"Briefe der Kameraden" Nr. 4, 6. Dezember 1940

IV

29.12.40
„Briefe der Kameraden“             (6.12.1940)

Liebe Kameraden!             Köln, den 6. Dezember 1940

Zum viertenmal sollen die „Briefe der Kameraden“ hinausgehen, überallhin, wo Glieder unserer Gemeinschaft an der Front oder in der Heimat ihre Pflicht tun. Sie sollen Freude und Trost spenden, sollen helfen, dass das Band zwischen uns nicht reisst, und wären die Entfernungen noch so gross.

Was bedeutet uns dann noch der Raum für unsere Gemeinschaft, für unsere Gemeinschaft in Christus, in der Liebe Christi?

Schon in der Urkirche war der Brief das Bindeglied zwischen den Gemeinden, durch das sie immer wieder Trost empfingen, aufgerichtet wurden und gestärkt zum Kampf für das Reich Gottes.

Das geschriebene, wie das gesprochene Wort war und ist die stärkste Waffe in diesem Kampf. Der Apostel Paulus meinte dies, als er rief: „Ergreifet das Schwert des Geistes!“

Und nun will ich etwas von mir selber berichten:
Von Cherbourg aus sind wir wieder umgesiedelt nach Südfrankreich. Nun liegen wir in einer Kaserne 30 km von Bordeaux und machen sturen Dienst. Für zwei Wochen bin ich allem entflohen, doch schon nähert sich bedenklich das Ende des Urlaubs. Am Sonntag abend reise ich hier wieder ab. Fast hoffe ich, ein Fliegeralarm würde mich hier festhalten!

Euch alle grüsse ich recht herzlich mit dem Wunsch, dass wir uns bald wieder einmal im Frieden alle hier versammeln können.
Euer Heinz (Susi)

Lieber Hafei!                    Augsburg, den 30.10.40

... Da steht also unter den ganzen Adressen der Kameraden ein Zivilist, und das bin ich. Ja, ich sitze tatsächlich noch lustig und zivil in Augsburg (ob das sooo lustig ist, ist noch zweifelhaft!) Jedenfalls habe ich doch den einen oder anderen Wochentag für mich, wo ich in meiner warmen Stube sitzen kann und die verschiedensten Sachen erledigen kann.

Seit Samstag haben wir hier schon richtigen Winter: es schneit! Zwar blieb der Schnee zuerst nicht liegen, aber heute Morgen, als ich im Dustern zum Werk ging, lag eine ganz beachtliche Schneedecke, die auch in der Stadt den ganzen Tag fast vollständig liegen blieb; dazu ist ein richtiger Schneehimmel. Man könnte meinen, übermorgen sei Weihnachten.

Einen frohen Gruss.
In Treue Dein Leo.

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Lieber Leo!           Gotha, den 13.10.40

.... Nun bin ich fast zwei Wochen „schon“ Soldat, und ich kann sagen, dass ich mich prima in den Betrieb gefunden habe. Ist doch etwas ganz anderes als der RAD. Dort wurde einem sämtliche Lust und Liebe am Dienst ausgetrieben. Natürlich ist es auch hier nicht ideal, aber man fühlt, das man noch Mensch ist. Denn gerade bei unserer Waffe kann man keine verdrillten und (sturen) versturten Menschen gebrauchen. Als Techniker interessiert mich die ganze Sache ja besonders! Nun glaube ja nicht, dass es bei uns keinen Drill gebe. Wir sind am Tage immerhin 5 Stunden auf dem „Richtplatz“. Infanteristische Ausbildung ist eben die Grundlage.

Heute war ein feierlicher Tag bei uns: Vereidigung! Jetzt sind wir erst richtige Soldaten. Es ist ja ein etwas seltsames Gefühl, wenn man die Eidesformel spricht: Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid! Kirchgang war leider vorher nicht!

Nun sind wir also für unser Leben „festgenagelt“. Ausgeführt wurden wir aus irgendeinem Grunde nicht. Dafür können wir nächsten Sonntag „frei“ heraus.

Es grüsst Dich in alter Frische und Treue
Dein Hans.

