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RESEARCH

Moderation durch Mag. (FH) Dieter Aigner, Geschäftsführer der Raiffeisen KAG

Dr. Kurt Weinberger Vorstandsvorsitzender Österreichische Hagelversicherung

Mag. (FH) Matthias Marhold Geschäftsführer der Raiffeisen Immobilien KAG

Univ.-Prof.in DIin Sibylla Zech Institut für Raumplanung, Technische Universität Wien

DIin Gundula Prokop Expertin für Boden im Umweltbundesamt

Virtuelle Round-Table-Diskussion über den Bodenverbrauch in Österreich und die notwendigen Maßnahmen, diesen zu reduzieren.

Frau Prokop, das aktuelle Regierungsprogramm von Türkis-Grün verspricht „Gesunde Böden und eine zukunftsfähige Raumordnung“. Wie schaut es mit dem Bodenverbrauch in Österreich aus? Können Sie uns einen kurzen Überblick verschaffen? Gundula Prokop: Wir liegen derzeit bei etwas mehr als zehn Hektar Flächeninanspruchnahme pro Tag. Im Jahr sind das etwa 40 Quadratkilometer. Die Zahlen sind seit 2010 erfreulicherweise rückläufig. Aber natürlich verbrauchen wir immer noch viel zu viel an Boden. Ziel wäre es, nicht mehr als 2,5 Hektar pro Tag zu verbrauchen, also neun Quadratkilometer pro Jahr. Das wollen wir bis 2030 erreichen. Neu ist, dass dies erstmals explizit in einem Regierungsprogramm steht, denn in dieser Deutlichkeit wurde das noch nie so festgelegt.

Welche Strategien gibt es, dieses Ziel zu erreichen? Gundula Prokop: Derzeit wird an einer bundesweiten Bodenstrategie gearbeitet. Darin – das kann ich schon vorwegnehmen – wird auf zwei wesentliche Ziele fokussiert: erstens auf den besseren Schutz von Freiflächen, also landwirtschaftlichen Vorrangflächen und Naturschutz-Vorrangflächen, und zweitens auf die Reaktivierung von Brachflächen. Das größte Problem ist allerdings, dass der Bund hier wenige Kompetenzen und damit Durchgriffsrechte hat. Der Bodenverbrauch, den wir derzeit in Österreich haben, ist – bis auf wenige illegale Bauten – komplett legal. Der gesamte Prozess findet innerhalb des Rechtsrahmens statt, der vieles erlaubt, etwa in der Raumordnung und bei der Wohnbauförderung. Hier muss angesetzt werden, was politisch betrachtet keine Selbstläufer sind. Es ist schwierig, mit strengen Forderungen hinauszugehen.

Wo findet der größte Bodenverbrauch statt? Gundula Prokop: Unsere Wohlstandsgesellschaft hat wesentlichen Anteil am Bodenverbrauch. Statistisch betrachtet ist die Inanspruchnahme von Bauflächen für Wohnungen und Geschäfte am größten. Danach folgen die Betriebsflächen, die seit 2013 aber eine stark rückläufige Tendenz zeigen. Auch der Bodenverbrauch für den Straßenbau, der auf Platz drei liegt, geht insgesamt leicht zurück. Erst dann folgen Erholungs- und Abbauflächen sowie der von der Bahn beanspruchte Boden.

Frau Zech, Raumordnung ist Ländersache. Welche Probleme ergeben sich daraus aus Ihrer Sicht? Sibylla Zech: Wir haben neun Ländergesetze in Österreich, die die Raumplanung regeln. Das ist grundsätzlich nicht anders als in anderen Staaten. Auch in Deutschland gibt es für jedes Bundesland ein eigenes Raumordnungsgesetz und in der Schweiz die Raumplanungsgesetze der Kantone.

LAND DER ÄCKER, ZUKUNFTSREICH?

Aber im Unterschied zu Deutschland und der Schweiz gibt es in Österreich kein Rahmengesetz des Bundes. Und wir sehen, dass man sich in diesen Ländern, wo der Bund gewisse Durchgriffsrechte hat, leichter tut – wenn es beispielsweise um das Zweitwohnungswesen geht. In diesen Ländern gibt es auch Institutionen, die sich um die Raumordnung kümmern, wie beispielsweise das Amt für Raumentwicklung in der Schweiz, das unter anderem auch Strategien für Förderprogramme entwickelt. Solche Institutionen gibt es auch in Deutschland. Das ist etwas ganz Wichtiges und da ist man in Österreich jetzt auch bemüht, derartige Institutionen aufzubauen.

Sie hegen die Hoffnung, dass sich der Bund künftig stärker einbringen wird? Sibylla Zech: Ja, das zeigt sich auch im aktuellen Baukulturreport der Regierung, der derzeit ausgearbeitet wird. Dabei geht es um städte- und ortsbauliche Entwicklungen. Es geht um das Thema Bodensparen, aber auch um die Einbindung der Zivilgesellschaft in derartige Projekte. Der Bund kann schon einiges tun in Österreich. Und alleine die Tatsache, dass es die genannte Strategie geben wird, ist ein Zeichen dafür, dass sich der Bund künftig nicht mehr so vornehm zurückhalten möchte. Auch die Länder und Gemeinden geben mit ihren Förderprogrammen eine entsprechende Richtung vor. Der Bund kann einiges tun. – Sehen Sie das auch so, Herr Weinberger? Kurt Weinberger: Der Bund hat in der Raumordnungsthematik keine Kompetenzen. Das ist in der Bundesverfassung so festgelegt. Die Bundesverfassung regelt die Zuständigkeit der Raumordnung im Artikel 118 B-VG, diese ist im Wirkungsbereich der Gemeinde angesiedelt. Das heißt, für jede Flächenwidmungsplanabänderung ist die Gemeinde zuständig, was formalrechtlich zwar von den jeweiligen Ämtern der Landesregierung genehmigt werden muss, doch in der Regel ist das leider nur eine Formsache. Der Bund hat nur sogenannte Fachplanungskompetenzen, wenn es um Flächen für den Straßenbau, die Eisenbahn und den Bergbau geht. Die Zuständigkeit liegt ansonsten bei den Gemeinden, und das ist verfassungsrechtlich leider so gut wie nicht abänderbar, da man hier eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat bräuchte, die man realistischerweise nicht bekommen wird.

