„Die Vertreibung der Ungarndeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg“

„Vertreibung“ – Zeichnung von Josef de Ponte

„Völkerrechtlich ist das Recht auf die angestammte Heimat zugleich im Selbstbestimmungsrecht der Völker und im Annexionsverbot verankert. Darüber hinaus stellt dieses Recht eine Voraussetzung für andere Menschenrechte dar, denn bürgerliche und politische Rechte, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte werden nicht im Leerraum ausgeübt, sondern ganz korrekt auf dem Gebiet, wo der Mensch zu Hause ist. Deshalb bedeutet jede Vertreibung ein Verbrechen gegen die Menschheit! ….Auf der Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) ging es nicht darum, einen Frieden zu verhandeln, sondern darum, eine bedingungslose Kapitulation durch ein Besetzungsprogramm zu ersetzen…. Auf dieser Konferenz waren sich alle drei Hauptsiegermächte über Vieles nicht einig. Doch über Eines waren sie sich einig: Sie wollten eine fürchterliche Strafe an Deutschland ausüben…. Alles in Potsdam stellte auf Rache ab… Die Konferenz endete mit der Bekanntmachung eines Communiqués bzw. Protokolls, das allerdings kein Abkommen darstellte und auch von niemandem ratifiziert wurde“, so Alfred de Zayas, der UN-Sonderberichterstatter für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung im Jahr 2000.

Die folgenden Ausführungen stützen sich im Wesentlichen auf die Publikationen von Dr. Paul Ginder „Die ungarndeutsche Tragödie im 20. Jahrhundert“ und Gerhard Seewann „Ungarndeutsche und Ethnopolitik“.

 

Durch die Hintertür

Während die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten von Polen und der Tschechoslowakei bereits im Februar 1945 auf Jalta eine beschlossene Sache war, kam die Vertreibung der Ungarndeutschen quasi „durch die Hintertür“ auf die Tagesordnung der Gespräche und wurde dabei genehmigt, aber nicht angeordnet. Jene Staaten, die die Vertreibung ihrer deutschen Bevölkerung wünschten, mussten dies beantragen und erhielten dafür von den Großmächten die Genehmigung, so auch Ungarn. Rumänien und Jugoslawien stellten keinen Antrag.

Potsdamer (Berliner) Konferenz der führenden Staatsmänner der drei alliierten Mächte der UdSSR, Grossbritannien und der USA vom 17. Juli bis 2. August 1945 in Schloß Cecilienhof und Babelsberg. Ihr Ergebnis ist das Potsdamer Abkommen, das die völkerrechtlichen Grundfragen für den Aufbau eines friedlichen, demokratischen deutschen Staates und die Politik der Siegermächte gegenüber Deutschland festlegt.
UBz: v.l.n.r.: sitzend: C.R. Attlee, H.S. Truman, Josef Stalin; stehend: Admiral J.D. Loahy, E. Bevin, J.W.Byrnes, und W.M. Molotow. (Bildquelle: Bundesarchiv)

Bereits kurz nach der Kapitulation des Deutschen Reiches hat der Außenminister der vorwiegend konservativen provisorischen Regierung, János Gyöngyösi (Kleinlandwirte-Partei) am 12. Mai 1945 bei dem britischen und am 15. Mai 1945 bei dem amerikanischen Geschäftsträger angefragt, welche Haltung deren Regierungen zu einer Deportation von 200.000 Schwaben aus Ungarn einnehmen. Am 25. Mai 1945 bat London entrüstet, die Angelegenheit zurückzustellen, die Amerikaner lehnten eine Massendeportation kategorisch ab, woraufhin sich die ungarische Regierung an die Sowjets wandte, was letztlich zu der Übernahme des Vertreibungswunsches der Ungarn in das sog. Potsdamer Protokoll in Ergänzung zu den schon geplanten Vertreibungen aus Polen und der Tschechoslowakei führte mit der Auflage, diese in geordneten Bahnen und in humaner Form ablaufen zu lassen.

