor – einen allgemeinen Satz von 5 %, der von jedermann verlangt werden konnte, und einen speziellen höheren, der den Besitz einer Lizenz voraussetzte. Doch dies hätte offenkundig nur die Konzentrationsmacht des Wuchers weiter verstärkt. Bacons Unfähigkeit, das abstrakte Wesen des Geldes zu verstehen, war mit einem haarsträubenden materialistischen Instinkt für persönliche Bereicherung verbunden. Im Jahre 1621, als er ein Amt am englischen Hof innehatte, erhob das Parlament Korruptionsvorwürfe gegen ihn, verurteilte ihn zu einer Bußgeldzahlung in Höhe von (damals) astronomischen £ 40 000 und zu einer Gefängnisstrafe, die allerdings nur vier Tage dauerte.10 Die Buße wurde ihm zurückerstattet, und 1621 wurde er rehabilitiert.* William Petty (1623–1687)

Eine eher asketisch-religiöse Fassung der Kapitalismusthese stammt von dem Statistiker und Ökonomen William Petty (1623–1687). Den Zins definierte er als eine Belohnung für den Verzicht auf die Verwendung des eigenen Geldes während einer vereinbarten Zeitdauer.11 Diese Rechtfertigung weist einen eindeutig religiösen Aspekt auf, nämlich den Wunsch, Selbstverleugnung zu belohnen. Ähnlich argumentiert noch im 20. Jahrhundert die Wiener Schule der Nationalökonomie. * Was die Streitfrage angeht, ob Bacon wirklich einen Teil von William Shakespeares Werken verfasste, so ist es schlicht unmöglich, Bacons Standpunkte zum Thema Wucher mit Shakespeares Ansichten gegen Wucher, die er in seinem Kaufmann von Venedig wortreich zum Ausdruck brachte, in Einklang zu bringen.


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These versus Antithese: Synthese

Pettys Erklärungsweise wurde von Adam Smith noch verfeinert: »Wird das Kapital hingegen an einen anderen ausgeliehen, bezeichnet man das Einkommen daraus als Zins oder als Nutzen des Geldes. Es ist das Entgelt, das der Schuldner dem Gläubiger dafür zahlt, dass er durch den Einsatz des Geldes Gelegenheit erhält, einen Gewinn zu machen. Ein Teil dieses Gewinnes gehört natürlich dem Schuldner, da er das Risiko trägt und die Mühe auf sich nimmt, das Kapital einzusetzen. Der andere Teil steht dem Gläubiger zu, der ihm erst die Gelegenheit verschafft, diesen Gewinn zu erzielen.«12 Smith übersah, dass der Verleiher seinen Gewinn auch dann erhält, wenn das Unternehmen scheitert. Ein Teil der Probleme, die im Zusammenhang mit dem einfachem Wucher entstehen, wäre ausgeräumt, wenn die Zinsen statt auf der »Gelegenheit zu einer Gewinnerzielung« auf dem resultierenden Gewinn beruhen würden, wie dies in dem von Venedig viele Jahrhunderte lang erfolgreich praktizierten Handelssystem der Fall war. Jeremy Bentham (1748–1832)

Aus dem Jahre 1787 stammt Jeremy Benthams Werk In Defence of Usury (Verteidigung des Wuchers), es ist also nur elf Jahre jünger als Adam Smith’ Wohlstand der Nationen. Bei Bentham ist nicht einmal mehr eine Spur jener oberflächlichen Höflichkeit zu erkennen, die noch Adam Smith’ Werke auszeichnete. Bentham legt die folgende falsche Definition von Wucher vor: »Die Erhebung höherer Zinsen, als sie vom Gesetz erlaubt oder üblich sind.« Mit dieser Definition überging er die ganze Arbeit der Scholastiker. Weiter schrieb er: »Es kann gar keinen Wucher geben, denn welcher Zinssatz kann schon von Natur aus richtiger sein als ein anderer. […] Das Gewohnheitsrecht ist deshalb die einzige Grundlage, auf die sich sowohl der Moralist bei der Festsetzung von Regeln und Prinzipien als auch der Gesetzgeber beim Erlass von Verordnungen stützen kann.« Bentham löste das Problem also dadurch, dass er den Wucher als nicht existent definierte. Als er sein Buch schrieb, lag der gesetzliche Zinssatz bei 5 oder 6 % jährlich. Seit seiner Legalisierung durch Heinrich VIII. war er von anfangs 10 % kontinuierlich gesenkt worden. Bentham enthielt seinen Lesern allerdings vor, dass Zinswucher vor dieser Zeit illegal gewesen war.


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Das räuberische Wesen der »Philosophie« Benthams tritt in seiner Rechtfertigung der schädlichen Auswirkungen des Wuchers auf das einfache Volk klar zutage. Er wies diese negativen Folgen mit der Behauptung zurück, dass einfache Leute beim Warenkauf ärger betrogen würden als beim Leihen von Geld. Bentham hatte es in seiner Kritik eindeutig auf Aristoteles abgesehen; die nachdrücklichen Ermahnungen gegen Wucher aus dem Alten Testament erwähnte er mit keiner Silbe. Aristoteles sei nicht in der Lage gewesen, in einem Geldstück die Möglichkeit zur Erzeugung eines weiteren Geldstückes zu erkennen. Er habe nicht bedacht, dass zwar ein Geldstück kein weiteres Geldstück erzeugen könne, dass hingegen das mit diesem Geldstück gekaufte Schaf durchaus zeugungsfähig sei. Die Scholastiker hatten jedoch deutlich gezeigt, dass es die Schafe und nicht die Münzen waren, die neue Schafe hervorbrachten. Konnten denn Bentham und seine Gesinnungsgenossen nicht lesen? Im Rest des Werkes versuchte Bentham, einige der positiven Attribute der Sparsamkeit mit dem Geldverleih in Verbindung zu bringen. Schließlich forderte er noch die Legalisierung des Zinseszinses, der zu seiner Zeit verboten war. In seiner History of Economic Thought klassifizierte Charles Haney Bentham als »Hedonisten« – das heißt als jemanden, der behauptet, dass individuelles Handeln einzig und allein von dem Wunsch nach Vergnügen und nach Vermeidung von Mühsal motiviert wird. »Die Gemeinschaft, so behauptet Bentham, ist ein fiktives Gebilde, und das gemeinsame Interesse kann nur anhand des Interesses des einzelnen verstanden werden. […] Die Regierung soll nichts versuchen und nichts unternehmen. Benthams Anweisung an die Regierung lautet: Halte dich still!« Wenn dies alles war, was die Ökonomen zur Verteidigung des Wuchers und damit zur Verteidigung der Kapitalismusthese vorzubringen hatten, dann war die These in großer Gefahr. Sie war nichts anderes als ein fanatisches Eintreten für den Wucher, gegen Aristoteles und gegen jede Regierung.


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Die mathematische Unmöglichkeit des langfristigen Wuchers John Whipple (siehe Seite 253 f.) stellte genaue mathematische Berechnungen auf, mit denen er nachwies, dass es nicht möglich ist, einfachen Wucher langfristig aufrechtzuerhalten: »Wenn 5 englische Pennies seit Beginn der christlichen Zeitrechnung bis zum heutigen Tage (um 1836) 5 % Zinseszinsen gebracht hätten, würde sich dieser Betrag, in Gold mit üblichem Feingehalt abgewogen, auf 32 366 648 157 Goldkugeln belaufen, von denen jede einzelne einen Durchmesser von achttausend Meilen hätte, was dem Erdumfang entspricht.« Das sind 32 Milliarden Kugeln von der Größe der Erde! Mit anderen Worten, es ist von Natur aus schlicht unmöglich. Deshalb kann risikoloser Wucher selbst bei maßvollen Sätzen über einen langen Zeitraum hinweg nicht funktionieren. Natürlich sind 1800 Jahre eine sehr lange Zeit, und niemand macht sich darüber Gedanken, ob sich ein Geldsystem so lange halten kann. Doch das Beispiel gewährt Einblick in die unnatürlichen Kräfte, die wirken, wenn mathematisch definierte Forderungen an eine Gesellschaft oder an die Natur gestellt werden. Irgend jemand wird die Konsequenzen tragen müssen; entweder muss das Geldsystem zusammenbrechen oder die Gesellschaft – oder beide. Die Fortschrittlichkeit der von Whipple nur zehn Jahre nach Jeffersons Tod aufgestellten Theorien deutet auf die Existenz moderner geldtheoretischer Literatur in Amerika hin, doch meine Suche danach blieb bislang erfolglos.

Die monetären Reformen von 1844 Seit 1810 war die Politik der Bank of England nicht nur für das Elend der unteren Bevölkerungsschichten, sondern auch für den immer stärkeren Druck auf viele andere Teile der Gesellschaft verantwortlich. Reformen waren nicht mehr zu umgehen. Die Reformen von 1844 umfassten folgende Maßnahmen:13 – Die Bank wurde verpflichtet, die Zinsnahme auf Schulden des Staates einzustellen. – Ricardos Kritik trug doch noch Früchte.


Die monetären Reformen von 1844

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– Eine separate Notenausgabeabteilung wurde gegründet. Banknotenemissionen über £ 15 Millionen mussten durch Gold gedeckt werden. Auch Silber konnte wieder zur Deckung der Notenemission der Bank verwendet werden, allerdings nur bis zu 20 % der gesamten Edelmetalldeckung. Silber wurde jedoch nicht mehr monetisiert. – Die Bank legte die Notenausgabe anderer Banken auf die durchschnittlichen Außenstände der vorangegangenen 12 Monate fest. Diese gutgemeinte Gesetzgebung bedeutete, dass die Bank nicht mehr ungestraft handeln konnte. Sie bedeutete auch, dass eine weitere Deflation vorprogrammiert war, die aber glücklicherweise vor allem durch die Entdeckung von Gold in Kalifornien im Jahre 1849 vermieden werden konnte. Die ebenso falsche Antithese

Mit der Reform von 1844 wurde zwar das Notenausgaberecht der Bank drastisch eingeschränkt, doch der fast identische Vorgang der Kreditschöpfung in Form von Buchgeld wurde eine Zeitlang weniger streng begrenzt. So bestand nach wie vor die Gefahr, dass die Machenschaften der privaten Zentralbank aufgedeckt werden könnten. Was würde passieren, wenn die Allgemeinheit eine Entschädigung verlangen und den unrechtmäßig erworbenen Reichtum der Übeltäter beschlagnahmen würde? Für die Bankiers war es einfacher, wenn die »Kapitalismusthese« nicht etwa von der Wahrheit, sondern von einer ebenso falschen »Antithese« angegriffen wurde. Ein Konflikt zwischen zwei teilweise falschen gegensätzlichen Theorien würde viel einfacher zu handhaben sein als die Fortsetzung des Engagements für eine teilweise falsche These, die von verschiedenen Seiten angefochten wurde. Die Gegner der »These« wurden also durch eine ebenso falsche »Antithese« abgelenkt, die sie erneut davon abhielt, die Wahrheit zu finden. Es folgte eine sinnlose und fehlgeleitete Energieverschwendung, die es den Manipulatoren der falschen Debatte erlaubte, eine ebenso falsche »Synthese« zu behaupten.


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These versus Antithese: Synthese

Marx und Engels formulieren die Antithese Die »Antithese« trat in groben Zügen bereits 1848 in Marx’ und Engels’ Kommunistischem Manifest zutage. Eine verbesserte »Antithese« zu Adam Smith’ Der Wohlstand der Nationen erschien schließlich 1867 mit Karl Marx’ Das Kapital. (Die Aufzeichnungen für die Bände 2 und 3 erschienen in der Bearbeitung von Engels 1885 und 1894.) Die Parallelen zwischen Karl Marx und Adam Smith in mehreren Schlüsselbereichen sind verblüffend. Dies gilt besonders für jene Irrtümer, auf denen die Macht der Bank of England gründete. Der falsche Krieg zwischen Handel und Arbeit

Wie Smith postulierte auch Marx das Primat des Kampfes zwischen Kapital und Arbeit. Auch er definierte das Kapital als Produktionsmittel, anstatt es im privaten Zentralbankwesen zu erkennen, dem Feind nicht nur des Handels und der Arbeit, sondern der ganzen Gesellschaft. Der Unterschied zwischen diesen beiden Nationalökonomen besteht darin, dass Smith mit der Verteidigung des Handels in diesen falschen Kampf eingriff, während Marx mit der Verteidigung der Arbeit einsetzte. Indes ist die falsche Definition dieses Kampfes bei beiden fast identisch. Die falschen Theorien bewirkten eine Verschärfung der Antagonismen zwischen Handel und Arbeit in der Wirtschaft der westlichen Welt, die über hundertfünfzig Jahre bis zum heutigen Tag mit äußerst destruktiven Folgen andauerte. Marx’ Geldtheorie spiegelt Smith’ Theorie wider

Auch in bezug auf das Geld teilten Karl Marx und Adam Smith praktisch dieselbe primitive Auffassung. Marx wiederholte Smith’ Ansichten, bloß mit etwas anderen Worten: »Sein eigner Wert [des Geldes] ist bestimmt durch die zu seiner Produktion erheischte Arbeitszeit. […] Ich setze überall in dieser Schrift, der Vereinfachung halber, Gold als die Geldware voraus. […] So funktioniert es als allgemeines Maß der Werte, und nur durch diese Funktion wird Gold, die spezifische Äquivalentware, zunächst Geld.«14 Über Papiergeld bemerkte Marx: »Das Papiergeld ist Goldzeichen oder Geldzeichen. Sein Verhältnis zu den Warenwerten besteht nur darin, dass sie ideell in denselben Goldquantis ausgedrückt sind,


Marx und Engels formulieren die Antithese

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welche vom Papier symbolisch sinnlich dargestellt werden. Nur sofern das Papiergeld Goldquanta repräsentiert, die, wie alle andren Warenquanta, auch Wertquanta sind, ist es Wertzeichen.«15 Private Kontrolle über den Geldmechanismus

In der Frage der Kontrolle über den Geldmechanismus war Marx offensichtlich wesentlich weiter als Smith: »Da der Geldmaßstab einerseits rein konventionell ist, andererseits allgemeiner Gültigkeit bedarf, wird er zuletzt gesetzlich reguliert.«16 Und: »Wie die Feststellung des Maßstabs der Preise fällt das Geschäft der Münzung dem Staat anheim.«17 Das ist aber nicht genug. Neunzehn Jahre zuvor (1848) hatten Marx und Engels im Kommunistischen Manifest zehn Maßnahmen postuliert, die vom Proletariat in fortschrittlicheren Ländern umgesetzt werden sollten. Im fünften Punkt forderten sie »die Zentralisation des Kredits in den Händen des Staates durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol«.18 Anscheinend waren die beiden damals von Ricardo und Berkeley beeinflusst. Im Kapital dagegen erwähnte Marx diese entscheidende Forderung mit keinem Wort mehr. Jetzt heißt es statt dessen: »Goldmünze und Barrengold unterscheiden sich also von Haus aus nur durch die Figur, und das Gold ist beständig aus einer Form in die andre verwandelbar.«19 Mit dieser Aussage erklärte Marx seine früheren Äußerungen über Staatsgeld für ungültig und überließ die Kontrolle über das Geld den »Finanziers«, die über die Macht verfügten, Gold aus Barren in Münzen zu »verwandeln«. Dieselbe Wirkung hatte bereits der im 10. Kapitel behandelte englische Free Coinage Act von 1666. Marx über die Geldmenge

Ebenso wie bei Smith blieb auch bei Marx die Bedeutung der Geldmenge im dunkeln. Er kehrte sogar das Verhältnis zwischen Geldmenge und Warenpreis um: »Unter dieser Voraussetzung also ist die Masse der Zirkulationsmittel durch die zu realisierende Preissumme der Waren bestimmt.«20 Mit anderen Worten: Die Preise bestimmen die Geldmenge und nicht die Geldmenge die Preise. Unter diesen Bedingungen erstaunt es nicht, dass Schülern von Marx einige grundlegende monetäre Prinzipien, die dieser Umkehrung von Ursache und Wirkung unterworfen waren, verborgen blieben.


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These versus Antithese: Synthese

Andererseits hat diese Umkehrung auch etwas Wahres an sich, da jene, die das Geld kontrollierten, die Geldausgabe manchmal auf dieser Basis regulierten. Dies trifft besonders auf Geschäftsbanken zu, die als Reaktion auf geschäftliche Nachfrage Geld schöpften. Marx’ Umkehrung des Verhältnisses zwischen Geldmenge und Preis passt gut in ein Konzept, in dem die Industriellen immer die Bösen sind. Ihre Festlegung der Preise und nicht die Geldschöpfung der Banken wird als der entscheidende Kontrollfaktor angesehen. Marx über die Bank

Marx’ Auffassung vom Wesen des Geldes im Kapital stimmte mit der Forderung im Kommunistischen Manifest, eine staatliche Bank müsse für die Geldausgabe zuständig sein, nicht überein. Während er die Bank of England und die Staatsschulden scharf kritisierte, setzte er sich nirgends mit dem Mechanismus auseinander, der es der Bank erlaubte, auf das von ihr geschöpfte Geld vom Staat Zinsen zu verlangen. Vielleicht aber hatte dieser Punkt unterdessen auch an Bedeutung verloren, da die Bank nun nicht mehr für das als Staatsdarlehen geschöpfte Geld Zinsen berechnete, sondern nur noch für das als Privatdarlehen geschöpfte Geld. Zu seiner im Kommunistischen Manifest aufgestellten These, dass Geld ein gesetzliches Instrument sei, legte Marx im Kapital ein Lippenbekenntnis ab, indem er zur Geldkontrolle in einer Gesellschaft nicht eine private, sondern eine nationale Bank forderte. In dieser Hinsicht war er mit seiner Geldtheorie Smith überlegen. Diese Auffassung veranlasste Marx allerdings nicht zu einer entsprechenden Ausgestaltung seiner Theorie, so dass sie letztendlich Adam Smith’ primitive Geldtheorie bestätigt. Marx’ Schreckensbild eines exponentiellen Wachstums

Eines der stärksten Kapitel im Kapital ist die Kritik an Industrie und Handel. Marx war der Meinung, Unternehmensgewinne kämen durch »Raub« an den Arbeitern zustande, und ließ dabei völlig unberücksichtigt, dass wirklich gewissenhafte Unternehmer über zahlreiche Eigenschaften wie Weitblick, Planungs- und Organisationsgeschick und Risikobereitschaft verfügen müssen. Auf dieser Fehlinterpretation aufbauend, stellte Marx alles Folgende als einen wahren Alptraum dar: »Da das Kapital jährlich einen


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Mehrwert produziert, wovon ein Teil jährlich zum Originalkapital geschlagen wird, da dies Inkrement selbst jährlich wächst mit dem zunehmenden Umfang des bereits in Funktion begriffenen Kapitals. […] Das ursprüngliche Kapital von 10 000 Pfd. St. bringt einen Mehrwert von 2000 Pfd. St., der kapitalisiert wird. Das neue Kapital von 2000 Pfd. St. bringt einen Mehrwert von 400 Pfd. St.; dieser, wiederum kapitalisiert, also in ein zweites zusätzliches Kapital verwandelt, bringt einen Mehrwert von 80 Pf. St., usw.«21 Damit sagte Marx voraus, dass sich das Kapital bei den Industriellen konzentrieren würde. Diese würden immer mehr und mehr Kapital benötigen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Nach Marx würde dieser Prozess zu einer Erhöhung und Konzentration der Bevölkerung in den Städten führen und sich so lange fortsetzen, bis die Arbeit knapp werden und die Löhne steigen würden. Marx zeichnete das Gespenst eines fast unbegrenzt exponentiell anwachsenden Kapitals in den Händen der Industriellen. In Wirklichkeit aber ist eine solche unbegrenzte Entwicklung von Natur aus gar nicht möglich; da die Industriellen innerhalb natürlicher Grenzen operieren, indem sie reale Güter produzieren, befinden sie sich nicht in der von Marx geschilderten Lage. Vor allen Dingen aber gehen sie Risiken ein und können schließlich einen Teil oder die Gesamtheit ihrer Vermögenswerte verlieren. Das von Marx beschriebene Schreckgespenst eines unnatürlichen, exponentiellen und risikolosen Wachstums existierte und existiert bis heute tatsächlich – allerdings nur in einem Bereich: den Zinsen auf die Staatsschulden. Indem Marx dieses Problem fälschlicherweise den industriellen Produzenten zuschrieb, lenkte er die Aufmerksamkeit weg vom eigentlichen Hauptproblem des exponentiellen Wachstums, das in den Zinszahlungen auf das von der Bank geschöpfte Geld liegt. Durch diesen Prozess wird in der Tat die ganze Gesellschaft beraubt. Auf diese Weise tat der Marxismus den Bankiers gleich einen zweifachen Gefallen. Erstens lenkte er die Aufmerksamkeit weg von ihrer wahrlich räuberischen Beziehung zur Gesellschaft. Zweitens richtete er jede Kritik, die der Vermögenskonzentration erwuchs, gegen die Großindustriellen, also ausgerechnet gegen die wenigen potentiellen Gegner oder Konkurrenten der Bankiers. Marx minimierte explizit die diesbezügliche Schuld der Bankiers,


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indem er behauptete, dass Cobbett und Doubleday mit ihrer Analyse, dass das Bankwesen »die Grundursache des Elends der modernen Völker« sei, unrecht hatten.22 Diese falsche Blickrichtung entspricht seiner Hauptthese eines Kampfes zwischen Industrie und Arbeit; doch in Wahrheit waren es die Banken, die sowohl gegen die Industrie als auch gegen die Arbeit kämpften.

Die Synthese aus Smith und Marx Durch die beiden Theorien von Adam Smith und Karl Marx entstand das Bild eines ständiges Kampfes zwischen Industrie und Arbeit. So wurde ein in ein rechtes und ein linkes Lager polarisiertes Staatswesen geschaffen, das von den hinter den Kulissen arbeitenden Bankiers – die weder eine liberale noch eine konservative, sondern einfach die Politik der Bank verfolgten – kontrolliert und gelenkt werden konnte. Weder das rechte noch das linke Lager erkannte diese Bankiers als ihre wahren Feinde. Die Synthese der beiden Theorien förderte die Verbreitung der Warengeldtheorie, die schon längst als primitiv galt. Gleichzeitig leistete diese Synthese dem System einer privaten Zentralbank Vorschub, die zu ihrem eigenen Profit gesetzlich verankertes, abstraktes Geld schöpfte. Stanley Jevons (1835–1882)

Diese Synthese kommt im Werk Stanley Jevons’ deutlich zum Ausdruck. Jevons diskutierte gar nicht mehr, ob Banken die Geldkontrolle ausüben sollten; er setzte es voraus. Er begrenzte die Diskussion auf die Frage, wie die Banken diese Kontrolle ausüben sollten. Vollständige Autonomie für die Bank zu fordern war nicht mehr möglich; die Beschränkungen der Bankenautonomie hatten dies 1844 deutlich gemacht. Auch der vermutete Gegensatz zwischen Industrie und Arbeit wurde von Jevons nicht mehr behandelt, sondern einfach vorausgesetzt. Ebenso distanzierte sich Jevons von dem Argument, dass der Wert der Arbeit den Wert des Geldes bestimme. Jevons befasste sich nicht mit der Frage, ob das Geld vom Staat oder von einer Privatbank kontrolliert werden sollte. Er ignorierte


Die Synthese aus Smith und Marx

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die Arbeiten von Ricardo, Berkeley, Raithby, Tooke, Thompson, Mc Culloch und anderen und setzte statt dessen einfach voraus, dass Geld privat kontrolliert werden sollte. In einem Punkt ließ Jevons keine Fragen offen: Er trat für eine einzige Kontrollbank ein: »Nichts ist weniger geeignet, dem Wettbewerb überlassen zu werden, als das Geld.«23 Die richtige Geldlehre wird erneut begraben

Jevons scheute keine Mühe, das Wesen des Geldes zu verschleiern: »In Griechenland war es Tradition, dass Lykurg die Spartaner verpflichtete, Eisengeld zu verwenden. […] Wie immer dies auch vonstatten ging, sicher ist jedenfalls, dass man heutzutage Eisengeld nicht mehr für Barzahlungen verwenden könnte, da ein Penny zirka ein Pfund wiegen würde.«24 Kein Mittel war ihm zu schade, um Lykurgs numerisches System in Sparta als bloßen Versuch abzutun, alte Schulden und Zinsen abzuzahlen, indem man einen billigen Rohstoff zu einem gesetzlichen Zahlungsmittel erklärte! (Und dies 300 Jahre lang?) Jevons setzte sich gezielt über die Lehre vom Geld als gesetzlicher Institution hinweg, mit der sich Aristoteles, Platon, Locke, Berkeley, Franklin, Raithby und andere ausführlich befasst hatten. Gewiss nicht aus Versehen – dafür war Jevons mit dem Bankwesen viel zu vertraut. Der Warenwert der Eisenstücke war ihm wesentlich interessanter als der Warenwert der als Banknoten verwendeten Papierfetzen. Kein Wunder: An den Banknoten wird deutlich, dass Geld Nomisma, nicht Ware ist. Genau wie Adam Smith beeinflusste auch Jevons seine Leser in dem Sinne, Geld als Ware zu betrachten, obwohl er wusste, dass die Privatbanken abstraktes Geld emittierten. Dieser Trick wurde immer und immer wieder angewendet und ging in die herrschenden Werke der Geldlehre ein. So wurde die wahre Geldlehre allmählich aus dem kollektiven Gedächtnis der Menschheit ausradiert. Was die fortschrittliche Lehre vom Geld als gesetzlicher Einrichtung angeht, so behandelte Jevons gerade so viel davon, wie für seine Unterstützung der Banken zweckmäßig war – jedoch nie so viel, dass er die Machenschaften der Banken ernsthaft gefährdet hätte. Dabei definierte Jevons Geld nicht als gesetzliche Institution; er trat aber ein für von der Bank kontrolliertes Papiergeld ohne Deckung: »Es


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These versus Antithese: Synthese

gibt zahlreiche Beweise dafür, dass nicht konvertierbares Papiergeld seinen vollen Wert bewahren kann, wenn seine Menge sorgfältig begrenzt wird.«25 Die richtige Geldmenge

Was die Frage der geeigneten Geldmenge anbelangte, war Jevons der Meinung, dass niemand genau sagen könne, welche Menge die richtige sei, und dass »Staatsmänner« nicht versuchen sollten, die Geldmenge direkt zu regulieren. Jevons zufolge war die erforderliche Menge proportional zu der Bevölkerung, industriellen Aktivität, Komplexität der staatlichen Strukturen und – damit gab er Marx wieder – zum Preis der Waren. Da nach Ansicht von Jevons nur wenige dieser Größen bekannt waren, schlug er vor, dem Geld völlige Freiheit zu lassen, sich selbst zu regulieren. Geld müsse sich seinen eigenen Weg bahnen – genau wie das Wasser. Er trat dafür ein, die Versuche einer Geldmengenkontrolle auf eine Regulierung der Banknotenausgabe zu beschränken, was für ihn bedeutete, das geeignete System der Bankreserven zu bestimmen. Das kam den Bankiers natürlich sehr gelegen. Damit propagierte Jevons eine monetäre Weltanschauung, nach der eine zentrale Privatbank über die Geldmacht verfügt und völlig unangefochten über Regierungen und über Menschen herrschen kann. Wie Bankiers die Geldtheorie beeinflussen

Es soll hier nicht unterstellt werden, dass Adam Smith, Karl Marx, Stanley Jevons und andere Gelehrte von den Banken speziell angeheuert und bezahlt wurden, um Werke im Sinne der Banken zu verfassen. Es ist nicht nötig, eine solche direkte verschwörerische Verbindung zu postulieren, auch wenn solche Verschwörungen, wie Thorold Rogers folgert, sowohl in der Vergangenheit bestanden als auch heute noch bestehen. Daher sollten Forscher auch nicht davor zurückschrecken, den Begriff Verschwörung zu verwenden, um Verschwörungen zu bezeichnen, für die genügend Beweismaterial vorhanden ist. Die Beweisführung ist schwer, zumal dringendere Arbeiten anstehen. Die Bankiers haben andere Methoden der Beeinflussung: Sie können sich einen Überblick über die derzeitige geldwissenschaftliche


Die Synthese aus Smith und Marx

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Forschungselite verschaffen und sich jene Gelehrten herauspicken, deren plausible oder äußerst komplexe Theorien die Aktivitäten der Banken begünstigen. Sie können dann dafür sorgen, dass diese Ansichten gefördert werden und Kritik an ihnen unterdrückt wird, wobei die Gelehrten nicht einmal unbedingt wissen müssen, warum ihre Werke so positiv aufgenommen werden. Wie leicht bedeutende Werke durch simple Nichtbeachtung verlorengehen und aus der Welt geschafft werden, zeigt das folgende Beispiel: Als James Frazer (der Autor von Der goldene Zweig) ein Buch über Berkeleys Werke herausgab, suchte er lange vergeblich nach einem Exemplar von Berkeleys Querist, das er aufnehmen wollte. Erst im letzten Moment wurde er zufällig fündig. Auch das mir vorliegende Exemplar von Berkeleys Querist ist 250 Jahre alt. Von großer Bedeutung ist ferner die Tatsache, dass die meisten ökonomischen Lehrstühle an den einflussreichen Instituten und Universitäten der USA von Finanzinstitutionen – also Banken und verwandten Einrichtungen – finanziert werden. Diese Gruppen nehmen direkten Einfluss darauf, mit welchen Personen diese maßgebenden Lehrstühle besetzt werden, und damit auch darauf, mit welchen monetären Ansichten die nächste Generation von Ökonomen und Lehrern indoktriniert wird.



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14. Kapitel

Die Kolonialwährungen der USA

Die Erfahrung, die bedeutender ist als alle Logik dieser Welt, hat uns völlig davon überzeugt, dass Papiergeld dem Lande zum größten Vorteil gereichte und gereicht. B F

Die amerikanische Geschichte eignet sich ausgezeichnet für monetäre Studien. Es geht mir hier nicht darum, Europäer zu Experten in amerikanischer Geldgeschichte zu machen. Der Grund für diese Studien ist vielmehr der, dass der Zusammenschluss der englischen Kolonien zu den Vereinigten Staaten von Amerika bzw. die folgende Verschmelzung der elf Kolonialwährungen in eine nationale amerikanische Währung die engste historische Analogie zur aktuellen monetären Entwicklung in Europa darstellt. Ein weiteres Ziel dieser Betrachtungen ist es, zu zeigen und nachvollziehbar zu machen, wie monetäre Aggression gegen ein Volk instrumentalisiert wird. Diese Kenntnisse sollen mithelfen, ähnliche Angriffe gegen Europa (die es mit Sicherheit geben wird) in Zukunft abzuwehren. Die Statuten der Europäischen Zentralbank lassen sich danach beurteilen, wie effektiv sie die in Amerika aufgetretenen Probleme vermeiden und aus den damals gewonnenen Erkenntnissen Nutzen ziehen werden. Zwei geldhistorische Merkmale unterscheiden die Vereinigten Staaten von anderen Nationen: Zum einen waren die USA von Anfang an ein großes monetäres Versuchslabor. Fast jeder denkbare monetäre Lösungsansatz wurde in Amerika irgendwann einmal ausprobiert. Lange Phasen der amerikanischen Geschichte zeichnen sich durch monetäre Krisen aus, die nur von wenigen kurzen Abschnitten des monetären Friedens unterbrochen wurden.


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Die Kolonialwährungen der USA

Zum anderen ist Amerika das klassische Land einer autonomen Papierwährung. Seit der Kolonialzeit ist Amerikas Entwicklung untrennbar an das Papiergeld gebunden. Ohne Papiergeld gäbe es keine Vereinigten Staaten. Amerika gewann seine Unabhängigkeit und sicherte später seine Einheit mit Hilfe von staatlich emittiertem Papiergeld. Dies bedeutet indes nicht, dass Amerika heute auf ein System »aus der guten alten Zeit« zurückgreifen könnte – ein solches System muss erst noch aufgebaut werden. Die amerikanische Geldgeschichte kann aber als ein Kampf gegen jene Kräfte gesehen werden, die fest entschlossen waren, die Nation durch privat ausgegebenes Geld zu kontrollieren. Die dominierende Rolle spielte in Amerika meist privates Geld, das Reichtum und Macht von der Allgemeinheit wegund den Bankiers zuführte.

Die Urwährungen der »Moundbuilder«-Kulturen Da die »Moundbuilder«-Kulturen (Erdwall-/Erdhügelbauer) in Nordamerika schon vor der Ankunft der Europäer ausgestorben waren, ist wenig über sie bekannt. Ihre größte Anlage war ein 30 Meter breiter und 240 Kilometer langer Kanal bei Osceola in Arkansas. Ein in einem Erdhügel an der Kreuzung der Fifth Street und der Mound Street in Cincinnati gefundener Kalenderstein teilt das Jahr in acht Jahreszeiten von jeweils 45 Tagen ein. Dies veranlasste Del Mar zu der Vermutung, dass die »Moundbuilders« aus Asien, möglicherweise aus Indien, eingewandert waren. Da sie kein Eisen hatten, folgerte er, dass sie bereits vor dem 13. Jahrhundert v. Chr. nach Amerika gekommen waren. Diese Schlussfolgerungen waren damals außergewöhnlich. Heute aber weiß man, dass die »Moundbuilders« in der Tat aus Asien stammten und dass ihre Migration vor über 10 000 Jahren begann.1 Mitte des 19. Jahrhunderts untersuchte M. W. Dickeson 1033 alte Hügel im Flusstal des Mississippi und fand dabei etliche Artefakte, die wahrscheinlich als Geld verwendet wurden. Del Mar hat sie wie folgt klassifiziert: – Lignit- und Kohlengeld, mit parallelen Linien und Punkten verziert; runde Stücke mit Menschen- und Tierbildern, Umfang: 2 bis 3 Zentimeter, Dicke: ca. 6 Millimeter.


Die Urwährungen der »Moundbuilder«-Kulturen

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– Elfenbein- und Knochengeld, Umfang: ca. 1,2 Zentimeter, Dicke: ca. 6 Millimeter. – Terrakottageld, bei dem auf einer Seite Punkte, parallele Linien, Dreiecke oder Buchstaben eingeprägt sind. Umfang: 2,6 bis 4,5 Zentimeter; Dicke: 3 bis 6 Millimeter. – Steingeld, Sandstein und Schiefer. Umfang: 1,3 bis 20 Zentimeter; ein solcher Gegenstand wurde in der Hand eines Skeletts gefunden. – Goldmünzen, 1,9 Zentimeter im Durchmesser, grobkantig, etwa 48 Gran. Auf einer Goldmünze, die in der Hand eines Skeletts in Ross County, Ohio, gefunden wurde, sind vier parallele Wellenlinien eingeprägt. Eine ähnliche Münze fand man in einem Erdhügel am alten Fort Rosalie bei Natchez, Mississippi. Ein drittes Exemplar mit einem Mann auf der einen Seite und einem Vogel auf der anderen wurde in Perry County, Ohio, entdeckt. – Galenitklumpen in unregelmäßig rundlichen Formen, mit Hieroglyphen bedeckt. – Hohlförmige Kupferscheiben. – Geldstücke aus Biber- und Marderhäuten. – Kleine Goldklumpen oder -kugeln, leicht abgeflacht, mit unregelmäßigen Kanten, wurden vor allem in den Hügeln von Ohio gefunden.2 Leider wurden diese Fundstücke bislang noch nicht zu einer Museumssammlung zusammengefasst. Die indianischen Wampums

Das traditionelle Zahlungsmittel der nordamerikanischen Indianer vor der Ankunft der Europäer waren Wampums, bunte, auf Schnüre aufgereihte Muschelperlen. Allerdings wurden die Wampums weniger als Geld verwendet, sie dienten vielmehr als Zeichen von Wohlwollen oder als Andenken an wichtige Ereignisse und feierliche Anlässe wie zum Beispiel ein Gelöbnis oder ein Vertragsabschluss.3 Erst nachdem die Indianer mit den Europäern in Berührung gekommen waren, begannen sie, Geld zu verwenden. 1763 gab Pontiac, Häuptling der Ottawa, während der Belagerung der Engländer in Detroit Noten aus Birkenrinde aus, um Nachschub für seine Truppen zu erhalten. Auf der einen Seite dieser Noten war der zu kaufende Gegenstand, auf der anderen Seite eine Otter, Pontiacs Totem,


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Die Kolonialwährungen der USA

abgebildet. Nach der Belagerung zahlte er die Birkennoten wieder aus und zog sie aus dem Verkehr.4

Die monetäre Not in den Kolonien In Geldangelegenheiten waren die nordamerikanischen Kolonisten von Anfang an mit dem Mutterland uneins. Die Niederländer ließen nicht zu, dass Münzgeld nach Neuamsterdam kam, und englische Gesetze verboten die Geldausfuhr nach Amerika.5 Die Kolonisten sollten nicht untereinander Handel treiben, sondern Rohstoffe nach England schicken. Das wenige Münzgeld in den Kolonien kam hauptsächlich von Piraten oder aus dem Handel mit den spanischen Westindischen Inseln. Die Kolonisten waren nicht etwa rückständig, sondern wurden von ihrem »Mutterland« zu primitivem Tauschhandel gezwungen. Da sich England weigerte, das in den Kolonien dringend benötigte Geldsystem zur Verfügung zu stellen, spitzte sich die monetäre Notlage immer mehr zu. Zwischen 1640 und 1680 kehrten mehr Menschen nach England zurück, als Engländer nach Amerika auswanderten. Aus dieser Not heraus wurden die Kolonien zu einer Art monetärem Versuchslabor, in dem verschiedene Methoden zur Lösung der finanziellen Probleme entwickelt wurden. Zur Schaffung eines Umlaufmediums wurden 1650 in Massachusetts sogar die indianischen Wampums zum gesetzlichen Zahlungsmittel für kleinere Beträge deklariert. Die Bezahlung mit landwirtschaftlichen Produkten (1632–1692)

In dieser Periode wurden zahlreiche landwirtschaftliche Produkte zu gesetzlichen Zahlungsmitteln erklärt. Von einem echten Tauschhandel kann hingegen nicht gesprochen werden, da den Produkten von Zeit zu Zeit per Gesetz ein Geldwert zugemessen wurde. So galten in North Carolina eine Zeitlang 17 verschiedene landwirtschaftliche Produkte als gesetzliche Zahlungsmittel. Doch dieses System war nicht effizienter als der Tauschhandel. Obwohl diese Art der Bezahlung von der englische Krone gebilligt wurde und unter der Verwaltung der Kolonialregierungen stand, führte sie nur zu mageren Ergebnissen: Jeder wollte mit den am wenigsten gefragten Produkten in möglichst schlechtem Zustand bezahlen.


Die monetäre Not in den Kolonien

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Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Verwendung von Ware als Geld zeigte sich, als Virginia und Maryland 1633 Tabak zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärten und 1639 eine Rekordernte einfuhren. Die Kolonialparlamente ordneten an, die Hälfte der Tabakernte zu verbrennen. Um aber sicherzustellen, dass die von der Ernte abhängigen Schuldner ihre Schulden abzahlen konnten, wiesen sie gleichzeitig die Gläubiger an, £ 40 als vollständige Bezahlung für eine Schuld im Wert von £ 100 anzunehmen. 1730 setzte Virginia Tabak erneut als offizielles Zahlungsmittel ein: Öffentliche Tabaklagerhäuser wurden gesetzlich autorisiert, übertragbare Tabakzertifikate auszustellen. Hulls Münzstätte in Massachusetts

Im Jahre 1652 widersetzte sich Massachusetts der englischen Krone und erlaubte John Hull, eine Münzstätte zu eröffnen, die eine »Baum-Währung« herstellte. Auf den Münzen mit einem Feingehalt von 67 Gran Gold waren Weiden, Eichen und vor allem Pinien abgebildet. Zwar trugen alle Münzen die Jahreszahl 1652, doch die Münzstätte war bis 1685 aktiv und prägte gegen eine Gebühr von 5 % Münzen aus allem Gold und Silber, das ihr zu diesem Zweck übergeben wurde. Der überwiegende Teil dieser Edelmetalle stammte von Seeräubern, die spanische Schiffe in den Gewässern der Westindischen Inseln kaperten. Obwohl England diese Münzstätte als Verrat betrachtete, erklärte das Kolonialparlament von Massachusetts das Münzgeld zum gesetzlichen Zahlungsmittel. Dies war wohl der Tropfen, der das Fass des ständigen Streits zwischen der englischen Krone und den Puritanern in Massachusetts zum Überlaufen brachte. 1684 hob die englische Krone vorübergehend die königlichen Privilegien der Kolonie Massachusetts auf und schloss später auch die Münzstätte. Die Macht der puritanischen Kirche über die Politik wurde erheblich eingeschränkt, doch diese setzte ihre Schreckensherrschaft fort, vor allem durch ruchlose Hexenverfolgungen und -verbrennungen.6 Aber auch die Prägung von Münzen im Wert von etwa einer Million Pfund Sterling in Hulls Münzstätte konnte die monetären Probleme der Kolonie nicht lösen. Die Münzen flossen schnell aus dem Land ab und wurden als englische Münzen neu geprägt.


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Die Kolonialwährungen der USA

Die Hypothekenbanken der Kolonien

Der nächste Versuch zur Lösung der Geldkrise waren private Hypothekenbanken, von denen eine der ersten 1675 in South Carolina gegründet wurde. Sie gab Banknoten aus, die theoretisch in garantierte Grundstücksrechte konvertierbar waren. Als Hulls Münzstätte geschlossen wurde, gründete John Blackwell 1686 eine private Hypothekenbank in Boston, deren Banknoten allerdings nicht auf allgemeine Akzeptanz stießen. Noch im Jahre 1732 entstand mit der Banknotenausgabe auf Grundstücke durch die New London Society for Trade and Commerce in Connecticut eine private Hypothekenbank, die allerdings schon 1733 wieder geschlossen wurde. 1739 stellte eine weitere Privatbank in Massachusetts Banknoten auf Hypotheken aus, wurde aber ebenfalls bereits im nächsten Jahr wieder geschlossen.7 Die Kolonisten mieden dieses privat emittierte Geld. Sie betrachteten die Währung als Aufgabe der Regierung, wie es in England bis 1694 der Fall gewesen war.

Die credit bills von Massachusetts – das erste Papiergeld im Westen Ende des 17. Jahrhunderts war die Bevölkerung in den Kolonien auf fast eine Million angewachsen, was den Tauschhandel äußerst unpraktisch werden ließ. Deshalb wagte Massachusetts 1690 ein tollkühnes Experiment, als es mit der Ausgabe von sogenannten credit bills begann, einer Form von ungedecktem Papiergeld. Die Papierscheine wurden – mit einem fünfprozentigen Aufschlag auf ihren Nennwert – für alle Geldbeträge akzeptiert, die dem Staat geschuldet wurden. Obwohl dieses Papiergeld nicht zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt worden war, wurde es von allen Menschen akzeptiert, und obwohl Massachusetts diese Scheine ursprünglich nicht als Geld geplant hatte, zirkulierten sie sofort genau wie Geldscheine und beendeten damit die Geldsorgen der Kolonie, zumal sie nicht wie das Münzgeld nach England zurückflossen. Der engste Vorläufer der credit bills von Massachusetts waren die Papierscheine, die König Karl II. im Jahre 1667 ausgegeben hatte


Die credit bills von Massachusetts – das erste Papiergeld im Westen

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(siehe Seite 197). Del Mar berichtet außerdem von einem kanadischen Vorläufer8 aus dem Jahre 1685, als französische Verwaltungsbeamte Spielkarten in Viertel schnitten und darauf Geldbeträge im Wert von insgesamt zwei Millionen Livres indossierten. Dieses Spielkartengeld war bis 1714 im Umlauf. Dann wurde es in Münzen oder anderes Geld eingelöst. Die Schuldscheine von Massachusetts waren jedoch eine höher entwickelte Geldform. Sie waren Geld per se, weder konvertierbar noch einlösbar in irgendein anderes »Geld«. Ursprünglich waren credit bills im Wert von £7000 ausgestellt worden. 1691 gab es eine weitere Ausgabe, und 1692 erklärte die gesetzgebende Versammlung von Massachusetts die Scheine zum gesetzlichen Zahlungsmittel für alle Zahlungen. Die Scheine wurden gewissenhaft verwaltet, nicht übermäßig emittiert und zirkulierten zwanzig Jahre lang mit ihrem vollen Nennwert zusammen mit Silbergeld. Gegen 1712 stieg jedoch die Menge der credit bills und der Münzen so drastisch an, dass die Scheine etwa 12 % ihres Werts gegenüber Münzgeld verloren. 1714 gab Massachusetts weitere Schuldscheine über £ 125 000 aus. Insgesamt wurden in Massachusetts credit bills im Wert von £ 420 000 ausgegeben. Ihr Wert nahm mit der Zeit erheblich ab, doch die Grundelemente des Systems blieben erhalten. Andere Kolonien ahmten das Schuldscheinsystem von Massachusetts nach und gaben ähnliche credit bills aus. Im Laufe der Zeit zirkulierten die Scheine einer Kolonie immer häufiger auch in den angrenzenden Kolonien. Diese Scheine veränderten unweigerlich das Leben in den Kolonien: Sie verbesserten Industrie und Handel und trugen zum Aufbau einer effizienten Infrastruktur bei. Die Kolonisten akzeptierten und begrüßten die Scheine, ja sie fragten sogar danach. Endlich hatten sie eine Lösung für ihre monetären Probleme gefunden. Immer wenn die Kolonien zu hohe Ausgaben dieser Scheine zuließen – was häufig vorkam –, verloren diese an Wert. Wenn die Emissionen jedoch maßvoll waren – wofür es allerdings keine wissenschaftlichen Kriterien gab –, blieb ihr Wert relativ konstant. Die Kolonisten lernten eines der grundlegenden Gesetze der Geldlehre: Ist im Verhältnis zu seinem Nutzen zu viel Geld in Umlauf, sinkt sein Wert (gleichgültig, woraus es besteht).


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Die Kolonialwährungen der USA

Von großer Bedeutung war auch, dass die Kolonien nicht mehr Schuldscheine ausgaben als von ihrer Gesetzgebung bewilligt.*

Pennsylvanias überlegenes Geldsystem Ein weiteres Modell für ein koloniales Geldsystem war das System von Pennsylvania, bei dem die Kolonie das Geld in den Umlauf verlieh, anstatt es in den Umlauf zu verkaufen. Um 1722 war die Kolonie durch Wucher auf eine Form der modernen Sklaverei gebracht worden: Die Geschäftsinhaber hatten kein Geld, um auf den Markt zu gehen; und die Ernte der Bauern und Pflanzer verlor immer mehr an Wert, bis ein absoluter Tiefpunkt erreicht war. Eine eingeschworene Gruppe von nur vier oder fünf reichen Männern kaufte alle eingeführten europäischen Waren sowie das Mehl, Brot und die landwirtschaftlichen Produkte auf und verkaufte diese Waren auf Kredit zu Bedingungen nach ihrem Belieben weiter, wobei sie die Bedürfnisse und Verhältnisse der Menschen zu ihrem Vorteil ausnutzte. Auf diese Weise verschuldete sich bald das ganze Land bei ihnen, da sie von allen Menschen Wertpapiere zu 8 % Aufschlag forderten.9 1723 ersuchte eine Gruppe von Kaufleuten in Pennsylvania die Regierung um Maßnahmen gegen ihren wachsenden Ruin und den offensichtlichen Verfall der Provinz aus Mangel an einem Zahlungsmittel und baten um die Einführung einer Papierwährung. Ein staatliches Darlehensamt wurde eingerichtet, und vier Männer wurden zu Treuhändern ernannt. Diese wurden ermächtigt, mit 5 % verzinste Papiernoten im Wert von insgesamt £ 15 000 für eine Dauer * In jüngerer Zeit war es vor allem Leslie Brock, der mit seiner Dissertation The Currency of the American Colonies 1700–1764 das moderne Studium des Kolonialgeldes voranbrachte. Er erkannte, dass das gesamte Untersuchungsgebiet in einem irreführenden Licht stand, da es vor allem von Autoren untersucht wurde, die nicht konvertierbares Papiergeld für ein Übel hielten. Brock korrigierte diese falsche Auffassung, doch die libertären Ökonomen tun sich offenbar mit seiner (und Del Mars) Arbeit schwer. Joseph Albert Ernsts Money and Politics in America 1755–1775 ist eine weitere kluge und komplexe Beurteilung dieser Zeitspanne, die sich von der moralisierenden Polemik gegen Papiergeld abgrenzt. Ernst betonte auch, dass es ein Fehler sei, nur Notenausgaben zu untersuchen, wenn doch damals ein Großteil des Geldes aus Buchungskrediten zwischen den Kaufleuten bestand.


Pennsylvanias überlegenes Geldsystem

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von 8 Jahren als Darlehen auszugeben. Die Darlehen durften den Höchstbetrag von £ 250 nicht überschreiten, und der Entleiher musste eine dreifache Sicherheit bieten: hauptsächlich Grundbesitz, jährliche Zinszahlungen und die jährliche Zahlung eines Achtels der Darlehenssumme. »So bedeutend waren die Gewinne, die der Provinz durch dieses zusätzliche Geld erwuchsen, und so unmittelbar war ihre Wirkung spürbar, dass im Dezember eine weitere Ausgabe von £ 30 000 zu denselben Konditionen angeordnet wurde«, berichtete ein Mitglied der Numismatic Society of Philadelphia.10 Keith zufolge ist der ungeheuer positive Effekt dieser Geldausgaben auf sämtliche Lebensbereiche in dieser Region kaum vorstellbar (Lieferanten von Waren wurden innerhalb von 6 Wochen statt nach 9 Monaten bezahlt). Die armen Durchschnittsbürger, die Grundbesitz oder Häuser verpfändet hatten, liehen sich vom Darlehensamt Geld aus und zahlten ihre Wucher treibenden Gläubiger aus. Die wenigen Reichen, die zuvor jeden Handel außer dem Wucher aufgegeben hatten, wurden auf diese Weise gezwungen, sich wieder an einem ordentlichen Handel zu beteiligen.11 Anstatt das jährlich zurückgezahlte Geld zu beseitigen, erließ Pennsylvania im Jahre 1726 Bestimmungen, um die eingezahlten Papierscheine erneut als Darlehen zu vergeben. So wurde ein kontinuierlich umlaufendes Tauschmedium gewährleistet, und das Geld wurde zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt. An diesem aus dem Nichts geschaffenen Papiergeld verdiente Pennsylvania jedes Jahr £ 2500 Zinsen, womit es zu manchen Zeiten die Hälfte seiner Staatsausgaben bestritt. Benjamin Franklins Eintreten für eine Papierwährung

Benjamin Franklin, der Wissenschaftler, Drucker und später auch Staatsmann war, besaß eine ausgezeichnete Beobachtungs- und Argumentationsgabe. In einer Ausgabe von Busybody (Nr. 8, 24. März 1729) erklärte er, warum er sich für eine Papierwährung einsetzte: »Die Erfahrung, die bedeutender ist als alle Logik dieser Welt, hat uns völlig davon überzeugt, dass Papiergeld dem Lande zum größten Vorteil gereichte und gereicht.« In seiner Autobiographie schreibt Franklin: »Zu dieser Zeit [etwa 1729] wurde von verschiedener Seite verlangt, dass mehr Papiergeld


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Die Kolonialwährungen der USA

in Umlauf gesetzt werden solle. Aus Angst vor einer Inflation wehrten sich die reichen Leute dagegen. In Neuengland zum Beispiel hatte die Zunahme des Papiergeldes allen Geldgebern und Gläubigern Schaden gebracht. Über diese ganze Angelegenheit war in unserer Junto* verhandelt worden. Alle waren wir für eine Vermehrung der Banknoten, denn 1723 war durch den erhöhten Umlauf von Papiergeld der Handel in Schwung gekommen, der Arbeitsmarkt ausgeweitet worden und hatte die Bevölkerung zugenommen. Unsere Debatten fanden schließlich ihren Ausdruck in einer von mir geschriebenen Schrift mit dem Titel: ›Über Art und Nutzen von Banknoten‹. Von den ärmeren Leuten ward sie sehr begrüßt, während die Reichen Angst hatten, durch sie würde der allgemeine Ruf nach einem leichteren Zahlungsverkehr noch mehr Boden gewinnen. Da sie aber niemand hatten, der über eine geübte Feder verfügte und der fähig gewesen wäre, mich zu widerlegen, ging der entsprechende Antrag im Repräsentantenhaus ohne weiteres durch. Meine Anhänger, die nicht leugnen konnten, dass ich ihnen von Nutzen gewesen, belohnten mich, indem sie mir den Auftrag, die neuen Banknoten zu drucken, übergeben ließen. Dieses einträgliche Geschäft verdankte ich wiederum meiner Fähigkeit, eine gewandte Feder zu führen. In der Folge wuchs der Banknotenumlauf rasch auf 50 000 Pfund, im Jahre 1739 auf 80 000 und nach der Revolution auf 350 000 Pfund an. Heute glaube ich, dass ein gewisses Maximum nicht ohne großen Schaden überschritten werden darf. Bald darauf bekam ich durch Hamilton auch den Auftrag, das Papiergeld der Stadt Newcastle zu drucken, was damals für mich ein weiterer großer Auftrag war. Hamilton verschaffte mir auch alle amtlichen Druckaufträge dieses Gemeinwesens.«12 Die Wiener Schule der Nationalökonomie bewies ihre Ignoranz in monetären Angelegenheiten mit Ludwig von Mises Behauptung, Benjamin Franklin habe sich nur deshalb für ein Papiergeld ausgesprochen, weil er als Drucker von den daraus resultierenden Druckaufträgen profitiert habe. Leider beherrscht sie aber das Denken der Libertären in den Vereinigten Staaten. Ihre Anhänger sollten einmal ihre Prämissen, vor allem ihre monetären Auffassungen, überprüfen. * Ein Debattierklub, den Franklin mit einigen Freunden gegründet hatte.


Der Angriff der Lords of Trade and Plantations auf das Kolonialgeld

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Die Fälschung des kolonialen Papiergeldes

Die Papierscheine in den Kolonien wurden in erschreckendem Umfang gefälscht. Im Jahre 1768 trieb eine Gruppe von 500 Fälschern von New Hampshire bis North Carolina ihr Unwesen. North Carolina ermächtigte all diejenigen, die einem Fälscher auf die Spur kamen, ihn zu töten, wenn er sich nicht innerhalb einer bestimmten Zeit ergebe. Für die gesamte Kolonialzeit sind nur etwa ein halbes Dutzend Hinrichtungen von Fälschern sowie außerdem einige Suizidfälle bekannt.13 Pennsylvania bestrafte erstmalige Fälscher durch Abschneiden beider Ohren und Wiederholungstäter durch Abschneiden weiterer Gliedmaßen. Trotzdem blieb der Zustrom gefälschter Papierscheine anhaltend stark.

Der Angriff der Lords of Trade and Plantations auf das Kolonialgeld Eine Gruppe englischer Lords, die mit der Überwachung der Kolonien beauftragt war, griff die aus der Sicht der Engländer illegalen Papiergeldsysteme in den Kolonien immer wieder an. Von 1720 an galten die meisten kolonialen Geldsysteme so lange als ausgesetzt, bis sie von der englischen Krone ausdrücklich gebilligt wurden. Doch war es schwierig, diese Bestimmung durchzusetzen. Eines der Mittel, über das die Kolonien zu ihrer Verteidigung verfügten, war die Entfernung vom Mutterland. Nachdem die Lords of Trade von Pennsylvanias Geld erfahren hatten, verurteilten sie in einem Brief vom Oktober 1726 das Papiergeld und legten seine »bösen Konsequenzen« dar. Von einer Nichtigerklärung des Geldes, so heißt es weiter in dem Schreiben, werde nur aus Rücksicht auf die »unschuldigen Menschen, in dessen Händen es sich befinde«, abgesehen. Die Lords drohten jedoch, alle Noten für ungültig zu erklären, falls weitere Notenausgaben folgten, und ordneten die Rücknahme der Noten innerhalb einer vorgegebenen Frist an. Als das Fristende näher rückte, befürchteten die Bewohner Pennsylvanias einen erneuten wirtschaftlichen Zusammenbruch, da außer dem Papiergeld kaum andere Geldmittel verfügbar waren. Im Mai 1729 widersetzte sich der Gouverneur Patrick Gordon den Lords


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Die Kolonialwährungen der USA

of Trade und genehmigte die Ausgabe von Schuldscheinen in Höhe von £ 30 000. Diese Summe wurde zu denselben Bedingungen wie die früheren Ausgaben als Darlehen vergeben, war jedoch nicht innerhalb von acht, sondern von sechzehn Jahren zurückzuzahlen. Darüber hinaus ließ er £ 40 000 der früheren Ausgabe erneut in Umlauf setzen. Das Wohl der Kolonie war Gordon zufolge eine ausreichende Rechtfertigung für dieses Vorgehen. Die Lords of Trade setzten ihre Hetzjagd auf das Geldsystem Pennsylvanias fort, obwohl es in England hochgeschätzt wurde: »Einige unserer Plantagen bekamen die negativen Auswirkungen […] der Erhöhung der Notenmenge schmerzlich zu spüren; die Philadelphier dagegen konnten durch unbeirrtes Festhalten an einer bestimmten Anzahl oder Gesamtmenge von Noten nicht nur ihre eigene Kreditwürdigkeit untereinander aufrechterhalten, sondern sie sogar auf einige benachbarte Provinzen ausdehnen«, so berichtete Joseph Harris in seiner Schrift aus dem Jahre 1757.14 Deflation in Massachusetts

Anders verhielt es sich in Massachusetts, wo die Lords of Trade 1727 eine Reihe monetärer Repressionen einleiteten. Sie ordneten an, dass die vorhandenen credit bills zurückgezogen und keine neuen Scheine ausgegeben wurden; alle kommunalen Steuern mussten in Münzen bezahlt werden. Dieses Vorgehen löste eine 25 Jahre andauernde wirtschaftliche Not und Depression aus. 1730 wurde der Gouverneur Belcher angewiesen, den Notenrückzug fortzusetzen. Die Noten wurden in Münzen im Verhältnis von zunächst zehn und später sieben Noten zu einer Münze zuzüglich Steuer ausgezahlt. Um 1735 waren Münzen so knapp, dass die Kolonisten ihre Steuern nur noch mit Waren bezahlen konnten. Die Währungskontraktion führte zu einer anhaltenden Wirtschaftskrise. Die Preise fielen immer weiter; Schuldner, die ihre Schulden in weniger wertvollem Geld gemacht hatten, gingen bankrott und mussten ihren Besitz zu einem Bruchteil seines wirklichen Wertes verkaufen. Del Mar zufolge war die Lage in Massachusetts 1751 so verzweifelt, dass eine Revolution eine wirkliche Option war. Die Versammlung gab verzinste Noten aus, um die Ausgaben der Kolonie zu bestreiten, und der Gouverneur fügte sich. Zu seiner Überraschung begannen diese Zertifikate unmittelbar nach ihrer Ausstellung zu zir-


Der Currency Act von 1764

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kulieren. Sobald ein Umlaufmedium vorhanden war, setzte in der zuvor ökonomisch am Boden liegenden Kolonie eine wirtschaftliche Wiederbelebung und Blütezeit ein. Als die Regierung in London im Juni 1751 von den neuen Zertifikaten erfuhr, verurteilte sie deren Ausgabe und versuchte, Massachusetts einen verzinsten Münzgeldkredit aufzuzwingen. Doch der wurde abgelehnt. Die Schatzanweisungen blieben weiterhin als Geld im Umlauf. 1766 und später standen Beträge von mindestens £ 157 000 aus. Noch 1774 stellte der Gouverneur Hutchinson fest: »Noch nie seit dem Beginn der Besiedlung des Landes war die Staatskasse in so guter Verfassung wie jetzt.«15

Der Currency Act von 1764 Zwar richteten die Lords of Trade auch weiterhin gelegentliche Angriffe auf die kolonialen Papiergeldsysteme, doch kein einziger Gouverneur setzte die Forderungen der Krone in den Kolonien um. Englische Gläubiger drängten auf härtere Sanktionen, die 1751 in einem Gesetz verabschiedet wurden, aber außerhalb von New England schwer durchsetzbar waren. 1764 wurde unter dem britischen Minister George Grenville ein ähnliches Gesetz verabschiedet und durchgesetzt. Das Gesetz verbot Papiergeld als Zahlungsmittel in privaten Transaktionen, nicht aber für Regierungsausgaben. Das Verbot galt rückwirkend für die letzten zehn Jahre, bezog sich also auf das gesamte seit 1754 ausgegebene Geld! Die Folge davon war eine erhebliche Kontraktion der Umlaufmenge, die den Handel stark beschränkte. Innerhalb eines Jahres ersuchten New York, Virginia und Pennsylvania London um die Aufhebung des Gesetzes. Diese Bewegung wurde sogar von vielen Londoner Kaufleuten unterstützt, die das Gesetz ursprünglich aus theoretischen wirtschaftlichen Gründen begrüßt hatten, aber dann feststellen mussten, dass es ihrem Handel schadete. Franklin reiste nach London, um sich für die Aufhebung des Gesetzes einzusetzen, und sprach im Februar 1766 vor dem Parlament. Im Juni 1767 war er zuversichtlich, dass es aufgehoben würde: »Das Ministerium hatte der Aufhebung zugestimmt, und die Vorstellung, von der sie besessen waren, dass sie aus einem Papiergeld,


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dessen Zinsen durch das Parlament zugewiesen würden, Einkünfte erzielen könnten, konnte ich durch die Beteuerung ausräumen, dass keine Kolonie zu diesen Bedingungen Geld machen würde und dass die Gewinne, die dem Handel dieses Landes in Amerika aufgrund einer reichlichen Währung entstehen würden, somit verloren wären und die Forderung nach einer Aufhebung kein Ende fände, solange die Versammlungen nicht ermächtigt würden, die Zinsen selbst zuzuweisen […] Wir glaubten schon, dass alles glatt vonstatten ginge. […] Doch im Parlament erhob sich Grenville […] und sagte: ›Ich werde den Herren Abgeordneten eine Einkommensquelle vorschlagen, welche in Amerika etwas Wertvolles hervorbringen wird: Stellen Sie für die Kolonien Papiergeld her, geben Sie es dort als Darlehen aus, nehmen Sie die Zinsen, und gebrauchen Sie es so, wie Sie es für richtig halten‹«, erinnert sich Franklin16, der die feindliche Stimmung des Unterhauses gegen die Kolonien spürte. Von diesem Zeitpunkt an verlor er das Vertrauen in die Zukunft der britischamerikanischen Beziehungen. Keine »privaten Teilsysteme«

Das einzige gute Geldgesetz der Lords of Trade war das aus dem Jahre 1741, mit welchem sie jegliche private Geldausgabe in den Kolonien verboten. Die Kolonisten stimmten damit völlig überein. Die Zentrale der privaten Geldausgabe war jedoch in London und unterdrückte ihre Nachahmer in den Kolonien. Dort gab es private Geldplünderer, deren Beute zirkulierte. Nach den verheerenden Gesetzen von 1764 sahen einige von ihnen die Zeit gekommen, ihr eigenes Geld zu emittieren. Ende 1766 gaben acht Handelshäuser in Philadelphia – sieben Mitglieder der Presbyterian Party und als achtes Mitglied das jüdische Unternehmen Willing and Morris – £ 30 000 in kurzfristig (9 Monate) verzinsten Noten aus. Unverzüglich verkündeten zweihundert andere Kaufleute in einer Anzeige in der Pennsylvania Gazette vom 11. Dezember, dass sie diese Noten unter gar keinen Umständen annehmen würden. Eine an die gesetzgebende Versammlung von Pennsylvania gerichtete Beschwerde »brachte vor, dass das Recht der Geldausgabe, in welcher Form auch immer, allein bei der Gesetzgebung liege und dass die ›Machenschaften von Privatleuten‹ nur das Allgemeinwohl untergraben würden«.17


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Die monetäre Ursache der amerikanischen Revolution Die monetäre Unterdrückung durch die Lords of Trade war eine Hauptursache für die amerikanische Revolution. Bullock betonte, es könne kaum ein Zweifel daran bestehen, dass die Gesetze von 1751 und 1764, welche die Ausgabe der credit bills weiter unterdrückten, nicht wenig zum Bruch mit dem Mutterland beitrugen. Als Franklin 1776 vor dem Unterhaus befragt wurde, brachte er seine wohlüberlegte Meinung zum Ausdruck, dass ein Grund für die Ungeduld und Respektlosigkeit der Kolonien gegenüber der Autorität des Parlaments in dem »Verbot der Papiergeldausgabe« lag. Dieser Tatsache haben die meisten amerikanischen Historiker zu wenig Beachtung geschenkt.18 Ein weiterer Vertreter der Warengeldtheorie meinte, die Verbitterung, die eine Folge dieses Konfliktes war, sei zweifellos eine Hauptursache der Revolution gewesen.19 Doch die engstirnigen und selbstsüchtigen Londoner Kaufleute und Bankiers, die zu jener Zeit die Regierung beeinflussten, verweigerten den Kolonien ihr eigenes Geldsystem. Entsprechende Anordnungen wurden nach Amerika gesandt, um das Kolonialgeld abzuschaffen und das falsch benannte »nationale« Geld, das in Wirklichkeit privates (englisches) Geld war, einzuführen. Die Durchsetzung dieser Politik – so Del Mar – war die Ursache der Revolution.20 Um 1773 überdachte London dieses Vorgehen und räumte den Kolonialgesetzgebern mehr Freiheit bei der Ausgabe verschiedener Geldformen ein. Doch diese Zugeständnisse genügten nicht und kamen zu spät. Die Kolonisten wiesen jede parlamentarische Einmischung in ihre Geldkontrolle zurück. 21

Die continental currency – der Lebensnerv der Revolution Am 5. September 1774 trat der erste Kontinentalkongress in Philadelphia zusammen, am 10. Mai 1775 der zweite. Zuvor war es in Massachusetts zu Zusammenstößen gekommen. Eine der ersten konkreten Maßnahmen des zweiten Kongresses (am 22. Juni) war die Ausgabe von Schuldscheinen – der continental currency – in


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Höhe von $ 2 Millionen.* Zunächst verpflichteten sich die Kolonien, diese nicht verzinsten Scheine gegen Münzgeld im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Einwohnerzahl einzulösen. Jene, die die Geschichte falsch interpretieren und privates Geld unterstützen, haben die continental currency diffamiert und verspottet. In Wahrheit jedoch waren die continental currency und die amerikanische Revolution untrennbar miteinander verbunden. Der Kongress bewilligte schließlich eine Gesamtausgabe von $ 200 Millionen und überschritt diese Grenze auch nie. Der Beginn der Revolution wird traditionell auf die Schlachten von Lexington und Concord datiert. Del Mar widersprach dieser Ansicht: »Die Schlachten von Lexington und Concord waren triviale Akte des Widerstands, die vor allem die Beteiligten betrafen und für die Versöhnung möglich gewesen wäre; doch die Schaffung und Zirkulation von Schuldscheinen durch die revolutionären Kolonialversammlungen in Massachusetts und Philadelphia waren die Taten eines ganzen Volkes, und da sie den hartnäckigen Bemühungen der Krone um Unterdrückung des Papiergelds auf dem Fuße folgten, stellten sie für diese so verachtenswerte und beleidigende Akte dar, dass danach jede Versöhnung ausgeschlossen war. […] Für die Krone gab es nur noch eine Vorgehensweise, und zwar die Niederschlagung und Bestrafung dieser rebellischen Akte. […] Deshalb waren die credit bills jener Zeit, die aus Ignoranz und Vorurteilen als bloße Instrumente einer rücksichtslosen Finanzpolitik abgetan wurden, in Wirklichkeit die Maßstäbe der Revolution. Ja, sie waren mehr als das: Sie waren die Revolution selbst!« 22 Grenzen der nationalen Währung

Die continental currency war nicht als dauerhaftes System konzipiert, und ihr Einfluss wurde durch mehrere wichtige Faktoren begrenzt: Erstens schnitt sie die finanzielle Macht Englands von den Kolonien nicht ab, da englisches Gold und Silber in den Kolonien nach wie vor als Geld verwendet werden konnte. Zweitens war der Kongress nicht gesetzlich befugt, Geld als gesetz* Folgender Text wurde auf die Scheine gedruckt: »Dieser Schein berechtigt den Inhaber zum Erhalt von zehn spanischen gerändelten Dollar oder demselben Wert in Gold oder Silber, entsprechend den Resolutionen des Kongresses, der in Philadelphia am 10. Mai 1775 tagte.«


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liches Zahlungsmittel zu schaffen. Es gab weder Gerichte noch eine Polizei. Der Kongress verfügte auch über keine gesetzliche Steuererhebungsbefugnis. Drittens behielten die einzelnen Staaten ihr Recht zur Schaffung eines gesetzlichen Zahlungsmittels und verliehen der continental currency nur langsam, einer nach dem anderen, den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels. Noch 1777 forderte der Kongress einige Staaten auf, diese Währung endlich ganz zum gesetzlichen Zahlungsmittel zu erklären. Viertens hatte die continental currency keinen höheren Stellenwert als die elf anderen Papierwährungen, die nach wie vor von den elf Einzelstaaten ausgegeben wurden. Die Währung wurde in Einheiten von $ 1⁄3 bis $ 80 ausgegeben. Anfangs wurden die Scheine von Hand numeriert und einzeln unterzeichnet. Für diese Aufgabe waren eigens 28 Bürger von Philadelphia ernannt worden, die für jeweils 1000 unterzeichnete Scheine $ 1,30 als Bezahlung erhielten. Die militärische Bedeutung der Noten wurde erkannt, und die Drucker wurden vom Militärdienst befreit. Ende 1775 beliefen sich die Außenstände auf etwa $ 6 Millionen in continental currency sowie auf $ 3,8 Millionen in der Währung der einzelnen Kolonien und $ 9,2 Millionen in Münzgeld.23 Die continental currency war vor allem zur Deckung der revolutionären Kriegsausgaben an die Kolonien verteilt worden. Am 4.Juli 1776 verabschiedete der Kontinentalkongress die Unabhängigkeitserklärung, das bedeutendste Schriftstück der amerikanischen Geschichte. In einer zusätzlichen Resolution wurde jeder zum Staatsfeind erklärt, der sich weigerte, die continental currency als Zahlungsmittel anzunehmen, und George Washington wurde ermächtigt, solche Personen festnehmen zu lassen und ihre Vorräte zu konfiszieren. Zunächst zirkulierte die continental currency mit gutem Erfolg. Ende 1776 wurden die Noten nur 5 % unter den Münzen bewertet. Die massive Fälschung der continental currency durch die Briten

Eine der Waffen der Briten war die Münzfälschung. Als sie die Niederlande um die Kontrolle über Neuamsterdam (New York) bekämpften, überschwemmten sie die Kolonie mit indianischen Wam-


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pums, die von den Niederländern als Geld verwendet wurden. Die englische Regierung, die anscheinend die Manie hatte, das Papiergeld ihrer Feinde zu fälschen, trat damit in Konkurrenz zu privaten Verbrechern.24 Im Januar 1776 (oder vielleicht auch früher) produzierte eine Druckerpresse an Bord der HMS Phoenix, die mit 44 Kanonen im Hafen von New York lag, Fälschungen der 30-$-Note.25 Als General Howe 1776 New York einnahm, wurde die Stadt zum Zentrum der Geldfälschung. Riesige Mengen wurden dort offen gedruckt. Am 14. April 1777 erschien in der New Yorker Zeitung H. Gaines Gazette die folgende Anzeige: »Personen, welche in andere Kolonien gehen, können sich mit einer beliebigen Anzahl gefälschter Kongressnoten zum Papierpreis je Ries (etwa 500 Bogen) ausstatten. Aufgrund ihrer tadellosen und präzisen Ausführung besteht keine Gefahr bei der Verwendung dieser Noten, da es fast ausgeschlossen ist, ihre Unechtheit festzustellen. Dies wurde durch zahlreiche Noten bewiesen, die bereits erfolgreich im Umlauf sind. Anfragen diesen Monat zwischen 11 und 16 Uhr an Q. E. D. im Coffee House.«26 Benjamin Franklin, seinerzeit einer der besten Drucker in Amerika, bemerkte hierzu: »Die Künstler, die für diesen Zweck beschäftigt wurden, leisteten so ausgezeichnete Arbeit, dass riesige Mengen dieser von der britischen Regierung in New York ausgegebenen Fälschungen unter den Einwohnern aller Staaten zirkulierten, bevor der Betrug aufflog. Dadurch wurde die gesamte Menge der Währung erheblich abgewertet.«27 In der Versammlung vom 30. Juli 1777 wurde berichtet, dass am 3.Juli eine große Menge in England hergestellter continental currency in britischen Kriegsschiffen nach Amerika gebracht worden sei. Es wurde aufgedeckt, dass ein britischer Armeetrain mit Kleidung und Proviant für die britischen Gefangenen in Lancaster, den General Howe unter einer Waffenstillstandsflagge im Januar 1778 von Philadelphia aus entsandt hatte, voll mit gefälschter continental currency war.28 Im allgemeinen wurden die gefälschten Noten von den Kolonisten weitergegeben, die England unterstützten. Die Lage spitzte sich derart zu, dass man es zu einem späteren Zeitpunkt (im Januar 1779) für erforderlich hielt, zwei Ausgaben der continental currency in Höhe von $ 10 Millionen offiziell aus dem Verkehr zu ziehen.29 Im April 1780 wurden zwei britische Schiffe –


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die Blacksnake und der Morning Star – bei Sandy Hook aufgebracht, die beide eine große Menge Falschgeld geladen hatten. General Clinton bemerkte in einem vertraulichen Brief an Lord George Germaine um 1781, »dass die von Ihrer Lordschaft vorgeschlagenen Versuche unternommen wurden und kein Beitrag, der aus der Macht des Goldes oder der Kunst des Fälschens abgeleitet werden kann, unversucht blieb; dennoch kam die Währung nicht zu Fall«. Im März 1778, nach drei Kriegsjahren, wurden $ 2.01 continental currency mit $ 1 Münzgeld bewertet. Ende 1778 behielten die continentals nur noch 1⁄5 bis 1⁄7 ihres Wertes gegenüber Münzgeld, Ende 1779 nur noch 1⁄25 (4%).30 Im Mai 1780 wurde die Währung gegenüber Münzgeld in Massachusetts nur noch mit 1⁄75 und in Pennsylvania mit 1⁄120 bewertet. Dennoch blieb sie im Umlauf. Diese massiven Fälschungen von continentals durch die Briten werden von den Befürwortern des privaten Geldes oder des Warengeldes überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Diese Fälschungen zeigen, dass das britische Establishment – entgegen seiner Behauptung, die Ausgaben der Bank of England hätten keinen Einfluss auf die Preise – sehr wohl erkannt hatte, wie eine übergroße Geldmenge ein Geldsystem zerstören kann. Der Zusammenbruch der continental currency

Die Konföderationsartikel wurden am 9. Juli 1778 ratifiziert. Am 1. September 1779 genehmigte die Konföderation eine Obergrenze von $ 200 Millionen für die Emission der continental currency, deren Wert bereits um über 90 % gegenüber Münzgeld gesunken war. Von großer Bedeutung ist die Tatsache, dass diese 200-$-MillionenGrenze nie überschritten wurde.* Wie sich auch am Beispiel nachfolgender monetärer Aktionen zeigt, können die USA in dieser Hinsicht ausgezeichnete Leistungen vorweisen: Sie schufen niemals nicht genehmigtes Geld und emittierten häufig sogar weniger, als genehmigt worden war. Die Einzelstaaten hatten die Ausgabe ihrer eigenen Papiernoten auf der Basis der continental currency fortgesetzt. 1778 forderte der * Dies, obwohl 248 Millionen emittiert wurden. Die Differenz erklärt sich aus den beschädigten Banknoten, die ersetzt werden mussten.