Wo könnte man ansetzen? Kurt Weinberger: Man müsste zum einen der Genehmigungspflicht der Länder mehr Zähne geben und zum anderen die Steuergesetzgebung ändern. Die Kommunalsteuer, die auf Gemeindeebene eingehoben wird und auf Basis der lohnabhängigen Beschäftigten in der Gemeinde berechnet wird, steuert falsch. Jetzt muss jeder Bürgermeister schauen, dass er seine Einnahmen auch aus dieser Steuerquelle lukriert, und das ist völlig kontraproduktiv. Denn so wird immer mit Arbeitsplätzen argumentiert. Aber was nützen die Arbeitsplätze, wenn das Leben in der Gemeinde nicht mehr lebenswert ist? Hier muss ein Umdenken stattfinden. Es kann nicht nur um Arbeitsplätze gehen, sondern es muss auch um eine intakte Natur gehen, denn von Beton kann bekanntlich keiner abbeißen.

„Österreich steht im EU-Naturschutz-Ranking mittlerweile auf dem vorletzten Platz.

Welchen Anteil hat die Landwirtschaft an der Bodenversiegelung? Kurt Weinberger: Der Landwirtschaft wird oft die Schuld an der abnehmenden Biodiversität gegeben. Aber Fakt ist, dass Österreich die höchste jährliche Verbauungsrate, das dichteste Straßennetz, die höchste Supermarktfläche pro Kopf etc. Europas hat. Das alles hat Auswirkungen auf die Umwelt. Österreich steht im EU-Naturschutz-Ranking daher mittlerweile auf dem vorletzten Platz. Das muss man sich einmal vor Augen halten. Rund 80 % der bewerteten Arten

Mag. (FH) Dieter Aigner im Gespräch mit Mag. (FH) Matthias Marhold, DIin Gundula Prokop, Dr. Kurt Weinberger und Univ.-Prof.in DIin Sibylla Zech

und Lebensräume in Österreich sind in keinem guten Zustand und so hat sich der Bestand der Artenvielfalt in der Fauna in den letzten 30 Jahren um 70 % reduziert. Auch im Klimaindex verliert Österreich von Jahr zu Jahr Plätze. Uns fehlt das Sensorium dafür, was der Boden ist. Der Boden braucht nicht uns, sondern wir brauchen den Boden. Er ist unsere Lebensgrundlage, er sichert die Lebensmittelversorgung, er bietet Erholungs- und Lebensraum für Mensch und Tier und trotzdem töten wir diesen Lebensraum in einem Rekordtempo. Von den drei volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital spielt der Boden heute in der Gewichtung leider keine Rolle mehr. Er wurde einfach durch das Kapital ersetzt – eine völlige Fehlentwicklung.

Am Stadtrand von Wien schießen großvolumige Bauten aus dem Boden und angeblich rückt Wien auch immer stärker in den Fokus großer internationaler Investmentfirmen. Wie stellt sich das Thema aus der Sicht eines Immobilieninvestors dar? Gibt es in Bezug auf Nachhaltigkeit überhaupt Handlungsspielraum in der Branche? Wird jetzt – im Sinne der Verdichtung – in die Höhe gebaut? Matthias Marhold: Es gibt einen Handlungsspielraum, aber am Ende muss man schon so ehrlich sein, dass wir als Immobilienentwickler ergebnisgesteuert sind. Hier einen Bogen zu spannen, ist die große Kunst, die nicht immer gelingt. Was die Bauprojekte betrifft, so entstehen dort, wo Urbanisierung stattfindet, wo Menschen in die Städte strömen, entsprechende Bauten, Büro- und Gewerbeentwicklungsprojekte. Wobei das Thema der Wohnraumentwicklung im städtischen Bereich differenziert zu sehen ist. Das Thema Nachhaltigkeit ist aber auf jeden Fall auch in unserer Branche angekommen. Das zeigt sich alleine in umfassenden Gesetzen, Verordnungen und Initiativen – sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene. Jeder Investor beschäftigt sich heute mit dem Thema. Wir tun das schon etwas länger und achten bei unseren Investments auf ein möglichst nachhaltiges Vorgehen. So sind wir zum Beispiel dabei, unser gesamtes Portfolio gemäß DGNB-Standard zu zertifizieren, und setzen uns Ziele, die Nachhaltigkeit der Objekte in den kommenden Jahren laufend zu verbessern. Darüber hinaus wird jedes neue Investment im Hinblick auf Nachhaltigkeit ebenfalls einer entsprechenden Prüfung unterzogen.