Bereits nach der im März 1945 beschlossenen Bodenreform erfolgten wilde Vertreibungen aus zahlreichen Gemeinden in der Umgebung von Bonyhád in das Internierungslager Lengyel, um die aus der Bukowina umgesiedelten Székler unterzubringen, quasi als nationale Wiedergutmachung.

 

Einrichtung von Sammellagern

Schon kurz nach Potsdam hatte die Regierung mit der Einrichtung von Sammellagern begonnen. Im Komitat Wieselburg/Moson wurde Zanegg/Mosonszolnok als Sammellager ausgewählt und mit Vertreibungen begonnen, um für die ungarischen Aussiedler aus der Slowakei (Benes-Dekrete) Platz zu machen. Als erste Gemeinde ereilte das Schicksal Kaltenstein/Levél (Geburtsort des Autors). Am 27. August 1945 wurde die Liste der zu Vertreibenden (ca. 80 % der Einwohner) durch den „Kleinrichter“ bekanntgegeben und innerhalb von drei bis fünf Stunden mussten sich die Betroffenen an Schulen, Scheunen und Häusern einfinden, was in vielen Fällen nicht freiwillig erfolgte. Da die geplanten Neusiedler (Telepesek) nicht fristgerecht kamen, durften manche wieder nach Hause zur Versorgung des Viehbestandes. Am 6. und 7. September 1945 erfolgte dann der endgültige Transport auf zum Teil eigenen Pferdewagen, allerdings mit fremden Kutschern, in das hermetisch abgeriegelte „Zanegger Ghetto“. Am 20. September 1945 trafen die Einwohner von Maria-Gahling und im Oktober 1945 ein Teil der Menschen aus Ragendorf sowie nachfolgend noch deutsche Bewohner aus den umliegenden Gemeinden des Komitats ein. Bei der personell totalen Überbelegung des Dorfes war über den Winter die Nahrungsversorgung mehr als knapp geworden; viele sind nächtens heimlich über die Maisfelder in die nahegelegenen österreichischen Bauerndörfer zur Arbeit bzw. zur Nahrungsmittelbeschaffung gegangen. Im April 1946 erfolgte dann die endgültige Vertreibung in den bekannten „Standard Viehwaggons“ mit durchschnittlich 30 Personen, aus Zanegg in vier Transporten in die amerikanische Zone in Nordbaden und Nordwürttemberg.

Ansichtskarte von Kaltenstein mit Evangelischer Kirche (links) und Katholischer Kirche (rechts)

 

So viele Deutsche wie möglich

Die im November 1945 durch demokratische Wahlen mit absoluter Mehrheit an die Macht gekommene Regierung (57% Kleinlandwirte-Partei; Kommunisten 17%, Sozialdemokraten 17%; Bauernpartei 7%) mit Ministerpräsident Tildy an der Spitze (Kleinlandwirte-Partei, evangelischer Theologe) setzte die in Potsdam genehmigte Vertreibung in einer Verordnung vom 22. Dezember 1945 unter Vorwand der Kollektivschuld die Vertreibung der Ungarndeutschen, die bei der Volkszählung von 1941 entweder Deutsch als Nationalität oder Deutsch als Muttersprache angegeben hatten, fest. Damit waren fast 90% der Ungarndeutschen vom Heimatverlust bedroht. Dieser Regierung gehörten acht Minister der Kleinlandwirte-Partei, vier der kommunistischen Partei, zwei der Sozialdemokraten und ein Minister der Bauernpartei an. Besonders erwähnenswert aus dieser Sitzung ist das Zitat von Wiederaufbauminister Antal sen. (Kleinlandwirte-Partei): „…Es liegt in unserem Interesse, dass so viele Deutsche wie möglich das Land verlassen. Wir werden nie wieder eine solche Möglichkeit haben, um die Deutschen los zu werden“. Dies sagte der Vater des 1990 frei gewählten Ministerpräsidenten Antal, der bei seinem Staatsbesuch 1991 bei einem Zusammentreffen mit den vertriebenen Ungarndeutschen in Sindelfingen noch die These vertrat, dass die Sowjets die ungarische Regierung zur Vertreibung der Schwaben gezwungen hätten! – wofür von Béla Bellér der Begriff „Die Potsdam-Legende“ eingeführt wurde. Proteste z. B. wie die von Bischof Shvoy aus Stuhlweißenburg-Esztergom an Generalmajor Key, USA-Mitglied der alliierten Kontrollkommission: „Ein Bürger Amerikas tut so etwas nicht!“ oder auch der Hirtenbrief von Kardinal Mindszenty nützten nichts. In seiner Antwort wies Key auf die alleinige Verantwortung der ungarischen Regierung hin. Sie habe „dieses Vorhaben initiiert, die zu überstellenden Leute ausgesucht und für den Transport gesorgt!“ Mehrere bekannte Politiker der Sozialdemokratie, u.a. István Bibó, verurteilten nachdrücklich das Prinzip der Kollektivschuld.

