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Schwerpunkt

Die Ressource Nachwuchs wird knapp

In den nächsten Jahren stehen stets weniger Jugendliche vor der Entscheidung, eine Berufsausbildung oder eine gymnasiale Matura anzustreben. Das Buhlen um die Fachkräfte von morgen nimmt zu.

Karrierestart mit einer Berufslehre: Isabell Rohner (links) ist Polymechanikerin, Kaya Keller Polymechaniker im ersten Lehrjahr bei SFS.

Prognosen haben manchmal etwas Erheiterndes – wenn man sie rückblickend betrachtet. Schon zu Beginn der Industrialisierung wurde befürchtet, dass Maschinen die menschliche Arbeitskraft überflüssig machen. Tatsächlich gab es seither auch Phasen mit hoher Arbeitslosigkeit – die aber kaum durch den Grad der Technisierung hervorgerufen wurden. Auch der Computer und, mit ordentlicher Verspätung, eine nun einsetzende konsequente Digitalisierung, haben nicht zu einem Einbruch der Beschäftigung geführt. Ganz im Gegenteil: Die Wirtschaft floriert, und Arbeitskräfte sind gefragt wie noch nie. Allerdings vielfach in Jobs, die es vor wenigen Jahren gar noch nicht gab. Gefragt sind grundsätzlich Menschen, die etwas können: Fachkräfte.

Die Schweiz hat mit der dualen Berufsbildung ein Plus im Bildungssystem, das im Ausland oft bewundert und selten verstanden wird.

Da hat die Schweiz etwas zu bieten, wie man nüchtern festhalten darf: In Werkhallen und Bürotürmen sind durchwegs Leute am Werk, die etwas können. Die hiesige Wirtschaft ist innovativ, produktiv und wettbewerbsfähig, was nicht das Verdienst einiger weniger ist, sondern eines im Vergleich ziemlich bemerkenswerten Gesamtkunstwerks: Neben einer immer noch einigermassen liberalen Wirtschaftsordnung, die findigen Köpfen Bewegungsfreiheit lässt, hat die Schweiz mit der dualen Berufsbildung ein Plus im Bildungssystem, das im Ausland oft bewundert und selten verstanden wird.

Importierte Fachkräfte

Sowohl über die Berufsbildung als auch über die akademische Ausbildung produziert die Schweiz Jahr für Jahr einen beträchtlichen Teil jener Fachkräfte, die das Rückgrat unserer Wirtschaft sind. Doch weil die Wirtschaft erfolgreich ist, braucht sie noch mehr Fachkräfte. Manche finden sich, wenn man über den Tellerrand schaut: Über 340000 Grenzgänger, 6,7 Prozent aller Beschäftigten, zählte das Bundesamt für Statistik für 2020. Weil das immer noch nicht reicht, ist auch die Zuwanderung ein wichtiges Reservoir an Fachkräften. 141000 Ausländer zogen 2021 in die Schweiz, während 74000 das Land verliessen (Zahlen ohne Flüchtlinge). 138000 davon kamen, um hier zu arbeiten.

Während in der Bevölkerungsstatistik vor 50 Jahren die Altersgruppen 5-9 Jahre, 20-24 Jahre und 25-29 Jahre mindestens doppelt so gross waren wie etwa die Gruppe der 65-69-Jährigen, zeigt sich für 2020 ein völlig anderes Bild: Die grössten Gruppen sind 50-54 Jahre und 55-59 Jahre. Von 0-4 Jahre bis zu 15-19 Jahre sind alle Altersklassen deutlich kleiner. Das bedeutet: Während bald eine grosse Zahl der Erwerbstätigen vor der Pensionierung steht, treten weniger junge Leute neu ins Erwerbsleben ein. Wenn die Wirtschaft nicht einen grossen Dämpfer erfährt, wird die Klage über den Fachkräftemangel noch lauter. Und es wird absehbar mit härteren Bandagen um den talentierten Nachwuchs gekämpft.

Tiefe Matura-Quoten in der Ostschweiz

Während im Schweizer Durchschnitt rund 22 Prozent der Jugendlichen eine gymnasiale Matura ablegen, ist dieser Anteil in der Ostschweiz durchwegs tiefer: Appenzell Ausserrhoden liegt im Bereich von 16.5 Prozent, Appenzell Innerrhoden mit stark schwankenden Zahlen meldete zuletzt 19 Prozent, im Thurgau und in St.Gallen sind es etwas über 15 Prozent. Weil der Kanton St.Gallen verlauten liess, die Matura-Quote «leicht erhöhen» zu wollen, befürchten nun viele Verfechter der dualen Berufsausbildung, dass man ihnen in einer Situation, in der es ohnehin schwierig ist, alle Lehrstellen zu besetzen, die potenziell besten Stifte wegschnappt.

Im St.Galler Rheintal wird die duale Berufsausbildung seit je her besonders geschätzt, hier hat auch die HansHuber-Stiftung ihren Sitz, die sich konsequent für die Berufslehre als «Ausbildungssystem, das am Ursprung der Wettbewerbskraft unseres Landes steht» einsetzt. Die Maturaquote im Rheintal ist besonders tief, Bestrebungen, das zu ändern, finden auch hier nicht nur Beifall.

Gegenüber SRF verteidigte der St.Galler Bildungsdirektor Stefan Kölliker in diesem Sommer die Absicht, die MaturaQuote etwas anzuheben: «Wer eine Mittelschule oder Matura wählt, wählt in der Regel auch ein Studium. Das ist wiederum im Interesse der Unternehmen. Man braucht qualifiziertes Personal auf allen Stufen.»

Qualifiziertes Personal bekommt man dann, wenn die richtigen Leute die richtigen Ausbildungswege einschlagen, darin besteht weitgehend Einigkeit. Es hätte also sein Gutes, wenn Bildungsinstitutionen und Wirtschaftsorganisationen durch die Knappheit der Ressource Nachwuchs dazu angestachelt werden, ihre Ausbildungswege offensiver zu präsentieren. Die Jugendlichen hätten noch mehr Möglichkeiten als heute, nicht nur ihre Fähigkeiten zu vermessen, sondern vor allem ihre Interessen zu entdecken.

Text: Philipp Landmark Bilder: Marlies Thurnheer

Unermüdlicher Einsatz für die Berufslehre

Die Hans-Huber-Stiftung fördert seit 25 Jahren die duale Berufsausbildung – sie will Jugendliche motivieren, sich auch die Möglichkeiten des Lehrstellenmarktes anzuschauen, wie Stiftungspräsident Christian Fiechter sagt.

Der Namensgeber der Hans-Huber-Stiftung ist eine Ostschweizer Industrie-Legende: Der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Hans Huber machte in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs eine Lehre als Eisenwarenkaufmann in der Eisenwarenhandlung B. Stadlers Erben. 1949 gründete er für seinen Betrieb eine Filiale in Heerbrugg. Aus dieser wuchs die SFS Group mit heute über 10000 Mitarbeitern und einem Umsatz von annähernd zwei Milliarden Franken.

