Miroslav Krleža: Die Fahnen

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KRLEŽA DIE FAHNEN Roman in fünf Bänden

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„Was für ein Essayist ist da zu entdecken! Welche Sprachgewalt, welcher wahrhaft imponierende Weitund Umblick über die Grenzen der eigenen Sprache, Kultur, Ideologie und Epoche hinaus, welche Fähigkeit, das Entlegene, das scheinbar Unzusammenhängende wie selbstverständlich zusammen zu sehen! Ein Gelehrter und doch von der Leidenschaft des Rühmens wie des Verwerfens erhitzter Schriftsteller, wollte Krleža den kroatischen Künstlern und Intellektuellen, wollte er der kroatischen Kultur den Weg nach Europa weisen – und für die empfohlenen Erkundungsfahrten gleich selbst den Immunstoff gegen europäische Modekrankheiten des Geistes bereitstellen. Nichts darf die Literatur vergessen, niemand darf sie vergessen – im gewaltigen Werk des Miroslav Krleža sind die Namen der Namenlosen und Jahrhunderte kroatischer Geschichte in Knechtschaft und Auflehnung verzeichnet. Aber da dieses Kroatien, wie es Krleža mit Zuneigung und Kritik gestaltet hat, stets ein historisches Krisengebiet war, in dem die Erdbeben Europas nachbebten und kommende Zusammenbrüche sich knirschend und krachend ankündigten, ist in Krležas Gedächtnis des kroatischen Volkes auch europäische Geschichte aufgehoben.“ Karl-Markus Gauß, Tinte ist bitter, 1988 https://www.wieser-verlag.com/buch/tinte-ist-bitter-wtb/

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DIE FAHNEN

Roman in fünf Bänden, Glossar und zum Leben und Werk

Ein Jahrhundert vor unserem literarischen Auge. Das epochale Werk des Meisters der Erzählung Südosteuropas liegt nun endlich in einer mustergültigen, gewissenhaften Übersetzung von Gero Fischer und Silvija Hinzmann vor. DIE FAHNEN zeigen ein Kaleidoskop der europäischen Geistesund Kulturgeschichte, das Krleža zu einem großen europäischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts macht. Ina Jun-Broda rief mich 1978 zu sich. Sie redete auf mich ein: „DIE FAHNEN, die müssen Sie verlegen.“ Ich, jung, unerfahren, wurde von der Dicke des Romans fast erschlagen. Fünf Bände, 3000 Seiten. Mein verlegerisches Leben hatte erst begonnen. 1979 erzählte mir Ina Jun-Broda, die legendäre Übersetzerin aus den jugoslawischen Sprachen, von ihrem Gespräch mit Miroslav Krleža: „Für eine deutschsprachige Übersetzung kürze ich Ihnen DIE FAHNEN ein. Auf 800 Seiten. Weniger geht nicht. Und Sie übersetzen das!“ Krleža stirbt Ende 1981, Ina folgt im August 1983 nach. Krieg und Frieden. Europa zerfällt. Zwischen Wien und Zagreb, Budapest und Belgrad – quer durch Musils Kakanien. Die letzten Tage der Menschheit brechen an. Züge rasen hin und her. Politik, Wirtschaft, Regierungen, Beziehungen und Familien zerbrechen. In seinem umfangreichsten Werk, dem ab 1962 veröffentlichten fünfbändigen Roman DIE FAHNEN (Zastave), der in den Jahren 1912 bis 1922 spielt und jetzt erstmals in einer deutschen Übersetzung vorliegt, zeichnet Krleža ein Panorama von der geistesgeschichtlichen und politischen Situation Europas zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Schicksal von Bürgern, Aristokraten, Politikern, Ministern, Bürokraten, Generälen, Kriegsgewinnlern und Träumern, die ganze Galerie der ungarischen, kroatischen und serbischen Intelligenz – steht im Vordergrund dieser Chronik. Kriegsereignisse und Liebesbeziehungen werden miteinander verwoben. 2170 Seiten, in fünf Bänden, Glossar im Schuber, gebunden, Lesebändchen. Band Lauer wird extern zum Schuber angeboten. EUR 75,– ISBN 978-3-99029-201-3 Erscheinungstermin: Ende Oktober

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DIE FAHNEN

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2170 Seiten, in fünf Bänden, Glossar und zum Leben und Werk im Schuber, gebunden EUR 75,– ISBN 978-3-99029-201-3 Erscheinungstermin: Ende Oktober Band Lauer wird extern zum Schuber angeboten

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DIE FAHNEN von Miroslav Krleža. Krieg und Frieden. Europa zerfällt. Zwischen Wien und Zagreb, Budapest und Belgrad – quer durch Musils Kakanien. Die letzten Tage der Menschheit brechen an. Züge rasen hin und her. Politik, Wirtschaft, Regierungen, Beziehungen und die Liebe zerstört, die Familien zerbrechen. Am Beispiel der Familiendramen von Kamilo und Ana wird das Bild der Zerstörung alles Bestehenden nachgezeichnet. Im Individuum widerspiegelt sich die ganze Tragödie der Komödie der Menschheit.

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Band 1

Im ersten Band werden in einem weiten Bogen die politische Lage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und der Vater-Sohn-Konflikt geschildert. Kamilo Emerički ist ein kaisertreuer Beamter und Präsident der Polizeiverwaltung in Zagreb. Als er erfährt, dass sein Sohn Kamilo der anonyme Verfasser eines Artikels ist, der von seiner Behörde eigentlich hätte zensiert werden sollen, fährt er nach Budapest, um beim ungarischen Ministerpräsidenten Abbitte zu leisten. Kamilos Schmähschrift ist in den Fahnen des XX. Jahrhunderts erschienen, einer Zeitschrift, die von Professor Erdélyi herausgegeben wird. Erdélyi, ein Freigeist, Freimaurer, Sozialist, aber auch Wendehals, ist Kamilos Förderer und Mentor und gleichzeitig der Ehemann der schönen Ana Borongay, der berühmten ungarischen Dichterin, mit der Kamilo eine Liebesaffäre hatte. In Rückblenden beschreibt der Erzähler den Werdegang der Familie Emerički, die leidenschaftliche Liebesbeziehung zwischen Kamilo und Ana sowie Kamilos Freundschaft mit Joakim Dijak, der nach einem missglückten Bombenanschlag als Jugendlicher im Gefängnis landet. Kamilo wird in ein Internat nach Budapest verbannt. Als seine Mutter im Sterben liegt, kehrt Kamilo nach Zagreb zurück, doch er kommt zu spät. Auch Ana hat ihn verlassen. Die an Tuberkulose leidende Poetessa Inhalt hat einen neuen Liebhaber und weilt im Ausland. Der Bruch zwischen Vater und Sohn bahnt sich an. Als beim Besuch des serbischen Diplomaten Gruić, eines alten Kameraden seines Vaters, die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Serbien und Bulgarien in Makedonien und die Schlacht an der Bregalnica diskutiert werden, erreicht Kamilo die Nachricht, dass seine ehemalige Verlobte Jolanda tödlich verunglückt ist. Audienz beim Ungarischen Ministerpräsidenten 7 Joja nach Glina und Kamilo ins Hungaricum 94 Der Tod der Hochwohlgeborenen 154

Im Schatten von Mutters Totenbahre 256 Auf der Rückfahrt 294

Mittagsmahl zu Ehren von Herrn Stevan MihailoviÊ GruiÊ 332 Glossar 373

Anmerkungen* 417

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Das Glossar und die Anmerkungen wurden vom Übersetzer und vom Verlagslektor zum besseren Verständnis des Textes angefügt. Das Original enthält zahlreiche deutsche Textpassagen. Sie wurden nicht besonders hervorgehoben. 5

