Zusammenfassung
In demokratisch organisierten pluralistischen Demokratien sind politische Akteure auf die Zustimmung der Bürger angewiesen – vor allem in Wahlkampfzeiten. Diese konzentrierten Phasen politischer Kommunikation eignen sich zum Studium öffentlicher Diskurse besonders gut. Begreift man sie als öffentliche Kommunikationen von Akteuren über Themen, Positionen, Begründungen und Deutungen, dann liegt nahe, dort auch die Chance auf Verständigung über politische Streitfragen zwischen den Kommunikationspartnern zu unterstellen. Aus kommunikativer Perspektive besteht genau darin ihre Qualität, denn ein Mindestmaß an Verständigung gilt als Basis für eine (demokratisch wünschenswerte) argumentative Auseinandersetzung mit der jeweiligen Thematik. Im Fokus unserer Studie stehen die Pressemitteilungen politischer Parteien in Österreich. Über Pressemitteilungen treten die Parteien schriftlich in den Diskurs über aktuelle Kampagnenthemen. Pressemitteilungen bestimmen in hohem Maß die Medienagenda und sind damit zentrale Faktoren im öffentlichen Verständigungsprozess. Wir fragen, ob und inwieweit diese Pressemitteilungen als „verständigungsorientiert“ begriffen werden können. Die Verständigungsqualität wird über einen von uns generierten „Index für Verständigungsorientierung“ gemessen. Ein verständigungsorientierter – und damit: ein qualitativ hochwertiger – Beitrag zum öffentlichen politischen Diskurs liegt dann vor, wenn die Parteien in den Pressemitteilungen ihre Positionen entsprechend begründen, wenn sie bei strittigen Themen (issues) Vorschläge zur Konfliktlösung machen und wenn sie ihrem politischen Gegenüber mehr oder weniger respektvoll begegnen. Zudem finden (sprachliche) Kontexte Beachtung, in denen Zweifel geäußert werden. Analysematerial sind 1341 Pressemitteilungen politischer Parteien in Österreich aus vier Jahrzehnten (1970, 1983, 1999, 2008).
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Es handelt sich hier um die erste, selektive (hier: auf Pressemitteilungen konzentrierte) Auswertung von Daten aus dem Forschungsprojekt „Die Qualität öffentlicher politischer Diskurse in der österreichischen Wahlkampfkommunikation 1966–2008“ (Leitung: Roland Burkart, Mitarbeit: Uta Rußmann). Es ist dies ein Teilprojekt im Rahmen des Projekts „Kontinuität und Wandel in der Wahlkampfkommunikation in Österreich, 1966–2010“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Projektleitung: Gabriele Melischek). Es wird unterstützt vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF/P20147).
- 2.
- 3.
Habermas selbst spricht im Kontext seiner Diskursreflexionen immer schon davon, dass es sich dabei nicht um empirische Fakten, sondern um idealtypische (also: kontrafaktische) Unterstellungen handelt, die allerdings – weil sie als normatives Fundament (insb. sprachlicher) Verständigung gelten – beides sind: „antizipiert, aber als antizipierte Grundlage auch wirksam.“ (Habermas 1971, S. 140).
- 4.
Die in Klammern angegebenen Zahlen markieren (skalierte) Stufen von Begründungsniveaus, die für den nachfolgend dargestellten Index für Verständigungsorientierung (VOI) von Relevanz sind. Dies gilt auch für die folgenden Qualitätsmerkmale.
- 5.
Dass dies durchaus der Realität entspricht, konnte z. B. anhand der Analyse der deutschen Abtreibungsdebatte nachgewiesen werden (Gerhards et al. 1998, S. 118 ff.).
- 6.