Mit einem Lehrabschluss in der Tasche kann man also einen Weltkonzern erschaffen oder leiten, wie der Präsident der Hans-Huber-Stiftung, Christian Fiechter, darlegt: «Auch der heutige CEO der SFS, Jens Breu, ging nicht ans Gymnasium, sondern machte eine Werkzeugmacher-Lehre.» Freilich liess er es nicht dabei bewenden, Breu liess sich an der Fachhochschule St.Gallen zum Maschinenbau-Ingenieur ausbilden und absolvierte später an der Cleveland State University ein MBA-Programm.

«Per se mehr Leute an die Mittelschule bringen zu wollen ist nicht sinnvoll. Bestimmen muss das der Markt.»

Auch Christian Fiechter selbst startete in den Sechzigerjahren bei SFS mit einer kaufmännischen Lehre, wurde Topmanager und war schliesslich 1997 im Verwaltungsrat dabei, als Hans Huber 70 Jahre alt wurde und sein Ausscheiden aus dem Gremium bevorstand. Quasi als Abschiedsgeschenk gründeten SFS und Hans Huber gemeinsam die Stiftung, die sich um die Berufslehre kümmert.

Die Stiftung sollte ihre Tätigkeit eigentlich aus dem Ertrag des Stiftungskapitals finanzieren, das die SFS und Hans Huber einbrachten. Das funktioniert aufgrund der tiefen Zinsen schon länger nicht mehr, weshalb die SFS und die private Holding Huwa-Beteiligungen des 2018 verstorbenen Hans Huber jährlich einen sehr namhaften Betrag beisteuern.

Als es noch Lehrstellenmangel gab

«Hans Huber war seit je her ein Verfechter der Berufslehre», sagt Christian Fiechter, «auch, weil das Wachstum von SFS hier in der Region ohne eigene Ausbildung nie möglich gewesen wäre. All die Polymechaniker – Werkzeugmacher, wie sie früher noch hiessen – hätten wir nie auf dem Markt gefunden.»

Als die Hans-Huber-Stiftung «zur Förderung der dualen Berufsbildung» als einzigem Stiftungszweck gegründet wurde, sah man zwei Probleme, wie Christian Fiechter erklärt: Dass es zu wenig Fachleute aus der Berufslehre geben könnte, aber auch, dass es einen Lehrstellenmangel geben könnte. «Es gab damals Jugendliche, die keine Lehrstelle fanden. Zu jener Zeit war der Lehrlingsmarkt bei Weitem noch nicht so gross wie heute.» Inzwischen sieht das ganz anders aus: Lehrstellen gibt es zur Genüge, es wird aber zunehmend schwierig, alle zu besetzen. Und deshalb fokussiert sich die Stiftung darauf, Jugendliche zu motivieren, eine Berufslehre als möglichen Ausbildungsweg ins Auge zu fassen.

Aufgrund der demografischen Entwicklung sinkt die Zahl der Jugendlichen, die sich überhaupt für eine Berufslehre oder den Weg an eine Maturitätsschule entscheiden können. Die Geburtenraten steigen zwar wieder, bis aber wieder mehr Jugendliche an der Schwelle der Berufsausbildung stehen, dauert es noch gute 15 Jahre.

Maturität absorbiert mehr Jugendliche

«Es liegt uns fern, Maturität und Lehrstellen gegeneinander auszuspielen», betont Christian Fiechter mehr als einmal im Gespräch. «Es braucht beides – in einem vernünftigen Verhältnis.» Sicher brauche es mehr Leute aus der Berufslehre als Akademiker. Dieses Verhältnis kippe langsam, in manchen Regionen schon sehr stark: «Es macht uns Sorgen, dass der Weg zur Maturität immer mehr Schüler absorbiert und die Kantonsschulen wachsen.»

Insbesondere in der Agglomeration Zürich seien Nachhilfekurse zur Vorbereitung der Kanti-Aufnahmeprüfungen eine regelrechte Industrie geworden. «Da geben Eltern tausende von Franken aus, um ihre Kinder durch die Aufnahmeprüfung zu bringen», sagt Christian Fiechter. «Das ist ein Blödsinn, denn sie bestehen wohl die Prüfung, fliegen aber oft danach raus und sind gar nicht studierfähig.»

Christian Fiechter ist Präsident der Hans-Huber-Stiftung, die sich für die Förderung der dualen Berufsbildung einsetzt.

Den Drang an die Mittelschulen erklärt sich Christian Fiechter auch mit herrschenden Vorurteilen: Jemand, der die Matura geschafft hat, verdiene später mehr. «Das stimmt so nicht», wendet Christian Fiechter ein. Allenfalls sei der Lohn im Moment des Lehrabschlusses oder des Schulabgangs höher, wenn ein Lehrling im Alter von 20, ein Student aber im Alter von 25 Jahren einsteige. «Wenn der HSG-Absolvent in eine Bank geht, verdient er in diesem Moment sicher mehr», sagt Fiechter, «aber im Verlauf der Zeit ändert sich das, das kann man nachweisen.» Wenn ein Lehrabgänger sich bemühe und nicht 50 Jahre das Gleiche mache, sondern sich weiterbilde, dann glichen sich die Saläre aus – «man übersieht, wie viele Manager aus der Lehre kommen».

«Du hast das Zeug für die Kanti»

Christian Fiechter beobachtet, dass gerade Eltern, die selbst Akademiker sind, ganz selbstverständlich wollen, dass auch ihre Kinder Akademiker werden. Zudem heisse es auch in den Schulen sehr oft «du hast ein gutes Zeugnis, du hast das Zeug für die Kanti». Was Christian Fiechter ärgert: «Der Spruch ist einfach falsch. Damit sagt man: Wenn du das Zeug nicht hast, kannst du ja immer noch eine Lehre machen. Nur schon dieser Satz wertet die Lehre ab!» Es sei ein Fehler, Lehrer daran zu messen, wie viele Schüler sie an die Kanti bringen und nicht, wie viele eine sinnvolle Anschlusslösung haben.

Vielen Jugendlichen wiederum fehlten die Entscheidungsgrundlagen, wie Christian Fiechter sagt: Wenn man Schüle-

rinnen und Schüler frage, warum sie das Gymnasium gewählt haben, antworte ein hoher Prozentsatz, sie hätten nicht gewusst, was machen.

Zuzüger kennen Lehre nicht

Ein Problem gebe es auch bei Zuzüger aus Ländern, die keine Berufslehre kennen. Viele Eltern verstünden die Berufslehre nicht, deshalb sei es beispielsweise für viele deutsche Eltern klar, dass ihr Kind zwingend ans Gymnasium gehen müsse.

