Einleitung

Die Entwicklung des Essens und Schluckens ist ein sensibler Prozess, und die jeweiligen Meilensteine werden in zeitlich terminierten, sensiblen Lebensabschnitten nacheinander erreicht [29, 33, 49] und bis zum 4. Lebensjahr durch entsprechende Stimuli perfektioniert [28]. Kinder, die die sensitiven Phasen des Essenlernens „verpassen“ (z. B. bei Sondenernährung) oder bei denen sensorische und mentale Entwicklungsauffälligkeiten bestehen, lernen in vielen Fällen nur mit Mühe zu essen und zu trinken [28, 32, 34, 43]. Sie haben oder entwickeln eine pathologische oropharyngeale Hypersensibilität, obwohl der eigentliche Schluckvorgang weder anatomisch noch neuromuskulär beeinträchtigt sein muss [43]. Diese pathologische oropharyngeale Hypersensibilität kann dann zu einer Intoleranz gegenüber neuen und inhomogenen Nahrungskonsistenzen führen [51], eine Kosterweiterung mit verschiedenen Konsistenzen erschweren oder im Einzelfall in eine totale Nahrungsverweigerung münden [27].

Bei Schluckstörungen sind die orale und/oder pharyngeale und/oder ösophageale Phase beeinträchtigt

Die Fütter- oder auch Essstörung bezieht sich definitionsgemäß auf eine Nahrungsverweigerung oder auf Verhaltensauffälligkeiten bei der Nahrungsaufnahme, eine selektive und/oder einseitige Nahrungspräferenz sowie inadäquate Essgewohnheiten [27].

Die Schluckstörung beschreibt eine Beeinträchtigung der oralen, pharyngealen oder ösophagealen Phase (selektiv eine, zwei oder alle drei Schluckphasen), die bei Säuglingen und Kleinstkindern (1 bis 2 Jahre) meistens schwer voneinander abzugrenzen sind. Deshalb wird im Säuglings- und Kleinstkindalter der Begriff Ess- und Schluckstörung häufig zusammen verwendet [27]. Darüber hinaus werden die Begriffe Fütterstörung, Essstörung und (oropharyngeale) Dysphagie oder Schluckstörung bei Säuglingen und Kindern in der Literatur häufig synonym verwendet [34, 46].

Physiologie der Ess- und Schluckentwicklung

Die Schluckkoordination gehört zu den komplexesten neuromotorischen Programmen des Neugeborenen [32] mit Koordination der Lippen, Zunge, des Gaumens, Rachens, Larynx und Ösophagus [15]. Über 30 Muskelpaare sind hierbei beteiligt [19]. Auch bei Säuglingen und Kindern werden, wenn auch manchmal klinisch schwer voneinander abgrenzbar, im Wesentlichen drei Schluckphasen unterschieden: die orale, pharyngale und ösophageale Phase. Die weitverbreitete Meinung, dass ein Säugling gleichzeitig schlucken und atmen kann, konnte bislang nicht durch Studien nachgewiesen werden; ein reflektorisches Stoppen der Atmung während des Schluckens ist auch bei Säuglingen zu beobachten [22, 29].

Die Nahrungsaufnahme erfolgt im Alter von vier Jahren gut koordiniert

Sind anfänglich Primitivreflexe wie Saug‑, Such- und Würgreflex beim Säugling entscheidend [17], erlernt das Kind im zweiten bis vierten Lebensjahr, sich schrittweise willentlich zu ernähren [24, 57]: Die Primitivreflexe verschwinden, die Nahrungsaufnahme geschieht zunehmend nicht mehr reflektorisch [15], sondern willkürlich und ist im Alter von vier Jahren gut koordiniert [27].

Koordinationsentwicklung der oralen Motorik und Dentition des Milchgebisses

Die Entwicklung des Saugens und des Schluckens beginnt bereits im Uterus. Ab der 13. Schwangerschaftswoche (SSW) sind Schluckbewegungen zu beobachten; ab der ca. 15. SSW ist es dem Embryo möglich, an den Fingern zu saugen [52]. Nach der 20. SSW werden die Zungenbewegungen beim Schlucken komplexer [29]. Ab der 28. SSW ist eine anterior-posteriore Zungenbewegung erkennbar (zunächst an eine orale Stimulation wie z. B. durch Saugen am Finger gekoppelt, [38]). In der 34.–37. SSW entwickelt sich das aktive Saugen (eine orale Nahrungsaufnahme ist meistens ab diesem Entwicklungsalter bei Frühgeborenen möglich, [57]). Nach der Geburt ist eine Modifikation des Trinkverhaltens notwendig, da das Neugeborene nun das Schlucken und das Atmen koordinieren muss [6].

Das Saugmuster des Neugeborenen ist durch eine Vorwärts‑/Rückwärtsbewegung der Zunge bei simultaner Auf-und Abwärtsbewegung des Unterkiefers gekennzeichnet [6]. In den ersten Lebensmonaten entwickelt sich schrittweise eine zunehmend bewusst einsetzbare Motorik durch Lernen und Erfahrung [52], neurologische Reifung [15], sensorische Integration und Desensibilisierung des Würgereizes, die komplexere Nahrungszusammensetzungen ermöglicht [49]: Ab dem vierten Lebensmonat zeigt sich eine zunehmende Reifung der Saugaktivität; die Zunge vollzieht nun auch Auf-/und Abwärtsbewegungen, und geringe vertikale Kieferbewegungen beginnen [57]. Der Würgereflex als Schutzreflex wird beim Säugling noch ab der Mitte der Zunge ausgelöst [21].

