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Durchfeuchtung bis gegen 3000m - Tagesgang beachten

Aktuelle Situation

Die frühsommerliche Witterung der letzten Tage hat in der Schneedecke deutliche Spuren hinterlassen. Die Ausaperung ist weiter fortgeschritten und die Gesamtschneehöhen sind deutlich zurückgegangen – am Rauriser Sonnblick (3105m) sank die Gesamtschneehöhe in der letzten Woche beispielsweise um 40cm auf 320cm. Verantwortlich dafür waren einerseits intensive direkte und diffuse Einstrahlung bei gleichzeitig oft eingeschränkter nächtlicher Abstrahlung und vergleichsweise hohe Temperaturen: So lag die Frostgrenze häufig um oder über 3000m, am Montag in den Hohen Tauern sogar bei etwa 3500m. Andererseits hat Regen die Schneedecke in allen Höhenlagen bis in Höhen von etwa 2800m durchfeuchtet, wie unsere Beobachter an der Großglockner Hochalpenstraße berichten. Nennenswerte Neuschneesummen beschränkten sich zuletzt auf die 3000er-Regionen in der Venediger- oder Glocknergruppe im Grenzbereich zu Osttirol.


Abb. 1: Wetterentwicklung der vergangenen Woche am Rauriser Sonnblick (3105m): Deutlicher Rückgang der Schneehöhe aufgrund warmer Temperaturen, hoher Luftfeuchtigkeit und Sonneinstrahlung.
 


Abb. 2: Differenz der Schneehöhe der vergangenen 72 Stunden:mit Ausnahme der höchsten Erhebungen in den westlichen Hohen Tauern, wo der Niederschlag am vergangenen Mittwoch, 24.05. für etwas Neuschneezuwachs sorgte, führten die Wetterbedingungen allgemein zu einem Rückgang der Schneehöhen.
 

Entsprechend waren hinsichtlich der Lawinenaktivität vor allem Nass- und Gleitschneeabgänge aus hohen und hochalpinen Lagen (über 2300 m) das Hauptthema. Große und sehr große Spontanlawinen wurden uns zu Wochenbeginn etwa aus der Glocknergruppe im Umfeld des Heinrich-Schwaiger-Hauses aus einem Höhenbereich von 2800 bis 3200m berichtet. Dort brachen Lawinen teilweise großflächig und tief in der Altschneedecke, vermutlich als Folge der erstmaligen tiefgreifenden Durchfeuchtung in dieser Höhenlage. Aufgrund dieser großen Ausmaße drangen Lawinen teilweise bis in die bereits frühlingshaften, ausgeaperten Talböden vor.


Abb. 3: Milde Temperaturen und feuchte Luft führten am Wochenende und zu Wochenbeginn zu einer weiteren Durchnässung der Schneedecke im Hochgebirge. Diese spontane große bis sehr große, nasse Schneebrettlawine an einem Nordwesthang auf ca. 3000m unterhalb des Hinteren Bratschenkopfes (3414m) in den Hohen Tauern löste sich vermutlich aufgrund der erstmaligen Durchfeuchtung einer bodennahen Schwachschicht (Foto: Christoph Lindenthaler, 22.05.2023).
 

Weitere Entwicklung

Für das Pfingstwochenende zeichnet sich frühlingshaftes bis frühsommerliches Wetter ab. Hoher Luftdruck dürfte einige Sonnenstunden ermöglichen, allerdings wird die Sonne im Tagesverlauf jeweils von zunehmender Quellbewölkung abgeschattet. Maßgeblich für das erhoffte Firnvergnügen und auch zur Risikominimierung wird die nächtliche Abstrahlung sein. Ein Blick auf die Bewölkungsanimation der GeoSphere Austria kann hier bei der Tourenplanung hilfreich sein. Touren nach bewölkter Nacht sind nicht zu empfehlen, da der Schnee oft nur dünn verkrustet oder von Beginn an „faul“ sein wird. Eine klare Nacht hinterlässt hingegen tragfähigen Harsch, der in den Morgenstunden je nach Exposition unterschiedlich rasch auffirnen wird. Der rechtzeitige Aufbruch und vor allem Abschluss der Tour ist wesentlich, um nicht dem Risiko spontaner nasser Lawinen ausgesetzt zu sein. Die Gefährdung durch spontane, nasse Schneebrettlawinen aus (schattigen) Höhenlagen über 3000m schätzen wir aktuell und für das Pfingstwochenende als „mäßig“ ein, da sich die Frostgrenze bei Höhen zwischen 2900 und 3200m einpendeln dürfte. Einzelne Abgänge sind aber nicht auszuschließen; deren Gefährdung hängt ebenso von der voranschreitenden Durchnässung ab und unterliegt einem (von der nächtlichen Abstrahlung abhängigem) tageszeitlichen Gang.