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Kongress die Staaten auf, ihre Notenausgaben einzustellen, doch nur Delaware und Maryland folgten diesem Aufruf. Zwischen 1775 und 1783 beliefen sich die Notenausgaben der Einzelstaaten insgesamt auf: Massachusetts: Connecticut: New Jersey: Delaware: Virginia: South Carolina:

$ 3 868 000 $ 1 516 500 $ 1 618 000 $ 146 500 $ 128 441 000 $ 33 458 926

Rhode Island: New York: Pennsylvania: Maryland: North Carolina:

$ 714 000 $ 1 161 250 $ 4 325 000 $ 950 000 $ 33 325 000

Gesamtemissionen der Einzelstaaten: $ 209 524 776 31

Nach einer – wahrscheinlich sehr konservativen – Schätzung von Thomas Jefferson zirkulierten außerdem noch $ 200 Millionen britische Fälschungen. Vielleicht werden die Briten eines Tages offenlegen, wieviel Geld von ihnen gefälscht wurde (falls sie es wissen). Es könnte sich dabei sogar auch um Milliardenbeträge gehandelt haben. Ein weiteres Problem entstand dadurch, dass die Staaten begannen, die Ausgabe der continentals einzuschränken. Bereits im Oktober 1777 beschränkte Massachusetts seine Befugnis, die Währung zum gesetzlichen Zahlungsmittel zu erklären, und hob im Juni 1781 die gesetzliche Zahlungsmittelfunktion der continentals innerhalb des Staates auf. Im März 1781 war der Wert der continentals gegenüber Münzgeld auf 500 : 1 gefallen, später sogar auf 1000 : 1. Im Mai 1781 schrieb Washington den letzten Eintrag über das Papiergeld in sein Tagebuch. Von da an wurde der Unabhängigkeitskrieg mit französischer Unterstützung auf der Grundlage von Münzgeld fortgesetzt. Die continentals hatten die Nation durch sechs Jahre der Revolution geführt, bis fünf Monate vor ihrem triumphalen Ende. Der französische Faktor in der Revolution

Die Unterstützung durch Frankreich war grundlegend. Frankreich war das erste Land, das die Vereinigten Staaten im Jahre 1778 offiziell anerkannte. Der französische Aristokrat Beaumarchais war ein


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bedeutender Förderer der Revolution und steuerte persönlich etwa $ 1 Million bei. Manchmal wirkte die Revolution mehr französisch als amerikanisch. So klagte der französische Colonel du Portail, ein Brigadegeneral in der amerikanischen Armee, in einem Brief an den Comte St-Germain: »Dies ist ein träges Volk, ohne Energie, ohne Kraft, ohne Leidenschaft für die Sache, für die sie kämpfen. […] In jedem beliebigen Pariser Café ist die Begeisterung für die Revolution hundertmal größer als in den ganzen Vereinigten Staaten.«32 Die französische Regierung gewährte der neuen Nation ein Darlehen von $ 7,9 Millionen. Nach einer Schätzung aus dem Jahre 1786 stellte Frankreich für die amerikanische Revolution insgesamt $ 256 Millionen zur Verfügung.33 Jefferson schätzt die amerikanischen Gesamtausgaben auf $ 170 Millionen. Englands Ausgaben beliefen sich auf £ 97,6 Millionen (etwa $ 500 Millionen). In mehr als einer Hinsicht ist die Freiheitsstatue im Hafen New Yorks das Verdienst Frankreichs. Die schwerste Stunde der Revolution

Die Anerkennung des französischen Beitrages zur amerikanischen Revolution schmälert freilich nicht die großen Leistungen der amerikanischen Revolutionsführer. Im Juni 1780 war jedoch ein Zeitpunkt gekommen, an dem alles verloren schien. In den Jahren 1778 und 1779 waren nur $ 151 666 an Gold und Silber, die für Einkäufe im Ausland benötigt wurden, bei der Finanzbehörde eingegangen. Die Bürger überschütteten die Kongressversammlung von 1780 mit Anträgen auf Steuerbefreiung, was Thomas Paine mit den folgenden Worten kommentierte: »Eine Erklärung, dass sie mit ihrem Leben und Vermögen für die Ziele einstehen würden, […] hätte sich viel besser angehört.« Zu diesem Zeitpunkt erreichte den Kongress ein Brief von General Washington. Paine, der damals parlamentarischer Mitarbeiter war, verlas den Brief vor der Versammlung. Washington warnte darin davor, dass jederzeit eine Meuterei ausbrechen könne. Hierzu Paine: »Als der Brief verlesen wurde, spürte ich eine verzweifelte Stille im Saal. Ziemlich lange sprach niemand ein Wort. Schließlich erhob sich ein Mitglied, dessen Standhaftigkeit in schwierigen Situationen ich sehr schätzte, und sagte: ›Wenn die in diesem Brief ge-


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schilderte Lage der Wirklichkeit entspricht, […] so erscheint mir eine Fortsetzung des Kampfes vergeblich. Wir können ebenso gut gleich aufgeben, nicht erst zuletzt.‹« Und weiter Paine: »Infolge der Währungsabwertung, der schleppenden Steuereingänge und der Anträge auf Steuerbefreiung war die Staatskasse bankrott und die Regierung zahlungsunfähig. Der einzige Ausweg, der noch blieb und Erfolg versprach, war privater Kredit. Ich nahm mein Gehalt, das mir als Angestelltem zustand, und schrieb an einen Gentleman dieser Stadt, Mr. Blair McLeneghan, einen Brief, dem ich 500 Dollar (continentals) beifügte. In dem Brief erwähnte ich die Zustände und Washingtons Schreiben […] und die dringende Aufforderung an die Bürger, sich nun für ihre Sache ganz einzusetzen, was sie auch zweifellos tun würden, wenn ihnen die Notwendigkeit beigebracht würde; die Regierung sei dazu nicht imstande. So bat ich Mr. McLeneghan, in seinem Freundeskreis für eine freiwillige Spende zu werben.«34 Mr. McLeneghan informierte seine Bekannten in einem Kaffeehaus über den Brief. Er und Robert Morris spendeten jeweils £ 200 in Münzen. Neun Tage später spendeten in der City Tavern schließlich noch weitere Personen £ 1360 in continental currency und beschlossen bei diesem Anlass, mit dem Geld eine Bank mit einem gezeichneten Kapital von £ 300 000 zu gründen. Der Kongress hinterlegte £ 15 000 als Wechsel und stellte weitere Summen in Aussicht. Die Bank war befugt, mit 6 % verzinste Noten auszugeben. Sie nahm ihre Tätigkeit am 17. Juli 1780 auf und investierte in Lebensmittelvorräte, die an die Armee verteilt wurden, und besonders in die Rekrutierung.35 Ein Jahr später, im Februar 1781, wurde Robert Morris vom Kongress zum Leiter der Finanzverwaltung ernannt. Am 17. Mai legte er dem Parlament einen Plan zur Gründung der Bank of North America vor, der am 26. Mai mit einer Stimme Mehrheit verabschiedet wurde. Diese Bank sollte mit einem Kapital von $ 400 000 (1000 Anteile zu jeweils $ 400) ausgestattet werden. Das Zeichnungskapital der früheren Bank wurde auf die Bank of North America übertragen. Bis Oktober 1781 waren allerdings nur $ 70 000 eingezahlt worden. Da traf plötzlich eine französische Fregatte mit $ 470 000 Münzgeld ein. Das Geld wurde sofort bei der Bank hinterlegt. Die Regierung besaß 633 der 1000 Anteile (siehe auch Seite 294). Die


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Noten galten zwar nicht als gesetzliches Zahlungsmittel, wurden aber von den Vereinigten Staaten für die Bezahlung von Steuern und Abgaben akzeptiert. Der Bank wurde das Vorrecht der Notenemission eingeräumt, von dem sie jedoch erst im Januar 1782 erstmals Gebrauch machte. In der Zwischenzeit, am 19. Oktober 1781, kapitulierten die britischen Truppen unter Cornwallis bei Yorktown. Damit war die Revolution gewonnen.

Der insgesamt bemerkenswerte Erfolg der continental currency Die Einführung einer nationalen Währung durch eine neu gegründete Nation ist selbst in Friedenszeiten schwierig. Wieviel schwieriger muss es also gewesen sein, elf Staaten im Krieg mit einer Großmacht zur Aufgabe eines Großteils ihrer Souveränität – der Geldmacht – zu bewegen! Berücksichtigt man auch noch die englischen Fälschungen und die Notwendigkeit, einen Revolutionskrieg gegen eine Großmacht zu führen, ist es ein Wunder, dass die continental currency so erfolgreich war, und dies erst noch so lange. Die Bedeutung der continentals wurde allgemein anerkannt. So ist bei Samuel Breck etwa von »ihrer gewaltigen, wenn nicht sogar unverzichtbaren Hilfe bei unserer Erlangung der Unabhängigkeit«36 die Rede. In seinen Kriegsaufzeichnungen legte Franklin seine Sicht dar: »Diese Wirkung der Papierwährung wird auf dieser Seite des Ozeans nicht verstanden. Selbst den Politikern ist es ein Rätsel, wie wir vier Jahre lang einen Krieg ohne Geld führen konnten und wie wir mit einem Papiergeld zahlen konnten, das auf keiner vorab festgelegten Geldmenge beruhte, die speziell zum Zwecke ihrer Einlösung angepasst wurde. Dieses Geld ist so, wie wir damit umgehen, eine wunderbare Maschine. […] Es erfüllt seine Aufgabe, wenn wir es ausgeben, und wenn wir zu einer übermäßigen Ausgabe gezwungen sind, zahlt es sich selbst durch Abwertung ab.«37 Franklin erkannte die darin liegende Ungerechtigkeit für Rentenund Gehaltsempfänger und schlug für diese Gruppe gesetzliche Regelungen vor.


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Doch niemand drückte das Verdienst der continental currency besser aus als Thomas Paine: »Jeder Stein in der Brücke, die uns in die Unabhängigkeit führte, verdient unsere Hochachtung. Doch diese Währung war ein Grundstein, dessen Nutzen nicht vergessen werden kann.«38 Die Nachwirkungen der continental currency

Tatsächlich erlitten viele Patrioten durch die continental currency Schaden. Die Gesetze, die zur Regelung der gesetzlichen Zahlungsmittel erlassen wurden, erlaubten es skrupellosen Schuldnern, ihre Schulden zu einem enormen Rabatt abzuzahlen.39 In Kriegen oder Revolutionen trugen die Menschen immer Schaden davon – viele davon am eigenen Leib; wer Glück hatte, wurde nur finanziell geschädigt. Im nachhinein hätte man durch geeignetere Maßnahmen den Missbrauch der Währung durch skrupellose Personen verhindern oder die aus dem Währungssystem resultierenden offensichtlichen Ungerechtigkeiten korrigieren können. Dies alles ändert jedoch nichts an der entscheidenden Tatsache, dass die continental currency Amerika den Weg in die Freiheit vom dekadenten Osten bahnte und die Gründung der Vereinigten Staaten erst ermöglichte. All jene, die am Ende immer noch Noten der continental currency hatten, besaßen zwar nur wertlose Scheine, doch sie hatten ihr Ziel einer eigenen Nation erreicht. Wiederum war es Thomas Paine, der den Kern dieser Tatsache am besten in Worte fasste: »Doch zu glauben, wie es manche taten, dass sie [die continental currency] sich am Ende des Krieges in Gold oder Silber verwandeln oder einen ähnlichen Wert annehmen sollte, das kam dem Glauben gleich, dass wir für unsere Kriegsführung 200 Millionen Dollar erhalten sollten, anstatt die Kosten dafür zu tragen.40


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15. Kapitel

Die Geldmacht gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten

Frühe Versuche einer widerrechtlichen Übernahme der Geldmacht Im Jahre 1781 traten die von der Revolution geschaffenen Konföderationsartikel in Kraft. Artikel 9 enthält die wichtigste monetäre Bestimmung. In ihr wird der Kongress zur Emission von sogenannten bills of credit ermächtigt. Dabei handelte es sich um Kreditbriefe, eine Art autonomes Papiergeld nach dem Muster der continental currency. Doch manche Kaufleute (damals gab es noch keine Bankiers) beanspruchten dieses Ausgaberecht für sich und versuchten deshalb vor, während und nach der Revolution, die Geldmacht an sich zu reißen. Robert Morris’ Streben nach der Geldmacht

Robert Morris (1734–1806), einer der beiden Teilhaber des Unternehmens Willing und Morris, war durch Gewinne aus dem Revolutionskrieg zum reichsten Kaufmann Amerikas geworden.1 Sein Partner Thomas Willing wurde hingegen angeklagt und als Verräter verhört. Angeblich hatte Willing den britischen Kommandanten Howe beim Versuch unterstützt, den Kongress zur Aufgabe und zum Friedensschluss zu überreden.2 Mit einer Bankengründung im Jahre 1763 versuchte Morris zum ersten Mal, die Geldmacht zu erlangen. Dieser Versuch scheiterte jedoch, weil er keine Finanzen aus dem Ausland erhielt. 1766 versuchte er zusammen mit acht weiteren Unternehmern, in Philadelphia privates Geld zu emittieren, wurde aber von anderen Kaufleuten daran gehindert (siehe Seite 282). Als nächstes versuchte Morris, die Bank von Pennsylvania für seine Ziele zu nutzen. Als ihn der Kongress im Februar 1781 zum obersten Leiter der Finanzverwaltung ernannte, sandte ihm Alexander


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Die Geldmacht gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten

Hamilton ein Gratulationsschreiben und forderte ihn auf, die Gründung einer nationalen Bank vorzuschlagen.3 Hamilton hatte im Jahre 1779, während der Revolution, seine eigenen Vorstellungen einer Company of the Bank of the United States mit einem Kapital von $ 200 Millionen und einer 10-Jahres-Charter vorgebracht. Doch dieser Plan galt als zu großspurig und fand nur wenig Beachtung.4 Während Hamilton ursprünglich für eine staatliche Bank plädiert hatte, trat Morris für eine Bank nach dem Vorbild der Bank of England ein. Zunächst verwandelte er die Bank of Pennsylvania in die Bank of North America, eine Notenausgabebank mit Geldschöpfungsbefugnis. Zwar galt das von dieser Bank emittierte Geld nicht als gesetzliches Zahlungsmittel, doch wurde es als Bezahlung für Steuern und Abgaben akzeptiert. Dasselbe Prinzip lag ursprünglich auch der Bank of England zugrunde. Das Gesetz über die Bank of North America wurde vom Kongress mit einer Stimme Mehrheit verabschiedet. Die Bank of North America

Thomas Willing wurde zum Präsidenten der neuen Bank ernannt. Die Anteilszeichnung verlief jedoch schleppend, so dass die Vereinigten Staaten letztendlich die meisten Anteile hielten: 633 von 1000 (siehe Seite 290 f.). Der Morris-Biograph Ver Steeg konstatierte zu Recht, dass Morris staatliches Geld zur Gründung einer finanziellen Institution verwendete, die – obwohl sie in die Regierung eingebunden war und unter ihrer allgemeinen Kontrolle stand – eine weitgehend private Einrichtung war. Dann überzeugte Morris offenbar den Kongress davon, dass seine persönliche Garantie für die ungehinderte Akzeptanz der Noten im Handel notwendig sei. Einige der Noten waren in Gold oder Silber bei Vorlage, andere erst zu späteren Terminen zahlbar. Das Gold und Silber stammte aus öffentlichen Mitteln.5 Da jedoch erst 1782, nach dem siegreichen Ende der Revolution, Noten emittiert wurden, genügte die Tatsache, dass diese für staatliche Steuern und Abgaben akzeptiert wurden, um sie zu einer einflussreichen Währung zu machen. Die Morris-Noten wurden in Philadelphia als Bargeld angenommen, doch $ 400 000 davon waren zu einem Rabatt von 10 bis 20 %


Die Verfassung von 1787

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in New England im Umlauf. Morris’ persönliche Garantie war außerhalb Philadelphias nicht viel wert; die Noten wurden ständig gegen Metall eingelöst, und Morris’ »Garantie« wirkte sich wahrscheinlich sogar eher negativ auf ihre Akzeptanz aus. Als Philadelphia erste Schritte unternahm, um sein bewährtes Geldsystem wieder einzuführen, versuchte die Bank of North America unter Morris und Willing, dies zu verhindern, um die Geldausgabe zu monopolisieren. Doch die Menschen hatten das alte Geldsystem noch in so guter Erinnerung, dass die Bank of North America immer unbeliebter wurde. Ende 1785 hob Pennsylvania die Charter der Bank auf, so dass sie gezwungen war, sich in Delaware eine neue Charter ausstellen zu lassen. Morris lehrte, dass Papiergeld in Gold und Silber konvertierbar sein und das Geldsystem auf dem »Interesse und Einfluss der reichen Geldbesitzer« beruhen müsse. Doch die neue Nation war von Morris’ System nicht überzeugt, und einige Kongressmitglieder versuchten, es zu demontieren. Als seine Pläne zum Aufbau von Staatsschulden im April 1783 abgelehnt wurden, zog sich Morris wieder auf seine anderen Geschäftstätigkeiten zurück, die ihn in den Bankrott führten.

Die Verfassung von 1787 Nach dem Sieg der Revolution im Jahre 1781 wurde es auf einmal deutlich, dass große Meinungsunterschiede bestanden in bezug auf die Regierungsform, mit der die gestürzte Regierung ersetzt werden sollte.6 Allgemein und vereinfacht ausgedrückt, ging es dabei um die Frage, ob die Menschen von einer Obrigkeit regiert werden müssen oder ob sie fähig sind, sich selbst zu regieren. Das Ergebnis dieses Kampfes sollte nicht nur die Regierungsform der Vereinigten Staaten bestimmen, sondern die Entwicklung der Menschheit überhaupt beeinflussen. Denn in einem autoritären System würde man den Menschen nicht zutrauen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, was dazu führen könnte, dass sich viele vielleicht wirklich so verhielten und sich selbst einengten. War dagegen mit einer Selbstverwaltung zu rechnen, so könnten viele Menschen daran wachsen und der Welt ein Beispiel sein.


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Die Geldmacht gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten

Ein Standpunkt war, dass sich das britische System zur Förderung des Wohlstandes und zur Erhaltung der Zufriedenheit der Menschen am besten eigne. Diese Auffassung vertrat die Federalist Party, der die meisten Kaufleute angehörten und die von Alexander Hamilton angeführt wurde. Obwohl ihre Anhänger unter der Unterdrückung, die von der britischen Regierung gegen die Kolonien ausging, zu leiden hatten, tolerierten sie die Formen und die Verfassung dieses Systems. Die Föderalisten waren es auch, die 1787 auf den Verfassungskonvent gedrängt hatten, der eine neue Bundesverfassung mit weiterreichenden Befugnissen für die Bundesregierung erarbeiten sollte.* Als Reaktion auf den föderalistischen Vorstoss bildete sich im antiföderalistischen Lager eine entgegengesetzte Haltung heraus. Ihre Anhänger waren innerlich zutiefst davon überzeugt, dass jene, die über die Macht verfügten, sie unweigerlich und unverbesserlich missbrauchten, und hielten es daher für unklug, mehr Macht zu übertragen, als zur Regelung öffentlicher Angelegenheiten absolut notwendig war. Zu diesen Antiföderalisten zählten die meisten Bauern mit Landbesitz. Die Verfassung stellte einen Kompromiss zwischen diesen gegensätzlichen Ideologien dar. Obwohl Hamiltons offener Wunsch nach einer britisch geprägten Monarchie auf keinerlei Unterstützung stieß, stärkte die ausgehandelte Verfassung die nationale Regierung, baute aber gleichzeitig auch ein intelligentes Sicherungssystem ein, das in Kombination mit Madisons Bill of Right eine autoritäre Staatsform verhinderte. Eine Definition der Geldmacht bleibt aus

Die Verfassung gab den Föderalisten eine stärkere Regierung und den Antiföderalisten ihr Sicherungssystem. So lebten also alle glücklich und zufrieden bis zum heutigen Tag? Nicht ganz, denn die Verfassung ließ eine Hintertür offen, durch die sich eine autoritäre Staatsform einschleichen konnte, die noch gefährlicher war als eine Monarchie, da sie weniger offensichtlich und weniger leicht zu durchschauen war. Diese Herrschaft war um so bedrohlicher, als ihr Machtzentrum außerhalb der Nation im Osten lag. * Im Unterschied zum deutschen (Föderalismus als Stärkung der Einzelstaaten) meint der amerikanische Sprachgebrauch eine Stärkung des Gesamtstaates.


Die Frage nach dem Wesen des Geldes

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Es dauerte fast zwanzig Jahre, bis Jefferson begriff, was in der Verfassung übersehen worden war: die Geldmacht. Jefferson verbrachte den Rest seines Lebens damit, gegen sie zu kämpfen. Seine Präsidentschaft wurde buchstäblich zum Kampf auf Leben und Tod gegen die Bankiers. Van Buren war der Ansicht, Jackson hätte sie im Jahre 1840 endlich erledigt, doch er war allzu optimistisch. Die Verfassung hatte es versäumt, die monetäre Macht in der neuen Nation angemessen zu definieren. Der Autoritarismus blieb zwar in politischer und religiöser Hinsicht außen vor, konnte sich aber in monetärer Form hereinschmuggeln! Van Buren erkannte dies Jahre später: »Nachdem sich die GELDMACHT [er schrieb diesen Begriff immer groß] […] erst einmal fest etabliert hatte, sollte sie die einzige Form der Aristokratie werden, die in unserem politischen System existieren konnte.« Warum aber erkannten die Verfasser eines, was das Gleichgewicht zwischen Legislative, Exekutive und Jurisdiktion betraf, so fortschrittlichen Dokuments nicht, dass eine unkontrollierte Geldmacht das ganze System gefährden und letztlich zum Einsturz bringen konnte? Verwirrung um das Wesen des Geldes

Die Antwort auf diese Frage liegt auf der Linie der Grundthese dieses Buches: Die Gründerväter, als Gruppe betrachtet, hatten kein gutes Verständnis vom Wesen des Geldes. Bis heute haben die verschiedenen Schulen der Nationalökonomie keine adäquate Definition des Geldbegriffes vorgelegt oder sich wenigstens auf einen Geldbegriff geeinigt. Das ist vielleicht das größte Scheitern der Ökonomie, denn Geld steht im Zentrum all ihrer Aussagen. So streiten sich die Ökonomen immer noch um die grundlegendste monetäre Frage:

Die Frage nach dem Wesen des Geldes Der Kampf um die Frage nach dem Wesen des Geldes tobt seit Jahrhunderten. In einem Satz zusammengefasst, geht es dabei um die Frage: Ist Geld eine konkrete Macht, die sich in einer Ware wie etwa Gold ausdrückt, oder ist es eine abstrakte gesellschaftliche Erfindung, eine gesetzliche Institution? Was bestimmt den Wert des Gel-


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Die Geldmacht gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten

des: das Material, aus dem es besteht, oder seine Verwendung im Handel, die gewissen gesetzlichen Vorschriften unterliegt? Oder ist Geld eine Mischform, eine Kombination aus diesen Faktoren? Hier zeigt sich nun die überragende Bedeutung der Definition des Geldes: Wird das Geld als Ware verstanden, die sich für den Handel eignet und ihren Wert aus »immanenten« Eigenschaften erhält, dann kann es nicht gleichzeitig als eine Schöpfung der Regierung betrachtet werden. Es ist dann eine Schöpfung von Kaufleuten und Bankiers. Wenn Geld jedoch eine abstrakte gesellschaftliche, gesetzlich verankerte Institution ist – wie in diesem Buch dargelegt wird –, dann ist es eine Schöpfung von Regierungen, mit der sich die Verfassung adäquat befassen sollte. So sollte etwa festgelegt werden, wie eine einheitliche Währung auf gerechte Art und Weise geschaffen, kontrolliert und einigermaßen stabil gehalten werden kann. Hier wird die These vertreten, dass neben den bekannten drei Staatsgewalten eine vierte staatliche Befugnis notwendig ist: die Wahrnehmung und Ausübung der monetären Macht. Der Einsatz bei diesem »Geldspiel« ist äußerst hoch, geht es doch um nichts weniger als um die Frage, ob die Verfassung einer Nation Gerechtigkeit fördert oder ob sie eine Form der Sklaverei zulässt. Wie kann man die Geldfrage beantworten?

Um auf diesem Gebiet Erkenntnisse zu gewinnen, kann man auf zwei grundlegende Methoden zurückgreifen. Die erste ist eine logische oder theoretische Methode, die zweite dagegen eine praktische, die – da sie auf Erfahrung, auf Fakten beruht – auch als empirischer Ansatz bezeichnet wird. Im monetären Bereich stützt sich dieser empirische Ansatz auf die Geschichte, denn sie kann uns die Erfahrungen zeigen, die die Menschen im Laufe der Zeit mit dem Geld gemacht haben. Die Auswirkungen von Geldsystemen kommen oft erst nach einigen Generationen zum Vorschein. Dabei sollte man nicht vergessen, dass die Erfahrung auch falsch interpretiert werden kann. Im 14. Kapitel wurden die monetären Erfahrungen der Kolonisten geschildert. Von besonderer Bedeutung war ihre Entdeckung, dass abstraktes Papiergeld – autonomes Geld – Wohlstand aufbauen kann und dass Geld als Tauschmedium dient, ohne dass es selbst ein Wertobjekt sein muss.


Die Frage nach dem Wesen des Geldes

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Der Verfassungskonvent spielt die Erfahrungen der Amerikaner herunter

Im Verfassungskonvent – er tagte von Mai bis September 1787 – spielten die enormen Vorteile der Continentals fast keine Rolle mehr, ebenso wenig wie die übrigen schmerzhaft erworbenen monetären Erfahrungen der Amerikaner. Viele Menschen betonten, dass die Continentals schließlich wertlos geworden seien; diese nebulöse Erklärung dehnten sie auf alle autonomen Geldformen aus und lehnten die Vorstellung von Papiergeld rundweg ab. Dabei sahen sie jedoch darüber hinweg, dass das Papiergeld bei der Gründung der Vereinigten Staaten von wesentlicher Bedeutung war. Der Verfassungskonvent umgeht die Geldfrage

Erst am 16. August diskutierte der Verfassungskonvent Währungsund Geldbefugnisse zum ersten Mal.7 Was die »Väter« des Konvents angeht, muss man bedenken, dass Jefferson und Paine nicht dabei waren; Franklin war so altersschwach, dass ein anderer für ihn seine Schlussrede hielt. Van Buren war erst sechs Jahre alt. Der Konvent ignorierte nicht nur die reiche monetäre Erfahrung der Nation, er schenkte auch den ausgezeichneten geldtheoretischen Werken von John Locke, Benjamin Franklin und anderen keine Beachtung. (Locke betrachtete Geld als Zeichen für Reichtum, nicht als Reichtum an sich. Ihm war klar, dass das Geld seinen Wert aufgrund einer Übereinkunft erhalten hatte.8) Die Delegierten des Verfassungskonvents interessierten sich auch nicht für die Auffassung Benjamin Franklins, der geschrieben hatte: »Wir müssen zwischen Barrengeld, das eine Ware ist, und zwischen geprägtem Geld, aus dem eine Währung besteht, unterscheiden; denn sein Wert als Ware und sein Wert als Währung sind zwei verschiedene Dinge.«9 Der Missbrauch der Geldtheorie

Leider ließen sich die Delegierten mehr von Adam Smith’ primitiven Theorien beeindrucken, die erhebliche monetäre Irrtümer enthielten und das korrupte Finanzsystem der Bank of England »legitimierten«. Smith wurde mehrmals von Konventsabgeordneten zitiert. Seine monetären Irrtümer und Ungereimtheiten hatten eine große negative Wirkung auf die Geldsysteme der Menschheit, denn Smith


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verbreitete die Vorstellung, dass Geld aus Gold und Silber bestehen müsse. Nie erwähnte er die Auffassung von Geld als gesetzlicher Institution, wie sie von den Philosophen und Juristen Berkeley, Raithby, Locke, Platon, Aristoteles und anderen vertreten wurde. Witherspoons »anonyme« Waffe

Im Vorfeld des Verfassungskonvents wurde im Jahre 1786 ein sehr eigenartiges Buch mit dem Titel Essays on Money anonym veröffentlicht. Sein einziger Zweck war, die Vorstellung von staatlichem Papiergeld »theoretisch« zu attackieren:10 »Staatliche Noten sind eine absurde Form von Geld und deshalb überhaupt kein Geld.« Es stellte sich heraus, dass das Buch von dem calvinistischen Geistlichen John Witherspoon verfasst worden war. Er nahm darin Bezug auf Lockes und Franklins Ansichten über das Geld, stellt sie jedoch falsch dar. John Witherspoon (1723–1794) war der einzige Geistliche, der die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnete. Vor seiner Immigration war er Rektor des Edinburgh College gewesen. Später wurde er Rektor der Princeton University. Durch sein Buch und seinen Einfluss richtete Witherspoon ebenso viel Schaden an wie die Kaufleute, denn auch er ließ eine Hintertür offen, durch die sich die GELDMACHT einschleichen und Amerika beherrschen konnte. Der Zusammenhang zwischen dem Calvinismus und dem fehlerhaften amerikanischen Geldsystem ist in Nordamerika ein ständig wiederkehrendes Thema. Einige Kaufleute begreifen, worum es geht

Wohl am meisten vom Geld verstanden von den Delegierten einige Kaufleute wie Robert Morris und Hamilton. Sie wollten die Geldmacht nicht der Nation überlassen, weil sie die Absicht hatten, sie selbst zu ergreifen – sie der Nation wegzunehmen, wie es bereits in England der Fall gewesen war.11 Dies sollte schon bald geschehen, wie van Buren berichtete, denn Hamilton und seine Partner schlugen als erste umfassende Maßnahme der neuen Regierung ein Finanzsystem nach dem englischen Modell vor.


To emit bills of credit

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To emit bills of credit Diese fünf »Zauberworte« enthielten die begehrte Geldmacht. Sie waren bereits Teil der Konföderationsartikel, die nun ersetzt werden sollten. Sie waren damals die Grundlage für die Ausgabe der continental currency und verschiedener anderer Kolonialwährungen. Der Ausschuss stimmte mit 9 : 2 Stimmen gegen die Aufnahme der Formulierung »to emit bills of credit« in die neue Verfassung. Die Befugnis der Geldschöpfung, die lange als Schlüsselelement des Souveräns galt, wurde also der neuen Regierung aus Rücksicht auf die Interessen der Wohlhabenden weggenommen. Diese bemühten sich sogar – allerdings vergeblich – um eine Klausel, mit der diese Befugnis verboten werden sollte. Die Verfassung schweigt sich darüber aus: Sie enthält weder ein Verbot dieser Befugnis noch Bestimmungen zu ihrer Erteilung. Mit anderen Worten: Die Regierung wurde gezwungen, »Geld« aufzunehmen, anstatt es selber zu schöpfen. Rechtschaffene Patrioten gingen davon aus, dass die Regierung echte Vermögenswerte wie Gold- und Silberwaren aufnehmen und darauf Zinsen zahlen würde. Die Kaufleute dagegen wussten, dass die Regierung schon bald bills of credit aus Papier, die ihre Privatbanken aus dem Nichts geschaffen hatten, als Kredit annehmen und dafür Zinsen an die Bankiers zahlen würde, wie es damals bereits in England üblich war. Der verfassunggebende Ausschuss räumte damit den Kaufleuten also genau das Recht ein, das er zuvor der Regierung verweigert hatte: das Recht der Papiergeldschöpfung. So konnten sie ihre eigenen Banknoten ausgeben, die nur zum Schein durch Gold und Silber gedeckt waren. Die Begrenzung der amerikanischen Geld-»Befugnisse«

Nachdem der Verfassungskonvent für die Auffassung von Geld als einer Ware, vor allem als Gold und Silber, erwärmt worden war, ergriff er geringfügige monetäre Maßnahmen. So lauteten die in der Verfassung von 1789 festgeschriebenen föderalen Geldbefugnisse: »Der Kongress soll die Befugnis erhalten, […] Geld aufzunehmen, für das die Vereinigten Staaten Sicherheit bieten (on the credit of the United States), […] Geld zu prägen sowie seinen Wert und den Wert ausländischer Währung zu bestimmen, […] Fälschungen der Wert-


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papiere und des umlaufenden Geldes der Vereinigten Staaten zu bestrafen.« Diese Bestimmungen waren so unklar, dass sich die Delegierten jahrelang öffentlich darüber stritten, welche Geldbefugnisse sie der Bundesregierung eigentlich übertragen hatten. Für die einzelnen Bundesstaaten sah die Verfassung folgende Geldbefugnisse vor: »Kein Staat soll Geld prägen oder bills of credit ausgeben oder irgend etwas anderes als Gold- und Silbermünzen als Zahlungsmittel zur Begleichung von Schulden bestimmen« (Artikel 1, Absatz 10). Den Geldbefugnissen wurde offenbar eine so große Bedeutung beigemessen, dass sie den Einzelstaaten verweigert, einer Gruppe privater Bankiers aber ohne weiteres erteilt wurden! Alexander Del Mar, der große Geldhistoriker und frühere Leiter der US-Statistikbehörde, fasste das Ergebnis dieser Verfassungsbestimmungen wie folgt zusammen: »Nie zuvor hatte ein großes historisches Ereignis ein derart klägliches Nachspiel. Eine Nation erhebt sich, um Freiheit und Souveränität für sich einzufordern. Nach gewaltigen Verlusten von Menschenleben und Vermögen werden beide Ziele erreicht. Als dann der Sieg errungen und gesichert ist, übergibt die Nation das Geld, d. h. ihr Vermögen, an Einzelpersonen, die damit tun können, was sie wollen! Sie hatten die historischen Beispiele vor Augen, die belegen, dass sich der Streit zwischen Teilen der ›Aristokratie‹ und dem Volk von Anfang bis Ende hauptsächlich am Geldsystem – diesem größten aller Verursacher von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit – entfacht hatte und sich darauf konzentrierte. […] Sie mussten nur darauf achten, dass die Saat, die sie pflanzten, natürlich und unverdorben war. Alles übrige würde dann sicher die Natur erledigen. So pflanzten sie also; und nun kann man die Früchte sehen, die ihre Pflanzen tragen! Sie pflanzten Finanzgesellschaften. Sie pflanzten privates Geld. Sie pflanzten die Befreiung von öffentlichen Belastungen. Mit einem Wort, sie pflanzten eine weitere Revolution.«12 Dies waren deutliche und leidenschaftliche Worte. Der Kongressabgeordnete Benjamin Franklin Butler drückte denselben Sachverhalt 1869 in einer Rede vor dem Kongress zur Geldfrage in andern Worten aus: »Wir staunen darüber, wie viel sie sahen; doch sie sahen nicht alles.«13 Die Verfassung vertraute also die monetäre Macht – die Befugnis, die Geldmenge bereitzustellen und zu kontrollieren – nicht ent-


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schlossen der Regierung an. Als Folge davon wartete die Geldmacht nur darauf, weggeschnappt zu werden. Alexander Hamilton ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Hamilton und der Angriff auf die Geldmacht

Die Verfassung trat im Jahre 1789 in Kraft. Van Buren beschrieb Hamiltons erste Amtshandlung als Schatzminister im Jahre 1790: Hamilton übernahm etwa $ 15 Millionen der Staatsschulden, ein Akt, der von den Einzelstaaten weder erbeten noch erwünscht war, der verfassungswidrig und ungeeignet war und der sein Ministerium ebenso unbeliebt machte wie alle anderen von ihm beschlossenen Maßnahmen. Was war daran so schlimm? Dazu wieder van Buren: Die Hauptgläubiger der Staatsschulden waren die Soldaten, die unsere Schlachten geschlagen, die Bauern, Fabrikanten und Händler, die zur Unterstützung der Soldaten für Nachschub gesorgt hatten. Als die Kongressabgeordneten, die hinter verschlossenen Türen tagten, erfuhren, dass das Gesetz verabschiedet würde, fielen – zu Land mit Pferden und zu Wasser mit Schiffen – Spekulanten über das ganze Land her und kauften große Teile der Zertifikate (zu einem Bruchteil ihres Wertes) auf. Madison versuchte gesetzlich durchzusetzen, dass für Spekulanten eine geringere Bezahlung als für die ursprünglichen Inhaber der Schuldscheine festgelegt wurde, doch wurde er überstimmt.

Die First Bank of the United States ergreift die Geldmacht Nachdem Hamilton und seine Partner die Geldmacht erfolgreich von der Regierung ferngehalten hatten, machten sie sich nun daran, sie selbst zu ergreifen. Im Februar 1791 peitschte Hamilton das Bankgesetz durch den Kongress. Die neue Bank, die sich in Privatbesitz befinden würde, sollte keine Depositenbank nach dem Amsterdamer Modell, sondern eine Notenbank nach englischem Vorbild werden. Das bedeutete, dass sie neues Papiergeld schöpfen und nicht nur die Münzgeldeinlagen ihrer Kunden verwalten und Überweisungen vornehmen würde. Der Regierung wurden 20 % der neuen Bankanteile zugewiesen.


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Das erklärt auch, warum nicht die Bank of North America für diese Funktion vorgeschlagen wurde: Weil die US-Regierung über 60 % ihrer Aktien hielt. Thomas Willing trat als Präsident der Bank of North America zurück, um Präsident der ersten Bundesnotenbank der Vereinigten Staaten (First Bank of the United States) zu werden. In schriftlichen Stellungnahmen versuchte Jefferson, Washington dazu zu bewegen, sein Veto gegen das Bankgesetz einzulegen, weil es verfassungswidrig sei; doch Hamilton erfand die »Doktrin der implizierten Befugnisse«, um die Bundesregierung mit der Befugnis auszustatten, ein Unternehmen zu gründen. Hamilton hatte gegenüber Jefferson einen Vorteil. Seine schlagkräftigsten Argumente bezogen sich darauf, dass monetäre Macht in der Gesellschaft wirklich notwendig ist, um für unvorhergesehene Notsituationen, wie etwa Kriege oder einen plötzlichen Währungsabzug aus dem Land, gerüstet zu sein. Zuvor, als im Verfassungskonvent noch die Chance bestand, dass die monetäre Macht rechtmäßig der Nation zukommen würde, war ihm kein einziger Grund für eine solche Befugnis eingefallen. Hamilton erörterte indes nicht, warum die Regierung diese Befugnis einer privaten Gruppe übertragen sollte. Dies setzte er einfach voraus, weil die Regierung kein Gold und Silber besaß – es war in privatem Besitz. Für die Bankiers war es deshalb entscheidend, dass der Verfassungskonvent die Auffassung von Geld als Ware übernahm – also Witherspoons und Smith’ primitive Anschauung, dass Geld aus Gold und Silber bestehe und die Regierung nicht ermächtigt werden sollte, Papiergeld auszugeben. In der Praxis bedeutete dies aber: Die Bank gab Papiernoten aus, die nicht wirklich durch Metall gedeckt waren. Angeblich waren sie in Münzgeld einlösbar – allerdings nur unter der Bedingung, dass nur wenige Menschen ihre Noten tatsächlich auch einlösen wollten! In der Praxis lautete die eigentliche Frage daher nicht, ob Geld eine gesetzliche Befugnis oder eine Ware war, sondern ob private Banken oder der Staat ermächtigt werden sollten, Papiergeld zu schöpfen. Wem sollten die enormen Machtbefugnisse und die großen Vorteile, die sich aus dem Vorrecht der Notenausgabe ergaben, zukommen: der ganzen Nation oder privaten Bankiers? Das war schon immer die eigentliche monetäre Frage in Amerika.


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Die Diskussion um Gold und Silber diente nur dazu, das eigentliche Anliegen der Bankiers zu verhüllen: die gesetzliche Verankerung des Geldes. Um ihren Papiernoten Wert zu verleihen, mussten sie – dem englischen Beispiel folgend – nur die Regierung dazu bringen, die Noten als Zahlungsmittel für Steuern zu akzeptieren. Eine weitere Voraussetzung war eine nicht zu große Ausgabemenge. Unter diesen Bedingungen würden die von ihnen aus dem Nichts geschaffenen Papiernoten einen Anspruch auf jegliches in der Gesellschaft vorhandene Vermögen verkörpern. Selbst wenn die Bank »treu« an Gold und Silber festgehalten hätte, wäre die Geldmacht der Nation trotzdem in den Osten übergegangen – an die europäischen Eigentümer dieser Waren: dieselben Personen, die in der amerikanischen Revolution erst kurz vorher bekämpft worden waren! Washington unterzeichnete das Gesetz, und 1791 nahm die Bank mit einer 20-Jahres-Lizenz ihre Arbeit auf. Am Tag der Anteilsausgabe waren die 25 000 Anteile der Bank innerhalb von zwei Stunden mit 4000 Anteilen überzeichnet! Lediglich ein Viertel des Kaufpreises von $ 400 für einen Anteil musste in Gold bezahlt werden.14 Der Rest konnte mit Staatsanleihen bezahlt werden: mit denselben Anleihen, die Hamilton ein Jahr zuvor benutzt hatte, um die Staatsschulden auf Kosten der Allgemeinheit zu vergrößern. Diese Beispiele verdeutlichen, woher das »Geld« der Bank wirklich stammt: von der Nation. Die Bank geht vorsichtig vor

Nachdem die First Bank of the United States ihre Arbeit aufgenommen hatte, verhielt sie sich sehr konservativ, vielleicht weil sie bemüht war, möglichst keinen Widerspruch auszulösen und sich fest zu etablieren. Unter Hamilton stiegen jedoch die Staatsschulden der USA an die Bank kontinuierlich bis auf $ 6 Millionen im Jahre 1795. Hinzu kam das Problem, dass Hamilton nie eine klare Aufstellung der Schulden vorlegte.15 Der Besitz eines Teils der Bank war für die Regierung sehr lukrativ, denn er brachte über $ 500 000 in die Staatskasse. Doch 1802 hatte die Regierung Schwierigkeiten, Staatsanleihen zur Deckung ihrer Schulden bei der Bank zu verkaufen. Sie konnte lediglich $ 122 000 aufbringen, so dass Hamilton die Regierungsanteile an der


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Bank, also 20 % der gesamten Anteile, an die Baring Brothers in London verkaufte. Die ersten Münzen der USA

Die Vereinigten Staaten prägten erst im Jahre 1794 ihren ersten Silberdollar mit 416 Gran und 1795 ihre erste Goldmünze, den $ 10 Eagle mit 270 Gran und einem Feingehalt von 11⁄12. Hamilton hatte das Wertverhältnis nach dem Beispiel Isaac Newtons auf 15 : 1 festgelegt; dadurch wurde Gold allerdings etwas niedriger bewertet als auf den britischen Märkten. Die Rückkehr von Thomas Paine

Nach seiner Rückkehr aus Frankreich, wo er die Französische Revolution unterstützt hatte, schrieb Thomas Paine im Jahre 1802: »Eine Gruppe (die Föderalisten), die ihre Ziele nicht offenlegte, hat in Amerika an Einfluss gewonnen, ja sie hat jegliche Prinzipien aus den Augen verloren, und nun beginnt sie, die Regierung als profitables Monopol und die Menschen als erblichen Besitz zu betrachten.«16 Ja, die Föderalisten drängten sogar auf Krieg. Dies veranlasste William Maclay, einen Delegierten des ersten Kongresses, zu folgendem Kommentar in seiner Tageszeitung: »Ein Krieg in der einen oder anderen Form scheint das große Ziel von Hamilton und seinen Anhängern zu sein. Zuerst führten sie einen erfolglosen Krieg gegen die Indianer im Norden. Eine Zeitlang hatten sie England im Visier. Vergeblich bemühten sie sich mit allem Nachdruck, einen Krieg mit Algier anzuzetteln. Jetzt sind offenbar die Franzosen an der Reihe.«17 Als Vorwand für einen Krieg gegen die Franzosen, die Verbündeten der amerikanischen Revolution, diente den Föderalisten der Streit um New Orleans und das Mississippidelta. Wäre es wirklich zu einem Krieg gekommen, hätte sich die First Bank of the United States infolge der dadurch massiv ansteigenden Staatsschulden fest verwurzeln können. Auf dieselbe Weise hatte sich ja schon vor ihr die Bank of England etabliert. Paine verhinderte dies, indem er Jefferson vorschlug, die Franzosen um den Verkauf dieses Gebietes zu bitten. So kam es zum Louisiana Purchase,* der die Bank davon abhielt, ihre blutgetränkten Wurzeln weiter in der Nation hineinzutreiben.


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Jefferson gewinnt letztendlich ein gutes Geldverständnis

Jefferson setzte seinen Kampf gegen die Bank fort, da er sich der Gefahren bewusst war, die von ihr ausgingen. In einem Brief vom Dezember 1803 an den Schatzminister Gallatin betonte er: Diese Institution ist einer der gefährlichsten Feinde unserer Verfassungsgrundsätze. Angenommen, es ereignete sich eine Reihe von Notfällen, so könnte eine Institution wie diese in einem kritischen Augenblick die Regierung stürzen. Jefferson, Paine und andere waren im Kampf gegen Hamilton und die Bankiers in der Tat im Nachteil, denn sie hatten in jüngeren Jahren die Anschauung vertreten, dass Geld eine Ware, also Gold oder Silber, sei. Die Tatsache, dass ihre Feinde – die Bankiers – Papiergeld schöpften, verstärkte nur noch ihre Überzeugung, dass dies zu verurteilen sei. Jefferson erkannte erst Jahre später, dass das eigentliche Problem nicht im Papiergeld, sondern in seiner privaten Ausgabe lag. Dies lässt sich an seinen späteren Briefen belegen: »Obwohl wir so töricht waren, das Feld des Umlaufmediums (Geld) privaten Individuen zum Raub zu überlassen, können wir es meiner Ansicht nach wiedererlangen. Die einzelnen Bundesstaaten sollten ersucht werden, das Recht der Papiergeldausgabe ohne zeitliche Begrenzung an den Kongress zu übertragen. Die Nation kann mit ihrer Notenausgabe nach Maßgabe ihres Bedarfes und der Grenzen der Umlaufmenge fortfahren. Diese Grenzen werden derzeit mit 200 Millionen Dollar angegeben« (Juni 1813). Zwei Jahre später: »Das Schatzamt, das kein Vertrauen in das Land hat, lieferte sich mit gebundenen Händen und Füßen den unverfrorenen und bankrotten Abenteurern und Bankiers aus, die nur vorgaben, Geld zu besitzen, und die es jederzeit hätte vernichten können. […] Denn es war nicht das Vertrauen in ihre Spekulationsblasen, das die Leute dazu bewegte, ihr Papiergeld anzunehmen, sondern das Fehlen jeglichen anderen Geldes« (Oktober 1815).18 Burr erschießt Hamilton

Hamiltons Einfluss war erschöpft, als Jefferson im Jahre 1800 die Präsidentschaftswahlen gegen ihn gewann. Im Wahlmännerkollegi* Kauf von Louisiana: 1803 haben die USA ein umfangreiches Gebiet im Süden Nordamerikas von Frankreich gekauft. (A. d. Ü.)


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um hatte Aaron Burr die entscheidende Stimme für Jefferson und gegen Hamilton abgegeben. Burr, der sehr enge Verbindungen nach Kinderhook und zu Martin van Buren unterhielt, tötete Hamilton 1804 in einem Duell, nachdem dieser ihn persönlich beleidigt hatte und er seine Entschuldigung zurückgewiesen hatte. Burr, dessen Privatbibliothek über 3000 Bücher umfasste, hatte ein ausgeprägtes Bewusstsein für monetäre Angelegenheiten. Sein Vater und sein Großvater waren Rektoren der Princeton University gewesen. Als ihn der Kongressabgeordnete Sedgwick im Februar 1791 nach seiner Meinung zu Hamiltons Bankgesetzen fragte, verwies ihn Burr auf David Humes Aufsätze über das Geld. Im Gegensatz zu Smith war Burr der Ansicht, dass bei der Verwendung von Papiergeld – wenn man sich schon einmal dazu entschlossen habe – eine Staatsbank unter Regierungskontrolle »gewisse Vorteile« böte. Die Auflösung der First Bank of the United States

Es war zum Teil auf Jeffersons Einfluss zurückzuführen, dass der Kongress 1811 die Lizenz der First Bank of the United States mit einer Stimme Mehrheit nicht erneuerte. Bei der Liquidation der Bank stellte sich heraus, dass 18 000 der 25 000 Bankanteile von Ausländern gehalten wurden!19 Damit hatte die Bank eine neue Form der von der Revolution bekämpften ausländischen Vorherrschaft ermöglicht. Dieses Vorgehen wurde öffentlich bekannt gemacht und zog scharfe Kritik nach sich. Das Ende der Bank war indes kein wirklich klarer Sieg über die Geldausgabe von Privatpersonen, denn zu jener Zeit hatten die Regierungen der Bundesstaaten bereits über 100 Privatbanken genehmigt. Die Verfassung verbot zwar die Geldausgabe durch die Bundesstaaten, doch sie verbot nicht die Geldausgabe der von den einzelnen Staaten bevollmächtigten Banken! Da diese einzelstaatlichen Banken die Bundesnotenbank aus ihrer vorteilhaften Position verdrängen wollten, trugen sie ihren Teil dazu bei, sie politisch zu demontieren.


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Die erste Geldausgabe der Vereinigten Staaten Entgegen den Voraussagen führte die Auflösung der First Bank of the United States nicht zu einer finanziellen Katastrophe. Auf Jeffersons Empfehlung begann die Regierung 1812 mit der Ausgabe von Schatzwechseln, um den Ausfall des nun nicht mehr von der Bank bereitgestellten Geldes zu kompensieren. Die erste Ausgabe von USamerikanischem Papiergeld fand im Juni 1812 statt: $ 5 Millionen in Noten, verzinst mit 5,4 %, zahlbar in Metall bei Vorlage, übertragbar von einer Partei auf eine andere durch eine Abtretungserklärung und einlösbar nach einem Jahr. Der Nennwert der Noten lag bei $ 100 und höheren Werten. Die Noten kamen in Umlauf, da sie von Gläubigern des Staates als vollwertiges Zahlungsmittel akzeptiert wurden. Auch Steuern und Abgaben konnten mit ihnen bezahlt werden. Im Februar 1813, März 1814 und Dezember 1814 wurden zusätzliche Noten mit niedrigeren Nennwerten emittiert – der kleinste Betrag war $ 20. Diese Noten waren zwar einfacher zu übertragen, aber für Währungstransaktionen immer noch ungeeignet. Abhilfe schuf im Februar 1815 die Ausgabe von unverzinslichen Inhaberpapieren, die keine Übertragungsformalitäten erforderten. Da sie zudem an keine Rückzahlungsfrist gebunden und auf Beträge unter $ 100 ausgestellt waren, kamen sie Geld im eigentlichen Sinne sehr nahe. Der Kongress erklärte diese Noten allerdings nicht zu einem gesetzlichen Zahlungsmittel. Das gesamte genehmigte Ausgabevolumen dieser Noten betrug $ 60,5 Millionen, wurde aber nur in Höhe von $ 36,7 Millionen in Anspruch genommen, $ 3,5 Millionen davon mit niedrigem Nennwert.20 Die Tatsache, dass die amerikanische Regierung nicht einmal die genehmigte Emissionsmenge voll ausschöpfte, zeigt, dass sie das Notenausgaberecht nicht missbrauchte, sondern die erste Geldschöpfung in ihrer Geschichte sehr verantwortungsvoll durchführte. Etwa einhundert Jahre später beklagte sich J. Laurence Laughlin, Förderer der Bankiers und Professor an der University of Chicago, bitter über diese Entwicklung: »Wir haben es unverkennbar mit einem Fall von bills of credit zu tun, die wie Geld umlaufen sollen. Wenn doch die Souveränität beim Volke liegt, wann hat das Volk alle Attribute der Souveränität, die ein uneingeschränkter Herrscher


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hätte beanspruchen können, an den Kongress übertragen?«21 Man hätte Laughlin fragen müssen, wann das Volk denn dieselbe Souveränität, auf die er sich bezieht, nämlich die Geldschöpfungsbefugnis, an die Bankiers übertragen habe. Die dringende Notwendigkeit einer Zentralbank

Im Jahre 1814 bestand ein Großteil der in den Vereinigten Staaten umlaufenden Währung aus den Banknoten der damals insgesamt 208 Banken in den einzelnen Staaten. Diese Noten waren theoretisch in Münzen eintauschbar, doch Münzen waren nie wirklich verfügbar, und die Einlösung war seit dem Krieg von 1812 fast überall ausgesetzt. Der Notenwert wurde hauptsächlich deshalb aufrechterhalten, weil die Regierung die Noten als Zahlungsmittel akzeptierte. Um 1814 besaß die Regierung bei 94 Banken jeweils vier verschiedene Konten: eines für lokale Banknoten, eines für Banknoten anderer Einzelstaaten und zwei weitere für Noten des US-Bundesschatzamts. Ein erheblicher Teil der Staatseinkünfte war nutzlos, da Steuern und Abgaben in einzelstaatlichen Währungen eingezogen wurden, die in anderen Bundesstaaten ungültig waren. Es herrschten chaotische Zustände. Die Geldmacht verhindert Madisons staatliche Bank

Zur Lösung dieses Problems versuchte Präsident Madison im Jahre 1814, eine zentrale Ausgabebank zu gründen. Die Währung der Bank, die sich zu 40 % in Regierungsbesitz befinden sollte, wäre durch Noten des US-Bundesschatzamts gedeckt worden. Doch diese als Dallas-Plan bekannt gewordene Maßnahme wurde vom Kongress mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt. Madison wusste, dass nur eine Zentralbank Ordnung in das Durcheinander der vielen einzelstaatlichen Währungen und Banken innerhalb der Nation bringen konnte. Deshalb unterzeichnete er schließlich ein Gesetz, das die Gründung einer neuen, privat dominierten Bank genehmigte: die Second Bank of the United States, deren Anteile sich nur noch zu 20 % in Staatsbesitz befanden.


Die üblen Machenschaften der Second Bank of the United States

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Die üblen Machenschaften der Second Bank of the United States Die Second Bank of the United States arbeitete von Anfang an illegal, da sie beim Verkauf ihrer Anteile anstelle von Gold die Banknoten der Einzelstaaten annahm. Die Bank schlug sofort eine ebenso verbrecherische wie irrsinnige monetäre Expansionspolitik ein. Im April 1817 hatte sie ihre Arbeit aufgenommen, und bereits im Juli besaß sie 19 Zweigstellen und hatte Darlehen im Wert von über $ 52 Millionen vergeben sowie weitere 9 Millionen an Umlaufwährung geschöpft – und dies alles auf der Grundlage von Reserven in Goldund Silbermünzen in der Höhe von $ 2,5 Millionen. Diese ungeheure Expansion löste einen wilden Spekulationsboom aus.22 Im August 1818 änderte die Bank abrupt ihre Strategie und leitete eine kriminelle und wahnwitzige Währungskontraktion ein, die zur Panik von 1819 führte. Sie setzte die Höhe ihrer ausstehenden Darlehen und Vorschüsse von anfangs $ 52 Millionen auf $ 12 Millionen im Jahre 1819 herab. Die Umlaufmenge ihrer Banknoten war von anfangs $ 10 Millionen auf $ 3,5 Millionen im Jahre 1820 gefallen. Das Land, besonders der Süden und Westen, wurde von einer gewaltigen Konkurswelle überrollt. Da die Bank im Süden das Gefühl der nationalen Einheit untergrub, muss sie als eine der Hauptursachen des Bürgerkrieges angesehen werden. Vermögenswerte, die den Banken und ihren Zweigstellen als Pfand für Darlehen überlassen worden waren, wurden beschlagnahmt, überall fanden Konkursverkäufe statt. Bauern und Handwerker, deren Lebenswerk enteignet wurde, zogen nach Westen. Ein Schrei der Entrüstung ging durch das Land. In Pennsylvania bildete sich unter der Leitung des Ökonomen Condy Raguet ein Ausschuss, der die Bankiers als Ursache des Problems verurteilte. Doch anstelle einer Debatte über die Frage, ob man es einem privaten Unternehmen erlauben sollte, das Geldsystem des Landes derart zu zerstören, gelang es der GELDMACHT, den Aufruhr in eine inszenierte Debatte über die Frage, ob eine »inflationäre« oder eine »solide« Geldpolitik zu verfolgen sei, umzulenken. Das Führungspersonal der Bank wurde ausgetauscht. 1823 wurde Nicholas Biddle, der ein Wunderkind in altgriechischer Philologie


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gewesen war, zum Präsidenten der Bank gewählt. Er führte sie mit größerer Sorgfalt. Präsident Jackson tritt für eine Staatsbank ein

Für Andrew Jackson und seinen Vizepräsidenten Martin van Buren war die Bank die größte Bedrohung der Republik. So heißt es in einem Brief von Jackson an Biddle: »Seit ich die Geschichte von der Südseeseifenblase gelesen habe, fürchte ich mich vor Banken.«23 Jackson trat in der Tat für die Gründung einer staatlichen Bank ein. Da er spürte, dass eine einfache Depositenbank nicht ausreichen würde, beauftragte er einige seiner ökonomisch versierten Kollegen damit, die Realisierungsmöglichkeiten einer Notenbank zu prüfen, doch sie waren nicht imstande, innerhalb von fünf Monaten entsprechende Vorschläge zu erarbeiten.24 Das von Jefferson endlich erlangte abstrakte monetäre Bewußtsein hatte bereits wieder den leichter zu begreifenden Konkreta wie Gold und Silber Platz gemacht. Jacksons Experten warnten ihn davor, dass eine staatliche Bank Darlehen nach politischen Gesichtspunkten vergeben würde. Doch wie denn sonst hätte man die Darlehen der Second Bank of the United States wohl bezeichnen sollen? Vielleicht hätte Jackson keinen Bankexperten, sondern einen Regierungsexperten gebraucht, der die geeigneten politischen Rahmenbedingungen für ein Finanzministerium ausgearbeitet hätte. Jacksons Krieg mit der Bank

Jackson hatte beabsichtigt, die Lizenz der Bank in seiner zweiten Amtszeit auslaufen zu lassen, doch das Werben der Bank um die Unterstützung des Kongresses ließ die Gefahr aufkommen, dass der Kongress dies nicht durchgehen lassen würde. Verfügt eine Bank erst einmal über die Geldschöpfungsbefugnis, kann sie diese Macht auch zum Selbstschutz durch Bestechung einsetzen. Um die Opposition zu unterdrücken, gewährte Biddle den Zeitungsherausgebern riesige »Darlehen«: Duff Green (Washington Telegraph) war nicht mehr dagegen; Webb und Noah (New York Courier und Enquirer), die erbitterte Gegner gewesen waren, wurden aktive Unterstützer, ein $-15 000-Darlehen hatte sie umgestimmt, danach weitere $ 20 000 und später noch einmal $ 15 000.25


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Sogar der »große« Daniel Webster* wird bestochen

Nachdem Biddle »Darlehen« in Höhe von insgesamt $ 32 000 an Webster gezahlt hatte, stellte er die Zahlungen ein. Daraufhin erhielt er von Webster folgende Mitteilung: »Ich stelle fest, dass mein Vorschuss nicht wie üblich erneuert oder aufgefrischt wurde. Sollte es Ihr Wunsch sein, dass mein Verhältnis zur Bank wie bislang fortgesetzt werde, so ist zu empfehlen, dass Sie mir den üblichen Vorschuss zukommen lassen. Hochachtungsvoll, Daniel Webster.«26 Im Juli 1832 stimmte der Kongress für eine Verlängerung der Lizenz. Am selben Tag kehrte van Buren von England zurück. Jackson hatte sich übernommen und war erkrankt: »Old Hickory (Jacksons Spitzname) hielt seine (van Burens) Hand fest, fuhr mit der anderen Hand durch seine weißen Locken und sagte: ›Die Bank, Mr. van Buren, will mich umbringen, aber ich werde sie umbringen!‹«27 Van Buren erinnerte sich später an diese Begegnung: »Ich habe die Dankbarkeit nicht vergessen, die er über das ganze Gesicht ausstrahlte, als ich ihm sagte, dass ich hoffte, er würde sein Veto einlegen. Nicht, dass er meine Meinung zu diesem Thema nicht schon vorher gekannt hätte, denn in all unseren Gesprächen über die Bank hatte ich mich immer gegen die damals bestehende und gegen jede andere nationale Bank ausgesprochen.« Jackson legte sein Veto gegen eine Verlängerung der Lizenz ein und wies den Schatzminister Louis McLane an, die Staatseinlagen in Höhe von etwa $ 7 Millionen aus der Bank zu nehmen. McLane lehnte dies ab und musste deshalb durch William Duane ersetzt werden, der sich ebenfalls weigerte und daher von Generalstaatsanwalt Roger Taney abgelöst wurde. Taney zog die Staatsgelder nach und nach aus der Bank und hinterlegte sie bei anderen Banken. In der Zwischenzeit verweigerte der Senat seine Zustimmung zum neuen, von Jackson ernannten Vorstand der Bank. Diese Ablehnung wurde damit begründet, dass der neue Vorstand zu viel über die Angelegenheiten der Bank wissen wolle! Biddle hatte die umlaufende Geldmenge verringert. Diese Kontraktion wurde durch die Entnahme der Staatsgelder aus der Bank * Daniel Webster (1782–1852), amerikanischer Politiker. Vertrat zuerst als Föderalist, dann als Whig die merkantilen und industriellen Interessen Neuenglands. Als Außenminister gelang ihm ein Ausgleich mit Großbritannien über die lange umstrittene Nordostgrenze der USA. (Brockhaus)


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noch verstärkt. Doch »Biddle ging weit über das hinaus, was selbst im konservativen Bankwesen als erforderlich galt«, stellte James fest.28 Von August 1833 bis Februar 1834 rief Biddle Darlehen in Höhe von über $ 18 Millionen auf. Vielleicht veranlasste die Anfechtung seiner Autorität Biddle zu weiteren unvernünftigen Schritten. So ließ er seinen Partnern überstürzte Stellungnahmen zukommen: »Mein Vorgehen ist beschlossen. Alle anderen Banken und alle Händler mögen zugrunde gehen, doch die Bank of the United States wird nicht zu Fall kommen!«29 Im Januar 1835 scheiterte ein Mordanschlag auf Jackson, weil zwei Schüsse im Nebel ihr Ziel verfehlten. Die Bank, die nicht aufgelöst werden wollte, wurde mit neuer Lizenz als Unternehmen in Pennsylvania geführt, aber später infolge eines Zusammenbruchs des Baumwollhandels liquidiert. Biddle wurde wegen Betruges angeklagt, aber – obwohl die Anteilseigner ihre gesamten Investitionen verloren hatten – nicht verurteilt. Martin van Burens* Kursänderung

Van Burens Berater hatten kein schlüssiges Geldkonzept vorgelegt. Der Wirtschaftsanalyst Daniel Raymond wies van Buren zu Recht ausdrücklich darauf hin, dass sich eine Zentralbank in Staatsbesitz befinden müsse. Zu Unrecht bestand er allerdings auf einer 100-prozentigen Deckung der Währung durch Gold und Silber. Damit lehnte er eine Notenbank ab, die das Land angesichts des zunehmenden Geldbedarfs dringend benötigt hätte, und sprach sich statt dessen für eine Depositenbank nach dem Muster der Amsterdamer Bank aus. Jackson und van Buren nahmen die Geldmacht von den privaten Bankiers weg, ohne sie jedoch wieder an die Nation zurückzugeben. Statt dessen führte van Buren das Independent Treasury System ein, mit dem 15 Unterabteilungen des Schatzamtes zur Verwaltung der staatlichen Währungen eingerichtet wurden. Von Dezember 1836 an ging die Regierung dazu über, sämtliche Zahlungen in Münzgeld zu leisten und entgegenzunehmen. Als die Banknoten der Einzelstaaten schließlich nicht mehr von der Regierung angenommen wurden, reduzierte sich ihr Umlauf erheblich. * Martin van Buren (1782–1862), achter Präsident der USA (1837–1841).


Die üblen Machenschaften der Second Bank of the United States

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Nie sind die Vereinigten Staaten einer reinen Gold-Silber-Währung näher gekommen als damals. Unter Berufung auf eine Warengeldtheorie trug van Buren, der wirklich um das Wohl des Landes bemüht war, ab 1837 zur schlimmsten Depression bei, die Amerika je erlebt hatte und die Berichten zufolge noch verheerender war als die von der Second Bank of the United States im Jahre 1819 verursachte Wirtschaftskrise. So schlecht es um die Banknoten der Einzelstaaten auch bestellt war, sie waren nach wie vor als Geld im Umlauf! Wer behauptet, kein Geldsystem auf der Basis von Gold und Silber habe jemals versagt, der sollte berücksichtigen, dass sich der Erfolg oder Misserfolg eines Geldsystems – egal, ob man Arbeiter, Bauer oder Industrieller ist – nicht am Wert einer Metallmünze bemisst, wenn der Arbeitsplatz, der Hof oder die Fabrik einer Depression, deren Ursachen im monetären Bereich liegen, zum Opfer fallen. Diese Erfahrung beweist die Notwendigkeit der Schaffung eines monetären Zuständigkeitsbereiches innerhalb der Regierung, so wie auch Exekutive, Legislative und Judikative an voneinander unabhängige Staatsorgane zugewiesen sind. Hat sich das Bewusstsein, dass Geld eine gesetzliche Institution ist, erst einmal herausgebildet, wird deutlich, dass die Geldbefugnis bei der Regierung und nicht in privaten Händen liegen muss. Van Buren begrenzte den durch seine eigene Auffassung von Geld als Ware entstandenen Schaden, indem er 1837 erneut Papiergeld ausgab. 22 Jahre waren vergangen, seitdem die USA ihre ersten eigenen Noten ausgegeben hatten. Der Kongress genehmigte eine Ausgabe in Höhe von $ 10 Millionen. Diese Noten waren allerdings im Vergleich zu den Noten von 1815 weniger praktisch, denn sie waren nur auf Nennwerte ab $ 50 ausgestellt, außerdem nur mit 0,1 bis 5 % verzinst, nur durch eine Abtretungserklärung übertragbar und innerhalb eines Jahres einzulösen. Dennoch erfüllten die Noten ihren Zweck sehr gut, machten sie doch 60 % der Staatseinkünfte zwischen 1837 und 1838 aus. Jedes Jahr stimmte der Kongress für eine Neuausgabe, bis 1843, als lediglich noch $ 10 Millionen ausstanden. Unter dem zunehmenden Druck der Banken zog der Kongress die Noten im Jahre 1850 aus dem Verkehr. Nach einer Zeit der monetären Anspannung folgte eine schwere, durch den Konkurs eines Versicherungsunternehmens aus Ohio ausgelöste Finanzkrise. Ursache für den Konkurs war der


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Die Geldmacht gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten

Untergang eines Schiffes, das unter anderem auch Gold des Unternehmens im Wert von $ 1 Million geladen hatte. 1857 musste der Kongress einer erneuten Notenausgabe zustimmen. Van Buren zog sich auf sein Gut Lindenwald in Kinderhook zurück und widmete sich mit großem Einsatz der Landwirtschaft, was ein Ausdruck seiner Grundüberzeugungen war: »Erst wenn die Landwirte ihre Geräte niederlegen und die Felder ihrer Arbeit verlassen, um mit jenen, die sie jetzt unterstützen, Geschäftsinhaber, Industrieproduzenten, Transportunternehmer und Händler zu werden, wird die Republik Gefahr laufen, dem Einfluss der GELDMACHT zu erliegen.« Zusammenfassend zeigt sich also, dass die Regierung der Vereinigten Staaten – von der Zeit des Verfassungskonvents bis zum amerikanischen Bürgerkrieg, kurz vor der Einführung der greenbacks – mit der Geldmacht gewissenhaft umging, da sie die Notenausgabe stets ordnungsgemäß und verantwortungsvoll vornahm. Demgegenüber war das Vorgehen der Privatbanken, wie im Folgenden dargestellt wird, weniger rühmlich.


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16. Kapitel

Ein Vergleich zwischen der staatlichen und der privaten Geldemission der Vereinigten Staaten Unsere Betrachtung der griechischen, römischen, byzantinischen, venezianischen, niederländischen und englischen Geldsysteme hat gezeigt, dass die Geldkontrolle immer in den Händen der höchsten weltlichen oder geistlichen Macht lag. Indes wird die Vorstellung, dass der Staat die Geldausgabe kontrollieren sollte, heutzutage unter konservativen Ökonomen in den USA mit Sicherheit nur Hohn und Spott ernten. Die monetäre Rolle des Staates steht von verschiedenen Seiten unter Beschuss. Das Spektrum der Kritiker reicht von den Vertretern privat kontrollierter Zentralbanken über die Fürsprecher des free banking bis hin zu den Anhängern des Goldstandards. Doch worauf gründen sich die Ansichten dieser Kritiker: auf Erfahrungen oder etwa nur auf früher aufgeschnappte Vorurteile? Haben private Geldsysteme wirklich bessere Ergebnisse erzielt als staatliche? Um diese Frage beantworten zu können, werden in diesem Kapitel die Ergebnisse der beiden Systeme in den USA beleuchtet und miteinander verglichen. Zunächst aber sollen die staatlich kontrollierten Systeme noch einmal kurz zusammengefasst werden.

Die Erfahrungen der USA mit staatlich emittiertem Geld Die von den Kolonien vor der Verabschiedung der Verfassung durchgeführten monetären »Experimente« fanden unter den Bedingungen eingeschränkter Souveränität und eines ständigen Kampfes auf Leben und Tod statt. Dennoch leisteten viele dieser staatlichen Papiergeldsysteme in den Kolonien hervorragende Arbeit (siehe Kapitel 14). Insbesondere vereinfachten sie den Aufbau einer effizienten Infrastruktur. Obwohl Zeitzeugen wie Benjamin Franklin und Geldexperten die Vorzüge dieser kolonialen Geldsysteme schilderten


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Staatliche und der private Geldemission der Vereinigten Staaten

und schildern, weigern sich manche Leute nach wie vor, diese Tatsachen zu anerkennen, und greifen statt dessen jene Zeitzeugen an. Unsere Untersuchung der staatlichen Continental Currency, deren genehmigte Ausgabemenge von $ 200 Millionen genau eingehalten wurde, ergab, dass sie trotz ihres vor allem durch die britischen Fälschungen verursachten Scheiterns maßgeblich zur Verwirklichung der amerikanischen Revolution und zur Erlangung der Unabhängigkeit beitrug. Weiterhin zeigte sich, dass zwischen 1812 und 1817 (nach der Schließung der First Bank of the United States) sowie zwischen 1837 und 1857 (nach der Auflösung der Second Bank of the United States) die Ausgabe von US-amerikanischem Papiergeld in Form von Schatzwechseln sehr verantwortungsvoll, effektiv und innerhalb der gesetzlich festgelegten Grenzen durchgeführt wurde. Insgesamt haben die USA daher vom Anfang bis kurz vor Einführung der greenbacks im amerikanischen Bürgerkrieg eine ausgezeichnete monetäre Bilanz aufzuweisen. Der einzige große Fehler war, dass van Buren aufgrund seiner Warengeldanschauung eine schwere Wirtschaftskrise auslöste und ab 1836 – übrigens zum letzten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten – den Versuch unternahm, eine reine Gold-und-Silber-Währung einzuführen.

Die Erfahrungen der USA mit privat emittiertem Geld In der Kolonialzeit wurden private Geldemissionen sowohl von den Kolonialregierungen als auch von der Regierung Englands vermieden und unterdrückt. Die Konföderationsartikel übergaben die Geldbefugnisse an die Regierung. Erst im Jahre 1791, also schon unter der Verfassung, hatten private Bankiers nach der Gründung der privaten First Bank of the United States Anteil an der zentralisierten Kontrolle über das Geldwesen der Nation. Die First Bank of the United States: eine Privatbank trotz föderaler Charter

Wie den meisten Berichten zu entnehmen ist, führte diese Bank ihre Tätigkeiten sehr umsichtig aus. So vergab sie nur etwa drei Kreditdollar auf jeden Dollar, den sie als Reserve hielt. Diese Reserven


Die Erfahrungen der USA mit privat emittiertem Geld

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bestanden den Berichten zufolge zu 3⁄4 aus Staatsanleihen und zu 1⁄4 aus Münzgeld. Dies war eine für den Geldbedarf der jungen Nation vermutlich sehr vorteilhafte Ausgangsbasis. Dennoch traten im Zusammenhang mit dieser Bank einige schwerwiegende Probleme auf: So versuchten etwa die Förderer der Bank einen Krieg anzuzetteln, womit sie den Staat in unabzahlbare Schulden bei der Bank gestürzt hätten. Die Leichtigkeit, mit der Paine und Jefferson durch ihren Louisiana Purchase das Kriegs-»Problem« mit Frankreich lösten, verrät das verlogene Vorgehen der Föderalisten. Die Bank gab die Kontrolle über das nationale Geldsystem in die Hände ausländischer Anteilseigner in Europa. Bei der Liquidation der Bank stellte sich heraus, dass 3⁄4 Bankanteile von Ausländern, vor allem Niederländern und Engländern, gehalten wurden. Nach der Liquidation dieser Bank im Jahre 1811 und dem Krieg von 1812 wurden zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten Geldnoten aus Papier emittiert. Die staatlich genehmigten Privatbanken

Zwar hatten mehrere Bundesstaaten – Georgia, Tennessee, Kentucky und South Carolina – jeweils ihre eigene staatlich genehmigte Bank, die sich in Staatsbesitz befand; die große Mehrheit der staatlich genehmigten Banken stand jedoch im Besitz und unter der Kontrolle von Privatpersonen. Die Reaktion der privaten state banks auf die Liquidierung der First Bank of the United States und auf den Krieg von 1812 war nicht besonders lobenswert. 1811 gab es 88 private, staatlich genehmigte Banken, die auf Vermögenswerte von $ 42,6 Millionen Anspruch erhoben. Um 1814 setzten alle diese Banken die Konvertibilität ihrer Noten in Münzen aus, doch akzeptierten sie die Noten weiterhin, da es kaum alternative Zahlungsmittel gab. »Es ist kein Wunder, dass unter solchen chaotischen Umständen die Praktiken der Banken immer unverantwortlicher, ja sogar betrügerisch wurden«, befand Nussbaum.1 Die state banks nutzten diese Aussetzung der Konvertibilität zu einer drastischen Erhöhung ihrer Anzahl – auf 208 Banken im Jahre 1815 – und ihres Forderungsvermögens auf $ 82,3 Millionen. Sie nutzten diese Aussetzung als Gelegenheit, um beträchtliche Gewin-


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Staatliche und der private Geldemission der Vereinigten Staaten

ne zu erzielen. Das damalige Chaos erlaubte ihnen, außergewöhnlich hohe Gewinne zu machen, denn sie konnten in viel größerem Umfang als unter einem soliden Bankensystem Noten ausgeben und Geld verleihen.2 Möglich waren diese Gewinne, weil die Regierung nach wie vor die privaten Banknoten der Bundesstaaten für Zahlungen annahm. Der Verlust, welcher der US-Regierung durch diese unechten Banknoten entstand, wird auf etwa $ 6 Millionen geschätzt – eine enorm hohe Summe für die damalige Zeit.3 In diesem Zeitraum erzielten die privaten Geldemittenten also durch das Drucken von Papiergeld große Gewinne. Die Rechnung dafür bezahlte aber zum Großteil die Nation. Wer kann da noch behaupten, dass die Tätigkeiten der Privatbankiers vertrauenswürdiger oder gar den Maßnahmen der Regierung vorzuziehen waren? Um dieses Chaos der staatlichen Banken künftig zu vermeiden, stimmte James Madison der Gründung der ebenfalls privaten Second Bank of the United States zu. Im 15. Kapitel wurde erläutert, wie diese Privatbank eine kriminelle Expansions- und Kontraktionspolitik verfolgte und wie sie die Nation zuerst in ein Spekulationsfieber und dann in eine deflationäre Depression drängte. Die Apologeten der Banken beschönigen dieses Debakel mit immer demselben Argument, die Bank sei in ihren Anfangsjahren schlecht geführt worden (so Knox, Laughlin und Conant). Die Reaktion der Öffentlichkeit auf diese Bank war nicht so versöhnlich. Der Bundesstaat Georgia verklagte sie, weil sie Münzgeld aus dem Verkehr gezogen hatte, und John Clark, der Gouverneur von Georgia, forderte, dass sie ein Zirkulationsmedium schaffe, das die Bürger mit dem wirklich Notwendigen versorgen würde.4 Für Archibald Murphy, den Vorsitzenden eines Gesetzgebungskomitees in North Carolina, waren die Tätigkeiten der Bank, die sowohl staatliche Banken als auch Privatpersonen in den Ruin trieben, das größte Verbrechen seit Jahren.5 Ihre Machenschaften zerstörten die nationale Einheit der jungen Nation und legten damit den Keim zum Bürgerkrieg. In Illinois verbot die Verfassung ab August 1818 alle nicht staatlich genehmigten Banken innerhalb der Grenzen des Bundesstaats. Mehrere Staaten (Georgia, Kentucky, Maryland, Ohio, North Carolina, Tennessee und Pennsylvania) verpflichteten die Zweigstellen der Second Bank of the United States zur Steuerzahlung.


Die Funktionsweise des free banking

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Am 17. September 1820 trieb ein Beamter bei einer Bankfiliale Steuergelder in Höhe von $ 100 000 ein, indem er über den Schalter sprang, sich Zutritt zum Tresorraum verschaffte und die Steuersumme gewaltsam an sich nahm. Diese Tat sorgte im ganzen Land für große Aufregung.6 In Pennsylvania wurde die Bank von einem Untersuchungsausschuss scharf kritisiert: »Eine seit der Unabhängigkeit in unserem Lande ungekannte Not herrscht im ganzen Commonwealth.* […] Die Einbeziehung der Interessen der – ohnehin schon mächtigen – reichen Geldbesitzer hat einen neuen, bösartigen Geldadel entstehen lassen, der dem Geiste der freien Regierung entgegensteht und die Rechte und Freiheiten des Volkes untergräbt.«7

Die Funktionsweise des free banking Die eigentliche Periode des free banking war der Zeitabschnitt vor 1836. Im Juli 1832 wies der Kongress den Schatzminister an, einen jährlichen Bericht über das Bankwesen in den Bundesstaaten vorzulegen. Aus der Zeit vor 1832 gibt es nur wenige, aber doch zuverlässige Kommentare über die damaligen Praktiken der Banken. Das damals beliebteste Spiel der Bankiers bestand, neben der Erhebung von Zinsen auf den von ihnen gedruckten Noten, darin, dass sie diese in Umlauf brachten, indem sie mit ihnen einkaufen gingen. Die Funktionäre und Direktoren der Banken sowie ihre Freunde, Verwandten und Geschäftspartner hatten vorrangig Anspruch auf das von ihren Banken geschaffene Papiergeld und waren auch die größten Entleiher. Ihre Banknoten wurden allgemein akzeptiert, weil sich kaum anderes Geld im Umlauf befand und, vor allem, weil sie für Zahlungen an die Regierung angenommen wurden. Der Historiker Charles J. Bullock machte folgende Beobachtungen: »Von 1800 bis 1860 lag der Wert der Banknoten zu 50 bis 68 % unter pari.« Und: »Die Bankfilialen waren an unauffindbaren Orten angesiedelt, an irgendwelchen endlosen Präriestraßen oder im tiefsten Wald, so dass eine Auszahlung der Noten schwierig oder gar * Commonwealth bedeutet hier: die US-Bundesstaaten Kentucky, Massachusetts, Pennsylvania und Virginia. (A. d. Ü.)


