Unser Thema: Dazugehören!

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Unser Thema:

Dazugehรถren!

Bilder aus der Hans-Lebrecht-Schule



Unser Thema:

Dazugehรถren! Bilder aus der Hans-Lebrecht-Schule



Dazugehören „Dazugehören“ ist ein Thema, das alle Kinder und Jugendlichen von früher Kindheit an in Bezug auf ihre Familie, Tagesstätte, Schule, Interessen- und Freundesgruppen begleitet. Unseren Schülerinnen und Schülern der Hans-LebrechtSchule geht es ebenso. Das Ziel, irgendwann einmal irgendwo dazu zu gehören, sich zugehörig fühlen können, war deshalb ein Thema, mit dem sie sich für die Zukunft auf der künstlerischen Ebene gerne auseinandersetzen wollten. Beim Nachdenken über das Ziel „Wo will ich hin?“ stellte sich bei vielen Kindern und Jugendlichen die Frage, ob ein differenziertes Vorausdenken und das sich Einlassen auf ein Ziel danach während der intensiven Auseinandersetzung und Bearbeitung ihrer aktuellen Lebenskrisen überhaupt schon möglich ist. Es zeigte sich, dass sie sich derzeit auf dem Weg sehen – zwischen akuter Krankheit und ihrem Ziel, wo sie hin wollen, was sie sich wünschen. Es wurde ihnen deutlich, dass es ein erstrebtes Dazugehören am Ende ihres Weges gibt, das sich gut anfühlt. In der augenblicklichen Situation jedoch der Weg selbst das Eigentliche, Existenzielle ist. Das genaue Hinschauen und Bewusstwerden aller Hindernisse, Stolpersteine und Schwierigkeiten in diesem Prozess kommt in den Darstellungen in der Bildsprache deutlich zum Ausdruck. Die Bilder dokumentieren, welch „harte Arbeit“ die Kinder und Jugendlichen im therapeutischen Prozess leisten.

Dieser Prozess, der sich als das eigentlich Zentrale herauskristallisierte, braucht Anleitung und Begleitung, therapeutische und pädagogische Angebote, Strategien, Struktur und viel Zuspruch, um Schritt für Schritt weiter zu kommen, näher zum Ziel, ohne die Motivation zu verlieren oder entmutigt aufzugeben. Dazugehören bedeutet für die Kinder und Jugendlichen im therapeutischen Prozess z.B. im Bus mit anderen Fahrgästen mitfahren zu können, Menschenansammlungen ertragen zu können, Blickkontakt auszuhalten, morgens aufzustehen, den Alltag zu bewältigen (duschen, frühstücken…), zur Schule zu gehen, im Fußball mitspielen zu dürfen… und vieles andere. Dazugehören – für die Kinder und Jugendlichen ein Ziel, eine große Herausforderung, zu lernen, den Anforderungen des Alltags standzuhalten und wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und sich neue Gruppierungen zu suchen. Allen am Projekt teilnehmenden und auch allen Unterstützerinnen und Unterstützern möchte ich nun – stellvertretend für unser Team – für ihre Mitarbeit an diesem Buch Dank sagen und höchste Anerkennung und Wertschätzung aussprechen. Unser besonderer Dank geht an den Lions Club Ulm/Neu-Ulm, mit dessen großzügiger finanzieller Unterstützung wir das Kinderbuch „Unser Thema: Dazugehören!“ verwirklichen konnten. Carmen Löffler, Februar 2015, Ulm




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Sich dazugehörig fühlen – dazu gehören Prof. Dr. Jörg M. Fegert Für Kinder und Jugendliche jeglichen Alters ist es wichtig, dass sie sich als „dazugehörig“ empfinden können. Zunächst gilt dies für die Familie, wo wir wissen, wie belastend eine Sündenbockposition oder das dauerhafte Gefühl, nicht recht dazu zu gehören, für die kindliche, seelische Entwicklung sein kann. Mit dem Eintritt in die Schule entstehen neue Freundeskreise und in einem Klassenverband, sowie in anderen Gleichaltrigengruppen, wird es immer wichtiger „dazu zu gehören“, „mitspielen zu dürfen“, „gefragt zu sein“. Allerdings beginnen gerade ab der Vorpubertät auch Gruppenprozesse des Ein- und Ausschließens, die in problematischen Fällen bis zur emotional sehr verletzenden Ausgrenzung führen können. Da ist dann der Weg oft nicht mehr weit zum gezielten Mobbing, zum Fertigmachen von Mitschülerinnen oder Mitschülern durch direkte Ausgrenzung, aber auch durch üble Nachrede, Diffamierung, unter anderem auch in den sozialen Netzen. Das Internet hat gerade durch die sozialen Netzwerke eine neue Dimension des Dazugehörens oder ausgeschlossen Werdens geschaffen. Im Internet bleiben dabei Spuren der Ausgrenzung, wie Belege für das Dazugehören, über lange Zeit bestehen, was die Folgen von Ausgrenzung noch verstärken kann.

