Zusammenfassung
Sowohl beim Ausbau erneuerbarer Energien als auch im Bereich der Elektromobilität hat sich die Bundesregierung ambitionierte Ziele gesetzt. Im Kontext der Energiewende soll der Anteil fluktuierender erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung weiter deutlich steigen. Dies erfordert tendenziell eine erhöhte Vorhaltung von Regelleistung. Gleichzeitig sinkt die Stromerzeugung aus thermischen Kraftwerken, die bisher einen großen Teil der Regelleistung vorgehalten haben. Vor diesem Hintergrund wird untersucht, welche Rolle eine angenommene Flotte von 4,4 Millionen Elektrofahrzeugen im Jahr 2035 bei der Bereitstellung von Regelleistung in Deutschland spielen könnte. Dabei werden zwei verschiedene Szenarien des Kraftwerksparks sowie unterschiedliche Möglichkeiten der Bereitstellung von Regelleistung mit und ohne Rückspeisung elektrischer Energie von den Fahrzeugbatterien in das Stromnetz untersucht. Berechnungen mit einem hierfür weiterentwickelten, quellenoffenen Simulationsmodell zeigen, dass die Elektrofahrzeugflotte einen nennenswerten Beitrag zu einer kostengünstigen Regelleistungsvorhaltung leisten kann. Dies gilt auch dann, wenn keine Rückspeisung von den Fahrzeugbatterien in das Stromnetz möglich ist. Unter Basisannahmen fallen hingegen die Arbitrageaktivitäten am Großhandelsmarkt sehr gering aus. Auch die Systemkosteneinsparungen sind im Vergleich zu einem rein kostenoptimalen Laden der Fahrzeugbatterien relativ niedrig. Unter alternativen Annahmen zur Zusammensetzung des Kraftwerksparks und zu den Batterieabnutzungskosten kann es dagegen zu nennenswerten Arbitrageaktivitäten am Großhandelsmarkt, zu einer noch höheren Regelleistungsbereitstellung und zu wesentlich größeren Systemkosteneinsparungen kommen.
Abstract
The German government has set ambitious goals for both the expansion of renewable energy supply and electromobility. According to its Energiewende policy, electricity supply from fluctuating renewables is supposed to further increase considerably. This will tend to require a greater provision of balancing reserves. At the same time, supply from conventional dispatchable plants, which used to provide the bulk of reserves, will decrease. Against this background, this article analyzes the scope for an assumed fleet of 4.4 million electric vehicles to supply balancing reserves in 2035. Examining two different future power plant scenarios, it explores the potentials of reserve provision with and without the option of feeding electricity from vehicle batteries back to the grid. Results from an extended open-source power system simulation model show that the assumed vehicle fleet can efficiently provide a substantial share of reserve requirements, also in case the vehicle-to-grid option is not available. Arbitrage on wholesale markets, on the other hand, is negligible under basic assumptions. Likewise, total system cost savings are minor when compared to a pure cost-optimal loading of vehicle batteries. Under alternative assumptions on the future power plant portfolio as well as on battery degradation costs, however, wholesale arbitrage, reserve provision, and system cost savings can be substantial.
Notes
Für eine Übersicht dieser Herausforderungen sowie der möglichen Rolle von Speichern und anderen Flexibilitätsoptionen vgl. Schill (2013).
Vgl. Pehnt et al. (2011); Pregger et al. (2013); Schill und Gerbaulet (2015) sowie die dort zitierte internationale Fachliteratur. Eine systemoptimierte Aufladung könnte durch sogenannte Aggregatoren organisiert werden, d. h. Dienstleister, die viele einzelne Fahrzeuge gebündelt an den Strommarkt bringen. Alternativ könnte eine gesteuerte Aufladung ggf. auch durch die Fahrzeughalter selbst erfolgen, falls geeignete Tarife angeboten würden (vgl. Paetz et al. 2013).
Die Analyse wurde erstellt im Rahmen des Arbeitspakets 3 des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Forschungsprojekts „Wirkungen des Ausbaus erneuerbarer Energien“ (Impact of Renewable Energy Sources, ImpRES), Förderkennzeichen 325414B. Dieser Artikel baut zudem auf einer Masterarbeit auf, in der die Thematik noch eingehender beschrieben wird (Niemeyer 2015).
Sioshansi und Denholm (2010) beziehen sich dabei auf spinning und non-spinning reserves, was ungefähr Sekundär- und Minutenreserveleistung entspricht, jedoch nicht auf frequency regulation, also Primärregeleistung. Dagegen gehen beispielsweise Kempton und Tomić (2005a und 2005b) davon aus, dass Elektrofahrzeuge technisch problemlos auch Primärregelleistung anbieten können.