Lieber Leo!             Rathenow, den 20.10.40

Nun habe ich ungefähr schon den dritten Sonntag bei den Feldgrauen hinter mir. Die Zeit vergeht rasend schnell. Aber der Dienst macht mir Spass, obwohl er ja manchmal eintönig und langweilig wird. – Ich bin also ein regelrechter Sandhase geworden trotz Führerschein und aller sonstigen Dinge. Die erste Ausbildung haben wir auf jeden Fall hinter uns. Gestern waren wir zum ersten Mal im Gelände.

Unsere Vereidigung am letzten Montag war eine zackige Angelegenheit. Das ganze Battallion war im Karrée angetreten, alles im mattglänzenden Stahlhelm genau ausgerichtet. Und dann trat aus jeder Kompanie ein Mann vor, der die Schwurhand für alle Kameraden auf den Degen des Offiziers legte. Und dann standen 4 Kompanien im grauen Kleid, die Schwurhand erhoben, und laut hallten die Worte des Schwures über den weiten Exerzierplatz, der sofort an hohen Kieferwäldern liegt.

Heute wurden wir zum Wehrmachtsgottesdienst geführt. Alle Leute waren auf einmal „tiefreligiös“, da sie sonst Stuben und Revierdienst gehabt hätten. Es ist eine Gesinnungslumperei, wie sie im Buche steht. Einen Kameraden, mit dem ich mich eins wüsste, habe ich nicht gefunden und werde ihn hier auch nicht finden....

In Treue! Willi.

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Lieber Hans!             Danzig, den 8.11.40

Heute habe ich mal wieder Nachtschicht. Da nicht viel los ist, kann ich Dir einige Zeilen schreiben. Nachts ist es hier auf dem Fluko immer etwas langweilig. Alles, sogar die sonst so gesprächigen Damen, versucht zu schlafen. Auch die Nachbarflukos wollen dann nicht gestört sein, und so versucht man entweder selbst zu schlafen, oder schreibt und liest. Manchmal ist es aber auch sehr sehr interessant, nähmlich dann, wenn die Fliegermeldungen kommen. Wir wissen immer als erste, ob feindliche Flieger in das Reichsgebiet einfliegen. Vor einigen Tagen wurde uns sogar gemeldet, wenn die Flugzeuge mit der deutschen Wirtschaftsabordnung in Moskau zum Rückflug starteten.... Bei Nachtdienst bekommen wir immer starken Bohnenkaffee vorgesetzt, damit wir munter bleiben. Eben habe ich mir zwei grosse Tassen zu Gemüte geführt.....

..... Herzliche Grüsse!
Dein Franz.

Lieber Hafei!              Berlin, den 14.11.40

Auf deinen Brief hin habe ich sofort an Willi geschrieben. Wenige Tage später bin ich selbst nach Rathenow gefahren und habe ihn besucht. Zufällig war sein Bruder aus Frankreich auch da. Auf diese Weise haben wir zwei feine Tage erlebt, Samstagnachmittag kam ich dort an, und Montagmorgen musste ich wieder abfahren. Ich habe es sehr bedauert; denn ich wäre gern noch etwas länger dort geblieben, aber mein Urlaub lief ab, und Willi hatte ja auch wieder Dienst. Schliesslich war es auch so ganz schön. Wir haben im besten Kaffee von Rathenow gesessen und ganze Berge von Teilchen und den dazugehörigen Kaffee vertilgt. In Wirklichkeit war es natürlich nicht so schlimm; denn unsere Brotkarte bzw. unser Portemonnaie war nicht unerschöpflich ausserdem war es natürlich kein Bohnenkaffee, Rathenow liegt ja nicht in Dänemark. So habe ich denn erfahren, was in Köln seit meiner Abwesenheit alles passiert ist. In all den vielen Briefen, die ich im Laufe der Zeit von den verschiedensten Leuten bekommen habe, konnte ich ja nur einen Auszug aus den Geschehnissen bekommen.

