Wie du Songs musikalisch gestalten kannst

Jeder Sänger möchte ausdrucksstark singen. Songs musikalisch gestalten ist dabei der Weg zum Ziel. Wie das geht und auf welche Bausteine du dabei achten kannst, zeige ich dir heute.

 

Musikalisch gestalten

Was ist das eigentlich?

Beim Singen hast du mehrere Möglichkeiten, den letztendlichen Sound eines Songs zu beeinflussen. Direkt mit deiner Stimme tust du das über vokale Ausdrucksmittel.

Im Gegensatz dazu orientierst du dich bei der musikalischen Gestaltung jedoch direkt am Song. Die Elemente, aus denen er besteht, sind deine Werkzeuge.

 

Im Zentrum steht dabei eine Frage:

 

Wie möchtest du es sagen?

 

Wie soll der Song klingen?

Als Sänger gestaltest du mit deiner Stimme die Musik. Du verändert Melodie, Text oder ein anderes Element, und machst es dir damit zu eigen. Dadurch gewinnt der Song eine individuelle, neue Form.

Doch statt wie bei den vokalen Ausdrucksmittel in den Tiefen deiner Seele zu graben, setzt du am Song an.

Du beeinflusst den Klang von Songs, mit der Art, wie du deine Stimme einsetzt.

 

Dein musikalisches Material

Melodie und Dynamik werden dir sofort eingefallen sein. Doch es gibt noch mehr Bausteine in einem Song, die du gestalten kannst. Du kannst Timing und Phrasierung verändern, den Text unterschiedlich artikulieren sowie Tempo und Tonart an deine Fähigkeiten anpassen.

 

Fragt sich nur: Wie nutzt du dieses Material?

 

Ein Maler benutzt Wasserfarben, Textmarker oder Bleistift - und wie kann ein Sänger musikalisch gestalten?

Wasserfarbe, Bleistft, Fasermaler, Textmarker – auch beim Singen hast du unterschiedliche Gestaltungsmittel.

Wie du dein Material musikalisch gestalten kannst

Du kannst diese 7 Elemente direkt vom Originalkünstler kopieren.

Oder du gestaltest den Song auf deine Art.

 

Du hast die Wahl.

 

Lass uns einen genauen Blick darauf werfen, wie du das Grundmaterial einsetzen kannst. Hinter den Links findest du zahlreiche Artikel, die das Thema vertiefen, und Klangbeispiele.

 

Die Melodie musikalisch gestalten

Die Tonhöhe kannst du am Beginn des Tons, am Ende des Tons und zwischendrin verändern.

 

Wenn du direkt auf der korrekten Tonhöhe einsetzen möchtest, kannst du den Ton weich, hart oder hauchig beginnen. Du kannst ihn auch mit einem Vocal Effect starten, wie dem Anschleifen von oben oder von unten.

 

Hast du den Ton begonnen und gehst zum nächsten über, kannst du die Melodie staccato (ungebunden, zerstückelt) oder legato (gebunden, fließend) singen.

 

Am Ende eines Tons kannst du abrupt stoppen. Oder du wirst leiser. Setzt du dazu noch Hauch ein, wird es ein Aushauchen.

 

Außerdem hast du die Wahl, Riffs und Runs (Verzierungen, die du sehr häufig im Pop und Soul hörst) abzukürzen, wegzulassen oder einzubauen, wo keine sein.

Ein Beispiel für das Einbauen von Riffs ist “I Will Always Love You”. Das Original singt Dolly Parton im typischen Country-Stil recht schnörkellos. Vertrauter wird dir aber Whitney Houstons Version sein, die zahlreiche Verzierungen eingebaut hat. Der Song wurde dazu zu einer echten Soulnummer.

 

Und natürlich hast du die immer die Möglichkeit, zu improvisieren. Statt der bekannten Melodie spontan etwas ganz Neues zu singen, ist unglaublich befreiend. Deine Stimme und dein Stilempfinden werden dabei glänzen.

 

Die Dynamik musikalisch gestalten

Lautstärke kannst du als Grundlautstärke oder als Betonung einsetzen.

 

Mit der Grundlautstärke hat der gesamte Song eine einheitliche Lautstärke. Piano (leise), Forte (laut) oder Mezzoforte (mäßig laut) zeigen das Spannungsfeld auf.

Dazwischen gibt es Abstufungen wie Pianissimo (sehr leise), Mezzopiano (die leise Seite von normal laut) und Fortissimo (sehr laut).

Ich rate dir, die Extreme selten einzusetzen. Popsänger singen mit Mikrofon. Auftrittsmikrofone sind aber in erster Linie robust gebaut und nicht so, dass sie das volle Dynamikspektrum abbilden. Sie bewegen sich eher in der Mitte.

