1 Ausgangslage

Eine Vielzahl von Dienstleistenden verbringt einen Großteil ihrer Arbeit in der Interaktion mit anderen Menschen (Dormann und Zapf 2004; Holz et al. 2004). Die zu leistende Interaktionsarbeit mit KundInnen, PatientInnen und KlientInnen bildet dabei einen wichtigen Bestandteil ihrer täglichen Arbeit (Dormann und Zapf 2004).Footnote 1 Wenngleich viele Beschäftigte ihre Tätigkeit als abwechslungsreich empfinden und den zwischenmenschlichen Austausch schätzen, kann die Interaktion mit KundInnen, PatientInnen und KlientInnen für Dienstleistende mit Konflikten verbunden sein (Dormann und Zapf 2004; Holz et al. 2004). Nicht selten sind KundInnen, PatientInnen und KlientInnen unhöflich, haben überzogene Erwartungen oder sind sogar aggressiv und sehen sich dabei im Recht (Grandey et al. 2004; Harris und Reynolds 2004; Walsh 2011). Dabei stellen diese konfliktreichen Erlebnisse mit KundInnen, PatientInnen und KlientInnen keineswegs Einzelfälle dar, sondern gehören zum Arbeitsalltag von Dienstleistenden. So konnten Bitner et al. (1994) in ihrer Studie zeigen, dass 22 % der von Beschäftigten genannten negativen Events im Zusammenhang mit problematischen KundInnen standen. In Anbetracht der Tatsache, dass Dienstleistende in der Regel wesentlich mehr Zeit mit KundInnen, PatientInnen und KlientInnen verbringen als mit ihren KollegInnen oder Vorgesetzten, gehen Dormann und Zapf (2004) davon aus, dass Konflikten mit KundInnen, PatientInnen und KlientInnen eine genauso große, wenn nicht sogar größere Bedeutung zukommt. Trotz der Relevanz des Themas kommen Glaser et al. (2008, S. 15) zu dem Schluss, dass „spezifische Anforderungen und Belastungen der Interaktionsarbeit […] bislang nur wenig im Blickfeld der arbeitswissenschaftlichen Forschung [standen]“.

Neben den negativen Seiten der Interaktionsarbeit bietet die Arbeit mit Menschen ebenfalls vielfältige Ressourcen. Viele Beschäftigte in Dienstleistungsberufen wählen ihren Beruf bewusst aus, weil sie mit Menschen arbeiten wollen (Grandey et al. 2005; Zimmermann et al. 2011). Für sie stellt die Arbeit mit KundInnen, PatientInnen und KlientInnen damit eine zentrale Motivation ihrer Berufswahl dar (Homburg und Stock 2004; Zimmermann et al. 2011). Viele Dienstleistende haben Freude an der Interaktion mit KundInnen, KlientInnen und PatientInnen, erleben Ihre Tätigkeit als sinnstiftend und schätzen insofern vor allem den sozialen Anteil ihrer Arbeit (Holz et al. 2004). Während in der Vergangenheit bestehende Studien zum Ziel hatten, die negativen Seiten der Arbeit mit Menschen zu untersuchen, wurde die Interaktion zwischen Dienstleistenden und KundInnen, PatientInnen und KlientInnen als mögliche Quelle von Wohlbefinden und psychischer Gesundheit bislang nur vereinzelt untersucht (Loera et al. 2016; Zimmermann et al. 2011). So wurden KundInnen in der bisherigen Forschung vor allem in ihrer Rolle als potenzieller Stressor betrachtet. In diesem Kontext wurde u. a. untersucht, wie sich aggressives (Grandey et al. 2004), unfreundliches (Walsh 2011; Yagil 2021) oder unfaires Kundenverhalten (Berry und Seiders 2008) auf die Gesundheit und das Befinden von Beschäftigten auswirkt. Weniger betrachtet wurde hierbei jedoch, inwieweit KundInnen mit ihrem positiven Verhalten eine Ressource in der Dienstleistungsinteraktion darstellen können (Loera et al. 2016).

In der Zusammenschau weisen die bisherigen Erkenntnisse darauf hin, dass zumeist aus einer pathogenetischen Perspektive erforscht worden ist, welche gesundheitsbeeinträchtigenden Faktoren mit der zu leistenden Interaktionsarbeit verbunden sind. Aus einer salutogenetischen Betrachtung wurden bisher jedoch kaum Erkenntnisse zu den positiven und gesundheitsförderlichen Merkmalen der Arbeit an und mit Menschen untersucht (Bednarek 2014; Nerdinger 2019; Zimmermann et al. 2011). Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, eine ganzheitliche Perspektive auf den Forschungsgegenstand der Interaktionsarbeit zu richten und neben Stressoren ebenfalls Ressourcen mit in die analytische Betrachtung einzubeziehen.

Ziel des Beitrags ist es, interaktionsbezogene Stressoren und Ressourcen zu identifizieren, zu systematisieren und diese hinsichtlich ihrer Relevanz für eine menschengerechte Arbeitsgestaltung von Interaktionsarbeit zu reflektieren. Damit leistet der vorliegende Artikel nicht nur einen Beitrag, interaktionsbezogene Stressoren und Ressourcen tiefergreifend zu erforschen, sondern schafft ebenfalls einen konzeptionellen Rahmen, um Interaktionsarbeit im Sinne einer prospektiven Arbeitsgestaltung menschengerecht gestalten zu können. Mit der Entwicklung einer Taxonomie gestaltungsrelevanter Faktoren für Interaktionsarbeit kommt der Artikel der arbeitswissenschaftlichen Forderung nach einer „branchen- und berufsübergreifende[n] Klassifikation von Merkmalen der Arbeit […], die für die menschengerechte Gestaltung interaktiver Tätigkeiten relevant sind,“ nach (Tisch et al. 2020, S. 44). Nicht zuletzt soll ein theoretischer Beitrag geleistet werden, die modelltheoretischen Annahmen des JD‑R Modells durch eine Multi-Level-Perspektive zu erweitern (Demerouti et al. 2001).

Im vorliegenden Artikel werden zunächst theoretische Grundlagen beschrieben, bevor das methodische Vorgehen dargelegt und anschließend zentrale Ergebnisse der Literaturanalyse sowie der qualitativen Studie vorgestellt und diskutiert werden. Der Fokus des Beitrags wird auf die Ergebnisse der qualitativen Studie gelegt.

2 Das Job-Demands-Resources-Modell als theoretische Grundlage

Die Wahl des Job-Demands-Resources-Modells (JD‑R Modell) als übergeordnetes konzeptionelles Rahmenmodell ist darin begründet, interaktionsbezogene Ressourcen weiter in den Vordergrund der wissenschaftlichen Betrachtung zu stellen. Die Passung des JD‑R Modells für diese Studie drückt sich vor allem in dessen flexibler Anwendung aus (Demerouti et al. 2001). So können sämtliche Arbeitsbedingungen und Tätigkeitsprofile unterschiedlicher Berufsgruppen anhand von zwei weitgehend unabhängigen Dimensionen (Job Demands und Job Resources) abgebildet werden (Stock-Homburg et al. 2010). Neben der Identifizierung relevanter Stressoren und Ressourcen stellt das Modell mit seinen implizierten Wirkungsannahmen einen nützlichen theoretischen Rahmen dar, um die Folgen von interaktionsbezogenen Stressoren und Ressourcen für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Beschäftigten zu betrachten. Darüber hinaus legt das JD‑R Modell mit seinen implizierten Annahmen einen definitorischen Rahmen für die begriffliche Eingrenzung interaktionsbezogener Stressoren und Ressourcen fest:

  • Interaktionsbezogene Stressoren: „Faktoren, die aus der Interaktionsarbeit resultieren und mit physischen oder psychischen Kosten für die Beschäftigten verbunden sind.“

  • Interaktionsbezogene Ressourcen:Faktoren, die aus der Interaktionsarbeit resultieren und mit positiven Folgen für das Befinden und die Gesundheit von Beschäftigten einhergehen und funktional für das Erreichen von arbeitsbezogenen Zielen sind und negative Wirkungseffekte von Stressoren reduzieren können.“

In Anbetracht der weitgehenden Vernachlässigung von Ressourcen in der Forschung zu Interaktionsarbeit wird in der vorliegenden Arbeit auf die konzeptionelle Weiterentwicklung des JD‑R Modells von Schaufeli und Taris (2014) zurückgegriffen (Abb. 1). Mit ihrem überarbeiteten Modell erklären die Autoren nicht nur aus einer pathogenetischen Perspektive langfristige negative gesundheitliche Folgen, sondern geben ebenfalls Hinweise dazu, wie sich Arbeit in ihren langfristigen Folgen positiv auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Beschäftigten auswirken kann. Die Autoren unterscheiden hinsichtlich des „health impairment- und motivational processes“:

  • „health impairment process“: Schaufeli und Taris (2014) gehen in ihrem überarbeiteten Modell davon aus, dass die Kombination hoher arbeitsbezogener Stressoren und geringer arbeitsbezogener Ressourcen mit verschiedenen negativen, kurz- bis mittelfristigen Wirkungen (z. B. Burnout) assoziiert sind, die je nach Art und Ausprägung zu langfristigen gesundheitlichen Folgen wie bspw. Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychosomatischen Beschwerden führen können (Abb. 2)

  • „motivational process“: Analog dazu gehen Schaufeli und Taris (2014) davon aus, dass ausreichend zur Verfügung stehende Ressourcen dazu beitragen, dass arbeitsbezogene Ziele erreicht werden und infolgedessen kurz- bis mittelfristig zu Veränderungen des Arbeitsengagements führen können. Die Autoren nehmen an, dass ein gesteigertes Engagement langfristig mit verschiedenen positiven Wirkungsfolgen wie einem hohen Leistungsempfinden oder einem gesteigerten Sinnerleben assoziiert ist (Abb. 2)

Abb. 1 Fig. 1
figure 1

Adaptiertes JD‑R Modell nach Schaufeli und Taris (2014)

Adapted JD‑R model according to Schaufeli and Taris (2014)

Abb. 2 Fig. 2
figure 2

Interaktionsbezogene Stressoren

Interaction-related stressors

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll das JD‑R Modells als Rahmenmodell für die Identifizierung relevanter interaktionsbezogener Stressoren und Ressourcen sowie möglicher Wirkungsfolgen dienen. Das Modell lässt zunächst offen, welche Stressoren und Ressourcen aus der Interaktion mit KundInnen, PatientInnen und KlientInnen resultieren. Ziel der Literaturanalyse und der qualitativen Studie ist es, das vorgestellte Modell empirisch mit „Leben zu füllen“.

3 Forschungsdesign und Methodologie

Da sich der gegenwärtige Forschungsstand interaktionsbezogener Stressoren und Ressourcen bis dato fragmentiert darstellt und eine Systematisierung bestehender Erkenntnisse bislang nicht stattgefunden hat, wurde ein exploratives Mixed-Methods-Design gewählt.Footnote 2 So wurde das Forschungsfeld zunächst mittels einer systematischen Literaturrecherche erschlossen, um den aktuellen Forschungsstand interaktionsbezogener Stressoren und Ressourcen darstellen zu können. Anschließend wurde eine explorativ-qualitative Studie (halbstandardisierte Interviews & teilnehmende Beobachtungen) über verschiedene Berufsgruppen durchgeführt, um im Zuge eines induktiven Vorgehens zentrale interaktionsbezogene Stressoren und Ressourcen zu identifizieren. Eine methodische Verknüpfung beider Forschungsansätze konnte dadurch realisiert werden, dass die Ergebnisse der Literaturanalyse einen unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung des Interview- und Beobachtungsleitfadens hatten. Dieser multimethodische Feldzugang eröffnete die Gelegenheit, den Forschungsgegenstand aus verschiedenen Perspektiven methodisch und methodologisch fundierter zu betrachten (Creswell 1999; Mayring 2015).

3.1 Methodisches Vorgehen bei der Literaturanalyse

Die Aufbereitung des Forschungsstandes folgte dem Vorgehen einer systematischen Literaturanalyse. So wurden zunächst geeignete Literaturquellen ausgewählt und relevante Suchbegriffe formuliert, bevor die eigentliche Literaturrecherche und anschließend die Darstellung der Ergebnisse erfolgten. Für die Recherche wurden die psychologischen Datenbanken PsychARTICLES, PsychINFO und PSYNDEX unter Zuhilfenahme der Rechercheplattform Ebscohost ausgewählt und ergänzend dazu die Online-Suchmaschine Google Scholar hinzugezogen. Darüber hinaus wurden im Rahmen einer Schneeballsuche identifizierte Studien auf relevante Literaturquellen hin überprüft.Footnote 3

Bei der Eingrenzung der Suchbegriffe zeigte eine erste Sichtung, dass Interaktionsarbeit häufig nicht explizit, sondern vielmehr implizit in unterschiedlichen Forschungsdebatten unter verschiedenen Begrifflichkeiten diskutiert wird (s. Tisch et al. 2020; Dörflinger 2022). Dadurch war es schwierig, feste Suchbegriffe für ein rein systematisches Vorgehen zu definieren. Deshalb wurden neben der Suche nach „interaktionsbezogenen Stressoren und Ressourcen“ – als feststehender Suchbegriff – ebenfalls Synonyme formuliert (Tab. 2 im Anhang). Eine erste Grundlage für die Bestimmung von Suchbegriffen bildete die Literaturrecherche von Bednarek (2014) zu positivem und negativem Kundenverhalten sowie ein einführender Überblicksartikel von Holz et al. (2004) zu sozialen Stressoren in der Arbeitswelt. Damit handelt es sich bei der vorliegenden Literaturanalyse nicht um eine abschließende Darstellung des Forschungsstandes, sondern es soll vielmehr ein erster Überblick zu interaktionsbezogenen Stressoren und Ressourcen gegeben werden, um Themeninhalte für den halbstandardisierten Leitfaden der aufbauenden Beobachtungs- und Interviewstudie zu identifizieren. Studien wurden ausgewählt, sofern sie folgende Einschlusskriterien erfüllten:

  1. 1.

    Veröffentlichung in einschlägigen wissenschaftlichen Zeitschriften (Peer-Review-Verfahren).

  2. 2.

    Zeitraum der Veröffentlichung: 2002 bis 2022, da in den letzten zwei Dekaden Interaktionsarbeit als Forschungsgegenstand in der arbeitswissenschaftlichen Debatte zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

  3. 3.

    Studien mit Fokus auf Führungskräfte oder KollegInnen wurden nur dann berücksichtigt, wenn diese für die Entstehung und Wirkung interaktionsbezogener Stressoren und Ressourcen im Kontext der Interaktion mit Externen (KundInnen, PatientInnen) relevant waren.

  4. 4.

    Studienkontext: Erwerbstätigkeit (kein privater Kontext).