Erste diagonal-rotatorische Kaubewegungen beginnen zwischen dem sechsten und siebten Lebensmonat [49], sodass zunehmend eine Akzeptanz für andere Konsistenzen besteht [28]. Der Zahndurchbruch der unteren Schneidezähne beginnt ebenfalls zu diesem Zeitpunkt; mit 12 Monaten sind in der Regel alle vier Schneidezähne sichtbar. Mit ca. 15 Monaten ist der Kauvorgang gut koordiniert und ausgereift. Das Kind lernt, mit festen Nahrungskonsistenzen umzugehen und Nahrungsboli mit der Zunge zu formen: Es verringert sich der Würgereiz, und seine Auslösung verlagert sich auf das hintere Drittel der Zunge [21]. Die seitlichen Schneidezähne sind im Ober- und Unterkiefer durchgebrochen [39]. Zwischen 18 bis 24 Monaten sind die Eckzähne und die vorderen Backenzähne nachweisbar. Im Alter von drei Jahren ist das Milchgebiss mit 20 Zähnen (Optimierung der Nahrungszerkleinerung) komplett. Zusammenfassend zeigt Abb. 1 die Zeitpunkte der Dentition der Milchzähne.

Im Alter von drei Jahren ist das Milchgebiss mit 20 Zähnen komplett

Abb. 1
figure 1

Dentition des Milchgebisses. (Infografik:© Initiative proDente e.V., Veröffentlichung mit freundl. Genehmigung der Initiative proDente e.V.)

Im Alter zwischen zwei und drei Jahren erfolgt (mit Abschluss der Milchgebissentwicklung) die Umstellung/Reifung des sog. infantilen (viszeralen) Schluckmusters auf das somatische Schluckmuster. Das infantile Schluckmuster ist dadurch gekennzeichnet, dass die Zungenspitze Kontakt mit den Frontzähnen hat und gegen sie presst, während ein deutlicher Einsatz der Lippen- und Mentalismuskulatur besteht. Beim somatischen Schluckmuster liegt die Zunge ohne Kontakt zu den Frontzähnen dem harten Gaumen an; während des Schluckens liegt die Zunge zwischen den Zahnreihen und bleibt im Mundinnenraum ohne Kontakt zu den Frontzähnen. Besteht das infantile Schluckmuster über das vierte Lebensjahr hinaus, spricht man von einer orofazialen Störung [53]; dies kann zu einer lateralen und frontalen Okklusionsstörung neben anderen Ursachen wie Lutschhabits führen (z. B. Daumenlutschen, [39, 53, 57]).

Beim vierjährigen Kind ist die Schluckkoordination gut ausgereift [27].

Speichelkontrolle

Die Entwicklung der Speichelkontrolle beginnt etwa um den vierten Lebensmonat [49]. Vom vierten bis zum sechsten Lebensmonat verliert das Kind nur im Sitzen Speichel [52]. In den nachfolgenden Monaten zeigt sich Speichelverlust nur in Abhängigkeit von der Körperposition (z. B. Bauchlage), beim Lautieren, während der oralen Exploration, des Zahndurchbruchs und beim Essen.

Mit 15 bis 18 Lebensmonaten verliert das Kind noch Speichel bei neu erworbenen grobmotorischen, später bei feinmotorischen Bewegungsmustern [49] und während des Zahndurchbruchs der Backenzähne [39]. Mit ca. 24 Monaten ist das Kind weitgehend in der Lage, den eigenen Speichel im Mund zu kontrollieren und regelmäßig abzuschlucken [39]. Eine Speichelkontrolle mit gelegentlichem, minimalem Speichelverlust ist bis ins 3. Lebensjahr nachweisbar.

Nahrungsakzeptanz

Die Akzeptanz von neuen Nahrungsmitteln entwickelt sich über mehrere Jahre [55]. Immer wieder gibt es in dieser Zeit physiologische Phasen, in denen neue Geschmacksrichtungen oder Konsistenzen besser akzeptiert werden oder eine neophobische Reaktion besteht [57]. Eine Akzeptanz neuer Speisen/Konsistenzen besteht vorrangig im fünften bis sechsten sowie neunten bis zwölften Lebensmonat. Die neophobische Reaktion beginnt im ca. sechsten Lebensmonat und hat einen Höhepunkt um den 18. Lebensmonat und das vierte Lebensjahr. Neue Lebensmittel werden in dieser Phase häufig abgelehnt [24, 57]. So können viele Versuche nötig sein, bis ein Kind ein neues Nahrungsmittel akzeptiert [24]. Mit vier Jahren ist der Prozess der Nahrungsmittelkategorisierung abgeschlossen [24, 57]. Das Kind weiß, was ihm schmeckt und was ihm nicht schmeckt [55].

Störungen

Symptome, Häufigkeit und Ursachen

Die Symptome einer Fütter‑/Essstörung und Schluckstörung im Säuglings- und Kindesalter sind vielfältig.

Symptome der Essstörung sind z. B. zu geringe Nahrungsaufnahme oder wählerisches Essverhalten

Bei einer Fütter‑/Essstörung verweigern die Kinder die Nahrungsaufnahme und/oder reduzieren sie durch Abwehrreaktionen wie Wegdrehen des Kopfes, Mund zukneifen, Nahrung nicht schlucken oder ausspucken, motorische Unruhe beim Essen, schreien oder weinen, kindliche Ablenkungsversuche durch Bewegungen oder durch verbales Ablenken [23]. Die Dauer der Mahlzeit ist häufig verlängert oder muss aufgrund der kindlichen Abwehrreaktion unter- oder abgebrochen werden [43]. Andere Symptome sind eine zu geringe Nahrungsaufnahme, wählerisches Essverhalten oder die verzögerte Entwicklung des selbstständigen Essens; seltener sind Rumination und Erbrechen [23].