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Staatliche und der private Geldemission der Vereinigten Staaten

unmöglich war.« »Ein Bote, der nach South Royalston entsandt wurde, um die Zahlung von $ 10 000 in von der lokalen Bank ausgegebenen Noten zu verlangen, wurde unter einem lächerlichen Vorwand festgenommen. Auf diese Weise sollte er an der Einlösung der Noten gehindert werden.«8 Der Geldhistoriker William G. Sumner stellte fest: »Der Münzgeldbestand der Banken war unbedeutend und wurde rechtzeitig vor den Inspektionen von Bank zu Bank verschoben.«9 Sumners schärfste Kritik ist jeweils in seinen Zitaten anderer Autoren enthalten, etwa in einem Zitat von Hezekia Nile (»Die von den Banken ersonnenen schlimmen Gemeinheiten übersteigen die Vorstellungskraft ehrlicher Menschen«) oder von William Gouge (»Das Bankensystem ist die Hauptursache der sozialen Missstände in den Vereinigten Staaten«).

Gouges Darstellung des frühen Bankwesens In seinem 1833 erschienenen Buch mit dem Titel A Short History of Paper Money and Banking beschrieb William M.Gouge sorgfältig die missbräuchlichen Geschäfte der Privatbanken.10 Gouge war der Redakteur und Herausgeber des Journal of Banking und schrieb für verschiedene Wirtschaftsmagazine wie Hunt’s Merchants Magazine, The Banker’s Magazine und für das Statistical Register. Was er über das Bankwesen schrieb, wurde ernst genommen; sein eben genanntes Buch ist das maßgebliche Werk über das frühe Bankwesen der Vereinigten Staaten. Trotz seines Titels ist Gouges Buch ziemlich umfangreich. Es enthält neben vielen konkreten Beispielen auch Schätzwerte der damaligen Bankgeschäfte. Von größerer Bedeutung für die heutige Zeit ist die Beschreibung betrügerischer Prinzipien, die, wie Gouge schlussfolgerte, dem Bankwesen zugrunde lagen. Kennt man Gouges Buch, so sieht man, dass der Schaden, den das Bankwesen der Gesellschaft zufügt, keine Errungenschaft unserer Zeit ist. Dieser soziopathische Aspekt des Bankwesens ist längst erkannt und kommentiert worden.


Gouges Darstellung des frühen Bankwesens

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Wie die Banken zu »ihrem« Geld kamen

Wenn die Menschen hören, so Gouge, dass Banken ein Kapital von $ 500 000 oder $ 1 000 000 haben, glauben sie, diese Institutionen hätten wirklich so viel Geld. Doch das ist nicht wahr. Die Banken schaffen ihr Eigenkapital genauso, wie sie das Geld schaffen, das sie verleihen. Das Kapital der Banken besteht aus den Schuldscheinen von Einzelpersonen. Die Bank erhielt diese Schuldscheine von ihren Anteilseignern und gab ihnen dafür die Schuldscheine der Bank. Demnach bilden die Banken ihr Kapital, indem sie eine Art Zahlungsversprechen gegen eine andere Art Zahlungsversprechen eintauschen. Das ganze Geschäft besteht nur aus einer Papiertransaktion zwischen der Bank und ihren Anteilseignern. Die renommiertesten Banken haben ihr Kapital auf diese Weise gebildet. Spekulationen mit dem Aktienkapital

Im 18.Kapitel seines Buches hob Gouge hervor, daß ein Großteil des von den Banken praktizierten Spiels darin bestand, die Bankaktien zu manipulieren. Dies wurde durch die Eröffnung der New Yorker Börse im März 1817 erleichtert. Gouge beschrieb einige der Taktiken der Banken: Wenn eine Konzession erteilt wird, machen die Spekulanten viel Aufhebens um ihren Wunsch, diese Anteile zu besitzen, und vermitteln so den Eindruck, die Anteile seien sehr wertvoll. In New York zeichnen sie viel mehr Aktien, als angeboten werden. Ungehobelte Schurken werden von den Spekulanten angeheuert, um für sie die Anteile zu erwerben. Sie drängeln und prügeln sich vor den Ausgabefenstern, um als erste an die Reihe zu kommen. Dies beeindruckt die einfachen Leute, die ihr Geld in der Hoffnung auf satte Gewinne lieber in Bankaktien als in Land oder Häusern anlegen. Die Verluste, die den einfachen Leuten durch diese Geschäfte entstehen, sind enorm. Wie falsche monetäre Vorstellungen die Gesetzgebung beherrschen

Für Gouge ist die Tatsache, dass in Gesetzgebungsorganen falsche Ansichten über das Geldsystem vorherrschen, hauptsächlich auf den Einfluss jener Abgeordneten zurückzuführen, die ein persönliches oder politisches Interesse an der Gründung und Unterstützung der Banken haben. Der große Einfluss der Banken ist nicht offensichtlich. Nur selten lässt sich ein klarer Vertreter einer Bank oder eines anderen Geldinstituts als Kandidat aufstellen.


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Staatliche und der private Geldemission der Vereinigten Staaten

Tauchen jedoch Fragen auf, welche die Banken betreffen, setzen die Banken ihre Agenten ein, deren Aktivitäten um so wirkungsvoller sind, als sie im verborgenen arbeiten. Sie haben erhebliche Macht über die Presse. Nur wenige Journalisten wagen, das Funktionieren des Geldsystems in einer allgemein verständlichen Sprache zu erklären und dabei das Risiko einzugehen, ihre Arbeit zu verlieren. Zahlreiche Herausgeber von Zeitungen stehen in der Schuld der Banken und sind alles andere als unabhängig. Trotz der Freiheit, deren sich die Vereinigten Staaten gerne rühmen, wird eine freie und vollständige Erläuterung der Hauptursache ihrer gesellschaftlichen Missstände nicht geduldet (19. Kapitel). Banken stützen sich auf das Vermögen der Allgemeinheit

Wenn die beträchtlichen Mittel der Banken auf natürlichem Wege gebildet würden, so Gouge, bestünde kein Anlass zur Klage. Doch die Banken verdanken ihr Vermögen ihrer Konzession – also bestimmten Gesetzesakten zu ihren Gunsten – und ihren Banknoten, die für Zahlungen an die Regierung offiziell angenommen werden. Da das Vermögen der Allgemeinheit die Banken trägt und da umgekehrt die Banken keineswegs das Vermögen der Allgemeinheit fördern, da die Einlagen der Banken das Eigentum der ganzen Gesellschaft sind und da die Gewinne, die aus dem Geldumlauf entstehen, ebenfalls von der Gesellschaft herkommen, sollten sie auch der ganzen Gesellschaft zugute kommen und zur Erleichterung der Steuerlast verwendet werden (20. Kapitel). »Darüber hinaus sollte man bedenken, was einige gewonnen und andere verloren haben, nachdem zwischen 1811 und 1830 über 160 Banken zusammenbrachen.« Die langfristigen Auswirkungen dieser Bankgeschäfte

Beraubt man jemanden seines Besitzes, dies Gouges Überzeugung, so beraubt man ihn der Mittel, die er benötigt, um seine Kinder vernünftig auszubilden, und schränkt so die moralische und intellektuelle Entwicklung seiner Nachkommen über mehrere Generationen ein. So wächst das Vermögen der wenigen weiter im Verhältnis zum Zinseszins, während die Banken, denen diese ihren Reichtum verdanken, durch ihre Geschäfte die übrige Bevölkerung in Armut halten (21.Kapitel).


Maßnahmen gegen die privaten Staatsbanken

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Auswirkungen auf die moralische Gesinnung

Ohne die genauen Gründe zu kennen, haben die Menschen klar erkannt, dass der Reichtum immer mehr aus den Händen derer, die ihn aufgrund ihrer Arbeit oder ihrer Sparsamkeit erzeugen, in die Hände derjenigen wandert, die weder arbeiten noch sparen. Sie wissen zwar nicht genau, wie sich diese Übertragung vollzieht, doch sie sind sich sicher, dass sie stattfindet. In dem allgemeinen Gerangel glauben sie, dass auch ihnen ein Teil der Gewinne zusteht, und wenn sie diesen Teil nicht auf faire Weise erhalten, holen sie ihn sich mit Gewalt (22. Kapitel).

Maßnahmen gegen die privaten Staatsbanken Bostons Suffolk System

Im Jahre 1825 versuchte eine Gruppe größerer Banken in Boston, die übermäßige Notenausgabe der country banks zu beschränken. Zu diesem Zweck bildeten sie das Suffolk System, durch das die von den abgelegenen country banks ausgegebenen Noten unverzüglich zurückgesandt wurden, sofern die country banks keine Einlagen bei einer Bank der Suffolk-Gruppe unterhielten. New Yorks Sicherheitsfonds-System

Einige Bundesstaaten ergriffen Maßnahmen, um die Arbeit ihrer lokalen Banken zu verbessern. 1829 rief New York ein Sicherheitsfonds-System ins Leben. Es sah vor, dass jede Bank jährlich 1⁄2 % ihres Kapitals an das Schatzamt des Bundesstaates New York abführen musste, bis insgesamt 3 % einbezahlt waren.11 Dieser Sicherheitsfonds wurde dann vom Bundesstaat verwaltet und zur Einlösung von Banknoten verwendet, die von zusammengebrochenen Banken aus gegeben worden waren. Außerdem begrenzte der Fonds die Notenausgaben der Banken auf das Doppelte und ihre Darlehen auf das 21⁄2-fache ihres Kapitals.12 Dieses System funktionierte ausgezeichnet, doch war New York die Ausnahme; die meisten Bundesstaaten hatten kein vergleichbares System.


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Staatliche und der private Geldemission der Vereinigten Staaten

Die Free-banking-Gesetze der Bundesstaaten von 1836 Gouges Enthüllungen waren ein wichtiger Faktor beim Zustandekommen einer Reformgesetzgebung zur Regulierung des Bankwesens. Im Jahre 1836 war die Entwicklung hin zu einer Bankenregulierung nicht mehr aufzuhalten. Der Bundesstaat New York erließ die ersten entsprechenden Gesetze. Ihr Name – Free-banking-Gesetze, also Gesetze zur Liberalisierung des Bankwesens – war allerdings irreführend, denn sie bewirkten gerade das Gegenteil, nämlich eine wesentlich stärkere staatliche Kontrolle des Bankwesens. Free banking war lediglich ein Hinweis darauf, dass mit diesen Gesetzen die Notwendigkeit eines eigenen Gesetzesbeschlusses bei jeder Neugründung einer Bank abgeschafft wurde. Hier einige der wichtigsten neuen Anforderungen, die an die Banken gestellt wurden:13 – Die Banknotenausgaben wurden auf bestimmte Prozentsätze des realen Kapitals der Banken begrenzt. – Die Kapitalreserven der Banken wurden verbessert. Der Anteil der Staatspapiere stieg zu ungunsten der wertlosen persönlichen Noten der Anteilseigner der Banken. – Die Anteilseigner wurden doppelt haftbar gemacht: Sie konnten zur Zahlung einer zusätzlichen Summe in Höhe des doppelten Nennwertes ihrer Anteile aufgefordert werden, falls ihre Bank in Schwierigkeiten geraten sollte. – Effektivere Systeme zur Überprüfung der Banken und zur öffentlichen Berichterstattung wurden beschlossen. Diese Regulierung des privaten Bankwesens verlief zwar nicht problemlos, galt aber im großen und ganzen als deutliche Verbesserung im Vergleich zu der bis 1836 andauernden Phase, in der es kaum irgendwelche Regelungen gab. Die Free-banking-Ideologen – eine moderne Lektion über die Fehlinterpretation der Geldgeschichte

Die Erkenntnis, dass die wirkliche Phase des free banking vor 1836 stattfand, also bevor die verschiedenen Staaten mit dem Erlass der Free-banking-Gesetze begannen, ist von großer Bedeutung, weil moderne Free-banking-Ökonomen historisch zu begründen versu-


Die Free-banking-Gesetze der Bundesstaaten von 1836

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chen, dass das Prinzip des free banking in der Vergangenheit gut funktioniert habe und deshalb auch heute übernommen werden sollte.14 Zunächst einmal ist es lobenswert, dass sich diese Ökonomen überhaupt für die Geschichte des Geldes und des Bankwesens interessieren und die große Relevanz historischer Beispiele und Erfahrungen für den monetären Bereich anerkennen. Dieses Interesse an der Geschichte, nicht an isolierter Theorie, sollte ihnen dabei helfen, im Laufe der Zeit zutreffendere Schlussfolgerungen zu ziehen, solange sie sich an die für glaubwürdige Forschung notwendigen Prinzipien halten. Beim Versuch, ihre Schlussfolgerung (dass Banken im wesentlichen nicht reguliert werden sollten) zu begründen, sind ihnen allerdings einige gravierende methodologische Fehler unterlaufen. Das ist jedoch nicht allein ihre Schuld, denn in der ökonomischen Ausbildung fehlt die historische Forschung weitgehend. Einige dieser Wissenschaftler waren bei ihren Forschungen zu parteiisch; manche trafen ihre Schlussfolgerungen vielleicht sogar bereits vor einer Prüfung der historischen Anhaltspunkte. Ihre regierungsfeindliche Einstellung nährte das Vorurteil, dass jegliche Regulierung an sich zu verurteilen sei und man statt dessen den Banken vertrauen sollte. So traten im Zusammenhang mit den Werken der Free-banking-Schule unter anderem folgende Probleme auf: Problem 1: Die Fachbegriffe wurden nicht genau definiert. Es gibt keine akkurate und einheitliche Gelddefinition; manche verwenden eine primitive Warengelddefinition, andere nicht. Auch die Definition des free banking unterscheidet sich von Autor zu Autor. Problem 2: Die Vertreter dieser Schule meinen, theoretisch »bewiesen« zu haben, dass man unbesorgt Vertrauen in das ehrenwerte Handeln der Bankiers haben könne, denn auf diesem würden schließlich langfristig der gute Ruf der Banken und damit ihre Gewinne aufbauen. Sie vergessen dabei die enormen Möglichkeiten der Banken, kurzfristig Gewinne zu erzielen, die ihnen nicht zustehen. Diese Gelegenheiten werden ohne Rücksicht auf ethische Vorstellungen wahrgenommen. Die Menschen tun nicht immer das Richtige, wenn sie in Versuchung kommen, in kurzer Zeit viel Geld zu machen.


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Staatliche und der private Geldemission der Vereinigten Staaten

Problem 3: Von dieser grundsätzlichen Position ausgehend, durchsuchten die Free-banking-Apologeten kurzerhand die Geschichte nach empirischen Belegen für ihre Theorie. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Umgang mit der Geschichte zu überzeugenden Ergebnissen führen würde, war gering. Um zu einem schlüssigen Gesamtbild zu gelangen, muss man die Erkenntnisse, die aus der Geschichte zu ziehen sind, objektiver, in ihrem jeweiligen Kontext und unter Heranziehung mehrerer Quellen betrachten. Es kann nicht gutgehen, wenn man die historischen Fakten in eine heutige Schablone pressen will und so versucht, eine Übereinstimmung mit den favorisierten Theorien zu erzwingen. Ebenso inakzeptabel ist es, einen modernen Filter zu verwenden, der nur die gefälligen Fakten durchlässt und die unerwünschten Tatsachen zurückhält. Man kann die allgemein verbreitete Kritik, die von kompetenten Betrachtern unterschiedlicher Richtungen am Bankwesen geäußert wurde, nicht einfach ignorieren. Problem 4: Der Zeitraum von 1836 bis 1862 wurde irrtümlich als Periode des free banking klassifiziert. Richtig ist, dass die Free-banking-Phase vor 1836 stattfand, bevor die staatliche Regulierung des Bankwesens verstärkt wurde. Zwar erzielten die Banken in der Zeit nach 1836 bessere Ergebnisse, doch es ist für jedermann einsichtig, dass in dieser Zeit die staatliche Regulierung zunahm. Problem 5: Unter anderem aufgrund der lückenhaften Bankenstatistiken konzentrieren sich die Vertreter des free banking auf gewisse ausgewählte Maßnahmen der Banken, die aber kein zutreffendes Gesamtbild des Bankwesens ergeben. So versuchen sie etwa, die Summen zu schätzen, die den Deponenten durch schlechte Bankgeschäfte verlorengingen, und legen diesen Wert ihrer Beurteilung der Banken zugrunde. Auf diese Weise behandeln sie die Banken wie Depositeninstitutionen, während sie jedoch in Wirklichkeit Notenbanken waren, deren Neuausgaben die Höhe ihrer Einlagen um etwa das Zehnfache überstiegen. Die Vertreter des free banking übersehen auch den betrügerischen Umgang der Banken mit dem Aktienkapital, der, Beobachtern zufolge, ein wichtiger Bestandteil der Bankenpraktiken war.


Die Free-banking-Gesetze der Bundesstaaten von 1836

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Dieses Buch ist nicht der geeignete Rahmen, um die Definitionen, Fakten und Schlussfolgerungen der Free-banking-Vertreter einzeln abzuhandeln und ihre Irrtümer herauszustellen. Man kann dies sicher tun, falls es notwendig werden sollte, doch es wäre besser, wenn es die Befürworter des free banking selbst tun würden. Das Urteil des Volkes

Nicht nur die Expertenaussagen, sondern auch die Meinung des Volkes führte dazu, dass das private Bankwesen der Vereinigten Staaten immer mehr unter Beschuss geriet. Der Währungskommissar John Jay Knox, der den Interessen der Bankiers im allgemeinen aufgeschlossen gegenüberstand, schrieb in seinem Bericht im Jahre 1876: »Die Geschichte des Bankwesens in den verschiedenen Bundesstaaten vor dem Bürgerkrieg macht jedem klar, dass das Vorrecht der Notenausgabe zum Schaden einzelner und der Allgemeinheit missbraucht wurde. Banken wurden nur zu dem einen Zweck gegründet: um der gutgläubigen Allgemeinheit wertlose Banknoten aufzudrängen.« Diese Erkenntnis und die erfolgreiche Ausgabe der staatlichen greenbacks während des amerikanischen Bürgerkrieges überzeugte die Menschen schließlich davon, dass die Geldkontrolle eine staatliche Befugnis sein müsse: »Der Gedanke, daß der Staat sowohl Papiergeld ausgeben als auch Gold und Silber prägen sollte, hat sich beim amerikanischen Volk fest durchgesetzt« (Knox).15 Dies führt uns zu den aufregenden Ereignissen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die ebenfalls verdeutlichen, wie wichtig die Entscheidung zwischen der privaten Kontrolle des Geldsystems und staatlich geschaffenem Geld ist.


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17. Kapitel

Greenbacks – echtes amerikanisches Geld

Die beste Währung, die eine Nation jemals gehabt hat. S. G. F

Der greenback wird heute häufig mit wertlosem Papiergeld assoziiert. Dabei handelt es sich vermutlich um das beste Geldsystem, das Amerika jemals hatte. Nicht zu unterschätzende Dienste leistete es der Nation in der schlimmsten Krise der nordamerikanischen Geschichte – im Sezessionskrieg. Wie sehr die Geschichte des Geldes verfälscht wurde, zeigt sich auch daran, dass einige Leser gewiss mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen werden, dass jeder jemals gedruckte greenback letztlich so wertvoll war wie sein Äquivalent in Gold und dass jede dieser Papiernoten zu ihrem vollen Wert in Gold konvertierbar wurde.

Amerika vor dem Sezessionskrieg Das reale Wirtschaftswachstum

Das Jahrzehnt vor dem Bürgerkrieg war von einem enormen realen Wachstum geprägt:1 1850

1860

Bevölkerung

23 Millionen

31 Millionen

Produktion von: Mais Weizen Baumwolle Schienenwege

592 Millionen bushel* 100 Millionen bushel 2,5 Millionen bale 8500 Meilen

839 Millionen bushel 173 Millionen bushel 5,4 Millionen bale 30 000 Meilen

* 1 bushel = 0,03524 m3 1 bale (Ballen) = 500 US-Pfund

1 Meile = 1,609 km


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Greenbacks – echtes amerikanisches Geld

In Chicago wurden allein von McCormick jährlich 4000 mit Dampf betriebene Traktoren produziert; und es gab noch weitere 100 Hersteller. In den Häfen der großen Seen und am Mississippi herrschte enorme Aktivität. Die in Amerika gebauten Schiffe gehörten zu den besten der Welt. 1854–1855 wurden mehr als eine Million Bruttoregistertonnen gebaut – eine Tonnage, die erst 1917 wieder erreicht werden sollte. Das erste transatlantische Telegraphenkabel wurde 1866 verlegt. Chaotische Verhältnisse im Bank- und Geldsystem

Dieses dynamische Wachstum war jedoch stets von Paniken und Spekulationen auf dem Geld- und Bankensektor bedroht. Noch immer gab es keine einheitliche amerikanische Währung, und das Bankwesen war ein einziger Alptraum. Die Bankgeschäfte wurden von 1606 state banks abgewickelt, von denen jede machte, was ihr gerade einfiel. 7000 verschiedene Arten von Banknoten waren in Umlauf, von denen mehr als die Hälfte falsch war.2 Der Zustand der Noten kümmerte die Banken wenig. Solange ihre Noten noch irgendwie zusammenhielten, wurden sie nicht aus dem Verkehr gezogen. Ein großes Problem stellten gefälschte Banknoten dar. Einmal gelangten sogar die für den Druck benötigten Farben in die Hände von Fälschern, weil eine Banknotendruckerei zwangsversteigert wurde.3 Schon das kleinste mit Geld in Zusammenhang stehende Problem, ja sogar Unfälle gaben Anlass zu Runs auf Banken, deren Noten in der Regel nicht ausreichend gedeckt waren. Auch kam es häufig zu Paniken auf dem Finanzsektor. So war die Panik von 1857 zum Beispiel das Resultat des Bankrotts der Ohio Life and Trust Company, der durch den Untergang des Dampfschiffs Central America mit über $ 1 Million in Gold und Silber an Bord verursacht wurde.* Als direkte Folge dieses Unfalls setzten am 13. Oktober 1857 viele Banken die Einlösung ihrer Noten aus und verursachten damit Geschäftsbankrotte, die allein 1857 eine Höhe von $ 291 Millionen erreichten.4

* 1992 wurde das Wrack im Atlantik in einer Tiefe von 8000 Fuß lokalisiert.


Die Einführung des greenback

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Ungleiche Verteilung des Wohlstandes

Zum Bruch zwischen Nord- und Südstaaten kam es nicht von selbst. Mit eine Ursache dieser Entwicklung war die hauptsächlich von Elementen aus dem Nordosten der Vereinigten Staaten betriebene Piraterie auf dem Banken- und Finanzsektor. Darum waren es auch Stimmen aus dem Süden, die wesentlich zur Vernichtung der Bank beitrugen, als Jackson und van Buren die Second Bank of the United States bekämpften.5 Die Ansichten des Südens über den vom Norden begangenen Diebstahl fanden in den Werken von T. P. Kettle (der aus dem Norden stammte!) den stärksten Ausdruck. Kettle stellte Statistiken zusammen, um zu zeigen, dass die großen Reichtümer im Süden geschaffen und vom Norden aufgesogen wurden.6 Die südlichen Pflanzer wurden für ihre Baumwolle mit auf England gezogenen Wechseln bezahlt. Ausländische Wechsel wurden in New York gehandelt, was zur Folge hatte, dass die Südstaatler völlig davon überzeugt waren, die Spekulationen in Baumwollpapieren würden manipuliert.7 Als im April 1861 der Bürgerkrieg ausbrach, war es nur eine Frage der Zeit, bis alle Banken ihre Zahlungen aussetzten. Wieder einmal wurde es dem Staat überlassen, die Situation zu retten – diesmal mit den greenbacks.

Die Einführung des greenback Wie sollte man für die Kriegskosten aufkommen?

1861 belief sich das nationale Einkommen auf $ 4,3 Milliarden jährlich bzw. auf $ 140 pro Kopf. Die Staatseinnahmen setzten sich aus Zollgebühren und den Erlösen aus dem Verkauf staatlichen Bodens zusammen. Nur eine sehr geringe Einkommenssteuer wurde zur Deckung der Kriegskosten erlassen. So stellte die Frage, wie der Krieg finanziert werden sollte, ein großes Problem dar. Lincoln hatte Salmon P. Chase zum Schatzminister ernannt. In einem frühen Finanzierungsplan schätzte Chase die für den Krieg benötigte Summe auf $ 381 Millionen – $ 80 Millionen sollten über Steuern hereinkommen, $ 300 Millionen über Fremdfinanzierung.


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Greenbacks – echtes amerikanisches Geld

Alles Gold und Silber im Land hatte jedoch nur den Wert von etwa $ 100 Millionen. Die geplante Kreditaufnahme sollte zum größten Teil über Schatzanweisungen erfolgen. Chase schlug vor, dass diese verzinst werden sollten, und zwar mit 3,6 % für kleinere Stückelungen und mit 7,3 % für größere. Der Kongress billigte eine Kreditaufnahme von bis zu $ 250 Millionen in Form von Schatzanweisungen nach Gutdünken des Schatzministeriums. Um offizielle Zahlungsmittel sollte es sich hierbei nicht handeln, jedoch konnten sämtliche öffentlichen Abgaben, Steuern usw. mit ihnen beglichen werden. Die Schatzanweisungen waren in Gold rückzahlbar und zirkulierten zusammen mit Banknoten und Gold frei bis zum 28.Dezember 1861. An diesem Tag stellten alle Banken des Landes die Konvertibilität ihrer Noten in Münzgeld ein, und der Goldmarkt war für zwei Wochen geschlossen. Der Kongress ergreift die Initiative

Der Kongressabgeordnete E. G. Spaulding* aus New York, der dem mächtigen House Ways and Means Committee angehörte, brachte eine Gesetzesvorlage im Kongress ein, in der die Einführung eines gesetzlichen Zahlungsmittels propagiert wurde – die Einführung der greenbacks. Schatzminister Chase sprach sich gegen die Gesetzesvorlage aus und hielt auf der Suche nach Alternativen Konferenzen mit den Bankiers ab. Diese Gruppe arbeitete schon seit einiger Zeit an einem Plan, aus dem später das National Banking System hervorgehen sollte. Spaulding befürwortete dieses System zwar, erkannte jedoch, dass zu der Umsetzung in die Praxis mehr Zeit benötigt wurde. Die greenbacks betrachtete er als notwendigen ersten Schritt. * Wie folgendes Zitat aus A Resource of War (S. 37) beweist, gehörte Spaulding zu jenen, die wirklich etwas vom Geld- und Bankenwesen verstanden: »Durch lang anhaltende Praxis sind Gold und Silber für sämtliche kommerzielle Transaktionen in der Welt zum legalen Zahlungsmittel geworden. Der reale, immanente Wert dieser Metalle ist nicht so groß wie der, der ihm vom Staat zuerkannt wird. […] Ohne den Stempel der Regierung würde es sich bei Gold und Silber schlicht um Waren handeln, deren Wert von der von Handel und Produktion nachgefragten Menge abhinge. […] Warum gehen wir dann in die Wall Street, State Street, Chestnut Street oder in irgendeine andere Straße, um dort um Geld zu betteln? Deren Geld ist nicht so sicher wie staatliches Geld. […] Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass dieser Staat in der Hand irgendeiner Klasse von Menschen sein soll, seien es Bankiers oder Geldverleiher, wie respektabel und patriotisch sie auch seien. Der Staat ist stärker als sie alle […] Sie geben nur Zahlungsversprechungen aus.« (Ein Echo Jeffersons und Franklins!)


Die Einführung des greenback

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Das Gesetz, das den greenbacks den Status eines legalen Zahlungsmittels zuerkannte, wurde am 25. Februar 1862 mit 93 gegen 59 Stimmen vom Repräsentantenhaus verabschiedet. Bei den greenbacks handelte es sich nicht um das Versprechen, später »Geld« zu bezahlen. Die greenbacks selbst waren das Geld. (Dies im Gegensatz zu den Schatzanweisungen, die in den Vereinigten Staaten ab 1812 ausgegeben wurden. Sie alle waren zu einem späteren Zeitpunkt in Metall rückzahlbar.) Sie wurden vom Staat auch nicht geborgt, hatten also nicht zur Folge, dass der Staat Zinsen bezahlen musste und sich weiter verschuldete. Im Gegensatz zur continental currency konnten greenbacks nicht gefälscht werden. Die Ausgabe der greenbacks wird auf einen Wert von $ 450 Millionen limitiert

Der Kongress autorisierte das Schatzamt, unverzinsliche greenbacks im Wert von $ 150 Millionen mit Stückelungen nicht unter $ 5 auszugeben. Sämtliche an die Vereinigten Staaten gehenden Steuern und Abgaben konnten mit ihnen beglichen werden, ausgenommen Einfuhrzölle, die nach wie vor in Münzgeld entrichtet werden mussten. Auch für Forderungen an die Vereinigten Staaten musste der greenback akzeptiert werden, ausgenommen die Zinsen auf USSchatzanleihen, die nach wie vor in Münzgeld ausgezahlt werden mussten. Der greenback war bis auf die genannten Ausnahmen offizielles Zahlungsmittel für die Begleichung sämtlicher Verbindlichkeiten, gleichgültig, ob sie den Staat oder Privatleute betrafen. Am 7. Juli 1862 meldete Chase den Bedarf weiterer $ 150 Millionen greenbacks an, und der Kongress gab seiner Forderung statt. Im Januar 1863 wurden nochmals $ 100 Millionen, 1864 $ 200 Millionen genehmigt. Am 30. Juni 1864 verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das den Gesamtwert der zirkulierenden greenbacks auf $ 400 Millionen begrenzte; zuzüglich weiterer $ 50 Millionen in Scheidemünzen. Diese Summe wurde niemals überboten, obwohl zu jenem Zeitpunkt bereits greenbacks im Wert von $ 449 338 902 ausgegeben worden waren. Allerdings wurden mit einem Teil davon abgenutzte Noten ersetzt.


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Greenbacks – echtes amerikanisches Geld

Präsident Lincolns Reaktion auf den greenback

Die Bankiers versuchten nicht, gegen den greenback zu mobilisieren. Sie wollten vorerst abwarten, denn nun sollten die segensreichen Auswirkungen der neuen Währung ihre eigene Position retten und die Nation durch den Krieg bringen. Präsident Lincoln sagte nur wenig Gutes über den greenback und legte Wert auf die Feststellung, dass diese Noten weder seinen Vorstellungen noch denen der Republican Party entsprachen. Im Dezember 1862 vertrat er in seiner jährlichen Ansprache an den Kongress die Position, eine Rückkehr zur Zahlung in Münzgeld zum frühestmöglichen Zeitpunkt sollte nie aus den Augen verloren werden. Kurz darauf, am 17. Januar 1863, als er dem Kongress zur Verabschiedung des National Banking Act riet, äußerte er sich wie folgt: »Eine einheitliche Währung, in der Steuern, Zeichnungen für Anleihen sowie alle anderen gewöhnlichen öffentlichen und privaten Abgaben beglichen werden können, ist unverzichtbar. Gestellt werden kann solch eine Währung von Bankenvereinigungen, die unter einem Gesetz des Kongresses organisiert sind.« Lincoln unterstützte also das Privileg der Bankiers, Geld zu schöpfen. In derselben Rede entschuldigte er sich gar für weitere Ausgaben von greenbacks: »Ich betrachte es als Pflicht, meinem ernsthaften Bedauern darüber Ausdruck zu verleihen, dass eine zusätzliche Ausgabe von US-Noten so beträchtlichen Ausmaßes für nötig erachtet wurde, obwohl durch den Umlauf dieser Noten zusammen mit denen der suspendierten Banken ein Überfluss geschaffen wurde, dass schon eine Erhöhung der Preise zu verzeichnen ist.«8 Zwei halbwegs positive Stellungnahmen von Anhängern der Warengeldtheorie

William Graham Sumner von der Universität Yale, der nicht grundsätzlich gegen die Ausgabe von greenbacks war, musste zugeben, dass die Menschen in den Vereinigten Staaten aus patriotischen Gründen am greenback hingen, da sie glaubten, er sei der Grund für die Rettung des Landes. Er erkannte auch, dass »die Währungsfrage von größter Bedeutung ist und wir dieses Problem nicht lösen oder ihm entkommen können, indem wir es ignorieren. Wir müssen uns da-


Die Entwicklung des greenback und der Preise

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mit auseinandersetzen, und der am meisten Erfolg versprechende Weg ist nicht, über rein auf Spekulation gründende Meinungen oder nie erprobte Programme zu streiten, sondern die Geschichte nach einigen definitiv bewiesenen Prinzipien zu durchforsten.«9 Vielleicht wurde der junge Bergbauingenieur Alexander Del Mar, der spätere Leiter des Government’s Bureau of Statistics, gerade durch diesen Absatz dazu inspiriert, sich über lange Zeit hinweg umfassend mit der Entwicklung des Geldwesens zu befassen – eine Tätigkeit, zu der sich Sumners »Wirtschaftswissenschaftler« nie herabließen. Diese Wirtschaftswissenschaftler verlegten sich darauf, fast schon wie eine Priesterschaft schützend die Hand über die Bankiers zu halten, anstatt – wie es sich für ihren Berufsstand geziemt hätte – Kenntnisse über Geld, Wirtschaft und das Bankwesen anzustreben und weiterzugeben. Wie Sumner war auch Charles Bullock von der Universität Harvard ein Anhänger der Warengelddefinition, seine Kommentare zum greenback waren jedoch nicht nur negativ. So stellte er fest, dass die greenbacks nicht für ihren anfänglichen Wertverlust gegenüber dem Gold verantwortlich zu machen waren, indem er darauf aufmerksam machte, daß die Rohstoffpreise in greenbacks im Dezember 1862 nicht gestiegen waren. Nicht der greenback hatte an Wert verloren, sondern das Gold an Wert gewonnen.

Die Entwicklung des greenback und der Preise Das Gold steigt gegenüber dem greenback

Die Gegner des greenback behaupten, er habe die Inflation angeheizt. Sie begehen bei der Bewertung dieser Papierwährung den Fehler, ihren Wert mit dem Goldwert zu vergleichen, indem sie darauf hinweisen, dass greenback und Golddollar Anfang 1862 im Wert identisch waren, dass sich der Wert des greenback im Vergleich zum Goldwert Mitte 1864 jedoch schon auf 36 Cent verringert hatte. Da sich ihre Analyse meistens auf diese Feststellung beschränkt, entsteht ein falscher Eindruck. Zu Beginn gingen die greenbacks im Vergleich zum Gold wirklich zurück: auf 58 Cent Ende 1862, wieder etwas hinauf auf 82 Cent Mitte 1863 und dann, am 16. Juli 1864, hinunter auf ein erneutes kurzes Tief von 36 Cent.


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Greenbacks – echtes amerikanisches Geld

Von diesem Zeitpunkt an stieg der greenback kontinuierlich auf durchschnittlich 39 Cent im August, 45 Cent im September und auf 48 Cent im Oktober 1864. Nach einem Rückfall auf 44 Cent im Dezember 1864 hatte er sich ein Jahr später auf 68 Cent erholt. Von diesem Zeitpunkt an stieg er wieder stetig an – bis zum völligen Verschwinden des Goldagios im Dezember 1878. Im Januar 1879 wurden die greenbacks – Dollar für Dollar – frei in Gold konvertierbar. Ein simpler Vergleich des greenback mit dem Gold kann jedoch kein korrektes Bild vermitteln. Die Tatsache, dass für den greenback die Goldeinlösepflicht eingeführt wurde, war nicht zwangsläufig eine gute Sache, sondern wohl das Schlimmste, was der Währung und der Nation passieren konnte, wie wir noch sehen werden. Die Ausgabebegrenzung erhöht und stabilisiert den Wert des greenback

Manche Wirtschaftswissenschaftler behaupten fälschlicherweise, dass sich der Wert des greenback nur wegen der Einführung der Goldeinlösepflicht stabilisiert und gehalten habe. Das sogenannte Resumption Law war jedoch das Resultat eines auf politischer Ebene mit harten Bandagen ausgefochtenen Kampfes im Umfeld der Präsidentschaftswahlen des Jahres 1868. Zur Verabschiedung dieses Gesetzes über die Wiedereinführung der Goldeinlösepflicht kam es jedoch erst 1875, und erst 1879 trat es in schließlich in Kraft. Dieses Gesetz konnte es also nicht gewesen sein, das den greenback von einem weiteren Rückgang bewahrte und später, im Jahr 1864, für einen Aufwärtstrend sorgte. Entscheidend war vielmehr die vom Staat veranlasste Ausgabebegrenzung des greenback auf einen Wert von $ 450 Millionen im Juli 1864 – von diesem Monat an war ein Anstieg der greenbacks zu verzeichnen. Die reale Preisentwicklung in jener Zeit

Die Untersuchungen von Wesley Mitchell (1908) stellen einen Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit dem greenback dar. Mitchell ging empirisch vor, d. h. er konzentrierte sich auf historische Fakten. Mitchell zeichnete das folgende generelle Bild:10


Die Entwicklung des greenback und der Preise

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1860: Relative Konstanz der Großhandelspreise. 1861: Starker Verfall der Großhandelspreise vor dem Bürgerkrieg. 1861: Im Herbst Beginn eines Preisanstiegs – 6 Monate vor der Greenback-Gesetzgebung –, der auch durch das gesamte Jahr 1862 hindurch anhielt. 1863: Erfolge des Nordens auf finanzieller und militärischer Ebene führen zu einem Sinken der Preise. Gegen Ende des Jahres erneuter Preisanstieg bis zum Höchststand im Jahre 1865, als die Preise von 59 von 90 Waren mindestens doppelt so hoch waren als fünf Jahre zuvor. Und außerdem war Krieg

Während der greenback über eine Zeit hinweg beträchtlich an Wert verlor, war die Nation in den blutigsten Krieg ihrer Geschichte verstrickt – einen Krieg, in dem 13 % der Bevölkerung bei den Streitkräften dienten und der 625 000 Menschen das Leben kostete. Keine Regierung ist unter solchen Umständen imstande, die Nation vor Entbehrungen zu schützen. Kommentare über die Inflation während des Krieges

Der Bürgerkriegshistoriker Randall verglich die Kriegsinflation in den USA unter einem vom Staat kontrollierten Geldwesen (während des Bürgerkriegs) mit der Kriegsinflation unter einem von privaten Bankiers kontrollierten System (im Ersten Weltkrieg) und kam zu dem Schluss, dass die Inflation während des Bürgerkriegs wesentlich effektiver gezügelt wurde.11 Die Tatsache, dass die greenbacks für die Begleichung von Importzöllen nicht akzeptiert wurden, mag von großer Bedeutung gewesen sein. Vielleicht hätten die greenbacks mit Gold al pari gehalten werden können, wenn sie von der Regierung für alle Zahlungen hätten akzeptiert werden müssen.12 Auch wäre die Nachfrage nach Gold beträchtlich zurückgegangen, wenn die Zinsen auf Staatspapiere in greenbacks gezahlt worden wären anstatt in Gold. Wurden Gläubiger durch die greenbacks benachteiligt?

Niemand führt als Argument gegen die greenbacks an, sie seien für den Binnenhandel ungeeignet gewesen und hätten ihre Funktion als Tauschmedium für private oder staatliche Transaktionen nicht er-


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Greenbacks – echtes amerikanisches Geld

füllt. Was ist jedoch davon zu halten, dass die Darlehen privater Gläubiger nicht – wie von diesen ursprünglich erwartet – in Münzgeld, sondern in greenbacks getilgt wurden? War dies dem Gläubiger gegenüber nicht ungerecht? War es nicht so, dass jemand, der Gold oder Silber verliehen hatte, Papiergeld geringeren Werts zurückerhielt? Zweifellos wurde in der Zeit vor der Einführung der greenbacks zuweilen Münzgeld verliehen, in der Mehrheit der Fälle dürfte es sich jedoch um Banknoten gehandelt haben, bei denen zwar vorgeblich eine Konvertierbarkeit in Gold oder Silber bestand, diese aber wegen der bei den Banken vorherrschenden unzureichenden Reservehaltung keinesfalls gewährleistet war. Als die Regierung die Noten der Banken durch greenbacks ersetzte, musste das für jedermann von Vorteil sein. Die allgemeine Aussetzung der Konvertibilität durch die Banken im Dezember 1861 machte deutlich, dass die Metalldeckung der Banken ein Märchen, ein Betrug war. Wäre es denn gerecht gewesen, bei der Aufdeckung dieses Betrugs allein die Schuldner die Folgen tragen zu lassen? Schließlich waren es die Bankiers, nicht die Schuldner, die die Lüge in die Welt gesetzt hatten, die Banknoten seien in Münzgeld konvertierbar. Tatsächlich kann generell gesagt werden, dass die Gläubiger nicht Metall, sondern Papier verliehen hatten. Zudem machten die Banken einen großen Teil der Gläubiger aus. Es gab zwar einige Versuche, die Rückzahlung von Münzgeld zu erzwingen, der Supreme Court wies solche Klagen jedoch ab.

Das Papiergeldsystem der Konföderation scheitert Auch in den Südstaaten wurde Papiergeld emittiert; die Begeisterung der Politiker hielt sich jedoch in noch engeren Grenzen als im Norden. Christopher Memminger, der Schatzminister der Konföderation, hegte massive Bedenken gegen das Papiergeld als »die gefährlichste aller Methoden, Geld zu beschaffen«.13 Dem Papiergeld des Südens wurde niemals der Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels zuerkannt – ein Versäumnis, das sich sowohl auf monetärer als auch auf militärischer Ebene als enormer Fehler herausstellen sollte. Lerner zufolge brachte die Konföderation über die Ausgabe von


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Das Papiergeldsystem der Konföderation scheitert

Anleihen eine Gesamtsumme von $ 712 Millionen auf.14 Diese Anleihen entsprachen etwa 39 % des Gesamteinkommens des Südens. Der restliche Geldbedarf wurde durch die Emission von Papiergeld gedeckt. Im Juni 1861 war Konföderationswährung im Wert von $ 1 Million im Umlauf, im Januar 1864 waren es $ 826 Millionen. Innerhalb derselben Zeitspanne stieg der Wert der Banknoten und Einlagen der Banken in den Südstaaten von $ 94,6 Millionen auf $ 2,68 Milliarden. Im Norden schöpften die Banken $ 1,49 für jeden vom Staat geschöpften Greenback-Dollar. Auch die Banken im Süden verfügten über kein Zentralbankensystem, und sie schöpften einen weit geringeren Anteil der Geldmenge als im Norden – nach Lerner $ 1,20 für jeden von der konföderierten Regierung geschöpften Dollar, nach Godfrey jedoch beträchtlich weniger.15 Im Februar 1864 erzwang der Kongress der Konföderierten die Umwandlung der Währung in eine Anleihe mit einer Laufzeit von 20 Jahren und einer Verzinsung von 4 %. Nicht-legale Zahlungsmittel wurden nach eineinhalb Monaten um ein Drittel, nach etwa einem Jahr um zwei Drittel abgewertet – ein zweiter monetärer Fehler großer Tragweite. Die Reform hatte einen vorübergehenden Effekt, da die Konföderierten weiterhin Papiergeld ausgaben. Insgesamt wurden $ 1,55 Milliarden emittiert, verglichen mit $ 450 Millionen im Norden. Im Gegensatz zum Norden gab es im Süden keinerlei Beschränkung für die Papiergeldausgabe, womit ein weiteres elementares monetäres Prinzip verletzt wurde – Fehler Nummer 3. Lerner schätzte den Wert der Südstaaten-Noten im Verhältnis zu Gold wie folgt ein:16 1861 Anfang 1862 Anfang 1863 Anfang 1864 Anfang 1865

$ 1 der Konföderation $ 1 der Konföderation $ 1 der Konföderation $ 1 der Konföderation $ 1 der Konföderation

= = = = =

$ 0,90 in Gold $ 0,83 in Gold $ 0,29 in Gold $ 0,05 in Gold $ 0,017 in Gold

Wenn ein Staat einen Krieg verliert, von dem seine Existenz abhängt, geht mit dessen Währung auch ein großer Teil des anderen Besitzes seiner Bevölkerung verloren.


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Greenbacks – echtes amerikanisches Geld

Der National Banking Act von 1863/64 Der National Banking Act, der das unzureichende System der state banks ersetzen sollte, war in Vorbereitung, als die Gesetze über die greenbacks verabschiedet wurden. Ein Teil der Gesetzgeber betrachtete diese beiden Projekte als politisch miteinander verknüpft. Der National Banking Act wurde am 25. Februar 1863 erlassen; einige Unzulänglichkeiten des Gesetzes wurden im Juni 1864 vom Kongress korrigiert.* Der National Banking Act, welcher der Vergabe von Nationalbank-Konzessionen durch die Bundesregierung den Weg ebnete, wird als Triumph der Federalists/Whig-Tradition von Hamilton, Clay und Biddle betrachtet. Staaten mit strengen Bankengesetzen konnten umgangen werden. Zuvor hatten nur zwei national banks existiert, die diesen Status vom Kongress erhalten hatten – die First und Second Bank of the United States. Bei der Bank of North America handelte es sich dagegen um eine state bank. Nach der Verabschiedung des Gesetzes war es nur noch Routine, eine Konzession als national bank zu erhalten. Bestimmungen des National Banking Act

Durch dieses Gesetz wurde ein System nationaler Bankenvereinigungen (National Banking Associations) geschaffen, das unter der Aufsicht eines vom Schatzministerium neu bestellten Währungskommissars (Comptroller of the Currency) stand. Mit dem Gesetz wurden einige dem Betrug Tür und Tor öffnende strukturelle Fehler beseitigt, die mit dem Bankwesen in Amerika generell einhergehen: – Vierteljährliche Finanzberichte mussten vorgelegt werden. – Das Eigenkapital der Banken wurde gestärkt, da zur Gründung einer Bank mindestens $ 50 000 notwendig waren. – Die Verschuldung einer Bank durfte das in sie eingezahlte Kapital in US-Noten nicht übersteigen. – Die Reservehaltung der Banken wurde verbessert, da jede Bank zum Kauf von Schatzanleihen verpflichtet war, deren Wert min-

* Vor dieser Korrektur im Jahr 1864 hieß das Gesetz National Currency Act. (A. d. Ü.)


Der National Banking Act von 1863/64

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destens einem Drittel des eingezahlten Kapitals, mindestens jedoch $ 30 000 entsprechen musste. Zu Beginn wurde jeder Aktionär der Bank persönlich für die Verpflichtungen seiner Bank haftbar gemacht, und zwar bis in Höhe des doppelten Nennwerts seiner Aktien. Der Währungskommissar, nicht die verschiedenen Banken, war für den Druck der Banknoten verantwortlich. Die Banken erhielten Noten – der Name der Bank war darauf vermerkt – in einem Wert von bis zu 90 % des Betrags, den sie in Form von Schatzanleihen beim Schatzamt deponiert hatten. Ein Maximum von $ 300 Millionen für solche Banknoten wurde für das gesamte System beschlossen. Eine Reservehaltung in Höhe von 25 % (in kleineren Orten 15 %) des Werts ihrer umlaufenden Noten und Einlagen war erforderlich. Die Noten der national banks mussten für die Begleichung fast aller US-Abgaben akzeptiert und zudem von allen Mitgliedbanken zum vollen Wert angenommen werden. Das US-Schatzamt zog jährlich eine Steuer in Höhe von 1 % auf den durchschnittlichen Notenumlauf der Banken sowie 1⁄2 % auf deren Einlagen und Eigenkapital ein.

Die state banks standen dieser Neuerung extrem feindlich gegenüber. Erst als der Kongress am 3. März 1865 sämtliche zirkulierenden Noten der state banks mit einer Notensteuer in Höhe von 10 % belegte, zog ein großer Teil der state banks in Erwägung, dem nationalen System beizutreten. Nach Verabschiedung der Notensteuer war der Notenumlauf der state banks am Stichtag der Besteuerung von $ 179,2 Millionen auf $ 19,9 Millionen gesunken – eine eindeutige Demonstration der Macht der Regierung über die Bankiers. Am 30. Juni 1863 erhielt die First National Bank of Philadelphia als erste Bank eine nationale Konzession. Conant zufolge erhielten die National-bank-Konzession 1864 453 Banken mit $ 79,4 Millionen, 1865 1014 Banken mit $ 242,5 Millionen, 1866/67 72 Banken.


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Greenbacks – echtes amerikanisches Geld

Die National Banking Associations verteilten die emittierten $ 300 Millionen in Banknoten auf eklatant unfaire Weise. So wurde zum Beispiel der Stadt Woonsocket in Rhode Island ein höherer Notenumlauf zugebilligt als North und South Carolina zusammen. Der Notenumlauf von Rhode Island lag bei $ 77,16 pro Kopf, der von Arkansas bei $ 0,13. Connecticut wurde ein höherer Umlauf zugestanden als Michigan, Iowa, Minnesota, Kansas, Missouri, Kentucky und Tennessee zusammen. Die ursprüngliche Begrenzung der Notenzirkulation auf $ 300 Millionen wurde 1870 leicht angehoben. Der National Banking Act erschwert den Banken Betrug im herkömmlichen Sinn

Die Banken haben immer zwei Möglichkeiten, der Gesellschaft zu schaden. Zum einen gibt es Bankiers, die auf ganz herkömmliche Art und Weise ihren Machenschaften nachgehen, ganz gewöhnliche Betrüger also, von denen die Vereinigten Staaten während ihrer ganzen Geschichte heimgesucht wurden – bis hin zu den Savings-andLoan-Skandalen in den 80er Jahren unseres Jahrhunderts. Neil Bush, der Sohn des ehemaligen Präsidenten, war zum Beispiel ganz eindeutig in einen Interessenkonflikt verstrickt. Einige Bankiers gründeten Briefkastenfirmen, um Gelder in die eigenen Taschen fließen zu lassen; und auch die Söhne zweier prominenter Angehöriger der Demokratischen Partei wurden des Betrugs überführt: Robert Strauss, der damalige US-Botschafter in Russland, und Loyd Bentsen, Clintons erster Finanzminister. Der Banking Act erleichtert jedoch »strukturellen« Betrug durch die Banken

Zum zweiten gibt es Bankiers, die das »Gesetz« nicht brechen, sondern sich genau daran halten. Diese Finanziers begehen »strukturellen« Betrug, d. h. sie profitieren bewusst von den Schlupflöchern, die durch unzureichende, schlecht formulierte oder auch absichtlich falsch ausgelegte Gesetze geschaffen wurden. Unmittelbar nach der Verabschiedung des National Banking Act, während des Sezessionskriegs, als die US-Regierung die Ausgabe von greenbacks im Wert von $ 450 Millionen veranlasste, schöpften die privaten Bankiers $ 1,49 in ihren eigenen Noten für jeden von der


Der National Banking Act von 1863/64

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Regierung ausgegebenen greenback – ein perfektes Beispiel für diese Art »legalisierten« Betrugs. Chase und andere gaben hierzu bittere Kommentare ab. Dewey äußerte sich wie folgt: Die Banken wurden beschuldigt, die Noten der Regierung so schnell zu absorbieren, wie sie ausgegeben worden waren. Diese Noten ersetzten sie durch ihre eigenen, und dann, wenn es ihnen gerade günstig erschien, verwandelten sie die Noten in Staatsanleihen, für die sie Zinsen [in Gold] erhielten. Bei diesem Kampf ging es den Bankinstituten des Landes darum, die Vereinigten Staaten für 6 % um jeden Dollar auszubluten, den die Regierung zur Weiterführung des Kampfs für die Unabhängigkeit und das Überleben des Landes benötigte.17 Wenn auch mit dem National Banking Act kleineren Betrügereien ein Riegel vorgeschoben werden konnte – der wesentlich gefährlichere »strukturelle« Betrug, der auf der Ausnutzung von Gesetzeslücken basierte, wurde durch ihn erst so richtig etabliert. Einigen Beobachtern war dies durchaus bewusst. So forderte Richter Rufus P. Ranney die Angehörigen der Demokratischen Partei auf zu überdenken, »wieviel Gefahr von dem System ausgeht, das die Bank of the United States ersetzt hat. Wenn schon die alte Bank mit ihrem Kapital von 35 Millionen Dollar die Presse und den Kongress beherrscht hatte, was ist dann erst von den zahllosen Banken mit ihrem Kapital von Hunderten Millionen von Dollars zu erwarten?«18 Als weiteres Beispiel für Betrug dieser Art kann auch die Praxis der Banken dienen, Zinsen für Geld zu verlangen, das von ihnen quasi aus dem Boden gestampft wurde. Zinserträge dieser Art müssten der Nation zukommen. Auch die Vetternwirtschaft, die immer wieder praktiziert wird, um neu geschöpftes Geld bestimmten privilegierten Gruppen zukommen zu lassen, ist ein Beispiel für »strukturellen« Betrug. Betrügern dieser Art ist wesentlich schwerer Einhalt zu gebieten als gemeinen Dieben. So ist es der Gesellschaft – egal, in welchem Land – bis auf wenige Ausnahmen nicht möglich, diesen Machenschaften ein Ende zu setzen, und sie muss hilflos mit ansehen, wie die Banken immer wieder auf völlig legale Art ihre Volkswirtschaft und manchmal auch die Nation zerstören.


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Greenbacks – echtes amerikanisches Geld

Der Kampf um die greenbacks Kaum war der Sezessionskrieg zu Ende, begannen auch schon die Attacken gegen den greenback. Der Angriff erfolgte aus zwei Lagern: Das eine Lager setzte sich aus all jenen zusammen, deren finanzielle Privilegien gefährdet waren, das andere Lager rekrutierte sich aus calvinistischen Kreisen. Der Kampf gegen den greenback wurde auf der politischen, rechtlichen und sogar der religiösen Ebene ausgetragen. Die Gegner konnten nicht zulassen, dass der greenback aufgrund seiner Auswirkungen auf die Wirtschaft beurteilt würde. Noch viel weniger wollten sie es den »Kräften des freien Marktes« überlassen, die Wirkung der neuen Noten zu zeigen. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Das System der greenbacks funktionierte sehr gut, sogar in Krisenzeiten, und konnte durch solch ein Vorgehen nicht in Misskredit gebracht werden – eine Tatsache, die gut informierten Gegnern nur allzu bewusst war. Pfaffe und Professor – vereint gegen den greenback

Den größten Schaden erlitt der greenback jedoch durch die verunglimpfenden Attacken der Kirchen und Universitäten des religiösen Establishments. Die höheren Bildungseinrichtungen Amerikas wurden von religiösen Organisationen dominiert. Das amerikanische College war in erster Linie als »Zuchtstätte von Geistlichen« gedacht; praktisch alle Colleges, die zwischen der Revolution und dem Sezessionskrieg gegründet wurden, wurden von religiösen Gruppen unterstützt und meistens auch kontrolliert. Diese Gruppen übten einen beträchtlichen Einfluss auf viele Bereiche des amerikanischen Lebens aus und fügten der amerikanischen Seele auf diesem Weg großen Schaden zu. Als Beispiel kann die Sklavenfrage angeführt werden: Im Süden war die durch religiöse Gruppen vorgebrachte Verteidigung der Sklaverei weit verbreitet. Nicht so allgemein anerkannt ist allerdings die Tatsache, dass die Sklaverei im Norden gerade in Kirchen und Colleges viele Verteidiger fand.19 Abgesehen von den 21 staatlichen Colleges und einigen wenigen anderen Ausnahmen waren die amerikanischen Colleges vor 1860 fast alle religiöse Institutionen:


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Der Kampf um die greenbacks Konfession

Anzahl der Colleges

presbyterianisch (calvinistisch) methodistisch baptistisch kongregationalistisch katholisch lutheranisch

49 34 29 21 14 5

Die verbleibenden religiösen Gruppierungen verfügten jeweils über vier oder weniger Colleges. In den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts manifestierte sich diese von religiösen Gruppen ausgeübte Kontrolle auch im Kampf um den greenback. Mit ihnen zusammen kämpften die klassischen Wirtschaftswissenschaftler. Vor dem Bürgerkrieg durchdrang der Einfluss des Klerus das höhere Bildungswesen Amerikas, und in den meisten amerikanischen Colleges wurde »Nationalökonomie« von einem Geistlichen gelehrt, und zwar als Zweig der »Moralphilosophie«. Pfarrer und Professoren halfen bei der Errichtung einer psychologischen Barriere, die einer positiven Einstellung gegenüber dem greenback entgegenwirkte. Die Unverfrorenheit monetärer Verbrecher

In The Greenback Era, für das der Autor Irwin Unger 1964 den Pulitzer Preis erhielt, werden die von religiösen Gruppen ausgeübten Anti-greenback-Aktivitäten im Detail beschrieben. Diese Gruppen fügten dem greenback gezielt Schaden bei, indem sie ihn als unmoralisch verunglimpften – ohne dabei die guten Dienste zu berücksichtigen, die er der Wirtschaft leistete, und erst recht ohne auf die moralische Überlegenheit dieses Systems über die Papiernoten der Bankiers hinzuweisen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden zwei alte Märchen wieder neu erzählt. Zum einen wurde behauptet, Geld müsse Gold oder Silber sein, zum anderen wurde vorgegeben, die Papiernoten der Bankiers seien tatsächlich in Gold und Silber konvertierbar. Von Beginn an waren die Geistlichen aktive Parteigänger der Bankiers, indem sie Münzgeld mit Tugend assoziierten. Die calvinisti-


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Greenbacks – echtes amerikanisches Geld

schen Gruppierungen nahmen bei der von religiösen Gruppen ausgehenden Attacke auf das Finanzwesen eine führende Stellung ein. Die Zeitungen Advance, Christian Mirror, Boston Recorder und Presbyterian Banner waren alle calvinistisch. Auch andere protestantische Gruppen sprachen sich gegen das Papiergeld aus, aber die Stimme der Calvinisten ist durch die ganze Debatte hindurch am deutlichsten zu hören.20 Die Verteidigung des Münzgelds durch die Christen führte schließlich zu einem sehr unchristlichen Fetischismus, durch welchen den Edelmetallen eine fast übernatürliche Macht zuerkannt wurde. Im Extremfall grenzte er an Dämonismus; einige glaubten, Papiergeld übe einen schlechten Einfluss aus. Durch die nicht abreißende Berieselung durch Pfarrer und konfessionelle Zeitungen erhielt das Münzgeld einen Anflug von Heiligkeit. So schrieb etwa der Herausgeber des religiösen Blattes Advance, die Niederschlagung der Greenback-Ketzerei sei ein Ereignis von nationaler und historischer Bedeutung. Und der Pastor einer vornehmen Gemeinde dubioser Geschäftemacher in Brooklin, die während des Kriegs durch den Betrug der Regierung reich geworden waren, predigte seiner Herde die Notwendigkeit des Münzgelds. Wollten diese calvinistischen Gemeinden die Geldmacht in ihren Händen wissen, weil sie sich als »auserwählt« betrachteten? Wie schon Witherspoon anlässlich der Constitutional Convention (siehe 15. Kapitel) setzten sie alles daran, die eindeutige Zuweisung der Geldmacht an die Regierung zu verhindern.

Die Verteidiger des greenback »Die Verteidigung des greenback fand auf einer abstrakteren Ebene statt, als häufig angenommen wird«, schrieb Unger überrascht. Das musste jedoch so sein, da ja das Geld in seiner vollendeten Form eher abstrakt als konkret ist. Im Gegensatz zu den religiösen Gruppen, die bei ihrem Angriff auf das nationale Geldsystem moralische Beweggründe heuchelten, brachten die Verteidiger des greenback – Männer, die sich durch Mut, Sachverstand und Patriotismus auszeichneten – sachliche Argumente vor. Sie machten Vorschläge sowohl im Hinblick auf die


Die Verteidiger des greenback

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Beibehaltung des greenback als auch zur Beseitigung der vom National Banking Act geschaffenen Privilegien der Bankleute. Lyman Dewolf

Lyman E.Dewolf machte seine Absichten 1869 wie folgt deutlich: »Die ungeheuerlichen und ungerechten Forderungen der Kapitalisten, gepaart mit dem ungeordneten Zustand der nationalen Finanzen, der hauptsächlich durch das von ihnen unterstützte fehlerhafte System verursacht wurde, erfordert die Veröffentlichung eines solchen Werks zum frühestmöglichen Zeitpunkt.«21 Dewolf zeichnete sich durch außergewöhnliche Sachkompetenz aus: »Wenn davon ausgegangen wird, dass sich der Wert des Geldes nur durch dessen Warenwert bemisst und nicht durch dessen gesetzliche Attribute, dann muss Geld immer eine einfache Ware und jeglicher Austausch von Gütern immer Tauschhandel bleiben, was genau die Schwierigkeit ist, die die Zivilisation beseitigen muss.« Weiter stellte er fest: »Nehmt Gold und Silber den schützenden Schild des Gesetzes, den die verschiedenen Münzbestimmungen, die den Gebrauch dieser Metalle regeln, darstellen […] und die Bestimmung sowohl ihres Wertes als auch ihrer Verwendung ist mit Schwierigkeiten verbunden.« »Der Wert einer Geldeinheit kann in keinem unveränderlichen, festgelegten Verhältnis zu irgendeinem anderen Wert stehen, das heißt, der Wert einer Geldeinheit kann nicht auf ewig an irgendeine bestimmte Menge Gold, Silber oder einer anderen Ware gekoppelt werden.« Campbells Wandelanleihen-Projekt

Alexander Campbell, Kongressabgeordneter aus Illinois, schlug ein Wandelanleihen-System vor, das durch die Beibehaltung der greenbacks den Privilegien der Bankiers eine Ende bereiten und die Währung vereinheitlichen sollte. Campbells Plan hatte die Eliminierung privater Banknoten zum Ziel. Er schlug vor, diese Noten innerhalb von sechs Monaten im Tausch gegen die Schatzanleihen einzuziehen, welche die Banken vor dem Hintergrund des Gesetzes von 1864 beim US-Schatzamt als Sicherheit für ihre Papiernoten hinterlegt hatten. Sein Plan sah vor, sämtliche Staatsausgaben, einschließlich der


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Greenbacks – echtes amerikanisches Geld

Schulden, mit diesen neuen greenbacks zu begleichen. Die vorgeschlagenen greenbacks konnten jederzeit zum Kauf von Schatzanleihen verwendet werden, und sowohl die Rückzahlung der Kapitalsumme als auch die Zinszahlung sollte in greenbacks erfolgen.22 Benjamin Butler ist die Problematik klar

Während die Demokratische Partei und später auch die unabhängigen Parteien eine beträchtliche Anzahl von Greenback-Anhängern in ihren Reihen hatte, waren in der Republican Party kaum Befürworter dieses Systems zu finden. Benjamin F. Butler zählte eindeutig zu den Verfechtern des greenback. Während des Sezessionskriegs war Butler General gewesen – seine Schroffheit hatte ihm den Spitznamen »Butler the beast« (dt.: »Butler das Tier«) eingebracht. Er wurde Kongressabgeordneter für Massachusetts und ließ sich schließlich von der Demokratischen Partei als Gouverneur aufstellen. In einer Rede vor dem Repräsentantenhaus am 1.Januar 1869 legte er die Position der Greenback-Befürworter dar. Die Währung, so sagte er, solle »einheitlich, gesund, billig, stabil und elastisch« sein. Er warnte vor den Bemühungen der Bankiers, Gesetzesänderungen herbeizuführen, die auf die Rückzahlung von Staatsanleihen in Gold abzielten, denn dies würde die größte Wertminderung für jede Art von Besitz – abgesehen von Staatsschulden und Schulden von Privatleuten – verursachen. Jede Anleihe und jede Banknote würde möglicherweise 30 % an Wert gewinnen und jeder andere Besitz in derselben Höhe an Wert verlieren. Er griff auch all jene an, die den greenback in Gold konvertierbar machen wollten, und bestritt die Vorteile, die hiermit angeblich verbunden seien. Butler strich klar heraus, dass ihm nicht an einer Inflation gelegen war: »Lasst niemanden behaupten, mir sei an der Etablierung oder Aufrechterhaltung einer abgewerteten Währung gelegen. Ich glaube, ich habe eine Währung vorgeschlagen, die so wertvoll ist wie Gold und für sämtliche möglichen Verwendungszwecke eines Umlaufmediums sogar besser als Gold. […] Was ich mir wünsche, ist eine Währung, die nicht in Gold oder Silber einlösbar ist. […] In anderen Worten: Der Wert der Währung dieses Landes, ihr Volumen, ihre Stabilität und der Wert sämtlichen Besitzes des Landes sollen nicht länger von den Paniken, Launen, Spekulationen oder den Bedürfnissen europäischer Bankiers oder asiatischer


Die Verteidiger des greenback

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Kaufleute abhängen. […] Mein Vorschlag ist, den national banks jegliche Befugnis zu entziehen, Noten auszugeben, die als Geld zirkulieren, und sie das sein zu lassen, was sie auch jetzt schon sind, nämlich Depositenbanken, Kreditbanken und diskontierende Banken, jedoch keine Notenbanken.« Butlers Vorschlag für ein permanentes Greenback-System: »Die Regierung soll einen ihren Steuereinnahmen entsprechenden Betrag, sagen wir $ 350 Millionen, in Form von Wertzertifikaten in zweckmäßiger Stückelung emittieren, die von Gesetzes wegen Geld und legales Zahlungsmittel für jegliche Verbindlichkeiten sein sollen, öffentlich und privat, und die aufgrund dieses Gesetzes nicht in Münzgeld einlösbar sind und die für die Zahlung sämtlicher Steuern akzeptiert werden und auch bei der Auflage von US-Staatsanleihen angenommen werden müssen.« »Unsere patriotischen Väter, die auf diesem Kontinent für sich selbst ein Staatswesen aufbauten, beseitigten von Beginn an sorgfältig jegliches Attribut der Monarchie oder Aristokratie, […] bis auf eines: sie behielten – ob gut oder schlecht – die Edelmetalle […] als den Maßstab bei, mit dem die Besitztümer und die Industrie der neuen Republik bemessen werden. […] Wir staunen darüber, dass sie so vieles verstanden, aber sie verstanden nicht alles.« »Ich setze mich daher für nicht konvertierbares Papiergeld ein, für den greenback, der unsere Kämpfe ausgefochten und unser Land gerettet hat. Ich setze mich hier für eine Währung ein, mit der die geschäftlichen Transaktionen von 40 Millionen Menschen sicher und erfolgreich getätigt werden können. […] Ich setze mich für dieses Geld ein, das für ein aufgeklärtes und freies Volk ein bei weitem besseres Tauschmedium ist als Gold oder Silber – das Geld von Barbaren und Despoten.«23 – Eine der herausragenden Reden aus der Geschichte Amerikas!


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18. Kapitel

Die monetären Verbrechen des 19. Jahrhunderts – die großen Demonetisierungen Bei der hier und in Europa angezettelten Verschwörung, die zum Ziel hat, über die Gesetzgebung und auf anderem Weg zwischen drei Siebteln und der Hälfte des Metallgelds der Welt zu vernichten, handelt es sich um das größte Verbrechen dieser und auch jeder anderen Epoche. J G. C, Schatzminister der Vereinigten Staaten

Im Jahr 1800 existierte die Bank of England schon über ein Jahrhundert. In dieser Zeitspanne war es ihren Drahtziehern gelungen, die Macht und den Reichtum von der Gesellschaft auf die Bankleute zu verlagern. Durch den Missbrauch der Geldmacht der Nation begannen die »Finanziers«, die der Regierung zuvor untergeordnet gewesen waren, Regierung und Gesellschaft zu dominieren. Durch »Makro-Wucher«, d. h. durch strukturellen Missbrauch der Geldmechanismen der Gesellschaft, wurden immense Reichtümer angehäuft. So wie diese Macht und diese Privilegien mit unmoralischen Methoden erkämpft wurden, so wurde auch auf unverantwortliche Art und Weise von ihr Gebrauch gemacht. Mit den monetären Waffen, die diesen Übeltätern am vertrautesten waren, wurde die Gesellschaft weiter ausgeplündert – von innen heraus und auch von außen. So wurde das 19. Jahrhundert Zeuge monetärer Verbrechen immensen Ausmaßes. Nachdem ich die Entwicklung in Amerika bis in die Mitte der 60er Jahre des 19.Jahrhunderts dargestellt habe, folgt nun eine nähere Betrachtung des internationalen Kontexts, da ein großer Teil der Ereignisse in den Vereinigten Staaten auf die Entwicklung im Ausland zurückzuführen ist. Die Welt sollte Zeuge einer enormen, bewusst herbeigeführten Deflation werden – angefangen mit England, gefolgt von Europas Lateinischer Münzunion, den Vereinigten Staaten und schließlich


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von Japan. Wenn auch der Goldstandard generell der wichtigste Deflationsmechanismus war, so gaben die verschiedenen Grundvoraussetzungen in den jeweiligen Ländern den Bankiers verschiedene Möglichkeiten an die Hand, die umlaufende Geldmenge zu verknappen und den Wert der Währungseinheiten der betreffenden Nation zu erhöhen.

Warum Bankiers an einer Deflation gelegen ist Im Idealfall sollte die Geldumlaufmenge einer Gesellschaft mit wachsender Bevölkerung und wachsendem Handel erhöht werden, wobei der Wert einer Währungseinheit ziemlich stabil bleiben oder jedes Jahr gering zurückgehen soll.* Kontrollieren Privatleute ein Währungssystem, werden sie dieses Optimum kaum anstreben wollen. In der Regel wird die Geldmenge zunächst in einem zu großen Ausmaß erhöht, woraus ein beträchtlicher Wertverlust der Währung (»Inflation« oder – treffender – »Abwertung« der Währung) resultiert. Durch diese Entwicklung wird die Nation zum Schuldner derer, die die Geldmacht innehaben. Das neu geschöpfte Geld wird nämlich hauptsächlich für die Produktion von Gütern verwendet, die in Kriegszeiten vernichtet wurden, und nicht etwa in produktivitätssteigernde Maschinen oder in die Infrastruktur der Gesellschaft investiert. Dann, wenn allen klargeworden ist, dass der Währung auf diese Art geschadet wird, wird (immer bei privater Kontrolle des Geldsystems) die Geldmenge als Gegenreaktion häufig extrem verknappt, wodurch der Wert einer Währungseinheit steigt und Staat und Privatleuten die Rückzahlung der aufgelaufenen Schulden erschwert oder sogar unmöglich gemacht wird. Dieser Prozess hat dramatische Konsequenzen, da Reichtum und Macht von der Gesellschaft als Ganzes auf deren reichste Elemente verlagert werden – auf die Bankiers und andere Gläubiger. * Die Wiener Schule der Nationalökonomie und die Libertären glauben, dass diese Möglichkeit nicht existiert, da sie fälschlicherweise davon ausgehen, dass jegliche Expansion eines Geldsystems ohne Edelmetalldeckung zunächst zu einer nicht abreißenden Inflation und folglich zum Zusammenbruch führen muss. Diese Fehleinschätzung resultiert – wie öfters hier gezeigt wurde – aus ihrer falschen Definition des Geldes als Ware.


Warum Bankiers an einer Deflation gelegen ist

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Vergleicht man die Folgen dieser beiden Phänomene, so ist Deflation das bei weitem gefährlichere »Spiel« dieser Bankiers, da sie auf direktem und indirektem Weg schwerwiegende Probleme in allen Bereichen des Lebens verursacht. So wird zum Beispiel eine große Zahl von Arbeitskräften arbeitslos. Der Verlust von Milliarden produktiver Arbeitsstunden kann ebensowenig ausgeglichen werden wie der Schaden, der den Arbeitslosen und ihren Familien aus dieser Entwicklung erwächst. Weltweite Schritte zur Demonetisierung und Deflation

Die Goldfunde, die 1849 in Kalifornien gemacht wurden, verursachten in einigen Finanzkreisen eine Panik, da eine Wiederholung der Geschehnisse zwischen 1500 und 1700 befürchtet wurde. Da Europa damals mit amerikanischem Edelmetall regelrecht überschwemmt wurde (siehe 8. Kapitel), verloren Gold und Silber über 80 % ihres Werts. Der Franzose Michel Chevelier stellte seinen Lesern in seinem 1853 erschienenen Buch einen Wertverlust ihrer Papiere in Aussicht und schlug vor, entweder Gold oder Silber zu demonetisieren (d. h. eines dieser beiden Metalle sollte von der Regierung nicht mehr als Geld anerkannt werden). Frankreichs Münzgeld war in beklagenswertem Zustand, weil es durch das Beschneiden der Münzränder und durch Aussuchen der besten Münzen an Wert verlor. Einige Beobachter erkannten das Ausmaß des Problems und wiesen darauf hin, dass das Münzgeld schließlich eine gesetzliche Institution sei. Sie forderten empfindliche Strafen für Delikte dieser Art. Chevelier jedoch riet seinen Lesern, sich die schwersten Münzen herauszusuchen, um sie einzuschmelzen. In seinen Augen lag die Schuld an der ganzen Misere bei der Regierung, da diese sich seiner Meinung nach nicht genügend um den Erhalt des Münzgelds bemühte – dass die Regierung für die Betrügereien von Privatleuten verantwortlich gemacht wird, ist also nichts Neues.1 Chevelier versuchte nicht etwa, seine Leser zur Beseitigung sozialer und wirtschaftlicher Missstände zu motivieren – er riet ihnen vielmehr, die eigenen Schäfchen ins trockene zu bringen und sich nicht um das Schicksal einzelner Mitmenschen und der Gesellschaft als Ganzes zu kümmern.


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Die monetären Verbrechen des 19. Jahrhunderts

In Wirklichkeit geschah jedoch gar nichts, denn die neue Goldproduktion wurde mit dem Fortschreiten der Industrialisierung von den Geldsystemen problemlos absorbiert. Daher Cheveliers Beobachtung, es sei bemerkenswert, dass sich der Wertverlust des Goldes im Vergleich mit dem des Silbers kaum bemerkbar machte. Chevelier wurde jedoch durchaus ernst genommen. Der Deutsche Bund ging sogar so weit, Gold mit dem Vertrag von Wien im Jahr 1857 zu demonetisieren. 1871, also nur 14 Jahre später, machte das Deutsche Reich jedoch einen Rückzieher, indem Gold als gesetzliches Zahlungsmittel wieder eingeführt und an seiner Stelle das Silber demonetisiert wurde. Cheveliers prophezeite Inflation stellte sich nie ein, denn die weltweite Entwicklung ging genau in die andere Richtung. Die weltweite Demonetisierung des Silbers

Der wichtigste Schritt in Richtung Deflation war die Einführung eines Goldstandards und die Demonetisierung des Silbers. Silber konnte also nicht mehr zur Tilgung von Schulden verwendet werden. Diese Entwicklung nahm im Mai 1774 in England mit der gesetzlichen Vorschrift ihren Anfang, dass Beträge über 25 Pfund nicht mehr in Silber beglichen werden durften. Im Juni 1798 wurde in den Münzstätten die Prägung von Silbermünzen eingestellt, und 1816 durften nur noch Beträge bis zwei Pfund in Silber beglichen werden (siehe 12. Kapitel).

