My little House of Cards

Hulot am 13. April 2023 in Texte.

Meet Frank.

My little House of Cards

(Der Sprecher sieht aus wie ein Politiker. Anzug, Krawatte, älter, aber noch nicht alt. Gänge eines repräsentativen Gebäudes. Blick durch die vierte Wand, direkt in die Kamera.)

Dieser eine Moment. Vielleicht die letzte Chance. Man kann hier nur gewinnen. Sagten alle. Das Land. Die Macht. Alle haben das gesagt. Da habe ich mich eben gemeldet. Verantwortung übernommen. Habe nicht gezuckt. Wie ein Mann. Denn einer muss es ja machen.

(Beginnen zu Gehen. Abbiegen in verschieden Gänge. Blickwechsel in den Gang und in die Kamera.)

Die Partei? Nein, die spielt keine Rolle. Mittel zum Zweck, nicht mehr. Das erkennt man aber nur, wenn man drin ist. Und oben. (Lächeln)

Ich weiß, von außen wirkt das für Sie alles geschlossen, als denkt, spricht, verspürt jeder hier den selben Gedanken, die selbe Sprache, den selben Antrieb. (Persiflierend) »Wir ziehen am selben Strang und das sogar in die selbe Richtung!« Hm. Vielleicht gibt es wirklich noch ein paar, die so denken. Doch die sind unten. Und weil sie so denken, werden sie es auch bleiben. Demokraten. Idealisten. Schwärmer. Machen Sie es ihnen nicht zum Vorwurf. Ich tue es ja auch nicht. Verdirbt den Charakter.

(Stehenbleiben. Kamerablick.)

Was sollte denn auch aus ihnen werden, wäre ich nicht ihr Leitwolf? Schauen Sie sich diese Leute an – was sehen Sie?

(Kameraschwenk auf viele beschäftigt wirkende Personen in der Lobby, in Büros, in Konferenzen.)

Ich kann Ihnen sagen, was ich sehe: Verpasste Gelegenheiten. Einmal zu lange gezögert, an die Familie gedacht, die Zukunft, die Karriere oder gar das – entschuldigen Sie bitte wenn ich jetzt schmunzeln muss – Land. So ein kleiner Moment.

(Kamera zurück, der Sprecher geht weiter, abgefilmter Rücken, langsam aufholend.)

Schon sahen sie mich nur noch von hinten. Die Wenigen, die dachten, sie würden lange genug durchhalten, sitzen nun in einer Ecke und fragen sich, was sie falsch gemacht haben. Ich sage es Ihnen: Nichts. Sie waren nicht schlechter als ich, sie waren nicht besser als ich. Aber eine kleine Indiskretion hier, eine Abweichung vom Geist der Wähler da. Und natürlich jemanden, der ihnen an der richtigen Stelle einen Spiegel vorhielt und das Zauberwort sagte. Entschuldigen Sie, ein Anruf… (Abbiegen in ein zufällig offen stehendes Büro. Rückkehr nach ein paar Sekunden. Gesicht minimal entgleist. Aber schnell wieder gefasst. Stehend in die Kamera blickend. )

Welches Zauberwort, fragen Sie? Vollkommen egal. Es nur ist ein Köder, klug ausgebracht, ein unscheinbarer Zufall. Wenn Sie so wollen: eine Ablenkung in Form eines Sacks voll warmer Luft. Doch für jeden bedeutet dieser Sack etwas anderes. Sie. Mich. Solange diese Leute damit beschäftigt sind, in ihrem Spiegelbild jenen Fehler zu finden, den es gar nicht gibt, und versuchen, ein Zauberwort zu verstehen, das keinen Sinn hat, machen sie genau eines nicht: Hinter den Spiegel schauen. (Weitergehen.) Warum glauben Sie, tänzeln Zauberer auf den Bühnen um halbnackte Frauen? Damit das Volk abgelenkt ist und nicht sieht, was vor sich geht. (Kamerablick) Wobei es das ja auch nicht wissen will. (Eine schlanke Frau im Buisnessdress geht vorbei, beiläufiges Kopfnicken zum Gruß.) Und wer kann so langen Beinen in Nylons und glitzernden high heels widerstehen? Sagte ich Volk? Ich meinte natürlich: Publikum. Welcher Künstler lässt sich schon gerne reinreden? (Weitergehen.)