Dass in der Schweizer Wirtschaft immer mehr ausländische Führungskräfte wirken, die ebenfalls die Berufslehre nicht kennen, sei ein weiteres Problem: «Die bevorzugen eher die Maturitätsabgänger.» Christian Fiechter kennt sogar einen Fall, als ein ausländischer Manager in seinem industriell geprägten Betrieb die Berufslehre ganz abschaffen wollte, weil das nur Geld koste und nichts bringe. «Zum Glück hat ihn dann der Verwaltungsrat zurückgepfiffen.»

«Es liegt uns fern, Maturität und Lehrstellen gegeneinander auszuspielen.»

In der SFS läuft das noch anders, wie der frühere SFSManager sagt: «Wenn bei uns ein Bewerber von der ETH und einer von einer Fachhochschule kommen, dann sind die grundsätzlich gleichwertig ausgebildet – und dann nehmen wir den von der Fachhochschule», erklärt Fiechter. «Der hat schon gelernt, zu arbeiten, der weiss, wie es in einem Betrieb funktioniert. Jemand, der aus einem Studium kommt, weiss das noch nicht.»

Das führt dazu, dass in der SFS die Berufslehre in sämtlichen Bereichen sehr stark vertreten ist, auch bei den Ingenieuren kommen die meisten aus einer Fachhochschule, «vor allem Buchs ist für uns ein wichtiges Reservoir», sagt Fiechter. Die SFS motiviert ihrerseits ihre guten Lehrabgänger, an eine Fachhochschule zu gehen, und unterstützt sie: Das Studium können sie auch berufsbegleitend absolvieren, dafür bekommen sie die Möglichkeit, reduziert zu arbeiten.

Tiefe Maturaquote im Rheintal

Im Rheintal ist die Maturaquote mit rund zehn Prozent sehr tief, der Wert entspricht nicht einmal der Hälfte des Schweizer Durchschnitts von 22 Prozent und liegt auch tiefer als sonst im Kanton St.Gallen, wo etwas über 15 Prozent aller Schülerinnen und Schüler eine Gymnasiale Matur ablegen.

Christian Fiechter sieht in diesen Zahlen kein Problem, hingegen in den Bestrebungen, die Maturaquote zu erhöhen: «Per se mehr Leute an die Mittelschule bringen zu wollen, ist nicht sinnvoll. Bestimmen muss das der Markt.» Auch auf diesem Markt ist die Rheintaler Wirtschaft sehr erfolgreich, wie Fiechter nicht ungerne einräumt: «Ein Grund für die tiefere Maturitätsrate im Rheintal sind sicher die Aktivitäten unserer Stiftung, in erster Linie aber das hervorragende Lehrstellenangebot im Rheintal.»

Neben der Hans-Huber-Stiftung gibt es im Rheintal weitere Organisationen, die sich für die Berufslehre stark machen, etwa der Verein Chance Industrie Rheintal, zu dem Christian Fiechter war Mitglied der Geschäftsleitung der SFS Services AG und Verwaltungsrat der SFS Holding AG. Begonnen hatte er seine Laufbahn mit einer KV-Lehre.

sich 13 grössere Unternehmen zusammengeschlossen haben, die zusammen rund 400 Lernende beschäftigen. Am jährlichen Berufsevent (dieses Jahr am 17. und 18. November in St.Margrethen) können sich Schülerinnen und Schüler über verschiedenste Berufe informieren lassen – auf Augenhöhe, direkt von Lernenden der jeweiligen Betriebe.

Image der Lehre verbessern

Heute verfolgt die Hans-Huber-Stiftung vor allem zwei Ansätze. Um die Berufslehre in der Allgemeinheit besser bekannt zu machen und um ihr Image zu verbessern, verleiht die Stiftung verschiedene Preise. Mit dem Hans Huber Anerkennungspreis werden jedes Jahr zwei Persönlichkeiten aus dem Kerngebiet der Stiftung ausgezeichnet. Dieses Kerngebiet umfasst die Kantone Thurgau, St.Gallen und beide Appenzell sowie das Fürstentum Liechtenstein und das österreichische Bundesland Vorarlberg. «Für den Arbeitsmarkt Rheintal ist der Rhein keine Grenze», erklärt Christian Fiechter, allein bei SFS würde rund 300 Grenzgänger arbeiten. «Wir sind auf den Arbeitsmarkt Vorarlberg angewiesen.» In Vorarlberg sei auch die Bedeutung der Lehre mindestens so gross wie im Rheintal, im Gegensatz zum übrigen Österreich.

Bei den ausgezeichneten Persönlichkeiten handelt es sich oft um Geschäftsführer, die sich um die Berufslehre verdient gemacht haben, dabei kommt neben einem grösseren stets auch ein kleinerer Betrieb zum Zuge. «Wir wollen die Bedeu-

tung vom Gewerbe als Ausbilder aufzeigen.» Fallweise wurden auch schon Berufsschullehrer ausgezeichnet.

An der grossen Veranstaltung in den Räumlichkeiten der SFS werden gleichzeitig die Hans Huber Förderpreise vergeben: Damit werden Trainer, die Teilnehmer der alle zwei Jahre abgehaltenen Berufsweltmeisterschaften zu Medaillen geführt haben, gewürdigt. Unabhängig von der Stiftung vergibt im Rahmen dieser Veranstaltung die SFS einen Lehrlingspreis an die besten Lernenden aus dem ganzen Rheintal aus Berufen, die auch SFS ausbildet.

Seit rund zehn Jahren kommt mit dem Nationalen Bildungspreis eine dritte Auszeichnung der Hans-Huber-Stiftung dazu, die auf die ganze Schweiz ausgerichtet ist. Ausgezeichnet werden damit Unternehmen, die möglichst als Leuchttürme wirken. Wenn die Chefin oder der Chef dieses Unternehmens selbst eine Berufslehre gemacht hatte, strahlt der Preis natürlich noch mehr. «Weil man uns in der Schweiz noch nicht kannte, vergeben wir diesen Preis gemeinsam mit FH Schweiz, dem Verein aller Fachhochschulabgänger», sagt Christian Fiechter. «Unterdessen ist der Preis eine Marke.» Dieser Preis wird an wechselnden Orten in Fachhochschulen verliehen.

Jugendliche selbst ansprechen

Die verschiedenen Auszeichnungen bringen der Berufslehre mediales Echo. Die Stiftung unterstützt aber auch Aktivitäten, um die Jugendlichen direkt anzusprechen. Mit dem Programm «Fit für die Lehre», das vom Arbeitgeberverband Rheintal vor bald 20 Jahren lanciert wurde, erhalten alle Oberstufen im Rheintal die Möglichkeit, einen halbtägigen Informationsanlass über das Thema Berufslehre anbieten zu können. Ursprünglich war das als einmalige Jubiläumsaktion des Arbeitgeberverbands gedacht. Die Schulen waren vom Angebot begeistert, weshalb daraus nun ein verstetigtes Angebot wurde: Jedes Jahr werden von Rheineck bis Oberriet über ein Dutzend Workshops abgehalten.

