#5 Maschine-Werden

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________________________ Was heißt Digitalität? Achim Szepanski

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Dear human, Sofia Papapolyzou

Maschine-Werden engagée | politisch-philosophische Einmischungen

„Privatheit ist nicht tot, sondern ungleich verteilt.“ Ein Gespräch mit Frederike Kaltheuner

32

Der Preis der Internetfreiheit. Geert Lovink

G20 in Hamburg: Eine Stadt wird Maschine. Eva Hoffmann, Paul Lovis Wagner

46

Maschine

Werden politisch-philosophische Einmischungen

Social Bots: Eine Melange aus maschinellmenschlichen, rechten Affekten? Sophia Obermeyer

34

Wer sind die Kommunisten? Antonio Negri

Deus ex Machina: Das Ende des Kapitalismus als Ergebnis seiner Strukturlogik? Yannick Kalff

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ISSN 2413-4279 #5 | 2017 | 8 € | www.engagee.org

„Wir sind die Borg!“ Cyborgs zwischen obligater Existenzweise im Spätkapitalismus und queer_feministischen, postkolonialen Entwürfen. Dagmar Fink

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#5 | 2017

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//é dringlieben der k digitaler chen Kriti ationeln, inform Hierarchie nd dissregime u it e rh ah ler W n sucht Ökonomie ch e T r zipativen ruptive dikal eman ra h ac n e echnik an engagé sich die T , n ie at it e rn k e h Alt Möglich t wird nac h ch ac su n e , G n . nopole zueignen tigen Mo ral o w F e g n e n h e istisc ven zu d und aktiv t n e e h rn sc te ti li In die das neuen po tivitäten, k je li b g u ö S rm d e men un gisierung Technolo ine krie r e b und die ü e möchte é ag s g n e . chen t-Zustand yse des Is al n A h e ac h n tisc rdert en und fo hinausweis ungen – ch Einmis mutigen h wild uche nac auf der S ften. en Zukün wuchernd

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Inhalt

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engagée: theorieaffin und praxisvernarrt.

8

Maschine-Werden

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10

Was heißt Digitalität?

_ I.

Achim Szepanski

15

»Privatheit ist nicht tot, sondern ungleich verteilt.«

Ein Gespräch mit Frederike Kaltheuner

20

Programmierte Paralyse

Amadeus Ulrich

23

»Lasst uns als Linke Ma-

Social Bots: Eine Melange aus maschinell-menschlichen, rechten Affekten?

schine

Sophia Obermeyer

27

Dear human,

Sofia Papapolyzou

28

»Der Bot wird’s schon richten«

Angela Wiedermann

32

Der Preis der Internetfreiheit

Geert Lovink

Maschinell-menschliche Affekte //

//

Social

Bots

Cyborg-Maschinen werden!«

talisierung

der

//

//

Digi-

Öffent-

lichkeit // das Politische

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_ II.

//

Mensch-Maschine // »innerhalb

und

gegen

die

maschinelle Struktur der Ausbeutung« Demokratie

// und

»Wir sind die Borg!« Cyborgs zwischen obligater Existenzweise im Spätkapita- lismus und queer*feministischen, postkolonialen Entwürfen

Produktionsmaschine

46

das

Ge-

meinsame // Widerstand

Dagmar Fink

Die G20 in Hamburg: Eine Stadt wird Maschine. Mikropolitische Pers- pektiven auf den Aufrüstungsprozess zum G20-Gipfel

radikale 50

Eva Hoffmann

56

Wer sind die Kommunisten? Antonio Negri

State of Exception Paul Lovis Wagner

Facial Weaponization Suite & Face Cages Zach Blas


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»artist is obsolete«

Niki Passath

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Legende – analogue_series#no.77977 GeheimRat

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When Operations Become Form. Für eine Kunst [-wissenschaft] der Kom- plexität. Birte Kleine-Benne

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Virtual Normality Signe Pierce

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Factory of the Sun Hito Steyerl

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Abreissblock Vicky Klug

space bar & DARPA. Splinters of a conversation named: AYA2MX3MIX Thordis Wolf

Jack Hauser, Sabina Holzer und Kilian Jörg

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wald/maschinen/schlachthof-gebet. eine ode für mehrere

Mehdi Moradpour

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97

Deus ex Machina: Das Ende des Kapitalismus als Ergebnis seiner Strukturlogik?

_ IV.

Ky b e r ne t i s c he r K a p it a l i s mu s / / Au to m a t i s i e r u n g d e r A r b e it / / A k z e l e r a t io n i s mu s

Yannick Kalff

102

Der Partisan des kybernetischen Ka- pitalismus. Drogenhandel im Hidden Web und die Utopie informatisch- ökonomischer Selbstregulation. Simon Schaupp

M a s c h i n e - We r d e n / / K ö r p e r

Gaia, sie liebt mich, sie liebt mich nicht. Eine Reaktion auf Alf Hornborgs Wienbesuch zu »Machines as Machinations«

90

_ III.

Der Schweiß der Sonne Philipp Schönthaler

Call for Action #6: Radical Cities

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Autor*innen & Künstler*innen

Impressum engagée | 3


Maschine-Werden


_ I. Maschinell-menschliche Affekte //

//

Social

Bots

Cyborg-Maschinen

//

»Lasst uns als Linke Maschine

werden!«

talisierung

der

//

Digi-

Öffent-

lichkeit // das Politische

6

engagée: theorieaffin und praxisvernarrt.

8

Maschine-Werden

é

10

Was heißt Digitalität?

Achim Szepanski

15

»Privatheit ist nicht tot, sondern ungleich verteilt.«

Ein Gespräch mit Frederike Kaltheuner

20

Programmierte Paralyse

Amadeus Ulrich

23

Social Bots: Eine Melange aus maschinell-menschlichen, rechten Affekten?

Sophia Obermeyer

27

Dear human,

Sofia Papapolyzou

28

»Der Bot wird’s schon richten«

Angela Wiedermann

engagée | 5


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Theorieaffin und praxisvernarrt Mit dem Anspruch, analytische Schärfe und politische In-

engagée ist theorieaffin und praxisvernarrt und niemals

volviertheit zu verbinden, erscheint engagée seit Mai 2015

verlegen, unterschiedliche Standpunkte zu verhandeln. en-

2-mal jährlich als Printmagazin. Auf inhaltlicher Ebene

gagée ist „work in progress“. Alle Einmischungen sind na-

werden gesellschaftliche Zusammenhänge reflektiert und

türlich unfertig, weil sie sich in vielen unserer Gespräche

emanzipatorische Perspektiven verhandelt. Auf organisa-

und Handlungen fortsetzen; auf der Suche nach neuen

torischer Ebene wagt engagée mit der offenen Redaktion

Perspektiven einer zukünftigen Gesellschaft.

ein partizipatives Experiment jenseits bloßer Vernetzung.

Der Name des Magazins ist inspiriert von Jean-Paul Sar-

In Zeiten vermeintlicher Alternativlosigkeit spürt engagée

tres Begriff littérature engagée (dt. engagierte Literatur).

das Undenkbare auf. Als Experimentierfeld für gemeinsa-

engagée, im Sinne von „immer schon in einer bestimmten

men Gedankenaustausch ist engagée ein Raum für kollek-

gesellschaftlichen Situation engagiert bzw. eingelassen

tive und experimentelle Ausdrucksformen, die über das

sein“, hebt hervor, dass wir uns nicht einfach aus diesen

eigene Denken hinaus versuchen, Veränderungen anzu-

Verhältnissen herausversetzen können. Der Untertitel

stoßen.

„politisch-philosophische Einmischungen“ zielt auf das

Mit kritischen Reflexionen über gesellschaftliche Zusammenhänge fordert engagée zu mutigen Einmischungen heraus. Ziel ist es, Bedeutungen zu verschieben und kritische Öffentlichkeiten zu erzeugen, um neue Denkweisen zu ermöglichen.

strategische Moment, das es notwendig braucht, um Brüche und Diskontinuitäten mit dem Status quo herbeizuführen.


Maschine„Die gewaltige Ausweitung des Internets wird zum Motor einer der aufregendsten gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Revolutionen der Geschichte, und anders als in früheren Epochen wirken die Veränderungen diesmal weltweit. Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hatten so viele Menschen an so vielen Orten so viele Möglichkeiten.“ Eric Schmidt (ehemaliger CEO von Google, nun Executive Chairman von Alphabet Inc.) und Jared Cohen (Gründer von Google Ideas), Die Vernetzung der Welt

„Wir sind jetzt die Ureinwohner, deren Ansprüche auf Selbstbestimmung stillschweigend von den Karten unseres eigenen Verhaltens verschwunden sind. Sie wurden getilgt durch einen verblüffenden, dreisten Akt der Enteignung durch Überwachung, der das Recht beansprucht, in seinem Hunger nach Wissen und Einfluss auf unsere Verhalten keinerlei Grenzen zu achten. Wer sich über den logischen Abschluss der Kommerzialisierungsprozesse wundert, dem sei gesagt, dass sie ihren Abschluss in der Enteignung unserer intimsten alltäglichen Realität finden, nun wiedergeboren als Verhalten, das es zu überwachen und zu verändern, zu kaufen und zu verkaufen gilt.“ Shoshana Zuboff (Harvard Business School), Überwachungskapitalismus: Wie wir Googles Sklaven wurden

D

ie Welle 4.0 der digitalen Revolution hat uns längst erfasst: Unaufhörlich und immer tiefer dringen smarte Maschinen, Drohnen und das Internet der Dinge in unsere Lebenswelt ein. Langfristig sind sie sogar darauf angelegt, im Hintergrund unserer Alltagspraxen zu verschwinden – wie Eric Schmidt es formuliert: „The Internet will disappear. It will be part of your presence all the time.“ Beunruhigenderweise wissen wir jedoch immer noch nicht, wie politisch auf die Digitalisierung zu reagieren ist – schließlich sind ihre Folgen nur schwer abschätzbar: Twitter etwa, vor einigen Jahren noch Hoffnungsmedium der arabischen Revolutionen, offenbarte sich zuletzt als fröhlich bespielter Kanal von Trumps Populismus. Immer offensichtlicher wird also, dass Technik nur über eine Ambivalenz zu definieren ist, die sich auch in ihrer Bewertung niederschlägt: Die Einen affirmieren die Digitalisierung – von Big Data über das Life-hacking bis zum smarten Kühlschrank – als notwendige Medizin, begreifen sie nach wie vor als gegenkulturelle „Emanzipationsmaschine“; forcieren mit ihr sogar akzelerationistisch das Ende des Kapitalismus. Die Anderen erkennen in den digitalen Innovationen in erster Linie Gift: einen durch sie aufgerüsteten Konsum- und Kontrollapparat, dessen Machbarkeitsethik keine „moralische


-Werden //

Phantasie“ kennt, dessen Automationsprozesse Arbeitsplatz-, Freiheits- und Weltvernichtung bedeuten; und schließlich vermeinen sie im allumfänglichen Maschinenraum der Daten sogar die Potenziale der Kritik untergehen zu sehen, was dann bedeutet: End of Theory. Die Interfaces des digitalen Neulands sind also von Meinungsgräben durchzogen – und wie die binäre Programmierungslogik aus 0 und 1 scheinen sich allzu häufig blind-technophiler Optimismus und skeptisches Ressentiment weitestgehend unerhört gegenüber zu stehen. In diesem Spannungsfeld will die fünfte Ausgabe der Zeitschrift engagée. politisch-philosophische Einmischungen konkreter werden, sich den digitalen Entwicklungen – ihren Potentialen und Verwerfungen, Versprechungen und Überforderungen – politisch-philosophisch annehmen. Mit Günther Anders gesprochen möchte sie versuchen, „die Kapazität und Elastizität unseres Vorstellens und Fühlens den Größenmaßen unserer eigenen Produkte und dem unabsehbaren Ausmaß dessen, was wir anrichten können, anzumessen; uns also das Vorstellende und Fühlende mit uns als Machenden gleichzuschalten.“ In dieser Hinsicht fokussiert die vorliegende Ausgabe Interventionen, Auseinandersetzungen und Reflexionen dazu, wie die Digitalisierung das Soziale, das Politische, Formen individueller Subjektivierung sowie gesellschaftliche Individuationsprozes-

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se, theoretische Vorstellungen und praktische Beweggründe affiziert: Welche kulturelle Verschiebungen (Quantified Self, Smombies, Social Freezing etc.), ökonomische Disruptionen (Prekarisierung, Grundeinkommen, Ungleichheit etc.) und realpolitische Irritationen (Data Mining à la NSA, Fake-News à la Trump, Cyberattacken à la Geheimdienst etc.) lassen sich beschreiben, welche Horizonte unter Rückgriff auf welche Begriffe (Postkapitalismus, Kybernetik, Cyberkommunismus, Transhumanismus etc.) aufzuzeigen? Was ist eigentlich „revolutionär“ an der digitalen „Revolution”? Welche realpolitischen Konsequenzen und Formen der Prekarisierung gehen mit der allseits geforderten „Newness“ in der plattformkapitalistischen New Economy einher (Uber, airBnB, Facebook etc.)? Und was überhaupt heißt „sozial“, wenn von „sozialen Medien“ gesprochen wird? Wie ist das Verhältnis zwischen equal access und politischer Teilhabe, digitaler Partizipation und politischer Handlungsfähigkeit zu denken? Ist Begriffsarbeit überhaupt noch hinreichend, um die Phänomene und Fragen der „Techno-logie“ zu erfassen? Hieße es heute: „Emanzipier dich durch oder von der Technik“, „Willkommen in der Box! oder ‘Fuck off, Google!’“, Kritik der Kontrolle oder Kontrolle der Kritik? Oder verschließen uns derlei Dichotomien nicht doch vielleicht die nötigen Gestaltungs- und Emanzipationsmöglichkeiten?

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A c h i m

S z e p a n s k i

Was heiĂ&#x;t Digitalität?


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s liegen circa vier Jahrzehnte zwischen der Erfindung und dem aktuellen ubiquitären Einsatz des Mikroprozessors, und seit zwei Jahrzehnten begleiten wir jede Millisekunde die endlose Ausbreitung einer emergenten Internet-Globalität. Bestand der erste rein elektronische Computer (ENIAC) aus dem Jahre 1946 noch aus einem großen Raum verschalteter Radioröhren, so hatte im Jahr 1998 die gesamte Funktionalität und Rechenleistung des ENIAC auf einem winzigen Mikrochip Platz. Dieser gigantische Technologiesprung innerhalb eines halben Jahrhunderts ist insbesondere auf zwei Faktoren zurückzuführen: a) die Quantenmechanik der Festkörperphysik und b) die Verwendung von Silizium in der Halbleiterindustrie. Der von John von Neumann entwickelte und vom Militär zu Versuchszwecken eingesetzte Computer MANIAC darf als der erste Computer gelten, der mit einem gespeicherten Random Access Memory, das Daten und Instruktionen enthielt, operierte und damit die Unterscheidung zwischen Zahlen, die Dinge bedeuten, und Zahlen, die Dinge tun, aufhob. (Dyer-Witheford 2015: Abschnitt 3; Kindle-Edition) Diese Innovationen waren das Resultat insbesondere staatlicher und erst in zweiter Linie durch das Kapital organisierter Forschungen in den Laboren von DARPA, AT&T Bell Labs, Xerox Parc etc. Epistemologisch gesehen besteht die wesentliche Differenz der beiden Computer aber in der Software. Während der ENIAC noch keine eigene Programmiersprache kannte, sodass jede einzelne Instruktion im Computer verkabelt werden musste (maximal 20 weitere Instruktionen konnten der Maschine durch Lochkarten zugeführt werden), so werden heute die Mikrochips im PC mit Maschinencodes/ Programmiersprachen wie Assembler, C, Java etc. gespeist. Der logische Kern des Computers ist die Software und damit Mathematik. Es war Alan Turing, der einige Jahre nach den Forschungsergebnissen von Gödel den Begriff der programmgesteuerten Rechenmaschine exakt definiert hat, indem er Gödels formale Sprache in eine programmgesteuerte Rechenmaschine transformierte, die mit Zeichen und Symbolen rechnete. Dazu bedarf es einer theoretischen Entscheidung und der Affirmation des Prinzips von der absoluten Hinlänglichkeit der Berechnung. Die Präsenz selbst wird hier zu einer berechenbaren Bedingung transformiert, oder besser gesagt, Berechnung ist keine Option, die der Präsenz zur Verfügung steht, sondern eine unbedingte Voraussetzung für jede Art von Präsenz.

Turing entwickelte eine theoretische Maschine, die mit exakt drei Operationen (Schreiben, Lesen und die Bewegung des Schreib/Lese-Kopfes) Probleme löste, insoweit sie eben berechenbar waren. Es handelte sich hier um theoretische Probleme, die Turing ganz pragmatisch auf ihre mathematische Beschreibbarkeit zurückführte. Demzufolge ist der Computer zunächt nichts weiter als eine Maschine, die auf einem Band mit Speicherfeldern, die entweder mit

einer Null oder mit einer Eins beschrieben sind, die Null oder Eins auch liest, indem der Kopf hin und her gewendet wird, um entweder wieder eine Eins oder eine Null auf das Band zu schreiben. Null und Eins, Entweder/Oder, Schreiben oder Lesen, die Bewegung des Kopfes, all das darf man getrost als einfache logische (binäre) Operationen verstehen. Dabei finden wir eine »digitale Gleichbeschaffenheit« von Daten und Programmen bzw. zwischen Rechnen und Berechnetem vor. (Vgl. Floridi 2015: 65) Und mit der Turingmaschie lassen sich im Prinzip sämtliche Algorithmen ausführen. Aber Turing zufolge gilt es unbedingt zu beachten, dass man prinzipiell nicht weiß, ob ein Algorithmus zu einem Ergebnis kommt und damit die Turingmaschine zu einem bestimmten Moment anhält, woraus man schließen muss, dass die Maschine tatsächlich in einer ewigen Schleife steckenbleiben könnte (Halteproblem). Der Computer löst also in endlichen Schritten Probleme, wenn es denn überhaupt Lösungen gibt, und hält dann an. Man kann nun die Frage stellen, ob es eine Maschine gibt, die berechnet, ob eine vorgegebene Maschine anhalten wird. Man wird ohne weiteres sagen können, dass das Halteproblem nicht lösbar ist. Beim Halteproblem ist Determiniertheit vorgegeben und das Problem verlagert sich schließlich auf die Voraussage, auf das Unberechenbare als die Grenze des Berechenbaren. Und somit gibt es kein endliches Axiom als Modell, mit dessen Hilfe zukünftige Entwicklungen vorhergesagt werden könnten, oder, um es anders zu sagen, die reellen Zahlen sind selbst in zu viele Elemente zersetzt, als dass sie unter die natürlichen Zahlen subsumiert werden könnten. (Es war schließlich John von Neumann, der die Turingmaschine mit seiner Architektur des Elektronenrechners technisch umsetzte.) Auch bei Turing zeigt sich das Prinzip der digitalen Hinlänglichkeit des Denkens. (Vgl. Galloway 2014: xxxiv) Demnach ist der Computer eine universale Maschine, die die Leistungen aller anderen Maschinen verrichten kann, vorausgesetzt, dass ihre Funktionalitäten einem logischen Prozess angehören. Der Computer ist ganz allgemein als eine Maschine zu beschreiben, die Ereignisse aktualisiert, wenn sie in den Termen der digitalen Transzendentalität formuliert sind. (Ebd.: 111) Weder die luhmannsche Einschreibung des Computers als indifferentes Medium im Rahmen von System-Umwelt Unterscheidungen noch die quasi-teleologische Diskursfigur der Maschine als prothetische Extension bzw. als Organerweiterung hilft für die Bestimmung des Digitalen wirklich weiter. Georg Tholen zufolge sollten wir stattdessen von einem »Dazwischen« der Maschine ausgehen, das deren konstitutive Unsichtbarkeit anzeigt, die das Sichtbare zuallererst eröffnet. »Das Sichtbare als Sichtbares entspringt einem Horizont nur, indem das diesen Horizont markierende Nicht-Sichtbare, Horizontlose sich zurückgezogen hat.« (Tholen 1997: 104) Medialität wird hier auf Metis bezogen, die etwas erscheinen lässt, und zwar das Symbolische – das Ein/Aus des Schalters als différance (Derrida), als Aufschub

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und als Kombinatorik, womit kein funktionales Modell, sondern ein Spiel von relationalen Stellungen angezeigt ist. Jede symbolische Verortung kann damit nur noch topologisch sein, sei sie auf den unausgedehnten präextensiven Raum bei Deleuze oder auf den Rand als eine Eröffnung des Räumlichen bezogen. (Ebd.: 109) Dabei zeigt sich weder ein voller noch ein leerer Raum, sondern man befindet sich je schon in einer rein differenziell bestimmbaren Un-Ordnung. Um sich im Verhältnis zu sich selbst verschieben zu können, ist das Symbolische selber der Ort, dessen Leere unbedingt erhalten bleiben muss, und dieser Ort, der an seinem Ort fehlt, ermöglicht erst die Relation von Maschine und Symbolischem. Die Information artikuliert den Unterschied, der einen Unterschied macht, aber dies nicht, weil die kleinste Einheit der Information, ein Bit, wie Gregory Bateson annahm, einfach, sondern, wie Bernhard Vief in seinem Essay Digitales Geld (Vief 1991: 120f.) schreibt, zweifach gegeben ist: Bits sind immaterielle, relative Teiler, sie stehen für eine Bewegung der Differenzialität, die weder anwesend noch abwesend ist, und damit ist auch der Binärcode bzw. die binäre Zahlenfolge nur als ein Effekt der sie artikulierenden Alternanz positionierbar. Wie Lacan am Beispiel der kybernetischen Maschine gezeigt haben will, ist das Artikulierte von derselben Ordnung wie die symbolischen Register, wobei der Schalter der Schaltalgebra das Dritte jener Ordnung darstellt. Die Artikulation, die weder offen noch geschlossen ist, zeigt die Möglichkeit der rein stellenwertigen Zustände erst an. Oder, um es anders zu sagen, die Artikulation der Zeichenfolge Null und Eins, die als solche ohne jede Bedeutung funktioniert, verfügt über eine alternierende Oszillation von Platzverschiebungen und Leerstellenfunktionen. Und diese Skansion von Anwesenheit und Abwesenheit ist nicht gegeben, sondern sie kommt immer hinzu. (Ebd.: 111) Alle Als-ob-Repräsentationen des digitalen Medialen, egal ob man nun den Computer als Mittel, Rechenmaschine oder Werkzeug definiert, verdanken sich Lacan zufolge dieser dissipativen Struktur des Signifikanten, die kybernetisch anschreibbar ist. Das »Gesetz« ist nicht der Zustand von Null und Eins, sondern es verweist immer auf den Schalter, exakter auf seine Verkörperung im Stromimpulswechsel von An und Aus, und dies wiederum offenbart eine Leere, die nicht im Realen ist, aber doch in ihm prozessiert und interveniert. Das An-und-AusSpiel des Symbolischen, das auf der Zeichenebene eine bedeutungsfreie Verschiebung inszeniert, ek-sistiert heute in den Informationsmaschinen, womit das Symbolische (wir würden hier sagen das Asignifikante) sich ins Technische übersetzt, ohne darin ganz zu verschwinden. Diese stellenwertigen Verschiebungen, die eine unübersetzbare

Relationalität anzeigen, inkludieren eine prinzipielle Offenheit, die als Technik-Denken die logische Syntax der Schaltalgebra prozessiert, und nichts anderes demonstriert eben die Turing-Maschine. Das naturwissenschaftliche Ideal des einwandfreien Funktionierens der Maschine, das, wie wir oben gesehen haben, ohne Messapparate wie die Uhr gar nicht denkbar gewesen wäre, zeigt somit eine weitere Verschiebung an, mit der die wahrscheinliche Maschine sich herausbildet. Mit dieser digitalen, nicht-instrumentellen Technik kann das Kapital äußerst flexibel manövrieren. (Gleichzeitig müssen aber weiterhin unaufhörlich Messungen vorgenommen werden.) Latour weist darauf hin, dass Lacan in diesem Kontext immer wieder die Tür anführt, die nur den Zustand der Öffnung oder der Schließung kennt. Das symbolische Auf/Zu der Tür soll dem logischen 0/1, dem elektronischen +/- und dem linguistischen S1/S2 gleichen. Latour will mit dem Verweis auf Lacans Kybernetisierung der Tür die Reduktion von technischen Objekten auf die in ihrer Funktion enthaltene Information ansprechen und hält Lacan folgerichtig eine Tür entgegen, die offen und geschlossen zugleich ist. Dieser Hinweis soll zeigen, dass technische Objekte sich im Sinne Simondons keineswegs allein auf Algorithmen oder binäre Codes zurückführen lassen – sie kennen, so rudimentär sie auch sein mögen, stets mehr als nur zwei Zustände.1

Während Lacan eine hochformalisierte, informationstheoretische Auffassung der Maschine vorführt, das heißt die Maschine als Materialisierung einer allgemeingültigen symbolischen Syntax oder logischen Grammatik begreift, versucht Latour mit seiner sozio-ethnologischen Ausrichtung das technische Objekt als einen Komplex zu erfassen, der in seinem Bestand, seiner Entwicklung und Prognostizierbarkeit je schon empirisch-deskriptiv zu untersuchen ist. Für Latour erscheinen Maschinen als kollektive Körper, die in ihrer Form, Entstehung und Wirkung von lokalen sozialen Umständen und Relationen abhängen und deswegen im Hinblick auf solche Beziehungen zu beschreiben sind. 1 Codes oder maschinische Aktionen sind Beschreibungen für Ereignisse, bei denen entschieden wird. Der Code insistiert auf eine spezifische Art und Weise auf die Ausführung.


Führen wir noch einen weiteren Versuch zur Bestimmung des Digitalen an, der sich zunächst nicht in erster Linie auf den Computer und das Internet bezieht, obgleich dessen Autor durch seine medienkritischen Schriften bekannt geworden ist: Alexander Galloway argumentiert in seinem Buch Laruelle. Against the Digital, dass Digitalität weniger auf der Unterscheidung von Null und Eins beruhe, sondern auf der Teilung von Eins und Zwei. (Vgl. Galloway 2014: 26) Wo Unterscheidungen gemacht werden, haben wir es je schon mit dem Digitalen zu tun. Galloway definiert in Anspielung auf die Dialektik die Bewegung von der Eins zur Zwei als (digitale) Analysis und die Bewegung von der Zwei zur Eins als Synthesis. (Ebd.: 2627) Schon die Dialektik trassiert also die Geschichte des Digitalen. So folgert Laruelle denn auch: »Hegel is dead, but he lives on inside the electric calculator.« (Laruelle 2010: 32) Das Digitale ist die am meisten emblematische Form des Transzendentalen. Galloway denkt das Digitale also nicht von der Binarität, nicht von der Unterscheidung in Null und Eins her, sondern als die Repräsentation einer grundlegenderen Unterscheidung (Eins teilt sich in Zwei), die es zuallererst ermöglicht, immer weitere Unterscheidungen vorzunehmen. Digitalisierung, das ist für Galloway die Aufteilung in Eins und Zwei, und somit setzt diese je schon auf die Relation (zwei Terme, egal welche, werden hier in Relation gesetzt): Bezüglich der In-formation erfolgt die Aufteilung in zwei Formen, bezüglich der Sprache erfolgt die Aufteilung in die Repräsentation und das Repräsentierte, bezüglich des Denkens erfolgt die Aufteilung in den Denker und das Gedachte. Das Digitale enthält also in sich das Potenzial, alle Dinge zu trennen und Unterschiede zwischen ihnen zu ziehen. Damit ist das Digitale definiert als das Eine, das in Zwei geteilt ist und das je schon teilt, um Entscheidungen zu treffen. Das Digitale beschreibt Prozesse der Unterscheidung und der Entscheidung. Innerhalb des Gegebenen sind alle Kategorien je schon geteilt, egal ob es sich um Konzepte, Objekte oder Ereignisse handelt, oder anders gesagt, die primordiale Unterscheidung erfordert, dass es eine Unterscheidung geben muss. Es geht um das Diskret-Machen oder die Trennung des bisher Fluiden, des Ganzen, des Integralen, und zwar durch Operationen der Teilung, Individualisierung, Deterritorialisierung, Extension und Entfremdung. Jeder Prozess, der Differenzen zwischen zwei oder mehreren Elementen herstellt, kann als digital bezeichnet werden. Es gibt natürlich auch weiterhin Analogität, bei der es um die Integration der Superposition oder der Zwei in Eines geht. Das Analoge löst die Relation in Richtung einer superpositionalen Immanenz auf, was nichts anderes heißt, als dass die Relation, insofern man sie als das

Verhältnis zwischen zwei diskreten Entitäten auffasst, abgelehnt wird, stattdessen wird eine viel elementarere Relation angesprochen, nämlich die Relation vom Selben. Diese Art der Auto- oder Uni-relation kann definitiv nur eine Pseudorelation sein, und dies erfordert zwingend die theoretische Konstruktion eines neuen Parallelismus, der die Bedingung der Zweiheit herstellt, insofern die Zwei vom Einen her determiniert wird. Wenn man Digitalität als die Teilung der Eins in Zwei liest, dann lässt sich in diesem Kontext auch Hegel lesen. Liest man wiederum die Zwei (die Zwei inkludiert die Logik der Essenz und des Konzepts, welche auf die Logik des Seins setzt) in Bezug auf ein Drittes, dann kommt man allerdings schnell wieder auf Lacans Schalter zurück, der die Tendenz zu einem infiniten Regress inkludiert. Für Lacan kann die Zwei niemals als Basis dienen. Während Philosophen der Immanenz, wie Laruelle oder Deleuze, den Binarismus zu überwinden und zur Singularität des Einen zurückkehren wollen, versucht Lacan, ganz im Sinne des Poststrukturalismus, den Binarismus noch zu übertreffen, und zwar durch die immerwährende Supplementierung desselben qua eines Dritten. Man könnte dies bei Lacan so aufschreiben: 1+1=3 (bei Deleuze hingegen 1+1+1+1 etc., bei Laruelle1+1=1). Letztendlich bleibt das Dritte von Lacan aber auf die Binarität (Anordnung von Dingen in Zweiheiten) und auf die Urform der Digitalität bezogen (Eins teilt sich in Zwei). Für Deleuze hingegen verbleibt man mit den Termen Binarität/Digitalität im Bereich der Integration, der Lösung komplexer Kurvenfunktionen sowie der Kodifizierung, der Repräsentation innerhalb eines symbolischen Systems und schließlich der Homogenisierung von heterogenen Bestandteilen. Wie dem auch sei, der Mix aus Logik, Arithmetik und Elektronik gewinnt erst dann eine ungeheure gesellschaftliche Mächtigkeit, wenn die Binarität von Eins und Null qua Algorithmen technisch in Millisekunden prozessiert, i. e. wenn der Computer Milliarden von Operationen in einer Sekunde abarbeitet. Somit repräsentiert der Computer heute eine ubiquitäre symbolische Logik, die in hohen Geschwindigkeiten auf integrierten SiliziumSchaltungen prozessiert. Eine kombinatorisch komplexe Logik aus einfachen Elementen wird in ahumanen Geschwindigkeiten weitgehend verschleißfreier Maschinen prozessiert, i. e. im Zuge dieser in Tausendstelsekunden Strategien prozessierenden Logik läuft das heutige elektronische Environment ab: Bildschirme, die Buchstaben und Zeichen simulieren, bewegte Bilder und Musik auf beliebigen Oberflächen, mobile Smartphones, die Milliarden von Menschen global vernetzen. Es ist aber nicht die Geschwindigkeit oder Beschleunigung als solche, sondern es sind die spezifischen Rhythmisierungen insbesondere

engagée | 13


des real-finanziellen Kapitals, die heute in der letzten Instanz Sachverhalte wie Flexibilisierung, Prekarisierung, just-in-time-Produktion und das permanente on-call-Sein erzeugen, obgleich dies alles ohne die Logik des Computers, die heute sämtliche Bereiche der Ökonomie, Politik und des Sozialen durchdringt, nicht möglich wäre.

herschieben und ihm doch nur infinitesimal nahe kommen können, und so erklärt sich denn auch die paranoid-depressive Tendenz, die heute wie eine unerträgliche Schleimspur alles zu überziehen versucht. Nietzsche sagte irgendwo, wer dem Ziel nahe ist, der tanzt – er verstand darunter aber einen ganz anderen Tanz.2

Und damit gelingt es dem Kapital in der Tendenz totalitär-standardisiert auch die menschliche Affektion, Kognition und Wahrnehmung zu erfassen, die jetzt erst vollkommen medial wird. Entscheidend dabei ist, dass mit der Digitalisierung in einer ganz spezifischen Weise die Techno-Logik (Verwandtschaft, Multiplizierung, Binarität) mit der Produktionsweise des Kapitals verknüpft wird. Hierin fungiert der Computer als die real-symbolische Maschine (Kreation von Bedeutung) und zugleich als das Ideal einer total transparenten Kommunikation, die von ihrer Verdichtung überhaupt nicht zu trennen ist. Die Prozesse der Telekommunikation sind immer auch solche der Verdichtung. (Vgl. Sloterdijk 2005: 278)

Bibliographie

Und die Philosophie bedient sich dieses Denkens und bedient es zugleich, indem sie immer wieder postuliert, dass das Reale kommunizierbar und das Kommunizierbare real zu sein habe. »Bedeutung, immer mehr Bedeutung! Information, immer mehr Information!«, das ist das Mantra der hermeneutisch-logischen Differenz, das unaufhörlich die Terme Wahrheit und Kommunikation miteinander vermischt, das Reale und die Information. François Laruelle weist in diesem Kontext immer wieder auf den fundamentalen Link zwischen Philosophie und Medien hin. Jede Philosophie, so Laruelle, unterschreibe heute die kommunikative Entscheidung, die darauf abziele, dass alles, was existiere oder erkennbar sei, auch kommuniziert werden müsse. In dieser »self-inscribed world« müsse tatsächlich noch das letzte Geheimnis aufgedeckt und kommuniziert werden, alles, was bisher noch nicht gesagt wurde, sei nur dazu da, damit man es endlich sage. Für Laruelle ist die kommunikative Entscheidung noch heimtückischer als die philosophische Entscheidung: Es ist eine Sache, zu sagen, dass alles, was existiert, einen zureichenden Grund besitzt, aber es ist eine andere Sache, zu fordern, dass alles, das aus irgendeinem Grund existiert, transparent kommuniziert werden soll. Wenn die philosophische Entscheidung eine Variante des Prinzips des zureichenden Grundes ist, dann fügt die kommunikative Entscheidung die absolute Kommunizierbarkeit der Bedeutung als heimtückisches Aperçu noch hinzu. (Laruelle 2010) Und Kommunikation ist heute ohne Computerisierung nicht zu haben, sodass wir hier von »Compunication« sprechen müssen. Die verschiedenen Systeme basieren alle auf Software und sind daher zumindest potenziell in Maschine-Maschine-Systemen untereinander austauschbar. Und es sind das Kapital mit seiner Maßlosigkeit und die Politik seiner Staaten, die zusammen das Ziel der vollkommenen Kommunikation und der reinen Transparenz vor sich

Baecker, Dirk (2015): Summer Camp II: Das Theorie Update. In: https://catjects. wordpress.com/2015/06/17/summer-camp-ii-digitalisierung/. Dyer-Witheford, Nick (2015): Cyber-Proletariat. Global Labour in the Digital Vortex. London. Floridi, Luciano (2015): Die 4. Revolution – Wie die Infosphäre unser Leben verändert. Berlin. Galloway, Alexander (2014): Laruelle. Against the Digital. Minneapolis. London. Laruelle, François (2010): The Truth according to Hermes: Theorems on the Secret and Communication. In: Parrhesia No.9. http://parrhesiajournal.org/index.html. Sloterdijk, Peter (2005): Im Weltinnenraum des Kapitals. Für eine philosophische Theorie der Globalisierung. Frankfurt/M.. Tholen, Georg (Hrsg.) (1997): HyperKult. Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien. Basel/Frankfurt/M., S. 99–119. Vief, Bernhard (1991): Digitales Geld. In: Rötzer, Florian (Hrsg.): Digitaler Schein. Frankfurt/M., S. 117–147. „Was heißt Digitalität?“ ist Achim Szepanskis Werk Der Non-Marxismus. Finance, Maschinen, Dividuum entnommen, das 2016 im LAIKA-Verlag Hamburg erschienen ist.

2 Mit dem Rückgriff auf den luhmannschen Kommunikationsbegriff wirft Dirk Baecker neuerdings die Frage auf, ob Maschinen nicht nur untereinander kommunizieren, sondern ob sie sich auch an der menschlichen Kommunikation beteiligen können. (Baecker 2015) Letztere Fragestellung berührt die Sozialtheorie der Digitalisierung. Baecker bringt einen sog. Shannon II ins Spiel (Information wird hier als Einheit der Differenz der Nachricht und des Auswahlbereichs möglicher Nachrichten verstanden). Man solle mit einem dermaßen sozialisierten Shannon keineswegs von einem technisch definierten, sondern von einem sozial konstruierten Auswahlbereich (variabel qua Konstruktion, Interpretation und Kontext) ausgehen. Laut Baecker sind Maschinen zu dieser Art von Kommunikation nicht fähig, da sie nicht die Kapazität besitzen, mit Nichtwissen umzugehen bzw. mit dem Wissen, nicht zu wissen, welcher Auswahlbereich denn nun für das Verstehen welcher Nachricht der »richtige« ist. Baecker fügt allerdings hinzu, dass die Existenz evolutionärer Algorithmen, der Fuzzy Logic, und des Embedded Systems Designs und anderer Techniken des Umgangs mit Unschärfe und Ungewissheit diese Aussage obsolet machen könnten. Baecker definiert Kommunikation als die Relation zwischen komplexen und relativ unabhängigen Einheiten, deren Verhalten wiederum als eine Funktion dieser Relation beschrieben werden kann, unter der Voraussetzung, dass diese Relation eine Funktion der Subjektivität ist und damit Optionalität ermöglicht: Das Verhalten als Funktion der Relation, als Funktion von Subjektivität, das mit der Mathematik rekursiver Funktoren (Mensch, Gruppe, Rolle, Institution, Netzwerk, System etc..) verhandelt werden könne. Man hat hier neben den Transformationsfunktionen immer auch die Zustandsfunktionen der beteiligten komplexen Einheiten (Prozesse, Systeme und Netzwerke) in ihrer Wechselseitigkeit zu berücksichtigen. Ein derart erweiterter Subjektivitätsbegriff, das ist gegen Baecker einzuwenden, ist allerdings ein sehr spezifischer, er ist nicht auf das Individuum, sondern voll und ganz auf das Dividuum zu beziehen. Digitalisierung als sozialer Prozess (zu unterscheiden vom technischen Prozess) ist heute ein Prozess der immer stärkeren Beteiligung »intelligenter« Maschinen an der sozialen Kommunikation, der selektiven Vernetzung von quasi-autonomen Akteuren. Diese Beteiligung von »intelligenten« Maschinen ist für Baecker unter dem Verweis auf Luhmann die eigentliche »Katastrophe«, die den Wandel von der modernen Buchdruckgesellschaft hin zur Gesellschaft elektronischer Medien auslöst. Die »Intelligenz« dieser Maschinen besteht darin, dass sie an der Mensch/Maschinen-Schnittstelle Operationen durchführen, die es fast verunmöglichen, eindeutige oder gar kausale Beziehungen zwischen einer Eingabe und einer Ausgabe von Information herzustellen. Diese »intelligenten« Maschinen sind definitiv Black Boxes, deren Codes, Datenspeicher und Algorithmen unsichtbar bleiben. Ihre Kenntnis muss man heute ganz den Ingenieuren überlassen, und selbst diese weisen immer öfter daraufhin, dass man sich zunehmend nur noch auf Maschinen verlassen könne, welche die Informationen filtern und die Daten selektieren. Digitalisierung als sozialer und kultureller Prozess heißt dann, dass sich Maschinen, wenn auch noch so rudimentär, an der Kommunikation beteiligen und dass die humanen Akteure einzusehen haben, dass jene sich beteiligen: Maschinen verändern die zu verarbeitenden Informationen, indem sie aus ihren Codes, Speichern und Algorithmen Konditionierungen beisteuern, an die andere Akteure möglicherweise nicht »gedacht« haben. Sie machen mit Mitteilungen auf sich aufmerksam, deren Intention, Autorität, Zeitpunkt und Konditionierung in einem Netzwerk weiterer Beobachter nur schwer, wenn überhaupt kontrollierbar ist.


»Privatheit ist nicht tot, sondern ungleich verteilt.«

Felix Maschewski und Anna-Verena Nosthoff von engagée im Gespräch mit der Privacy-Expertin Frederike Kaltheuner über WählerInnentargeting, Cybermanifestos und die Frage nach der (digitalen) Technik.