Wo kann man hier ansetzen? Matthias Marhold: Beispielsweise in Bezug auf Verdichtung. Gerade vor kurzem haben wir ein Projekt auf einem bereits versiegelten Grundstück mit vier Wohneinheiten gekauft. Dort sollen jetzt 45 Wohneinheiten entstehen. So etwas wird schon in der Planung berücksichtigt und der Trend in diese Richtung setzt sich fort – natürlich auch durch Normen und Vorschriften getrieben.

In Graz entwickeln wir aktuell ein Projekt, wo ein mehrgeschossiges Wohngebäude mit 134 Wohnungen auf einem innerstädtischen Grundstück errichtet wird. Dieses wurde bislang für einen eingeschossigen Autoservice genutzt. Wir setzen Nachhaltigkeitsmaßnahmen vom Bodenaustausch über Errichtung einer Photovoltaikanlage auf dem Dach bis hin zu einem Mobilitätskonzept für alle Mieter mit der Stadt Graz. Ich bin überzeugt, dass es im Bereich Nachhaltigkeit zu massiven Änderungen kommen wird. Fakt ist, dass sich die Branche in einem Wandel befindet, stark getrieben durch institutionelle Investoren, die über entsprechendes Kapital verfügen. Wenn wir uns anschauen, was hier in Österreich, und da vor allem in Wien, passiert, dann sind die großen Projekte sehr stark von institutionellem Geld getrieben. Das sind aber genau die, die jetzt sehr stark verpflichtet werden, Maßnahmen und Aktivitäten zu setzen.

Gundula Prokop: Ich glaube, die Angst, dass in Wien nur noch Hochhäuser gebaut werden, um den hohen Wohnraumbedarf zu stillen, ist unbegründet. Man muss hier schon sehr stark trennen zwischen dem tatsächlichen Wohnbedarf und Investitionsprojekten. Denn gebaut wird überall dort, wo die Grundstückspreise sehr hoch sind. Diese Bauten werden dann aber nicht sehr effizient genutzt, weil sie eben ganz einfach Spekulationsobjekte sind. Matthias Marhold: Die Spekulationen und der hohe Leerstand sind ein ganz massives Problem, nicht nur in Wien, sondern auch in vielen anderen Städten und Ländern, dem man gesamthaft entgegenwirken muss. Die Immobilien KAG kommt als Investor da aber aus einer anderen Ecke. Wir legen großen Wert darauf, dass die Wohnungen vermittelt und genutzt werden.

Kurt Weinberger: Laut Schätzungen des Umweltbundesamtes haben wir in Österreich ca. 40.000 Hektar an leerstehenden Immobilien. Das ist eine Fläche so groß wie Wien. Hier muss man Anreize schaffen, damit Altbestände revitalisiert und wieder in den wirtschaftlichen Nutzen gebracht werden. Auf der anderen Seite zerstören wir die Natur, damit einige wenige profitieren können. Den Preis dafür bezahlen aber die Gesellschaft und künftige Generationen. Ich spreche hier auch bewusst das Thema der Gewinne aus Immobilienverkäufen an. Wenn Bauland vor 1987 gewidmet wurde, dann bezahlt der Grundeigentümer beim Verkauf nur 4,2 % des Ertrages an Steuern. Wo gibt es das denn noch? Wenn ich heute als Dienstnehmer mehr als 11.000 Euro verdiene, bin ich sofort in der Lohnsteuerprogression mit 20 %, und diese Menschen bekommen bei Altwidmungen Millionenerträge so gut wie steuerfrei! Bei späteren Widmungen sind es 30 %, was richtig war, doch diese Schieflage gibt es noch immer.

Gundula Prokop: Ich muss Herrn Weinberger völlig recht geben. Wenn Sie heute als Investor zum Beispiel einen neuen Supermarkt bauen wollen, bekommen Sie ein einwandfreies Betriebsgrundstück zu einem günstigen Preis und können Ihre Immobilie dort entwickeln, wie Sie wollen. Wenn Sie aber ein innerstädtisches Grundstück nehmen, dann müssen sie mit diversen Auflagen hinsichtlich Form, Lärmschutz und vielem mehr rechnen. Solange die Innenentwicklung umständlicher ist als die Außenentwicklung, wird sich der Trend nicht ändern. Bis Jahresende soll es eine Anreizförderung für industrielle und gewerbliche Brachflächen geben. Ich hoffe, dass das ein Impuls sein wird. Aber da muss noch viel mehr passieren. Auch bei der Wohnbauförderung könnte man ansetzen.

„Es geht da um 700.000 leerstehende Wohnungen in Österreich ohne Hauptwohnsitz.

ROUNDTABLEDISKUSSION

Sibylla Zech: Der Leerstand im baulichen Bestand hat wirklich eine enorme Dimension. Es geht da um 700.000 leerstehende Wohnungen in Österreich ohne Hauptwohnsitz. Das ist bei insgesamt 4,9 Millionen Wohnungen eine gigantische Anzahl. Wir haben in vielen Gemeinden 30 bis 40 % Baulandreserven, die oft in günstiger zentraler und gut erschlossener Lage vorliegen. Der Umgang mit Bestandswidmungen ist ein massives Problem. Es ist in den letzten Jahren noch viel schwieriger geworden, weil die Eigentümer Lobbying betreiben und die Raumordnungsgesetze schwächer geworden sind. Bei den Neuwidmungen gibt es viele Instrumente, die man einsetzen kann, um eben auch zu einer vernünftigen Dichte zu kommen – zumindest beim Wohnen und bei der Mischnutzung. Im Gewerbe schaut es nicht so gut aus. Ich sehe da schon auch eine Verantwortung bei den Banken, Investitionen in Liegenschaften nur dann zu finanzieren, wenn diese einen ökologischen und sozialen Mehrwert schaffen. Dadurch könnten auch die Banken dazu beitragen, das verdichtete Bauen und das Revitalisieren ehemaliger Industrieflächen zu fördern.