Zur Vermeidung negativer Indexwerte und auch um die Verrechenbarkeit mit den anderen ausschließlich positiven Teilindizes zu gewährleisten, wurde den (negativ zu bewertenden) Respektlosigkeiten die Skalenposition „0“ (Null) zugeordnet. Dies führt zu einer Höhergewichtung von implizit (3) und explizit (4) respektvollen Äußerungen (vgl. dazu näher: Burkart und Rußmann 2010, S. 20 ff.).
- 7.
In der Analyse wird zudem zwischen Respektsäußerungen gegenüber anderen Akteuren (Beziehungsebene) sowie Respektsäußerungen gegenüber der Position anderer Akteure (Inhaltsebene) unterschieden.
- 8.
Wir gehen bei der Kategorisierung grundsätzlich von implizitem Respekt aus – und zwar dann, wenn weder implizit noch explizit respektlose Äußerungen vorkommen (Spörndli 2004, S. 72).
- 9.
Habermas differenziert vier verschiedene Ansprüche, deren Gültigkeit die jeweiligen Kommunikationspartner unterstellen müssen, wenn sie in einen Verständigungsprozess eintreten wollen: den Anspruch der Verständlichkeit, der Wahrheit, der Wahrhaftigkeit und der Richtigkeit bzw. Legitimität (Habermas 1995/1, S. 110 ff.).
- 10.
Auf die von Habermas gleichfalls postulierte Kontrafaktizität dieser Unterstellung und die damit verbundene vieldiskutierte Problematik der Idealisierung von Realität kann hier nicht eingegangen werden (näher dazu z. B.: Burkart 2002, S. 436 ff.).
- 11.
- 12.
Die durchschnittliche Intercoder-Reliabilität (Holsti) liegt für die Variable Begründungen bei 0,71; für die Variable Lösungsvorschläge bei 0,80; für Respektsäußerungen bei 0,87 und für die Variable Zweifel bei 0,77. Die Autoren danken dem Codierer-Team: Florian Hainz, Felix Hofmann, Mag. Zlatka Pavlova und Dr. Gabriele Tatzl.
- 13.
Typische Aussage: „Um endlich weiterzukommen, muss die Wirtschaft gezwungen werden, Frauen gleich zu entlohnen und bei der Jobbesetzung zu bevorzugen.“
- 14.
Typisches Beispiel: „ ‚Das 5-Punkte-Programm von Werner Faymann zur Bekämpfung der Teuerung ist finanzierbar, es ist sozial treffsicher, und es wirkt schnell‘, sagte SPÖ-Konsumentenschutzsprecher Johann Maier am Montag in einer Pressekonferenz in Salzburg. So habe der Finanzminister bereits im 1. Halbjahr 2008 über die Lohnsteuer, über die Umsatzsteuer und über die Mineralölsteuer um 1,572 Mrd. Euro mehr eingenommen.“
- 15.
Aussagen des Typs: „Er betonte, dass die Steuer- und Abgabenquote in Österreich mit rund 43 % zu hoch sei.“
- 16.
Aussagen des Typs: „In den letzten vier Jahren ist mehr geschehen als Jahrzehnte vorher.“
- 17.
Typisches Beispiel: „Es sei unzumutbar, dass gewisse Vermögensdelikte strenger bestraft werden als Sexualdelikte.“
- 18.
Typisches Beispiel: „Das jüngste Sammelsurium Kreisky’scher Wirtschaftsideen ist ein offenkundiges Panikkonzept in einer Mogelverpackung.“
- 19.
Typisches Beispiels: „Eine ideenlose Nein-Sager ÖVP“ oder „Das ist ein politischer Bauchfleck dieser Regierung.“
Literatur
Bentele, G. (1998). Politische Öffentlichkeitsarbeit. In U. Sarcinelli (Hrsg.), Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft (S. 124–145). Opladen: Westdeutscher Verlag.
Bentele, G. (2005). Zukünftige Trends politischer Öffentlichkeitsarbeit. In A. Balzer, M. Geilich, & S. Rafat (Hrsg.), Politik als Marke. Politikvermittlung zwischen Kommunikation und Inszenierung (S. 96–99). Münster: Lit.