  5. 5.

    In die Analyse wurden sowohl qualitative als auch quantitative Studien und konzeptionelle Veröffentlichungen eingeschlossen.

Im Rechercheprozess wurden die Studien zunächst anhand des Titels und des Abstracts gesichtet. Erwiesen sich die Studien als relevant, wurden diese hinsichtlich verschiedener Merkmale (u. a. Studiendesign, Stichprobengröße, betrachtete Konstrukte, untersuchte Berufsgruppen sowie zentrale Studienergebnisse) systematisiert.

3.2 Methodisches Vorgehen bei der qualitativen Studie

Ziel der qualitativen Studie war es, im Zuge eines induktiv geleiteten Vorgehens ein tiefgreifendes, subjektbezogenes Verständnis von interaktionsbezogenen Stressoren und Ressourcen zu erhalten und auf Basis der Erfahrungen und Einschätzungen der Beschäftigten Rückschlüsse auf gestaltungsrelevante Faktoren für Interaktionsarbeit zu ziehen. Darüber hinaus diente die qualitative Studie dazu, ein besseres Verständnis von den arbeitsorganisatorischen Rahmenbedingungen, unter denen Interaktionsarbeit erbracht wird, zu erhalten.

Im Rahmen der halbstrukturierten Experteninterviews wurden im Sinne der Berücksichtigung möglichst diverser Perspektiven neben Beschäftigten ebenfalls VertreterInnen des Managements, des Betriebs- und Personalrats sowie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände befragt. Dabei wurde angesichts der Tatsache, dass Interaktionsarbeit in verschiedenen beruflichen Kontexten und Tätigkeitsbereichen geleistet wird, das Format einer vergleichenden Studie gewählt (Tisch et al. 2020; Böhle und Glaser 2006). Dieses methodische Vorgehen erschien insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklung einer branchen- und berufsübergreifenden Taxonomie von Faktoren für die menschengerechte Gestaltung von Interaktionsarbeit erforderlich, da in der bisherigen Forschung vor allem einzelne Berufsgruppen betrachtet wurden.

Um eine transparente und zielgerichtete Auswahl der Beschäftigtengruppen zu ermöglichen, wurden vorab Auswahlkriterien identifiziert, die dabei helfen sollten, die Vielzahl an Beschäftigten, die Interaktionsarbeit leisten, sinnvoll zu unterscheiden.Footnote 4 Hierbei wurden vor allem Beschäftigtengruppen ausgewählt, die sich durch einen hohen interaktiven Tätigkeitsanteil auszeichneten. Die Auswahlkriterien bezogen sich einerseits auf Beschäftigtengruppen, die mit verschiedenen betriebsexternen Personengruppen zusammenarbeiteten (u. a. KundInnen, PatientInnen, KlientInnen, BürgerInnen und Gäste) und andererseits sollten verschiedene Charakteristika der zu leistenden Interaktionsarbeit (u. a. Dauer, Frequenz sowie Inhalt der Interaktion) berücksichtigt werden. Auf Grundlage der abgeleiteten Kriterien wurden insgesamt sechs Beschäftigtengruppen ausgewählt: Pflegekräfte, Beschäftigte im Einzelhandel, Beschäftigte in der Gastronomie, UnternehmensberaterInnen, PolizistInnen sowie FallmanagerInnen der Bundesagentur für Arbeit.

Ergänzend zu den Interviews wurden neun teilnehmende Beobachtungen in den befragten Organisationen von zwei Forschenden des Projektteams durchgeführt, wobei diese in der Regel zwischen zwei Interviewblöcken stattfanden (Tab. 1). Damit ermöglichte das methodische Vorgehen es einerseits, Inhalte vorheriger Interviews validierend zu überprüfen und andererseits, tiefergreifende Erkenntnisse gewinnen zu können, die durch die alleinige methodische Anwendung von Experteninterviews nicht zugänglich gewesen wären (z. B. Einsicht in die Arbeitsumgebung). Dabei wurde in Vorbereitung auf die Beobachtungen ein Beobachtungsleitfaden entwickelt (Tab. 3 im Anhang). Die Beobachtungen wurden protokolliert und zusammen mit den Interviewtranskripten softwarebasiert mit Hilfe des Programms MAXQDA 2020 ausgewertet. Beobachtungen und Interviews ergänzten sich dabei mit dem Ziel, interaktionsbezogene Stressoren und Ressourcen differenzierter zu betrachten und psychologisch bewerten zu können (Glaser et al. 2008).

Tab. 1 Table 1 Anzahl der Interviews pro BeschäftigtengruppeNumber of interviews per employee group

Insgesamt wurden 106 Personen in 6 Beschäftigtengruppen und 33 Organisationen in Deutschland befragt (Tab. 1). Die Datensammlung erstreckte sich dabei von 2020 bis 2022. Die durchschnittliche Dauer der Interviews umfasste 1,5 h. Die Interviews wurden von drei Forschenden des Forschungsteams erhoben und anschließend durch einen Transkriptionsdienstleister verschriftlicht und handschriftlich protokolliert. Aufgrund der Sars-Cov‑2 Pandemie und des erschwerten Feldzugangs wurden die Interviews sowohl online als auch vor Ort in den Organisationen durchgeführt (Tab. 1). Um die Interviews in Präsenz durchführen zu können, wurde ein umfassendes Hygienekonzept erarbeitet.

Im Zuge der Auswertung wurde auf die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) zurückgegriffen. Auf Basis der induktiven Kategorienbildung wurde das Interviewmaterial zunächst in seine Bestandteile zerlegt und anschließend mit einem am Datenmaterial entwickelten Kodierungssystem bearbeitet. Das induktiv aus dem Material entwickelte Kategoriensystem gab dabei vor, welche Inhalte aus dem Interviewmaterial extrahiert werden sollten. Durch die Formulierung von klaren Auswertungsregeln wurde ein systematisches, nachvollziehbares und intersubjektiv überprüfbares methodisches Vorgehen sichergestellt (Mayring 2015).

4 Ergebnisse der Literaturanalyse

Als übergeordnetes Ergebnis der Literaturrecherche lässt sich festhalten, dass eine übergreifende Einordung und Systematisierung interaktionsbezogener Stressoren und Ressourcen in der Forschung bislang nur bedingt stattgefunden hat und die verwendeten Begrifflichkeiten zur Beschreibung dieser Stressoren recht heterogen waren. Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse der Literaturanalyse zu interaktionsbezogenen Stressoren und Ressourcen vorgestellt. In Rückbezug zu dem vorgestellten JD‑R Modell sollen dabei auch mögliche Wirkungsfolgen dargestellt werden.

4.1 Ergebnisse im Hinblick auf interaktionsbezogene Stressoren

Auf Grundlage der Literaturanalyse wurden 28 Studien identifiziert, die sich mit interaktionsbezogenen Stressoren auseinandersetzten (Tab. 4 im Anhang). Die Studienlage war durch Heterogenität und Multidimensionalität geprägt. Es konnten zwei übergeordnete Themenfelder interaktionsbezogener Stressoren identifiziert werden, die sich wiederum hinsichtlich weiterer Subfacetten untergliedern ließen: 1) negative Verhaltensweisen, 2) emotional stark berührende Ereignisse.

