Einkommen und Vermögen über den Lebenszyklus

Anhand von Schweizer Steuerdaten untersuchen die KOF-Ökonominnen Isabel Z. Martínez und Regina Pleninger in einem laufenden Forschungsprojekt die Rolle von Einkommen und Vermögen über den Lebenszyklus. Dieser Artikel gibt einen ersten Einblick in diese Arbeit.

Geld

Verhältnis von Vermögen und Einkommen

In der makroökonomischen Forschung hat die Entwicklung des Verhältnisses von Volksvermögen zum Nationaleinkommen in jüngerer Zeit vermehrt Beachtung gefunden (Piketty und Zucman, 2014; Baselgia und Martínez, 2021). Eine laufende Studie der KOF-Ökonominnen Isabel Z. Martínez und Regina Pleninger untersucht dieses Verhältnis nun erstmals auf Individualebene und über die Einkommensverteilung.

Da die Schweizer Kantone jährliche Steuern auf Einkommen und Vermögen erheben, bieten Individualsteuerdaten eine einzigartige Datengrundlage für eine detaillierte Analyse der Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Die hier verwendeten Daten umfassen natürliche Personen aus acht Schweizer Kantonen (Bern, Luzern, Obwalden, Aargau, St. Gallen, Basel-Stadt, Jura und Zürich) im Steuerjahr 2010, welche zusammen über 50% der steuerpflichtigen Bevölkerung bilden.

Grafik G 5a zeigt den Durchschnitt und den Median des Verhältnisses von Vermögen zum jährlichen Einkommen nach Einkommensrang, sogenannten Einkommensperzentilen (für eine bessere Lesbarkeit wurden in der Grafik jeweils zwei Perzentilen zusammengefasst). Für Personen zwischen dem 15. und 85. Rang liegt der Median ungefähr konstant bei 1. Die mittlere Person innerhalb dieser Einkommensperzentilen besitzt also ungefähr einmal ihr gesamtes Jahreseinkommen an Vermögen. Personen mit tiefen Einkommen kommen in der Regel auf ein tieferes Verhältnis von Vermögen zu Einkommen – dies obwohl sie mit ihrem tiefen Einkommen absolut gesehen ein geringeres Vermögen benötigen, um ein hohes Vermögen-Einkommens-Verhältnis zu erzielen. Umgekehrt verhält es sich am oberen Ende der Einkommensverteilung: Dort steigen die Vermögen im Verhältnis zum Einkommen überproportional an. Unter den einkommensstärksten 2% der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler besitzt der Median ca. drei Jahreseinkommen an Vermögen. Der Durchschnitt liegt bei fast sieben. Zwischen der Position in der Einkommensverteilung und der Position in der Vermögensverteilung besteht ein starker positiver Zusammenhang: Wer ein hohes Einkommen hat, verfügt typischerweise auch über ein hohes bis sehr hohes Vermögen.

Grafik G 5b zeigt wiederum den Median dieses Verhältnisses pro Einkommensperzentilpaar, jedoch wird zusätzlich nach Altersgruppe unterschieden. Die Einkommensperzentilen sind dabei dieselben wie in Grafik G 5a, die Einkommensverteilung bezieht sich also immer auf die Gesamtbevölkerung. Das erleichtert direkte Vergleiche: Wer im 50. Einkommensperzentile ist, befindet sich in derselben, feinmaschigen Einkommenskategorie, egal welche Altersgruppe unter die Lupe genommen wird.

Grundsätzlich steigt das Verhältnis von Vermögen zu Einkommen in allen Altersgruppen entlang der Einkommensverteilung. Personen unter 50 Jahren haben jedoch, gemessen an ihrem Einkommen, typischerweise ein geringes Vermögen. Dies gilt auch für höhere Ränge in der Einkommensverteilung. Für die Altersgruppe 51–64, d.h. vor dem Übergang in den Ruhestand, liegt das Verhältnis über 1. Für Rentnerinnen und Rentner, gleichgültig ihres Ranges, ist das Verhältnis von Vermögen zu Einkommen mehr als doppelt so hoch wie für den Rest der Bevölkerung. Dies weist auf die Bedeutung des Vermögens für ältere Menschen hin, selbst für diejenigen, die sich in den unteren 25% der Einkommensverteilung befinden. Vermögen und Alter sind also deutlich positiv korreliert, und zwar in allen Einkommensklassen.

Sparen benötigt Zeit, so dass es nicht erstaunt, dass ältere Menschen ein höheres Vermögen haben als jüngere. Auch Erbschaften fallen in der Regel erst in der zweiten Lebenshälfte an, wodurch die Vermögen zusätzlich steigen. Und ein wichtiger Teil der Vermögen der Personen im Erwerbsalter fehlt in den Steuerdaten: Wer sein Alterskapital aus der zweiten und dritten Säule vor dem Erreichen des Rentenalters nicht antastet (zum Beispiel, um ein Eigenheim zu erwerben), erscheint in den Daten ärmer als sie oder er tatsächlich ist. Allerdings: Gerade Personen unter 40 Jahren haben in der Regel erst ein relativ kleines Alterskapital angespart, so dass die fehlenden Rentenkapitalien für diese Altersgruppe die Ergebnisse nicht allzu stark beeinflussen dürften.