Die Hans-Huber-Stiftung bietet dasselbe Programm ihrerseits zusammen mit der Förderstiftung Polaris in der ganzen Deutschschweiz an, zwischen 10 und 15 solcher Informationsveranstaltungen werden jährlich durchgeführt.

«Das Wachstum von SFS hier in der Region wäre ohne eigene Ausbilddung nie möglich gewesen.»

Eignungen und Neigungen zählen

Christian Fiechter betont, dass es nicht darum gehe, einfach möglichst viele Jugendliche in die Berufslehre zu bringen. «Wir sagen nicht: ‹Ihr müsst eine Lehre machen›. Wir sagen: ‹Ihr solltet etwas machen, was Euren Eignungen und Neigungen entspricht›.»

Manchmal entdecken Jugendliche diese Neigungen erst später. Deshalb seien auch Kanti-Abgänger ein gutes Reservoir für die Berufslehre, erklärt Christian Fiechter. «Es gibt etliche Kanti-Abgänger, die nicht mehr weiter in die Schule wollen.» Nicht jeder Lehrling müsse 15-jährig sein, «das spielt doch keine Rolle, wenn jemand schon 20 ist». Diesen Jugendlichen müsse man aber eine andere Lehre anbieten, einen KantiAbgänger könne man nicht in die normale KV-Lehre schicken. «Allgemeinbildung haben sie schon drauf, das kann man streichen», meint Christian Fiechter, «die brauchen eine verkürzte Lehre, nur mit den praktischen Inhalten.»

«Man übersieht, wie viele Manager aus der Lehre kommen.»

Im Bereich KV gibt es solche Angebote, wenn es nach Christian Fiechter geht, sollte das für viele weitere Berufe auch erreicht werden. «Im Bereich Polymechaniker sind wir mit verschiedenen Unternehmen und dem Standort Buchs der Fachhochschule OST daran, ein Programm zu erstellen, um eine verkürzte Lehre anbieten zu können», sagt Christian Fiechter. «Der Staat muss aber nachziehen, damit wir auch diesen Lernenden ein Fähigkeitszeugnis geben können – sonst ist es ein Schuss in den Ofen.»

Eine Lehre fürs Leben

Der Präsident der Hans-Huber-Stiftung betont gerne, dass Jugendliche mit einer Berufslehre grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten wie mit einer Matura hätten. Er relativiert aber: «Wir können ja nicht alle zu Ingenieuren oder Finanzfachleuten weiterbilden. Es braucht auch noch Leute, die Maschinen bedienen, jemanden, der die Büroarbeit macht.» Deshalb müsse man den potenziellen Lernenden aufzeigen, dass der eigentliche Beruf interessant sei und dass die Ausbildung interessant sei. «Nach einer Lehre hat man einen interessanten Job, der nicht immer gleich ist.» Zudem erleichtere das breite Ausbildungsprogramm einer Berufslehre im Laufe des Berufslebens auch den Wechsel in einen anderen Beruf.

Interessant sei die Berufslehre auch deshalb, weil sich hier Jugendliche soziale Kompetenzen aneignen könnten. Wer ein Gymnasium und ein Studium absolviere, bewege sich bis 25 nur unter seinesgleichen. «Das ist ein Riesenvorteil der Berufslehre», hält Christian Fiechter fest: «In einer Lehre trifft man vom ersten Tag an andere Leute aus allen Altersklassen und unterschiedlicher sozialer Herkunft, mit denen man zusammenarbeiten muss. Die Berufslehre ist darum auch eine Lebenslehre.»

Die Tendenz, dass zunehmend Berufe akademisiert werden, ist für Christian Fiechter ein Ärgernis. «Wenn Pflegende im Gesundheitswesen oder Kindergärtnerinnen eine Matura brauchen, ist das völlig daneben.» Eine Gefahr sieht er auch darin, dass durch Reformen wie aktuell im KV in den Berufslehren das Praktische immer mehr an Bedeutung verliere. «Das kann dann dazu führen, dass kleine Betriebe nicht mehr ausbilden, weil der Aufwand zu gross wird.» Das wäre dann ein echtes Problem, denn die meisten Lehrabgänger kommen aus kleineren Betrieben, wie Christian Fiechter sagt, ganze drei Viertel kämen aus KMU.

Text: Philipp Landmark Bilder: Marlies Thurnheer

Dr. Ulrike Landfester ist Professorin für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität St.Gallen. Bis 2019 war sie Prorektorin der HSG.

«Fördert Talente, nicht Karriereausichten!»

Akademische Grundausbildungen würden sozial überbewertet, sagt HSGProfessorin Ulrike Landfester. Wenn Jugendliche erfolgreich werden wollen, sollten sie eine Ausbildung wählen, die ihren Talenten entspricht.

Ulrike Landfester, die Schweiz schafft jährlich neue Arbeitsplätze, aber immer weniger junge Leute kommen in den Arbeitsmarkt. Die Schweiz hat zu wenige Berufsleute, aber auch zu wenige Akademiker. Landet der Nachwuchs in den richtigen Ausbildungen?

Das kommt darauf an, wie man «richtig» definiert.

Definieren Sie es.

Es gibt viele junge Leute, die von ihren Eltern ermutigt werden zu studieren. Weil sie immer noch das Gefühl haben, ein Studium sei notwendig, um Karriere zu machen. Das ist ein Modell aus dem 20. Jahrhundert, aber diese Mentalität gibt es nach wie vor.

Gehen also die falschen Leute an die Universität?

Es geht nicht um falsche Leute, sondern um falsche Ausbildungstypen. Eine Bildungsinstitution sollte in der Lage sein, rechtzeitig Leute, denen der akademische Ausbildungstyp nicht wirklich liegt, darauf aufmerksam zu machen, dass sie anderswo vielleicht glücklicher wären.

Wie wollen Sie das filtern?

Für mich ist nicht das Kriterium, ob jemand die ganz schillernde Persönlichkeit wird oder gar der nächste Einstein. Ich finde es extrem wichtig, dass jemand dank der gewählten Ausbildung einen Ort findet, wo er oder sie wirklich mit sich und der Welt zufrieden ist und Freude daran hat, an ihr mitzugestalten.

Sind das die Studierenden nicht?

Aus meiner Erfahrung im Umgang mit Studierenden, besonders mit jenen in den frühen Semestern, wage ich zu behaupten, dass viele besser beraten wären, wenn sie sich zunächst mal auf das Praktische konzentrieren würden.