Welche möglichen Anreizsysteme halten Sie – in die Runde gefragt – für erfolgversprechend? Gundula Prokop: Anreize werden nicht ausreichen. Langfristig betrachtet, müssen wir eine Situation erreichen, wo der Bodenverbrauch kompensiert werden muss. In Deutschland hat man mit der Kompensationsverordnung vor zehn Jahren – zumindest bei großen Projekten – damit angefangen. Langfristig wäre es eine Lösung, wenn Versiegelung kompensiert werden müsste. Dann würde man sich automatisch überlegen, ob und wie viel Parkplatzfläche man wirklich braucht. Vielleicht wird dann auch kompakter gebaut. Das wäre letztlich der beste Hebel für einen sparsamen Umgang mit Grund und Boden.

Sibylla Zech: In Hinblick auf die Raumstruktur gibt es zwei Bereiche mit starkem Handlungsdruck: die angesprochenen Handelsagglomerationen an den Stadträndern und die großflächigen Einfamilienhausgebiete. Bei Handelsagglomerationen braucht es restriktive Vorgaben seitens der Länder in den Raumordnungs- und Baugesetzen. Die jüngeren Landesentwicklungsprogramme etwa in Oberösterreich zeigen, dass die Gesetze und Verordnungen langsam mehr Zähne bekommen. In Niederösterreich ist Ähnliches in Ausarbeitung. Hier braucht es eine restriktive Haltung, da kommen wir mit Förderungen allein nicht weiter. Bei den großflächigen Einfamilienhausgebieten geht es um maßvolles Verdichten. Oft leben nur noch ein oder zwei Personen in einem großen Haus, sodass die Erhaltung von Haus und Garten kaum mehr zu schaffen ist. Da ist eine soziale Ausdünnung im Gange und es geht auch um die Frage, wie diese Einfamilienhausgebiete transformiert werden können. Das ist ein baulicher, aber auch ein sozialer Prozess. Das braucht Begleitung. Es

gibt spannende Modelle, etwa von Häuserpooling, Gassenclubs oder Quartiersberatung. Mit maßvoller Nachverdichtung innen kann der Druck auf die „grüne Wiese“ draußen reduziert werden.

„Jeder, der Naturkapital zerstört und Lebensraum vernichtet, sollte eine Abgabe bezahlen müssen.

Kurt Weinberger: Allein in den letzten 25 Jahren haben wir 150.000 Hektar aus der landwirtschaftlichen Fläche herausgenommen und verbaut. 150.000 Hektar! Das ist so viel wie die gesamte Agrarfläche des Burgenlands. Was wir brauchen, ist ein Maßnahmenmix. Auch wenn der Bund beim Thema Fläche nichts zu sagen hat, könnte er zumindest die besten Agrarflächen unter Schutz stellen. Das bedeutet, dass man dort nicht bauen kann. Natürlich ist das ein deutlicher Eigentumseingriff. Aber im Sinne des öffentlichen Interesses die Lebensmittelversorgungssicherheit zu garantieren wäre bundesverfassungsrechtlich durchaus argumentierbar. Die zweite Maßnahme betrifft die Kommunalsteuer. Diese Steuer gehört auf Bundesebene eingehoben und dann wie andere Bundessteuern auf dem Weg des Finanzausgleichs an die Gemeinden verteilt und an gewisse Erfolgsparameter gebunden. Auch die Tatsache, dass Straßenbauten grundsteuerfrei sind, zeigt, wie verrückt das gesamte System ist. Hier bräuchte es mehr Gerechtigkeit. Jeder, der Naturkapital zerstört und Lebensraum vernichtet, sollte eine Abgabe zahlen müssen. Das wird den Immobilieninvestoren natürlich nicht gefallen, weil sie nur auf die Maximierung ihrer Gewinne aus sind. Aber das alles geht zulasten künftiger Generationen und das ist grob fahrlässig.

Matthias Marhold: Das Thema wird mit sehr vielen Emotionen diskutiert, weil jeder betroffen ist. Meiner Meinung nach braucht es sowohl Anreize als auch Sanktionen. Von der Spieltheorie kennen wir das Thema Egoismus. Der Mensch ist ein Egoist, der sich gerne zulasten anderer optimiert. Und ohne stringente Vorgaben und Sanktionen werden wir das Ziel einer maximalen Flächen-

„Nur daran zu glauben, dass wir alle Gutmenschen sind, wird unsere Kinder- und EnkelGeneration in ein Desaster treiben.

inanspruchnahme von 2,5 Hektar pro Tag nicht erreichen. Kaum geht ein Schlupfloch auf, wird dieses genutzt, um wieder zu optimieren. Ich glaube, es wird nicht möglich sein, die Kompetenzen auf Gemeindeebene zu lassen. Das ist ein verlorener Kampf. Am Ende des Tages ist der Bürgermeister davon getrieben, seine Gemeinde zu entwickeln, und wird im Zweifel Gewerbefläche widmen, weil die Steuern gebraucht werden. Es braucht ganz klare Vorgaben. Nur daran zu glauben, dass wir alle Gutmenschen sind, wird unsere Kinder- und Enkel-Generation in ein Desaster treiben.

