Palma y Ramos

Palme und Zweige – das erinnert doch zuerst an den Palmsonntag (spanisch: domingo de ramos) und nicht an eine Webtechnik. Aber so heißt eine Mustertechnik aus Peru, bei der die Fäden für ein zweifarbiges Komplementärgewebe auf eine spezielle Art und Weise eingezogen werden.

Das erste Mal fielen mir die Muster in einem Buch von Nilda Callañaupa Alvarez (2) auf. Dort ist nur ein Teil eines Musters abgebildet, aber die klare Linienführung und Regelmäßigkeit im Aufbau sowie die augenscheinlich sehr hohe Fadenzahl haben mich neugierig gemacht. Verwirrend war allerdings die Schreibweise in dem Buch: „Palmay Ramos“, dafür gab es keine richtige Übersetzung, weder auf Spanisch noch Quechua. Also ein bißchen suchen, im Internet wurde ich schnell fündig, in der Zeitschrift Andina aus Peru gab es einen Artikel über die Aufnahme der traditionellen Webtechniken aus Pitumarca in das Nationale Kulturerbe Perus.

Aus dem Artikel in (3): Otra técnica es la de palma y ramos, cuyo nombre deriva de que el tejido resultante sea usado en la Pascua. Esta técnica es urdida con dos o tres colores de hilos dispuestos en cinco pares por fila, dando un total desde 25 hasta más de 150 pares, incluyendo hasta dos tramas. La técnica se caracteriza por contener el motivo del hatun inti o sol de soles, en referencia a la figura del Inca, empleada desde la época colonial.

Übersetzung: Eine andere Technik ist Palma y Ramos, deren Name von der Tatsache herrührt, dass das entsprechende Gewebe zu Ostern verwendet wird. Bei dieser Technik werden zwei- oder dreifarbige Fäden in fünf Paaren pro Gruppe gewebt, was insgesamt 25 bis mehr als 150 Paare ergibt, einschließlich bis zu zwei Schussfäden. Die Technik zeichnet sich dadurch aus, dass sie das Motiv des Hatun Inti oder der Großen Sonne enthält, in Anlehnung an die seit der Kolonialzeit verwendete Figur des Inka.

Das war spannend, eigentlich weben nur die Menschen aus Q’ero große Sonnenmotive, dachte ich bisher. Pitumarca ist ca. 60 km Luftlinie entfernt von Q’ero, dazwischen liegt ein hoher Gebirgsabschnitt. Noch interessanter war, daß offensichtlich der Einzug der Fäden bei den dreifarbigen Geweben aus Q’ero dem der zweifarbigen Palma-y-Ramos-Gewebe aus Pitumarca entspricht. Das nämlich, im Gegensatz zu obigem Zitat, die Komplementärpaare alle vier Fäden die Farbe wechseln.

Mir fiel da etwas ein: irgendwo hatte ich die zweifarbigen Sonnenmotive schon einmal gesehen. Im Buch „Hidden Threads of Peru“ auf Seite 28 ist eine Lliklla (Manta) mit diesen Motiven abgebildet, die aus aus Ch’ilka, einem heutigen Ortsteil von Pitumarca stammt.

Lliklla aus Ch’ilka, wie Abb. 1.6 aus (1); befindet sich im Textile Museum in Washington

Ann P. Rowe schreibt dazu: „Some distance southeast of the Q’ero cultural area is another zone of glaciated mountains including the impressive Mt. Ausangate, and on the other side of this is another cultural area, centering on the village of Ch’ilka. Despite the mountains barrier, people from Ch’ilka come to Q’ero at the time of the maize harvest to exchange alpaca and llama meat and fiber for maize (Fig. 1.6). The village of Pitumarca, at a lower elevation to the west of Ch’ilka, has a close relationship with Ch’ilka …

Etwas südöstlich des kulturellen Einflußgebietes von Q’ero befindet sich eine weitere Zone vergletscherter Berge, darunter der beeindruckende Berg Ausangate, und auf der anderen Seite davon befindet sich ein weiteres kulturelles Gebiet, dessen Mittelpunkt das Dorf Ch’ilka ist. Trotz der Hochgebirgsbarriere kommen Menschen aus Ch’ilka zur Zeit der Maisernte nach Q’ero, um Fleisch und Wolle von Alpakas und Lamas gegen Mais einzutauschen (Abb. 1.6). Das Dorf Pitumarca, tiefer gelegenund westlich von Ch’ilka, hat eine enge Beziehung zu Ch’ilka, …“

Ch’ilka, auch Chillka oder Chillca geschrieben, gehört heute zu Pitumarca. Da war sie also, die textile Verbindung zwischen Q’ero und Pitumarca, neben dem regelmäßigen Austausch von Lebensmitteln zwischen den Orten erfolgte sicher auch ein Austausch textiler Kenntnisse. Die heutigen Weber von Pitumarca scheinen die Palma-y-Ramos-Technik in ihr Repertoire textiler Techniken aufgenommen zu haben, und zwar so gut, daß die Technik im Verzeichnis des nationalen Kulturerbes erscheint.

Es gibt nur sehr wenige Bilder solcher Textilien im Internet, scheinbar ist das Interesse daran nicht sehr groß oder es gibt – im Gegensatz zu anderen in Pitumarca verwendeten Techniken – keinen Markt dafür, aus welchen Gründen auch immer.

Einige Bilder mit dieser Technik findet man auf dem Instagram-Account von Alepio Melo, einem sehr engagierten und talentierten jungen Weber aus Pitumarca. Ich hoffe, Herr Melo nimmt es mir nicht übel, wenn ich hier ein Bild seiner Arbeit zeige:

Abby Franquemont aus den USA, die ihre Kindheit als Tochter von Ethnografen in Chinchero in der Nähe von Cusco verbracht hat und dort die traditionelle Weberei lernte, schrieb 2008 über Palma y Ramos, das diese Technik von den wenigen Weberinnen, die das damals konnten, als schwierig angesehen wurde und kommentierte selbst: „…And Palmay Ramos is weaver´s madness…“

Naja, bezogen auf die hohen Fadenzahlen der Muster ist das schon der Wahnsinn, Alepio Melos Tuch oben hat über 300 Musterfäden. Ganz so schwierig wie es scheint, ist das Weben aber nicht, die Erfinder waren jedoch unglaublich clever, was den Musterentwurf angeht. Fangen wir mal an!

In meinem vorigen Post habe ich die Mustertechnik aus Q’ero beschrieben, mit dem ungewöhnlichen Einzug der Komplementärpaare, hier nochmal zur Erinnerung:

Die Muster aus Q’ero sind dreifarbig, die Palma-y -Ramos-Muster haben nur zwei Farben. Eingezogen werden sie so:

Die Anzahl der Vierergruppen ist beliebig, je nach Größe des Musters. In meinem gewebten Beispiel der Muster von der Lliklla aus dem Textile Museum sind es 104 Musterfäden. Ein Webbrief sieht so aus:

Es fällt auf, daß sich die bereits in Litzen- und Rollenfach eingezogenen Musterreihen auch regelmäßig im Webbrief wiederfinden. Bei den Mustern aus Q’ero war das genauso, diese waren so entworfen, daß man alle drei Reihen das Fach weben kann wie es erscheint und nicht einlesen muß. Bei Palma y Ramos muß man nur jede zweite Reihe einlesen, kann aber, wenn man zum Muster noch Randfäden in Leinenbindung hinzufügt, nur ein Fach und das alle vier Reihen weben, wie es erscheint. Hier eine Übersicht mit einem Musterausschnitt, wie man das machen muß:

Musterbereich und Randbereich werden beim Weben unterschiedlich behandelt, um zu erreichen, daß die in einfacher Leinenbindung in Litzen und Rolle eingezogenen Randfäden in der richtigen Reihenfolge abbinden.

Da die Muster ziemlich gleichförmig aufgebaut sind, kann man, wenn man die Technik einmal verstanden hat, nur nach dem Foto eines Musters weben, wie ich es hier getan habe.

Da eine geschriebene Erklärung zu dieser Webart nur zu Verwirrung (weaver´s madness) führen würde, habe ich zwei Videos mit erklärenden Texten (deutsch und englisch) gemacht, wo man sich das Weben ausführlich ansehen kann. Das Einlesen der Muster direkt an der Weblinie erscheint auf den ersten Blick schwierig, wird aber durch die wechselnden Farben der Komplementärpaare sehr unterstützt. Die Videos sind lang, da sie das komplette Einlesen zweier Musterreihen zeigen, aber ich denke, Geduld und Konzentration sind die Grundvoraussetzungen, um das überhaupt weben zu können.

Bei Problemen mit der Wiedergabe der Videos bitte die Links benutzen!

Link zum deutschsprachigen Video

For English speaking weavers, please use this link

Für Hinweise von meinen Lesern, wo es noch mehr Bilder dieser Technik gibt oder sogar eine Beschreibung oder Videos, wie genau die Weber in Peru das machen, wäre ich sehr dankbar!

Kleiner Nachtrag:

Das gewebte Stück Stoff habe ich in ein Kleid aus Wollwalk genäht.