Probleme des Bimetallismus Der Bimetallismus, wie er in jener Zeit praktiziert wurde, war anfällig für private Manipulationen. In Europa kam es wegen des Beschneidens von Münzgeld und wegen des leicht unterschiedlichen Gold-Silber-Wertverhältnisses in den verschiedenen Ländern zu Problemen. Von »Finanziers« wurde Gold und Silber in großem Stil hin-und hertransportiert, um ohne jedes Risiko Kapital aus diesen winzigen Wertdifferenzen zu schlagen. In The History of Currency 1252–1896 liefert W. A. Shaw eine eingehende Beschreibung dieses Prozesses mit besonderer Berücksichtigung der Aktivitäten der Spekulanten: »Solcherart ist die Natur des


Probleme des Bimetallismus

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Bimetallismus, dass durch jede Veränderung im Wertverhältnis – egal auf welcher Seite, ob nun zugunsten des Silbers oder des Goldes –, eine Wertverschiebung etabliert wird, und diese Wertverschiebung verleiht dem einen Metall sogleich eine Hebelwirkung (in Form von Kaufkraft) über das andere, wobei das unterbewertete Metall dazu neigt, sofort zu verschwinden.« Niemand sei jemals auf die Idee gekommen, die beiden Metalle voneinander zu trennen, und es habe auch keine Absicht bestanden, ein Wertverhältnis festzulegen. »Der Vorteil, der aus dem Handel mit Edelmetallbarren sowie aus dem Verständnis für den Effekt erwächst, den das unterschiedliche Wertverhältnis in verschiedenen Ländern hat, war nur den Juden und den Italienern bewusst. Sie wickelten ihren Handel ganz im geheimen ab, und die Gesetzgebung registrierte nur dessen Resultat, nämlich das Schwinden und den Mangel von Münzgeld.« Das Problem, das einer Nation daraus entsteht, beschreibt Shaw folgendermaßen: »Für den Gesetzgeber aus dem Mittelalter lag die Gefahr dieser Arbitrage [d. h. der Ausnützung örtlicher Kursunterschiede gleicher Werte] in der Tatsache, dass das Land, das hierunter litt, nicht nur seiner Edelmetallbarrenreserven, sondern auch seiner eigentlichen Währung beraubt wurde, wodurch sogar der Binnenhandel unmöglich gemacht wurde.«2 Der uralte Wertverhältnis-Mechanismus schlägt ein letztes Mal zu

Eine zusätzliche Bedrohung Europas stellte die Ungleichheit des Gold-Silber-Wertverhältnisses in Asien und Europa dar – ein Missverhältnis, das schon in der Antike die Geldsysteme heimsuchte und das im 19. Jahrhundert noch einmal seine Macht über den modernen Kapitalismus demonstrierte. Zum letzten Mal spielte dieser Mechanismus, als die Briten, die unterdessen die Herren Indiens geworden waren, 1821 das Wertverhältnis auf 15 : 1 erhöhten. Ab 1852 waren in Indien nur noch Silbermünzen legales Zahlungsmittel – eine Tatsache, die verdeutlicht, dass Silber von der indischen Bevölkerung dem Gold vorgezogen wurde. Durch diese Entwicklung wurde Silber aus Europa abgezogen. Frankreich hatte ein bimetallisches System, es verwendete von 1803 bis ca. 1848 jedoch hauptsächlich Silbergeld. In Belgien, das sich 1831 von den Niederlanden abgespalten hatte, machte französisches Geld 1860 87 % des Geldumlaufs aus. Die Schweizer bedienten


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sich ebenfalls des französischen Geldsystems und hatten es zum legalen Zahlungsmittel erklärt. 1862 hatten auch die Italiener das französische System angenommen und verzichteten somit auf ein eigenständiges Geldsystem.

Die Lateinische Münzunion 1858 formierte sich eine internationale Kommission, die sich mit der Untersuchung und Behebung monetärer Probleme befasste. Die Kommission schlug Zölle auf den Export von Silber vor und empfahl ein hartes Strafmaß für illegale Geldspekulationen. Keiner der Vorschläge wurde berücksichtigt, und die Silberexporte nach Indien stiegen weiter an: 1862 waren es 91 Millionen, 1863 126 Millionen und 1864 129 Millionen Rupien.3 Einige Mitgliedländer dieser Kommission bildeten die Lateinische Münzunion (Frankreich, Schweiz, Belgien, Italien und Griechenland). Von 1865 bis 1873 war innerhalb dieser Union eine relativ schnell voranschreitende Entwicklung weg von der Demonetisierung von Gold hin zur Demonetisierung von Silber zu verzeichnen.4 Da im Westen etwa dieselbe Menge an Gold- und Silbermünzgeld vorhanden war, bedeutete die Demonetisierung eines der beiden Metalle die Eliminierung etwa der Hälfte des umlaufenden Münzgelds. Für die reichen Anleihegläubiger aller Länder bedeutete dies einen beträchtlichen Gewinn an Reichtum und Macht über Jahrzehnte hinweg, da der Wert der Währungseinheit stieg. 1867 waren die meisten europäischen Länder, die Vereinigten Staaten und Russland in dieser Union vertreten – insgesamt waren es 19 Mitglieder. Bezeichnenderweise trat England der Union nie bei. Die Deutschen wurden für die allgemeine Entwicklung schließlich zum Katalysator. 1870 führte das Land Krieg gegen Frankreich und gewann. Bismarck holte aus Frankreich eine noch nie dagewesene Kriegsentschädigung von 5 Milliarden Franc heraus. 1857, also zur Zeit des Deutschen Bundes, war Gold zwar demonetisiert worden, 1871 machte das Deutsche Reich jedoch eine Kehrtwendung und trat dem Goldstandard bei, um von Frankreich in Gold, nicht in Silber ausbezahlt zu werden. So musste Frankreich das Silber des Landes loswerden, um Gold zu bekommen.


Die Lateinische Münzunion

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Im Zuge der Einführung des neuen deutschen Geldsystems wurde von den deutschen Banken verlangt, dass sie ihr Silber bis Februar 1873 verkauften – eine Maßnahme, die den Druck auf das Silber noch erhöhte.5 Im Juli 1873 wurde das Silber im Deutschen Reich vollständig demonetisiert, womit Frankreich zur einzigen größeren Nation in Europa wurde, die noch Silbergeld verwendete. 1873 sah sich Frankreich gezwungen, das Silbergeld zu limitieren; 1876 erfolgte die Aufhebung des Gesetzes über das unbegrenzte Prägen von Silbermünzen, 1878 erklärte sich Frankreich bereit, die Silbermünzen des Landes auf Wunsch in Gold einzulösen, und stellte die Prägung neuer 5-Franc-Silbermünzen ein. Aus praktischen Erwägungen war nun ganz Europa dem Goldstandard beigetreten. Die Deflation erreicht Japan

Der weltweit zu beobachtende Angriff der Deflation erreichte Japan im Jahr 1882, als die japanische Zentralbank gegründet wurde. Sofort verfolgte sie einen deflationären Kurs: »1882 wurde eine Kontraktionspolitik eingeleitet, und die Regierung fuhr unbeirrt mit ihren Maßnahmen fort«, schrieb Masayoshi Takaki in The History of Japanese Paper Currency, »doch dieses erstrebenswerte Ziel wurde nicht so schnell erreicht und konnte auch gar nicht so schnell erreicht werden, ohne beträchtliche Störungen in anderen Bereichen zu verursachen.«6 Und: »Mit dem Preisverfall breiteten sich Verzweiflung und Trostlosigkeit im Land aus, und Millionen von Menschen, die sich auf der Straße zum Reichtum wähnten, sahen sich plötzlich von Armut bedroht, während auf allen Seiten unnachsichtige Gläubiger auf die Tilgung der Schulden drängten.« Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass die Gründung dieser japanischen Zentralbank – unter der Beratung von Finanzminister Ito Hirobumi – zu Beginn nicht mit der Expansionsphase einherging, die bei den Gründungen sämtlicher anderer solcher Zentralbanken zu beobachten war. Hirobumi war zusammen mit vier anderen Studenten von dem Unternehmen Jardine Matheson 1863 aus Japan herausgeschmuggelt worden, um in London studieren zu können. Die Bank wurde gegründet, nachdem Hirobumi von einem Besuch aus den USA zurückgekehrt war, wo er sich mit dem amerikanischen Geldsystem beschäftigt hatte. Japans Zentralbank war in Privatbesitz, und zwar unter der Kon-


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trolle der Mitsui-Gruppe, des ältesten Unternehmens der Welt. Die ses Unternehmen entstand 1616, als dessen Gründer Sokubei Takatoshi auf seinen Status als Samurai verzichtete und statt dessen Kaufmann wurde. Unter seinem Leiter Minomura Rizeamon, einer rätselhaften Figur mit dem Beinamen »Mann aus Nirgendwo«, erlangte das Unternehmen 1882 in Japan die führende Position. Rizeamon sorgte dafür, dass Japan, wie auch der Rest der Welt, eine deflationistische Politik betrieb.7 Ein weiterer erwähnenswerter Punkt der japanischen Geldpolitik ist in der Tatsache zu sehen, dass der deflationistische Effekt nicht – wie sonst üblich – über den Goldstandard erreicht wurde, sondern durch den Einzug der Han satsu, also der seit dem 17. Jahrhundert von etwa 250 Clans ausgegebenen, als offizielles Zahlungsmittel anerkannten Papierwährungen. Erst 1899 sollte sich der Goldstandard in Japan effektiv durchsetzen.

Die Hälfte des Münzgelds der Welt wird vernichtet »Mr. Carlisle [der spätere Schatzminister, 1893–1897] stellte am 21. Februar 1878 im Repräsentantenhaus fest: ›Bei der hier und in [Kontinental-]Europa angezettelten Verschwörung, die zum Ziel hat, über die Gesetzgebung und auf anderem Weg zwischen drei Siebteln und der Hälfte des Metallgelds der Welt zu vernichten, handelt es sich um das größte Verbrechen dieser und auch jeder anderen Epoche.‹«8 Aus der Literatur jener Zeit wird deutlich, dass die negativen Effekte dieser Reduzierung der Geldmenge den Amerikanern aufgrund ihres breiteren monetären Erbes eher bewusst waren bzw. dass dort zumindest mehr über diese Problematik gesprochen wurde. Diese Phase der Demonetisierung demonstriert, dass die Forderung der Finanziers nach Gold- und Silbergeld nicht als Manifestation einer ehrlichen, wenn auch inkorrekten Überzeugung zu werten ist. Weiterhin wird deutlich, dass es sich bei dem alten Goldstandard nicht um einen automatischen Marktmechanismus oder um einen Mechanismus handelte, dem erlaubt war, auf natürliche Entwicklungen zu reagieren, zum Beispiel auf neue Goldfunde. Es handelte sich um ein von außen beeinflusstes, kontrolliertes System – ein System, das den Interessen seiner Manager diente, nicht etwa der Opti-


Die erste Attacke: die Greenback-Anleihen

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mierung von Produktion, Handel, Arbeitsmarkt oder dem Fortschritt der Menschheit insgesamt. Der Machtzuwachs in Amerika

Schon im 18. Jahrhundert wurde von Philip Cantillon die Entwicklung der Vereinigten Staaten zur Supermacht vorhergesehen. Im frühen 19. Jahrhundert prophezeite Alexis de Tocqueville Amerikas Aufstieg zum Herr der Meere. Das finanzielle Establishment Europas hätte wahrscheinlich ein in Nord und Süd gespaltenes Nordamerika vorgezogen, das über Intrigen wesentlich besser zu kontrollieren gewesen wäre. »Von Beginn des Krieges an erhoffte sich die große Zahl der englischen Aristokraten, die Vereinigten Staaten in Stücke gehen zu sehen.«9 Präsident Lincoln traf jedoch die schwere und blutige Entscheidung, diese Spaltung zu verhindern. Elemente aus England, Frankreich und Österreich intrigierten gegen den Norden. Eine Zeitlang erlaubte England dem Süden den Bau von Kriegsschiffen, obwohl dies ein Verstoß gegen geltende Gesetze war. Russland war die einzige europäische Nation, die den Norden mit dem Aussenden einer Flotte von Kriegsschiffen unterstützte. Dreimal wurde Nordamerika deflatorisch attackiert: – durch die Greenback-Anleihen, – durch Versuche der Abschaffung der greenbacks, – durch die »heimliche« Demonetisierung des Silbers.

Die erste Attacke: die Greenback-Anleihen Um für die Kosten des Sezessionskriegs aufzukommen, hatten die Vereinigten Staaten Anleihen aufgelegt, die mit greenbacks erworben werden konnten. Die Rückzahlung der Kapitalsumme sollte ebenfalls in greenbacks, die Zinszahlungen jedoch in Gold erfolgen. Del Mar zufolge erwarb eine bestimmte Sorte Finanziers (er sprach von »Universalfinanziers«) Anleihen dieser Art im Wert von zwischen $ 1 und 1,5 Milliarden zum halben Preis. Später drängten dieselben Finanziers auf die Rückerstattung der Kapitalsumme in Gold, das 1868 30 % über dem greenback gehandelt wurde.10 Sie agitierten und konspirierten, um die Regeln zu verändern. Die Soldaten und Seeleute, von denen über 600 000 im Krieg ihr


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Leben gelassen hatten, wurden für ihre Anstrengungen, ihr Blut und ihre Verletzungen in greenbacks bezahlt; und da meinten diese Anleihegläubiger – unterstützt von Pfarrern und Professoren – vorgeben zu müssen, die Ehre der Vereinigten Staaten erfordere die Rückzahlung der Kriegsanleihe in Gold! (siehe 17. Kapitel). Die Rückzahlung in Gold hätte dem englischen Baron James Rothschild, seinen Kunden und anderen Bankiers zwei unverdiente Vorteile eingebracht: zum ersten den offensichtlichen Gewinn in Höhe von 30 %, zum zweiten Zinsen auf das Gold, das die Vereinigten Staaten von Baron Rothschild, anderen Bankiers und deren reichen Kunden in Europa hätten aufnehmen müssen, da sie selber zuwenig davon hatten. Letztendlich sollte das Gold also von Baron Rothschild und anderen Anleihegläubigern hin zu Baron Rothschild et al. transferiert werden; für das amerikanische Volk hätte dies jedoch eine finanzielle Vergewaltigung bedeutet. Durch die eigenen Gesetze wäre die Regierung gezwungen worden, dieses perfide Gold-Geldsystem zu unterstützen und bei der Unterdrückung ihres Volkes auch noch Hilfestellung zu leisten. Nicht ohne Grund wird hier Baron Rothschild besonders herausgestellt: Die Aktivitäten seines Mittelmannes in Amerika (August Belmont) während des Kampfs um den greenback können zurückverfolgt werden. Belmont war auch eine wichtige Persönlichkeit innerhalb der Democratic Party. Die Democratic Party wird von den Bankiers während des Präsidentschaftswahlkampfes von 1868 sabotiert

Um den Erfolg der Attacke gegen das Geldsystem der Vereinigten Staaten zu gewährleisten, mussten die »Finanziers« die logische Fürsprecherin des Normalbürgers ausschalten: die Democratic Party. (Die Republikaner waren schon auf der Seite der Bankiers.) Die Position von Horatio Seymour, dem Kandidaten der Demokraten, wurde gezielt unterminiert – durch Belmont, der dazu seine Stellung als chairman der Democratic Party’s National Convention ausnützte, sowie durch Manton Marbles New Yorker Zeitung The World, die Del Mar zufolge Belmont in finanzieller Hinsicht verpflichtet war. Del Mar war Zeuge dieser Ereignisse und vermittelt in seinem Buch Monetary Crimes ein lebhaftes Bild dieser Kampagne.11


Die erste Attacke: die Greenback-Anleihen

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Die Democratic Party sprach sich insgesamt gegen die Rückzahlung der Anleihen in Münzgeld aus; Seymour selbst war allerdings eher dafür. Die Verschwörer beschlossen jedoch, lieber kein Risiko einzugehen, und vernichteten Seymour. Nach Del Mar setzte sich The World – eine Zeitung, die gemeinhin als Sprachrohr der Demokraten betrachtet wurde – ab 1867 für den greenback ein, aber wie aus heiterem Himmel stand am 15. Oktober 1868 in The World zu lesen, man solle Seymour doch fallenlassen, er habe ohnehin keine Chance! Am folgenden Tag hielten zahlreiche Führungspersönlichkeiten der Democratic Party im Büro der Zeitschrift National Intelligencer in Washington eine Krisensitzung ab, bei der auch Del Mar, früher einer der Eigentümer der Zeitung, anwesend war. Detailliert schildert er, wie Belmont es vermied, den Artikel in The World widerrufen zu müssen – in einer solch kritischen Situation war Belmont über mehrere Tage schlicht nicht zu sprechen: »Es war, als ob der General einer Division am Vorabend eines sicheren Siegs zum Feind übergelaufen wäre.« Dennoch erhielt Seymour 2,6 Millionen Stimmen, verglichen mit 2,9 Millionen für den Republikaner Ulysses S. Grant.12 Grants erste Amtshandlung im März 1869 bestand darin, den sogenannten Credit Strengthening Act der Bankiers zu unterzeichnen, in dem die Rückzahlung von Schatzanleihen in Gold zugesichert wurde – ein Gesetz, gegen das Grants Vorgänger Johnson sein Veto eingelegt hatte. Im Anschluß an diese Ereignisse wurde The World zu einem Blatt, das sich für das Münzgeld einsetzte und im nächsten Wahlkampf den konservativen Kandidaten unterstützte. Auch Unger äußerte sich über diese Zeitung: »Mit Manton Marbles New Yorker World verfügten die Konservativen im Osten über ein mächtiges Sprachrohr, und August Belmonts Rothschild-Millionen lieferten unbegrenzte Mittel für die Durchführung effektiver politischer Aktionen.«13 Als Gegenreaktion erfolgt die Gründung volksnaher Parteien

Als offensichtlich wurde, dass sich die Democratic Party nicht mehr für die Etablierung eines dauerhaften Greenback-Systems einsetzen konnte, wurden einige neue Parteien gegründet, die dieses Ziel ver-


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folgten. Zwar gelang es diesen Parteien, die Mehrheit des Volks auf ihre Seite zu ziehen, den Finanziers jedoch gelang es, den politischen Prozess mit ihrem Geld in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Die zweite Attacke: Versuche zur Abschaffung der greenbacks Im Dezember 1865 setzte sich Schatzminister McCulloch für ein Gesetz ein, mit dem die greenbacks graduell aus dem Verkehr gezogen werden sollten. Das Gesetz wurde vom Repräsentantenhaus mit 144 gegen 6 Stimmen verabschiedet. Aufgrund dieses Gesetzes sollten greenbacks im Wert von $ 10 Millionen innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten eingezogen (vernichtet) werden. Nach Ablauf dieser Zeitspanne sollten monatlich bis zu $ 4 Millionen folgen. Trotz des eindeutigen Abstimmungsergebnisses war das Gesetz extrem unpopulär, da das Schatzministerium genau umgekehrt hätte verfahren müssen: Richtig wäre gewesen, für ein Mehr an Geld zu sorgen, um der zusätzlichen monetären Last gerecht zu werden, die nach dem Ende des Sezessionskriegs durch die Berücksichtigung der finanziellen Bedürfnisse des Südens entstanden war. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, ging McCulloch nicht etwa graduell über sechs Monate vor, sondern zog die $ 10 Millionen auf einen Schlag ein – eine Handlungsweise, die die Zahl der Geschäftsbankrotte im Norden in den Himmel schießen ließ.14 Geschäftsbankrotte zwischen 1860 und 1867 1860 1861 1862 1863

2733 5935 1652 495

1864 1865 1866 1867

520 530 632 2386

McCullochs liebste Vorlage wurde im Februar 1868 ausgesetzt, nachdem greenbacks im Wert von $ 44 Millionen eingezogen worden waren – ein großer Teil davon sollte später wieder ausgegeben werden.


Die zweite Attacke: Versuche zur Abschaffung der greenbacks

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Sogar Geschäftsleuten begann die Problematik klarzuwerden. So schrieb zum Beispiel George Morgan: »Den Geschäftsleuten wird allmählich bewusst, dass zwischen totem Kapital auf der einen Seite und aktivem Kapital und Arbeit auf der anderen Seite zu unterscheiden ist. Allmählich dämmert es ihnen, dass Wiedereinführung von Münzgeld und Bankrott dasselbe bedeuten.«15 Als Gegengewicht zur New Yorker Chamber of Trade wurde der New York Board of Trade mit dem Ziel der Unterstützung des greenback organisiert.16 Der Versuch, den greenback auf gerichtlichem Wege loszuwerden, scheiterte. Nachdem der Supreme Court schon 1871 im Fall Knox vs. Lee die Rechtmäßigkeit des greenback während der Zeit des Krieges bestätigt hatte, entschied das Gericht 1884 im Fall Juillard vs. Greenman, dass der Kongress auch in Friedenszeiten das Recht zur Ausgabe dieser Noten habe. Die Finanziers versuchten auch auf politischer Ebene die Einlösung sämtlicher umlaufender greenbacks in einem Gesamtwert von $ 360 Millionen zu erreichen. England sendet »Experten« aus, um die greenbacks in Misskredit zu bringen

Einer jener »Experten«, die die Amerikaner in Verwirrung stürzen sollten, war Bonamy Price, Professor für Nationalökonomie an der Universität Oxford. (Price war übrigens der Mann, der Thorold Rogers’ Professur in Oxford erhielt, nachdem dieser, wohl weil er das englische Establishment scharf kritisiert hatte, nicht mehr gewählt worden war. Siehe Seite 251 f.) Am 1. Oktober 1874 gab Price der Daily Tribune ein Interview – beurteilen Sie selbst den Grad der Rationalität in seinen Antworten:17 Price: »Eine nicht konvertierbare Währung ist so tückisch, so grundlegend schlecht, dass ich keinerlei Interesse an einem Notbehelf habe. Einzig und allein eine Maßnahme ist hier angemessen – Amputation.« Der Reporter: »Meinen Sie damit Währungskontraktion?« Price: »Nein, nicht Währungskontraktion, sondern die Vernichtung von nicht konvertierbarem Papiergeld. Alles, was nicht auf die Vernichtung der Währung abzielt, ist so radikal und grundlegend


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schlecht, dass ich keinerlei Interesse daran habe, die relativen Vorzüge oder Nachteile irgendwelcher Notbehelfe zu diskutieren.« Auf die Frage, ob die Einstellung der Einlösung von Papiergeld durch das US-Schatzministerium nicht mit der von den englischen Banken vorgenommenen Einstellung der Einlösung der Banknoten vergleichbar sei: Price: »Ach, das Motiv war aber doch völlig anders. Bei der nicht konvertierbaren Währung Ihres Landes handelt es sich um eine Steuer. Mit Hilfe dieses Papiergelds eignete sich die Regierung den Besitz der Nation an, und sie hat ihn behalten. Der Besitz ist dahin, und die Amerikaner haben statt dessen eine Papierwährung erhalten. Die Regierung muss den Besitz zurückerstatten.« Der Reporter: »Wer soll für die Emission einer Währung zuständig sein, die Regierung oder die Banken?« Price: Wer der Emittent ist, spielt für das Funktionieren der Währung keine Rolle. […] [Aus einer späteren Antwort:] Ich halte das Zwischenschalten einer privaten Gesellschaft für die richtige Methode.« Die erste »Kommunisten«-Panik in den Vereinigten Staaten

Um die Wähler in Panik zu versetzen, verwendeten die Republikaner den Trick mit der »kommunistischen Bedrohung«. Am 12. Oktober 1875 stand in der Cincinatti Daily Gazette: »Für die Demokraten zu stimmen, bedeutet die Unterstützung […] einer kommunistischen Revolution.«18 Die Republikaner beschuldigten die Demokraten und die volksnahen Parteien (populists), Klassenunruhen zu schüren. Die einschlägige Literatur macht allerdings deutlich, dass diesen Kräften nur daran gelegen war, dem Klassenkrieg Einhalt zu gebieten, der von den Finanziers ins Leben gerufen worden war. Die wirklichen Sozialisten und Kommunisten der damaligen Zeit attackierten nämlich den greenback. Der finanzielle Zusammenbruch von 1873

Am 20. September 1873 kam es auf den amerikanischen Märkten zu einem massiven Preissturz, und die New Yorker Börse musste schließen. Für den Zusammenbruch wurde die Spekulation mit Eisenbahnpapieren verantwortlich gemacht: »Der Eisenbahn-Boom


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nahm im Herbst 1873 ein abruptes Ende, und für die ganze Nation brachen harte Zeiten an. Dieser Schlag traf das Land völlig unvorbereitet«, schrieb Unger.19 In dieser Zeit wurde jedoch das Silber demonetisiert, und größeren Spekulanten hätte der daraus resultierende deflatorische Effekt bewusst sein müssen. Das durch diesen Zusammenbruch verursachte Leid war so groß, dass am 22. April 1874 ein Gesetz verabschiedet werden sollte, durch das der Umlauf sowohl der greenbacks (von $ 340 Millionen um 60 Millionen) als auch der Banknoten auf jeweils $ 400 Millionen erhöht worden wäre. Völlig überraschend legte jedoch Präsident Grant aus unerfindlichen Gründen sein Veto ein. Es war von Bestechung die Rede. »Alles in allem ist festzustellen, dass der Meinungsumschwung innerhalb der Bevölkerung nicht groß genug war, um das Veto zu erklären« (Unger). Mit seinem Veto fügte Grant der Republican Party großen Schaden zu. In den Wahlen von 1874 verlor sie die Kontrolle im Kongress. Doch noch bevor die unterlegenen Kongressabgeordneten ihre Sitze räumen mussten, wurde der Resumption Act verabschiedet. Der Resumption Act

Mit diesem Gesetz sollte das Gold als monetäre Grundlage festgeschrieben werden. Wenn man in Betracht zieht, was das Gesetz letztendlich beinhaltete, kann nicht von einer deflationären Maßnahme gesprochen werden. Für die greenbacks wurde die Goldeinlösungspflicht eingeführt, und für eingezogene greenbacks im Wert von $ 80 sollten Banknoten im Wert von $ 100 ausgegeben werden. Durch dieses Gesetz wurde das von der Regierung ausgegebene Geld durch Papiernoten der Banken ersetzt. Diesem Gesetz zufolge sollten am 1. Januar 1879 sämtliche vorgelegten greenbacks – es mussten jeweils mindestens $ 50 sein – in Münzgeld eingelöst werden. Durch ein weiteres Gesetz wurde der Greenback-Umlauf auf $ 382 Millionen beschränkt. Des weiteren wurde die Stellung, die den privaten Banken unter dem National Banking Act zugewiesen worden war, in mehrerlei Hinsicht gestärkt. So wurde die Geldmenge, die von diesen Banken gedruckt werden durfte, erhöht, während die Anforderungen an die Reservehaltung dieser Banken gesenkt wurden. Der greenback war jedoch im allgemeinen so beliebt, daß eine


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Rücknahme des Resumption Act im Verlauf der Kongresssitzungsperiode von 1876 möglich schien.20 Die Republikaner schoben dieser Entwicklung jedoch ganz gezielt einen Riegel vor. Michael Kerr, der Sprecher des Repräsentantenhauses, sorgte nach einer Beratung mit Manton Marble dafür, dass der Ausschuss für Bankwesen und Währung sowie auch das Ways and Means Committee von Goldbefürwortern dominiert wurde. Durch diese Taktik wurde die Gesetzgebung um Wochen hinausgezögert. Gesetzesvorschläge, die auf eine Rücknahme abzielten, verschwanden in den Aktenschränken der Ausschüsse, und obwohl eine geringe Mehrheit im Repräsentantenhaus für die Rücknahme des Resumption Act war, waren Versuche, die Komitees zu umgehen, letztendlich zum Scheitern verurteilt.21 Ende 1877 brachte das Repräsentantenhaus schließlich eine Gesetzesvorlage zur Rücknahme des Resumption Act ein; diese wurde jedoch vom Senat abgelehnt – mit einer Stimme Mehrheit. Für die Wiederaufnahme der Goldeinlösungspflicht wird Gold geborgt

Bei der Wiederaufnahme der Goldeinlösungspflicht wurde von der Notwendigkeit einer Goldreserve im Wert von zwischen $ 120 und 130 Millionen ausgegangen – das entspricht etwa 40 % des Werts der umlaufenden greenbacks. Als John Sherman 1877 Schatzminister wurde, war jedoch nur Gold im Wert von $ 25 Millionen verfügbar. Mit dem Ziel, Gold im Gesamtwert von $ 95,5 Millionen zu beschaffen, begann Sherman in Verhandlungen mit europäischen Bankiers (Seligman Brothers, Morton Bliss & Co.) zu treten, von denen der Großteil des benötigten Goldes geliehen werden sollte. August Belmont fungierte als Vermittler der Rothschilds, während Junius Morgan aus London von Drexel Morgan & Co. repräsentiert wurde. Die amerikanischen Bankiers erregten sich heftig darüber, dass sie diesem Syndikat nicht beitreten konnten, aber sie erfüllten die Konditionen dieser mächtigen internationalen Gruppe ganz einfach nicht. Sherman schloss schließlich mit diesem internationalen Syndikat ab.


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Und immer wieder dieselbe Geschichte mit dem Gold …

Die Art und Weise, wie diese Finanzierung vonstatten ging, ist ein deutliches Indiz dafür, dass das Syndikat und dessen Kunden über weit mehr Gold verfügten, als gut für sie war. »Obwohl während des ersten Monats laut Vertrag nur die Übergabe von Gold im Wert von $ 10 Millionen vorgesehen war, hatten schon nach drei Wochen etwa $ 20 Millionen zu über 102 % den Besitzer gewechselt. Schon Anfang Mai übergab das Syndikat die ursprünglich erst für Juni geplante Teillieferung. Ende Mai, also sieben Monate vor Ablauf des Vertrags, war das Geschäft abgeschlossen.«22 Während des größten Teils des Jahrs 1877 wurde Gold mit 4 % über pari gehandelt, $ 104 in greenbacks entsprachen also $ 100 in Gold. Nach März 1878 lag Gold nur mit 12 Cent über pari. Im November 1878 verfügte das Schatzamt über Gold im Wert von $ 141,9 Millionen. In diesem Zusammenhang erinnere ich an die im 1. Kapitel aufgestellte Hypothese, dass Gold von den antiken Tempelkulten monetisiert wurde, weil es in so großen Mengen vorhanden war. Was hätte das Syndikat letztlich mit seinem Gold angefangen, wenn die Vereinigten Staaten nicht dahingehend hätten manipuliert werden können, dafür Zinsen zu bezahlen? Am Stichtag der Wiederaufnahme der Goldeinlösepflicht wurde mehr als deutlich, dass die Vereinigten Staaten nicht einmal einen Teil des Goldes benötigt hätten. Die Einlösung in Gold fand nicht statt

Der Resumption Act sah New York als »Ort des Ereignisses« vor. Die zum Schatzamt gehörende Stelle öffnete um 10 Uhr vormittags ihre Tore. Am Ende des Tages waren greenbacks im Wert von nur $ 132 000 eingelöst worden, während Gold im Wert von $ 400 000 im Tausch für die praktischeren Banknoten deponiert wurde. Bei den betroffenen Banken war genau dieselbe Entwicklung zu beobachten – eine gigantische Enttäuschung. Manche Bankiers mögen ja selbst an ihre Kampagne gegen den greenback geglaubt haben; das Greenback-System funktionierte jedoch gut, und die Noten waren über einige Zeit hinweg sogar mit Gold fast al pari. Die Leistungsfähigkeit des Systems war einer der Gründe, weshalb den Finanziers so sehr daran lag, es zu vernichten,


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gaben die greenbacks doch Tag für Tag eine Lektion in angewandter Geldtheorie. Die Finanziers scheiterten jedoch in ihren Bemühungen, den greenback abzuschaffen, denn 1878 wurde ein Gesetz verabschiedet, aufgrund dessen sämtliche eingelöste greenbacks wieder erneut ausgegeben werden mussten, so dass theoretisch bis zum heutigen Tag greenbacks im Wert von $ 346 Millionen als Zahlungsmittel in den Vereinigten Staaten umlaufen.

Die dritte Attacke: die »heimliche« Demonetisierung des Silbers Das Geldsystem betreffende Gesetze werden häufig unter den erstaunlichsten Umständen verabschiedet; die folgende Episode ist an Absonderlichkeit jedoch kaum zu überbieten. Während der Kampf um den greenback tobte, wurde Silber mittels zweier Gesetze demonetisiert, die im Abstand von einem Jahr verabschiedet wurden. Aus keinem der beiden Gesetze geht hervor, dass eine Demonetisierung des Silbers für Beträge über $ 5 erfolgt war. In einem am 12. Februar 1873 verabschiedeten Gesetz wurde versäumt, den Silberdollar als eine der »derzeit geprägten« US-Silbermünzen zu nennen. Statt dessen wurde der trade dollar aufgeführt – eine Silbermünze, die speziell für den Handel mit China geprägt wurde. Dann, im Juni 1874, erfolgte eine Überarbeitung der Münzgesetze – ein umfangreiches, aus 67 Teilen bestehendes Gesetz. Abschnitt 3586 enthielt einen Satz, der für alle Silbermünzen galt, die im Gesetz von 1873 nicht in der Liste der »derzeit geprägten« Silbermünzen aufgeführt waren: »Die [›anderen‹] Silbermünzen der Vereinigten Staaten sollen zu ihrem Nominalwert für jeglichen Betrag, der $ 5 nicht übersteigt, offizielles Zahlungsmittel sein.« Das »Verbrechen von 1873« wird entdeckt

So unglaublich es auch sein mag – die Tatsache, dass Silbermünzen auf diese Art und Weise demonetisiert worden waren, drang der Nation während fast zwei Jahren nicht ins Bewusstsein. Erst als George Weston am 2. März 1876 einen Brief an den Herausgeber der Zeitung Boston Globe richtete, flog die Sache auf. Am »Verbrechen


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von 1873« entzündete sich ein Sturm der Entrüstung. Auch für Präsident Grant war diese Demonetisierung völlig neu. Del Mar äußerte sich hierzu wie folgt: »Das bedeutsamste Indiz für die allgemeine Unaufmerksamkeit gegenüber den Auswirkungen des Münzgesetzes von 1873 kann darin gesehen werden, dass Präsident Grant, der das Gesetz unterzeichnete, keinerlei Vorstellung davon hatte, dass hierdurch das Silber demonetisiert wurde, und noch am 3. Oktober 1873 hierüber uninformiert war, wie sein Brief beweist, […] (in dem) er sich fragt, warum kein Silber mehr zur Prägung in die Münzstätten gebracht wird!«23 Die Befürworter des Gesetzes betonten, das Gesetz sei ohne jede Heimlichkeit verabschiedet worden. Bullock schrieb: »Nachdem dieses Thema über fünf aufeinanderfolgenden Sitzungsperioden hinweg eingehend diskutiert und der Rat von Experten eingeholt worden war, verabschiedete der Kongress das ›Gesetz von 1873‹. Mit diesem Gesetz […] erfolgte die Streichung des veralteten Silberdollars von der Liste der offiziell anerkannten Münzen. Wiederholt wurde im Kongress eindeutig die Absicht erklärt, den Goldstandard gesetzlich festzuschreiben. 1876 wurde entdeckt, dass 1873 ein Verbrechen verübt wurde.«24 Das Fünf-Dollar-Limit hatte allerdings zum Resultat, dass die Annahme von Silbergeld bei der Abwicklung der Transaktionen im Handel verweigert werden konnte. Anstelle des Silbers mussten Gold oder Papiernoten beschafft werden – eine Wertsteigerung war die Konsequenz. Dadurch wurde der Münzgeldbestand der Vereinigten Staaten halbiert, nicht allerdings die ganze Geldmenge, da greenbacks im Wert von etwa $ 346 Millionen im Umlauf waren und mindestens $ 600 Millionen in Form von Bankpapiernoten und Bankeinlagen existierten. Besonders bedeutsam wurde dies im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die schon oben erwähnten Greenback-Anleihen und später auch die greenbacks selbst in Münzgeld zurückzuerstatten bzw. einzulösen, denn »Münzgeld« war dann natürlich gleichbedeutend mit Gold. Zudem bestand nicht mehr die Möglichkeit, aus neu abgebautem Silber Münzen zu prägen und dieses für Zins und Tilgung vorhandener Verbindlichkeiten zu verwenden. Del Mar beurteilte die Angelegenheit wie folgt: »Der Silberdollar


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wurde einzig und allein fallengelassen, um den Wert des Golddollars zu erhöhen und somit die Schulden der Nation zu verdoppeln. Dies allein war das Motiv, ein anderes gab es nicht. Als Beweis dafür kann dienen, dass genau diejenigen – und ich meine genau dieselben Individuen –, die ihre Partei 1868 betrogen und die Staatsverschuldung durch die Befürwortung des Gesetzes vom März 1869 verdoppelten, auch dazu beitrugen, die Schulden durch die Befürwortung der am 12. Februar 1873 und im Juni 1874 verabschiedeten MünzstättenKodifizierungsgesetze ein weiteres Mal zu verdoppeln, […] obwohl dem Kongress von seinem zuständigen Ausschuss versichert worden war, dass sie keinerlei neue Angelegenheiten beinhalteten. Bei der Gesetzgebung von 1865 bis 1874 handelte es sich nicht etwa nur um ein akademisches Experiment, sondern um ein im Ausland ausgebrütetes Verbrechen, das von den verräterischen Leuten ins Land getragen wurde, die für die Äußerungen in der New Yorker World [eine Zeitung] verantwortlich waren.«25 Die Untersuchung der US-Währungskommission von 1876

Del Mar, in jener Zeit Leiter des US Bureau of Statistics, war 1876 an der Einsetzung der US-Währungskommission zur Untersuchung der mit der Demonetisierung verbundenen Vorgänge beteiligt. Unterstützung erhielt er von einer internationalen Expertengruppe. Einer der herausragenden Experten war Albert Cernushi, ein Jurist und Bankier aus Paris, der an der Universität Pavia studiert hatte. Cernushi hatte den Begriff »Bimetallismus« geprägt. Seine Einschätzung ist eine vernünftige Zusammenfassung der Situation: »Es wurde verabschiedet, ohne dass die Nation Kenntnis davon gehabt oder den Prozess mitverfolgt hätte. […] Nach diesem Gesetz riefen weder öffentliche oder politische Versammlungen noch Petitionen des Volkes. […] Vorbereitung und Verabschiedung des Gesetzes entgingen der Presse, oder sie schwieg dazu. Wäre allgemein bekannt gewesen, dass in dem Gesetz eine so bedeutsame Problematik wie die Demonetisierung des Silbers lauerte, hätte dies im ganzen Land die umfassendsten Diskussionen ausgelöst. […] Für die Verabschiedung der Gesetze von 1873 bis 1874, aufgrund deren das Silber demonetisiert wurde, sind niemals überzeugende oder nachvollziehbare Gründe irgendwelcher Art angeführt worden.«26 In krassem Gegensatz hierzu bestand August Belmonts »Aussage«


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vor der Kommission aus einem lächerlichen, aus einer Seite bestehenden Brief, dessen Ton hart an Verachtung grenzte. Belmont ging auf das Thema gar nicht richtig ein und stellte fest, da Gold der Wertmassstab sei, könne es nicht steigen oder fallen; dessen Überfluss oder Knappheit verursache einen Anstieg oder ein Absinken der anderen Preise. Er empfahl der Kommission, sich von jemand anderem bessere Statistiken zu besorgen. Zudem führte er den Niedergang des Silbers auf dessen Demonetisierung im Ausland zurück und schloss den Brief mit seiner Einschätzung, die Probleme der Amerikaner seien lokaler Natur und der Zusammenbruch des Marktes sei auf eine Überspekulation mit Eisenbahnpapieren zurückzuführen.27 Die Silberkontroverse als Ablenkungsmanöver

Durch die Silberkontroverse wurden jene Politiker, die die Belange des Volks unterstützten, von ihrem eigentlichen Ziel abgelenkt. Die eigentliche Frage, ob die Kontrolle des Geldsystems privaten Bankiers oder dem Staat anzuvertrauen sei, wurde von der Diskussion um den greenback in den Hintergrund gedrängt. Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass die vehemente Reaktion auf die Aufdeckung der Silberdemonetisierung fest einkalkuliert und somit geradezu erwünscht war, da durch die allgemeine Entrüstung von der viel wesentlicheren anderen Frage abgelenkt werden konnte.

Die Vereinigten Staaten remonetisieren das Silber Sogar der junge Alexander Del Mar ließ sich von den Emotionen jener Zeit mitreißen und entwarf die Gesetzesvorlage zur Silberremonetisierung. Die US-Regierung wurde dadurch verleitet, im Alleingang Silber wieder zum offiziellen Zahlungsmittel zu erklären, und dies, obwohl schon die Verpflichtung bestand, Anleihen in Gold zurückzuerstatten und auch die greenbacks in Gold einzulösen. Das Bland-Allison-Gesetz wurde am 28. Februar 1878 mit 205 gegen 72 Stimmen verabschiedet. Präsident Hayes’ Veto wurde abgeschmettert. Das Gesetz sah die Prägung neuer Silberdollars im Wert von monatlich $ 2–4 Millionen vor. Die Gefahr, die von diesem Gesetz für die Vereinigten Staaten ausging, war nicht so groß, da das


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hierzu verwendete Silber aus US-Minen kam und nicht etwa aus Europa, wo sich seit der dort vorgenommenen Demonetisierung das Silber nur so türmte. Auf der Grundlage dieses Gesetzes wurden neue Silberdollars im Wert von $ 378 Millionen geprägt – ein Wert, der fast an den der umlaufenden greenbacks heranreichte. Ganz anders verhielt es sich jedoch bei der Verabschiedung des Sherman-Gesetzes 1890. Mit diesem Gesetz wurden die Vereinigten Staaten verpflichtet, monatlich 4,5 Millionen Unzen Silber zu erwerben, also jährlich 17 Millionen Unzen mehr, als die US-Minen hergaben. Dieses Gesetz ermöglichte es den europäischen Finanziers, ihre demonetisierten Silberbestände gegen US-Gold einzutauschen, und zwar zu $ 1,29 pro Unze, einem künstlich festgelegten Preis, der vorteilhafter war als jener, der sich aus dem in Amerika gültigen Silber-Gold-Wertverhältnis von 16 : 1 ergeben hätte. Die Vereinigten Staaten bezahlten das Silber mit Schatzanweisungen, die selbstverständlich binnen kurzer Zeit in Gold eingelöst wurden. Zudem sahen sich die USA im Laufe der Zeit gezwungen, das Gold gegen Zahlung von Zinsen zurückzuborgen, um die Schatzanweisungen, Anleihen und auch das Silber der Europäer weiterhin in Gold einlösen zu können. Dies führte zu einem Schwinden der Goldreserven des Schatzamts: »Der Abfluss des Goldes aus dem Schatzamt der Vereinigten Staaten war fast ununterbrochen zu beobachten – vom Zeitpunkt der Verabschiedung des Sherman-Silbergesetzes bis hin zum Ausbruch der Panik [1893]«, schrieb Charles A. Conant. Die Nettoexporte von Gold beliefen sich 1891 auf $ 68,1 Millionen, 1892 auf $ 0,5 Millionen, 1893 auf $ 87,5 Millionen.28 Den Vereinigten Staaten gelang es nicht, Frankreich oder irgendeine andere europäische Nation zur Remonetisierung des Silbers zu bewegen. Die letzten Hoffnungen mußten begraben werden, als die britische Regierung in Indien die unbegrenzte Prägung von Silbermünzen einstellte, wodurch der Markt für ein Drittel der weltweiten Silberproduktion geschlossen wurde. Es dauerte drei Jahre, bis das Sherman-Gesetz 1893 annuliert wurde. Sherman musste sein europäisches Syndikat wegen erneuter Goldanleihen aufsuchen – Gold, das die Vereinigten Staaten wie durch eine Drehtür erreichte und wieder verließ. Für die Verabschiedung des Gesetzes wird stets die Lobby der amerikanischen Silberminen verantwortlich gemacht; zu denjenigen, die am meisten von


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dem Gesetz profitierten, gehörten jedoch auch europäische Bankiers. Der Marktpreis für Silber fiel 1893 auf $ 0,60, 1894 auf $ 0,49. Die weltweite Panik während der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts

In dieselbe Zeit wie die absurden Vorgänge um das Silber fiel der Konkurs der Baring Brothers in London, der 1890 durch deren hirnrissige Spekulationen in Argentinien verursacht wurde. Diese Pleite hatte Auswirkungen auf sämtliche Finanzzentren der Welt; 1893 sollten auch die Vereinigten Staaten die Folgen zu spüren bekommen. Die Geldknappheit in den Vereinigten Staaten von den 60ern bis in die 90er Jahre des 19. Jahrhunderts

Nach dem Sezessionskrieg führten die oben geschilderten Ereignisse in den Vereinigten Staaten (und im Ausland) zu einer Geldknappheit, die fast drei Jahrzehnte lang zu spüren war. Mit dem Fortschreiten der industriellen Revolution war in sämtlichen Bereichen (Bevölkerung, Mechanisierung, Produktion oder Eisenbahnen) ein Wachstum zu verzeichnen. Auch die Fläche des kultivierten Landes nahm ständig zu. Dennoch – und man konnte es drehen und wenden, wie man wollte – war das Geld zu knapp. Glaubt man einigen Wirtschaftswissenschaftlern, so gab es keine Deflation, sondern nur Überproduktion. Dies ist jedoch eine Entschuldigung, die ebensogut von Bankiers hätte stammen können. Noch immer gab es in den Vereinigten Staaten große Armut; die Überproduktion hätte sie lindern müssen. Jeder Farmer wusste, dass der Wert des Geldes stieg. Einem Index zufolge, dem die Statistiken des Aldrich Report (siehe nächstes Kapitel) und des US Bureau of Labor zugrunde liegen, stieg der Dollar von 1865 bis 1895 um etwa das Dreifache an.29 Friedman und Schwarz kommen in ihrer Untersuchung zu folgendem Ergebnis: Im Zeitraum zwischen 1867 und 1879 war in fünf Kalenderjahren eine Verringerung der Geldmenge zur verzeichnen, im Februar 1879 lag die Geldmenge nur um 17 % höher als 12 Jahre zuvor. Von 1879 ausgehend, ist erst 1933, also mehr als ein halbes Jahrhundert später, eine weitere Zeitspanne von 12 Jahren zu finden, innerhalb deren gleich in fünf Kalenderjahren eine Verringerung der Geldmenge zu verzeichnen ist.30


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Die monetären Verbrechen des 19. Jahrhunderts

Ein Anstieg der Geldmenge von nur 17 % über 12 Jahre (etwa 1,4 % im Jahr) in Kombination mit einem sehr hohen Bevölkerungswachstum und einer enormen Steigerung der wirtschaftlichen Aktivität muss als deflatorisch angesehen werden. An diesem wichtigen Beispiel wird deutlich, dass es nicht die absolute verfügbare Geldmenge ist, die zu Inflation oder Deflation führt, sondern die Geldmenge im Verhältnis zu Bevölkerungszahl und wirtschaftlicher Aktivität, für die diese Geldmenge genügen muss. Die Geldmenge muss auf die Ermöglichung optimaler Ergebnisse ausgerichtet sein. Auch die Orientierung an Preisniveaus gibt keinen sicheren Aufschluss über die Adäquatheit der Geldmenge – ein Fehler, der vom Federal Reserve System seit 1987 gemacht wird und zu dem sich inzwischen auch die Deutschen haben verleiten lassen. Wie kann die optimale Geldmenge errechnet werden? Diese Frage wurde bis jetzt nicht befriedigend beantwortet. Zuerst müssten an einem Geldsystem, in dem die Geldmacht beim Staat liegt, umfassende Studien durchgeführt werden. Die Lösung dieses Problems sollte auf der Dringlichkeitsliste der Wirtschaftswissenschaft ganz weit oben stehen.


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19. Kapitel

Der Triumph der Bankiers – die Einrichtung des Federal Reserve System

Die Bankiers werden die Verabschiedung von Gesetzen propagieren, durch die ihre Macht gestärkt wird. Sie werden nie aufhören, mehr zu wollen, solange es noch mehr gibt, das den hart arbeitenden Massen des amerikanischen Volks abgepresst werden kann. P C an Ulysses Grant, 1.Juni 1877

Mit dem Kampf um den greenback in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde das zentralste aller Probleme in Angriff genommen, die Frage, wer die Kontrolle über das Geldsystem ausüben sollte. Mit diesem Komplex untrennbar verbunden waren auch die Privilegien, die die Bankiers zum persönlichen Nutzen und auf Kosten der Gesellschaft für sich in Anspruch nahmen. Schon Jeffersons und van Burens Attacken – sie wurden auch von der Bevölkerung unterstützt! – richteten sich gegen diese; aber aufgrund mangelnder Lösungsvorschläge wurde letztendlich ein System etabliert, das die Position der Edelmetalle stärkte. Mit der Einführung des greenback konnte jedoch ein großer Teil der monetären Probleme der Vereinigten Staaten gelöst werden, da mit dieser Methode der Geldschöpfung weder Schulden noch Zinszahlungen verbunden waren. Während der 80er und 90er Jahre war die Schlacht jedoch auf den Nebenkriegsschauplatz um Silber und Bimetallismus verlegt worden. Fast völlig unmöglich wurde eine ernsthafte Diskussion über die Kontrolle des Geldsystems mit der Etablierung des Federal Reserve System im Jahr 1913.


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Der Triumph der Bankiers

Die volksnahen Parteien – von den Bankiers in die Tasche gesteckt Als ein Grund für das Scheitern der populists kann die Tatsache angeführt werden, dass in verschiedenen Teilen und von verschiedenen Gruppierungen des Landes auch verschiedene Ziele verfolgt wurden. Auch aus diesem Grund gelang es oft, die populists zu entmutigen oder einen Keil zwischen sie zu treiben. Zudem war ihnen das Ausmaß an Verschlagenheit ihrer Gegner nicht völlig bewusst. Als Durchschnittsamerikaner waren sie ständig in Geldnot, und ihre politische Aktivitäten ließen ihre mageren Ressourcen nur noch weiter schwinden. Die Bankiers dagegen waren mehr oder weniger alle aus demselben Holz geschnitzt und verfolgten daher auch alle dasselbe, genau definierte Ziel. Manche von ihnen hatten Zugang zu den in Europa über Jahrhunderte hinweg dokumentierten Erfahrungen in Intrigen auf höchster Ebene. Zudem finanzierte sich das verräterische Treiben der Bankiers quasi von selbst. Die Bewegung der populists kann durchaus als Aufstand der Opfer einer finanziellen Oligarchie gegen ihre Unterdrücker gesehen werden – als Aufstand der Opfer des Wuchers gegen die Wucherer, wenn Wucher auf umfassende Art und Weise definiert wird, nämlich als »Missbrauch des monetären Mechanismus einer Gesellschaft mit dem Ziel der ungerechtfertigten Bereicherung«. Der »Belmont-Faktor« spaltet die Demokraten

Die Entstehung der »volksnahen Parteien« ist ein Indiz für eine fatale politische Schwäche. Die Anwesenheit August Belmonts (Baron Rothschilds amerikanischer Mittelsmann) in den oberen Rängen der Democratic Party reichte aus, um diese in der so entscheidenden Greenback-Debatte – der Frage der Kontrolle über das Geldsystem der Nation – daran zu hindern, zum eigentlich logischen Repräsentanten der Interessen der breiten Bevölkerung zu werden. Diese Neutralisierung der Demokraten war von entscheidender Bedeutung, denn hätten sich diese von vornherein für den greenback stark gemacht, wie das eigentlich der Fall hätte sein müssen, wären all diese Splitterparteien gar nicht erst gegründet worden, und die Mehrheit, die sich innerhalb der Bevölkerung in der Tat für den


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greenback fand, hätte in der Democratic Party eine mächtigere und wahrscheinlich auch erfolgreiche Repräsentantin gehabt. Einige monetäre Highlights in der Bewegung der populists

Es folgt eine chronologische Darstellung einiger für den monetären Sektor bedeutender Ereignisse innerhalb der breit gefächerten Bewegung: – 1872 forderte die National Labor Reform Party eine von der Regierung ausgegebene, nicht in Gold einlösbare Papierwährung »direkt für das Volk«. – 1876 wurde anlässlich der anstehenden Präsidentschaftswahlen die National Independent Party organisiert. Im Verlauf der Parteiversammlung in Indianapolis wurde Peter Cooper nominiert. Cooper, ein Ingenieur, gehörte zu den ersten der größeren Industriellen, denen weithin der Ruf vorauseilte, auch den Bedürfnissen der Arbeitskräfte Rechnung zu tragen. Er war 85 Jahre alt, sollte aber zugunsten seines Vize zurücktreten. Nach der verlorenen Wahl sandte Cooper einen offenen Brief an Präsident Grant, in dem er sich über die Geldmacht äußerte: »Diese Leibeigenschaft hat ihre diversen Zentren und geheime Macht in den mehr als 2000 Banken, die über das ganze Land hinweg verteilt sind. […] Eine solche, auf Reichtum basierende Macht wird – solange sie von den selbstsüchtigen Instinkten der Menschheit geleitet wird – immer imstande sein, das Handeln unserer Regierung zu kontrollieren, es sei denn, die Regierung verfährt nach den strengen Prinzipien der Gerechtigkeit und des Wohlergehens des Volkes. Die Bankiers werden die Verabschiedung von Gesetzen propagieren, durch die ihre Macht gestärkt wird […] Sie werden nie aufhören, mehr zu wollen, […] solange es noch mehr gibt, das den hart arbeitenden Massen des amerikanischen Volks abgepresst werden kann. […] Der Kampf um die Geldmacht ist schon vom Anbeginn der Geschichte dieses Landes zu beobachten.«1 – In Chicago warb eine Independent Greenback Party um Unterstützung für ihre Parteiziele. Der Kampf um eine auf Dauer zu etablierende Greenback-Währung erreichte 1878 während der Wahlen zum Kongress einen Höhepunkt. Nach 1880 begann das Interesse jedoch abzuflauen – teils aufgrund der Skandale, die die Grant-Administration erschütterten, teils aufgrund von Kampfes-


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Der Triumph der Bankiers

müdigkeit, teils aufgrund der Ablenkung, die die Silberkontroverse darstellte. – 1884: General Benjamin F. Butler wurde Präsidentschaftskandidat der Parteien, die sich für Papiergeld einsetzten (siehe 15. Kapitel). – 1892: Die People’s Party nominierte James B. Weaver als ihren Präsidentschaftskandidaten. Er erhielt über 1 Million Stimmen und forderte die Regierung auf, eine nationale Währung auszugeben, und zwar in Höhe von $ 50 pro Kopf. Dieses Geld sollte der Verbesserung der Allgemeinsituation dienen und Bürgern gegen eine Zinszahlung von 2 % überlassen werden. – März 1893: General Jacob Coxey aus Massillion, Ohio, marschierte mit Tausenden Arbeitslosen nach Washington. »Coxeys Armee«, wie sie genannt wurde, verlangte von der Regierung die Emission von $ 500 Millionen in Form von nicht verzinsten, als offizielles Zahlungsmittel anerkannten Papiernoten (greenbacks), um 4 Millionen Arbeitslose im Straßenbau beschäftigen zu können. Coxeys Geldtheorie scheint vernünftig gewesen zu sein, und die indirekte Androhung von Gewalt durch ihn war berechtigt; Coxey berücksichtigte in seinem Denken jedoch nicht die potentiellen Risiken, die seine Handlungsweise für seine persönliche Sicherheit bedeutete, so dass ihn die Polizei in Washington vor dem Capitol wegen Betretens des Rasens festnehmen konnte. Die Kampagne von William Jennings Bryan von 1896

Innerhalb der Democratic Party war für Konfusion über monetäre Fragen gesorgt. So wurde zum Beispiel für die Wahlen im Jahr 1876 mit S. J. Tilden ein Befürworter von Metallgeld als Präsident und mit Th. A. Hendricks ein Papiergeldverfechter als Vizepräsident aufgestellt. Als die Democratic Party die Geldfrage schließlich zu ihrem zentralen Thema machte, nahm sie die letztlich irrelevante Silberproblematik zum Ausgangspunkt, was die Bankiers in ihrem Treiben nicht sonderlich behinderte. In The Populist Revolt bemerkte John D. Hicks, dass die verschiedenen Gruppen der populists während der Präsidentschaftswahlen von 1892 feststellten, dass ihre »Silberschiene« in der Bevölkerung am meisten Anklang fand: Es handelte sich um ein konkretes Thema, die Problematik war insgesamt leicht


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nachzuvollziehen, und das »Verbrechen von 1873« erhitzte noch immer die Gemüter. So konzentrierte sich auch William Jennings Bryan in den Kampagnen der Demokraten von 1896 und 1900 auf diese Problematik, obwohl seinen Reden zu entnehmen ist, dass er durchaus ein beträchtliches Wissen über das Wesen des Geldes hatte: »Der Mensch ist das Geschöpf Gottes, und Geld ist das Geschöpf des Menschen. Geld wird gemacht, um dem Menschen zu dienen, und ich wehre mich gegen alle Theorien, die das Geld auf einen Sockel stellen und den Menschen herabsetzen.«2 »Das Recht, Geld herzustellen und auszugeben, liegt bei der Regierung. Es ist Teil der Souveränität und kann ebensowenig an Individuen delegiert werden, wie wir es uns leisten können, die Macht, über strafrechtliche Bestimmungen oder das Erlassen von Steuern zu befinden, an Privatpersonen zu delegieren.«3 Diskussionen über das unbegrenzte Prägen von Silber dominierten die Präsidentschaftwahlen von 1896: »Die Tageszeitungen in den Städten sahen sich aufgrund des enormen Interesses der Bevölkerung gezwungen, der Diskussion monetärer Fragen sehr viel Platz einzuräumen«, schrieb Hicks.4 Zu diesem Zeitpunkt stellten die verschiedenen populistischen Parteien nur gerade 6 Senatoren und 25 Kongressabgeordnete. Die populists unterstützten Bryan. Die »Kreuz-aus-Gold-Rede«

William Jennings Bryan war zu Beginn der Parteiversammlung der Demokratischen Partei kaum jemandem bekannt gewesen. Dank seiner berühmten »Kreuz-aus-Gold-Rede« wurde er jedoch quasi über Nacht zu einer im ganzen Land bekannten Persönlichkeit. Die Rede, die ihm diese Berühmtheit verschaffte, endete wie folgt: »Wenn sie es wagen, ins offene Feld hinauszutreten, um den Goldstandard als etwas Gutes zu verteidigen, werden wir sie bis aufs Letzte bekämpfen, und wir werden dabei die produzierenden Massen der Nation und der Welt hinter uns haben. Wir werden die Unterstützung des Handels und der gesamten Arbeiterschaft haben. Auf ihre Forderung nach dem Goldstandard werden wir ihnen folgendes antworten: Auf die Stirn der Arbeiterschaft werdet ihr diese Dornenkrone nicht drücken. Ihr werdet die Menschheit nicht an ein goldenes Kreuz schlagen.«


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Der Triumph der Bankiers

Als die Rede endete, stand Bryan vor der Versammlung, mit gekreuzten Armen und zur Seite geneigtem Kopf. Für einen langen Moment war die Menge wie betäubt, dann brandete nicht enden wollender Beifall auf, und Bryan wurde nominiert – einer der großen Momente in der politischen Geschichte der Vereinigten Staaten. Innerhalb von zwei Wochen besuchte Bryan, der große Redner, zwei Drittel aller Bundesstaaten und hielt 400 Reden. Niemals zuvor hatte es so etwas gegeben. Seine Kampagne wurde als honest money campaign (dt.: »Kampagne für ehrliches Geld«) bekannt. Bei eingehender Betrachtung der Kampagne wird jedoch deutlich, dass das Volk der Vereinigten Staaten vor die Wahl zweier Systeme gestellt wurde, die beide von den Bankleuten kontrolliert werden konnten. Der hauptsächliche Unterschied war, dass die Berücksichtigung von Bryans Vorschlägen einen Anstieg im Silbergeldumlauf bedeutet hätte. Das zumindest wäre angesichts der herrschenden Geldknappheit eine gute Sache gewesen. Es sollte allerdings nicht vergessen werden, dass die Nation ein erfolgreiches Beispiel für ein überlegenes Geldsystem vor sich hatte: das System der greenbacks. So gesehen ist die von Bryan im Namen der Democratic Party geführte Kampagne als erheblicher Rückschritt gegenüber den Positionen der Greenback-Parteien zu werten.

Verebbender Kampf um den greenback Die Dezentralisierung entschärft einige Probleme

Das Nachlassen des Eifers der populists war nicht nur auf die erlittenen Fehlschläge und das Silberablenkungsmanöver zurückzuführen, sondern auch auf die Tatsache, dass einige der von ihnen angeprangerten Probleme mit der Zeit in der Tat an Bedeutung verloren. In The Triumph of Conservatism macht der Historiker Gabriel Kolko auf mehrere positive Entwicklungen aufmerksam: auf die guten Ernten jener Zeit, auf bessere Preise und auch auf das allgemeine Wachstum, das durch die nach wie vor bestehende Verfügbarkeit neuen Landes und den Zustrom an Immigranten enorm stimuliert wurde. Die industrielle Produktion wurde mehr und mehr dezentralisiert. So waren in Finanzjournalen des Jahres 1890 noch 10 Emissionen von Industrieaktien vermerkt, während es 1893 und 1897


Verebbender Kampf um den greenback

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schon 30 bzw. über 200 waren.5 Nach Kolko stammten 70 % der von den Industriebetrieben benötigten finanziellen Mittel nicht aus Darlehen, sondern aus intern erwirtschafteten Unternehmensgewinnen. John P. Morgan

Obwohl es zwischen Finanziers und Industrieunternehmern auch Gemeinsamkeiten gibt, besteht ein ganz entscheidender Unterschied: Für einen Unternehmer wie Peter Cooper, der real existierende Industrien aufbaute und reale Güter produzierte, waren ganz andere Qualitäten erforderlich als für einen Finanzier wie zum Beispiel John Pierpont Morgan (1837–1913), der nur Papiere manipulierte und so gut wie nichts aufbaute. Um die Jahrhundertwende propagierten Finanziers wie Morgan Zusammenschlüsse von Unternehmen. Solche Maßnahmen können nicht so ohne weiteres als Rationalisierung der Industrie gerechtfertigt werden; sie stellten nämlich eine Möglichkeit dar, verwässerte Aktien zu verkaufen. Morgans Methode war es, die Unternehmen zu überkapitalisieren und beim Verkauf der Aktien an die Öffentlichkeit hohe Gebühren für die Emissionsgarantie einzustreichen. So wurden im Jahr 1908 bei 183 Unternehmenszusammenschlüssen Aktien und Anleihen in Höhe von $ 3,085 Milliarden emittiert bzw. aufgelegt, und zwar basierend auf einem Kapital im Wert von nur $ 1,459 Milliarden.6 Durch den Unternehmenszusammenschluss gelangte Morgan dank seiner Anteile an die Kontrolle der neuen Einheit. Schon damals wurde der Markt von der kurzfristig abzusehenden Entwicklung beherrscht. »Da Morgans Profite sich nicht sofort oder wenigstens relativ kurzfristig einstellten, sondern von der Leistung der Manager und der Gewinnsituation des neuen Unternehmens abhingen, schnitt Morgan eher relativ schlecht ab.« »Trotz ihrer Größe, Effizienz und ihres Kapitals waren die neuen Unternehmenszusammenschlüsse der Flut der wachsenden Konkurrenz nicht gewachsen. Ganz im Gegenteil! In der Regel waren sie nicht in der Lage, sich erfolgreich auf dem Markt zu behaupten oder auch nur ihre Marktanteile zu verteidigen – eine Tatsache, die noch von äußerster politischer Bedeutung sein sollte.«7


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Der Triumph der Bankiers

Die wachsende Konkurrenz

Um die Jahrhundertwende war auf dem Bankensektor ein Zuwachs sowohl an Konkurrenz als auch an Dezentralisierung zu vermerken. 1892 kam den von den einzelnen Bundesstaaten konzessionierten Banken schon eine größere Bedeutung zu als den national banks, und die Geschäfte der letzteren gingen weiterhin zurück. Jahr

state banks stellten:

1896 1913

61% der Banken, 54% des gesamten Bankvermögens 71% der Banken, 57% des gesamten Bankvermögens 8

1908 machten die Banknoten der national banks nur noch 20 % der gesamten im Umlauf befindlichen Währung aus.9 Die Zahl der Banken stieg von 10 000 im Jahr 1900 auf 25 000 im Jahr 1912. Etwa die Hälfte sämtlicher Einlagen wurde aber von den Banken in New York gehalten. Da die Banken aufgrund des National-bank-Gesetzes pro Kunde nur Kredite in Höhe von bis zu 10 % des Bankenkapitals gewähren durften, kam noch hinzu, dass sich im Jahr 1912 nur noch 12 Banken imstande sahen, an Firmen Kredite von über $ 1 Million zu vergeben.10 Neue Goldfunde und neue Technologie bringen etwas Erleichterung

Innerhalb des herrschenden gemischten Systems, das auf Edelmetallen, von Banken geschöpftem Geld und Krediten sowie auf von der Regierung geschöpftem Geld basierte, wurde die weltweit herrschende Geldknappheit gegen Ende des 19.Jahrhunderts schließlich durch einige glückliche Umstände gemildert: zum einen durch beträchtliche Goldfunde in Afrika, Alaska und Australien, zum anderen durch ein neues, mit Cyanidlösungen arbeitendes Verfahren bei der Goldgewinnung, wodurch dem zermahlenen Gestein noch mehr Gold entzogen werden konnte. Durch diese Entwicklungen konnte sich die jährliche Goldproduktion innerhalb von nur acht Jahren mehr als verdoppeln:11 1890 1896 1898

5,7 Millionen Unzen 9,8 Millionen Unzen 13,9 Millionen Unzen


Das Aufkommen gesellschaftlich verträglicher Lösungen des Geldproblems

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Genaue Schätzungen über das vorhandene Münzgeld anzustellen ist mit Schwierigkeiten verbunden, denn häufig erfolgte die Prägung und Neuprägung desselben Edelmetalls in mehreren Münzstätten des Landes. Del Mar schätzte die Menge der in jedem Land vorhandenen Gold- und Silbermünzen und kam weltweit auf einen Gesamtwert von $ 3,7 Milliarden im Jahr 1879 und von $ 6,34 Milliarden im Jahr 1899.12

Der Currency Act von 1900 Mit diesem Gesetz wurde in den Vereinigten Staaten der Goldstandard eingeführt – $ 1 entsprach 25,8 Gran Gold. Da sich die Goldproduktion zwischen 1890 und 1898 mehr als verdoppelt hatte, stellte sich der mit einer solchen Maßnahme normalerweise einhergehende deflationäre Effekt nicht ein. Wenn Befürworter des Goldes auf das gute Funktionieren des Goldstandards in jener Zeit hinweisen, lassen sie außer acht, dass während dieser Periode außergewöhnlich viel Gold produziert wurde, so dass das Wachstum der für die Herstellung von Münzgeld verfügbaren Goldvorräte das Wachstum der Bevölkerung beträchtlich überstieg – im Lauf der Geschichte eher üblich war ein nur unzureichender Zuwachs der Goldvorräte von unter 1,2 % jährlich.13 Zudem wird häufig ignoriert, dass die Goldvorräte durch Papiernoten ergänzt wurden, die von den Banken und der Regierung ausgegeben wurden.

Das Aufkommen gesellschaftlich verträglicher Lösungen des Geldproblems Obwohl die Vereinigten Staaten nun schon seit 125 Jahren bestanden, gab es noch immer kein einheitliches Währungssystem. Strukturelle Flexibilität, die den Banken eine Anpassung an sich verändernde wirtschaftliche Verhältnisse ermöglicht hätte, war nicht gegeben.


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Der Triumph der Bankiers

Die Neuerungen von Schatzminister Shaw

Von 1902 bis 1906 sah sich Schatzminister Leslie M. Shaw einem Bankensystem gegenüber, das unflexibel war und dessen Möglichkeiten begrenzt waren. Auf der Grundlage ihrer hinterlegten Regierungsanleihen durften die national banks nur Geld im Wert von etwa $ 800 Millionen schöpfen. Das System konnte auf die wirklichen Bedürfnisse des Handels oder auch nur auf saisonale Schwankungen im Geldbedarf nur unzureichend reagieren. Zudem gab es keine übergeordnete Institution, von der die Banken in Zeiten der Not Kredite hätten erhalten können, und das ganze System war schon in Zusammenhang mit vergleichsweise bedeutungslosen Vorkommnissen anfällig für Booms und Paniken. Shaw beabsichtigte, die Banknoten mit einer aufgedruckten staatlichen Garantie zu versehen. Zudem schlug er vor, es den Europäern gleichzutun und die sogenannte real bills doctrine umzusetzen. In Europa konnten Banken die Industrie mit kurzfristigen Handelspapieren finanzieren. Des weiteren initiierte Shaw ein Programm, mit dem Bankenpaniken vermieden werden sollten.Wenn das Geld knapp war, sollten staatliche Mittel oder Anleihen in den Banken deponiert werden; in Boomzeiten sollten die Gelder dagegen abgezogen werden.14 Ende 1906 schrieb Shaw in seinem Abschlussbericht an den Kongress: »Hätte der Schatzminister die Verfügungsgewalt über $ 100 Millionen, die er je nach Bedarf bei den Banken deponieren bzw. von den Banken abziehen könnte, und hätte er zudem die Kontrolle über die Reserven der verschiedenen Banken sowie auch die Macht, den Geldumlauf der national banks nach Gutdünken zu kontrahieren, gäbe es meines Erachtens in den USA und Europa keine Panik – abgesehen von industrieller Stagnation –, die er nicht abwenden könnte.« Das Postsparsystem

Eine andere Initiative zur Stärkung des Bankwesens wurde im Januar 1911 von der Post eingeführt. Interessenten konnten bei der Post, die wie die frühere Bank von Amsterdam als Depositenbank operierte und keine Kredite vergab, ein Sparkonto eröffnen. Das Postsparsystem wurde sehr beliebt. 1911 lagen dort 4 % der Ersparnisse der Bevölkerung. 1929 waren es nur 2 %, 1933 jedoch


Die Panik von 1907

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13 % und 1947 20 %. Ende 1960 war der Anteil der bei der Post vorhandenen Sparguthaben jedoch wieder auf 2 % gefallen. Der kurz vor dem Crash erfolgte Rückgang ist vermutlich auf die aggressive Atmosphäre jener Zeit zurückzuführen. Der bis ins Jahr 1933 zu verzeichnende Anstieg könnte auf ein Bedürfnis nach Sicherheit bei den Einlegern hinweisen, während der weitere Anstieg bis 1947 auf ein Misstrauen gegenüber den Banken zurückzuführen sein könnte, das sich auch noch lange nach der Depression bemerkbar machte.

Die Panik von 1907 Die Bankiers ergreifen Maßnahmen gegen gesellschaftlich verträgliche Lösungen

Es ist kaum erstaunlich, dass Shaws Vorschläge für ausgleichende Eingriffe durch den Staat bei all denjenigen, die aus der Manipulation des Geldsystems Profit schlugen, nur wenig Gegenliebe fanden. Jakob Shiff war 1906 ein Partner der Kuhn Loeb Company, welche die Interessen der Rothschilds in den Vereinigten Staaten vertrat. Shiff und andere (Shaw inbegriffen) sprachen öffentlich die Befürchtung aus, dass die Vereinigten Staaten ihrer schlimmsten Krise entgegengingen. Diese Warnung ließ die Panik von 1907 erahnen. Als versteckte Quelle der Panik von 1907 ist die Bank of England anzusehen, die die britischen Banken im September 1906 anwies, Finanzwechsel der Vereinigten Staaten nicht zu negoziieren, sondern sie bei Fälligkeit in Gold bezahlen zu lassen. Auch in Amsterdam und Hamburg kam es zu einer Krise des Bankwesens. Als Folge dieser Praxis wurde etwa 1 % der US-Goldvorräte ins Ausland verschifft, was ein Rückgang von ca. 2 % der gesamten Geldmenge der Vereinigten Staaten bedeutete. Dies war schon genug, um die Bankenpanik von Oktober 1907 auszulösen.15 Die Art der Panik war recht ungewöhnlich, denn sie »spielte sich ausschließlich innerhalb des Bankensystems ab«.16 Die Banken weigerten sich, ihren Einlegern Bargeld auszuzahlen; alle anderen Finanzoperationen jedoch liefen wie gewohnt weiter. Es handelte sich um eine selbstverschuldete, unnötige Panik. Die großen New Yorker Banken wurden später dafür kritisiert, dass sie ihre


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Der Triumph der Bankiers

Zahlungen trotz noch bestehender ausreichender Reserven eingeschränkt hatten. »Die sechs großen Banken [in New York] hätten gemeinsam die Situation auffangen können […] und hätten den Bedarf anderer Banken decken können.«17 Die Börse brach massiv um 46 % ein. Mit dem erzwungenen Export von nur 1 % des US-Goldbestands verursachten ausländische Bankiers – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – eine landesweite Bankenkrise. Hätte das System zu 100 % und nicht nur zum Teil auf Goldgeld basiert, dann – so kann man der Friedman-Studie entnehmen – hätten 2,5 % der Geldmenge exportiert werden müssen, um dieselbe Krise zu verursachen (wenn man davon ausgeht, dass die Reaktion der Bankiers dieselbe gewesen wäre). Die Panik von 1907 kann als modernes Beipiel für die Gefahr gelten, die von einem Goldgeld-Standard ausgeht, der durch ausländische Interessen nach Gutdünken manipuliert werden kann. Und wieder schreitet die Regierung zur Rettung ...