Kurt Weinberger: Wenn sich in einem marktwirtschaftlichen System die Moral nicht rechnet, findet sie offensichtlich nicht statt. Die Gesellschaft muss unmoralisches Verhalten, wie die Zerstörung der Natur, bestrafen. Das Primat der Ökonomie vor der Ethik ist daher grundsätzlich zu diskutieren, denn das ist ohne Sanktionen. Der Boden ist ein Wunderwerk. Der Boden ist Leben. Und jeder, der Boden zerstört, zerstört auch das Leben, das sich im Boden befindet – 8 Milliarden Lebewesen in jeder Hand voll Erde. Als Familienvater wünsche ich mir, dass die Kinder auch künftig in der Bundeshymne „Land der Äcker, zukunftsreich“ singen können, und nicht „Land ohne Äcker, zukunftslos“. Das müssen wir in die Denke der Entscheidungsträger dieses Landes hineinbekommen und wir dürfen nicht nachgeben. Wir haben alle eine Verantwortung für künftige Generationen.

NACHHALTIGES ENTWICKLUNGSZIEL 15 (SDG 15):

Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen

Die Natur ist von entscheidender Bedeutung für unser aller Überleben: Sie versorgt uns mit Sauerstoff, reguliert unser Wetter, befruchtet unsere Pflanzen, produziert Lebensmittel, Futtermittel und Fasern. Aber sie steht unter zunehmendem Stress, hat doch der Einfluss des Menschen fast 75 Prozent der Erdoberfläche verändert, wodurch Natur und Tierwelt in eine immer kleinere Region des Planeten abgedrängt und auch das Risiko von Zoonosekrankheiten – etwa aktuell Covid-19 – erhöht werden.

Wälder bedecken 30 Prozent der Erdoberfläche und sind für die Ernährungssicherheit, den Kampf gegen den Klimawandel und den Schutz der biologischen Vielfalt von entscheidender Bedeutung. Zwischen 2010 und 2015 verlor die Welt 32 Millionen Hektar Waldfläche. Aufgrund von Dürre und Versteppung gehen jedes Jahr 12 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, 23 pro Minute, verloren.

Dies hat die Unversehrtheit von terrestrischen Lebensräumen weltweit um 30 Prozent im Vergleich zu einem unbeeinflussten Ausgangszustand verringert. Obwohl Schutzgebiete heute 15 Prozent der Land- und Süßwassergebiete und 7 Prozent der Meeresgebiete umfassen, sind sie nur ein Teil der für die biologische Vielfalt wichtigen Gebiete und noch nicht vollständig ökologisch dargestellt sowie effektiv oder angemessen verwaltet.

DIE BIS 2030 FESTGELEGTEN ENTWICKLUNGSZIELE DER UN ZUM THEMA „LEBEN AN LAND“, WIE SIE AUCH IN DIE AGENDA 2030 FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG DER ÖSTERREICHISCHEN BUNDESREGIERUNG AUFGENOMMEN SIND (LEICHT GEKÜRZT):

ü Wiederherstellung und nachhaltige Nutzung der Land- und Binnensüßwasser-Ökosysteme und ihrer Dienstleistungen, insbes. der Wälder, der Feuchtgebiete, der Berge und der Trockengebiete, gewährleisten.**

ü Nachhaltige Bewirtschaftung aller Waldarten fördern, die Entwaldung beenden, geschädigte Wälder wiederherstellen und die Aufforstung und Wiederaufforstung weltweit beträchtlich erhöhen.**

ü Wüstenbildung bekämpfen, die geschädigten Flächen und Böden einschließlich der von Wüstenbildung, Dürre und Überschwemmungen betroffenen Flächen sanieren und eine Welt anstreben, in der die Landverödung neutralisiert wird.

ü Erhaltung der Bergökosysteme einschließlich ihrer biologischen Vielfalt sicherstellen, um ihre Fähigkeit zur Erbringung wesentlichen Nutzens für die nachhaltige Entwicklung zu stärken.

ü Umgehende und bedeutende Maßnahmen ergreifen, um die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume zu verringern, dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende zu setzen und bis 2020 die bedrohten Arten zu schützen und ihr Aussterben zu verhindern.*

ü Die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile und den angemessenen Zugang zu diesen Ressourcen fördern, wie auf internationaler Ebene vereinbart.* ü Dringend Maßnahmen ergreifen, um der Wilderei und dem Handel mit geschützten Pflanzen- und Tierarten ein Ende zu setzen und dem Problem des Angebots illegaler Produkte aus wildlebenden Pflanzen und Tieren und der Nachfrage danach zu begegnen.*

ü Maßnahmen einführen, um das Einbringen invasiver gebietsfremder Arten zu verhindern, ihre Auswirkungen auf die Land- und Wasserökosysteme deutlich zu reduzieren, prioritäre Arten kontrollieren oder beseitigen.**

ü Ökosystem- und Biodiversitätswerte in die nationalen und lokalen Planungen, Entwicklungsprozesse, Armutsbekämpfungsstrategien und Gesamtrechnungssysteme einbeziehen.**

ü Finanzielle Mittel aus allen Quellen für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme aufbringen und deutlich erhöhen.*

ü Erhebliche Mittel für die Finanzierung einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder aufbringen und den Entwicklungsländern geeignete Anreize zum Zweck der Walderhaltung und Wiederaufforstung bieten.*