Das Modell DIETER (Dispatch and Investment Evaluation Tool with Endogenous Renewables) ist mitsamt den kompletten Inputparametern und einer Modellbeschreibung unter einer Open-Source-Lizenz frei verfügbar und kann unter www.diw.de/dieter heruntergeladen werden. Für die vorliegende Analyse wurde die Version 1.1.0 verwendet. Das Modell wurde im General Algebraic Modeling System (GAMS) umgesetzt und mit dem kommerziellen Solver CPLEX gelöst. Eine detaillierte formale Beschreibung des Basismodells ist in Zerrahn und Schill (2015) enthalten.
Von einer räumlichen Auflösung wird abstrahiert. Somit wird das deutsche Stromsystem ohne Netzengpässe betrachtet. Diese vereinfachende Annahme ist konsistent mit dem verwendeten Szenariorahmen des Netzentwicklungsplans. Es wird davon ausgegangen, dass durch einen entsprechenden Netzausbau Engpässe in den Übertragungs- und Verteilnetzen weitgehend vermieden werden.
Vereinfachend wird, unter Verwendung der Methodik von Ziegenhagen (2013), angenommen, dass der Regelleistungsbedarf linear von der installierten Windkraft- und Photovoltaikleistung abhängt. In den Modellrechnungen beträgt der positive (negative) Regelleistungsbedarf im Jahr 2035 demnach 0,8 (0,8) GW Primärregelleistung (PRL), 4,2 (3,4) GW Sekundärregelleistung (SRL) und 4,0 (3,8) GW Minutenregelleistung (MRL).
Der Abruf von Regelleistung in den unterschiedlichen Segmenten erfolgt auf Basis des relativen mittleren stündlichen Abrufs des Jahres 2013. Dabei werden stündliche Mittelwerte der von den Netzbetreibern veröffentlichen Viertelstundendaten gebildet. Diese werden als gleitende 24-Stunden-Durchschnitte geglättet.
Diese vereinfachende Annahme wurde vor dem Hintergrund unsicherer längerfristiger Entwicklungen im benachbarten Ausland auch in Hinblick auf Elektrofahrzeuge sowie Angebot und Nachfrage auf den Regelleistungsmärkten getroffen.
Im NEP werden weder die Aufteilung der Gaskraftwerke auf Gas- und Dampfturbinen sowie offene Gasturbinen noch die Entwicklung von Lastverschiebe- und Abwurfleistungen explizit spezifiziert. Deshalb wurden diese Größen als endogene Variablen in einer vorgeschalteten Optimierung bestimmt. Dabei wurde angenommenen, dass die Elektrofahrzeugflotte optimiert beladen wird, aber weder Regelleistung erbringt, noch Strom in den Großhandel rückspeist. Von den im Szenariorahmen enthaltenen Technologieklassen „Öl“, „sonstige konventionelle Erzeugung“ und „sonstige regenerative Erzeugung“ wird abstrahiert.
Für weitere Details siehe Zerrahn und Schill (2015) sowie den kompletten Inputdatensatz auf www.diw.de/dieter.
Bezogen auf den Nettostromverbrauch inklusive Elektrofahrzeugen zuzüglich Speicherverlusten wird im Referenzfall des Basisszenarios ein Anteil von 64,5 Prozent erreicht. Unter der NEP-Annahme von zusätzlich 43,5 TWh für Netzverluste und Kraftwerkseigenverbrauch ergibt sich ein Anteil am Bruttostromverbrauch von 59,7 Prozent.
Batterieabnutzungskosten fallen annahmegemäß nur bei V2G-Rückspeisungen an, da dadurch zusätzliche Lade- und Entladezyklen entstehen, die nicht für Autofahrten genutzt werden. Zur Berechnung des Werts von 41 €/MWh vgl. Excel-Datei mit Inputdaten der Version 1.1.0 auf www.diw.de/dieter. Darüber hinaus könnten weitere Kosten für V2G-Infrastruktur anfallen, von denen hier abstrahiert wird.
Eine zusätzliche Simulation mit einer veränderten Modellspezifikation zeigt, dass sich deutlich größere Kostensenkungen ergeben würden, wenn die Elektrofahrzeuge bei der Ladestrategie b) „RL nur durch G2V“ nur genau so viel Leistung für die Vorhaltung von Regelleistung reservieren müssten, wie auch tatsächlich abgerufen wird, und den Rest der verfügbaren Leistung wie im Vergleichsfall für eine kostenoptimale Aufladung in den günstigsten Stunden nutzen könnten.
Wird der Kraftwerkspark weitergehend optimiert, kann der Effekt noch deutlich größer werden (vgl. Niemeyer 2015).
Im Entwurf des Szenariorahmens für die Netzentwicklungspläne 2030 werden erstmals explizite Annahmen zur künftigen Entwicklung der Elektrofahrzeugflotte und ihrem Lastmanagementpotenzial gemacht (50Hertz et al. 2016).
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Schill, WP., Niemeyer, M., Zerrahn, A. et al. Bereitstellung von Regelleistung durch Elektrofahrzeuge: Modellrechnungen für Deutschland im Jahr 2035. Z Energiewirtsch 40, 73–87 (2016). https://doi.org/10.1007/s12398-016-0174-7
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