Wie gewöhnlich half die US-Regierung den Banken erneut aus der Bredouille. Im November 1907 legte das Schatzministerium Anleihen im Wert von $ 150 Millionen auf und erlaubte den Banken, diese als zusätzliche Reserven zu halten – eine Maßnahme, mit der die Krise bewältigt wurde. Hätte die Regierung Gold auftreiben müssen, um das neue Geld zu decken, wäre es ihr unter Umständen nicht möglich gewesen, die Banken aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Die Verfechter des Goldstandards neigen dazu, diese für die Rettung des Systems so notwendige Intervention der Regierung zu ignorieren, wenn sie das Funktionieren des von ihnen so verklärten Goldstandards in dieser Periode rühmen. Das Aldrich-Vreeland-System

In ihren Bemühungen um eine bessere Kontrolle über das US-Geldsystem machten sich die Bankiers die Panik von 1907 zunutze: Der erste Schritt war die Einführung des Aldrich-Vreeland-Systems, das durch einen von der Regierung bestellten Währungskommissar kontrolliert wurde. Mit diesem System wurden einige Banken autorisiert, neues Geld auszugeben. Im Zusammenhang mit dem Aldrich-Vreeland-System finden wir das einzige Beispiel der US-Geschichte für ein Interesse der Bankiers


Die Panik von 1907

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an der Stärkung der Geldmacht der Regierung. Was war der Grund? Dieses Interesse scheint Teil eines langfristigen Plans gewesen zu sein, eine von Privatleuten kontrollierte Zentralbank zu etablieren, denn das Aldrich-Vreeland-System sollte nur über 6 Jahre, also bis 1914, bestehen. In einer Passage des Aldrich-Vreeland Act wurde die Bildung einer aus 9 Senatoren und 9 Kongressmitgliedern bestehenden Kommission, der National Monetary Commission, vorgeschrieben. Aldrich war Vorsitzender dieser Kommission. Die Kommission hatte die Aufgabe, die Errichtung eines nationalen Zentralbankwesens zu prüfen und entsprechende Gesetzesvorschläge zu machen. Senator Nelson Wilmarth Aldrich (1841–1915), ein Mann der Bankiers, gehörte zum Lager der Rockefellers. Er war der Großvater mütterlicherseits des ehemaligen New Yorker Gouverneurs Nelson Aldrich Rockefeller und dessen Bruders David Rockefeller von der Chase Manhattan Bank. Das Aldrich-Vreeland-System funktionierte gut; es war jedoch geplant, es durch das Federal Reserve System zu ersetzen. Von Aldrichs Kommission wurden 24 große Bände veröffentlicht, eine Definition des Geldwesens war jedoch nirgends zu finden. Im letzten Band wurde zur Schaffung der National Reserve Association, einer vollständig privat kontrollierten18 Zentralbank, aufgerufen. Während seines sechsjährigen Bestehens funktionierte das Aldrich-Vreeland-System gut – ein weiteres historisches Beispiel für eine effektive und ordentlich verwaltete Geldmacht in den Händen der US-Regierung. Unter dem Aldrich-Vreeland-System erfolgte die Emission von $ 400 Millionen – einer Summe, die etwa einem Viertel des gesamten Umlaufgeldes entsprach. Mit diesem System konnte auch der Krise beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs begegnet werden, als den Banken der Vereinigten Staaten beträchtliche Summen entzogen wurden. Das erfolgreiche Meistern dieser Krise veranlasste Friedman und Schwartz zu folgender Bemerkung: »Diese Episode bestärkt uns in unserer Ansicht, dass das System auch im Rahmen der darauf folgenden Bedrohung durch eine Konvertibilitätskrise, zu der es Ende 1930 kam, effektiv gewesen wäre.«19


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Der Triumph der Bankiers

Das Federal Reserve System – eine heimlich etablierte private Zentralbank In dem Nachschlagewerk Webster’s New Twentieth Century Dictionary Unabridged wird »Konspiration« wie folgt definiert: »Geheimgehaltenes gemeinsames Planen und Handeln, vor allem mit einem ungesetzlichen oder schädlichen Zweck, wie zum Beispiel Mord oder Verrat.« Diese Definition vor Augen, komme ich zum Schluss, dass es sich bei der Etablierung des Federal Reserve System um eine Konspiration handelte, mit der der Nation Schaden zugefügt werden sollte. Der Inhalt dieses und des nächsten Kapitels soll es dem Leser jedoch ermöglichen, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Das Volk der Bankleute wusste genau, was es wollte, und es gab der Nation mit dem Aldrich-Vreeland-System schon einmal einen Vorgeschmack hiervon – auch wenn dieses System noch der Kontrolle der Regierung unterlag. Egal – sie sorgten dafür, dass auch die neue, von Privatleuten kontrollierte Zentralbank den Anschein erweckte, unter der Kontrolle der Regierung zu stehen. Woodrow Wilson, ein Calvinist, hatte in Princeton Nationalökonomie gelehrt, bevor er 1912 aus seinem Elfenbeinturm geholt und zum Präsidenten gemacht wurde. An der Johns Hopkins University war ihm die klassische Laissez-faire-Ökonomie eingetrichtert worden.20 Professor H. Parker Willis beschrieb sein Treffen mit Wilson wie folgt: »Mein erstes Gespräch mit dem gewählten Präsidenten Wilson fand 1912 statt. Es drehte sich ausschließlich um die Reform des Bankwesens. Ich fragte ihn, ob er glaube, wir könnten zur Verabschiedung eines adäquaten Gesetzes gelangen und wie wir dessen Anwendung und Durchsetzung erreichen könnten. Er antwortete: ›Wir müssen uns auf den Idealismus der amerikanischen Geschäftswelt verlassen.‹«21 Wie sehr wir Willis für seine Naivität, bei der Etablierung des Federal Reserve System Hilfestellung zu leisten, auch verurteilen mögen – er stellte zumindest die richtigen Fragen. Wie kann man auf die Idee kommen, das Management des Geldsystems Bankiers anzuvertrauen? Hier haben wir zwei Lehrkräfte für Nationalökonomie vor uns, die nur wenig über Wirtschaftsgeschichte und die reale Geschäftswelt wissen. Dieses »Wir müssen uns auf den Idealismus der amerikanischen Geschäftswelt verlassen« wurde ernst genommen


Das Federal Reserve System – eine heimlich etablierte private Zentralbank 391

und nicht etwa – wie es diese Bemerkung verdient hätte – mit Hohngelächter quittiert. Lehrkräfte wie Wilson, Willis und J. Laurence Laughlin (Willis’ Lehrer), die zwar kaum etwas über die Geschäftswelt und den Handel wussten, sich dafür durch ein aufgeblasenes Ego und eine geradezu religiös anmutende Bindung an die falschen Theorien des Adam Smith auszeichneten, waren für die europäischen und amerikanischen Banker eine leichte Beute. Ausgestattet mit der Mentalität von Händlern und Kaufleuten, konnten die Bankleute diese geistig trägen Professoren austricksen und dem amerikanischen Volk das Federal Reserve System aufhalsen. Das Werk von Eustace Mullins und Ezra Pound

Bis zum Ende der 50er und dem Anfang der 60er Jahre hatte in den Vereinigten Staaten niemand eine Vorstellung davon, wie das Federal Reserve System funktionierte. Erst auf Initiative des US-amerikanischen Dichters Ezra Pound und seines Schülers Eustace Mullins wurde dessen Funktionsweise in verständlicher Form klar dokumentiert. In den späten 40er Jahren hatte Mullins – wie auch T. S. Elliot – bei Pound studiert. Pound war sich des abstrakten Wesens des Geldes und auch der Bedeutung, die dieses Konzept für die Gesellschaft hatte, bewusst. Eine seiner Grundanforderungen an seine Studenten war die Lektüre sämtlicher Schriften Alexander Del Mars. Pound wurde zu einem der bedeutendsten Dichter der Welt; Mullins’ Werk müsste eigentlich dieselbe Bedeutung erlangen, da er die betrügerische Natur des Geld- und Bankensystems offenlegte. Für ein tieferes Verständnis von Pound und Mullins empfehle ich die Lektüre von A Most Difficult Individual, der Biographie, mit der Mullins einen Teil von Pounds Leben abdeckte. Mullins arbeitete als Bibliothekar an der Library of Congress. Für sein Thema stand ihm zur Recherche also nicht nur die weltgrößte Bibliothek zur Verfügung, er verfügte auch über das Wissen, um sie richtig zu nutzen. Zudem wurde er von anderen Bibliothekaren unterstützt. Ohne diese glücklichen Umstände hätte das Ansammeln dieser Fülle von Informationen ein kleines Vermögen gekostet und wäre unmöglich gewesen. Mullins’ Buch The Federal Reserve Conspiracy kam 1952 heraus und ist innerhalb der Literatur, in der seine Sichtweise vertreten


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Der Triumph der Bankiers

wird, nach wie vor das wichtigste Werk. Mit Mullins’ Buch kamen einige im Hintergrund gedeichselte Aktivitäten hochrangiger Finanziers ans Licht. In den Wirtschaftsfakultäten von US-Universitäten wird Mullins’ Buch generell nicht diskutiert, da darin offen die Namen derjenigen genannt werden, denen die Nation das Federal Reserve System zu verdanken hat. Einige der Namen sind der Crème de la Crème des finanziellen Establishments der USA zuzurechnen – Personen, die mit ihren Spenden und Stiftungen die Colleges und Universitäten finanzieren. Ein Teil der Namen ist jüdisch, und das zu diskutieren ist in den Vereinigten Staaten fast unmöglich. Besonders lohnend ist die Lektüre von Mullins’ Werk in Kombination mit dem Klassiker A Monetary History of the U. S.; 1867–1960 von Milton Friedman und Anna Schwartz. Die Planung des Federal Reserve System

Im Jahr 1901 bildeten J. P. Morgan und die Kuhn-Loeb-Gruppe eine Allianz, die unter dem Namen Northern Securities bekannt wurde. Paul M. Warburg, ein kurz zuvor aus Deutschland immigrierter Partner von Kuhn Loeb, bereiste die Ostküste und lehrte und schrieb über die Währungsreform – eine Tätigkeit, für die er jährlich $ 500 000 erhielt. Zum ersten detaillierten Plan für eine Zentralbank kam es 1910, als Paul Warburg seinen Plan für die Etablierung einer United Reserve Bank veröffentlichte.22 Von Senator Aldrich wurde gesagt, er habe gegenüber J. P. Morgan seiner Frustration Ausdruck verliehen, dass er nach Anhörung so vieler miteinander in Konflikt stehender Expertenmeinungen in seiner Kommission nicht dazu imstande sei, einen adäquaten Plan einer Zentralbank vorlegen zu können. Daraufhin arrangierte Morgan ein Treffen zwischen Aldrich und Warburg. Warburg wurde ihm als der Mann vorgestellt, der zu einer professionellen Lösung des Problems fähig war, wie Ely Garrison, persönlicher Freund und Finanzberater sowohl von Roosevelt als auch von Wilson, in seinen Memoiren über die Vorgänge um die Schaffung des Federal Reserve System berichtet. Am 22. November 1910 verließen Warburg, Senator Aldrich, Frank Vanderlip von der National City Bank und weitere bedeutende


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Köpfe des New Yorker Bankwesens mit einem Abendzug New Jersey, um zusammen neun Tage in einer Jagdhütte auf Jeckyll Island, Georgia, zu verbringen. Aus diesem Treffen resultierte der »Aldrich«Bankenplan. Der Haupturheber war Warburg, der allerdings von vornherein der Ansicht war, dass der Plan unter Aldrichs Namen nicht im Kongress durchgehen würde, da dieser viel zu sehr mit den Interessen der Bankleute assoziiert werde. Es stellte sich heraus, dass Warburg mit seiner Einschätzung völlig richtig lag, denn die Gesetzesvorlage kam im Weißen Haus nicht an Teddy Roosevelt, einem Republikaner, vorbei. Urheber? Urheber?

1912 gewann Wilson die Präsidentschaftswahlen, und die Bankleute ließen die Gesetzesvorlage von Professor H. Parker Willis und Senator Carter Glass neu schreiben. Das Resultat dieses erneuten Versuchs war die sogenannte Owen-Glass-Gesetzesvorlage. Letztlich unterscheiden sich die beiden Bankenpläne überhaupt nicht voneinander. Zwar wurde in manchen Zeitungen auf die Ähnlichkeit zwischen Aldrich-Plan und Federal Reserve System hingewiesen. Auch formierte sich eine Opposition in Gestalt von Robert L. Henry und Joe H. Eagle, zwei Mitgliedern des Glass-Bankenkomitees. Diese Männer attackierten die Glass-Gesetzesvorlage, da diese in ihren Grundprinzipien praktisch identisch mit der Aldrich-Vorlage sei.23 Wäre die Gesetzesvorlage als Aldrich-Plan im demokratischen Deckmäntelchen identifiziert worden, wäre es wahrscheinlich nicht zu einer Gesetzesverabschiedung gekommen. In die Bresche sprang William Jennings Bryan. Sein politischer Einfluss auf die Demokratische Partei war notwendig, um die Gesetzesvorlage durch den Kongress zu bringen. Er war es, der den Kongress zur Verabschiedung des Federal Reserve Act bewegte. Er sorgte im Kongress unter den Demokraten für die nötige Parteidisziplin, um das Gesetz durchzupeitschen, und wurde dafür mit dem Amt des Außenministers belohnt.24 Die Bankleute geben vor, gegen die eigene Gesetzesvorlage zu sein

Um das Volk der Vereinigten Staaten noch weiter zu verwirren und es gegenüber dem wahren Zweck des Federal Reserve Act blind zu machen, begannen die wichtigsten Befürworter des Aldrich-Planes, Se-


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nator Nelson Aldrich und Frank Vanderlip, über die Gesetzesvorlage nach allen Regeln der Kunst zu lamentieren.25 Die American Bankers Association tat es ihnen nach. Sie verbreiteten den Einwand, für all jene, die nicht an Sozialismus glaubten, sei es sehr schwer, diesen von der Regierung ausgehenden Vorschlag zu akzeptieren und nachzuvollziehen. Reichlich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es ein Komitee der American Bankers Association war, das den praktisch identischen Aldrich-Plan geprüft hatte und diesen »begeistert« guthieß.26 Das Resultat all dieser Spielchen war, dass die Gesetzesvorlage am 19. Dezember 1923 im Senat mit 54 gegen 34 Stimmen und am 22. Dezember im Repräsentantenhaus mit 298 gegen 60 Stimmen angenommen wurde. Am 23. Dezember 1913 unterschrieb Wilson, und der Federal Reserve Act war verabschiedet. Er verpflichtet die Federal Reserve Banks, eine elastische Währung, die Möglichkeit der Rediskontierung kurzfristiger Titel, eine effektivere Überwachung des Bankwesens in den Vereinigten Staaten und die Verwirklichung weiterer erstrebenswerter Ziele zu gewährleisten. Zynische Beobachter sollten zu einem späteren Zeitpunkt noch bekräftigen, dass mit der Verabschiedung des Federal Reserve Act tatsächlich »weitere erstrebenswerte Ziele« verfolgt wurden. Erst sehr viel später sollte deutlicher werden, was der Federal Reserve Act wirklich bedeutete – teilweise durch die Veröffentlichung von Biographien und durch Nachrufe, durch Anhörungen im Kongress und auch durch Mullins’ Buch.

Parallelen zur Gründung der Bank of England Die historischen Parallelen zwischen der Etablierung des Federal Reserve System im Jahr 1913 und der Gründung der Bank of England im Jahr 1694 sind nicht zu übersehen: 1. Für beide Institutionen gilt, dass sowohl bei der Ausarbeitung als auch während der Formulierung der Gesetze ein beträchtliches Ausmaß an verdecktem Treiben und Geheimhaltung zu beobachten war. »Über diese ganze Zeit hinweg wurde vermieden, über eine ›Bank‹ oder ›Gesellschaft‹ zu sprechen, obwohl beide Konzepte beabsichtigt waren […]« (Paterson über die Gründung der Bank of England, sie-


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he Seite 207 f.). Mit der Gründung der Bank of England ging noch nicht einmal die Abfassung eines entsprechend betitelten, gesonderten Gesetzes einher – das Gesetz wurde einfach als Zusatzklausel an ein die Schiffstonnage betreffendes Steuergesetz angehängt. Was das Federal Reserve System betrifft, so ist das Manöver der Schaffung des zeitlich begrenzten Aldrich-Vreeland-Systems und das geheime Treffen auf Jeckyll Island zu vermerken. Weiterhin augenfällig sind die Bemühungen, eine Gesetzesvorlage republikanischer Bankiers wie eine Vorlage der Demokraten aussehen zu lassen, sowie auch der taktische Zug der Bankiers, ihre eigene Gesetzesvorlage zu attackieren. 2. Die Gesetzgebung hing in beiden Fällen wesentlich von der Unterstützung durch reiche und findige Kräfte aus dem Ausland ab. Die Gründung der Bank of England wurde größtenteils von holländischen und jüdischen Finanziers organisiert, die die hierzu notwendige »Formel« mitbrachten und wichtige Impulse gaben. Die Formel zur Gründung des Federal Reserve System stammte größtenteils von den Kuhn-Loeb-Bankleuten, deren Interessen mit denen des europäischen Hauses Rothschild verknüpft waren. Der immense Einfluss von Paul Warburg auf das Federal Reserve System kann nicht angezweifelt werden. Wie dem auch sei – auch der Einfluss Morgans darf nicht unterschätzt werden, und ohne die Komplizenschaft, die Unterstützung und das Zusammenhalten des amerikanischen »puritanischen« Establishments wäre die Einrichtung des Federal Reserve System nicht möglich gewesen. 3. Beide Institutionen waren sehr komplexer Art, und kaum jemand kannte sich wirklich darin aus. Die Komplexität beider Institutionen war das Resultat der Notwendigkeit, ihre Auswirkungen zu verschleiern, dass nämlich die Souveränität über das Geldsystem von der Nation auf Privatpersonen überging. Im Zusammenhang mit der Bank of England hatte Paterson bemerkt, dass nur wenige imstande waren, das Bankenprojekt richtig einzuordnen: »Aber diejenigen, die diesen Plan unterstützen sollten und die auch den Einfluss dazu hatten, waren nicht imstande, das Projekt zu verstehen.« Auch das Federal Reserve System wurde nur von wenigen durchschaut. Dies gilt sogar für die amerikanische Presse. Die einzige Aus-


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nahme bildete nach Mullins die Zeitschrift Nation. Sie wies darauf hin, dass die Emission von US-Geld auf eine Gruppe von Personen transferiert wurde, die weder gewählt waren noch abgewählt werden konnten.27 Auch die vage Formulierung des Gesetzestextes erschwerte das Verständnis. Das Federal Reserve System nahm also die Arbeit auf, ohne effektive gesetzliche Kriterien zur Bestimmung der gesamten Geldmenge zu haben. An die Stelle des abwägenden Urteils einer Gruppe von Menschen trat die quasi-automatische Disziplin des Goldstandards. Abgesehen vom Titel des Gesetzes gab es nicht einmal ein legislatives Absichtsmandat, das die Männer vom Federal Reserve System leitete.28 Selbst innerhalb des Federal Reserve System hatte, abgesehen von Paul Warburg und Benjamin Strong, dem ersten Chairman der Federal Reserve Bank in New York, fast niemand eine Vorstellung davon, was geschehen würde. Niemand hatte auch nur die geringste Erfahrung im ausländischen Bankwesen oder hatte die Möglichkeit, sich mit den Methoden und der von den verschiedenen europäischen Notenbanken verfolgten Politik vertraut zu machen.29 Dieser Mangel an Durchblick war über Jahrzehnte hinweg zu beobachten. 4. Beide Institutionen waren in Privatbesitz, sollten jedoch als ein Regierungsorgan erscheinen. In der Einführung zu dem neu verfassten Plan von Garrison und Scott, der Wilson überrreicht wurde, waren auch neun Punkte angeblicher »Unterschiede« zum Aldrich-Plan enthalten. Punkt drei lautete wie folgt: »Die Arbeit des in diesem Plan vorgesehenen Verwaltungsapparats wird für alle beobachtbar sein und in jeder Hinsicht unter der Kontrolle der Regierung stehen.« Und Punkt Nummer vier: »Das Eigentum an dieser Institution ist nicht auf Banken beschränkt und kann niemals von irgendeinem Sonderinteresse oder innerhalb eines Teils des Landes kontrolliert werden.« 30 5. Frühere wichtige Befürworter sollten später beide Institutionen verdammen. Was die Bank of England betrifft, so distanzierte sich William


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Paterson so sehr von der Bank, dass er, nachdem er vom Parlament eine beträchtliche Summe für seine Verdienste erhalten hatte, ein Buch veröffentlichte, in dem er das durch die Bank verursachte enorme Anwachsen der Staatsschulden anprangerte. (Vermutlich verwendete er einen Teil seiner Zuwendungen für den Druck des Buchs!) Auch in Zusammenhang mit dem Federal Reserve System sollten einige wichtige frühe Befürworter die gewährte Unterstützung später noch bereuen. William Jennings Bryan schrieb später: »Die eine Sache, die ich im Laufe meiner langen Karriere wirklich bereue, ist meine Rolle bei der Verabschiedung der Banken- und Währungsgesetzgebung.«31 Professor H. Parker Willis, der sich für den Verfasser des Federal Reserve Act hielt, begann diesen anzuprangern, als ihm der enorme Einfluss bewusst wurde, der aus dem Ausland auf das System ausgeübt wurde. Er versetzte den Direktoren des Systems eine Breitseite und schrieb: »Was hätte man von dieser Gruppe Männern, aus dem sich der Board zusammensetzte, auch erwarten können, von Männern, deren Bemühungen einzig und allein darauf ausgerichtet waren, bei jedem Anzeichen einer Spannung in Deckung zu gehen, die einen stupiden, hündischen Appetit für Anerkennung und Lob entwickelten und eifrig darauf bedacht waren, für ›die wichtigen Männer‹, die sie als Herren über das amerikanische Finanz- und Bankwesen erkennen, ›in die Bresche zu springen‹.« Auch Woodrow Wilson bedauerte seine Mitarbeit und schrieb einen der deutlichsten, schonungslosesten Kommentare gegen die Geldmacht, die je verfasst wurden. 6. Beide Institutionen vermittelten den Eindruck, dass ihre Noten durch Gold gedeckt seien. In der Tat bestand für die Noten der Federal Reserve Bank (nicht aber für das von ihr geschöpfte Buchgeld) zunächst Golddeckung, dies sollte sich jedoch bald ändern. 7. Sowohl England als auch die Vereinigten Staaten wurden im Anschluss an die Gründung dieser Bank in größere Kriege verwickelt. Wie Cantillon bemerkte (siehe 11. Kapitel), führte England über mehr als ein Jahrhundert einen sinnlosen Krieg. Und die USA wurden natürlich sofort in den Ersten Weltkrieg hineingezogen.


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Die uralten Techniken monetärer Herrschaft Das Federal Reserve System bediente sich monetärer Konzepte, mit denen schon seit Jahrhunderten die Herrschaft über das Geldsystem ausgeübt wurde. Schon 1735 (siehe 12. Kapitel) mahnte der Philosoph Bischof Berkeley zur Vorsicht. Man bediente sich der folgenden falschen Konzepte: – Geld ist von Natur aus eine Ware. – Geld muss Gold sein. – Die Quelle des Geldes einer Gesellschaft sind die Bankiers, nicht so sehr die Gesellschaft selbst. – Es ist in Ordnung, wenn man den Bankiers die Kontrolle über das Geldsystem anvertraut. Diese falschen Konzepte widersprechen sich teilweise; verschiedene Gruppen der Gesellschaft wurden zu verschiedenen Zeiten mit verschiedenen Vorstellungen gefüttert. Das daraus resultierende Unverständnis und die damit einhergehende Verwirrung sind für eine private Zentralbank der beste Schutz, so wie es auch bei der Bank of England der Fall war. Die in den Federal Reserve Act eingebauten Schutzbestimmungen

Die holländischen und jüdischen Finanziers und das Haus Oranien hatten keine großen Schwierigkeiten, die Bank of England als Herrscherin über das Geldwesen der Nation zu etablieren. Das Volk der Vereinigten Staaten – von Beginn an eine Papiergeldnation – war sich der Auswirkungen, die die Macht und die weitreichenden Privilegien einer solchen Institution haben konnten, schon eher bewusst. Das Gespür für die Ungerechtigkeit, für die solche Einrichtungen stehen, war es denn auch, weshalb sich die First und Second Bank of the United States nicht als dauerhafte Zentralbank etablieren konnten und es noch nicht einmal schafften zu überleben. Obwohl sich dieses Gespür in der Politik nur selten durchsetzen konnte, resultierte daraus das Bestreben, die Geldmacht der Gesellschaft nicht ohne Einschränkungen einer privaten Zentralbank zu überantworten. So beinhaltete der Federal Reserve Act wesentliche Einschränkungen, die willkürlich betriebenen Missbrauch durch die Bankiers verhindern sollten, zum Beispiel:


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– Für alle Noten der Bank, der Federal Reserve Notes, bestand 100prozentige Golddeckungspflicht. – Die sogenannte real bills doctrine: Für alle gewerblichen Kredite, die als Buchgeld in einer Bank geschöpft wurden, musste 100prozentige Deckung durch echte Handelswechsel zuzüglich 14prozentiger Deckung durch Gold bestehen. – Die governors des Federal Reserve Board in Washington wurden vom Präsidenten ernannt. – Sowohl der Schatzminister als auch der Währungskommissar waren Mitglieder des Federal Reserve Board. Damit das System überhaupt etabliert wurde, nahmen die Bankiers Einschränkungen hin. Veränderungen sollten später durchgeführt werden. Benjamin Strong, der erste Chairman der New Yorker Federal Bank, schrieb Paul Warburg am 1. November 1913: »Wenn auch widerwillig, kann ich die Notwendigkeit von Kompromissen im Management, in der Anzahl der zu organisierenden Institutionen, der Art und Weise der Behandlung der Noten der national banks und auch in allen anderen durch die Owen-Glass-Gesetzesvorlage aufgeworfenen Fragen einsehen; was allerdings die Garantie der USRegierung angeht, die unnötigerweise auf diesen umlaufenden Noten erscheinen soll: nein.« Diese Garantie hält er für »eine Rückkehr zu den Häresien der Greenback-Verfechter und des Papiergelds ohne Edelmetalldeckung«.32 Strong befürchtete, dass eine aufgedruckte Garantie der USRegierung die Folge haben könnte, dass die Noten schlussendlich zu einer staatlich emittierten Währung würden. In diesem Fall würde das Federal Reserve System letztlich überflüssig werden, und die Regierung müsste bei einem solchen Geldschöpfungsprozess auch keine Zinszahlungen mehr leisten. Für Strong war es absolut entscheidend, dass Noten des Federal Reserve System und nicht des Staates die Landeswährung konstituierten. Mit der Zeit, als sich die Umstände veränderten, konnten die Bankleute ihre Macht nutzen und einige der Einschränkungen beseitigen, mit denen sie sich zu Beginn einverstanden erklärt hatten. Schon am 21. Juni 1917 wurde die 100-prozentige Golddeckungspflicht für die Noten der Federal Reserve Bank auf eine nur 40-prozentige Deckung durch Gold und 60-prozentige Deckung durch


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akzeptable kurzfristige Handelspapiere reduziert. Wer entschied letztlich, ob ein solches kurzfristiges Handelspapier akzeptabel, also so gut wie Gold war? Meistens war es Paul Warburg, der diese Entscheidung traf. Er gründete die International Acceptance Bank und war auch deren Chairman – bis zu seinem Tod im Jahr 1932. Alle Papiere, die er und andere Bankiers guthießen, konnten dem Federal Reserve System als Reserve dienen. Das Federal Reserve System – ein System mit begrenzter Reservehaltung

Schon als die Bankiers in den Vereinigten Staaten des 19. Jahrhunderts Banknoten emittierten, deren Wert zehnmal höher lag als der des tatsächlich verfügbaren Münzgelds, und dabei vorgaben, die Banknoten seien in Münzgeld konvertierbar, war dies nichts anderes als die primitive Form eines Systems mit begrenzter Reservehaltung. Sobald zu viele Noteninhaber auf Einlösung in Münzgeld drängten, setzte die Bank die Einlösung aus. Dasselbe geschieht beim Federal Reserve System, das mit begrenzter Reservehaltung arbeitet: Die einzelnen Banken geben nicht mehr Banknoten aus; sie vergeben Kredite, indem sie dem Kunden den jeweiligen Betrag auf dessen Konto gutschreiben. Auf dieses Guthaben kann der Kreditnehmer Schecks ausstellen. Diese Schecks wiederum werden in anderen Banken deponiert – Bargeld wird nur selten abgehoben. Dennoch geben die Bankleute vor, diese in ihrer Bank geschöpften Kredite theoretisch auch in bar auszahlen zu können. Problematisch wird es, wenn die Öffentlichkeit der Solvenz ihrer Bank nicht mehr so recht traut und daher beginnt, Bargeld einem Bankguthaben vorzuziehen. Systeme mit begrenzter Reservehaltung stehen auf wackligen Beinen, denn wenn die Einleger in Panik geraten und Bargeld abziehen wollen, lässt der Run nicht lange auf sich warten, und die Banken schließen. Europäer mag es vielleicht erstaunen zu hören, dass die Menschen in den Vereinigten Staaten seit zwei Jahrzehnten kein Vertrauen in ihre Banken haben. Die meisten großen Banken könnten einem Run nicht standhalten – von wenigen Ausnahmen vielleicht abgesehen. Wenn es in letzter Zeit nicht zu einem Run gekommen ist, so ist das einzig und allein auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Si-


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cherheit der Bankkonten seit 1935 von der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) garantiert wird. Die Bankkunden sind sich zwar bewusst, dass auch die FDIC keinen systemweiten Zusammenbruch auffangen könnte, sie vertrauen jedoch auf das Einspringen der Regierung. Es ist also das Vertrauen in die Regierung, das die Banken in den Vereinigten Staaten am Leben erhält. Erwähnung verdient auch, dass der Staat 90 % des Nettoeinkommens aus den Zinsen erhält, die dem Federal Reserve System als Resultat des Geldschöpfungsprozesses zufallen. Der größte Teil des Geldes wird jedoch von den Mitgliedbanken geschöpft. Aufgrund der Reservevorschriften ist es diesen Banken möglich, Kredite zu schöpfen, die den Wert ihrer Reserven etwa um das Zehnfache übersteigen; auch behalten sie das mit diesen Krediten erzielte Nettoeinkommen. Hinzu kommt noch, dass das Federal Reserve System trotz hin und wieder erhobener Forderungen noch niemals von einem unabhängigen Gremium überprüft wurde. Mit dem Federal Reserve System entsteht die Einkommenssteuer

Die geringe Einkommenssteuer, die während des Sezessionskriegs erhoben worden war, wurde vom Supreme Court als verfassungswidrig erklärt. Um das Einkommen wieder steuerpflichtig zu machen, wurde 1913 das 16. Amendement der Verfassung ratifiziert. Zu Beginn belief sich diese Einkommensteuer auf 1 % bei einer Einkommensgrenze von jährlich $ 3000 bei Alleinstehenden und von $ 4000 bei Verheirateten. Dies entsprach 1913 der oberen Mittelklasse. Höhere Einkommen mussten zusätzlich versteuert werden, beginnend mit 1 % bei Einkommen über $ 26 000 bis hin zu 6 % bei Einkommen über $ 500 000 im Jahr. Diese Steuersätze wurden im September 1916 verdoppelt. Mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg wurde der allgemeine Steuersatz am 6. April 1917 von 2 % nochmals auf 4 % verdoppelt. Der höchste Zusatzsteuersatz wurde von 13 % auf 63 % erhöht – das bedeutete für Einkommen von über $ 500 000 jährlich also einen Steuersatz von 67 %.


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Der Triumph der Bankiers

Und noch etwas Positives ...

Den Demokraten zuzurechnende Chairmen des House Banking Committee entwickeln in der Regel einen beträchtlichen Widerwillen gegen das Federal Reserve System, der schon in Vorschlägen zur Verstaatlichung des Systems seinen Ausdruck fand. Der Kongressabgeordnete McFadden versuchte 1933 die Amtsenthebung des Federal Reserve Board zu erreichen (siehe 20. Kapitel). 1938 brachte Chairman Wright Patman eine Gesetzesvorlage zur Verstaatlichung des Federal Reserve System in den Kongress ein, hatte jedoch keinen Erfolg damit. Dasselbe tat in den 80er und 90er Jahren Chairman Gonzales; seine Gesetzesvorlagen kamen jedoch aufgrund mangelnder Unterstützung nie zur Abstimmung. Kurz nach der Verabschiedung des Federal Reserve System war im Kongress der sogenannte Overmann Act verabschiedet worden, der die US-Regierung zur Übernahme sämtlicher Vermögenswerte des Systems und somit zur Kontrolle über das Geldsystem ermächtigte. Dieses Gesetz wurde jedoch nach Ablauf von zwei Jahren ungültig, ohne in Anspruch genommen worden zu sein. Dieses Versäumnis könnte jedoch ohne weiteres korrigiert werden – die Regierung der Vereinigten Staaten benötigt keinen Overmann Act, um das angestammte Recht auf die Geldmacht zurückzuerlangen. Die Vereinigten Staaten könnten und sollten das Federal Reserve System verstaatlichen – je früher, desto besser.


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20. Kapitel

Das Federal Reserve System ruiniert Amerika

Was ist das Bankwesen? Die gefährlichste und lächerlichste Form der universellen Tyrannei, welche die Welt jemals zu vernichten aufgefordert war. F S, Nobelpreisträger1

Das System hat dazu geführt, dass etwas zum Herr wird, das Diener sein sollte. Erzbischof von Canterbury, 1942

Die Aufgaben des Federal Reserve System waren von Anfang an unklar. Es entstand aus der National Monetary Commission unter dem Vorsitz des Senators Nelson W. Aldrich, der eine Gelddefinition nicht für notwendig hielt. Die Ziele dieses Zentralbanksystems wurden nicht eindeutig formuliert, und sein Image stand in erheblichem Kontrast zu seinem Handeln. Das Federal Reserve System setzte die Entwicklung vom fortschrittlichen System der greenbacks zurück zum Goldstandard fort und verwechselte in seiner real bills doctrine (siehe Seite 399) Geld mit Kredit. Prominente Politiker der Democratic Party wie William Jennings Bryan (siehe Seite 380 ff.) oder Robert LaFollette, ein Senator aus Wisconsin und Vertreter der populists, erkannten nicht, wohin dieses System führen würde, und setzten sich mit voller Überzeugung für seine Annahme im Parlament ein. Während sich das Federal Reserve System für die Finanzierung des Ersten Weltkrieges rüstete, bot es nach außen eher ein Bild der Verwirrung als der Verschwörung: ein instabiles, bruchstückhaftes Reservesystem auf der Grundlage eines falschen Geldkonzeptes unter der Kontrolle profitsüchtiger Bankiers. Das Federal Reserve System war zwar ein Zentralbanksystem, doch sein Überwachungsorgan, der Federal Reserve Board in Washington D. C., hatte anfangs nur geringe oder gar keine Kontrollbefugnisse


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über die zwölf über das Land verteilten regionalen Federal Reserve Banks.* Diese zwölf Banken sind eigenständige Unternehmen im Besitz ihrer Mitgliedsbanken und erhalten eine jährliche Dividende von 6 % auf ihre Anteile. Jede dieser Federal Reserve Banks wird von neun Direktoren geleitet, die zu zwei Dritteln von den Mitgliedsbanken gewählt und zu einem Drittel (Nichtbankiers) vom board in Washington ernannt werden. Ursprünglich bestimmten die zwölf Federal Reserve Banks den Großteil ihrer Politik selbst, wobei sie sich der Führung der New Yorker Federal Reserve Bank, dem eigentlichen Machtzentrum, unterordneten. Deren Präsident, Benjamin Strong, war, so nimmt man an, einer der beiden Männer, die das Federal Reserve System verstanden. Der zweite war der deutsche Bankier Paul Warburg. Er war maßgeblich an der Ausgestaltung des Systems beteiligt und gehörte dem Washingtoner board an. Die Bankiers ziehen Mehrdeutigkeit vor

Der Federal Reserve Act enthielt keine besonderen Richtlinien zur Wahrung einer adäquaten Geldversorgung, sondern räumte den Bankiers einen breiten Ermessensspielraum ein. Eine der Lehren, die aus dem Federal Reserve System zu ziehen ist, lautet daher, dass den Bankiers diese Entscheidungsfreiheit nicht überlassen werden sollte. Statt dessen müssen die Anforderungen an eine solche Bank mit Blick auf die gewünschten Ergebnisse detailliert dargelegt werden. Seine ungenaue Definition erlaubt es denjenigen, die ein positives Bild des Federal Reserve System in der Öffentlichkeit zeichnen wollen, die Bedeutung der Nichtbankiers im Direktorium zu betonen. Diese Leute würden aber niemals einen Aktivisten wie Ralph Nader oder einen engagierten Gewerkschaftsführer in das board wählen, obwohl genau solche Personen dort gebraucht würden. So ist das System fest in den Händen der Bankiers und ihrer Kriecher. In den Broschüren des Federal Reserve System heißt es, das System arbeite wie ein Unternehmen des »öffentlichen Dienstes«. Der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung soll hier am tatsächlichen Handeln des Federal Reserve System überprüft werden. * In Boston, New York, Philadelphia, Cleveland, Richmond, Atlanta, Chicago, St. Louis, Minneapolis, Denver, Dallas und San Francisco.


Das Federal Reserve System startet gerade rechtzeitig

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Das Federal Reserve System startet gerade rechtzeitig Das Federal Reserve System nahm seine Tätigkeit am 16. November 1914 mit Vermögenswerten von insgesamt $ 143 Millionen auf. Die national banks, die nicht zur Mitgliedschaft verpflichtet waren, entschieden sich nur schleppend für einen freiwilligen Beitritt. Dennoch wurde das Federal Reserve System »gerade rechtzeitig zum Ersten Weltkrieg« aktiv, wie der Außenminister Cordell Hull bemerkte. Andere Beobachter staunten über den glücklichen Zufall. So kommentierte Professor Edwin M. Kemerer von der Princeton University: »Man erschaudert bei dem Gedanken, was sich ereignet hätte, wenn wir mit unserem früheren dezentralisierten und überholten Banksystem vor dem Krieg gestanden hätten.« Eustace Mullins, Autor des Buches The Federal Reserve Conspiracy (»Die Federal-Reserve-Verschwörung«) kommentierte diese Naivität mit der Bemerkung, die USA wären tatsächlich nicht in der Lage gewesen, die Allierten zu finanzieren und in den Krieg einzutreten, wenn sie das alte Bankensystem beibehalten hätten.2 Die USA verkaufen Waffen an beide Seiten

Ab Dezember 1914 wandten sich sowohl die Mittelmächte als auch die Alliierten an die USA, um sich um jeden Preis mit Kriegsgütern einzudecken. Ein enormer Goldzufluss in die Vereinigten Staaten setzte ein, als amerikanische Fabriken auf Kriegsproduktion umstellten und die Exporte um das Sechsfache stiegen. Bei Kriegsbeginn waren die USA ein Nettodevisenschuldner von $ 3 bis 4 Milliarden gewesen, bei Kriegsende dagegen waren sie ein Nettogläubiger von $ 5 Milliarden.3 Die größten amerikanischen Banken finanzierten England und seine Alliierten. Präsident Wilson weigerte sich, auf die Warnung seines Außenministers William Jennings Bryan zu hören, dass »Geld die schlimmste aller Schmuggelwaren« sei. Bryan trat schließlich aus Protest gegen die Finanziers, die Amerika in den Krieg hineinzogen, zurück. Walter Hines Page, der amerikanische Botschafter in England, drängte in einem Brief an Wilson die USA zum Kriegseintritt: »Die größte Unterstützung, die wir den Alliierten geben könnten, wäre ein Kredit. Unsere Regierung könnte eine große Summe in ein französischbritisches Darlehen investieren oder für ein solches Darlehen bür-


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gen. Doch eine solche Kreditgewährung ist natürlich erst möglich, wenn wir in den Krieg gegen Deutschland eintreten.«4 Am 6. April 1917 erklärten die USA Deutschland und seinen Verbündeten den Krieg. »Zu den unmittelbaren Anlässen des amerikanischen Kriegseintritts gehörten die deutsche Weigerung, den UBoot-Krieg einzustellen, der den Tod zahlreicher amerikanischer Schiffspassagiere zur Folge hatte, und das Bekanntwerden der Zimmermann-Note, in der Mexiko für den Fall, dass es sich beim Ausbruch von Feindseligkeiten auf die Seite Deutschlands stellte, die Abtretung von New Mexico, Texas und Arizona zugesagt wurde.«5 Der Erste Weltkrieg stürzt die USA in große Schulden

Die Kampfhandlungen endeten am 11.November 1918, nach 19 Monaten, mit dem Waffenstillstandsabkommen. Eines der Hauptziele der Geldmacht war erreicht: Die USA hatten sich Schulden in einer noch nie dagewesenen Höhe aufgeladen. Der Krieg hatte das Land etwa $ 33 Milliarden oder 20–25% des Bruttosozialprodukts gekostet und zu einer Staatsverschuldung von $ 24,299 Milliarden im Jahre 1920 geführt – etwa das Zehnfache des bis dahin höchsten Schuldenstandes aus dem Jahre 1866.6

Das Federal Reserve System destabilisiert das amerikanische Geldsystem Die Ergebnisse des Federal Reserve System waren das Gegenteil dessen, was die Leute nach allem, was ihnen vorgegaukelt worden war, erwarteten: »Das mit dem Federal Reserve System angestrebte Ziel einer Förderung der Geldstabilität zog eine etwa 30 Jahre währende Instabilität im Geldbestand nach sich, die größer war als jede andere historisch belegbare Instabilität aus der Zeit vor dem Federal Reserve System.« 7 1914–1919: eine klassische Goldinflation

Der Goldzufluss in die Vereinigten Staaten für den Erwerb von Kriegsgütern verursachte eine drastische Ausweitung und einen entsprechenden Wertverlust des Geldes. Von Juni 1914 bis April 1917 stiegen der Geldbestand um 46 % und die Großhandelspreise um


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65 % an. Von April 1917 bis Mai 1920 erhöhten sich beide Werte nochmals um 49 bzw. 55 %. In den ersten sechs Jahren unter dem Federal Reserve System verloren Goldmünzen also über 75 % ihres Werts gegenüber Großhandelswarenpreisen. Die Verfechter des Metallgeldes, die behaupten, dass sich der Wert des Goldgeldes nie verändert, sollten diese Tatsachen einmal näher betrachten.8 Als Reaktion auf die Kritik an dieser Goldinflation versicherte der Federal Reserve Board, die Inflation sei auf eine »verstärkte Geschäftstätigkeit« zurückzuführen.9 Der Goldstandard des Federal Reserve System war daher kein wirksames Mittel zur Inflationsbegrenzung. Nur ein Geldsystem, das dem Geldangebot objektive Grenzen setzt, kann vor einer galoppierenden Inflation schützen. Ein Warengeldsystem ist dazu ebensowenig in der Lage wie ein Geldsystem auf der Grundlage von Landund Immobilienbesitz oder neuer Produktion. Die Methode der Begrenzung muss gesetzlich festgelegt werden. Die Notstandsatmosphäre untergräbt die US-Verfassung

Viele Hindernisse, denen die monetären Eroberer gegenüberstanden, wurden unter dem Deckmantel »Kriegsnotstandsmaßnahmen« aus dem Weg geräumt. Die Schließung der New Yorker Börse vom 31.Juli 1914 bis zum 15.April 1915 schuf eine Notstandsatmosphäre, noch bevor die USA in den Krieg eintraten. Die Verstaatlichung des nationalen Eisenbahnsystems im Ersten Weltkrieg heizte die Krisenstimmung zusätzlich an. Politische Befugnisse übertrug man gegen die Verfassung an die Börsianer von der Wall Street, wobei traditionelle amerikanische Wertvorstellungen einfach beiseite geschoben wurden. Bernard Baruch, Eugene Meyer jr. und Paul Warburg waren mächtiger als jeder Präsident, denn hinter ihnen stand die einflussreiche Finanzoligarchie, die das Land seit 1863 fest im Griff hatte. Baruch übte als Vorsitzender des War Industries Board diktatorische Macht über die amerikanische Industrie aus, wie 1935 seine Aussagen vor dem Nye-Ausschuss belegen: »Präsident Wilson überreichte mir ein Schreiben, das mich zur Übernahme jedes Industriebetriebes und jeder Fabrik berechtigte. Ich zeigte das Schreiben dem Präsidenten von United States Steel, mit dem wir Schwierigkeiten hatten, und er sagte, dass sie die Sache wohl in Ordnung bringen müssten; und er brachte sie in Ordnung.«10


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Eugene Meyer jr., Sohn des Hauptteilhabers von Lazard Frères, wurde auf Druck von Baruch zum Vorsitzenden der War Finance Corporation und später, 1931, zum governor des Federal Reserve Board ernannt. Meyer war für die Kriegsfinanzierung jener Agenturen und Banken zuständig, die nicht vom Federal Reserve System kontrolliert wurden. Er kaufte schließlich die Zeitung Washington Post, die heute noch von seiner Tochter Katherine Graham geführt wird. Mit Paul Warburg befasste sich ein Geheimdienstbericht der USMarine vom 12. Dezember 1918: »Warburg, Paul, New York City. Deutscher. US-Staatsbürgerschaft 1911, vom Kaiser ausgezeichnet 1912, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Federal Reserve Board, bewegte große Geldsummen, die Deutschland an Lenin und Trotzki lieferte. Sein Bruder ist Chef des deutschen Spionagedienstes.«11

Die Bank of England diktiert die amerikanische Geldpolitik in den zwanziger Jahren Nach dem Ersten Weltkrieg begann eine enge Zusammenarbeit zwischen der Bank of England und der Federal Reserve Bank in New York, vor allem aufgrund der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Montagu Norman von der Bank of England und Benjamin Strong. »Die Diskontsatzpolitik der Federal Reserve Bank in New York ließ sich mehr als nur einmal von dem Wunsch leiten, die Bank of England zu unterstützen«, schrieb der Geldhistoriker Paul Einzig.12 Im Januar 1920 erhöhte das Federal Reserve System seinen Diskontsatz um 1,25 % auf 6 %. Am 1. Juni 1920 wurde er auf 7 % angehoben. Die Großhandelspreise, die im Mai 1920 einen Höchststand erreicht hatten, fielen bis Juni 1921 um 56 %; dies war der stärkste Rückgang in der Geschichte der USA, und er sollte zu der unnötig schweren Wirtschaftskrise von 1921/22 führen. Diese Entwicklung stürzte die amerikanischen Farmer in eine Finanzkrise, von der sie sich nicht wieder erholten. Selbst als die Aktienmärkte später einen Boom erlebten, gingen viele amerikanische Farmen bankrott.


Die Bank of England diktiert die amerikanische Geldpolitik

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Was machte die »wilden zwanziger Jahre« wild?

Noch lange nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gab die Bank of England beim Federal Reserve System den Ton an und trieb die »wilden zwanziger Jahre« an, die in einem riesigen Spekulationsbesäufnis ihren Höhepunkt fanden. Nicht die Regierung, sondern die beiden Bankensysteme waren dafür verantwortlich: 1920 beliefen sich die US-Staatsausgaben auf 8% des Volkseinkommens, 1929 nur noch auf 4 %. 1920 betrug die Staatsverschuldung $ 24,299 Milliarden, 1929 sank sie auf $ 16,931 Milliarden. Es können also nicht die Regierungsprogramme gewesen sein, die die wilden zwanziger Jahre antrieben. Wenn überhaupt, versuchte die Regierung, die Entwicklung zu dämpfen.13 Die Entwicklung des Dow Jones Industrial Average in diesen Jahren zeigt, dass ab etwa 1926 ein höherer Gang eingelegt wurde. Englands Goldstandard verursacht das Spekulationsfieber der zwanziger Jahre

Das britische Pfund hatte während des Ersten Weltkrieges erheblich an Wert verloren; die Neuverschuldung belief sich auf über £ 5 Milliarden. Der Index der Lebenshaltungskosten stieg von 100 im Jahre 1914 auf über 276 im Jahre 1920.14 1925 stellte die Bank of England die Konvertibilität des Pfundes in Gold auf der Vorkriegsparität wieder her und zahlte Gold gegen Papier zum alten Kurs aus, was nicht nur unrealistisch, sondern geradezu grotesk war. Die Auswirkungen waren zunächst weder in England noch in Kontinentaleuropa zu spüren, weil das Federal Reserve System die Bank of England unterstützte, indem es die Zinssätze in Amerika niedrig hielt und damit den Goldexport nach Europa förderte. Die Geldversorgung in den USA geriet jedoch allmählich immer mehr unter Druck: Die Reserven nahmen stetig ab, die niedrigen Zinssätze heizten das Spekulationsfieber weiter an und trieben die Preise in unrealistische Höhen. All das ließ einen Zusammenbruch immer wahrscheinlicher werden. Die Anhörungen im Jahre 1928 vor dem US-Kongress zum Thema »Stabilisierung« bestätigten die Vermutung, dass die Politik des Federal Reserve System von Europa aus gelenkt wurde. Dies kommt vor allem in den Aussagen von Adolph Miller zum Ausdruck, der damals governor des Federal Reserve Board war:*


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Governor Miller: »Ich denke, wir nähern uns dem Punkt, an dem wir uns nicht mehr so sehr mit den Geldproblemen Europas befassen müssen. Im vergangenen Sommer, 1927, begann der Federal Reserve Board, die Kreditsituation zu entspannen und die Kosten des Geldes zu senken. Offiziell wurde diese Kursänderung in der Kreditpolitik damit begründet, dass dadurch ein Beitrag zur internationalen Wechselkursstabilisierung und zur Förderung der Goldexporte geleistet werde.« McFadden, Vorsitzender des Ausschusses: »Woher stammten die Vorschläge, die zu diesem Beschluss führten?« Governor Miller: »Die drei größten Zentralbanken Europas hatten ihre Vertreter zu uns entsandt: der Gouverneur der Bank of England, Montagu Norman, der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht und Professor Rist, der stellvertretende Gouverneur der Banque de France. Diese Herren tagten gemeinsam mit offiziellen Vertretern der Federal Reserve Bank in New York. Nach ein oder zwei Wochen kamen sie für einen Tag nach Washington. Sie kamen abends an, waren am nächsten Tag zu Gast bei den governors des Federal Reserve Board und kehrten am gleichen Nachmittag nach New York zurück.« Vorsitzender McFadden: »Ging es mehr um ein lockeres Zusammentreffen, oder wurden auch wichtige Fragen diskutiert?« Governor Miller: »Ich würde sagen, es war mehr ein lockeres Zusammentreffen.« Mr. Kinat: »Was wollten diese Herren?« Governor Miller: »Sie interessierten sich alle sehr für die Funktionsweise des Goldstandards.« Mr. Beedy: »Kam es bei diesem Zusammentreffen zu irgendeiner Übereinkunft zwischen den Vertretern dieser ausländischen Banken und dem Federal Reserve Board oder der New Yorker Federal Reserve Bank?« Governor Miller: »Ja.« Mr. Beedy: »Darüber gibt es keinen offiziellen Bericht?« Governor Miller: »Nein.« Vorsitzender McFadden: »Sie haben hier Verhandlungen von großer Bedeutung umrissen.« * Hier in Auszügen zitiert.


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Governor Miller: »Es geht vielmehr um Gespräche.« Vorsitzender McFadden: »Kam etwas Definitives dabei heraus?« Governor Miller: »Ja.« Vorsitzender McFadden: »Eine Änderung der Politik in bezug auf unser gesamtes Finanzsystem, die zu einer der ungewöhnlichsten Situationen geführt hat, mit denen unser Land in finanzieller Hinsicht jemals konfrontiert war.« Mr. Steagall: »Der Besuch dieser ausländischen Bankiers hatte also eine Verbilligung des Geldes in New York zur Folge?« Governor Miller: »Ja, genau.« Governor Miller: »Durch den drohenden Abzug bestimmter Goldmengen, die von der französischen Regierung bei der Bank of England hinterlegt worden waren, war eine für London ausgesprochen peinliche Situation entstanden. Frankreich traf erste Vorbereitungen für eine Rückkehr zum Goldstandard.« Mr. Steagall: »Ist es wahr, dass durch dieses Vorgehen die europäischen Währungen stabilisiert und der Dollar erschüttert wurde?« Governor Miller: »Ja, diese Absicht stand dahinter.«15 Die amerikanische Währung wurde also destabilisiert, um der Bank of England bei der Erfüllung ihrer Goldzahlungsverpflichtungen an Frankreich zu helfen. Das sogenannte automatische Funktionieren des Goldstandards der Bank of England setzte voraus, dass die Amerikaner ihre nationalen Interessen hintanstellten und diesem britischen Altar Opfer brachten. Die Aussagen offenbaren, dass der »automatische Goldstandard« ein Mythos war und dass sich das damalige Machtzentrum des Federal Reserve System in der New Yorker Federal Reserve Bank befand.

Wie es zum Börsenkrach kam Ausweitung der Kredite

Die Kreditschöpfung bis 1919 wurde der Kriegsproduktion für einen unnötigen Krieg zugeführt. Nach Kriegsende konzentrierte sich ein Großteil des neu geschöpften Geldes in den Händen der Wohlhabenden. 1929 besaß 1 % der amerikanischen Bevölkerung 36,3 % des gesamten Vermögens des Landes – ein neuer Rekord. Da die Rei-


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chen bereits Häuser, Autos, Möbel usw. besaßen, wurde die Produktion nicht wesentlich angekurbelt. Selbst die Warenpreise blieben von dieser Entwicklung nach 1921 fast völlig unberührt. Ein wesentlicher Teil des Geldes wurde in Finanzpapiere, die Börse und in die Spekulation im Bürogebäudebau investiert. Von 1922 bis 1929 erhöhte sich der Anteil der Lombardkredite an den gesamten Krediten und Investitionen der Bericht erstattenden Mitgliedbanken von 25 auf über 43 %. Am 30. September 1929 hatten allein die New Yorker Banken und Treuhandgesellschaften Kredite in Höhe von mehr als $ 7 Milliarden zur Finanzierung von Wertpapierspekulationen an New Yorker Börsenhändler vergeben. Ein enormer Bauboom folgte, so dass der Index der erteilten Bauaufträge des Federal Reserve Board von 63 im Jahre 1913 auf 122 in 1925 und 135 in 1928 anstieg. Dieser Boom äußerte sich hauptsächlich im Bau von Bürohochhäusern und teuren Apartmenthäusern, deren Schuldtitel sich besser verkauften als die von Einfamilienhäusern. Die Elendsviertel verschwanden also nicht, sondern breiteten sich immer mehr aus. Um 1929 beliefen sich die Kredite der Mitgliedbanken auf nicht landwirtschaftlich genutzten Grundbesitz auf $ 2,76 Milliarden gegenüber $ 875 Millionen im Jahre 1921.16 Die Aktienhausse von 1929

Während des Aufschwungs der Jahre 1927, 1928 und 1929 glaubten wohl mit Ausnahme der Farmer die meisten US-Bürger, dass das Federal Reserve System gute Arbeit leistete. Und doch galt der Grundsatz: Wenn die Dynamik einer finanziellen Situation zur Erfüllung ihrer Erwartungen davon abhängt, dass der durchschnittliche Aktienmarkt 20-fache Gewinne abwirft, dann ist das System auf dem besten Weg ins Verderben. Anfang 1929 zogen sich die besser informierten Bankiers aus dem Aktienmarkt zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie den Kongress und die Bevölkerung immer damit beruhigt, dass alles in Ordnung sei: »Im März 1928 wurde Roy A. Young, ein governor des Federal Reserve Board, vor einen Senatsausschuss geladen. ›Denken Sie, dass die Maklerkredite* zu hoch sind?‹ wurde er gefragt. * D. h. Kredite an Börsenmakler unter Beleihung von Wertpapieren. (A. d. Ü.)


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›Ich bin nicht in der Lage zu sagen, ob die Maklerkredite zu hoch oder zu niedrig sind‹, antwortete er, ›aber ich bin sicher, dass sie sehr sicher und vorsichtig vergeben wurden.‹« »In einer formellen Erklärung versicherte der Finanzminister Mellon dem ganzen Land, dass die Maklerkredite nicht zu hoch seien, und Präsident Coolidge ließ in einer knappen Erklärung, in der er sich auf Informationen des Federal Reserve System stützte, dasselbe verlautbaren. Das Federal Reserve System, das ja eigentlich damit beauftragt war, die Interessen des Durchschnittsbürgers zu schützen, tat also sein Bestes, um den Durchschnittsbürgern zu versichern, dass sie sich um ihre Ersparnisse keine Sorgen zu machen brauchten. Und dennoch warnte der Federal Reserve Board die Direktoren der Federal Reserve Banks am 2. Februar 1929 in einem Schreiben vor der ernsten Gefahr einer fortgesetzten Spekulation.«17 Die Bankiers werden vor »Spekulation« gewarnt

Am 6. Februar 1929, vier Tage nach der Warnung an die zwölf Federal Reserve Banks, wies der Federal Reserve Board die Mitgliedbanken des Federal Reserve System darauf hin, dass es nicht ihre Aufgabe sei, Aktienmarktspekulationen durch Lombardkredite zu finanzieren. Doch vor allem die New Yorker Federal Reserve Bank ignorierte die Warnung und warb mit der Verfügbarkeit weiterer $ 25 Millionen für Maklerkredite. Die monetäre Basis des Systems war bereits auf eine Geldverknappung zugesteuert. Ende 1928 fiel der Bestand des Federal Reserve System an US-Staatsanleihen von über $ 600 Millionen auf lediglich $ 230 Millionen, nachdem im Laufe des Jahres etwa $ 400 Millionen davon durch Offenmarktgeschäfte verkauft worden waren. Dieser Bestand sank in der ersten Jahreshälfte 1929 nochmals auf $ 145 Millionen herab. Benjamin Strong war bereit

Aus Strongs Korrespondenz vom August 1928 geht hervor, dass er sich des Problems bewusst war und damit umzugehen wusste: »Allein die Existenz des Federal Reserve System ist ein Schutz gegen jede Katastrophe, die durch die Geldkurse verursacht werden könnte. […] Wir haben die Macht, auf solche Notfälle zu reagieren, indem wir die Straßen sofort mit Geld überfluten. […] Dessen ist sich das


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Land sehr wohl bewusst.« Strong wusste durchaus, über wie viel Macht er persönlich verfügte, um eine Krise abzuwenden: »Wenn das System dazu nicht bereit ist, dann vermute ich, dass es die New Yorker Bank alleine tun muss […]«18 Leider erkrankte Strong während einer Reise zu einem Treffen mit Montagu Norman und starb noch vor dem Börsenkrach im Alter von 56 Jahren. Er und Warburg waren die einzigen governors im Federal Reserve System, die das Wesen der von ihnen ausgeübten Macht wirklich verstanden […] Warburg warnt vor dem »endgültigen Zusammenbruch«

Warburg, der dem Federal Reserve System bereits seit 1918 nicht mehr angehörte,schätzte die Situation ganz anders ein als Strong. So schrieb er im März 1929 in einem Jahresbericht an die Anteilseigner seiner International Acceptance Bank: »Wenn man zulässt, dass die Orgien der uneingeschränkten Spekulation weiter ausufern, wird der endgültige Zusammenbruch nicht nur die Spekulanten selbst betreffen, sondern das ganze Land in eine allgemeine Wirtschaftskrise stürzen.« Der britischen Presse entgingen die Ereignisse in New York nicht. Am 25. Mai 1929 schrieb der London Statist: »Die Bankenbehörden in den Vereinigten Staaten wollen offenbar eine Depression herbeiführen, um die Spekulation einzuschränken.«19 Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt

Während Eingeweihte wie Warburg davor warnten, dass es bereits im Februar und März 1929 zum »endgültigen Zusammenbruch« kommen könnte, gingen die Geschäfte auf dem Aktienmarkt munter weiter und erreichten im August einen neuen Höchststand. Dies verdeutlicht die Schwierigkeit, den Wendepunkt auf dem Markt genau zu bestimmen. Die Federal Reserve Bank in New York brachte das Fass schließlich zum Überlaufen, als sie den Diskontsatz am 6. August 1929 auf 6 % anhob. In der Geschichte der Banken kam es mehrmals in einem August zu Kurszusammenbrüchen infolge einer historischen Aktienhausse: Zum Beispiel platzte die Südsee-Spekulationsblase im August 1720, kam es zu einer Panik im August 1873 und zu einem Börsenkrach im August 1987.


Die große Depression – eine drastische Verringerung der Geldmenge

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Der Börsenkrach Der große Krach von 1929 war viel mehr als nur eine wirtschaftliche oder marktbedingte Erscheinung. Seine Folgen sollten über Leben und Tod von Hunderttausenden, ja letztlich von 60 Millionen Menschen entscheiden, da ja der Zweite Weltkrieg mit der Weltwirtschaftskrise in einem ursächlichen Zusammenhang steht. Der Zusammenbruch schwappte von den USA auf Europa und den Rest der Welt über. Nur China, das nicht den Goldstandard, sondern eine Silberwährung hatte, blieb weitgehend verschont. Der Krach hatte auch eine tiefe soziologische Bedeutung, da die 20er Jahre stark vom Laisser-faire-Denken geprägt waren. Er machte so gut wie jedem begreiflich, dass der »Kapitalismus« – jedenfalls in seiner US-amerikanischen Ausprägung – von Grund auf gescheitert war. Diese Lehre der Geschichte gerät gegenwärtig zunehmend in Vergessenheit; wir scheinen dazu verurteilt zu sein, denselben historischen Fehler zu wiederholen.

Die große Depression – eine drastische Verringerung der Geldmenge Von August 1929 bis März 1933 sank die Geldmenge in den USA um ein Drittel. Diese Daten wurden weder rechtzeitig veröffentlicht, noch waren sie frei verfügbar. Gleichzeitig ging die Zahl der Geschäftsbanken um über ein Drittel zurück. Die erste Welle von Bankzusammenbrüchen überrollte das Land im Oktober 1930. Eine zweite Welle folgte im März 1931. Im Inland hatte der Abzug der Währung aus den Banken eine starke Verminderung ihrer Reserven zur Folge, was sich wiederum auf die Geldmenge auswirkte. Auch der von Ausländern veranlasste Abzug von Gold aus dem Federal Reserve System hatte negative Auswirkungen auf die Geldmengenentwicklung in den USA.20 Heute wird die Geldmengenentwicklung zwar überwacht, aber nicht verstanden. So wird etwa der beispiellose Rückgang der Geldmenge M 1* zwischen 1994 und 1998 aus mangelndem Wissen um das Wesen des Geldes einfach ignoriert.


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Das Federal Reserve System ruiniert Amerika

Großbritannien wird gezwungen, die Torheit des Goldstandards aufzugeben

Bis Mitte 1931, also selbst nach dem Krach, unterstützte das Federal Reserve System den erfolglosen Goldstandard der Bank of England, indem es europäischen Banken Kredite gewährte (und der inländischen Industrie verweigerte). Mitte 1931 kauften die New Yorker Federal Reserve Bank und andere Federal Reserve Banks Wertpapiere im Gesamtwert von $ 145 Millionen von der Bank of England und den Zentralbanken Österreichs, Ungarns und Deutschlands. »Charles E. Mitchell, ein Direktor der New Yorker Federal Reserve Bank, wurde mit den Worten zitiert, dass er in all diesen Fällen über die Rechtmäßigkeit der Geschäfte besorgt war. […] und die meisten Sorgen bereitete ihm das Risiko, das bei diesen ausländischen Krediten im Spiel war, während die Federal Reserve Banks zu Hause keinerlei Risiko eingingen.«21 Am 21. September 1931 gab Großbritannien endgültig den Versuch auf, den Goldstandard auf dem Preisniveau der Vorkriegszeit zu halten. Innerhalb eines Jahres folgten 25 Länder dem britischen Vorstoß. Der Versuch, das Pfund Sterling zum Preis von vor dem Ersten Weltkrieg konvertibel zu Gold zu halten, stellte eine Überbewertung der britischen Währung dar, die sich zu Lasten der Schuldner und zugunsten der Gläubiger auswirkte. Bernard Baruch gibt Roosevelt einen kläglichen Rat

Bernard Baruch riet Präsident Roosevelt, »den Haushalt auszugleichen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Doch der Druck auf Preise und Löhne, den ein solches Vorgehen verursachen würde, hätte leicht zu einer Revolution führen können. Es war nicht vernünftig zu erwarten, dass 12 Millionen unbeschäftigte Menschen angesichts stillstehender Maschinen so lange zu warten bereit wären.« »Die orthodoxen Bankentheoretiker standen auf dem Standpunkt, dass eine Verflüssigung der Bankkredite eine ›gesunde‹ Sache sei. […] Doch offensichtlich sind die Folgen einer Kontraktion der Geldmenge für die Menschen keine gesunde Sache.«22 * Bargeldumlauf (Münzgeld und Banknoten) und Sichteinlagen (täglich fällige Einlagen) inländischer Nichtbanken bei inländischen Kreditinstituten. (A. d. Ü.)


Die große Depression – eine drastische Verringerung der Geldmenge

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Roosevelt hatte Erfahrung im Wertpapierhandel und war abgeklärt genug, um nicht auf Baruchs Ratschlag zu hören. Verantwortlich für das Geldsystem war aber leider nicht er, sondern das Federal Reserve System, und der Federal Reserve Board trug unter dem Deckmantel der »orthodoxen« Geldtheorien nichts oder nur wenig zur Verbesserung der Lage bei. Noch heute wiederholen manche Libertäre und Konservative Baruchs Rat und kritisieren, dass Roosevelt ihn nicht annahm. Einige Kongressabgeordnete verstehen, worum es geht

Im Januar 1921 ergriff der Kongressabgeordnete A. J. Sabath vor dem Haus das Wort. Zuvor hatte Eugen Meyer seinen Vorschlag zurückgewiesen, wonach die richtige Antwort auf die Zunahme der Bankzusammenbrüche eine Lockerung der Diskontierungsbedingungen zur Förderung der Wertpapierrediskontierung, also der Kreditgewährung des Federal Reserve System an die Banken, gewesen wäre. Da das Federal Reserve System hauptsächlich als Refinanzierungsinstitut der letzten Instanz in Notlagen gegründet worden war, hatte Sabath geschrieben: »Behauptet der Board etwa, dass gegenwärtig keine Notlage herrsche? Ich bin der Meinung, wenn es jemals eine Notlage gab, dann jetzt, und ich denke, diese Tatsache kann niemand ernsthaft bestreiten, denn 1929 schlossen 439 Banken ihre Pforten, und 1930 mussten sogar 934 Banken Konkurs anmelden.« Doch Meyer weigerte sich zu handeln. Im Plenarsaal des Repräsentantenhauses sagte Sabath: »Ich weise nachdrücklich darauf hin, dass es in der Macht des Federal Reserve Board liegt, die finanzielle und wirtschaftliche Not zu lindern.«23 In den wissenschaftlichen Wirtschaftszeitschriften finden sich nur gelegentliche Hinweise darauf, dass die akademische Welt von der beispiellosen Pleitewelle der Banken, die im Gange war, überhaupt wusste, geschweige denn, dass sie ihre Ursachen verstanden oder eine Lösung vorgeschlagen hätte.24 »An einer Schnur geschoben?«

Es herrschte die weitverbreitete Meinung, dass die Bereitstellung von Reserven in den Banken das Problem allein nicht löse, da die Geschäftsleute schließlich nicht dazu gezwungen werden konnten, in so schlechten Zeiten Geld aufzunehmen. Die Bankenvertreter behaup-


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teten, es wären keine guten Kredite zu vergeben; auch fehle die Kreditnachfrage. Der Versuch des Federal Reserve System, Kredite zu gewähren, komme dem Versuch gleich, »an einer Schnur zu schieben«. Mit anderen Worten behaupteten sie also, dass die von den Bankiers verursachte Zerstörung die Geschäftsleute vorsichtig gemacht habe. Eine von C. C. Hardy und Jacob Viner verfasste Studie aus dem Jahre 1935 zeigte jedoch, dass sehr wohl Nachfrage nach Krediten bestand. Sie deckte die wahren Gründe für die ausbleibende Kreditvergabe auf: »Es gibt in der Tat eine unbefriedigte Kreditnachfrage von seiten zahlungskräftiger Kreditnehmer, von denen viele ihr Betriebskapital ökonomisch sinnvoll einsetzen könnten. Zu den bedenklichsten Aspekten dieser unbefriedigten Kreditnachfrage zählt der Druck, alte Betriebskapitalkredite, darunter auch durchaus solide, zu kündigen. Dieser Druck ist teilweise auf die Entschlossenheit der Bankiers zurückzuführen, eine Wiederholung der Fehler zu vermeiden, die sie für die Hauptursache der kürzlichen Konkurswelle der Banken halten.«25 Die Bankiers versuchten also nicht, Kredite zu gewähren, und kündigten bestehende gute Kredite. Unter den katastrophalen Umständen, die das Bankensystem selbst verursacht hatte, waren, als die Panik einsetzte, die normalen Geschäftspraktiken vollständig zusammengebrochen. Die Bankiers fürchteten sich zu Tode, und das aus gutem Grund: Sie betrieben schließlich ein System der begrenzten Reservehaltung, das das Vertrauen seiner Deponenten verloren hatte. Studenski und Kroos zufolge überlebten nur jene Banken, die schnell ihre Teilreservemethoden aufgaben und sich in Depositeninstitutionen umwandelten. Daher verlagerten sich die Aktiva der überlebenden Banken während der Depression in zwei Richtungen: 1. Ein starker Anstieg der Bargeldbestände. 2. Ein starker Anstieg der Investitionen (vor allem in Staatsanleihen) im Vergleich zu den Krediten. 1929 machten Staatsanleihen 40 % der Bankeninvestitionen aus, 1933 erhöhte sich dieser Anteil auf über 50 %.


Die große Depression – eine drastische Verringerung der Geldmenge

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Die Bankiers tragen nicht zum Ende der Depression bei

Es lag in der Macht des Federal Reserve System, die Tragödie zu beenden. 1929 waren 37 % aller Banken, die etwa 76 % der gesamten Aktiva der Banken kontrollierten, Mitglieder des Federal Reserve System. Im August 1929 war der Geldbestand 10,6-mal größer als die Goldreserven; im August 1931 war er nur noch 8,3-mal größer als die abnehmenden Goldreserven, doch das Federal Reserve System verwendete seine Reserven nicht.26 Warum handelte das Federal Reserve System nicht entschlossener? Der erste Grund, warum das System nicht imstande war, der Nation zu helfen, ist der, dass es gar nicht dazu bestimmt war, die monetären Bedürfnisse der Nation zu befriedigen. Dies hätte nämlich eine ganz andere Struktur erfordert – ein staatseigenes System mit dem expliziten Ziel der Förderung des Allgemeinwohls. Das Federal Reserve System hingegen, das sich in Privateigentum befand, diente dem Zweck, die kurzfristigen Profite der größten Bankiers bei minimalen Risiken zu vermehren. Und genau das tat es letztendlich auch. Dabei folgte es dem Grundsatz, Privilegien an sich zu reißen, aber Verantwortung abzulehnen. Die Bankiers bewiesen damit, dass sie sich gegenüber der amerikanischen Bevölkerung, deren Leben sie finanziell kontrollierten, nicht oder nur wenig verantwortlich fühlten. Der zweite Grund für das schlechte Abschneiden des Federal Reserve System ist der, dass es als System der begrenzten Reservehaltung auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in seine Arbeit angewiesen ist; dieses Vertrauen aber konnte das Federal Reserve System nicht wiedergewinnen. Die wesentlichen Schritte zur Überwindung der Depression unternahm nicht das Federal Reserve System, sondern der Kongress. Im April 1932 begann das Federal Reserve System unter erheblichem Druck des Kongresses, umfangreiche Offenmarktkäufe über etwa $ 1 Milliarde an Staatsanleihen zu tätigen und dadurch der Wirtschaft neues Geld zuzuführen. Amerika folgt Adam Smith ins Unglück

Die amerikanische Wirtschaft und Politik der zwanziger Jahre wurde beherrscht vom ganzen Spektrum irriger Ideen, aus denen sich Adam Smith’ Ideologie des freien Marktes zusammensetzt. Beson-


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ders schädlich war Smith’ Rat, den Staat wie den Haushalt einer Privatperson oder eines Geschäftsinhabers zu führen. Dies führte zu den Fehlern von Präsident Herbert Hoover, der im festen Glauben, für die Nation das Richtige zu tun, zu sparen versuchte: – Unter Hoover gab es bis 1931 Haushaltsüberschüsse; – Er setzte 1932 eine massive Steuererhöhung durch; – Er schickte staatliche Angestellte jede Woche für einen Tag nach Hause, um Geld zu sparen. Der gute Mann folgte Smith’ Unterricht in konservativer Wirtschaftstheologie buchstabengetreu, was die Lage nur verschlimmerte. Nur zwei sinnvolle Schritte unternahm er: die Gründung der Reconstruction Finance Corporation (RFC) sowie die Verdoppelung der Ausgaben für öffentliche Einrichtungen, als die Depression die Nation in ihrem Griff hatte. Dies werfen ihm konservative Ideologen noch heute vor. Es ist also wichtig zu verstehen, dass die Depression, die das Land wie eine gerechte Strafe heimsuchte, nicht nur auf das Missmanagement des Geldsystems durch das Federal Reserve System zurückzuführen war. Eine größere Gefahr waren die falschen ökonomischen Konzepte, die die Regierenden befolgten.

Von Hoover zu Roosevelt – ein markanter Regierungswechsel Bis zum Regierungswechsel verging eine Wartezeit von vier Monaten. Das Laisser-faire-Prinzip dominierte Amerika so sehr, dass auch Franklin D. Roosevelt für eine Kürzung der Ausgaben und den Ausgleich des Haushaltes eintrat. Seine monetären Absichten waren unklar; er begriff hingegen, dass eine breitere Umverteilung der Kaufkraft für einen Aufschwung notwendig war, und versprach mit seinem New-Deal-Programm weitreichende soziale Reformen. In den letzten Tagen von Hoovers Amtszeit hatten panikartige Goldabzüge das Bankensystem unter Druck gesetzt. Das Federal Reserve System forderte deshalb Roosevelt auf, die Banken zu schließen; doch dieser lehnte ab. Daraufhin versuchten die Republikaner, ihn dazu zu bewegen, öffentlich die Beibehaltung des Goldstandards


Von Hoover zu Roosevelt – ein markanter Regierungswechsel

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zu versprechen – als einzige Möglichkeit, die Panik zu beenden und Bankzusammenbrüche zu vermeiden. Doch Roosevelt hatte andere Ideen. John Maynard Keynes hatte eine Wirtschaftstheorie entwickelt, die die staatliche Förderung des Wirtschaftswachstums in konjunkturschwachen Perioden vorsah. Glücklicherweise stimmte Marriner Eccles, der neue Chairman des Federal Reserve Board und ein kompetenter Mann, mit Keynes überein. Er teilte einem Senatsausschuss mit, dass das Konzept eines ausgeglichenen Haushalts überholt sei. Roosevelt entschied sich für eine Politik des wirtschaftlichen und monetären Nationalismus, mit der er die nationalen Interessen der USA über die internationalen Ziele der »klassischen Ökonomie« stellte. Als Roosevelt sein Amt antrat, waren viele Banken bereits geschlossen. Zuerst wurden im Oktober 1932 in Nevada Bankfeiertage eingeführt. Am 3. März 1933 hatten die Gouverneure der Bundesstaaten in etwa der Hälfte der Bundesstaaten, darunter auch in New York, Illinois, Massachusetts, Pennsylvania und New Jersey, Bankfeiertage beschlossen. Welche Banken blieben dann überhaupt noch übrig? Eine kleine Bank in Utah, die geöffnet bleiben wollte? Die Federal Reserve Banks und die Aktienmärkte schlossen am 4. März 1933. Am 6. März setzte Roosevelt einen Bankfeiertag in Kraft, der bis zum 15. März dauern sollte. Finanzielle Verluste der Wirtschaftskrise

Die Verluste der Deponenten der 9000 amerikanischen Banken, die ihre Geschäfte in den 4 Jahren von 1930 bis 1933 aussetzten, beliefen sich auf $ 2,5 Milliarden. Die Bankzusammenbrüche waren der Hauptfaktor, der zum Abbau des Geldbestandes führte; und durch diesen Abbau wurde die große Depression ausgelöst. Die Wertminderung aller Stammaktien betrug ungefähr $ 85 Milliarden. Die Zerstörung

Unter dem Federal Reserve System gingen in weniger als zwanzig Jahren 5096 Banken bankrott; 88 % davon mit einem Kapital von unter $ 100 000, 94 % im Süden, mittleren Osten und im Westen. Die ganze Nation wurde mit ins Verderben gerissen:27


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Wirtschaftsindikatoren

1929

1932

Volkseinkommen Industrieproduktion Dow Jones Industrial Average Index der Großhandelspreise Arbeitslosigkeit

$ 87,8 Milliarden $ 110 Milliarden 381.17 (Höchststand im September)

$ 42,5 Milliarden $ 58 Milliarden 41.22 (Tiefststand im Juli)

95.3 3,5 Millionen

64.8 15 Millionen

Ende 1934 erhielten, Schätzungen zufolge, 5 Millionen Haushalte, also etwa 18 Millionen Bürger, Sozialhilfe. Roosevelt führte direkte Beihilfeprogramme (unter der FERA, der Federal Emergency Relief Administration) ein und setzte Beschäftigungsprogramme in Gang, bei denen Arbeitslose zum Bau von Straßen, Staudämmen, Nationalparks und anderen Projekten herangezogen wurden. Auch wenn durch solche Ausgaben die Staatsverschuldung anstieg und die Bankiers profitierten, ging ein Teil davon in den Aufbau einer effizienten Infrastruktur. Unter einem staatlichen Geldsystem hätten die USA das Geld leicht selbst schöpfen können, ohne die Schulden am Hals zu haben. Doch trotz dieses Nachteils war das Geldsystem so ausgehungert nach Geld, dass sogar diese geringfügige staatliche Defizitfinanzierung zur Verbesserung der Situation beitrug. Für die verschiedenen Beschäftigungs- und Beihilfeprogramme wurden zwischen 1933 und 1940 insgesamt $ 15,51 Milliarden ausgegeben; also nur etwa ein Sechstel der finanziellen Verluste der Depression. Die Bruttostaatsverschuldung betrug 1933 $ 22,5 Milliarden; 1935 $ 28,7 Milliarden; 1937 $ 36,4 Milliarden; 1939 $ 40,4 Milliarden; 1940 $ 43 Milliarden. Wenigstens handelt die Regierung

Konservative kritisieren noch heute, dass die von der Regierung zur Beendigung der Depression getroffenen Maßnahmen ineffektiv gewesen seien. In mancher Hinsicht waren sie das auch, denn man darf ja nicht vergessen, dass nicht die Regierung, sondern das Federal Reserve System die Zügel der Geldkontrolle in der Hand hatte.


Die Bankenreform von 1933 bis 1935

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Und da die Depression geldpolitische Ursachen hatte, erforderte sie auch eine geldpolitische Lösung. Über diese Tatsache sehen diese Kritiker hinweg, indem sie so tun, als sei das Federal Reserve System ein Teil der Regierung (gewesen). Die Regierung war gezwungen, indirekt zu handeln, d. h. vom Federal Reserve System geschöpftes Geld zur Finanzierung ihrer Programme »aufzunehmen«, anstatt das Geld selbst zu schöpfen. Damit übte das Federal Reserve System faktisch eine Vetomacht über die Finanzpolitik der Regierung aus. McFadden klagt das Federal Reserve System wegen Verrats an

Am 23. Mai 1933 legte der Kongressabgeordnete Louis T. McFadden, der Vorsitzende des parlamentarischen Banken- und Währungsausschusses, dem Kongress eine Amtsenthebungsklage gegen den Federal Reserve Board of Governors, die Beamten und Direktoren der Federal Reserve Banks; den Schatzamtssekretär und zwei stellvertretende Schatzamtssekretäre zur Entscheidung vor. Grund für die Amtsenthebung: geheime Absprache bei der Verursachung der großen Depression. McFadden stand fast alleine da, und sein Antrag auf Klageerhebung wurde abgelehnt; seine Abgeordnetenkollegen leiteten eine Verleumdungskampagne gegen ihn ein,in der sie behaupteten, er habe seinen Verstand verloren. Bei den nächsten Kongresswahlen wurde McFadden geschlagen, nachdem Tausende von Dollars (von außerhalb) in seinen Heimatbezirk Canon, Pennsylvania, geflossen waren.

Die Bankenreform von 1933 bis 1935 In nur 20 Jahren hatte das Federal Reserve System die amerikanische Wirtschaft ruiniert. Änderungen in der Bankengesetzgebung waren dringend erforderlich. Der alte Federal Reserve Board in Washington D. C. wurde aufgelöst und durch einen Board of Governors mit 7 Mitgliedern ersetzt, die vom Präsidenten für eine Amtszeit von 14 Jahren ernannt wurden. Die beiden Mitglieder ex officio, der Schatzamtssekretär und der Währungskommissar, schieden aus dem Board of Governors aus, dessen Befugnisse beträchtlich erweitert wurden: – Der Federal Reserve Board erhielt das Recht, sogenannte margin requirements* festzulegen.