ü Die weltweite Unterstützung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Wilderei und des Handels mit geschützten Arten verstärken, unter anderem durch die Stärkung der Fähigkeit lokaler Gemeinwesen, Möglichkeiten einer nachhaltigen Existenzsicherung zu nutzen.*

Andreas Perauer MSc Mitarbeiter des Nachhaltigkeitsteams bei der Raiffeisen KAG

UNTERNEHMENS STIMMEN ZUM THEMA BIODIVERSITÄT

Der im August 2019 vom Weltklimarat veröffentlichte Sonderbericht über Klimawandel und Landsysteme argumentiert, dass die derzeitige Landnutzung und die globalen Nahrungsmittelsysteme den Klimawandel, die Bodendegradation, den Verlust der biologischen Vielfalt der Artenvielfalt und zu einer Beeinträchtigung der Ökosysteme geführt hat. Aus diesem Grund investiert das deutsche Unternehmen in Forschung und Entwicklung, um ein besseres Gleichgewicht zwischen Produktivität und Erhaltung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme zu erreichen. Die Definition von Indikatoren zur Messung der Auswirkungen von Produkten entpuppt sich dabei als eine sehr komplexe Aufgabe. Bayer versucht es mit einem erst kürzlich von der University of Denmark entwickelten Modell, das die Umweltauswirkungen jedes Pflanzenschutzmittels auf unterschiedliche Anbauflächen messen kann, und überprüft damit sein gesamtes Produktportfolio. Mit dieser Messung kann festgestellt werden, welche Produkte die höchsten Umweltauswirkungen haben, wo diese entstehen und wo Bayer dementsprechend für eine Verbesserung sorgen kann. Auch Nestlé, der größte Nahrungsmittelkonzern der Welt, sieht in der Messung von Auswirkungen auf die Biodiversität, speziell aufgrund der enormen regionalen Unterschiede, eine größere Herausforderung als zum Beispiel beim Thema CO2. Es sei dennoch möglich, etwa durch den Einsatz von Satellitentechnologie zur Überwachung von Entwaldungsrisiken und durch Pilotfarmen, die Nestlé speziell zur Überwachung, Messung und Wiederherstellung der Bodengesundheit errichtet hat. Der Zeitraum, bis diese Bemühungen messbare Ergebnisse liefern, kann dabei erheblich variieren. Während die Entwaldung nahezu in Echtzeit überwacht und gemessen werden kann, kann es bei der Regeneration des Nährbodens durchaus drei bis vier Jahre dauern, um Daten zu generieren, die Auswirkungen

und andere Umweltbedrohungen verschärfen. Die Art und Weise, wie wir uns ernähren, ist demnach ein wesentlicher Faktor für den Erhalt der Biodiversität. Umso wichtiger wird es sein zu beobachten, in welche Richtung sich die Lebensmittelindustrie bewegt.

Die Engagement-Aktivitäten des Nachhaltigkeitsteams von Raiffeisen Capital Management beim Thema Biodiversität beinhalten den Dialog mit einigen der größten börsennotierten Unternehmen der Lebensmittelindustrie. Dabei wurden folgende Fragen gestellt: 1 Ist der negative Einfluss unserer globalen Nahrungsmittelsysteme auf die Biodiversität ein Problem, das Sie als für Ihr Unternehmen relevant erachten?

2 Überwachen Sie aktiv Ihren positiven/negativen Einfluss auf die

Biodiversität? Was sind die Ergebnisse?

3 Wie kann Ihr Unternehmen zum Sustainable Development Goal 15 beitragen? Haben Sie sich bestimmte Ziele gesetzt? 4 Prognosen zufolge wird die Weltbevölkerung bis 2050 um weitere zwei Milliarden Menschen ansteigen. Wird es möglich sein, all diese

Menschen nachhaltig zu ernähren? Welche Rolle könnte Ihr Unternehmen dabei spielen?

Die Antworten auf diese Fragestellungen lassen sich zu nachstehenden Aussagen und Ergebnissen zusammenfassen.

1 & 2 Für Bayer, spezialisiert in den Bereichen Gesundheit und Agrarwirtschaft, ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die intensivierte Landwirtschaft zu einem lokalen Rückgang

TERNEHMENS STIMMEN ZUM THEMA BIODIVERSITÄT

belegen können. Einer ähnlichen Vorgehensweise folgt der US-amerikanische Lebensmittelproduzent Campbell Soup, der im Jahr 2020 zur Risikobewertung des eigenen Beschaffungsprozesses mit der Non-Profit-Organisation The Sustainability Consortium zusammengearbeitet hat. Dabei wurden die mit den Herkunftsländern verbundenen Risiken von 30 Inhaltsstoffkategorien im Zusammenhang mit dem Verlust der biologischen Vielfalt, des Wasserverbrauchs und der Entwaldung bewertet und die Priorisierung der verwendeten Inhaltsstoffe auf Basis der Ergebnisse adoptiert.