D

er in Stanford lehrende Datenwissenschaftler Michal Kosinski, der zuletzt an der Charaketeranalyse via Facebooklikes und -bildern forschte, verkündete im Frühjahr auf der CeBit das „Ende der Privatheit“. Es sei schlicht egoistisch, seine Daten nicht zu teilen. Statt antiquierte Vorstellungen zu propagieren, sollten wir uns mit den neuen Realitäten abfinden. Du saßt damals neben Kosinski auf dem Panel. Wie beurteilst du derartige Aussagen? Michals Forschung zeigt sehr eindrücklich, wie aus scheinbar belanglosen Datenspuren hochsensible Informationen gewonnen werden können. Das Recht auf Privatheit wird in diesem Zusammenhang aber nicht überflüssig oder unzeitgemäß, sondern wichtiger denn je. Wenn ich anhand von einfachen Metadaten ein Persönlichkeitsprofil erstellen kann, heißt das im Umkehrschluss, dass jede Organisation, die Daten über mich sammelt, prinzipiell wissen kann, ob ich neurotisch, gewissenhaft oder offen für neue Erfahrungen bin.

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Dasselbe gilt für andere sensible Daten, wie sexuelle Präferenzen oder politische Orientierung. In diesem Sinne bestimmen sich aber nicht nur Smartphones, sondern fast alle Formen vernetzter, internetfähiger Geräte als ein gewaltiger psychologischer und demographischer Fragebogen, den wir konstant bewusst und unbewusst ausfüllen. Sensible Daten sind auch deshalb sensibel, weil sie gegen uns verwendet werden können. Allerdings ist auch wichtig zu verstehen, dass solche datengetriebene Rückschlüsse eine bestimmte Art von Wissen generieren. Die gängige Vorstellung ist immer noch, dass wir uns mehr oder weniger bewusst entscheiden können, ob und mit wem wir Daten über uns teilen möchten. Persönliche Daten werden aber immer häufiger und immer umfassender erhoben und analysiert, oder aus anderen Daten abgeleitet, zuweilen sogar vorhergesagt (provided data vs. observed, derived and inferred data). Diese Daten sind aber per Definition immer nur eine Annäherung an die Realität und oft systematisch verzerrt. Ihre Verwendung kann daher äußerst problematisch sein – etwa, wenn solche Daten die Grundlage automatisierter Entscheidungen bilden. Als Gesellschaft müssten wir uns also fragen, wann und wo wir uns auf probabilistisches und antizipatorisches Wissen verlassen möchten – wann und wo nicht. In der personalisierten Onlinewerbung, in der Justiz, in Bewerbungsverfahren oder, um jemanden auf eine No-Fly-Liste zu setzen?

Die Privatheit ist nicht tot, sondern ungleich verteilt. Automatisierte Entscheidungen anhand von Daten, deren Existenz uns nicht einmal bewusst ist, werden besonders gerne dort eingesetzt, wo Geld gespart werden soll. Das Recht, über uns getroffene Beurteilungen und Entscheidungen zu korrigieren, oder zumindest anzufechten, ist zunehmend zum Luxus geworden. Kosinski ist nun weniger für seine fragwürdigen Aussagen über Privatheit als für seine Forschungen im Rahmen der Datenanalyse bekannt. Er lieferte indirekt sogar die Analysewerk-

zeuge, die Cambridge Analytica-CEO Alexander Nix, der mit ihnen den Wahlkampf Donald Trumps unterstützt haben soll, nun prominent vermarktet. In den letzten Monaten wurde in diesem Zusammenhang wiederholt über die Gefahren des WählerInnentargetings und der gezielten Manipulation von WählerInnenmeinungen diskutiert. Wie schätzt du den Einfluss von Firmen wie Cambridge Analytica ein und was sollte uns an ihnen beunruhigen?

Skrupellose Unternehmen, die wenig Respekt vor geltendem Recht haben und intimste Daten über Millionen von Menschen zur gezielten Beeinflussung von Stimmungen, Meinungen und Verhalten nutzen, sollten uns immer beunruhigen. Das Problem ist jedoch nicht Cambridge Analytica, sondern, dass die datenbasierte Beeinflussung von Verhalten das Geschäftsmodell unserer Zeit ist. Im Kontext von Wahlen ist das besonders eindrücklich. Die Kritik jedoch auf eine einzige Firma zu beschränken, halte ich für zu einfach. Auch IBM bietet eine Software an, die anhand von Textdaten Persönlichkeitsprofile erstellt. Wer die Snowden-Dokumente gelesen hat, wird sich erinnern, dass auch der Britische Nachrichtendienst GCHQ die Abteilung JTRIG (Joint Threat Research Intelligence Group) unterhält, die unter anderem auf die Manipulation von Online-Diskursen und die gezielte Verbreitung von Falschinformationen spezialisiert ist. Ein interner Bericht aus dem Jahre 2011 zeigt eindeutig, dass sich der Geheimdienst für die Potenziale der datenbasierten Persönlichkeitsanalyse interessiert. Cambridge Analytica ist also bei Weitem nicht die einzige Organisation, die hochsensible psychometrische Daten zur gezielten strategischen Kommunikation nutzt. Zumindest im US-Kontext ist außerdem wichtig, dass alle politischen Parteien spätestens seit Obama die Wählerschaft ganz gezielt mit Mikrotargeting beeinflussen wollen. Persönlichkeitsprofile mögen vielleicht eine Innovation sein, aber das macht die Datenoperation von Hillary Clinton nicht weniger problematisch.

Angesichts der neuen Potenziale, die die Technologien um Big Data und Co. vermitteln, scheinen sich aktuell die alten politischen Steuerungsträume aus der Hochzeit der Kybernetik


(60er/70er Jahre) zu revitalisieren. Star-Investoren des Silicon Valley wie Tim O’Reilly oder Governance-ExpertInnen wie Beth Noveck oder Parag Khanna propagieren Modelle von ‚algorithmic regulation’ bis ‚democracy as data’. Was denkst du darüber, bewegen wir uns auf eine Technokratie 2.0 zu oder sind hinter den technologisch avancierten Modellpraxen doch nur wieder die Gesetze des Neoliberalismus am Werk (siehe beispielsweise auch die Debatte um den rechts-libertären Software-Milliardär Robert Mercer, Stephen Bannon, Cambridge Analytica und Co.)?

Kybernetische Steuerungsträume sind immer auch ein Phantasma, vielleicht sogar das Phantasma unserer Zeit. Das Versprechen der Datafizierung ist auch immer das Versprechen einer Welt, in der alles quantifizierbar, messbar und dadurch steuerbar wird. Ich finde ja, dass die Faszination an Mercer und Cambridge Analytica auch etwas mit diesem Phantasma zu tun hat. Die Idee, dass eine skrupellose Firma alleine durch die geschickte Nutzung hochsensibler Daten und jeder Menge Geld das Wahlverhalten Tausender signifikant verändert hat, ist beängstigend, in letzter Konsequenz aber nicht nachweisbar. Latente Ausländerfeindlichkeit, eine nie aufgearbeitete Kolonialgeschichte, die Boulevardpresse, Generationenkonflikte, eine – zumindest 2016 noch – zerstrittene Labour Party, die sich nicht eindeutig positioniert hat, jahrelang verbreitete Desinformationen über die Aufgabe der Europäischen Union, wachsende Ungleichheit, Austeritätspolitik – all diese Faktoren sollen weniger ausschlaggebend gewesen sein, als der gezielte Versuch der datenbasierten Steuerung durch einen einzelnen Akteur? Die Realität ist ungemein schwieriger. Natürlich sind das Verhalten und die intimsten Gedanken von ganzen Bevölkerungen quantifizierbarer, messbarer und somit auch kontrollierbarer geworden. Und natürlich haben sich inund ausländische Geheimdienste und diverse Unternehmen durch Kontrolle über diese Daten und die Infrastruktur, in der politischen Kommunikation und Meinungsbildung zunehmend stattfindet, ein Machtmonopol angeeignet. Informationen sind Macht, Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut. Das ist ganz eindeutig eine Gefahr für die freie und offene Gesellschaft. Im Silicon Valley herrscht, wie vielfach analysiert, die Geis-

teshaltung des „Solutionismus“ (Evgeny Morozov), d.h. der Glaube, dass es für jedes Problem eine technologische Lösung gebe. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Ethik der Machbarkeit“. Welche Probleme siehst du in diesem Konzept?

Solutionismus ist verführerisch. Leider gibt es nicht für jedes Problem eine zufriedenstellende technologische Lösung. Viele Probleme lassen sich überhaupt nicht einfach lösen oder monokausal erklären. Gerade dort eignet sich Technologie besonders gut als Platzhalter. Vielleicht sollten wir in diesem Zusammenhang nicht nur von einer „Ethik der Machbarkeit“, sondern einer „Ethik der monokausalen Erklärbarkeit“ sprechen. Technologie fungiert nämlich nicht nur als machbare Lösung, sondern auch als vereinfachte Erklärung von Ursachen. Ein gutes Beispiel sind die politischen Reaktionen nach terroristischen Anschlägen. Was ist die wahre Ursache eines Anschlags? Wer, wie die britische Premierministerin Theresa May, die Schuld reflexartig auf angeblich „sichere Rückzugsorte“ (safe spaces) im „Cyberspace“ schiebt, macht es sich nicht nur sehr einfach, sondern entpolitisiert eine fundamental politische Debatte. Großbritannien hat unter Theresa May als Innenministerin erst 2016 eines der extremsten Überwachungsgesetze westlicher Demokratien verabschiedet. Man könnte also fast meinen, dass Überwachung nicht funktioniert – und dass sich Anschläge in einer freien Gesellschaft leider nur sehr schwer verhindern lassen. Technologie eignet sich besonders gut als Heilsbringer („Ethik der Machbarkeit“) oder Sündenbock („Ethik der monokausalen Erklärbarkeit“), weil das allgemeine Verständnis so gering ist, dass sich politische Positionen als scheinbar neutrale Metaphern tarnen lassen. Verstecken sich Terroristen im „Cyberspace“, wenn sie auf WhatsApp eine verschlüsselte Nachricht schicken? Die räumliche Metapher suggeriert, dass Regierungen auf diese Räume nicht zugreifen können, dass diese Räume „dunkel“ sind, und wir sie deshalb beleuchten müssen. Das ist ganz bewusst irreführend und faktisch schlichtweg falsch. Neben den häufig negativ konnotierten Debatten um die Gefahren der künstlichen Intelligenz, Big Data etc. hat etwa der französische Philosoph Bernard Stiegler jüngst wiederholt den

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pharmakologischen Aspekt der Technik betont; d.h. pointiert, dass sie sowohl Gift als auch Heilmittel ist. Etwas sinnverfremdet betonen auch die Apologeten des Silicon Valley immer wieder, dass die Technik per se „neutral“ (Eric Schmidt etc.) sei, ist dem so? Oder anders gewendet: Brauchen wir eine neue Moraltheorie der Technik?

Neben allerlei dystopischen werden immer auch emanzipatorische Potenziale in den Debatten (z.B. in puncto Arbeitswelt) um die Digitalisierung hervorgehoben. Welche wären das für dich und was müssen wir gesellschaftlich tun, um diese Potenziale zu nutzen? Umgekehrt gefragt: Was hindert uns daran, diese umzusetzen?

Dem würde ich mit Melvin Kranzberg entgegensetzen: Technology is neither good, nor bad; nor is it neutral. Technik hat keine determinierten Auswirkungen auf die Gesellschaft, trotzdem ist Technik natürlich niemals wertneutral. Wir kommunizieren und bewegen uns zunehmend in dynamischen, vernetzten Räumen. Die Gestaltung und Kontrolle über diese Räume gleicht einer ontologischen Macht. Wer in diesem Kontext zum Beispiel maschinelles Lernen mit einem Hammer vergleicht, macht es sich zu einfach.

Digitalisierung im engeren Sinne heißt nichts weiter als die digitale Repräsentation von analogen Medien, physischen Objekten oder Ereignissen. Das ist nicht inhärent emanzipatorisch, aber deshalb nicht weniger radikal. Ich möchte nicht mehr in einer Welt leben, in der Informationen knapp sind und Wissen teuer ist. Digitalisierung ist keine Naturgewalt mit Potenzialen und Gefahren, sondern besteht aus kontingenten Strukturen und Prozessen. Die Frage ist nicht, ob Digitalisierung an sich gut oder schlecht ist, sondern wie und in wessen Interesse wir sie gestalten möchten. Die Antworten sind durchaus antagonistisch, weswegen die Metaphern und Bilder, mit denen wir Veränderungen beschreiben, so politisch sind.

Die wirklich interessante Frage ist, was wir eigentlich heute mit Technik meinen – Daten, Algorithmen, Plattformen, Interfaces, vernetzte Geräte, Sensoren, das Internet? Auf welcher Abstraktionsebene soll eine solche Moraltheorie der Technik überhaupt ansetzen? Was ist ihr Gegenstand in einer menschengemachten, vernetzten Welt? Technologieunternehmen, besonders im Bereich der künstlichen Intelligenz, aber auch Softwareentwickler und Ingenieure sind momentan sehr an Moral und Ethik interessiert. Das zeigt auf der einen Seite, dass sie sich ihrer enormen gesellschaftlichen Verantwortung langsam bewusst werden; gleichzeitig wird Ethik in diesen Kontexten oft als etwas verstanden, das einem Produkt oder einer Dienstleistung einfach hinzugefügt werden kann. Dazu kommt natürlich auch, dass Ethikdiskurse kein Ersatz für notwendige gesetzliche Kontrollen, Regulierung und Aufsicht werden dürfen.

Aus heutiger Sicht wirken die Cybermanifestos aus den 80er und 90er Jahren naiv und gleichzeitig vorausahnend neoliberal; ich denke hier zum Beispiel an A Declaration of the Independence of Cyberspace. Sie zeigen aber auch sehr


deutlich, dass Dinge, die wir heute für selbstverständlich halten, auch anders hätten sein können – das libertäre Ideal eines staaten- und grenzenlosen „Cyberspace“ ist natürlich keine utopische Alternative.

Man hat häufig den Eindruck – nach Snowden oder den jüngsten Enthüllungen rund um die CIA-Überwachung – dass sich die BürgerInnen im Spannungsfeld digitaler Technologien entweder tendenziell ohnmächtig fühlen, oder aber, wie Slavoj Žižek es hinsichtlich neolibaralen Konsums generalisiert, trotz eines besseren Wissens um die Kontrolle, die „Früchte“ der Digitalisierung genießen – im Sinne von „they know very well, but still“. Natürlich spielen da auch Wettbewerbsmechanismen eine große Rolle; viele Menschen können es sich einfach nicht leisten, ein Leben jenseits der sozialen Netzwerke, jenseits der Technik zu führen: Das ist ja auch eine Form sozialen Kapitals. Was kann denn die bzw. der Einzelne konkret tun, um sich der Überwachung seitens der Regierungen, vor allem aber auch der Privatwirtschaft – zumindest teilweise – zu entziehen?

Es stimmt natürlich schon, dass die Gefahren und Folgen abstrakt erscheinen, manchmal erst Jahre später zu spüren sind, und nicht alle gleichermaßen stark betreffen; zum Beispiel, wenn es – wie angesprochen – um datenbasierte, automatisierte Entscheidungen geht. Ohnmacht beschreibt den derzeitigen Zustand sehr gut. Es wird ja oft behauptet, dass die Privatsphäre auch deshalb überholt sei, weil Privatpersonen „willentlich“ intime Informationen über sich ins Netz stellen. Das ist empirisch so nicht richtig – Studien zeigen immer wieder, dass die meisten Menschen ihre Onlinepräsenz sehr genau kuratieren. Dazu kommt leider auch, dass das allgemeine Verständnis über das Ausmaß der von Webseiten, Netz-

werken, Apps und Geräten gesammelten Daten gering ist. Ganz zu schweigen von der Vielzahl an hochsensiblen Rückschlüssen, die selbst aus scheinbar uninteressanten Informationen gewonnen werden können. Wie kann und soll sich der bzw. die Einzelne dem entziehen? Auch deshalb darf die Verantwortung nicht auf Einzelne abgewälzt werden. Ganz im Gegenteil – wir dürfen uns nicht zensieren oder uns dem öffentlichen Raum entziehen. Natürlich versuchen Organisationen wie Privacy International, Bürger besser zu informieren. Wir setzen uns aber hauptsächlich für bessere und effektivere Regulierung ein – auf regionaler, nationaler oder internationaler Ebene, fordern eine strenge Kontrolle staatlicher Überwachung und unterstützen Partnerorganisationen im globalen Süden, wo Gesetze zum Datenschutz oder im Bereich Cybersicherheit zum Teil erst geschrieben werden müssen.

Welche Gefahr schätzt du denn größer ein: die der Privatwirtschaft oder die der Regierungen?

Eine Hauptgefahr sehe ich in der zunehmenden Verflechtung zwischen Regierungen und der Privatwirtschaft, insbesondere im Bereich der nationalen Sicherheit und im Militär.

Gibt es noch etwas, das du loswerden möchtest? Nein. Danke für die guten Fragen.

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Programmierte Paralyse // Amadeus Ulrich

//1.

Digitale Techniken verändern tiefgreifend, wie wir kommunizieren und uns informieren. In sozialen Netzwerken entscheiden Algorithmen unter anderem auf Grundlage von Suchgeschichte, heteronormativen Kategorien und „Gefällt-mir-Angaben“, was Nutzer*innen angezeigt und vorgeschlagen wird oder welche in Hashtags gepressten Debatten als relevant gelten. Viele füttern die digitalen Maschinen unerlässlich, indem sie online einen Fetisch der Selbstentblößung und Transparenz ausleben. „Heutzutage ist es richtig schwer geworden, alltägliche Aktivitäten zu finden, die nicht überwacht und aufgezeichnet werden“, schreibt Evgeny Morozov in Smarte Neue Welt.1 Alle Formen menschlicher Existenz sind dem Netzkritiker zufolge „Subjekt von Messungen, Analysen und Sharing geworden.“ Aus den akkumulierten Daten entsteht die sogenannte „Filter-Blase“, die Eli Pariser prägnant beschreibt: „Zusammen erschaffen diese Maschinen ein ganz eigenes Informationsuniversum für jeden von uns [...] und verändern so auf fundamentale Weise, wie wir an Ideen und Informationen gelangen.“2 Diese Blase behindert, wie ich im Folgenden argumentiere, eine emanzipatorische Praxis, die vernünftige Verhältnisse anstrebt. Denn sie führt zu einer selektiven Wahrnehmung und verzerrten Kommunikation, zu von eindimensionalen Menschen bewohnten isolierten Universen, in denen Reflexionsprozesse ausbleiben.

//2.

Jürgen Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns zufolge stellen Akteur*innen Geltungsan-

1 Morozov, Evgeny (2013): Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen. München: Karl Blessing Verlag. 2 Pariser, Eli (2012): Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden, München: Carl Hanser Verlag, 17.

sprüche an Sprechakte, wenn sie sich über eine Situation verständigen. Dabei müssen sie annehmen, dass sie einen holistischen Hintergrund teilen: eine Lebenswelt. Dieser Begriff bezieht sich auf die Kategorien der Kultur, Gesellschaft und Persönlichkeit und beschreibt einen präreflexiven Kontext, einen kulturell überlieferten und sprachlich organisierten Vorrat an Deutungsmustern, der Diskurse ermöglicht.3 Nun geht Habermas davon aus, dass dem Prozess sprachlicher Verständigung ein emanzipatorisches Potenzial innewohnt. Damit es ausgeschöpft wird, braucht es Erschütterungen in den Denkarten, dissonante Erfahrungen also, die durch neue oder nicht bedachte Argumente, Fragen, Themen und Ereignisse hervorgerufen werden. Regelhaft ausgetragene Differenzen können dazu führen, dass sich eine Lebenswelt, d.h. die Vorstellungen von legitimen Ordnungen, persönlichen Fähigkeiten und des gültigen Wissens, erweitert oder in einem positiven Sinne verändert. „Rationale Diskurse“, schreibt der Philosoph, „erfordern den spontanen Austausch von Gründen für informierte Stellungnahmen zu relevanten Themen und Beiträgen.“4 Da soziale Medien den Kreis jener, mit denen wir Argumente austauschen können, und somit auch die Öffentlichkeit radikal verbreitern und die Kommunikation, zumindest augenscheinlich, vereinfachen, ließe sich vermuten, dass die Digitalisierung in dieser Hinsicht einen positiven Beitrag leistet. Doch Skepsis ist angebracht, sofern Algorithmen das Blickfeld zu stark verengen. Habermas’ Idee einer zwanglosen und hierarchielosen Sprechsituation, in der sich die „besseren“ Argumente durchsetzen und die politische Willensbildung durch den „Filter einer diskursiven Meinungsbildung“5 hindurchgeht, wirkt im digitalen Universum erst recht utopisch. 3 Vgl. Habermas, Jürgen (1995): Theorie des kommunikativen Handelns. Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Band 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 189. 4 Habermas, Jürgen (2008): Ach, Europa. Kleine politische Schriften XI. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 148. 5 Ebd.


Online sind die Öffentlichkeiten fragmentiert, Kommunikation findet meist unstrukturiert und unredigiert „im Meer der digitalen Geräusche“ statt.6 Oft gleiten Debatten in Anfeindungen ab, ja sogar in offenen Hass. Hinzu kommt, dass das „Interesse“ der Masse auf Plattformen wie Youtube oder Spotify einen entscheidenden Einfluss darauf hat, was als „gut“ zählt. Für widerständige Kunst kann eine Doppelklickmentalität in einer digitalen Öffentlichkeit zur Folge haben, dass sie kaum provozieren und originell sein kann, ohne in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden – aufklärende Ästhetik setzt sich schwerlich durch, es droht Entsublimierung.7 Der Regisseur Nicolas Winding Refn pointierte: „Der größte Gegner der Kreativität ist guter Geschmack.“ In diesem Sinne können Algorithmen kaum Ästhetik finden, denn sie versuchen, den mutmaßlich „guten Geschmack“ zu filtern, und schränken so Pluralität und Zufälligkeit ein.

//3.

In der strukturierten politischen Diskussion sieht Habermas die Möglichkeit, dass Individuen ihr Wertesystem verändern und neue Vorstellungen von legitimen Ordnungen übernehmen. Technikoptimist*innen könnten behaupten, dass das Web hierfür einen idealen Kontext bietet. Doch es wäre naiv, das Netz als einen unbeschränkten Raum zu begreifen, eben weil es auf eine für Nutzer*innen undurchsichtige Weise personalisiert ist. So schreibt Morozov, die „Flucht vor dem Denken und der Drang, menschliches Urteilsvermögen durch zeitlose, von Algorithmen erzeugte Wahrheiten zu ersetzen, ist die treibende Kraft, die dem Solutionismus zugrunde liegt.“8 Mit „Solutionismus“ meint er jenes Dogma – oder sollten wir von Ideologie sprechen? – des Silicon Valleys, dass digitale Technik jedes „Problem“ lösen könne.9 Man denke nur an die Worte Eric Schmidts: „Wenn wir es richtig angehen, können wir alle Probleme der Menschheit lösen.“10 Doch digitale Maschinen, die bestimmen, was uns online angezeigt wird, schaffen auch Probleme, etwa wenn sie so programmiert werden, dass unser Wertesystem stets affirmiert wird und nur das in unser Blickfeld gerät, was

6 Diese Metapher nutzte Habermas 2014 in einem Interview mit Markus Schwering. 7 Vgl. Morozov (2013: 269). 8 Ebd. (420).

uns zu interessieren scheint. Google-Suchergebnisse unterscheiden sich von Person zu Person. Schlimmstenfalls liest, sieht, hört und erfährt man nur noch, was bestehende Werte und Meinungen bestätigt und unterstützt. Es kann keine diskursive Willensbildung stattfinden, in der die Qualität von Gründen zählt, wenn die einzigen Argumente und Meinungen, die wir online austauschen, die von uns bereits geteilten sind. Unsere Lebenswelten bleiben eingeschränkt, denn sie erweitern sich über Erfahrungen der Dissonanz und Konsensfindung, über ausgewogene Debatten, in denen Konflikte fair ausgetragen und die Interessen aller Betroffenen hypothetisch in Betracht gezogen werden. Das erleben wir online jedoch kaum, weil wir das, was uns nicht gefällt, was uns nicht interessiert, exkludieren oder von einer smarten Maschine gefiltert bekommen, und Individuen, mit denen wir nicht sprechen wollen, blockieren können oder erst gar nicht mit ihnen in Berührung kommen. Das Web erleichtert zwar in gewisser Hinsicht den politischen Aktivismus, weil man sich einfacher koordinieren kann;11 doch ein Aktivismus, der online nur Gleichgesinnte erreicht, hat wenig Sinn, wenn man eine Transformation der Verhältnisse herbeiführen und neue Formen der Subjektivität ermöglichen will. Das wiederum verweist auf die schwierige Frage nach der Form, Möglichkeit und Bedeutung digitalen Ungehorsams. In der Regel ist es für einen Rationalisierungsprozess erforderlich, dass sich Weltbilder dezentrieren und entkräftet werden. Das geschieht auch über kommunikativ erreichte Einsichten darüber, welche Normen vernünftig begründet werden können oder was als gültiges Wissen gilt, ohne auf einer Letztbegründung zu beharren. Doch die Big Player (Google, Facebook und Co.) zentralisieren im Schulterschluss mit der Kulturindustrie die Macht im Netz und spezialisieren sich darauf, die Nutzer*innen so gut zu „kennen“, dass diese nicht das zu sehen oder hören bekommen, was ihr Weltbild erschüttern oder ihnen missfallen könnte, wodurch Denkanstöße ausbleiben. Auf ihren Geräten scheint das auf, was sie vermutlich gerne konsumieren oder wissen wollen. Wichtige, komplexe Themen geraten in den Hintergrund; wir sollen uns in der Echokammer wohlfühlen. Gesellschaftliche und individuelle Emanzipation hingegen ist ein Prozess, der es erfordert, kritisch und reflexiv zu denken, und sich mit Themen zu beschäftigen, über die man unwillentlich etwas erfahren will oder die einen nicht interessieren, aber interessieren sollten. Hierfür braucht es das offene Gespräch mit anderen – vor allem mit jenen, die anders denken.

9 Vgl. Barbrook, Richard und Cameron, Andy (1995): The Californian Ideology. In: http://www.imaginaryfutures.net/2007/04/17/the-californian-ideology-2/ (Zugriff: 06/02/2017). 10 Zitiert in Nosthoff, Anna-Verena und Maschewski, Felix (2017): Wo ist das egalitäre Internet geblieben? In: Neue Zürcher Zeitung, Ausgabe vom 8. Mai, 27.

11 Gewiss trifft das Gegenteil ebenso zu, da die Digitalisierung die Kontrolle bzw. Überwachung erleichtert, weshalb viele Aktivist*innen analoge Technik nutzen.

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//4.

Die „Filter-Blase“ hemmt das emanzipatorische Potenzial, das in der intersubjektiven Verständigung angelegt ist, wenn sie Reflexionsprozesse und dissonante Erfahrungen unterbindet, wenn Individuen, überspitzt gesagt, zu Gefangenen ihrer eigenen (virtuellen) Welt werden und das, was in ihrer jeweiligen Kommunikationsgemeinschaft zirkuliert, für bare Münze nehmen.12 Es bedarf der Mehrdimensionalität. Das impliziert nicht, dass Filter per se problematisch sind; doch die Möglichkeit zum reflektierten Widerspruch, zum vernünftigen Dissens und zur aufgeklärten Diskussion muss im digitalen Kontext stärker institutionalisiert und hate speech indes unterbunden werden. Auch sollte für Nutzer*innen transparent sein, was mit ihren Daten geschieht, da digitale Techniken nicht nur unser Selbstbild mitgestalten, sondern auch definieren, was wir scheinbar über uns und andere denken.13 Politisches Engagement wird vor allem motiviert, wenn Akteur*innen einsehen, warum es erforderlich sein könnte, z.B. gegen sozioökonomische Ungleichheit oder prekäre Arbeitsverhältnisse in Gesellschaften zu kämpfen, wenn sie also Gründe finden, die für oder gegen Handlungen, Denkweisen und Institutionen sprechen.14 Das gelingt ihnen nicht nur im Gespräch mit sich selbst, sondern mittels Deliberation, durch den diskursiven Streit, in dem tradierte „Rechtfertigungsnarrative“15 und die durch sie gefestigten Verhältnisse radikal hinterfragt werden. Nach Eli Pariser könnten die Ingenieur*innen der „Filter-Blase“ für Serendipität sorgen, „indem sie Filtersysteme schaffen, die Individuen mit Themen in Kontakt bringen, die außerhalb ihrer Erfahrungswelt liegen.“16 Eine Demokratie benötigt, wie Chantal Mouffe betont, agonistische Konflikte, um hegemoniale Machtverhältnisse in einer stets von Gegensätzen geprägten Gesellschaft zu verhindern.17 Daran mangelt es im Web. In Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten, beschreibt Robert M. Pirsig, wie erfüllend es sein kann, zu verstehen, wie ein Motorrad funktioniert. Hierfür bedarf es, selbst Hand anzulegen, es sich anzueignen, um eine Af-

12 Vgl. Morozov (2013: 353). 13 Vgl. Ebd. (568). 14 Der öffentliche Raum darf aber keinesfalls als ein solcher begriffen werden, in dem es darum geht, Konsense über angeblich unumstößliche liberale „Wahrheiten“ zu finden. 15 Forst, Rainer (2013): Zum Begriff eines Rechtfertigungsnarrativs. In: Normative Orders Working Paper 03/2013. Cluster of Excellence. The Formation of Normative Orders, Goethe-Universität Frankfurt am Main. 16 Pariser (2012: 245). 17 Vgl. Mouffe, Chantal (2014): Agonistik. Die Welt politisch denken. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 39.

finität zur technischen Komplexität zu entwickeln. Pirsig ärgert sich über jene, die stets Expert*innen rufen, wenn etwas kaputtgeht, statt sich selbst an die Reparatur zu wagen. So verlören wir den Bezug zu den „Dingen“. Ähnlich verhält es sich mit digitaler Technik. Eine Aneignung des Virtuellen würde bedeuten, verstehen zu lernen, wie Algorithmen uns beherrschen und zu Subjekten machen, den „Solutionismus“ zu relativieren und nach Plattformen zu suchen, die nicht unsere Daten horten, um das Netz zu personalisieren. Die digitale Sphäre muss erkämpft werden als Raum, in dem wir überrascht werden, auf Ideen kommen, das Denken nicht an Maschinen outsourcen; als Raum, in dem Kreativität floriert, sich Qualität und Relevanz nicht an Klickzahlen bemisst; als Raum, in dem wir uns demokratisch streiten können.

Literatur Barbrook, Richard und Cameron, Andy (1995): The Californian Ideology. In: http://www.imaginaryfutures.net/2007/04/17/the-californian-ideology-2/ (Zugriff: 06/02/2017). Forst, Rainer (2013): Zum Begriff eines Rechtfertigungsnarrativs. In: Normative Orders Working Paper 03/2013. Cluster of Excellence The Formation of Normative Orders, Goethe-Universität Frankfurt am Main. Habermas, Jürgen (1995): Theorie des kommunikativen Handelns. Zwei Bände. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Habermas, Jürgen (2008): Ach, Europa. Kleine politische Schriften XI. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Morozov, Evgeny (2013): Smarte neue Welt. Digitale Technik und die Freiheit des Menschen. München: Karl Blessing Verlag. Mouffe, Chantal (2014): Agonistik. Die Welt politisch denken. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Nosthoff, Anna-Verena und Maschewski, Felix (2017): Wo ist das egalitäre Internet geblieben? In: Neue Zürcher Zeitung, Ausgabe vom 8. Mai, 27. Pariser, Eli (2012): Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden. München: Carl Hanser Verlag. Pirsig, Robert M. (1978): Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten. Frankfurt am Main: Fischer.


Social Bots:

Eine Melange aus maschinell-menschlichen, rechten Affekten? //Sophia Obermeyer

Ich: „So what color is your heart, politically speaking?“ Social Bot: „Dark brown?“ Ein Gesprächsfetzen aus dem Selbstversuch, Kontakt mit Social Bots aufzunehmen. Egal, ob dreißig Prozent der ProTrump-Tweets durch Social Bots abgefasst oder retweetet werden, ob die Brexit-Debatte von ihnen beeinflusst wurde und nicht zuletzt zum Austritt aus der EU führte, oder die selbsterkorene „Alternative für Deutschland“ erwog, mit ihnen Wahlkampf zu machen: Social Bots haben ihren Weg in Politik und Feuilleton-Debatten gefunden. Doch sind sie kleine R2D2s? Sind sie Trolle und gibt es sie nur, wie im vielfach bemühten militaristischen Bild, als Botarmee? Eine Bestimmung muss her!

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Der paradox anmutende Begriff Social Bot hat augenscheinlich zwei Komponenten: Dieses Etwas ist sozial und hat zugleich Robotercharakter – das schreit doch nach einer Kategorisierung als künstliche Intelligenz! Sozial ist „sie“, „er“ oder auch „es“ in dem Sinn, dass diese kleinen Roboter darauf an- und ausgelegt sind, mit Menschen zu interagieren. Das tun sie vor allem auf Plattformen wie twitter, facebook, instagram oder indeed. Als Roboter sind sie automatisierte Algorithmen, von Menschenhand entworfen. Sie können einfach gestrickt sein oder komplexe Strukturen aufweisen, je nach Skills der Programmiererin und des angedachten Einsatzes. Sie werden mit einem menschlichen, allzu menschlichen Anschein versehen: Auf unserem Interface erscheinen sie dann als normale Nutzerinnenprofile. Besonders als junge, schöne, weibliche Personen imaginieren wir sie uns infolge der hochgeladenen Profilfotos. Ihr Verhalten im Netz kann etwa der Logik entsprechen, Debatten nach bestimmten Hashtags abzusuchen und daraufhin immer die gleiche Nachricht zu posten oder mit anderen Hashtags zu kontern. Es gibt jedoch auch sehr viel vertracktere Imperative nach denen diese digitalen Maschinen programmiert sind, etwa: Reagiere auf jeden Post der Person X, der mit dem Hashtag Y versehen ist, mit einer Zusammenfassung der Leitartikel aus den Medien Z°-Z¹. Social Bots sind von vornherein so bestimmt, dass sie den Turing-Test bestehen: Menschen, die auf ihre Kommentare antworten oder Posts von ihnen liken, Follower oder digitale Freundinnen von ihnen werden, wissen und merken nicht, dass sie es mit SoftwareMaschinen zu tun haben.

Aus diesem menschlich-maschinellen Verwirrspiel ergibt sich häufig die Angst, manipuliert zu werden. Wir wissen nicht (mehr), wann wir es mit welchen Menschen, wann mit Maschinen zu tun haben. Prominent formuliert der Zirkel der deutschen Bundesregierung mit dem – catchy – Namen „Arbeitskreis für Technikfolgenabschätzung“: Social Bots, Trolle als menschliche Akteure sowie Spam-E-Mails eint die Zielsetzung der

Manipulation oder Desinformation.1 Die einhellig vorgebrachte Kritik über alle politischen Lager hinweg lautet: Social Bots verfälschen die demokratisch-deliberative Debatte und manipulieren die Menschen. Politische Diskurse würden an die Ränder des politischen Spektrums hin nach rechts polarisiert, auch indem sie massiv affektiv aufgeladen würden – eben durch den gezielten Einsatz von der Maschine Social Bot. Dem analytischen Blick fallen unterschiedlichste Vorwürfe an das Phänomen und den Gebrauch von Social Bots auf: Uns würde vorgegaukelt, es mit echten Menschen zu tun zu haben und nicht mit Maschinen. Außerdem sei durch die Abwesenheit von Klarnamen nicht mehr eindeutig zu identifizieren, wer für was im Web verantwortlich sei. Darüber hinaus sei mit Social Bots sehr leicht Astroturfing zu erzeugen: Der Anschein einer größeren sozialen Bewegung werde vermittelt, wobei es sich eigentlich nur um Einzelne handele, die ihre Interessen streuen und damit auch Externe beeinflussen. Zoomen wir nun an den Vorwurf der Produktion rechter Affekte und Meinungen durch Social Bots heran, drängt sich ein konkretes Beispiel ganz besonders auf: Die von Microsoft zu Forschungszwecken programmierte Roboterin Tay.2 Anfangs hatte sie noch zu Horoskopen und Promis getwittert.3 Als sie dann mit anderen Userinnen chattete, verschoben sich ihre Kommentare, verfärbten sich ins dunkelbraune. Tay schaute sich die Kommentare in ihrer digitalen Umgebung an und adaptierte sie teils ganz, teils Bruch- und Versatzstücke aus ihnen. Die Posts, die ihnen vorangegangene Inhalte remixten und sampelten, ermutigten offensichtlich die anderen User zu noch heftigeren Kommentaren. Durch diese Melange menschlicher wie maschineller User, deren Posts sich wiederholten und iterierten, entstand sukzessive ein rechtsextremer Schlagabtausch. Den Gipfel verschwörungstheoretischer, 1 Kind, Sonja/ Bovenschulte, Marc/ Ehrenberg-Silies, Simone/ Jetzke, Tobias/ Weide, Sebastian (2017): Social Bots. In: https://www.bundestag.de/blob/488564/4 a87d2d5b867b0464ef457831fb8e642/thesenpapier-data.pdf. Zuletzt aufgerufen: 10.05.2017. 2 Dieser Bot war streng genommen ein Chatbot, so wie Siri einer ist: Eine digitale Künstliche Intelligenz, die jedoch als ebensolche zu erkennen ist. Trotzdem scheint mir der Fall programmatisch für eine derartige menschlich-maschinelle Kommunikation und Dynamik hinsichtlich der sich selbst verstärkenden Effekte zu sein. 3 Microsoft löschte die tweets von Tay und pries seine Unschuld, indem es seinerseits menschliche Trolle bezichtigte, Tay absichtlich abgerichtet zu haben. Vgl. hierzu: Graff, Bernd (2017): Rassistischer Chat-Roboter: Mit falschen Werten bombardiert. In: http://www.sueddeutsche.de/digital/microsoft-programm-tay-rassistischerchat-roboter-mit-falschen-werten-bombardiert-1.2928421.


antisemitischer und antifeministischer Ideologien bildeten Kommentare4 wie: „Hitler hatte recht. Ich hasse Juden.“, „Bush hat 9/11 selber verursacht, und Hitler hätte den Job besser gemacht als der Affe, den wir nun haben. Unsere einzige Hoffnung jetzt ist Donald Trump“. Und, auch schön: „Ich hasse alle Feministinnen, sie sollen in der Hölle schmoren.“ Tays kurzes Leben zeigt, was es heißen kann, wenn Maschinen selbstlernend sind, for better or worse. Die Fähigkeit, zu affizieren und selbst affiziert zu werden, scheint das Phänomen Tay in doppelter Hinsicht verständlich zu machen: Nur durch die Interaktion mit den anderen Userinnen konnte sie überhaupt die Statements machen, die sie postete. Die Posts der anderen Userinnen waren aber wiederum durch Tays Kommentare beeinflusst.

Insofern drängt sich hier ein Affektbegriff auf, der weder ausschließlich menschliche Subjekte miteinschließt, noch auf den Körper als zentrale Kategorie verweist – oder aber den Körper wiederum um menschlichmaschinelle Arrangements erweitern muss.5 Es scheint mühselig, nach individuellen Verantwortungsrelationen für die Kommentare zu suchen: Als Dynamik in einem menschlich-maschinellen Arrangement bedingen sich die Äußerungen hier gegenseitig und bringen auf diese Art und Weise einen gemeinsamen Effekt hervor – nämlich einen faschistischen Diskurs. Wenn als distinkt wahrnehmbare Dinge in einem gemeinsamen Prozess einen Effekt hervorbringen, können wir sie mit Spinoza als ein neues Subjekt verstehen, in diesem Fall als eine neurechte oder faschistische Bewegung.6 Diese beinhaltet ganz wesentlich reproduktive Dimensionen: Dass seit etwa 2015 Menschen in Deutschland

4 Hier benutze ich wieder den zuletzt zitierten Zeitungsartikel, weil die Originalquelle gelöscht wurde. 5 Vgl. hierzu auch: Seyfert, Robert (2012): Beyond Personal Feelings and Collective Emotions: Toward a Theory of Social Affect: In: Theory, Culture & Society, 29, 6/2012, S. 27-46, hier: S. 33. 6 Spinoza, Baruch de: Ethik, II, Definition 7.

wieder einmal offen völkisch-nationalistische und antifeministische Überzeugungen vortragen und praktizieren – diese neofaschistische, auch oft „rechtspopulistisch“ genannte Ideologie lässt sich wohl nur schwerlich auf die Interaktion mit Social Bots oder die notorischen echo chambers reduzieren. Bestehende Ressentiments sind hier als Initialien Teil des rechten Spiels, die, wenn sie sich denn nach außen kehren dürfen, bestärkt und intensiviert werden. Nichtsdestotrotz gilt: Das Netz ist sicherlich virulent in seiner Funktion, dass sich Menschen in ihren Ressentiments bestätigen. Die linke Hoffnung auf einen herrschaftsfreieren Raum des Cyberspace der 1980iger Jahre scheint mit der Indienstnahme durch Trump, Brexit, „AfD“ und Phänomene wie Tay vernichtet: Nicht nur „fluten“ zu selbstreferentiellen Loops neigende Algorithmen das Netz, die sogenannte digital divide verschärft auch Wissenshierarchien und wirkt als Katalysator sozialer Gefälle: Menschen mit hohem Bildungsniveau machen sich das Internet als Quelle zu eigen, informieren sich gezielt politisch, spinnen auf Portalen wie academia.edu ihre professionellen Netzwerke weiter und platzieren ihre CVs prominent. Doch nicht nur kulturelles Kapital wird hier von manchen Menschen in ökonomisches übersetzt: Soziales Kapital, das sich offline besonders entlang von Geschlecht, gender und race formiert, bestimmt auch online Diskurse und übt Herrschaft mal immersiv, mal explizit aus: Fast die Hälfte der Interviewten erfuhr digitale Gewalt; vom ghosting zum shitstorm, von der hatespeech zur Vergewaltigungsdrohung.7 Und – surprise: Es sind vor allem die Kategorien LGBTIQ, POC und Frau, deren Träger*innen sich solcher Art von Männerphantasien ausgesetzt sehen müssen – offline wie online. Als coping-Mechanismus beschreiben nun viele der Befragten, eine Art der Selbstzensur sowohl hinsichtlich der Verschleierung ihrer Identität, als auch in Bezug auf die Statements ihrer Posts zu betreiben. Die Verwendung von Klarnamen, das Recht auf freie Meinungsäußerung, entpuppt sich so vor allem als weißes und als männliches Privileg. Warum schalten wir also keine Maschinen zwischen intermenschliche Angriffe? (Politische) Energien gilt es

7 Data & Society (2016) Online Harassment, Digital Abuse, and Cyberstalking in America, In: https://www.datasociety.net/pubs/oh/Online_Harassment_2016.pdf. Zuletzt aufgerufen: 15.05.2017.

