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125 Jahre Klinikum Nürnberg: 1897 - 2022

Geschichtlicher Rückblick

Von der Medizin über die Pflege bis hin zur Rolle als großer Arbeitgeber, Ausbildungsbetrieb, Forschungs- und Lehreinrichtung: Das Klinikum Nürnberg ist im Jahr 2022 ein zentraler Eckpfeiler in der Gesundheits- und Krankenversorgung der Stadt Nürnberg und der Metropolregion. Vor 125 Jahren begann die reiche Geschichte des Hauses als Krankenhaus im Nürnberger Norden. Prosperierende wie auch wechselvolle Jahre und Jahrzehnte folgten. Medizinische Expertise und bauliches Wachstum gingen dabei stets Hand in Hand. Zum 125. Geburtstag blickt Bernd Windsheimer, Geschäftsführer des Nürnberger Vereins Geschichte Für Alle e.V., zurück.

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Nürnbergs erstes Krankenhaus eröffnete 1845. Bis dahin war in Nürnberg das Heilig- Geist-Spital die zentrale Einrichtung für die Versorgung von Armen, Alten und Kranken. Nicht die Heilung des Körpers, sondern die der „Seele“ stand im Mittelpunkt.

Das Haus in der Sandstraße mit seinen anfangs knapp 270 Betten in 79 Zimmern war der erste große Neubau außerhalb der Stadtmauern. Behandelt wurden hier Dienstboten, Gesellen und Arme, für die dies im Gegensatz zum Bürgertum nicht zuhause möglich war. Im Zeitalter der Industrialisierung zwangen das rapide Bevölkerungswachstum und Epidemien wie die Cholera oder die Grippe zur stetigen Ausweitung der Kapazität des alten Krankenhauses. Die Bettenzahl stieg durch Anbauten im ehemaligen Klinikgarten auf 380.

Das alte Krankenhaus, im Vordergrund Klinikdirektor Gottfried Merkel mit Ärzten und Pflegeschaft

Das alte Krankenhaus, im Vordergrund Klinikdirektor Gottfried Merkel mit Ärzten und Pflegeschaft

Da eine weitere Vergrößerung nicht möglich war, stand bald außer Frage, dass ein größerer Neubau notwendig würde. Die städtischen Kollegien beauftragten Klinikdirektor Gottlieb Merkel und den Architekten Heinrich Wallraff mit einer Besichtigungsreise zu vorbildhaften Krankenanstalten in Deutschland. Die Entscheidung fiel für eine Krankenanstalt im Pavillonsystem nach dem Vorbild von Hamburg-Eppendorf.

Das neue Krankenhaus an der Flurstraße, 1897

Das neue Krankenhaus an der Flurstraße, 1897

Die neue Krankenstadt im Stadtteil St. Johannis

Als Standort für den Neubau entschied man sich für ein Grundstück am Rande der nordwestlichen Vorstadt St. Johannis. Hier stand bereits das Genesungshaus, eine kleine Zweigstelle des alten Krankenhauses.

Nach nur zweieinhalbjähriger Bauzeit konnte Nürnbergs neue Krankenanstalt am 5. September 1897 feierlich eingeweiht werden. Auf einer mehr als zehn Hektar großen Fläche waren, aufgelockert durch Grünanlagen, 30 Gebäude, darunter 18 Krankenbauten mit 760 Betten sowie 100 Betten für das in der Anstalt wohnende Personal, entstanden.

Mit der durch diese Bauweise ermöglichten guten Durchlüftung wollte man die Verbreitung von Infektionskrankheiten durch „verseuchte Luft“ verhindern. Das von einer 2,5 Meter hohen Mauer umgebene Grundstück bot ausreichend Platz für zukünftig notwendig werdende Erweiterungen.

Die Spanische Grippe wütete auch in Nürnberg und füllte die Krankensäle.

Die Spanische Grippe wütete auch in Nürnberg und füllte die Krankensäle.

Trotz großzügiger Planung herrschte bereits im Jahr 1900 wieder Platzmangel; durch Aufstockungen und die Einglasung von Liegehallen gewann man Platz für weitere Betten. Bis zum Ersten Weltkrieg stieg die Bettenzahl mit der Errichtung weiterer Krankenbauten auf über 1300.

Gottfried Merkel ist Vater des neuen Städtischen Krankenhauses.

Gottfried Merkel ist Vater des neuen Städtischen Krankenhauses.