Ich habe Spiele wie diese nicht zum ersten Mal gewonnen. Sie glauben gar nicht, welche Angst in gestandene Männer fährt, wenn man sie mit Kinderfotos konfrontiert. Genau solche, die sie auch bei sich daheim besitzen. Nur dass deren Frauen nie auf den Fotos mit drauf sind. (Kamerablick. Ab hier immer weiter gehend.) Seltsam, oder? Dafür aber andere. Manchmal sind es tatsächlich nur Bilder von Frauen. Oder Männern. Die sind aber manchmal etwas unscharf und lassen nur erahnen, was sich hinter den Scheiben eines im Wald geparkten Autos verbirgt.

Schauen Sie sich die dort hinten. Sehen Sie die junge Frau, wie sie wie besessen auf ihrem Smartphone herum tippt? Das ist der neueste Trick. (Aufzählend, abschätzig sprechend.) Sie geben ihnen die Illusion von Verantwortung, einen Twitter-Account, flüstern ihnen die Vision einer strahlenden Zukunft als Heilige Michelle Obama der Schlachthöfe ein und schon produzieren sie in weniger als einer Woche so viele selbstvernichtende Statements, wie good ol‘ Clinton in zwei Amtszeiten. Funktioniert. Jedes. Einzelne. Mal.

Sie hingegen müssen die Informationen nur erkennen, sammeln und archivieren. Doch auch das brauchen Sie nicht selbst zu erledigen. Sehen sie den dünnen kleinen Kerl neben ihr? (Der Kameraschwenk folgt dem diskret hinüber zeigenden Blick.) Der ihr so aufdringlich unauffällig gefallen möchte? (Schwenk zurück.) Serviert sie ihn ab, nimmt man ihn väterlich zur Seite und gibt seiner Rache eine Richtung. Eine eigenen kleine Honigbiene, die über die Wiese der Eitelkeit brummt und fleißig Informationen sammelt. Damit das passiert, bieten Sie ihr einfach nur eine bessere Alternative an. Einen, der etwas verspricht. Das reicht schon. Wenn es wichtig ist, übernimmt man selbst den Job. Dann müssen sie den Honig nur noch ernten.

Merke: Wer nicht mit am Tisch sitzt, kommt auf die Speisekarte. Und nun bitte ich Sie um Entschuldigung, ich muss mich konzentrieren. Hat sie 45 Stimmen gesagt? Prächtig!

Skrupel wegen der falschen Unterstützer? Was soll schon passieren? Wer wird es überhaupt bemerken? Wer will ein Urteil in Zeiten fällen, wo man nur noch eine Stimme hat, wenn man unfehlbarer als der Jesus selbst gelebt hat? Lasst sie an ihrer eigenen Aufrichtigkeit ersticken, sage ich immer. Überfordert sie mit einer Moral, die es so nur in Schulbüchern oder Wikipedia gibt. Auszugsweise, halbgar, unverstanden.

Obwohl: Eigentlich sind das nicht wir. Nur Sie. Sie alle. Ich? Ich halte nur einen Spiegel. Und sie beginnen zu grübeln.

Sie haben mir doch auch zugehört und dachten, es sei wichtig. Und nun halten Sie sich die Ohren zu, weil Sie das Geschrei nicht ertragen. Angeblich. Doch geben Sie es zu: Sie wollen gar nichts verändern.

(Stehenbleiben. Blick in Kamera. Pause.)

Sie lieben es.

(Umdrehen, von der Kamera weggehen. Der Sprecher verschwindet in einem größeren Raum mit vielen aufgeregten Menschen. Als er nicht mehr zu sehen ist, hört man laut seine Stimme.)

Ich nehme die Wahl an!


Foto von Sigmund auf Unsplash

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