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Leseprobe (Textauszug Band 1)

spielen, und zwar nicht mehr unter vier Augen, sondern in aller Öffentlichkeit, dazu noch im Zentrum der ungarischen Öffentlichkeit, in einem Peπter Boulevardblatt, bravissimo!« Es ist nicht das erste Mal, dass Durchlaucht spürt, dass das Einzige, was er unternehmen könnte, wäre, sich wütend die Kleider zu zerreißen und diese seine Ausgeburt auf ewig zu verstoßen, denn, wenn er schon wegen seines verlorenen Sohnes verzweifelt, sollte man wissen, wer er ist, woher er in unsere verworrenen und schlimmen Verhältnisse kam, von welchen stolzen Ahnen und unter welchen ruhmreichen Dächern, wenn er sich am Rande der krankhaften Melancholie in quälender Ungewissheit über das eigene und das Schicksal des Herzens seines Stammes verliert, wo sich immer fataler der Charakter seines Einziggeborenen als eine unheilvolle Drohung abzeichnet und ihn jeden Moment auf den Grund der Hölle stoßen könnte, zu den Verdammten, deren Schicksal es ist, von der perversen Hand des eigenen perversen Kindes zu stürzen … Seine Durchlaucht, Herr Doktor Kamilo von EmeriËki, ist einer jener treuen Beamten des banschen Präsidialapparates, der entsprechend seiner krautjunkerischen Herkunft, entsprechend dem hohen Ansehen des Wiener Doktorats und einigen Semestern diplomatischer Ausbildung in Paris für die höchste Karriere bestimmt ist, und die Tatsache, dass ihn die ≈höheren Faktoren« bis heute bei der Ernennung für riskante kommissarische Missionen übergangen haben, hat er dem Umstand zu verdanken, dass das bansche Präsidium über keine allzu große Auswahl dieser Art von loyalen Kadern verfügt, die als Liberale vor der modernen Gesellschaft einerseits die Rolle der Freigeister spielen könnten, und auf die man sich andererseits bei der Erledigung delikatester unionistischer Aufgaben verlassen kann, die schon seit Jahren hinter den Kulissen erledigt werden, und die oft viel wichtiger sind als alles andere, was sich im Scheinwerferlicht der Presse im Vordergrund der politischen Bühne abspielt. Seine Durchlaucht Herr de Emericzi ist eine protokollarische banschaftliche, eine hundertprozentig loyale königliche kroatischslawonisch-dalmatinische Persönlichkeit, man könnte sagen, ein Mann, der seine Rolle perfekt spielt. Unabhängig von eigenen Sorgen 25

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und Stimmungen wird er, wenn er sich offiziell äußert, nie zulassen, dass ihn irgendeine unerwartete Wendung unter das Niveau der erhabenen Präsidialen Würde hinunter zieht. Wenn einer ein Rhetoriker ist, dem die rechten Worte am rechten Platz nicht fehlen, wenn einer ein Chef ist, der auch im grauesten Beamtenherz den warmen, rechtschaffenen Funken der echten Begeisterung für gerechte banschaftliche ungarisch-kroatische Angelegenheiten entzünden kann, dann ist das unsere Durchlaucht, der schon seit Jahrzehnten etliche Tricks des politischen Apparates im Sabor und in der königlichen Deputation beherrscht, als ein Mann, der das unumstößliche Vertrauen der höchsten Budimer ≈Macher« genießt, vor allem aber das des Grafen Premier, der von Durchlaucht die höchste Meinung als seinem loyalsten Mitarbeiter hat. Als er die präsidiale Politische Verwaltung übernahm, im Zusammenhang mit der Ernennung des neuen königlichen Beauftragten (der direkt aus dem Budimer Präsidium mit der Mission gekommen war, dem erniedrigten und gekränkten, durch das langjährige Kommissariat blutenden Königreich Kroatien die Verfassung zurückzubringen), begrüßte ihn einer der Banschaftsräte des Präsidialamtes vor der versammelten Beamtenschaft als den neu ernannten Chef mit honigsüßen Worten, wie man sie schon seit Jahrzehnten den neu ernannten Vorgesetzten um den Bart schmiert, wenn ihnen einer aus der Herde der namenlosen Banaschaftsräte in seinem abgewetzten Salonrock die Begrüßungsrede vorliest, die er in einem schmierigen, schweißnassen Zylinder versteckt hat, und alles muffelt nach Naphthalin aus alten, ungelüfteten Schränken, auf welchen ganze Batterien von Kompottgläsern, diesem einzigartigen Meisterwerk ihrer holden Gattinnen, aufbewahrt werden. Durchlaucht lauscht seinem subalternen Banschaftsratskollegen, irgendeinem verehrten ZidariÊ, GrabariÊ oder HorvatiÊ, wie er sich abmüht, vom Boden seines fettigen Zylinders Wort für Wort des festlichen Textes zu dechiffrieren, den er, als er ihn in der Nacht zuvor abschreibend auswendig gelernt hatte, aber trotzdem, sicherheitshalber, um sich wegen des Lampenfiebers nicht zu versprechen, hatte der Mann dieses Geschwafel für alle Fälle als Spickzettel in diese verfluchte Hasenfellrolle gesteckt, und nun liest er sein Meisterwerk mit 26

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„Am Beginn von Krležas Schaffen standen Dramen über große Gestalten der Menschheitsgeschichte (Jesus von Nazareth, Columbus, Michelangelo), das Stück Kraljevo (1915), eine grandiose Jahrmarktszene als Welttheater stilisiert, expressionistisch-lyrische Rhapsodien. Nach dem Krieg folgten Erzählungen und Dramen über das katastrophale Kriegsgeschehen. Von einer Reise in die Sowjetunion berichtete Krleža in dem Band Ausflug nach Russland (1926). In ungeheuerem Schaffensdrang schrieb er dann in seinem bedeutenden Jahrzehnt den aus drei Dramen und Erzählungen komponierten Glembaj-Zyklus, der sich in die großen europäischen Dekadenzgeschichten einordnet, die Romane Die Rückkehr des Filip Latinovicz (1932), Ohne mich (eigentlich Am Rande des Verstandes; 1938), Das Bankett in Blitva (1939) – der erste ein Künstlerroman, in dem Krleža seine Kunstreflexion ausbreitet, der zweite die Revolte eines Einzelnen gegen die Gesellschaft und der dritte ein allegorisches Modell der faschistoiden Kleinstaaten in der Zwischenkriegszeit. Nimmt man die lyrischen Symphonien (1933) und die Essaybände Europa heute (1935) und Zehn blutige Jahre (1937) hinzu, so erblickt man einen Autor von universaler künstlerischer Kraft, dem nur wenige seiner Zeitgenossen das Wasser reichen konnten. Vor allem bestach sein Werk in einer arbeitsteiligen Welt durch seine Gattungsvielfalt und überlegene Geistesschärfe. Krleža befand sich, wiewohl durch und durch kroatischer Dichter, auf der Höhe der europäischen Diskurse. Er war, noch ehe in solchen Begriffen gedacht wurde, ein europäischer Dichter.“ Reinhard Lauer, Wie viele Blumen, 2008 https://www.wieser-verlag.com/buch/wie-viele-blumen/ 8|

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DIE FAHNEN

Band 2

Der zweite Band schildert Kamilos Einberufung in die kaiserliche Armee, die Exerzierübungen auf dem Kasernenhof, seinen Schlüsselbeinbruch und die durchschossenen Knie, die Versetzung zum Divisionsstab, das Tedeum zur Erinnerung an die Rückeroberung von Przemyśl und die Kriegserfahrungen in Gródek Jagiełłonski in Galizien. Immer wieder aber unterbricht der Erzähler die Schilderung der aktuellen Wirklichkeit durch Bilder der Erinnerung an Ana und Joja. Die schreckliche Vergangenheit wird heraufbeschworen, doch auch lyrische Textpassagen werden eingestreut, zum Beispiel über die Violine, denn „Violine zu spielen ist auf jeden Fall vernünftiger, als sich mit Politik zu beschäftigen“. Die Politik spielt in diesem Band wie in allen anderen eine wesentliche Rolle. In zahlreichen Gesprächen zwischen Kamilo und seinem Vater, in Diskussionen und Vorträgen der beschriebenen Personen, bei Einladungen, Festessen und Beisetzungen werden die brennenden Themen der Zeit zwischen 1913 und 1922 aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet: der Austrohegemonismus und der Untergang der Donaumonarchie, die österreichische Bürokratie, für die jede Art von Reform wie Metaphysik erscheint, die Befreiung vom türkischen Einfluss im Süden des Balkans, Inhalt die Zukunftsperspektiven Kroatiens, das in seiner kaisertreuen Grenzermentalität verharrt, und Serbiens, das bereits straffer organisiert ist, wodurch eine nationale Jugointegration beider Länder erschwert wird. Selbst die Ausbeutung der Massen und der Antagonismus Kapitalismus – Sozialismus sowie das Anbrechen einer neuen Zeit durch die Motorisierung und Automatisierung werden thematisiert. Amadeo Trupac wird Abgeordneter 7