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– Die Rechte des Federal Reserve Board, die Mindestreservesätze der Mitgliedsbanken zu variieren, die Diskontsätze zu bestimmen und Marktgeschäfte zu kontrollieren, wurden erweitert. – Der Federal Reserve Board wurde ermächtigt, die Präsidenten der zwölf Federal Reserve Banks zu ernennen. – Der Federal Reserve Board konnte zur Durchsetzung seiner Bestimmungen auf Sanktionen zurückgreifen: Er konnte die Kredite für Federal Reserve Banks, die sich nicht fügen wollten, kündigen. – Ein Offenmarktkomitee, das sich aus je einem Vertreter jeder Federal Reserve Bank zusammensetzte, wurde eingesetzt. Dieses Komitee konnte der Wirtschaft neues Geld zuführen, indem es Geld schöpfte, das dem Kauf von Staatsanleihen diente. Umgekehrt konnte es durch den Verkauf seiner Anleihebestände der Wirtschaft Geld entziehen. – Im Mai 1933 erhielten die 12 Federal Reserve Banks durch das Thomas Amendement die Befugnis, Staatsanleihen im Wert von $ 3 Milliarden zu kaufen; und wenn sie dies nicht taten, hatte der US-Präsident das Recht, $ 3 Milliarden an greenbacks auszugeben. – 1934 wurde die Federal Deposit Insurance Company, eine Bundeseinlagenversicherung, gegründet, die Einlagen bis zu maximal $ 2500 versicherte. Dieser Schritt revolutionierte das Bankensystem, da die Deponenten von nun an über eine Garantie von außerhalb des Bankensystems verfügten. Änderungen im Goldstandard

Mit dem Gold Reserve Act von 1934 wurde der Goldpreis von $ 20,67 auf $ 35 pro Unze angehoben. Die USA gaben zwar intern den Goldstandard auf, behielten ihn aber für internationale Zahlungen bei. Die Bürger konnten Goldmünzen oder sogenannte gold certificates im Wert von $ 100 pro Person behalten, mussten aber alles übrige Gold gegen Federal-Reserve-Noten eintauschen. Von $ 571 Millionen an umlaufenden Münzen wurden $ 287 Millionen nicht gegen Noten eingelöst. Die 69-prozentige Erhöhung des gesetzlichen Goldpreises wurde in Dollar ausgedrückt, der selbst beträchtlich an Wert gewonnen * D. h. Deckungsvorschriften für Börsengeschäfte, die den Rahmen aufzeigten, innerhalb dessen die Kreditvergabe für den Kauf von Effekten zulässig war. (A. d. Ü.)


Die Bankenreform von 1933 bis 1935

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hatte. Natürlich profitierten Goldaktien davon, doch dies hatte nichts mit den immanenten Eigenschaften des Goldes zu tun, sondern ausschließlich mit dem Gesetz! Der Social Security Act

Am 14. August 1935 wurde das bedeutendste Gesetz zur Bekämpfung der Armut in den Vereinigten Staaten erlassen: der Social Security Act. Die Idee eines Sozialversicherungssystems wurde zuerst von Thomas Paine, dem Vater der amerikanischen Revolution, vorgebracht.28 Neben der Einführung von Renten hatte Paine eine finanzielle Unterstützung für den Eigenheimerwerb junger Familien gefordert. Die Finanzeliten der USA haben kürzlich mit der Demontage der sozialen Versicherungssysteme begonnen, indem sie die Amerikaner davon überzeugten, dass davon nichts mehr vorhanden sein werde, wenn sie das Rentenalter erreichen. Der historische Zusammenbruch des Gold-Silber-Wertverhältnisses

Die große Depression bot den Anhängern der klassischen Geldlehre mit dem Zusammenbruch des Warensilberpreises noch eine weitere Lektion. Die Geldtheorien von Adam Smith, David Ricardo, Karl Marx, von Mises und den Vertretern der Wiener Schule der Nationalökonomie, die alle behaupten, dass Geld eine Ware oder QuasiWare sei, wurden durch die Tatsache des Silberpreisverfalls widerlegt. Silber war von $ 1,38 im Jahre 1919 auf 44 Cent pro Unze im Jahre 1932 gefallen; ein Wertverlust von 75 %. Da zu jener Zeit Gold immer noch bei $ 20,67 pro Unze stand, betrug das Wertverhältnis also 47 : 1, während es zuvor bei 16 : 1 gelegen hatte. Der Grund für den Zusammenbruch des Wertverhältnisses war ganz einfach die Tatsache, dass der Goldwert gesetzlich geschützt war. Dies zeigt, dass die Kraft des Gesetzes und nicht etwa die Kräfte des Marktes oder der Wirtschaft den Wert der Edelmetalle bestimmen. Die Geldmenge nimmt endlich zu

Von 1933 bis 1937 stieg der Geldbestand um 46 %, und die Großhandelspreise zogen um 45 % an. Die mit dem Dow Jones Industrial Average ermittelten Aktienmarktpreise stiegen auf 194.4 Punkte im


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März 1937 – ein Anstieg um 370 % seit dem Tiefststand nach dem Börsenkrach (1932). Ein weiterer Querschuss des Federal Reserve System

Als sich dann ein allmählicher Aufschwung abzeichnete, versuchte der Board of Governors des Federal Reserve System ein letztes Mal, die Entwicklung zu behindern, und verdoppelte zwischen 1936 und 1937 die Mindestreservevorschriften. Dadurch wurde der Aufschwung vorzeitig abgebrochen und die Geldversorgung lahmgelegt. Dies zeigt, dass die Bankiers nach wie vor das Geldsystem beherrschten. Erst im Zweiten Weltkrieg – als gewährleistet war, dass sowohl Arbeit als auch Geld in die Zerstörung und nicht in den Aufbau von Infrastruktur flossen – strebte man eine umfassende Ausweitung der Geldmenge und Vollbeschäftigung an. Auf diese Weise blieb die Nation abhängig und unfähig, sich gegen die zukünftigen monetären Raubzüge der Bankiers zur Wehr zu setzen. Die Schärfe der Bemerkung von Professor Soddy, mit der dieses Kapitel eröffnet wurde, wird nun verständlich.

Die Finanzierung des Zweiten Weltkrieges Als im September 1939 der Zweite Weltkrieg in Europa begann, verfügten die USA über enorme ungenutzte Produktionskapazitäten, 8 Millionen Arbeitslose und »ein riesiges Reservoir an totem Kapital«.29 Da sie wussten, dass bei einer Ausweitung der Geldmenge das Geld hauptsächlich in die Zerstörung fließen würde, öffneten die Finanziers die Tore der Geldschöpfung: »Vom 1. Juli 1940 bis zum 1. Dezember 1941 betrugen die Staatsausgaben insgesamt $ 21,7 Milliarden und lagen damit weit über den Ausgaben für die Politik des New Deal. Die Ausgaben für die Landesverteidigung beliefen sich auf 12,7 Milliarden oder etwa 59 %.« So einfach ist es also, Geld zu schöpfen! Mitte 1941 lagen die Preise bei 92 % des Preisniveaus von 1926. Von 1941 bis 1946 verzeichneten einzig jene Bankkredite einen Zuwachs, die der Kriegsfinanzierung dienten.30 Vom 1.Juli 1940 bis 30. Juni 1946 wurde es der Regierung gestattet


Versuche, das moralische Ansehen des Kapitalismus wiederherzustellen

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(und wurde sie sogar dazu ermutigt!), $ 387 Milliarden auszugeben, davon 95 % für militärische Zwecke. In diesem Zeitraum wurden insgesamt $ 44,2 Milliarden an Steuern eingenommen (die Einkommensteuersätze waren auf 19 % für untere Einkommen und auf 88 % für die höchsten Einkommen angehoben worden). Der Rest wurde durch Schuldenaufnahme finanziert. Die Staatsverschuldung betrug im Februar 1946 $ 279,8 Milliarden. Von diesen Schulden entfielen 31 % auf die Geschäftsbanken; dieser Anteil kann als aus dem Nichts geschöpftes Geld betrachtet werden. Bei Kriegsende lagen die Preise (bezogen auf das Jahr 1926 = 100) bei 105,8. Nachdem die Preiskontrollen aus der Kriegszeit aufgehoben worden waren, stiegen die Preise auf 169,5 im Jahre 1948 und sanken danach auf 157,3 im Juni 1950. Doch bevor man die Behauptung der Ökonomen akzeptiert, dass eine solche Geldschöpfung automatisch erhebliche Preissteigerungen nach sich ziehe, sollte man folgende Punkte bedenken: 1. Wären Autos teurer oder billiger gewesen, wenn das geschöpfte Geld zur Herstellung Millionen neuer Autos anstelle von militärischen Jeeps, Lastwagen und Panzern verwendet worden wäre? 2. Wenn das für Granaten, Flugzeuge und versenkte Schiffe in die Luft geblasene Geld für den Wohnungsbau und für Konsumgüter ausgegeben worden wäre, wären dann nicht die Kosten für diese Dinge gesunken? 3. Hätte man die für zahllose Vernichtungskampagnen verschwendeten Milliarden statt dessen für die Modernisierung amerikanischer Betriebsgebäude und Produktionsanlagen ausgegeben, hätte dies nicht die Warenkosten viele Jahre lang niedrig gehalten? Und so weiter […]

Versuche, das moralische Ansehen des Kapitalismus wiederherzustellen Ethisch betrachtet, waren die zwanziger Jahre nicht nur eine Zeit der hemmungslosen Spekulation, sondern auch der Politik des freien Marktes, der Herabsetzung der Regierung und des blinden Vertrauens in den Nutzen des Laisser-faire-Kapitalismus und der Märkte für die Menschheit. Der Börsenkrach und die Depression setzten dieser


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Entwicklung ein jähes Ende. In seiner Amtsantrittsrede vom März 1933 erklärte Präsident Roosevelt: »Die Herrscher über den Austausch der Güter der Menschheit sind aufgrund ihrer eigenen Sturheit und ihrer eigenen Unfähigkeit gescheitert, haben ihr Scheitern zugegeben und abgedankt. Die Praktiken der skrupellosen Geldwechsler stehen vor dem Gericht der öffentlichen Meinung unter Anklage und werden von den Menschen vom Grunde ihres Herzens und ihres Verstandes abgelehnt. […] Die Geldwechsler flohen von ihren hohen Sitzen im Tempel der Zivilisation. Wir können diesen Tempel nun wieder seiner ursprünglichen Bestimmung übergeben.« Jahrzehnte später, als viele Beteiligte tot und Erinnerungen erloschen waren, unternahm ein Komplott aus Ökonomen und Finanziers gemeinsam den Versuch, die Verantwortung für die Entstehung und das Hinauszögern der Depression von den Finanziers und dem Federal Reserve System auf die Regierung abzuschieben. Diese Ökonomen erkannten, dass der Börsenkrach und die Depression der lebendige Beweis für die Nichtigkeit ihrer Theorien und Aktivitäten waren. Sie erfanden Gründe, warum es so nicht hatte funktionieren können, und gaben die Schuld der Regierung. Sie indoktrinierten ideologisch motivierte junge Menschen (die heutigen Libertären), die weder über echte eigene Erfahrungen noch über genaue Kenntnisse der Depression verfügten. Im Jahre 1966 versuchte zum Beispiel Alan Greenspan, die Verantwortung für das Hinauszögern der Depression von den Finanziers auf die Regierung abzuwälzen: »(Die) zwölf regionalen Federal Reserve Banks befinden sich nach außen hin im Besitz privater Bankiers, werden aber faktisch vom Staat finanziell gefördert, kontrolliert und unterstützt.«31 Nun, wenn das Federal Reserve System bereits eine staatliche Einrichtung ist, sollte es diese Ökonomen nicht allzu sehr stören, wenn es verstaatlicht wird. Aufgrund dieses Artikels wurde Greenspan 1967 vom Präsidentschaftskandidaten Nixon zu einem seiner Wirtschaftsberater im Wahlkampf gekürt. Als Nixon Präsident wurde, holte er ihn in seinen Wirtschaftsberaterstab. Später wurde Greenspan zum Chairman des Board of Directors des Federal Reserve System ernannt.


Die anglikanische Kirche zieht der Bank of England die Giftzähne

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Die anglikanische Kirche zieht der Bank of England die Giftzähne Vielleicht waren zwei Weltkriege und eine Weltwirtschaftskrise in weniger als 50 Jahren genug. Mit ihrer Forderung nach einer Verstaatlichung der Bank of England ergriff die anglikanische Kirche die größte monetäre Initiative des 20. Jahrhunderts. Obwohl sich diese Forderung durch das typisch englische Understatement auszeichnete, stellte sie die moralisch bedeutsamste Erklärung über die Geldmacht dar, die in unserem oder einem anderen Jahrhundert öffentlich gemacht wurde: »Im Falle von Geld haben wir es mit etwas zu tun, das in unserer Generation mit Methoden behandelt wird, die sich sehr stark von den vor hundert oder fünfzig Jahren üblichen Methoden unterscheiden. Als es noch eine Vielzahl privater Banken gab, war das System der Kreditausgabe vielleicht noch angemessen, doch mit dem Zusammenschluss der Banken sind wir nun an einem Punkt angelangt, wo etwas, das allgemein gebraucht wird – nämlich Geld oder Kredit, der im Dienste des Geldes steht –, in der Tat zu einem Monopol geworden ist […] Die private Ausgabe von neuen Krediten sollte in der modernen Welt genauso behandelt werden wie die private Geldprägung in früheren Zeiten. Die Banken sollten in ihrem Kreditpotential auf die von ihren Kunden hinterlegten Geldbeträge beschränkt sein, während die Ausgabe neuerer Kredite die Aufgabe einer staatlichen Behörde sein sollte. Dies bedeutet keineswegs eine Zensur der Banken oder Bankiers. Sie haben das ihnen anvertraute System mit beispielloser Rechtschaffenheit, Kompetenz und Gemeinsinn geführt. Doch das System hat sich anormal entwickelt und dazu geführt – wie so oft, wenn eine anormale Entwicklung über einen langen Zeitraum hinweg andauert –, dass etwas zum Herr wird, das Diener sein sollte.« T R W T Erzbischof von Canterbury


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Das Federal Reserve System ruiniert Amerika

London, 26. September 194232 Die Bank of England wurde 1946 verstaatlicht. Die katholische Kirche und andere Kirchen könnten aus diesem mutigen Schritt ihrer jüngeren Cousine eine Menge lernen.


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21. Kapitel

Ein Plädoyer für eine vierte Staatsgewalt Vorschläge für eine Reform des Geldwesens in den Vereinigten Staaten von Amerika Portia zu Shylock: Denn, weil du dringst auf Recht, so sei du sicher, Recht soll dir werden, mehr als du verlangst. S: Der Kaufmann von Venedig1

Es ist durchaus angebracht, Portias Worte in die heutige Zeit zu übertragen und an die Inhaber der Geldmacht in den Vereinigten Staaten zu richten, die von ihren Untergebenen scheinheilig mehr Recht und Ordnung, größere individuelle Verantwortung und härtere Arbeit fordern. So gehört im amerikanischen Arbeitsleben zum Beispiel ein längerer Urlaub der Vergangenheit an: Meist ist nur noch ein Kurzurlaub möglich, der für eine wirkliche Erholung vom psychischen Stress einer immer belastenderen Arbeitswelt nicht ausreicht. Dass in Europa vier Wochen Jahresurlaub die Regel sind, kann man in Amerika kaum glauben. Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen gilt in Amerika das Eigentum, vor allem das Eigentum der Finanzinstitutionen, als unantastbar. Die »Kriege gegen das Verbrechen« haben dazu geführt, dass heute in Amerika 1,5 Millionen Menschen – hauptsächlich wegen Drogendelikten – eine Gefängnisstrafe verbüßen; das ist der weltweit größte Anteil an der Gesamtbevölkerung eines Landes. Eine Folge davon war, dass der Bau von Gefängnissen zur amerikanischen »Wachstumsindustrie« Nummer eins wurde. Eine noch dunklere Seite der amerikanischen Gefängnisse ist die Tatsache, dass private Unternehmen ihre normalen Arbeiter immer mehr durch Gefängnisarbeiter (mit einem Stundenlohn von 23 Cent bis $ 1) ersetzen. Manche Betriebe wurden gar geschlossen, um die Produktion in nahe gelegene Gefängnisse zu verlagern. Diese bedeutsame Entwicklung verläuft so rasant, dass die verschiedenen religiösen Gruppierungen sie noch gar nicht richtig bemerkt haben.


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Ein Plädoyer für eine vierte Staatsgewalt

Es ist wichtig, die Europäer auf diese Entwicklung aufmerksam zu machen, damit sie besser verstehen, wohin die Politik des freien Marktes führen kann, und damit sie sich noch einmal überlegen, ob sie den USA wirklich blind in diese Richtung folgen wollen. Die Themen Kriminalität, Gefängnisse und Arbeit werden in einem Buch über die Geldmacht deshalb behandelt, weil sie eine direkte Folge dieser Macht sind. Ein Großteil der Verbrechen in den USA ist das Ergebnis eines ungerechten Geldsystems, das all jene, die die finanziellen Bestimmungen geschickt manipulieren, großzügig belohnt, während es die ehrlichen Arbeiter links liegenlässt. So geraten manche Minderheiten nur deshalb in den illegalen Drogenhandel, weil es für sie keine Beschäftigung gibt. Vor allem der schwarzen Bevölkerung bleibt der Zugang zu wichtigen Positionen in der Wirtschaft nach wie vor versperrt. Zwar gelingt es immer wieder einzelnen, sich über die Hindernisse hinwegzusetzen, doch da die Volkswirtschaft darauf ausgerichtet ist, die Arbeit zu rationalisieren und eine stehende Arbeitslosenarmee zum Druck auf Löhne und Gehälter aufrechtzuerhalten, ist es dieser Bevölkerungsgruppe nicht möglich, den Benachteiligungen zu entkommen, denen so viele ihrer Mitglieder ausgesetzt sind. Unter diesen Umständen ist es nicht erstaunlich, dass der Anteil der Schwarzen in den Gefängnissen unverhältnismäßig hoch ist. Einen Großteil der Verantwortung für diese ungerechte Situation tragen diejenigen, die das Geldsystem der USA kontrollieren, sowie ihre Vorgänger. Sie trugen die Schuld am Zusammenbruch der Banken in den Jahren 1929–1932 und stellten danach die Geldversorgung nur zum Zwecke der Kriegsführung wieder her. Weiterhin stellten sie die Wirtschaft fünfzig Jahre lang auf die Grundlage des militärischindustriellen Komplexes und häuften ein Mehrfaches an thermonukleare Waffen an, die zur Zerstörung der ganzen Welt gebraucht würden. Zwischen 1970 und 1974 wurde dieses System nur durch die Einsicht, dass der Staat für die Federal Deposit Insurance Corporation bürgte, vor dem totalen Zusammenbruch bewahrt. Die Fiaskos von Penn Central, Continental Illinois, Franklin National und B.C.C.I. sorgten dafür, dass der Bankenbetrug nicht aus den Schlagzeilen verschwand. Die Liquiditätskrise der Savings and Loan Associations* Ende der 80er Jahre war direkt auf die Aufhebung der


Die Fehldiagnose der monetären Probleme Amerikas

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staatlichen Bankenregulierung zurückzuführen. Den Schaden in Höhe von mehr als $ 100 Milliarden bezahlte der amerikanische Steuerzahler. Ein vergleichbares Missmanagement einer Bank sucht man in ganz Europa vergebens. Es scheint einer der tragenden Pfeiler des US-amerikanischen Rechtssystems zu sein, dass die im Zusammenhang mit diesen Bankenskandalen begangenen Verbrechen grundsätzlich nicht verfolgt werden. Dieses Schema der Nichtverfolgung finanzieller Kapitalverbrechen hat sich seit den Skandalen in Verbindung mit der SüdseeSpekulationsblase 1720–1721, kurz nach der Gründung der Bank of England, fest in der englischsprachigen Welt verwurzelt. Im 11. Kapitel wurde erläutert, wie Englands Führungselite in diese Betrügereien verstrickt war. Es ist höchste Zeit, diesen Bankiers die Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, die sie verdienen. Dabei trete ich nicht etwa für ein Rechtssystem ein, das keine individuellen Unterschiede zwischen den Menschen kennt oder natürliche Wesensmerkmale leugnet; aber ich fordere ein Ende des Kannibalismus in unserem derzeitigen Geldsystem, denn er erniedrigt die Menschheit.

Die Fehldiagnose der monetären Probleme Amerikas Die Aufrechterhaltung eines wirren Konzepts vom Wesen des Geldes hat dazu geführt, dass der im Geldsystem begründete Ursprung so vieler großer Probleme der amerikanischen Gesellschaft falsch diagnostiziert wurde. Beispiele hierfür sind: Der Ausgleich des Bundeshaushalts und die Krise der USA

Der Ausgleich des Bundeshaushalts wird der amerikanischen Öffentlichkeit als fiskalisches Problem des Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben verkauft. Richtig ist hingegen, dass etwa 14 % des USamerikanischen Jahresbudgets in die Zinszahlung für die Staatsschulden fließen. Inzwischen versteht der geneigte Leser, dass die Staatsverschuldung zum Großteil unnötig und auf ein fehlerhaftes monetäres System zurückzuführen ist. Das Problem muss also neu * Institute, die den deutschen Bausparkassen ähnlich sind. (A. d. Ü.)


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definiert werden als ein Problem, das monetäre Reformen und nicht etwa Pfennigfuchserei oder Geiz erfordert. Die Bedeutungslosigkeit der ganzen Haushaltsdiskussion zeigt sich in der Tatsache, dass der US-Bundeshaushalt nicht zwischen Kapitalaufwendungen und normalen Betriebsausgaben unterscheidet. Gelder für neue Gebäude und Ausstattung, Computer, Flugzeuge, Straßen, Brücken, Flughäfen usw. werden wie Betriebsausgaben behandelt, und der Haushalt hat keine Kapitalseite, auf der solche Posten über die vielen Jahren ihrer Betriebsdauer hinweg amortisiert werden. Europäer werden diese Zustände kaum glauben können, doch sie sind wahr, wie auch William Vickrey in einer Pressemitteilung bestätigte, nachdem ihm im Oktober 1996 der Nobelpreis für Nationalökonomie verliehen wurde: »Wann werden wir endlich von dieser kopflosen, devoten Jagd nach dem heiligen Gral des ausgeglichenen Haushalts abkommen – einer Suche, die am gewissenhaftesten von denjenigen vorangetrieben wird, die unter den beabsichtigten Sparmaßnahmen am wenigsten zu leiden hätten.« Die Rettung der Sozialversicherung und der Medicare- und Medicaid-Programme*

Die fehlenden Gelder zur Finanzierung dieser wichtigen Programme sind wiederum kein fiskalisches, sondern ein monetäres Problem, das durch unnötigen Druck auf den Haushalt und das bewusste monetäre Erdrosseln des Staates entstanden ist. Die Verteilung neu geschaffener staatlicher Geldmittel über solche Programme wäre eine ausgezeichnete Methode, um neues Geld in Umlauf zu bringen, da das Geld auf diese Weise in relativ kleinen Beträgen sehr breit in der Bevölkerung verteilt würde. Die Verschlechterung des amerikanischen Straßensystems

Auch dieser Umstand ist auf den Geldmangel infolge der unnötigen Druckausübung auf den Haushalt zurückzuführen. Die Finanzierung solcher Infrastrukturmaßnahmen ist für die Regierung eine vortreffliche Methode, um das System mit neuem, geographisch * Medicare ist ein Programm der Bundesregierung zur ärztlichen Versorgung von Personenüber65, Medicaid einZusatzprogrammzurmedizinischenVersorgung derArmen.(A. d. Ü.)


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breit gestreutem Geld zu versorgen und gleichzeitig vernünftig bezahlte Arbeitsplätze zu finanzieren, die den Mitbürgern noch viele Jahre nach Abschluss der Projekte eine wertvolle Infrastruktur zur Nutzung überlassen. Gute Straßen, Brücken und deutliche Straßenmarkierungen auf den Autobahnen retten nicht zuletzt auch Leben. Die Aufhebung der Kommunalverwaltungen

Die monetäre Erdrosselung des Staates findet auf bundesstaatlicher, einzelstaatlicher und kommunaler Ebene statt. Kleinere Stadtverwaltungen werden gezwungen, sich immer mehr zu verschulden, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Zwei Beispiele aus meiner Gemeinde: Die Zinsen, die für den Kauf eines neuen Feuerwehrautos und die Modernisierung der Stadthalle bezahlt werden müssen, sind etwa doppelt so hoch wie die Gesamtkosten der dafür notwendigen Geräte und Maschinen sowie die Kosten des Baus und der Dienstleistungen. Um Kosten einzusparen, sind die Kommunalverwaltungen angehalten, ihre Aufgaben mit anderen Kommunalverwaltungen gemeinsam zu erfüllen. Wieder ein Beispiel aus meiner Region: Erst kürzlich wurden die medizinischen Notdienste in unserer Region aufgefordert, sich zusammenzuschließen. Doch solche Fusionen bedeuten eine Kürzung der Leistungen und nicht etwa eine Kürzung der Steuerlast. Ein zerrüttetes Bildungssystem

Das staatliche Bildungssystem der USA leidet an überfüllten Unterrichtsräumen und baufälligen Schulgebäuden. Staatliche Schulen werden hauptsächlich aus kommunalen Vermögenssteuermitteln finanziert, für die fast ausschließlich mittelständische Haushalte aufkommen. So ist es nicht unüblich, dass zum Beispiel für (geschätzte) $ 100 000 an Hauseigentum jährlich jeweils $ 2000 allein an Schulsteuern anfallen. Die Höhe dieser Steuern hat die Grenzen des Vernünftigen überschritten. Immer mehr Amerikaner im Ruhestand sind wegen der Steuerzahlungen gezwungen, ihre Häuser durch verschiedene Versicherungsabschlüsse und Aufschubzahlungen langsam in Zahlung zu geben. Wenn sie die Kontrolle über ihr eigenes Geldsystem besäße, könnte und sollte die Bundesregierung die Bildung viel stärker fördern.


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Ein weiteres Problem der Schulen sind die Unterrichtsinhalte: Der Leitsatz »Alles ist relativ; es gibt keine absoluten Wahrheiten« wird von den Schülern so interpretiert: Es gibt kein Richtig oder Falsch, alles ist erlaubt. Mit diesem Leitsatz lernen sie natürlich nie, selbständig zu denken, zu argumentieren, Fakten und Erfahrungen zu bewerten, um so zu hiebfesten Schlussfolgerungen zu kommen. Doch ein monetäres / finanzielles System, das auf so vielen »anomalen« Konzepten und Unwahrheiten beruht, erfordert ein hohes Maß an Ignoranz der Bevölkerung, sonst wäre es leicht zu durchschauen und möglicherweise zu stürzen. Deshalb bedeutet die »Nichts-ist-wirklich-alles-ist-erlaubt«-Lüge in der Praxis nichts anderes, als dass niemand wirklich mit Bestimmtheit zu sagen wagt, dass die Bankiers kriminelle Geschäfte machen und daran gehindert werden sollten. Jugendliche begehen Selbstmord und Mord

Eine fast schon alltägliche Sorge in Amerika sind die Nachrichten über immer mehr Jugendliche, die den Verstand verlieren, Amok laufen und Lehrer und Mitschüler erschießen.* Auch steigt die Selbstmordquote unter amerikanischen Jugendlichen dramatisch an: um 300 % in den letzten 30 Jahren. Welche persönlichen Hintergründe und Defizite auch immer bei diesen Tragödien eine Rolle spielen – mein Eindruck ist, dass sich das in unserem System mittlerweile verwurzelte, unerträgliche Maß an Heuchelei erheblich auf die Entwicklung der Jugendlichen auswirkt. Einige dieser Jugendlichen sind von Anfang an schwer zugänglich und handeln aus niedrigsten Trieben, wobei sie sich vielleicht nach der »Alles-ist-erlaubt«-Einstellung der finanziellen Elite richten. Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass die Nation von hinter den Kulissen operierenden Finanzinstitutionen mehr kontrolliert wird als von den Bürgern durch die Wahlen. Selbst die Reichsten der Reichen bleiben von Gewalttaten nicht verschont. Man denke nur an den sechsjährigen Jean Bennet Ramsay, der 1996 im Haus seiner milliardenschweren Eltern in Colorado * Erst heute morgen hörte ich im Radio die neuste Schreckensmeldung: Ein Jugendlicher erschoss in Springfield, Ohio, seine Eltern und feuerte dann in seiner Schule auf 16 Mitschüler, von denen er zwei tödlich traf.


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ermordet wurde; an den Sohn des Vorsitzenden von Time Warner, ebenfalls Multimilliardär, der 1996 in New York getötet wurde; an den Sohn des Multimillionärs und Entertainers Bill Cosby, der 1997 in Kalifornien ermordet wurde; oder an den Modeschöpfer und Multimillionär Gianni Versace, der 1997 in Florida einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Das Fehlen einer staatlichen Obhut

Mit der Kontrolle über ihr Geldsystem verliert die Gesellschaft jegliche Kontrolle über ihr Schicksal. Sie kann weder die Prioritäten setzen noch die Politik bestimmen, mit der diese zu erreichen sind. Probleme sind nicht mehr lösbar, weiten sich zu Krisen aus und türmen sich auf. An die Stelle von Taten setzt die Führungselite Öffentlichkeitsarbeit, so dass den Menschen trotz der Medien langsam bewusst wird, dass in Washington »niemand zu Hause« ist. Niemand nimmt Amerika in seine Obhut. Die Wahlbeteiligung sinkt, und ein tiefgreifender moralischer Verfall setzt ein. Unsere monetären Untersuchungen können deshalb dazu beitragen, die schlimmsten Probleme der Gesellschaft zu erkennen und zu lösen. Die Erkenntnisse der Sozialwissenschaften sind unmittelbar auf die Gesellschaft anwendbar, und es ist höchste Zeit, dass verstanden wird, wie das monetäre System so viele gesellschaftliche Krisen verursacht hat. Unsere Kenntnisse der grundlegenden monetären Prinzipien, die durch Untersuchungen monetärer Konzepte und Fallstudien gewonnen wurden, können nun auf die Reform des USamerikanischen Geldsystems angewandt werden. Die Umsetzung der Reformen setzt dann allerdings durchgreifende politische Maßnahmen voraus. Meine Strategie besteht darin, mich auf zwei Minimalreformen zu konzentrieren. Dabei verfolge ich das Ziel, die Zeit zugunsten der Gerechtigkeit arbeiten zu lassen und nicht gegen sie, wie es augenblicklich der Fall ist. Ich denke, dass mein Ziel mit diesen zwei Reformen erreicht werden könnte. Danach kann man weitere Fragen angehen und Veränderungen einleiten. Diese beiden Reformen sind so geartet, dass sie für alle ehrlichen Beobachter annehmbar sein sollten. Sie sind aber auch Mindestanforderungen, um die es keine Kompromisse geben kann.


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Abschaffung des Systems der begrenzten Reservehaltung und die Einführung einer Deckungspflicht von 100 % Die erste Reform besteht darin, das System der begrenzten Reservehaltung, d. h. das Vorrecht der Banken, in ihren Büchern Geld in Form von Bankkrediten zu schöpfen, ein für allemal abzuschaffen. Innerhalb des amerikanischen Bankensystems war und ist dieses System die eigentliche Machtquelle der Bankiers, denn es ist der Hauptmechanismus, durch den sie Geld schöpfen. Es ist aber auch die Quelle der periodischen Zusammenbrüche des Bankensystems. Die Bankkredite sind in der Regel nur zu etwa einem Zehntel durch tatsächliche Geldreserven der Banken gedeckt. Durch das Bankensystem wird aber der Eindruck vermittelt, dass diese Bankkredite mit Geld gleichwertig sind. Das sind sie aber keineswegs, denn sie sind von der Fähigkeit der Bank abhängig, liquide zu bleiben und ihre Deponenten auszahlen zu können. Dagegen ist das Papiergeld, das man in der Hand hält, viel sicherer. In den Worten von Robert De Fremery: »Durch dieses von Grund auf betrügerische Vorgehen vervielfachen sich die Bankeneinlagen, die nur als Einträge in den Büchern existieren. Doch selbst die Legalisierung dieser unsoliden Geschäftspraktiken hält die Öffentlichkeit nicht davon ab, in regelmäßigen Abständen das Vertrauen zu verlieren und ihr Geld zurückzufordern. Die Folge davon sind Panik und Wirtschaftskrise.«2 Im Idealfall, d. h. wenn die Geldschöpfungsmacht allein auf die Regierung beschränkt und durch Schutzbestimmungen in der Verfassung begrenzt wäre, würde es dieses Panikpotential gar nicht geben. Dann würden die Banken nämlich davon abgehalten, nicht vorhandenes Geld zu verleihen; sie dürften nur das Geld verleihen, das ihre Kunden bei ihnen hinterlegt haben (siehe 20. Kapitel). Paniken und Zusammenbrüche im Bankensystem sind vermeidbar

Doch wie können wir unser instabiles Bankensystem, bei dem Banken auf diese Weise Geld schöpfen, umstrukturieren? Die Wiener Schule der Nationalökonomie hat die Amerikaner jahrelang ihre falsche Sicht gelehrt, dass jede Kreditexpansion einen Crash nach sich ziehen müsse, so dass heute viele Amerikaner aus dem konservativen oder libertären Lager daran glauben. So schrieb beispielsweise Ludwig Von Mises: »Es gibt keine Möglichkeit, den letztlichen Zu-


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sammenbruch eines durch Kreditexpansion ausgelösten Booms zu verhindern. Die Alternative besteht lediglich darin, ob es früher – infolge eines freiwilligen Verzichts auf weitere Kreditexpansion – oder erst später – als endgültiger, totaler Zusammenbruch des betroffenen Währungssystems – zu einer Krise kommt.«3 Diese fatalistische Schlussfolgerung ist meiner Ansicht nach eine der gefährlichsten Doktrinen, die heute in Amerika verbreitet werden und an die viele Menschen glauben. Sie lässt die Menschen sowohl bei ihren eigenen Investitionen als auch in ihren Gedanken über die Politik der Banken falsch reagieren. Die Grundlage dieser Doktrin ist die nach nunmehr 20 Kapiteln der Beweisführung zu Recht als »kindisch« zu bezeichnende Auffassung, dass Geld eine Ware oder ein wirtschaftliches Gut sei. Würde die Wiener Schule der Nationalökonomie das Geld als eine gesellschaftliche und gesetzliche Institution der Menschheit begreifen, müsste sie ihre Schlussfolgerung, dass die Katastrophe unvermeidbar sei, revidieren. De Fremery betonte in diesem Zusammenhang: Eine plausiblere Theorie sagt, dass wirtschaftliche Tätigkeit ständig ein neues Gleichgewicht schafft zwischen dem gesamten zirkulierenden Tauschmedium und den Waren und Dienstleistungen, die dafür angeboten werden. Mit anderen Worten: Eine Ausweitung der Bankkredite führt nicht wegen einer fehlgerichteten Produktion zum Zusammenbruch, sondern vielmehr wegen der Wirkung des Greshamschen Gesetzes (siehe Seite 79). Die Verwendung von Bankkrediten als Tauschmedium erzeugt das, was Bischof Berkeley als ›doppeltes Geld‹ bezeichnete. Der Zusammenbruch des Systems wird also dadurch verursacht, dass die Menschen Bargeld den Bankkrediten vorziehen und deshalb in einem Run auf das Bankenestablishment ihr Bargeld aus den Banken abziehen. »Dieser Theorie zufolge kann ein Zusammenbruch nach einer Periode der Kreditexpansion einfach dadurch vermieden werden, dass der bestehende Umfang an Bankkrediten in wirkliches Geld, das auch ohne die Schulden existiert, umgewandelt und gleichzeitig den Banken das Vorrecht der Kreditschöpfung entzogen wird, d. h. dass sie gezwungen werden, ihre Kreditgeschäfte auf das Verleihen tatsächlich vorhandener Mittel zu beschränken.«4 Vertreter der Warengeldtheorie können diese Möglichkeit nicht akzeptieren, da weder Gold noch irgendwelche Wirtschaftsgüter aus


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dem Nichts hervorgebracht werden, um Bankkredite in wirkliches Geld zu verwandeln. Erst wenn man begreift, dass Geld seinem Wesen nach eine abstrakte gesetzliche Setzung, eine Einrichtung der Gesellschaft ist, kann man verstehen, dass es für die Regierung durchaus möglich ist, solches bewährtes, echtes Geld zu schaffen und damit die suspekten Bankkredite zu ersetzen. Mit dieser Einsicht geht die Erkenntnis einher, dass wir nicht etwa vor der kompromisslosen Entscheidung stehen, entweder das bestehende, fehlerhafte Bankensystem so zu erhalten, wie es ist, oder den Zusammenbruch des ganzen Systems zu riskieren. Unser Handlungspotential ist in der Tat viel größer. Henry C. Simons bringt den Vorschlag der 100 %-Deckung vor

Während der Depression in den dreißiger Jahren war Henry C. Simons, einer der bedeutendsten Wirtschaftswissenschaftler Amerikas, Professor an der Universität von Chicago. Er erarbeitete und unterbreitete die Lösung der 100-prozentigen Deckung als Möglichkeit, die Wirtschaftskrise zu beenden und in Zukunft den Ausbruch einer Panik im Bankensystem zu verhindern.5 Das US-Schatzamt würde den Banken eine neu geschaffene USPapierwährung als Darlehen geben, damit sie ihre Bargeldreserven auf 100 % aufstocken könnten. Die Banken würden auf diese Darlehen Zinsen zahlen. Auch die Federal Reserve Banks würden vom Schatzamt genug neues Geld leihen, um ihre Bargeldreserven auf 100 % ihrer Sichteinlagen (Wertpapiere, die ihre Mitgliedsbanken zur sicheren Aufbewahrung bei ihnen hinterlegen, sowie alle Staatspapiere, gegen die vom Staat Schecks ausgestellt werden) aufzustocken. Der Wert der von den Federal Reserve und anderen Banken gehaltenen US-Wertpapiere (US-Schatzwechsel und US-Schatzanleihen) würde gegen diese Kreditaufnahme aufgerechnet, so dass ein Teil der Bankenschulden in dieser Höhe aufgehoben würde. Durch diese einfache und elegante Änderung würde das gesamte Bankkreditgeld, das die Banken mittels Teilreservehaltung aus dem Nichts hervorgebracht hatten, sofort in ein staatliches, gesetzliches Zahlungsmittel der USA verwandelt – in echtes, ehrliches Geld. Dieser Schritt hätte außerdem auch drastische Auswirkungen auf die US-Staatsschulden: Die früheren US-Staatsschulden im alten, von den Banken geschaffenen Geld (den Bankkrediten) würde es


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nicht mehr geben, da sie von der neuen Kreditaufnahme der Banken beim Staat aufgehoben würden. Mit anderen Worten: Die etwa $ 900 Milliarden an US-Schatzanleihen im Bankensystem würden einfach gestrichen und annuliert werden. Das bedeutet einen Rückgang der US-Staatsschulden um fast $ 1 Billion. Im Bankensystem könnte es nicht mehr zum Ausbruch einer Panik kommen, da die Banken per definitionem über genügend Bargeld verfügen würden, um die Forderungen an sie zu befriedigen, ohne durch Nichtanerkennung von Ansprüchen oder Kontraktion der Geldmenge eine Finanzkrise auszulösen. Diese Reform hätte weder eine Inflation noch eine Deflation zur Folge, da sie einfach nur die Geldmenge, die schon vorher als verfügbar galt, tatsächlich verfügbar machen würde. Während der großen Depression wurde dieser Reformplan als Druckschrift an Tausende von Ökonomen verteilt, die allesamt Mitglieder der American Economic Association waren und sich mit Fragen des Geld- und Bankensystems auseinandersetzten. Auch innerhalb des Federal Reserve System kannte man den Plan, befasste sich aber nicht weiter mit ihm. Dies beweist, dass McFadden die Schuld der Federal Reserve Banks keineswegs übertrieben darstellte, als er sie des Verrats bezichtigte. Der Kongressabgeordnete Voorhees setzt sich für eine Realisierung der 100 %-Deckung ein

Der kalifornische Kongressabgeordnete Jerry Voorhees machte sich in den vierziger Jahren als nächster für die Umsetzung des Plans einer 100 %-Deckung stark. Die Bankiers-Lobby finanzierte Richard Nixons schmutzige Kampagne gegen Voorhees, den er als Kommunisten beschimpfte. Nixon wurde 1946 in das US-Repräsentantenhaus gewählt. Voorhees war 1956 zusammen mit Wright Patman, dem Vorsitzenden des House Banking Committee, an der sogenannten Patman probe beteiligt, einer weiteren Untersuchung der Ergebnisse des Federal Reserve System. Diese Untersuchung war in ihrem Umfang mit der Arbeit der National Monetary Commission von 1908 bis 1912, unter dem Vorsitz des republikanischen Senators Nelson W. Aldrich, vergleichbar. Als das Gesetz zur Einsetzung dieser Patman-Untersuchungskommission im Repräsentantenhaus verabschiedet wurde,


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rief die Lobby der Bankiers 31 Kongressabgeordnete aus dem Plenarsaal heraus und stellte sie vor die Wahl, entweder ihr Abstimmungsverhalten zu ändern oder die nächsten Wahlen zu verlieren. Die Lobbyisten wandten sich später an Präsident Eisenhower, um die Patman probe abzuwenden, woraufhin er ihnen versicherte, dass er höchstpersönlich einen Sonderausschuss, bestehend aus einer Gruppe von Bankiers, zur »Untersuchung« dieser Angelegenheit einsetzen würde.6 Aufgrund dieser Entwicklung ist in Amerika seit über einer Generation keine nennenswerte Geldreform am politischen Horizont aufgetaucht. Die Ursachen liegen indes nicht nur in der Politik, sondern viel tiefer in den monetären Irrtümern, von denen die Amerikaner so fest überzeugt sind. Als englischsprachige Nation steht Amerika viel mehr als das kontinentale Europa – und übrigens auch mehr als England seit der Verstaatlichung der Bank of England 1946 – unter dem wirtschaftlichen und monetären Einfluss der liberalen Whig Economics (siehe 12. und 13. Kapitel). De Fremery hält in seinem Werk das Konzept der 100 %-Deckung aufrecht

Von all jenen, die das Konzept der 100%-Deckung unterstützten, ist Robert De Fremery besonders hervorzuheben. Jahrzehntelang schrieb er Artikel und korrespondierte mit anderen Wirtschaftswissenschaftlern über die Notwendigkeit einer 100-prozentigen Reservehaltung durch die Banken. In seinen beiden Büchern Money and Freedom (1955) und Rights vs. Privileges (1992) legte De Fremery seine Argumente für die 100 %-Deckung dar: »Ist es nicht offensichtlich, dass es in unserem Banken- und Steuersystem erhebliche Missstände gibt, die dazu geführt haben, dass den meisten von uns ihre grundlegenden Rechte entzogen wurden, während einige andere in den Genuss weitreichender Privilegien kamen? […] Wie viele Aufstände müssen wir noch erdulden? Wie viele Gefängnisse müssen wir noch bauen? Wie viele unserer Rechte müssen wir noch verlieren? Wie viele unserer jungen Menschen müssen wir noch in die Ferne entsenden, damit sie in fremden Kriegen kämpfen, bevor wir endlich zu dem Schluss kommen, dass das Maß voll ist?«7 Im heutigen Amerika ist die Reform des Geldsystems allerdings kein populäres Thema, und die wenigen Randgruppen, die sich da-


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mit befassen, lassen sich nach der Art ihrer (irrtümlichen) Ansichten in zwei große Kategorien unterteilen. Die erste Gruppe umfasst die Vertreter des laisser-faire, die für die Bankenfreiheit eintreten. Innerhalb dieser Gruppe gehen die Verfechter des free banking sogar noch weiter und bestehen darauf, dass es den Banken erlaubt sein sollte, soviel eigenes Geld zu emittieren, als ihre Kunden annehmen. Die zweite Gruppe sind die Konservativen, die den Goldstandard einführen wollen. Beide Reformen wären viel schlimmer als der jetzige Zustand.

Die Geldausgabe muss eine staatliche Aufgabe sein Für eine vierte Staatsgewalt

Eine zweite Maßnahme in der meiner Ansicht nach unverzichtbaren Reform des Geldsystems besteht darin, die Kontrolle des Staates über das nationale Geldsystem wiederherzustellen und den Staat als alleinigen Geldemittenten einzusetzen. Bei einer Reservehaltung von 100 % werden die Banken in Depositeninstitute verwandelt, die ihrem Wesen entsprechend sehr stabil sind. Der Staat wird zum einzigen Geldemittenten, was ein hohes Maß an Gerechtigkeit mit sich bringt. Wie kann dieser Schritt vollzogen werden? Nun, angenommen, die Regierung würde zu Beginn einer der periodischen Krisen im Bankwesen den Banken nicht wie üblich aus der Patsche helfen und ihre neusten Fehler ausbügeln, dann könnte sie – mit ausreichender politischer Unterstützung – das Federal Reserve System verstaatlichen, so wie England 1946 die Bank of England verstaatlichte. Gesetzesentwürfe zur Verstaatlichung des Federal Reserve System wurden in der Vergangenheit immer wieder von verschiedenen Vorsitzenden des House Banking Committee vorgelegt, zum Beispiel auch von Richard Gonzales, der den Ausschuss bis 1994 leitete. Doch diese Anträge wurden nicht bearbeitet, und es stand auch keine breite Bewegung in der Bevölkerung dahinter. Dies muss sich ändern. Der Reformprozess beginnt mit der Erkenntnis, dass Geld eine gesetzliche Institution ist. Deswegen muss es – genauso wie beispielsweise die Justiz – in die Zuständigkeit des Staates fallen. Das Gesetz zur Verstaatlichung des Federal Reserve System sollte


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einhergehen mit der expliziten Erklärung, dass Geld seinem Wesen nach eine gesetzliche Einrichtung, eine gesellschaftliche Erfindung und keine Ware ist. Um politische Unterstützung zu gewinnen, könnten die Befürworter der Verstaatlichung marktorientierte Aktionen wie Boykottmaßnahmen oder eine selektive Lenkung der Anlagen der Gelder von Pensionskassen durchführen. Diese Maßnahmen würden nicht nur der Reform dienen, sondern die Menschen auch auf die Notwendigkeit der Reform aufmerksam machen. Wenn die Kontrolle über das Geldsystem erst einmal zu den Kompetenzen des US-Schatzamtes zählt, könnte dieses Schatzamt vorsichtig moderne amerikanische greenbacks – d. h. eine schuldenfreie US-Währung – in Umlauf bringen, um die derzeitige Wirtschaftskrise zu überwinden und die Lebensbedingungen zahlreicher Einwohner, die trotz der Rekordgewinne an der Wall Street immer noch am Rande des Existenzminimums leben, zu verbessern. Dieses Geld könnte beispielsweise zum Bau und Ausbau von Straßen, Brücken, Wasser- und Abwassersystemen, Schulen, Luftverkehrskontrollsystemen, zum kostengünstigen, aber qualitativ hochwertigen Wohnungsbau und für den Aufbau von Internet-Datenautobahnen verwendet werden. Außerdem könnten mit dem Geld die Sozialversicherungssysteme sowie die Medicare- und Medicaid-Programme erfolgreich weitergeführt werden. Auf lange Sicht würde man erkennen, dass die Geldmacht viel tiefer dringt als die drei anderen staatlichen Befugnisse. Die Geldmacht sollte sich (neben Legislative, Exekutive und Judikative) zur vierten Macht im Staat entwickeln, ohne dabei ihren heutigen Einfluss und ihre Bedeutung für das tägliche Leben der Bürger zu verlieren. In einem gewissen Sinne ist sie das schon heute, allerdings mit dem Unterschied, dass die jetzigen Inhaber der Geldmacht hauptsächlich für ihren persönlichen Profit und nicht zum Wohle der Allgemeinheit handeln. Ausgehend von dem beträchtlichen technischen Know-how und Fachwissen, das im Federal-Reserve-Apparat bereits vorhanden ist, würde diese vierte Macht ihre Vorgehensweise immer präziser definieren und kodifizieren. Die übergeordnete Zielsetzung würde sich jedoch ändern. Anstatt das Geldsystem so zu verwalten, dass sich die Wohlhabenden immer weiter bereichern und sich ihre neue Welt-


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ordnung erschaffen und beherrschen können, würde man nun das in der US-Verfassung ausdrücklich festgeschriebene Ziel der »Förderung des Allgemeinwohls« verfolgen. Diese Reform käme fast allen Bürgern zugute

Diejenigen, die gerne einen schlankeren Staat sähen, würden diese »Abmagerungskur« begrüßen: Denn viele der heute durchgeführten Maßnahmen, die der Staat ergreifen musste, um den Folgen eines ungerechten Geld- und Banksystems entgegenzuwirken, wären schlicht nicht mehr notwendig. Wer dagegen für verstärkte staatliche Kontrollen eintritt, würde feststellen, dass für diese kein Bedarf mehr bestünde, da der Zufluss von Mitteln und Macht an die Gruppe von Plünderern, die derzeit das Geldsystem kontrolliert, gekappt wäre. Die Verlierer der Reform

All jene, die heute besondere monetäre Privilegien genießen, würden diese verlieren. Doch dieser Verlust würde sich wahrscheinlich für die meisten von ihnen durch Verbesserungen in der Lebensqualität und -sicherheit sowie die Freisetzung einer neuen kreativen Energie im Industriebereich infolge eines gerechten Geldsystems ausgleichen. Nur einige wenige an der Spitze der Geldmacht, gerade einmal 1 % der Bevölkerung, wären die großen Verlierer der Reform. Bedenkt man aber, was diese Leute getan haben, sollten sie dann nicht froh sein, wenn sie mit dem Leben davonkommen? Es gibt noch eine weitere Gruppe von Verlierern: diejenigen Ideologen, die dem freien Markt höheren Wert beimessen als dem Leben – gemeint ist natürlich das Leben der anderen; diejenigen Apologeten, die ihre ganze Karriere der Rechtfertigung des schlimmsten Raubes an der Menschheit widmen. Sie verwenden diese Theorien wie Knüppel, um ihre am meisten verwundbaren Mitmenschen niederzuprügeln.


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Im Angesicht des Bösen Die meisten Menschen sind sich wohl darin einig: Wo Unrecht unter dem Deckmantel einer Wirtschaftstheorie geschieht, sollte es klar gebrandmarkt und beseitigt werden. Manche Ökonomen werden darüber spotten, dass man sie als »böse« charakterisiert – ziehen sie doch nur Schlüsse aus ihren geliebten theoretischen Prämissen, die sie für wahr halten, und handeln sie doch nur als die guten Priester ihres geheiligten Gottes des freien Marktes. Doch in Wirklichkeit dienen sie einer bösen Gottheit, und die Früchte ihrer Theorien werden immer bitterer. Das Erkennungszeichen dieser Ideologen ist ihre ständige Bereitschaft, die momentanen Vorteile der einfachen Leute zu opfern und ihnen statt dessen langfristig einen imaginären Himmel zu versprechen, der durch die Fürsprache ihres Gottes, den ich in Anspielung auf Smith’ »unsichtbare Hand« »HAND, den Unsichtbaren« nenne, möglich wird. Irgendwie gelingt es diesen Ökonomen mit ihren Theorien immer wieder, die momentanen Vorteile der wohlhabenden Plünderer zu bewahren, von denen sie übrigens auch hauptsächlich finanziert werden. Die Gesellschaft ist derzeit so sehr in Schwierigkeiten, dass die Dogmen der »Ökono-Mythen« befolgt werden. Ihr Rezept? – Noch mehr »Unterordnung unter die Gesetze des freien Marktes«: So schreiben sie in ihrer Version der Freihandelstheorie amerikanischen oder europäischen Arbeitern heute vor, dass diese mit unterbezahlten Arbeitern in Ländern mit minimalen Arbeitsrechten – also in Wirklichkeit mit einer Form der Sklavenarbeit – konkurrieren müssen. Natürlich sind nicht alle Ökonomen böswillig.Viele von ihnen fürchten einfach nur um ihren Job. Aber es ist höchste Zeit, dass sich diejenigen unter ihnen, die klar denken können, endlich zu Wort melden.


Hindernisse bei der Umsetzung monetärer Reformen

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Hindernisse bei der Umsetzung monetärer Reformen in den Vereinigten Staaten Amerika steht vor einer schwierigeren Aufgabe als Europa, das sich bereits inmitten von Reformen befindet. Die größten Hürden, die in Amerika überwunden werden müssen, sind die folgenden: Die Führungselite der Banken könnte versuchen, die Reformen zu sabotieren

Wenn in Amerika erst einmal monetäre Reformen in Gang gekommen sind, sollte man nicht allzu überrascht sein, wenn führende Bankiers alles tun werden, um die Reformen durch ökonomische Störmanöver zu behindern und zum Entgleisen zu bringen. Dabei könnten sie auch nicht vor dem Versuch zurückschrecken, die Wirtschaft zum Stillstand zu bringen oder im Ausland eine Krise auszulösen. Diesen Fällen lässt sich bereits mit den Reformen vorbeugen, indem man die Bankierselite mit genügend anderen Problemen eindeckt, so dass sie gar keine Zeit hat, gegen die Reformen zu Felde zu ziehen. Das etablierte Banken- und Mediensystem

Die finanzielle Macht der Bankiers und der erhebliche Einfluss ihrer Lobby im US-Kongress stellen ein gewaltiges Hindernis bei der Durchführung von Reformen dar. Zudem bedeutet das Abhängigkeitsverhältnis und die ineinandergreifenden Beziehungen zwischen den einflussreichsten Medien und den Banken, dass – von Zufällen abgesehen – die Botschaft einer sinnvollen monetären Reform den Bürgern nicht über die wichtigsten Fernseh- und Radiosender, Zeitungen und Zeitschriften oder gar Hollywoodfilme vermittelt werden kann. Eine Voraussetzung für die Durchführung weitreichender Reformen in Amerika wird die Entwicklung und Förderung alternativer Kommunikationsmethoden, etwa des Internet, sein. Das unproduktive und falsche monetäre Denken

Die Bedeutung der Wiener Schule der Nationalökonomie ist in Amerika viel größer als in Europa, da sie einen erheblichen Einfluss auf die libertäre Bewegung in den USA ausübt. Die Hauptschrift dieser Schule wurde 1912 von Ludwig Von Mises verfasst, der damals erst


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31 war. Trotz der bedeutenden Ereignisse, die seitdem im monetären Bereich stattfanden, wurden Neuauflagen dieser Schrift kaum überarbeitet und aktualisiert. Von Mises Buch weist eine Vielzahl von Widersprüchen und unbestätigten Behauptungen auf, besonders in seine monetären Hauptaussagen. Ein Beispiel dafür ist die folgende, durch nichts gestützte Behauptung: »Das Konzept von Geld als einer Schöpfung des Gesetzes und des Staates ist eindeutig unhaltbar. Es wird durch kein einziges Phänomen des Marktes belegt.« Warum? Keine Antwort. Wir haben im vorliegenden Buch bereits viele Fallstudien dokumentiert – mindestens eine in jedem Kapitel –, die Von Mises Behauptungen widerlegen. Die Methode, der sich Von Mises und die Wiener Schule der Nationalökonomie bedienen, ist entweder ein lauthalses Behaupten wie im obigen Beispiel oder aber das rein theoretische Denken. Aufgrund dieser methodischen Konzentration auf Deduktionen anstelle von Beobachtung und aufgrund ihrer ignoranten Haltung gegenüber empirischen Methoden wurde die berechtigte Kritik laut, die Wiener Schule der Nationalökonomie verkörpere im ökonomischen Denken einen »Riesenschritt rückwärts«.8


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22. Kapitel

Die deutsche Hyperinflation von 1923 unter einer privaten Zentralbank

Jede Diskussion über die Gefahren der Inflation führt unweigerlich zum verheerendsten Inflationsfall in der Geschichte der westlichen Welt: der deutschen Hyperinflation von 1923. In ihren Warnungen vor den schrecklichen Folgen einer staatlichen Papiergeldausgabe beziehen sich gewisse Ökonomen gern auf dieses Beispiel. Damit wollen sie ihre Auffassung erhärten, dass die Kontrolle über das Geldwesen einer Gesellschaft nur privaten Bankiers anvertraut werden sollte. Untersucht man jedoch die der Hyperinflation zugrunde liegenden monetären Fakten, so zeigt sich (genauso wie in anderen Fällen), dass diese Gruppe von Bankenvertretern mit ihren Ansichten nur die Spekulation anheizte, die später zur Abwertung der Reichsmark beitrug. Diese Entwicklung wurde erst gestoppt, als die Regierung mehrmals energisch gegen diese Gruppe vorging. Doch betrachten wir zunächst den historischen Kontext dieser Ereignisse:

Die Entstehung Deutschlands Im Jahre 1815 hatte Deutschland mit der Gründung des Deutschen Bundes einen zentralisierten Nationalstaat verwirklicht. Die wichtigsten »deutschen« Finanzhäuser des Mittelalters hatten im Fondaco dei Tedeschi, dem Haus der deutschen Kaufleute in Venedig, schnell die italienischen Finanzmethoden gelernt, und einige von ihnen, wie etwa die Fugger aus Süddeutschland, waren reich und international bekannt geworden (siehe Kapitel 6). Doch Portugals Öffnung der Kaproute um Afrika zerrüttete das geopolitische Beziehungsgefüge. Das Zentrum der Macht verlagerte sich von Venedig und der Mittelmeerregion an die Nordsee (siehe


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Die deutsche Hyperinflation von 1923 unter einer privaten Zentralbank

Kapitel 6 und 8). Deutschland verlor zusehends seine relative Bedeutung als Zwischenstation im Ost-West-Handel. Die Bagdadbahn

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert änderte Deutschland diese Situation, indem die Deutsche Bank in der Türkei den Bau der Bagdadbahn finanzierte. Dadurch konnte die deutsche Industrie, die bereits über den Orientexpress Beziehungen zu Istanbul unterhielt, mit noch weiter östlich gelegenen Märkten direkt verbunden werden und auf diese Weise die überlegene Seemacht Großbritannien umgehen. Hjalmar Schacht*, eine der Schlüsselfiguren im Finanzwesen Deutschlands des 20. Jahrhunderts, bemerkte, dass die Finanzierung der Bagdadbahn den Engländern »ein Dorn im Auge« war.1 Und Francis Neilson, ehemaliger Abgeordneter des britischen Parlaments und Autor des Buches The Makers of War, vertritt die Ansicht, dass sich die Altherrenriege der englischen Industrie nicht imstande sah, der deutschen Konkurrenz in industrieller Hinsicht Paroli zu bieten. 1907 erhielt der allgemein geachtete amerikanische Diplomat Henry White den Auftrag, die britische Haltung zu ermitteln. Er traf sich mit seinem Freund Arthur Balfour: Balfour (etwas abfällig): »Wir sind wahrscheinlich Narren, dass wir keinen Grund finden, um den Deutschen den Krieg zu erklären, bevor sie zu viele Schiffe bauen und uns unseren Handel streitig machen.« White: »Wenn Sie es mit dem deutschen Handel aufnehmen wollen, müssen Sie sich eben mehr anstrengen.« Balfour: »Das würde bedeuten, dass wir eine Senkung unseres Lebensstandards hinnehmen müssten. Vielleicht wäre es für uns einfacher, einen Krieg zu führen.« Und dann, als Reaktion auf Whites Schock nach dieser Aussage: »Geht es denn um richtig oder falsch? Vielleicht geht es nur darum, dass wir unsere Vormachtstellung behaupten.«2 * Horace Greeley Hjalmar Schacht (1877–1970), 1923–1930 Reichswährungskommissar und Reichsbankpräsident. Unterstützte die Kanzlerschaft Hitlers, war unter diesem 1933– 1939 Reichsbankpräsident, 1934–1937 auch Wirtschaftsminister, 1937–1944 Minister ohne Geschäftsbereich. Im Nürnberger Prozess wurde er 1946 freigesprochen.


Die Entstehung Deutschlands

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Korrupte Diplomatie

Die europäischen Staatsoberhäupter wurden nach wie vor überwiegend nach dem Kriterium der Erbfolge ausgewählt. Intrigen an den Höfen sowie das System der Geheimverträge spielten eine wesentliche Rolle. Neilson zufolge war das britische Parlament nicht darüber informiert worden, dass sich England verpflichtet hatte, zur Verteidigung Frankreichs nötigenfalls einen Krieg auf dem europäischen Festland zu führen.3 Das Problem wurde dadurch verschärft, dass der »Schlieffenplan« zur Mobilmachung Deutschlands keine Zeit für diplomatische Verhandlungen vorsah. So war es möglich, dass der von serbischen Nationalisten im Juni 1914 in Sarajevo verübte Mordanschlag auf den österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand zum Auslöser des Ersten Weltkrieges wurde. Die wirtschaftliche Belagerung

Sir Alfred Zimmern verfasste während des Ersten Weltkrieges eine wenig bekannte 13-seitige Studie mit dem Titel The Economic Weapon, die wegen ihres Inhalts und ihrer Quelle Beachtung verdient. Zimmern gehörte Professor Carroll Quigley zufolge einer Elitegruppe, dem »anglo-amerikanischen Establishment«, an.4 Auf der ersten Seite seiner Monographie fasst Zimmern die Situation wie folgt zusammen: »Wie lässt sich die wirtschaftliche Lage beschreiben? In einem Satz zusammengefasst: Die Mittelmächte werden praktisch von der ganzen Welt belagert, und sie verfügen über kein einziges Mittel, um dieser Belagerung ein Ende zu setzen.« Zimmern betonte, dass zum ersten Mal in der Geschichte eine so groß angelegte Belagerung, wie sie Deutschland nicht für möglich gehalten hatte, durchgeführt wurde: »Noch im Dezember 1915 fragte der Reichskanzler: ›Glaubt irgend jemand ernsthaft, dass wir den Krieg aufgrund eines Mangels an Kautschuk verlieren können?‹ Deutschlands Kriegsvorbereitungen lag die Einschätzung zugrunde, dass ›der Krieg im äußersten Falle ein Jahr dauern‹ würde.« Zimmern schilderte außerdem, was für Deutschland geplant war: »Was wird unter normalen Umständen geschehen, wenn Frieden geschlossen ist? […] Wird die Aufhebung der Blockade der deutschen Häfen ein Ende der Belagerung bedeuten? […] Ohne Rohstoffe kann es keine Beschäftigung in der Industrie geben; und eine


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Demobilisierung ohne die Bereitstellung von Arbeitsplätzen für die aus dem Kriegsdienst entlassenen Soldaten kann zu sozialen Unruhen führen. […] Durch ihre Befehlsgewalt über die Grundversorgung […] kontrollieren die Alliierten die Demobilisierung der deutschen Streitkräfte und damit den gesamten Prozess des deutschen Wiederaufbaus.« »Die ganze zivilisierte Welt wird […] mit einer Knappheit, wenn nicht sogar mit einer Hungersnot konfrontiert sein, die schätzungsweise […] nicht weniger als drei Jahre dauern wird.« »Manche werden Entbehrungen hinnehmen müssen. Wer anders wird das sein als Deutschland? Dabei ist es nicht so, dass ein Boykott organisiert werden müsste. Er wird sich fast von selbst ergeben, falls im Friedensvertrag nicht besondere Vorkehrungen dagegen getroffen werden.«5 Doch der Versailler Vertrag sah keinen gerechten Frieden vor.

Der Versailler Vertrag Der Versailler Vertrag stellte sich vielmehr als ein Instrument zur Fortsetzung des Krieges heraus und rief deshalb schon damals scharfe Kritik hervor. So schrieb der frühere amerikanische Außenminister Robert Lansing: »Der Eindruck, den der Versailler Vertrag vermittelt, ist ein Eindruck von Enttäuschung, Bedauern und Bedrückung. Die darin auferlegten Friedensbedingungen muten unverhältnismäßig hart und erniedrigend an, und viele von ihnen sind meines Erachtens nicht zu erfüllen. […] In seiner jetzigen Zusammensetzung wird der Völkerbund das Opfer von Habgier und Intrigen sein.« Lansing stellte weiter fest: »Fünf unserer bedeutendsten Experten teilten mir in Protestbriefen mit, dass sie die Friedensbedingungen als eine Abkehr von den Prinzipien, für welche die Amerikaner gekämpft hatten, auffassten.«6 Francesco Nitti, der italienische Ministerpräsident, schrieb: »Es wird für immer ein schrecklicher Präzedenzfall in der modernen Geschichte bleiben, dass die Vertreter Deutschlands – entgegen allen Versprechungen, früheren Fällen und Traditionen – niemals zumindest angehört wurden; in einer Zeit der Hungersnot, der Erschöpfung und der Gefahr einer Revolution blieb ihnen gar nichts anderes


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übrig, als den Vertrag zu unterzeichnen. […] Im alten kanonischen Kirchenrecht ist niedergelegt, dass jedem das Recht auf Anhörung zusteht, sogar dem Teufel. […] Der neue Völkerbund achtete nicht einmal die Prinzipien, die im finsteren Mittelalter im Interesse der Angeklagten befolgt wurden.«7 Die allen Kriegsparteien entstandenen Kriegskosten waren dreimal höher als der Wert der gesamten deutschen Besitztümer. Deutschland wurde verpflichtet, 59 Jahre lang – bis 1988 – Reparationszahlungen in der schwindelerregenden Höhe von jährlich 1,7 Milliarden Goldmark zu leisten. Doch damit nicht genug: Nach Einschätzung des normalerweise umsichtigen Bankiers Hjalmar Schacht stürzte der Vertrag Deutschland noch tiefer ins Verderben: »Der Versailler Vertrag ist ein Muster von ausgeklügelten Maßnahmen, um die Wirtschaft Deutschlands zu zerstören.« Und er fügte hinzu: »Jede natürliche wirtschaftliche Entwicklung, jede Wiederherstellung des wirtschaftlichen Vertrauens war durch die Außenpolitik unmöglich gemacht worden.«8 Unmittelbar nach der Kapitulation sorgte am 9. November 1918 die Durchführung der angedrohten linksradikal-kommunistischen Revolution für weitere Komplikationen: Der revolutionäre Rat der Volksbeauftragten stürzte die Monarchie im Deutschen Reich und ergriff vorübergehend die Macht.

Die monetäre Zerstörung Deutschlands England hatte 20 % des Ersten Weltkrieges durch Steuern finanziert, Frankreich dagegen 0 % und Deutschland 6 %. Schacht zufolge stieg der Zahlungsmittelumlauf von 7,2 Milliarden Mark im Dezember 1914 auf 28,4 Milliarden Mark am 7. November 1918 (bei Einstellung der Kampfhandlungen), also von 110 auf 430 Mark pro Kopf der Bevölkerung. Die deutsche Großhandelsindexziffer war von 100 im Jahre 1913 auf 234 im November 1918 geklettert und verhielt sich damit ähnlich wie die britischen Indizes. Die Auswirkungen dieser Preissteigerungen auf die arbeitende Bevölkerung wurden durch entsprechende Lohnerhöhungen abgefedert: Die Indexziffern der Arbeitslöhne stiegen im gleichen Zeitraum von 100 auf 248.9 So fügte der Erste


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Weltkrieg dem deutschen Geldsystem zwar großen Schaden zu, doch er zerstörte es nicht. Zerstört wurde es erst unter den Besatzungsmächten. Die Hyperinflation in Deutschland 1923 unter einer privaten Zentralbank

Ein weitgehend unbekannter Aspekt der großen deutschen Hyperinflation von 1922 bis 1923 ist die Tatsache, dass die Inflation unter der Führung einer privat kontrollierten Zentralbank stattfand. Bis dahin war die Reichsbank privatwirtschaftlich organisiert gewesen, stand jedoch überwiegend unter der Aufsicht des Reiches, da sowohl der Reichsbankpräsident als auch die Direktoren vom Kaiser zu Beamten auf Lebenszeit ernannt wurden. Die Einnahmen der Zentralbank wurden zwischen den privaten Anteilseignern und dem Staat aufgeteilt. Die Anteilseigner waren jedoch nicht befugt, auf die Politik der Bank Einfluss zu nehmen. Schacht schilderte die Bemühungen der Alliierten um eine größere Unabhängigkeit der Reichsbank von der Regierung: »Am 26. Mai 1922 wird das Gesetz über die Autonomie der Reichsbank erlassen, das dem Reichskanzler jede Einwirkung auf die Führung der Geschäfte entzieht.«10 Diese Gewährung totaler privater Kontrolle über die deutsche Währung wurde zu einem Schlüsselfaktor in der schlimmsten Inflation der Moderne. Die Voraussetzung für diese Inflation war bereits durch die riesigen Reparationszahlungen geschaffen worden. Die Tatsache, dass diese Zahlungen in Devisen zu leisten waren, führte zu einem enormen Druck auf die Reichsmark, der bis weit in die Zukunft hinein andauern sollte. Wie zerstört man eine Währung?

Die Antwort in einem Satz: indem man eine maßlos übertriebene Menge dieser Währung emittiert. Nicht einfach nur eine zu große, sondern eine viel zu große Menge. Diese übermäßige Ausgabe kann in mehreren Formen auftreten, zum Beispiel durch die britischen Fälschungen der US-Währung continental currency. Die Zentralbank kann beispielsweise auch selbst zu viele Noten drucken, oder sie kann zulassen, dass die Währung von Spekulanten durch exzessive Leerverkäufe* (vergleichbar den Leerverkäufen von Unternehmens-


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aktien) zerstört wird. Das bedeutet: Die Zentralbank lässt zu, dass die Währung von Spekulanten »emittiert« wird. Im Falle der deutschen Hyperinflation handelte es sich um die Zerstörung einer bereits unter Druck stehenden nationalen Währung durch Spekulation. Eine ähnliche Entwicklung führte erst kürzlich, 1997/98, zum Zusammenbruch einiger asiatischer Währungen, deren Wert innerhalb weniger Monate um über 50 % gegenüber dem Dollar fiel – mit existenzbedrohenden Folgen für Millionen von Menschen. Und so entsteht eine Inflation: Zunächst ist die Währung bereits sichtbar geschwächt. Im Falle von Deutschland war die Schwächung auf den Ersten Weltkrieg und den Bedarf an Devisen für Reparationszahlungen zurückzuführen, im Falle der asiatischen Länder auf den Bedarf an Dollars zur Rückzahlung der fälligen Auslandsschulden. Solche Probleme können mit der Zeit gelöst werden; dafür ist in der Regel ein nationaler Beitrag in Form von Steuern oder einer vorübergehenden Senkung des Lebensstandards notwendig. Weil aber Währungsspekulationen – sogar in einem so großen Umfang, dass der Wert der Währung beeinträchtigt wird – immer noch als legitime Aktivität angesehen werden, können private Währungsspekulanten eine bereits schwache Währung immer schwächer werden lassen und aus dieser Situation Milliardengewinne ziehen, indem sie die betreffende Währung leerverkaufen, indem sie also nicht nur die Währung, die in ihrem Besitz war, verkaufen, sondern auch Verträge zum Verkauf der Währung, die ihnen nicht gehört – sogenannte Leerverträge –, abschließen. Solche Leerverkäufe können, sofern sie in ausreichendem Maße getätigt werden, bald zu sich selbst bewahrheitenden Ergebnissen führen, da sie den Wert der Währung schneller und stärker herunterdrücken, als dies ohne die Verkäufe der Fall gewesen wäre. Daraufhin bricht irgendwann eine Panik aus, die all jene, in deren Händen sich die Währung eigentlich befindet, zur Flucht aus der Währung veranlasst. Die Folge ist ein steiler Absturz, der es den Spekulanten ermöglicht, die von ihnen leerverkaufte Währung zurückzukaufen und daraus – auf Kosten der Unternehmer und Erwerbstäti* Verkäufe von Noten, die man nicht besitzt, auf einen späteren Termin.


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gen, deren Leben und Unternehmen von dieser Währung abhängig waren – enorme Profite zu schlagen. Die Vertreter des freien Marktes behaupten, der Staat allein sei schuld daran, dass die Währung überhaupt schwächer werde. Doch welchen Gesetzen folgen Spekulanten, die Geld von Menschen nehmen, die sich in Schwierigkeiten befinden? Währungsspekulationen in dieser Größenordnung sollten als eine Form der Aggression verstanden werden, die nicht weniger grausam ist als z. B. ein Bombenangriff auf das betreffende Land. Industrielle sollten begreifen, dass sie einem folgenschweren Irrtum erliegen, wenn sie zulassen, dass solche Spekulationstätigkeiten unter die Rubrik »geschäftliche Aktivitäten« fallen. Sie sollten mithelfen, solche Spekulationen zu isolieren und die Bevölkerung über ihre destruktive Wirkung aufzuklären, damit gesetzlich gegen sie vorgegangen werden kann. In Amerika wurden beispielsweise nach der großen Depression Gesetze erlassen, die eine Wiederholung dieser Katastrophe verhindern sollten. Eines dieser Gesetze sah vor, dass jeder, der Aktien eines bestimmten Unternehmens leerverkaufen wollte – der also Aktien verkaufen wollte, die ihm nicht gehörten –, zuerst dieselbe Anzahl tatsächlich existierender Aktien des betreffenden Unternehmens leihen musste. Auf diese Weise wurde es den Spekulanten verunmöglicht, mehr Aktien leerzuverkaufen, als tatsächlich vorhanden waren, und ihr Handlungsspielraum wurde eingeschränkt. Weiter konnte ein Leerverkauf an der Börse nur bei einem leichten Kursanstieg getätigt werden. Aktien, deren Kurse immer weiter fielen, konnten also nicht leerverkauft werden. Dadurch wurden die echten Aktionäre in die Lage versetzt, ihre Aktien zu verkaufen, bevor die Leerverkäufer dies taten. Diese Regeln hatten sich fünfzig Jahre lang bestens bewährt, bis sie durch die Einführung der Indexterminkontrakte umgangen werden konnten. Seitdem hat es mehrere Phasen erheblicher und unnötiger Kursschwankungen gegeben, und weitere, noch schlimmere, sind zu befürchten. Ohne diejenigen Transaktionen einzuschränken, die ein normaler Teil der Geschäftswelt und des Handels sind, könnte man durch eine gezielte Begrenzung der Währungsspekulationen solche Transaktionen unterbinden, die nichts anderes sind als schlecht getarnte Angriffe gegen das jeweilige Land.


Die Ursache der Inflation: erste »Erklärung«

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Die deutsche Mark wird übermäßig emittiert

Gegen Juli 1922 fiel der Kurs der Reichsmark gegenüber dem Dollar auf 300 : 1. Im November 1922 stieg der Dollarkurs auf 9000 RM, im Januar 1923 auf 49 000 RM, im Juli 1923 auf 1 100 000 RM. Mitte November 1923 erreichte der Dollar einen Kurs von etwa 2,5 Billionen RM.11 In diesem monetären Chaos gründeten die Städte Hamburg, Bremen und Kiel private Banken zur Emission von durch Gold und Devisen gedecktem Geld. Die (private) Reichsbank kam mit dem Drucken nicht mehr nach, so dass andere private Institutionen die Genehmigung zur Geldausgabe erhielten. Nach Schachts Einschätzung stammte etwa die Hälfte der umlaufenden Geldmittel aus anderen Quellen als der Reichsbank.

Die Ursache der Inflation: erste »Erklärung« In seinem 1966 erschienenen Buch Magie des Geldes erklärte Hjalmar Schacht die Rolle der privaten Reichsbank während der Inflationskatastrophe auf eine, wie es scheint, widersprüchliche Art und Weise. Ganz in der abgedroschenen Tradition der Ökonomie, schob Schacht die Schuld für Inflationen grundsätzlich den Regierungen zu: »In der großen Mehrheit der Fälle aber sind die Inflationen entstanden durch schlechte staatliche Finanzpolitik oder noch häufiger durch Kriegs- und Rüstungskosten, die die steuerlichen Einnahmen überstiegen.«12 Und im Blick auf die deutsche Hyperinflation meinte er: »Die Notwendigkeit, die Währung zu stabilisieren, drängte sich von Tag zu Tag stärker auf. Die Reichsbank, der diese Aufgabe obgelegen hätte, konnte sich zu einer Tat nicht entschließen. Sie vertrat den Standpunkt, dass es während der Ruhrbesetzung und vor Feststellung der Kriegsschulden nutzlos sei, den Versuch einer Währungsstabilisierung zu machen. In seiner Festrede zum fünfzigjährigen Bestehen der Reichsbank am 2. Januar 1926 führte Mitglied des Direktoriums Geheimrat v. Grimm zu diesem Punkte aus: ›In immer wachsendem Maße musste das Reich auf die Reichsbank zurückgreifen, um seine Existenz zu


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fristen, und weil es sich um die Existenz des Reiches handelte, glaubte die Reichsbank sich auch dann nicht versagen zu können, als ihr durch die Gesetzgebung von 1922 die formelle Autonomie zuteil geworden war.‹ Die Absicht des Gesetzes von 1922, die Reichsbank von den Ansprüchen des Staates freizumachen, scheiterte gerade im entscheidenden Moment, weil das Reich keine andere Lösung fand, sich finanziell über Wasser zu halten, als den inflationistischen Rückgriff auf die Notenpresse.«13 Mit anderen Worten: Die Reichsbank verhielt sich trotz ihrer Autonomie dem Staat gegenüber loyal und druckte Banknoten, um das Reich zu retten. Sie förderte die Inflation, indem sie den Ansprüchen des Staates nachgab (immer nach der Meinung Schachts!).