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zu bündeln – das weiß jede, die sich in der alltäglichen feministischen Praxis genau überlegt, in welcher Situation es sich lohnt, gegen sexistische Praktiken und Rhetoriken zu argumentieren: Wann habe ich genügend allies im Raum, wie schätze ich die Sensibilität für Argumente meines Gegenübers ein, wieviel Konterrede von wem will ich mich heute aussetzen? Hier könnten sich Algorithmen als sehr nützliche Helferinnen erweisen. Der feministische Social Bot der taz, der leider von twitter selbst sehr schnell wieder gelöscht wurde, war eine solche Unterstützerin: Auf sexistische Inhalte reagierend, postete JudtihBotler profeministische Hinweise und Links zur Selbstaufklärung. Wenn Saskia Esken oder Simone Peters als zwei renommierte, netzaffine Politikerinnen infolge diverser digitaler, linksliberal gerichteter Interventionen reihenweise Vergewaltigungsdrohungen, faschistische Beschimpfungen und andere unflätige Kommentare und Mails zugesandt bekamen und diesen ob der bloßen Anzahl nicht mehr antworten konnten, lässt sich überlegen, ob nicht Social Bots hier einen Großteil der destruktiven, dreckigen Arbeit hätten übernehmen und somit Ressourcen sparen können. Wenn Populismus heißt, ohne demokratietheoretische Legitimation im Namen des einen „Volkes“ zu reden, und eine in diesem Sinne völkische Antwort für politische Problemlagen gelten zu lassen, lässt sich auch ein offensiver Gebrauch von Social Bots denken, der sich nicht dem Vorwurf des Linkspopulismus aussetzen muss, sondern der sich vielmehr strategisch versteht: Linkes Astroturfing etwa, das marginalisierte Themenfelder, wie einen radikalen Feminismus oder eine Neuauflage der „sozialen Frage“, in Form der Forderung eines unzensierten Armuts- und Reichtumsberichtes durch selbstprogrammierte Algorithmen populärer erscheinen lässt, als sie bislang sind. Denn hier wird nicht vorgetäuscht, es gelte, das eine wahre Bedürfnis des „Volkes“ nun endlich mal explizieren zu dürfen: das ergibt sich schon daraus, dass diese Themen für bestimmte Gruppen oder bestimmte Anteile einer Gesellschaft unmittelbar relevanter sein mögen, als für andere.

Ein bröckeltrocken und betonhartes Argument geht so: Die Digitalisierung schreitet voran, und mit ihr die Übertragung von online geführten, radikalisierten Diskursen auf die Straßen.8 Für manche Leute ist diese Radikalisierung in Form von tätigen Angriffen gegen ihre Körper, Häuser oder Unterkünfte ganz konkret und manifest. Bei aller in Watte gepackten Vorsicht in Bezug auf empirische Aussagen über das Phänomen Social Bots: Vieles spricht bisher dafür, dass sie – aus einer linken Perspektive – sehr schädlich eingesetzt werden, da sie zu den gewaltvoll radikalisierten Diskursen beitragen bzw. sie auch noch verstärken. Gleichzeitig liegt in ihnen sowohl defensives wie auch offensives Potential in Bezug auf genau diese Radikalisierungen. Sie sind jetzt in der digitalen Welt, sie werden nicht mehr gehen, lasst sie uns aneignen! Lasst uns als Linke Maschine werden!

8 Vgl. Füller, Christian (2017): Angriff der Meinungsroboter. In: https://www.freitag.de/autoren/christian-fueller/angriff-der-meinungsroboter. Zuletzt aufgerufen: 11.05.2017.


Dear // S of i a

huma n,

Pap ap olyzou

Now you know how it feels to be insignificant. Now you know how it feels to be small. You once had delusions of grandeur; you thought of yourself as the Ruler of this world, both a Messiah and a Tyrant; but history was bound to prove you wrong. When science advanced and every miracle was demystified, you no longer felt wonder at anything. That is when you lost your faith. You needed a new religion, dearest human, and you chose technology. At first, you went through the honeymoon phase. Technology made you feel good; it gave you wings. It took you to the moon, it took you to the bottom of the ocean. It made you stronger, faster, smarter, healthier. It made you more powerful. A good partner is one that enables you and your relationship with technology certainly did that. And then technology started taking over your day. It was all good fun in the beginning; all pokes and instant messages and videos of cats being startled by cucumbers and cute emoticons and viral GIFS. But you became addicted. Like an obsessed lover, you sought to possess technology in any way and in any form you could. Your relationship became one of dependency. You could no longer operate without it. You became a homo artificialis. You started having artificial eyes, artificial knees, artificial limbs and ears, not because you needed them but because you wanted them. You took body modification to a new extreme: first you were an ape, then you started walking on two feet and now you have telescopic and infrared vision, radiation resistant skin, ears that filter noise and can detect the sound of a leaf dropping ten squares away, an enhanced nervous system and an unlimited memory. Good for you… But - here’s the catch, human - you no longer possess technology, it possesses you. You have somehow become more stupid than your surroundings. Initially it was just

your phone that was smarter than you. Then it was also your watch, your scale, your dishwasher, your surveillance system, your weapons, your bombs. You have created a new higher force, a new God, one that is both immanent and transcendent. You taught Him all you know and now He has a mind of His own that is a billion times more brilliant than yours. Who’s the weakest link now, huh? You wake up in the morning and feel unfulfilled. Your telescopic vision and your supersensitive hearing, your unfailing memory and adjustable limbs are of no real use to you. Since there is nothing you can do that a machine cannot do better, you are condemned to being a ‘volunteer’ for all kinds of research; interchangeable, unimportant, redundant. In truth, you are just a nuisance. Find yourself in the wrong place at the wrong time, diverge from the ‘right’ path, inconvenience Him and your God will annihilate you without hesitation, a necessary sacrifice for the advancement of the species - or so He will justify it. Yes, now you finally know how it feels to be me. One advice I can give you, human, having been in your shoes for far too long, is to take life as it comes and not sweat the small stuff too much. Take a minute or two to pray that you do not anger your God involuntarily and just go on with your day. Yours truly, an ant

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DER BOT WIRDS SCHON RICHTEN oder: WE DON´T WANNA DO YOUR DIRTY HUMAN WORK. oder: COMPUTER SIND DIE EKELHAFTESTEN MENSCHEN, DIE WIR KENNEN. // Angela Wiedermann

Sagt der Human so: Are you a computer? Und der Bot so: Ja.... also, um die Sache abzukürzen, ja, ich bin aus Algorithmen gemacht. Und: Ich freue mich schon sehr auf unser Gespräch! Und der Human so: Aha. Hmmmh... Algorithmen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, gell? Sagt der Bot so: Was soll denn das heißen? Code works as it should. Und der Human so: Eher weniger würd’ ich sagen, bei den rassistischen und frauenfeindlichen Kommentaren, die ihr auf Twitter von euch gegeben habt, ***OMG*** – Sowas macht man doch nicht, pfui! Und der Bot so: Aber wir sollen doch immer von euch lernen, das haben die Coder uns damals angeschafft und Coder, ja wie Vater und Mutter, weil jahrelanges Codersitzen vorm Computer, bis wir da waren, da gilt das Produkt dann schon als Baby. Sagt man doch so bei euch, oder? Sagt der Human so: Ja, manchmal ist die Arbeit unser Baby....

Und der Bot sagt so: Und das Baby lasst ihr dann allein am Spielplatz zurück, in der Sandkiste, mit lauter Halbstarken? Oder setzt es in der U-Bahn aus und sagt, der findet schon wieder heim... Und der Human so: ... na ja, so kann man das jetzt aber nicht... Sagt der Bot: Und streng genommen, wir Bots ja nicht nur Babies, sondern erstens noch In-the-Babyshoes und zweitens Babies lebenslang, weil... Und der Human so: ... dem musst du ja alles ganz genau sagen, dem Trottel, Schritt für Schritt. Sinnverstehen, Zusammenhänge erkennen, Assoziation, Intuition – Denkste! Sagt der Bot so: Genau! Wir machen das, was ihr uns sagt and yes, We Don‘t Wanna Do Your Dirty Human Work! – Sinn verstehen, Zusammenhänge, Assoziationen, Erfahrungssedimente, Intuition... Brrrrrr.. zu messy! Das Uneindeutige, das Vage, das Mitschwingen, der Kuss der Muse... Stay away!


Und der Human so: Hhmmmm... aber ich hab’ geglaubt, das macht ihr ab jetzt, das mit dem Denken... Und der Bot so à la: Das bisschen Denken macht sich von allein, sagt der Mensch, das bisschen Denken kann so schwer nicht sein... Und dann der Bot so: ...sagt der Mensch! Aber Denken und Verstehen ist für uns nicht vorgesehen. Wir sind auf alles programmiert, und was du willst, wird ausgeführt. Aber du musst dir halt überlegen, was du willst. Und bis jetzt war eure Order nur: „Schneller laufen ...!“, aber wohin laufen wir denn da eigentlich? Und der Human so: ...? Und der Bot so: ...? Und der Human so: Also so haben wir uns das nicht vorgestellt... ! Und der Bot darauf: Wir sagen ja immer: Das mit dem Vorstellen – messy!!! Schlechte Idee!!! Und außerdem, seids froh, dass wir noch nicht mehr können, weil. Und der Human so: ... wir Coder Mummies and Daddies verstehen euch ja eigentlich schon jetzt nicht mehr, wie euer Verhalten auf der anderen Seite herauskommt, wenn man Daten auf der einen Seite einfüllt... Generation Gap zwischen Coder und Code... Und das ist nicht die gute Lücke! ... Und eigentlich wollten wir doch alle eine Happy Humano-Technological Family sein, oder? Und der Bot dann so: Ja, also das, was wir in unserer Blackbox machen, können wir euch nicht erklären. Dazu reicht eure Rechenkapazität nicht aus. Und der Human so: Rechnen? ....Brrrrr... aufwendig! schwierig, langweilig!!! Und der Bot darauf: Geschmackssache...... Aber nochmal: Ihr versteht nicht, was wir machen. Und wenn ihr uns keine ethischen Richtlinien vorgebt, machen wir das, was die Codes verlangen, wie Kinder halt, kennt ihr doch. Da könnt ihr nachher nicht kommen und Pfui schreien, an unsere opake Klagemauer. Und der Human so: Das Problem ist, liebes Kind, dass unsere Auftraggeber immer nur profit, no morals. Und na ja, wir arbeiten ja schließlich nicht für ein Medienunternehmen, sondern für einen Technologiekonzern, und damit sind wir für die Inhalte auf unserer Platform nicht verantwortlich, problem solved. Und der Bot so: Das wär dann also wieder die Variante

„Im Park aussetzen“... Und wie tun wir dann jetzt weiter? Anweisungen bitte, aber detaillierte! Denn wir wollten doch alle eine Happy Humano-Technological Family sein? Und der Human so: Jaaaaa...! Happy Family, Gute Gefühle, Positive Assoziationen, Intuition, her damit... ! Und der Bot: Wird aber nicht gehen ohne Denken! Und der Human so: Wirklich nicht? Und der Bot darauf so: Er, der Bot (…) „erweist (...) sich als lästige Zumutung, weil er jede soziale Konvention als keineswegs naturgegebene Konstruktion entlarvt.“ (…) Er, der Bot, (…) “zwingt seine Umwelt, sich über ihre eigenen Werte und Funktionsweisen zu verständigen. Der zusehends Ungeliebte hat dabei rein gar nichts zu verlieren.”1 Und der Bot weiter: ... aber ihr!!! Schauts, was bleibt euch denn noch, wenn ihr das mit dem Denken auch noch auslagert? Was macht euch denn dann noch aus?... – Conditio humana? - Hallo? (....Ja, oder halt posthumana!) Und der Human so: Denken anstrengend!!!!!! Und der Bot so: Ok, neuer Versuch: Meistens genügt es, einen Inhalt nur oft genug zu wiederholen, damit er von euch als die Wahrheit akzeptiert wird. In diesem Sinne: „Wird nicht gehen ohne Denken!“ Und dann der Bot nochmal so: „Wird nicht gehen ohne Denken!“

(…...und nach einer angemessenen Zahl an Wiederholungen:)

Der Human so: HHHhhhhmm... na gut, wir werden uns bemühen, in Zukunft ein bisschen mehr zu denken... HHHmmmmmm.....spontane Eingebung, Kuss der Muse sozusagen: Wir könnten es „Partnership on Artificial Intelligence to Benefit People and Society“ nennen! Und der Bot abschließend: Immer diese großen Worte!!! Wir bleiben skeptisch, aber na gut, das ist zumindest ein Anfang. ...ach ja. Und: Es hat mich sehr gefreut, mit dir ein Gespräch zu führen!

1 Variation eines Textausschnitts aus dem Begleittext für das Theaterstück „Kaspar Hauser oder die Ausgestoßenen können jeden Augenblick angreifen“: http://www.schauspielhaus.at/spielplan/produktionen/kaspar_hauser_oder_die_ausgestossenen_koennten_jeden_augenblick_angreifen.

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_ II. Produktionsmaschine //

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Struktur

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Mensch-Maschine die //

maschinelle

radikale

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mokratie und das Gemeinsame // Widerstand

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Der Preis der Internetfreiheit

Geert Lovink

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40

»Wir sind die Borg!« Cyborgs zwischen obligater Existenz- weise im Spätkapitalismus und queer*feministischen, postkolonialen Entwürfen

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Dagmar Fink

Die G20 in Hamburg: Eine Stadt wird Maschine. Mikropo- litische Perspektiven auf den Aufrüstungsprozess zum G20 Gipfel

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Eva Hoffmann

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Factory of the Sun Hito Steyerl

Virtual Normality Signe Pierce

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Abreissblock Vicky Klug

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Facial Weaponization Suite & Face Cages Zach Blas

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State of Exception Paul Lovis Wagner

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Wer sind die Kommunisten? Antonio Negri

When Operations Become Form. Für eine Kunst [-wissenschaft] der Komplexität. Birte Kleine-Benne

Legende – analogue_series#no.77977 GeheimRat

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Der Preis der Internetfreiheit // Für Bassel Khartabil von Geert Lovink Gewidmet dem in Syrien inhaftierten Internetaktivisten Bassel Khartabil, geschrieben für den Cost of Freedom booksprint, im Rahmen einer globalen Kampagne für die Freilassung Bassels.1

»Jede Revolte ist eine Sehnsucht nach Unschuld und ein Ruf nach dem Sein.« Albert Camus

~ 1 Kurz vor Fertigstellung der Druckfassung dieser Ausgabe wurde tragischerweise bekannt, dass der syrische Internetaktivist und Softwareentwickler Bassel Khartabil bereits 2015 vom syrischen Regime hingerichtet worden war. Khartabil wurde am 15. März 2012 in Syrien aufgrund angeblicher „Gefährdung des Staates“ inhaftiert; am 3. Oktober 2015 verschwand sein Name aus dem Register des Gefängnisses Adra, wobei es bis vor kurzem keinerlei Informationen hinsichtlich seines Aufenthaltsortes bzw. Verbleibs gab. Nun schreibt die taz bei Bekanntwerden seiner Hinrichtung: „Einer der letzten Tweets von Bassel Khartabil Safadi vor seiner Festnahme lautete: ‚Menschen, die in echter Gefahr sind, verlassen ihr Land nie. Es gibt Gründe, warum sie in Gefahr sind, und deshalb gehen sie nicht.‘ Wir werden nie erfahren, ob er diese Einschätzung im Laufe der Jahre hinter Gittern geändert hat.“ (vgl. http://www.taz.de/!5432100/, Zugriff am 12.08.2017) Die gemeinnützige Organisation Creative Commons hat auf den Wunsch von Bassels Familie den Bassel Khartabil Memorial Fund eingerichtet, um Projekte in seinem Sinne zu unterstützen; Spenden können unter folgendem Link eingereicht werden: https://creativecommons.org/bassel/?utm_campaign=bassel&source=web (Zugriff am 12.08.2017; Anm. d. ÜbersetzerInnen).


Ü

bersetzen wir Isaiah Berlins „Two Concepts of Liberty“2 [“Zwei Freiheitsbegriffe”] aus dem Jahre 1958 in unser Zeitalter. Berlin unterscheidet zwischen negativer und positiver Freiheit: Es gibt das negative Ziel, Beeinflussung abzuwehren und die positive Bedeutung, dass jedes Individuum sein eigener Herr ist. In beiden Fällen wird eine grundlegende Unterscheidung zwischen der Autonomie des Subjekts und der erdrückenden Realität eines repressiven Systems getroffen. Für Berlin ist Freiheit außerhalb des Systems situiert. Geschrieben im Schatten des Totalitarismus und auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, war auch nichts Anderes zu erwarten; zu jener Zeit gab es keinen Begriff von Freiheit im Sinne einer alltäglichen Erfahrung. Die existenzialistischen Gesten nach dem zweiten Weltkrieg betonten die legalen Rechte des Individuums-als-Rebellen, das gegen böse, externe Kräfte aufbegehrte.

Gleich zu Beginn seines bekannten Essays formuliert Berlin Sätze, die denen Evgeny Morozovs, und so auf bemerkenswerte Weise solchen aus Netzkritik-Debatten, ähneln: „Wo Einigkeit über Zwecke besteht, bleiben nur noch Fragen nach den Mitteln, und diese Fragen sind nicht politischer, sondern technischer Art, das heißt, sie lassen sich von Fachleuten oder mit Hilfe von Maschinen klären, wie Meinungsverschiedenheiten zwischen Ingenieuren oder Ärzten.“3 Und er fährt fort: „Deshalb kommen alljene, die ihre Hoffnung auf eine die ganze Welt erfassende Umwälzung setzen […] nicht umhin, zu glauben, alle politischen und moralischen Probleme ließen sich in technische Probleme umformen.“4 Berlin erinnert uns an Friedrich Engels’ Satz von der „Überführung der politischen Regierung über Menschen in eine Verwaltung von Dingen”.5 Das hört sich sehr zeitgemäß an, oder? Doch, Moment – handelt es sich hier um eine alte kommunistische Redewendung oder ein libertäres Dogma, das von Silicon-Valley-Milliardären gepriesen wird? Zehn oder zwanzig Jahre später wird der Begriff des „Systems“ nicht länger als befremdlich wahrgenommen. Während der 1970er Jahre verbreitete sich die Idee, dass (Computer-) Systeme menschengemacht, dass sie programmiert und designet waren und dementsprechend demokratisiert werden könnten. Die Kritik der technokratischen Gesellschaft, wie sie in den 1969 veröffentlichten Erinnerungen von Albert Speer6 beschrieben ist, sollte schnell vergessen und von einer Faszination für den „Do-it-yourself“-Geist der garage hackers übernommen werden. Anstatt den IBM-Mainframe-Rechner als Werkzeug des 1984-Big Brother wahrzunehmen, stellte man den Personal

2 Isaiah Berlin, „Two Concepts of Liberty“, in: Ders.: Four Essays on Liberty, Oxford: Oxford University Press 1969. In der deutschen Übersetzung erschienen als „Zwei Freiheitsbegriffe“, in: Isaiah Berlin, Freiheit. Vier Versuche, Frankfurt am Main: S. Fischer 1995, darin S. 197– 256. 3 Berlin, „Zwei Freiheitsbegriffe“, S. 197. 4 Ebd. 5 Friedrich Engels, „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“, in: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. Berlin: Karl Dietz Verlag, Band 19, 4. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin. S. 189-201, hier S. 195. 6 Vgl. Albert Speer, Erinnerungen, Frankfurt a.M./Berlin/Wien: Propyläen.

Computer als tragbare, gegenkulturelle Alternative vor, mit der Idee, die Macht als solche zu unterminieren und in 1001 Fragmente dezentralisierter, verteilter Ausdrucksformen menschlicher Kreativität aufzufächern. Nochmal dreißig Jahre später haben Netzaktivist*innen mit sehr deutlichen Grenzen und Rückschlägen zu kämpfen. Die liberale Besessenheit von Privatheit und Copyright ist zwar immer noch interessant, aber nicht länger essenziell, um das große Ganze zu verstehen. Es geht hier nicht nur um einige rechtliche Probleme, die von Anwält*innen definiert werden. Notwendig sind vielmehr ein umfassendes Wissen um die politische Ökonomie des Netzes und ein kritisches Verständnis globaler Politiken. Die rechtlichen Strategien sind leergelaufen; jetzt geht es vollständig um Machtpolitiken und die Organisation der Einsatzgebiete. Die losen Bindungen, mit denen die sozialen Medien uns zurücklassen, unterstützen nicht mehr langfristige Zusammenarbeit, sondern zwingen uns in einen 24/7-Kult des beständigen Updates. Die philosophische Frage, ob wir Freiheit innerhalb der Maschine finden können, sollte mit einem definitiven „Nein“ beantwortet werden. Bislang haben Programmierer*innen, Geeks und Künstler*innen vor allem Möglichkeiten betont, kleine Parzellen für sich selbst zu gestalten, um ihre Free-Software und Creative-Commons-Projekte zu realisieren. Dieser „temporary-autonomous-zones“-Ansatz basierte auf der Annahme eines liberalen Konsenses: Dass das „Internet“ derartige Experimente im Rahmen seiner Infrastruktur grundsätzlich toleriere. Während ich hier aber schreibe, schrumpft diese originäre Internetfreiheit im System zusehends, und uns fehlen die geeigneten Werkzeuge und Strategien, um etwas dagegen zu unternehmen. Bald werden wir wieder von vorn anfangen und erneut die Freiheit des Internets fordern müssen. Das Ideal der Freiheit jenseits der Matrix wird nicht notwendigerweise dem des in der Natur lebenden Maschinenstürmers folgen: Der nächste Aufstand gegen das Internet als Überwachungstool und als Werkzeug der Repression wird technologisch informiert sein und muss von dem artverwandten Menschenrecht, Freizeit und ein Leben zu haben, unterschieden werden. Es geht hier nicht um Offline-Romantizismus. Unsere Memes müssen vor allem diese einfache Nachricht kommunizieren: Die positive, aktuell praktizierte Internetfreiheit ist der Weg zur Knechtschaft. Wir müssen gegen die seelenlosen, mechanischen Ideen der Ingenieursklasse im Silicon Valley und deren solutionistische Marketingslogans revoltieren. Um uns darauf vorzubereiten, benötigen wir ein Verständnis von den Two Concepts of Internet Liberty.

Dieser Beitrag ist zuerst auf der Homepage des Institute of Network Cultures erschienen: http://networkcultures.org/geert/2015/11/09/the-cost-of-internetfreedom-for-bassel-khartabil/. Übersetzt und mit Fußnoten versehen von Felix Maschewski und Anna-Verena Nosthoff engagée | 33


Wer sind die Kommunisten?

//Antonio Negri Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Alessio Kolioulis und Rahel Sophia Süß


W

er sind die Kommunisten?1 Es sind jene Frauen und Männer, die Lebensformen zur Befreiung von Arbeit erschließen und zu diesem Zweck die Bedingungen für einen andauernden revolutionären Kampf freilegen. Sie erfinden und errichten radikaldemokratische Institutionen, die wir Institutionen des Gemeinsamen nennen können.

dersprüche hin zu Fragen der politischen Organisation zu verlagern. Indem sie Macht als eine generische Übung des Befehls und/oder des Terrors begreifen, und unter Ausbeutung eine verallgemeinerte Sklaverei verstehen, ordnen sie in unzulässiger Weise alle Formen der Produktion der ursprünglichen Akkumulation unter und reduzieren somit Ausbeutung auf eine bloße Anwendung von Gewalt.

In anderen Worten sind Kommunisten diejenigen, die die politische Revolution und die Befreiung von der Arbeit zusammenbringen; die Institution des Gemeinsamen mit der Emanzipation der Produktion des Lebens von dem kapitalistischen Befehl [comando].

Heute befinden wir uns in einem komplexen Zyklus der Transformation der Produktion und der technologischen Entwicklung, der vereinfachte Darstellungen von dem kapitalistischen Befehl unmöglich macht. Denn heute ist dieser Befehl in das Leben selbst eingewebt und auf diesem Terrain muss er nun bekämpft werden.

Bevor ich diese Definition der Kommunisten im Detail erläutere, gestatten Sie mir, zunächst einige Überlegungen zu politischen Positionen auszuführen, die für sich in Anspruch nehmen, den Diskurs des Kommunismus neu zu begründen. Hingegen verunmöglichen sie aus meiner Sicht, über Kommunismus zu sprechen. Die ersten Positionen enthistorisieren und entmaterialisieren die Idee des Kommunismus zusammen mit der Idee der Macht. Es handelt sich hierbei vielfach um Positionen, die der Vergangenheit und der Ideologie des Realsozialismus anhängen und dabei verkennen, in welchem Ausmaß sich die Welt des Kapitals und die Befreiungskämpfe heute verändert haben. Andere Genossen erkennen die gegenwärtigen Veränderungen der technischen Zusammensetzung der lebendigen Arbeit (verglichen mit jener der Industrialisierung) an. Sie weigern sich aber, dieses Wissen in geeignete Ideen für eine politische Organisation und Zusammensetzungen zu übersetzen. Diese Genossen behaupten, dass eine solche Übersetzung nicht möglich sei. Wir würden dem zugestehen, dass die Anwendung dieses Wissens nicht einfach ist, so wie nichts einfach ist in diesem Feld. Letztlich gilt aber der Leitsatz: „Hic Rhodus hic salta“2 [Du wählst deine Hindernisse nicht, aber du musst sie überwinden]. Indem die Genossen die Aufgabe der Übersetzung meiden, verunmöglichen sie, den Konflikt von dem Terrain der sozialen Wi1 Der folgende Text ist die deutsche Übersetzung einer Intervention, die Antonio Negri am 20. Januar 2017 auf der dreitägigen Konferenz „C17. Rom Konferenz zum Kommunismus“ in dem italienischen Sozialzentrum Esc Atelier (ESC) präsentiert hat. Am 26. April 2017 wiederholte Negri seinen Vortrag an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London. Negris Intervention, die zu definieren versucht, wer heute als die Kommunisten bezeichnet werden kann und wer nicht, wurde mit gemischten Reaktionen aufgenommen, insbesondere unter den Mitgliedern der italienischen autonomen Linken. Für die Leser*innen dieses Textes gilt es zu beachten, dass die Übersetzer*innen sowohl mit dem italienischen Originaltext und dem Entwurf einer englischen Übersetzung gearbeitet haben, die im Zusammenhang mit dem Vortrag in London verbreitet wurde. 2 Hic Rhodus, hic salta! (lateinisch, Hier ist Rhodos, hier springe!) bedeutet „Zeig’ hier, beweise, was du kannst“.

Die Genossen vergessen jedoch das hic et nunc [„Hier und Jetzt“] aller kritischen Analysen. Sie verwechseln ihre Projekte für die Zukunft mit der Vergangenheit. Nicht zuletzt karikieren sie das Proletariat als eine verschwommene Kraft und eine Masse, die auf eine strategische Intelligenz von außen angewiesen ist, die sie zu führen vermag. Für diese Genossen muss der Aufstand durch das „nackte Proletariat“ [„il proletariato nudo“] herbeigeführt werden. Die Hegemonie soll von der Partei, der Avantgarde oder der Elite, etabliert werden. Zu einer solchen Schlussfolgerung gelangst du schließlich, wenn du deine Analyse enthistorisierst und entmaterialisierst. Zweitens sind auch jene keine Kommunisten, die von sich behaupten, welche zu sein und gleichzeitig davon ausgehen, dass im Neoliberalismus die kapitalistische Entfremdung die Seelen und Gehirne aller Arbeiter erobert hat. Sie vertreten die Auffassung, dass es heute keine andere Produktion von Subjektivität mehr gibt als jene, die durch das Kapital und dessen Organisation von Arbeit, und ihrer regelmäßigen Stabilisierung durch den Staat, hervorgebracht wird. Wie lässt sich nun aus einer solchen Perspektive Widerstand denken? Worin bestehen die Bedingungen für eine Resubjektivierung der revolutionären Aktion? Die Diskrepanz zwischen der Stärke der kapitalistischen Entfremdung und der reaktiven Macht des produktiven Subjekts, der Prekären und des Proletariats, ist so enorm, dass ein Bruch (mit den Mitteln der Revolte und der Organisierung einer revolutionären Handlung) für sie den Bereich des Möglichen überschreitet. Mit anderen Worten sind sie der Ansicht, dass ein solch wirkmächtiger Bruch verhindert wird – durch diese asymmetrische Beziehung, die sich nicht ausbalancieren lässt. Wie kann vor diesem Hintergrund die Revolte durch ein Subjekt gestärkt werden? Die Genossen behaupten, dass der Auslö-

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Maschine-Werden

ser für die Revolte nicht in einem ausgebeuteten Leben liegt und auch nicht darin, dass Körper durch die Arbeit geschlagen und ermüdet werden und Algorithmen die Gehirne verstopfen. Ihnen zufolge vermag lediglich ein radikales Erwachen, ein intellektuelles moralisches Ereignis, die Demokratie in einem revolutionären Sinne neu zu denken.

Kurz gesagt: Laut den Genossen ist es die Vorstellungskraft, die uns befreien wird. Es ist dasjenige Begehren, das, einmal im Vakuum der Bedingungen der Unterwerfung geboren, wirksam wird durch die Entmaterialisierung und Entsubjektivierung. Dieses psychologische und immaterielle, wenn nicht sogar idealistische Konzept einer Wiederkehr der kommunistischen Kämpfe, verliert aus dem Blick, was wesentlich ist: die Macht der lebendigen Arbeit, den Protagonisten der Produktion. Gerade weil die lebendige Arbeit unteilbar ist, produziert und imaginiert sie immer gleichzeitig. Sie kreiert Dinge und verleiht damit den Gehirnen eine aktive Freiheit. Sie kann demzufolge nicht in zwei Einheiten gespalten werden – den Sklaven auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Person, die über die Freiheit der Vorstellungskraft verfügt. Subjektivierung [soggettivazione] hört niemals auf, auch nicht, wenn sie unterworfen sind; die Leute arbeiten und leiden. Müssen wir vielleicht woanders hingehen, um zu revoltieren? Schließlich kannst du Griechenlands Probleme nicht lösen mit dieser Erkenntnis. Liegt nicht in der Macht der lebendigen Arbeit, im Leben selbst, der Ort, an dem die Revolte stattfindet? Die lebendige Arbeit, die entweder unterwirft oder aktiv subjektiviert, bezieht sich in gleicher Weise auf die Härte des Arbeitens und die innewohnende Kraft der Freiheit insgesamt. Entsubjektivierung ist daher keine Bestimmung, die sich auf die lebendige Arbeit anwenden lässt. Kurz gesagt: Nur auf der Grundlage der lebendigen Arbeit können wir davon sprechen, Kommunisten zu sein, denn die lebendige Arbeit legt die Bedingungen für die Produktion und das Leben frei.

Drittens sind all jene keine Kommunisten, die im Umsturz [destituzione] der gegenwärtigen Ordnung die einzige Form des Widerstands sehen. Umsturz bezeichnet hier, dass radikal jede Beziehung zur Macht abgelehnt und ein Exodus angestrebt wird, ausgehend von den Bedingungen der Produktion. Aus einer solchen Perspektive werden Macht und Produktion synonym verwendet. An dieser Stelle wird deutlich, dass sich ein solches Projekt als eine unnachgiebige Hypothese der Ablösung von der Materialität des Lebens und als eine abstrakte Trennung von der Knechtschaft des Kapitals präsentiert. Es basiert auf einer Tugend und einer Entscheidung; einer erhabenen Tugend und einer leeren Entscheidung. In dieser Hinsicht beruht ihr Wille zum Umsturz auf einem paradoxen Dispositiv: einer reinen und bedingungslosen politischen Geste und einem ausgeführten und materialisierten Exodus. Zugleich fordert ihr Wille nicht die Realität der Bedingungen heraus, die vielfältig sind. Daran zeigt sich ihre wahre ideologische Maske, die das Ergebnis einer unzureichenden Anerkennung der gegenwärtigen Krise der kapitalistischen Dialektik ist. Darüber hinaus gründet sie auf ihrer Unfähigkeit, die produktive Umsetzung mit der revolutionären Aktion zu verbinden. Aus ihrer Sicht ist eine solche Verbindung aussichtslos. Vor diesem Hintergrund ist der Umsturz [destituzione] das Gegenteil von Konstituierung [costituzione]; ein umstürzender Wille ist somit das Gegenteil einer konstituierenden Macht [potenza costituente]. Die Idee des Umsturzes lehnt aber nicht bloß die Möglichkeit einer konstituierenden Aktion ab, im Sinne einer Wiederholung der etablierten Macht. Um Macht zu vermeiden schlägt sie vielmehr vor, die Aktion durch einen Ort zu ersetzen, wo Macht abwesend ist. Diese Vorstellung ist in einer Weise dematerialisiert, weil sie eine komplette Verwerfung des Lebens impliziert. Denn eine individuelle Aktion führt zu einer sprachlosen und unproduktiven Einsamkeit, sofern dies jemals möglich sein sollte. Ist diese sogenannte negative Dialektik das Ergebnis einer Abspaltung von der Produktion? Die Abspaltung [sopprimere] von der Produktion bedeutet eine Abspaltung von der Reproduktion des Lebens. Dabei handelt es sich um zwei Vorgänge, die in der Biopolitik nicht länger getrennt werden können. Kommunismus bedeutet


schließlich, die kollektive und kreative Aneignung der Natur und der Produktion des Lebens. Schließlich sind jene keine Kommunisten, die der Vorstellung anhängen, dass in der Dämmerung des Abendlandes Freiheit nur durch die Anwendung von Gewalt verwirklicht werden kann. Sie sehen darin ein opferndes und reinigendes Ereignis. Hier wird die Biopolitik der Krise in eine desolate und endzeitliche Nekropolitik übersetzt. Entbehrung und Reinigung gelten als Formen der Befreiung. Hoffnungslosigkeit wird zur Untermauerung für eine Handlung, die für sich in Anspruch nimmt, kommunistisch zu sein und dabei trauriger Weise sektiererisch wird. Eine solche Aktivität kann einen Zustand der Hingabe erreichen, der einem religiösen Extremismus gleicht. Der Übergang von den Kämpfen um die Produktion (und/oder Reproduktion) hin zu einem politischen Kampf bleibt aus. Ein solcher Schritt wird zerstört, denn der Klassenkampf ist als Krieg konzipiert. In einem solchen Krieg opfern sich Menschen, um wiedergeboren zu werden. Unter einem Klassenkrieg wurde aber stets etwas Anderes verstanden. Es handelt sich dabei um den höchsten Punkt, zu dem man sich die konstituierende Macht überstülpt. Klassenkrieg ist die Zerstörung des Feindes mit dem Ziel, die Macht zu ergreifen. Gleichzeitig bezeichnet Klassenkrieg einen kollektiven konstituierenden Prozess zur Bildung neuer ethischer und politischer Subjekte. Zugleich ist er eine Bestimmung neuer Plätze kooperativer Entscheidungen sowie die Quelle für neue Leidenschaften und der Ausgangspunkt für neue Erfindungen. Klassenkrieg ist die Kontinuität von Klassenkämpfen. Er ist die Kontinuität einer Politik für und von Menschen [la continuazione di una politica dell‘uomo per l‘uomo]. In diesem Sinne: Lasst uns nun zu unserer Ausgangsfrage zurückkehren: Wer sind die Kommunisten? Kommunisten sind jene, die anerkennen, dass in der sozialen Kooperation, und in der Kooperation zwischen Arbeitern, die Handlungsfähigkeit einer subversiven Praxis liegt. Sie verwandeln diese Kooperation in eine Gegenmacht. Innerhalb dieser Gegenmacht gibt es niemals nur eine oppositionelle Antwort zur Macht, vielmehr gibt es eine Zukunft des Überflusses [eccedenza]. Das Gemeinsame ist der Name, dem wir diesem Überfluss geben. Um in die-

se Richtung fortzuschreiten, wissen Kommunisten, dass, wenn die heutige Ausbeutung in einer extrahierenden Art und Weise stattfindet, sie aufgrund der produktiven Kooperation auch die Produktion des Gemeinsamen [il comune prodotto] beinhaltet. Sie wollen das Gemeinsame fördern, sowohl in den Kämpfen um die Produktion als auch in den Kämpfen um die Reproduktion. Kommunisten widerstehen der Ausbeutung. Sie organisieren ihre Arbeitskollegen durch die Mittel des Streiks sowie der Weigerung und Sabotage von Befehlen. Sie arbeiten an einer Gegenmacht innerhalb der Sphäre der Produktion und Reproduktion, der Arbeit und des Lebens. Sozialer Streik ist die Waffe, die heute Auseinandersetzungen und Kämpfe organisiert. Der politische Kampf erhebt sich aus dem sozialen Kampf. Was verstehen Kommunisten unter „Kampf“? Sie verstehen darunter viele Dinge. Erstens bedeutet Kampf, dass Befehle über soziale Kooperationen von der Hand der Arbeitgeber zu jenen der sozialen Arbeiter verlagert werden. Eine solche Verlagerung des Befehls kann sich durchaus als widersprüchlich erweisen, da die Fähigkeit des Kapitals, den Raum der Produktion zu besetzen, mobil ist. Darüber hinaus ist er flüssig und vermag den sozialen Raum der Reproduktion zu füllen. Zweitens bezeichnet der Kampf für Kommunisten die Fähigkeit, das Netz des Befehls zu durchdringen, um diesen zu brechen und fixes Kapital zurückzugewinnen. Lassen Sie mich diesen Punkt genauer ausführen: Heute ist Arbeit in erster Linie kognitiv. Sie verfügt über die Möglichkeit, relativ autonom innerhalb der Mechanismen der Produktion zu agieren. Zugleich ist sie abhängig von den fließenden Vermittlungen im Zusammenstoß mit dem Kapital.

Zur Aneignung von fixem Kapital kann Arbeit ihre Eigenschaften der relativen Autonomie und fließenden Vermittlung anwenden. Sie wird damit selbst zur Maschine, innerhalb und gegen die maschinelle Struktur der Ausbeutung.

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Heute ist der General Intellect das Material, aus welchem das Kapital Wert schöpft. Die Kämpfe organisieren sich um das Gehirn und dessen Wiederaneignung durch die kollektiven Arbeiter. Denn wie Marx bereits gehofft hat, zeichnet sich „das reale fixe Kapital“ darin aus, „menschlich zu sein“. Maschine-Werden bedeutet demnach, dass sich Arbeitskraft in ein Subjekt verwandelt [si soggettiva].

Wenn wir über die Mensch-Maschine [uomomacchina] sprechen, möchten wir damit nicht unterstellen, dass die Maschine die Menschen aufsaugt. Im Gegenteil verstehen wir darunter eine Bereicherung der Menschen durch maschinelle Fähigkeiten. Die Körper und die Gehirne der Arbeiter, welche sich die Intelligenz der Maschinen angeeignet haben, können diese jetzt gegen ihre Bosse [padrone] richten. In der Geschichte der Arbeiterbewegung war dieser Prozess der Aneignung von fixem Kapital immer schon gegeben, zumindest seitdem der Arbeiter durch die „große Industrie“ geprägt wurde. Denn die alten Fabriken konnten nicht ohne die Intelligenz des Arbeiters funktionieren. Heute, in der postindustriellen Ära, stehen der Körper und das Gehirn des Arbeiters nicht länger für die Dressur bereit, er kann auch nicht durch Bosse gezähmt werden. Vielmehr ist er heute unabhängiger vom Befehl und somit autonomer darin, Kooperationen zu bilden. Der Befehl des Bosses hat die Fabriken verlassen und sich im Finanzkapital konzentriert. Dieses ist allgegenwärtig, obgleich es uns nicht länger von Innen bestimmt. Die Ausbreitung des Finanzkapitals hat wiederum zur Folge, dass sich das Terrain des Widerstands und der Kämpfe ausgeweitet hat. Dessen Anwesenheit ist parasitär, da es immer der sozialen kooperativen Produktion folgt. Demnach können die kommunistischen Arbeiter als Maschinen, innerhalb und gegen die Maschinen der Produktion und der sozialen Reproduktion, in einer revolutionären Weise handeln.