Ein Abendessen beim alten Kamráth 40 Im Schatten von Jolandas Tod 80

≈Der unheldischen Zeit zum Trotz« 116 Lebe wohl, Jugend 155

Der Ruf der kaiserlichen Posaune 167 Salto mortale 211

Tedeum für den Sieg bei Przemysl ´ 268

// ´ Die Schlacht bei Gródek Jagiellonski 309

Glossar 355

Anmerkungen* 397

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Das Glossar und die Anmerkungen wurden vom Übersetzer und vom Verlagslektor zum besseren Verständnis des Textes angefügt. Das Original enthält zahlreiche deutsche Textpassagen. Sie wurden nicht besonders hervorgehoben. 5

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Leseprobe (Textauszug Band 2)

Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich idiotisch hilflos wie ein rotziger, ziemlich dummer und hoffnungslos schlechter Schüler, der erzogen und dem beigebracht wird, wie er hochmoralische Eigenschaften und technisches Geschick erwerben kann, um Soldat zu werden, aber die Chancen, sich dieser Tortur nicht unterziehen zu müssen, waren nicht ganz ohne Risiko, was nach dem letzten Brief vom Vater mehr als sicher war. ≈Die Schule, auf die ihn der Herr Vater im Namen seiner hohen, staatsfördernden Prinzipien schickt, ist nicht das Hungaricum, nicht mehr das Francisco-Josephinum und es sind nicht die Barjaci XX. StoljeÊa, es ist eine disziplinierte, jesuitische Irrenanstalt mit einem einzigen Erziehungsziel: die todbringende Handhabung der glänzenden kaiserlichen Waffen, das heißt Gewehr und Messer, und das einzige praktische Ideal dieser Schule: ≈Kriegsfertigkeit«, dem Rekruten die Griesgrämigkeit, Faulheit und eine ganze Reihe schlappschwänziger und schlechter bürgerlicher Angewohnheiten auszutreiben, seine moralische Stärke bis zur Selbstaufopferung zu steigern, nur so und auf so drakonische, spartanische Art wird sich der erbärmliche Zivilist in einen kaiserlichen Soldaten verwandeln, das heißt in einen richtigen kaiserlich-königlichen Soldaten, der dieser erhabenen Einberufung würdig ist, um in schwersten Kriegszeiten als loyaler Kadaver seine Pflicht im Dienste des österreichischen Kaisers und ungarischen Königs zu erfüllen, auf Basis von Artikel VII Absatz a, b und c des Grundlagengesetzes über das Abkommen, das einerseits vom Königreich Ungarn im Jahre 1867 mit Österreich geschlossen wurde und andererseits mit dem Königreich Kroatien, Slawonien und Dalmatien ein Jahr später, 1868.« ≈Er wird als verspäteter Herbstrekrut nach Artikel VII Absatz a, b und c und nach Paragraf 32 des Verteidigungsgesetzes einzeln instruiert werden, in den ersten beiden Wochen der Rekrutenausbildung wird er das Gewehr nur vom Kasernenhof bis zum Exerzierplatz tragen, in der dritten und vierten Woche zum Exerzierplatz und zurück schon ganze fünf Stunden, um ab der vierten Woche und weiterhin auch schon einen Tornister mit voller Kriegsausrüstung zu tragen, täglich sechs Stunden, so wird er nicht mehr als untätiger, ungebundener, zuchtloser und unkorrekter Zivilist dastehen, sondern 171

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mit angespanntem Körper und eingezogenen Schultern, mit durchgedrückten, aber lockeren Knien, mit eingezogenem Bauch und aufrechtem Körper, die Handflächen an der Hosennaht, mit aneinandergelegten und gekrümmten Fingern, mit dem Daumen berührt er die Hosennaht so, dass seine Hand ruhig und steif ist, wie aus Wachs, den Kopf erhoben, bewegungslos, immer hellwach und befehlsbereit, und wenn das Kommando kommt links schaut, wirft er den Blick und den Kopf blitzschnell nach links, aber so, wir möchten doch bitten, dass sich eventuell nicht auch die Schulter dreht, und wenn ihm befohlen wird rechts schaut, wird er im selben Moment seinen Kopf nach rechts werfen und so mit dem Blick nach rechts verharren, bis das Kommando kommt, geradeaus zu blicken, und wenn ihm befohlen wird, sich zu bewegen, wird er sich bewegen, aber nicht ∑ ich weiß nicht wie, wie ein Zigeuner, wie ein Zivilist oder wie ein stinkiger Schüler und Faulenzer, sondern straff, soldatisch, selbstverständlich im Sinne des Reglements, ohne die Knie anzuheben, ohne kopflose, irre Hast, sondern ruhig, würdevoll, einhundertfünfzehn Schritte in der Minute, einhundertfünfzehn Schritte in der Minute und keinen weniger oder mehr als einhundertfünfzehn in der Minute, und zwar so gleichmäßig, dass er auf das Kommando: ≈Marschieren, marsch, marsch!« im selben Augenblick, ohne zu überlegen, losmarschiert, mit dem linken Bein, es am Knie abknickend, den Oberkörper nach vorn gebeugt und den Fuß so über den Boden hebend, dass er ihn mit der Spitze seines Schuhs trotzdem nicht berührt, und wenn er sein Bein vorschriftsmäßig zur vollen Länge eines ganzen Schrittes gestreckt hat, und zwar genau um fünfundsiebzig Zentimeter, bewegt er es mit der Schuhspitze voran nach unten und tritt mit der ganze Fußfläche auf den Boden, so macht er es abwechselnd mit dem linken und dem rechten Fuß, mit dem rechten und dem linken, auf die gleiche Art, mit dem linken vor den rechten und mit dem rechten vor den linken, in guter, straffer und gerader Haltung, mutig, ohne zu schwanken, ohne Rücksicht darauf, ob es regnet oder die Sonne brennt, ob es um St. Katharina schneit oder um Mariä Lichtmess der Wind pfeift, ob Ostern oder Fasching ist, Sommer oder Winter, im gleichen Rhythmus, in der Minute einhundertfünfzehn Schritte, fünfundsiebzig Zentimeter lang, jeder Schritt fünfundsiebzig Zentimeter und keinen Millimeter mehr, und er marschiert, eins-zwei, eins-zwei, 172

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Krleža-Denkmal in Opatija. Foto: Archiv Wieser Verlag

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Wie Paris seinen Balzac und seinen Zola hat, Dublin seinen James Joyce, so hat Kroatien seinen Krleža. The Saturday Review 12 |

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Band 3

Der dritte Band, wie die anderen nicht linear fortlaufend erzählt, sondern durch zahlreiche Rückblenden charakterisiert, beschreibt Kamilos Leben nach seiner Verletzung und der ärztlichen Behandlung im Garnisonskrankenhaus. Wie aus dem Grabe auferstanden kehrt er nach Ladanje unter das großväterliche Dach zurück, wo er sich als Zivilist viele Ereignisse und Personen (Tod der Mutter, Jolanda und Genja) durch neue Erkenntnisse und Details in veränderter Sicht in Erinnerung ruft und seine Überlegungen über die Probleme der Menschheit und das Jugoslawentum wieder aufgreift, was quasi eine Einleitung für eine neuerliche Begegnung mit Joja darstellt, der nach achtjähriger Haft bei den Serben bei seinem Schulfreund auftaucht. In einem langen Gespräch zwischen Kamilos Vater, Kamilo und Joja werden die unterschiedlichen politischen Standpunkte vertreten: Der Vater ist ein Legitimist, ein Befürworter des Königshauses, der die Gesetze respektiert, weil er in ihnen den einzigen Garanten der Zivilisation sieht. Joja will eine Revision aller verlogenen Floskeln durch kompromisslose Gewalt und Dynamit erreichen, während Kamilo als Idealist für eine Demystifizierung aller Idole und Fetischismen, aller moralischen, historischen, politischen und literarischen Betrügereien und Täuschungen als Basis einer neuen Politik eintritt und eine auch der Gewalt gegenüber Inhalt eigentlich ablehnende Haltung einnimmt, aber sowohl die Rechte des Staates und der Monarchie als auch das Recht zur Auflehnung anerkennt. Ana tritt in diesem Band nicht aktiv in Erscheinung. Sie wird aber immer wieder durch kurze Bemerkungen des Erzählers oder in Kamilos Gedanken in Erinnerung gerufen. Die Leiden des K. E. im Jahre 1914 7