Aus der Kontrollratssitzung vom 25. Januar 1946 unter dem Vorsitz von Marschall Voroshilov wird die Lage analog dargestellt. Generalmajor Key: „Er wies darauf hin, dass das Original des Regierungsdekrets, das die Abschiebung „Auf Befehl der Alliierten Kontrollkommission (ACC)“ festlegt, ergänzt werden sollte durch „Mit Erlaubnis der ACC“. Er wies darauf hin, dass die ungarische Regierung auf eigene Initiative angefragt habe, ob die Schwaben deportiert werden können. Unter 3c) Der Vorsitzende, Marschall Voroshilov stimmte zu, dass er Anweisungen für die Ergänzung zu dem Dekret geben wird und sagte, dass er anordnen wird, dass in den ungarischen Zeitungen veröffentlicht wird, dass auf Bitte und Initiative der ungarischen Regierung die Deportation stattfindet.

 

Staatlich verordnete Vertreibung

Am 19. Januar 1946 begann dann in Wudersch/Budaörs als erster Gemeinde die entsprechend dem Dezembergesetz staatlich verordnete Vertreibung in die amerikanische Zone Deutschlands (Nordbaden-Nordwürttemberg, Hessen und Bayern). Die Züge rollten, bis die Militärregierung ab dem 1. Dezember 1946 die Übernahme weiterer Transporte wegen begrenzter Aufnahmefähigkeit verweigerte. Daraufhin wurde auf Ersuchen der ungarischen Regierung an die Regierung der UDSSR die Übernahme von weiteren ca. 50.000 Ungarndeutschen in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands genehmigt. Bis Sommer 1948 gingen die Transporte dorthin. Vielen gelang die Flucht in den Westen, einigen gelang es auch in die Heimat zurückzukehren.

Ein Sonderfall – aber doch repräsentativ für die damalige antideutsche Haltung in Ungarn – ist die Inhaftierung im Jahre 1950 von über 1.100 aus der Kriegsgefangenschaft in der UDSSR in die Heimat entlassenen ungarndeutschen Soldaten – 1944 zur Wehrmacht bzw. SS eingezogen – die nach Ankunft in Ungarn in einem Schweigelager in Tiszalök und Kaszincbarcika an der oberen Theiß zum Bau eines Staudammes und einer Chemiefabrik unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten wurden und die erst nach vielen Bemühungen von Seiten der Bundesrepublik Deutschland und zuletzt von Dr. Leber, Ungarndeutsche Landsmannschaft Stuttgart, durch ein Telefonat mit dem damaligen Ministerpräsidenten Imre Nagy, endlich ab Oktober/November 1953 freikamen.