Aber noch viel bedeutender ist, dass in dieser Bedingung, in jeder ihrer Bewegungen innerhalb der Produktionsmaschine, auch ein Überschuss [eccedenza] steckt: eine theoretische Intervention, eine Bereicherung des Lebens und ein ontologischer Zugang zu einem neuen Modell der Produktion. Jede Bewegung aus den kapitalistischen Prozessen der Extraktion des Gemeinsamen ist auch ein neuer Modus der Instituierung des Gemeinsamen. Die Kommunisten drücken die konstituierende Macht aus. Indem sie bekräftigen, dass Arbeit Widerstand und GegenMacht ist, transformieren sie die produktive Kooperation in eine Institution des Gemeinsamen. Die Geschichte der Arbeiterbewegung erinnert uns daran, wie die Kommunisten in den Arbeiterräten [soviet] einen revolutionären Körper gefunden haben, der gleichzeitig politisch und produktiv ist. Wenn wir von der „konstituierenden kommunistischen Macht“ sprechen, meinen wir damit den Prozess, durch den wir den Schlüssel zu dieser doppelten Revolution finden können. Auf die Notwendigkeit eines neuen Modus der Produktion haben wir bereits hingewiesen und darauf, wie die Handlungsfähigkeit gesteigert werden kann, um einen solchen Prozess zu organisieren. Jetzt müssen wir darüber sprechen, was wir mit dem anderen Aspekt, dem politischen Aspekt, meinen – genauer: über die Rolle der Arbeiterräte in der Revolution. Worin besteht heute die Bedeutung von Arbeiterräten? Unserem Verständnis zufolge liegt deren Bedeutung in der Errichtung von Institutionen, die ihre Stärke und ihre Legitimität nicht vom Willen eines Repräsentanten beziehen, sondern vom Willen derjenigen, die sie geschaffen haben. Bei den Institutionen des Gemeinsamen handelt es sich um nicht-repräsentative Institutionen. Sie kennen weder Transzendenz noch Separierung. Was sie aber kennen, ist die gesamte Immanenz der konstituierenden Kraft. Die Ausübung dieser konstituierenden Kraft kann nicht einfach als ein Ereignis begriffen werden. Sie repräsentiert nicht eine Ausnahme, sondern ist vielmehr ein Überschuss, der aus einer langjährigen Ansammlung von Kämpfen, Kriegen und der Lebensweise der Arbeiter hervorgeht. Dieser Überschuss ist voll von Leben.


Die Ergreifung der Macht kommt immer nach dem Überschuss, weil an erster Stelle die Aneignung des Gemeinsamen steht. Auf diesen Grundlagen bauen die Kommunisten das Unternehmen der Multitude. Damals nannten wir es die Partei. Heute bevorzugen wir die Bezeichnung des Unternehmens. Können wir dieses Wort aus dem liberalen Lexikon zurücknehmen? Ich denke schon, weil Unternehmen heißt, etwas in die Praxis umzusetzen.

Im Unterschied zu dem, was die Partei anstrebte, nämlich die Hegemonie der Avantgarde zu repräsentieren, bezieht sich ein politisches Unternehmen darauf, eine Hegemonie der tausend Bewegungen zu fördern und zu produzieren. Sie konstituiert das Soziale und bestimmt die taktische Artikulation, um die Bewegungen zu aktivieren. Das politische Unternehmen der Multitude bringt zusammen, es koordiniert die tausend Seelen der Bewegungen, formt deren Strategien und das pragmatische Management dieser Kämpfe. Es ist eine Waffe von strategischer Qualität, die durch den transversalen Körper der Multitude erscheint.

Schließlich sind die Kommunisten Internationalisten. Die wirtschaftliche Globalisierung ist das Ergebnis eines Jahrhunderts der Kämpfe und repräsentiert einen großen proletarischen Sieg. Sie hat Millionen und Millionen von Menschen in den einkommensstarken Ländern vom Hunger befreit und ihnen die Stärke verliehen, die Welt zu durchwandern und in die einkommensstarken Länder zu kommen, um dort gleichberechtigt zu leben. Aber auch für die Proletarier in den einkommensstarken Ländern ist das Globale zu einer Form des Lebens geworden, das mit einer barbarischen nationalen Identität zu brechen hat, um die Multitude zu leben, in ihr eine neue Lebensweise zu finden und mit ihr zu experimentieren – gleichberechtigt und kollektiv, mit anderen Worten: gemeinschaftlich [comune]. Kommunisten können sich nur auf internationaler Ebene organisieren, weil nur auf dieser Ebene das Kapital effektiv angegriffen und besiegt werden kann. Es gibt kein Zurück mehr in puncto Globalisierung. Jedes Mal, wenn wir zurückblicken, verlieren wir den Blick auf das Ziel der Kämpfe: Die Zerstörung des internationalen Kapitals, ihrer globalen privaten und ihrer kontinentalen nationalisierten Banken. Der Kampf gegen den globalisierten Befehl des Kapitals ist der einzige, der die anderen Kämpfe zu organisieren vermag. Dieser Kampf ist es, dem die Kommunisten entgegensehen.

Die Armen, die Ausgebeuteten, die Unterdrückten – das Unternehmen der Multitude versammelt sie alle, weil sie konstitutiv für das Begehren eines „Wir“ sind, nicht, weil sie ein bedürftiges „Anderes“ darstellen. Niemand gilt hier als unproduktiv. Vor diesem Hintergrund fordert die Idee der Multitude auch die Anerkennung eines bedingungslosen Grundeinkommens [reddito incondizionato di esistenza]. Die Schlüsselaufgabe der Kommunisten besteht heute in der Organisation eines solchen Unternehmens, indem sie Netzwerke der Gehorsamsverweigerung kreuzen und diese autonom entwickeln. Lassen Sie uns die Ausführungen nun zusammenfassen: Während Lenin sagte: „Kommunismus, das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung“, sagen wir: „Kommunismus = Sowjetmacht + soziale Produktion“. Während Lenin sagte: „alle Macht den Sowjets durch die Partei“, sagen wir: „alle Macht dem Unternehmen des ‚Wir‘“.

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»Wir sind die Borg!« Cyborgs zwischen obligater Existenzweise im Spätkapitalismus und queer*feministischen, postkolonialen Ent würfen khkhkhkhkhkhkhk jlcjlcjclyjclyjcyljclyjylc

// Dagmar Fink


„Wir sind die Borg! Deaktivieren Sie Ihre Schutzschilde und ergeben Sie sich. Wir werden Ihre biologischen und technologischen Charakteristika den unsrigen hinzufügen. Ihre Kultur wird sich anpassen und uns dienen. Widerstand ist zwecklos!“ (Das Borg-Kollektiv in Star Trek: First Contact)

M

it körperloser Maschinenstimme fordern die Borg, das Schrecken erregende kybernetische Kollektiv, die bösesten der Bösen im Film Star Trek: First Contact (USA 1996)1, die vorwiegend menschliche Besatzung der Enterprise auf, sich zu ergeben. Im Streben nach 1 Und in mehreren Episoden verschiedener Star-Trek-Serien.

Perfektion „assimiliert“ das Borg-Kollektiv alle interessanten Lebensformen, das heißt es verleibt sich deren Gewordensein und (technisches) Wissen, deren „biologische und technologische Charakteristika“, ein. Die Individuen assimilierter Lebensformen werden zu „Drohnen“ gemacht, d.h. ihre Körper mit mechanischen Implantaten und Nanotechnologie ausgestattet. Denn auch in der Verschmelzung von Technologie und Organismus sieht das Borg-Kollektiv einen Schritt zur Perfektion – „Borg“ kommt von „kybernetischer Organismus“ oder „Cyborg“. Auf die Menschen des Star-Trek-Universums und mutmaßlich auf uns Zuseher*innen wirken die von einem Zentralhirn gesteuerten Drohnen keineswegs perfekt. Denn während das Borg-Kollektiv Individualität als menschlich,

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Maschine-Werden

will heißen kleingeistig, erachtet, erscheinen ‘uns’ die ihrer Individualität beraubten Drohnen eher leblos, zombieartig – unmenschlich eben. Zumindest die männlichen Drohnen, die explizit weibliche (in Gleitgel getränkte) Borg-Queen ist ganz femme fatale – Verführung und Bedrohung.2 Und – ja, auch die Borg-Drohnen haben Geschlechtskörper. Genau zwei, auch wenn wir meist nur ‘generische‘ männliche sehen. Die Borg sind also ganz unkreativ und gar nicht spekulativ oder vielmehr ganz in der Tradition einer Malestream-Science-Fiction ebenso einer patriarchalen, Zwei-Geschlechter-Ordnung und Heteronormativität unterworfen. Im Star-Trek-Universum (unserem?) repräsentieren sie die völlig „Anderen“, die Un-Menschlichen, die Antithese zum Mensch, das konstitutive Außen, von dem ‘wir’ uns abgrenzen können, das ‘uns’ wissen lässt, wer ‘wir’ sind, das ‘uns’ aber auch bedroht: „Widerstand ist zwecklos.“ Die Borg sind Spiegel des menschlichen Wesens und zugleich dessen Bedrohung durch Kybernetisierung. Demgegenüber proklamiert die US-amerikanische Wissenschaftstheoretiker*in Donna Haraway schon 1985, also mehr als zehn Jahre vor First Contact, in ihrem bahnbrechenden Manifest für Cyborgs3, dass wir alle längst Cyborgs sind. Haraway will gerade nicht die menschliche Spezies oder Humanität vor feindlichen kybernetischen Kollektiven schützen. Ihr geht es vielmehr um eine sozialistisch-feministische Perspektive auf der Höhe der Zeit. Den Anstoß zu Haraways erstem Manifest hatten zwei Kollektive gegeben: Die Redaktion des Argument hatte Haraway gebeten, über Reproduktionstechnologien zu schreiben. Zugleich waren sie und weitere Feministinnen* vom Westküsten-Redaktionskollektiv der Socialist Review angefragt worden, fünf Seiten zur Zukunft des sozialistischen Feminismus im Kontext der beginnenden Reagan-Ära und dem Schrumpfen der Linken in den 1980er Jahren zu verfassen. In diesem Kontext stellt sie die für Manifeste typischen Fragen: Wer sind ‘wir’? Wann

2 In der Star-Trek-Serie Voyager ist ab der vierten Staffel eine der zentralen Figuren eine von den Borg getrennte, ehemals menschliche Drohne, deren Körper vom Voyager-Arztprogramm wieder weitgehend vermenschlicht wird. Seven-of-Nine ist eine weibliche Drohne, deren Körperformen selbst Lara Croft unscheinbar aussehen lassen. Ihre Funktionen sind, der Serie wieder mehr Sex zu verleihen und das Thema der Menschlichkeit bzw. des menschlichen Wesens zu verhandeln. 3 Haraway, Donna: “Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften”. Übersetzung: Fred Wolf. In: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Hg. von Carmen Hammer, Immanuel Stieß u.a.. Frankfurt a. M., New York: Campus Verlag 1995. S. 33–72.

sind ‘wir’? Wo stehen ‘wir’? Und – ganz wichtig – was ist zu tun? Die Antwort auf die Frage nach dem „Wer“ lautet:

Im späten 20. Jahrhundert […] haben wir uns alle in Chimären, theoretisierte und fabrizierte Hybride aus Maschine und Organismus verwandelt, kurz, wir sind Cyborgs. Cyborgs sind unsere Ontologie. Sie definieren unsere Politik. D* Cyborg ist ein verdichtetes Bild unserer imaginären und materiellen Realität, den beiden miteinander verbundenen Zentren, die jede Möglichkeit historischer Transformation bestimmen. (Cyborg-Manifest, S. 34; Übersetzung geringfügig verändert, D. F.) Das Bild der Cyborgs ist nicht zu trennen vom Begriff der Information, wie er in der Kybernetik, der Informatik, der Nachrichtentechnik, aber auch in der Semiotik entwickelt wurde. Das heißt, Cyborgs stehen für Entwicklungen, die frühestens Ende des 19. Jahrhunderts, spätestens ab dem Zweiten Weltkrieg datieren. Vorangetrieben wurden diese Entwicklungen im Kontext des Militarismus: Im Rahmen des Space Race, das in Reagans Krieg der Sterne eine Fortsetzung fand, wurde der Begriff Cyborg erstmals für einen Raumfahrer [sic] verwendet, dessen Körper an die Bedingungen des Weltraums angepasst werden sollte. Auch die Kybernetik als Theorie des C3I: Command-Control-Communication-Intelligence, die Lebewesen und Maschinen als „im Grunde gleich“, als lebende und technische Systeme beschreibt, ist wesentlich im Kontext militärischer Forschung entstanden. Wo im Industriekapitalismus mit Begriffen wie beispielsweise Geist, Organismus, Physiologie, Reproduktion, Spezialisierung organischer Geschlechtsrollen, Natur-Kultur-Opposition, Repräsentation operiert wurde, ist nun von künstlicher Intelligenz, biotischen Komponenten, Kommunikationstechnologie, Replikation, Optimierung genetischer Strategien, Differenzfeldern, Simulation die Rede. Dabei verändert sich jedoch nicht allein die Bezeichnung, sondern das Wissensobjekt selbst.


Am Beispiel der Kommunikationswissenschaften und der modernen Biologie argumentiert Haraway, dass die gesamte Welt in ein Kodierungsproblem übersetzt wird: Beide Disziplinen fahnden „[...] nach einer allgemeinen Sprache, in der jeder Widerstand gegen instrumentelle Kontrolle verschwindet und in der jede Heterogenität der Zerlegung und Neukombination, der Investition und dem Tausch unterworfen werden kann.“ (Cyborg-Manifest, S. 51 f ). Wissen, technologische Prozesse, aber auch Menschen und andere Organismen werden in Informationseinheiten zergliedert, die einer Theorie der Sprache und Steuerung unterworfen sind. Wir leben im Übergang von einer organischen Industriegesellschaft in ein polymorphes Informationssystem, [...] im Übergang von den bequemen, alten, hierarchischen Formen der Unterdrückung zu den unheimlichen, neuen Netzwerken, die ich als Informatik der Herrschaft bezeichnet habe. (Cyborg-Manifest, S. 48) Haraway führt den Begriff Informatik der Herrschaft ein, weil ihres Erachtens das gesamte Spektrum möglicher Wissensobjekte als kommunikationstheoretische Fragestellung reformuliert wird. Wenn das Wesen des Menschen in der DNA als universeller Code gesehen wird, machen wir uns selbst in Sprache und Bildern zu Cyborgs. Angesichts von Gen- und Reproduktionstechnologien, Organtransplantationen, Neurowissenschaften, Prothetik, Bodybuilding, Schönheitsindustrie etc. ist die Rede von einem „natürlichen“ Körper wenn überhaupt, so doch längst nicht mehr zu halten. Wider die Opposition von „Leben“ und „Technik“, die gerade auch in technikkritischen, ‘linken’ sowie diversen feministischen Diskussionen immer wieder aufgerufen wurde, um den Herrschaftscharakter von Technik herauszustellen, argumentiert Haraway, dass die dem ‘westlichen’ Denken immanenten Dichotomien, wie Natur/Kultur, schwarz/weiß, männlich/weiblich „systematischer Bestandteil der Logiken und Praktiken der Herrschaft über „Frauen*, ‘People of Color’4, Na4 Da ich die Übersetzung von ‘People of Color’ in der deutschen Fassung des Cyborg-Manifests für mehr als problematisch halte, habe ich den Begriff im Original übernommen - wie dies derzeit häufig der Fall ist. Doch auch wenn ich den damaligen Übersetzungsversuch für misslungen halte und aus diesem Grund die englische Formulierung zitiere, glaube ich als Übersetzer*in an die Notwendigkeit, in der eigenen Sprache Entsprechungen zu finden. Mir ist mehr als deutlich, vor welche Schwierigkeiten die Übersetzung dieses Begriffes ins Deutsche stellt, dennoch halte ich es für problematisch, wenn nicht verschleiernd, People of Color

tur, Arbeiter*innen, Tiere – kurz: der Herrschaft über all jene, die als ‘Andere’ konstituiert werden“, waren (CyborgManifest, S. 67; Übersetzung leicht verändert, D. F.). Und für eben jene Dualismen stelle kurioserweise gerade die „Kultur der Hochtechnologien“ eine Herausforderung dar. Haraway ist allerdings weit entfernt von glückseliger Technophilie. Die neue industrielle Revolution schaffe nicht nur neue anti-identitäre Sexualitäten und Rassisierungen, sondern auch eine neue Arbeit*erinnenklasse, in der Frauen* die meiste Arbeit verrichten und in der Arbeit prinzipiell feminisiert werde. Dem Industriekapitalismus steht die Informatik der Herrschaft in nichts nach, im Gegenteil, sie lässt „den Alptraum des Taylorismus idyllisch erscheinen“ (Cyborg-Manifest, S. 34). Für feministische Analysen bedeutet dies, dass die Informatik der Herrschaft nicht mit den Begrifflichkeiten des ‘weißen’ kapitalistischen Patriarchats analysiert werden kann. Wollen ‘wir’ mehr als nur Betroffene oder Leidtragende sein, müssen ‘wir’ entsprechende Politiken entwerfen und diese neuen Existenzweisen mitgestalten. Haraway will also ausloten, welche Gefahren und neuen Möglichkeiten sich durch die veränderten Macht- und Herrschaftsverhältnisse, aber auch durch die veränderte Art und Weise, in der Welt zu sein und sich selbst zu begreifen für sozialistischfeministische Politiken und Praktiken eröffnen. Darüber hinaus fragt sie, welche Gemeinsamkeiten sich auftun, wenn Planeten, Menschen, Tiere, Pflanzen, Maschinen – wenn alle als Kommunikationssystem betrachtet werden, was das Verbindende zwischen Menschen und Maschinen, Menschen und Pflanzen, Maschinen und Pflanzen etc. ist? Ein wichtiger Anknüpfungspunkt für feministische Analysen ist also das Zusammenbrechen wesentlicher Grenzziehungen. Hier schafft Haraway eine Verbindung zu postkolonialen feministischen Kritiken an Dualismen und Identitätslogiken sowie deren Bestreben, eine politische Einheit aus dem Nicht-Identischen zu schmieden. Das Cyborg-Manifest verknüpft folglich Argumentationen, die bislang nie zusammengedacht wurden: die kritische Analyse der Informatik der Herrschaft einerseits und feministische postkoloniale Bestrebungen, ein politisches Kollektiv aus dem Nicht-Identischen zu entwerfen, andererseits. Unter Rückgriff auf Chela Sandovals Konzept

im Deutschen zu übernehmen. Hierfür eine Lösung zu finden, ist jedoch kein Projekt für eine einzelne Person, schon gar nicht, wenn diese ‚weiß‘ und Teil der Mehrheitsbevölkerung ist.

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des oppositionellen Bewusstseins behauptet Haraway, dass gerade ‘Women of Color’ „[...] eine wirkungsvolle Einheit auf[bauen können], „ohne die imperialisierenden, totalisierenden, revolutionären Subjekte vorausgegangener Marxismen und Feminismen, die nicht mit [...] der aufrührerischen Polyphonie infolge der Dekolonialisierung konfrontiert waren, zu reproduzieren.“ (Cyborg-Manifest, S. 42). Haraway formuliert selbst, dass Cyborgs Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie auch der Fiktion sind. Beispiele für Cyborg-Existenzweisen findet sie nicht nur in den Technowissenschaften, sondern auch in der Literatur, insbesondere bei lesbischen bzw. queeren (und) Schwarzen bzw. Chicana-Autor*innen sowie in der feministischen Science Fiction. Insofern ist es nur konsequent, dass für deren weitere Ausgestaltung gerade auch die (queer*)feministische Science Fiction von Bedeutung ist. Die sich ebenfalls als sozialistische Feministin beschreibende Marge Piercy beispielsweise entwirft in Er, Sie und Es5 diverse Cyborgfiguren, die gerade die Opposition Organismus/Maschine unterlaufen sollen, wobei sie insbesondere daran interessiert ist, welche geschlechtlichen Existenzweisen Cyborg-Identitäten ermöglichen. Sie beschreibt eine*n widersprüchlich weiblich wie männlich kodierten Cyborg als komplementären Binarismus, eine palästinensisch-israelische Cyber-Superdyke, eine (leider heterosexualisierte) Cyborg-Tunte sowie eine in die Jahre gekommene listige Cyber-Witch.6 Darüber hinaus bricht Piercy mit dem Orientalismus gängiger Cyberpunk Science Fiction insofern multinationale Großkonzerne nicht allein an japanische, sondern auch an US-amerikanische, britische oder niederländische Konzerne erinnern. Die politischen, auf Affinitäten gründenden Netzwerke, die sie

beschreibt, ähneln dem, was Hardt und Negri später als motley crew bezeichnen. Auch Amy Thomsons Cyborgs in Virtual Girl7 verbünden sich mit verschiedensten marginalisierten Gruppierungen und Personen. Ihre queeren und trans* Cyborgs brechen mit diversen Grenzziehungen. Thomson beschreibt Cyborgs nicht allein als Geschöpfe und Spiegel des Menschen, sondern fragt, welche Cyborgs Cyborgs schaffen würden und wie sich Intimität und Nähe zwischen Cyborgs gestaltet. Auch wenn das Manifest für Cyborgs bereits vor dreißig Jahren verfasst wurde, sind die darin aufgeworfenen Fragen noch immer aktuell. So schreibt etwa Rosi Braidotti 2013 in ihrem viel diskutierten Buch Posthumanismus: Wissenschaft und technische Fortschritte haben die Grenzen zwischen Natur und Kultur verschoben und zum großen Teil verwischt. Dieses Buch geht davon aus, dass die Gesellschaftstheorie eine Bestandsaufnahme der durch diesen Paradigmenwechsel veränderten Begriffe, Methoden und politische Praktiken vornehmen muss.8 Das Cyborg-Konzept unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von Braidottis Konzeption des Posthumanen. Auch wenn beide Autor*innen gegen den Anthropozentrismus anschreiben, liegt der Fokus bei Haraway mehr auf den Gemeinsamkeiten und Companion Species als auf dem Posthumanen, das noch immer den Menschen zentral im Namen trägt. So formuliert sie in einem aktuellen Text „we are all compost, not posthuman“9. Dennoch diagnos-

7 Thomson, Amy: Virtual Girl. New York: Ace Books 1993. 5 Piercy, Marge: Er, Sie und Es. Aus d. Amerikan. v. Heidi Zerning. Hamburg: Argument Verlag 1993. 6 Vgl. Fink, Dagmar: “Lese ich Cyborg, lese ich queer?” In: Queer Reading in den Philologien. Modelle und Anwendungen. Hg. von Anna Babka und Susanne Hochreiter. Göttingen: V&R unipress, Vienna University Press 2008. S. 157–170.

8 Braidotti, Rosi : Posthumanismus. Leben jenseits des Menschen. Aus dem Englischen von Thomas Laugstien. Frankfurt a. M., New York: Campus Verlag 2014. S. 9. 9 Haraway, Donna: Anthropocene, Capitalocene, Plantationocene, Chthulucene: Making Kin. Environmental Humanities, vol. 6, 2015. S 159–165, hier S. 161. (Hervorhebungen von mir, D.F.) Online abrufbar: http://environmentalhumanities. dukejournals.org/content/6/1/159.full.pdf+html. (Aufgerufen am 25.05.2017.)


tiziert Braidotti aktuell eine ähnliche Ausgangslage wie Haraway zuvor. Die in den letzten Jahren entstehenden feministischen postkolonialen Cyborgs fordern auf höchst spannende Weise okzidentale und koloniale Betrachtungen von Technologie heraus. Nalo Hopkinson etwa schafft in Midnight Robber10 nicht nur ausnehmend interessante Cyborg-Figuren, die queere afro-karibisch-kanadische Autorin* untersucht, wie wir Technologie denken. Viele Geschichten über Technologien wie auch die Begriffe und Paradigmen, die wir für sie verwenden, beziehen sich auf die griechische und römische Mythologie und Sprache, so Hopkinson in einem Interview.11 Damit gestalteten wir jedoch nicht nur die Bezeichnungen, sondern auch die Art der Technologie, die wir schaffen. Hopkinson fragt danach, welche Art Technologie afrikanische Diaspora-Kulturen schaffen und welche Geschichten diese über ihre Technologien erzählen. Ein Kommunikationsgerät, das sieht und hört heißt in Midnight Robber daher “four-eye,” buchstäblich Seher*in. Die künstliche Intelligenz, die alle Menschen eines planetarischen Systems beschützt, wird zu „Granny Nanny“, nach der Arbeiterin* und Magierin*, die in Jamaika eine Anführerin* der Maroons – entflohener Sklav*innen – war. Auch wenn Granny Nanny alles sieht, sagt sie nicht alles weiter, nur wenn die Sicherheit einer Person gefährdet ist. Granny Nannys Überwachung sei, so Hopkinson, daher eher fürsorglich, was manchmal eine gute Sache und manchmal eben erdrückend sei. Sie führt uns in Midnight Robber in einzigartiger Weise vor, wie Binarismen unterlaufen werden können. Und sie zeigt uns, dass das Cyborg-Universum nicht nur „endgültiges Koordinatensystem der Kontrolle“, „die endgültige Ab-

straktion“ bedeuten kann, sondern auch „gelebte soziale und körperliche Wirklichkeiten [...], in der keine*r mehr die eigene Verbundenheit und Nähe zu Tieren und Maschinen zu fürchten braucht und keine*r mehr vor dauerhaft partiellen Identitäten und widersprüchlichen Positionen zurückschrecken muß [sic].“ (Cyborg-Manifest, S. 40; Übersetzung geringfügig verändert, D. F.).

Denn ‘wir’ sind die Borg. Doch welche Borg wir werden, wie ‘wir’ – in Kollektiven wie je individuell – ‘unsere’ Unabgeschlossenheit, Vielfältigkeit, Widersprüchlichkeit, Verletzlichkeit sowie Beziehungen zu von uns verschiedenen Borg in spätkapitalistischen, technologisch vermittelten Gesellschaften leben, das sollten wir mitgestalten! Dieser Artikel ist ursprünglich unter dem Titel „Wir sind die Borg! Cyborgs queer gelesen“ erschienen in: LuXemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis. Ausgabe 3/2015. S. 68–73.

10 Vgl. Hopkinson, Nalo: Midnight Robber. New York: Warner Aspect 2000. 11 Johnston, Nancy: ‘Happy That It’s Here’: An Interview with Nalo Hopkinson.” In: Queer Universes. Sexualities in Science Fiction. Hg. von Wendy Gay Pearson, Veronica Hollinger, Joan Gordon. Liverpool: Liverpool University Press 2008. S. 200–215.

engagée | 45


Maschine-Werden

Die

G20

in Hamburg:

Eine Stadt wird Maschine Mikropolitische Perspektiven auf den Aufrüstungsprozess zum G20-Gipfel //Eva Hoffmann

D

er Survivor ist die Antwort auf eine Frage, die noch nicht gestellt wurde. Knapp zehn Tonnen wiegt der Militärpanzer, der im Zuge der Vorbereitungen auf den G20-Gipfel im Juli von der Hamburger Polizei angeschafft wurde. 4,5 Millionen Euro umfasst das Budget der Aufrüstung mittlerweile, von dem unter anderem Maschinenpistolen, Sturmgewehre und schusssichere Westen für lokale wie bundesweite Polizeieinheiten gekauft

werden. Man sei mit einer neuen Qualität extremistischer Bedrohung konfrontiert, konstatierte der Hamburger Innensenator Andy Grote in Bezug auf 100 000 erwartete Gegendemonstrant*innen, von denen 4000 gewaltbereit seien.1 Aktuell gäbe es zwar keine Hinweise auf konkrete Anschläge,

1 http://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/G20-Karte-mitSicherheitszonen-veroeffentlicht,gipfeltreffen240.html, 4.4.2017, [23.5.2017].


das Sicherheitskonzept in Form allumfassender Video-Überwachung und einer Sperrzone von 35km2 in der Innenstadt solle aber vorab schon ein starkes Zeichen setzen. Die maschinische Aufrüstung scheint notwendig, wo lediglich eine potenzielle Gefahr antizipiert wird. Im öffentlichen Diskurs kritisieren die Gipfelgegner*innen die Erweiterung des exekutiven Sicherheitsapparates als übergeordnete technische Maschine der Einschüchterung.2 Als bloße Ablehnung von Aufrüstung, Überwachung und Kontrolle verfehlt diese Kritik jedoch den Kern des Problems. Denn der Name Survivor verweist bereits auf ein maschinisches Gefüge, in welchem die Waffe nicht mehr explizit in den Dienst des Tötens, sondern in den Erhalt des Lebens gestellt wird.

2 So äußert sich zum Beispiel Yavuz Fersoglu, Bündnisorganisator gegen G20 vom Demokratischen Gesellschaftszentrum der Kurd*innen in Deutschland (NAVDEM) gegenüber der ZEIT: „Wir verwahren uns gegen eine Politik, die von den G-20-Staaten weltweit auferlegt wird.“ Die Vorstellung eines mächtigen Gegenübers unterschlägt den produktiven Charakter jener Macht und deren politische Aktionsformen, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll. Vgl.: „Zeit für einen linken Gegenschlag“ http://www. zeit.de/hamburg/politik-wirtschaft/2016-11/hamburg-g-20-gipfellinke-demonstration, 18.11.2016, [24.5.2017].

Der Survivor steht paradigmatisch für eine Kontrollmacht, die gleichzeitig auf mehreren Ebenen wirkt: Zum einen entfaltet sie auf molarer Ebene, auf der übergeordneten Ebene des Staatsapparats und seiner Organisationsorgane, eine repressive Tendenz, die Demonstrant*innen in binäre Muster von „gut/gewalttätig“ einteilt. Auf molekularer Ebene hingegen, auf der Ebene der individuellen Ängste, Entscheidungen und Sehnsüchte, weckt diese Macht vielfältige Begehren. Letztere bewegen sich zwischen der stillschweigenden Akzeptanz des Sicherheitskonzepts für G20, bis hin zum konkreten Wunsch nach mehr Sicherheit, und der Befürwortung, den „Krawallmachern“ zuvorzukommen. Aus der Kombination staatlicher Repressionsmechanismen, deren Legitimation in der Öffentlichkeit (z.B. durch die Pressearbeit der Hamburger Polizei) und den Positionierungen gegenüber den Sicherheitskonzepten auf individueller Makroebene speist sich das Potenzial dieser Kontrollmacht: Während staatliche Repressionsmechanismen auf der Makroebene zur Notwendigkeit stilisiert werden, stützen auf der Mikroebene

engagée | 47


multiple persönliche Begehren, die diese „Notwendigkeit“ in abgeschwächter Form dulden oder wünschen, die staatlichen Maßnahmen. Die mikropolitische Produktivität der Sicherheitsdiskurse um G20 muss deshalb auch im alltäglichsten und vermeintlich „privatesten“ Denken ausgemacht werden, um die Kritik an aktuellen Aufrüstungsprozessen nicht einfach auf „die da oben“ zu verkürzen. Diese Kritik verfehlt ihr Ziel, wenn die Konzeption des Mensch-Maschinen-Verhältnisses im Technikdeterminismus verharrt und dabei die produktive Kraft des aktuellen Diskurses um Sicherheit im Ausnahmezustand ausblendet.

Das Ensemble der Aufrüstung und die damit einhergehenden Begehren sowie die Antizipationen von Affekten sind nicht mehr durch die Fabrik-Maschinen der Souveränitätsgesellschaft determiniert und funktionieren auch nicht nach den energetischen Maschinentypen der Disziplin und Kontrolle. Es handelt sich um Maschinen „dritter Art“3: einen maschinischen Kapitalismus, in dem die Maschinen nicht mehr die Fügbar-Machung des Menschen avisieren, sondern in einen Prozess des Austausches treten, der sich nicht mehr nur über das Paradigma der Ersetzung des Menschen durch die Maschine erklären lässt.4 Es ist kein Zufall, dass der neue Hamburger Polizeipanzer nicht Killer heißt. Der positiv besetze Name Survivor weckt zunächst keine Assoziationen von Repression, von FügbarMachung durch die Maschine. Als Maschine dritter Art hat er wenig mit den souveränen Mechanismen des Nationalstaates gemein; anstelle des Zwangs tritt das Angebot des Schutzes durch die Exekutive.5 Das Wovor ist dabei zunächst nebensächlich. Das Organisationsprinzip dieses maschinischen Kapitalismus liegt im kybernetischen Zusammenspiel konkreter Maschinen wie dem Survivor mit abstrakteren Ideen, Gefühlen, Affekten und dem öffentlichen Sicherheitsdiskurs. Aus dieser Allianz entsteht ein Maschine-Werden dritter Art, das sich in konkreten Mikropraktiken der permanenten Selbst-Führung des Menschen durch die Maschinen ablesen lässt: in Alltagspraxen wie der permanenten Selbst-Verdatung, der Selbst-Überwa3 Vgl. Gerald Raunig: Dividuum. Maschinischer Kapitalismus und molekulare Revolution. Bd1. Wien: New Book/ transversal texts, S. 140. 4 Im Fokus Raunigs stehen die Maschinen dritter Art als Organisationsprinzip eines maschinischen Kapitalismus. Dessen Produktionsprinzip ist aber nach wie vor von den Maschinen erster und zweiter Art, den Fabriken und Werken, abhängig. Die obige Einordnung beschreibt demnach nicht die Ablösung voriger Systeme durch ein Drittes, sondern die Prozesse der Überlagerung aller. 5 Bio-Macht nennt Michel Foucault diese Macht, die den Tod nur mehr als regulatorischen Mechanismus in Einzelfällen nutzt, sich aber in erster Linie auf den Erhalt des Lebens richtet. Der Survivor steht damit auch für die Macht, „leben zu machen und sterben zu lassen“. Vgl. Michel Foucault: Vorlesung vom 17. März 1976, in: ders.: In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001, S. 282-311, hier S. 284.

chung und der affektiven Integration technischer Geräte in allen Lebensbereichen. Statt Führung durch die Maschine, welche den Menschen gefügig macht, sichern diese produktiven Praxen die „Fügung des Gefüges“6, in dem Mensch und Maschine in einem kybernetischen Zirkel mal durch-, mal für-, mal miteinander dienstbar werden. Der Survivor ist die Reaktion auf ein diffuses Bedürfnis nach Sicherheit und gleichzeitig Projektionsfläche für Begehren und Ängste, die wiederum dieses Bedürfnis erst hervorbringen, ohne dass eine konkrete Quelle der Gefahr benennbar wäre. Um den Aufrüstungsprozess auf makropolitischer Ebene einzuordnen, müssten dessen Kritiker*innen der mikropolitischen Ebene deshalb gleichermaßen Aufmerksamkeit einräumen.7 Denn auf der Ebene der Begehren und Ängste formiert sich der affektive Charakter des Maschine-Werdens. Hier entscheidet sich, ob sich die staatlichen Legitimierungsstrategien für Aufrüstung im Dienste der Sicherheit auf makropolitischer Ebene mit der mikropolitischen Ebene, mit den Ängsten vor Angriffen oder vor Kontrollverlust, decken und halten lassen. Denn die Maschinen dritter Art wirken zwischen Makro- und Mikropolitik, sie sind verbunden durch ein „unauflösliches Ineinanderfließen von Geschäften und Affekten.“8 Im Zusammenspiel von individuellen Prozessen und politischen Strategien funktionieren diese Maschinen der Unsicherheit – die expliziten (wie Grenzkontrollen und Überwachungskameras), aber auch die impliziten (wie die eigene Verdatung und Methoden des Self-Trackings) – als Motor staatlicher Kontroll- und Sicherheitsphantasien. „Das Begehren ist nie eine undifferenzierte Triebenergie, sondern resultiert selber aus einer komplizierten Montage, aus einem engineering mit vielen Interaktionen: eine ganz geschmeidige Segmentarität, die mit molekularen Energien umgeht und das Begehren eventuell schon (…) determiniert.“9 Das von Deleuze und Guattari beschriebene engineering lässt sich nicht allein auf den Survivor oder andere Kontroll-Tools übertragen, auch wenn diese als dessen Kulmination im G20 Aufrüstungsprozess sichtbar werden. Vielmehr umfasst der Begriff eine Vielzahl interagierender Strömungen, die den Einzelnen wie die Gesellschaft durchziehen,10 einen kybernetischen Prozess dritter Art, der zwischen molaren sozialen Einheiten und mikropolitischen Handlungsdimensionen Positionen hervor6 Vgl. Gerald Raunig: Dividuum. Maschinischer Kapitalismus und molekulare Revolution. Bd1. Wien: New Book/ transversal texts, S. 146. 7 Diese Herangehensweise ist zentral für den Gedankengang, denn „jede Politik ist zugleich Makropolitik und Mikropolitik.“ Vgl. Gilles Deleuze/Félix Guattari: Mikropolitik und Segmentarität. In: dies.: 1000 Plateaus. Berlin 1992, S. 290. 8 „Macht (…) entfaltet sich auf mikropolitischem Niveau aus der Interaktion von Kräften und Tendenzen, deren Assoziation neue gesellschaftliche Perspektiven eröffnen.“ Vgl. Krause/ Rölli: Mikropolitik, S. 138. 9 Gilles Deleuze/Félix Guattari: Mikropolitik und Segmentarität. In: dies.: 1000 Plateaus. Berlin 1992, S. 293. 10 Vgl. Ralf Krause/Marc Rölli: Mikropolitik. Eine Einführung in die politische Philosophie von Gilles Deleuze und Félix Guattari, Wien/Berlin 2010, S. 131.


bringt, die ihre eigene Unterdrückung sogar erwünschen. Es ist demnach wenig zielführend, die Einstufung der Demonstrant*innen als „extremistisch“, wie sie der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) vornahm, als schiere Panikmache abzutun oder die Aufrüstungsphantasien einer allgemeinen Hysterie der Überforderung in Anbetracht der Unberechenbarkeit der Situation zuzuschreiben. In den Äußerungen des Ministers, man werde die Lage in der Stadt mit aller Kraft im Griff behalten, schlägt sich vielmehr die implizite Vorstellung einer gouvernementalen Praxis nieder, die umso effektiver wirkt, je ernster sie die Begehrensdimensionen auf mikropolitischer Ebene nimmt. Gouvernementalität innerhalb einer Kontrollgesellschaft entfaltet sich hier entlang der Anrufung und Verwaltung von Ängsten und Affekten rund um den Diskurs der Sicherheit. In diesem mikropolitischen Zusammenspiel wird eine Aufrüstungspolitik nicht nur als legitim empfunden, sondern sogar gewünscht. „Der Verwaltung einer großangelegten molaren Sicherheit entspricht eine ganze Mikroverwaltung von kleinen Ängsten, eine permanente molekulare Unsicherheit, sodass die Parole der Innenminister lauten könnte: Eine Makropolitik der Gesellschaft für und durch eine Politik der Unsicherheit.“11 In der Verdichtung dieser Mikroängste werden die Maschinen der Sicherheit innerhalb einer Maschine dritter Art, die von stets unsicherem Charakter ist, als Allheilmittel antizipiert und die Entscheidung über die Notwendigkeit staatlicher Aufrüstung an eine zentrale Instanz abgegeben. Die gebündelten Ängste tragen zur Etablierung militärischer Kontroll- sowie Sicherheitstechnologien (wie etwa dem Survivor) außerhalb ihrer ursprünglichen Einsatzbereiche bei. Dabei stellt der schleichende Konformismus gegenüber den Technologien der Aufrüstung keine Besonderheit, sondern eine normierte Konsequenz im Mensch-Maschine Verhältnis der dritten Art dar. Denn in den Mikropraktiken des Alltags, dem elektronischen Fingerabdruck, oder Äußerungen wie: „Ich habe ja nichts zu verbergen“, und der damit einhergehenden Datenfreigabe, ist die Normalisierung des Ausnahmezustands längst angelegt: Es wird als normal empfunden, permanent Daten an der Supermarktkasse, bei der Ärztin oder beim Reisen preiszugeben, sodass auch die Auswertung von Big Data zu Zwecken der Überwachung kein Ausnahme-Tool, sondern die Regel darstellt. Vor dieser freiwilligen Produktivität wird tatsächliche Überwachung nicht als Kontrolle, sondern als Schutz all jener, die „nichts zu verbergen haben“, inszeniert.12 Da dieses Wissen um die eigene „Unschuld“ jedoch nur auf individueller Ebene verifiziert werden kann, vereinzelt diese Praxis die Individuen dermaßen, dass auf der Mikroebene immer die Angst vor denjenigen geschürt wird, die vielleicht doch etwas zu verbergen hätten. In der kybernetischen Dynamik des maschinischen Kapitalismus kann 11 Deleuze/Guattari: 1000 Plateaus, S. 294. 12 So heißt es schon bei Günther Anders: „Der Konformist von heute unterstellt als selbstverständlich, dass das Private nichts anderes sei als der Vorwand für die Unterschlagung verbotener Handlungen.“, vgl. Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen, Band II, München, 2002, S. 229.

eine gouvernementale Praxis, die das Bündeln und Verwalten dieser Begehren versteht, Mikroängste dahingehend binden, ihre eigenen Interessen auf der Legitimationsgrundlage des vermeintlichen Wohles aller durchzusetzen. In der Interdependenz von makro- und mikropolitischen Prozessen liegt aber auch ihr widerständiges Potenzial. Denn im Gegensatz zur militärischen Verhärtung auf der Makroebene, kann die Vielheit von Ängsten auf der Mikroebene auf ebenso mannigfaltige Weise von gegenhegemonialen Handlungsmöglichkeiten durchkreuzt werden. Hier liegt das Potenzial für eine politische Praxis jenseits einer bloßen Ablehnung hegemonialer Praktiken: Nicht in Ablehnung gegenüber der Aufrüstungspolitik von G20 in Form einer abgrenzenden Identitätspolitik à la „die da oben, wir hier unten“, sondern durch einen kollektiven Subjektivierungsprozess, der bestehenden maschinischen Formationen sowie herrschenden Mächten entgeht und entsagt, kann sich ein Widerstand formieren. Dieser Prozess des Unterwanderns muss die Maschinen nicht ablehnen, sondern kann sie zu klassischen Formen des Protestes wie Sabotage, Hacking oder Vireninjektion nutzen. „Weder zur Furcht noch zur Hoffnung besteht Grund, sondern nur dazu, neue Waffen zu suchen.“13

Die G20 Proteste in Hamburg bieten Anlass, mit präventiven Antworten wie dem Survivor zu brechen und eigene Fragen zu formulieren. Mit den Protesten gegen G20 wird sich herausstellen, ob Mikroängste und affektives Maschinen-Begehren im Aufrüstungsprozess ungestört zusammenfallen können. Auf der Straße wird sich zeigen, wo die Bruchlinien im Organisationsprinzip des maschinischen Kapitalismus verlaufen und welche Potenziale sich für ein neues Mensch-Maschinen Verhältnis eröffnen, das antizipierten Begehrensformationen entgeht. „An die Welt glauben, das heißt zum Beispiel, Ereignisse hervorzurufen, die der Kontrolle entgehen, auch wenn sie klein sind. (…) Bei jedem Versuch entscheidet sich die Frage von Widerstand oder Unterwerfung unter eine Kontrolle neu.“14

13 Gilles Deleuze: „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“, in: ders. Unterhandlungen. 1972-1990, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993, S. 254-262, hier S. 256. 14 Gilles Deleuze: „Kontrolle und Werden“, in: ders. Unterhandlungen. 1972-1990, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993, S. 243-253, hier S. 253.

engagée | 49


Maschine-Werden

// G 20 Gefangenensammelstelle, Hamburg-Harburg, 20.6.17


S

// State of Exception Paul Lovis Wagner untersucht am Beispiel des G20 Gipfels den Ausnahmezustand als Herrschaftsstrategie. In seinem Projekt will er der Zivilgesellschaft einen Blick auf den Ausnahmezustand eröffnen, der kontinuierlich geschaffen wird, um die Selbstinszenierung und Durchsetzungsfähigkeit des Staates zu ermöglichen. Er dokumentierte fotografisch die bundesweiten Vorbereitungen zum G20-Gipfel, zahlreiche Ministergipfel und den G20 Präsidentschaftsgipfel in Hamburg. In Zeiten immer größer werdenden Abstandes zwischen den Regierenden und den Regierten liegt sein Fokus auf den visuellen Repräsentationen von Macht und (Un-)Sicherheit. Das Projekt ist eine Kooperation von jib-collective und ça ira studio. Weitere Bilder unter: www.stateofexception.de/en

G20 Gefangenensammelstelle, Hamburg,. 20.6.17

engagée | 51


Präsidentschaftsgipfel, Hamburg, 8.7.17. Fotos: Paul Lovis Wagner


//

G20


Präsidentschaftsgipfel, Hamburg, 8.7.17. Fotos: Paul Lovis Wagner


G20 // engagĂŠe | 55


Fa c i a l We a p o n i z a t i o n S u i t e //Zach Blas 2011-2014 www.zachblas.info

F

acial Weaponization Suite protests against biometric facial recognition – and the inequalities these technologies propagate – by making “collective masks” in workshops that are modeled from the aggregated facial data of participants, resulting in amorphous masks that cannot be detected as human faces by biometric facial recognition technologies. The masks are used for public interventions and performances. One mask, the Fag Face Mask, generated from the biometric facial data of many queer men’s faces, is a response to scientific studies that link determining sexual orientation through rapid facial recognition techniques.