Vereinszugehörigkeiten, z.B. im Sport, in Jugendorchestern oder Chören und ehrenamtliches Engagement, z.B. in der Jugendfeuerwehr, bei den Pfadfindern etc., gehören für viele Kinder und Jugendliche zu den wesentlichen Erfahrungen der Jugendzeit. Die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen, Vereinen, Parteien trägt auch wesentlich zur Identitätsbildung, zur Entwicklung eigener Vorstellungen im Kreise Gleichgesinnter bei. In der Region Ulm lebt eine große Zahl von Familien mit einem Migrationshintergrund in erster oder zweiter Generation und eine zunehmende Zahl von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen. Für sie stellt sich oft die Frage des Dazugehörens noch in einer ganz anderen Weise: Gehören wir zu dieser Gesellschaft, auf die wir unsere Hoffnungen gerichtet haben? Bietet das Gefühl, zu einer Gruppe zu gehören und Fuß zu fassen, eine Stütze, wenn z.B. Abschiebung droht oder ist die Angst vor einem erneuten Verlust dann nicht noch größer? Nachdem die Bundesrepublik Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet und sich nun umfassend verpflichtet hat, die dort niedergelegten Bestimmungen einzuhalten, haben Kinder und Jugendliche, welche seelische Belastungen, z.B. im Rahmen der Flucht oder durch Ausgrenzung vor Ort erlitten haben, die gleichen Rechtsansprüche auf Eingliederungshilfen wie in Deutschland geborene Kinder. Dennoch ist die Frage der Eingliederung, des Dazugehörens und das Entwickeln einer Perspektive angesichts des im


Erwachsenenalter bedrohten Aufenthaltsstatus eine besondere Problematik, nicht nur für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, sondern oft auch für die Einrichtungen der Jugendhilfe, in denen sie zunächst Schutz und Förderung erfahren haben und in denen sie als zur Gruppegehörig, als dazugehörig, empfunden werden. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie und selbstverständlich auch in der Klinikschule bilden Kinder und Jugendliche vorübergehend eine Gruppe. Sie finden unterstützendes, stationäres, pädagogisches und therapeutisches Milieu, welches ihnen hilft, auch nach vorausgegangenen kränkenden Erfahrungen des Ausschlusses und des persönlichen Rückzugs, wieder Interesse an anderen, am dabei sein, am dazu gehören, zu entwickeln. Nun ist die Situation der Klinikbehandlung und der Klinikbeschulung keine alltägliche Situation, sondern häufig das vorläufige Ende einer langen Entwicklung, die vielfach zu immer eingeschränkterem Dazugehören geführt hat. Gerade deshalb muss mit der Therapie der festgestellten psychischen Störungen und Verhaltensprobleme auch eine Verbesserung des sozialen Zurechtkommens, der Teilhabe, einhergehen. Das Zurechtkommen im Alltag, das Dazugehören, die Möglichkeit wieder Kontakte und Gruppenzugehörigkeiten zu pflegen, sind zentrale Behandlungsziele. Einschränkungen durch schwere psychische Störungen werden im deutschen Sozialrecht „als (drohende) seelische Behinderung“ bezeichnet.

Als Behinderung wird dabei die Beeinträchtigung der Teilhabe angesehen und die möglichen staatlichen Hilfen werden als „Eingliederungshilfen“ bezeichnet. Wer nicht dazu gehört, wer sich nicht irgendwo aufgehoben fühlen kann, ist an seiner Teilhabe beeinträchtigt. Wichtige Dimensionen der Teilhabe sind dabei das schulische Lernen bzw. die Berufsausbildung, das soziale Lernen und die Gesundheit. Wissenserwerb in der Schule ist oft eine Grundvoraussetzung für spätere berufliche Chancen und die spätere Eingliederung in den Arbeitsprozess. Doch nicht nur formales Wissen wird in der Schulzeit vermittelt, sondern auch sehr viel informelles Wissen, welches für das soziale Zurechtkommen in Gruppen wichtig ist. Zunehmend wird dazu gehören auch als Rechtsanspruch auf Teilhabe politisch diskutiert. Diese Debatte um das Dazugehören, d.h. um die gesellschaftliche Teilhabe, prägt auch die Auseinandersetzung mit der bestmöglichen Förderung von Kinder und Jugendlichen mit unterschiedlichen Behinderungsformen. Früher galt Integration, z.B. in der Regelschule, als ein Förderziel. Dazugehören wurde also durch Anpassung an spezifische Anforderungen, durch das sich Eingliedern und Einfügen angestrebt. Mit der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention, die auch in der Bundesrepublik Deutschland voll in Kraft getreten ist, hat sich unsere Gesellschaft für das Prinzip der Inklusion entschieden. Dies bedeutet, dass Teilhabe für alle Menschen, gerade auch für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung, ohne Barrieren möglich sein sollte.