Also eine Lehre machen?

Zum Beispiel. Sie können ja später immer noch eine Weiterbildung wie etwa einen MBA machen, und damit sozusagen akademisches Cachet erlangen.

Das würde das Wachstum der HSG bremsen. Will man das?

An der HSG sind wir in einer besonderen Situation, weil wir als Universität ohnehin vergleichsweise praxisnah sind. Für uns ist es nicht immer ganz einfach, unsere Identität im Spannungsfeld zwischen Akademia und Praxis zu definieren. Wir haben als Universität sowohl Spielraum für die mehr praktisch Begabten als auch für die mehr akademisch Begabten. Das ist eine Besonderheit unserer Uni.

Andere Universitäten haben mehr «falsche» Studierende?

Nehmen wir mal meine Stammdisziplin: Die Erfahrung zeigt, dass viele Leute Germanistik studieren, weil ihnen nichts anderes einfällt. Bücher lesen, meinen sie, kann schliesslich jeder. Auf diesem Weg können sie am Ende des Tages dennoch einen akademischen Titel mit nach Hause nehmen.

Die Kritik, dass zu viele Geisteswissenschaftler ausgebildet werden, hört man immer wieder.

Ganz so einfach ist das nicht. Das Glas ist da sowohl halb voll als auch halb leer. Geisteswissenschaftler sind aufgrund des enormen Arbeitsmarktdrucks extrem beweglich, die kann man fast überall hinsetzen. Nach einer Zeit des Eingewöhnens können sie in fast jedem beruflichen Umfeld die Probleme lösen, die es zu lösen gibt. Es gibt aber auch viele, denen es besser getan hätte, eine Lehre zu machen.

Der Kanton St.Gallen möchte die im Schweizer Vergleich tiefe Matura-Quote leicht anheben.

Wir wollen mehr qualifizierte Leute in allen Bereichen und haben weniger Jugendliche, die sich für eine nichtakademische Ausbildung entscheiden wollen oder können. Diesen Widerspruch bekommen wir nicht mit Matura-Quoten unter Kontrolle. Und auch ganz sicher nicht dadurch, dass man Berufe, die das eigentlich weder brauchen noch auf Dauer vertragen, flächendeckend akademisiert. Pflegeberufe zum Beispiel, Kindergärtnerinnen und -gärtner, oder das Ingenieurwesen, auch wenn die ETH da sicher eine Ausnahme darstellt. Theorie kann man auch in nichtakademischen Ausbildungen unterbringen, das ist einfach eine Frage des Augenmasses. Diese Akademisierung ist der direkte Effekt der Überbewertung akademischer Grundausbildungen.

Überbewertung?

Wenn wir in der Akademia über Doktorate und Höheres reden, das ist etwas anderes. Aber ja, die Grundausbildung bis zum Master wird in mancher Hinsicht überbewertet.

Noch immer herrscht die Grundhaltung vor, ein Studium sei karrierefördernder als andere Grundausbildungen. Wir müssen eine öffentliche Diskussion darüber anstossen, ob das heute eigentlich noch so stimmt – was ich persönlich eben nicht glaube. Das grösste Kapital unseres dualen Bildungssystems sind die unterschiedlichen Ausbildungstypen, die es anbietet, und die muss man gezielt profilieren und dehierarchisieren. Wenn ich auf den Arbeitsmarkt und auf die Gewerbler und Unternehmer in meinem Umfeld blicke, muss ich sagen: Da sind die Karriere-Chancen – und die Chancen zur Zufriedenheit – mindestens so gross wie bei uns Schreibtischtätern.

«Das Geschwätz von unnützen Akademikern ist genauso unangebracht wie das Heruntermachen von Berufsausbildungen.»

Wo muss man denn ansetzen?

Im Grunde müsste man den Eltern sagen: Fördert Talente und nicht vermeintliche Karriereaussichten! Das ist schwierig, weil Eltern selbstverständlich das Beste für ihre Kinder wollen. Es muss ins gesellschaftliche Bewusstsein eindringen: Man sollte die Erziehung eines Kindes nicht primär darauf ausrichten, dass es irgendwann möglichst viel Geld verdient. Ich frage Leute, die überlegen, in welche Richtung sie sich entwickeln sollen: Was macht dir Spass, was tut dir gut? Als Ausbildungsperson ermutige sie, ihrem Instinkt zu folgen und nicht nur an die maximalen Einstiegsgehälter bei einer Grossbank zu denken.

Es braucht also mehr Aufklärung.

Der eigentliche Auftrag der Akademia ist, den explorativen Gebrauch von Rationalität gesellschaftlich vermittelbar zu machen. Das bedeutet: Du denkst aus Neugierde, und nicht, weil du zu einem bestimmten Ziel kommen willst. Das ist ein Ausbildungstyp, der nicht zwingend jedem liegt, was aber eben auch heisst, dass es nicht für jeden der Beste ist.

Versteht die Gesellschaft das nicht mehr?

Die Darstellbarkeit der Institution Universität nach aussen hat gelitten. Wir Akademiker können oft nicht mehr klar sagen, was wir machen und wozu wir beitragen. Das halte ich für eine Katastrophe. Wir haben den Kontakt zur gesellschaftlichen Praxis verloren. Dieser Kontakt müsste seitens der Akademia neu aufgesetzt werden. Ein schwieriges Feld. Aber es wäre ganz dringend notwendig.

Zumindest hält sich die Vorstellung, via Universität in einem guten Leben zu landen.

Vor 50 Jahren noch war klar, Arbeiter sind Leute, die politisch links sind und meistens dreckige Hände haben. Diese Sorte gesellschaftlicher Klischees bleiben kleben, deshalb hat sich die Überzeugung gehalten, dass wer studiert hat, a priori kultivierter und sozial mobiler ist. Das ist heutzutage aber nicht mehr so. Es braucht definitiv Anstrengungen, diesen Wandel sichtbar zu machen.

Der Erfolg der Universität St.Gallen zeugt nicht von einem Wandel in der Wahrnehmung. Jedes Jahr wollen mehr junge Leute hier studieren.

Viele der Maturanden, die an unsere Uni kommen, kommen nicht in erster Linie, um eines Tages an die Akademia zu gehen, oder auch nur aus intrinsischem Interesse an der Wirtschaft, sondern weil sie sich von einem Wirtschaftsstudium gute Berufschancen erhoffen. Es ist gar nicht unbedingt die HSG, die für dieses Wachstum verantwortlich ist, es ist die globale Bedeutung der Wirtschaft insgesamt. Egal, was aus dir wird, wenn du aus der Wirtschaftsuniversität kommst, hast Du irgendetwas verstanden, was dir weiterhilft. Das kann man weiss Gott nicht von allen Disziplinen sagen. Wir bedienen eine globale, überall verbreitete Kulturtechnik. Und wir bedienen sie erst noch spezialisiert.