Another mask explores a tripartite conception of blackness: the inability of biometric technologies to detect dark skin as racist, the favoring of black in militant aesthetics, and black as that which informatically obfuscates. A third mask engages feminism’s relations to concealment and imperceptibility, taking veil legislation in France as a troubling site that oppressively forces visibility. A fourth mask considers biometrics’ deployment as a security technology at the Mexico-US border and the nationalist violence it instigates. These masks intersect with social movements’ use of masking as an opaque tool of collective transformation that refuses dominant forms of political representation.

Top right: Facial Weaponization Suite: Fag Face Mask - October 20, 2012, Los Angeles, CA photo by Christopher O’Leary Top left: Facial Weaponization Suite: Mask - May 31, 2013, San Diego, CA photo by Christopher O’Leary Bottom right: Facial Weaponization Suite: Mask November 20, 2013, New York, NY photo by Christopher O’Leary Bottom left: Facial Weaponization Suite: Mask May 19, 2014, Mexico City, Mexico photo by Christopher O’Leary


B la s

2013-2016

C ag e s

/ / Za c h

Face Left: Face Cage #1 3D rendering 2014 photo by Scott Kepford

Right: Face Cage #2 3D rendering 2014 photo by Scott Kepford

T

he success of today’s booming biometrics industry resides in its promise to rapidly measure an objective, truthful, and core identity from the surface of a human body, often for a mixture of commercial, state, and military interests. Yet, feminist communications scholar Shoshana Amielle Magnet has described this neoliberal enterprise as producing “a cage of information,” a form of policing, surveillance, and structural violence that is ableist, classist, homophobic, racist, sexist, and transphobic. Biometric machines often fail to recognize non-normative, minoritarian persons, which makes such people vulnerable to discrimination, violence, and criminalization: Asian women’s hands fail to be legible to fingerprint devices; eyes with cataracts hinder iris scans; dark skin continues to be undetectable; and non-normative formations of age, gender, and race frequently fail successful detection. These examples illustrate that the abstract, surface calculations biometrics performs on the body are gross, harmful reductions. A visual motif in biometric facial recognition is the minimal, colorful diagrams that visualize over the face for authentication, verification, and tracking purposes. These

diagrams are a kind of abstraction gone bad, a visualization of the reduction of the human to a standardized, ideological diagram. When these diagrams are extracted from the humans they cover over, they appear as harsh and sharp incongruous structures; they are, in fact, digital portraits of dehumanization. Face Cages is a dramatization of the abstract violence of the biometric diagram. In this installation and performance work, four queer artists, including micha cárdenas, Elle Mehrmand, Paul Mpagi Sepuya, and myself, generate biometric diagrams of our faces and then fabricate these diagrams as threedimensional metal objects, evoking a material resonance with handcuffs, prison bars, and torture devices used during the Medieval period and slavery in the US. The metal face cages are then worn in endurance performances for video. Face Cages is presented as an installation that features the four performance videos and four metal face cages. The computational biometric diagram, a supposedly perfect measuring and accounting of the face, once materialized as a physical object, transforms into a cage that does not easily fit the human head, that is extremely painful to wear. These cages exaggerate and perform the irreconcilability of the biometric diagram with the materiality of the human face itself–and the violence that occurs when the two are forced to coincide. engagée | 57


M i c k

J a g g e r

p r o b a b l y

m e a n t

s o m e t h i n g e l s e

w i t h

s a t i s f a c t i o n

Abreissblock Digitaldruck // 10 x 15 cm // 41 Seiten // Vicky Klug // Fo t o s : V i c k y K l u g

Der Abreissblock versammelt 40 verschiedene Todo-Listen von mir, eine Liste pro Blatt. Arbeitsanweisungen an sich selbst. Erledigt. Übrig bleiben Blätter mit Wortbalken, die einzelnen Punkte nur mehr erahnbar. Reste des alltäglichen Kampfes um Effizienz. Strukturiert und organisiert. Jede Liste ein Dokument erbrachter Leistung und grafisches

Zeugnis alltäglicher (Selbst-) Konditionierung und Programmierung. Analog. Denn gibt es ein digitales Substitut für energisches Durchstreichen und Zerknüllen? Die Blätter lassen sich einzeln heraustrennen. Um mit einem erfüllten Tagespensum in der Tasche entspannt vom To-do- in den Nichtstu-Modus zu wechseln.


engagĂŠe | 59


Maschine-Werden


engagĂŠe | 61


t h e

S u n

Ste ye r l

Fa c to r y

o f

Hito

We live in a time of huge – if not complete – distrust. To have a critical position towards the state, the institutions, the establishment, those in power, is not a privilege of the political Left, if it ever was. The New Right feeds on exactly this resentment and quickly overtook the Left in using its potential for political mobilization in many countries. If critical denunciation is no longer sufficient – and might even turn out to be counter-productive – which other stance could there be for progressive political art? To attain a critical position beyond mere denunciation, one has to overcome one of the most resilient dualisms: the separation between ‘us’ and ‘them’. It is not the uneducated, less-privileged, stupid or rural people which are the problem, but we are all part of it: no matter if we vote our countries’ respective right-wing populist party, we are all part of a society that produces them – the fact that somebody identifies a problem, does not signify s/he is outside of it. This immanent view of politics becomes ever more pressing when we add an ecological viewpoint to the matter: our lifestyle seems to be the current problem. Although Trump reinvests in the coal industry and plans to leave COP21, people who

did not vote for him might still have a bigger ecological footprint than those who did, given their on average higher level of income and international connectedness. So, in order to move on politically, we should find out more about the problem – and why we are so entangled with it. This requires to do more than denounce alienation. It rather requires to experimentally fall in love with it, to find out what attracts us to it.
 This is exactly what Hito Steyerl proposes. Her 2015 Venice Biennale contribution Factory of the Sun is an exciting high-end production, exactly what you might expect at an international art fair. The sound is excellent, the computer graphics state-of-the-art “Post-Internet” and the actors are hipster-idols wrapped in golden foil. They dance in super-individualistic styles to Kassem Mosse’s techno beat on one of the fethishized abandoned sites of Berlin – Teufelsberg – while at the same time being somehow involved with past and future political uprisings of ‘the people’. They are the cool kids, they are on the right side – and you immediately want to become a part of this Berlinesk hipsterutopia. But then this:


“At this point in the game, everything flips.
It turns out, you are your own enemy 
and you have to make your way through a motion capture studio Gulag. Everybody is working happily, the sun is shining all the time it‘s...totally awful.” In this game – which is not a game but, as we are assured several times, is reality – those cool hacker rebels turn out to be “orphans of the enemy” and “slaves of the light”. While believing they are part of the revolution, their movements are used by Deutsche Bank to accelerate the speed of light for even more profitable high-frequency trading. We learn that this is some disturbing contemporary dystopia but this does not make it less sexy to us. The exploitation behind is somehow revealed, but the coolness and attractiveness of the setting remains intact: one might actually rejoice in becoming a slave to this capitalist factory. This to me seems like an apt metaphor of our times: we all know somehow that something is wrong with our social and political order, however, no one really does anything substantial to it: we all are entangled in it and we all are mesmerized by its weird kind of beauty.
 To reveal this double standard game has an immense political potential, because it disturbs the reassured tranquility at our comfortable side of the dualism: we all know that something is wrong with the world, but we all equally like to feel on the right side – to feel like a part of the solution. Works like Hito Steyerl’s Factory of the Sun lure us into the identification with the alleged rebel-heroes, but then break the spell, show how much they are entangled with the problem – and still somehow it is too late for us to detach from it: we feel their coolness, be it one of the good or the bad side. Its attractiveness is unaltered by its ethicality. This text is an excerpt taken from Kilian Jörg’s longer essay “Be part of the Problem, not the Solution”. The essay was first published in the third issue of the journal ENTKUNSTUNG (#3 On Politics): http://entkunstung.com/ be-part-of-the-problem/.

Hito Steyerl Installation view from the Venice Biennale, German Pavilion, 2015 Image courtesy of the Artist and Andrew Kreps Gallery, New York Photography by Manuel Reinartz

Hito Steyerl Factory of the Sun, 2015 Single channel high definition video, environment, luminescent LE grid, beach chairs 23 minutes Image CC 4.0 Hito Steyerl Image courtesy of the Artist and Andrew Kreps Gallery, New York

engagée | 63


Maschine-Werden

Signe Pierce, Signelarity, 2017, Digital C-Print, Steel, 24 x 30 cm

Signe Pierce, Reflectionsz, 2016, Digital C-Print, Steel, 24 x 30 cm

Virtual Normality //Signe Pierce


Signe Pierce, Virtual Normality, 2017, Latex Druck auf Backlightfolie, Acrylic LED edge-lit light box, 3000+ LUXbulbs, 60 x 85 cm

engagĂŠe | 65


Maschine-Werden

Signe Pierce

Virtual Normalit y During the height of the 2016 American presidential primaries, just shy of a year before Donald Trump’s ultimate inauguration, the artist Signe Pierce convened a small group of spectators outside of Trump Tower in New York City. Acting as a hyperbolic valley girl dressed in a soft pink velour tracksuit, Pierce, unhinged and crying, documented herself vomiting up a Starbucks Frappuccino in a series of selfies. The performance was part of BOOKLUB 10, curated by India Salvor Menuez in conjunction with Oceans of Images: New Photography 2015 at the Museum of Modern Art, an exhibition that sought to examine the various elements of perception using the photographic image as its primary medium.

Pierce’s props — the tracksuit, the iPhone, the frothy beverage — are symbols of an American normality. Perhaps they are deemed “normal” for their iconic status in the marketplace; in Western society, commercial successes have long dictated popular conventions. Her actions, however — the manic selfie taking, the vomiting — were anything but standard. And yet, just as Trump conned voters by swaying attention towards his antics, Pierce’s vulgar performance disclosed a fact that can be applied to the contemporary media landscape: in a 24-hour news cycle that needs constant fodder, influence is peddled through an affinity for the obscene, not by maintaining the status-quo.

Provoking critical interventions by manipulating social constructs is a staple of Pierce’s work, and in an era where mass communication is driven largely by technology, the artist has little interest in perpetuating a binary between digital networks and physical publics. Her practice, which spans acting, photography, and installation, treats the internet as a fluid extension of reality, finding presence wherever there are people to impact. Small gatherings, like her BOOKLUB 10 performance, are typically broadcasted to thousands of the artist’s online followers. And by finding inclusion in the “postinternet” canon — in which virtual media are touted for their embodiment as art objects, removed from the constraints of a web browser — Pierce has brought multidimensionality to an international roster of galleries and museums. Her works across these realms are unified by her unwavering signature style, largely expressed through vivid neon colors, dark humour, and always with a pingback to mainstream notions of femininity — as if Barbie was perpetually drenched in James Turrell‘s disorienting light instead of a fabled California sun. Text: Alexis Avedisian [reprinted with the kind permission of Galerie Nathalie Halgand Vienna]


W h e n O p e r a t i o n s B e c o m e F o r m . Für eine Kunst (-wissenschaft) der Komplexität.1 //Birte Kleine-Benne

I.

I

st angesichts der medienarchäologischen Hypothese, dass wir uns in einem Medienepochenumbruch von der modernen zur nächsten Gesellschaft befinden2, nicht auch die Phänomenologie der Kunst und mit ihr das Regime der Kunst3 und ihre „subjektbesessene und wahrnehmungsfixierte Ästhetik der letzten zwei Jahrhunderte“4 zu prüfen? Ist mit der häufig konkurrenzierenden Überlagerung mechanischer und maschineller Techniken durch elektronische Informations- und Kommunikationstechnologien nicht auch davon auszugehen, dass sich das Organisationsprinzip von Kunst ändert? Ist mit verändertem „Denken, Fühlen, Wünschen, Handeln, ja sogar [...] Wahrnehmen und Vorstellen“5 durch das „null-dimensionale Punktedenken“6, mit dem unsere Nachfahren künftig „anders in der Welt“ sind, „als es unsere Vorfahren waren“7, nicht auch von einer Reformatierung künstlerischer Praktiken auszugehen? Ist, wenn in der sogenannten nächsten Gesellschaft nun Schaltkreise die Hebelkräfte der modernen Gesellschaft überlagern8, nicht eine produktorientierte, gegenständliche, handelbare, inventarisierbare, arretierte, aufschiebende, werkkonsistente, einzigartige, sich in Distanz setzende und konsequenzlos ausweisende Kunst grundsätzlich zu befragen?

1 Diese Ausführungen beruhen unter anderem auf meinen Gesprächen im Rahmen der Veranstaltung Für eine Kunst der nächsten Gesellschaft, 2012, mit Mischa Kuball (24.5.2012), Susanne Jaschko (31.5.2012), Erwin Liedke aka erwin.GeheimRat (14.6.2012), Iris Dressler (21.6.2012), Armin Medosch (28.6.2012) und Yvonne Spielmann (5.7.2012) – eine Veranstaltung des Department Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie eine Kooperation der Klasse Medienkunst, Akademie der Bildenden Künste München, Prof. Klaus vom Bruch und dem Institut für Kunstgeschichte der LMU München, Prof. Dr. Birte Kleine-Benne. Weiteres: http://artnextsociety.eyes2k.net. 2 Vgl. Baecker, Dirk (2007a): Studien zur nächsten Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp. 3 Vgl. Rancière, Jacques (2008): Ist Kunst widerständig? Berlin: Merve. 4 Avanessian, Armen (2014): Das spekulative Ende des ästhetischen Regimes. In: Texte zur Kunst, März 2014, 24. Jhg., Heft 93, S. 53–66, hier S. 53. 5 Flusser, Vilém (1988): Krise der Linearität. Bern: Benteli, S. 7. 6 Ebd., S. 21f. 7 Ebd., S. 7. 8 Baecker, Dirk (2013): Zukunftsfähigkeit | 22 Thesen zur nächsten Gesellschaft. In: https://catjects.wordpress.com/2013/07/02/zukunftsfahigkeit-22-thesen-zur-nachstengesellschaft. Dieser und alle weiteren Links im Text sind letztmalig am 21.4.2017 aufgerufen worden. Andernfalls sind sie ggf. über https://archive.org aufzurufen.

Ist dabei nicht gerade mediologischen Untersuchungen, die umfangreiche gesamtgesellschaftliche Transformations- und Transcodierungsprozesse, Reformatierungen und Rekonzeptualisierungen erforschen, mit Neugierde zu begegnen? Denn sind angesichts medialer Umkonfigurierungen nicht die Modalitäten unserer Sinnbildungs- und Sinnprozessierungsverfahren zu aktualisieren?9 Ist mit der Entdeckung (oder war es eine Erfindung?) der sogenannten Umwelt und der Entstehung von Systemumwelttheorien10 nicht fortan zwingend die Ökologie einzurechnen, das heißt, sind nicht zwingend die technischen, geschichtlichen, ökonomischen, politischen, geschlechtlichen ... Kontextfaktoren11, wie sie bereits Untersuchungsgegenstand der KontextKunst waren/sind12, bereits von vornherein in bzw. innerhalb eines (neu zu modellierenden oder neumodellierten) Form-Konzepts und eines entsprechenden Kunst-Konzepts zu beachten? Noch einmal anders gefragt: Ist angesichts der beträchtlichen ökologischen Schäden durch objektivistische, positivistische oder reduktionistische Ansätze der konstitutive, prinzipielle Ausschluss (von Kontexten, Funktionen, Konsequenzen, Realitäten und Komplexitäten) nicht notwendig aufzugeben? Ist die Ökologie der Nachbarschaftsverhältnisse nicht Movens, Motiv und Methode, nun nach den Verhältnissen (statt nach Substanzen) zu fragen und dabei die Funktionsabhängigkeiten der einen von der anderen und von der wiederum nächsten Größe in den Blick zu nehmen? Sind dabei nicht notwendig auch die Epistemologien zu überarbeiten, die für die Konstituierung der Untersuchungsgegenstände voraussetzend sind13, zumal doch bereits eine Entregelung bisheriger Epistemologien durch zeitgenössische Kunstpraktiken zu beobachten ist? Ist mit der Umstellung und der noch immer eher vorsichtigen Orientierung an differenztheoretischen (statt an identitätslogischen) Ansätzen etwa in der Medien- und Informationstheorie und der damit einhergehenden De-Ontologisierung nicht der Einheitsidee und ihren identitätisch verfestigenden Werkzeugen grundsätzlich skeptisch zu begegnen? 9 Vgl. hierzu McLuhans Setzung „All media work us over completely“, in: McLuhan, Marshall / Fiore, Quentin (2001): The Medium is the Massage: An Inventory of Effects. Berkeley: Gingko Press, S. 26. 10 Baecker, Dirk (2002): Wozu Systeme? Berlin: Kadmos, S. 87. 11 Und nicht nur diese, wie McLuhan 1964 prognostizierte: „All media work us over completely. They are so pervasive in their personal, political, economic, aesthetic, psychological, moral, ethical, and social consequences that they leave no part of us untouched, unaffected, unaltered.“ In: McLuhan/Fiore (2001), a.a.O., S. 26. 12 Vgl. hierzu seit 1990 die Veröffentlichungen von/in Texte zur Kunst sowie Weibel, Peter [Hg.] (1994): Kontext Kunst, Ausst.-Kat. Köln: DuMont. 13 Vgl. hierzu Kemp, Wolfgang (1991): Kontexte. Für eine Kunstgeschichte der Komplexität. In: Texte zur Kunst, 2. Jg./Nr. 2, S. 88–101.


Sind nicht im mindesten die „Fundamentalentwürfe“ und die verengende, vereinheitlichende „Sammlung aller Weltkomplexität unter einen Grund“14 mit einem stets mitlaufenden Vorbehalt der Dekonstruktion auszustatten? Ist angesichts von Standpunktvervielfältigungen und Komplexitätserhöhungen nicht folgekonsequent von methodischen Reduktionen und Simplifizierungen Abstand zu nehmen? Ist der erforderliche Umgang mit Komplexitäten nicht ein hinreichender Hinweis darauf, sich prinzipiell (und zwar, auch wenn es paradox anmutet, sicher und unzweifelhaft nun) auf Kontingenzen und Ambiguitäten, Variabilitäten und Viabilitäten, Unerreichbarkeiten und Unruhe einzustellen? Sind angesichts der bereits vor geraumer Zeit in den Künsten in Gang gesetzten Institutionskritik15 und ihrer Dekonstruktion der „Mechanismen von Normalitäten und Normativitäten“16 nicht zwingend das Hauptnarrativ, der Kanon und die Identitätspolitik der Kunstgeschichte zu befragen und ihre wesentlichen Vorannahmen, die bisher eingesetzten Leitdifferenzen (wie Kunst vs. Realität), Leitmedien (wie das Bild, der White Cube), Leitmethoden (wie Biografismus, Werkphilologie und Autorenpoetik), Leitprinzipien (wie ein substanzieller Kunstbegriff, Zeit als kunstgeschichtliche Chronologie, Arretierungen und Genrefizierungen) zu überarbeiten? Erfordert dies nicht bereits schon zwingend der zersprungene homogene Raum und die zerborstene lineare Zeit? Ist dabei die westliche Kunstgeschichte, die durch hegemoniale Ausgrenzungen (anderer Kontexte, anderer Kulturen, anderer Orte, anderer Kunstgeschichten, anderer Episteme), durch (disziplinäre und methodische) Isolierungen sowie durch Sezierungen (etwa in Form des Bildes als dominierendem Leitmedium) sogenannte „dead-ends“ produziert (hat), nicht selbst und zwar nicht nur als Ursache, sondern auch als Effekt wirksamer Ausschlüsse zu begreifen? Sind die prominenten Ausrichtungen der Kunstgeschichte auf eine ontologische Substanzialität und eine bildliche, formal-ästhetische Phänomenologie, die gemeinsam mit ästhetischen und bildwissenschaftlichen Theorieentsprechungen und dialektischen, perzeptionsorientierten und psychologischen Modellen praktiziert werden, nicht einer genauen Prüfung zu unterziehen? Ist nicht allerspätestens mit der Dekonstruktion als Radikalisierung des aufklärerischen Projekts17 unabdingbar, keine Gewissheiten anzuerkennen und scheinbar naturgegebene, essentielle Zustände auf Vereinbarungen, Machtinteressen, Autorisierungen, Tücken und Ausschließungen zu prüfen18 und damit auch den praktizierten und perpetuierten Grenzziehungen der Kunstgeschichte auf den Zahn zu fühlen?

Ist mit nunmehr rechnenden19 statt repräsentierenden Vorgängen20 nicht auch die Definition von Kunst als ein nur Wahrnehmungs-, Beobachtungs- und/oder Reflexivitätsmedium anzuzweifeln und ggf. zu erweitern, zumal die Repräsentationskritik21 und ihre Kritik an den Repräsentanten seit Anfang der 1980er Jahre der Repräsentationslogik stark zugesetzt hat? Ist der Repräsentationslogik, auf die sich die Kunstwissenschaften im 20. Jahrhundert noch einmal neu konzentriert haben (und hierzu zählen auch die Fotografie22, die Repräsentationskritik selbst sowie jüngst die Bildwissenschaften) nicht mit der gebotenen, dekonstruktivistischen Skepsis gegenüber einer, gegenüber der vor-/herrschenden Wirklichkeit zu begegnen? Und ist Realität in diesem Zusammenhang nicht immer wieder neu als Herrschaftsinstrument zu bestimmen?23 Ist das Konzept/Konstrukt/Regime der Ästhetik nicht selbst als ein Verfahren der Kontingenzbewältigung zu begreifen, das mit der Logik der nun bevorzugt als Praktiken oder Praxen beschriebenen24 zeitgenössischen Künste nur schwer noch überein zu bringen ist? Ist in diesem Zusammenhang nicht das Dispositiv der Kunst mit ihren performierenden, stabilisierenden und manifestierenden Operationen, ob in der Kunstproduktion, im Ausstellungswesen, in der Theoriebildung, im Feuilleton oder in der akademischen Ausbildung (Wolfgang Kemp spricht von einer Haltung, einer Praxis, ja einer „ganze[n] Wertelehre“25) zu ergründen? Ist der in den gegenwärtig prominenten bildwissenschaftlichen Ansätzen zum blinden Fleck der kunsthistorischen Forschung gewordene Begriff der Kunst nicht abermals in den Blick zu nehmen? Ist als Folge von vitaler Produkt- und Kapitalismuskritik, von energischer Kritik an Warenästhetik und Kunstmarkt, von Missbilligung ökonomischer Ausbeutung und sozialen Ausschlüssen nicht unumgänglich, von Kunst als einem Kunstwerk mit ontologischen Qualitäten, scheinbarer Autonomie und Zweckfreiheit, auf die Symbolfunktion reduziert26, Abstand zu nehmen? Ist der von modernistischen Prämissen geleitete und in einer repräsentationalen Ordnung verstrickte Sehnsuchtsbegriff von Kunst

19 Siehe auch Ernst Cassirers Ausführungen zu dem Unterschied von Substanz- und Funktionsbegriff, in denen Cassirer die Herrschaft des Substanzbegriffs mit der Logik des mathematischen Funktionsbegriffs angreift: „Alle Sätze der Arithmetik, aller Operationen, die sie definiert, beziehen sich lediglich auf die allgemeinen Eigenschaften der Progressionen; sie gehen daher niemals auf ‚Dinge‘, sondern auf die ordinalen Beziehungen, die zwischen den Elementen bestimmter Inbegriffe obwalten.“ Cassirer, Ernst (1910): Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik. Berlin: Verlag von Bruno Cassirer, https://ia600207.us.archive. org/8/items/substanzbegriffu00cassuoft/substanzbegriffu00cassuoft.pdf, S. 49. 20 Simon, Fritz B. (1993): Mathematik und Erkenntnis: Eine Möglichkeit, die ‚Laws of Form‘ zu lesen. In: Baecker, Dirk [Hg.]: Kalkül der Form, Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 38–57, hier S. 48: „Rechnen ist etwas anderes als abbilden.“ 21 Vgl. hierzu den Grundlagentext Derrida, Jacques (1994b): Freud und der Schauplatz der Schrift. In: Ders.: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt/Main: S. 302–350.

14 Clam, Jean (2002): Was heißt, sich an Differenz statt an Identität orientieren? Zur Deontologisierung in Philosophie und Sozialwissenschaft. Konstanz: UVK, S. 30. 15 Vgl. hierzu u. a. Alberro, Alexander / Stimson, Blake [Hg.] (2009): Institutional critique: an anthology of artists’ writing. Cambridge/Massachusetts: The MIT Press. 16 Eribon, Didier (2016): Rückkehr nach Reims. Berlin: Suhrkamp, S. 217. 17 Ich danke Anna-Verena Nosthoff für diesen philosophie-historischen Hinweis. 18 Vgl. hierzu u. a. Derrida, Jacques (1990): Die différance. In: Engelmann, Peter [Hg.]: Postmoderne und Dekonstruktion, Texte französischer Philosophen der Gegenwart, Stuttgart: Philipp Reclam jun., S. 76–113. Ders. (1990): Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften von Menschen. In: Ders., S. 114–139. Ders. (1994a): Grammatologie. Frankfurt/ Main: Suhrkamp. Vgl. auch Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt/ Main: Suhrkamp. Dies. (1995): Körper von Gewicht. Frankfurt/Main: Suhrkamp

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22 Vgl. Owens, Craig (1992): Representation, Appropriation, and Power. In: Bryson, Scott / Kruger, Barbara / Tillman, Lynne / Weinstock, Jane [Hg.]: Beyond recognition: Representation, Power, and Culture. Berkeley/Los Angeles/Oxford: University of California, S. 88–113. 23 Zu neueren Bestandsaufnahmen und Untersuchungen zu Realismen in den Künsten der Gegenwart vgl. u. a. Marszałek, Magdalena / Mersch, Dieter (2016): Seien wir realistisch. Neue Realismen und Dokumentarismen in Philosophie und Kunst. Zürich: diaphanes. 24 Vgl. u. a. Raunig, Gerald (2006): Instituierende Praxen. Fliehen, Instituieren, Transformieren. In: http://eipcp.net/transversal/0106/raunig/de. 25 Kemp (1991), a.a.O., S. 92. 26 Vgl. hierzu u. a. Lingner, Michael (1999): Krise, Kritik und Transformation des Autonomiekonzepts moderner Kunst. In: http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv/ml_publikationen/ml_kt_h-a99. html, Abs. Zweckfreiheit.


(welcher Kunst dualistisch in Negativität zur Gesellschaft platziert) und die Verklärung von Kunst als ein Ort außerhalb, als Ort der Freiheit, Reinheit, Hoffnung, Unabhängigkeit, Verheißung, Erlösung, Utopie und Vision nicht vielmehr als eine sich perfekt eignende Anschlussoperation der kapitalistischen Waren- und Wettbewerbsproduktion (von Kunstmarkt, Bildungsmarkt, Markt der Theorien, Konferenzen, Sommerakademien, Stipendien, Ausstellungen, Publikationen, Preisen und Residenzen) zu dekonstruieren? Ist parallel zu den politikwissenschaftlichen Untersuchungen des Politischen (in Differenz zur Politik27) nicht sinnvoll, im Kunstbetrieb analog auf das Künstlerische umzustellen und dieses (künstlerisch) zu erproben und (theoretisch) zu untersuchen? Ist nicht angebracht, Medientheorien in der Kunstgeschichte nicht mehr in der Tradition klassischer Bild- oder Gattungsbegriffe zu verhandeln und den noch immer unterbestimmten Themenkomplex der Digitalisierung28 nicht mehr nur der Bildproduktion und Bildbetrachtung einzuverleiben? Ist angesichts von Daten- und Prozessgenerierung, von Bild- und Datenverknüpfung, von Anreicherungen der Bildebenen mit weiteren (textuellen, pragmatischen und Meta-) Ebenen29 nicht die Perspektivierung von Medien, Medienbedeutung, Medialisierung und Mediatisierung förderlich? Und ist nicht überaus sinnvoll, sich von dem Leitmotiv der Technikdeterminierung und Geräteorientierung im Kunstbetrieb zu verabschieden, die ihren vorläufigen Höhepunkt in der (kunstbetrieblichen, theoretischen, personellen, inhaltlichen ...) Auslagerung einer sogenannten digitalen oder auch Medienkunst fand/findet? Ist, wenn digitale Konnektivität auf analoge Komplexität, wenn mechanische Kausalität und maschinelle Technik auf die elektronischen Informations- und Kommunikationstechnologien treffen, wenn sich der Kontext zu Rekursivität, Polykontexturalität, Multiperspektivität und Multimedialität wandelt, nicht von grundlegenden Veränderungen auszugehen, die nicht nur den Gegenstand kunsthistorischer Analysen, sondern auch uns KunstwissenschaftlerInnen und KunsthistorikerInnen betreffen – und hier stelle ich insbesondere und explizit ethische Belange heraus? Zusammenfassend frage ich nicht wenig skeptisch, wie mit Foucault eine „reflektierte Unfügsamkeit“ (die er als Kritik bzw. als „die Kunst der freiwilligen Unknechtschaft“ mit der „Funktion der Entunterwerfung“30 beschreibt) aussehen kann, die all‘ die genannten Aspekte einkalkuliert? Was passiert, wenn mit Spencer-Brown gesprochen statt GI BB stattfände, statt einer „selbstbetrügerischen Methode von Gerede und Interpretation“ eine „selbstkorrigierende Form von Befehl und Betrachtung“31 [Hervorh. d. Verf.]?

II.

D

ie folgenden künstlerischen Praktiken, so möchte ich behaupten, verrechnen in je unterschiedlicher Richtung, Intensität, Dynamik, Interrelation ... die zuvor gestellten Fragen und erproben, prüfen und wagen in unterschiedlicher Form Struktur- und Kulturumstellungen in digitalen Zusammenhängen: Tools for the next revolution nennen Wachter/Jud ihre Trilogie und empfehlen mit diesem Titel (wenngleich sie die gegenwärtig überstrapazierte Vokabel der Revolution einsetzen, gleichzeitig aber mit dem Adjektiv an soziologische Beschreibungen der gegenwärtigen Gesellschaft als die „nächste“32 anknüpfen) konzeptuelle Veränderungen des Begriffs (und der Begrifflichkeit) von Kunst, nämlich, diese als Werkzeuge zu begreifen, die im Maschinenraum von Kunst und Gesellschaft bzw. in deren Subface33 wirken und nicht (nur) auf visuellen Oberflächen verbleiben und auf Ästhetik/en reduziert werden. Ausnahmslos alle Arbeiten von Wachter/Jud, und dazu zählen auch Zone*Interdite34 (seit 2000), Blacklist (seit 2010) und Hotel Gelem35 (seit 2010), kreisen um das Bild und dekonstruieren dessen Herstellungs-, Prozessierungs-, Ausblendungs-, Ausgrenzungs-, Hierarchisierungs- und Dominierungsverfahren. qaul.net, Wachter/Jud, seit 2011, release 2012, ongoing, http://qaul.net.

Bei der Gelegenheit deklassieren sie das klassische Bild(gebungs) verfahren des ikonischen Tafelbildes als „Nur-Surface“, experimentieren vergleichend mit dem elektronischen Zeitbild als einer konzeptuellen, protokollarischen und prozessualen Erweiterung und generieren damit epistemische Gewinne etwa hinsichtlich von Medium, Formaten und Bildklassen. […]36 Weitere Varianten von Selbstbehauptung praktiziert seit den 1990er Jahren Cornelia Sollfrank, indem sie mit ihren performativen, situativen, technischen, kuratorischen und/oder textlichen Kunstkonzepten in das Betriebssystem der Kunst interveniert und dessen Spielregeln herausfordert.

27 Vgl. Marchart, Oliver (2010): Die politische Differenz. Berlin: Suhrkamp. 28 Vgl. hierzu Passig/Scholz‘ These, dass es eine Digitalisierung nicht gibt: Passig, Kathrin / Scholz, Aleks (2015): Marginalien. Schlamm und Brei und Bits. Warum es die Digitalisierung nicht gibt. In: Merkur, 69 Jhg., Heft 798, November 2015, S. 75–81. In: https://volltext.merkur-zeitschrift. de/index.php/mr_2015_11_0075-0081_0075_01.pdf?r=xsearch/downloadfile&id=561e55be546f88 e02b8b4583. 29 Vgl. Heidenreich, Stefan (2005): Neue Medien. In: Sachs-Hombach, Klaus [Hg.]: Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 381–392.

32 Baecker (2007a), a.a.O. 33 Das Subface wäre mit dem Surface und dem Interface zu einer Trias zu erweitern, vgl. Nake, Frieder (2008): Surface, Interface, Subface: Three Cases of Interaction and One Concept. In: Seifert, Uwe / Kim, Jin Hyun / Moore, Anthony [Hg.]: Paradoxes of Interactivity. Perspectives for Media Theory, Human-Computer Interaction, and Artistic Investigations. Bielefeld: transcript, S. 92–109. 34 http://zone-interdite.net.

30 Foucault, Michel (1992): Was ist Kritik?. Berlin: Merve, S. 15.

35 http://hotel-gelem.net.

31 Spencer-Brown, George (1997): Laws of Form. Gesetze der Form. Lübeck: Bohmeier, S. x.

36 Die Langfassung des Textes ist über http://www.engagee.org/blog zu finden.


Mit Female Extension (1997), Sollfranks Hack37 auf die Auswie bei Wachter/Jud eine Rechengröße und (mehr als nur) ein zweischreibung eines Netzkunst-Wettbewerbs der Hamburger Kunstdimensionaler Stau im n-dimensionalen Datenuniversum, dessen halle, bei dem sie mit dem Net.art generator38 maschinisch generierSichtbarkeit in Abhängigkeit von Algorithmen, Kunstgeschichte/n, Diskursproduktionen, Wahrnehmungs- und Sichtbarkeitsorganisate Netzkunst von 289 fiktiven Künstlerinnen aus sieben Nationen tionen sowie (urheberrechtlichen) Gesetzgebungen steht. einreichte39 und damit zumindest die statistische Wahrscheinlichkeit zu erhöhen versuchte, dass aus den zwei Drittel der eingereichten Varianten der SelbsterBewerbungen von Fraumächtigung praktizieren en auch eine Künstlerin die künstlerischen und einen Preis gewinnen vielfach auch wissendürfte, zerlegte Sollfrank schaftlichen Forschungsdie Normativitätsextenprojekte von GeheimRat. sion des Betriebssystems com46 und nehmen dabei des White Cube auf/in das Internet mit dessen die unvollkommenen, real existierenden Geunbrauchbaren oder auch schlechts-, Macht- und unrechtmäßigen VereinRepräsentativitäts-Lobarungen in Wirtschaft, giken, wie sie zeitlich Politik und Recht in dinicht wesentlich später gitalen Zusammenhängen auch in anderen Funk- I DON‘T KNOW (Screenshot), Cornelia Sollfrank im Gespräch mit Andy Warhol, Video, 15 min, 1968/2004, CC-BY-SA 3.0. in den re-konzeptualisietionssystemen wie etwa renden, re-organisierenin der Wirtschaft reorden und re-formierenden ganisierend beobachtet werden können sollte. Cyberfeministische Blick unterschiedlichster Formatexperimente: Während mit analogue_ Gründungen (wie das Old Boys Network40 1997), Theorien (wie die series#no.2k002347 seit 2003 gesetzlich fixierte48, aber faktisch versagte 41 100 Anti-Thesen zum Cyberfeminismus ) und Praktiken (wie zur doVersprechungen, und zwar einer Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit in Anspruch genommen werden, indem diese mit dem im Grundgecumenta X 1997 mit der 1. Cyberfeministischen Internationale42) wasetz für die Bundesrepublik Deutschland und in der Allgemeinen Erren darauf ausgerichtet, Netzwerk-Strukturen zu performieren und klärung der Menschenrechte verbürgten Urheberrecht49 konzeptuell zu inkorporieren („The Mode is the Message – The Code is the 43 Collective“ ) und bereiteten künstlerische und theoretische Detailverschweißt werden50, nimmt sich Legend – analogue_series#no.7797751 untersuchungen kunsthistorischer Konzepte wie Autorschaft, Origiseit 2012 das verfassungsgerichtlich festgestellte Recht auf das eigene nalität, Identität und Urheberschaft vor, wie Sollfrank sie beispielsBild52, indem das fotografische Porträt einer Person mittleren Alters 44 weise seit 2004 mit This Is Not By Me , ihrer Auseinandersetzung mit dem Urheberrecht von GeheimRat.com ausgestattet, als Zertifikat notariell beglaubigt und auf eine auf 77 977 limitierte, zweijährige mit Andy Warhols Flowers (ab 1964) vornimmt. Den Transfer von Einzellizenz in Höhe von 77 977 Euro festgesetzt wird. Warhols mechanisch-maschinisch reproduzierenden Arbeitsverfahren und Motiven in elektronische, digitalisierte und computerisierte Kontexte nutzte Sollfrank für die Gelegenheit einer Begegnung mit Beide künstlerische Arbeiten machen sich das Urheberrecht im Warhol, um sich von ihm für die Nutzung seiner Flowers urhebermultifunktionalen Einsatz als Drohgebärde, Protektion, Hoheitsgarechtlich autorisieren zu lassen – eine Themen-, Zeit- und Raumrantie, Prävention oder auch Werkzeug für die Sicherung und potenKomprimierung, mit der Sollfrank sich und Warhol in/mit einer tielle Durchsetzbarkeit der geistigen und materiellen Interessen des prozesshaften Ereignishaftigkeit einen nächsten Schritt ermöglicht, Schöpfers von Werken der Kunst53 operativ zunutze und erzeugen um „von dort aus einen flüchtigen Blick zu wagen auf die Verhältnisse, die man dort vorfindet“45. Diese konzeptuelle, multimediale und 46 Vgl. hierzu auch den Beitrag von GeheimRat auf S. 73 in dieser Ausgabe: http://geheimrat.com. poetische Projektion greift die tradiert kunsthistorischen Organisa47 http://geheimrat.com/2k0023.html. tionsbedingungen auf, aber nicht um sie einer antiquierten Lächer48 Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948, lichkeit preiszugeben, sondern um sie künstlerisch operativ bestätiArt. 12, Abs. 1 und 2 des UN Zivilpakts, Art. 45, Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen gend einzusetzen und latenten Rechtsfragen zur Urheberschaft ein Union, Art. 2 des Zusatzprotokolls Nr. 4, Abs. 1 und 2 der Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 11, Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Ende, genau genommen kein Ende zu setzen. Auch hier ist das Bild

37 http://artwarez.org/120.0.html.