Der Tod des k. u. k. Oberarztes Guido Glanz 51 Unter großväterlichem Dach 88 Joja kommt 207 Glossar 445

Anmerkungen* 487

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Das Glossar und die Anmerkungen wurden vom Übersetzer und vom Verlagslektor zum besseren Verständnis des Textes angefügt. Das Original enthält zahlreiche deutsche Textpassagen. Sie wurden nicht besonders hervorgehoben. 5

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Leseprobe (Textauszug Band 3)

Erdbeereis oder von Pilzen zum Beispiel, notabene, zu der Zeit war ich mit Æenka liiert, sie blieb immun, und meine Valerija haben sie erschossen oder aufgehängt, wenn ich Valerija infiziert hätte, was hätte ich machen können, mich aufhängen, vot eta æiznj Ëelovjàka, sagt der Russe, so ist das Leben der Menschen, Mann, das klingt syphilitisch! Die in Paris hieß Gilberta. Sie hieß Gilberta. Vergessen, aus der Mode gekommen, wie es so geschieht, wenn etwas aus der Mode kommt, leise, unmerklich, für immer, plötzlich vor langer Zeit, in den Achtzigerjahren, ein Zufluchtsort klangvoller und überaus berühmter, lyrischer Namen, und heute auch jene Taverne und die ruhmreiche Galerie ihrer Dichter, all das ist verweht im Wirbelwind einer eintönigen Wüste, die sich Zeit nennt. Eine altmodische kleine flandrische Taverne, zu der sich zufällig manch eine besonders wissbegierige ausländische schöne Seele mit dem Baedeker in der Hand verirrt, eine Terrasse, Oleander, in einem engen, rußgeschwärzten Sträßchen in Montparnasse, irgendwo direkt hinter der Ecke boulevard Raspail und rue d’Assas, nicht weit von der Fontäne im Jardin du Luxembourg und dem Wäldchen, ganz versunken im grünlichen Licht der Gaslaternen. Im Dämmerlicht bei der Kasse der Glaskasten eines Aquariums, ein taubstummer Korso silberner Schuppen und flammend roter aufgeschlitzter Kiemen, wie lebendiges Fleisch, die nervös zittern beim vollkommen aussichtslosen, vergeblichen, taubstummen Kreisen im Unterwasserpark, blühende Oleander, Cherry Brandy, der Klang einer Gitarre gefühlvoll leer, alles durchtränkt von der Sehnsucht toter Dichter nach Traumlandschaften im bewölkten Archipel, nach Spaziergängen im Mondenschein unter lichtüberfluteten Wolken, hoch über diesem Planeten, nach Bergwiesen, wo silberne Wasserfälle von Gletschern herabstürzen, versponnene Knabenträumerei, harmloses, fröhliches Winseln eines kleinen Hundes, die Kindheit immer noch vor Augen … Der Lehrling riss sich los von der Druckerei, von aller Fiumer Qual, er flog in die Höhe wie eine Kartätsche, für die drei Novelletten zahlte man ihm einhundertsiebenundachtzig Lire, ein feierlicher Auftritt im Corriere della Sera, er erreichte die romantische Taverne 432

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über wogende Felder, durch Pappelalleen, er erschien und trat ein in die Literatur, man spürte, dass ≈ein Jemand« eingetreten war, er wurde nicht nur bemerkt, sondern sein Auftreten wurde gehört, alles duftete süß nach parfümierter Seife, nach frisch geröstetem Kaffee, Silberklänge vom Turm verkündeten die späten Nachtstunden und verwehten. In der kleinen, mahagonigetäfelten Taverne, mit einem Boden, der mit dunkelweißen holländischen Fliesen belegt war, auf denen sich das idyllische Leben eines kleinen holländischen Hafens mit Segelschiffen abspielte, Keramik in ≈modernem« Stil, der Knabe, mitgerissen vom Strudel der großen Stadt, in wundervoller Begeisterung über den einzigartigen, makellosen jungfräulichen Erfolg, ein wenig auch verwirrt vom schwindelerregenden Stolz, wie ein junges Pferd, das nach dem ersten siegreichen Rennen vor Freude überschnappt, er erstickte nicht im Fiumer Sumpf, er schwamm sich frei, überwand Skylla und Charybdis, er schwamm her in diese Taverne mit der Nase über Wasser und einhundertsiebenundachtzig Lire in der Tasche, nach Paris, in der Mailänder Presse ist sein Name verewigt, er ist nicht untergegangen, er wird nicht ganz sterben, nach ihm wird ein Denkmal bleiben, dass er hier war und gelebt hat, dass er nicht verweht ist wie namenloser Staub, die Kastanien blühen, die Fontäne plätschert, idyllisch hallen die Hufe der Fiakerpferde auf dem Granit, leise fahren die Karossen auf den Gummirädern, Synkopen von Pferdehufeisen, hie und da ein Hupen, töf-töf, ein Dichter unter dem Gewölbe einer Kathedrale, im Schatten marmorner Säulen, Stille, im Hintergrund der Apsis eine Ampel, alles ist am Anfang, an einem triumphalen Anfang, kein Einsamer, kein Flüchtling, nicht ≈allein in der Fremde« (A. G. Matoπ), ein Sieger, Herr Joja Dijak, am Anfang seines Weges, ein Novellist, den der Corriere della Sera in seinem Feuilleton mit dem Kommentar druckt, dass es sich um das Erstlingswerk eines neuen Namens handelt, um einen unbekannten jungen Mann aus Fiume, dem die Feen über der Wiege eine glänzende Zukunft vorausgesagt haben … Im dunkelorangen Licht einer rußenden Petroleumlampe, aus dem grünen Dunkel unter den blühenden Oleandern schwebte der körperlose Schatten einer blonden Frau in seidenem Weiß heran. Geräusch433

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Reinhard Lauer widmet sein Buch dem Leben und Werk von Miroslav Krleža In Vorbereitung auf das 2000 Seiten umfassende Romanereignis veröffentlichte der Verlag eine Einführung zu Leben und Werk des großen südosteuropäischen Enzyklopädisten aus der Feder des profunden Kenners Reinhard Lauer. Der Band Wer ist Miroslav K. wird extra zum Schuber angeboten.

„Miroslav Krleža (1893–1981) ist der bedeutendste Schriftsteller der kroatischen Literatur. Von 1917 bis zu seinem Tod war sein Schaffen maßgeblich nicht nur für Kroatien, sondern für ganz Jugoslawien. Hervorgegangen aus dem alten Österreich-Ungarn, neugierig alle Ereignisse aufnehmend, wurde er zu einer einzigartigen Instanz, die sich in allen europäischen Literaturen zu Hause fühlte, in der ungarischen, der russischen und der polnischen ebenso wie in der deutschen, französischen und englischen. Seine Werke atmen deshalb den Geist Europas, ehe der Kontinent zusammenwuchs. Krležas Leben mit seiner engen Bindung an Zagreb, mit Stationen in den Kadettenanstalten Ungarns, mit Reisen nach Paris und in die Sowjetunion ist nicht weniger interessant als seine Werke. Er hat in allen Gattungen Hervorragendes geleistet, im Drama, in der Novellistik, im Roman, in der Lyrik, im Essay und in seinen Tagebüchern. In seinen Polemiken kämpfte er erst für eine linke, sozialkritische Literatur, dann aber, nach der Verkündung des Sozialistischen Realismus, gegen die schlechte linke Kunst. Er suchte den »Zusammenstoß auf der Linken« und wurde in der Zeit Titos zum Wegweiser der Literatur. Seit 1950 leitete er das Enzyklopädische Institut, in dem die jugoslawischen Enzyklopädien erschienen. Seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt. In dem vorliegenden Buch sind Leben und Werk des großen kroatischen Autors dargestellt.“ 16 |

