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Die soziale Peripherie mit ihren Praktiken und Orientierungen. Ein theoretischer Entwurf

Social Periphery with its Practices and Modes of Orientation. Outline of a Theory

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Soziale Probleme

Zusammenfassung

Über die Unterscheidung von Zentrum und Peripherie lassen sich Defizite, Ungleichheiten oder Machtgefälle relational verorten. Mit der Gegenüberstellung lässt sich aber auch von der Ungleichheitsforschung abgelöst ein divergentes Verhältnis im Denken und Handeln betrachten, welches neben den dominanten (zentralen) Denk- und Handlungsschemata ebenfalls das je Eigene in den Peripherien in den Blick nimmt. Der Beitrag argumentiert dazu mit dem Begriff der sozialen Peripherie für eine analytische Dreiteilung, in der die Peripherie den Grenzbereich zwischen einem Innen (Kern, Zentrum) und Außen markiert. Ein solches Konzept hat nicht zum Ziel, Ungleichheiten und Defizite sichtbar zu machen. Im Mittelpunkt steht vielmehr die empirische Rekonstruktion des Eigensinnigen in den Peripherien, um darüber unterschwellige Konfliktlinien und Potentiale zu reflektieren.

Abstract

Applying the distinction between center and periphery enables researchers to identify and describe deficiencies, inequalities and asymmetric power balances. Beyond its relevance for research on inequalities such an analytical distinction also allows to observe divergent modes of thinking and acting related to dominant worldviews in societies. In this paper I content for the study of specific modes of thinking and acting in peripheries analytically one should deploy a concept of social periphery meaning a niche between a center and its exteriors. Such an approach is less concerned with inequalities. It rather asks for empirical reconstructions of obstinate practices in social peripheries to reflect latent lines of conflict and potentialities.

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Abb. 1

Notes

  1. Der Begriff Peripherie leitet sich über das spätlateinische Peripheria aus dem griechischen Periphéreia ab und bedeutet dort „das Herumgehen“ oder „Umlauf“.

  2. Das Wort Zentrum geht auf das lateinische centrum („Mittelpunkt“) zurück, was wiederum dem griechischen Verb kenteīn („stechen“) entstammt. Das Substantiv „kéntron“ bezeichnet Stachel, Stachelstab; ruhender Zirkelschenkel bzw. Mittelpunkt eines Kreises.

  3. In englischsprachigen Texten taucht in diesem Zusammenhang teilweise die Formulierung „social periphery“ auf. Diese meint in der Regel ausgegrenzte Gruppen (vgl. etwa Cullen und Pretes 2000; Montagné Villette und Hardill 2007; Schroeder 2008).

  4. „The term ‚center‘ refers to a sector of society in which certain activities which have special significance or functions are relatively more highly concentrated or more intensively practiced than they are in other parts of that society and which are to a greater extent than other parts of society the focus of attention, preoccupation, obedience, deference, or emulation“ (Shils 1988, S. 251 f.; Hervorhebung von A.P.).

  5. Der Beitrag geht nicht weiter auf die Diskussion über Zentren und Peripherien von funktional differenzierten Gesellschaften ein. In aller Kürze spricht Luhmann davon, dass es kein soziales Funktionssystem gibt, welches sich selbst zum Zentrum der Gesellschaft machen kann. Holzer (2007) verweist wiederum darauf, dass der Zugang zu Funktionssystemen nur unvollständig durch Exklusion (Ausschluss) und Inklusion (Berücksichtigung) beschrieben wird. Es gibt demnach viele Gruppierungen in der Gesellschaft, die zunächst aus bestimmten Funktionssystemen exkludiert, während sie in andere Funktionssysteme inkludiert sind. Holzer (2007) schlägt daher vor, die Zentrum-Peripherie-Unterscheidung wieder einzuführen, wobei Peripherie eine „unvollständige Inklusion“ (Holzer 2007, S. 364) kennzeichnet. Luhmann selbst thematisiert lokale Besonderheiten, die für die globale Ausbreitung der funktionalen Differenzierung fördernd bzw. hemmend sind. Mit der Etablierung einer „Weltgesellschaft“ (Luhmann 1998, S. 810) dringt die funktionale Differenzierung in regionale Kontexte vor, ohne sie jedoch vollständig zu strukturieren.

  6. Mit Beobachtung sind Praktiken des unterscheidenden Bezeichnens gemeint (Luhmann 1998).

  7. Siehe ausführlich dazu Drepper (2003).

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Ich möchte mich für die konstruktiven Diskussionen und Hinweise zum vorgestellten Konzept bei Eva Barlösius, Ulrich Bröckling und den anonymen Gutachterinnen und Gutachtern bedanken.

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Philipps, A. Die soziale Peripherie mit ihren Praktiken und Orientierungen. Ein theoretischer Entwurf. SozProb 30, 33–46 (2019). https://doi.org/10.1007/s41059-019-00056-8

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