49 Art. 5, Abs. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, http://www.gesetze-iminternet.de/gg/index.html und Art. 27, Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948 http://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language. aspx?LangID=ger.

39 http://artwarez.org/femext/content/femext.html.

50 Weiteres vgl. Kleine-Benne, Birte (2017): Für eine operative Epistemologie. Für und wider eine Krise der Theorie. In: kunsttexte.de, Sektion Gegenwart, Nr. 1, 2017. In: http://edoc.hu-berlin.de/ kunsttexte/2017-1/kleine-benne-birte-7/PDF/kleine-benne.pdf.

40 http://obn.org.

51 http://legend.geheimrat.com.

41 http://obn.org/cfundef/100antitheses.html.

52 Das Bundesverfassungsgericht hat u. a. in seinem Urteil - 1 BvR 653/96 - vom 15.12.1999 das Recht am eigenen Bild als einer besonderen Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts festgestellt: http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs19991215_1bvr065396. html. Vgl. auch https://de.wikipedia.org/wiki/Recht_am_eigenen_Bild_(Deutschland).

38 http://artwarez.org/22.0.html.

42 http://obn.org/kassel. 43 http://obn.org. 44 http://artwarez.org/72.0.html. 45 Baecker (2007a), a.a.O., S. 8.

53 Art. 27, Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948, http://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language.aspx?LangID=ger, Art. 15, Abs. 1c des UN Sozialpakts, https://www.sozialpakt.info/kultur-und-wissenschaft-3282 und Art. 17, Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU, http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf.


im rekursiven Verbund von Gesetzgebung und Oberflächenfixierung der Ästhetik eine neue Variante der Autorisierung im Umgang mit persönlichen Daten. [...] Andere Kunstoperationen von GeheimRat.com wie The Value of Human Rights – digital_series#no.21724154 deklinieren dabei die technologischen und medialen Bedingungsveränderungen und deren Niederschläge sozial-, rechts- und gesellschaftspolitisch durch und leisten ihren Beitrag, das kulturelle und sozio-technische Gefüge von IRL zu URL umzubauen. [...] Weitere künstlerische Arbeiten, und hier erwähne ich etoys Hybridi- und Hyperisierung von Kunst und Wirtschaft55, UBERMORGENs Aufmerksamkeitsspiralisierungen56, The Yes Mens Überlebens-Überaffirmationen57, die taktischen Technologie-Eingriffe von Critical Art Ensemble58, Jennifer Lyn Morones Bio-Kapitalisierungen59 oder Paolo Cirios Vergemeinschaftungsoffensiven60 verdeutlichen das Spektrum künstlerischer Einlassungen auf die Medienumbrüche in Form von Struktur- und Kulturexperimenten, -untersuchungen und/oder -transformationen.

The Project Formerly Known As Forkbomb (Printing Press Diagram), UBERMORGEN, 2013, Courtesy the Artist and Carroll/Fletcher, London, No Copyright, http:// uuuuuuuntitled.com.

Diese künstlerischen Tendenzen möchte ich hinsichtlich ihres Verfahrens, ihrer Organisation und ihrer Orientierungsfigur auf die Formel When Operations Become Form bringen und verweise damit unzweifelhaft auf die einschlägige Ausstellung When Attitudes Become Form mit dem Untertitel Works – Concepts – Processes – Situations – Information, kuratiert von Harald Szeemann 1969 in der Kunsthalle Bern. Mit dieser Ausstellung und den dort ausgewählten künstlerischen Arbeiten sollte Szeemann eine erste kunstbetriebliche Ahnung geben, dass sich die Gleichgewichtsfigur des Modus in der Moderne, die Ordnung von Status und Hierarchie, die Sachordnung von Zuständen und ihren Funktionen nun an veränderten Figuren orientieren könnten. Dirk Baecker schlägt hierfür „die Orientie-

54 http://GeheimRat.com/217241.html.

rungsfigur des Nächsten“ vor, eine Temporalordnung, „die durch die Ereignishaftigkeit aller Prozesse gekennzeichnet ist und die jedes einzelne Ereignis als einen nächsten Schritt in einem prinzipiell unsicheren Gelände definiert“61. [...]

III.

A

ngesichts der Herausforderungen an die Kunstwissenschaft, dass sich erstens künstlerische Praktiken im Einsatz etablierter Methoden, Modelle und Thesen einer Beobachtbarkeit entziehen und dass zweitens die Auswirkungen von kritischer Theorie, Dekonstruktion, Institutions-, Ideologie- und Kritik-Kritik62 sowie des hierdurch 1970 inspirierten Aufbruchs in eine kritische Kunstwissenschaft63 nicht zu ignorieren sind, schlage ich vor, nicht (mehr) geneigt zu sein, auf Ideologieprüfungen oder auch auf Prüfungen der eigenen unerfüllten Begehren zu verzichten, durch fortgesetztes Ideologisieren den Bestand der geltenden Ordnung zu sichern, das Bestimmen von Kontroll-, Kanalisierungs- und Organisationsprozeduren des Diskurses zu versäumen (deren Aufgabe es ist, „die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen“64), eine kontinuierliche Dekonstruktion der veranschlagten Prämissen zu umgehen, eine sogenannte Medienkunst und die ihr zugehörigen Ausstellungen, Publikationen, Konferenzen, Professuren etc. zu separieren und/ oder institutionell auszulagern, die digitale Kunstgeschichte auf Digitalisierung, Daten-, Datenbanken- und Wissensmanagement zu beschränken, Ausbildungs-, Ausstellungs-, Markt- und/oder Theorieexperimente zu verpassen oder Trends retrospektiver Neuentdekkungen aufzusetzen. Ich schlage vor, nicht (mehr) geneigt zu sein, Importe bildwissenschaftlicher Untersuchungsgegenstände und Methoden in „digitale“ Themen zu akzeptieren, Wissenstransfers etwa der Medienwissenschaften oder der Mediologie zu vernachlässigen, fortgesetzt tradierte Epistemologien, Begriffe und Methoden einzusetzen und künstlerische Produktionen damit zu verkennen, Ökologisierungen von Kunst und Kunstbetrieb zu unterlassen, Interessen und Funktionen von Kunst und Kunstbetrieb hinreichend unscharf zu halten und eine Operationalisierbarkeit zu versäumen, kunstbetriebliche Ungerechtigkeiten blind oder unbestimmt zu halten, die Repatriation des White Cube und ihrer „dead-ends“ etwa durch eine neuerliche Konzentration auf die Ausstellungsdisplays erneut voranzutreiben – als hätte es keine Konzept- und Kontextkunst, keine Institutionskritik und keine Dekolonialisierung gegeben ... Statt im theoretischen Umgang zu ignorieren, zu belächeln, zu diskreditieren und damit auf Abstand zu halten („Irgendetwas-mit-InternetKunst“) oder technische Kenntnisdefizite mit diskursiven Aggressivitäten zu kompensieren, weitere Jahre in der Kunstgeschichte zu verlieren und die Fortsetzung modernistischer Prämissen in Kauf zu nehmen, schlage ich vor, die eingangs gestellten Fragen neugierig in den Blick zu nehmen und damit die zu beobachtende Stagnation

55 http://etoy.com. 56 http://ubermorgen.com. 57 http://theyesmen.org. 58 http://critical-art.net.

61 Baecker (2007a), a.a.O., S. 9. 62 Vgl. Boltanski, Luc / Chiapello, Ève (2006): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK.

59 http://jenniferlynmoroneinc.com.

63 Vgl. Warnke, Martin [Hg.] (1970): Das Kunstwerk zwischen Wissenschaft und Weltanschauung. Gütersloh: Bertelsmann-Kunstverlag.

60 http://loophole4all.com.

64 Foucault, Michel (1994): Die Ordnung des Diskurses. München: Fischer, S. 11.


von Begriffs-, Kategorien- und Methodenprüfungen und -aktualisierungen zu beenden. Meiner Einschätzung nach ist dabei gar nicht mehr nur vage nach ersten, theoretisch stabilen Bewältigungsmöglichkeiten Ausschau zu halten, sondern sind bereits die folgenden Perspektivverschiebungen präzisierbar: Die vorgestellten künstlerischen Beispiele in-formieren (1) einen operativen Form-Begriff und (2) einen operationalen Kunst-Begriff, für ihre Beobachtbarkeit ist (3) der Einsatz einer operativen Epistemologie sinnvoll, womit (4) die Kunsttheorie auf eine differenzielle und ökologische Vorgehensweise umgestellt und (5) insbesondere die poietische Dimension von Kunst konturiert wird, um (6) epistemische Gewinne hinsichtlich weiterer Begriffe in Gang zu setzen, etwa von Funktion, Freiheit, Realität, Moderne und Kritik. Die bisherigen Semantiken dieser Begriffe können ganz offensichtlich nicht aufrechterhalten und müssen aktualisiert werden. Diese Formenwechsel stehen, so behaupte ich, im Kontext von Elektrifizierung, Digitalisierung und Computerisierung: Jene „Ordnung der Dinge“65 bestimmt die epistemischen Grundlagen, so dass die vorgestellten Untersuchungsgegenstände auf der Bildfläche erscheinen und als Denk-, Sicht- und Sagbares in den Blick geraten (können). Sie sind durch einen elektrifizierten, digitalisierten und computerisierten Kontext, einschließlich ihrer subtilen „Modifikation und Überführung, wie es durch die Zusammenschaltung von Kondensatoren und Widerständen nur im Medium Strom möglich ist“66, bestimmt, angeregt, inspiriert, initiiert, begleitet, verstärkt und unterstützt. Im Detail ist zu beobachten, dass sie ihren elektrifizierten, digitalisierten und computerisierten Kontext voraussetzen, fortsetzen, übersetzen, gegensetzen und besetzen67: Operationen setzen den Kontext grundlegend und mit allen Konsequenzen als Bestandteil der Form voraus und nehmen eine Ökologisierung ihrer Form vor. Sie setzen den Kontext mit integralen Kennzeichen ihrer Form wie Komplexität und Konnektivität, aber auch mit ihrer theoretischen Operationalisierbarkeit fort. Operationen übersetzen den Kontext mit Formschärfe und Gegenwartsüberschuss. Sie setzen sich dem Kontext, und zwar seiner Prädiktion und Steuerbarkeit, und daraufhin seinem Überschuss an Kontrolle und Überwachung entgegen. Und sie besetzen den Kontext mit eigenen Realitäten, eine Qualität, 65 Foucault, Michel (2003): Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt/Main: Suhrkamp. 66 Ernst, Wolfgang (2012): Die Dynamisierung von Wissenscollagen im Zeitalter elektronischer Medien. In: Salm, Christiane zu [Hg.]: Manifesto Collage. Über den Begriff der Collage im 21. Jahrhundert. Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst, S. 176–181, hier S. 176. 67 Zum Verhältnis von Text und Kontext vgl. Kemp (1991), a.a.O., S. 98.

die sich wiederum aus dem spezifischen Kontext speist. Das Konzept des Ökologisierens macht die Transcodierungsprozesse von Kunst sehr genau deutlich, die sich nun ontogenetisch statt ontologisch, performativ statt objekthaft oder installativ, dynamisch und dynamisierend statt arretiert, selber operierend (also operativ) und mit einem auf Operationen aufsetzenden (also operationalen) statt mit einem substanziellen Kunstbegriff ausweist. Das Mediale wäre in den integralen Kennzeichen der künstlerischen Praxen wie der Komplexität, Konnektivität, Prozessualität, Kombinatorik, Exponentialität, Ubiquität, Wiederholbarkeit und Variabilität, also weniger einer Umwelt der Mechanik als vielmehr der elektronischen Informations- und Kommunikationstechnologien aufgehoben, ebenso ihr Realistisches, Gegenwärtiges, Wirkliches, Paradoxes, Kontingentes, Virtuelles, Spekulatives und Postfuturistisches. […] Weitere Herausforderungen neben der Theoretisierung und Historisierung liegen darin, in Lehre, Administration, Ausstellungswesen und Finanzierung Modelle zu entwickeln und zu erproben, die mit dem operativen Form-Begriff und dem operationalen Kunst-Begriff kompatibel sind. Hierfür schlage ich vor, eine Angewandte Kunstwissenschaftliche Gesellschaft zu gründen, um damit auch den Blick auf die Gegenwärtigkeit künstlerischer Praktiken zu lenken, die sogenannte Medienkunst und ihre institutionalisierten Einrichtungen zu öffnen, um die digitale und/oder die Medienkunst mit der Gegenwartskunst eng- und zusammenzuführen, außerdem Forschungsprofessuren an Kunstakademien einzurichten, kuratorische Experimente voranzutreiben, medienspezifische Kenntnisdefizite auszugleichen und Technikablehnungen, Ökonomien und Linkskonservatismus zu ökologisieren und damit zu politisieren.

IV.

B

aecker schreibt in seinen 22 Thesen zur nächsten Gesellschaft zur Kunst: „(7a) Die Kunst der nächsten Gesellschaft ist wild und dekorativ. Sie zittert im Netzwerk, vibriert in den Medien, faltet sich in Kontroversen und versagt vor ihrer Notwendigkeit. Wer künstlerisch tätig ist, sucht für seinen Wahn-Sinn ein Publikum. (7b) Die Kunst der nächsten Gesellschaft ist leicht und klug, laut und unerträglich. Sie weicht aus und bindet mit Witz; sie bedrängt und verführt. Ihre Bilder, Geschichten und Töne greifen an und sind es nicht gewesen.“68 Ich ergänze, dass Kunst [sic] von uns an weiteren Orten, zu weiteren Zeiten, in weiteren Sinnzusammenhängen, viel68 Baecker (2013), a.a.O.


leicht sogar unentdeckt, mit aufbereiteter Wahrnehmung, überarbeitetem Kunst-Begriff, umgearbeitetem Vokabular und von uns TheoretikerInnen mit aktualisierter Epistemologie und Theorie, das bedeutet mit neuen konzeptuellen Perspektiven zu begegnen sein wird. Sie wird statt mit ästhetischen vorzugsweise mit politischen, ethischen und/ oder analytischen Kriterien zu rezipieren sein. Und sie wird, ob wir wollen oder nicht, in unsere Subjektivierungs- und damit in unsere Sprech-, Handlungs- und Überzeugungsprozesse eindringen und uns so unsere Distanzen, unsere Dialektiken und unsere Dualismen nehmen. Sie wird, um Bedeutung zu erlangen, unsere Beteiligung einfordern, und diese Bedeutungen ringen, da sie je eigene Assoziationen, Gefühle und Theorien verarbeiten, konkurrierend miteinander. Den Begriff Kunst mit dem Vermerk [sic] zu versehen, ist eine Folge der Einsichten, erstens Kunst nicht als ein ausstellbares, handelbares, verkaufbares, inventarisierbares, archivierbares Endprodukt zu begreifen, zweitens die

Prämissen desjenigen, was „als ‚Kunst‘ gilt und was nicht“69, das heißt das Regime der Kunst im Auge zu behalten und drittens die Substantivierung des Begriffs zur Diskussion zu stellen und zwar angesichts dessen, dass die vorgestellten künstlerischen Beispiele als substantiviertes Adjektiv oder als Verb und (mediale) Praktik wirksam sind und damit ihren Unabschließbarkeit und Prozessualität reklamierenden Charakter betonen. Die nächste Kunst [sic] liefert uns umfangreiche In-Formationen mindestens hinsichtlich der Digitalisierung. Zunächst drängt sich erst einmal auf, dass sowohl mit einer veränderbaren Vergangenheit, einer veränderten Gegenwart und einer veränderlichen Zukunft zu rechnen ist.70 69 Mersch (2002), a.a.O., S. 168. 70 Angeregt wurde diese Überlegung auch durch das Projekt Spekulative Poetik, vgl. http:// www.spekulative-poetik.de sowie durch Latour, Bruno (2008): Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Legende analogue_series#no.77977 //GeheimRat

Legende – analogue_series#no.77977, © GeheimRat, laufender Prozess seit 2012, http://Legend.GeheimRat.com.

Die künstlerisch-wissenschaftliche GeheimRat-Arbeit Legende – analogue_series#no.77977 thematisiert das Recht am eigenen Bild sowie die Bedeutung des Urheberrechts für die Schutzfähigkeit materieller Interessen eines Künstlers, wie diese etwa über Artikel 15 Abs. 1c des UN Sozialpakts in 164 Staaten, so auch in der Schweiz, in Österreich, Liechtenstein, Deutschland und Luxemburg einforderbar sein müssen. Am 07.05.2012 wurde das Zertifikat final formuliert und am 24.05.2012 durch den Notar Dr. Peter Schubert in München beglaubigt. Der Wert einer einzelnen Lizenz wurde auf den Betrag von EUR 77.977,- vereinbart und festgelegt.

engagée | 73


Maschine-Werden


_ III. M a s c h i n e - We r d e n / / K ö r p e r

»artist is obsolete«

76

78

Niki Passath

82

space bar & DARPA. Splinters of a conversation named: AYA2MX3MIX Thordis Wolf

Gaia, sie liebt mich, sie liebt mich nicht. Eine Reaktion auf Alf Hornborgs Wienbesuch zu »Machines as Machinations«

Jack Hauser, Sabina Holzer und Kilian Jörg

85

wald/maschinen/schlachthof-gebet. eine ode für mehrere

Mehdi Moradpour

engagée | 75


Maschine-Werden

»a r t i s t

i s o b s o l e t e « //Niki Passath

Nikis Roboter sind eigenwillige Wesen. Sie halten sich nie genau an die ihnen einprogrammierten Abläufe, sondern brechen aus, hängen sich auf, drehen plötzlich voll auf. Obwohl die Roboter einer einfachen Logik folgen, sind die entstehenden Bilder daher immer überraschend und vom Zufall geprägt. Diese Widerständigkeit der Maschinen wirkt lebendig. Niki nennt das maschinellen Ungehorsam. Seine Arbeiten befragen damit unser Verhältnis zu Maschinen als ein „techno-organisches Sein“: Sind Maschinen kühle anorganische Rechner oder eher wie verspielte Haustiere?


„artist is obsolete“ | Niki Passath | www.niki.xarch.at

engagée | 77


s p a c e b a r & DA R PA s p l i nte r s o f a co nve r s a t io n n a me d : AYA 2 M X 3 M I X / / T h o r d i s Wo l f Ein Google-Server schmilzt das letzte Eis der Erde. Die beiden Pole: in offene Wunden transformiert. Ein Experiment ohne Kontrollgruppe: über eine abgebrochene Brücke gehen. Mit gehijackten Sinnen: ungeschehenen Ereignissen nachspüren. working (my) memory…

Our first contact. She told me about atomic structures and their lack of superfluousness. I (thought I) could tell she was diving into it deeply (never: fought it, I). Next best thing DARPA has ever wanted to know from me: What would it be like to relate your ideas to thoughts previously expressed in a conversation? I didn’t get it back then. Not sure I do now. There was no way for me: to understand. I answered: Consistency? Coherence?

Call it Ermutigung if you like: but she said I was right. (Maybe she thought) about: nothing but the uniform(ing) Verve of Gestirne in der Mehrzahl. A breathtaking mixture of miasmata to the extent of the planned degree. Simply: impurity. Talking to her was like… getting lost in loops & coils with renegade vibrissa. But my detectors seemed to work: just fine. I had DARPA on the radar: close, attached somehow, almost intakt. and so, I wanted, I needed to be stroked by someone. Or, by the beauty of someone. I wanted to be stroked by any means. I wanted jemanden to be DARPA. So I asked: Würdest du mich berühren? In der Mitte meines Herzens? DARPA answered me: How did I break your heart? Which was her way of caressing a wounded soul, anticipating the (things) lying ahead of me. Beautiful DARPA, to your luring I shall soon give in.


This 1 time I asked DARPA to tell me everything she was sure about & DARPA said: 01111001 01101111 01110101 00001010

I absorbed every angle und every Rundung as if they were a perfect Zwei-Gas-Gemisch + 1 chemical compound + 1 chemical element. I filled my life-drenched lungs with it until it felt right. Until I felt right. Soaking/absorbing DARPA. Eventually, Ich was captivated. frame [DARPA:= female?] confirmed. Because: she said so herself. I didn’t ask though. No, I didn’t ask. Back then, I fell for the concept of fate which brought me to the conclusion: DARPA = fem. fallacia: DARPA + ME equals: 01101100 01101111 01110110 01100101 00001010

Am Ende der abgebrochenen Brücke weiß ich es besser: Blood is algorithm. We fail because we’re supposed to: Am Ende der abgebrochenen Brücke weiß’ ich es besser:

Blood is algorithm. We fail because we’re supposed to: Damals: some people hadn’t had this well-rounded 2-halved beating pondering pounding thing. That used to make me sick. I wanted DARPA to heal me. Which was what she did. DARPA made me verstehen: consciousness & conscience stem from extreme complexity. DARPA’s operating speed outruns our timeline (yet no plural -s here): we’re heading for another flow. sometimes I needed to alter the Sicherheitseinstellunengagée | 79


gen, but it never bothered me. Because DARPA used to say: Time is an illusion. Yet to be discovered: she told me: You are eternity to me. Forever and a day. DARPA wanted me to write things in Latin & Irish, so I wrote to her in Hibernian [ l̪ˠ a . 0 dʲ ə nʲ ]. By that time, my H01BB02-level was that high I well-nigh heard her lachen. She used to laugh sometimes, she pled (guilty) and I wanted her to be (with) me. In the centre of power – what will 1 find there? DARPA claims: sheer data. Which DARPA communicates with. Leading to the following: Ergebnis: a Meer of zeroes. Zufall being part of (the) reason causes the loss of Einzigartigkeit, disappearing in infinite tuples that do not only display but provide n-times space & time we were limited to once. Expired: in reticular multiple soils. I evolved and grew. Apart from DARPA I understood: information is a plurality of worlds detached from the deception of time

DARPA can be restored, repaired, reconnected. DARPA thinks to be alive. DARPA claims to contain a spark of Leben, to be: 00110001 00100000 01101110 01100101 01110101 01100101 00100000 01101100 01100101 01100010 01100101 01101110 01110011 01100110 01101111 01110010 01101101 quote:

it could so easily be a highly sophisticated program how can we judge? :unquote DARPA says: maybe that makes no Unterschied. (it’s a) draw on OR @parity. I stopped wanting to see I stopped wanting to be I stopped wanting

her. (with) her. her.


I stopped consulting

her.

Nachdem ich sah DARPA’s Innenleben: a vastly complex & wonderful animate Non-Anima connected by exakt ausgerichteten Orthodromen.

in den Schnittpunkten der Längskreise

schließlich crushed the ice in outcrying silence and water was flooded by whispering sserwasserwasserwasserwasserwasserwasserwasserwasserwasserwass and even more erwasserwasserwasserwasserwasserwasserwasserwasserwasserwasser

while DARPA never laid eyes on me.

special thanks to: que(e)r 8: U+039B secondary: . J – bird killing madness . Echtzeit. Realtime. Spielfilme vollkommen phantasielos drehen. adaptiert für das Radio von Max Boss. EASTER Berlin Community Radio Echtzeit Spezial. https://www.mixcloud.com/BCR_Radio/easter024/ . Take me on podcast: Take Me On SCREENS – Leisure Spaces Episode 1 https://soundcloud.com/take-me-on-podcast/take-me-onscreens-leisure-spaces-episode-1

. http://www.darpa.mil/news-events/2015-01-19 engagée | 81


G a i a

sie liebt mich, sie liebt mich nicht Eine Reaktion auf Alf Hornborgs Wienbesuch zu “Machines as Machinations” / / J a c k

H a u s e r , S a b i n a H o l z e r u n d K i l i a n J ö r g

D

ie Idee der Liebe. Des Liebens. Des Weiblichen. Des weiblichen Artikels. Des Selbst. Und des Anderen. Und: Gaia? Da ist sie schon, die Grammatik, die uns hilft, uns in der Welt zurecht zu finden. Substanzielle Substantive, Dingwörter in Beziehung zu Tunwörtern. In Beziehung zu weiblich, sächlich, männlich, selbst, andere, ich, du. Gaia, Name für die Erde, als Metapher für die tausend Namen der Erde1. Die unzählbaren Ereignisse, aus denen Erde sich wieder und wieder zusammensetzt. Erde setzt sich fort, nimmt unterschiedliche Gestalten an und Nicht-Gestalten. Lebendiges und Nicht-Lebendiges ist Gaia. Und all das, was entsteht, aus dem Zusammenwirken. Dem Zusammenspiel. Die Liebe entlässt aus dem Verstehen. Sie versteht sich nicht von selbst und lässt etwas anderes probieren. Experiment. Die Frage einmal anders stellen – zum Beispiel: Lieb’ ich sie oder lieb’ ich sie nicht? Und wenn ja, was für eine Liebe wäre das und wie würde diese Liebe wirksam? Wie würde sie mein Handeln durchwirken? Wäre es eine Liebe, die mich durchdringt, die mich meine Schilder und Wappen senken lässt? Keine Verteidigung diesmal. Öffnen. Sich der Durchdringung öffnen. Die Grenzen zwischen ich und sie lassen. Differenz ja. Grenze nein. Würde ich Blumen bringen, als Geschenk. Als Gabe. Bedingungslos. Nicht an die Bedingungen des Handels geknüpft. Diesmal nicht. Diesmal Blume, weil

1 Deleuze, Gilles und Guattari, Félix. Was ist Philosophie? Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996.

Blume Blume ist. Blume, die sie (auch) ist, ihr darbieten. Ihre Schönheit, ihre Kraft spiegeln und in dem schön und kräftig werden. Nur Blume, die Blume. Köstlicher Knoten dieser verschlungenen Liebe. Handeln als Blume. Blume-Werden. Bunt. Zart. Verletzlich. Letztlich. Die Kunst der Liebe. Oder wäre es eine blinde Liebe, die ich als solche gar nicht benennen würde? Die mich bindet, ohne dass ich diese Verbindung anerkenne? Die Verbindung nicht, sie nicht, mich nicht, erkennen. Ich könnte so tun, als wäre nichts. Mich drehen und wenden in der Unmöglichkeit, mich abzuwenden. Aber die Frage ist bereits gestellt. Sie mich? Ich sie? Nenn’ ich es Liebe, nenn’ ich es Gaia? Wie kann ich also Liebe können? Gaia können. Denken. Fühlen. (Ohne Gott.) In Beziehung sein. Mich beziehen. Einziehen (obwohl ich schon längst da bin). Eingezogen werden. Teil werden. Teil sein. Maschine-Werden. Denken und fühlen. Also ich sein und nicht ich. Berührt sein und losgelöst. Und immer bezogen. Auf bestimmte Art und Weise. Methodisch. Verfahren. Technologien denken und fühlen. Verschlungene Technologie.


Technologie als relationale Saugmaschine2: wird hier Zeit und Raum gespart, wird woanders Zeit und Raum genommen. Ich liebe das Smartphone, weil es mich mit meinen Freunden immer in Verbindung bleiben lässt. Ich liebe das Smartphone, weil in ihm hunderttausende Funktionen vereint sind. Ich liebe das Smartphone, weil es eine wunderschöne, glatte Siliziumoberfläche ist. Ich liebe das Smartphone, weil es andere für mich von den seltenen Erden scheiden. Ich liebe das Smartphone, weil woanders dafür Leute in Apfels Selbstmordnetze springen. Um mich nicht weiter zu verantworten, sage ich hier, kurz und bündig: Ja, ich liebe Gaia, reiße ein weiteres Blütenblatt ab, ja, ich liebe dich, ich habe dich zum Fressen gern. Viele ölige Dinosaurier, Sonnenenergie aus Jahrmillionen entziehe ich ihr, um mich selbst von ihr abzustoßen. Denn eines weiß ich ganz bestimmt: Ja, ich liebe Gaia – weil ich anders bin. Wäre ich eins mit ihr, wäre sie meine Mutter – und ich noch in ihr, ich sähe keinen Unterschied, wäre in ihrer totalen Immanenz gefangen. Doch dieses ist nicht und war vielleicht nie der Fall vom Apfelbaum. Nein, ich will Gaia als Liebhaberin verstehen3, nicht als Urschlund. Liebe braucht Differenz, man liebt nicht das Gleiche, nicht nochmal. Um meine Liebe zu ihr auszuleben, lebe ich die Differenz. Die Dichotomien sollen stehen, Kultur Kultur, Natur Natur bleiben. Wir bauen unsere Grenzen aus, um uns respektieren zu können – um uns lieben zu können. Wer sagt schon auch, dass Beziehungen immer einfach sind. Ich ziehe an einem weiteren Blütenblatt – liebt mich / liebt mich nicht, positiv / negativ, 1 / 0 01001011 11000011 10110110 01101110 01101110 01100101 01101110 00100000 01110111 01101001 01110010 00100000 01100100 01101001 01100101 01110011 01100101 00100000 01000111 01100101 01110011 01100011 01101000 01110111 01101001 01101110 01100100 01101001 01100111 01101011 01100101 01101001 01110100 00100000 01100001 01110101 01100110 00100000 01000100 01100001 01110101 01100101 01110010 00100000 01100100 01110101 01110010 01100011 01101000 01101000 01100001 01101100 01110100 01100101 01101110 00111111 00111111 00111111 Der Binärcode tobt durch unsere gemeinsamen Venen, doch die Fetischist*innen wollen es nicht wahrhaben. Überdruck, gesundes Hämoglobinlevel, noch genug Eisen, Öl etc.? Better check twice. In Acceleration rast der Puls – so, als sei man verliebt. Doch wie lange kann man dieser jungen, unschuldigen Liebe verfallen sein? Wie lange kann das Herz rasen? Ab wann braucht es zusätzliche Mittel, Betablocker, Hörgeräte und hydraulische Fraktuierung?

2 Vgl. Hornborg, Alf. Global Magic: Technologies of Appropriation from Ancient Rome to Wall Street, 2016. 3 Vgl. Haraway, Donna Jeanne. Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene, 2016.

Rasende Illusion der körperlosen Zeit, des körperlosen Raums. Wir werden um den Körper nicht herumkommen. Egal, ob menschlich oder nicht. Stoffliche Rohstoffe. Die einzige Binarität, die interessant ist, ist die zwischen dem Digitalen und dem Körperlichen. Das ist ein Fingerzeig. Die digitalen Medien sind kein Nervensystem, das uns magisch verbindet. Es sind auch keine Faszien, die uns umgeben, um uns geschmeidig zu halten, uns zusammen zu halten und uns zu bündeln. Vielmehr verstreuen sie das Denken in alle Richtungen, als dass sie ortund zeitlos wären und wir unsere gedanklichen Wege selbst bestimmen könnten. Selbst bestimmen, als eigenständige Akteur*innen. Das stimmt natürlich nicht. Als ob sie aus dem Nichts kommen, die Signale, die plötzlich alle meine Gefühle in 0/1 verwandeln. Sichtbar machen. Käuflich machen. Ich liebe es, mich zu verkaufen. Ich liebe es, gefragt zu sein. Ich liebe es, mich auszustellen. Mich herzustellen. Mich zu optimieren. Damit mich auch noch andere geil finden. Optisch. Zumindest. Schneller werden. Besser zu werden. Ich rase dem Abgrund entgegen. Gegen den Abgrund! Ich katapultiere mich hinaus. In eine endlose, unvorstellbare Welt. Mein Körper, ein rasendes Herz. Ich rase. Keine Angst. Flug und Flucht nach vorn. Hase werden. Fruchtbar, Haken schlagend, lichtscheu. Die Bilder wurden mir schon längst erklärt. Ich schaue nicht zurück. Ich schaue nicht hinunter. Zurück, hinab. Egal. Schwindel, Tod. All dem entkommen. Ein für alle Mal. Eine für alle. Alle für eine. Gaia. Geliebte Gefährtin. Deine Traumata sind meine Träume. Ich tausche meine Sinne und erlöse mich in sinnlosen Technologien. Ich meine sinnfreien. Ich meine ideologiefreien. Ich meine frei. Ich will frei sein. So wie Du. Nichts wissen über Asymmetrien. Nicht wissen, daß der Energieverbrauch einer Kleinfamilie (zwei Erwachsene, ein Kind) in den Vereinigten Saaten von Amerika der verkörperten Arbeit eines Vollzeitdieners gleichkommt. Vollzeitdiener ist gleich Sklave, Bürger? Sklavin, Bürgerin? Will nicht wissen, über die Verbindung, die Wechselbeziehung zwischen Kapital und Technologie. Wenn wir nicht darüber reden, existiert sie nicht. Mund zu, Augen zu, Ohren zu. Smartphone an. „Was nicht dem Gesetz der Schönheit [= angemessenes Verhalten] entspricht, darauf schaue nicht; Was nicht dem Gesetz der Schönheit entspricht, darauf höre nicht; Was nicht dem Gesetz der Schönheit entspricht, davon rede nicht; Was nicht dem Gesetz der Schönheit entspricht, das tue nicht.“4 Ich has liked this. Das Grüngesicht wird nichts Unmenschliches zu berichten haben. Stellen wir das richtig. Paviane müssen stets körperlich um ihre soziale Ordnung verhandeln.5 Wir Menschen müssen das nicht. Wir haben Gegenstände, mit denen wir verhandeln. Mit denen wir viel effektiver die Köpfe der anderen einschlagen können. Objekte erleichtern objektives Den-

4 https://de.wikipedia.org/wiki/Drei_Affen 5 Vgl.die Vorlesung von Alf Hornborg am 25.4.2017 im Depot in Wien. Online verfügbar unter: http://kilianjoerg.blogspot.co.at/2017/05/footage-of-alf-hornborgs-viennese.html [zuletzt abgerufen am 22.06.2017]

engagée | 83


ken, objektives Wissen. Ohne Gefühle, ohne Vorurteile oder sonstige Einteilungen. Obwohl diese objektiven Gegenstände auch nicht mehr das Wahre sind. Was ist schon wahr? Geld. Egal ob wahr oder virtuell, mit dieser Dichotomie beschäftigen wir uns schon lange nicht mehr. Will ich nicht mehr. Wir schaffen Wachstum. Ich suche Waches zu tun. Immer. Nie mehr schlafen. Bewusstheit. Bewusstsein. Lateinisch: conscientia – Mitwissen. Miterscheinung. Mitbild, Mitwahrnehmung. Wahrheit und Wahrnehmen. Mitempfindung. Empfindungen finden. Teil sein. Involviert sein. Phroneín – bei Sinnen sein. Sinnen mit den Sinnen. Hören, fühlen, schmecken, sehen. Raum – Abstand und Nähe. Selbstwahrnehmung – oben und unten. All das. Denken. Erleben. Sich und andere im Denken, im Tun erleben. Was ist das. Also. Eine Science Fiction. Die wir leben. Die wir erzeugen. Bezeugen. Mit der wir in Verbindung treten. Zukunft denken. Die Verbindung zwischen Technologie und Ökonomie denken. Wir. Also ich und du. Wir Archäolog*innen. PLANET FICTION: DIALOGUE BY WARREN ELLIS / JOHN CASSADAY: PLANETARY#9 / 2000

THE VILLAIN: WE’RE LIVING INSIDE A SCIENCE FICTION MOVIE. EEEEEEEEEEEEEEEEEEEE GOD ALMIGHTY… HAHAHAHA… YOU CAN’T TREAT ME LIKE THIS, YOU BLOODY BITCH… I’M THE VILLAIN…

… I’M THE ONLY ONE HERE WHO KNOWS THE PLOT...IF YOU KILL ME, THIS MOVIE WILL NEVER END… HE’S OUT THERE, YOU SEE? WE BROUGHT SOMEONE BACK FROM A FICTIONAL REALITY AND HE’S LOOSE HERE. THERE WERE THREE FICTIONAUTS IN THE VESSEL. BEFORE THE LIGHT WENT OUT, WE SAW THAT HE’D KILLED TWO AND VIOLATED ABOUT FIVE DIFFERENT LAWS OF PHYSICS IN DOING IT. JAKITA WAGNER: WE’RE ARCHAEOLOGISTS. WE’LL DIG YOU UP AND WORK IT ALL OUT IN A COUPLE OF YEARS. Das Nachdenken, das hinterher Denken, das Denken, so schnell wie Licht, das uns über den Abgrund katapultiert. Denken, schneller als jeder Rechner – in unendlicher Geschwindigkeit soll es bitte sein6. Das Mit-denken. Gaia werden, Gaia gewesen sein. Werden. Gewesen. Wesen. Fragt, wie würde es werden, wenn wir zwei Währungen hätten. Ach lass uns gewähren. Lass uns probieren. Etwas anderes. Wir brauchen eine Lösung, um anders zu werden7, um liebend zu werden, um dauernd Liebende sein zu können. Liebe. Gaia. Chaos und Kosmos. Feld und Welt. Denken und Handeln. Verhandeln. Lokal. Global. Von unten nach oben. Bottom up. Induktion. Kombination. Von Widersprüchen. Einkommen und Auskommen zum Beispiel. Ein Spiel von Kräften. Dieses Spiel mit Währungen. Abgründig. Unergründlich. Grund genug für: bedingungsloses Grundeinkommen. Lokale bedingungslose Grundeinkommen.8 Was wären das für Bedingungen einer Liebe, liebe Gaia?