Hier ist noch etwas zum Weiterlesen:

(1) Ann Pollard Rowe, John Cohen: Hidden Threads of Peru – Q’ero Textiles

(2) Nilda Callañaupa Alvarez: Secrets of Spinning, Weaving and Knitting in the Peruvian Highlands

(3) andina.pe; 09.05.2018: Conocimientos del tejido tradicional de Pitumarca son Patrimonio Cultural de la Nación

Versteckte Fäden – drei Farben, zwei Fächer Teil 2

Always the Sun – dieses Lied von den Stranglers kommt einem in den Sinn, wenn man das erste Mal die geradezu plakativen Sonnenmotive auf den zeremoniellen Ponchos aus Q’ero sieht. 

Q’ero liegt im Andenhochland Perus, etwa 80 km Luftlinie nordöstlich von Cusco nahe der Kleinstadt Ocongate. 

Durch seine abgeschiedene Lage haben sich überlieferte Webtechniken und die Verwendung traditioneller Bekleidung dort länger gehalten, als in seiner weiteren Umgebung. 

Bewohner von Q’ero werden wegen ihrer Kleidung von den Menschen der benachbarten Orte sofort als solche erkannt, da die Muster sich deutlich von allen andern in Peru verwendeten Webarten unterscheiden. 

Eine Besonderheit der Muster aus Q’ero ist, daß bei Dreifarbengeweben mit gestuften Diagonalen alle drei Farben in einer Reihe des Musters verwendet werden. 

Natürlich wird nicht nur die Darstellung der Sonne gewebt, die Motive der Muster sind vielfältiger. Ein häufig verwendetes Muster heißt Chunchu, auf Quechua ist das eine respektlose Bezeichnung für einen Bewohner des (Amazonas-)Tieflandes. Bei uns würde man vielleicht sagen: „Wilder Mann“ und es würde für Unzivilisiertheit und Barbarentum stehen. So ist das bei diesem Motiv aus Q’ero aber nicht gemeint, das Motiv symbolisiert den letzten Inka, der laut einer Erzählung der Menschen aus Q’ero irgendwann zurückkehrt und die Indigenas von den Eroberern befreit. Der Inka wird als Mann mit Federkrone dargestellt oder als Kopf mit Federkrone, aus dem Wurzeln sprießen. Ein Zusammenhang mit Götterdarstellungen der vorspanischen Zeit ist vielleicht möglich. Die heute verwendeten Chunchu-Muster sind stark abstrahiert und bestehen nur noch aus den Elementen der Federkrone. Eine ausführliche Beschreibung der Muster aus Q’ero und ihre Bedeutung findet man in (1).

Die Chunchu-Muster können mit dem selben Einzug gewebt werden, wie in Teil 1 dieses Beitrags beschrieben wurde, also ein Fach mit der hellen Grundfarbe und ein Fach mit beiden Musterfarben parallel. Alle drei Farben werden in einer Reihe gleichzeitig verwendet. Webbrief und Webregeln entsprechen der Beschreibung aus dem vorherigen Post. Man muß hier vor allem beim Aufnehmen der Musterfarbe zusätzlich zur hellen Grundfarbe mehr aufpassen, welche Farbe auf der Unterseite ist. . Einen Webbrief für ein Muster mit 48 Fäden zeigt folgendes Bild:

Sind die Chunchu-Motive allerdings so abstrakt wie auf dem oben gezeigten Bild des Flötenspielers und bestehen fast nur noch aus Diagonalen, kann man auch den nachfolgend beschriebenen Einzug für die Inti-Motive verwenden. 

Die für Q’ero charakteristischen Sonnenmotive sind deutlich anspruchsvoller in der Webtechnik als der Chunchu. Durch die in jeder Reihe verwendeten drei Farben und durch die spezielle Struktur der Muster gibt keine feste Regel mehr, in welcher Reihe man z.B. bei den Musterfarben einen Faden oder alle beide aufnimmt. Ann Pollard Rowe hat in ihrem Buch „Hidden Threads of Peru“ (2) eine Zeichnung (Fig. 3.18) veröffentlicht, die die Struktur eines Ausschnitts der Q’ero-Gewebe zeigt. Ich habe diese Struktur umgezeichnet und den Webbrief daneben gelegt. 

Es ist gut zu sehen, daß sich die gerade nicht gebrauchte Farbe wie bei der in Teil 1 beschriebenen Webart unter den Flottierungen der Motivfarbe versteckt. Das erreicht man, indem man wie bei den Mustern mit blockweisem Farbwechsel die Farbe, die nicht auf der Unterseite des Gewebes erscheinen soll, zusammen mit dem Faden der Grundfarbe aufnimmt, in der Regel in der Mitte einer Dreierflottierung. Bildet eine Musterfarbe auf der Oberseite Dreierflottierungen, wird die nicht gebrauchte Musterfarbe an den beiden Enden der Flottierung nach oben geholt. Das ist zunächst einmal genau dasselbe wie beim blockweisen Farbwechsel, nur passiert das eben nach Bedarf und nicht im regelmäßigen Rhythmus alle zwei Reihen. 

Um mir das Weben zu erleichtern, habe ich in den Webbriefen dargestellt, wie die Fäden der Muster- oder Grundfarbe jeweils zu behandeln sind. Die farbigen Kästchen haben Markierungen, ähnlich wie die Reihen mit dem horizontalen Strich in den Webbriefen aus dem vorherigen Beitrag. 

Man sieht, daß nicht nur die Art zu weben besonders ist, auch der Einzug der Fäden in die zwei Fächer unterscheidet sich von den Geweben mit blockweisem Farbwechsel. Es werden immer vier Fadentripel hell / 2 Musterfarben (an Anfang und Ende 2) eingezogen, dann wechseln die Musterfarben und die Grundfarbe das Fach, wieder für 4 Tripel usw. 

Dieses Bild zeigt die leinenbindigen Abschlußreihen eines Tuches mit vier festen Kanten, man sieht gut, wie die Fäden in den zwei Fächern zueinander liegen. Auf einen Versatz der Reihen zueinander hat die Weberin hier verzichtet:

Der Grund für diesen Einzug ist der Aufbau der Muster, hier mal ein vollständiger Webbrief und das entsprechende Gewebe daneben:

In diesem Fall hier sind die gestuften Diagonalen als Paare ausgeführt, die Muster sind so aufgebaut, daß man alle drei Reihen die Reihe so weben kann, wie sie in das entsprechende Fach eingezogen ist. Das spart viel Zeit, da in diesen Reihen nicht eingelesen werden muß. Bei mehreren hundert Musterfäden pro Reihe in einem Poncho kommt da einiges zusammen. 

Mit diesem Einzug kann man aber noch mehr machen, zum Beispiel farblich komplementäre Muster abwechselnd hintereinander weben:

Die letzte Reihe in einem Muster ist hier eine, in der man nichts einlesen muß. Nach dem Fachwechsel beginnt man das farblich komplemetäre Muster wieder mit einer solchen Reihe. Damit umgeht man elegant die Bildung zu langer Flottierungen beim Musterwechsel.

Die Diagonalen im Muster kann man feiner weben, wenn sie nicht als Paare, sondern einzeln ausgeführt werden. Die Umzeichnung ist von einer Abbildung aus (2). Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus einer Lliklla, die sich im Bestand des Textile Museum Washington befindet: 

Den Einzug muß man dann entsprechend ändern, also nicht 4 Tripel immer abwechselnd einziehen, sondern nur zwei, an Anfang und Ende nur einen. Das erinnert etwas an die Grundmusterreihen bei Pebble-weave, nur eben mit drei Farben. Auch hier kann man sich alle 3 Reihen das Einlesen des Musters ersparen. 

Bis jetzt gab es bei den Sonnenmustern klare Verhältnisse, das Motiv in der Mitte hat eine andere Musterfarbe als die Diagonalen außen herum. Diese Muster zeigen den Sonnenaufgang (weiße Grundfarbe bildet den Rahmen um das mittlere Motiv und strebt nach außen) oder den Sonnenuntergang (Grund- und Musterfarbe sind vertauscht). Möchten die Q’eros Hatun Inti, die Sonne am Mittag, darstellen, wird das Motiv in der Mitte geteilt. Die rechte Seite besteht aus dem Motiv Sonnenaufgang, die linke zeigt den Sonnenuntergang. Nicht nur die Farben sind in jeder Hälfte anders, auch Grund- und Musterfarbe sind vertauscht. Wer mehr über die Verwendung und Bedeutung der Sonnenmotive erfahren möchte, sie sind ausführlich im Buch (1) „A Woven Book of Knowledge“ von Gail Silverman beschrieben. 

Bei diesem Motiv kann man nicht mehr jede dritte Reihe so weben, wie sie eingezogen wurde. In einer Hälfte des Motivs muß man statt der aktuellen Farbe die dazu komplementäre Farbe aus dem jeweils anderen Fach einlesen. Mit einem Einlesekreuz geht das aber sehr schnell. Die Weberinnen aus Q’ero benutzen kein Einlesekreuz, es ist auch nicht unbedingt notwendig. Durch die alle zwei oder vier Fäden wechselnden Farben im gerade geöffneten Fach sieht man die Komplementärpartner zum Einlesen ziemlich gut auch so. Wenn man selber Gewebe herstellen will, die vier feste Seiten haben, die Kette also vollständig ausgenutzt wird, sollte man das Einlesen ohne Kreuz öfter mal üben, um ein Muster auch bei wenig Platz zum Einlesen aufnehmen zu können.  