Mit den Bauten 36 und 37 hatte die Stadt erstmals auch vor Ort Behandlungskapazitäten für tuberkulosekranke Männer und Frauen. Die „Schwindsucht“, wie die Tbc umgangssprachlich genannt wurde, galt als Volkskrankheit und stand bereits seit den 1890er-Jahren im Brennpunkt der deutschen Gesundheitspolitik. Jährlich starben 150.000 Menschen an der Krankheit, darunter viele junge Erwachsene.

Näherei, 1905

Näherei, 1905

Zwischenkriegszeit und Reformjahre: Die Weimarer Republik

Trotz der wirtschaftlichen Krisenjahre am Beginn und Ende der Weimarer Republik gelangen der Stadt Nürnberg in den 1920ern wegweisende Neubauten und grundlegende Verbesserungen im medizinischen und pflegerischen Bereich.

Seit 1919 übernahm die Stadt das privat betriebene Wöchnerinnenheim. Es wurde deutlich erweitert und behelfsmäßig im Krankenbau des neuen Sebastianspitals untergebracht. Ebenfalls zur besseren medizinischen Versorgung von Nürnbergs Frauen trug eine 1923 eingerichtete gynäkologische Station mit 75 Betten bei.

Das mit Abstand größte Projekt dieser Jahre war jedoch der Neubau der Frauenklinik mit 252 Betten und einem angeschlossenen Säuglings- und Kleinkinderheim mit 116 Betten an der Rieterstraße, die im Dezember 1930 eröffneten.

Die neue Frauenklinik 1930.

Die neue Frauenklinik 1930.

Als der Stadtrat 1925 in der Ägide des Gesundheits- und Wohlfahrtsreferenten Hermann Heimerich den Neubau beschlossen hatte, fanden bereits ein Drittel aller Geburten Nürnbergs im behelfsmäßigen Wöchnerinnenheim im Sebastianspital statt, das aus allen Nähten platzte. Mit dem Beschluss verabschiedete sich die Stadt für viele Jahrzehnte von den bereits eingeleiteten Planungen für den Bau eines zweiten Krankenhauses mit über 1.000 Betten.

1914 - 1918

Während des Ersten Weltkriegs wurde im Städtischen Krankenhaus ein großes Reservelazarett für kranke und verwundete Soldaten mit über 500 Betten eingerichtet. Im letzten Kriegsjahr 1918 kam als weitere Herausforderung eine weltweit grassierende Pandemie hinzu: die Spanische Grippe. Allein in der zweiten Jahreshälfte starben im Klinikum mehr als tausend Erwachsene und über 320 Kinder und Jugendliche an dieser Krankheit.

Spendenbüchse

Spendenbüchse

1920er-Jahre

Ende der 1920er-Jahre verzeichnete das Krankenhaus einen absoluten Höchststand an Patienten. Schon im Jahr darauf spiegelten sich die Folgen der Weltwirtschaftskrise jedoch in stark gesunkenen Einweisungen deutlich wider. Die Belegungszahlen blieben bis weit in die NS-Zeit hinein auf diesem niedrigen Niveau. Erst 1942/43 wurde wieder der Stand der späten zwanziger Jahre erreicht.

Genesenenhaus, später Wöchnerinnenheim Rieterstraße, 1927

Genesenenhaus, später Wöchnerinnenheim Rieterstraße, 1927

Neubau der Psychiatrie „Bau 21“, 1927 Balkon der Säuglingsklinik, 1930

Neubau der Psychiatrie „Bau 21“, 1927 Balkon der Säuglingsklinik, 1930

Balkon der Säuglingsklinik, 1930

Balkon der Säuglingsklinik, 1930

Medizin im Nationalsozialismus

Die Belegung mit Patient*innen auf niedrigem Niveau und die „ausmerzende“ nationalsozialistische Gesundheitspolitik machten weitere Neubauten in den Jahren 1933 bis 1945 unnötig. Nur noch schwere Erkrankungen wurden im Klinikum behandelt, da Einweisungen auf diese Fälle begrenzt oder zu lange hinausgeschoben wurden. Bezeichnenderweise waren die einzigen Neubauten dieser Jahre der in den Jahren 1941/43 errichtete Hoch- und Tiefbunker sowie fünf Krankenbaracken für Zwangsarbeiter, die man in der abgelegenen nordwestlichen Ecke versteckt hatte.

