#73 Männer, Falsett ist nicht nur dazu da, um Töne zu singen, die „zu hoch“ sind!

Den üblichen Bezeichnungsdisclaimer hier gleich zu Beginn mal erledigt: Ich persönlich verwende Kopfstimme und Falsett als Synonoyme. Das machen andere nicht. Inwiefern es da noch funktionelle Unterschiede gibt, kann ich nicht beurteilen, ich bin nicht der Meinung. Da habe ich schon zu viele verschiedene Dinge gehört. In „meiner Welt“ ist sozusagen die Männer-Kopfstimme gewesen. Das war im Chor-Umfeld einfach so. Wenn die Töne „zu hoch“ waren und wir sie „lieber in Falsett“ singen sollten, damit sie nicht so gequält klingen oder gar kippen. Nur ganz selten findet man als männlicher Solist explizite Anweisung in den Noten: „Falsetto“. In Musicals manchmal, um anzuzeigen, dass das eher softe, meistens eher gar luftige Töne sein sollen – und keine Belt-Töne. Lustigerweise finde ich diese Anweisungen bei Frauen-Soli noch seltener.

Von der Funktion her ist es bei Männern und Frauen tatsächlich dasselbe, welche Muskeln übernehmen, wenn Falsett/Kopfstimme übernimmt. Der große Unterschied: Frauen kommen im Sängerinnen-Alltag eben viel mehr damit in Berührung – vor allem in unserer westlichen Kultur, wo das Kopfstimme-Singen quasi Standard bei Frauen und Mädchen ist (in Chören zum Beispiel). Und das ist ja auch nichts Schlechtes. Ich stelle es einfach nur fest 🙂 Während Burschen nach dem Stimmbruch oft eine gewisse Abneigung gegen die Kopfstimme entwickeln. Einerseits, weil sie sich anfangs meilenweit weg von der Sprechstimme anfühlt, andererseits, weil man sich ja quasi gerade erst weg von der Kinderstimme entwickelt hat, und dritterseits, weil man Falsett einfach kaum braucht. Also ich weiß schon, ein mittleres C ist jetzt nicht jedermanns Sache, aber für die meisten dennoch easy zu erreichen. Und im Alltag bewegen wir uns da nicht unbedingt darüber hinaus, wenn wir uns nicht aktiv mit Musik und Singen beschäftigen. Und selbst ein D oder E quetschen die meisten noch raus… Oder dann wird halt oktaviert.

Das alles führt zu einem Vernachlässigen der Möglichkeiten der Kopfstimme. Wäre empirisch vielleicht keine unspannende Frage, diese meine aus Beobachtung formulierte These mal bei nicht sängerisch gebildeten Menschen nachzuhaken und auszuprobieren.

Aus sängerischer (und stimmbildnerischer) Sicht ist das Trainieren des Falsetts aber schon super hilfreich. Nicht nur wegen der Erweiterung der Klangoption. Und das gilt auch für alle Frauen, die sich von meiner Beschreibung oben („nur Kopfstimme singen“) so gar nicht angesprochen fühlen und ihr Leben lang NUR in Sprechstimme gesungen haben. Davon gibt’s ja auch viele, viele, viele. Wenn über dem Bruch nur viel Luft und wenig Klang kommt, dann zahlt es sich aus, die Kopfstimme gut zu trainieren, um sich beim Singen weiterzuentwickeln. Und das hilft dann der gesamten Singstimme – nicht nur der Kopfstimme selbst.

Symbolbild. Müsste ich spekulieren, würde ich wegen der Form des Mundes und Intensität insgesamt tippen, dass es kein Falsett-Ton ist, den dieser Sänger hier von sich gibt. Aber hohe Falsett-Töne brauchen mit Bee-Gees-Sound könnten einen ähnlichen Eindruck auf Bildern hinterlassen. (c) Bild von Rob Slaven via Pixabay

Was meine ich damit? Einerseits trainiert Falsett funktional das Stretchen der Stimmbänder. Je höher ein Ton, desto länger sind die Stimmbänder. Das nenne ich das Gummiringerl-Prinzip. Wenig gespanntes Gummiringerl (oder Gitarresaite): Der Ton ist tiefer. Spanne ich das Gummiringerl, dann wird der Ton merkbar höher. Das Prinzip des Stimmbands ist natürlich ein bisserl ein anderes, aber in diesem Punkt können wir schon eine physikalische Analogie wagen. Und die Stimmbänder werden nicht nur länger, sondern auch dünner. Die mitschwingende Masse nimmt ab. Und genau diese muskuläre Vorgang ist bei Männern manchmal nicht so ausgeprägt – weil sie es eben gewohnt sind, ständig ihre Sprechstimme einzusetzen – auch beim Singen. Und weswegen zahlt sich dann Falsett üben aus? Denn selbst wenn wir NICHT im Falsett hoch singen wollen, müssen sich unsere Stimmbänder bewegen, stretchen und „audünnen“ können. Und da kann es sich durchaus lohnen, ein paar Übungen im Falsett einzubauen, um die Funktion per se ein bisserl zu üben.