Der Sonnenaufgang liegt beim Blick auf das Muster vom Betrachter aus gesehen rechts . Verkehrt herum, könnte man aus unserer Sicht hier in Europa meinen, ist aber nicht so. Q’ero liegt südlich des Äquators, die Sonne steht im dortigen Winterhalbjahr mittags im Norden, im Sommerhalbjahr im Süden. Das folgende Bild zeigt den Sonnenstand im April am frühen Morgen in Cusco. 

Was Darstellungen der Sonne manchmal mit Palmen zu tun haben und wie die Einzüge für die Q’ero-Muster auf einmal wo ganz anders auftauchen möchte ich dann im nächsten Beitrag erläutern.

Hier noch etwas zum Weiterlesen:

(1) Gail Silverman: A Woven Book of Knowledge – Textile Iconography of Cuzco, Peru

(2) Ann Pollard Rowe, John Cohen: Hidden Threads of Peru – Q’ero Textiles

(3) Uwe Carlson, Heiko Diestel: Erde, Wasser, Mensch und Götter – Leitsymbole in textilen Meisterwerken des alten Peru

Versteckte Fäden – drei Farben, zwei Fächer Teil 1

Zugegeben, der Titel ist teilweise gemaust. „Hidden Threads of Peru“ heißt ein Buch von Ann Pollard Rowe und John Cohen (3), das sich mit den Textilien der abgelegenen Andengemeinde Q’ero in Peru beschäftigt. Die Autoren beziehen sich bei dem Titel ausdrücklich auf ein Merkmal der Mustertechnik aus Q’ero: nicht für das Muster gebrauchte Fäden werden unter Flottierungen versteckt. 

Es gibt in den Anden einige doppelseitige Mustertechniken mit drei Farben, die auf dem selben Prinzip beruhen wie die Gewebe aus Q’ero, allerdings werden bei diesen pro Reihe nicht alle drei Farben gleichzeitig verwendet, sondern nur zwei davon. Die dritte Farbe erscheint als Grundfarbe auf der Rückseite. 

Ein Band mit solchen Mustern webe ich gerade:

Die dreifarbige einseitige Webart „pebble-weave“, die von den Inkas verwendet wurde, beruht auf einem ähnlichen Prinzip wie die weiter unten beschriebene Technik, kann jedoch alle drei Farben in einer Reihe verwenden und soll hier nicht betrachtet werden. (1)

Tasche aus Pachacamac, Inka

Schon 1976 hat Adele Cahlander in ihrem Anleitungsbuch für Webtechniken aus Südamerika ((1), Band 4 zweifarbig und Band 20 dreifarbig) das Prinzip der gestuften Diagonalen beschrieben, mit dem sich komplementäre dreifarbige Muster mit nur 2 Schäften doppelseitig weben lassen. Diagonale Linien im Muster werden dabei nicht wie bei pebble-weave durch den einfachen Versatz von zwei nebeneinander liegenden Fäden derselben Farbe gebildet, sondern durch das Versetzen von über drei Reihen flottierenden Fadenpaaren einer Farbe. Klingt erst einmal kompliziert, ist es aber nicht, so sieht das aus:

Ann Pollard Rowe hat 1977 in ihrem Buch „Warp-Patterned Weaves of the Andes“ (2) eine Darstellung des Fadenlaufs der dreifarbigen Muster mit gestuften Diagonalen veröffentlicht, auf der zu sehen ist, wie die bei blauen Flottierungen gerade nicht gebrauchte dritte Farbe (hier rot) in jeder Reihe mit abgebunden wird. Damit „versteckt“ sich die im Beispiel nicht gebrauchte rote Farbe unter den Flottierungen von blau, sie bildet die Grundfarbe auf der Rückseite des Gewebes.

Umzeichnung der Darstellung aus (2) mit daneben liegendem Webbrief

In Peru, speziell in der weiteren Umgebung von Cusco, gibt es zahlreiche Motive mit drei Farben, die in dieser Technik gewebt werden. Sie sind eine Erfindung der neueren Zeit. Belege dafür, daß diese Technik schon in vorspanischer Zeit gewebt wurde, sind nicht vorhanden. Die Musterfarben wechseln blockweise, werden also nicht beide in einer Reihe verwendet. Das gilt auch dann, wenn das Muster revers gewebt wird, also Grund- und Musterfarbe vertauscht werden.

Wenn man das Weben dieser dreifarbigenMuster erlernen möchte, sollte man solide Kenntnisse in den zweifarbigen Komplementärtechniken haben, pebble-weave oder etwas gleichartiges also problemlos weben können.

Der Einzug für die zweischäftigen  Muster mit gestuften Diagonalen ist folgender: 

In einem Fach sind die Einzelfäden der Grundfarbe, im anderen Fach die Paare der Fäden für das Muster. Welches Fach man beim Gurtwebgerät in die Litzen einzieht und welches über die Rolle läuft, hängt von den Vorlieben der Weberin ab, es gibt keine feste Regel. Möchte man allerdings bei größeren Mustern und zahlreichen Horizontalen in einer Musterfarbe  die Paare noch einmal mit Litzen trennen, ist es besser, wenn das Fach mit den Musterfarben über die Rolle läuft. 

Jeweils ein Faden der Grundfarbe (hier grau) ist komplementär mit einem Fadenpaar der Musterfarben (hier blau und rot), entsprechend werden die Muster wie bei anderen solchen Techniken (z.B. pebble-weave) nach Webbrief eingelesen. 

Für das Weben mit gestuften Diagonalen in drei Farben gibt es spezielle Webbriefe, da die Technik des Einlesens nur alle zwei Reihen gleich ist. Hier ein Beispiel mit 34 Musterfäden:

Den Webbrief liest man so:

Reihen mit horizontaler Linie – Musterfarbenpaare oben

– egal welche Farbe das Muster im Webbrief hat, die Musterfarbe wird als Paar aufgenommen

– nimmt man eine Grundfarbe von unten auf, läßt man dafür nur den im Muster nicht verwendeten Farbfaden fallen, der Faden in der aktuellen Musterfarbe des Blocks bleibt zusammen mit dem heraufgeholten Faden der Grundfarbe oben

Reihen ohne horizontale Linie – Grundfarbe oben

– die Grundfarbe wird aufgenommen, wie sie erscheint

– die Musterfarbe wird als Einzelfaden der dargestellten Farbe von unten aufgenommen, die dazu komplementäre Grundfarbe wird fallengelassen, die zweite Musterfarbe bleibt unten

Ein kurzes Video zeigt das Einlesen in beiden Fächern:

Wechselt man im Muster zu einem Block mit der anderen Musterfarbe, im Video oben von rot nach blau, ist es zweckmäßig, einmal die gesamten Musterfäden der neuen Farbe auszulesen und nach oben zu ziehen, gut anzuschlagen und bis zum nächsten Fachwechsel einen Faden darunter zu legen. Im Video ist der Faden zu sehen. Das sorgt dafür, daß der Wechsel auf die neue Musterfarbe vollständig erfolgt und sich nicht eine Horizontale mit zwei Farben zugleich bildet. 

Auf diesem Foto ist zu sehen, wie man sich das durch zusätzliche Litzen für die Farbfäden leichter machen kann. Die zwei dafür erforderlichen Litzenstäbe sitzen direkt an der Fachrolle. Eine Schnur liegt zusätzlich unter der Farbe, die gerade verwendet wird und hält diese auf der Oberfläche.

Je nach verwendetem Material der Kette sieht man im Muster auch immer einmal die Farbe, die man eigentlich in diesem Block nicht wollte. Das kann an leichten Unterschieden in der Fadenspannung liegen oder daran, daß man die zwei nebeneinander liegenden verschiedenfarbigen Musterfäden miteinander verdreht hat. Auch wenn man die Farbe eines Blocks wechselt, kommt vor allem bei Baumwolle die andere Farbe mit hoch. Es ist eben kein Doppelgewebe. Betrachtet man das Muster aus einiger Entfernung, fallen solche kleinen Unregelmäßigkeiten kaum auf. 

Im zweiten Teil über die Dreifarbtechniken mit gestuften Diagonalen möchte ich dann zeigen, wie man die Muster aus Q’ero einzieht und webt. 