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DIE FAHNEN

Band 4

Auch in Band IV, der im Jahr 1922 spielt, gibt es lange Passagen über das normale bürgerliche Leben in der Nachkriegszeit, das sich aber zur Negation von Moral und bürgerlichen Wertvorstellungen als einziger Richtschnur verwandelt hat, eindrucksvoll geschildert in Kamilos Schulfreund Amadeo, der an keinerlei ideellen Werten, sondern nur an feudalem Leben und an Geld interessiert ist. Affären, Korruption und Kriegsgewinnler bestimmen die Zeit. Private Beziehungen zerbrechen. Kamilos und Amadeos Ehen sind gescheitert, sie haben in Alisa und Dagmar jeweils die falsche Schwester geheiratet: Kamilo eine nur an Sensationen, Skandalen, Liebesdramen, Schmuck und Pelzen interessierte Verschwenderin und Amadeo einen weiblichen Schöngeist. Seine persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse über die Gesellschaft haben Kamilo zum Zyniker werden lassen. Wie in Band III die politischen Antagonismen von Kamilo und Joja im Vordergrund stehen, sind es hier die gegensätzlichen Ansichten und Verhaltensweisen von Kamilo und seinem Vater. Der alte Emerički ist inzwischen Minister geworden, nur des Geldes und des äußeren Scheins wegen, wie Kamilo sagt. Er wirft ihm auch die gewaltsame Niederschlagung des Aufstands der Fronbauern und seinen politischen Opportunismus vor, für den er sich schämt, der Inhalt ihn veranlasst, seinen Vaternamen abzulegen, sich von romantischen nationalistischen Illusionen zu lösen und sich als moralischem Kontrapunkt Marx und dem Sozialismus zuzuwenden. Damit sei der Bruch zwischen ihnen endgültig, wie der alte Emerički zu Kamilo in der abschließenden Auseinandersetzung sagt. Die Beziehung Kamilos zu Ana bleibt offen, da sie eine definitive Entscheidung für ihn abgelehnt hat. Silberhochzeit im Hause Jurjaveπki 7 Im Schneesturm 92 Morituri 180 Glossar 261

Anmerkungen* 293

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Das Glossar und die Anmerkungen wurden vom Übersetzer und vom Verlagslektor zum besseren Verständnis des Textes angefügt. Das Original enthält zahlreiche deutsche Textpassagen. Sie wurden nicht besonders hervorgehoben. 5

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Leseprobe (Textauszug Band 4)

Die Beziehung zwischen Vater und Sohn war schon seit der Konstituante vergiftet, als der alte Herr als Minister ohne Portefeuille der Provisorischen Regierung und Kandidat auf der unabhängigen Königsliste, ein kroatischer Adliger und Nachkomme Zagorjer Gutsherren, eine der ≈seltenen politischen Kapazitäten in der Verwaltung«, begann, die Rolle des ≈Pioniers einer kompromisslosen Vereinigung unseres Dreinamenvolkes« zu spielen. Die These von Herrn Minister über die zukünftige Ordnung unserer neuen staatlichen Organisation, die er allen und jedem eintrommelte, war eine Sammlung von billigen Phrasen, dass die neue staatliche Ordnung unbedingt und ausschließlich zentralistisch sein müsse, denn Zentralismus sei eine der Bedingungen sine qua non. ∑ Allerdings, wer über wirkliche historische Erfahrung verfügt, wer unser Volk kennt, vor allem seine anarchoindividualistische Veranlagung, dann das wilde Temperament der ungebildeten Bauernmassen, seine leicht erregbare, oft naive Fantasie, die regelmäßig geneigt ist, auf der Jagd nach Chimären vom Wege der Realität abzuirren, jeder, der den außergewöhnlich komplizierten Verhältnissen Rechnung trägt, in deren Rahmen sich unser junger Staat formt, jeder, wenn er bereit ist, Beweise eines gesunden Menschenverstands anzuerkennen, muss sich dessen bewusst sein, dass dieses unklare und demagogisch unbestimmte Etwas, das ≈Föderalismus mit breiter Autonomie« genannt wird, unsere Stammes-, nationalen, religiösen und regionalen Disharmonien noch mehr gefördert hat, die sich auch ohne das wie zerstörerische Gefahren auf allen Seiten ausbreiten und mit denen wir uns im Interesse der Staatspolitik, im Interesse der breiten Volksmassen ganz energisch auseinandersetzen müssen. ∑ Du spielst immer die billige alte Leier, deine ganze Konstituante ist nichts anderes als ein Blechhahn auf einem Provinzbahnhof, ein Automat, der Schokolade in Staniol an Bettler verkauft, eine Grabplatte der Polizei für jegliche Freiheit. ∑ Die Grabplatte auf dem Grab der Stammesfehden, wenn du willst, das ist die einzige Garantie gegen den politischen Zerfall und die Blödsinnigkeiten der Autonomie. ∑ Als ob unsere Leute so blöd wären, nicht zu sehen, dass es sich um einen verlorenen Krieg handelt, das Prinzip, das du verteidigst, 224

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ist und bleibt ∑ ius gladii, widersprach Kamilo dem Vater, als wieder einmal in der Jurjevska, beim Abendessen, nach einer Pilzsuppe, das Rasseln der Schwerter begann, das eines der tausend politischen Gespräche begleitete, die an diesem Tisch seit dem Hungaricum, jetzt sechzehn lange Jahre, geführt wurden. ∑ Du willst also nicht zustimmen, dass unsere heutigen Republikaner und Föderalisten, die Bauern und die Popen ein Haufen sind, der keinerlei überzeugende Argumente hat, dass seine Sicht auf unsere nationale Vereinigung progressiv ist, denn wie die Herrschaften bis gestern bedingungslos ≈kaisertreu« waren, so entspricht ihr Programm heute genauso wenig den Volksinteressen, ich meine den Interessen unseres Volkes. ∑ Ich bitte dich, von welchem ≈unserem Volk«? ∑ Na, von unserem vereinten Dreinamenvolk natürlich, das waren wenigstens immer deine Ideen, nicht nur deine Ideen, sondern deine Axiome, Gott sei Dank, wir werden doch jetzt nicht auch das noch leugnen? Diese Esel werden diese Dynastie nicht anerkennen, wie sie auf den Forint nicht verzichten werden, das ist das Gesetz der Trägheit. ∑ Meinst du, dass sie so dumm sind und es ihnen nicht klar ist, dass deine Dynastie Zuckerbrot und Peitsche in Händen hält, und was hätten sie davon, wenn sie sie auch anerkennen würden, frage ich dich, die Forints, die sie ihnen weggenommen haben, werden sie ihnen sowieso nicht zurückgeben. ∑ Anerkennen oder nicht, das ist völlig wurscht, ich bitte dich! Der Dynastie ist es egal, ob diese Taugenichtse sie anerkennen, selbst wenn sie sie anerkennen würden, blieben sie doch heimtückisch illoyal, wie sie es auch in Österreich waren. ≈Aula est pro nobis«, ≈Vitam et sanguinem«, das waren ihre Parolen, unter denen sich der Hass gegen die Österreicher verbirgt, wir kennen dieses Lied auswendig, was es bedeutet, ≈kaisertreu« zu sein, um nicht Flagge zu zeigen, das nützt niemandem. ≈Das ist geistreich«, dachte Kamilo bei Vaters Antwort, ≈dieses historische Quiproquo spricht sui generis Bände, alle Achtung, hier klagt ein kompromissloser, hundertprozentiger Austrokroate heute andere an ∑ ≈politisch verdächtige« Austrokroaten, sie seien Austro225

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„Als Jean-Paul Sartre im Mai 1960 Jugoslawien besuchte, kam es zu einer Begegnung der beiden Schriftsteller. Sartre war längst schon auf Krleža aufmerksam geworden, manche Kritiker zogen eine Parallele zwischen den beiden als den führenden Geistern in ihren Ländern. Zwar waren die philosophischen Grundlagen bei ihnen sehr unterschiedlich – Sartre war von Heidegger, Krleža von Schopenhauer und Nietzsche geprägt worden –, aber in ihrem literarischen und gesellschaftlichen Engagement kamen sie sich nahe. Sartre soll geäußert haben, hätte er gewusst, dass Krleža schon 1932 seinen Filip Latinovicz geschrieben habe, so hätte er den Ekel nicht geschrieben.“ Reinhard Lauer, Wer ist Miroslav K. Der Band wird extra zum Schuber angeboten und ist als eigenständige Publikation 2010 im Wieser Verlag erschienen. https://www.wieser-verlag.com/buch/wer-ist-miroslav-k/