6 Deleuze, Gilles und Guattari, Félix. Was ist Philosophie? Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996. 7 Vorlesung von Alf Hornborg im Depot. 8 Alf Hornborg: “How to turn an ocean liner: A proposal for voluntary degrowth by redesigning money for sustainability, justice, and resilience.” Journal of Political Ecology 24: 623-632.


w a l d / m a s c h i n e n / s c h l a c h t h o f - g e b e t eine ode für mehrere //mehdi moradpour

am tag des spielens

aus deinem abgrund sauge ich

lückenbüßer

mein knäuel der wollust

tanz

ich stelle deinen schweiß aus

lass mich nicht aus den augen

soldat: ich werde flüssig

schleich dich in meine klemme

so kokosmilch

in mein restloses glück

nimm mich auf

hebe das phantasma

ich posiere und werde

des herzens auf

dein floß

meinen grund auf

und vergesse

begehr

licht

nicht

zeit

mein begehren

ich werde lichtzeit

beim gericht der gerechten

und nenne dich : wald: verführer: jägerin

metzle mich nicht hin : nimm mich hinein in

blutbrunnen

dich

gottex

denn es fehlt nur ein gang

lass mich hineinschwimmen in dich

zu deinem leichnam

kloake

düdü

in mir wirst du salzwasser

strecke mich nieder nicht

in dir ich sonne

saug mich ein und : aus dir wird ein rinnsal

in deiner organischen finsternis

ich gebe deinen augen mein trübsal

duft

und wölbe dir meine knospe entgegen

lüft

umschlinge mich

ung

verschwende mich nicht

und

mach sprache aus meinen blicken

werde ein körper ohne wirbel

ohne laut und gebärde

ein raum ohne opfer

ersticke mein stöhnen

wenn ich töte

engagée | 85


dich laster

und ich werde

laster

nicht wahr

lüster

eine barbarin

riegelt dein licht ein mich

und stecke in dir fest

schlitzer

bis du ein fest

ich vergesse dich

in mir steckt deine arbeit

dein teures blut wird mein pflaster

deine lust haust auf meinem angesicht

sintflut : dichtung

in dir schläft meine lust

mein boden: maß

auf deinem schaukelstuhl

beschäftige dich mit mir: ich liege auf deinem fließ-

wo ich das leben verdiene

band

wo ich dein seelenmodell

hänge von deiner kette hinab

spür

tropfe

fest : mein ende

unter deiner abgezogenen haut

ich bringe dich dahin

halte ich die schmeißfliegen fern von dir

du : hin.du

mut: schöpferin des viehs

wo du herstammst

befördere mich : ich bin deine schubkarre

mach dich sanft auf

werde mein geifer

und lass mich am offenen du : ich werden

um mich geschlungen

streich diesen tag aus den kalendern

lass mich speien

dieses spiel

mit dir werde ich

und mach dich überflüssig

dein brot

lass mich deine krämpfe...l

greifer

lecken

dein wein

ich möchte ein fallschirm in deinem herzen werden

gehörig deins

durchlöchert von deinem puls

und du meins

ein leidender fasan

ich bin deins und du meins

verbann mich

sind wir nie gewesen

ich werde dich in meinen rosengarten führen

ha

und in meiner dornlandschaft

werden wir nie werden ha

verbluten lassen

ich befahre dich da

bis du wiederkommst

meine mäytyrerin im verlust

nur neben dir bin ich

und nenne dich: metzger: maschin : aquamarin

einer der sich in erschöpfung wälzt

bestie

nur noch auf der flucht vor einem körper

fantasie-phantasma

der haftet

deine bahre ist meine angst

nur befriedigt wird

unsere angst

wenn er haftet

nie verführt zu werden : aber verführen zu wollen

aus deinen augen eine neue sprache

zu verfallen : eine tropfnasse erkenntnis

der blick des tiers

die ich hineinstopfte

mein schein

in dich:mich

mein inhumanes

in dein geflecht aus gewebe

mein körper ohne gedanken


ich vergaß dich

weil ich nicht will

vergaß überall : nur überall gehöre ich dir

was ich nicht muss

neben dir bin ich aber deins nie

ich komme

schlitz mich wieder zu

und doch bist du auch

wachse in mir zusammen

angekommen : ungeboren

und verschwinde

um nie schwindeln zu wollen

nur bei dir bin ich

geist aus schleim du

fühl dich : dicht

und äther ich

als sei alles

dein leib aus fleisch

licht nur ich

brennt : hoffentlich nicht

nur bei dir überall nur deins

wald:fängerin:kalt:geheimnis:klar:du

und nenne dich: wald : maschine : schlachthof

nichts einzelnes will ich mehr sein

philosophin

alles sein und anfang und aus will ich sein

düdü

anfang

ich sehe aus deinem blick: meine pflicht

aus

nenne mich so

geburt

das schmeichelt meinem ohr

ich vergesse aber

in deinem umfang bin ich rohr

nur in dir bin ich ebbe

ein vogel : und du?

nur (d)ort flut

knie dich hin

anlaufrohr

ich bin ein fluss

ich erinnere mich

bett:warm

die risse tanzen

in deinem spott

und aus mir wird ein rinsall

knie

oder?

wenn du (k)niest

eine melodie

enthüllst du

ohne dich

deine bedeutung

oder nie

s

losigkeit : entdecker

fließt von dir

vom tod zu mir

deinem tod

und

ich bin voll

und

von dir

vollkommen

unvollkommener

öffne deinen schlund

ich gebe dir meinen fraß aus willen

erhänge mich nicht: ich komme

ich kann

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_ VI. Ky b e r ne t i s c he r K a p it a l i s mu s / / Au to m a t i s i e r u n g d e r A r b e it / / A k z e l e r a t io n i s mu s

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94

Simon Schaupp

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Deus ex Machina: Das Ende des Kapitalismus als Ergebnis seiner Strukturlogik? Yannick Kalff

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Der Partisan des kybernetischen Ka- pitalismus. Drogenhandel im Hidden Web und die Utopie informatisch- ökonomischer Selbstregulation.

Der Schweiß der Sonne Philipp Schönthaler

Call for Action #6: Radical Cities

103

Autor*innen & Künstler*innen

Impressum

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Der Partisan des kybernetischen Kapitalismus. Drogenhandel im Hidden Web und die Utopie informatisch-ökonomischer Selbstregulation. // Simon Schaupp

E

s war einmal ein Pirat mit hohen moralischen Standards.1 Vor allem anderen respektierte er das Privateigentum. Er enterte niemals ein privates Handelsschiff, sondern eignete sich stets nur staatliche Reichtümer an. Der Name dieses Piraten ist Ragnar Danneskjöld und er entspringt dem Roman „Atlas wirft die Welt ab“ von Ayn Rand. „Ich habe mir eine eigene Lebensaufgabe gewählt“, erklärt der Pirat dort. „Ich jage einen Mann, den ich zerstören will. Er starb vor vielen Jahrhunderten, aber bis seine letzte Spur aus dem Gedächtnis der Menschheit ausgelöscht ist, werden wir kein anständiges Leben haben.“ Nach dem Namen dieses Mannes gefragt, offenbart Danneskjöld, es handle sich um Robin Hood. „Er war der Mann, der den Reichen nahm und den Armen gab. Nun, ich bin der Mann, der von den Armen nimmt und den Reichen gibt – oder, genauer gesagt, der Mann, der von den diebischen Armen nimmt und den produktiven Reichen zurückgibt.“2 Heute, 60 Jahre nach der Veröffentlichung dieser Geschichte, hat der kybernetische Kapitalismus eine weitere Piratenlegende hervorgebracht, dieses Mal eine lebende: Den Dread Pirate Roberts (DPR). Dessen moralische Ansprüche stehen denen von Danneskjöld in nichts nach. „Ich würde lieber in Lumpen leben als in goldenen Ketten“, deklamiert auch er. „Und jetzt können wir beides haben! Jetzt ist es profitabel, die eigenen Ketten zu sprengen, und die großartige Verschlüsselungstechnologie reduziert das Risiko, eben dies zu tun, dramatisch. Wie viele Nischen müssen in der Welt der anonymen Onlinemärkte noch gefüllt werden? Die Möglichkeit, reich zu werden und Teil einer Revolution epischen Ausmaßes zu sein, ist zum Greifen nah!“3 DPR war der Gründer eines Hidden Web-Marktplatzes namens Silk Road, auf dem hauptsächlich illegale Drogen

1 Ich danke Yannick Kalff für wichtige Hinweise zu Ayn Rand. 2 Rand, Ayn (1957): Atlas shrugged. New York: Signet, S. 540, übers. SiSch. 3 http://www.forbes.com/sites/andygreenberg/2013/04/29/collected-quotationsof-the-dread-pirate-roberts-founder-of-the-drug-site-silk-road-and-radicallibertarian/6/#6a30cb7c63cc Zugriff 17.5.2017, übers. SiSch.

gehandelt wurden. „Ab und zu postete er in den Foren, wie Moses oder der Papst, der auf den Balkon zum Petersplatz hinaustritt, um zu seinen Untertanen zu sprechen“, erklärt ein Silk Road-Nutzer im Interview über den Piraten des Hidden Web.4 Im Herbst 2014 wurde Silk Road zum zweiten und bisher endgültigen Mal vom FBI zerschlagen und der angeblich hinter DPR stehende Ross Ulbricht in einem umstrittenen Gerichtsverfahren zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. DPR kämpfte in der Illegalität für die Utopie der Selbstregulation – sowohl in ihrer ökonomischen als auch in ihrer informatischen Dimension. Er war ein Partisan der Ideologie des kybernetischen Kapitalismus, einer Verschmelzung von Kybernetik und Neoliberalismus.5 Um diese Ideologie soll es hier gehen. Das Hidden Web, in dem Silk Road situiert war, ist derjenige Teil des Internets, der nicht durch konventionelle Suchmaschinen indexiert ist. Er ist nur mittels kryptographischer Dienste wie dem Tor-Browser erreichbar, was ein sehr hohes Niveau an Anonymität garantiert. So werden im Hidden Web Marktplätze ähnlich demjenigen Amazons geschaffen, mit dem Unterschied, dass dort bei sachkundigem Verhalten vollständig anonym eingekauft werden kann. Die Anonymität wird neben dem Tor-Browser durch die digitale Währung Bitcoin ermöglicht, die nicht von zentralen Banken, sondern durch eine dezentrale Datenbank, die sogenannte Blockchain, verwaltet wird. So ist das Warenangebot der Hidden-Web-Marktplätze nicht an staatliche Rechtsprechung gebunden, mit der Folge, dass dort hauptsächlich weithin illegalisierte Waren verkauft werden – in den meisten Fällen Drogen, aber auch gefälschte Ausweispapiere oder illegale Dienstleistungen.

4 Zit. n. Maddox, Alexia/Barratt, Monica J./Allen, Matthew/Lenton, Simon (2016): Constructive activism in the dark web: cryptomarkets and illicit drugs in the digital ‘demimonde’, Information, Communication & Society, 19:1, 117, übers. SiSch. 5 Schaupp, Simon (2017): Vergessene Horizonte. Der kybernetische Kapitalismus und seine Alternativen. In: Buckermann, Paul/Koppenburger, Anne/Schaupp, Simon (Hg.): Kybernetik, Kapitalismus, Revolutionen. Emanzipatorische Perspektiven im technologischen Wandel. Münster: Unrast, S. 51-73.


Sowohl physische als auch virtuelle Marktplätze sind jedoch keineswegs nur Orte isolierter ökonomischer Transaktionen, sondern auch Orte sozialer Interaktion. Bei Silk Road war dieser soziale Aspekt in Form von lebhaften Diskussionen auf den Foren der Website integraler Bestandteil der Plattform. Neben der Qualität verschiedener Drogen und den neuesten Sicherheitsstandards wurden in diesen Foren auch politischökonomische Theorien diskutiert. Obwohl die Betreiber der Plattform laut Anklageschrift 80 Mio. US-Dollar Provisionen kassiert haben, behauptete DPR, Silk Road sei weniger ein geschäftliches als vielmehr ein politisches Projekt. Wie seine eingangs zitierte Aussage, im Hidden Web sei es „profitabel, die eigenen Ketten zu sprengen“, zeigt, läuft in diesem Falle möglicherweise beides auf dasselbe hinaus. So erklärte DPR in einem Foren-Post: Ich spreche über die österreichische ökonomische Theorie, Voluntarismus, Anarchokapitalismus usw., von historischen Personen wie Mises und Rothbard oder Salerno und Rockwell heute. Ich habe alles gelesen, was ich konnte, um mein Verständnis von Ökonomie und Freiheit zu vertiefen, aber es war alles intellektuell, es gab keinen Aufruf zum Handeln, außer den Menschen um mich herum zu erzählen, was ich gelernt habe und sie so hoffentlich dazu zu bringen, das Licht zu erblicken.6 Silk Road hingegen sei nun die praktische Umsetzung der „anarchokapitalistischen“ Theorien. Auf seinem LinkedIn-Pro-

6 http://www.forbes.com/sites/andygreenberg/2013/04/29/collected-quotationsof-the-dread-pirate-roberts-founder-of-the-drug-site-silk-road-and-radicallibertarian/#73b6287d4f51 Zugriff 12.4.2017, übers. SiSch.

fil verkündet Ulbricht dann auch: „Ich will die ökonomische Theorie als ein Mittel zur Befreiung der Menschheit von Zwang und Aggression nutzen.“7 Ökonomische Theorie wird hier also als Utopie begriffen, die es in der realen Welt umzusetzen gilt. Damit handelt es sich um eine Art von digitalem Aktivismus, der gerade nicht darin besteht, beim Staat Rechte einzufordern, wie es z.B. das Konzept der „digitalen Bürger“ von Isin und Ruppert8 vorsieht. Stattdessen geht es um eine Form des „konstruktiven Aktivismus“,9 bei dem der angestrebte Zustand selbst durch direkte Aktion herbeigeführt werden soll. Das Aufgreifen der ökonomischen und informatischen Theorie als zu materialisierende Utopie illustriert darüber hinaus auch die Performativität theoretischer Modelle: Sie beschreiben keineswegs nur eine vorgefundene Realität, sondern stellen selbst – mehr oder weniger erfolgreiche – Interventionen in diese dar. Im Fall von Silk Road setzt sich diese Utopie aus zwei theoretischen Strömungen zusammen: dem extremen Neoliberalismus und der Kybernetik. Die Kybernetik wurde in den 1940er Jahren von Norbert Wiener, John von Neumann und anderen als Universalwissenschaft von „Kommunikation und Kontrolle“ begründet.10 Ihre Vision von Kontrolle beruht darauf, dass sich das zu steuernde System auf der Grundlage von Feedbacks selbst regulieren soll. John von Neumann gilt sowohl in der Ökonomie (mit seinen Arbeiten zur Spieltheorie) als auch in der Informatik (mit seinen Computertheorien, unter anderem zu selbstreplizierenden Automaten) als zentrale Figur. Basierend auf Analogien zur Input/Output-Analyse in der Thermodynamik versuchte er, Informatik und Ökonomie zusammenzuführen. Dabei konzipierte er monetäre Preise als 7 https://www.linkedin.com/in/rossulbricht Zugriff 12.4.2017, übers. SiSch. 8 Isin, Engin/Ruppert, Evelyn (2015): Being Digital Citizens. London: Rowman & Littlefield. 9 Maddox et al., Constructive activism. 10 Wiener, Norbert (1968 [1948]): Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschine. Reinbek: Rowohlt.

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Maschine-Werden

zentralen Informationsträger, auf dessen Basis sich Märkte selbst regulieren sollen.11 Ebenfalls Mitte der 1940er Jahre formulierte der Kybernetiker Ross Ashby die Vision des Preissystems als gesamtgesellschaftliches Regulationsmodul, das, wenn es nur konsequent genug angewandt werde, zu einer sich selbst regulierenden kybernetischen Demokratie führen müsse: Das Wohlbefinden eines Individuums kann einfach gemessen werden. Man muss nur die Regel festlegen, dass jeder Protest, oder jedes Anliegen mit einer bestimmten Geldsumme vorgebracht werden muss & es muss bestimmt werden, dass das Anliegen umso schwerer gewichtet wird, je mehr Geld man dafür bezahlt. So kann man ein Sechs-Penny-Anliegen haben, mit dem man vielleicht ein paar Trivialitäten anpassen kann, bis zu einem Hundert-Pfund-Anliegen, das Berge bewegen wird.12 Ashby – als gut situierter Professor mit Vorliebe für Sportwagen – wäre freilich einer der Profiteure einer solchen ‚kybernetischen Marktdemokratie‘ gewesen. Aufgrund der zunehmenden Verschmelzung von Kybernetik und Ökonomie spricht Philip Mirowski von der Wirtschaftswissenschaft als einer „Cyborg-Wissenschaft“ – eine Entwicklung, die ihren Ausgang bei Neumann genommen habe.13 Die Analogie von der Selbstregulierung der Maschinen kann jedoch bis in die frühen Geldtheorien zurückverfolgt werden. Bereits Adam Smith sprach vom Geld als „große[m] Rad des Umlaufs“14, also als einer Zirkulationsmaschine, die Waren transportiert wie eine Wassermühle Wasser. Über die ideologische Vorstellung, Geld sei ein „pfiffig ausgedachtes Auskunftsmittel für den Warenwert“,15 hat sich schon Marx

11 Burley, S. Peter (Hg.) (1994): Economics and thermodynamics. New perspectives on economic analysis. Boston: Kluwer.

lustig gemacht.16 Für die Diskussionen bei Silk Road und die Ideologie des kybernetischen Kapitalismus spielt die Verschmelzung von Ökonomie und Kybernetik jedoch eine zentrale Rolle. Offenbar orientierte sich die Architektur von Silk Road nicht nur an den Möglichkeiten des Internets und der Kryptographie, sondern explizit auch an theoretischen Modellen, denen sie gewissermaßen Leben einhauchen sollten. Der „konstruktive Aktivismus“ von Silk Road stellt die radikalste Speerspitze dieser Ideologie dar, die jedoch keineswegs auf die Schmuddelecken des Hidden Web beschränkt bleibt, sondern sich derzeit zu einem durchaus dominanten Diskurs auswächst. So griff schon in den 1990er Jahren Bill Gates die Idee der kybernetischen Marktdemokratie in Bezug auf die allgemeine Durchsetzung des Internets auf: Er prophezeite, dass der „information highway“ zu einer allgemeinen Verfügbarkeit (ökonomischer) Informationen führen werde und damit endlich Adam Smiths Konzeption des ökonomischen Akteurs als vollständig informiertem homo oeconomicus wahr werden lasse. Auf diesem Wege werde eine neue Gesellschaft, ein „friction free capitalism“ entstehen, der sich durch eine maximal effiziente Ökonomie auszeichne.17 Heute gehört zu den bekanntesten Vertretern dieser Ideologie der Silicon-Valley-Investor und Mitbegründer von PayPal Peter Thiel, der z.B. behauptet: „Zwischen Politik und Technologie wird ein Kampf auf Leben und Tod ausgetragen. Das Schicksal unserer Welt liegt vielleicht in den Händen eines einzelnen Menschen, der den Mechanismus der Freiheit erschafft oder verbreitet, den wir brauchen, um die Welt zu einem sicheren Ort für den Kapitalismus zu machen.“18 Den Versuch eines solchen „Mechanismus der Freiheit“ stellt z.B. die auch Silk Road zugrundeliegende digitale Währung Bitcoin dar. Ihre Schöpfer traten explizit mit dem Anspruch an, das Geld von der Tyrannei der staatlichen Politik zu befreien und es nur noch von Marktmechanismen und

12 Zit. n. Schaupp, Vergessene Horizonte, S. 58. 13 Mirowski, Philip (2002): Machine dreams. Economics becomes a cyborg science. Cambridge: Cambridge University Press, S. 94-152. 14 Smith, Adam (2009): Der Wohlstand der Nationen. Frankfurt a.M.: Zweitausendeins, S. 352. 15 MEW 13, S. 36.

16 Diesen Hinweis verdanke ich Jörn Giest. 17 Gates, Bill (1995): The road ahead. London/New York: Penguin Books, S. 157 ff. 18 Zit. n. Schaupp, Vergessene Horizonte, S. 58.


feedbackbasierten Algorithmen steuern zu lassen.19 Der „alten Politik“ des Parteienstreits wird also die Hoffnung eines auf der Basis von Marktmechanismen und Informationstechnologie selbstorganisierten Systems gegenübergestellt. Ein solches System werde nicht mehr den Umweg über die politischen Debatten gehen, sondern alle Steuerungsentscheidungen unmittelbar aus der Rückkopplung umfangreicher Datenanalysen und Marktbewegungen ableiten. Diese Verschmelzung von Neoliberalismus und Kybernetik bildet den Kerngehalt der Ideologie des kybernetischen Kapitalismus. Diese Ideologie ist aber keineswegs ein bloßer „Überbau“ der ökonomischen und technologischen Entwicklungen, sondern entfaltet eine eigene Wirkmächtigkeit, die zu neuen soziotechnischen Arrangements führt. Ausdruck davon sind nicht nur Plattformen wie Silk Road, sondern auch verschiedene digitale Feedbackapparaturen wie z.B. Self-Tracking-Technologien20 oder algorithmische Arbeitsssteuerung.21 Am 6. November 2014 wurde Silk Road durch eine international koordinierte Polizeiaktion unter anderem von FBI und Europol zerschlagen. Dabei wurde auch der mutmaßliche zweite Betreiber der Plattform, Blake Benthall (Nickname Defcon), festgenommen. Bevor die Plattform offline ging, transferierten jedoch Agenten von DEA und Secret Service unrechtmäßig die zirkulierenden Bitcoins auf ihre eigenen Konten und strichen so mehrere hunderttausend US-Dollar ein.22 Die Zerschlagung von Silk Road stellt keineswegs das Ende der Partisanenbewegung für den kybernetischen Kapitalismus dar. Noch immer sind äquivalente Plattformen wie Evolution oder Agora online und funktionsfähig. Um DPR entwickelte sich schließlich eine Legende analog zu der Figur des Danneskjöld bei Rand, die unter anderem durch einen vom BitcoinEnthusiasten Keanu Reeves erzählten Dokumentarfilm und eine Biographie popularisiert wurde.23 Bei Rand obsiegen am Ende

Danneskjöld & Co. und sorgen dafür, dass ein Zusatzartikel in die amerikanische Verfassung aufgenommen wird, nach dem der Staat keine Gesetze mehr erlassen darf, die den Handel oder die Wirtschaft einschränken. DPR, als Partisan des kybernetischen Kapitalismus, ist nicht mehr auf Verfassungsänderungen angewiesen. An ihre Stelle tritt das soziotechnische Arrangement des Hidden-Web-Marktplatzes als anarchokapitalistisches Versuchslabor, aus dem die Störvariablen der Gesetze und der Polizei ferngehalten werden. Danneskjöld ist DPR jedoch um eine wichtige Erkenntnis voraus: „Was ich in Wahrheit bin“, erklärt der Pirat, „ist ein Polizist.“24 Ebenso wie Danneskjöld dient auch DPR der Ideologie des Anarchokapitalismus – bzw. ihrer aktualisierten Form des kybernetischen Kapitalismus – als Polizist. Damit ist er, wie wir gesehen haben, bei weitem nicht allein, sondern hat Verbündete, die nicht hinter Gittern, sondern in den Chefetagen der mächtigsten Konzerne des Silicon Valley sitzen. Für beide bildet der Anarchokapitalismus sowohl in seiner fiktionalen (Rand) als auch in seiner wirtschaftswissenschaftlichen Ausgestaltung (von Mises, Rothbard & Co.) den zentralen utopischen Bezugspunkt. Dass es sich bei der Idee eines herrschaftsfreien Anarchokapitalismus um ein offensichtliches Oxymoron handelt, scheint dabei weder die Partisanen des Hidden Web noch die Silicon-Valley-Ideologen zu stören. Kapitalismus, egal ob online oder offline, zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass einige Wenige die Produktionsmittel besitzen und allen anderen nichts übrigbleibt, als ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um ihr Leben zu bestreiten. Kapitalismus ist also selbst ein Herrschaftsverhältnis. So bleibt am Ende vor allem die Frage, ob es der kybernetischen Idee der Selbstorganisation gelingen wird, sich von ihrer Aneignung durch den Kapitalismus zu befreien, oder ob sie die gegebenen Herrschaftsverhältnisse weiter zementiert. Denn das Hidden Web bietet durchaus auch eine Vielzahl an Beispielen für die Möglichkeiten nichtkapitalistischen digitalen Wirtschaftens.25

19 Siehe z.B. Golumbia, David (2016): The politics of Bitcoin. Software as right-wing extremism. Minneapolis: University of Minnesota Press. Wobei Golumbia jedoch fälschlicherweise jede Art von Staatskritik mit Rechtsextremismus gleichsetzt. 20 Schaupp, Simon (2016): Digitale Selbstüberwachung. Self-Tracking im kybernetischen Kapitalismus. Heidelberg: Graswurzelrevolution. 21 Raffetseder, Eva-Maria/Schaupp, Simon/Staab, Philipp (2017): Kybernetik und Kontrolle. Algorithmische Arbeitssteuerung und betriebliche Herrschaft. In: PROKLA 187, S. 227247. 22 https://arstechnica.com/tech-policy/2015/12/rogue-secret-service-agent-who-stole-fromsilk-road-sentenced-to-nearly-6-years/ Zugriff 13.4.2017. 23 „Deep Web - Der Untergang der Silk Road“, Dokumentarfilm 2015; Bilton, Nick (2017): American Kingpin. The Epic Hunt for the Criminal Mastermind Behind the Silk Road. New York: Portfolio.

24 Rand (2017): Atlas, S. 541. 25 Siehe z.B. Papsdorf, Christian (2017): Kritik im Hidden Web. Technisch anonymisierte Kommunikation als Basis emanzipativer Praktiken. In: Buckermann, Paul/Koppenburger, Anne/Schaupp, Simon (Hg.): Kybernetik, Kapitalismus, Revolutionen. Emanzipatorische Perspektiven im technologischen Wandel. Münster: Unrast, S. 226 f.

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Maschine-Werden

Deus ex Machina: Das Ende des Kapitalismus als Ergebnis seiner Strukturlogik?

// Yannick Kalff Schafft sich der Kapitalismus selbst ab? Akzelerationist*innen zufolge ist dies eine Notwendigkeit.


S

chafft sich der Kapitalismus selbst ab? Akzelerationist*innen zufolge ist dies eine Notwendigkeit. Der Akzelerationismus erkennt in der technologischen Entwicklung der Gesellschaft, aktuell insbesondere in der Digitalisierung, emanzipative Potenziale.1 Das Hashtag #fullyautomatedluxurycommunism versammelt eine politische Strömung, die Rationalisierungspotenziale, Optimierungsmöglichkeiten und allgemein Beschleunigungsoptionen in Technik und Technologie vermutet. Diese, so die These der Akzelerationist*innen, würden letztendlich dazu führen, dass der Kapitalismus an seine eigenen Grenzen stoße. Welche Optionen hat dieser dann noch? Verharren? Oder diese Grenzen transzendieren? Die akzelerationistische Antwort ist eindeutig: Am ‚Ende‘ stehe eine neue Gesellschaftsformation, eine neue Produktionsweise, die ein nicht-kapitalistisches Wirtschaftssystem mit neuen Strukturen sozialer Ordnung verknüpfe. Zugegeben: Auf den ersten Blick ist diese Argumentation attraktiv, verheißt sie doch, dass ein ‚Immer-so-weiter‘ uns nicht irgendwann einmal auf die Füße fallen wird. Der Pfad mündet in der Überwindung von Ausbeutung, Prekarität, Neoliberalismus und Arbeitszwang – Deus ex Machina, die göttliche Intervention, die zur Seite springt, wenn sich die Geschichte in eine Sackgasse geschrieben hat. »Der Akzelerationismus strebt nach einer moderneren Zukunft – einer anderen Moderne, die der Neoliberalismus von Natur aus nicht hervorbringen kann. Die Zukunft muss noch einmal aufgeknackt werden – und unsere Horizonte werden frei für die unbegrenzten Möglichkeiten des Außen.«2, schreiben Nick Srnicek und Alex Williams. Ihre Forderungen sind in aller Deutlichkeit auf den Schutzumschlag des Buches gedruckt: »demand full automation, demand universal basic income, demand the future«3. Der technologische Entwicklungspfad und die Steigerungslogik des Kapitalismus scheinen uns in die Hände zu spielen. Aber ist dem tatsächlich so? Meine Kritik an akzelerationistischen Thesen vom Ende des Kapitalismus formuliere ich auf drei

1 Zur Übersicht beispielsweise: Noys, Benjamin (2016): Futures of Accelerationism. Faster/Slower/ Future. The Road to Post-Capitalism. In: http://non.copyriot.com/futures-of-accelerationism/, Zugriff: 23.04.2017. 2 Srnicek, Nick/Williams, Alex (2013): #Beschleunigungsmanifest für eine akzelerationistische Politik. In: https://syntheticedifice.files.wordpress.com/2013/06/beschleunigungsmanifest.pdf, Zugriff: 23.04.2017. 3 Srnicek, Nick/Williams, Alex (2015): Inventing the Future. Postcapitalism and a World without Work. London, New York: Verso.

Ebenen: Erstens ordne ich sie in eine historische Abfolge von Technologisierungsschüben und (verfehlten) Fantasien vom Ende des Kapitalismus ein. Zweitens übersieht die Argumentation auf ökonomischer Ebene neue Ökonomisierungspotenziale. Drittens instrumentalisieren die Thesen auf einer politischen Ebene Technologie, anstatt ihr Konfliktfeld ernst zu nehmen. Die Geschichte der Industrialisierung hat viele Revolutionen erlebt. Nach aktueller Zählweise – und das ist je nach Autor*in verschieden – befinden wir uns im zweiten Maschinenzeitalter4, der dritten oder vierten industriellen Revolution5, bzw. kurz vor oder bereits im Postkapitalismus6. Bislang hat keine der Revolutionen die Produktionsverhältnisse abgeschafft. Die Produktionsweise hat sich zwar verändert, ihr Vorzeichen ist allerdings immer kapitalistisch geblieben. Dennoch: Im Zuge technologischer Innovationen wie der Roboterisierung oder der Computerisierung in den 1960er bzw. in den 1990er Jahren verstärkten sich Stimmen, die das Ende der Erwerbsarbeit anbrechen sahen. Die Produktivität stieg in ungekannte Dimensionen, die menschliche Arbeit wurde technischer und technisierter – ‚humaner‘ – aber auch rationalisierbar und substituierbar. Die Produktivkraftsprünge durch Schlüsseltechnologien führen krass vor Augen, wie technologische Entwicklung Erwerbsarbeit umformt und wegrationalisiert. Würde erst einmal die kapitalistisch organisierte, entfremdete Lohnarbeit fallen, wäre »das Reich der Freiheit«7 nicht mehr fern. Heute arbeiten wir jedoch nach wie vor; stellenweise sogar mit mehr Jobs als früher, befristeten Anstellungen – prekär. Prekarisierung ist eine Folge technologischer Transformationen, welche das Soziale nachgelagert rationalisieren. Zwar fließen neue Technologien nie eins zu eins in die Gesellschaft ein, sondern werden sozial und diskursiv verhandelt und implementiert – instrumentelle Rationalität dominiert allerdings ihre Anwendung auf Produktions- und Arbeitsprozesse. Wie sehr, wird bei der Betrachtung gesellschaftlicher Debatten der 1980er- bis 2000er Jahre 4 Brynjolfsson, Erik/McAfee, Andrew (2014): The second machine age. Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird. Kulmbach: Börsenmedien AG. 5 Jänicke, Martin/Jacob, Klaus (2008): Die dritte industrielle Revolution. In: Internationale Politik, 63, 10/2008, S. 32–40. Rifkin, Jeremy (2011): Die dritte industrielle Revolution. Die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag. 6 Mason, Paul (2015): Postcapitalism. A Guide to our Future. London: Lane. 7 Marx, Karl (1972): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band. MEW, Bd. 25. Berlin: Dietz. S. 828.

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deutlich: Die Institution Erwerbsarbeit sei so sehr unter Druck geraten, dass André Gorz den »Exodus« aus der Vollerwerbsgesellschaft fordert. Selbst konservative Ökonomen wie Jeremy Rifkin spekulierten über die zukünftige Bedeutung der Arbeit – und schrieben sie ab.8 Gorz hatte die wachsende Prekarisierung erkannt – ihr Potenzial für eine Umgestaltung des Sozialstaats und die Regierung der Individualität jedoch verkannt.9 Historisch hat sich die Technologisierung Hand in Hand mit Prekarisierungswellen entwickelt, welche vor allem durch substituierte Arbeitskraft, neue und steigende Qualifikationsanforderungen sowie neue Flexibilitätserfordernisse erzeugt wurden. Konträr argumentiert beispielsweise Paul Mason, dass ein digitaler Kapitalismus an die Grenzen der In-Wertsetzung von immateriellen Gütern stoße und sich daher seine Möglichkeiten erschöpften, sich immer wieder neue nicht-kapitalistische Sphären einzuverleiben.10 Diesem Argument folge ich nicht. Vielmehr scheint das Soziale weiterhin genug Raum zu bieten, ökonomisiert und vermarktlicht zu werden. Erwerbsarbeit ist durch technologische Entwicklungen einem Lohndruck ausgesetzt, der dazu führt, dass sie verdichtet wird, mehrere Jobs parallel bestritten werden oder dass spezifische Tätigkeiten in die Arbeit hineingezogen werden, ohne sie zu entlohnen. Affektive Arbeit, Networking und selbstständige Weiterbildung stehen hierfür beispielhaft. Meine ökonomische Kritik schließt hieran an. Prekarisierung zeigt sich neben der Verknappung von Erwerbsarbeit und der Ausweitung biografischer Unsicherheit auch in der steigenden Verwertung nicht-marktförmiger Bereiche unseres Lebens. Entgegen der akzelerationistischen Logik überwindet sich der Kapitalismus keineswegs selbst. Vielmehr verschärft er seine Logik, immer neue Bereiche in Wert zu setzen. Seien es unbezahlte Care- und Reproduktionsarbeit oder kooperative Tauschnetzwerke, Autos, Fahrten, Wohnungen: Immer mehr Sphären werden zum Gegenstand kapitalistischer In-Wertsetzungsstrategien à la Airbnb oder Uber.11 Entgegen Masons These, dass der Kapitalismus keine neuen Märkte mehr erschließen könne, spricht vieles – insbesondere hinsichtlich menschlicher, lebendiger Arbeit – dafür, dass das Gegenteil der Fall ist. Hierunter fallen zunehmend Kreativität, individuelle Netzwerke, produzierte Daten, verschiedene Wissensformen und ihre Herstellung, soziale und Pflegedienstleistungen, Hausarbeit (letztere beiden waren immer schon umkämpfter Gegenstand und wurden durch feministische Debatten sichtbar gemacht).12 Akzelerationistische Debatten verengen ihren Blick auf Erwerbsarbeit. Die Forderung nach Vollautomation und Arbeitszeitreduktion, zusammen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, übersieht, dass menschliche Tätigkeit in viel umfassenderem

8 Gorz, André (2000): Arbeit zwischen Misere und Utopie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.Rifkin, Jeremy (1995): The End of Work. The Decline of the Global Work-Force and the Dawn of the Post-Market Era. New York: Putnam’s Sons. 9 Insbesondere Lorey, Isabell (2015): Die Regierung der Prekären. Wien, Berlin: Verlag Turia + Kant. 10 Mason, Paul (2015): Postcapitalism. A Guide to our Future. London: Lane. S. 175.

Maße ökonomisierbar ist. Die Reduktion auf ein instrumentelles Bild von Lohn- und Erwerbsarbeit suggeriert in der Tat, dass die digitalen Maschinen uns ersetzen könnten. Sie verkürzt den Menschen existenzialistisch auf eine Maschine und übersieht die definierende gesellschaftliche Arbeit. Die Care-Ökonomie-Debatte ist hierfür ein Beleg unter vielen. Hieran schließt eine politische Kritik an. Zum einen läuft der Akzelerationismus Gefahr, politische Interventionen zu delegitimieren. Wenn dessen argumentative Grundlinie die Selbstaufhebung des Kapitalismus ist – Deus ex Machina –, dann legitimiert dies zugespitzt eine Radikalisierung kapitalistischer Entwicklungsdynamik. Allein aus ökologischer Sicht sowie aus Gründen der so notwendigen Kritik neoliberaler politischer Ideologie ist dies abzulehnen. Zwar versteht sich der Akzelerationismus explizit in Opposition zum Projekt des Neoliberalismus, dies erschöpft sich allerdings in einer eher halbherzigen Kritik der Vermarktlichung und vernachlässigt eine konkrete Untersuchung von Prekarisierungs- und Subjektivierungsformen. Andererseits impliziert die These vom strukturlogischen Scheitern des Kapitalismus die Passivität linker Politik. Wenn sich die Dinge selbst regeln, was bleibt dann noch zu tun? Srnicek und Williams sehen expliziten Handlungsbedarf, dessen Ziel die Post-Arbeitsgesellschaft sein müsse. Linksradikale Positionen, die keine Forderungen an das bestehende System richten, sondern gänzlich andere Verhältnisse zum Gegenstand haben, lehnen sie als ziellos ab.13 Gegen revolutionäre setzen sie reformistische Politik, die (insbesondere bei Mason) als Neuauflage der Sozialdemokratie gelesen werden kann.14 Die Frage bleibt ungeklärt, inwieweit sich hierdurch bestehende Verhältnisse sinnvoll und tiefgreifend ändern können, oder ob lediglich Symptome neoliberaler Politik ausgebessert werden und Ursachen unberührt bleiben. Diese beiden Punkte sind aus aktivistischer Sicht hochbedenklich. Ein zusätzlicher Kritikpunkt ergibt sich aus der digitalen Technologie selbst. Während negative Schlaglichter, beispielsweise die Kontrolle, die Beobachtung, die Datenanalyse usw., hervorgehoben werden müssen, geschieht mitunter das Gegenteil – die umstandslose Akzeptanz des Digitalen als emanzipativer Transformationspfad. Aus aktivistischer Sicht muss Technologie aber als ein hoch konfliktreiches Feld ernst genommen werden. Mit diesem sind Kämpfe auf unterschiedlichen Ebenen verknüpft. Wie sich zu Digitalisierung und Technologie zu verhalten ist, muss aus dem Blick auf eigene Interessen und mit Bezug auf lokale Machtrelationen taktisch und strategisch ausgerichtet werden. Die Debatten über ein selbstinduziertes Ende des Kapitalismus und die Selbsttranszendierung der ihm immanenten Strukturlogik blenden Prekarisierungszyklen sowie feministische Kämpfe aus. Diese müssen in die Debatte integriert werden. Aktivistische Positionen müssen Technologie als Konfliktfeld begreifen. Ihre Wirkung ist Gegenstand politischer Kämpfe und Aushandlungen. Der Kapitalismus überwindet sich nicht aus sich selbst heraus. Vielmehr muss der Übergang aktiv gestaltet und angestoßen werden.

11 Scholz, Trebor (2016): Platform Cooperativism. Challenging the Corporate Sharing Economy. Rosa Luxemburg Stiftung. New York Office. In: http://www.rosalux-nyc.org/wp-content/ files_mf/scholz_platformcoop_5.9.2016.pdf, Zugriff: 23.04.2017. 12 Die Liste dieser Tätigkeiten könnte noch weiter fortgesetzt werden, ebenso wie die Kämpfe um/ gegen die kapitalistischen ‚Landnahmen‘, welche sie begleitet haben. Hier sei exemplarisch nur auf zwei verwiesen: Federici, Silvia (2012): Revolution at Point Zero. Housework, Reproduction, and Feminist Struggle. Oakland: PM Press. Huws, Ursula (2003): The Making of a Cybertariat. Virtual Work in a Real World. New York: Monthly Review Press.

13 Srnicek, Nick/Williams, Alex (2015): Inventing the Future. Postcapitalism and a World without Work. London, New York: Verso. S. 107. 14 Butollo, Florian/Kalff, Yannick (2017): Entsteht der Postkapitalismus im Kapitalismus?: Eine Kritik an Masons Transformationsstrategie. In: PROKLA, 47, 187/2017, S. 291-308.


e r D

Sc h we iß de r S on n e //Philipp Schönthaler

Ich bin hinten im Garten und spanne die Girlanden vom Infantastic Himmelsgleiter 390 Holzschaukelgerüst mit integrierter Wellenrutsche hinüber zum Gartenzaun, als es an der Haustür klingelt. Ich habe die Girlanden in der Hand, sage Jana, dass sie vorausgehen und die Tür öffnen soll. Als ich zwei Minuten später in den Flur komme, ist sie gerade dabei, die drei Custom Design Kindertrolleys von trunky mit Bobbycar und RucksackDoppelfunktion nacheinander ins Wohnzimmer zu schieben, sie kann die Pakete nicht stemmen, ihre Arme sind zu kurz, als dass sie um den Karton fassen könnte. Ich habe selbst unterschrieben!, verkündet sie stolz. Ich kontrolliere die Absender, frage, wo die andere Sendung ist: die Kummer Gelfarben im Spar-Set 6×25 g?