Wer aus der HSG rauskommt, ist nützlich?

Man versteht zumindest einigermassen, wie die Welt funktioniert. Heute würde ich sagen: Es würde jedem Geisteswissenschaftler guttun, ein Grundstudium in Wirtschaftswissenschaften abzulegen.

Wie brächte man Leute, die irgendein Studium beginnen, dazu, auch andere spannende Dinge anzuschauen?

Das ist etwas, was wir an der HSG seit unserer Gründung versuchen, indem wir die Studierenden dazu verpflichten, auch Veranstaltungen aus fachfremden Fächern zu absolvieren. Die disziplinäre Überspezialisierung ist eine der problematischsten Seiten der Akademia, und wir versuchen, das mit einem ganzheitlichen Ausbildungsmodell zu kompensieren. Erfreulicherweise funktioniert das auch – meistens zumindest. Da kommen dann oft Interessen und Talente zutage, die auch nach dem Studium lebendig bleiben.

Hat ein Kind nicht ohnehin bessere Karriereaussichten, wenn es etwas macht, bei dem seine Talente zum Tragen kommen?

Ja, man muss auch mögen, was man macht, sonst wird man nicht wirklich gut darin. Wenn man in etwas talentiert ist, dann wird man in diesem Gebiet eines Tages richtig gut sein. Wenn man nicht talentiert ist, schafft man es bis zum Durchschnitt. Höchstleistungen erbringt man nur, wenn man etwas wirklich gerne macht. Sonst macht es einen kaputt auf die Dauer.

Dennoch hört man schon in der Grundschule, dass die Gescheiten dann mal ans Gymnasium gehen.

Grundschule heisst Grundschule, weil sie die fundamentalen Wissensbestände vermittelt, die du brauchst – egal, was du machst. Du musst zählen, lesen, schreiben und heute vielleicht auch iPads bedienen können. Im Idealfall wäre es so, dass in der Oberstufe dann das Talent-Scouting stattfindet: Was ist dein Weg, was können wir darüber schon herausfinden? Das würde ein intensives Mentoring in der Schule be-

dingen, und man müsste die Eltern ins Boot holen. Sie müssten akzeptieren, was der beste Weg für ihren Sprössling ist. Meine Erfahrung ist aber: Eltern sind enorm kompetitiv, wenn es um ihre Kinder geht.

«Wenn man einen Beruf aufwertet, indem man ihn gut bezahlt, wertet man auch sein Image auf.»

Immerhin: Wenn die Erkenntnis erst später kommt, ermöglicht das durchlässige Bildungssystem der Schweiz immer noch Richtungswechsel in der Ausbildung.

Unser Bildungssystem ist grundsätzlich total super. Die Durchlässigkeit hat ihre Vorteile, sie ist aber auch eine Sollbruchstelle. Denn wenn etwas durchlässig ist, fängt die durchlässige Membran irgendwann an, zu erodieren. Und das ist ein Effekt, den wir im Moment sehen. Das war ja eine historische Entwicklung: Wir hatten auf der einen Seite die Berufsbildung, auf der anderen die akademische Bildung, und es kam die Idee auf, das ein bisschen durchlässiger zu gestalten. Dann wurde es ein bisschen mehr, und heute sagen die Fachhochschulen, sie wollen promovieren. Statt durchlässiger Grenzen bekommen wir eine Grauzone.

Sie sind gegen die Verwischung der Hierarchien?

Das Bildungssystem muss abgesichert werden durch ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein, dass es hier eben nicht um eine Hierarchisierung von unterschiedlichen Ausbildungstypen geht: da die Leute mit den dreckigen Händen, da die Akademiker mit den tollen Gehältern. Das stimmt so nicht! Aber wir müssen uns überlegen, wohin genau die Entwicklung eigentlich gehen soll. Was ist der Nutzen, auf den wir mit diesem System hinwirken wollen? Das ist ein Prozess, den man nicht auf dem Reissbrett entwerfen kann.

Führt die Durchlässigkeit zur Akademisierung der Berufsbildung?

Das kann man so sagen. Das zeigt sich wie erwähnt in der Akademisierung der Pflegeberufe. Was ich wirklich ein Desaster finde. Aber das hat ganz viel mit dem gesellschaftlichen Image zu tun. Wenn sich Leute eine Ausbildung aussuchen, tun sie das nach dem Schulabschluss nicht nur aufgrund ihrer Erfahrungen und Talente, sondern schauen auch auf das Image, das ein Job hat. Hier muss man ansetzen, bei den sogenannten Branding Narratives von Berufsausbildungen.

Ulrike Landfester:

«Wir müssen bei den Branding Narratives von Berufsausbildungen ansetzen.»

Text: Philipp Landmark Bild: Marlies Thurnheer

Nicht erst seit dem Fachkräftemangel versucht die Wirtschaft, Berufe möglichst attraktiv darzustellen.

Tatsächlich wird auch schon viel getan. Ich sehe mit Aufmerksamkeit und Freude, dass Jugendlichen verschiedenste Einblicke in Berufswelten geboten werden. Wir müssen aber das Image auf beiden Seiten aufpolieren. Ich werde jedes Mal stinksauer, wenn jemand sagt, Akademiker seien ein überflüssiges Volk.

Müssen sich Akademiker rechtfertigen?

Wir sind nur dann überflüssig, wenn wir nicht in der Lage sind, zu definieren, was wir gesellschaftlich beitragen. Wenn wir das definieren können, dann können wir auch sichtbar machen, dass wir in der Tat nützlich sind. Das Geschwätz von unnützen Akademikern ist genauso unangebracht wie das Heruntermachen von Berufsausbildungen, weil die angeblich proletarisch sind. Das sind ganz alte Kategorien, das erinnert an den Gewerkschaftsdiskurs der Sechziger- und Siebzigerjahre.

«Da sind die KarriereChancen mindestens so gross wie bei uns Schreibtischtätern. »

Das Image von Berufen zu korrigieren, hat auch mit den jeweiligen Salären zu tun.

Über Lohnungleichheiten könnten wir ein separates Gespräch führen… Klar muss man Pflegepersonen besser bezahlen, und zwar dringend. Ohne die wäre während der Pandemie das gesamte System zusammengebrochen. Wenn man einen Beruf aufwertet, indem man ihn gut bezahlt, wertet man auch sein Image auf. Pflegeberufe operieren noch stark mit einem altruistischen Image: Du hilfst jemandem, du bist ein guter Mensch. Aber davon kann man keine Miete bezahlen.

Trägt denn die Akademisierung eines Berufs nicht auch zu einem höheren Image bei?