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DIE FAHNEN

Band 5

In Band V treffen sich Kamilo und Ana nach neun Jahren in einem Hotel in Zagreb wieder. Ana und ihr Mann sind vor dem „weißen Terror“ des HorthyRegimes geflohen und wollen über Paris in die USA emigrieren, wo Erdélyi einen Lehrstuhl erhalten soll. Kurz zuvor waren sie in Belgrad, wo sie Amadeo, seine Frau Dagmar und ihre Schwester Alice, Kamilos Noch-Ehefrau, getroffen haben. Während Kamilo und der greise Erdélyi im Hotelfoyer auf Ana warten, die in ihrem Zimmer einen Schwächeanfall erlitten hat, geraten sie wegen ihrer inzwischen völlig konträren politischen Ansichten aneinander. Kamilo bedauert, dass er überhaupt zu dem Treffen gekommen ist. Als Ana endlich erscheint, ist Kamilo erschüttert. Ana ist eine alte Frau geworden, die von sich selbst und ihrem früheren Ruhm völlig eingenommen ist. Sie behandelt Kamilo immer noch wie einen Schulbuben. Ihm wird bewusst, dass seine Liebe zu ihr immer schon einseitig war. Ana besteht darauf, für einige Stunden mit ihm allein zu sein, um ihm vor dem endgültigen Abschied zu erklären, warum sie sich jahrelang nicht gemeldet hat. In Rückblenden werden die Ereignisse der vergangenen Jahre geschildert. Der Bruch zwischen Vater und Sohn ist endgültig. Kamilo bekennt sich offen zum Marxismus. Sein Vater hat Kamilos ehemalige Klavierlehrerin geheiratet und lebt nun in Budapest. Vater und Sohn sind das Ziel einer Pressekampagne und gelten als Spione. Emerički Inhalt senior legt sein Ministeramt nieder. Bei einem Empfang erliegt er einem Herzinfarkt. Kamilo fährt nach Belgrad, um Joja vor Gericht zu vertreten, aber er wird nicht zum Prozess zugelassen. Joja wird bei einer angeblichen Flucht aus dem Gefängnis erschossen. Amadeo hat sich den Zeiten angepasst, ist noch skrupelloser und reicher geworden. Kamilos Ehe ist endgültig gescheitert. Kamilo zieht wieder ins elterliche Haus ein, wo er mit großer Verspätung einen Brief erhält, aus dem er erfährt, dass Ana unmittelbar nach ihrer Ankunft in Amerika gestorben ist. Rendezvous im Hotel Royal 7

Mittagessen im Grand Hotel 55 Liebe auf der Totenbahre 121 Finale 160

Ewigen Frieden schenke ihnen, O Herr 211 Glossar 377

Anmerkungen* 423

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Das Glossar und die Anmerkungen wurden vom Übersetzer und vom Verlagslektor zum besseren Verständnis des Textes angefügt. Das Original enthält zahlreiche deutsche Textpassagen. Sie wurden nicht besonders hervorgehoben. 5

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Leseprobe (Textauszug Band 5)

hat, denn es wäre ein enorm schade, wenn er eines Tages sich und seine Karriere zerstören sollte ∑ und zwar für nichts«. Bis Bregalnica an die Rolle der serbischen Generalität als die einzig positive Komponente der nationalen ≈Befreiung« glaubend, stellte sich Kamilo immer als ein Fanatiker der serbischen Piemonteser Staatsmission dar, genau so, wie Ana es auch immer wieder sagte, ≈als Hochverräter all dessen«, was sie als politisches Axiom, als Haupt- und Grundvoraussetzung für jede Zivilisation an der Donau erachtete. So war Ana unnachgiebig der Ansicht, dass die ungarische Zivilisation definitiv der Garant solcher Werte sei, die nicht untergehen dürften, denn der Untergang der ungarischen Zivilisation wäre auch für Kamilos eigene Existenz gefährlich, unabhängig davon, dass er diesen Untergang sowohl herbeiwünscht als auch prophezeit. In dieser Hinsicht verliefen ihre Gespräche, wenn von politischen Ereignissen die Rede war, als hitzige Dialoge, und man weiß nicht, wie sich ihre ungarisch-kroatische Liebe entwickelt hätte, wären im Schatten dieser Kontraste die fatalen Ereignisse nicht eingetreten. ≈Was war Ana? Ein Phantom! Nicht mehr und nicht weniger als ein Phantom, jene blinde und wie alles auf der Welt dumme Macht, die Fische und Kriechtiere, alles Gefiederte in der Luft und alles Vierbeinige auf der Erde zu diesem Etwas treibt, das in seinem Fall Ana hieß. Auf seinen nervösen Fahrten zwischen dem Peπter Ostbahnhof und Zagreb war Ana der Schleier, der wie eine Fahne über dem Zug wehte, mit dem man der heiteren Freude entgegeneilt. Die Agramer Türme verschwinden im pastellblauen Dunst des sommerlichen Nachmittags, wir kehren zurück in die Wohnung von Frau de Szemere am Rákóczi-Boulevard, dritte Etage links, wir kehren zurück unter die Fittiche von Frau Ana, die uns erwartet, sie hat unser Telegramm bekommen, und wenn wir da sind, rufen wir sie an, pfeilschnell fliegen die Bahnstationen wie Spielzeug vom Basar auf den grünen Wiesenteppichen an uns vorbei, Pappeln, Felder, Straßen, Schlösser, Tee im Speisewagen, Donaubrücken, illuminierte gläserne Zifferblätter auf den Türmen, vorabendliches Glockengeläut in der Ferne, Ferencváros ∑ Ostbahnhof, Abendlichter an der Donau, wir sind da, Gott sei Dank, wir sind froh, dass wir leben, in fünf Minuten wer66

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den wir an Anas Tür läuten, jeder Tag, den uns Frau Ana schenkt, ist ein von Gott geschenkter Feiertag, wie der alte Kalman EmeriËki pathetisch sagen würde …« ≈Alles war von Ana durchtränkt: die Bäume und die Wasser, die Wolken und der Himmel und das Reh, das kopflos über die Wiese davonsprengte, entsetzt vom Pfeifen der Lokomotive, das Gezwitscher der Spatzen und das Heulen des Windes, das Phänomen des fortwährenden Mysteriums des Lebens, des Lebensliedes, das der finsteren Sinnlosigkeit des Universums Ana’schen Sinn gibt. Wenn Ana nicht da ist, vergeht die Zeit langsam, alles steht still und ist weit weg, unbegreiflich, unbeweglich wie die grün schimmernden Sterne, kalt und leer, doch im Licht von Anas Magie der bläulich-gelbe Tihanyer Morgen, das Wasser mit blühenden Linden, mit Flieder und Oleandern, mit grünen Gersten- und Weizenfeldern, alles fließt über ins üppige musikalische Thema, alles duftet nach goldenem Öl, alles ist feucht wie die Dielen auf dem Deck eines Balatoner Segelschiffes, alles klebt glyzerinartig, Ruder und Segel und Stoffe, alles ist pastellblau wie der Himmel mit lyrischen Schafen auf der himmlischen Weide, und bronzene Musik der Glocken vom Tihanyer Kloster, Zigeuner, Zelte, dunkelorange rußige Flammen züngeln unter den Kesseln im Wald, laut wehklagen die Zimbals ∑ Falu végén kurta kocsma10, wir sind beim Tee bei Baronin Souchez Adelshofen, dinieren bei Schimanskis, Seerosen blühen im See, Fische springen im Teich, herrschaftliche Parks schweigen während der Nachmittagssiesta, am gelben, wie in einer Zirkusmanege sandigen Pfad ruht jedes Blatt, der Schnee fällt, Peπter Schnee, Peπter Vorabende im Zentrum von Lipótváros, Orchestrien, Kaffeehäuser, Restaurants, Opern, Premieren, Fächer, Bonbonnieren, Bankette, Rosen, Anas intensives Chypre duftet süß, berauschend wie ihr Busen, Balustraden, Marmortreppen, Kerzenleuchter, Konzerte, alles ist erleuchtet von Ana wie von einem seltsamen Licht aus astraler Ferne, und gleichzeitig spielt sich alles innerhalb einer Reihe von unangenehmen Konflikten ab, und während Kamilo doziert, er sei ein Skeptiker, wenn man von einem ≈absoluten geistigen Wert der Poesie und Religion« spricht, denn so habe man damals schon nach Art des beseelten pantheistischen Geredes gefaselt, wenn Kamilo erklärt, dass er prinzipiell ≈an allen absolu67