Die genauen Ursachen von Fütter‑/Essstörungen sind bis heute nicht bekannt, jedoch vermutet man multidimensionale Ursachen mit biologischen, verhaltensspezifischen und sozialen Faktoren. Schon vor der Geburt des Kindes können maternale biologische und psychosoziale Belastungen bestehen [56]. Peri- und postnatal spielen Geburtskomplikationen, eine „subjektiv als schwierig empfundene Geburt“ und Hospitalisation eine Rolle [56]. In der Literatur wird die Prävalenz kindlicher Fütter‑/Essstörungen mit ca. 1,5–25 % angegeben. In den ersten Lebensmonaten ihrer Kinder berichteten ca. 97 % der Eltern über Fütter‑/Essstörungen; die Kinder zeigten nach dem sechsten Lebensmonat aber ein unauffälliges Fütterverhalten [23]. Von Hofacker et al. [56] beschrieben einen Anteil von 35–60 % in den ersten beiden Lebensjahren, bei Entwicklungsverzögerungen oder kognitiver Beeinträchtigung bestanden in 74–80 % der Fälle Auffälligkeiten [36]. Frühgeborene Kinder zeigen ebenfalls deutlich häufiger Fütterstörungen als Reifgeborene [25, 40, 43]. Die Geschlechterverteilung ist nicht signifikant unterschiedlich [40, 43].

Beim Schlucken werden auch beim Kind eine orale, pharyngeale und ösophageale Phase unterschieden. Eine Störung der oralen Phase liegt vor, wenn die Nahrungsaufnahme in den Mund, die Verarbeitung und Bolusbildung sowie der Transport der Nahrung zum Rachen beeinträchtigt sind. Eine Pseudohypersalivation bei unauffälliger nasopharyngealer/oraler Anatomie („drooling“) weist auf eine orofaziale Funktionsstörung mit unzureichender Lippenkontrolle, eine unzureichende Sensibilität im oro-/pharyngealen Bereich mit reduzierter Schluckfrequenz und einen insuffizienten Speicheltransport hin. Ein mehr oder minder permanentes „drooling“, unabhängig vom Entwicklungsalter (bei unauffälliger oronasaler Anatomie), findet sich häufig bei Kindern mit chronischen Schluckstörungen [50, 54]. Störungen der pharyngealen Phase betreffen eine eingeschränkte Pharynxmotilität, -aktivität und -sensibilität. Dies kann in der pharyngealen Phase je nach Boluskonsistenz zu Residuen z. B. im Sinus piriformis, an der aryepiglottischen Falte oder der Vallecula führen, mit der Gefahr der Penetration und Aspiration, insbesondere wenn die Schutzreflexe Husten und Räuspern inadäquat oder zu langsam einsetzen [42, 45]. Störungen der ösophagealen Phase äußern sich z. B. durch Regurgitation, Fremdkörpergefühl, Refluxschmerzen, körperliche Anspannung und Unwohlsein [5, 27].

Selbst Reifgeborene zeigen während der ersten Lebenstage Schwierigkeiten bei der Saug‑, Atem- und Schluckkoordination sowie Schwankungen in der Sauerstoffsättigung, die sich jedoch nach kurzer Zeit meist selbst limitieren [29]. Es sind 25 % aller Kinder von Schluckstörungen betroffen [30, 46].

Schluckstörungen bei Säuglingen und Kindern treten allerdings meistens nicht isoliert auf und können beim Neugeborenen oder Säugling das erste Anzeichen für eine Entwicklungsstörung sein [15].

Frühgeborene haben auch ohne peri- oder postnatale Komplikationen ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Dysphagie über das Säuglings- und Kindesalter hinaus, da die neuromuskuläre Koordination erschwert sowie die muskuläre Kraft und Ausdauer für die effiziente Nahrungsaufnahme beeinträchtigt sein können [29]. Meistens besteht aufgrund einer Reifungsverzögerung die Schwierigkeit, verschiedene Aktivitäten wie Atmen, Schlucken und Saugen zu koordinieren, insbesondere wenn zusätzliche Probleme wie eine Lungenerkrankung oder rezidivierende Apnoephasen vorliegen.

Speziell bei Kindern mit infantilen Zerebralparesen treten Schluckprobleme besonders häufig auf [42]. Die Prävalenz wird für Kinder mit Di- und Hemiparesen mit 25–30 %, bei tetraparetischen und extrapyramidalen Bewegungsstörungen mit 60–90 % angegeben [2]. Calis et al. beschrieben eine Dysphagiehäufigkeit von 99 % bei schweren Zerebralparesen [8]. Ganz allgemein sind ca. 90 % der Schluckstörungen bei Kindern mit einem neuromuskulären Entwicklungsdefizit assoziiert [4]. Häufige Gründe für Schluckstörungen sind außerdem frühkindliche Hirnschäden mit Zerebralparesen [3, 4, 7], neurologische Krankheiten, Entzündungen der oberen Speisewege wie z. B. Ösophagitiden (auch refluxassoziiert, eosinophil assoziiert; [16]) und Fehlbildungen der oberen Speisewege [12, 27].

Bei mehr als 50 % der Kinder mit Syndromen liegen Fütter‑/Ess- und Schluckstörungen vor

Bei Kindern mit Syndromen sind Fütter‑/Ess- und Schluckstörungen in mehr als 50 % der Fälle vorhanden; vermutet werden u. a. pränatale Entwicklungs- und Reifungsstörungen in verschiedenen Gehirnarealen wie der Pons und der Medulla oblongata [30]. Verschiedene Dysmorphiesyndrome, die mit kraniofazialen Fehlbildungen assoziiert sind (CHARGE-Syndrom: „coloboma“/Kolobome, Herzfehler, Choanalatresie, Retardierung von Wachstum/Entwicklung, hypoplastische Genitalien, „ear“/Ohrfehlbildungen; Pierre-Robin-Sequenz usw.), gehen mit einer erschwerten Nahrungsaufnahme einher, insbesondere bei Spaltbildungen der Lippen und/oder des Gaumens. Bei Kindern mit schweren respiratorischen Krankheiten ohne/mit Tracheostomaversorgung bestehen häufig Schluckstörungen aufgrund einer ungenügend effizienten Saug- und Schluckaktivität sowie einer verminderten Sensibilität im Oropharynx- und Larynxbereich [27].