Ergebnisse zur Wirkung interaktionsbezogener Stressoren basierend auf den Annahmen des JD-R Modells

Die Ergebnisse der Literaturanalyse zeigen, dass Studien bisher vor allem den Zusammenhang zwischen interaktionsbezogenen Stressoren und den drei Subfacetten des Burnout-Syndroms untersuchten (8 von 28 Studien). So konnten Grandey et al. (2004) zeigen, dass die Häufigkeit der verbalen Aggression von KundInnen im Zusammenhang mit der emotionalen Erschöpfung der Dienstleistenden stand. Sliter et al. (2010) weisen in ihrer Studie nach, dass unhöfliches Kundenverhalten positiv mit der emotionalen Erschöpfung und negativ mit der subjektiv wahrgenommenen Arbeitsleistung zusammenhängt. Dormann und Zapf (2004) zeigen, dass kundenbezogene soziale Stressoren positiv mit den Burnout-Subfacetten und psychosomatischen Beschwerden sowie negativ mit der Arbeitszufriedenheit von Dienstleistenden in Zusammenhang stehen. Unhöfliche oder auch respektlose KundInnen haben nicht nur einen Einfluss auf das Befinden und die Gesundheit von Beschäftigten, sondern können ebenfalls deren Leistungsfähigkeit beeinflussen. So berichten Sliter et al. (2012) im Zuge ihrer an Bankangestellten durchgeführten Befragung, dass die Interaktion mit unhöflichen KundInnen sowohl eine geringere Verkaufsleistung als auch eine Zunahme der Ausfalltage der Beschäftigten zur Folge hatte. Die AutorInnen führen die geringere Verkaufsleistung darauf zurück, dass das unhöfliche Verhalten der KundInnen als Auslöser für ein abnehmendes Engagement und eine mangelnde Leistungsbereitschaft der Dienstleistenden gesehen werden kann. Weitergehend zeigt Walsh (2011), dass unhöfliches Kundenverhalten im Zusammenhang mit einer gesteigerten Kündigungsabsicht steht.

4.2 Ergebnisse im Hinblick auf interaktionsbezogene Ressourcen

Auf Basis der Literaturanalyse konnten 9 Studien hinsichtlich interaktionsbezogener Ressourcen identifiziert werden (Tab. 5 im Anhang). Die Mehrheit dieser Arbeiten konzentrierte sich auf die spezifische Betrachtung einzelner Facetten interaktionsbezogener Ressourcen, wobei größtenteils Beschäftigte aus einzelnen Berufsgruppen und Branchen untersucht wurden. Die gewonnenen Erkenntnisse ließen sich zwei Themenfeldern zuordnen: 1) positive Verhaltensweisen von KundInnen, 2) Sinnhaftigkeit (Abb. 3).

Abb. 3 Fig. 3
figure 3

Interaktionsbezogene Ressourcen

Interaction-related resources

Ergebnisse zur Wirkung interaktionsbezogener Ressourcen basierend auf den Annahmen des JD-R Modells

Im Rahmen der Literaturanalyse konnten nur vereinzelt Studien identifiziert werden, die die positive Wirkung von Interaktionsarbeit auf das Wohlbefinden und die Gesundheit von Beschäftigten betrachtet haben. So verweisen Nerdinger et al. (2019, S. 659) darauf, dass in der Dienstleistungsforschung „die positiven Wirkungen deutlich weniger Forschung hervorrufen“ – dies verdeutlicht nicht zuletzt das Verhältnis von 9 zu 28 Studien. Zimmermann et al. (2011) zeigen, dass das unterstützende Verhalten von KundInnen mit der positiven Stimmung von Dienstleistenden assoziiert ist. Wegge et al. (2012) weisen in einem experimentellen Design im Bereich des Call-Centers nach, dass Beschäftigte, die mit höflichen KundInnen interagierten, mehr positive Emotionen und weniger emotionale Dissonanz im Vergleich zu Beschäftigten aufwiesen, die mit unfreundlichen KundInnen in Interaktion traten. Weiter konnten Kim und Yoon (2012) in ihrer im Einzelhandel durchgeführten Studie bestätigen, dass die positiven Emotionen von KundInnen zu einem positiven Affekt der Dienstleistenden führte. Yi et al. (2011) berichten, dass unterstützende Kundenverhaltensweisen in einem positiven Zusammenhang mit der Arbeitszufriedenheit, der Arbeitsleistung sowie dem Commitment und negativ mit der Kündigungsabsicht von Dienstleistenden stehen.

5 Zentrale Ergebnisse der qualitativen Studie (Experteninterviews und teilnehmende Beobachtung)

Ziel war es, eine branchen- und berufsübergreifende Taxonomie von Faktoren für die menschengerechte Gestaltung von Interaktionsarbeit zu entwickeln. Die hierarchische Struktur des Kategoriensystems, abgeleitet aus den Interviews und den teilnehmenden Beobachtungen, ermöglichte es nicht nur, Stressoren und Ressourcen auf der Interaktionsebene, sondern ebenfalls gestaltungsrelevante Faktoren auf der arbeitsorganisatorischen Ebene zu betrachten (Abb. 4).

Abb. 4 Fig. 4
figure 4

Hierarchische Struktur des Kategoriensystems

Hierarchical structure of the category-system

5.1 Stressoren auf der Interaktionsebene

Auf der Interaktionsebene ließen sich fünf Hauptkategorien von Stressoren identifizieren, die sich aus der direkten Interaktion zwischen Dienstleistenden und KundInnen, PatientInnen oder KlientInnen ergaben (Tab. 6 im Anhang).

Negative personenbezogene Kundenverhaltensweisen

Auf Basis der Interviews konnten zwei übergeordnete Formen von negativen personenbezogenen Kundenverhaltensweisen identifiziert werden: unhöfliches und aggressives Verhalten. Unhöfliches Kundenverhalten zeigte sich darin, dass KundInnen die Dienstleistenden duzten, nicht begrüßten oder sich für den erbrachten Service nicht bedankten. Beschäftigte nahmen KundInnen insbesondere dann als unhöflich wahr, wenn diese sich ungerecht und unfair gegenüber den Dienstleistenden verhielten oder keinen Respekt zeigten: „Die haben doch eh alle keine Ahnung. Sonst würden sie ja nicht im Baumarkt arbeiten. Die dummen Baumarktverkäufer“ (Beschäftigte eines Baumarkts). Aggressive Kundenverhaltensweisen konnten hinsichtlich verbaler (Beschimpfen, Beleidigen, Fluchen, Gewaltandrohungen), sexueller (unangebrachte Bemerkungen, sexualisierte Witze, unangemessenen Berührungen) und physischer Aggression (Schlagen, Bespucken, Werfen mit Gegenständen) unterschieden werden. So schildert der Beschäftigte eines Fastfood-Restaurants: „Die Situation war mit einem Kunden, der einen Latte Macchiato bestellt hatte, der dann viel zu kalt war. Der hat dann den Mitarbeiter rausgerufen und wollte sich dann mit dem schlagen. Und […] wir hatten hier drinnen mal jemanden, der das ganze Tablett einfach [auf mich] raufgeschmissen hat“. Gemein ist den zuvor genannten Verhaltensweisen, dass sie in der Regel ein Verhalten beschreiben, welches sich durch die Verletzung allgemein akzeptierter sozialer Normen charakterisieren lässt.

