gesehen: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke

Vom 08.06.2021 bis zum 20.06.2021 präsentierten zwölf Privattheater aus ganz Deutschland ihre Stücke in Hamburg. Die Privattheatertage endeten mit der Verleihung der Monica Bleibtreu Preise. (Foto: Svenja Tschirner)

Wie ist es eigentlich, in einer Schauspielschule unterrichtet zu werden? Dieser und vielen weiteren Fragen widmet sich das Eröffnungsstück der diesjährigen Privattheatertage. Die Inszenierung des Jungen Theaters Göttingen „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ nach dem dritten Roman von Joachim Meyerhoff eröffnete das Festival im Altonaer Theater und riss das Publikum zu vielen Lachern und langanhaltendem Applaus hin.

Das Junge Theater Göttingen beginnt in diesem Jahr den bunten Reigen an Stücken, mit der Komödie über Joachim Meyerhoffs Erlebnisse an der Schauspielschule und bei seinen Großeltern. Um der Enge seiner Heimatstadt Schleswig zu entfliehen, beschließt Joachim, genannt Josse (Andreas Krüger), sich bei der Münchner Schauspielschule zu bewerben oder in der Stadt seinen Zivildienst zu leisten. Was davon er tatsächlich macht ist ihm erstmal weniger wichtig, Hauptsache, er kommt weg aus Schleswig.

So zieht der junge Mann zu seinen Großeltern und absolviert das Vorsprechen an der Schauspielschule. Ein wenig gecoacht wird er dabei von seiner Großmutter (Agnes Giese), die selbst einst eine bekannte Schauspielerin war und sich die große Geste der Bühnendarstellung immer noch zu eigen macht – obwohl sie längst nicht mehr auftritt. Sein Großvater (Jan Reinartz) ist emeritierter Philosophieprofessor und scheint das Ganze etwas gelassener zu sehen. Nachdem Josse entgegen seiner Erwartungen an der Schauspielschule angenommen wird, geht das Chaos erst so richtig los. Denn dort trifft er nicht nur auf skurrile und ziemlich verrückte Lehrer:innen, auch seine Kommiliton:innen (Natalie Nowak, Jens Tramsen) stellen ihn schauspielerisch in den Schatten.

Fontane und ein Nilpferd

Der Schauspielunterricht bietet für Josse einigen Grund zur Verwunderung und für das Publikum großes Unterhaltungspotential. So gibt es beispielsweise spontanen Applaus, nachdem die drei Schauspielschüler:innen eine menschliche Maschine nachahmen und danach entkräftet auf der Bühne liegen. Aber auch die Aufgabe, einen Ausschnitt aus „Effi Briest“ von Theodor Fontane als Nilpferd darzustellen bietet Herausforderungen, ebenso wie Stimmtraining und Sprecherziehung: Josse soll unter anderem mit den Brustwarzen lächeln.

Während er diese Kapriolen an der Schauspielschule nur mit mäßigem Erfolg meistert, warten zuhause die liebevollen Großeltern auf ihn, um sich einerseits die Berichte über seine Erfahrungen anzuhören und andererseits dabei zu helfen, Josses Alkoholkonsum abends in die Höhe zu treiben. Denn die beiden ehrenwerten alten Herrschaften beginnen allabendlich bereits um 18.00 Uhr mit Whiskey, um diesen nach einem Wein und schließlich mit Cointreau, einem süßen Likör, ziemlich betrunken zu beenden.

Zwischen diesen beiden Welten pendelt Josse während seiner drei Jahre an der Schauspielschule und erlebt dabei allerhand Kurioses und für das Publikum Erheiterndes.

Kleider machen Leute

Bis auf Andreas Krüger spielen alle Darsteller:innen mehrere Rollen. Dennoch ist leicht zu erkennen, wer wen spielt. Einerseits, weil die Schauspieler:innen die verschiedenen Charaktere und Eigenheiten der jeweiligen Figuren sehr gut darstellen und es schon am Habitus klar erkennbar ist, wer hier gerade wer ist. Andererseits helfen auch die rasch am Bühnenrand ausgeführten Wechsel von Jacken oder Perücken dabei, den Überblick über die verschiedenen Rollen zu behalten. Die fünf Darsteller:innen sind fast während des ganzen Stückes auf der Bühne zu sehen.

Auch das Bühnenbild an sich gliedert die verschiedenen Orte der Handlung durch den Einsatz von Licht und Requisiten. Auf der einen Seite ist das Haus der Großeltern, also der thronartige Sessel der Großmutter, der Vorrat an alkoholischen Getränken und die Bücher des Großvaters. Auf der anderen Seite stehen die Stühle der Schauspielschule und in der Mitte eine kleine Bühne auf der Bühne, deren Rückwand die Farbe wechseln kann. Je nachdem, wo man sich gerade befindet, leuchten andere Farben auf dieser Wand oder die Scheinwerfer strahlen auf die rechte oder linke Bühnenseite.

Fazit

Mit der Aufführung von „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ ist dem Jungen Theater Göttingen ein sehr guter Auftakt für die neunten Privattheatertage geglückt. Die Darsteller:innen haben die Besonderheiten ihrer Figuren mit einem guten Gespür für diese aber auch mit kleinen, feinen Übertreibungen auf die Bühne gebracht und dem Publikum durch ihr ausgefeiltes Spiel einen unterhaltsamen Theaterabend bereitet, bei dem jedoch auch ernste Zwischentöne durchklangen.

Die Privattheatertage sind ein Festival, dass seit einigen Jahren in Hamburg stattfindet. Verschiedene private Theater aus ganz Deutschland können sich darum bewerben, ihr ausgewähltes Stück auf einer Hamburger Bühne zu spielen. Das Theaterfestival präsentiert zwölf Stücke, jeweils vier Komödien, vier (moderne) Klassiker sowie vier (zeitgenössische) Dramen, die von einer Jury ausgewählt werden, die vor ihrer Auswahl der teilnehmenden Inszenierungen durch ganz Deutschland reisen und sich die eingereichten Bewerbungen ansehen.  Bis zum 19. Juni 2021 werden im Rahmen der Privattheatertage an jedem Abend ab 19.30 Uhr verschiedene Stücke von Privattheatern aus ganz Deutschland gezeigt. Das Festival endet am 20. Juni 2021 mit einer Gala und der Verleihung der Monika Bleibtreu Preise.

Darsteller:innen: Agnes Giese, Natalie Nowak, Andreas Krüger, Jan Reinartz, Jens Tramsen
Inszenierung und AusstattungSebastian Wirnitzer
DramaturgieChristian Vilmar
RegieassistenzRoman Kupisch
Licht und TonHeiner Wortberg, May Maybe, Pablo Salvador Castro
Leitung BühnentechnikDaniel Kronhardt