Prof. Konrad Bingold, Leiter der 1. Medizinischen Klinik, wurde im Dezember 1936 entlassen, da seine Ehefrau jüdischer Herkunft war.

Prof. Konrad Bingold, Leiter der 1. Medizinischen Klinik, wurde im Dezember 1936 entlassen, da seine Ehefrau jüdischer Herkunft war.

Bereits Ende März 1933 waren die am Krankenhaus tätigen jüdischen Ärzt*innen entlassen beziehungsweise zum Rücktritt gezwungen worden (siehe hierzu auch den Beitrag zu Prof. Ernst Nathan). Im Dezember 1936 wurde der Chefarzt der Zweiten Inneren Medizin, Konrad Bingold, in den zwangsweisen Ruhestand versetzt. Er hatte sich geweigert, sich von seiner jüdischen Ehefrau scheiden zu lassen. Ab Ende 1937 durften keine jüdischen Patient*innen mehr aufgenommen und behandelt werden.

Saal der Frauenklinik in den 1930er-Jahren

Saal der Frauenklinik in den 1930er-Jahren

Im Bereich der Pflege scheiterte die angestrebte Ersetzung der Neuendettelsauer Schwestern durch ideologisch geschulte NS-Schwestern weitgehend. Nur an der Zweiten Medizin und der Frauenklinik wurden die „Braunen“ Schwestern eingesetzt. In der Frauen- und Säuglingsklinik waren in diesen Jahren Geburtenrekord und Zwangssterilisationen zwei Seiten einer Medaille. Während 1935 so viele Geburten wie nie verzeichnet wurden und das Regime darin einen Erfolg der Geburtenförderungspolitik für „erbgesunde deutsche Familien“ sah, standen dem die Zwangssterilisationen der vom Regime als „minderwertig und erbkrank“ definierten Menschen gegenüber. Zwischen 1934 und 1937 führte Klinikleiter Hans Gänssbauer bei 490 Frauen derartige Eingriffe durch, es starben sieben Frauen.

Der Luftangriff vom 1. August 1943 zerstörte große Teile des Krankenhauses. 1200 Betten waren nicht mehr nutzbar.

Der Luftangriff vom 1. August 1943 zerstörte große Teile des Krankenhauses. 1200 Betten waren nicht mehr nutzbar.

Im Hochbunker wurde nach dem Luftangriff 1944 der Notbetrieb der Frauen- und Säuglingsklinik aufrechterhalten.

Im Hochbunker wurde nach dem Luftangriff 1944 der Notbetrieb der Frauen- und Säuglingsklinik aufrechterhalten.

Literatur und Autor: Bernd Windsheimer Quelle:100 Jahre Klinikum Nürnberg. Die Geschichte des Nürnberger Gesundheitswesens im 19. und 20. Jahrhundert, Nürnberg 1997.

Prof. Dr. Ernst Nathan (23. Mai 1889 – 1. November 1981)

Nürnberg ehrt mit der Benennung der Prof.-Ernst-Nathan-Straße den ehemaligen Chefarzt seines Städtischen Krankenhauses, der 1933 von den Nationalsozialisten entlassen worden war. Die Straßenbezeichnung erinnert aber auch an alle jüdischen Ärztinnen und Ärzte in Nürnberg, die aus rassistischen, antisemitischen Gründen entlassen oder denen später die Approbation entzogen wurde.

Prof. Dr. Ernst Nathan war Ende März 1933 gezwungen worden, seinen „Urlaub“ ohne Ruhegehalt sofort anzutreten, noch vor Inkrafttreten des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das dem Unrecht einen legalen Anstrich geben sollte. Aus Verbundenheit mit „seiner“ Klinik erklärte er sich trotz der Umstände bereit, noch seinen Nachfolger einzuarbeiten.

Der renommierte Arzt und Wissenschaftler hatte als junger Arzt in Frankfurt am Institut von Paul Ehrlich sowie der universitären Hautklinik gearbeitet und sich 1922 habilitiert. Im September 1923 war er zum Chefarzt der Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten ans Städtische Krankenhaus nach Nürnberg berufen worden.

Ernst Nathan praktizierte nach seiner Zwangsentlassung bis zum Approbationsentzug für alle jüdischen Ärzt*innen durch das Regime 1938 in seiner Wohnung. Im März 1939 gelang es ihm mit seiner Familie nach New York zu emigrieren.

Prof. Dr. Ernst Nathan starb 1981 nach jahrzehntelanger ärztlicher Tätigkeit in New York.

