Warum schnelle Entscheider:innen selten dazulernen und partizipative Entscheider:innen nicht entscheiden [Field Story]

Warum schnelle Entscheider:innen selten dazulernen und partizipative Entscheider:innen nicht entscheiden [Field Story]

Kennen Sie die Situation? Sie stehen vor einer wichtigen Entscheidung und möchten Ihr Team einbinden. Sie setzen ein Meeting an und nehmen sich ausgiebig Zeit, alle Stimmen und Gegenstimmen zu hören und auch die letzten Zweifler zu Wort kommen zu lassen.

Die erste Stunde vergeht, die zweite bricht an. Die Diskussion mäandert umher und Ihre Mitarbeiter:innen drehen sich gedanklich im Kreis. Sie werden zunehmend ungeduldig, weil Sie das Gefühl haben, wertvolle Zeit und Ressourcen zu verschwenden, während sich auf den Schreibtischen aller die Themen stapeln.

Noch halten Sie Ihre wachsende Ungeduld im Zaum. Als Kollege X zum dritten Mal denselben Einwand bringt, warum die diskutierte Entscheidung nicht funktioniert, reißt Ihnen die Geduld. Sie stoppen die Diskussion abrupt und entscheiden über die Köpfe Ihres Teams hinweg, was getan wird. Kommt Ihnen das bekannt vor? Dann sind Sie nicht alleine.

Partizipative Führungskräfte fühlen sich oft zerrissen

Genauso ging es einem Coaching-Klienten vor Kurzem – nennen wir ihn Paul. Paul leitet ein erfolgreiches Unternehmen mit rund 400 Mitarbeiter:innen. Das Unternehmen lebt weitestgehend einen partizipativen Führungsstil, jeder Mensch wird gehört, jeder kann sich einbringen. Es herrscht eine positive, kooperative Stimmung im Unternehmen.

Bei einer wieder mal nicht enden wollenden Diskussion über eine anstehende Entscheidung platzt Paul der Kragen und er macht vor versammelter Runde eine Ansage. Das Team ist vor den Kopf gestoßen, der innere Widerstand bei den Mitarbeiter:innen wächst, und Pauls Integrität als Führungskraft hat eine ordentliche Delle abbekommen.

Was Paul passiert ist, kommt in partizipativen Führungskulturen häufiger vor.

Junge wie auch gestandene Führungskräfte fühlen sich innerlich zerrissen zwischen “Ich möchte alle mitnehmen” und “Alles dauert viel zu lang”.

  • Was können Unternehmer:innen und Führungskräfte nun tun, um schnelle und gute Entscheidungen in ihren Teams zu forcieren?
  • Müssen Sie den Patriarchen rausholen und wichtige Entscheidungen von oben herab diktieren?
  • Müssen sie die fehlende Geschwindigkeit in Kauf nehmen zugunsten ihrer partizipativen Kultur?
  • Oder gibt es vielleicht auch einen Weg, Entscheidungen partizipativ UND schnell zu treffen?

Zwei problematische Entscheidungstypen

Positioniert man die nachfolgend skizzierten Entscheidungstypen auf einer Achse, so stehen sich am jeweiligen Ende zwei Typen gegenüber.

Typ 1: Partizipative Entscheider:innen

Am einen Ende sind die partizipativen Entscheider:innen, über die wir bereits ausführlich gesprochen haben. Partizipative Entscheider:innen treffen ungern Entscheidungen von oben herab. Sie möchten ihre Teams mitnehmen, alle Stimmen und Gegenstimmen hören. Dieser partizipative Ansatz führt oft zu langen Diskussionsrunden, die nicht zum Schluss und damit nicht zu einer Entscheidung kommen.

Die Kernfragen von diesem Entscheidungstyp ist: Wie schaffe ich es, schneller zu Entscheidungen zu kommen und trotzdem alle mitzunehmen?