Bei «Akademisierung» müssen wir zwei Dinge voneinander trennen. Akademisierung hat ihre Berechtigung, wo es darum geht, neugierig zu denken, selbstreflexiv zu denken. Das ist für mich der Kern von Akademisierung. Aber: Akademisierung muss abgeschieden werden vom Image einer sozial erhabenen Ausbildung. Das ist nicht dasselbe. Innovativ denken kann jeder, wenn man es ihm beibringt. Aber was die akademische Ausbildung lange Zeit gehypt hat und was jetzt immer mehr zu Hypothek wird, ist das Image, dass eine akademische Ausbildung etwas ganz Besonderes wäre. Dabei ist sie faktisch allenfalls ein Ausdruck von Privilegiertheit.

Text: Philipp Landmark Bilder: Marlies Thurnheer

Es wird Alternativen geben

Das Nein zum Sonderkredit Arealentwicklung Wil West der St.Galler Stimmbevölkerung ist aus wirtschaftlicher Sicht bedauerlich, aus Sicht der Landwirtschaft nachvollziehbar. Ob es in der Ostschweiz eine Möglichkeit gibt, einen Standort im ähnlichen Rahmen zu entwickeln, ohne dabei Kulturflächen zu beanspruchen, wird sich zeigen.

Mit dem Nein zum Sonderkredit ist das Gesamtvorhaben Wil West nicht grundsätzlich in Frage gestellt. So hält etwa der Thurgau an der geplanten Einzonung auf seinem Boden fest. Klar ist aber auch, dass das Areal nicht mehr wie geplant durch den Kanton St.Gallen mitentwickelt werden kann. Mit dem Projekt hätte sich eine ideale Zusammenarbeit zwischen den beiden Kantonen beweisen können.

Nun gilt es, rasch die offenen Fragen zu klären, wie es mit dem Gesamtvorhaben weitergehen soll – insbesondere, wie der Kanton St.Gallen mit seinem Grundeigentum umgehen wird. Ich bin unverändert überzeugt, dass Wil West eine grosse Chance für die Region und nun vor allem für den Thurgau ist. Bei der Gesamtentwicklung wird es derweil umso mehr darauf ankommen, das Innovations- und Wertschöpfungspotenzial der Region zu stärken. Ob das Projekt unter Berücksichtigung des Volkswillens mit hohen ökologischen Anforderungen zu realisieren ist, muss sich zeigen.

Für die Ostschweiz, insbesondere für den Kanton St.Gallen, ist eine wirtschaftliche Entwicklung nach wie vor zentral. Mit den Schwächen in der Ressourcenkraft und den wirtschaftlichen Aussichten müssen wir alles daran setzen, damit wir die bestehenden Unternehmen halten und neue ansiedeln können. Die Konjunkturrisiken sind angesichts der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der angespannten Energielage, der Teuerungsentwicklung, und andern Faktoren gegeben.

Darüber hinaus bestehen für St.Gallen weitere erhebliche finanzielle Risiken im Zusammenhang mit der Gewinnausschüttung der Nationalbank und der angespannten finanziellen Situation der Spitäler.

Michael Götte Gemeindepräsident Tübach Kantonsrat SVP St.Gallen

Die Suche nach geeigneten Lehrlingen ist für HolzbauUnternehmerin Marianne Raschle schwierig.

«Wir müssen die Berufslehre noch mehr stärken»

Die Raschle Holzbau AG in Kreuzlingen bildet seit Jahren Zimmerleute und Schreiner aus. Dieses Jahr war die Suche nach Lehrlingen besonders schwierig. Die Berufslehre habe keinen hohen Stellenwert, sagt Geschäftsführerin Marianne Raschle. Das müsse sich ändern. Sie will hierfür die Schulen stärker in die Pflicht nehmen.

«Wir hatten Glück», sagt Marianne Raschle. «Wir haben auch für dieses Jahr einen neuen Lehrling für den Beruf des Zimmermanns gefunden.» Allerdings, betont die Geschäftsführerin der Raschle Holzbau AG in Kreuzlingen, sei die Suche dieses Mal schwieriger und die Auswahl reduzierter gewesen. Deshalb hätten sie in diesem Sommer auch nur einen Lehrling eingestellt. Vor ein paar Jahren bekam das traditionsreiche Holzbauunternehmen am Bodensee noch mehr Bewerbungen und Anfragen, und es konnte seine bis zu drei Ausbildungsplätze zum Zimmermann oder zur Zimmerfrau jedes Jahr problemlos besetzen. Auch für die Schreinerlehre fand man regelmässig gute Lehrlinge. Das sei heute anders, habe aber nicht in erster Linie mit der Branche zu tun. «Die Berufslehre im Allgemeinen hat keinen so hohen Stellenwert», sagt Marianne Raschle, die das Unternehmen zusammen mit ihrem Mann Elmar führt.

Das spürt die Firma vor allem an ihrem Standort in Kreuzlingen, wo ein Viertel der ausländischen Bevölkerung aus Deutschland kommt. «Bei den Deutschen ist unser duales Bildungssystem wenig bekannt, und für sie ist eine Berufslehre oft weniger wert als eine weiterführende Schule.» Doch auch in der Schweiz leide das Image der Berufslehre nach wie vor, insbesondere jenes der handwerklichen Ausbildungen. «Viele junge Leute wollen heute nicht mehr auf dem Bau oder in einer Metzgerei arbeiten, weil ihnen diese Tätigkeiten körperlich zu anstrengend sind und sie diese zudem für minderwertig halten», sagt Marianne Raschle. «Doch wir brauchen die Fachkräfte, sonst kann die Wirtschaft nicht funktionieren.» Die Bemühungen von Politik und Wirtschaft in den vergangenen Jahren, das Ansehen der Berufslehre zu verbessern, hätten sicherlich einiges gebracht. «Aber wir müssen die Berufslehre noch mehr stärken.»

Mit den Schulen und den Eltern

Ein wichtiger Partner in diesem Zusammenhang sind für die Unternehmerin die Schulen. «Mit guten und umfassenden Informationen können die Lehrpersonen viel dazu beitragen, dass sich Schüler für eine Berufslehre entscheiden.» In Kreuzlingen beispielsweise haben Primar- und Oberstufe zusammen mit dem örtlichen Gewerbe vor acht Jahren die Betriebstage ins Leben gerufen. Dabei können Kinder und Jugendliche zusammen mit ihren Eltern an einem Tag im November ein Unternehmen ihrer Wahl besichtigen und dessen Berufe besser kennenlernen. Auch die Raschle Holzbau AG macht bei diesen Betriebstagen mit. Das Familienunternehmen ist seit über 35 Jahren in der Holzbaubranche tätig und beschäf-

«Wir müssen nicht nur den Kindern und Jugendlichen, sondern auch den Eltern noch mehr erklären.»

Marianne Raschle

tigt heute insgesamt 26 Mitarbeiter, darunter mehrere Lehrlinge. Zurzeit ist das Geschäftsführer-Ehepaar gerade damit beschäftigt, die Übergabe an Sohn Silvan vorzubereiten.