Dazugehören und dazugehören können sind zentrale Voraussetzungen für das Aufwachsen aller Kinder und Jugendliche. Häufig ist die Überwindung von Barrieren, seien es mechanische Zugangsbarrieren bei körperlicher Behinderung oder intellektuelle Barrieren bei geistiger Behinderung oder die Überwindung drohender Ausgrenzung wegen Verhaltensproblemen, eine langwierige Voraussetzung, der sich nicht nur die Schule, sondern alle Institutionen und Organisationen, die mit und für Kinder und Jugendliche arbeiten, stellen müssen. Dabei hat Teilhabe immer auch eine subjektive Dimension. Es geht nicht darum, dass alle überall dabei sind, sondern es geht darum, dass jeder/jede nach seinen/ihren Neigungen die Bereiche bestimmen kann, in denen er/sie dazugehören möchte, sich da verwirklichen kann und dabei unterstützt wird, wo Teilhabe essentiell ist, um sich wohlzufühlen und sich gesund weiterentwickeln zu können. Insofern ist es aber auch wichtig die Wahrnehmung über Prozesse des Einschließens und Ausgrenzens zu schulen und mit Kindern und Jugendlichen über diese Alltagsphänomene zu diskutieren. Gerade wenn man sich häufiger ausgeschlossen fühlt, kann man besondere Sehnsüchte haben, doch endlich auch einmal dazu zu gehören oder man entwickelt eine Strategie des Rückzugs, ja sogar des Hasses auf die anderen, die einen ausschließen. Nicht nur für das einzelne Kind oder den einzelnen Jugendlichen, sondern für unsere ganze Gesellschaft, ist es essentiell, dass Kinder und Jugendliche sich identifizieren und zugehörig fühlen können. Insofern sind die Gedanken und Phantasien darüber, wo man sich zugehörig fühlt und wo man dazugehören möchte, ein wichtiges Feld sozialen Lernens und in der

therapeutischen Arbeit auch eine Möglichkeit der Zielklärung und der einfachen Beschreibung sozialer Integrationsziele. Zur stationären oder teilstationären kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung gehört der Klinikschulbesuch einfach dazu. Viele Schülerinnen und Schüler der Hans-Lebrecht-Schule haben, nicht zuletzt aufgrund ihrer Erkrankung, Monate, manchmal Jahre vor der Klinikaufnahme Probleme in der Schule gehabt und teilweise auch Schulausschluss oder Ausgrenzung innerhalb von Gleichaltrigengruppen erlebt. Es gelingt der Klinikschule oft in erstaunlichem Maße, trotz dieser häufig belasteten Lernbiografien, relativ schnell wieder ein Dazugehörigkeitsgefühl, ja eine Identifikation zu schaffen. Ein wichtiges Element dabei ist auch die gemeinsame Projektarbeit. Aus einer solchen Projektarbeit, für die ich mich auch als Vorsitzender des Schulvereins, wie als Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm, sehr herzlich bedanke, ist dieses neue Kinderbuch und eine Ausstellung, die in den Räumen der Sparkasse in Ulm gezeigt wird, entstanden. Die Arbeiten zum Thema „Dazugehören“ bieten viele Anregungen zum Weiterfantasieren – diskutieren manchmal sehr theoretisch anmutende Begriffe wie „Teilhabe“, „Integration“ und „Inklusion“ direkt aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen. Unser besonderer Dank gilt dem Lions-Club Ulm/Neu-Ulm, der es durch seine großzügige Spende ermöglicht hat, die Bilder und Gedanken der SchülerInnen und Schüler der HansLebrecht-Schule in diesem Buch zu veröffentlichen. Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Ulm im Februar 2015


Impressum Projektleitung, Texte: Dorothee Blaumer, Carmen Löffler, Melanie Doser, Lisa Steeb, Prof. Dr. J. M. Fegert Illustration und Gestaltung: Annette Köhn, www.grafiktube.de © Hans-Lebrecht-Schule und Annette Köhn, Ulm März 2015 Erste Auflage: 1000 Exemplare Druck: Balto Print, Vilnius, Litauen


Projektleitung, Texte: Dorothee Blaumer, Carmen Löffler, Melanie Doser, Prof. Dr. J. M. Fegert, Lisa Steeb / Illustration und Layout: Annette Köhn © Berlin/Ulm 2015


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