Aufstieg und Abstieg in der Verteilung über den Lebenszyklus

Die Untersuchung der Mobilität über den Lebenszyklus basiert auf Steuerdaten des Kantons Bern für die Jahre 2002 bis 2018. Diese Daten erlauben, die Entwicklung von Einkommen und Vermögen auf der Individualebene über einen längeren Zeitraum zu untersuchen. In der Analyse werden Individuen wiederum nach ihrem Gesamteinkommen beziehungsweise ihrem Vermögen in der Verteilung in 100 Perzentilen eingestuft. Somit verfügt jedes Individuum über einen bestimmten Rang in der Einkommens- und Vermögensverteilung, wobei Einkommen und Vermögen absolut gesehen mit jedem Rang ansteigen.

Grafik G 6 zeigt für die Ränge im Jahr 2002 (horizontale Achse) die durchschnittlichen Ränge im Jahr 2018 (vertikale Achse). Vermögen ist in blauer Farbe und Einkommen in roter Farbe gezeichnet. Für die oberen 80% der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zeigt die Abbildung einen positiven Zusammenhang zwischen ihrem Rang im Jahr 2002 und jenem 2018. Die Punkte liegen besonders für Vermögen sehr nahe an der 45-Grad-Linie, was bedeutet, dass Individuen ihren Rang in der Verteilung im Schnitt nur wenig ändern. Die Einkommensmobilität ist höher als die Vermögensmobilität, die entsprechenden Steigungen betragen 0.52 bzw. 0.72. Je höher dieser Steigungskoeffizient, umso mehr taugt der Rang von 2002 als Indikator für den Rang eines Individuums im Jahr 2018 und umso geringer ist im Umkehrschluss die Mobilität.

Anders verhält es sich in den unteren Einkommens- und Vermögensklassen. Für die unteren 20% besteht ein negativer Zusammenhang, jene aus den allertiefsten Einkommens- und Vermögenssegmenten haben also in den untersuchten 17 Jahren mehr Einkommens- bzw. Vermögensränge wettgemacht (es gilt zu beachten, dass die absoluten Zuwächse, um in einen höheren Rang zu kommen, über die Verteilung zum Teil drastisch zunehmen). Dieses Resultat ist besonders bei den Einkommen zu verzeichnen. Eine Erklärung hierfür ist, dass besonders Erwerbseinkommen über den Lebenszyklus ansteigen. Jüngere Personen starten in der Regel mit einem tiefen Einkommen, das mit zunehmendem Alter und Berufserfahrung ansteigt.

Die Bedeutung des Alters für den Auf- und Abstieg zeigt sich in Grafik G 7. Beim Einkommen steigen Individuen im Durchschnitt bis zum Alter von 40 Jahren über die folgenden 16 Jahre in der Einkommensverteilung auf, wenn auch mit abnehmender Rate. Danach beginnen die Einkommen im Durchschnitt zu sinken und es ist wahrscheinlicher, dass sich Individuen in den nächsten Jahren in der Einkommensverteilung nach unten bewegen. Rentnerinnen und Rentner verharren auf der gleichen Position. Bei den Vermögen können Individuen dagegen davon ausgehen, dass sie im Durchschnitt auch den Jahren nach Übertritt ins Rentenalter in der Vermögensverteilung weiter aufsteigen. Dies ist einerseits auf den Bezug von Rentenkapital (anstelle einer monatlichen Rente, die als Einkommen definiert ist) und auf Erbschaften zurückzuführen, die oft erst im Rentenalter anfallen.

Literatur

Piketty, T. and G. Zucman (2014): Capital is back: Wealth-income ratios in rich countries 1700–2010. The Quarterly Journal of Economics, 129(3): 1255–1310.

Baselgia, E. and I. Z. Martínez, (2021): A Safe Harbor: Wealth-Income Ratios in Switzerland over the 20th Century and the Role of Housing Prices. CEPR Discussion Paper No. 16660 (October 2021).

Steuerdaten liefern detaillierte Informationen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der gesamten Bevölkerung. Dabei werden beide Grössen gemessen, während viele andere Datenquellen, zum Beispiel die AHV-Daten oder Umfragedaten, oftmals nur das Einkommen abbilden. Im Gegensatz zu Umfragedaten erfassen Steuerdaten zudem auch Individuen mit sehr hohen Einkommen und Vermögen.

Die Analyse bezieht sich auf die Bruttoeinkommen abzüglich aller Sozialabzüge (dazu gehören insbesondere Beiträge an AHV, die Pensionskassen und die Arbeitslosenversicherung), aber nicht abzüglich der Steuern. Anders als bei AHV-Daten sind nicht nur Erwerbseinkommen enthalten, sondern auch Kapitaleinkommen, beispielsweise aus Dividenden oder Einkommen aus der Vermietung einer Immobilie, oder Rentenleistungen aus der ersten und zweiten Säule. Dadurch lassen sich auch die Einkommensverhältnisse jener Personen abbilden, die nicht (nur) vom Erwerbseinkommen leben.

Von besonderem Interesse ist dabei die wachsende Bevölkerungsgruppe der Rentnerinnen und Rentner. Bei den Vermögen handelt es sich um das gesamte Nettovermögen, mit der Einschränkung, dass vor Erreichen des Rentenalters Vermögen in der Pensionskasse und in der dritten Säule nicht enthalten ist, da diese Vermögenswerte und deren Erträge steuerfrei sind. Die Analyseeinheit ist das Individuum. Bei verheirateten Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern werden Einkommen und Vermögen dabei zu gleichen Teilen auf die beiden Ehepartner aufgeteilt.

Kontakte

Dr. Isabel Martinez
Dozentin am Departement Management, Technologie und Ökonomie
  • LEE G 114
  • +41 44 633 88 37

KOF Konjunkturforschungsstelle
Leonhardstrasse 21
8092 Zürich
Schweiz

Regina Pleninger

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