Negative arbeitsbezogene Kundenverhaltensweisen

Während sich die zuvor beschriebenen negativen Verhaltensweisen gegen die Person des Dienstleistenden richtete, bezogen sich negative arbeitsbezogene Verhaltensweisen auf den Arbeitsgegenstand der erbrachten Dienstleistung. Im Rahmen der Interviews konnte eine große Bandbreite negativer arbeitsbezogener Verhaltensweisen identifiziert werden. So berichteten Beschäftigte vielfach von überzogenen oder auch unangemessenen Erwartungen von KundInnen (z. B. Einfordern von Sonderbehandlungen oder Zusatzleistungen). Zudem nahmen die Beschäftigten illegitim erscheinende Beschwerden, eine mangelnde Partizipation, Abstimmungsprobleme mit KundInnen sowie Rachehandlungen der KundInnen (z. B. beleidigende Kommentare im Internet) als Stressoren ihrer täglichen Arbeit wahr.

Traumatische Erfahrungen

umfassten extreme und außergewöhnlich stark emotional berührende Ereignisse im Arbeitsleben der Beschäftigten. Dazu zählte der Umgang mit Schicksal, Tod sowie schweren Krankheiten. Insbesondere im Bereich der Pflege waren Beschäftigte immer wieder mit dem Tod von PatientInnen konfrontiert: „Da habe ich geheult […], da habe ich echt geheult, Rotz und Wasser. Und beim Zweiten denn auch. Vor allem, ich habe gesagt, der ist nicht tot, der LEBT. Weil der Arm fiel runter, die Luft kommt raus. Ich sagte: ‚Der lebt noch, das geht nicht‘“ (Beschäftigte stationäre Altenpflege). Weitergehend umfassten traumatische Ereignisse die Konfrontation mit schweren Unfallereignissen sowie Rettungseinsätzen, Raubüberfällen oder die Herausforderung, schlechte Nachrichten überbringen zu müssen. Insbesondere Beschäftigte im Polizeidienst waren gefordert, bei tödlich verlaufenden Einsatzlagen Angehörigen Todesnachrichten überbringen zu müssen.

Stressoren aus der Emotionsarbeit

ergaben sich insbesondere aus der erlebten emotionalen Dissonanz. So berichteten die Beschäftigten, dass es zu ihrem Arbeitsalltag gehöre, eigene Gefühle unterdrücken zu müssen, um den Vorgaben der Organisation zu entsprechen. Insbesondere in Situationen, in denen KundInnen unfreundlich, herablassend oder auch beleidigend gegenüber den Beschäftigten auftraten, fiel es Dienstleistenden schwer, diesen weiterhin freundlich gegenüberzutreten. Dabei entwickelten die Beschäftigten ganz eigene Emotionsregulationsstrategien: „Na ja, ich unterdrücke meine Gefühle so lange, bis ich gegen die Wand schlage. […] Wenn ich zum Beispiel einen sehr, sehr nervigen Kunden habe, der dann halt mir SO auf die Pelle rückt, dass ich halt kurz davor bin, meine Selbstbeherrschung zu verlieren, warte ich, bis er halt weg ist und dann schlage ich gegen meine Lieblingswand“ (Beschäftigter eines Fast Food Restaurants).

Die Unplanbarkeit von Interaktionsarbeit

stellt ein grundlegendes Charakteristikum der Arbeit mit Menschen dar, welches häufig als unbeabsichtigte Anforderung im Arbeitsalltag von Beschäftigten auftritt und trotz vorrausschauender Planung nicht gänzlich ausgeschaltet werden kann. So wussten Beschäftigte nicht, wer die Dienstleistung in Anspruch nehmen wird: „Das ist einfach auch ein Faktor, der, JA, Interaktionsarbeit belastet […] ich weiß nicht, WER kommt, das ist immer eine Überraschung […] Ich kann mich darauf nicht vorbereiten“ (Beschäftigter Betriebsgastronomie). Weitergehend konnten Dienstleistende nicht antizipieren, wie sich KundInnen im nächsten Augenblick verhalten werden, sodass eine entsprechende Reaktion vorab nicht geplant werden konnte. Darüber hinaus traten immer wieder unvorhersehbare Ereignisse auf, die es für die Beschäftigten unmöglich machten, ihren Arbeitsalltag durchzuplanen. Zudem berichteten die Beschäftigten immer wieder von unvorhergesehenen Belastungsspitzen: „Der KUNDE ist halt nicht kontrollierbar. Also sozusagen diese Unwägbarkeit des Faktors KUNDE. […] Wir hatten das in unserem Restaurant, da haben die gesagt: ‚Die sprechen sich alle ab, die kommen irgendwie um 11:30 Uhr alle wie geballt, dann stehen sie alle hier Schlange. Und manchmal ist um 11:30 Uhr noch nichts.‘ Der Kunde als Gestaltungsfaktor sozusagen, der ja ein Eigenleben hat und der nicht immer so will, wie man das vielleicht selber dann mal geplant hat“ (Beschäftigter Betriebsgastronomie).

Eine hohe Interaktionsintensität

umfasst sowohl eine hohe qualitative als auch quantitative Interaktionsanforderung. Während die quantitative Interaktionsanforderung die Menge, Geschwindigkeit und Zeit, in der die Interaktionsarbeit zu verrichten ist, beschreibt, bezieht sich die qualitative Interaktionsanforderung auf die Komplexität, Schwere und Qualität der zu leistenden Arbeit mit KundInnen. Dabei kann sich die Interaktionsintensität in Abhängigkeit des Tätigkeitsfeldes sehr unterschiedlich darstellen. Während bspw. Beschäftigte in der Systemgastronomie von einer hohen Taktung der Interaktionen mit GästInnen berichteten, erlebten UnternehmensberaterInnen vor allem die Komplexität und Schwere der Interaktionen mit ihren KlientInnen als anstrengend: „Sie müssen sich VOLL einlassen, ja, das ist die anstrengendste Arbeit, weil sie die Energie des anderen ja total aufnehmen und überlegen müssen, ey, ja, hm, das geht hier jetzt gerade nicht weiter, ne? […] Das ist anstrengend für mich“ (Beschäftigter Unternehmensberatung).

5.2 Ressourcen auf der Interaktionsebene

Die Ergebnisse der qualitativen Studie verweisen darauf, dass mit der Arbeit an und mit Menschen neben den beschriebenen Stressoren auch vielfältige Ressourcen verbunden sind. So muss die Interaktion zwischen Dienstleistenden und KundInnen nicht nur negativ verlaufen, sondern kann mit verschiedenen positiven Erfahrungen für beide InteraktionspartnerInnen verbunden sein. Auf der Interaktionsebene ließen sich drei Hauptkategorien von Ressourcen identifizieren (Tab. 7 im Anhang).

Positive arbeitsbezogene Kundenverhaltensweisen

Nicht nur KollegInnen und Führungskräfte, sondern auch KundInnen können eine Quelle von sozialer Unterstützung sein. So drückte sich ein partizipatives und kooperatives Verhalten darin aus, dass KundInnen die Dienstleistenden bei alltäglichen Arbeitsaufgaben unterstützten, indem diese Arbeitsprozesse erleichterten: „Dann haben wir auch eine Liebe gehabt, die auch immer GEHOLFEN hat – zum Beispiel [die] Getränkerunde [zu übernehmen]“ (Beschäftigte in der stationären Altenpflege). Zudem unterstützen KundInnen die Dienstleistenden durch nützliche Informationen (bspw. vorab recherchierte Artikelnummern zu Produkten) oder durch wertvolles Feedback (z. B. konstruktive Verbesserungsvorschläge). Weitergehend zeigte sich die soziale Unterstützung von KundInnen darin, dass sie die erbrachte Dienstleistung wertschätzten oder Verständnis für die Situation der Beschäftigten aufbrachten. Gemein ist den zuvor dargestellten positiven Verhaltensweisen, dass sie ein Verhalten beschreiben, welches auf der Freiwilligkeit von KundInnen beruht und von solchen Verhaltensweisen abzugrenzen ist, die für die Erbringung der Dienstleistung zwingend erforderlich sind.