Meine Adresse habe ich übrigens nicht richtig angegeben. Am besten ist es noch, die Post geht an meine Privatadresse: Berlin-Niederschönhausen, Seckendorffstr. 6. Ich bin nähmlich die meiste Zeit in Urlaub-- ein schönes Soldatenleben, nicht wahr? Ich bekomme immer so 14 Tage Urlaub, und wenn die um sind, muss ich nach Mariendorf, wo ich nach wenigen Tagen neuen bekomme. Augenblicklich versuche ich gerade Urlaub nach Köln zu bekommen. Das wird seine Schwierigkeiten haben, ich hoffe jedoch wie immer das Beste.

Viele Grüsse an alle in Köln.
Fifi.

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Lieber Willi!           1.11.40.

Seit meinem letzten Brief ist allerlei Zeit vergangen. Für mich liegen in dieser Zeit allerlei Veränderungen, die das Schweigen vielleicht entschuldigen. Zuerst unser Stellungswechsel im August. Die herrliche Stellung im Norden, wo jede Nacht was los war, mussten wir räumen. Wir träumten damals von Rumänien u.s.w. aber es blieben Träume. Irgendwo im Osten hausen wir jetzt und haben uns für den Winter bequem eingerichtet. Lange waren wir nicht mehr so prima untergebracht wie jetzt. Von hier aus kam ich auch im September in Urlaub. Ich war gerade acht Tage wieder hier, als mein Blindarm meuterte und deshalb im Lazarett entfernt wurde. Am 12. Tag nach der Operation sass ich wieder im Zug in Richtung Heimat. Du siehst, ich habe Köln in letzter Zeit öfters gesehen und kann jetzt ruhig mal wieder ein paar Monate bis zum nächsten Urlaub warten. Es war fein, noch mal einige wiederzusehen u.s.w. Unser Leben hat das Besondere einer ständigen Bereitschaft verloren. Wir leben im Alltag der Stellung. Der Dienstplan teilt uns den Tag ein. Die Freizeit, - sie ist wohl besser bemessen als in den Kasernen, - müssen wir selbst ausfüllen. Nun, zu lesen gibt es immer etwas. Augenblicklich bin ich allerdings noch als Leichtkranker an die Stellung gebunden. Aber der Zugführer lässt mich doch schon mal los, wenn ein feiner Film läuft oder sonst was los ist. So waren wir neulich in einem Konzert von K.d.F. Wir waren überrascht über das Feine, das man uns bot. Der Konzertleiter benahm sich prima.

Bei uns ist ja eine der Hauptbeschäftigungen die Wache. Du glaubst garnicht, wie fein es ist, nachts eine Stunde draussen zu stehn. Die Zeit vergeht unter den Gedanken, die in Fülle kommen. Das Wunder eines Sternenhimmels erlebt man immer wieder. Die Dunkelheit wird ab und zu unterbrochen durch die Lichter der Hochöfen. Plötzlich springt eine glühend rote Flamme zum Himmel, erhellt alle und Dunkelheit hat uns wieder gepackt. Weiter stappst man durch den Schnee, der alles schon wieder in weiss hüllt. Dann kommen die alten Lieder wieder, und begleiten uns auf unseren Patrouillenwegen. Sie gewinnen neue Gestalt und Bedeutung. Sie wecken Erinnern an alles von früher. Und wenn dann der Freund zur Ablösung kommt, bleibt man noch etwas bei ihm und spricht über das, was am Tage im Getriebe nicht heraus will, bis Müdigkeit und Kälte den Weg ins Bett zeigen.

Das war einiges von mir und dem Alltag, der doch schön ist. Schön in einem andern Sinne als den von Gemütlichkeit und Ruhe. Vielleicht verstehst Du.

Dich und alle grüsse ich. Mit besten Wünschen für Deinen Anfang bleibe ich Euer
Karl.