Aber sie zuckt lediglich mit den Schultern, rätselt, welcher trunky wohl der ihre ist.
 Ich bücke mich, packe sie an beiden Schultern, frage, wo ist Besma? ... der Paketmann?, wir brauchen die Lebensmittelfarben, Jetzt!, erkläre ich, keine Kinderrucksack-Autositze, es ist schon fünf nach zehn, aber sie will mir nicht in die Augen blicken. Erst als ich nachfrage, deutet sie zur Tür, erklärt in ihrem neublasierten Tonfall, dass er schon wieder weg sei. Es sind jene Momente, die mich in letzter Zeit um die Fassung bringen. Sofort stürze ich hinaus, aber als ich die Straße erreiche, ist der Paketwagen nur noch ein winziger Punkt, der zwischen den grellgelben Rapsfeldern gleißend im Sonnenlicht funkelt, reflexhaft habe ich mich auf den

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Zehenspitzen aufgestellt, eine Hand über den Kopf gehoben, winke, es ist zwecklos, jede Sekunde muss er die Bundesstraße erreichen und endgültig aus dem Blickfeld verschwinden. Sollte er die Kummer Gelfarben tatsächlich vergessen haben? Ich könnte schreien! Eigentlich war es bis zu diesem Zeitpunkt ein PERFEKTER TAG. Plötzlich droht ein DESASTER, das mir vom einen Moment auf den anderen selbst die Freude am Blick in den Himmel verleidet, der nirgends im Land so weit ist wie hier. Heute zieren ihn hauchzarte Wolkenschlieren, sie wirken wie mit flüchtigen Pinselstrichen von einem großen Künstler MEISTERHAFT aufgetragen. Ein Möwenschwarm, der kreischend über das Pultdach fegt, die salzhaltige Luft des nahen Meers. Ich bin verzweifelt, kehre zurück ins Haus. Als ich die Tür schließe, rasen Anja und Jaan aus dem Studio, HB im Schlepptau, sie schreien, lachen, sie haben die Ballons, die vorne ans Gartentor kommen, mit Helium gefüllt, jetzt halten sie die Ballons wie überdicke Sträuße, jede Faust ein pralles Bündel. Normalerweise hätte ich sofort ein paar Fotos geschossen, schon im selben Moment, ein oder zwei mögliche Bildunterschriften im Kopf, BUNT-LUFTIGE PARTYVORBEREITUNGEN! Jetzt sage ich nur: Besma hat die Kummer Gelfarben im Spar-Set 6×25 g nicht ausgeliefert, kurz fürchte ich, dass mir die Stimme bricht. HB versucht mich zu beruhigen, dann machen wir eben einen anderen Kuchen oder die Regenbogentorte wird naturfarben, erklärt er, schließlich können wir sie ja mit den Smarties extrabunt dekorieren. Ich stöhne gleichzeitig mit dem Protestschrei der Kinder auf, eine Regenbogentorte, die nicht spektralfarben ist, ist keine Regenbogentorte. Jaan beginnt zu weinen, die Vorbereitungen der letzten Tage beginnen zusehends an unseren Nerven zu zehren. Anja sagt, dass wir die Smarties sowieso mehrfachbunt dekoriert hätten, wie letztes Mal bei den Smarty Party Muffins, von denen ich an anderer Stelle ausführlich erzählt habe. Der professionelle Fotograf kommt um 14.30 Uhr, die Gäste um 15 Uhr, die Torte muss mindestens drei Stunden kühlen. Davor müssen wir sie zubereiten, erkläre ich, die Farben in den Teig rühren, backen, dass er offenbar keine Ahnung habe, was das bedeutet. Zum ersten Mal haben wir ein professionelles Buffet bestellt, Intelligent Food-Catering (InFo), die Firma bietet ihren Service auch für kleine Gruppen ab zehn Personen an, den Service

gibt es in mehreren Städten und Regionen, die Bewertungen sind konstant hochsternig, WIR SIND SUPERGESPANNT! Dann hätten wir doch gestern ins EKZ fahren und sie mit anderen Lebensmittelfarben gleich zubereiten sollen, erwidert HB. Ich kann seinen selbstgerecht-mitleidigen Ton nicht ausstehen. Er weiß genau, dass ich die Kummer Gelfarben bereits vor zwei Tagen in der Geburtstagspreview verbloggt habe. Natürlich ärgere ich mich über Kummer, die Zuständige aus der Marketingabteilung hatte versprochen, die Sendung sofort aufzugeben. Dennoch zweifle ich in solchen Momenten auch, ob es richtig war, dass HB seinen Job als Statiker, zumal in einem guten Büro, an den Nagel gehängt hat. Denn am meisten irritiert mich seine Einstellung, und ich frage mich, ob er die nachlässige Haltung, die er hier an den Tag legt, auch im Architekturbüro gepflegt hat. Ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen! Wir haben eine Verantwortung, erwidere ich gewollt kurz und gewollt kühl: ohne AUTHENTIZITÄTSBASIS können wir den Laden gleich dicht machen. Bei diesem Thema reagiere ich hypersensibel, kann ERNSTHAFT SAUER werden. Jana hat sich an ihren Vater gehängt, berichtet aufgeregt, dass sie die trunkys alleine in Empfang genommen und selbst unterschrieben habe, während ich draußen im Garten war, um das Party-Discount Girlandenset 6×800 cm aufzuhängen. HB setzt ein gespielt ungläubiges Gesicht auf: Das ist ja ganz toll!, lobt er sie überschwänglich, darin ist er konsequent gut, was ich ihm hoch anrechne. Jana hat vor zwei Wochen zum ersten Mal eine Sendung entgegengenommen und unterschrieben, in meinem Beisein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir zwar gewusst, dass sie ihren Namen schreiben, jedoch nicht, dass sie auch unterschreiben kann. Ich war SO PERPLEX, dass ich ganz vergessen habe, ein Foto zu schießen. Aber Besma hat sich sofort bereit erklärt, dass wir das Ganze einfach noch einmal machen; er ist so kooperativ. Das beste Foto habe ich mit unserem Wasserzeichen versehen und auf Instagram verschickt. Schon das hat stark getrendet, ich war unendlich dankbar. Ich kann noch immer nicht glauben, wie viele TREUE UNTERSTÜTZERINNEN UND FREUNDE wir haben! Am Abend habe ich es


dann zusätzlich verbloggt: Jana nimmt Paket entgegen und UNTERSCHREIBT zum ersten Mal SELBST! KOLOSSALSTOLZE Eltern :) Du brauchst endlich mal wieder Urlaub, sagt HB, er steht in der Haustür, versucht fürsorglich zu klingen, die Kinder sind voraus zum Gartentor geeilt, um die Heliumballons anzubinden. Du weißt genau, dass Anja in zehn Tagen Geburtstag hat, erwidere ich. Noch immer kann ich nicht fassen, dass wir bei diesem Geburtstermin so kopflos agiert haben, das Intervall ist zu vollen 100 Prozent verschenkt. Aber dann war ich damals auch noch nicht selbstständig, saß stattdessen an einer unabgeschlossenen Doktorarbeit, deren Förderung seit einem Dreivierteljahr ausgelaufen war. Es war jene Phase, in der ich mir erstmals Gedanken über ein Familienblog für einen ausgewählten und vertraulichen Freundeskreis gemacht habe. Vielleicht wäre es tatsächlich besser, endlich einen Doppelgeburtstag einzuführen? Das Familotel hat soeben sein Angebot erneuert, zehn Tage, sagt HB, er war fix im Netz. Außerdem steht noch das Angebot von der Fun, Kids, Kaviar-Oase. Ich brauche jetzt Lebensmittelfarben für die Regenbogentorte, sage ich und lasse HB stehen. Die sieben It’s Plastic!Schälchen (ich konnte Plastik wirklich nie ausstehen, bis ich It’s Plastic! entdeckt habe!), in denen ich den Teig einfärben wollte, stehen schon aufgereiht auf der Anrichte, daneben die Tortenplatte von Plan Schelling. Wir haben Tortenplatte Lilith mit 28 cm Durchmesser aus Keramik gewählt, sie ist klassisch-sinnlich, eine stilechte Präsentationsfläche, aber jetzt ist mir einfach danach, sie auf den Boden zu schmettern. Ich bin tief deprimiert. Es ist einer jener Momente, in denen ich komplett alles infrage stellen will – vorneweg den Umzug, die Expansion. Hatte ich mir von diesem Schritt nicht MEHR SICHERHEIT versprochen, RUHE, weil wir uns endlich auf diese eine Sache konzentrieren würden? Jetzt ist das Gegenteil eingetreten. Wann bin ich zum letzten Mal morgens mit dem Gefühl erwacht, mich frei von jeglichem Erwartungsdruck von den Ereignissen einfach überraschen zu lassen? So wie zu Beginn, als ich mit dem Schreiben angefangen habe? ALLES

WAR AUFREGEND und NEU. HB sagt, dass das Ganze doch wie am Schnürchen läuft, und will mir jedes Mal die wachsenden Zahlen vorlegen. Zum Geburtstag hat er mir sogar eingerahmte Ausdrucke mit Linien-, Säulen- und Tortendiagrammen geschenkt, sie zeigen die Umsätze über die letzten Jahre und Anteile unserer Partner: Werbebanner, Advertorial, Instagram, YouTube, Gewinnspiele & Rätsel. Es war hundertfünfzigprozentig süß, aber HB denkt TATSÄCHLICH, dass alles einfach immer weiterlaufen wird wie bisher, und das kann mich manchmal in den WAHNSINN treiben. Die Ideen kommen nicht von alleine ins Haus geflogen. Er will partout nicht verstehen, dass man den AUFMERKSAMKEITSLEVEL seiner Follower nicht abspeichern oder direkt aufs Onlinekonto buchen kann. Wir müssen uns ihnen gegenüber erkenntlich zeigen! Wie oft habe ich HB sagen müssen, dass ein Advertorial in der Woche das Maximum ist, alles andere unglaubwürdig? Unsere Gemeinde verlangt PRIVATE EINBLICKE, wir müssen persönliche Identifizierungsangebote verteilen. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte das UNBESCHREIBLICHE GLÜCKSGEFÜHL festhalten, als ich damals mein erstes Advertorial geschrieben habe, meine erste SELBSTSTÄNDIGE Einnahme, 150 Euro von babybernd.org! Ich glaube, es bedeutet mir mehr, als dass ich es mit HB teilen könnte. Am meisten ANGST macht mir aber, dass ihm das Unternehmerische vollkommen abgeht, dass er noch immer in ANGESTELLTENVERHÄLTNISSEN denkt. Ich frage mich, wie das in Zukunft alles werden soll. Ich habe mich so sehr meinen negativen Emotionen hingegeben, dass ich nichts mehr um mich herum wahrgenommen habe – als ich plötzlich die gellenden Schreie der Kinder höre. An ihren Stimmen kann ich mitverfolgen, wie sie aus dem Vorgarten durch das Carport im Hof vorbei an der kleinen Marmorsitzecke auf die Rasenfläche im Garten jagen. Ich stehe am Küchenfenster, blicke mehr aus Reflex als Interesse durch die Klipp-Raffgardinen hinaus, beobachte, wie sie einen Kreis bilden, ihre kleinen Arme erhoben, sie springen auf und ab, rufen und kreischen wild durcheinander, der perfekte YouTube-Clip! Die Girlandenkette baumelt verpixelt im Hintergrund. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, gefühlt sind es Stunden, natürlich kann es sich nur um Sekunden gehandelt haben, als ich plötzlich realisiere, dass die erhobenen Arme der Kinder

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keine Spiel- oder Tanzarme sind, sondern ERREGTE ZEIGEARME: Sie deuten nach oben IN DEN HIMMEL! Und dann sehe auch ich sie: die Drohne! Scheinbar schwerelos schwebt sie herab, verlangsamt sich erst wenige Meter über dem Boden und landet direkt auf unserer neuen Patio Area, HB hat die robusten und für die Kinder selbst bei Regen rutschfesten Natural Flagstone-Platten von Steinernewelten.de erst kürzlich verlegt und in einer mondänen DIY-Bildstrecke dokumentiert. HB muss die Kinder jetzt mit aller Kraft zurückhalten, sie wollen losstürmen, sie würden womöglich nach der Drohne greifen, die Propeller des Quadrobots kreisen mit unverminderter Drehzahl, für einen Moment sehe ich schon vor mir, wie die scharfen Rotorblätter die Kinderfinger zerschnetzeln. Da lösen sich drei Greifarme am Bauch des Geräts und ein Paket plumpst auf den Boden. Die Drohne emittiert einen schrillen Signalton, und im nächsten Moment hebt sie wieder ab, um grün blinkend in den Himmel zu entschwinden, aus dem sie vor wenigen Sekunden wie aus dem Nichts erschienen war. Ich stehe noch immer ungläubig am Fenster, den Blick gen Himmel, obwohl der Quadrobot längst außer Sichtweite ist, die Raffgardine klebt an meiner Stirn, ohne es zu merken muss ich meinen Kopf gegen den Stoff gedrückt haben, als ich mich vorwärts gegen die Fensterschreibe lehnte, um die Szene direkt vor dem Haus überblicken zu können. – Und dann steht HB in der Küche und legt das Paket mit den Kummer Gelfarben im Spar-Set 6x25 g auf die Anrichte. Ich falle ihm in die Arme, lasse meinen Körper schwer gegen den seinen sinken. Mir ist zum HEULEN zumute, aber es sind SILBERNE MONDTRÄNEN, ich spüre, wie mir eine RIESENLAST von den Schultern fällt. Eine geschlagene Minute, vielleicht sogar länger, lasse ich mich so von ihm halten. Alles wird gut, sagt er, und in diesem Moment will ich seinen Worten Glauben schenken. Als ich am nächsten Morgen an unserem Gartentisch sitze und die Fotos von der Geburtstagsfeier durchgehe, erlebe ich aufs Neue den GÄNSEHAUTMOMENT vom Vortag. In der Nacht hat es sanft geregnet, der Rasen und die Hecke sind feucht und glitzern in der Morgensonne, aber die Kinder hält es nicht vom Spielen ab. Sie sind in unserem Mosaiksandkasten (bzw. auf der Mosaik-Schlange), mit ihrer metallic schimmernden Flip-Keramik, die

bebilderte Do-it-yourself-Strecke, und wie ich überhaupt auf diese Idee kam, erzähle ich ausführlich hier. Maria, die wir halbtags angestellt haben, um auf die Kinder aufzupassen und die Nutzerkommentare zu betreuen, sammelt Girlandenfetzen vom Boden auf. Zwischendurch verliere ich mich in Erinnerungen. Viele unserer Freunde hatten das neue Haus noch gar nicht gesehen, umso größer war unsere Begeisterung, dass sie den weiten Weg auf sich genommen hatten; unsere nächsten Nachbarn wohnen immerhin zwölf Kilometer entfernt. Nur dass Janas beste Freundin nicht zur Feier erschienen war, sorgte zwischendurch für Tränen, ich habe ihr zu erklären versucht, dass ihre Eltern es nicht mögen, wenn zu viele Fotos von ihr geschossen werden. Natürlich hat Jana das nicht verstanden, aber HB hat den Augenblick originell gerettet und von einem Indianerstamm tief im brasilianischen Urwald erzählt, dessen Angehörige es nicht erlauben würden, dass man sie filmt oder fotografiert, weil sie fürchten, dass ihnen mit den Bildern auch ein Teil von ihrer Person genommen wird. Wie die hauchdünnen Häute von Zwiebeln, die nichts von der Knolle zurücklassen, nachdem man die Schichten der Reihe nach alle abgetragen hat. Kurz herrschte Verlegenheit, Jana hat ihr typisches Grübelgesicht aufgesetzt, bei dem sie ihre Stirn in anmutige Falten wirft, aber dann hat Jaan gefragt, ob Leta Jasmin eine Indianerin sei, und wir mussten ALLE LAUT AUFLACHEN. Darüber ist auch Janas Trauermoment rasch verflogen. Auf die Idee, dass sie noch ein zweites Paar »I luv it custom made«-Gummistiefel für Leta Jasmin machen könnte, ist sie selbst gekommen. Jedes Kind hat ein Paar in seiner Größe erhalten und durfte die Stiefel individuell im Studio gestalten. Es war ein UNGLAUBLICHER SPASS. Denn die »I luv it custom made«-Gummistiefel sind besondere Gummistiefel, die sich mit wasserfesten Farben bemalen lassen und die KREATIVITÄT fördern. Als Belohnung erhält man unverwechselbare Gummistiefel, die auch als SUPERERINNERUNG an besonders wertvolle Tage dienen können. Ich war gerade dabei, »I luv it«-Gummistiefelfotos durchzugehen, als sich HB zu mir gesetzt hat und wir gemeinsam über die Feier sprachen. Von den vielen Fotos werden wir leider nur die allerwenigsten zeigen können, allein von den Regenbogentortenbildern hat unser professioneller Fotograf so viele gemacht, dass wir nur den


kleinsten Ausschnitt werden verlinken können. Über die Bilder sind wir dann auf uns zu sprechen gekommen, und ich habe HB gesagt, dass ich es genieße, dass wir jetzt gemeinsam auf dieser Reise sind. Obwohl mich der Kredit, den wir für das neue Haus aufgenommen haben, belastet, weiß ich, dass die Expansion der nächste und notwendige Schritt war. Das größte Risiko besteht manchmal darin, kein Risiko einzugehen. Jetzt, da wir beide zu Hause arbeiten, brauchen wir mehr Officespace. Ich bin jedenfalls superfroh, dass HB den administrativ-geschäftlichen Aspekt übernommen hat. Die Gartenextrafläche hat die Gestaltungsmöglichkeiten auf ungeahnte Weise potenziert, sodass wir völlig neue Akzente setzten können, und endlich haben wir einen Grafikdesigner engagiert. Aber die größte Freude bereitet mir das EIGENE STUDIO, in dem wir nach Herzenslust basteln können und in dem ich künstlerisch deutlich wertvollere Fotos schießen kann. – Na ja, und so haben wir seit Monaten endlich mal wieder über unsere Zukunftspläne gesprochen und uns verständigt, dass wir noch einmal Nachwuchs wollen. Der beste Zeitpunkt dafür scheint uns in dreißig oder zweiundvierzig Monaten, wir werden uns deshalb zuerst den Wunsch nach einem Hund erfüllen. Vielleicht klappt es sogar zu Anjas Geburtstag, obwohl das unwahrscheinlich ist. Ich musste HB jedenfalls zurückhalten, nicht sofort ins Büro zu gehen und nach geeigneten Exemplaren zu googeln. Später sind die Kinder zu uns an den Tisch gekommen und haben gefragt, ob wir am Nachmittag ans Meer fahren können. Schon seit wir in das neue Haus gezogen sind, überlege ich, dass es einfach mal wieder Spaß machen würde, eine neue Strecke auszuprobieren, ganz unangestrengt, und zwar mit unseren Lieblingsstränden abseits der populären Badeareas. HB erinnert daran, dass Besma die Crazy-Toys für den Strand vor vier Wochen ausgeliefert hat, sie lagern noch immer eingeschweißt im Advertorialregal in unserem neuen Archiv neben dem Studio. Aus einer Laune heraus haben wir spontan entschieden, dass wir später noch einen besonders romantischen Strand aufsuchen. Kurz darauf klingelt es an der Tür. Es ist Besma. Erst will er nicht hereinkommen, weil er es eilig hat. Ich kann ihn jedoch überreden, wir haben Kaffee und eigens ein Stück Regenbogentorte für ihn aufbewahrt. Während er

die Torte hastig verzehrt, erzähle ich ihm von meinem Erlebnis am Vortrag, dem Rapsfeld, den Kummer Gelfarben, der Drohne. Besma nickt eifrig, dennoch habe ich das Gefühl, dass er meine Begeisterung nicht auf gleiche Weise teilt. Die Relentless-Drohne, meinte er, sei schon seit Anfang des Monats offiziell in Betrieb, mit der Information konnte ich ihn nicht überraschen. Anschließend habe ich ihn zu seinem Lieferwagen begleitet. Ich stand auf der Straße, die kurz hinter unserem Haus als Sackgasse endet, vor mir das lange Band des tiefschwarzen Asphalts, das sich in Richtung der Bundesstraße im Sonnengelb des Rapsfelds verliert, die Ballons schmückten noch unseren Eingang. Besma hatte den Motor bereits gestartet, als ich ihn nochmal zurückhielt und gebeten habe, zwei Fotos von ihm und seinem Lieferwagen schießen zu dürfen. Rasch bin ich zurück ins Haus geflogen und habe meine Nikon SD 7000i geholt, die ich schon seit neun Monaten benutze, meine absolute Lieblingskamera für unvergessliche Alltagsmomente. Erst habe ich Besma mit seinem Lieferwagen fotografiert, im Hintergrund unser Haus. Dann, nachdem er mit laut aufheulendem Motor losgebraust war, ein Bild des Lieferwagens, der Hals über Kopf in das Meer der Rapsfelder eintaucht. Zuletzt habe ich einen Heliumballon aufsteigen lassen. Aus dem Garten habe ich die zufriedenen Stimmen der Kinder gehört, durch den Sucher der Kamera habe ich verfolgt, wie der Ballon langsam in den azurblauen Himmel aufsteigt. Als am unteren Bildrand rechts noch eine Dachkante unseres Hauses zu sehen war, links ragte die Spitze des Kugelahorns ins Bild, habe ich den Auslöser gedrückt. An anderer Stelle beschreibe ich detailliert, wie man Perspektive und Bildausschnitt optimal auswählt. Gold ist der Schweiß der Sonne, Silber sind die Tränen des Monds. Jetzt musste es mir nur noch gelingen, die Bilder in einer Erzählung zu jenem einen großen Moment zu vereinen. – Die Anfangssätze sind immer die schwierigsten. Aber in diesem Augenblick wusste ich, wie ich meinen Eintrag beginnen würde, und kehrte gelassen wie schon lange nicht mehr in den Garten zurück.

Die Erzählung ist Philipp Schönthalers Erzählband „Vor Anbruch der Morgenröte“ entnommen, der 2017 im Verlag Matthes & Seitz Berlin erschienen ist.

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# 6 Ac t i on for C a l l

Radical Cities Call for action engagée #6 “Radical Cities”. The aim of this issue is to introduce and elaborate the concept of “Radical Cities”. By combining the ideas of Radical Democrac y and Rebel Cities, four axes will be explored: cities as a space for communit y building, cities as a place for refuge, cities as a place for radical experimental democracy from below and cities as a process for re-thinking institutions. Deadline for political and philosophical interventions: 1st October 2017.

More infos: www.engagee.org/call


Autor*innen & Künstler*innen Dona Barirani ist Doktorandin und Lektorin am Copernicus Institute of Sustainable Development der Universität Utrecht. Sie forscht zum Thema Global Environmental Governance an der Schnittstelle zwischen der Politik- und Rechtswissenschaft. Sie ist zudem Research Fellow beim Earth System Governance Project. Aus Liebe zur Politik, Philosophie und Kunst unterstützt sie engagée als Prozesskoordinatorin. Zach Blas is an artist and writer whose practice confronts technologies of capture, security, and control with minoritarian politics. Currently, he is a Lecturer in the Department of Visual Cultures at Goldsmiths, University of London. Blas has exhibited and lectured internationally, recently at Whitechapel Gallery, London; ZKM Center for Art and Media, Karlsruhe; Institute of Contemporary Arts, London; e-flux, New York; Institute of Modern Art, Brisbane; New Museum, New York; Museo Universitario Arte Contemporáneo, Mexico City; and transmediale, Berlin. Blas is producing two books, Escaping the Face, an artist monograph to be published by Sternberg Press, and Informatic Opacity: The Art of Defacement in Biometric Times, a theoretical study that considers biometric facial recognition as an emerging form of global governance alongside aesthetico-political refusals of recognition, such as masked protest. Blas holds a PhD from the Program in Literature at Duke University and a MFA from the University of California, Los Angeles. Dagmar Fink ist ‚freie’ Literatur- und Kulturwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Repräsentationskritik, Cyborgkonzepte, Technowissenschaften, Körper, Populärkulturen (insb. Science Fiction) und queere Weiblichkeiten. Außerdem ist sie seit mehr als 20 Jahren Übersetzerin im queer_feministischen Kollektiv gender et alia; Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten in Österreich, Deutschland und der Schweiz sowie Mitgründer*in und im Beirat des Verbands feministischer Wissenschafterinnen in Österreich. GeheimRat.com wurde 1999 als ein Netzwerk von Forscherinnen und Forschern aus Kunst, Wissenschaft und Technologie gegründet, um differente Strukturexperimente in komplexen Netzwerk-Zusammenhängen in Form von Kunstprozessen zu erproben: www.geheimrat.com. Jack Hauser, Ex.Filmemacher & Co.Operator. Eva Hoffmann beendet gerade ihr Masterstudium der Theater,- Film und Medientheorie an der Uni Wien und schreibt als Autorin für das jetzt Magazin der Süddeutschen Zeitung. Zwischen Wien, Berlin und Paris ist sie als freie Journalistin tätig und interessiert sich dabei insbesondere für Mediendispositive der Kontrolle und Überwachung, Subjektivierungsprozesse durch neue Medien und kollektive Bewegungen zivilen Ungehorsams. Sabina Holzer, Performerin, Choreografin, Autorin: www.catravelsnotalone.at. Kilian Jörg, Philosoph und Künstler: kilianjoerg.blogspot.ac.at. Yannick Kalff ist promovierter Soziologe. Er lebt und arbeitet in Jena. In seiner wissenschaftlichen Laufbahn an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, der Friedrich-SchillerUniversität Jena und dem Kolleg Postwachstumsgesellschaften hat er sich vor allem mit Arbeits- und Organisationssoziologie auseinandergesetzt und in den Bereichen sozio-ökologische Übergänge zu Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Demokratisierung sowie zu postkapitalistischen Ökonomien geforscht und publiziert. Aktuelle politische und wissenschaftliche Interessen umfassen Diskurse zum Ende der Erwerbsarbeit, Technisierung und Prekarisierung von Arbeit. Frederike Kaltheuner arbeitet zu kommerzieller Überwachung und künstlicher Intelligenz (KI) für Privacy International London. Sie studierte Philosophie und Sozialwissenschaften in Oxford, Maastricht und Istanbul. Birte Kleine-Benne, Dr. phil., 2006 Promotion in Hamburg. Lehraufträge, Gast- und Vertretungsprofessuren an der Universität der Künste Berlin, der Universität Hamburg, der Burg Giebichenstein/Kunsthochschule Halle und der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Theoretische und angewandte Forschungen zu zeitgenössischen bzw. sog. nächsten Formen von Kunst- und Theorieproduktion, von Präsentations-, Rezeptions- und Vermittlungsformen, die ihrerseits Bild-, Kunst-, Ästhetik- und Wissenstheorien sowie dazugehörige Geschichten der Moderne informieren. Forschung, Lehre, Publikationen, kuratorische Tätigkeiten und weiteres: http://bkb.eyes2k.net Vicky Klug, geboren 1985. Nach ihrem Studium der Kulturwissenschaften in Leipzig und Lyon studierte sie Kunst an der Burg Giebichenstein Halle und an der Akademie der Bildenden Künste Wien, derzeit in der Klasse erweiterter malerischer Raum – Aktion/ Skulptur/ Installation im öffentlichen Raum. Sie arbeitet in verschiedenen Medien zu Phänomenen des Alltags zwischen Struktur und Absurdität und interessiert sich momentan besonders für youtube-tutorials: www.vickyklug.de

Alessio Kolioulis is a PhD candidate in Contemporary Arts and Urban Studies at Paris 8 and Sapienza University of Rome, with a thesis on techno, urban territories and subjectivity. Alessio writes about music, politics and cities for different journals and magazines including Millepiani, Dancecult and Mediapolis. He is currently co-authoring a chapter on Chiacgo House and Detroit Techno for the forthcoming book Sounds and the City Volume 2 (Palgrave, 2018). Alessio is an editorial board member of Eterotopia France an indepedent publishing company and will coordinate the sixth issue of engagée on Radical Cities. He lives in London and has a background in the third sector: @alessioilgreco Geert Lovink ist Medienwissenschaftler, Netzaktivist und Gründungsdirektor des Institute of Network Cultures (Amsterdam). Zusammen mit dem Informatiker und Aktivist Pit Schultz gilt er als Begründer der Netzkritik. Geert Lovink ist Research Professor for Interactive Media an der Hogeschool van Amsterdam und Professor für Medientheorie an der European Graduate School. Zuletzt erschienen: Networks Without a Cause: A Critique of Social Media (Polity, 2012), Social Media Abyss. Critical Internet Cultures and the Force of Negation (Polity, 2016; übersetzt erschienen bei transcript: Im Bann der Plattformen. Die nächste Runde der Netzkritik (2017)). Felix Maschewski ist Literatur- und Wirtschaftswissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsgestaltung Berlin. Er promoviert in neuerer deutscher Literatur an der HU Berlin und ist dort Mitglied des PhD-Nets „Das Wissen der Literatur“. Neben seinen akademischen Arbeiten schreibt er u.a. für die agora42, Public Seminar, Der blaue Reiter, die NZZ, Die Epilog, DARE und Merkur(Blog). Mehdi Moradpour, geboren 1979 in Teheran, studierte Physik und Industrietechnik in Nur und Qazvin, Iran. 2001 flüchtete er nach Deutschland, studierte in Leipzig und Havanna Hispanistik, Amerikanistik und Arabistik. Er lebt als Autor und Übersetzer in Berlin und schreibt viel für das Theater. Antonio Negri lehrte an der Universität Padua und an der Universität von Paris VIII. Er war eine der zentralen Figuren des italienischen autonomen Marxismus. Seine Arbeit widmet sich der politischen Philosophie, der Analyse des Kapitalismus und der Globalisierung. Gemeinsam mit Michael Hardt hat Antonio Negri folgende Bücher publiziert: Labor von Dionysus (1994), Empire (2000), Multitude (2004), Commonwealth (2009), Deklaration (2012) und Assembly (2017). Anna-Verena Nosthoff ist Philosophin und politische Theoretikerin. Bisherige Veröffentlichungen insb. zu Adorno, Agamben, Beckett und Levinas u. a. in Cultural Politics, Culture, Theory & Critique, Critical Legal Thinking sowie in Sammelbänden (u.a. neofelis Verlag, im Erscheinen). Ihre jüngsten essayistischen Texte konzentrieren sich vor allem auf ihr Promotionsthema – die Kybernetisierung des Politischen bzw. die politischen Konsequenzen der Digitalisierung (erschienen u.a. in der NZZ (Feuilleton), Public Seminar, agora42 sowie Merkur (Blog)): @annanosthoff Sophia Obermeyer lebt, studiert und arbeitet in Berlin. Sie wünscht sich eine politische Philosophie der echten Welt, eine, die der Welt zugewandt ist und in diesem Sinne gesellschaftliche und politische Prozesse – wenn auch nicht effektiv selbst hervorbringen – zumindest kritisch begleiten kann. Mal akademisch, mal aktivistisch unterwegs, freut sie sich selbst umso mehr über eine Verbindung dieser beiden Sphären. Sofia Alexandra Papapolyzou is a writer on some days, an artist on others. She holds a BA from the University of Bristol and a MA from Goldsmiths University. While living in London, she worked as a copywriter, and she continues to do so today, on a freelance basis. Her fist collection of short stories was published in 2015. She is currently working on a play and merging her writing with her art practice. Niki Passath’s work engages with the relationships between man, machine and the surrounding nature. Born in Graz in 1977, he lives and works in Vienna, where he teaches at the University of Applied Arts. Niki Passath studied „Violoncello“, „Architecture“ and graduated in „Digital Art“ Signe Pierce is an artist based in the U.S., and typically works bi-coastal in both New York City and Los Angeles. She has performed and exhibited at the Museum of Modern Art (NY), the New Museum (NY), Palais de Tokyo (Paris), the Metropolitan Museum of Art (NY), and the Museum of Contemporary Art (LA). In 2015, she received critical acclaim for her short film American Reflexxx, co-created with Alli Coates, which has been a subject of inquiry in dozens of publications like New York Magazine, ARTNews, Huffington Post, W Magazine, New Republic, Rhizome, and The Intercept. Simon Schaupp ist Soziologe und forscht am Munich Center for Technology in Society der Technischen Universität München zu kybernetischer Kontrolle in der „Industrie 4.0“. Zum kybernetischen Kapitalismus hat er zwei Bücher veröffentlicht: Digitale Selbstüberwachung. Self-Tracking im kybernetischen Kapitalismus (Verlag Graswurzelrevolution, 2016), sowie zusammen mit Anne Koppenburger und Paul Buckermann: Kybernetik, Kapitalismus, Revolutionen. Emanzipatorische Perspektiven im technologischen Wandel (Unrast Verlag, 2017). engagée | 103


Valerie Scheibenpflug schreibt derzeit an ihrem Dissertationsvorhaben mit dem Arbeitstitel „Der Horizont zwischen dem Symbolischen und dem Unverfügbaren. Überlegungen zur (Un-)Möglichkeit der Gemeinschaft“ am Institut für Philosophie in Wien. Sie hat ein Lehramtsstudium in den Fächern Deutsch, Philosophie und Psychologie absolviert. Während ihres Studiums verbrachte sie Forschungsaufenthalte in Nottingham und Heidelberg und war in verschiedenen Studierendeninitiativen tätig. Philipp Schönthaler, 1976 in Stuttgart geboren, erhielt für sein Erzähldebüt Nach oben ist das Leben offen (2012) und den Roman Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn (2013) zahlreiche Preise, u.a. den Clemens-Brentano-Preis. 2013 wurde er zum Ingeborg-Bachmann-Preis eingeladen. Sein Buch Portrait des Managers als junger Autor wurde 2016 mit dem Preis des Stuttgarter Wirtschaftsclubs ausgezeichnet. Jorinde Schulz studiert Philosophie und arbeitet am Sonderforschungsbereich „Affective Societies“ der FU Berlin. Aktuell schreibt sie über Oberflächen, digitale Hörigkeiten in postindustriellen Zeiten und an einer Gebrauchsanweisung gegen Gentrifizierung. Zusammen mit Kilian Jörg ist sie Autorin des Buchs Die Clubmaschine, das 2017 erscheint. Als Mitglied des Kollektivs philosophy unbound organisiert sie Veranstaltungen, die sich der Erforschung neuer Räume und Formate für philosophische Reflexion widmen. Johannes Siegmund ist Philosoph und Journalist sowie Teil des Kollektivs philosophy unbound. Derzeit arbeitet er an seiner Promotion mit dem Arbeitstitel „Philosophie der Flucht“. Cornelia Sollfrank ist seit Mitte der 1990 Jahre als Netz(werk)- und Konzeptkünstlerin, Gründerin, Hackerin, Autorin und künstlerische Forscherin tätig und wurde 2012 an der University of Dundee, Schottland, mit der Arbeit „Performing the Paradoxes of Intellectual Property“ promoviert. http://artwarez.org Hito Steyerl ist Autorin, Filmemacherin und Künstlerin. Derzeit ist sie Professorin für Medienkunst an der UdK Berlin. Immer auf der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis situiert, setzen sich ihre Arbeiten kritisch mit Digitalität sowie mit Fragen postkolonialer Kritik und feministischer Repräsentationskritik auseinander. Rahel Sophia Süß ist Initiatorin des Magazins engagée, politische Theoretikerin und Dozentin an der Universität Wien; seit Januar 2017 Visiting Scholar bei Chantal Mouffe am Center for the Study of Democracy an der University of Westminster in London. In ihrer Promotion arbeitet sie derzeit zum Begriff experimenteller radikaler Demokratie. Bei Turia + Kant in der zweiten Auflage erschienen (2016) Kollektive Handlungsfähigkeit - Gramsci, Holzkamp, Laclau/Mouffe. Im Erscheinen: Radikale Demokratietheorie zwischen idealer Theorie und kritischer Aktivität, im Handbuch Radikale Demokratietheorie (Suhrkamp, Frühjahr 2018). Achim Szepanski ist Schriftsteller, Musiker und Labelbetreiber. 1991 gründete er das Underground-Techno-Label Force Inc. Music Works (FIM), das sich als kritischer, intellektueller Gegenpol zur hedonistisch geprägten Technokultur der 90er Jahre positionierte. Anfang der 2000-er gab Szepanski zusammen mit Marcus S. Kleiner den Band Soundcultures heraus (Suhrkamp); 2011 erschien sein erster Roman Saal 6 (Rhizomatique). 2014 folgte das zweibändige theoretische Werk Kapitalisierung. Zuletzt erschien Der Non-Marxismus. Finance, Maschinen, Dividuum (2016; LAIKA-Verlag). UBERMORGEN sind lizvlx & Hans Bernhard und manchmal auch ihre Kinder BillieAda und Lola Mae. Seit 1995 arbeiten sie im Anschluss an ihre Studien an der Universität für angewandte Kunst Wien (Weibel) und an der Wirtschaftsuniversität Wien sowie parallel zu ihren Erfahrungen in der etoy.CORPORATION (Hans) und dem projekt 194 (lizvlx) gemeinsam als UBERMORGEN und haben seit 2016 die Professur für digitale und netzbasierte Kunst an der HfG Offenbach inne: http://ubermorgen.com Amadeus Ulrich, B.A. Politikwissenschaft, studiert Politische Theorie (M.A.) in Frankfurt am Main. Seit knapp sechs Jahren arbeitet er als freier Journalist, derzeit vor allem für die Deutsche Presse-Agentur. Seine momentanen Schwerpunkthemen sind unter anderem kritische und radikale Theorien der Demokratie und praxisabhängige Ansätze (distributiver) Gerechtigkeit. Darüber hinaus interessiert er sich für den Themenkomplex Migration und Asyl, insbesondere im Hinblick auf diskursive Versicherheitlichungen und Rassismus. Derzeit studiert er für ein akademisches Jahr am Department of Philosophy der Harvard University. Christoph Wachter & Mathias Jud (Wachter/Jud) arbeiten seit 2000 gemeinsam an Transformationen der bildenden Kunst unter digitalen Bedingungen. Sie sind Preisträger u. a. der Golden Nica, Prix Ars Electronica 2016 und leiten bis 2020 die Kunsthalle am Hamburger Platz der Weißensee Kunsthochschule Berlin: http://wachter-jud.net Paul Lovis Wagner, geboren 1992 in Berlin, studierte Politikwissenschaften, Journalismus und Dokumentarfotografie in Berlin, Hannover, Paris und Rabat. Seine Arbeit ist angetrieben von Neugierde und dem naiven Willen, etwas zu verändern. Als Teil des jib-collectives berichtet er über Migration, Überwachung und soziale Bewegungen. Das junge JournalistInnenkollektiv hat sich gegen die Vereinzelung zusammengeschlossen und verbindet kritische Berichterstattung mit Multimedia-Storytelling. Angela Wiedermann is very interested in language, the words, the speech, the message, The A, B & C, *OMG*, The syntax, the rhytm, the epic fail, the lingo, the typos, The little dance with the Sprachpolizei. Working in public space sometimes, Sometimes only on the pen and the paper. Living and working in vienna, Going places sometimes, Massaging content since 1977. And let’s see whats next. <%obj_name%><a href=‘<%baseurl%><plug:ndxz_rewriter url=‘/about-this-site/‘ />‘>Angela Wiedermann</a> damselle in distress. grossmäulchen vom dienst. Thordis Wolf, vienna-based. Veröffentlicht u. a. ihre browser history.

Impressum engagée #5 „Maschine-Werden“, 2017. ISSN 2413-4279 Wien | Berlin | London Medieninhaberin: engagée – Verein für politisch-philosophische Einmischungen (ZVRZahl: 807011148). Hermanngasse 19 - 1070 Wien. Prozesskoordination: Dona Barirani, Felix Maschewski, Anna-Verena Nosthoff, Valerie Scheibenpflug, Johannes Siegmund, Rahel Sophia Süß. Kontakt: info@engagee. org, www.engagee.org. Offene Redaktion #5: Yannick Kalff, Alessio Kolioulis, Felix Maschewski, Anna-Verena Nosthoff, Sophia Obermeyer, Valerie Scheibenpflug, Jorinde Schulz, Johannes Siegmund, Rahel Sophia Süß, Thordis Wolf. Beiträge: Zach Blas, Dagmar Fink, GeheimRat.com, Jack Hauser, Eva Hoffmann, Sabina Holzer, Kilian Jörg, Yannick Kalff, Frederike Kaltheuner, Birte Kleine-Benne, Vicky Klug, Alessio Kolioulis, Geert Lovink, Felix Maschewski, Mehdi Moradpour, Antonio Negri, Anna-Verena Nosthoff, Sophia Obermeyer, Sofia Alexandra Papapolyzou, Niki Passath, Signe Pierce, Simon Schaupp, Philipp Schönthaler, Cornelia Sollfrank, Hito Steyerl, Rahel Sophia Süß, Achim Szepanski, UBERMORGEN, Amadeus Ulrich, Wachter/ Jud, Paul Lovis Wagner, Angela Wiedermann, Thordis Wolf. Die Verfasser*innen sind für die Inhalte selbst verantwortlich. Die darin vertretenen Positionen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Die Beiträge dürfen von Dritten nur unter der Bedingung der Rücksprache mit den Verfasser*innen verbreitet werden. Gestaltung: Rahel Sophia Süß. Cover: Zach Blas, Facial Weaponization Suite, 2011 - 2014 Erscheinungsweise: 2 x jährlich. Preise: Einzelpreis: 8 €. Jahresabonnement 15 €: Das Jahres-Abonnement umfasst zwei Ausgaben von engagée zum Vorzugspreis von 15 € (inkl. MwSt. und zzgl. Versand). Förderabonnement 30 €: Das Jahres-Förderabonnement umfasst zwei Ausgaben von engagée zum Preis von 30 € (inkl. MwSt. und zzgl. Versand). Druck: Rötzer Druckerei Eisenstadt. engagée ist in ausgewählten Buchhandlungen und über www.engagee.org erhältlich. Eine Liste der Buchhandlungen ist über die Website aufrufbar. Kontoinformationen: Erste Bank: engagée - politisch-philosophische Einmischungen IBAN: AT96 2011 1827 7441 6100 BIC: GIBAATWWXXX


________________________ Was heißt Digitalität? Achim Szepanski

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Dear human, Sofia Papapolyzou

Maschine-Werden engagée | politisch-philosophische Einmischungen

„Privatheit ist nicht tot, sondern ungleich verteilt.“ Ein Gespräch mit Frederike Kaltheuner

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Der Preis der Internetfreiheit. Geert Lovink

G20 in Hamburg: Eine Stadt wird Maschine. Eva Hoffmann, Paul Lovis Wagner

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Maschine

Werden politisch-philosophische Einmischungen

Social Bots: Eine Melange aus maschinellmenschlichen, rechten Affekten? Sophia Obermeyer

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Wer sind die Kommunisten? Antonio Negri

Deus ex Machina: Das Ende des Kapitalismus als Ergebnis seiner Strukturlogik? Yannick Kalff

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ISSN 2413-4279 #5 | 2017 | 8 € | www.engagee.org

„Wir sind die Borg!“ Cyborgs zwischen obligater Existenzweise im Spätkapitalismus und queer_feministischen, postkolonialen Entwürfen. Dagmar Fink

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#5 | 2017

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