Die wahren Gründe für die Inflation Schachts Buch enthält aber auch bemerkenswerte Eingeständnisse, die manche von der amerikanischen Finanzwelt verbreiteten »anerkannten Wahrheiten« über die deutsche Hyperinflation mächtig ins Wanken bringen. Doch zunächst soll der monetäre Hintergrund der Ereignisse von 1923 betrachtet werden: Die Stabilisierung der monetären Situation

Angesichts der von der Hyperinflation angerichteten Schäden wurden zahlreiche Pläne zur Währungsstabilisierung erarbeitet. So schlug 1923 der konservative Geldtheoretiker Karl Helfferich eine auf Getreide basierende Roggenmark als neue Währungseinheit vor, die von einer Privatbank unter Führung landwirtschaftlicher Interessengruppen verwaltet werden sollte. Der Plan scheiterte jedoch aufgrund mangelnder Unterstützung der Landwirte. Die Einführung der Rentenmark

Nachdem die Reichsmark 18 Monate lang immer schwächer geworden war, hielt man die Einführung einer völlig neuen Währung für psychologisch notwendig. Die Pläne konzentrierten sich auf eine neue, als »Rentenmark« bezeichnete Währung. Das Rezept war einfach: Man führe eine neue Währung in einer begrenzten Ausgabe-


Die wahren Gründe für die Inflation

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menge ein und achte darauf, dass es zu keiner übermäßigen Ausgabe kommt, damit die Währung ihren Wert behält und das Vertrauen des Volkes gewinnt. Um eine weitgehende psychologische Trennung von der Reichsbank sicherzustellen, wurde die Deutsche Rentenbank errichtet. Sie gewährte der Reichsbank Darlehen in Form von Rentenmark; die Reichsbank wiederum gab Rentenmark-Kredite aus. Aufgrund verschiedener Vorschriften war aber die Rentenbank nicht wirklich unabhängig von der Reichsbank. Schacht wird die Verantwortung für die Währung übertragen

Angesichts seiner 23-jährigen Erfahrung im Bankwesen erklärte sich Schacht im Jahre 1923 bereit, den eigens zur Währungsstabilisierung geschaffenen Posten eines Reichswährungskommissars zu übernehmen. Manche Geldtheoretiker, wie zum Beispiel Helfferich, hielten dagegen: »Nicht der Staat sei bei der derzeitigen Lage imstande, ein Geld zu schaffen, welches das erforderliche Vertrauen finde, das könne nur geschehen durch die freien Kräfte der Wirtschaft.«14 Doch Schacht wusste es besser. Der Staat stabilisiert die Währung

Es dauerte lange, bis die Bevölkerung davon überzeugt werden konnte, dass es keine Überemission der neuen Währung geben würde: »Nicht die Erfindung der Rentenmark hat die Mark stabilisiert; der Kampf um die Stabilisierung der Reichsmark dauerte nahezu ein ganzes Jahr und durchlief noch manch schwierige Phase«15, schrieb Schacht. Er vertrat die Ansicht, dass sich die Währung nicht wegen der Rentenmark, sondern wegen der nachfolgenden Einschränkungen der Kreditschöpfung stabilisierte. Zwar hatte sich an der formalen Struktur der Reichsbank während dieser Stabilisierungsphase seit dem Gesetz von 1922 nichts verändert, aber nun übten eindeutig der Staat und die Gesellschaft die aktive Kontrolle über das Geldsystem aus. Die Rentenmark wurde am 15. November 1923 innerhalb von drei Tagen in Umlauf gebracht. Sie stellte allerdings kein gesetzliches Zahlungsmittel dar, und es gab auch keinen festen Umrechnungssatz gegenüber der gescheiterten Reichsmark. Für internationale Zahlungen konnte die Rentenmark nicht verwendet werden.


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Schacht unterband jede sonstige private Geldausgabe und ließ – ungeachtet der Proteste der Privatbankiers – sämtliche Privatgeldbestände der Reichsbank zur umgehenden Auszahlung an ihren Herkunftsort zurückgehen. Es war ausdrücklich verboten, die Rentenmark an Ausländer weiterzugeben. Das bedeutete, dass sie von Spekulanten nicht gegen Devisen eingetauscht werden konnte (zur Stützung der Spekulationen für den Fall, dass sich die Preise zu ungunsten der Spekulanten entwickelten). Mit seinen ersten Maßnahmen dämmte Schacht also die Spekulation ein und setzte damit einen wesentlichen Teil der monetären Reformen um: »Die Spekulation hatte aber das Mittel kennengelernt, durch das die Reichsbank in der Lage war, wenn sie sich dazu entschloss, jeder Devisenspekulation ein Ende zu machen. Der Erfolg der Aktion rief ein ungeheures Plus an öffentlichem Vertrauen zur ganzen Stabilisierungsaktion wach.«16 Wie legte Schacht den Wert der Rentenmark fest? Rein instinktiv und erfahrungsgemäß. Am 20. November 1923 wurde ihr Wert auf 1 $ zu 4,2 Billionen Rentenmark festgelegt. Diese Notierung war zweckmäßig, da der Kurs in Friedenszeiten auf 1 $ zu 4,2 Mark festgelegt gewesen war. Schacht stellte dazu fest: »Irgendeine mathematische Formel hierfür gab es nicht, es kam auf das Gefühl an, und letzten Endes auf den Versuch, wobei das Mittel zur Durchführung dieses Versuches immer nur das gleiche blieb, nämlich die Kontraktion des gesetzlichen Zahlungsmittels, der Papiermark.«17

Schachts Enthüllung Mit der Schilderung seiner Bemühungen um eine Stabilisierung der Rentenmark deckte Schacht die privaten Mechanismen auf, die zur Hyperinflation geführt hatten. Er war offensichtlich sehr verärgert darüber, dass die Spekulanten ihre Angriffe auf die neue Rentenmark-Währung fortsetzten: »Die Spekulanten aber glaubten nicht, dass die Reichsbank auf die Dauer imstande sein würde, den Kurs zu halten, und kauften Dollar über Dollar auf Termin zu sehr viel höheren Kursen. Gegen Ende November erreichte der Dollar auf dem freien Markt der Kölner Börse einen Kurs von 12 Billionen. Diese


Schachts Enthüllung

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Spekulation war nicht nur wirtschaftsfeindlich, sondern auch dumm. In den Jahren vorher hatte man derartige Spekulationen betrieben entweder mit Krediten, die die Reichsbank reichlich gab, oder mit Notgeld, das man selber druckte und in Reichsmarknoten umtauschte. Jetzt aber trat dreierlei ein. Das Notgeld hatte seinen Wert verloren. Die Möglichkeit des Umtausches in Reichsmark bestand nicht mehr. Die früher reichlich fließenden Kredite der Reichsbank wurden nicht mehr gegeben, und die Rentenmark war im Ausland nicht verwendbar. Unter die Bestimmungen über die Rentenmark war eine solche aufgenommen worden, die die Abgabe von Rentenmark an Ausländer verbot. Daher konnten die Spekulanten die gekauften Dollars bei Termin nicht bezahlen. Sie mussten die gekauften Dollars wieder abstoßen, die ihnen die Reichsbank nur zum Kurs von 4,2 Billionen abnahm. Die Verluste der Spekulanten waren beträchtlich.«18 Schacht sagt hier (»mit Krediten, die die Reichsbank reichlich gab«) selber, dass die exzessive Spekulation gegen die Mark durch großzügige Darlehen der privaten Reichsbank finanziert worden war. Die private Reichsbank stellte die Einschusssätze bereit, ohne die eine Spekulation und ein Angriff gegen die Mark nicht möglich gewesen wären. Mit dieser Feststellung widersprach Schacht aber auch seinen früheren Erklärungen, denn man kann die großzügige Kreditvergabe der Reichsbank an Anti-Mark-Spekulanten nicht als Versuch werten, dem Staat aus seiner schwierigen Lage herauszuhelfen. Das Gegenteil ist der Fall. Schacht war ein kluger Kopf, und er wollte richtig verstanden werden. Er wartete, bis er 1966 Magie des Geldes schrieb. In seinem früheren Buch, Die Stabilisierung der Mark (1927), diskutierte er zwar die inflationäre Preistreiberei, erkannte jedoch noch nicht klar, dass die private Reichsbank diese Spekulation finanzierte und dadurch dem Leerverkauf der Mark überhaupt erst Tür und Tor öffnete. Es war also eine Zentralbank im Privatbesitz und unter privater Aufsicht, die privaten Spekulanten Darlehen gewährte und sie so in die Lage versetzte, gegen die Währung der Nation zu spekulieren. Gewiss war die Währung auch noch mit andern Problemen konfrontiert – doch eine solche Spekulation musste die unumkehrbare


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Talfahrt der Mark auslösen. Bald begann eine andauernde Panik, und nicht nur die Spekulanten, sondern die ganze Bevölkerung setzte alles daran, ihre Reichsmark abzustoßen, was die Inflation weiter anheizte. Warum gab der Bankier Schacht nach 44 Jahren diese Einzelheiten preis, wo er sie doch längst »vergessen« haben könnte? Der Grund hierfür ist wahrscheinlich der, dass sein Gerechtigkeitssinn von der Vernichtung der Mark, an der Teile der deutschen Wirtschaft mitschuldig waren, zutiefst verletzt wurde. Hjalmar Horace Greeley Schacht

Schachts Familie hatte jahrhundertelang in Dithmarschen, einem zwischen Elbe und Eider gelegenen freien Bauernland, gelebt. Schacht hatte deutsche Philologie studiert. Seine Doktorarbeit befasste sich mit dem englischen Merkantilismus im 16. und 17. Jahrhundert.19 Schachts vollständiger Name war Hjalmar Horace Greeley Schacht; sein Vater war nämlich nach Amerika ausgewandert, wurde dort amerikanischer Staatsbürger und kehrte später als Zeitungsherausgeber wieder nach Deutschland zurück. Horace Greely Schacht war im amerikanischen Zeitungswesen zwischen 1870 und 1880 ein einflussreicher Vertreter der volksnahen (populistischen) Parteien. Die Ernennung Schachts zum Reichsbankpräsidenten

Im Dezember 1923 wurde Schacht zum Präsidenten der Reichsbank ernannt. Bevor er das Amt annahm, traf er jedoch in England zu Gesprächen mit Montague Norman, dem Gouverneur der Bank of England, zusammen. Schacht schrieb: »Ich habe mich auf theoretische Auseinandersetzung weder mit den Nominalisten noch mit den Indexwährungstheoretikern jemals eingelassen und habe immer ganz offen ausgesprochen, dass ich von Währungstheorien allein nicht viel halte, dass ich aber jederzeit bereit sein würde, diejenige Währung anzunehmen, die von Amerika und England angenommen würde.«20


Die Spekulanten versuchen wieder ihr Glück

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Die Spekulanten versuchen wieder ihr Glück Legitime Kreditnachfrage führte zu einer schnellen Vermehrung der von der Reichsbank und Rentenbank gewährten Kredite: von 609 Millionen Rentenmark Ende 1923 auf 2 Milliarden Ende März 1924. Die Spekulanten witterten die Schwächung der Mark und holten zu einem neuen Vernichtungsschlag aus, wobei sie sich über die gesetzlichen Bestimmungen über Devisenkäufe hinwegsetzten. Im Februar 1924 missachteten die Banken die von Schacht erlassenen Vorschriften: »Unter den noch aus der Inflationszeit stammenden Vorschriften zum Schutze des Markkurses befand sich eine von mir bereits erwähnte, dass nämlich den Banken von der Reichsbank aufgegeben wurde, Devisenaufträge nur auszuführen, wenn die volle Deckung dafür in deutschem Gelde bei den Banken vorhanden sei. Diese Vorschriften waren noch nicht außer Kraft gesetzt. Im Laufe des Februar nun war die Reichsbank in der Lage, verschiedentlich festzustellen, dass gegen diese Bestimmungen gefehlt wurde.«21 Diese Banken, zu denen auch eine der größten zählte (deren Namen Schacht nicht anführt), setzten sich dreist über die Vorschriften der Reichsbank hinweg, so dass ihre Wechsel von einer Rediskontierung durch die Reichsbank ausgeschlossen wurden. Diese Maßnahme erwies sich als wirkungsvoll und beendete die Regelmissachtung der Banken. Ab dem 7. April 1924 gab die Reichsbank zwei Monate lang keine neuen Kredite mehr aus. Die Reichsbank entschied sich für den »Primat der Währung«22, schrieb Schacht. Die Spekulanten mussten ihre Devisenbestände veräußern, um ihre Schulden bezahlen zu können, da ihre Handelspositionen gegenüber der Rentenmark Geld verloren. Auf diese Weise erhöhte die Reichsbank den Wert ihrer Devisenreserven, der Anfang April 1924 noch bei 600 Millionen Mark gelegen hatte, auf mehr als das Doppelte am 7. August 1924. Diese Zahlen lassen darauf schließen, dass die Anti-Mark-Spekulation immer noch in großem Umfang betrieben wurde: » […] und noch war die Wirtschaft erfüllt von einer Unzahl solcher Spekulanten, denen es nicht im geringsten darauf ankam, ob sie bei dem Erraffen von Gewinn Ruf und Namen aufs Spiel setzten«, schrieb Schacht.23


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Eine rigide Deflationspolitik wird auferlegt

Auf dem Geldmarkt verfolgte Schacht eine brutale Kontraktionspolitik. So schnellte der Satz für Monatsgeld von 30 auf 45 % hinauf, und im Kontokorrentkredit stiegen die Sätze von 40 auf 80 %! Ab Juli 1924 sanken sie wieder allmählich.24 Die von Schacht eingeschlagene Restriktionspolitik war so streng, dass die staatliche Post und Eisenbahn ihre eigenen Banken gründeten und viel schneller als der private Sektor Kapital bildeten. Gegen Ende des Jahres 1924 behandelten Kaufleute und andere die Rentenmark als mit der alten Reichsmark gleichwertig, und Schacht ließ Rentenmark in Reichsmark konvertieren. Er war immer gegen die Rentenmark gewesen, die er als einen monetären Irrtum bezeichnete, und bemühte sich deshalb, sie so schnell wie möglich aus dem Umlauf zu ziehen. Zu diesem Zweck stellte die Reichsbank eine Währungsparität zwischen Rentenmark und Reichsmark her und konvertierte Rentenmark in Reichsmark. Als die Experten, die an der Ausarbeitung des Dawes-Plan beteiligt waren, im Rahmen der Neustrukturierung der Reichsbank-Gesetzgebung erreichen wollten, dass das Reich das Währungsmonopol an die Reichsbank nicht mehr alle 10 Jahre, sondern nur noch alle 50 Jahre erneuerte, gelang es Schacht, sie von der Notwendigkeit einer gewissen staatlichen Zustimmung zur Führung der Reichsbank zu überzeugen. Das Dawes-Expertenkomitee schlug folgende Regelung zur Gewinnverteilung vor: Die Aktionäre der Privatbanken sollten etwa 40 % und das Reich 55 % erhalten, doch letztendlich einigte man sich darauf, dass die Aktionäre von den ersten 50 Millionen Mark, die als Gewinne erzielt wurden, die Hälfte, von den zweiten 50 Millionen ein Viertel und von weiteren Gewinnen ein Zehntel erhalten sollten.25 Der vorsichtige Umgang mit Auslandskrediten

1924 erhielt die Reichsbank durch den Dawes-Plan ein Darlehen, das umfangreiche Auslandskredite nach sich zog. Ausländische Bankiers hatten Vertrauen in Schacht. Er war gegen die Kredite und bestand darauf, dass ausländische Kredite nur zur Finanzierung der Industrieproduktion, nicht von Luxus- und Konsumgütern, aufgenommen werden dürften.26 Diese von 1924 bis 1929 betriebene Politik führte in Deutschland


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zur Errichtung des damals in Europa modernsten industriellen Fabriksystems. Im Juli 1925 traten Gesetze zur erneuten Untersuchung, Aufarbeitung und Beilegung der Transaktionen während der Inflationszeit in Kraft. Geschädigte Parteien konnten Schadenersatz in Höhe von bis zu 25 % ihres Grundbesitzes geltend machen, den sie damals gegen wertloses Papier eingetauscht hatten. Im März 1930 trat Schacht aus Protest gegen wirtschaftliche Beschlüsse der Alliierten als Reichsbankpräsident zurück. 1932 hob der Völkerbund in Genf die Reparationsansprüche aus dem Ersten Weltkrieg auf.

Hitler ist von Feders monetären Ansichten angetan Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt der damals mittellose Adolf Hitler vom Geheimdienst der deutschen Armee den Auftrag, eine kleine politische Gruppierung mit dem Namen »Deutsche Arbeiterpartei« zu beobachten. Er besuchte ein kleines Zusammentreffen, bei dem ihn die monetären Ansichten eines gewissen Gottfried Feder tief beeindruckten. Feders Anschauungen basierten auf der Überzeugung, dass der Staat seinen Geldbestand durch eine verstaatlichte Zentralbank schaffen und kontrollieren lassen sollte, dies also nicht den Privatbanken überlassen dürfe, an die Zinsen gezahlt werden mussten. Aus dieser Ansicht leitete Feder die Schlussfolgerung ab, dass die Finanzwirtschaft die Bevölkerung zu Sklaven gemacht habe, indem sie die Kontrolle der Nation über das Geldwesen an sich gerissen hatte. Feder wird der wirtschaftliche Theoretiker des Nationalsozialismus. »Es fiel ihm auf, dass Marx und seine Schüler vor allem das Industriekapital als Quelle der Ausbeutung angegriffen, dagegen das Finanzkapital fast nicht beachtet hätten; warum wohl? Feder hatte eine unheimlich einfache Erklärung für diese übrigens falsche Feststellung: das Industriekapital sei in den Händen von Christen, das Finanzkapital in denen von Juden; Karl Marx war auch Jude – also.«27 Schacht bekämpft Feder

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde Schacht wieder als Reichsbankpräsident eingesetzt, u. a. um dem deutschen


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Die deutsche Hyperinflation von 1923 unter einer privaten Zentralbank

Großkapital und den ausländischen Bankiers ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Schacht kämpfte gegen Feders unorthodoxe monetäre Ansichten: »Die nationalsozialistische Agitation hatte unter der Führung von Gottfried Feder in schärfster Weise gegen das private Bankenwesen und gegen unser ganzes Währungssystem Stellung genommen. Bankenverstaatlichung, Brechung der Zinsknechtschaft und Einführung des staatlichen ›Feder‹-Girogeldes waren die Schlagworte, die unserer Geld- und Bankenwirtschaft den Garaus machen sollten. […] In mehreren Unterhaltungen war es mir gelungen, Hitler von den törichten und gefährlichen Bank- und Währungsideen seines Parteigefolges abzubringen.«28 Feder verlor nach kurzer Zeit den Kampf gegen Schacht und die etablierten deutschen Unternehmer. »Feder, der Brecher der Zinsherrschaft, ist praktisch schon seit Jahren seinem Gegner Dr. Schacht geopfert worden; seine Beschäftigung zuerst in einem einflusslosen Staatssekretariat für Siedlungswesen und zuletzt die unwürdige Abschiebung auf einen unbeachteten Lehrstuhl sind nur der Abschluss eines an Demütigungen reichen politischen Weges.«29

Die Errichtung der Deutschen Bundesbank als einer staatlichen Zentralbank Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich der amerikanische General und Militärgouverneur in Deutschland, Lucius Dubignon Clay, dafür ein, dass die deutsche Regierung mehr Mitspracherecht beim Aufbau einer Zentralbank erhielt. Am 1. August 1957 trat das ›Bundesbank-Gesetz‹ in Kraft. Die Deutsche Bundesbank wurde durch Verschmelzung der ›Bank deutscher Länder‹ mit der ›Berliner Zentralbank‹ und den bisher selbständigen neun ›Landeszentralbanken‹ geschaffen. Seit dem 1. Januar 1999 ist ein neues Bundesbankgesetz in Kraft. Dieses Gesetz regelt neu die Einbindung der Bundesbank in das ESZB. Nach § 2 ist die Deutsche Bundesbank eine »bundesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechtes«. Als »Zentralbank der Bundesrepublik Deutschland« ist sie »integraler Bestandteil des Europäischen Systems der Zentralbanken. Sie wirkt an der Erfüllung seiner Aufgabe mit dem vorrangigen Ziel, die Preisstabilität zu ge-


Die Errichtung der Deutschen Bundesbank

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währleisten, und sorgt für die bankmäßige Abwicklung des Zahlungsverkehrs im Inland und mit dem Ausland« (§ 3). Die Bundesbank ist »bei der Ausübung der Befugnisse, die ihr nach diesem Gesetz zustehen, von Weisungen der Bundesregierung unabhängig. Soweit dies unter Wahrung ihrer Aufgabe als Bestandteil des Europäischen Systems der Zentralbanken möglich ist, unterstützt sie die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung« (§ 12). Das alte Bundesbankgesetz formulierte als Ziel, »die Währung zu sichern«. Dies war sicher auch auf die zum Teil bitteren Erfahrungen zurückzuführen, die Deutschland mit der Hyperinflation von 1923 und der 10 : 1-Abwertung nach dem Zweiten Weltkrieg machen musste. Trotzdem darf die Sicherung der Währung bzw. die Preisstabilität nicht das oberste Ziel einer Währungspolitik sein, denn sie vergrößert tendenziell die Kluft zwischen Arm und Reich (siehe Seite 511 f.). Die beeindruckende Bilanz der Deutschen Bundesbank

Die Bundesbank zählt neben der Schweizerischen Nationalbank zu den besten Zentralbanken der Welt. Dieser ausgezeichnete Ruf ist auf verschiedene, miteinander kombinierte Faktoren zurückzuführen: Zum einen wird die Bundesbank im nationalen Interesse, nicht zur privaten Gewinnerwirtschaftung, geführt. Ferner steht sie unter einer Verwaltung, die tief in der Tradition der öffentlichen Daseinsvorsorge verwurzelt ist; und nicht zuletzt hat das deutsche Volk hart dafür gearbeitet. Bis Mitte der 60er Jahre verzeichnete Deutschland Haushaltsüberschüsse und konnte bis 1974 seine Nettogläubigerposition behaupten.30 Dadurch sparte Deutschland viel Geld, das der Staat für Zinszahlungen aufbringen müsste, wenn er seine Staatsausgaben durch Kreditaufnahme finanzieren würde, wie es in den USA der Fall ist. Betrachtet man zudem aus amerikanischer Sicht die äußerst breite Fächerung des deutschen Bankwesens und seine verschiedenen Institutionstypen, die jeweils bestimmte Bedürfnisse befriedigen sollen, so kommt einem vor allem ein Wort in den Sinn: »Dienstleistung«.31 In Amerika dagegen denkt man angesichts eines immer gebührengierigeren und kompakteren monolithischen Bankenestablishments leider meistens zuerst an »Halsabschneider«.


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Die deutsche Hyperinflation von 1923 unter einer privaten Zentralbank

Die Europäische Währungsunion stellt Deutschland vor neue Herausforderungen Die Führung der Bundesbank sprach sich anfangs gegen einen Beitritt zur Europäischen Währungsunion aus und willigte erst nach Androhung von Änderungen im Bundesbankgesetz ein. Zur erfolgreichen Verwirklichung der Europäischen Währungsunion werden aber umfassende Veränderungen notwendig sein, da man manchen Luxus, den die Bundesbank heute genießt, in der Europäischen Währungsunion nicht beibehalten können wird. Beispielsweise ist die Bundesbank überwiegend auf Außenhandelsüberschüsse angewiesen, um US-Dollars zu erhalten, die ein Drittel ihrer Reserven ausmachen (Stand Mitte 1998). Diese Dollarreserven dienen als Grundlage für die Geld- und Kreditausgabe in Deutschland und werden ferner zinsbringend investiert. Wenn die Europäische Währungsunion unabhängig sein soll, muss sie einen vernünftigen und praktischen Ersatz für den Dollar als Währungsreserve finden. Bislang wurden allerdings noch keine Schritte zur Lösung dieser zentralen Frage unternommen, die im 24. Kapitel eingehend erörtert wird.


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23. Kapitel

Internationale Währungssysteme

Währung ist nationalistisch. H S, 1967 1

Internationale Währungssysteme sind in der Gesellschaftsgeschichte der Menschheit eine neuere Erscheinung: Es gibt sie erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Diese späte Entwicklung ist die Folge unausgereifter gesetzlicher Systeme und einer falschen Ausrichtung des monetären Denkens, die zu der fast religiösen Inthronisierung des internationalen Goldstandards im 19. und frühen 20. Jahrhundert geführt hatten. Da immer behauptet wurde, das System funktioniere von selbst, sah kaum jemand die Notwendigkeit, es unter die Verwaltung von Organisationen oder Regierungen zu stellen. Jene, die von der Kontrolle über das Geldsystem profitierten, nutzten ihre Macht, um nationalökonomische Schulen zu finanzieren und zu beherrschen. Dadurch machten sie sich die Vertreter dieser Schulen gefügig. Das blinde Vertrauen in die Funktionsweise des Goldstandards war so tief verwurzelt, dass sich Überreste davon noch heute in konservativen Kreisen finden. Doch alle klangvollen Goldstandardtheorien konnten nichts an der Tatsache ändern oder über sie hinwegtäuschen, dass dieses System – wenn es in einer Binnenwirtschaft gut funktionieren sollte – eine Mischform aus Papier- und Goldwährung voraussetzte und dass selbst nach dieser Ergänzung die kombinierte Gold- und Kreditwährung den Anforderungen der wachsenden Volkswirtschaften nicht mehr gerecht werden konnte und deshalb in regelmäßigen Abständen zusammenbrach – mit verheerenden Folgen für das In- und Ausland. Das schlimmste Beispiel für einen solchen Zusammenbruch, der im 21. Kapitel beschriebene große Börsenkrach und die nachfolgende Weltwirtschaftskrise von 1925 bis 1933, ist eine direkte Folge der


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von England zwischen 1925 und 1931 verfolgten Goldstandardpolitik; und dieser Zusammenbruch erfolgte in Friedenszeiten. China hatte sich nicht dem Goldstandard angeschlossen und blieb deshalb im Unterschied zu den westlichen Goldstandardländern von der Weltwirtschaftskrise weitgehend verschont. Es war allgemein bekannt, dass jene Länder, die den Goldstandard am schnellsten aufgaben, die Krise am besten überwanden.

Das Problem des internationalen Zahlungsverkehrs Der Ursprung des Problems liegt im Wesen des Geldes als einer Schöpfung des Rechtssystems. Dieser Umstand macht Geld mindestens so lange zu einem nationalen und nicht zu einem internationalen Instrument, als das entsprechende internationale Recht fehlt. Da dieses noch immer sehr begrenzt ist, bewegen sich auch die Möglichkeiten einer internationalen Währung nach wie vor in engen Grenzen; doch das könnte sich schnell ändern. Verschiedene Geldexperten haben auf das nationale Wesen des Geldes hingewiesen: So schrieb etwa Alexander Del Mar in den meisten seiner geldtheoretischen Werke über diese Beschränkung. Und Hjalmar Schacht stellte 1967 dazu fest: »Darum gibt es kein internationales Währungsgeld.«2 Doch bereits zwei Jahre später führte der Internationale Währungsfonds (IWF) die Sonderziehungsrechte (SZR) ein, die als eine Art internationale Währungsreserve konzipiert sind. Historische Methoden des internationalen Zahlungsverkehrs

Das Ägypten der Pharaonen besaß ein Zentralbanksystem, das über Zweigstellen in verschiedenen Städten Zahlungen tätigen konnte. Rom dagegen verfügte während seiner fast 2000-jährigen Geschichte nie über ein Zentralbanksystem auf seinem Territorium, sondern wickelte seinen weltweiten Handel in Naturalien oder als Form des Tauschhandels auf der Grundlage von Gold und Silber ab. Bei den großen Handelsmessen des Mittelalters kamen die Teilnehmer aus verschiedenen Herkunftsländern in den Genuss bestimmter Verrechnungsmechanismen und hatten sogar die Möglichkeit, eine Kreditund Aufschubzahlung zu veranlassen.


Der internationale Goldstandard

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Der Tempelritterorden wickelte grenzüberschreitende Zahlungen ohne Metallieferungen durch einen Gewinn- und Verlustausgleich mit dem Ausland ab. Seit dem frühen 17. Jahrhundert war es möglich, die Bank von Amsterdam mit der Ausführung internationaler Zahlungen zu beauftragen; die Bank of England bot diese Dienste seit dem 18. Jahrhundert an.

Der internationale Goldstandard Nachdem England im Jahre 1816 das Silber demonetisiert hatte, führte es den Goldstandard ein. Der Zeitraum zwischen 1820 und 1931 gilt als die Hauptperiode des internationalen Goldstandards. Es wurde allgemein anerkannt, dass der Handel fast vollständig Warenaustausch war. Wenn die Importe und Exporte eines Landes aus dem Gleichgewicht gerieten, musste das betreffende Land daher theoretisch Gold ein- oder ausführen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Wenn das Land beispielsweise mehr importierte als exportierte, wurde zum Ausgleich dieser Differenz genügend Gold ins Ausland geliefert. Dadurch hielten sich Importe und Exporte theoretisch die Waage. »Jedes größere Ungleichgewicht in der Handelsbilanz wird zu einem Goldfluss führen, und diese Goldbewegung wird Kräfte in Gang setzen, welche die ursprüngliche Ursache der Störung beseitigen.« So wurde dieser Mechanismus in einer Abhandlung über die britischen Goldbewegungen beschrieben. Der ursprünglichen Theorie zufolge entfalteten diese »Kräfte« ihre Wirkung, indem sie das Preisniveau der Waren und Dienstleistungen in dem aus dem Gleichgewicht gekommenen Land veränderten. Diese Theorie wurde jedoch später korrigiert, als sich nach einer Überprüfung der Fakten herausstellte, dass Preise und Exporte nicht immer in der erwarteten Wechselbeziehung zueinander standen – dass zu manchen Zeiten etwa hohe Importe mit hohen Warenpreisen einhergingen. Nach der Theorie, die den Goldstandard rechtfertigte, sollte aber das Gegenteil der Fall sein. Die Theorie wurde abermals angepasst und um die Erkenntnis erweitert, dass auch das Niveau der Bankkredite zumindest zeitweise verändert werden könnte, um einen Ausgleich für die Goldexporte


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zu schaffen. Noch 1982 waren sich die Ökonomen an einem Symposium nicht darüber einig, wie das System des Goldstandards funktioniert hatte. Einigkeit herrschte hingegen darüber, dass sich der internationale Goldstandard nicht automatisch anpasst; und obwohl sich die Forscher nicht sicher waren, wie er funktionierte, war ihnen doch wenigstens klar, dass er dies nicht in der angepriesenen Art und Weise tat.3 Ziel des internationalen Goldstandards war die objektive Bewertung von Gold. Dadurch wurde dieses zu einer Art Fetisch hochstilisiert. Die Tatsache, dass der Wert von Gold an sich nicht objektiv, sondern variabel war, wurde hingegen nicht angemessen berücksichtigt. Ausländische Bankiers kontrollieren die inländische Kreditpolitik

Ein unbestreitbarer Aspekt des internationalen Goldstandards wurde von den Ökonomen zwar erkannt, aber nicht zur Sprache gebracht: Die Kontrolle über die innere Kreditpolitik eines Landes – d. h. darüber, ob eine Politik der Kreditausweitung oder der Kreditbeschränkung verfolgt wird – war in den Händen derer, die Gold in das Land hinein oder aus dem Land heraus bewegen konnten. Solange die Zahlungsbilanz durch ein Goldstandardsystem ausgeglichen wurde, konnten Kräfte außerhalb des Landes eine Wirtschaftskrise und damit einen (wahrscheinlichen) Regierungswechsel innerhalb des betreffenden Landes auslösen.

Die Gründung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) Das beispiellose Grauen des Ersten Weltkrieges stärkte die Bewegung für ein internationales Völkerrecht, das seinen Ausdruck im Völkerbund fand. Der Erste Weltkrieg führte auch zur Gründung der ersten internationalen Finanzinstitution, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Sie wurde von dem Expertenkomitee, das mit der Regelung der deutschen Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg beauftragt war, als Möglichkeit vorgeschlagen, die Zahlungen Deutschlands zu vereinfachen. Als älteste internationale Finanzinstitution war die BIZ nicht als


Die Gründung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich

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über den Zentralbanken stehende Autorität konzipiert und sollte sich auch nicht an Bankgeschäften beteiligen. Ihr Ziel war vielmehr, ein internationales, auf Gold beruhendes System des Zahlungsausgleichs zwischen ihren Mitgliedländern zu schaffen und dadurch die Notwendigkeit zwischenstaatlicher Goldlieferungen abzubauen. Eine weitere Aufgabe der BIZ bestand darin, den Mitgliedländern bei der Wiederherstellung des Goldstandards nach dem Ersten Weltkrieg zu helfen. Sitz der im Januar 1930 auf Beschluss der Haager Konferenz gegründeten BIZ ist Basel. Sie hat zwar eine schweizerische Konzession, ist aber als internationale Organisation nicht nach schweizerischem Recht, sondern nach dem Völkerrecht organisiert. Sie wurde von sechs Zentralbanken und »einer Finanzinstitution der USA« – womit wohl das Federal Reserve System gemeint ist – gegründet. Eigentum und Kontrolle der BIZ

Die Organisation befindet sich im Besitz und unter der Kontrolle von staatlichen Zentralbanken. Allerdings wurden die gesamten amerikanischen Aktien sowie ein Teil der belgischen und französischen Aktien an private Aktionäre verkauft, so dass sich etwa 14 % der Aktien der Bank in Privatbesitz befinden. Private Aktionäre haben jedoch kein Stimmrecht und dürfen nicht an der jährlich tagenden Generalversammlung, dem obersten Entscheidungsgremium der BIZ, teilnehmen. Die Bank verfügt über ein genehmigtes Kapital von 1,5 Milliarden Goldfranken, die auf 600 000 Aktien von je 2500 Goldfranken aufgeteilt sind. Das eingezahlte Kapital beträgt 323,2 Millionen Goldfranken. Der Goldfranken dient als Rechnungseinheit für Buchhaltungszwecke; dies unterstreicht vielleicht auch die ursprüngliche Ausrichtung des BIZ auf Gold, dem der Goldwert des Schweizer Frankens von 1930 mit 0,29 Gramm Gold pro Franken zugrunde lag. Die Forderungen und Verbindlichkeiten der Bank in US-Dollars werden (zu Abrechnungszwecken) in Goldfranken zu $ 208 pro Unze umgerechnet, d. h. 1 Goldfranken entspricht $ 1,94. Die BIZ steigt ins Bankengeschäft ein

Die BIZ war in erster Linie als Goldstandard-Institution gegründet worden, um die deutschen Reparationszahlungen zu vereinfachen.


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Internationale Währungssysteme

England war 1931 gezwungen, seinen schlecht konzipierten Goldstandard aufzugeben. Zahlreiche weitere Länder folgten (siehe 20. Kapitel). 1932 wurde die Frage der deutschen Reparationszahlungen vom Völkerbund in Genf zu den Akten gelegt. Die ursprünglichen Motive für die Gründung der Bank lösten sich also schnell in Luft auf, und sie verlagerte ihre Aktivitäten in andere Bereiche. Ab 1961 koordinierte die Bank den »Gold-Pool«, den letzten verzweifelten Versuch, die Fassade eines internationalen Goldstandards aufrechtzuerhalten. Dabei zahlten die Mitglieder des Pools Gold ein, um die Einlösbarkeit des US-Dollars in Gold bei $ 35 pro Unze zu halten. Doch 1967 trat Frankreich aus dem Pool aus, und 1968 brach er zusammen. Eine Änderung der bisherigen Politik der Bank bedeutete die Entscheidung, sich an Bankengeschäften zu beteiligen, allerdings als Bank, deren Deponenten fast ausschließlich Zentralbanken sind. In dieser Funktion verfügt die Bank über einen erheblichen Teil der Weltwährungsreserven: Im März 1997 beliefen sich ihre Einlagen auf $ 113 Milliarden; das entspricht 7 % der gesamten Weltwährungsreserven. Obwohl die BIZ betont, dass sie keine Kredite an Staaten gewährt oder Konten in deren Namen eröffnet, bestehen die meisten BIZEinlagen aus kurzfristigen Staatsanleihen. Geldschöpfungsbefugnisse

Die BIZ besitzt keine formalen Geldschöpfungsbefugnisse und ist keine Ausgabebank. Wie jedoch Paul Einzig 1930 schrieb, war man in konservativen Kreisen darüber besorgt, dass die BIZ ein gefährliches inflationstreibendes Instrument werden könnte, indem sie den Zentralbanken auf der Grundlage einer begrenzten Reservehaltung Kredite in mehrfacher Höhe ihrer Einlagen gewährte. Die Zentralbanken könnten dann diese Kredite als weitere Reserven verwenden, um mehr Geld zu schöpfen usw.4 Natürlich wurde dieses Szenario nie Realität, doch kann man davon ausgehen, dass es diesen potentiellen Geldschöpfungsmotor in Form der BIZ immer noch gibt; ich würde sogar behaupten, dass er in dem gegenwärtigen deflationären Umfeld eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt. Die Bank empfiehlt sich selbst als wichtiges Forum für Noten-


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bankpräsidenten, um »die internationale Zusammenarbeit in gemeinsamen Interessenbereichen, vor allem im Hinblick auf monetäre Fragen und die Unterstützung des internationalen Finanzsystems, zu erleichtern«. Zwischen 1988 und 1992 förderte die BIZ die Ausarbeitung eines internationalen Abkommens zur Bestimmung der Adäquatheit von Bankkapital und zur Festsetzung von Mindestanforderungen, die international operierende Banken erfüllen sollen. Mittlerweile konzentriert die Bank einen Großteil ihrer Forschungs- und Statistikarbeit auf den Bereich der internationalen Darlehen; seit kurzem befasst sie sich außerdem mit dem unsteten und potentiell destabilisierenden Finanzderivatenhandel. Von 1996 bis 1997 wurden 9 weitere Zentralbanken aus Asien, Lateinamerika und dem Nahen Osten in die Organisation aufgenommen. Diese Beitritte erhöhten die Mitgliederzahl der BIZ auf insgesamt 41 Zentralbanken. Die Verwaltung der Bank umfasst die jährlich am zweiten Montag im Juni stattfindende Generalversammlung; einen Verwaltungsrat, dessen 12 Mitglieder aus den 11 wichtigsten Industrienationen stammen, sowie 500 Führungs- und Verwaltungsangestellte aus 27 Ländern. Die BIZ als Organisation war mit ihrer Ausrichtung auf Gold eher rückwärts gewandt. Eine Organisation, die mehr vorausblickt und die bei internationalen monetären Entwicklungen eine zentrale Rolle spielt, ist der Internationale Währungsfonds.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) Mit dem Zweiten Weltkrieg ging die Macht über das internationale Finanzwesen auf das Federal Reserve System über, da die amerikanische Industrie im Ersten Weltkrieg größtenteils beide Seiten und im Zweiten Weltkrieg die Alliierten beliefert hatte. Am Ende des Zweiten Weltkrieges befand sich das monetäre Gold des Westens zu fast 60 % in New York. Im Vertrauen auf den Sieg begannen die Planungen für ein neues Geldsystem bereits im Jahre 1941. Die zentrale Institution dieser Reform sollte nicht die BIZ, sondern der Internationale Währungs-


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Internationale Währungssysteme

fonds (IWF) sein, der im Juli 1944 auf der Währungs- und Finanzkonferenz der Vereinten Nationen im Hotel Mount Washington in Bretton Woods, New Hampshire, geschaffen wurde. An der Konferenz nahmen 730 Personen teil. Der Engländer John Maynard Keynes, dessen Theorien den Staaten geholfen hatten, Geld zu schöpfen, um die große Depression zu überwinden, wollte aufs Ganze gehen und eine internationale Zentralbank gründen – eine Zentralbank der Zentralbanken, die mit der Macht, Geld zu schöpfen, sowie mit internationalen Reserven auf der Basis einer neuen, von ihm als »Bancorps« bezeichneten Währungseinheit ausgestattet werden sollte. Doch die Welt war dafür nicht bereit. In der Praxis hätte Keynes’ Vorschlag bedeutet, dass die Mitgliedstaaten einen Teil ihrer Souveränität an die neue Zentralbank abtreten müssten, und es war unrealistisch, von den USA zu erwarten, dass sie Souveränität, also Macht, abgeben würden, wo sie gerade zur einzigen finanziellen Supermacht der Welt aufgestiegen waren. Die Kompetenzen des IWF sollten viel begrenzter sein. Hauptsächlich vom amerikanischen Verhandlungsführer Henry Dexter White ausgearbeitet, spiegelte der IWF die amerikanische Machtposition wider. Der IWF nahm seine Arbeit 1946 mit damals 29 Mitgliedstaaten auf, heute sind es 181. Jeder Mitgliedstaat zahlt nach einer bestimmten Quote Gold, Dollars und eigene Währung ein. Die Summe dieser Mittel bilden die IWF-Reserven. Die ursprüngliche Quote der USA betrug $ 2,8 Milliarden. Der IWF-Berater Hans Aufricht stellte dazu fest: »Alles lässt darauf schließen, dass die Höhe der US-Quote im Fonds und die buchmäßigen Gewinne des US-Schatzamtes aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ganz ohne Zusammenhang waren. Diese Gewinne in Höhe von $ 2,81 Milliarden waren eine Folge der 1934 durchgeführten Gewichtsreduzierung des Golddollars (als Roosevelt den Goldpreis von $ 20,67 auf $ 35 pro Unze anhob).«5 Die Mehrdeutigkeit in der IWF-Organisationsstruktur

Auch beim IWF stößt man auf mehrdeutige Strukturen, innerhalb deren anglo-amerikanische Bankiers so gerne operieren. Der IWF ist eigentlich gemäß UN-Charta, Artikel 57 Ziffer 3, eine Sonderbehörde der Vereinten Nationen, doch hat die UNO keinerlei Kontrollbe-


Der Internationale Währungsfonds (IWF)

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fugnisse über die IWF-Politik. Daher genoss der IWF bei seiner Arbeit sämtliche Vorteile, die sich aus diesem »Angliederungs«-Status an die UNO ergaben, ignorierte aber die sich daraus ergebende Verantwortung. Oberstes Organ des IWF ist der jährlich zusammentretende Gouverneursrat, in dem jedes Mitgliedland durch einen führenden Währungsbeamten vertreten ist. Die Tagesgeschäfte und damit die entscheidende Arbeit erledigt jedoch das aus 24 Mitgliedern bestehende Exekutivdirektorium, in dem die großen Industrienationen stark vertreten sind. Dieses Direktorium tagt mindestens dreimal wöchentlich. Zwar gibt es in der Regel keine Abstimmungen, doch bei IWF-Beschlüssen wird generell ein Konsens unter den Mitgliedern angestrebt, wobei viel Wert auf die Meinung des Geschäftsführenden Direktors gelegt wird. Der Geschäftsführende Direktor ist traditionell ein Europäer oder wenigstens ein Nicht-Amerikaner, während der Präsident des IWF normalerweise ein Amerikaner ist. Der IWF hat etwa 2200 Mitarbeiter. Wie bei der UNO sind die Gehälter und Zuwendungen der IWFMitarbeiter steuerfrei. IWF-Mitarbeiter legen einen Eid ab, dass sie keine Anweisungen einer Regierung oder einer außerhalb des Fonds stehenden Behörde entgegennehmen.6 Die Ziele des IWF

Obwohl zu den ursprünglich erklärten Zielen des IWF Vollbeschäftigung und die maximale Entwicklung der Ressourcen gehörten, bestand seine Haupttätigkeit anfangs darin, ein System der festen Wechselkurse zwischen den Währungen zu etablieren. Jedes Mitgliedland wurde verpflichtet, den Wechselkurs seiner Währung innerhalb der engen Bandbreite von maximal 1 % um die Parität, die es mit dem IWF zwischen seiner Währung und Gold vereinbart hatte, zu stabilisieren. Auf diese Weise wollte man stabile Wechselkurse herstellen und wettbewerbsorientierte Abwertungen verhindern. Später wurde die Bandbreite für Wechselkursschwankungen auf 10 % vergrößert – vorausgesetzt, die Veränderungen würden rechtzeitig angekündigt. Als das britische Pfund 1949 von $ 4,03 auf $ 2,08 abgewertet wurde, mussten umfangreiche Wechselkursanpassungen vorgenommen werden. Doch der IWF hatte große Fortschritte gemacht: Hatte


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es noch 1947 weltweit eine schwere Dollarknappheit gegeben, konnte der IWF zwischen 1948 und 1954 die Gold- und Dollarbestände seiner Nicht-US-Mitgliedstaaten verdoppeln. Um 1958 waren zwölf Mitgliedländer in der Lage, eine Ausländerkonvertibilität für ihre Währungen festzusetzen. Etwa Mitte 1967 lag das Verbraucherpreisniveau nur noch 1,4-mal über dem Niveau von 1948, obwohl Europa und Japan unterdessen wiederaufgebaut worden waren. Die Herrschaft des Dollars

Der US-Dollar nahm in dem System eine Sonderstellung ein, in der sich die Stärke der USA widerspiegelte. Der Dollar erhielt als Reserve für die Währungsschöpfung den gleichen Status wie Gold. Dies bedeutete, dass die US-Goldreserven bei der Schaffung von Weltreserven doppelt zählten: Zunächst konnten sie zur Schöpfung von Dollars verwendet werden, und danach konnten diese Dollars als Reserven zur Schöpfung anderer Währungen verwendet werden. Auf diese Weise wurde weltweit mindestens doppelt so viel Geld geschaffen, als wenn die Reserven nur aus Gold bestanden hätten. Der IWF war daher ein Mischsystem aus Gold und privilegierten Dollarnoten. Diese Tatsache wurde nicht offengelegt, da sich die USA gegenüber anderen Mitgliedländern verpflichtet hatten, die Konvertibilität des Dollars in Gold zu $ 35 pro Unze aufrechtzuerhalten. Doch von diesem Zeitpunkt an verzeichneten die Goldbestände der USA einen Abwärtstrend, bis sie 1971 ein Niveau von etwa $ 1 Milliarde erreichten. Die Verwendung des Dollars für die Reservehaltung anderer Zentralbanken ermöglichte es den USA, große Zahlungsbilanzdefizite auszuweisen, was manche Staatsoberhäupter, wie zum Beispiel Charles De Gaulle, veranlasste, gegen den »Dollar-Imperialismus« – die Verwendung amerikanischer Dollars zum Aufkauf europäischer Vermögenswerte in den 60er Jahren – zu Felde zu ziehen. Die Freigabe der Wechselkurse

Am 15. August 1971 brach das Paritätssystem zusammen, nachdem sich der Gold-Pool und die US-Goldreserven als ungeeignet herausgestellt hatten und Präsident Nixon die Goldeinlösungsverpflichtung der Vereinigten Staaten gegenüber allen IWF-Mitgliedern einseitig aufgehoben hatte. Dies bedeutete das Ende des Abkommens


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von Bretton Woods, doch nicht das Ende des IWF. Ab März 1973 wurden die Wechselkurse der Währungen einiger großer Industrieländer freigegeben, wobei die Währungen kleinerer Länder an jene größerer Länder gebunden wurden. Geldtheoretiker wie Robert De Fremery sowie eine Reihe von Ökonomen, zum Beispiel Friedman, Haberler und Meade, hatten schon seit Jahren die Einführung eines Systems der flexiblen Wechselkurse empfohlen, das offenbar sehr gut funktionierte. Spekulanten unterminieren den IWF

Die offizielle Historikerin des IWF, Margaret de Vries, deutete an, dass das System durch einige seiner größten Nutznießer – grosse Spekulanten – zu Fall gebracht wurde: »Die extremen Schwankungen der Kapitalströme (zum Beispiel etwa $ 200 Milliarden im Jahre 1976) infolge von Zinssatzdifferenzen oder in Erwartung von Wechselkursveränderungen waren die Hauptursache für die Unterminierung der bis zum Ende der 60er Jahre wirksamen internationalen Währungsordnung.«7 Nach Einschätzung des IWF schadeten demnach riesige Kapitalströme großer Spekulanten dem System, das nicht für deren Spekulationsspiele, sondern zur Vereinfachung von Produktion und Handel zwischen den Nationen geschaffen worden war. Michael Bordo stellte dazu fest: »Die Architekten des Abkommens von Bretton Woods hatten ein System entworfen, das sich durch eine begrenzte Kapitalmobilität auszeichnete.«8 Es war ein kritischer Moment für den IWF. Wer würde sich letztlich durchsetzen: die Spekulanten, die imstande waren, riesige Kapitalmengen ohne Vorwarnung über Nacht zu verschieben, um von einer Zinssatzdifferenz von 1⁄10 % zwischen den Währungen zu profitieren – oder die Produzenten, die Waren herstellten und vertrieben, von denen die Völker der Welt abhängig waren? Der IWF und die Völkergemeinschaft standen vor der Wahl, diesen Mißbrauch der Weltwährungssysteme und -mechanismen entweder zu bekämpfen oder sich von ihm beherrschen zu lassen. Der IWF gab kampflos auf und ordnete seine Tätigkeiten der Vorstellung unter, dass den »freien Märkten« auch bei der Währungs- und Zinssatzspekulation der Vorrang eingeräumt werden müsse. Dieses Vorgehen ließ jedoch keineswegs erkennen, dass die aus dieser Auffas-


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sung resultierende Instabilität der Währungsbestände von irgendeinem Nutzen für die Weltgemeinschaft sein könnte. Vielleicht sollte sich »HAND, der Unsichtbare« darum kümmern […] Anstatt ein reformiertes System auszuhandeln, beschloss der Gouverneursrat 1974, die freie Entwicklung des neuen Systems zuzulassen, bis im April 1978 Änderungen des IWF-Vertrages angenommen wurden. Die Rolle des Dollars wurde erheblich eingeschränkt, und die Sonderziehungsrechte wurden zum »Haupt«Reservemedium erklärt.

Drei Vorschläge zur Verwirklichung internationaler Währungsstabilität Eine Steuer auf Währungstransaktionen

Schon seit einigen Jahren fordern Ökonomen eine moderate Steuer auf alle spekulativen Währungstransaktionen. Die Erlöse aus dieser Steuer sollen zur besseren Bedienung der beteiligten Märkte verwendet werden. Das ist zwar eine gute Idee, doch sie geht leider nicht weit genug, denn eine moderate Spekulationssteuer wird die großen Währungsdebakel nicht verhindern und die Währungsspekulanten nicht aufhalten. Ein Verbot von Leerverkäufen

Die Währungen einiger Entwicklungsregionen (zum Beispiel diejenigen Südostasiens im Jahr 1997) könnten zu einer Gruppe zusammengefasst werden, innerhalb deren Leerverkäufe verboten sind oder niedrige Positionslimits für Leerverkäufe festgesetzt werden. Eine solche Einschränkung würde diejenigen, die in der Produktion oder im Handel in diesen Regionen beschäftigt sind, nicht berühren, aber jene, die aus ihnen Nutzen zu ziehen versuchen, effektiv behindern. Angemessene Ausnahmeregelungen könnten von Währungsbehörden beschlossen werden. Geschäfte sollten in »Sachleistungen« und nicht in »bar« abgewickelt werden

Viele Ökonomen haben noch immer nicht die Bedeutung einer Regelung von Termingeschäften in »bar« statt in »Sachleistungen« er-


Geldschöpfungsbefugnisse des IWF

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kannt. Eine Barregelung bedeutet, dass die Leerverkäufer zu dem Zeitpunkt, an dem sie die von ihnen verkaufte Währung liefern müssen, die Möglichkeit haben, den Barwert des Kontrakts in Dollars zu bestimmen und dann in Dollars zu bezahlen. Um ihre Position zu behaupten, müssen sie also nur ihre Dollar-Zahlungsfähigkeit bewahren. Müssten die Kontrakte dagegen mit »Waren« bezahlt werden, entstünde eine völlig andere Situation. Wenn der Wert der Währung durch Leerverkäufe immer weiter herabgesetzt wird, dann sind beim Näherrücken des Liefertermins jene, die die Kontrakte verkauften, gezwungen, die betreffende Währung sozusagen physisch zurückzukaufen, um sie liefern zu können. Solche Käufe treiben den Preis einer Währung wieder nach oben, und es wäre durchaus denkbar, dass die Leerverkäufer in die Fänge einer »Leerverkaufsfalle« gerieten, d. h. sie könnten die zu liefernde Währung nicht erwerben und ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, was erhebliche Verluste für sie bedeuten würde. Zahlungsverzug auf Terminmärkten kann selbst die größten Spekulanten in den Bankrott treiben, wie die Milliardärsbrüder Hunt 1981 mit ihren Silbermarktspekulationen feststellen mussten. Diese bescheidenen Vorschläge könnten einen Beitrag zum Schutz der Währungsmärkte vor Manipulationen leisten.

Geldschöpfungsbefugnisse des IWF Ursprünglich war der wichtigste Geldschöpfungsmechanismus des IWF die Verwendung des Dollars als Reserve, auf deren Grundlage andere Währungen geschöpft werden konnten. Zahlungsbilanzdefizite der USA konnten die Geldschöpfung anderer Länder antreiben: So bildete etwa Deutschland seine Dollarreserven durch Außenhandelsüberschüsse. Eine weitere, wenn auch begrenzte Möglichkeit der Schaffung liquider Mittel steht dem IWF durch die Gewährung von Kredit an seine Mitglieder zur Verfügung. Quelle dieser Mittel sind die Reserven, die jedes Mitglied gemäß der ihm zugewiesenen Quote beim IWF hinterlegen muss. Mitgliedländer mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten können beim IWF Kredite bis zur dreifachen Höhe ihrer


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Quote beantragen. Seit 1982 dürfen die Kredite allerdings 60 % der gesamten IWF-Reserven nicht überschreiten. Die Sonderziehungsrechte (SZR)

Sonderziehungsrechte (SZR) wurden im August 1969 nach vierjährigen Verhandlungen als internationales Reservemedium geschaffen, um »das Problem der internationalen Liquidität zu lösen und […] eine neue Reserveeinheit (zu schaffen), die das in seinem Bestand unzureichende Gold oder nationale Währungen wie den US-Dollar ergänzen sollte«.9 Diese Entwicklung von wahrlich großer Tragweite entsprach schon eher John Maynard Keynes’ Vorstellungen vom IWF. Der Geschäftsführende Direktor Paul Schweitzer bejubelte die SZR als »die bedeutsamste Entwicklung in der internationalen währungspolitischen Zusammenarbeit seit dem Abkommen von Bretton Woods«.10 Von ihrer Einführung im Januar 1970 bis Ende 1972 wurden SZR in Höhe von $ 9,5 Milliarden geschaffen, mit denen die $ 39 Milliarden an Goldbeständen und insgesamt $ 75 Milliarden an internationalen Reserven des IWF ergänzt wurden. Der Wert der SZR bemisst sich nach einem Korb aus den Währungen der fünf wichtigsten Industrienationen. Von 1975 an konnten Reserven außer in Dollars auch in D-Mark, Yen, Schweizer Franken, Pfund Sterling und französischen Francs angelegt werden. Das Sonderziehungsrecht wurde schließlich zum Hauptreservemedium und beendete allmählich die Rolle des Goldes als Basis für den IWF. Ein Sechstel des IWF-Goldes wurde an die Öffentlichkeit verkauft. Ein weiteres Sechstel ging an die Mitgliedländer zurück, die es daraufhin wie eine Marktware kaufen und verkaufen konnten. Seit Januar 1981 hat der IWF seinen Mitgliedern keine neuen SZR mehr zugeteilt, so dass bislang insgesamt rund 21,4 Milliarden SZR zu jeweils etwa $ 1,38 oder 2 Schweizer Franken zugeteilt worden sind. Gegenwärtig wird beim IWF eine Erweiterung der SZR-Ausgabe diskutiert – eine sicher willkommene und längst überfällige Maßnahme zur Verbesserung der internationalen Liquidität. SZR hatten auch einen begrenzten kommerziellen Nutzen bei der Festlegung der Suezkanal-Tarife, Flugpreise und einiger Eurobond-Ausgaben.


Geldschöpfungsbefugnisse des IWF

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Hilfe für verschuldete Mitgliedländer

Nach dem Zusammenbruch des Goldparitätssystems 1971 konzentrierte sich der IWF auf Aufsichts- und Überwachungstätigkeiten sowie auf Beratungen der Mitgliedländer. Er entwickelte sich zu einer der größten Kreditinstitutionen. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre wurde die Kreditvergabe an zahlungsbilanzschwache Mitgliedländer (vor allem an die USA und an Großbritannien) zu seiner Haupttätigkeit. Wenn weniger hochentwickelte Länder die Hilfe des IWF benötigten, weil sie aufgrund von Krediten, die ihnen die größten Privatbanken der Welt in unangebrachter Weise gewährt hatten, in Zahlungsschwierigkeiten geraten waren, half der IWF in der Regel den Bankiers aus der Patsche, indem er ihre kostspieligen Fehler auf die Durchschnittsbürger der IWF-Mitgliedsländer umwälzte. »Konditionalität«

Einige seiner fragwürdigsten Aktionen führte der IWF im Bereich der »Konditionalität« durch – d. h. im Bereich der Auflagen, die Schuldnerländer erfüllen mussten, um seine Hilfe zu erhalten. Kritisiert wurde vor allem, dass die Forderungen des IWF hauptsächlich von der armen Bevölkerung zu tragen waren, da sie enorme Einkommenseinbußen nach sich zogen. Eine übliche Maßnahme ist die Streichung von Subventionen für Nahrungsmittelprogramme. Häufig fordert der IWF auch Lohnkürzungen und Steigerungen der Unternehmensgewinne. In seinem Hilfsprogramm für Brasilien bestand der IWF auf einer Kürzung der Staatsausgaben um 50 % zwischen 1982 und 1983 und um weitere 50 % im Jahre 1985. Man stelle sich einmal vor, wie sich eine 75-prozentige Kürzung der Staatsausgaben innerhalb von 4 Jahren in Amerika, Deutschland oder der Schweiz auswirken würde! Der IWF lässt Schuldnerländer die Last der durch Rezession bewirkten Zahlungsbilanzanpassungen in hohem Maße alleine tragen. »Die IWF-Definition einer guten Wirtschaftspolitik fördert eine bestimmte Form der Entwicklung: Exportorientierung, weniger Protektionismus, weniger Importsubstitutionen, effizientere Publikumsgesellschaften […] Abbau der Defizite der öffentlichen Haushalte.«11 Die IWF-Auflagen sind auch viel stärker auf städtische als auf


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Internationale Währungssysteme

ländliche oder landwirtschaftliche Gebiete ausgerichtet. Doch der schwerste Vorwurf an den IWF lautet, dass die IWF-Sanierungsprogramme gar nicht zum Erfolg führen, sondern nur die schnellstmögliche Rückzahlung der Schulden sicherstellen sollen. Aus der bisherigen Erfahrung mit dem IWF können wichtige Lehren gezogen werden: Erstens erkannten die Mitgliedländer nach dem Zusammenbruch des IWF-Goldparitätsmechanismus, dass der Schlüssel zu einer internationalen Währungsordnung nicht etwa im Gold, sondern in einem vernünftigen Maß an Verantwortung sowie in der Produktion und dem Handel liegt. Zweitens stellte sich heraus, dass eine vor allem von Bankiers geschaffene und kontrollierte Organisation auch im Sinne der Bankiers agieren und ihre Verantwortung der Gesellschaft gegenüber vernachlässigen wird. Drittens zeigen die bisherigen Erfolge der Sonderziehungsrechte, dass sich internationale Liquidität mittels rechtlicher Abkommen erzielen lässt – zumindest zwischen Nationen, die sich nicht mit kriegerischen Mitteln bedrohen. Die vierte und wichtigste Lehre ist aber, dass eine unangemessene Anwendung von Konzepten des freien Marktes auf Währungsspekulationen eine der größten Gefahren darstellt, denen der weltweite Handel und die Stabilität in Friedenszeiten jemals ausgesetzt waren. Dieses Vorgehen ermöglicht es – nach den Worten von Erzbischof Temple –, dass der Diener zum Herr wird.

Die Weltbankgruppe Auf der Konferenz von Bretton Woods 1944 wurde neben dem IWF auch die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) als Sonderorganisation der Vereinten Nationen laut Artikel 57 (Ziffer 1) der UN-Charta gegründet. Das Hauptziel dieser Bank war die Hilfe beim Wiederaufbau Europas und Japans nach dem Zweiten Weltkrieg. Ab 1945 wurde die IBRD unter der Bezeichnung Weltbank bekannt. Nachdem der Wiederaufbau Anfang der 60er Jahre abgeschlossen war, verlagerte die IBRD ihre Tätigkeiten auf die Finanzierung von Projekten der Wirtschaftsentwicklung in den Ländern der Dritten Welt, wobei sie das explizite Ziel verfolgte, die Armut in der ganzen


Die Weltbankgruppe

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Welt abzubauen. Kritiker verweisen jedoch auf schwerwiegende Defizite in der Arbeit der Bank. So beklagt etwa der langjährige Kritiker C. Payer, dass die Weltbank auf lokaler Ebene die Armut sogar noch verschlimmere, indem sie für ihre Projekte besondere Privilegien fordere und diese auch erhalte.12 Eigentums- und Kontrollverhältnisse

Die Weltbank (IBRD) befindet sich im Besitz ihrer Mitgliedstaaten, die sich jeweils zur Zeichnung eines bestimmten Kapitalanteils an die Bank verpflichtet haben. Von diesem Kapital wird jedoch nur ein kleiner Anteil tatsächlich eingezahlt. Der Rest kann als sogenanntes haftendes Kapital von der Weltbank zur Abdeckung ihrer Anleiheverbindlichkeiten abgerufen werden. Dies gewährleistet eine hohe Kreditwürdigkeit ihrer Schuldverschreibungen, die an den Kapitalmärkten der Welt verkauft werden und die Hauptquelle der Darlehensmittel der Weltbank darstellen. Die Weltbank wird von einem Gouverneursrat geführt, in dem jeder ihrer 180 Mitgliedstaaten durch einen Gouverneur, in der Regel der Finanzminister des betreffenden Landes, vertreten ist. Der Rat tagt einmal jährlich im September. Für die laufenden Tagesgeschäfte der Bank ist das aus 20 Personen bestehende Direktorium und der von ihm gewählte Weltbankpräsident zuständig, die mehrmals wöchentlich im zentralen Hauptsitz der Weltbank in Washington D. C. zusammentreffen. Fünf der Geschäftsführenden Direktoren werden von den fünf Mitgliedstaaten ernannt, welche die größte Zahl von Kapitalanteilen der Bank halten. Die verbleibenden Direktoren werden von den anderen Mitgliedländern gewählt. Der Präsident der Weltbank ist traditionell ein US-Staatsbürger, obwohl die Kapitalanteile der USA an der Weltbank stetig schrumpfen: Hielten sie 1947 noch 35 % der Anteile, waren es 1981 nur noch 21 % und 1997 lediglich 17 %. Weltbankprojekte werfen Gewinne ab

Eines der Kriterien, nach denen die Weltbank den Erfolg eines Projektes bemisst, ist die Forderung, dass es mindestens 10 % Gewinn abwerfen muss. Weltbankprojekte scheitern im allgemeinen nicht. Seit Aufnahme ihrer Arbeit hat die Weltbank Darlehen in Höhe von $ 400 Milliarden ausgezahlt. Darlehen vergibt die Weltbank zwar nur


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Internationale Währungssysteme

an Regierungen, doch sie arbeitet auch eng mit der Privatwirtschaft zusammen. Auf der Internetseite der Weltbank wird erklärt, wie die Bank zum Abbau der Armut beiträgt: »In den vergangenen Jahrzehnten konnte Ostasien den stärksten Rückgang der Armut in seiner Geschichte verzeichnen: 27 % von 1975 bis 1985 und 35 % von 1985 bis 1995. Hinzu kamen wesentliche Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitswesen für die ärmeren Bevölkerungsschichten.« Doch diese Statistik wird wohl nach dem (von Währungsspekulationen im großen Stil verursachten) asiatischen Finanzdebakel von 1997 bis 1998 korrigiert werden müssen. In ihren Publikationen sagen die PR-Mitarbeiter der Weltbank leider nicht die ganze Wahrheit. So ist auf ihrer Internetseite zu lesen: »Gemäß ihren Statuten ist es der Weltbank ausdrücklich verboten, sich in die politischen Angelegenheiten eines Landes einzumischen. Sie hat ihre Entscheidungen ausschließlich nach wirtschaftlichen Erwägungen zu treffen.«13 Doch die Vorstellungen der Weltbank von Wirtschaft, von Gut und Böse sind überladen mit politischen Interessen, die an der ungleichen Vermögens- und Einkommensverteilung zwischen Arm und Reich entweder nichts ändern oder sie sogar noch verschlimmern.

Die Internationale Finanz-Korporation (IFC) Die Internationale Finanz-Korporation (IFC) wurde 1956 als Schwesterorganisation der IBRD gegründet. Sie ist das einzige Institut der Weltbankgruppe, das in privatwirtschaftliche Projekte in Entwicklungsländern ohne Rückzahlungsgarantie einer Regierung investiert. Die IFC arrangiert außerdem die Finanzierung der Projekte durch private Kapitalgeber. Seit ihrer Gründung hat die IFC Eigenkapitalbeteiligungen in Höhe von etwa $ 21,2 Milliarden vorgenommen und zusätzlich etwa $ 15 Milliarden an Konsortialkrediten für 1852 Privatunternehmen in 129 Entwicklungsländern bereitgestellt. 1997 investierte die IFC über $ 8 Milliarden. Sie »hilft« ferner den Regierungen ihrer Mitgliedstaaten bei der Privatisierung von Staatsunternehmen und beschafft Privatkapital für die Finanzierung risi-


Die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA)

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koreicher Unternehmen. Führung, Anteilseigner und Statuten der IFC sind unabhängig von den übrigen Instituten der Weltbankgruppe. Das Anteilskapital der IFC wird durch die Anteilszeichnungen ihrer 173 Mitgliedländer gebildet. Den überwiegenden Teil ihrer Mittel beschafft die IFC durch die Ausstellung von Schuldverschreibungen.

Die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA) Als zweites Schwesterinstitut der IBRD wurde im Jahre 1960 die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA) gegründet. Sie wird heute stolz als »gutes Werk« der Weltbank vorgezeigt, da sie den ärmsten Entwicklungsländern (die ein Pro-Kopf-Einkommen von jährlich etwa $ 1000 oder weniger aufweisen) Darlehen gewährt, die 35 bis 40 Jahre lang unverzinslich sind. Gegenwärtig erfüllen 80 Länder die Kriterien für IDA-Kredite. Die Bevölkerung dieser Länder umfasst insgesamt etwa 3,3 Milliarden, das sind 69 % der Gesamtbevölkerung in den Ländern der Dritten Welt! Die IDA erhebt eine jährliche Bearbeitungsgebühr von 0,75 % auf die jeweils ausstehenden Kreditbeträge. Kritiker behaupten, die IDA sei nur deshalb gegründet worden, weil die Gefahr bestand, dass die Vereinten Nationen ihre eigene Kreditinstitution eröffnen könnten (die UN-Sonderbehörde SUNFUND für Wirtschaftsentwicklung), und Eugene Black, der damalige Weltbankpräsident, räumte ein, dass die IDA »das Bedürfnis nach SUNFUND zerstreuen sollte«.14 Die IDA teilt sowohl den Mitarbeiterstab als auch die Verwaltungsgebäude der IBRD und erstattet demselben Präsidenten Bericht. Sämtliche IDA-Mittel stammen aus Steuermitteln der Mitgliedländer in Form von Kapitalbeteiligungen in konvertibler Währung. Diese Zeichnungen werden regelmäßig nach Ablauf von drei Jahren in sogenannten »Wiederauffüllungsrunden« erneuert. Seit 1960 hat die IDA 106 Ländern Darlehen in Höhe von rund $ 108 Milliarden gewährt. Ihr jährliches Kreditvolumen umfasst im allgemeinen $ 5 bis $ 6 Milliarden. Nach den Informationen auf der IDA-Internetseite werden vor allem folgende Projekte finanziert:


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Internationale Währungssysteme

Entwicklung des Humanvermögens (Bildung, Gesundheit, Bevölkerung und Ernährung, Wasserversorgung und Hygiene) Landwirtschaft und ländliche Entwicklung Infrastrukturmaßnahmen

33 % 23 % 23 %

Die »strategische Vereinbarung«

Die Weltbankgruppe befindet sich derzeit in einer 30-monatigen »Umgestaltungsphase«, in der sie alle Aspekte ihrer Tätigkeiten auf den Prüfstand stellen und auf Vordermann bringen will. Die Beschreibung dieser Umgestaltungsphase mutet wie ein Programm zur Effizienzsteigerung eines Unternehmens an. Es wird sogar die Frage diskutiert, wie man schlechte Mitarbeiter loswerden kann. Der wichtigste Reformbereich scheint »die Erarbeitung einer angemesseneren Konditionalität« zu sein. Diese großartigen Ankündigungen verlieren allerdings angesichts der Konzentration der Weltbank auf die Entlassung ihrer eigenen Mitarbeiter stark an Glaubwürdigkeit.

Monetäre Entwicklungen im Islam – ein Wiederaufleben der Scholastik Soziale Gerechtigkeit ist das Kennzeichen des islamischen Wirtschaftssystems.15 Einige interessante Entwicklungen sind derzeit im monetären Denken der islamischen Welt zu beobachten. Im 3. Kapitel wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Prophet Mohammed in jungen Jahren Kaufmann war und ein gutes Verständnis vom Wesen des Geldes als gesetzlicher Institution hatte. Er lehrte seine Anhänger, nicht nur Gold und Silber, sondern – auf der Grundlage seines Nennwerts – auch Kupfergeld anzunehmen: »Mohammed zufolge bemisst sich die Eigenschaft der Währung nach den umlaufenden Fulus (Kupfermünzen), die als absolute Währung anzusehen sind […] Sie sind seiner Ansicht nach für gemeinschaftliche Investitionen ebensogut geeignet wie jede andere absolute Währung, zum Beispiel Dirhems (Silber) und Dinare (Gold)« (Kasani, 6 : 59–60).16


Monetäre Entwicklungen im Islam – ein Wiederaufleben der Scholastik

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»Scharia« und »Fikh«

Scharia ist die Bezeichnung für das religiöse Recht des Islam. Daraus entwickelte sich das Fikh, die Rechtswissenschaft des Islam oder eine religiöse Pflichten- und Sittenlehre. In der Praxis gilt das Fikh jedoch als Ideal, das oft nicht befolgt wird. Der Koran verbot die Zinsnahme oder -zahlung; als das Verbot im 7. Jahrhundert erstmals erging, blühten die Geschäfte: »Die Abschaffung der Zinsnahme führte zu keiner Beeinträchtigung der Wirtschaftstätigkeit in der muslimischen Welt. Sie führte im Gegenteil zu einer Vermehrung des Reichtums« (M. U. Chopra).17 Bereits im 11. Jahrhundert aber wurde jemand, der »im Einklang mit dem Gesetz Handel trieb, von allen anderen Kaufleuten verspottet«.18 Es bestand daher eine große Kluft zwischen der Praxis und der Theorie. Im Laufe der letzten 200 Jahre übernahmen islamische Länder allmählich unter dem Einfluss des Kolonialismus das Geldund Banksystem auf der Basis der Zinsnahme. Doch das beginnt sich jetzt wieder zu ändern. Chopra unterscheidet drei Phasen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Belebung in islamischen Ländern. Zunächst setzte in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts (vielleicht infolge der großen Depression im Westen?) eine Neubewertung der islamischen Position ein. Sie wurde von moslemischen Gelehrten angeführt, die als Nichtökonomen für eine Rückbesinnung auf klassische moslemische Positionen eintraten. In einer zweiten Phase ab etwa 1965 analysierten islamische Wirtschaftswissenschaftler diese Ideen. Die dritte Phase ist von den gegenwärtigen Bemühungen gekennzeichnet, ein zinsloses System von Banken und Finanzinstitutionen aufzubauen. Chopra zufolge wird die vierte Phase im Bereich der monetären Theorie und Praxis angesiedelt sein. Pakistan hat dieser Entwicklung durch seine Verfassung von 1973 wichtige Impulse gegeben: Artikel 227 sieht vor, dass alle bestehenden Gesetze »in Übereinstimmung mit den Anordnungen des heiligen Koran und der Sunna gebracht« werden sollen und dass Riba (siehe Seite 490) so schnell wie möglich abzuschaffen sei. Chopra bemerkt hierzu, dies sei »das erste Mal, dass sich ein Staat in dieser Form ernsthaft dazu verpflichtet, die Wirtschaft auf der Grundlage islamischer Werte umzugestalten«.19


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Riba und Zulm

Diese beiden Begriffe haben eine ähnliche Bedeutung wie die Bezeichnung der christlichen Scholastiker für Zinswucher. Der Begriff Riba deckt jedoch mehr ab als die Zinsen: Er ist auf alle Formen der unfairen finanziellen Ausbeutung anwendbar. Der Islam ist bestrebt, »das Unrecht zu beseitigen, das dadurch verübt wird, dass dem Finanzier, ohne dass er etwas dafür tut oder einen Teil des Risikos trägt, ein positiver Ertrag garantiert ist, während sich der Unternehmer trotz seiner Führung und harten Arbeit keineswegs eines solchen positiven Ertrags sicher sein kann.«20 Zulm bezieht sich auf alle Formen von Unrecht, Ausbeutung, Unterdrückung und Übeltaten. Im ökonomischen Denken des Islam wird versucht, Riba und andere Formen der Ausbeutung auszurotten, wobei es keine Trennung zwischen Gerechtigkeit und Moral einerseits und Ökonomie andererseits gibt. Der Islam glaubt, wie es Chopra in seinem Buch Toward a Just Monetary System ausdrückt, unerschrocken an die Brüderlichkeit der Menschen.21 Nisab und Zakaa

Ein interessantes islamisches Konzept sieht drei Wirtschaftssektoren vor: den öffentlichen Sektor, den privaten Sektor und den freiwilligen Sektor. Faridi beschrieb, wie jene, die über Nisab verfügen – die Fähigkeit, großzügig zu sein –, ehrenwert handeln, wenn sie Zakaa, 2½ % ihres Einkommes, abgeben. Zaaka ist mehr als ein Almosen; es ist eine Gabe der Reichen an die Armen.22 Zinsfreie Finanzierung in der islamischen Welt

Anfang der 80er Jahre gab es in Ägypten, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait, Sudan und Bahrain Banken, die auf eine Zinsnahme verzichteten. Chopra zählte 38 zinsfreie Banken in Afrika, Asien und sogar auf den Bahamas und in Genf. In Pakistan eröffneten 6500 Bankfilialen zinsfreie Abteilungen, bei denen man an besonderen Schaltern Einzahlungen auf zinsfreie Investitionskonten vornehmen konnte. Pakistan gründete ferner einen »Nationalen Investmentfonds«, der kleinere Spareinlagen von Privathaushalten durch Inhaber- und Namensaktien für Investitionszwecke annahm. Es wird interessant sein, die Funktionsweise und Weiterentwicklung dieser verschiedenen zinsfreien Mechanis-


Monetäre Entwicklungen im Islam – ein Wiederaufleben der Scholastik

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men im Laufe der Zeit zu beobachten. Pakistan und die meisten anderen islamischen Staaten sind Mitglieder des IWF und der Weltbankgruppe. Die monetären Zielsetzungen islamischer Ökonomen

Einige islamische Ökonomen scheinen sich mehr als die christlichen Scholastiker an der Bibel zu orientieren, doch ihre Herangehensweise ist auch von einem hohen Maß an Vernunft und Konzentration auf die angestrebten Ziele und tatsächlichen Resultate geprägt. Wenn moralische Konzepte auf monetäre Fragen angewandt werden – ob von einen christlichen, islamischen oder weltlichen Standpunkt aus –, scheinen sie zu ähnlichen Schlussfolgerungen zu führen. Dr. Mabid Ali Al-Jahri schlug vor, alle Geschäftsbanken zu einer 100-prozentigen Reservehaltung zu verpflichten. Dr. Anas Zarqa unterstützte diesen Vorschlag unter anderem aus folgendem Grund: »Geldschöpfung ist ein gesellschaftliches Vorrecht, und deshalb sollten die daraus hervorgehenden Vorteile der ganzen Gesellschaft zugute kommen.«23 Chopra sprach sich dafür aus, dass ein gutes Geldsystem die Gründung einer großen Anzahl kleinerer Unternehmen fördern und die Entstehung von Großunternehmen – außer manchen unvermeidbaren – verhindern sollte. Moslems haben offenbar auch eine gesündere Einstellung zu Märkten: »Zwar erkennt der Islam individuelle Freiheiten an, doch betrachtet er die Kräfte des Marktes nicht als heilig. Das blinde Wirken der Marktkräfte gewährleistet nämlich keineswegs automatisch die Belohnung gesellschaftlich produktiver Bemühungen, die Beschränkung der Ausbeutung oder die Unterstützung der Armen und Bedürftigen«, schreibt Chopra.24


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24. Kapitel

Die Europäische Währungsunion*

Viele Regierungen machen den Fehler, den Reichen zu viel Macht zu geben, […] Es kommt eine Zeit, da aus etwas nicht wirklich Gutem etwas wirklich Böses wird, denn die Eingriffe der Reichen sind von zerstörenderer Wirkung für den Staat als die Taten des Volkes. A

Die Europäer sollten sich diese Worte von Aristoteles gut einprägen, wenn sie ihr großes währungspolitisches Vorhaben umsetzen, das nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Nachkommen bis weit in die Zukunft hinein beeinflussen wird. Gegenwärtig bietet sich eine günstige und seltene Gelegenheit, sich noch einmal auf diese Worte zu besinnen, solange die Aufmerksamkeit ganz auf die Schaffung des neuen Systems gerichtet ist. Später wird dies schwieriger werden. Doch selbst für später notwendig werdende Korrekturen am System kann eine Extraportion Vorbedacht und Planung heute schon Nutzen bringen. Wir können nun die grundlegenden monetären Prinzipien, die wir anhand zahlreicher historischer Fälle und Theorien beobachtet und untersucht haben, auf die Bildung der Europäischen Währungsunion anwenden. Die Hauptorgane der Europäischen Gemeinschaft sind nach Artikel 4 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 (EGV) das Europäische Parlament, der Rat, die Kommission, der Gerichtshof und der Rechnungshof. Die geldpolitischen Befugnisse liegen nach dem Dritten Protokoll (EUV-Prot.) zum Vertrag über die Europäische Union (EUV) (sog. Maastricht-Ver* Der Diskussion in diesem Kapitel liegt der auf der Internetseite der Europäischen Union publizierte Vertrag über die Europäische Union zugrunde: europa.eu.int.