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„1962 begann Krleža im Forum seinen neuen Roman DIE FAHNEN (Zastave) zu publizieren. Fünf Bücher sollten es werden, deren Erscheinen sich bis 1968 hinzog. 1962 wurde er in Belgrad dafür mit dem NIN-Preis, der Auszeichnung für den besten Roman des Jahres, 1966 mit dem Njegoš-Preis und 1968 mit dem Goran-Preis für das beste literarische Werk bedacht. Es war Krležas umfangreichstes Werk, die Buchausgaben im Verlag ,Zora‘, Zagreb, und im Verlag ,Oslobođenje‘, Sarajevo, enthalten erhebliche Abweichungen voneinander. Die fünfbändige Konzeption der Sarajevoer Ausgabe muss als Krležas letzthändige Version akzeptiert werden. Krleža dachte freilich weiter, neun Bände hätten es am Ende sein sollen, die den Zeitraum von 1912 bis 1941 abdecken sollten, in der realisierten fünfbändigen Form geht es nur um die Jahre 1912 bis 1922. In dem ,blutigen Jahrzehnt‘, wie man diese Zeit genannt hat, spielten sich die Balkankriege, der Erste Weltkrieg, der Zerfall der Donaumonarchie und die Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen ab. Ein Thema von solcher Weite hatte Krleža, ausgenommen vielleicht den Glembay-Zyklus, bisher noch nicht bearbeitet. Kroatien im politischen und ökonomischen Kräftegeflecht zwischen Wien, Budapest und Belgrad wurde anhand einer ungewöhnlichen Fülle von typischen Gestalten, Schicksalen und Ereignissen dargestellt. Was sich bei den älteren Vertretern der herrschenden Kreise und der Beamtenschaft als beinahe bruchloser Übergang vom alten ,Austrokroatismus‘ oder ,Hungarokroatismus‘ zu einem serbisch dominierten ,Jugoslawismus‘ vollzog, führte in der politisch und moralisch geschärften jüngeren Lauer, Wer ist Miroslav K. Generation zu Reibungen.“ 24 |

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DIE FAHNEN

Glossar

Das Glossar und die Anmerkungen wurden von Übersetzer und vom Verlagslektor zum besseren Verständnis des Textes angeführt. Das Original des Romanes DIE FAHNEN (Zastave) enthält zahlreiche deutschsprachige Textpassagen. Sie wurden in der Übersetzung nicht besonders hervorgehoben. Der Glossar-Band liegt dem Schuber bei.

GLOSSAR BAND 1∑5 Abdera ∑ Stadt im Regionalbezirk Xanthi, an der Küste zum Ägäischen Meer. Sie war in der griechischen Antike sehr bedeutend und Heimat der Philosophen Demokrit und Protagoras. Auch der Dichter Anakreon wohnte hier. Trotzdem hatten die Bewohner der Stadt einen ähnlichen Ruf wie die Schildbürger. Wer als ≈Abderit« bezeichnet wurde, galt in der Antike als einfältiger Mensch. Entsprechend wird auch Kleinstädterei beziehungsweise Schildbürgertum als Abderitismus bezeichnet. Abdul Hamid II. ∑ (1842∑1918) von 1876 bis1909 Sultan des Osmanischen Reichs Abulie ∑ griech. aboulia (Willenlosigkeit); eine krankhafte Willenlosigkeit, Willensschwäche und Unentschlossenheit. Acheron ∑ Fluss in Nordwestgriechenland; er durchfließt die historische Region Epirus und ist darüber hinaus ein Topos der griechischen Mythologie. Ada Ciganlija ∑ dt. Zigeunerinsel, künstlich angelegte Insel in der Save in Belgrad. Adagio cantabile ∑ in der Musik Angabe zur Interpretation des Musikstücks: langsam, ruhig, gemächlich, gesanglich. Adonai ∑ hebräisch ≈mein Herr« Gebetsanrede an Gott. Sie trat im Judentum auch an die Stelle des Namens Jahwe. Adony-Pusztaszabolcs ∑ eine Kleinstadt ca. 50 km südlich von Budapest Ady, Endre ∑ (1877∑1919) ungarischer Lyriker. Die Erneuerung der ungarischen Kunstdichtung ist vor allem ihm zu verdanken. Aehrenthal, Alois Lexa Freiherr von (1854∑1912) (Baron, ab 1909 Graf) ein österreichisch-ungarischer Politiker, von 1906 bis 1912 k. u. k. Außenminister. Aesop ∑ auch Äsop, ein antiker griechischer Dichter von Fabeln und Gleichnissen, der wahrscheinlich im 6. Jahrhundert v. Chr. lebte. Er gilt als Begründer der europäischen Fabeldichtung. Affirmation ∑ lat. affirmatio (Versicherung, Beteuerung); wertende Eigenschaft für prozedurale, kognitive oder logische Entitäten, die mit Bejahung, Zustimmung oder Zuordnung beschrieben werden kann. 5

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Agent Provocateur ∑ frz. provozierender Agent, Lockspitzel, bezeichnet eine Person, die üblicherweise im Auftrag des Staates einen oder mehrere Dritte zu einer gesetzeswidrigen Handlung provozieren soll. Agitation ∑ die meist aggressive Beeinflussung anderer in politischer Hinsicht. Der Begriff wird in der Umgangssprache, aber auch in journalistischen Kommentaren bisweilen abwertend benutzt. Der Agitator wird oft gleichgesetzt mit einem Aufwiegler, Anstifter, Hetzer und Unruhestifter. Agitator ∑ jemand der politische Agitation betreibt Agram ∑ alte deutsche Bezeichnung für Zagreb Ahmed Fuad I. ∑ (1868∑1936) Sultan und späterer König von Ägypten und Sudan (seit 1917). Den Titel Sultan ersetzte er, als das Vereinigte Königreich Ägyptens Unabhängigkeit im Jahre 1922 anerkannte. Aix-les-Bains ∑ französische Gemeinde und Thermalbad (Schwefelquellen) im Département Savoie in der Region Rhône-Alpes Ajvar ∑ ein Mus aus Paprika oder alternativ Paprika und Auberginen, das kalt zu Fleischgerichten serviert wird oder als Würzmittel und Brotaufstrich dient. Akanthus ∑ Wahrer (Weicher) Bärenklau; Ornament nach dem Vorbild der Blätter des A., besonders an korinthischen Kapitellen. Alag ∑ ein Ort in der Nähe von Budapest; Galopprennbahn. Albini, SreÊko ∑ (1869∑1933) kroatischer Komponist und Dirigent. Die Barfüßige Tänzerin (Bosonoga plesaËica) ist eine von ihm komponierte Operette (1909). Alexander der Große ∑ (356 v. Chr. ∑ 323 v. Chr.) Alexander III., er war von 336 v. Chr. bis zu seinem Tod König von Makedonien und Hegemon des Korinthischen Bundes. allegro accelerando con fuoco ∑ Tempoangabe in der Musik: fröhlich, schneller werdend, feurig. allons, enfants ∑ Anfang der französischen Nationalhymne, der Marseillaise. Das Lied erhielt den Namen, weil es von Soldaten aus Marseille beim Einzug in Paris gesungen wurde. Aloisius von Gonzaga ∑ (1568∑1591) ein Heiliger, der schon jung an der Pest gestorben ist. Er ist der Schutzpatron der Jugendlichen, 6