Für viele der Betroffenen war es unbegreiflich, dass Ungarn, obwohl bis zum Kriegsende mit dem „Reich“ verbündet, kurz danach bereits mit den Planungen zur Vertreibung all seiner „treuen Schwaben“, begann (so auch von Horthy schon Anfang des Krieges Hitler im Rahmen des „Heim-ins-Reich-Programms“ zur Umsiedlung angeboten, was aber nicht zu Hitlers Plänen passte.)

Nach dem Ersten Weltkrieg gab es nur noch wenige rein deutsche Schulen in dem nun Nach-Trianon-Ungarn. Dies geschah in der Ideologie und dem Rahmen des grassierenden Nationalismus zur Herstellung eines reinen Nationalstaates, was sich in dem von dem „größten Ungarn“ Graf Stefan Széchényi formulierten Satz wiedergeben lässt: „Nyelvében él a nemzet“ – eine Nation lebt in ihrer Sprache – man könnte auch sagen: überlebt ein Volk. Aber genau diese Erkenntnis hat man den Minderheiten nicht zugestanden!

Als Reaktion auf den als nationale Katastrophe empfundenen Friedensvertrag von Trianon 1920 entstand ein „ethnonational-rassistischer Diskurs. Das Wohlergehen des Magyarentums war durch zwei innere Feinde bedroht, und zwar durch „die in die intellektuelle Laufbahn hineindrängenden Juden“ und durch die „den Boden aufkaufenden Schwaben“. Sprachrohr dieser Sichtweise war Dezsö Szabó. Eine weitere politisch und journalistisch aktive Persönlichkeit, die das rassistische Denken stark beeinflusste, war der Politiker Endre Bajcsy-Zsilinszky, so der Historiker Dr. Ungvàry in seinem Vortrag 2018 in Gerlingen. Ein weiteres Phänomen der Unterdrückung deutscher Intellektueller durch die Kirchen, speziell der katholischen Kirche beschreibt Prof. Dr. Cornelius Meyer OSA, Leiter der Augustinerforschung in Würzburg. Die Priesterseminare als die besten Schmelzer des Magyarentums sogen die ihnen aus den deutschen Gemeinden zuströmende Intelligenz auf“, und sie nahmen nur die Besten. „Bei der Volkszählung 1930 bekannte sich nicht einmal 5% des Klerus zur deutschen Muttersprache!“ Bestes Beispiel dafür war der katholische Pfarrer von Kaltenstein/Levél Rákosi Elek (ursprünglicher Name: Ries), der aufgrund seines Einsatzes für die „Befreiung“ als erstem Ort von den Deutschen zu einem der obersten „Friedenspriester“ Ungarns in Esztergom avancierte.

 

Wiedererwachen des Ungarndeutschtums

Dem während des Ersten Weltkriegs und vor allem nach dem „Trianoner Friedensdiktat“ zunehmenden Druck auf die deutsche Minderheit versuchte der Germanist und kurzzeitige Minderheitenminister Prof. Dr. Jakob Bleyer durch Gründung 1921 des „Sonntagsblatts“ für das deutsche Volk in Ungarn , 1923 den „Ungarländischen Volksbildungsverein (UDV), 1925 die Studentenverbindung „Suevia“ (zur Heranbildung einer neuen, jungen ungarndeutschen Intelligenz), und den jährlich stattfindenden Schwabenbällen, entgegenzuwirken. Diese Aktivitäten führten zu einem Wiedererwachen des Ungarndeutschtums, weshalb er zu Recht als „Erwecker“ des schon fast verlorenen Ungarndeutschtums verehrt wird.

Für 1950 ergibt sich schließlich das folgende Bild: Insgesamt lebten ca. 210.000 ungarndeutsche Vertriebene außerhalb ihrer ehemaligen Heimat; davon 175.000 in der BRD, 10.000 in der DDR, 20.000 in Österreich und 5.000 in überseeischen Ländern, vorwiegend USA und Kanada. Von 1950 bis 1999 kamen rund 21.400 Ungarndeutsche als Aussiedler in die BRD (im Vergleich dazu über 400.000 aus Rumänien!). Ungefähr 220.000 konnten in Ungarn verbleiben aufgrund des Stopps der Transporte durch die Alliierten oder weil sie für den Staat unentbehrlich waren (Kohlebergbau Werischwar).