Neubeginn und schneller Wiederaufbau

Nach Kriegsende im April 1945 schien das Städtische Krankenhaus am Ende zu sein: Die Gebäude waren zu 70 Prozent zerstört und die Belegung auf einen absoluten Tiefststand von 112 Patienten gesunken. Die Amerikaner hatten Krankenhausdirektor Erwin Kreuter, der langjähriges SS- und Parteimitglied gewesen war, verhaftet und im Lager Langwasser interniert.

Die zerstörte Frauenklinik nach dem verheerenden Luftangriff auf Nürnberg am 2. Januar 1945.

Die zerstörte Frauenklinik nach dem verheerenden Luftangriff auf Nürnberg am 2. Januar 1945.

Doch der bauliche und personelle Wiederaufbau vollzog sich notgedrungen sehr schnell, da aufgrund der schlechten Lebensbedingungen und Versorgungssituation Krankheiten grassierten und viele Patient*innen Hilfe im Klinikum suchten. Bereits 1947 standen nach der provisorischen Instandsetzung vieler Klinikgebäude mit nahezu 2.000 so viele Betten wie noch nie zur Verfügung. Der 1936 zwangspensionierte Konrad Bingold wurde von den Amerikanern 1945 als Unbelasteter zum neuen Klinikdirektor ernannt.

Bis Ende der 1950er-Jahre verdoppelte sich die jährliche Patientenzahl, die Zahl der Pflegetage stieg auf 800.000 an. Da die Neuendettelsauer Schwestern den Personalbedarf nicht mehr vollständig abdecken konnten, kamen anfangs Rot-Kreuz- Schwestern und später immer mehr freie Schwestern hinzu. 1957 errichtete man für das Pflegepersonal ein elfstöckiges Schwesternwohnheim mit 286 Einzelzimmern. Im gleichen Jahr erfolgte die Grundsteinlegung für den 1961 eingeweihten Y-Bau, den ersten Klinik-Großbau, der mit der alten Pavillonstruktur brach. Für ihn mussten die alten Krankenbauten 16, 17 und 18 sowie das alte Kesselhaus mit seinem 56 Meter hohen Schornstein weichen. Der Wiederaufbau des Krankenhauses galt nun als abgeschlossen, die kriegszerstörten Krankenbauten waren neu errichtet und die Bettenzahl hatte mit nahezu 2500 einen absoluten Höchststand erreicht.

Auf dem Weg zum größten kommunalen Krankenhaus Deutschlands

Die wichtigste Entwicklung der 1960er- und 1970er-Jahre war sicherlich die zunehmende Spezialisierung der Medizin: Die durch das rapide Wachstum entstandenen Großkliniken der Inneren Medizin oder Chirurgie wurden nach und nach in kleinere Einheiten mit speziellen Schwerpunkten aufgeteilt.

Die 1960er- und 1970er-Jahre waren geprägt von einem Schwestern- und Ärztemangel, wobei allein in den Siebzigern die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um 40 Prozent zunahm. Eine Zäsur stellte der Abzug der letzten 35 Neuendettelsauer Schwestern im Jahr 1964 dar. 1970 wurden erstmals alle Krankenpflegeschulen zentral in der ehemaligen Pflege- und Krippenanstalt der Neuendettelsauer Schwestern in der Heimerichstraße untergebracht.

Luftaufnahme des Klinikareals 1960: Im Vordergrund der neue „Y-Bau“ kurz vor Fertigstellung, im Hintergrund das 1957 eröffnete Schwesternwohnheim.

Luftaufnahme des Klinikareals 1960: Im Vordergrund der neue „Y-Bau“ kurz vor Fertigstellung, im Hintergrund das 1957 eröffnete Schwesternwohnheim.

In vielen Bereichen war das Klinikum Nürnberg, wie es seit 1978 offiziell hieß, deutschlandweit Vorreiter: 1976 erhielt Nürnberg ein in seiner Größe und Leistungsfähigkeit einmaliges Radiologisches Institut, 1977 wurde eine 5. (Innere) Medizin mit onkologischem Schwerpunkt eingerichtet, 1978 folgte die erste psychosomatische Klinik und 1979 wurde die Neurologie selbstständig. Aber auch bei der Ernennung von Patientenvertretern im Jahr 1977 war Nürnberg bundesweit führend. Das Klinikum Nürnberg mit seinen inzwischen über 2700 Betten galt nun als größtes kommunales Krankenhaus Deutschlands.