 

Neben der Grundlautstärke kannst und solltest du natürlich betonten Stellen eine eigene Dynamik geben. Das sind die, die dir textlich oder melodisch wichtig sind.

Dabei hilft dir eine Skala, damit du genau weißt, wie laut oder leise du singen möchtest.

 

Das Timing musikalisch gestalten

Das Timing, d.h. die Anordnung des Melodierhythmus auf dem Beat, scheint nur unveränderbar zu sein. In Wahrheit kannst du dem Song mit ein bisschen Rütteln und Schieben eine neue Spannung geben.

Wie lang oder kurz du die Töne singst, kann die Botschaft des Textes unterstützen.

 

Du kannst on-time oder off-beat singen.

Beim On-Time-Singen setzt du deine Noten exakt auf die Grundschläge. Schnelle und sehr schnelle Songs, wie zum Beispiel “It’s Not Fair”, zwingen dich, rhythmisch exakt zu singen, sonst verschleppst du das Tempo.

Beim Off-Beat-Singen setzt du deine Nöten dagegen auf die “unds” zwischen den Grundschlägen. Auch das muss exakt passieren, damit es nicht eiert. Gut hören kannst du das in den Strophen von “Denkmal”.

 

Falls du es nicht so streng möchtest, kannst du dein Timing auch ein wenig verschieben. Du kannst fore-beat oder laid-back singen.

Beim Fore-Beat-Singen singst du deine Töne bewusst ein bisschen vor den Grundschlägen. Das kann freudig wirken oder gehetzt und getrieben. Gut hören kannst du das in “Heaven”.

Beim Laid-Back-Singen dagegen singst du deine Töne bewusst etwas nach den Grundschlägen. Das wirkt entspannt und gelassen. Gut zu hören bei “Lucky Day”.

 

Timing und Tempo sind übrigens zwei unterschiedliche Dinge. Während das Tempo die Grundlage ist, auf der der gesamte Song steht, ist das Timing die Rhythmik obendrauf. Das Timing kann auch während des Songs wechseln. Das hörst du zum Beispiel sehr gut bei Ella Fitzgeralds Version von “Cry Me A River”. Sie singt die A-Teile swingend. Im B-Teil wechseln sie und die Band jedoch auf einen binären Rhythmus.

 

Die Phrasierung musikalisch gestalten

Parallel zum Timing entsteht Phrasierung. Wie du einzelne Textzeilen eines Songs zu einer Strophe oder einem Refrain verbindest, kann den Text klar und leicht verständlich machen, oder die Aussage verschleiern.

Wenn du die Melodie kürzer oder rhythmisch etwas schneller singst, entsteht eine längere Pause. Wenn du die Melodie länger aushältst oder rhythmisch etwas langsamer singst, entsteht eine kürzere Pause.

 

Kurze Pause wirken gehetzt, vor allem in Kombination mit einem hohen Tempo.

Lange Pause wirken entspannter und die Instrumente sind stärker zu hören.

 

Den Unterschied kannst du sehr gut in Elton Johns Lied “Your Song” hören. In der 1. und 2. Strophe teilt er die Melodie so ein, dass gut zu hören ist, welche Wörter zu einer Phrase gehören und zusammen Sinn ergeben. In der 3. und 4. Strophe hingegen reißt er die Phrasen auseinander, so dass man erst im Nachhinein versteht, was er gesungen hat.

 

Den Text musikalisch gestalten

Singen ist nicht gleich Sprechen.

Beim Sprechen machen wir uns keine Gedanken darüber, wie wir die Vokale und Konsonanten bilden. Aber den Unterschied zwischen einem Hamburger und einem Bayern hört jeder Mensch sofort.

 

Die leichteste Veränderung ist es, zwischen Hochdeutsch und Dialekt zu wechseln. Im Englischen können Nicht-Muttersprachler von British English auf American English oder Australian English wechseln. Muttersprachler hören natürlich auch Unterschiede zwischen Chicago-Akzent und Südstaaten-Akzent, oder zwischen London-Englisch, schottischem Englisch und irischem Englisch.

 

Es geht jedoch auch weniger dramatisch.

Wenn du nicht gleich den ganzen Dialekt ändern möchtest, schau, wie lang oder kurz du die Vokale aussprichst. Lange Vokale erlauben dir, die Melodie zu einem größeren Bogen zusammen zu fassen. Kurze Vokale hingegen wirken spöttisch, verärgert oder perkussiv.