Positive personenbezogene Kundenverhaltensweisen

KundInnen erleichterten jedoch nicht nur die Arbeit, sondern konnten auch für die Dienstleistenden persönlich eine Bereicherung darstellen. So stellten die Befragten immer wieder die Zusammenarbeit mit höflichen, netten und freundlichen KundInnen heraus. Insbesondere in Beschäftigtengruppen, in denen ein hoher und intensiver Kundenkontakt (z. B. Pflege, Unternehmensberatung) bestand, ergaben sich langfristig freundschaftliche Beziehungen mit KundInnen. Eng verbunden mit einer reziproken Dienstleistungsbeziehung war die emotionale Unterstützung, die die Beschäftigten von KundInnen erhielten (z. B. Mitgefühl oder Ratschläge von KundInnen).

Ressourcen aus der interaktiven Tätigkeit

Die Mehrheit der Beschäftigten gab an, dass der primäre Grund ihrer Berufswahl darin liege, mit Menschen arbeiten zu wollen. So erlebten viele Befragten ihren Beruf als persönlich erfüllend: „es ist halt schon auch ein befriedigendes und erfüllendes Gefühl, wenn ich Menschen helfen kann“ (Beschäftigte in der stationären Altenpflege). Insbesondere die Zufriedenheit und die Wertschätzung der KundInnen stellte für die Dienstleistenden die Motivation dar, tagtäglich ihren Beruf auszuüben: „Wenn du ein LACHEN ins Gesicht von irgendeinem zauberst, das ist für mich die Motivation, täglich zur Arbeit zu gehen(Beschäftigter in der Einzelgastronomie). Dabei hoben die Befragten immer wieder hervor, dass sie die Arbeit mit ihren KundInnen in hohem Maße als sinnstiftend und abwechslungsreich erlebten: „Meine Arbeit ist per se sinnvoll. Sonst würde ich sie nicht tun. Also der Sinn, der zeigt sich in jeder SEKUNDE eigentlich, ja, warum ich das mache“ (Beschäftigter Unternehmensberatung).

5.3 Gestaltungsfaktoren auf arbeitsorganisatorischer Ebene

Die Ergebnisse der qualitativen Studie verdeutlichen vor allem die wichtige Rolle der arbeitsorganisatorischen Rahmenbedingungen, unter denen Interaktionsarbeit erbracht wird. Letztere konnten die zu erbringende Interaktionsarbeit potenziell begünstigen oder beeinträchtigen. Folgend werden zentrale arbeitsgestalterische Faktoren identifiziert, systematisiert und diese hinsichtlich ihrer Relevanz für eine menschengerechte Arbeitsgestaltung von Interaktionsarbeit reflektiert (Abb. 5). Auf Basis des Interviewmaterials ließen sich vier übergeordnete Themenfelder branchen- und berufsübergreifender Gestaltungsfaktoren von Interaktionsarbeit identifizieren, die zum Teil mit den in bestehenden Studien diskutierten Faktoren übereinstimmten (Böhle et al. 2015; Hacker et al. 2020; GDA 2018).

Abb. 5 Fig. 5
figure 5

Faktoren zur menschengerechten Arbeitsgestaltung von Interaktionsarbeit

Factors to design interactive work in a humane and health-promoting way

5.3.1 Gestaltungsfaktoren aus der Arbeitsaufgabe

Es ließen sich vier Gestaltungsfaktoren aus der Arbeitsaufgabe ableiten, die sich durch ihre positive (förderliche) Wirkung auf die Interaktionsarbeit und deren Erbringer auszeichneten (Tab. 8 im Anhang).

  1. 1.

    Ausreichender Interaktionsspielraum. Der zur Verfügung stehende Interaktionsspielraum beschreibt, inwieweit Beschäftigte selbst bestimmen können, auf welche Art und Weise die zu leistende Interaktionsarbeit erbracht wird. Konkret bezieht sich der Interaktionsspielraum auf die objektiv vorhandenen und subjektiv wahrgenommenen Wahlmöglichkeiten der Dauer, der Häufigkeit, des Inhalts der Interaktion sowie den gezeigten Gefühlsausdruck. Darüber hinaus umfasst das Konzept Handlungsspielräume bei Entscheidungen, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Erbringung der Dienstleistung stehen (z. B. Reklamationsentscheidungen).

  2. 2.

    Reduzierung widersprüchlicher Anforderungen. Auf Basis der qualitativen Studie konnten verschiedene Formen von widersprüchlichen Anforderungen identifiziert werden. Widersprüchliche Anforderungen ergaben sich u. a. aus dem Zusammentreffen unterschiedlicher Arbeitsziele. So standen Dienstleistende einerseits vor der Herausforderung, vorgegebene Arbeitsaufgaben (z. B. Disposition von Ware) auszuführen und andererseits KundInnen beraten zu müssen. Die Folge waren wiederkehrende unvorhergesehene Unterbrechungen durch KundInnen.

  3. 3.

    Interaktionsgerechte Qualifizierung. Oftmals wurden Fähigkeiten zur Bewältigung der Interaktionsaufgabe vorausgesetzt, ohne dass diese Bestandteile von Qualifizierungsmaßnahmen oder Ausbildungsinhalten waren. Eine Qualifizierung für Interaktionsarbeit zielt dabei auf den Aufbau, den Erhalt und den Ausbau von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zur Bewältigung der Interaktionsaufgabe notwendig sind. Mit dem Konzept wird der Blick darauf gerichtet, dass sich das Arbeitshandeln der Dienstleistenden nicht nur auf sachliche Arbeitsaufgaben begrenzt, sondern jene „Kernaufgaben“ erst durch soziale Kompetenzen ermöglicht werden (z. B. eine gute Emotionsregulation).

  4. 4.

    Variabilität von interaktiven und monologischen Tätigkeiten. Insbesondere in Beschäftigtengruppen, in denen ein hoher und intensiver Kundenkontakt bestand, wurde die dauerhafte Interaktion mit KundInnen, PatientInnen und KlientInnen als erschöpfend wahrgenommen. Bei der Aufgabenplanung sollte daher auf eine ausgewogene Verteilung sowohl interaktiver als auch monologischer Tätigkeitsanteile geachtet werden.

5.3.2 Gestaltungsfaktoren aus der Arbeitsorganisation

Weitergehend konnten drei Gestaltungsfaktoren aus der Arbeitsorganisation identifiziert werden.

  1. 1.

    Ausreichende Zeit- und Personalbemessung für Interaktionsarbeit. Die Beschäftigten betonten immer wieder aufgrund einer zu hohen Arbeitsmenge und einer zu geringen personellen Ausstattung, nicht ausreichend Zeit für die Wünsche und Bedürfnisse der KundInnen, PatientInnen und KlientInnen zu haben. Insbesondere Beschäftigte, die einen hohen Anspruch an ihre eigene Arbeit hatten, erlebten den inneren Rollenkonflikt zwischen dem Grund ihrer Berufswahl und den real vorherrschenden betrieblichen Bedingungen als belastend.

  2. 2.

    Interaktionsgerechte Pausengestaltung. Insbesondere in Beschäftigtengruppen, in denen eine hohe Interaktionsintensität bestand, wurde von den Befragten immer wieder die Relevanz interaktionsfreier Pausen hervorgehoben. Eine ausreichende Pausengestaltung ermöglichte es den Beschäftigten, sich in interaktionsfreien Rückzugsräumen von der erbrachten Interaktionsarbeit zu erholen.