Auf einen gravierenden Unterschied in der Behandlung seiner Minderheiten in West und Südost weist Prof. Kittel hin: „…Denn zwei der Vertreiberstaaten, Ungarn und die Tschechoslowakei, hatten unter der Herrschaft des Dritten Reiches kaum stärker gelitten als die meisten westlichen Länder. So musste Frankreich mit seinen hunderttausenden Toten nicht weniger Erdulden als Ungarn, das außerdem noch bis in das Jahr 1944 hinein an der Seite Hitler-Deutschlands kämpfte und keine Vertreibungen vornahm“… und „ethnische Säuberungen“ von Deutschen gab es nicht einmal in Belgien und aus Dänemark ist kein einziger der deutschen Volksgruppe vertrieben worden“.

 

Unermesslicher Fleiß

Otto Heinek und Dr. Friedrich A. Zimmermann 2006 am Tag nach der Enthüllung der Landesgedenkstätte

Der größte Teil der vertriebenen Ungarndeutschen kam nach Südwestdeutschland, wo die meisten Städte noch in Schutt und Asche lagen. Daher wurden die Flüchtlinge soweit wie möglich in ländlichen Regionen untergebracht, wo auch eine Selbstversorgung mit Lebensmitteln eher möglich war. Da in Potsdam ohne Frankreich verhandelt wurde, erfolgte eine Übernahme von Vertriebenen erst ab 1949 in die französische Zone. Laut Prof. Alfred Grosser, französischer Politikwissenschaftler (in Deutschland geboren, vor den Nazis geflohen) war die Integration der Vertriebenen die größte der sozial- und wirtschaftspolitischen Aufgaben, die von der Bundesrepublik gemeistert worden sind. Diese im Nachhinein vielgerühmte Integration konnte nur deshalb gemeistert werden, weil die Altbürger im Rahmen des Lastenausgleichsverfahrens mit den Eingliederungsdarlehen den Kriegsgeschädigten und Vertriebenen unter die Arme griffen, die damit zu Neubürgern wurden und durch ihren unermesslichen Fleiß wesentlich zum Wiederaufbau beitrugen. Der Südweststaat Baden-Württemberg wäre ohne die Stimmen der Vertriebenen nicht entstanden. In diesen ersten Jahren der Not, der Arbeit- und Wohnungssuche, dem Umgang mit den Behörden, dem Auffinden von Landsleuten aus der eigenen Heimat etc. haben sich die in dem Caritasverband und dem evangelischen Hilfswerk organisierten Landsmannschaften heute kaum noch nachvollziehbare Verdienste erworben. Mit ihren Unterorganisationen waren sie 1956 während des Ungarnaufstandes in vielen Aktionen für die Flüchtlinge aus Ungarn aktiv. Im Laufe der Zeit entwickelten sich inoffizielle Kontakte zu den Vertretern des „Demokratischen Verbandes der Ungarndeutschen“. Nach der Wende wurden diese mit dem neu gegründeten Verband intensiviert und gipfelten folgerichtig im Jahr 2000 in einer offiziellen „Vereinbarung“ zwischen der Bundeslandsmannschaft der Deutschen aus Ungarn (LDU) und der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU) mit einer Unterzeichnung im Oktober 2000 in Gerlingen durch Otto Heinek und Dr. Friedrich A. Zimmermann.