Verlauf

Die besondere Bedeutung bei Kindern mit chronischen Fütter‑/Ess- und Schluckstörungen ergibt sich aus der potenziellen Schädigung des Organismus durch Malnutrition mit Gedeihstörung, Dehydrierung sowie ihren Folgen, sodass körperliche und intellektuelle Defizite resultieren können. Darüber hinaus kann die Stressbelastung in der Nahrungsaufnahme zu einer alltagsrelevanten, längerfristigen Interaktionsstörung zwischen Kind und Bezugsperson führen [2].

Längerfristige Fütter‑/Ess- und Schluckprobleme zeigen sich v. a. bei Kindern mit Zerebralparesen und Syndromen [8, 22], weil die Persistenz von primitiven Reflexen den altersadäquaten Erwerb physiologischer Schluckmuster stört oder hemmt [4]. In Einzelfällen kann eine orale Ernährung selbst im Erwachsenenalter schwierig oder auch unmöglich sein.

Arzneistoffe können durch Kontakt mit der Ösophagusmukosa zu lokalen Entzündungen und Ulzera führen

Schwere respiratorische Erkrankungen mit/ohne Tracheotomie können auch im Verlauf durch orofaziale Sensibilitätsstörungen sowie mangelnde Kraft und Ausdauer bei der Essensaufnahme zu Ess- und Schluckstörungen führen.

Bei Epilepsien mit einer dauerhaften antikonvulsiv-medikamentösen Behandlung kann ein bestehendes Schluckdefizit verstärkt und die Gefahr einer Aspiration durch eine reduzierte Schutzreflexausprägung erhöht werden [48].

Medikamenteninduzierte Schluckstörungen bei z. B. längerfristiger Medikamenteneinnahme sind bisher eher selten im Fokus. Insbesondere Arzneistoffe können durch den direkten Kontakt mit der Ösophagusmukosa während des Schluckvorgangs zu lokalen Entzündungen und Ulzera führen. Sie werden als eigenständiger Symptomenkomplex unter dem englischsprachigen Begriff „(oral) medication-induced esophageal injury“, (O)MIEI, zusammengefasst. Leitsymptom ist eine Dysphagie; in vielen Fällen wird dabei speziell über eine ösophageale Transportstörung berichtet. Auch kann ein Fremdkörper‑/Globusgefühl oder eine Odynophagie bestehen. Gefährdet sind insbesondere Kinder mit chronischen Krankheiten, die langfristig oral medikamentös behandelt werden (z. B. juvenile rheumatoide Arthritis, Erhaltungschemotherapien bei Malignomen). Nicht selten sind auch Antibiotika eine Ursache [5, 48].

Das Regurgitieren von Nahrung kommt bei bis zu 66 % aller gesunden vier Monate alten Kinder vor; mit 12 Monaten sind nur noch 5 % betroffen, bei älteren Kindern 2–10 %. Bei entwicklungsretardierten Kindern dürfte die Inzidenz höher sein [37]. Zwischen diesem gastroösophagealen Reflux („gastroesophageal reflux“, GER) und der gastroösophagealen Refluxkrankheit („gastroesophageal reflux disease“, GERD) besteht ein fließender Übergang. Die GERD beim Säugling unterscheidet sich von der GERD bei einem Klein- oder Schulkind. In den ersten Lebensmonaten kommt es aufgrund des kleinen Fassungsvermögens der Speiseröhre von nur 10–15 ml ([37], Fassungsvermögen des Magen postnatal 30–35 ml, mit einem Monat 100 ml [21]) häufig zum Regurgitieren. Als Zeichen einer Ösophagitis können sich vermehrtes Weinen, Überstrecken und Nahrungsverweigerung oder auch Gedeihstörungen manifestieren. Ältere Kinder mit einer GERD haben häufig epigastrale oder retrosternale Schmerzen [37].

Intubation, Sondenernährung etc. oder Ernährung unter Zwang können traumatisierend sein

Eine Ursache für längerfristige kindliche Fütter-/Essstörungen können traumatische Erfahrungen des Kindes sein, die im Zusammenhang mit oropharyngealer Stimulation bzw. der Nahrungsaufnahme standen. Chatoor [10] nennt diese Art der Störung „posttraumatic feeding disorder“. Orale Manipulation (Intubation, Sondenernährung, intensivmedizinische und operative Maßnahmen) oder Ernährung unter Zwang können traumatisierend sein. Dieser Mechanismus wird häufig als ursächlich für das gehäufte Auftreten von Fütterstörungen bei frühgeborenen Kindern benannt [23, 25].

Häufig sind kindliche Verhaltensprobleme mit dem kindlichen Temperament assoziiert [56]. So konnte Chatoor [10] bei Kindern mit infantiler Anorexie (Essstörung, die bevorzugt in der Phase der Separation und Individuation im Alter zwischen 6 Monaten und 3 Jahren auftritt), mehr Eigensinnigkeit und Verlangen nach Aufmerksamkeit sowie weniger Ausdauer feststellen. Auch ein vermehrtes Auftreten von exzessivem Schreien, Unruhe, exzessives Klammern, übermäßiges Trotz- und aggressives Verhalten wurden beschrieben [23, 56].