Lieber Hafei!           In Norwegen, den 15.11.40

Nun will ich Dir einen kurzen Bericht über unsere sehr interessante Reise geben. Am Mittwochabend voriger Woche fuhren wir in einem vollgepfropften Militärzug zu unserem Standort ab. Am andern Morgen ging es über die dänische Grenze. Gegen Mittag fuhren wir in eine wunderschön am Belt gelegene Stadt ein. Am andern Morgen gegen 5 Uhr verliessen wir den Zug, um bis Montagfrüh dort zu blei-

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ben. Hier lebten wir wie im Schlaraffenland. Wir tranken Bohnenkaffee und assen Sahnekuchen für billiges Geld, bis wir einfach nicht mehr konnten. Am Sonntagmorgen ging es dann zu unserem Transporter. Hier begannen wir unter Deck ein richtiges Zigeunerleben. Wir lagen einer neben dem anderen auf Strohsäcken. Über uns, an der Decke, baumelten die Affen, Stahlhelme, Gasmasken und andere Dinge, während wir, die Schwimmweste um den Leib geschnallt, versuchten der Ruhe zu pflegen. Am andern Morgen, am 11. im 11. um 11.11 Uhr (!!) ging dann die Seefahrt los. Die transporter zogen majestätisch hintereinander ihre Bahn, immer nach Norden, während die schnellen Begleitboote uns von allen Seiten einschlossen. Den ganzen Tag über ging unsere Fahrt durchs Kattegat. Am Abend gingen wir etwa 2000 m vom Lande entfernt vor Anker. Plötzlich nehmen an der Küste die Scheinwerfer der Flak ihre Tätigkeit auf, während auf allen Schiffen sofort die Flakgeschütze klar gemacht werden. Vor uns erlicht ganz plötzlich das Leuchtfeuer. Aber es ereignet sich nichts. Am anderen Morgen geht es um 6 Uhr ins Skagerack hinein. Ausgerechnet wir erwischen dort Windstärke 8, die unser Schiff ganz anständig hin und herschaukelt. Unter Deck schaukelt der ganze Deckenbehang im Tackt hin und her. Bald wanken dann auch schon die ersten Männer an Deck und legen sich über die Reeling, um die Fische zu füttern. Obwohl ich sehr gut gefrühstückt hatte, ereilte mich das Schicksal nicht. Aber auch diese kritische Stelle wurde überwunden. Gegen Mittag, ich liege gerade auf meinem Strohsack, erschüttert plötzlich eine heftige Explosion unsern Kahn. Ich eile auf Deck. Nichts zu sehn. Nur unsere Begleitfahrzeuge entwickeln eine rege Tätigkeit. Noch einige Wasserbomben werden geworfen, aber von einem U-Boot, das in der Nähe sein soll, ist nichts zu sehen. Die Zeit vergeht. Bald kommt Land in Sicht, und wir fahren in einen langen Fjord ein. gegen Abend legen wir in einer grossen Hafenstadt an. Die Nacht verbringen wir noch auf dem Schiff. Am andern Morgen geht es, nachdem wir neu eingeteilt sind, mit der Eisenbahn weiter ins Innere Norwegens hinein. Ueberall, wo man hinsieht, ligt hoher Schnee. Man glaubt im Schwarzwald zu sein, nur ist alles grösser und weiter. Am Abend sind wir in unserem Bestimmungsort, wo wir uns schon ganz gut eingelebt haben.

Heil Dir! Dein Willi.

Lieber Kameraden!

Endlich können die „Briefe der Kameraden“ herausgehen. Als Willi so plötzlich eingezogen wurde, entstand einiger Durcheinandern. Schreibt jetzt also bitte Euren Beitrag zu den Briefen an meine Adresse: Hans Fein, Köln-Braunsfeld, Am Morsdorfer Hof 21. Schreibt so zeitig, dass ich genug Zeit zum Durchschlagen habe. Ich bin nähmlich keineswegs ein Virtuose auf der Schreibmaschine, hoffe es aber im Laufe der Zeit zu werden. Im übrigen wird mir Tom das nächste Mal dabei helfen. Da sich so viele Adressen geändert haben, will ich sie noch einmal zusammenstellen:

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Und nun wünsche ich Euch allen eine gnadenreiche Weihnacht und den Frieden und die Freude des Herrn, die Euch nicht unzufrieden und mürrisch, sondern nur so recht von Herzen froh werden lässt.

Ich grüsse Euch in der Hoffnung, wenigstens einige von Euch zum Beginn des Neuen Jahres zu sehen.

In Treue!
Euer Hafei.

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