 

Gewaltsam getrennte Zwillinge

Beim Staatsempfang 2004 von Ministerpräsident Erwin Teufel für den ungarischen Staatspräsidenten Ferenc Mádl hat der LDU-Bundesvorsitzende mit einem von Ministerpräsident Teufel gewünschten „Toast“ die Lage der Ungarndeutschen so apostrophiert: „Wir, die heimatvertriebenen und die heimatverbliebenen Ungarndeutschen sind wie Zwillinge, die gewaltsam getrennt wurden; der Eine konnte sich nach anfänglichen Behinderungen nach der Vertreibung frei entwickeln und dem anderen Zwilling wurde seine Herkunft, Sprache und Identität gewaltsam über Jahre vorenthalten. Trotzdem haben sie auch unter schwierigsten Bedingungen immer versucht, in Kontakt zu bleiben. Staatspräsident Mádl hat diese Beschreibung tief beeindruckt; er hat sich in einem später persönlich gehaltenen Brief besonders dafür bedankt! Er hat die Brückenfunktion der Ungarndeutschen, wie schon Staatspräsident Göncz 1991 beim Staatsempfang im Kloster Bebenhausen, als besonders wichtig für die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen Ungarn und der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet.

 

Befreiende Entschuldigung

Dr. Friedrich Zimmermann und Parlamentspräsidentin Dr. Katalin Szili im Ungarischen Parlament am 16.11.2007

Das erste frei gewählte Parlament hat sich 1990 sowie die Regierung 1992 in aller Form für die Vertreibung entschuldigt, und das Verfassungsgericht annullierte alle Bestimmungen, die Grundlage für die Vertreibung waren. Anlässlich der Enthüllung der Landesgedenkstätte für die Vertreibung 2006 in Wudersch/Budaörs, die auf Wunsch von Otto Heinek gemeinsam mit dem LDU-Bundesvorsitzenden Zimmermann vorgenommen wurde, hat u. a. Frau Parlamentspräsidentin Dr. Katalin Szili darauf hingewiesen, dass die Vertreibung von ungarischen Politikern verursacht wurde und deshalb soll anlässlich des 60. Jahrestages der Vertreibung ein Parlamentstag abgehalten werden, zu dem all die Personen oder deren Vertreter aus Ungarn und Deutschland eingeladen werden sollen, die dieses schwere Schicksal ertragen mussten. Diese Vertreibungskonferenz fand am 16. November 2007 im ungarischen Parlament statt. Es war die bisher überzeugendste „Entschuldigungs-Veranstaltung“ im Namen Ungarns mit der Aussage: „Der Ort, in dem die Opfer um Verzeihung gebeten werden müssen, muss das Gebäude sein, in dem die Gesetze Ungarns beschlossen wurden. Wiederholt nannte Frau Szili in ihrer Rede die Vertreibungsdekrete der ungarischen Nachkriegsregierung „Dokumente der Schande“. Es war der besondere Wunsch der Frau Präsidentin, dass der Ehrenvorsitzende der LDU in seiner Rede auch den Text der „Charta der Heimatvertriebenen“ vorträgt.

Mit dem Beschluss des ungarischen Parlaments vom 10. Dezember 2012 wurde der 19. Januar 1946 zum Gedenktag der Vertreibung der Ungarndeutschen erklärt. Auf Einspruch von Otto Heinek und der anderen Minderheitenvertreter hat sich das Parlament für eine Korrektur des Textes überzeugen lassen, so dass der Gesetzestext jetzt die Begriffe Verschleppung und Vertreibung eindeutig beschreibt und die Berufung auf den Alliierten Kontrollrat gestrichen wurde und damit die gesetzliche Festschreibung der „Potsdam-Legende“ aufgehoben wurde. Zum Glück konnte Otto Heinek noch zu Lebzeiten den Erfolg seiner Bemühungen erleben. Er verstarb viel zu früh am 20. August 2018. Wir haben einen Freund, einen großartigen Menschen verloren! Er hat sich sowohl um die heimatverbliebenen als auch für uns heimatvertriebene Landsleute verdient gemacht.

 

Dr. Friedrich A. Zimmermann

Ehrenbundesvorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn

 

(Quelle: Festschrift der Stadt Gerlingen anlässlich „50 Jahre Patenschaft über die Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn“, April 2019)