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„Kamilo Emerički ist der Hauptheld des Romans, er stellt das erkennbare Sprachrohr der Erfahrungen und Überlegungen des Autors dar. Krleža spielte wieder auf verschlüsselte Weise mit den Namen: Der Tag des heiligen Kamillus (Kamilo), der 18. Juli, war sein eigener Namenstag. Viele der Lebensumstände Kamilos sind die gleichen oder ähnliche wie die Krležas. Auch er ist in einer ungarischen Bildungsanstalt erzogen worden, auch er ist ein erfolgreicher junger Autor. Sein Vater ist zwar ein hochgestellter Beamter und Aristokrat, aber er leitet das Polizeiressort der kroatischen Regierung – Krležas Vater war einfacher Polizist. Diese persönlichen Anspielungen brauchen nicht überbetont zu werden, aber sie sind vorhanden.“

„Um sein Handwerk rechtschaffen auszuüben, muss der Schriftsteller irgendwie Dissident, ja sogar Defätist in Bezug auf den Staat und die Institutionen, auf Nation und Autoritäten sein. Er ist der verlorene Sohn, der zu seinem väterlichen Herd nur zurückkehrt, um von ihm erneut fortzuziehen. Die Negation ist seine familiäre Form der Annahme der Welt. Nur wer ebendiese Wahrheit radikal begreift und annimmt, kann dem Schriftsteller, beziehungsweise der Kunst, wahrhaft helfen.“ Reinhard Lauer, Wer ist Miroslav K. Der Band wird extra zum Schuber angeboten und ist als eigenständige Publikation 2010 im Wieser Verlag erschienen. https://www.wieser-verlag.com/buch/wer-ist-miroslav-k/ 26 |

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MIROSLAV KRLEŽA, DIE FAHNEN

Das Werk von Miroslav Krleža im Wieser Verlag

ISBN 978-3-85129-843-7 https://www.wieser-verlag.com/ buch/der-kroatische-gott-mars/

ISBN 978-3-85129-737-9 https://www.wieser-verlag.com/ buch/die-rueckkehr-desfilip-latinovicz/

ISBN 978-3-85129-755-3 https://www.wieser-verlag.com/ buch/zadars-gold-und-silber/

ISBN 978-3-85129-657-0 https://www.wieser-verlag.com/ buch/zadars-gold-und-silber-0/

ISBN 3-85129-131-X https://www.wieser-verlag.com/ buch/illyricum-sacrum/

ISBN 978-3-85129-131-5

Miroslav Krleža in der Reihe Europa Erlesen

ISBN 3-85129-334-7 https://www.wieser-verlag.com/ buch/zagreb/

DALMATIEN ISBN 3-85129-225-1 https://www.wieser-verlag.com/ buch/dalmatien/

SLAWONIEN ISBN 3-85129-428-9 https://www.wieser-verlag.com/ buch/slawonien/

CROATIA ISBN 978-3-85129-798-0 https://www.wieser-verlag.com/ buch/croatia/

VILNIUS ISBN 978-3-85129-826-0 https://www.wieser-verlag.com/ buch/vilnius/

KVARNER ISBN 978-3-85129-627-3 https://www.wieser-verlag.com/ buch/kvarner/

Über Miroslav Krleža

ISBN 978-3-85129-867-3 https://www.wieser-verlag.com/ buch/wer-ist-miroslav-k/

ISBN 978-385129-750-8 https://www.wieser-verlag.com/ buch/wie-viele-blumen/

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„Neu und überraschend ist die künstlerische Anlage des Romans. In langen Gesprächen und inneren Monologen legen die Personen ihre Ansichten dar, fast ohne Rücksicht auf die Handlung, die immer wieder verharrt oder sogar zurückschreitet. (Wird das Gewicht auf die Introspektion gelegt, so verlieren die Gesetze der fortschreitenden Handlung an Bedeutung.) Dennoch ist in dem groß angelegten Beziehungsgefüge zwischen Kamilo und seinen Eltern, zu der Familie seines Förderers Kamráth und zu der Dichterin Ana Borongay, seiner älteren Geliebten, viel an emotionaler und intellektueller Substanz eingelagert, das sich in der besonderen Sprache aller Beteiligten offenbart. Sprachlich befindet sich Krleža in diesem Roman auf einsamer Höhe. Kein anderer Autor wäre in der Lage, seine Figuren so im Agramer-Deutsch, im illyristischen Kroatisch, in Kajkavisch oder Serbisch reden zu lassen wie Krleža. Die geistigen und politischen Duelle sind zugleich Duelle der Sprache beziehungsweise der Sprechweisen.“ Reinhard Lauer, Wer ist Miroslav K. Der Band wird extra zum Schuber angeboten und ist als eigenständige Publikation 2010 im Wieser Verlag erschienen. https://www.wieser-verlag.com/buch/wer-ist-miroslav-k/

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„Ich würde zustimmen, zum gleichen Zeitpunkt zu sterben wie Tito, oder sogar ein wenig vor ihm, nur damit ich das Wunder nicht mit ansehen müsste, das sich nach ihm ereignen wird.“ (Tito stirbt 1980, Krleža 1981) Im Gespräch mit Boro Krivokapić. Zitiert nach Lauer, Wer ist Miroslav K., 2010 Der Band wird extra zum Schuber angeboten und ist als eigenständige Publikation 2010 im Wieser Verlag erschienen. https://www.wieser-verlag.com/buch/wer-ist-miroslav-k/

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Reinhard Lauer, geb. 1935 in Bad Frankenhausen/Thüringen. Studierte 1954–1960 Slawische Philologie, Germanistik und Osteuropäische Geschichte an den Universitäten Marburg/Lahn, FU Berlin, Belgrad und Frankfurt/Main. Lektor für deutsche Sprache an der Universität Zagreb, Wissenschaftlicher Assistent am Slawischen Seminar der Universität Frankfurt/Main. Nach der Habilitation wurde er 1969 als Professor für Slawische Philologie an die Georg-August-Universität Göttingen berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 2003 blieb. Er ist ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen sowie korrespondierendes bzw. ausländisches Mitglied der serbischen, kroatischen, österreichischen und slowenischen Akademien der Wissenschaften. Vorsitzender der Kommission für Interdisziplinäre Südosteuropa-Forschung der Göttinger Akademie. Lauer gibt die Reihe »Opera Slavica« heraus. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der russischen, kroatischen, serbischen und bulgarischen Literatur. Zuletzt erschien bei Wieser ein einführender Essay in die kroatische Literatur: Wie viele Blumen, 2008.

ISBN 978-3-99029-220-4

ISBN 978-385129-750-8 https://www.wieser-verlag.com/buch/wie-viele-blumen/

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MIROSLAV KRLEŽA, DIE FAHNEN

„Miroslav Krleža, der Mann mit dem schwierigen Namen, sollte eigentlich jedem gebildeten Europäer bekannt sein. Doch ist er es? Man darf zweifeln. Wirklich ist es ja schwierig, das R zwischen K und L unterzubringen; und das Ž? Da muss man ja neue Buchstaben hinzulernen. Dabei ist es eigentlich einfach: Das R ist silbenbildend, steht also für einen Vokal, und das Ž ist schlicht das Zeichen für einen Laut des Kroatischen, den die Deutschen nicht haben, wohl aber die Franzosen, es ist das J wie in ‚jour‘. Krležas Name ist verballhorntes ‚Kyrieleis‘, und sein Vorname Miroslav bedeutet nichts anderes als ‚Friedrich‘. Hieße also Miroslav Krleža Friedrich (oder Fritz) Kyrieleis – wir hätten weniger Schwierigkeiten mit ihm. Krleža hat das 20. Jahrhundert durchlebt und auf ungewöhnliche Weise geprägt. In der Zeit der Balkankriege, 1912/13, begann seine literarische Tätigkeit, und sie endete mit seinem Tod 1981. In der Zwischenzeit hatte er sich zum führenden Autor nicht nur Kroatiens, sondern ganz Jugoslawiens aufgeschwungen. Ganze Generationen sind ihm gefolgt, in den 1920erund 1930er-Jahren und später noch einmal in den 1950er- und 1960er-Jahren.“ Reinhard Lauer, Wie viele Blumen, 2008 https://www.wieser-verlag.com/buch/wie-viele-blumen/

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