Abb. 4: Wetterentwicklung in den nächsten 5 Tagen am Rauriser Sonnblick (3105m). Uns erwartet meist freundliches Wetter mit viel Sonne und milden Temperaturen. Die Luft ist aber weiterhin recht feucht, was in der Nacht die Ausstrahlung beeinträchtigen und auch eine weitere Durchfeuchtung der Schneedecke befördern dürfte.
 


Abb. 5: Nach einer recht ausgedehnten niederschlagsreichen Zeit mit v.a. in hohen Lagen seit Ende März konstant ansteigenden Schneehöhen, ist nun mittelfristig kein Neuschneezuwachs mehr prognostiziert.
 

Rückblick

Ein kurzer Rückblick der vergangenen Tage in Bildern.


Abb. 6: In Bereichen unterhalb extremem Steilgelände (>40°) findet man derzeit häufig Ablagerungen von Nassschneelawinen vergangener Tage und Wochen. Vor allem nach klaren Nächten ein gefährliches Minenfeld! Im Bild der untere Bereich des Birgkars mit Kematstein (2772m) in Bildmitte (Foto: Leonhard Stock, 21.05.2023).
 


Abb. 7: Aufstieg zur Wildkarhöhe (2514m) im Kleinarltal. Nach häufig bedeckten Nächten gab es am vergangenen Wochenende leider kaum gute Firnbedingungen zu genießen (Foto: Bernadette Höring, 21.05.2023).
 


Abb. 8: Sommerschnee im Dürrkar unterhalb des Kuchelhorns (2508m) in den Leoganger Steinbergen. In diesen Höhenbereichen ist die Schneedecke schon seit Wochen an allen Expositionen 0 Grad- Isotherm. Spontane Nassschneelawinen sind hier – sofern kein neuer Schnee mehr hinzukommt – nur mehr sehr vereinzelt möglich (Foto: Klaus Einmayr, 22.05.2023).
 


Abb. 9: Im Bild das Anbruchgebiet der Lawine am Hinteren Bratschenkopf (3414m) aus Abb. 3. Im Vordergrund das Heinrich-Schwaiger-Haus, welches gut einen Kilometer Luftlinie vom Anriss entfernt liegt. Dies verdeutlicht die Ausmaße der Lawine. Die Anbruchhöhe liegt unserer Einschätzung nach jenseits der 3m (Foto: Christoph Lindenthaler, 22.05.2023).
 


Abb. 10: Zeichen reger Nassschneeaktivität auch im Bereich des Grasleitenkopfes (2954m) an der Grenze zu Südtirol im Krimmler Achental. Im linken Bild erkennt man – in Form einer etwas gekrümmten Linie oberhalb des Felsabbruchs – einen recht langen Anriss einer großen, nassen Schneebrettlawine, deren Ablagerung den hinteren Talboden erreicht hat (Foto: Andi Schlick, 25.05.2023).
 


Abb. 11: Auch wenn die vergangenen warm-feuchten Tage samt Regeneintrag der Schneedecke sehr stark zugesetzt haben: in der Höhe liegt durchaus noch viel Schnee und die Skitourensaison ist noch nicht vorbei. Im Bild der Blick vom Hocharn (3254m) in die Westseiten des hinteren Rauriser Tales (Foto: Maxi Lex, 23.05.2023).
 


Abb. 12: In den Hochlagen der Glocknergruppe sind am Mittwoch, 24.05. 10 bis 20 cm Neuschnee gefallen. Wer früh dran war, wurde mit Pulverschnee belohnt. Im Bild die Bergstation unterhalb des Kitzsteinhorns (3203m; Foto: Uta Philipp, 25.05.2023).

 


 


Michael Butschek ist Leiter des operativen Lawinenwarndienstes Salzburg bei der GeoSphere Austria. Er ist ausgebildeter Meteorologe und bereits seit über zwei Jahrzehnten als Lawinenprognostiker für den LWD Salzburg tätig. Michael kennt die hiesigen Berge und seine winterlichen Gefahren wie kaum ein anderer.

 


Matthias Walcher ist Lawinenprognostiker im Team des operativen Lawinenwarndienstes Salzburg bei der Geosphere Austria. Neben der Verfassung von Lawinenvorhersagen und Blogeinträgen arbeitet er mit benachbarten Warndiensten an diversen Projekten im Fachbereich. In seiner Vergangenheit hat Matthias bereits für verschiedene europäische Warndienste gearbeitet, in Nord- und Südamerika Erfahrungen gesammelt und ist heute auch privat noch in verschiedenen Institutionen aktiv.