«Der gemeinsame Anlass der Schulen und des hiesigen Gewerbes hat sich sehr bewährt. Wir dürfen jedes Jahr vier bis sechs interessierte Mädchen und Buben samt Eltern durch unseren Betrieb führen», sagt Marianne Raschle mit Betonung auf «Eltern». Gerade sie seien wichtige Ansprechpersonen, wenn es um die Berufswahl der Kinder gehe. «Wir müssen nicht nur den Kindern und Jugendlichen, sondern auch den Eltern noch mehr erklären und bewusst machen, dass die Berufslehre eine fundierte Ausbildung ist und die Perspektiven und der Lohn mit Berufsmaturität und Fachhochschule sehr gut sind.»

Einer der Lehrlinge der Raschle Holzbau AG ist Vincent Dold. Der junge Mann will Zimmermann werden und befindet sich im dritten Lehrjahr. Für diesen Beruf hat er sich entschieden, weil er es mag, mit dem «natürlichen Baustoff Holz und den grossen Maschinen» zu arbeiten. «Zudem bin ich sehr gerne draussen», sagt der Lehrling. Er ist, wie seine Chefin, überzeugt, dass die Lehrer an der Oberstufe einen grossen Einfluss haben, ob sich die Schüler für eine Berufslehre entscheiden. «Die Vorteile einer Berufslehre sollten dort noch stärker hervorgehoben und gewertet werden», sagt Vincent Dold.

Marianne Raschle: «Die meisten beruflichen Weiterbildungen müssen aus der eigenen Tasche bezahlt werden, ein Studium hingegen wird einem finanziert. Das ist unfair.»

«Die Vorteile einer Berufslehre sollten noch stärker hervorgehoben werden.»

Lehrling Vincent Dold

Attraktiver durch fairere Finanzierung?

Die Matura bleibt jedoch eine Konkurrenz zur Berufslehre, obwohl die gymnasiale Maturitätsquote im Kanton Thurgau mit gut 15 Prozent im Vergleich zum Schweizer Mittelwert von 22 Prozent relativ tief ist. Trotzdem sollten die beiden Ausbildungswege nicht gegeneinander ausgespielt werden, sagt Marianne Raschle. «Eine Quote nur um der Quote willen zu erhöhen, finde ich falsch. In ländlichen Kantonen, wie wir einer sind, ist die gymnasiale Maturitätsquote eher tief. Das sollte akzeptiert werden. Schliesslich kann jeder oder jede später auch mit einer Berufsmaturität noch ein Studium absolvieren.»

Für die Unternehmerin müsste sich auch bei der Finanzierung etwas ändern, damit die Lehre attraktiver wird. «Die meisten beruflichen Weiterbildungen müssen aus der eigenen Tasche bezahlt werden, ein Studium hingegen wird einem finanziert. Das ist unfair.» Die Unternehmerin findet, dass in diesem Zusammenhang eine Art Rückvergütung stattfinden sollte. So wie es unter anderem in der «Neuen Zürcher Zeitung» diskutiert wurde*. Im Grossen und Ganzen fielen Studenten der Öffentlichkeit dann zur Last, wenn sie nur kleine Pensen hätten, lautet ein Vorschlag. Nachgelagerte Studiengebühren könnten für einen fairen Ausgleich sorgen.

Für Marianne Raschle wäre auch eine Möglichkeit, dass alle, die eine tertiäre Ausbildung absolvieren, die von ihnen beanspruchten Ausbildungskosten durch ihre höheren Verdienstmöglichkeiten mindestens anteilmässig an die Ausbildung zurückgeben.

*NZZ-Ausgaben vom 24.12.2021 und 8.2.2022; CH-Media vom 17.9.2022.

Text: Marion Loher Bilder: Marlies Thurnheer

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Gemeinsam die digitale Zukunft gestalten

Im Juli 2021 lancierte der Verein IT St.Gallen (<IT>rockt!) im Rahmen der IT-Bildungsoffensive (ITBO) des Kantons St.Gallen die Vernetzungsplattform Matchd. Seitdem leistet die Plattform einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels im ICT-Bereich und zur Vernetzung von Bildung und Wirtschaft.

Die Plattform ist kein gewöhnliches Stellenportal, sondern eine Vernetzungs- und Community-Plattform, die mittels Algorithmus passende Profile von jungen IT-Talenten und Unternehmen zusammenbringt. Aktuell liegt der Fokus vor allem auf Praktikumsstellen für Berufseinsteigende, da diese noch zu wenig angeboten werden. Auch Teilzeitstellen und Traineestellen für Studierende sind ein Teil von Matchd. Weiter bietet die Plattform die Möglichkeit neben Bachelor- und Masterthesen an einer spannenden «Challenge for Talents» teilzunehmen, ebenfalls mit dem Ziel, Studierende frühzeitig mit potenziellen zukünftigen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern in Verbindung zu bringen.

Wirtschaftsstandort St.Gallen wird gestärkt

Als ein Projekt aus der IT-Bildungsoffensive wird Matchd aus diesem Sonderkredit finanziert. Mit der Plattform wird die Vernetzung von Bildung und Wirtschaft intensiviert und das Ziel verfolgt, dem Fachkräftemangel im ICT-Bereich entgegenzuwirken. Damit soll der Wirtschaftsstandort St.Gallen gestärkt werden, sodass es für angehende ICT-Fachkräfte attraktiv ist, in der Region zu bleiben oder in die Ostschweiz zurückzukehren.

Exklusiver Zugang zum Talentpool

Ab Ende Oktober bietet die Plattform Matchd spannende «Challenge for Talents» an. ICT-Unternehmen erhalten über den exklusiven Zugang zum Talentpool die Möglichkeit, durch Aufgaben- und Problemstellungen ihre Nachwuchskräfte herauszufordern und gleichzeitig kennenzulernen. Bereits über 250 junge IT-Talente freuen sich darauf, mit innovativen Lösungen und Ideen Prozesse weiter voranzubringen und potenzielle Arbeitgeber auf Augenhöhe zu begegnen.

<IT>rockt! - Das IT-Netzwerk in der Ostschweiz

Der Verein IT St.Gallen ist ein unabhängiger Zusammenschluss von namhaften ICT-Unternehmen, IT-Bildungsinstituten und Netzwerkpartnern der Wirtschaftsregion Ostschweiz. Mit mehr als 150 Mitgliedern und Partnern verfolgt der Verein die Ziele, dem Fachkräftemangel in der ICT-Branche entgegenzuwirken, die Aus- und Weiterbildung in der Region zu fördern und die Mitglieds-Unternehmen auf ihrem Weg in die Digitalisierung zu unterstützen.

Mehr Informationen unter: https://matchd.ch/

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