Hier noch etwas zum Weiterlesen:

(1) Marjorie Cason, Adele Cahlander: The Art of Bolivian Highland Weaving

(2) Ann Pollard Rowe : Warp-Patterned Weaves of the Andes

(3) Ann Pollard Rowe, John Cohen: Hidden Threads of Peru – Q’ero Textiles

Tiklla – Gewebe mit unterbrochenen Kettfäden

Partialkettengewebe – was für ein sperriges Wort -, so heißt Tiklla auf Deutsch. Auf Quechua ist es die Bezeichnung für eine spezielle Gewebeart, die an der vorspanischen südamerikanischen Pazifikküste und/oder im Andenraum erfunden wurde und weltweit einzigartig ist. Im Gegensatz zu in Europa und Asien gebräuchlichen Webarten gehen die Kettfäden hier nicht durch das ganze Webstück, sie sind mindestens an einer Stelle in der Horizontalen unterbrochen und wechseln die Farbe. Auf unseren heute benutzten Webrahmen und Webstühlen ist das bis auf wenige Ausnahmen kaum machbar, auf den in den Anden verwendeten einfachen Webgeräten aber schon.

kleines Tuch mit vier Farbflächen

Archäologische Funde aus Peru und Kolumbien belegen, daß es diese Gewebe seit ca. 300 n. Chr. gibt. Sie wurden oft aus Baumwolle gefertigt, zur Inka-Zeit auch aus Wolle von Alpaka und Vicuña. Ein Vorteil dieser Webart war, daß die Bewohner der heißen Küstenregionen am Pazifik dünne und flexible, leinenbindige Gewebe mit klar abgegrenzten Farbflächen herstellen konnten. Mit einem Schußrips hätte man zwar auch Farbflächen weben können, diese Gewebe werden aber viel dicker und steifer. Manche Gewebe aus vorspanischer Zeit sind mit einem kaum vorstellbaren Arbeitsaufwand entstanden, sie sind z.T. so kompliziert, daß sie nur mit der Nadel auf einem Fadengerüst gewebt wurden, wobei der Schußfaden zur Kette werden konnte und umgekehrt. Die Techniken mit Fadengerüst werden heute nicht mehr angewendet, der Name „Scaffold weave“ für Tiklla in englischsprachigen Publikationen beinhaltet aber noch das dafür notwendige „Gerüst“ .

Tunika aus der Siguas/Nazca-Kultur

Die Technik der unterbrochenen Kettfäden wurde bis in die Inka-Zeit hinein angewendet, das Aussehen dort aber auch häufig durch Bildwirkerei imitiert. Die Inka-Weber hatten gelernt, sehr feinfädige Textilien mit bis zu 100 Schußfäden pro cm (!) in Gobelintechnik herzustellen.

Inka-Tunika mit unterbrochenen Kettfäden im schwarz-weißen Abschnitt und Mustern in Bildwirkerei darüber

Tiklla war im letzten Jahrhundert in Peru kurz davor, in Vergessenheit zu geraten. Nur in abgelegenen, noch sehr traditionell lebenden Gemeinschaften wie bei den Bewohnern von Q’ero in den Hochanden und im bekannten Weberort Pitumarca hatte sich diese Technik erhalten.

John Cohen, ein US-amerikanischer Fotograf, Filmemacher und Musiker hat 1977 die Herstellung einer Kette für ein Tiklla-Tuch in der Gemeinde Q’ero fotografisch dokumentiert. Ein Teil seines Buches „Past. Present. Peru.“ ist der traditionellen Weberei im Peru Mitte des 20. Jahrhunderts gewidmet und enthält großartige Fotos und auf beiliegender DVD auch Videoaufnahmen über das Weben mit einfachsten Mitteln.

Die Weber aus Pitumarca haben Tiklla mit ihren Mantas zur Perfektion gebracht. Es werden nicht nur verschiedene Farbflächen in der unterbrochenen Kette gewebt, sondern es werden auch die Musterbereiche unterbrochen und farblich abgeändert.

Manta aus Pitumarca in Tiklla-Technik mit Musterbereichen; Kette im Foto horizontal

Zum Verkauf an Touristen werden Tiklla-Gewebe mit Chakana-Design hergestellt, die oft in US-amerikanischen Schamanen-Shops landen. Naja, wenn es dem Erhalt des Handwerks hilft…

neuzeitliches Tuch mit Chakana-Design, 7 Trenn- und Litzenstäbe waren dafür nötig

Die indigenen Bewohner Perus benutzen quadratische Tücher in Tiklla-Technik mit vier Farbflächen in Ritualen zu Ehren der Pachamama, der Apus und anderer göttlicher Wesen. Daran sollte man mit Respekt denken, wenn man so etwas in der Hand hat oder sich selber am Weben eines solchen Tuches versucht.

Traditionelle Tiklla-Gewebe haben vier feste Seiten, man braucht also Geduld. Die Kette wird mit Fadenkreuz (also in 8-Form) entweder auf einem an sechs Pflöcken am Boden befestigten Horizontalwebgrät geschärt oder auf einem speziell dafür angefertigten Gestell.

Die folgenden Bilder zeigen die einzelnen Schritte der Herstellung einer Kette für ein vierfarbiges kleines Tuch von 50 cm Länge und 40 cm Breite.

In Peru sind beim Schären einer Kette zwei oder drei Frauen beteiligt, das geht wesentlich einfacher und schneller, als wenn man sich alleine mit Klammern als dritte Hand behelfen muß.

Bei dem Tuch oben wurden die Kettfäden nicht so dicht gesetzt, daß sie den Schußfaden völlig verdecken. Die Schußfäden gehen daher jeweils nur bis zur Mitte des Webstücks, sind dort an ihrem Umkehrpunkt ineinander verhängt und haben die gleiche Farbe wie die Kettfäden.

Bei einer Unterbrechung des Kettfadenverlaufs braucht man für die Fachbildung auf jedem Kettfadenabschnitt einen Litzenstab und eine Fachrolle, man muß also mindestens zwei Litzenstäbe einziehen.

Angewebt mit je einem Litzenstab pro Feld, der Trennstab kann herausgezogen werden

Hat man die Kette an den Stäben des Gurtwebgeräts befestigt und die Litzen angebracht, webt man zunächst von jedem Stab aus ein Stück an. Der Stab, der die Unterbrechung der Kette und die Trennschnur hält, bleibt erst einmal in der Kette. Man kann ihn direkt nach dem Anweben entfernen oder auch erst die Hälfte des Kettabschnitts weben und ihn dann herausziehen. Die Schnur bleibt dabei natürlich drin! Bei Baumwolle ist es besser, den Stab gleich nach dem Anweben herauszunehmen, um horizontale Rippen im Gewebe durch das Gleiten der Kettfäden um den glatten Trennstab zu vermeiden. Ist der Trennstab herausgenommen, webt man von der Mitte, also von der Schnur aus, nach beiden Seiten an. Die auf der Schnur liegenden äußeren Kettfadenschlaufen haben die Tendenz, nach außen wegzurutschen, also die Schnur lang genug machen. Die Schnurenden werden im ersten Fach beim Anweben auf der Schnur mit eingelegt und sichen so die außenliegenden Schlaufen der Kettfäden.

Ein Muster, das in der Mitte des Tuches gut zu sehen sein soll, beginnt man direkt an der Schnur. Die Enden an den Kettbäumen werden nur 1 cm angewebt, um die richtige Breite des Gewebes einzustellen. Eventuell verwendet man einen Schußfaden, den man später wieder leicht entfernen kann. Danach wird das Gewebe gedreht und man webt von der Schnur aus nach den Enden zu. Beim Original des Tuchs im folgenden Beispiel waren die Altvorderen clever: statt von der Mitte bis ganz zum Ende am Kettbaum zu weben, haben sie das Ende mit einem Band in Zwirnbindung versehen. Das läßt sich auf dem letzten Zentimeter besser anbringen, als wenn man bei einer Fadenstärke von ca. Nm10 und reichlich 1000 Fäden auf 40 cm Breite mit der Nadel weben muß.

Tuch, ca 40 x 40 cm, Fundort Arica, Chile; ausgestellt im Museo Chileno de Arte Precolombino

Dieses kleine Tuch hat mir so gefallen, daß ich versuchen möchte, es nachzuweben. Die Muster konnte ich trotz der unscharfen Fotos aus dem Internet einigermaßen rekonstruieren.

Musterprobe

Ein brauchbares Wollgarn in den entsprechenden Farben zu finden war schwierig. Kein dünnes Wollgarn, was hier in Deutschland erhältlich ist, erfüllt die Anforderungen für das Weben mit den hohen Fadendichten eines Kettripses. Es lief wieder auf Nachzwirnen heraus, das Garn ist Kammgarn 20/2 von Garnhuset i Kinna aus Schweden, hier erhältlich bei Swedenform. Zum Glück braucht man nicht viel Garn für so ein Tuch, so daß das Nachzwirnen schnell erledigt war.

beim Schären der Kette zum Nachweben des oben abgebildeten Tuchs
fertige Kette für das gemusterte Tuch
Tuch von der Mitte aus angewebt

Da das hier verwendete dünne Wollgarn für mich neu war, habe ich zunächst einige Proben gewebt, um zu sehen, ob dieses Garn das Weben mit hoher Fadendichte aushält.

Bei der Probe im linken Bild wird der Schußfaden noch gut abgedeckt, das Garn löst sich aber während des Webens zusehends auf. Verringert man die Fadendichte so wie im mittleren Bild, widersteht das Garn länger den Belastungen, der Schußfaden macht sich aber im Musterbereich unangenehm bemerkbar. Das Garn für die Probe im rechten Bild habe ich auf dem Spinnrad moderat nachgezwirnt, es ist noch weit entfernt von den drahtartigen Fäden, die die Andenweberinnen benutzen. Das hat am besten funktioniert, die Fäden haben bis zum Schluß gehalten, es gab keinen Abrieb in den Litzen und die Fächer ließen sich für einen Kettrips aus Wolle ordentlich öffnen. Dieses Garn und Fadendichte habe ich dann für das Tiklla-Tuch verwendet.