Auch mütterliche bzw. familiäre Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen, wie z. B. Paarkonflikte oder eine belastete Kindheit der Eltern [23, 56]. In den betroffenen Familien fanden sich problematischere Beziehungen, ein geringerer familiärer Zusammenhalt sowie eine niedrigere intellektuelle und kulturelle Orientierung [20] und Bindungsstörungen [10]. Nicht selten leiden die Mütter selbst unter psychischen Störungen wie Depressionen oder Essstörungen, obwohl die Literaturangaben über einen möglichen Zusammenhang widersprüchlich sind [56].

Zusammenfassend zeigt Tab. 1 verschiedene Ursachen von kindlichen Fütter‑/Ess- und Schluckstörungen.

Tab. 1 Gründe für Fütter‑/Ess‑, Schluckstörungen im Säuglings‑/Kindesaltera

Diagnostik

Die Anamnese mit Einbezug des sozialen Umfelds, Erfragung der bisherigen Ess- und Ernährungsgewohnheiten [33] sowie eine ausführliche medizinische Anamnese sind die Basis zur Erfassung von Ess- und Schluckstörungen [27]. Ein detaillierter körperlicher Status mit Erfassung/Erfragung der longitudinalen Gewichts- und Wachstumsparameter, der psychomotorischen, kognitiven und sprachgebundenen Fertigkeiten gehört zu jeder Abklärung.

Explizite Fragen bezüglich der gegenwärtigen Ernährung (oral oder/und Sonde), nach Nahrungsmitteln und Konsistenzen, die das Kind toleriert/essen kann, sowie nach der Körperhaltung während des Essens, liefern wertvolle Hinweise [35]. Fragen nach Verschlucken, rezidivierenden Pneumonien, Stridor und Rhonchopathie ergänzen die gewonnenen Informationen. Speziell sind folgende Fragen wichtig [2, 21, 27]:

  • Wie lange dauert die Mahlzeit? (Regelmäßige Dauer > 30 min)

  • Sind Mahlzeiten eine große Belastung für das Kind und die Betreuungspersonen? (Zwang zum Essen, Stress, Spannung)

  • Bestehen beim Kind Zeichen einer respiratorischen Dysfunktion während der Nahrungsaufnahme? (Zum Beispiel Tachypnoe, temporäre Nasenatmungsbehinderung, „kloßige Sprache“, „feuchter“ Stimmklang bei Phonation)

  • Besteht eine Gedeihstörung? (Fehlende Gewichtszunahme/Gewichtsverlust während der letzten zwei bis drei Monate, vorrangig bei kleinen Kindern)

Diagnostikbögen

Diagnostikbögen sind für das Säuglings- und Kindesalter nicht validiert und haben nur eine begrenzte Aussagefähigkeit. Trotzdem kann ihre Anwendung auch im Kindesalter sinnvoll sein. Die Functional Oral Intake Scale (FOIS) war ursprünglich für die Beurteilung/Beschreibung der Ernährungssituation bei „Stroke“-Patienten entwickelt worden. Crary et al. [14] teilten die Kostform und die Ernährung anhand von sieben Ebenen ein: Level 1 entspricht einer ausschließlich nichtoralen Ernährung, Level 7 einer normalen oralen Ernährung ohne Restriktionen. Die einzelnen Level [14] in der deutschen Übersetzung zeigt Tab. 2.

Tab. 2 „Functional oral Intake Scale“ (FOIS)a

Eine „systematische“ Beobachtung (alternativ auch Videoaufnahmen während des Fütterns/Essens im häuslichen Bereich) mit einer üblicherweise im Alltag verwendeten Kost gibt wichtige Hinweise [28]. Im Idealfall wird das Kind von einer ihm vertrauten Person gefüttert. Besonders ist dabei auf positive Interaktionen wie Augenkontakt, gegenseitige Vokalisationen, Berührungen, aber auch auf negative Interaktionen wie Zwang, fehlende Konversation, strafende Verhaltensweisen oder Inkonsequenz zwischen Bezugsperson und Kind zu achten.

Die klinische Untersuchung umfasst eine HNO-Untersuchung mit Schwerpunkt auf der oropharyngealen Anatomie und den oral- sensomotorischen Funktionen.

Instrumentelle und bildgebende Diagnostik

In der instrumentellen Diagnostik gilt insbesondere im angloamerikanischen Raum die Videofluoroskopie (VFS, „Röntgenbreischluckuntersuchung“) als Goldstandard, da sie alle Phasen des Schluckens abbildet und Aspirationen mit hoher Zuverlässigkeit detektiert [2, 7, 11, 18, 58]. Vor allem ösophageale Passagehindernisse, ösophageale Motilitätsstörungen oder Hiatushernien können hiermit beurteilt werden. Die VFS ist kein diagnostisches Instrument zur Beurteilung des Speichelmanagements. Wenn die pharyngeale Phase so beeinträchtigt ist, dass ein Transport auch kleiner Boli nicht möglich ist, besteht für die VFS keine Indikation. Außerdem ist, insbesondere bei kleinen Kindern, die Strahlenbelastung zu beachten [2, 21].

Die fiberoptische Evaluation des Schluckens („fiberoptic endoscopic evaluation of swallowing“, FEES), modifiziert oder nach Langmore-Protokoll [31], ist heute eine gut eingeführte Methode zur Beurteilung des Schluckens bei Menschen jedes Alters und hat sich auch im Kindesalter als verhältnismäßig valide instrumentelle Diagnostik etabliert; ihre Wertigkeit ist bei Säuglingen und Kleinkindern unklar [7].