Burkart, R. (2002). Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft (4. überarbeitete und aktualisierte Aufl.). Wien: Böhlau/UTB.
Burkart, R. (2013a). Verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit (VÖA) revisited: Das Konzept und eine selektive Rezeptionsbilanz aus zwei Jahrzehnten. In O. Hoffjann & S. Huck-Sandhu (Hrsg.), UnVergessene Diskurse. 20 Jahre PR- und Organisationskommunikationsforschung (S. 264–287). Wiesbaden: Springer-VS.
Burkart, R. (2013b). Normativität in der Kommunikationstheorie. In M. Karmasin, M. Rath, & B. Thomaß (Hrsg.), Normativität in der Kommunikationswissenschaft (S. 133–150). Wiesbaden: Springer-VS.
Burkart, R., & Rußmann, U. (2010). Qualität des öffentlichen politischen Diskurses in der österreichischen Wahlkampfkommunikation. Codebuch: Codieranweisungen und Codierschema (FWF-Projekt 21147-G14). Wien: Universität Wien. Online verfügbar unter: http://publizistik.univie.ac.at/institut/ma/burkart/forschung/QPD/. Zugegriffen: 18. März 2014.
Burkart, R., Rußmann, U., & Grimm, J. (2010). Wie verständigungsorientiert ist Journalismus? Ein Qualitätsindex am Beispiel der Berichterstattung über Europa im Österreichischen Nationalratswahlkampf 2008. In H. Pöttker & C. Schwarzenegger (Hrsg.), Europäische Öffentlichkeit und journalistische Verantwortung (S. 256–281). Köln: Halem-Verlag.
Dörner, A., & Vogt, L. (2002). Wahlkampf als Ritual. Zur Inszenierung der Demokratie in der Multioptionsgesellschaft. In Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ (B. 15–16, S. 15–22/2002).
Ferree, M. M., Gamson, W. A., Gerhards, J., & Rucht, D. (2002). Shaping abortion discourse. Democracy and the public sphere in Germany and the United States. Cambridge: Cambridge University Press.
Gastil, J. (2008). Political communication and deliberation. Thousand Oaks: Sage.
Gerhards, J. (1997). Diskursive versus liberale Öffentlichkeit. Eine empirische Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 49, 1–39.
Gerhards, J. (2003). Diskursanalyse als systematische Inhaltsanalyse. Die öffentliche Debatte über Abtreibungen in den USA und in der Bundesrepublik im Vergleich. In R. Keller, A. Hirseland, W. Schneider, & W. Viehöver (Hrsg.), Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band II: Forschungspraxis (S. 299–324). Opladen: Leske und Budrich.
Gerhards, J., Neidhardt, F., & Rucht, D. (1998). Zwischen Palaver und Diskurs: Strukturen öffentlicher Meinungsbildung am Beispiel des Abtreibungsdiskurses in der Bundesrepublik. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Gibson, R., Nixon, P., & Ward, S. (Hrsg.). (2003). Political parties and the Internet: Net gain? London: Routledge.
Gutmann, A., & Thompson, D. (2004). Why deliberative democracy? Princeton: Princeton University Press.
Habermas, J. (1971). Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz. In J. Habermas & N. Luhmann (Hrsg.), Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet Systemforschung? (S. 101–141). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Habermas, J. (1981). Theorie des kommunikativen Handelns (Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Habermas, J. (1990). Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Habermas, J. (1991). Erläuterungen zur Diskursethik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Habermas, J. (1992). Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Habermas, J. (1995). Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Jarren, O., & Donges, P. (2006). Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung (2. überarbeitete Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag.
Klingemann, H.-D., & Voltmer, K. (2002). Politische Kommunikation als Wahlkampfkommunikation. In O. Jarren, U. Sarcinelli & U. Saxer (Hrsg.), Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch (S. 396–405). Opladen: VS Verlag.