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Die Europäische Währungsunion

trag vom 7. Februar 1992) im wesentlichen bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Diese wird in Art. 4a EGV erstmals erwähnt. Da die Europäische Zentralbank ihre Arbeit erst am 1.Januar 1999 aufnehmen soll, könnte man den Eindruck gewinnen, sie spiele eine untergeordnete Rolle. Doch das täuscht. Die bislang erörterten historischen Beispiele zeigen, wie sehr die Geldmacht das Schicksal der Nationen und Weltreiche beeinflusst hat. Der EZB steht derselbe Organisationsstatus zu wie dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Gerichtshof. Es müsste deshalb die Aufmerksamkeit der ganzen Gemeinschaft auf die richtige Ausgestaltung und Überwachung der EZB gelenkt werden.

Der Aufbau der Europäischen Währungsunion Das zentrale Hauptorgan der Europäischen Währungsunion (EWU) wird die Europäische Zentralbank (EZB) sein. Sie bildet zusammen mit den nationalen Notenbanken der Mitgliedländer das Europäische System der Zentralbanken (ESZB). Das ESZB wird von den Beschlussorganen der EZB geleitet, d. h. dem EZB-Rat, dem Erweiterten Rat der EZB und dem Geschäftsführenden Direktorium. Der EZB-Rat wird aus den Präsidenten der nationalen Zentralbanken der EWU-Mitgliedstaaten und den Mitgliedern des Direktoriums bestehen. Alle nationalen Zentralbankpräsidenten haben eine Stimme, außer in bestimmten Entscheidungsbereichen, in denen die Stimmen nach dem in Artikel 29 EUV-Protokoll festgelegten Schlüssel gewichtet werden. (Die Stimmengewichte richten sich zur einen Hälfte nach dem Anteil des jeweiligen Mitgliedstaates an der Bevölkerung der EU im vorletzten Jahr vor der Errichtung des ESZB und zur anderen Hälfte nach dem Anteil am Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen in den fünf Jahren vor dem vorletzten Jahr vor der Errichtung des ESZB.) Das Direktorium hat dabei keine Stimme. Der Rat entscheidet grundsätzlich mit einfacher Mehrheit; bei manchen Beschlüssen ist jedoch eine »qualifizierte« Mehrheit erforderlich, d. h. die abgegebenen Ja-Stimmen müssen nach Artikel 10.3. EUVProtokoll mindestens zwei Drittel des gezeichneten Kapitals der EZB und mindestens die Hälfte der Anteilseigner vertreten. Die sechs Mitglieder des Direktoriums müssen in Bank- und


Der Aufbau der Europäischen Währungsunion

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Währungsfragen anerkannte Fachleute sein (Art. 11 Abs. 2 EUVProt.) Sie werden auf Empfehlung des Rates, der hierzu das Europäische Parlament und den EZB-Rat anhört, von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedländer einvernehmlich gewählt. Die Amtszeit des Präsidenten beträgt 8 Jahre; der Vizepräsident wird auf 4, die vier weiteren Mitglieder des Direktoriums werden auf 5 bis 8 Jahre ernannt. Wiederernennung ist in keinem Fall zulässig (Art. 50 EUV-Prot.). Das Direktorium führt die Geldpolitik gemäß den Entscheidungen des EZB-Rates durch und ist für die laufende Geschäftsführung der EZB verantwortlich. Der Erweiterte Rat der EZB setzt sich nach Artikel 45 EUV-Protokoll aus dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der EZB und den Präsidenten aller nationalen Zentralbanken zusammen. Die weiteren Mitglieder des Direktoriums können an den Sitzungen des Erweiterten Rates teilnehmen, besitzen aber kein Stimmrecht. Das Europäische Währungsinstitut (EWI) wurde als temporäres Organ gegründet, um die Voraussetzungen für den Übergang der Mitgliedstaaten vom ESZB in die Europäische Währungsunion zu schaffen. Das EWI ist fast genauso aufgebaut wie die EZB, von der es nach Abschluss seiner koordinierenden Vorbereitungsarbeiten abgelöst wird. Kommentar

Durch seinen institutionellen Aufbau wurde dem ESZB genügend zentralisierte Macht verliehen, um eine wirkungsvolle Kontrolle über das europäische Währungssystem auszuüben. Die nationalen Zentralbanken und ihre jeweiligen Staaten müssen einen Teil ihrer Souveränität und Machtbefugnisse an die EZB abtreten. Das System weist keine sichtbaren strukturellen Mängel auf, die eine Geldschöpfung oder -verflüssigung durch einen einseitigen nationalen Beschluss ermöglichen könnten. Die Struktur scheint im großen und ganzen effizient zu sein – vielleicht abgesehen davon, dass der Erweiterte Rat als zusätzliches Beschlussorgan neben dem EZB-Rat früher oder später überflüssig sein wird. Die Zentralisierung der monetären Macht kann sehr sinnvoll oder auch sehr gefährlich sein, je nachdem, wie klug sie umgesetzt wird. Eine gemeinsame Währung für die ganze Union bietet einige kla-


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Die Europäische Währungsunion

re Vorteile: Sie wird den Handel, die Preisbildung und den Zahlungsverkehr erleichtern. Außerdem kann sie die Gemeinschaft vor unberechenbaren Devisentransaktionen schützen. Das ESZB birgt aber auch eine Gefahr, die nicht klar erkannt wird: Von einem einzigen Machtzentrum geht ein größeres Potential für katastrophale Fehlentscheidungen aus als von zehn mehr oder weniger unabhängigen, ihren Wahlbezirken näherstehenden Entscheidungszentren. Man denke nur an den monetären Würgegriff, in dem Europa 900 Jahre lang von der Goldmacht Byzanz gehalten wurde. Man kann natürlich behaupten, dass wir es heute besser wissen; das ist sicher richtig. Die Unbeugsamkeit von Byzanz war jedoch teilweise auf eine Form der religiösen Ideologie zurückzuführen, die nach wie vor ein wesentliches Element der menschlichen Natur ist. Heutzutage offenbart sich diese Ideologie weniger in Kirchen und Tempeln als in der starren ideologischen Haltung einiger Mitglieder der Ökonomenzunft. Das erklärte Ziel, die Führungspositionen der EZB ausschließlich mit »in Währungs- oder Bankfragen anerkannten und erfahrenen Persönlichkeiten« zu besetzen, ist keine gute Idee, wenn es zu monolithisch ausgerichteten Beschlussorganen führt, die dazu neigen, dem Diktat währungspolitischer Theorien zu gehorchen, anstatt die Auswirkungen ihrer währungspolitischen Aktionen auf die Wirtschaft und die Menschen aufmerksam zu beobachten. Eine personelle Beschränkung der Führungspositionen auf Persönlichkeiten, die im wesentlichen mit denselben Wirtschaftstheorien indoktriniert sind, ist sehr gefährlich, da diese Theorien – wie schon im 12. und 13. Kapitel erläutert – ja selbst im Laufe der Zeit so gestaltet wurden, dass sie bestimmten Interessen dienen. Selbstverständlich müssen Positionen, die ein hohes Maß an Fachwissen erfordern, auch mit den dafür am besten geeigneten Fachleuten besetzt werden. Doch Technokratie ist nicht gleichbedeutend mit Führungskompetenz, Weitblick und Urteilsvermögen – und genau diese Fähigkeiten sind für die Führung eines Währungssystems erforderlich. Es ist dringend geboten, größere Anstrengungen zu unternehmen, um das Meinungsspektrum auf der Führungsebene des ESZB breiter zu fächern.


Die Inhaber der EZB

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Die Inhaber der EZB Die EZB wird vollständig im Besitz der nationalen Zentralbanken sein, die nach dem gemäß Artikel 29 EUV-Protokoll festgelegten Schlüssel jeweils einen bestimmten Anteil des EZB-Kapitals zeichnen. Diese Kapitalanteile können nicht verkauft oder übertragen werden. Das Kapital beträgt 5 Milliarden ECU (Art. 28). Die EZB wird gemäß Artikel 30 von den nationalen Zentralbanken mit Währungsreserven, die jedoch nicht aus den Währungen der Mitgliedstaaten, ECU, IWF-Reservepositionen und SZR gebildet werden dürfen, bis zu einem Gegenwert von 50 Milliarden ECU ausgestattet. Der EZB-Rat entscheidet über den von der EZB nach ihrer Einrichtung einzufordernden Teil sowie die zu späteren Zeitpunkten einzufordernden Beträge. Gemäß Artikel 32 werden die »monetären Einkünfte«, die den nationalen Zentralbanken aus der Erfüllung der währungspolitischen Aufgaben des ESZB zufließen, von ihren jeweiligen einkommensfördernden Aktivitäten bestimmt und am Ende des Geschäftsjahres nach einem bestimmten Verfahren verteilt. Aus diesem Nettogewinn wird nach Artikel 33 ein vom EZB-Rat zu bestimmender Betrag, der 20 % des Nettogewinns nicht übersteigen darf, dem allgemeinen Reservefonds zugeführt. Kommentar

Durch den Ausschluss privater Anteilszeichnungen an der EZB hat es die Europäische Gemeinschaft klugerweise vermieden, eine Institution zu gründen, die dafür anfällig ist, bedeutende monetäre Entscheidungen im Interesse ihrer Inhaber und nicht im Interesse einer guten Funktionsfähigkeit des Währungssystems zu treffen. Dennoch besteht die Gefahr, dass die Führungskräfte der EZB im Interesse ihrer früheren oder zukünftigen Arbeitgeber, ihrer subjektiven Klassenzugehörigkeit oder sogar ihrer Freunde und Geschäftspartner handeln. Dies ist ein weiterer Grund für eine breiter gefächerte Organisationsstruktur.


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Die Europäische Währungsunion

Berichte und Überprüfung Die EZB wird nach Artikel 15 EUV-Protokoll wöchentlich einen konsolidierten Ausweis, mindestens vierteljährlich einen Bericht über die Tätigkeit des ESZB und einen Jahresbericht über die Tätigkeit des ESZB und die Geld- und Währungspolitik im vergangenen und im laufenden Jahr veröffentlichen. Die Jahresabschlüsse der EZB und der nationalen Zentralbanken werden gemäß Artikel 27 EUV-Protokoll von unabhängigen externen Rechnungsprüfern, die vom EZB-Rat empfohlen und vom Rat anerkannt wurden, geprüft. Die Rechnungsprüfer sind befugt, alle Bücher und Konten der EZB und der nationalen Zentralbanken zu prüfen und alle Auskünfte über deren Geschäfte zu verlangen. Die monetären Entscheidungen werden allerdings nicht öffentlich getroffen: Alle Sitzungsprotokolle sind vertraulich zu behandeln, und die Mitglieder der Leitungsgremien und des Personals der EZB und der nationalen Zentralbanken dürfen nach Artikel 38 auch nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses keine der Geheimhaltungspflicht unterliegenden Informationen weitergeben. Kommentar

Die rechtzeitige Veröffentlichung von Berichten sowie eine unabhängige Rechnungsprüfung mögen selbstverständlich erscheinen, stellen aber in der Tat ein wesentliches Merkmal der Europäischen Währungsunion dar. Europäer sind wahrscheinlich erstaunt über die Tatsache, dass das Federal Reserve System der USA niemals von unabhängigen Rechnungsprüfern kontrolliert worden ist – ebensowenig wie sein Vorbild, die Bank of England, die jahrelang keine Berichte, nicht einmal für ihre Anteilseigner, erstellt hatte. Die Geheimhaltungspflicht für Sitzungen und andere Angelegenheiten geben hingegen Anlass zu ernster Sorge. Sicher darf es die EZB den Spekulanten nicht leichtmachen, ihre Politik zu durchkreuzen oder zu Unrecht von ihr zu profitieren. Doch dieses Ziel kann sie auch erreichen, ohne der Institution einen geheimnistuerischen Anschein zu geben; denn dies könnte zu schlimmeren Problemen führen als die Spekulanten.


Konvergenzkriterien

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Konvergenzkriterien In den Stufen hin zur Währungsunion müssen die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur gegenseitigen Abstimmung bestimmter grundlegender Bezugsgrößen im wirtschafts- und währungspolitischen Bereich ergreifen: Die Haushaltsdefizite der Mitgliedstaaten sollen gemäß Art. 104c EGV sowie Art. 1 des »EUV-Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit« 3 % des geplanten oder tatsächlichen Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen nicht übersteigen; die Staatsverschuldung soll 60 % des Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen nicht übersteigen. Die Mitgliedstaaten sollen gemäß Art. 1 des Protokolls über die Konvergenzkriterien nach Art. 109j EGV eine anhaltende Preisstabilität und eine während des letzten Jahres vor der Prüfung gemessene durchschnittliche Inflationsrate aufweisen, die um nicht mehr als 1,5 % über der Inflationsrate jener – höchstens drei – Mitgliedstaaten liegt, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben. Die Inflation wird anhand des Verbraucherpreisindexes auf vergleichbarer Grundlage unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Definitionen in den einzelnen Mitgliedstaaten gemessen. Wechselkursstabilität wird laut Art. 109j EGV dadurch erzielt, dass die Mitgliedstaaten die normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems seit mindestens zwei Jahren ohne Abwertung gegenüber der Währung eines anderen Mitgliedstaats einhalten müssen. Die Zinssätze, die anhand langfristiger Staatsschuldverschreibungen oder vergleichbarer Wertpapiere unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Definitionen in den einzelnen Mitgliedstaaten gemessen werden, dürfen gemäß Artikel 4 EUV-Protokoll um nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem entsprechenden Satz in jenen – höchstens drei – Mitgliedstaaten liegen, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben.


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Kommentar

Die Konvergenzkriterien, vor allem hinsichtlich der Defizite, stellen die Fähigkeit der Mitgliedstaaten, hohen Anforderungen gerecht zu werden, auf eine harte Probe. Dass die Erfüllung der Kriterien sogar den wirtschaftlich stärksten Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bereitet, deutet darauf hin, dass die Bedingungen zu willkürlich und zu anspruchsvoll waren. Vielleicht sollte man an der Vorgabe, dass die Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte 3 % des Bruttoinlandsproduktes nicht übersteigen darf, nicht allzu rigide festhalten, sondern akzeptieren, dass dieser Wert manchmal auch überschritten werden muss. Die wahre Bedeutung der Konvergenzerfordernisse wird sich vielleicht daran messen, ob die Europäische Gemeinschaft das für ein gutes Funktionieren des ESZB notwendige Maß an Flexibilität aufbringt. Das Beispiel Deutschlands, das sich so sehr um eine Erfüllung der Konvergenzkriterien und um eine Vorbildfunktion in der EU bemühte, dass es sogar einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf 12 % in Kauf nahm, ist meines Erachtens ein Warnsignal dafür, dass das Währungssystem möglicherweise von Ideologien beherrscht werden könnte, anstatt seine Aufgabe einer Verbesserung der Lebensbedingungen in der Europäischen Union zu erfüllen.

Methoden der Geldschöpfung Die Schlüsselfunktion eines Währungssystems besteht in der Schöpfung von neuem Geld, das dem System zugeführt wird, und in der Entnahme von Geld aus dem Umlauf. Diese Funktion ist von größter Bedeutung, da sie die Hauptmöglichkeit einer Kontrolle des Geldsystems beinhaltet. Mit der Geldschöpfungsfunktion kann festgelegt werden, dass genügend Geld im Umlauf ist und die Industrie floriert. Diese Funktion ist zudem wichtig, weil es normalerweise notwendig und stets wünschenswert ist, der Festlegung auf eine Methode der Geldschöpfung eine exakte Definition des Geldbegriffs in dem betreffenden Währungssystem zugrunde zu legen. Die EZB übt die wirksame Kontrolle über mehrere Methoden der Geldschöpfung und -verflüssigung wie folgt aus:


Methoden der Geldschöpfung

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Festlegung der Geldpolitik

Gemäß Artikel 12 EUV-Protokoll legt der EZB-Rat die Geldpolitik der Gemeinschaft fest – gegebenenfalls einschließlich von Entscheidungen über geldpolitische Zwischenziele, Leitzinssätze und die Bereitstellung von Zentralbankgeld im ESZB – und erlässt die für ihre Ausführung notwendigen Leitlinien. Die EZB nimmt die nationalen Zentralbanken zur Durchführung von Geschäften, die zu den Aufgaben des ESZB gehören, in Anspruch. Nach Artikel 14 handeln die nationalen Zentralbanken als integraler Bestandteil des ESZB gemäß den Leitlinien und Weisungen der EZB. Der EZB-Rat trifft die notwendigen Maßnahmen, um die Einhaltung der Leitlinien und Weisungen der EZB sicherzustellen; er kann verlangen, dass ihm hierzu alle erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt werden. Gemäß Artikel 17 können die EZB und die nationalen Zentralbanken für Kreditinstitute, öffentliche Stellen und andere Marktteilnehmer Konten eröffnen und Vermögenswerte, einschließlich Schuldbuchforderungen, als Sicherheit hereinnehmen. Banknoten

Die offensichtlichste Methode der Geldschöpfung ist die Ausgabe von staatlichen Banknoten und die Prägung von Geldmünzen. Nach Artikel 16 EUV-Protokoll, der sich auf Artikel 105 Absatz 1 EGV bezieht, hat der EZB-Rat das ausschließliche Recht, die Ausgabe von Banknoten innerhalb der Gemeinschaft zu genehmigen. Die EZB und die nationalen Zentralbanken sind zur Ausgabe von Banknoten berechtigt. Die von der EZB und den nationalen Zentralbanken ausgegebenen Banknoten sind die einzigen Banknoten, die in der Gemeinschaft als gesetzliches Zahlungsmittel gelten. Münzgeld wird in begrenzten Mengen von den nationalen Zentralbanken geprägt werden. Die Monetisierung von Schulden

Eine bedeutende Methode der Geldschöpfung ist die Monetisierung der Staatsschulden. Die Monetisierung öffentlicher Schulden durch das ESZB und die EZB ist verboten, da nach Artikel 104 EGV Überziehungsfazilitäten bei der EZB oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten ebenso verboten sind wie der unmittelbare Erwerb von


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Die Europäische Währungsunion

Schuldtiteln von den Regierungen der Mitgliedländer und ihren Institutionen durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken. Darüber hinaus haftet die Europäische Gemeinschaft nach Artikel 104b nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen. Im Wortlaut heißt es in Artikel 104 Absatz 1: »Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der EZB oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten […] für Organe oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken.« Offenmarkt- und Kreditgeschäfte

Die Zentralbanken »monetisieren« außerdem auch »Schulden«, indem sie staatliche und andere Schuldtitel durch Offenmarktgeschäfte erwerben. Dadurch wird neues Geld in den Umlauf gepumpt. Durch den Verkauf ihrer Schuldtitel wird das Geld wieder aus dem Umlauf gezogen. Nach Artikel 18.1. EUV-Protokoll können die EZB und die nationalen Zentralbanken auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie auf Gemeinschafts- oder Drittlandswährungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere sowie Edelmetalle endgültig (per Kasse oder Termin) oder im Rahmen von Rückkaufsvereinbarungen kaufen und verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen; sie können ferner Kreditgeschäfte mit Kreditinstituten und anderen Marktteilnehmern abschließen, wobei für die Darlehen ausreichende Sicherheiten zu stellen sind. Gemäß Artikel 18.2. stellt die EZB allgemeine Grundsätze für ihre eigenen Offenmarkt- und Kreditgeschäfte und die der nationalen Zentralbanken auf; hierzu gehören auch die Grundsätze für die Bekanntmachung der Bedingungen, zu denen sie bereit sind, derartige Geschäfte abzuschließen. Kreditschöpfung durch ein System der begrenzten Reservehaltung

Seit dem Zerfall von Byzanz haben Geschäftsbanken durch Kreditgewährung Geld geschöpft – durch Eintragung von Gutschriften in ihre Bücher. Die Zentralbanken können dieses Geldschöpfungspo-


Methoden der Geldschöpfung

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tential steigern oder verringern, indem sie das für die Kreditgewährung erforderliche Mindestreservesoll der Banken erhöhen oder senken. Mindestreserven

Gemäß Artikel 19 EUV-Protokoll kann die EZB zur Verwirklichung der geldpolitischen Ziele verlangen, dass die in den Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute Mindestreserven auf Konten bei der EZB und den nationalen Zentralbanken unterhalten. Verordnungen über die Berechnung und Bestimmung des Mindestreservesolls können vom EZB-Rat erlassen werden. Bei Nichteinhaltung kann die EZB Strafzinsen erheben und sonstige Sanktionen mit vergleichbarer Wirkung verhängen. Der EZB-Rat wird die Basis für die Mindestreserven und die höchstzulässigen Relationen zwischen diesen Mindestreserven und ihrer Basis sowie die angemessenen Sanktionen festlegen, die bei Nichteinhaltung anzuwenden sind. Die Notfallklausel

Wohl um auf Notfälle oder andere unerwartete Entwicklungen reagieren zu können, kann der EZB-Rat gemäß Artikel 19 EUV-Protokoll mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen über die Anwendung anderer Instrumente der Geldpolitik entscheiden, die er bei Beachtung des Artikels 2 für zweckmäßig hält. Der Rat legt nach dem Verfahren des Artikels 42 EGV den Anwendungsbereich solcher Instrumente fest, wenn sie Verpflichtungen für Dritte mit sich bringen. Kommentar

Hinsichtlich der Geldschöpfungsbefugnis fehlen zwei entscheidende Punkte, die ergänzt werden sollten. Zum einen geht es bei der EZB um die Schöpfung, Kontrolle und Verflüssigung von Geld, aber eine klare Gelddefinition sucht man vergeblich. Hält die Bank sie etwa für überflüssig? Das Fehlen einer guten Gelddefinition in der USVerfassung führte dazu, dass die Geldmacht letztendlich das gesamte System beherrschen konnte. Durch die Festsetzung des Euro-Kurses auf der Basis der nationalen Währungen wird zwar sein Wert an diesem Anfangspunkt fest-


504

Die Europäische Währungsunion

gelegt, doch wird der Euro damit nicht seinem Wesen nach definiert. Allenfalls lässt sich daraus eine verworrene Gelddefinition ableiten: Geld, das durch verschiedene bestehende Vermögenswerte, Waren, staatliche und andere Wertpapiere »gedeckt« (aber nicht in diese Werte einlösbar) ist. In diesem System ist Geld zwar völlig zu Recht das, was die EZB als Geld bestimmt, doch sie sollte eindeutig erklären, was Geld ist! Um nicht nur allen Beteiligten, sondern auch sich selbst Unklarheiten und Fehler zu ersparen, sollte die EZB jetzt eine explizite und eindeutige Gelddefinition vorlegen. Selbst wenn diese Definition unvollkommen und lückenhaft ist, wird es einfacher sein, sie bei einer späteren Überprüfung zu korrigieren und mit dem wirklichen Wesen des Geldes in Übereinstimmung zu bringen. Der zweite wesentliche Faktor, der bei der Geldschöpfung fehlt, ist eine genaue Diskussion darüber, wie die EZB das neue Geld schöpfen wird, wenn die Bevölkerung, die Industrie und der Handel in Europa wachsen. Welche Leitlinien werden dann den Entscheidungen zugrunde gelegt? Wird das Geldwachstum auf das Bevölkerungswachstum ausgerichtet sein? Wird es bei einem Wachstum im Produktions- und Dienstleistungssektor nach oben angeglichen? Wird es von der Außenhandelsbilanz abhängig sein? Die Europäische Union muss diese Fragen jetzt erkennen und ernsthaft diskutieren, wenn das Vertrauen in die allgemeine Gerechtigkeit des Systems gefördert werden soll. Die EZB wird solche Leitlinien außerdem auch zur Erfüllung ihrer eigenen Pflichten benötigen.

Das Problem der begrenzten Reservehaltung in der Europäischen Währungsunion Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Absicht der EZB, eine Kreditgewährung der Banken auf der Grundlage begrenzter Reservehaltung zuzulassen. Die durch die begrenzte Reservehaltung entstehenden Probleme wurden bereits im 20., 21. und 22. Kapitel besprochen: Die Geldschöpfungsbefugnis geht vom Staat (also dem Volk) an die Bankiers über. Auch wenn europäische Bankiers wahrscheinlich nicht mit amerikanischen Bankiers vergleichbar sind und in der Vergangenheit


Das Problem der begrenzten Reservehaltung

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nicht so skrupellos vorgegangen sind, bleibt doch die Tatsache bestehen, dass den Bankiers mit dem Vorrecht der Geldschöpfung ein enormes Privileg zuteil wird. Dieses Privileg führt zu einer weiteren Vermögens- und Machtkonzentration in den Händen der Bankiers, die ihnen nicht zusteht. Dies ist ein großer Fehler. Darüber hinaus kann dieses Privileg, wie im 21. Kapitel gezeigt wurde, Panik und Zusammenbrüche auf den Geld- und Bankenmärkten auslösen. Eine 100-prozentige Reservehaltung könnte nach dem im 21. Kapitel erörterten Plan umgesetzt werden, wenn man einmal davon absieht, dass dies den politischen Tod der Europäischen Währungsunion bedeuten würde, da die Bankiers eine begrenzte Reservehaltung unter ihren alten nationalen Systemen einer 100-prozentigen Reservehaltung in der Europäischen Gemeinschaft vorziehen würden. Wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, das System der begrenzten Reservehaltung abzuschaffen, sollte sie unter allen Umständen genutzt werden. Falls die begrenzte Reservehaltung jedoch eine politische Notwendigkeit für das Fortschreiten der Währungsunion darstellt, sollte die Lösung dieses Problems ganz oben auf der Liste der Reformvorhaben stehen. Es würde ihrem obersten Ziel sehr zuwiderlaufen, wenn die EZB hauptsächlich durch begrenzte Reservehaltung Geld schöpfen würde. Die EZB muss dies unabhängig und unmittelbar tun können. Sie muss fähig sein, Geld quasi aus dem Nichts zu schöpfen. Ohne diese Kompetenz wäre sie ein Eunuch unter den großen Zentralbanken der Welt, und die Europäische Gemeinschaft würde die Nachteile einer zentralisierten Kontrolle hinnehmen, ohne von ihrem größten Vorteil zu profitieren. Und doch finden sich im Protokoll über die Satzung des ESZB und der EZB nur dürftige Hinweise auf die Reservenschöpfungsbefugnisse der EZB oder auf die beabsichtigte Verwendung der Reserven: »Der EZB-Rat legt die Geldpolitik der Gemeinschaft fest, gegebenenfalls einschließlich von Entscheidungen in bezug auf geldpolitische Zwischenziele, Leitzinssätze und die Bereitstellung von Zentralbankgeld im ESZB, und erlässt die für ihre Ausführung notwendigen Leitlinien« (Artikel 12.1. EUV-Protokoll). Dies ist schlicht keine angemessene Erörterung der Frage, wie Reserven ohne Edelmetalldeckung geschaffen werden sollen. Es


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scheint, als wollten die Vertragsparteien diese Befugnis (die es wirklich gibt) nicht klar benennen, weil sie befürchten, dass dann vielleicht bestimmte Teile der Gemeinschaft eine Ausweitung der Geldmenge fordern könnten. Das erinnert an die Tempelpriester, die sich vor dem Allerheiligsten bis zum Boden beugten, weil sie Angst hatten oder weil es ihnen verboten war, »die Macht« zu berühren oder sie auch nur direkt anzusehen.

Soll neues Geld auf Außenhandelsüberschüssen basieren? Da die Bundesbank bislang stark auf Außenhandelsüberschüsse angewiesen war, um Dollarreserven zu erhalten, besteht eine gewisse Hoffnung, dass diese Praxis auch von der EZB fortgesetzt wird. Doch diese Methode der Reservenschöpfung ist problematisch und beantwortet nicht die Frage nach dem Wesen des Geldes. Man bedenke nur, dass deutsche Arbeit, die billiger war als amerikanische Arbeit, nun mit asiatischer Arbeit konkurrieren muss, die so billig ist, dass sie fast Sklavenarbeit gleichkommt. Wie kann man verlangen, dass europäische Arbeit mit asiatischer Arbeit konkurrieren soll, wenn in Asien amerikanische Banken den Bau von Fabriken finanzieren, die dem neusten Stand der Technik entsprechen? Dies ist nur möglich, wenn auch in Europa eine Form der Sklavenarbeit eingeführt wird. Dass nun in Deutschland die sogenannten »620-Mark-Jobs« diskutiert werden, ist deshalb kein gutes Zeichen. Das Europäische System der Zentralbanken wird also direkt mit der Frage konfrontiert sein, wie es innerhalb des Systems neues Geld schöpfen will. Mehr zu verkaufen, als zu kaufen, führt in jedem Fall zu Reibungen mit den Handelspartnern. Ein solcher Umgang mit dem Geldsystem ist mit einem Murmelspiel vergleichbar, bei dem der »Gewinner« die Murmeln mit nach Hause nimmt, um seinen bereits bestehenden Murmelvorrat zu vergrößern. Die einzige Zeit, in der diese Geldschöpfungspolitik gut funktionierte, war die Phase, in der man eine Verteilung der in den USA übermäßig konzentrierten Geldreserven auf den Rest der Welt für wünschenswert hielt. Es ist an der Zeit, dass die Zentralbankiers ihren wirklichen Pflichten


Es gibt keine Alternativen zur EWU

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gegenüber ihrem eigenen Land und gegenüber anderen Nationen nachkommen. An einem solchen Punkt sollten sich die Europäer erinnern, dass das ESZB die Geldmacht enthält, um sich erfolgreich zu entfalten, und nicht nur, um das Wirtschaftswachstum zu fördern. Es kann von dieser Kompetenz Gebrauch machen, wenn der Wille dazu vorhanden ist; er wird vorhanden sein.

Die Gelddefinition ist die Aufgabe des Europäischen Währungsinstituts Gegenwärtig kommt dem Europäischen Währungsinstitut (EWI) die Aufgabe zu, den Geldbegriff zu definieren und Leitlinien zu erarbeiten, nach denen die Art und Weise sowie die Quantität der Geldschöpfung geregelt werden. So heißt es in Artikel 4.2. des Protokolls über die Satzung des Europäischen Währungsinstituts: »Das EWI legt bis zum 31. Dezember 1996 in regulatorischer, organisatorischer und logistischer Hinsicht den Rahmen fest, den das ESZB zur Erfüllung seiner Aufgaben […] benötigt. […] In Einklang mit Artikel 104f Absatz 3 dieses Vertrages gehören zu den diesbezüglichen Tätigkeiten des EWI insbesondere die Entwicklung der Instrumente und Verfahren, die zur Durchführung einer einheitlichen Währungspolitik in der dritten Stufe erforderlich sind, […]« Das EWI sollte aufgefordert werden, diese Leitlinien jetzt zu spezifizieren, so dass sie innerhalb der Europäischen Gemeinschaft diskutiert werden und die Menschen sich von ihrer Angemessenheit überzeugen können. Schließlich handelt es sich dabei nicht um Nebensächlichkeiten.

Es gibt keine Alternativen zur EWU Warum soll man die Währungsunion überhaupt verwirklichen, wenn sie auf einem ungerechten System der begrenzten Reservehaltung basieren wird? Dies ist eine berechtigte Frage, die eine Antwort verlangt. Die Europäische Währungsunion muss verwirklicht werden, weil es in der Tat keine Alternative zu ihr gibt, wenn man be-


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Die Europäische Währungsunion

denkt, dass Europa der monetären Vorherrschaft des Federal Reserve System und der Vorherrschaft derjenigen ausgesetzt ist, die das weltweite Finanzsystem auf der Basis des Dollars kontrollieren. Im 2. Kapitel wurde am Beispiel der Einführung des Goldstandards in Rom durch die Cäsaren gezeigt, wie gefährlich es sein kann, die Kontrolle des Geldsystems an außerhalb der Gesellschaft stehende Instanzen zu übertragen. Erst kürzlich zeigte das Währungsdebakel in den südostasiatischen Staaten 1997/98, wie gefährlich es ist, die Wirtschaft eines Landes auf die Grundlage einer Währung oder Währungseinheit zu stellen, die vom Ausland aus kontrolliert wird. Vor dieser Krise konnten internationale Unternehmen Indonesierinnen und Indonesier für einen Wochenlohn von umgerechnet 4 oder 5 Dollar in der Landeswährung beschäftigen. Aufgrund des Wertverlustes der indonesischen Währung um 75 % wurden die Löhne inzwischen um ebenfalls 75 % gekürzt. Diese Entwicklung zog einen Regierungswechsel nach sich und räumte politisch verwurzelte einheimische Konkurrenten aus dem Weg. Diese Erfahrung wirft ein Schlaglicht auf ein System des unbegrenzt freien Währungshandels und auf die daraus resultierende Mobilisierung von Milliarden von Dollars, die ohne Vorankündigung im Handumdrehen eingesetzt werden können. Es hat sich herausgestellt, dass dieses System zu noch katastrophaleren Ergebnissen führen kann als der alte internationale Goldstandard, da es Währungsspekulanten in die Lage versetzt, über das Schicksal ganzer Nationen zu bestimmen. Die Europäische Zentralbank kann dank ihrer rechtmäßig erteilten Geldschöpfungsvollmacht, die durch die Größe und die Produktionskapazität Europas gedeckt ist, genügend Stärke beweisen, um die Währungsmanipulatoren in Schach zu halten. Dies käme den Völkern Europas sowie Amerikas zugute. In den Artikeln 73f und 73g EGV sind die wesentlichen Befugnisse zur Verhinderung von Währungsmanipulationen niedergelegt. Die EZB kann gegen störende Kapitalbewegungen nach oder aus Drittländern sechs Monate lang Schutzmaßnahmen treffen. Zudem kann jeder Mitgliedstaat einseitige Maßnahmen gegen Drittländer ergreifen.


Institutionalisierung eines Prüfungsverfahrens

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Der Sonderfall Großbritannien

Die Staaten auf dem europäischen Kontinent haben kluge Maßnahmen getroffen, um Großbritannien in das Europäische Währungssystem einzubinden. Dieses Ziel ist wichtiger, als es oberflächlich erscheinen könnte. Ohne ein zu dramatisches Bild zu zeichnen, kann man sich doch vorstellen, dass in England immer noch die mächtigen Überreste der ruchlosen Bank-of-England-Bande auf der Lauer liegen – etwas höflicher kann man sie auch als einen durch Doktrinen, Verwandtschaft oder Finanzen verflochtenen Überrest bezeichnen. Mit dem Beitritt Großbritanniens zum EWS werden die Möglichkeiten dieser Bankiersbande, das Währungssystem in Amerika oder Europa zu stören, erheblich eingeschränkt, und die Gruppe wird folglich isoliert werden. Die Europäische Gemeinschaft sollte diesen sanften Kurs weiter verfolgen, bis die Briten voll und ganz davon überzeugt sind, dass es in ihrem besten Interesse ist, sich mit Europa zusammenzuschließen. Was auch immer kommen mag, die Tür zum gemeinsamen Europa sollte für Großbritannien zu vorteilhaften Bedingungen stets offenstehen. Rechenschaftspflicht

Artikel 35.1. EUV-Protokoll ist von großer Bedeutung, denn er erklärt den Europäischen Gerichtshof zuständig für die Überprüfung und Auslegung der Handlungen und Unterlassungen der EZB. Eine mögliche Unterlassung der EZB wäre beispielsweise, wenn sie nicht in der Lage wäre, eine angemessene, für Industrie und Handel ausreichende Geldversorgung sicherzustellen. Manche Zentralbank, die dieser Verpflichtung nicht nachkam, wurde in der Vergangenheit verklagt, wie das im 16. Kapitel geschilderte Beispiel in den USA zeigte.

Institutionalisierung eines Prüfungsverfahrens Zur kritischen Überprüfung der Funktionsweise der EZB nach 5, 10, 20 und 40 Jahren schlage ich die Einführung eines automatischen formellen Prüfungsverfahrens vor. Falls erforderlich, könnte ein Ausschuss auf breiter Basis in Zusammenarbeit mit dem Gerichts-


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hof Empfehlungen mit dem notwendigen »Biss« für eine Revision der EZB-Tätigkeiten vorlegen. Erklärte Ziele

Gemäß Artikel 105 Absatz 1 EGV ist das vorrangige Ziel des ESZB die Preisstabilität. Nach Absatz 2 bestehen die grundlegenden Aufgaben des ESZB darin, die Geldpolitik der Gemeinschaft festzulegen und auszuführen, Devisengeschäfte im Einklang mit Artikel 109 durchzuführen und die offiziellen Währungsreserven der Mitgliedstaaten zu halten und zu verwalten. Doch als die wichtigste Erklärung in den Gründungsurkunden der EZB könnten sich die Ziele herausstellen, die in Artikel 2, »Aufgabe der Gemeinschaft«, im ersten mit »Grundsätze« überschriebenen Teil des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) genannt werden: »Aufgabe der Gemeinschaft ist es, […] eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, ein beständiges, nichtinflationäres und umweltverträgliches Wachstum, einen hohen Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.« Zugleich wird aber betont, dass dies »ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität« (Artikel 2 EUV-Protokoll) erfolgen müsse. Kommentar

Hier treten die Meinungsverschiedenheiten, die sich hoffentlich zu einem gesunden Kräfteausgleich in der Europäischen Gemeinschaft entwickeln werden, klar zutage. Einerseits sieht man deutliche Fußspuren der »Hohenpriester« der Ökonomie und des Bankwesens, die offenbar ernsthaft glauben, dass »Preisstabilität« ein ausreichendes Maß für den Erfolg oder das Scheitern der Europäischen Währungsunion sei! Obwohl Preisstabilität sicherlich wichtig ist, darf sie nie das oberste Ziel sein. Stabil soll in erster Linie ein gut funktionierendes Währungssystem sein, das der Gesellschaft in korrekter Weise zur Verfügung gestellt wird.


Institutionalisierung eines Prüfungsverfahrens

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Artikel 2 EGV zeigt, wie wichtig es ist, dass das Offensichtliche beim Namen genannt wird. Denn es ist nicht für alle im selben Maße offensichtlich oder sogar wünschenswert. Artikel 2 EGV ist das menschliche Antlitz der Europäischen Währungsunion: Er enthält die Vorkehrungen, mit denen der schlimmste Missbrauch, den die kurzsichtigsten Führungskräfte vielleicht eines Tages mit der EZB treiben wollen, unter Kontrolle gebracht werden kann. Artikel 2 EGV enthält zudem implizit einen wichtigen monetären Grundsatz: die zutreffende Auffassung nämlich, dass ein Währungssystem so geführt werden muss, dass es die besten »lebenden« Ergebnisse erzielt und nicht nur mit der »toten« Theorie übereinstimmt. Mit anderen Worten: Der Erfolg eines Währungssystems soll sich nach den Resultaten bemessen lassen. Das Geldsystem soll der Diener sein, nicht der Herr. Die Verhinderung politischer Einflussnahme

Gemäß Artikel 7 EUV-Protokoll darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank, noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen. Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, diesen Grundsatz zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der EZB oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen. Kommentar

Hier spürt man wieder die Handschrift der Bankiers und Ökonomen. Wird die EZB an Versuchen der Einflußnahme auf die Mitgliedstaaten gehindert? Werden die politischen Auswirkungen, die bereits in den ökonomischen und monetären Grundsätzen, nach denen die EZB geführt wird, enthalten sind, ehrlich bestätigt, so dass sie jeder verstehen kann? In ihrer jetzigen Form beendet die EZB den viel zu technokratisch ausgerichteten Ansatz nicht, nach dem das europäische Währungssystem geführt wird. Es fehlt an ausreichenden, schriftlich niedergelegten Überlegungen und detaillierten Bestimmungen hinsichtlich der menschlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürf-


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Die Europäische Währungsunion

nisse, die das Geldsystem befriedigen muss. Der Versuch, diese Elemente mit dem Mantra »Preisstabilität« zu verknüpfen, kann als Indiz für die Beweggründe einiger der Organisatoren gewertet werden. Es ist kein Geheimnis, dass Preisstabilität – wenn sie durch eine übermäßige Begrenzung des Geldmengenwachstums erzielt wird – vermögende Anleiheinhaber auf Kosten sowohl der Industriellen als auch der weniger Wohlhabenden begünstigt und damit die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert – und zwar nicht aufgrund natürlicher Begabungen, Fähigkeiten oder produktiver Anstrengungen. Verursacher dieser Entwicklung ist immer jene Gruppe, die das Geldsystem kontrolliert und den Erfolg dieses Systems nach Kriterien bemisst und verkündet, die eigens dafür vorgesehen sind, ihr Vorteile zu verschaffen. Dies war schon immer die Grundregel fast aller Währungssysteme. Doch muss die Europäische Währungsunion diesen Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen. In den Gründungsurkunden lassen sich entsprechend wirksame Vorkehrungen treffen, um einen Schutz vor solchen Ungerechtigkeiten und ihren Folgen zu gewährleisten. Sollte dies nicht möglich sein, wird sich die Frage stellen, ob die Union strukturell in der Lage ist, nach einer allzu strengen Durchführung der Währungsunion intelligent zu reagieren und sich selbst zu korrigieren oder ob sie in ihre nationalen Bestandteile zerfallen wird.

Zusammenfassung Zum ersten Mal seit drei Generationen sind die Europäer von der Last des Wiederaufbaus zerstörter Infrastruktur, Fabriken und Häuser befreit. Sie stehen kurz davor, eine erhebliche Verbesserung ihres materiellen Wohlstandes und der damit einhergehenden sozialen Leistungen zu verwirklichen. Das größte Hindernis für einen solchen Erfolg könnte eine schlecht definierte Geldtheorie sein. Die Art und Weise, wie die Europäische Gemeinschaft an die Währungsunion herangeht – durch sorgfältige Überlegungen, Veröffentlichung und spätere Revision der Vertragsartikel unter fachkundiger Mitarbeit zahlreicher Gruppen und Nationalitäten –, ist einmalig in der Geschichte der Währungsreformen, vor allem verglichen mit der Geheimnistuerei, dem besonderen Umgang und den


Zusammenfassung

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Betrügereien, die einige bedeutende Reformen in der Vergangenheit geprägt haben, zum Beispiel die Gründung der Bank of England, der First und Second Bank of the United States und des Federal Reserve System. Die Herangehensweise an die Europäische Währungsunion ist deshalb ein gutes Vorzeichen für die Zukunft der Europäischen Union. Der Plan für die Währungsunion enthält allerdings in seiner neusten Fassung (die neusten verfügbaren Dokumente datieren vom Mai 1997) in mehreren Bereichen unzureichende Detailbestimmungen. Die erklärten Ziele lassen Widersprüche erkennen, die je nach Umsetzung der Pläne zu ernsten Problemen führen können und deshalb alarmieren. Die zwanghafte Fixierung auf das Gebot der Preisstabilität ist eines dieser Probleme. Das System sollte ideologische Sturheit unbedingt vermeiden und so flexibel sein, dass es seinen Kurs immer korrigieren kann. Diese sich abzeichnenden Probleme können durch eine Klarstellung des autonomen Charakters des Geldes – als gesetzlicher Institution der Gemeinschaft – und durch eine Spezifizierung der anfänglichen Leitlinien, an denen sich die EZB bei der Vergrößerung der Geldmenge orientieren wird, weitgehend entschärft werden. Ferner müssen die Kriterien feststehen, die eine Neuorientierung nach oben oder nach unten bedingen. Diese Fragen dürfen nicht im unklaren bleiben oder in einer überpräzisen Fachsprache dargelegt werden. Im Versuch, das Geldsystem von der Politik zu trennen, kommt das Misstrauen der Bevölkerung in diesen Angelegenheiten zum Ausdruck. Natürlich muss das Geldsystem genauso wie das Rechtswesen unabhängig sein; es muss aber auch rechenschaftspflichtig sein, und die Gemeinschaft äußert sich nun einmal (indirekt) über die Politik darüber, ob das Geldsystem gut funktioniert oder nicht. Die obersten Richter über das Geldsystem sind also in der Tat die Bürgerinnen und Bürger – und nicht etwa die Hohenpriester irgendeiner undefinierbaren Ideologie, der Vorstand einer Bank oder willkürlich aufgestellte Statistiken. Das Geldsystem findet seine Daseinsberechtigung darin, dass es der Allgemeinheit dient. Die Geschichte gibt uns keinen Anlass, mehr Vertrauen in die Geldsysteme zu setzen, die von Eliten kontrolliert werden, als in solche, die von den Bürgern kontrolliert werden – im Gegenteil.


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Quellennachweise

Einführung

26 Plato, Nomoi

(Die Gesetze), Fünftes Buch, 70, 723e–724

1

Del Mar, Monetary Systems, 101 von Mises, Theorie, 10 3 Andreades, Public Finance, 172–192 4 Freeman, Solon, Kap. 4 2

2. Kapitel Roms Bronzegeld: besser als Gold 1 Humphreys, Coins

1. Kapitel Die Ursprünge des Geldwesens

2 Livius, zitiert

and Medals nach Peruzzi, Early Rome,

228–245 3 Humphreys, Coins

1 Zarlenga, Refutation 2 Quiggin, Survey,

321–322 Money, 371 4 Laum, Heiliges Geld, 158–159 5 Nolan, Monetary History, Bd. 1 6 Westerman, Warehouse, 34 7 wie z. B. Lenormant und Humphreys 8 Ridgeway, Metallic Weights, 215 9 Quiggin, Survey, 322 10 Andreades, Public Finance, 172–192 11 Patterson, Stocks, 205–233 12 Walker, Bimetallism, 1–27 13 Ridgeway, Metallic Weights, 155–156 14 Seltman, Greek Coins, 101 15 Rostovtzeff, Hellenistic World, 385 16 Kraay, Greek Coins, 12 17 Ridgeway, Metallic Weights, 153–154, und Del Mar, History, 5 18 Freeman, Work, Kap. 4 19 Del Mar, Ancient Countries, 220–240 20 Lenormant, Monnaie, 218–220 21 Calhoun, Business Life, 22 22 Freeman, Work, 60–92 23 Aristoteles, Ethik, 1133a, 27–32 24 Aristoteles, Ethik, 1133b, 12–23 25 Übersetzt nach der englischen PlatoAusgabe von Jowett, 814 3 Einzig, Primitive

and Medals, 127–131 4 Peruzzi, Early Rome, 97, 275 5 Peruzzi, Early Rome, 171, 225 6 Mattingly, Roman Coins, 19 7 Del Mar, Ancient Countries, 242 8 Raper, zitiert nach McCulloch, Tracts on money, 585–586 9 Plinius D. Ä., zitiert nach Del Mar, Ancient Countries, Kap. 2 10 Frazer, Goldene Zweig, 507 11 Ferguson, Greek Imperialism, 126–130 12 Frazer, Goldene Zweig, 520–521 13 Mattingly, Roman Coins, 182 14 Mattingly, Roman Coins, 185–196 15 Aurelian, zitiert nach Gibbon, Decline, Vol. 1, 271 16 Humphreys, Coins and Medals, 176 17 Del Mar, Monetary Systems, 82

3. Kapitel Der Untergang Roms aus monetärer Sicht 1 Del

Mar, Monetary Systems, 164–174 Geschichte, zitiert nach der englischen Ausgabe Bd. 3, 497

2 Mommsen, Römische


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Quellennachweise

3 Lenormant, Monnaie,

14 Lane, Money

4 Del

15 Lane, Money

Vol. 2, 427 Mar, Monetary Systems, 135–136 5 Jacobs, Precious Metals, 354 6 Del Mar, Monetary Systems, 124 7 Rostovtzeff, Social History, 385–394 8 Plinius d. Ä., Naturalis Historia, xii, 8, und xxiii, 15 9 Locke, Money and Bullion, 19–20 10 Belloc, Crisis of Civilization, 44 11 Gibbon, Decline and Fall, Vol. 4, 1–61 12 Harwood, Yahweh, 338–339 13 Del Mar, Middle Ages, Kap. 5 14 Pirenne, Mohammed, 116 15 Del Mar, Middle Ages, Kap. 5 16 Pirenne, Mohammed, 164–165 17 Hendy, Monetary Economy, 450 18 Jacobs, Precious Metals, 236 19 Spufford, Money and its Use, 12 20 Cosmas Indicopleustes (edit Winstedt), zitiert nach Hendy, Monetary Economy, 81 21 Pirenne, Mohammed, 111–114 22 Lyan, Middle Ages, Bd. 2 23 Grierson, Monetary Reforms, Bd. 3, 3. Okt. 1960, 259, sowie ders. Dark Age, 239 24 Udovitch, Partnership, 52–54, 177 25 Pirenne, Mohammed, 174

4. Kapitel Die Wiedereinführung von Geld im Westen 1 Del

Mar, Monetary Systems, 116–117 and its use, Kap. 2 3 Del Mar, Middle Ages, Kap. 9 4 Eginhard, IV, 16; zitiert bei Del Mar, Middle Ages, 192–202 5 Del Mar, Middle Ages, Kap. 10 6 Spufford, Money and its use, 50–51 7 Burckhardt, Kultur der Renaissance, 47 8 Lane, Venetians Ships 9 Del Mar, Middle Ages, 245–250 10 Lane, Money and Banking 11 Lane, Money and Banking, 360–368 12 Lane, Money and Banking, 354 13 Roth, Venice and the Jews

and Banking, 315–340 and Banking, 370 16 Spufford, Money and its use, 340 17 Lane, Money and Banking, 431 18 Lane, Venice in History, 87–100

5. Kapitel Die Kreuzzüge beenden den monetären Würgegriff von Byzanz 1 Roth, Jewish

People, 13–25 85 3 Munro, Kingdom, 178 4 Munro, Kingdom, 82 5 Munro, Kingdom, 122–123 6 Munro, Kingdom, 110 7 Munro, Kingdom, 111 8 Munro, Kingdom, 173 9 Munro, Kingdom, 165–166 10 Munro, Kingdom, 168 11 Munro, Kingdom, 171 12 Munro, Kingdom, 137 13 Munro, Kingdom, 110–117 14 Baigent/Leigh, Tempel and Lodge, 42 15 Baigent/Leigh, Tempel and Lodge, 42–43 16 Godfrey, Unholy Crusade, 18 17 Godfrey, Unholy Crusade, 30–40 18 Godfrey, Unholy Crusade, 125–135 19 Jacobs, Precious Metals, 354 20 Baigent/Leigh, Temple and Lodge, 47 21 Addison, Knights Templar, 31 22 Baigent/Leigh, Temple and Lodge, 211, 219 2 Munro, Kingdom,

2 Spufford, Money

6. Kapitel Der Kampf um die monetäre Vorherrschaft in der Renaissance 1 De

Roover, Money Banking, 29 Europe, 57, 167 3 Usher, Deposit Banking, Kap.1 und 4 4 De Roover, Money Banking, 220–221 5 Pirenne, Medieval Europe, 110–115 6 Toppan, Paper 7 Ehrenberg, Fugger, 16–17 2 Pirenne, Medieval


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Quellennachweise 8 Pirenne, Medieval

Europe, 112–114 Mar, Monetary Systems, 282 10 Spufford, Money and its Use, 307 11 Usher, Deposit Banking, 195 12 De Roover, Money Banking, 57 13 Pirenne, Medieval Europe, 130–134 14 Usher, Deposit Banking, 237–238 15 Usher, Deposit Banking, 239–240 16 De Roover, Money Banking, 108 17 De Roover, Money Banking, 318–320, und Usher, Deposit Banking, Kap. 5 18 Spufford, Money and its Use, 259 19 Spufford, Money and its Use, 259 20 Toppan, Paper 21 Flynn, Men of Wealth, 33, und Ehrenberg, Fugger, 100–110 22 Ehrenberg, Fugger, 119 23 Ehrenberg, Fugger, 99 24 Strieder, Jacob Fugger, 154 25 De Roover, Money Banking, 57 26 De Roover, Money Banking, 173, 305 27 Dollinger, German Hansa, 206–226 28 Dollinger, German Hansa, 207–227 29 Dollinger, German Hansa, 205 30 De Roover, Money Banking, 227 31 Dollinger, Hansa, 206 32 De Roover, Money Banking, 340 9 Del

14 Dante, Divina

Commedia, Hölle, XVII, 46–57 15 Aristoteles, Politik, 58a 16 Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1122a 17 Noonan, Scholastic Analysis, 35 18 Thomas v. Aquin; Summa theologica, II.II. qu. 78. 19 Oberman, Luther, 201 20 zitiert nach Realencyklopädie Theologie, Bd. 21, Artikel Wucher 21 Strohm, Luthers Wirtschaftsethik 22 Calvin, Institutio, Buch 2, Kap. 2; 6 23 Belloc, Crisis, 116 24 Kampschulte, Calvin, Bd. 1, 430 25 Adams, 202–205 26 Noonan, Scholastik Analysis, 365–367 27 Troeltsch, Bedeutung, 356 28 Troeltsch, Bedeutung, 359 29 Belloc, Reformation, 155–175 30 Sombart, Juden, 242 31 Sombart, Juden, 293 32 Sombart, Juden, 294 33 Friedman, Capitalism and the Jews 34 Weber, Protestantische Ethik, 15–16 35 Weber, Protestantische Ethik, 92, Anm. 43 36 Weber, Protestantische Ethik, 54 37 Weber, Protestantische Ethik, 261, Anm. 252

7. Kapitel Scholastiker und Reformatoren 1 Del

Mar, Monetary Systems, 276–277 2 Langholm, Aristotelian Analysis 3 Langholm, Aristotelian Analysis 4 Wicksell, Geldzins und Güterpreise, vi 5 Noonan, Scholastic Analysis, 171–178 6 Noonan, Scholastic Analysis, Kap. 1 7 Noonan, Scholastic Analysis, 154 8 Homer, Interest Rates, 53–56 9 Darstellung nach Artikel Wucher in Realencyklopädie Theologie, Bd. 21 10 zitiert nach Noonan, Scholastic Analysis, 60–67 11 Noonan, Scholastic Analysis, 49 12 Pirenne, Cities, 126 13 zitiert nach Noonan, Scholastic Analysis, 58–65

8. Kapitel Das Jahr 1500 – Dreh- und Angelpunkt der Geschichte 1 Guggenbühl/Huber, Quellen, 2 Zitiert

9 nach del Mar, Precious Metals,

147 3 zitiert

nach del Mar, Precious Metals, 178 4 Biermann, Requerimiento, 96–97 5 Del Mar, Precious Metals, 198 6 Del Mar, Money in America, Kap. 6 u. 7 7 Del Mar, Precious Metals, 153 8 Del Mar, Civilization, 102–105 9 Bloom, Activities, 120–137 10 Barbour, Capitalism, 110 11 Bloom, Activities, 159


518

Quellennachweise

12 Shaw, History,

28 Wilson, Commerce,

13 Del

29 Wilson, Commerce,

107 Mar, Civilization, 209–210 14 Jacobs, Precious Metals, 195–196 15 Del Mar, Precious Metals, vi 16 Del Mar, Precious Metals,vi 17 Boxer, Empire, 61 18 Boxer, Empire, 46–48 19 Guicciardono, Discrittione 20 Boxer, Empire, 46–48

10. Kapitel Der Transfer des Kapitalismus nach England 1 Belloc, Reformation,

95 of Money, 110–120 3 Craig, London Mint, 4 4 Spufford, Money and its Use, 83–93 5 Spufford, Money and its Use, 94 6 Spufford, Money and its Use, 204 7 Del Mar, Middle Ages, Kap. 22 8 Breckenridge, Legal tender, Kap. 5 9 Shaw, History of currency, 121–122 10 zitiert nach Del Mar, Science of money, 97–98 11 Hobbes, Behemoth, 13–14 12 Hobbes, Behemoth, 30 13 Hobbes, Behemoth, 31–32 14 Hobbes, Behemoth, 33–34 15 Hobbes, Behemoth, 171 16 Hobbes, Behemoth, 17 17 Del Mar, Middle Ages, Kap. 23 18 D’Blossiers Tovey, History of the Jews, 111, 112, 114 19 Roth, History of the Jews, 74 20 Andreades, Bank of England, 29 21 Ben Israel, Hope of Israel, 50–52 22 D’Blossiers Tovey, History of the Jews, 153 23 Brief von John Dury an Samuel Hartlieb, wiedergegeben in Dury, Case of conscience 24 Shaw, History of currency, 133, 145, 150 25 Feavearyear, Pound Sterling, 86–87 26 Barbour, Capitalism in Amsterdam, 108 27 Andreades, Bank of England, 20 28 Hollis, Two Nations, 19–22 29 Hollis, Two Nations, 19–22 30 Del Mar, Monetary Crimes 31 Del Mar, Science of money, 79 32 Locke, Remarks, 19 33 Roth, History of the Jews, 184–185 34 Alison, History of Europe 35 Taines, Littérature Anglaise, Vol. 3 2 Davies, History

9. Kapitel Der Aufstieg des Kapitalismus in Amsterdam 1 Barbour, Capitalism

in Amsterdam, 17 in Amsterdam, 88 3 Israel, Dutch Primacy, 77 4 Van Dillen, Public Banks, 92–93 5 Aus einer Botschaft Heinrichs III. von Frankreich an die Generalversammlung 1571, zitiert nach Shaw, History of Currency, 84–86 6 Van Dillen, Public Banks, 93 7 Bloom, Economic Activities, 78–98 8 Bloom, Economic Activities, 137 9 Bloom, Economic Activities, 176 10 zitiert nach Bloom, Economic Activities, 78 11 Van Dillen, Economische Positie, 576 12 Roth, History of Marranos, 244 13 Wilson, Anglo Dutch Commerce, 103–104 14 De la Vega, Confusione 15 De la Vega, Confusione, 30–32 16 Wilson, Anglo Dutch Commerce, 104 17 De la Vega, Confusione, 30 18 Barbour, Capitalism, 57–58 19 Bloom, Activities, 205 20 Wilson, Commerce, 14–15 21 De Koopman, Kap. 5; zitiert nach Wilson, Commerce 22 Barbour, Capitalism in Amsterdam, 126 23 Price, Culture and Society, 213–219 24 Wilson, Commerce, 78 25 Wilson, Commerce, 240 26 Van Dillen, History, 107 27 Wilson, Holland, 25 2 Barbour, Capitalism

238 Kap. 7


519

Quellennachweise 36 Wilson, Holland

6 Smith, Wohlstand

37 Wilson, Anglo

7 Encyclopaedia

and Britain, 1–20 Dutch Commerce,

110–117

der Nationen, 25 Britannica, Smith,

Vol. 20, 826 8 Smith, Wohlstand

der Nationen, 26 der Nationen, 27 10 Smith, Wohlstand der Nationen, 42 11 Smith, Wohlstand der Nationen, 29 12 Smith, Wohlstand der Nationen, 30 f. 13 Locke, Zwei Abhandlungen, 125 14 Franklin, Inquiry, 126 15 Malthus, Definitions, 60 16 Berkeley, Querist 17 Raithby, Law, x, 113 18 Smith, Wohlstand der Nationen, 267 19 Smith, Wohlstand der Nationen, 269 20 Smith, Wohlstand der Nationen, 696 21 Montesquieu, Esprit des Lois, Buch 18, Kap. 17 22 Law, Considérations 23 Law, Œuvre, Vol. 1, 54 24 Smith, Wohlstand der Nationen, 800 25 Ricardo, Plan, zitiert nach Andreades, History, 417 26 Locke, Considerations, in Laughlin, Principles, 233 27 Locke, Money, 9, 10 28 Petty, Quantulumcunque 29 Law, Handel, 19 30 Law, Handel, 20–21 31 Hume, Essays, zitiert nach Laughlin, Principles, 316–318 32 Hume, Essays, zitiert nach Laughlin, Principles, 313 33 Mill, Principles, zitiert nach Laughlin, Principles, 30 34 Smith, Wohlstand der Nationen, 268 35 Smith, Wohlstand der Nationen, 241–242 36 Maitland, Public Wealth und Three Letters 37 Ricardo, Works, 214 38 Feavearyear, Pound Sterling, 222–225 9 Smith, Wohlstand

11. Kapitel Die Bank of England wird ausgeheckt 1 Andreades, History 2 Andreades, History,

41–42 xviii 4 Horsefield, Experiments, 128 5 Bannister, Paterson, 24 6 zitiert nach Bannister, Paterson, 68–69 7 Bannister, Writings, 83–84 8 Bannister, Paterson, 84 9 Conant, History 10 Baring, Observations 11 Andreades, History, Kap. 2 12 Bannister, Paterson, 73 13 Andreades, History 14 Bannister, Paterson, 89 15 Horsefield, Experiments, 140 16 Ricardo, Proposals, 87–99 17 Ricardo, Works, 219 18 Ricardo, Proposals, 99 19 Baring, Observations 20 Bannister, Writings, 62 21 Bannister, Paterson, 411, 415 22 Ricardo, Plan 23 Ricardo, Proposals, 23 24 Smith, Wealth, 303, 305, 411 25 Ricardo, Proposals, 67–92 26 Ricardo, Proposals, 90–99 27 Melville, Bubble, 148 28 Melville, Bubble, 141 29 Hollis, Nations, 116–117 3 Horsefield, Experiments,

12. Kapitel Die Nationalökonomen: die Priester der Bankentheorie 1 le

Soterel, zitiert nach Spufford, Money, 305–306 2 Oresme, Moneta, 19, 31, 36 3 Spufford, Money, 300–310 4 Oresme, Moneta 5 Andreades, History, 48


520 13. Kapitel These versus Antithese: Synthese 1 Cobbett, Political

Register, zitiert nach Hollis, Two Nations, 46 2 Macauly, Southey’s Colloquies, zitiert nach Hollis, Two Nations, 46 3 Rogers, Six Centuries, 65, 66, zitiert nach Hollis, Two Nations, 46 4 Hollis, Two Nations, 46 5 Hollis, Two Nations, 139 6 Wade, Principles of Money, viii 7 Whipple, Usury Laws, vii, 15–16, 26 8 Bacon, Works, 209 9 Bacon, New Atlantis 10 Bacon, Works, 785 11 Petty, Quantulumcunque 12 Smith, Wohlstand der Nationen, 46 13 Feavearyear, Pound Sterling, 270–275 14 Marx, Kapital, 106,109 15 Marx, Kapital, 142 16 Marx, Kapital, 115 17 Marx, Kapital, 138 18 Marx/Engels, Kommunist. Manifest 19 Marx, Kapital, 138 20 Marx, Kapital, 132 21 Marx, Kapital, 607 22 Marx, Kapital, 784 23 Jevons, Mechanism of Exchange, 64 24 Jevons, Mechanism of Exchange, 35 25 Jevons, Mechanism of Exchange, 229

14. Kapitel Die Kolonialwährungen der USA 1 Del

Mar, Hindus Mar, Money in America, 20–30 3 Del Mar, Money in America, 88 4 Del Mar, Money in America, 90 5 Nussbaum, History of the Dollar, 25–35 6 Adams, Emancipation, 75–95 7 Del Mar, Money in America, Brock, Currency, Sumner, History 8 Del Mar, Money in America, 118 9 zitiert nach Dewey, Financial History, 26–27 10 anonym, Paper Money 2 Del

Quellennachweise 11 Keith, zitiert

nach Dewey, Financial History, 26–27 12 Franklin, Geschichte, 92–93 13 Nussbaum, History of the Dollar, 25 14 Harris, Essay upon Money, 374 15 Del Mar, Money in America, 80–85 16 Franklin, Works, Brief vom 13. Juni 1767 an J. Galloway 17 Ernst, Money and Politics, 121–122 18 Bullock, Monetary History, 58 19 Sumner, American Currency, 29 20 Del Mar, Money in America, 69 21 Ernst, Money and Politics, 121–122 22 Del Mar, Money in America, 96 23 Del Mar, Money in America, 100 24 Schuckers, Finances, 20 25 Scott, Counterfeiting 26 Moore, American Revolution, 440 27 Franklin, Writings, 1127 28 Scott, Counterfeiting 29 Schuckers, Finances, 23 30 US Bureau of Statistics, zitiert nach Del Mar, Money in America, 112 31 Schuckers, Finances, 127 32 Breck, Paper Money 33 Schuckers, Finances 34 Paine, Dissertation, 18–20 35 Lewis, Bank of North America 36 Breck, Paper Money, 1 37 Franklin, Writings, 422–423, Brief vom 22. April 1779 an Dr. Cooper 38 Paine, Writings, 87 39 Breck, Paper Money, 8 40 Paine, Writings, 87

15. Kapitel Die Geldmacht gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten 1 Ver

Steeg, Robert Morris, 194 of Banking, 27, 31 3 Lewis, Bank of North America 4 Lewis, Bank of North America 5 Ver Steeg, Robert Morris, 85, 86 6 Van Buren, Political Parties, 11, 23, 29, 32 7 Breckenridge, Legal Tender, Kap.8 8 Locke, Essay on Money, 1–15 2 Knox, History


521

Quellennachweise 9 Franklin, Paper

Currency on Money 11 Ver Steg, Robert Morris, und Lewis, Bank of North America, sowie Van Buren, Political Parties, 128, 146–147 12 Del Mar, Money in America, 109–110 13 Butlers Rede in: Congressional Globe, 40th Congr. 3rd session, 303 ff. 14 Conant, Modern Banks, 330–345 15 Studenski/Kroos, Financial History, 64 16 Paine, Writings, Bd. 3, 383 17 Maclay, Journal, 406–407 18 Jefferson, Letters 19 Conant, Modern Banks, 340–341 20 Reports of the Secretary of Treasury, December 1815, Bd. 3; 7, 146, 263, 445, 548, 683, zitiert nach Breckenridge, Legal Tender 21 Laughlin, Principles of Money, 478 22 Caterall, 2nd Bank, 1–53 23 Caterall, 2nd Bank, 184 24 James, Andrew Jackson, 559–565 25 Caterall, 2nd Bank, Kap.11 26 James, Andrew Jackson, 658 27 James, Andrew Jackson, 601 28 James, Andrew Jackson, 650 29 Brief an Watmough vom 8. 2. 1834, zitiert in Caterall, 2nd Bank, 331 10 Witherspoon, Essay

16. Kapitel Ein Vergleich zwischen der staatlichen und der privaten Geldemission der Vereinigten Staaten 1 Nussbaum, History

of the Dollar, 65 History, 83 3 Dewey, Financial History, 145 4 Rothbard, Panic 5 Rothbard, Panic 6 Caterall, 2nd Bank, 90 7 Raguet, Treatise on currency, 293 8 Bullock, Monetary History, 84–85 9 Sumner, American Currency, 59, 107 10 Gouge, Paper Money 11 Dewey, Financial History, 155 12 Studenski/Kroos, Financial History, 86–100 2 Studenski/Kroos, Financial

13 Studenski/Kroos, Financial

History, 115–125 14 Zur Schule des free banking siehe: King, Private Money, Selgin, Free Banking, White, Free Banking, Salsman, Breaking, Dowd, Experience 15 Knox, History of Banking, 11 17. Kapitel Greenbacks – echtes amerikanisches Geld 1 Randall, Civil War,

3–11

2 Studenski/Kroos, Financial

History, 137–138 3 Wilbur/Eastman, Money, 19–20 4 Randall, Civil War, 12–17 5 Randall, Civil War, 81 6 Kettle, Southern Wealth 7 Randall, Civil War, 81–90 8 Lincoln, Collected Works 9 Sumner, American Currency, 221, 226 10 Mitchell, Gold Prices 11 Randall, Civil War, 354 12 Dewey, Financial History, 283 13 Randall, Civil War, 260 14 Lerner, zitiert nach Friedman, Quantity Theory 15 Timberlake, Central Banking, 90–105 16 Lerner, zitiert nach Friedman, Quantity Theory 17 Dewey, Financial History, 324 18 zitiert nach Unger, Greenback Era 19 Lyons, Religious Defense, 5 20 Unger, Greenback Era, 123, 125, 126 21 Dewolf, Money, 33, 170 22 Campbell, True Greenback 23 Butler, Congressional Globe, 40th Congress, 3rd Session, 303 ff. 18. Kapitel Die monetären Verbrechen des 19. Jahrhunderts – die großen Demonetisierungen 1 Chevelier, Probable

Fall, Anhang zu Chevelier, Precious Metals


522

Quellennachweise

2 Shaw, History

7 Kolko, Triumph

3 Willis, Latin

8 Kolko, Triumph

of Currency, vii, xii, 91 Monetary Union 4 U. S. Monetary Commission Report 1876, 33 5 Conant, Banks of Issue, 199 6 Takaki, Japanese Paper Currency, 58 7 Roberts, Mitsui 8 Del Mar, Monetary Crimes 9 Randall, Civil War, 356 10 Del Mar, Science of Money, 50–70 11 Del Mar, Monetary Crimes, 62 12 Del Mar, Monetary Crimes 13 Unger, Greenback Era, 85 14 Spahr, Distribution of Wealth, 37 15 Unger, Greenback Era, 272 16 Unger, Greenback Era, 289 17 Interview Daily Tribune, 1.Okt.1874 18 Unger, Greenback Era, 278 19 Unger, Greenback Era, 213 20 Unger, Greenback Era, 289 21 Unger, Greenback Era, 290–291 22 Unger, Greenback Era, Kap.10 23 Del Mar, Monetary Crimes, 84–86 24 Bullock, Monetary History, Kap. über den Greenback 25 Del Mar, Monetary Crimes, 86 26 U. S. Monetary Commission Report 1876, 89, 91 27 U. S. Monetary Commission Report 1876, 38 28 Conant, Banks of Issue, Kap. über die Krise von 1890 29 Hicks, Populist Revolt, 88 30 Friedman/Schwarz, Monetary History, 31

19. Kapitel Der Triumph der Bankiers – die Einrichtung des Federal Reserve System 1 Cooper, Brief

an Präsident Grant, 1.Juni 1877 2 Brian, Second Battle, 207 3 Whicher (Hg.), W. J. Brian, 25 4 Hicks, Populist Revolt, 340 5 Kolko, Triumph of Conservatism 6 Kolko, Triumph of Conservatism, 18–22

of Conservatism, 24, 27 of Conservatism,

120–140 9 Studenski/Kroos, Financial

History, 210–215 10 Kolko, Triumph of Conservatism, 145–150 11 Studenski/Kroos, Financial History, 233–246 12 Del Mar, Precious Metals, 456 13 Hixson, Triumph of Bankers, 13 14 Shaw, Current Issues, 304–311 15 Friedman/Schwartz, Monetary History, 161 16 Studenski/Kroos, Financial History, 252 17 Sprague, History of Crisis 18 Studenski/Kroos, Financial History, 255 19 Friedman/Schwartz, Monetary History, 180–185 20 Kolko, Triumph of Conservatism, 190–215 21 Mullins, Conspiracy, 94 22 Studenski/Kroos, Financial History, 255 23 Kolko, Triumph of Conservatism, 234 24 Mullins, Conspiracy, 27–29 25 Mullins, Conspiracy, 30 26 zitiert nach Studenski/Kroos, Financial History, 258–260 27 Mullins, Conspiracy, 30 28 Friedman/Schwartz, Monetary History, 193 29 Chandler, Benjamin Strong, 17 (Brief Strongs vom 3. Jan.1924) 30 Garison, Federal Reserve Law, 247 31 zitiert nach Mullins, Conspiracy 32 Chandler, Benjamin Strong (Brief Strongs vom 17.Okt.1913)

20. Kapitel Das Federal Reserve System ruiniert Amerika 1 Soddy, Arch

Enemy, 6 Conspiracy, 55–56 3 Studenski/Kroos, Financial History, 284 4 Page, Brief vom 5. März 1917, zitiert nach Mullins, Federal Conspiracy, 55 2 Mullins, Federal


523

Quellennachweise 5 Jeffreys-Jones, in

Fischer Weltgeschichte, Bd. 30, 280 6 Studenski/Kroos, Financial History, 198 7 Friedman/Schwartz, Monetary History, 698 8 Friedman/Schwartz, Monetary History, 196–210 9 Studenski/Kroos, Financial History, 329 10 zitiert nach Mullins, Federal Conspiracy, 51–60 11 Mullins, Federal Conspiracy, 50–60 12 Einzig, National Supremacy 13 Studenski/Kroos, Financial History, 306–326 14 Feaveryear, Pound Sterling, 353 15 zitiert nach Mullins, Federal Conspiracy 16 Groseclose, Money and Man, 223–225 17 Parker Willis, zitiert nach Mullins, Federal Conspiracy, 96 18 Chandler, Benjamin Strong, 460–462 19 zitiert nach Mullins, Federal Conspiracy, 100 20 Friedman/Schwartz, Monetary History, 299 21 Friedman/Schwartz, Monetary History, 345 22 de Fremery, Money and Freedom, 61 23 Friedman/Schwartz, Monetary History, 409 24 Friedman/Schwartz, Monetary History, 410–411 25 zitiert nach Friedman/Schwartz, Monetary History, 457 26 Studenski/Kroos, Financial History, 336–343 27 Studenski/Kroos, Financial History, 334–340 28 Paine, Writings, Vol. 3, 332–338 29 Studenski/Kroos, Financial History, 436 30 Studenski/Kroos, Financial History, 455 31 Greenspan, in: Rand, Capitalism 32 zitiert nach Dempsey, Interest and Usury, v

21. Kapitel Ein Plädoyer für eine vierte Staatsgewalt 1 In

der Übersetzung von Erich Fried Fremery, Rights vs. Privileges, 76 3 Von Mises, Human Action, 570 4 De Fremery, Rights vs. Privileges, 50 5 Simon, Economic Policy 6 Diese Informationen stammen aus Gesprächen mit Robert De Fremery 7 De Fremery, Rights vs. Privileges, 125 8 Diese Feststellung machte Colonel E. C. Harwood, der Gründer des American Institute for Economic Research, in seinen Schriften. 2 De

22. Kapitel Die deutsche Hyperinflation von 1923 unter einer privaten Zentralbank 1 Schacht, Magie

des Geldes, 75 257–258 3 Nielsen, Makers of War, 32–47 4 Quigley, Anglo American Establishment 5 Zimmern, Economic Weapon 6 Lansing, Peace Negotiation, 272–275 7 Nitti, zitiert nach Nielsen, Makers of War, 151 8 Schacht, Stabilisierung der Mark, 26, 33 9 Schacht, Stabilisierung der Mark, 3–8 10 Schacht, Stabilisierung der Mark, 32 11 Schacht, Stabilisierung der Mark, 32 12 Schacht, Magie des Geldes, 87 13 Schacht, Magie des Geldes, 88 14 Schacht, Stabilisierung der Mark, 59 15 Schacht, Magie des Geldes, 91 16 Schacht, Stabilisierung der Mark, 81 17 Schacht, Stabilisierung der Mark, 73 f. 18 Schacht, Magie des Geldes, 93 19 Mühlen, Zauberer Schacht, 14–16; Schacht, Magie des Geldes, 35 20 Schacht, Stabilisierung der Mark, 160 21 Schacht, Stabilisierung der Mark, 115–116 22 Schacht, Stabilisierung der Mark, 117 23 Schacht, Stabilisierung der Mark, 120 2 Nevins, Henry White,


524 24 Schacht, Stabilisierung

Quellennachweise der Mark,

123–124 25 Schacht, Stabilisierung der Mark, 137 26 Schacht, Stabilisierung der Mark, 172 27 Heiden, Hitler I, 81 28 Schacht, Magie des Geldes, 66 29 Heiden, Hitler I, 388 30 Kennedy, Bundesbank 31 Francke/Hudson, Financing in West Germany

23. Kapitel Internationale Währungssysteme 1 Schacht, Magie

des Geldes, 99 des Geldes, 100 3 Borda/Schwartz; Gold Standard 4 Einzig, Bank for International Settlements 5 Aufricht, International Monetary Fund 6 Regel N-10 des IWF 2 Schacht, Magie

7 De Vries, IMF,

98

8 Bordo/Eichengreen, Bretton Woods

System, 623 9 De Vries, IMF,

76 88 11 Myers, Political Morality, 44–45 12 Payer, World Bank 13 Webseite der Weltbank, www.worldbank.org 14 Payer, World Bank, 33 15 Money and Banking in Islam, 3 16 Udovitch, Partnership and Profit, 53 17 Chopra, Just Monetary System, 76 18 Udovitch, Partnership and Profit 19 Money and Banking in Islam, 212 20 Chopra, Just Monetary System, 64 21 Chopra, Just Monetary System, 27 22 Money and Banking in Islam, Beiträge von Faridi und Chopra 23 Money and Banking in Islam, Beitrag von Al-Jarhi 24 Chopra, Just Monetary System, 47 10 De Vries, IMF,


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