Zu empfehlen ist zuerst der Versuch einer standardisierten fiberoptischen Evaluation des Schluckens

Bezüglich der praktischen Durchführung einer fiberendoskopischen Schluckdiagnostik bei Kindern bestehen unterschiedliche Lehrmeinungen. Einzelne Autoren favorisieren das modifizierte Konzept mit einer videoendoskopischen Leeraufnahme zur Beurteilung der Bewältigung von Speichel, residualen Speiseresten und Sekreten [3] und einer zweiten videoendoskopischen Untersuchung nach Gabe von eingefärbter Nahrung [3, 4, 7]. Der Begriff der fiberendoskopischen Schluckuntersuchung (FESU, [1]) erscheint bei diesem Untersuchungsprotokoll dann besser.

Die Schwierigkeit ist einerseits, dass bei Kindern nicht immer eine ausreichende Akzeptanz für diese Untersuchung nach dem FEES-Protokoll besteht und z. B. auch nach ausreichendem Abwarten sich das Kind bei liegendem Endoskop nicht so weit beruhigt, dass die Bolusgaben gefahrlos erfolgen können [7]. Andererseits ist die Traumatisierung des Kindes durch eine mehrfache Endoskopie vor und nach Bolusgabe (bei verschiedenen Boluskonsistenzen also durchaus mehrfach) nicht zu unterschätzen, insbesondere wenn im Verlauf immer wieder Kontrollschluckuntersuchungen erforderlich sind. Außerdem können die pharyngeale Reaktion unmittelbar auf den Bolusreiz und eine postdeglutitive Aspiration bei der FESU nicht beurteilt werden. Deshalb ist es empfehlenswert, immer zuerst eine standardisierte FEES zu versuchen, denn eine Modifizierung dieser Diagnostik kann dann immer noch als FESU erfolgen.

Für die fiberoptische Schluckdiagnostik eignen sich spezielle Kinderendoskope (z. B. Olympus ENF-V3, 2,6 mm Durchmesser, Fa. Olympus, Tokio, Japan; Abb. 2 und 3a,b), bei größeren Kindern sind auch Endoskope mit 3,5 mm Durchmesser möglich: Der größere Durchmesser ist jedoch häufig auch unangenehmer; dies kann die schwindende Akzeptanz der Kinder für die Untersuchung bereits während des Transfers durch die Nasenhaupthöhle erklären. Eine häufig gewählte Reihenfolge der verabreichten Konsistenzen in der FEES bei Erwachsenen ist weich/püriert → flüssig → fest. Bei Kindern ist diese abhängig von Alter, Entwicklungsstand und motorischen Fertigkeiten sowie der bisher konsumierten Kostform und dann eher flüssig-püriert → weich → fest [21].

Abb. 2
figure 2

Videostroboskopiesystem, fiberoptische Endoskope, (Fa. Olympus, Tokio, Japan), digitales Archivierungssystem (rpSzene, Rehder/Partner GmbH, Hamburg, Deutschland)

Abb. 3a,b
figure 3

Säuglings‑/Kindervideolaryngostroboskop Olympus ENF-VH3, Durchmesser 2,6 mm. (Fa. Olympus, Tokio, Japan)

Während der Untersuchung sitzt das Kind, abhängig von Alter, Größe, motorischen Fähigkeiten und Entwicklungsstand, auf dem Schoß bzw. liegt halbsitzend im Arm eines Angehörigen, in einer Sitzschale oder im Stuhl. Die Arme werden leicht festgehalten oder das Kind auf dem Schoß wird umarmt, der Kopf mit der anderen Hand festgehalten bzw. gestützt, je nach Alter und Kooperation des Kindes. Anschließend wird das Kind mit flüssiger Nahrung gefüttert, dann ggf. mit pürierter/weicher Nahrung oder mit Götterspeise (Nahrung/Flüssigkeit mit blauer Lebensmittelfarbe angefärbt). Milchprodukte verursachen durch ihre Konsistenz nicht selten durch eine Auflagerung Sichteinbußen der Optik, sodass die Untersuchung abgebrochen werden muss. Bei der FESU erfolgt erneut eine Endoskopie nach Nahrungsaufnahme und kleiner Pause; ebendann können pharyngeale Retentionen, Aspirationen, Effizienz des Hustenreflexes und (nasale) Regurgitationen beurteilt werden.

In der systematisierten, skalierten Beurteilung der endoskopischen Ergebnisse hat, wenn auch für das Säuglings- und Kindesalter nicht validiert, die „Penetration/Aspiration Scale (PAS)“ durchaus Bedeutung. Rosenbek et al. beschreiben in einer Skala von 1 bis 9 den unauffälligen pharyngealen Bolustransport bis hin zur Aspiration unter die Stimmlippenebene ohne sensorische Reflexe wie Husten zur Bolusentfernung (Tab. 3, [44]).

Tab. 3 Penetration and Aspiration Scala (PAS)a

Die direkte Beurteilung der anatomischen Verhältnisse und der Mukosa der oberen Schluckstraße kann durch die videogestützte Ösophagoduodenogastroskopie (ÖGD), ggf. mit Probenentnahmen, erfolgen. In der pädiatrischen Gastroenterologie wird die Endoskopie in der Regel in Narkose durchgeführt und bedeutet für den Patienten eine relativ hohe Belastung. Somit ist die ÖGD nur sinnvoll, wenn eine Refluxösophagitis zu vermuten ist oder anatomische Besonderheiten der oberen Speisewege zu erwarten sind [7].