Kuhlmann, C. (1999). Die öffentliche Begründung politischen Handelns. Zur Argumentationsrationalität in der politischen Massenkommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Melischek, G., Rußmann, U., & Seethaler, J. (2010). Agenda Building in österreichischen Nationalratswahlkämpfen, 1970–2008. In F. Plasser (Hrsg.), Politik in der Medienarena. Praxis politischer Kommunikation in Österreich (S. 101–143). Wien: facultas.wuv.
Peters, B. (1994). Der Sinn von Öffentlichkeit. In F. Neidhardt (Hrsg.), Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegung (S. 42–76). Opladen: Westdeutscher Verlag.
Plasser, F. (2006). Massenmedien und politische Kommunikation. In H. Dachs, (Hrsg.), Politik in Österreich (S. 525–537). Wien: Manz.
Plasser, F. (Hrsg.). (2012). Erfolgreich wahlkämpfen. Massenmedien und Wahlkampagnen in Österreich. Wien: facultas.wuv.
Respectresearchgroup. (2009). Zentrale Facetten des Respektbegriffs. Online verfügbar unter www.respectresearchgroup.org/respekt_1654__Definition_und_zentrale_Facetten_des_Respektsbegriffes.htm. Zugegriffen: 20. Mai 2013.
Rußmann, U. (2012a). Kampagnen im Web: Neue Formen der Wahlkampfkommunikation. In F. Plasser (Hrsg.), Erfolgreich wahlkämpfen. Massenmedien und Wahlkampagnen in Österreich (S. 189–207). Wien: facultas.wuv.
Rußmann, U. (2012b). Themenmanagement der Parteien im Wahlkampf: Eine Analyse der Presseaussendungen. In F. Plasser (Hrsg.), Erfolgreich wahlkämpfen. Massenmedien und Wahlkampagnen in Österreich (S. 141–162). Wien: facultas.wuv.
Schnädelbach, H. (1992). Zur Rehabilitierung des animal rationale. Vorträge und Abhandlungen 2. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Schulz, W. (2008). Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung (2. vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl.). Wiesbaden: VS-Verlag.
Schweitzer, E., & Albrecht, S. (2011). Das Internet im Wahlkampf. Analysen zur Bundestagswahl 2009. Wiesbaden: VS-Verlag.
Spörndli, M. (2003). Discourse quality and political decisions: An empirical analysis of debates in the German conference committee. Berlin: Social Science Research Center Berlin, WZB. Online verfügbar unter http://skylla.wz-berlin.de/pdf/2003/iv03-101.pdf. Zugegriffen: 19. Nov .2013.
Spörndli, M. (2004). Diskurs und Entscheidung. Eine empirische Analyse kommunikativen Handelns im deutschen Vermittlungsausschuss. Wiesbaden: VS-Verlag.
Steenbergen, M. R., Bächtiger, A., Spörndli, M., & Steiner, J. (2003). Measuring political deliberation: A discourse quality index. Comparative European Politics, 1, 21–48.
Voltmer, K. (1999). Medienqualität und Demokratie. Eine empirische Analyse publizistischer Informations- und Orientierungsleistungen in der Wahlkampfkommunikation. Baden-Baden: Nomos.
Wiek, U. (1996). Politische Kommunikation und Public Relations in der Rundfunkpolitik: Eine politikfeldbezogene Analyse. Berlin: VISTAS.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2015 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Burkart, R., Rußmann, U. (2015). Beeinflussung durch Verständigung? Die kommunikative Qualität von Pressemitteilungen politischer Parteien in österreichischen Nationalratswahlkämpfen. Ein Langzeitvergleich: 1970–2008. In: Fröhlich, R., Koch, T. (eds) Politik - PR - Persuasion. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01683-8_4
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-01683-8_4
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-01682-1
Online ISBN: 978-3-658-01683-8
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)