Zum Weberforum am 11. Juni 2023 in Oederan möchte ich in einem Workshop für an dieser Technik interessierte Weberinnen und Weber näher erläutern, wie man Tiklla webt. Gezeigt werden das Prinzip des Schären der Kette auf einem Gestell, die Herstellung einer Tiklla-Kette für einen Salusso-Webrahmen („Kleiner Italiener“) und das Entfernen des Trennstabes und Anweben auf der Schnur bei einer bereits angefangenen gemusterten Kette auf dem Gurtwebgerät. Ich würde mich freuen, wenn bei diesem Workshop eine fruchtbare Diskussion entsteht, wie man diese außergewöhnliche Technik auch auf den hier gebräuchlichen Webgeräten anwenden kann.

Bandwebmuster in drei Farben

Vor Jahren hatte ich mich schon einmal an der Baltischen Technik mit zwei Musterfarben versucht und das Ganze wieder weggelegt, da mir das Abbinden der Musterfäden auf der Rückseite nicht richtig gelingen wollte. Diesen Herbst gab es dazu eine Diskussion auf Ravelry, vielen Dank an Brettchenweberin, die meine Neugier auf diese Technik wieder geweckt hat!

Eine Baltische Technik ist das eigentlich gar nicht. Aus dem Baltikum sind mir keine Textilien mit dieser Technik bekannt, im Internet habe ich nichts gefunden, weder Bilder noch Beschreibungen. In Südamerika webt man allerdings breit gemusterte Mantas damit und diese Mustertechnik scheint dort schon einige Jahrzehnte in Gebrauch zu sein. In Peru heißt sie Ley (oder ligui) pallay de tres colores. Die folgenden Bilder zeigen einen Gürtel aus der Sammlung des ILCA (Instituto de la Lengua y Cultura Aymara) in Bolivien.

Die südamerikanischen Weberinnen haben es sogar geschafft, durch geschickte Musterentwürfe ein nahezu doppelseitiges Muster zu erzielen, so wie auf dieser kleinen Manta aus Bolivien:

Gewebt wird diese Technik ähnlich den baltischen oder ostpreußischen Bandwebmustern. Es kommt aber hinzu, daß regelmäßig Bindepunkte gesetzt werden müssen, um die gerade nicht verwendete Musterfarbe am zu langen Flottieren auf der Rückseite zu hindern und auch, um durch das regelmäßige Abbinden der Musterkette eine ungleiche Spannung der Kettfäden zu verhindern.

Diese Bindepunkte sind unter den Flottierungen der Musterfäden verborgen oder werden, wo das nicht geht, durch die Handhabung der Musterfäden beim Weben etwas versteckt.

Für interessierte Weberinnen habe ich eine Beschreibung dieser Technik gemacht, die zwei verschiedene Möglichkeiten, diese Bindepunkte zu setzen, behandelt. Sie kann unter dem Menüpunkt „Südamerikanische Webtechniken“ oder hier heruntergeladen werden.

Doppelt und Dreifach

Stabdoppelgewebe mit Webblatt auf einem Backstrap-loom? Warum nicht, man muß sich nur etwas einfallen lassen, um die endlos geschärte Kette in das Blatt einzuziehen und die gewünschte Fadendichte hinzubekommen.

Man kann die Kette auch wie beim Webstuhl aufschneiden, einziehen und an einem Stab anbinden, das verschwendet eine Menge Garn und man muß den Anfang des Gewebes nach Fertigstellung abnähen oder Fransen knüpfen.

In der Wahl der Dichte des Webblattes und auch in der Auswahl des Garns ist man mit endloser Kette nicht ganz so frei wie beim Anbinden auf einem Webstuhl. Bei mir hat es sich bewährt, je zwei Fäden von einer Farbe, also für zweifarbiges Doppelgewebe insgesamt vier Fäden in eine Lücke des Blatts einzuziehen. Das mache ich deshalb so, weil ich dann die Schlaufen am knotenfreien  Ende der endlosen Kette gleich mit dem Einziehhaken durch das Blatt fädeln und sofort auf einem der beiden Stäbe des Gurtwebgerätes aufziehen kann. Der andere Stab hält das Ende der Kette mit den Knoten für den Anfang und die Farbwechsel. Die Kreuzstäbe werden direkt nach dem Schären der Kette angebracht und dienen der Orientierung beim Einziehen des Webblatts und der Litzen. Sie bleiben später beim Weben in der Kette und helfen dabei, die Fäden in der richtigen Webbreite zu halten.

Mit der gleichmäßigen Spannung der Kettfäden gab es nach dem Einziehen keine Probleme.

Für Baumwolle 8/2 (Nm 6,7) habe ich ein Blatt 40/10 (10 dents) verwendet, bei zwei Fäden pro Farbe im Doppelgewebe entspricht das einer Fadendichte von 8 Fäden pro cm in einer Lage des Gewebes.

Da ich ein längs gestreiftes leinenbindiges Grundgewebe für Anfang und (vielleicht) Ende haben wollte, sind die Litzenstäbe anders eingezogen als bei z.B. nordeuropäischem Stabdoppelgewebe. Litzenstab 1 ist hell, Litzenstab 2 ist dunkel, 3 und 4 entsprechend genauso. Auf den Kreuzstäben liegen die Farben jedoch zwei hell/ zwei dunkel nebeneinander. Genauso gehen sie auch durch die Schlitze des Blatts, die zwei Fäden der hellen Gewebelage zusammen mit den korrespondierenden zwei Fäden der dunklen Gewebelage. Die Übersicht beim Einlesen der Fäden für das Muster wird dadurch sehr verbessert.

Damit das Ausheben der gesamten Fäden einer Farbe bei diesem Einzug nicht zum Kampf mit den Litzenstäben wird, liegt die helle Farbe auf einer Rolle hinter allen vier Litzenstäben, die zwei Stäbe mit  dunkle Farbe werden bei Gebrauch einzeln ausgehoben und an der Weblinie mit Hilfe der Webschwerter vereinigt. Das geht schneller, als man es aufschreiben kann.

Gewebt habe ich Muster aus dem vorspanischen Peru, der hochauflösenden Fotos von Museumsobjekten, die es jetzt gibt, sei Dank. Die Webart ist Finnweave, eine Variante des Stabdoppelgewebes, die auf der Vorderseite exakte horizontale und vertikale Linien produziert, in dem mehr Fäden der Musterfarbe auf dieser Seite als auf der Unterseite verwendet werden. Dadurch ist das Muster aber nicht auf beiden Seiten gleich gut vorhanden.

Man kann mit einem Backstrap-loom Gewebe herstellen, die vier feste Seiten haben, allerdings nicht, wenn man ein Webblatt verwendet. Oder doch? Kommt drauf an😉! Wenn man komplette Schlaufen der Kette durch die Schlitze des Blatts zieht und dann von der anderen Seite (der mit den Knoten) das Weben beginnt, die Seite mit den Schlaufen nicht anwebt, also auch keine Anfangsschnur verwendet, sondern die Kette nur provisorisch festsetzt, dann geht das schon. Das Webblatt kann man entfernen, wenn man nahe am Ende ist und die letzten cm ohne dieses weiterweben.

Doppelgewebe im alten Peru wurden als vierseitig abgeschlossene Gewebe nach gängiger Lehrmeinung ohne Webblatt hergestellt. Bei den ganz alten Sachen ist das sicher so, das Webblatt wie wir es kennen wurde wahrscheinlich um 500 u.Z. in Asien erfunden und kam im Mittelalter nach Europa. Wenn ich mir diesen Kamm aus einem Chancay-Webkörbchen (um 1300 bis 1500 u.Z.) ansehe, habe ich so meine Zweifel, ob diese Weber nicht auch schon eine Art  Webblatt kannten und es wieder aus der Kette entfernten, wenn sie das Ende weben wollten.

Chancay-Fadenkamm, ca. 1300 -1500 A.D.

Der Kamm sieht von seiner Machart aus wie ein halbfertiges Webblatt, nur eine Seite ist gebunden. Zum Anschlagen von Bildgeweben erscheint er mir zu schwach gebaut.

Allerdings muß man dazu zumindest einen Litzenstab für ein leinenbindiges Grundgewebe als Abschluß neu einziehen, das andere Fach läuft wie gewohnt über eine Rolle. Es gibt neuerdings auch Webblätter für Handweber, die man zum Einziehen oder Entfernen oben öffnen kann, allerdings nicht hier in Europa und zu exorbitanten Preisen. Braucht man nicht wirklich.