Typ 2: Schnelle Entscheider:innen

Am anderen Ende der Achse stehen schnelle Entscheider:innen. Sie haben kein Problem damit, Entscheidungen auch mal von oben zu treffen und bringen durch die hohe Schlagzahl Ihrer Entscheidungen Bewegung ins Unternehmen. Sie kommen durch ihre hohe Taktung jedoch selten dazu, ihre Entscheidungen zu reflektieren und sie neu zu bewerten, wenn es neue Informationen gibt. Durch diese fehlende Reflexion vergeben sich diese Entscheidungstypen die Chance, aus vergangenen Entscheidungen zu lernen und die Qualität ihrer Entscheidungen zu verbessern.

Die Kernfragen für schnelle Entscheider:innen lautet:  Wie schaffe ich es, die Qualität meiner Entscheidungen langfristig zu verbessern und trotzdem nichts an Geschwindigkeit einzubüßen?

So treffen Sie partizipative UND schnelle Entscheidungen

Meinen Klient:innen empfehle ich folgende zwei Dinge:

  1. Ihr braucht einen groben Entscheidungsrahmen, der euch bei all euren Entscheidungen leiten soll.
  2. Ihr braucht ein Set an Entscheidungsmethoden, die für euer Unternehmen passend sind und die ihr situativ einsetzen könnt.

An diesem Punkt erzählen mir Klient:innen oft stolz, dass sie alle Rollen und Verantwortlichkeiten bei Entscheidungen in einer RACI-Matrix abgebildet haben.

Vielleicht kennen Sie das RACI-Modell aus dem Projektmanagement-Kontext? Das Akronym RACI steht für “Responsible, Accountable, Consulted und Informed”. Die RACI-Matrix ist ein Hilfsmittel, mit der Projektrollen und -verantwortlichkeiten definiert und visuell dargestellt werden können.

Viele Unternehmen – insbesondere große Unternehmen und Konzerne, in denen ich unterwegs war – lieben diese Matrix. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn sie suggeriert die Sicherheit, bei jeder Entscheidung genau zu wissen, wer was mit wem zu tun hat.

Das RACI-Modell greift nicht bei dynamischen Entscheidungen.

In unserer dynamischen, schnelllebigen Geschäftswelt ist diese Matrix leider nur bedingt hilfreich. Unternehmen sind im Fluss, Strukturen, Rollen und Verantwortlichkeiten ändern sich stetig. Vieles in der Geschäftsfeld ist schnelllebiger und unvorhersehbar geworden. Oft gibt es wenig Erfahrung im Kontext.

Insbesondere, wenn Sie diesen vermeintlichen RACI-Masterplan erst mit Ihrem Team erarbeiten müssen, lautet mein Rat: Lassen Sie es sein! Sie diskutieren erstmal zwei Monate, welche Rolle in welches Kästchen eingetragen wird. Sie sehen sich konfrontiert mit Machtansprüchen, Befindlichkeiten und Wünschen, bevor die fertige Tapete nach Wochen oder Monaten in einer Schublade verschwindet und wahrscheinlich nie wieder das Tageslicht erblickt.

Es gibt einen anderen Weg, der Ihnen Sicherheit bei Entscheidungen bietet, ohne alle Details in einem riesigen Pamphlet zu definieren.

Entscheidungscharta als flexibler Rahmen für Entscheidungen nutzen

Vielen Unternehmer:innen hilft die Vorstellung, dass sie den groben Rahmen für ihre Entscheidungen festlegen, aber nicht alles bis ins letzte Detail definieren müssen. So einen Rahmen können Sie zum Beispiel in Form einer Entscheidungscharta abstecken

JUG Entscheidungscharta  

In einer Entscheidungscharta legen Sie gemeinsam mit Ihrem Team den groben Rahmen fest, der Sie bei Entscheidungen leitet und in dem Sie sich anschließend frei bewegen können, so wie es die jeweilige Situation erfordert. Ein Beispiel für eine Entscheidungscharta habe ich Ihnen von einem meiner Klienten zur Illustration mitgebracht.

JUG Rahmen für Entscheidungen

 

Ein Methoden-Set für situative Entscheidungen zurechtlegen

Vor jeder Entscheidung sollten Sie festlegen, nach welcher Methode Sie Ihre Entscheidung treffen möchten. Fragen Sie sich dazu:

  • Ist das Thema besonders geschäfts- oder zeitkritisch?
  • Befinden wir uns auf bekanntem oder unbekanntem Terrain?
  • Welche Erfahrungen bringen die Beteiligten mit?
  • Haben Sie alle Informationen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen? Wenn nicht, wo finden Sie Zugang zu diesen Daten?