3 Der Erhalt und die Förderung der Biodiversität ist ein wesentlicher Punkt des nachhaltigen Entwicklungsziels SDG 15 Leben an Land. Für den britischen Konzern Unilever, mit Marken wie Knorr, Eskimo, Coral und Axe einer der weltweit größten Produzenten von Konsumgütern, bilden die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) eine einmalige Gelegenheit, eine bessere Welt zu schaffen. Das Unternehmen weist darauf hin, dass allein für die Transformation des Lebensmittel- und Landsystems Geschäftschancen in Höhe von rund 3 Billionen US-Dollar ermittelt wurden. Das Wachstumspotenzial von Öko-Innovationen, die sowohl die Umwelt schützen als auch das Wohlergehen der Menschen fördern, sei daher enorm. Dementsprechend setzt der Lebensmittelproduzent auch selbst auf Rohstoffe von landwirtschaftlichen Betrieben, die nachhaltige Praktiken hinsichtlich des Erhalts der Fruchtbarkeit des Bodens, des Wasser- und Düngemittelverbrauchs sowie des Schutzes der biologischen Vielfalt anwenden. Nestlé verfolgt zur Erreichung des SDG 15 einen klaren Plan, der eine entwaldungsfreie Hauptzulieferkette sowie einen Anteil an Rohstoffen, die mit regenerativen Landwirtschaftsmethoden hergestellt wurden, von 20 % bis 2025 und 50 % bis 2030 vorsieht. Campbell Soup wiederum fordert von allen Lieferanten die Einhaltung sämtlicher geltenden Umweltgesetze. Darüber hinaus wird von den Lieferanten erwartet, dass sie Maßnahmen zum Schutz und zur Verbesserung der Böden sowie zum Schutz und zur Förderung natürlicher Lebensräume, einheimischer Arten und der biologischen Vielfalt ergreifen. Außerdem verbietet das Unternehmen die Produktion auf Ländereien, die in den letzten zehn Jahren nicht für Landwirtschaft genutzt wurden. Novozymes, ein dänisches Biotechnologieunternehmen, ist davon überzeugt, dass seine Enzyme und mikrobiellen Lösungen den Landwirten helfen, die Effizienz der Pflanzen- und Tierproduktion zu steigern, die Umweltauswirkungen zu verringern und gleichzeitig die Klimaresilienz zu stärken. Das Unternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, durch Effizienzverbesserungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Jahr 2022 zur Gewinnung von 500.000 Tonnen an zusätzlichen Lebensmitteln beizutragen. Im Jahr 2020 lag dieser Wert internen Schätzungen zufolge bereits bei 136.000 Tonnen.

4 Bayer sieht in einer intensiven Landwirtschaft mit hohen Erträgen pro Hektar Ackerland einen entscheidenden Faktor für die kontinuierliche Verfügbarkeit hochwertiger und erschwinglicher Lebensmittel. Das liege daran, dass die Intensivierung der Landwirtschaft dazu führen wird, dass immer weniger Land für die Lebensmittelproduktion benötigt wird. Während die landwirtschaftlichen Erträge in den letzten 40 Jahren um 60 % gestiegen sind, hat sich die landwirtschaftliche Nutzfläche nur um 5 % erhöht. Digitale Technologien spielen dabei eine wichtige Rolle, ebenso wie verbessertes Saatgut und optimierte landwirtschaftliche Praktiken. Unilever sieht sich in der Verantwortung, ein globales Lebensmittelsystem mitzugestalten, das für alle fair ist. Aus diesem Grund hat das Unternehmen die „Future Foods“-Initiative gestartet und verpflichtet sich damit zu einem jährlichen Umsatzziel von einer Milliarde Euro durch pflanzliche Fleisch- und Milchalternativen innerhalb von fünf bis sieben Jahren, zu einer Halbierung der Lebensmittelabfälle im direkten Betrieb von der Fabrik bis zum Regal bis 2025, zur Verdoppelung der Anzahl der gesundheitsfördernden Produkte bis 2025 sowie zu einer fortwährenden Reduktion des Kalorien-, Salz- und Zuckergehalts aller Produkte. Auch Kellogg’s, ein weltweit führender Produzent von Getreideprodukten, will seinen Beitrag zu einer nachhaltigen Nahrungsmittelversorgung leisten und hat sich dazu verpflichtet, bis Ende 2030 eine Million Landwirte und Arbeiter durch Programme zu unterstützen, die auf Klima-, soziale und finanzielle Widerstandsfähigkeit ausgerichtet sind. Kellogg’s bietet dabei eigene Schulungen und technische Unterstützung an, um bewährte Verfahren zu vermitteln, die die Produktivität der landwirtschaftlichen Betriebe verbessern sowie zur Regeneration der Bodengesundheit, zum Schutz der biologischen Vielfalt und zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen beitragen.

KONINKLIJKE DSM N.V.

Die Rizinuspflanze – oder Wunderbaum – ist Hauptbestandteil für einen biobasierten, technischen Kunststoff.

KONINKLIJKE DSM N.V.

DSM ist ein niederländischer Spezialchemiekonzern, der sich auf Biowissenschaften und Materialwissenschaften spezialisiert hat. Das Unternehmen teilt sich in drei Geschäftsgruppen auf: „Nutrition“, „Materials“ und „Innovation Center“. Der Bereich Nutrition bietet Lösungen für Lebensmittel und Getränke, Tierfutter, Nahrungsergänzungsmittel, Arzneimittel und Körperpflegeprodukte. Unter Materials fallen Spezialmaterialien für die Automobil-, Elektronik- und Bekleidungsindustrie, außerdem für Lebensmittelverpackungen und für den Medizinbereich. Das Innovation Center steht schließlich – wie der Name schon verrät – für zielgerichtete Innovationen im Unternehmen und für zukünftiges Wachstum. DSM betreibt Standorte in über 40 Ländern und beschäftigt mehr als 23.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Hauptsitz des Unternehmens liegt in Heerlen, Niederlande.