Die Herstellung eines Webblatts mit einfachen “Hausmitteln” ist nämlich gar nicht so schwierig. Auf die Idee gebracht hat mich Tracy Hudson mit ihrer Beschreibung, wie ein japanisches Webblatt aus Bambus hergestellt wird.

https://www.einesaite.com/blog/einesaite/2017/11/7/bamboo-reeds-continued

Das ist freilich die Königsklasse, so fein brauche ich es gar nicht und auch nicht so groß, ich wollte nur mal schnell ein Band aus einem Buch ausprobieren. Herausgekommen ist das hier:

Ein Webblatt für ein Band, was sind denn das für Flausen? Das Band hat es aber in sich, es ist ein Tripelgewebe, 6 Schäfte, drei Farben, auf der Oberseite dreifarbiges Finnweave und unten zweifarbiges Doppelgewebe. Wieder mal zu lange “Double-woven Treasures from Old Peru” gelesen. Gerade hatte ich Finnweave in zwei Farben richtig begriffen und es fing an Spaß zu machen, da mußte es noch bunter werden! Bloß Leinenbindung gleichmäßig mit Abstand zwischen den Kettfäden weben, will mir ohne Webblatt trotz coil-rod und Breithalter schon bei zwei Farben nicht gelingen. Ein gutes Webblatt für ein Band kleinsägen läßt mein innerer Schotte nicht zu, also eins bauen, möglichst mit Material aus der Gerümpelkiste. Das größte Problem waren gleichmäßig breite Hölzer für die Stege des Blatts. Mir fielen Eisstiele in die Hände, die sahen gut aus, aber ob sie nicht mit ihren 2 mm zu stark sind? Mit einer Schnur von 1,3mm Stärke zum Binden des Blatts kam ich auf eine Dichte von 33/10, die Zwischenräume sind recht eng, aber mit Garn Nm 5,6 funktioniert es.

Das Band hat als Grundfarbe Grün und als Musterfarben Gelb und Rot. Alle drei Farben können als Layer eines Tripelgewebes einzeln gewebt werden, so wie in den Anfangs- und Endstreifen des Bandes. Entsprechend braucht man drei Schußfäden in den drei Farben. Die Schußfäden umschlingen sich am Rand des Gewebes um diesen zu schließen.

Die Oberseite des Bandes ist dreifabiges Finnweave, auf der Unterseite ist zweifarbiges Stabdoppelgewebe mit doppeltem Schuß in einer Farbe für jede Musterreihe. Deshalb ist das Muster dort auch an den Seiten nicht so exakt wie bei Finnweave, es “flattert” ein bißchen.

Warum haben die alten Peruaner Tripelgewebe hergestellt? Archäologen würden vielleicht einen spirituellen Hintergrund vermuten, das Original des Bandes stammt von einer Ausgrabung in  Ocucaje/ Peru und wurde etwa um 900 v.u.Z. angefertigt, zur Zeit der Chavin-Kultur. Die drei Welten der Andenvölker, eine davon im Inneren verborgen oder so.  Es hat wohl gewöhnlichere Gründe: das Gewebe wird auf diese Art schön fest und gleichmäßig, da alle Fäden immer abgebunden werden und keine im Inneren flottieren, was die Spannung der Kette durcheinanderbringt.

Beim Weben des Bandes habe ich mich erst einmal eine ganze Weile an der Anleitung festhalten müssen, bis ich begriffen hatte, wie das mit den drei Farben geht. Vor allem das Weben der  Unterseite war am Anfang unverständlich, bis ich herausbekam, daß dafür die zweite Musterfarbe in einer ganz bestimmten Weise als Komplementärpartner der auf der Oberseite verwendeten Musterfarbe nach unten gebracht werden muß.

Das Weben braucht sehr viel Zeit, für eine Reihe im Muster sind neben dem Einlesen von Hand zwei oder vier Schüsse und entsprechende Fachbildung im Doppelgewebe notwendig.

Das Band mit dem Muster aus dem alten Peru ist nun fertig und lang genug, um daraus eine kleine Tasche für Stifte zu nähen. Es ist ein Stück Kette übrig, da werde ich mal etwas herumprobieren, was mit dieser Technik noch möglich ist.

Ein sehr schönes Band als Tripelgewebe habe ich auf der Seite des Metropolitan Museum of Art gefunden, das Muster soll laut Beschreibung doppelseitig sein, leider gibt es kein Foto der Rückseite.

Metropolitan Museum of Art
Objekt-Nr. 2001.172

Zufällig in den gleichen Farben, die ich für mein Band verwendet habe, aber mit der doppelten Fadenzahl. Ich höre meinen inneren Schweinehund schon kichern:”Es gibt doch jetzt ein kurzes Webblatt, Muster dreifarbig doppelseitig, wäre das was?”  Mal sehen.

Da es so aussieht, als würde ich lieber Webtechniken sammeln statt auch mal etwas fertig zu stellen, hier noch ein Bild von der nun endlich zusammengesetzten blauen Tasche:

Das Trageband habe ich noch mal neu gewebt, mir haben die Farben des ersten Versuchs nicht so gefallen. Es ist ein einfaches Amapola-Muster mit Variationen in den Musterfarben entlang des Bandes. Sonst wird es langweilig.

Königlicher Purpur – ganz profan gefärbt

6,6′-Dibromindigo.

Das ist die nüchterne wissenschaftliche Bezeichnung eines Farbstoffs, der in antiker Zeit Symbol von Macht und Reichtum war. Gewonnen wurde er in einem langwierigen Verfahren aus Purpurschnecken, die rund um das Mittelmeer vorkommen und wegen der intensiven Nutzung fast ausgerottet wurden. Die verschiedenen Arten der Purpurschnecken färben nicht alle gleich, der reine Farbton des mit Indigo verwandten Farbstoffs kann mit der Naturfärbung nicht erreicht werden.

Bildquelle: Wikipedia; Naturhistorisches Museum Wien

Vor einiger Zeit habe ich mich mit einem Freund, der Chemiker ist, über Naturfarbstoffe unterhalten. Es ging erst um natürlichen Indigo und seine manchmal grottenschlechte Qualität, dann kamen wir auf Purpur zu sprechen. Er meinte, diesen könnte man synthetisch herstellen und er wollte das einmal versuchen, da man eine Vorstufe des Farbstoffs kaufen kann, was die Sache vereinfacht. Die Herstellung war erfolgreich, wir wollten es zusammen ausprobieren und mit einer kleinen Menge Purpur bei mir in der Küche etwas Wolle färben. Da ich schon öfter mit Indigo gefärbt habe, war ich natürlich sehr neugierig, ob das einfache Küpenverfahren mit handelsüblichem Entfärber auch bei synthetischem Purpur funktioniert.

synthetischer Purpur auf Wolle und Seide 120/2

Wie auf dem Bild oben zu sehen ist, geht das, die Färbungen sind mit 0,5g Purpur und 2g Entfärber in ca. 1,5l Wasser bei 60°C gemacht worden. Als wir das erste Mal die gelblich gefärbte Wolle aus den Farbbad geholt haben und die Farbe durch die Oxidation an der Luft nach Purpur umschlug, haben wir uns sehr gefreut und ich bin unserem Freund sehr dankbar, daß er dieses Experiment ermöglicht hat!

Er möchte gern mehr von diesem Farbstoff herstellen und sucht Abnehmer dafür. Eine billige Chemiefarbe ist synthetischer Purpur allerdings nicht, die Herstellung im Labor macht einen zeitlichen Aufwand, die notwendigen Chemikalien sind auch nicht ganz preiswert. Textilrestauratoren und erfahrene Färberinnen könnten sich dafür interessieren, bei Bedarf stelle ich gern den Kontakt her.

Naturfarbene Baumwolle, Teil 2

Im ersten Teil über naturfarbene Baumwolle hatte ich die Herstellung des Garns aus roher entkernter Baumwollfaser beschrieben. Jetzt soll es um das Weben mit diesem Garn gehen.

Da ich auf dem backstrap loom vorwiegend kettdominante Textilien webe, muß das Webgarn einiges an Abrieb und Zugbelastung aushalten können. Eine große Menge Drall im Garn ist nur eine Möglichkeit, wie man bei Baumwolle die Festigkeit beeinflussen kann. Wenn man das gezwirnte Garn in basischem Wasser kocht und danach unter Zug trocknet, wird es dabei reißfester und läuft etwas ein . Ich habe Natron (ca. 5 g auf 2 l ) ins Wasser gegeben, um es basisch zu machen, Soda wäre auch möglich. Beim Kochen werden außerdem die Farben der farbigen Baumwolle intensiver, hier der direkte Vergleich:

Das fertige Webgarn hat eine Lauflänge von ca. 800 bis 1000 m je 100g, also Nm8 bis Nm10. In wpi sind das bei diesem Garn 32 bis 36, der niedrigere Wert für dunkelbraun und grün.

Für eine kleine Webprobe habe ich die Kette auf dem Gestell geschärt, das ich eigentlich für Webstücke mit unterbrochenen Kettfäden (Tiklla) verwende. Das Garn kam mir beim Schären so vor, als hätte vor allem das Grüne für ein Kettgarn nicht genügend Drall, deswegen habe ich die Kette gleich auf dem Gestell kräftig von beiden Seiten mit Sprühstärke eingesprüht und trocknen lassen.

Kette (Länge 35 cm) auf einer Art Schärrahmen

Nach dem Aufziehen auf den backstrap loom zeigte sich, daß sich mit der nötigen Vorsicht (die Fäden sind sehr dünn) das Garn ganz gut verweben läßt. Man bleibt mit dem Webschwert oder dem Stäbchen mit dem Schußfaden auch gern einmal hängen, mir ist aber deswegen nur ein Kettfaden gerissen.