 

Auch den Klang kannst du verändern. Du kannst die Vokale bewusst vorn artikulieren. Damit werden sie sehr hell und scharf. Je nach Trainingsstand kann sich dann auch ein extremer Twang hinein mischen.

Oder du artikulierst bewusst hinten. Die Vokale werden dadurch dunkel und weich. Bei ungeübten Sängern kann es vorkommen, dass sich dabei ein leichtes Näseln einstellt. Das lässt sich aber abtrainieren.

 

Und die Konsonanten?

Kannst du da gar nichts machen?

Doch.

 

Sprichst du die Konsonanten sehr präzise aus, wirkt das akzentuiert, scharf oder stark rhythmisch. Am anderen Ende des Skala wirken sie beim Nuscheln schlaff und kraftlos.

Außerdem kannst du “Jazz-Konsonanten” benutzen. Stimmhafte Konsonanten wie M, L, W und stimmhaftes S tragen dabei den Klang weiter, den du in den Vokalen aufgebaut hast.

Außerdem freut sich der Tontechniker im Recording Studio, dass er den De-Esser weniger stark einsetzen muss.

 

Das Tempo musikalisch gestalten

Tempo ist die einfachste Art, einen Song musikalisch zu gestalten.

Viel zu oft erlebe ich jedoch, dass Sänger unreflektiert das Originaltempo wählen. Das ist selten die originellste Art.

Denn du hast noch andere Optionen.

 

Du kannst langsamer oder schneller singen. Alles hängt davon ab, ob du die Textaussage oder die Stimmung im Song dadurch besser ausdrücken kannst.

Lass dich also nicht zwingen, im Originaltempo zu singen, “weil man das so macht”. Trau dich, dein eigenes Tempo zu finden.

 

Auch ein abrupter Wechsel des Tempos oder ein freies Tempo (Rubato) mitten im Song kann charmant sein. Beides verlangt vom Publikum Aufmerksamkeit.

 

Du solltest das Tempo jedoch immer so wählen, dass du problemlos singen kannst.

 

Die Tonart musikalisch gestalten

Zum Schluss möchte ich, dass du dir über die Tonart deines Songs Gedanken machst.

 

Sänger sollten immer überprüfen, ob die Tonart des Songs für ihre individuelle Stimme passt. Ein Song soll zeigen, was du stimmlich und interpretatorisch kannst. Eine falsche Tonart mit kieksenden Höhen, brummigen Tiefen oder kippelnden Registerübergängen lenkt ab und wirkt alles anderes als souverän.

 

Sind wir mal ehrlich, die Musikszene wird immer noch von Männern dominiert.

Sängerinnen können die Tonarten von Sängern jedoch nur selten 1:1 übernehmen*. Besonders nicht die hohen Stimmen.

 

Wer das tut, ist entweder viel zu tief – was zu einem gelangweilten, genuschelten oder gedrückten Sound führt. Oder die Sängerin ist viel zu hoch – was zu einem gequetschten Sound führt und nicht mehr nach Popmusik klingt.

 

Probiere also aus, welche Tonart die Schokoladenseiten deiner Stimme hervorholt. Am einfachsten geht das mit einer App, die die Tonhöhe von Songs verändern kann.

 

* Gehörst du zu den 5% der glücklichen Sängerinnen, die eine wirklich tiefe Stimme haben, trifft dieser Satz nicht auf dich zu.

 

 

Woher weißt du, was funktioniert?

Es ist ganz schön viel, was ich dir jetzt erzählt habe.

Jetzt ist es an dir, dieses Wissen umzusetzen.

 

Keine Panik!

Du musst nicht alle 7 Materialien gleichzeitig benutzen! Fang mit 1 oder 2 Bausteinen an.

Und dann werde Klang-Forscher.

 

Probier aus und nimm es auf. Dazu brauchst du kein großartiges Equipment. Ein Smartphone reicht.

Hör es dir an. Spiele es Musiker-Freunden vor. Bitte sie, auf den Klang zu achten.

Doch bevor du ihr vielleicht weniger positives Feedback abtust, versuche nachzuvollziehen, aus welcher Perspektive sie dich hören. Wenn dir 3, 4 Leute ähnliches Feedback geben (z.B. anmerken, dass es kurzatmig oder gehetzt klingt), dann frag dich, woran das liegen kann und ob du bei diesem Song so klingen möchtest.

 

Vor allem jedoch hab Spaß am Ausprobieren.

Musikalisch zu gestalten ist eine Reise, die du machen darfst. Es gibt kein Richtig oder Falsch, denn letztlich führt alles zu einer stimmigen Gesamtperformance.

 

Welcher Baustein der musikalischen Gestaltung funktioniert für dich besonders gut? Mit welchem tust du dich schwer?

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