Zur weiteren Funktionsdiagnostik sind intraluminale Impedanzmessungen möglich. Das Verfahren beruht auf einer Änderung des sog. Scheinwiderstands (Impedanz) im Lumen des Ösophagus bei der Passage eines Bolus entlang des Messsegments. Dieses Verfahren dürfte zunehmend bei laryngopharyngealem Reflux an Bedeutung gewinnen, ist jedoch für Kinder eine aufwendige und bisher nichtstandardisierte Methode [41]. Die 24-h-pH-Metrie ist der Goldstandard bei Verdacht auf einen GER. Altersabhängige Normalwerte bzw. Perzentilenkurven für die GER-Parameter liegen für den distalen und den proximalen Ösophagus vor [37].

Therapie

In der Literatur finden sich verschiedene Therapieansätze zur Behandlung kindlicher Fütter‑/Ess- und Schluckstörungen; aufgrund der Komplexität ist ein interdisziplinäres Vorgehen Voraussetzung [39, 41, 52, 54]. Ein interdisziplinäres Team setzt sich idealerweise aus Pädiatern, Phoniatern/HNO-Ärzten, Kinderpsychiatern und -psychologen, Logopäden, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Ernährungsberatern zusammen [32]. Das therapeutische Vorgehen richtet sich dabei in erster Linie nach den bestehenden Beschwerden und dem Alter des Kindes. Eine regelmäßige Beratung und Unterstützung der Eltern und Familie erleichtern es v. a. bei Fütter‑/Essstörungen, die empfohlenen Verhaltensänderungen umzusetzen. Hierbei ist auch die externe Unterstützung durch soziale Dienste sinnvoll.

Vorab ist zu klären, ob Medikamente die Schluckbeschwerden mitverursachen können, oder ob sedierende Medikamente (z. B. bei Epilepsie) zu einem „falschen“ Zeitpunkt genommen werden. Sind anamnestisch und durch Beobachtung Ösophagitiden anzunehmen und/oder durch eine ÖGD verifiziert, bietet sich bereits im frühen Kindesalter eine medikamentöse Behandlung mit Protonenpumpeninhibitoren an; einzelne Wirkstoffe sind bereits bei Kindern zugelassen [37]. Diätetische Maßnahmen sind erforderlich, wenn Nahrungsunverträglichkeiten klinisch zu vermuten sind oder diagnostisch gesichert wurden [41].

Eine Therapie fängt im Alltag an. Wichtig ist es, die betroffenen Kinder in das Essensritual miteinzubeziehen (Sitzen am Esstisch, vertraute Personen möglichst immer an der gleichen Tischposition u. a.). Prinzipiell dürfen Kinder die Nahrung mit den Händen anfassen oder, wenn sie es feinmotorisch beherrschen, auch mit den Fingern oder mit anatomisch geformten Löffeln essen. Auch wenn es im hektischen Alltag schwierig umzusetzen ist, brauchen Kinder mit Schluckstörungen mehr Zeit für die Bewältigung der Nahrungsaufnahme und kleine Löffelportionen. Häufig signalisieren sie durch Zuwendung, Aufschauen oder Mundöffnen eine Bereitschaft für die nächste Löffelportion. Während des Esstrainings sollte das Kind „nebenbei“ orofaziale Stimulationen erhalten, um atraumatisch verschiedene Erfahrungen im Mundbereich machen zu können.

Besteht eine Gedeihstörung oder Mangelernährung, ist ein genauer Ernährungsplan sinnvoll, der die kalorischen Bedürfnisse, bezogen auf das Sollgewicht für die Körperlänge, definiert. Regelmäßige Gewichts- und klinische Verlaufskontrollen zur Erfassung des Erfolgs sind wichtig. Ist eine kalorisch-ausreichende orale Trink- und Essensmenge nicht möglich, so ist in einer Anfangsphase eine Nasogastralsonde oder – bei längerfristig zu erwartenden Schwierigkeiten – eine Gastrostomiesonde erforderlich, um das Gedeihen des Kindes sicherzustellen [27]. Bei längerfristiger Sondenernährung und geplanter Sondenentwöhnung wird das Kind über die Hunger- und Durstregulation langsam an die orale Nahrungsaufnahme herangeführt.

Eine differenzierte Beschreibung der einzelnen Dysphagietherapien würde den Umfang dieses Artikels sprengen. Ganz allgemein trennt man konservative von operativen Therapieverfahren (z. B. krikopharyngeale Myotomie bei Öffnungsstörung des oberen Ösophagussphinkters, Gastrostomien) oder medikamentösen Maßnahmen (z. B. Scopolamin- oder Botulinumtoxinbehandlung der Speicheldrüsen zur Reduktion der Salivation; [26]).

Wichtig ist die Formulierung von Fütter-und Essensregeln

Die konservativen Verfahren bei Fütter- und Essstörungen setzen allgemein unter psychosomatischer und/oder kinderpsychiatrischer Expertise in der familienzentrierten Beratung an, zur Reduktion von familiären Stressoren, zur Verbesserung der partnerschaftlichen Akzeptanz/Unterstützung der Verbesserung der elterlichen Wahrnehmung und zum Training einer empathischen, positiv-belegten Interaktion mit dem beteiligten Kind. Wichtig ist die Formulierung von Fütter-und Essensegeln:

  • Unterstützung für eine selbstständige Nahrungsaufnahme,

  • nicht zu viele verschiedene Nahrungsangebote,

  • reizarme Essensumgebung,

  • kleine Portionen (mit Nachordern, je nach kindlichem Bedürfnis),

  • Mahlzeitendauer mit angemessen langem Sitzenbleiben des Kindes am Essenstisch,

  • vorzeitige Mahlzeitenbeendigung nach festen, angekündigten Regeln,

  • positive Verstärkung erwünschter Verhaltensweisen und

  • Ignorieren bei kindlichen unangemessenen Verhaltensweisen.

Allgemein soll Nahrung nicht als Belohnung eingesetzt werden [56].