Die Kettfäden sitzen etwas auf Abstand, 20 Fäden pro cm, der weiße Schußfaden (Nm 20/2, unmercerisierte kommerzielle Baumwolle) scheint etwas durch. Damit sich dabei das Gewebe nicht in der Breite zusammenzieht, habe ich einen einfachen Breithalter benutzt, ein Stück von einer alten Garnspule aus Pappe und zwei Stecknadeln. Balsaholz ist dafür auch bestens geeignet, das war aber alle.

Breithalter auf der Unterseite

In dem Kettgarn steckt jede Menge Zeit und Arbeit, deswegen habe ich das Webstück mit vier festen Seiten hergestellt, um nichts zu verschwenden. Mit Fachbildung konnte ich bis zu einer Lücke von 3 cm weben, danach mußte ich mit Nadeln weitermachen. Stahlstricknadeln Größe 2mm sind gut geeignet, um die dünnen Fäden aufzunehmen und den Schußfaden mit parallel geführte stumpfer Sticknadel ins Fach einzulegen. Die letzte Reihe ist nur mit einer Nadel gewebt.

fertiges Stück Stoff vor dem Bügeln, 34 x 14 cm

Das Schließen der Lücke beansprucht das Kettgarn mehr als das Weben, das grüne Garn ist in diesem Bereich etwas rauh geworden, aber nicht gerissen. Nach dem feuchten Bügeln des Stoffstücks ist das aber kaum noch zu sehen.

Aus dem entstandenen Stoffstück habe ich eine kleine Tasche genäht, bei der die Anfangsschnüre vom Weben auf dem backstrap loom noch sichtbar sind.

Wenn man genau hinsieht, erkennt man auf der Rückseite die letzte Reihe vom Zusammenweben.

letzte Reihe mit doppeltem Schußfaden (Stecknadel)

Fazit dieses Versuches ist: man kann mit den naturfarbenen Pakucho-Baumwollflocken ein kettfähiges Webgarn herstellen, was sich für festen Bekleidungsstoff und Handtücher eignet. Gesponnen aus kardierten Rolags bzw. Punis wird das Garn durch die in der Flocke enthaltenen Knötchen und Noppen nicht sehr gleichmäßig, das fällt in einem fertigen, relativ dichten Gewebe aber kaum auf. Ob der Stoff im täglichen Gebrauch anfängt zu fusseln, wird sich zeigen.

Hier noch etwas zu lesen:

All about Spinning Cotton, Interweave Press LLC, 2011; kostenloser Download über interweave.com

Naturfarbene Baumwolle, Teil 1

Bei der Handspinngilde gab es vor einiger Zeit (für Mitglieder) naturfarbene Baumwolle in der Flocke zu kaufen. Die Baumwolle ist aus Peru und wird unter dem Namen „Pakucho“ vermarktet.

Bei der Firma KnitArt ist sie ebenfalls erhältlich.

Die beiden Neuwelt-Baumwollarten Gossypium hirsutum (Upland Cotton) und Gossypium barbadense (Pima Cotton) liefern nicht nur weiße Fasern, sondern auch Fasern in verschiedenen Braun- und Grüntönen.

Während die weißen Fasern eine mittlere (Upland) bis hohe (Pima) Stapellänge haben, sind die Fasern der farbigen Sorten sehr kurz, oft nur 2 cm. Farbige Baumwolle wurde schon in vorspanischer Zeit in Mittel- und Südamerika zur Herstellung von Webgarnen genutzt, ein Beispiel dafür sind die Stabdoppelgewebe aus der Paracas- und Nazca-Wari-Kultur in Peru.

So ein Doppelgewebe aus farbiger Baumwolle wie im Original, das wäre doch mal einen Versuch wert? Mein Charkha langweilte sich schon einige Zeit im Schrank, also ran an die Fasern! Das böse Erwachen kam jedoch ganz schnell… Während die weiße Baumwolle schön sauber war, ohne zerrissene Fasern und Knötchen, wurde es bei den farbigen Sorten von hellbraun über grün nach dunkelbraun immer schlimmer mit Fremdbestandteilen, Lintern und Knötchen. Das war bei einer Baumwolle, die mit der Hand gepflückt wird so nicht zu erwarten gewesen, ich denke, daß diese Baumwolle auf einer Maschine für langstapelige Fasern unsachgemäß entkernt wurde.

Hier einige Bilder von der Aufarbeitung der Fasern bis zu Punis und Kammzügen:

Trotz sorgfältigem Auslesen der Fremdbestandteile ließen sich vor allem bei der Farbe Chocolate die Knötchen nicht entfernen, sie sind so klein, daß sie auch beim Kämmen durch die Nadeln der Kämme schlüpfen, die nur 2 mm Abstand voneinander haben. Das Garn bekommt dadurch ganz schön „Struktur“, um den unschönen Begriff „fusseliger Strick“ zu vermeiden. Es ist mir nicht gelungen, die farbigen Fasern auf dem Charkha so dünn zu spinnen wie die weiße Baumwolle, der Faden reißt dauernd dort, wo ein Knötchen auftaucht.

Pakucho: zweifach gezwirntes Garn

Gezwirnt habe ich die Fäden auch auf dem Charkha, für so kleine Proben geht das gut, wenn man vorher einen zweisträngigen Ball wickelt. Jetzt habe ich die Stränge gewaschen und mit etwas Natron zur Farbvertiefung 10 min gekocht. Das Ergebnis gibt es dann im zweiten Teil, auch, wie sich das Garn verweben läßt.

Gewebt habe ich über Sommer nicht viel, eine Tasche mit integrierter kleiner Tasche, die ich noch zusammenweben muß.

Dazu noch ein Band als Henkel in der Amapola-Technik:

Band mit Blütenmuster in Amapola-Technik

Ein Galgo Español ist bei uns eingezogen und bringt Leben ins Haus, also jagen auf einem Band die Windhunde Hasen.

Zum Schluß noch ein historisches Bild, was meiner Meinung nach den herrschenden Zeitgeist voll auf den Punkt bringt:

Hexenküche

Im März war bei uns ein ziemlicher Sturm, der viele dürre Äste von den Bäumen geholt hat. Auf den Ästen waren zahlreiche Gelbflechten, die sich zum Färben eignen. Diese Flechten sind in den letzten Jahren immer mehr geworden, normalerweise wachsen sie in der Nähe von stark gedüngten Flächen, Jauchegruben o.ä., da sie  Ammoniak aus der Luft aufnehmen und das ihr Wachstum fördert. Die Landwirtschaft alleine scheint es jedoch nicht zu sein, man findet die Gelbflechte auch in großen Mengen an stark befahrenen Straßen, warum, darüber sollte man mal nachdenken. 

Gelbflechte (Xanthoria parietina) Quelle: Wikipedia

Der Pilz in den Gelbflechten produziert den Farbstoff Parietin, um sich damit vor zu viel UV-Licht zu schützen. Je stärker die Flechte der Sonne ausgesetzt ist, umso mehr von diesem  gelblichen Farbstoff ist vorhanden.   Auf Wolle mit  Alaunbeize bei neutralem pH-Wert macht diese Substanz das, was man von einem Anthrachinonfarbstoff erwartet: er färbt ungefähr die Farbe, die er selbst hat, gelb-braun. Langweilig, oder, dafür braucht man keine Flechten mühsam vom Ast kratzen sondern kann  Faulbaumrinde oder den Kiefernporling nehmen!  Mit einer Fermentation in Salmiakgeist und einer anschließenden Kaltfärbung der ungebeizten Wolle in dieser übelriechenden Brühe wird es allerdings magisch: die Gelbflechte färbt pink und blau! Geduld muß man dafür allerdings aufbringen, der Färbeprozeß dauert mindesten 8 Wochen. (1)

Von den abgefallenen Ästen an einer eher schattigen Stelle habe ich eine große Handvoll Flechten abgekratzt und in einem halben Liter Salmiakgeist (9%) bei Raumtemperatur, aber im Dunkeln 6 Wochen lang zur Fermentation angesetzt. Die Flüssigkeit nimmt dabei eine weinrote Farbe an. Nachdem ich die Flüssigkeit von den Flechten abgegossen hatte (draußen, es stinkt heftig nach Ammoniak!), habe ich 10 g nasse Wolle in diese Färbebrühe hineingelegt und im Dunkeln weitere 2 Wochen stehen gelassen. Nach dieser Zeit wurde die Wolle herausgeholt und gründlich ausgespült. Nach dem Spülen war die Wolle in nassem Zustand dunkelrosa. Den größeren Teil davon habe ich im Dunkeln getrocknet, ca. ein Drittel aber naß im Garten ins helle Sonnenlicht gelegt. Die Wolle im Licht fing sofort an, ähnlich wie eine Indigofärbung zu verblauen, sie wurde erst hell, als wollte die Farbe verschwinden, dann blau. Die im Dunkeln getrocknete Wolle blieb rosa.  

Mit Gelbflechte gefärbte Wolle, links im Dunkeln getrocknet, rechts im Hellen

Die Farben auf der Wolle sind ziemlich blaß geworden. Man benötigt offensichtlich eine ganze Menge Flechten, um dunklere Farbtöne zu erzielen. Wenn wieder genug von den Bäumen geworfen wird, was in der darauf folgenden Zeit  dann eh verfaulen würde, werde ich den Versuch mit mehr Material wiederholen. Einfach irgendwo runterholen will ich die Flechten nicht, mal davon abgesehen, daß sie unter Naturschutz stehen, sie brauchen Jahre zum Wachsen und die Waldbewohner wollen vielleicht auch etwas davon. 