  3. 3.

    Kundenorientierte Gestaltung betrieblicher Prozesse und Strukturen. Im Rahmen der Interviews zeigte sich, dass schwierige KundInnen häufig erst infolge ungünstiger betrieblicher Rahmenbedingungen „geschaffen“ wurden. Als Ursachen für negatives Kundenverhalten konnten im Rahmen der Interviews lange Wartezeiten, ungenießbare Gerichte, hohe Preise sowie nicht verfügbare oder schlechte Produkte identifiziert werden, die dazu führten, dass KundInnen ihren Unmut gegenüber den Dienstleistenden zum Ausdruck brachten. Umgekehrt zeigte sich, dass eine kundenorientierte Gestaltung betrieblicher Strukturen einen positiven Einfluss auf das Verhalten der KundInnen haben konnte (z. B. ein kulantes Reklamationsmanagement).

5.3.3 Gestaltungsfaktoren aus der Arbeitsumgebung und den Arbeitsmitteln

Auf Basis der Interviews ließen sich zwei Gestaltungsfaktoren aus der Arbeitsumgebung und den Arbeitsmitteln ableiten.

  1. 1.

    Förderliche physische Umgebungsfaktoren für Interaktionsarbeit. Nicht nur lange Wartezeiten, sondern auch Umgebungsfaktoren wie unangenehm laute Musik, unsaubere Verkaufsräume oder heiße klimatische Bedingungen hatten einen Einfluss auf die Interaktionssituation. So berichten Beschäftigte eines Möbelhauses, dass die im Hintergrund laufende Musik, spielende Kinder oder störende Geräusche von Ausstellungsobjekten (z. B. Musikboxen) die Kommunikation mit KundInnen erschwerten. Zugleich konnte eine förderliche Gestaltung der physischen Umgebung im Bereich des Fallmanagements dazu beitragen, dass KundInnen sich wohlfühlten und eher bereit waren, sich in Beratungsgesprächen zu öffnen.

  2. 2.

    Interaktionsdienliche Arbeitsmittel. Bei der Gestaltung von Arbeitsmitteln ist darauf zu achten, dass diese Interaktionsarbeit erleichtern und nicht erschweren. Insbesondere in Zeiten der SARS-COV‑2 Pandemie wurden die vorgeschriebenen Masken und Hygieneschutzwände als hinderlich für die Kommunikation mit den KundInnen wahrgenommen. Gleichwohl konnten technische Hilfsmittel wie Warensuchsysteme VerkäuferInnen dabei unterstützen, typische Kundenfragen (Preis, Verfügbarkeit, Standort des Artikels) schnell und bedürfnisgerecht zu beantworten.

5.3.4 Gestaltungsfaktoren aus der Führung, dem Kollegium und der Kultur

Weitergehend konnten drei Gestaltungsfaktoren aus der Führung, dem Kollegium und der Organisationskultur identifiziert werden.

  1. 1.

    Soziale Unterstützung durch KollegInnen. In den Interviews wurde immer wieder die Rolle der sozialen Unterstützung von KollegInnen hervorgehoben. Insbesondere bei traumatischen Erfahrungen wie dem Sterben von PatientInnen oder konfliktreichen Auseinandersetzungen mit KundInnen kam den Austauschmöglichkeiten mit KollegInnen eine besondere Stellung zu. Dabei konnten formelle Angebote wie kollegiale Fallberatungen, Supervisionsformate oder Mentorenprogramme helfen, belastende Erlebnisse besser zu verarbeiten. Nicht zu unterschätzen waren dabei informelle Möglichkeiten des kollegialen Austausches (z. B. kurzfristige gemeinsame Pausen), die es ermöglichten, zeitnah über negative Ereignisse mit KundInnen zu sprechen.

  2. 2.

    Interaktionsorientierte Führung. Als ein Schlüsselfaktor in der Gestaltung von Interaktionsarbeit stellte sich die Einflussnahme von Führungskräften bei der Erfüllung der Interaktionsaufgabe heraus. Dabei kam der Führungskraft einerseits eine wichtige Verantwortung bei der Motivation von Mitarbeitenden und andererseits eine schützende Rolle zu. So hatten Führungskräfte in den kritischen Auseinandersetzungen die Aufgabe, KundInnen Grenzen aufzuzeigen oder in drastischen Fällen sogar Hausverbote auszusprechen.

  3. 3.

    Förderliche Organisationskultur für Interaktionsarbeit. Als eine förderliche Organisationskultur für Interaktionsarbeit beschrieben die Beschäftigten eine Kultur, die von wechselseitigem Vertrauen geprägt ist, eine hierarchieübergreifende Kommunikation sowie Partizipation ermöglicht und organisationale Gerechtigkeit garantiert. Als ungerecht erlebten Beschäftigte, wenn diese versuchten, die von der Organisation vorgegebenen Reklamationsvorschriften durchzusetzen und bei Hilferufen die Vorgesetzten ihnen in den Rücken fielen.

6 Diskussion

Ziel der Studie war es, interaktionsbezogene Stressoren und Ressourcen zu identifizieren, zu systematisieren und diese hinsichtlich ihrer Relevanz für eine menschengerechte Arbeitsgestaltung von Interaktionsarbeit zu reflektieren. Damit leistet der vorliegende Artikel nicht nur einen Beitrag, interaktionsbezogene Stressoren und Ressourcen tiefergreifend zu erforschen, sondern schafft ebenfalls einen konzeptionellen Rahmen, um Interaktionsarbeit im Sinne einer prospektiven Arbeitsgestaltung menschengerecht gestalten zu können.

Die Ergebnisse der Literaturanalyse zeigen, dass in der bestehenden Debatte um den Forschungsgegenstand der Interaktionsarbeit bislang nur wenige systematische Erkenntnisse zu den arbeitsorganisatorischen Rahmenbedingungen, unter denen Interaktionsarbeit erbracht wird, bestanden (Böhle und Weihrich 2020). Der vorliegende Artikel verdeutlicht mit seinen Ergebnissen, dass oftmals Rahmenbedingungen darüber entscheiden, inwieweit Dienstleistende ihre Arbeit mit KundInnen, PatientInnen oder KlientInnen als Stressor oder Ressource wahrnehmen. Mit der Unterscheidung von Stressoren und Ressourcen auf der Interaktionsebene sowie gestaltungsrelevanter Faktoren auf der arbeitsorganisatorischen Ebene hebt der Artikel hervor, dass das untersuchte Themenfeld aus einer Multi-Level-Perspektive heraus betrachtet werden sollte. In Rückbezug zu dem vorgestellten JD‑R Modell, welches als theoretische Grundlage für Identifizierung interaktionsbezogener Stressoren und Ressourcen diente, zeigt sich, dass eine Multi-Level-Perspektive bislang weitgehend außer Acht gelassen wurde. So kommen Bakker und Demerouti (2017) in ihrem Artikel zu offenen Forschungsbedarfen des JD‑R Modells zu dem Schluss: „We […] encourage researchers to integrate multiple levels in their research using JD‑R theory“ (Bakker und Demorouti 2017, S. 281). Die Berücksichtigung einer Multi-Level-Perspektive eröffnete die Möglichkeit, das komplexe Zusammenwirken arbeitsorganisatorischer Rahmenbedingungen und Stressoren und Ressourcen auf der Interaktionsebene aufzuzeigen. So verweisen die Ergebnisse der qualitativen Studie darauf, dass schwierige KundInnen häufig erst in Folge ungünstiger Rahmenbedingungen geschaffen werden, wenn diese bspw. in langen Schlangen warten müssen und infolgedessen ihren Frust gegenüber den Dienstleistenden kanalisierten. Lange Wartezeiten der KundInnen resultierten wiederum daraus, dass bei der Personaleinsatzplanung zu wenig Zeit für die Kundenberatung berücksichtigt wurde. Das dargestellte Beispiel veranschaulicht, dass arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen einen direkten Einfluss auf die zu leistende Interaktionsarbeit nehmen und je nach Art und Ausprägung sowohl mit positiven als auch negativen Folgen für die Beschäftigten, die KundInnen und die Organisation verbunden sein konnten. Damit verdeutlicht der vorliegende Artikel, abweichend von der bestehenden Perspektive in der Forschung „der Kunde sei nicht gestaltbar“, dass Organisationen durchaus mittels gezielter arbeitsgestalterischer Maßnahmen einen Einfluss auf das Verhalten von KundInnen nehmen können. In Zukunft gilt es daher, die förderlichen und beeinträchtigenden Wirkungen arbeitsorganisatorischer Rahmenbedingungen in quantitativen Studien tiefergreifend zu erforschen.