Bei den konservativen Verfahren, die überwiegend für kindliche Schluckstörungen Bedeutung haben, gibt es zwei, teilweise konträre Konzepte:

  • holistische Verfahren (ganzheitliche Verfahren), z. B. die Therapie des faziooralen Trakts (FOTT; [13]) oder die orofaziale Regulationstherapie (ORT; [9]);

  • störungsspezifische Verfahren (z. B. die funktionelle Dysphagietherapie, FDT, [5]).

Die holistischen Verfahren basieren auf der Vorstellung eines elementaren sensomotorischen Systems; eine Dysphagie wird nicht als isoliert auftretende Störung definiert, sondern als ganzkörperliche Problematik [5, 26]. Holistische Verfahren beruhen häufig auf Erkenntnissen, Konzepten oder Vorstellungen von Einzelbeschreibern oder von Therapieschulen. Verschiedene physiotherapeutische Konzepte (z. B. nach Vojta) haben den Grundsatz der Reflexfortbewegung und Bahnung von körperlichen Bewegungsmustern zur orofazial-vertebralen sensomotorischen Regulation ([41], auch [21]). Sie sollen pathologische Körperreflexe reduzieren oder unterdrücken und physiologische Reflexe bahnen [55]. Taktil-kinästhetische Konzepte wie z. B. nach Affolter als geführte Interaktionstherapie unterstützen motorische Koordinationsabläufe zur Bahnung von Alltagsbewegungsmustern (z. B. Zähneputzen) taktil durch manuellen Druck auf Gelenke [21].

Die Behandlung der präoralen Phase und der oralen Phase steht z. B. auch bei der FOTT im Vordergrund. Die der autonomen Steuerung unterworfene pharyngeale/ösophageale Phase (Schlucktriggerung, Larynx- und Pharynxmotilität) wird nicht explizit berücksichtigt. Die ORT findet Anwendung bei sensomotorischen Störungen im Gesicht und im Oropharynx unter dem Aspekt muskeltonusregulierender Verfahren durch Berührung, Zug, Streichen und Vibration [21, 26].

Störungsspezifische Verfahren basieren auf funktions- und problemorientiertem Vorgehen

Dieser Auffassung steht die Erkenntnis gegenüber, dass eine Dysphagie auch isoliert z. B. bei einer Hirnstammschädigung auftreten kann [26]. Störungsspezifische Verfahren wie die FDT basieren auf einer funktions- und problemorientierten Vorgehensweise, die sich nicht an schulorientierten Therapierichtungen orientiert. Ziel ist die Wiederherstellung der beeinträchtigten Funktionen bei der Nahrungsaufnahme und/oder die Vermittlung von Techniken und Strategien zur Kompensation der Störung, um eine selbstständige Nahrungsaufnahme zu ermöglichen [5]. Die FDT gliedert sich in drei Komponenten:

  • restituierend,

  • kompensatorisch,

  • adaptiv.

Restituierende Maßnahmen sollen gestörte Funktionen wiederherstellen oder maximal Restfunktionen trainieren; kompensatorische Maßnahmen beinhalten Haltungsveränderungen beim Schlucken, Glottisklärungsmanöver usw. für ein effizienzsteigerndes aspirationsfreies Schlucken. Adaptierende Maßnahmen beinhalten externe Hilfen wie z. B. diätetische Maßnahmen, spezielle Ess- und Trinkhilfen, prothetische Hilfen [5, 9, 26]. Ferner gehören zu den restituierenden Maßnahmen u. a. auch die entwicklungsneurologische Behandlung nach Bobath, die propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation nach Kabat und die neuromuskuläre Dysfunktionsbehandlung nach Rood zur Tonusregulation, Hemmung pathologischer Bewegungsmuster sowie Anbahnung natürlicher motorischer Konzepte durch Stimulation mit Streichen, Dehnung, Zug und durch Verwendung von thermischen Reizen [5].

Neben der gezielten Förderung der Mundmotorik ist in vielen Fällen ein Training der motorisch-koordinativen Fähigkeiten und der allgemeinen Körperwahrnehmung wichtig.

Fazit für die Praxis

  • Ess-/Fütter- und Schluckstörungen sind häufig; bis zu 25 % aller Säuglinge/Kleinstkinder können betroffen sein. Schweregrad und Dauer werden meistens durch zusätzliche Erkrankungen beeinflusst.

  • Ess-/Fütter- und Schluckstörungen zeigen sich auf sehr unterschiedliche Weise. Nahrungsverweigerung, Gedeihstörung, orale Aversion, rezidivierende Pneumonien, chronische Lungenprobleme oder rezidivierendes Erbrechen können Hinweise sein.

  • Die Ursachen von Ess-/Fütter- und Schluckstörungen sind vielfältig. Neben anatomischen Fehlbildungen sind spezifische angeborene oder erworbene komplexe neuromotorische Erkrankungen, aber auch Entwicklungsretardierungen und Verhaltensstörungen zu berücksichtigen.

  • Die Erhebung einer ausführlichen Anamnese mit präzisen Fragen zum Essverhalten, ein detaillierter klinischer Status und eine Essensbeobachtung sind wichtig; eine HNO-Untersuchung und eine endoskopische Schluckuntersuchung komplettieren die Diagnostik. Untersuchungen wie die ÖGD, die ösophageale pH-Metrie oder Manometrie sind weitere Maßnahmen zur Beurteilung der oberen Speisewege. Die Röntgenbreischluckdiagnostik ist ein ergänzendes Verfahren zur Beurteilung der Schluckdynamik.

  • Die Behandlung von Ess-/Fütter- und Schluckstörungen setzt ein multidisziplinäres Vorgehen voraus, um dem Kind länger- oder langfristig eine Ernährungsautonomie zu ermöglichen.