Das Wetter war dieses Frühjahr kalt und naß, also macht man seine Experimente eben auch in der Küche. In einem Text über „Lost Crops of the Incas“  (2) war mir eine bittere Lupinenart aufgefallen, die tolerant gegen schlechte Böden und Trockenheit ist, ihr eigenes Pflanzenschutzmittel produziert und die man mit spezieller Behandlung eßbar machen kann. Schlechter steiniger Boden und trocken, das ist genau das, was ich hier rings ums Haus habe. 

Andenlupine (Lupinus mutabilis) Quelle: Wikipedia

Die Andenlupine (Lupinus mutabilis), Quechua: Tarwi, in Ecuador: Chocho,  ist eine alte Kulturpflanze aus dem Hochland von Peru und Bolivien, die in vorspanischer Zeit dort weit verbreitet war. Sie ist durch die zeitraubende Prozedur zum Entfernen der Bitterstoffe lange in Vergessenheit geraten, wurde aber in den letzten Jahren wegen ihren hohen Eiweiß- und Fettgehalts in den Samen als einheimische Alternative zu Soja in einigen südamerikanischen Ländern regelrecht „gehypt“. 

Samen der Andenlupine

Die Samen der Tarwi gab es in Deutschland lange nur in spezialisierten Gärtnereien 10 Stück zu teuren Preisen, nicht jedoch in Mengen um sie essen zu können. Dieses Jahr habe ich sie gefunden, gleich ein halbes Kilo (hier). Erstaunlich im Land der Vollkaskomentalität und des Kindergartenniveaus für Konsumenten, die unbehandelten Samen sind gallebitter und giftig, sie enthalten das Alkaloid Spartein, was einen ordentlichen Herzkasper verursachen kann. Der deutschsprachige Aufkleber auf der Packung führt potentielle Köche in die Irre, da steht: über Nacht einweichen und 20 min kochen. Das wird garantiert nichts, man spuckt es beim Probieren gleich wieder aus. Nach dem Kochen kommt die eigentliche Arbeit: die wasserlöslichen Bitterstoffe müssen erst ausgeschwemmt werden. Solange die Tarwi noch bitter sind (Geschmacksprobe: einen Samen zerkauen und am hinteren Zungenrand probieren), sind sie nicht genießbar. 

Da ich nicht glaubte, daß man hierzulande den Leuten unbehandelte Tarwi als Lebensmittel verkaufen darf, habe ich probiert, ob die Samen noch keimen. Das taten sie in feuchtem Küchenpapier auf dem Heizkörper schnell und zuverlässig, die gekeimten Samen habe ich eingepflanzt und als sie groß genug waren in den Garten gesetzt. 

Tarwi-Jungpflanze

Dann habe ich im Internet recherchiert, wie man Tarwis richtig entbittert. Nach einer Anleitung von einer Hausfrau aus Ecuador geht das so: 

1. Tag: Tarwis wie Linsen oder Bohnen über Nacht einweichen

2. Tag: das Einweichwasser wegschütten, Tarwis mit frischem Wasser 0,75 bis  1 h kochen, sie bleiben fest und zerfallen nicht

das Kochwasser wegschütten (oder abkühlen lassen und damit Pflanzen gegen Blattläuse, weiße Fliegen o.ä.  spritzen)

Tarwis mit reichlich frischem Wasser aufgießen, Wasser im Laufe des Tages mehrfach wechseln

3.-5- Tag: dreimal täglich Tarwis durchspülen, das Einweichwasser wechseln und probieren, ob die Samen noch bitter schmecken s.o.

sind die Bitterstoffe raus, können die Samen gegessen werden

Es hat gut funktioniert, die gekochten und entbitterten Tarwis haben eine feste Konsistenz ähnlich wie das Innere von rohen Zuckererbsen und schmecken ein bißchen wie ungekochte Erbsen oder Saubohnen. Man kann damit einen einfachen Salat machen, Cebiche de Chochos, dazu braucht man noch Limettensaft, scharfe Chili, Tomaten, Zwiebeln, Salz und etwas Öl. 

Cebiche de Chochos Quelle: Wikipedia

Nach meiner Erfahrung sind die Tarwis im Salat bekömmlicher als Linsen oder Bohnen, sie haben nicht die berüchtigten Nachwirkungen… 😉

Es gibt im Internet einige Rezeptbücher (auf Spanisch) für die Verwendung der Tarwi-Samen, man kann damit alles machen, was mit europäischen Süßlupinen oder Kichererbsen auch geht: Hummus, glutenfreier Teig für Kuchen, Kekse  und Pizza, Eis, Salate, Eintöpfe und vieles  mehr. 

Ob die Pflanzen hier Ertrag bringen, werde ich im Herbst sehen, es soll je nach Herkunft des Saatgutes erhebliche Unterschiede geben, wie lange es von der Aussaat bis zur Samenreife braucht. Laut Packung sind meine Tarwis aus Peru, wenn sie aus dem kühlen Andenhochland kommen, könnte es gehen.

 

Photo by Los Muertos Crew on Pexels.com

Gewebt habe ich auch etwas, diesmal ohne Muster, mir war nicht danach. In Bolivien gibt es Taschen (ursprünglich für Kokablätter), in denen eine oder mehrere kleine Taschen gleich mit eingewebt sind. Dazu muß man den Teil der Kette länger machen, wo später die zusätzliche Tasche ist. Das ganze ist im Buch von A. Cahlander ausführlich beschrieben (3). 

Normalerweise werden diese Taschen auf einem Horizontalwebgerät (four-stake ground loom) oder auf einem Anlehnewebstuhl hergestellt, da man für die Verlängerung der Kette, die später die kleine integrierte Tasche bildet, zeitweise einen zweiten oberen Kettbaum braucht. Auf einem backstrap-loom muß man sich was einfallen lassen. Die beiden oberen Kettbäume mit Stricken zusammenzubinden wäre eine Möglichkeit, das verrutscht aber gern und es ist schwierig, auf beiden Seiten den gleichen Abstand der Stäbe voneinander einzustellen. Ich habe mir aus Sperrholz zwei Abstandshalter gebaut, die straff auf die oberen Kettbäume passen. Die Kette habe ich direkt auf die Stäbe geschärt, die auf einem Lattengestell festgebunden waren und gleich auf diesem Gestell den unteren Kettbaum mit der Anfangsschnur angebracht. 

Abstandshalter zwischen den oberen Kettbäumen, Mittelteil schon angewebt

Man webt die ganze Kette ein Stück an (ca. 5 cm) und macht dann mit dem Stück in der Mitte weiter, wo die Tasche entstehen soll. Das wird so lang gewebt, wie der Abstand zwischen den oberen Kettbäumen ist, in meinem Fall 15 cm. 

das Mittelteil wird 15 cm lang separat gewebt

Ist man damit fertig, entfernt man die Abstandshalter und den äußeren der zwei oberen Kettbäume. Dann faltet  man das eben gewebte Teil für die Tasche in der Mitte, zieht es zum unteren Kettbaum und näht es dort mit Heftstichen fest. Der obere Kettbaum hält dann alle Schlaufen der Kette und hat noch keine Anfangsschnur, diese wird jetzt angebracht und die Tasche von der Gegenseite einige cm angewebt. Dann dreht man das Webgerät wieder herum und webt von der Oberkante der gefalteten kleinen Tasche die Kette mit Litzenstab und Rolle komplett ab bis es damit nicht mehr geht.

Zum Ende hin wird die Fachrolle langsam zu groß…
…und durch eine kleinere Rolle ausgetauscht

Es bleiben ungefähr 5 cm Kette übrig, die man mit Nadelweben schließen muß. Dazu entfernt man Litzen und Fachrolle, zieht den Schußfaden doppelt auf eine Nadel und schließt mit viel Geduld die Lücke. In einem Durchgang legt man den immer zwei Schußfäden in das gerade aufgenommene Fach, einen oben und einen unten jeweils an die schon gewebten Teile. Damit das Gewebe in der Lücke nicht zu lose wird, drückt man den Schußfaden gut an. 

Zunächst kann man noch den Einlesestab benutzen
die vorletzte Reihe
und die letzte Reihe, hier liegt der Schußfaden doppelt

Das fertig gewebte Stück hat vier feste Seiten, die Tasche habe ich mit einer einfarbigen rundgezogenen Webkante (ribete) zusammengenäht und die Stellen, an denen sich die Anfangsschnuren befinden, damit eingefaßt. Die Seiten der kleinen Tasche sind mit einem Nadelbindestich (cross-knit loop stitch; koptischer oder Tarim-Stich)   geschlossen. 

Fertige Tasche

Hier noch etwas zum Weiterlesen:

(1)   Färben mit Pflanzen

  Dorit Berger

  Ökobuch-Verlag 2006

(2) Lost Crops of the Incas 

Little-Known Plants of the Andes with Promise for Worldwide Cultivation 

National Academy Press
Washington. D.C. 1989

(3) The Art of Bolivian Highland Weaving

Adele Cahlander & Marjorie Cason

Watson-Guptill Publictions 1976