Manchmal zählt Schnelligkeit, manchmal braucht es erst eine gründliche Analyse und Beiträge wichtiger Experten. Aus diesem Grund ist es entscheidend, dass Sie für jede Entscheidungssituation eine passende Methode in Ihrem Köcher haben. Entscheiden Sie, wie Sie zur Entscheidung kommen und wie Sie die beteiligten Stakeholder involvieren wollen.

Meinen Klient:innen empfehle ich, ein Entscheidungs-Tool-Set parat zu haben. Dabei können Sie auf Bewährtes zurückgreifen, z.B. Delegation Poker von Jurgen Appelo, oder auf eine weiterentwickelte Version von Christian Rüther (Entscheidungs-Poker) aufsetzen. Vielleicht möchten Sie sich aber auch von beiden inspirieren lassen und Ihr eigenes Set an Entscheidungsvorlagen kreieren. Wenn Sie Beginner sind, wäre meine Empfehlung, dass Sie mit einer der beiden obigen Varianten starten.

Delegation Poker Karten, Quelle: Management 3.0

Entscheidungen transparent und nachvollziehbar für alle Beteiligten zu gestalten, sollte das Ziel sein. Es bedarf ein wenig Ausprobieren, um herauszufinden, welche Entscheidungstools für das eigene Unternehmen passend sind.

JUG Entscheidungswege

Zwei Empfehlungen

Mein erste Empfehlung, wenn Sie sich mit dem Vorgehen vertraut gemacht haben:

Entwickeln Sie Ihr eigenes Set an Entscheidungsvarianten, das für Ihren Führungsstil, Ihr Team und Ihr Unternehmen passt.

Haben Sie dieses Set an Entscheidungsvarianten zur Hand, können Sie vor der nächsten Entscheidung situativ entscheiden, nach welcher Methode Sie diese Entscheidung treffen möchten – ohne dass Sie eine statische Matrix zu entwickeln. Vielleicht ist Ihnen wichtig, vorab ausgewählte geschäftskritische Verantwortlichkeiten über eine Delegationsmatrix zu regeln. Was Sie auch präferieren, bleiben Sie beweglich.

Mein zweite Empfehlung:

Dokumentieren Sie Ihre Entscheidung in einem Entscheidungslog. Notieren Sie hier auch, wie Sie entschieden haben. Wenn Sie auf der Suche nach einer Vorlage sind, schreiben Sie mir gern eine kurze Nachricht an olaf.sell[at]just-grow.com. Ich freue mich zudem auf Ihre Anregung und Sicht auf dieses Thema.

Fazit

Für alle Leser:innen, die gerne am Ende eines Artikels beginnen, hier nochmal die Kernpunkte zusammengefasst:

  • Es gibt einen Weg, schnelle Entscheidungen zu treffen UND Ihr Team mitzunehmen.
  • Entwickeln Sie einen groben Entscheidungsrahmen für Ihr Unternehmen, in dem Sie sich flexibel bewegen und situativ angemessen entscheiden können.
  • Eine Entscheidungscharta kann helfen, solche Leitplanken zu setzen.
  • Legen Sie sich ein Set an verschiedenen Entscheidungsmethoden zu.
  • Legen Sie vor einer Entscheidung fest, nach welcher Entscheidungsmethode Sie vorgehen wollen.
  • Welche Entscheidungsmethode Sie nutzen, ist situativ abhängig von der Art des Problems, von Unternehmensstatus und -reife sowie der Erfahrung und Kompetenz der beteiligten Personen.
  • Und zum Schluss: Entscheidungen sind nicht in Stein gemeißelt. Entscheiden Sie zügig, überprüfen Sie Ihre Entscheidungen regelmäßig und passen Sie diese an, wenn es neue Erkenntnisse dazu gibt.

Zum Schluss noch eine Literaturempfehlung

Möchten Sie noch etwas tiefer in das Thema einsteigen, empfehle ich Ihnen die Zeitschrift OrganisationsEntwicklung 02/19: Ohne Oben – Die Kunst der Selbstorganisation.

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