Weitergehend zeigen die Ergebnisse der Literaturanalyse, dass bislang nur vereinzelt Studien bestehen, die sich mit den positiven Seiten von Interaktionsarbeit und deren gesundheits- und motivationsfördernder Wirkung auf Beschäftigte auseinandersetzen. Der vorliegende Artikel leistet einen Beitrag, die bestehende Debatte über den Forschungsgegenstand der Interaktionsarbeit um eine Ressourcenperspektive zu erweitern. Die Ergebnisse der qualitativen Studie verdeutlichen, dass KundInnen nicht nur die Rolle von „Trottelkunden“ (Wirtz und Lovelock 2021), „Problemkunden“ (Bitner et al. 1994) oder auch „Kunden aus der Hölle“ (Withiam 1998) zukommt, sondern für Dienstleistende vielfach eine persönliche Ressource darstellen können. Dabei verweisen die Ergebnisse darauf, dass KundInnen über ihre zu erwartende Rolle hinaus ein Extra-Rollenverhalten (Bettencourt 1997) zeigen, indem sie Dienstleistenden bei der Erbringung ihrer Arbeitsaufgaben halfen, wertvolles Feedback gaben oder diese emotional unterstützten. Jene positiven Kundeninteraktionen stellen vielfach den Grund dar, warum Dienstleistende ihre Tätigkeit als abwechslungsreich und persönlich erfüllend erlebten. Damit verweisen die Ergebnisse abweichend von der bisherigen pathogenetischen Betrachtung in der Literatur auf die mögliche positive Wirkung von Interaktionsarbeit für die Gesundheit und das Befinden von Beschäftigten. Zukünftige Forschung sollte in Rückbezug zu den im JD‑R Modell postulierten „motivational process“ und „health impairment process“ in Längsschnittstudien untersuchen, wie sich interaktionsbezogene Ressourcen und Stressoren in ihren kurz-, mittel- bis hin zu langfristigen Wirkungseffekten sowohl positiv als auch negativ auf die Gesundheit von Beschäftigten auswirken. Zudem sollten neben Antezedenzien von positivem und negativem Kundenverhalten ebenfalls Crossover-Effekte in dyadischen Studiendesigns zwischen KundInnen und Dienstleistenden betrachtet werden. Damit würde es möglich werden, das komplexe Zusammenwirken des Verhaltens von KundInnen und Dienstleistenden tiefergreifend zu erforschen.

6.1 Limitationen

Zunächst muss bei der Interpretation der Ergebnisse der Literaturanalyse berücksichtigt werden, dass das eingeschränkt systematische Vorgehen sowie die Auswahl von Datenbanken, überwiegend psychologischer Journals, möglicherweise dazu führte, dass der Forschungsstand zu interaktionsbezogenen Stressoren und Ressourcen nicht erschöpfend dargestellt wurde. In Zukunft sollten daher Studien weitergehende systematische Literaturanalysen durchführen, wobei die Ergebnisse der qualitativen Studie erste Impulse für konkrete Suchstrings bieten könnten. Darüber hinaus ist kritisch zu betrachten, dass die Interviews sowohl virtuell als auch physisch vor Ort in den Organisationen durchgeführt wurden. Das Medium der Interviewführung könnte insofern einen Einfluss auf die Ergebnisse der qualitativen Studie haben, da Befragte in den Interviews vor Ort deutlich offener über kritische Herausforderungen (z. B. Umgang mit Tod) ihrer Zusammenarbeit mit KundInnen, PatientInnen und KlientInnen berichten. Zudem ist bei der Interpretation der Ergebnisse der Interviews und teilnehmenden Beobachtungen zu berücksichtigen, dass der Durchführungszeitraum die SARS-COV‑2 Pandemie miteinschloss. Dies ist insofern bedeutsam, da aufgrund der vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen Beschäftigte deutlich häufiger mit negativem Kundenverhalten konfrontiert waren und betriebliche Abläufe in den teilnehmenden Organisationen verändert waren. Weiterhin gilt es zudem zu bedenken, dass im Rahmen der Interviews lediglich nach den Einschätzungen der Dienstleistenden gefragt, die Perspektive von KundInnen jedoch außer Acht gelassen wurde. Um Ursachen von negativem Kundenverhalten tiefergreifend zu erforschen und gezielte verhältnispräventive Maßnahmen zur Gestaltung von Interaktionsarbeit ableiten zu können, bedarf es weiterer Studien, in denen KundInnen befragt werden. Ferner war es aufgrund der SARS-COV‑2 Pandemie nicht möglich, Beobachtungen in allen Beschäftigtengruppen durchzuführen. So muss bei der Einordnung der Ergebnisse berücksichtigt werden, dass in den Beschäftigtengruppen der Polizei und des Fallmanagements Rückschlüsse auf arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen nur auf Basis der subjektiven Einschätzungen der Befragten gezogen werden können.

7 Schlussfolgerungen für die betriebliche Praxis

Die Ergebnisse des vorliegenden Beitrags verdeutlichen, dass in der betrieblichen Praxis zunehmend verhältnispräventive Maßnahmen zur Gestaltung von Interaktionsarbeit in den Blick zu nehmen sind. So sollten Maßnahmen ergriffen werden, die darauf abzielen, die Auftretenswahrscheinlichkeit von negativem Kundenverhalten schon in der Entstehung zu verringern. Beispielhaft konnten hierbei im Rahmen der qualitativen Studie Maßnahmen wie die Implementierung eines kulanten Reklamations- und Beschwerdemanagements oder ein verbessertes Management der Produktqualität angeführt werden. Dabei könnte insbesondere der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung eine zentrale Bedeutung zukommen, interaktionsspezifische Gefährdungen zu erfassen, zielgerichtete Maßnahmen abzuleiten und deren Wirksamkeit zu überprüfen. Mit der Identifizierung relevanter Gestaltungsfaktoren wurden erste Themeninhalte für die Gefährdungsbeurteilung von Interaktionsarbeit aufgezeigt. In Zukunft sind vor allem geeignete Methoden zu entwickeln, die die dargestellten interaktionsspezifischen Gefährdungen betriebsspezifisch erfassen.