Und da meine ich jetzt schon auch: Unhauchiges Falsett. Also mit so weit wie möglich vollem Stimmbandschluss. Also eher so Richtung Counter-Tenor. Ja, dieses klassische Stimmfach lebt tatsächlich nur von trainiertem, gut geführtem Falsett. Oder wie die Bee-Gees, die im Gegensatz zu den klassischen Countertenören halt die Klangfarbe ins andere, hellere Extrem getrieben haben.

Um den Stimmbandschluss zu erzielen kann es helfen, mit abruptem Ansatz zu arbeiten, also mit einem sogenannten Glottisschlag. Die Stimmbänder sind also geschlossen, bevor der Ton einsetzt. Sie sind also schon in Position, wenn der Ton kommt. Das kann dem Körper signalisieren, was er machen soll beim Singen eines Tons. (Übermäßig viel Druck muss es ja nicht sein, aber allzu viel Angst braucht man vor Glottisschlägen wirklich nciht haben 😉 )

Auch Twang kann helfen. Durch Verengung des Kehlkopftrichters oberhalb der Stimmbänder können wir da ein bisschen mithelfen. Dafür wird der Sound etwas heller – bishin zu Bee-Gees-nervig. Manchmal schummelt sich dann auch ein nasaler Sound dazu. Das sollten wir zumindest wahrnehmen und unterscheiden können. Wo steuere ich Twang und wo den Nasengang. Aber wenn es hilft, den Stimmbandschluss zu intensivieren, den Falsettklang klarer zu machen, dann mei, dann soll’s halt ein bisserl nasal sein…

Also ein Sound wie im Intro von „The Lion Sleeps Tonight“ zum Beispiel. DAs wäre ein gutes Klangbeispiel und vielleicht auch gut zu imitieren.

Nicht zu tief und nicht auf Support vergessen

Ah und noch ein Tipp für’s Üben: Nicht zu tief üben. Für Männer schön in die hohe Mittellage, damit mein ich so rund ums G4 (g‘). Könnt ihr den Ton – vielleicht auch mithilfe von mehr Support – schön formen, ist er klar und unluftig, könnt ihr versuchen, ihn nach oben und unten zu bewegen per Glissando (also sirenenartig). Nicht zu weit – nur so, dass ihr den Sound halten könnt und er sich nicht massiv verändert.

Auch für Falsett bieten sich alle SOVT-Übungen an, die ja auch für einen guten und unangestrengten Stimmbandschluss mithelfen.

Und so kann Falsett dann nicht nur ein Weg sein, um generell höhere Töne – auch in der Bruststimme – zu stärken. Falsett bietet einem eben auch viele Klangmöglichkeiten: Vom klassischen Counter-Tenor, über Pop-Countertenor (Bee-Gees) bzw. Acappella, bishin zu Hardrock. Ja, darüber haben wir noch gar nicht gesprochen. Auch im Hardrock sind die hohen Töne (leiiiider nicht alle… 🙂 ) oft Falsett. Allerdings derart mächtig und mit Effekten, dass uns der darunterliegende Mechanismus gar nicht so ins Auge springt. Auch für diese Extrem-Rock-Sachen, ist ein gutes Gespür für Falsett hilfreich.

So, und zum Abschluss häng‘ ich hier noch zwei Videos von meinem Lieblings-Countertenor der Klassik dran. Jakub Józef Orliński singt einfach göttlich. Aber wie gesagt, wir üben Falsett ja nicht zwingend, um so zu klingen. Es ist sozusagen eine Klanggestaltung des Falsetts – nach den Regeln der Klassik. Und Counter-Tenöre folgen dabei denselben Regeln wie klassische Frauenstimmen. Aber hört mal rein, ich find’s immer wieder faszinierend. Und darunter noch ein Duett mit einem Falsett-Hero des Pops, dessen Musik und kreative Art ich auch immer schon cool gefunden habe: Mika. Spannend auch deshalb, weil Mika schon auch in Richtung klassischen Klang geht, aber halt nicht „all the way“. Und bei ihm könnt ihr auch schon zuhören, wie er in den tieferen Passagen ab und zu in die Bruststimme wechselt. Jedenfalls aber: nix mit luftig 🙂

Und hier noch die Links zur Kopfstimm-Serie des Blogs aus 2020, in der ich einige der heute beschriebenen Sachen auch ausführlicher besprochen habe.

Kopfstimme 01: Woo!
Kopfstimme 02: Tipps und Tricks!
Kopfstimme 03: Welche Kategorie von Sängerin bist du?

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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