BRIGHTER LIVING SOLUTIONS

Brighter Living Solutions (BLS) ist ein Programm von DSM zur Entwicklung nachhaltiger, innovativer Lösungen mit ökologischen und/oder sozialen Vorteilen, die einen gemeinsamen Wert für die Stakeholder des Unternehmens schaffen sollen. Dazu zählen Produkte, Dienstleistungen und Technologien, die im Vergleich zur Standardalternative für dieselbe Anwendung eine niedrigere Umweltbelastung und/oder eine positivere soziale Auswirkung bieten. Diese Auswir-

UNTERNEHMEN IM FO KUS DER NACHHALTIGKEIT

kungen können in jeder Phase des Produktlebenszyklus realisiert werden, von den Rohstoffen über den Herstellungsprozess bis hin zur potenziellen Wiederverwendung und Entsorgung am Ende der Lebensdauer. Um solche Unterscheidungsmerkmale zu belegen, führt DSM über alle Produktkategorien hinweg eine jährliche Überprüfung durch. Dabei werden Lebenszyklusanalysen und Expertenmeinungen kombiniert, um festzustellen, ob ein Produkt eine überlegene Leistung aufweist und als Brighter Living Solution identifiziert werden kann.

BIODIVERSITÄT

Ein Beispiel für eine Brighter Living Solution ist das durch ein Joint Venture von DSM und Evonik Industries AG, einem ebenfalls im Bereich Spezialchemie tätigen Unternehmen, entstandene Veramaris®-Algenöl. Veramaris® wurde 2018 auf den Markt gebracht und soll eine nachhaltige Alternative zu Fischöl als Quelle für Omega-3-Fettsäuren bieten. Fisch ist für unsere Gesellschaft unverzichtbar, gleichzeitig ist bekannt, dass die weltweiten Fischbestände durch Überfischung immer geringer werden. Weniger bekannt ist, dass jedes Jahr große Mengen an wild gefangenem Fisch als Futter für Zuchtfische, beispielsweise Lachs, verwendet werden. Laut DSM werden 75 % des weltweiten Fischöls für diesen Zweck verwendet. Dieser Tatsache wollen DSM und Evonik mit ihrem Algenöl entgegenwirken. Eine Tonne des natürlichen Veramaris®-Algenöls erspart 60 Tonnen gefangenen Wildfisch als Futter für Zuchtlachse. Dadurch verringert das Öl die Abhängigkeit von Meeresfischen und trägt damit zur Erhaltung der biologischen Vielfalt der Meere bei.

Ein weiteres erwähnenswertes Beispiel für eine alternative, nachhaltige Lösung im Bereich der Ernährung ist das CanolaPRO®-Pflanzenprotein. Die Zunahme an gesundheits- und umweltbewussten Essern stellt die Lebensmittelindustrie vor eine große Herausforderung. Verbraucher wünschen sich alternative Proteinprodukte, die sowohl einen guten Nährstoffgehalt bei minimalem ökologischen Fußabdruck aufweisen als auch in Bezug auf Textur und Geschmack überzeugen können. CanolaPRO® bietet so eine Alternative. Es handelt sich dabei um eine Proteinquelle, die aus Rapsmehl, einem Nebenprodukt der Rapsölproduktion, gewonnen wird. Das Protein ist reich an Nährstoffen und für den Menschen sehr leicht zu verdauen. CanolaPRO® ist gentechnisch unverändert, glutenfrei und wird über ein lösungsmittelfreies Extraktionsverfahren hergestellt, bei dem alle wertvollen Inhaltsstoffe und funktionellen Vorteile des Proteins erhalten bleiben. Das macht es nicht nur zu einem gesunden, sondern auch nachhaltigen Pflanzenprotein, sowohl in seiner Produktion als auch im Verbrauch. Aufgrund seiner Eigenschaften ist das Protein ideal für den Einsatz in fleischlosen Lebensmitteln, womit die Abkehr vom übermäßigen Verzehr von Fleischprodukten und den damit verbundenen verheerenden Auswirkungen auf unsere Umwelt unterstützt wird.

KREISLAUFWIRTSCHAFT

Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft fängt laut DSM bei der Beschaffung und Entwicklung an. Konkret geht es um den Einsatz von erneuerbaren Inputmaterialien und um die Entwicklung von Produkten, die einerseits langlebiger und andererseits einfacher zu reparieren und wiederzuverwenden sind. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in den Produkten von DSM wider, beispielsweise in speziellen Kunststoffen für die Automobilindustrie, die sich vor allem durch ihre Strapazierfähigkeit, Leichtigkeit und Umweltfreundlichkeit auszeichnen. Ein Beispiel wäre EcoPaXX®, ein biobasierter, technischer Kunststoff, der zu 70 % aus der Rizinuspflanze, auch Wunderbaum genannt, gewonnen wird. DSM sieht aber auch im Recycling von Materialien und der Rückgewinnung von Energie hervorragende Möglichkeiten, um Abfall zu reduzieren und den Klimawandel zu verlangsamen. Das Unternehmen recycelt in etwa 85 % seiner Abfälle und versucht die Gesamtmenge an prozessbedingten Abfällen jährlich zu reduzieren. Im Jahr 2020 gelang das im Ausmaß von 6,3 %. Durch seine Produkte trägt das Unternehmen zusätzlich zu Effizienzsteigerungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette bei und leistet damit auch seinen Beitrag zur Reduktion der Abfallmenge außerhalb der eigenen Produktion.