Das Technische Museum der Bandweberei in Großröhrsdorf

Als ich vor etwa zwei Jahren hier in Sachsen meine Fühler ausstreckte und meine Freundin zum Rathaus in Großröhrsdorf begleitete, war ich ob seiner Dimension doch etwas irritiert. Wir waren einige Kilometer durch den Ort gefahren und auf den ersten Blick wirkte der größte Teil der Bebauung auf mich etwas monoton und recht bescheiden, um nicht zu sagen ziemlich langweilig. Und dann so ein Rathaus?

Das Rathaus um 1912, sozusagen „auf der grünen Wiese“ (Deutsche Fotothek)

Das machte mich neugierig und ich beschloss, mir den Ort etwas genauer anzusehen. Ja klar, da waren einige alte, baufällige und ein paar aktive Industriegebäude am Straßenrand. Zum Teil auch solche, die man in einem Ort dieser Größenordnung nicht erwarten würde. Und dann auch noch einige große, hochherrschaftliche Villen. Oft abseits der Fabriken, etwas versteckt in Nebenstraßen. Schnell war klar, dass in Großröhrsdorf einmal zahlreiche Schornsteine rauchten und der Ort seine Größe einer Vielzahl von Industriebetrieben verdankte. Doch was produzierten sie?

Ein kleiner Ausschnitt des Ortes. Deutlich sind die Schornsteine der Fabrikbetriebe zu sehen.
Postkarte um 1912 (Deutsche Fotothek)

Dumme Frage! Denn nicht weit vom Rathaus befindet sich in einer Hälfte eines ehemaligen Fabrikgebäudes das Technische Museum der Bandweberei.

In diesem Gebäude ist das Museum untergebracht

Hier erfährt man nicht nur etwas über die Geschichte des Ortes und seiner Betriebe und der dort einmal genutzen Webstühle. Es würde zu weit führen – bzw. ich bin zu faul – das alles nun im Detail zu schildern. Das kann man in den zahlreichen Publikationen des Museums nachlesen, die es im Museumsshop zu kaufen gibt oder auf der gut gestalteten Website des Museums. Stattdessen möchte ich ein paar Fotos zeigen und diese – falls mir dazu etwas einfällt – kommentieren.

Der Eingangsbereich des Museums. Allerlei Geschenkbänder fallen sofort in’s Auge. Niemand da? Ein Klingelton kündigt meinen Besuch an und schon kommt eine freundliche alte Dame, die gerade mit dem Einrichten eines Webstuhl befasst war, durch die Tür und kassiert drei Euro. Wir halten ein kurzes Pläuschchen. Sie gehört dem Museumsverein an, der aus etwa 25 Mitgliedern besteht. Durchschnittsalter etwa 72 Jahre…. Ich nehme an, dass die beiden, die gerade Dienst haben, alles machen. Kasse, Aufsicht, Vorführungen, Reparaturen und wer weiß was noch.

Der erste Eindruck

Wenn man den ersten Ausstellungssaal betritt, fällt sofort eine Vielzahl von Webstühlen in’s Auge. Anscheinend etwas ältere Modelle, weil sie alle überwiegend aus Holz bestehen. Mehr Webstühle sind auf dieser Fläche sicher nicht unterzubringen. Beeindruckend!

Alle Webstühle machen einen höchst gepflegten Eindruck. Sie werden offensichtlich von den Vereinsmitgliedern gehätschelt und im wahrsten Sinne des Wortes von den Vereinsmitgliedern „in Schuß“ gehalten.

Einer der Webstühle in Aktion

Das Besondere an diesem Museum ist nämlich, dass alle (!) Webstühle und Maschinen (mit Ausnahme der Dampfmaschine) funktionsfähig sind und gerne in Aktion vorgeführt werden. Nicht zuletzt auch, um sie funktionsfähig zu halten. Die, die sie bedienen und vorführen, können einem wirklich zu jedem Detail und jeder Schraube etwas sagen. Schließlich stammen sie aus der Branche und haben an der Restaurierung der Maschinen mitgewirkt. Was wird nur aus diesem Museum, vor allem aus den Webstühlen, wenn es die alten Bandweber nicht mehr gibt? Wer könnte ihre Nachfolge antreten? Wären das nicht schöne Spielzeuge für junge Maschinenbauer? Ich weiß es doch auch nicht.

Ein paar Details, die wie ich finde, durchaus ihren visuellen Reiz haben.

Die Dampfmaschine aus dem Jahr 1896 ist das größte Objekt der Ausstellung. Sie weist auf die Bedeutung der Energie für die Industrialisierung der Gemeinde hin.

Ein Teil der oberen Etage ist der Dokumentation gewidmet.
Die Inszenierung einer Handweberei gehört einfach dazu

In der oberen Etage finden sich neben weiteren Maschinen allerlei Musterbänder und -bücher sowie zahlreiche Informationen zur Technik der Bandweberei und der industriellen Entwicklung des Ortes. Alle Schautafeln wirken etwas handgestrickt, wenn man das sagen darf, aber machen durchaus Freude, weil sie in die Tiefe gehen und man wirklich viel Interessantes erfährt.

Besonders gut gefällt mir die kleine Medienstation, die Informationen zu allen bis 1972 existierenden Einzelbetrieben der Bandindustrie in Großröhrsdorf, Pulsnitz und Ohorn in Bild und Ton anbietet. Nach der zwangsweisen Verstaatlichung der Betriebe, die zum VEB Bandtex zusammengefasst wurden, arbeiteten dort 5.000 Menschen. Der VEB Bandtex war damit in den 1980er Jahren nach Aussage des Museums die größte Bandweberei Europas. Nach der Wende gelangten einige der Einzelbetriebe wieder in private Hand. Sechs von ihnen behaupten sich aktuell erfolgreich auf dem weltweiten Markt.

Ich gehe also davon aus, dass praktisch jede Familie in Großröhrsdorf einen Bezug zur Bandweberei und den einmal existierenden Industriebetrieben hat. Insofern ist das Museum von größter Bedeutung für die Identität der Einwohner Großröhrsdorfs. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum der Museumsverein mit soviel Engagement dieses Museum betreibt. Man merkt sofort, dass da viel Herzblut drin steckt und deshalb ist der Besuch dieses Museums ein Vergnügen, das einem nicht alle Museen bieten, die von Wissenschaftlern geleitet und betrieben werden. Andererseits stimmt es mich auch etwas wehmütig, wenn ich daran denke, dass der Museumsverein doch sehr überaltert ist und der Tag kommen wird, an dem niemand mehr mit den Maschinen umzugehen weiß und sie notgedrungen still stehen werden. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was da an Wissen verloren geht. Aber das ist ja nicht nur ein Problem dieses Museums. Wer hat eine Lösung, wie man dem entgegenwirken kann, um dieses und andere Museen als wichtige identitätsstiftende Institutionen in die Zukunft führen zu können?

Aber noch ist es zu besichtigen, noch laufen die Webstühle und ich kann Ihnen einen Besuch nur empfehlen, wenn Sie mal in der Gegend sind.

Zur Homepage des Museums

Autor: Joern Borchert

Museums- und Ausstellungsberater seit 1991

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